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Konrad Weiß

Kein Witwenbuch würde junge Mädchen seine Widersprüche und doch nur „vernaschen“. Eigenarten werden nicht Katja Havemann/ Doch die Liebe war stär- ausgelassen, sondern Joachim Widmann, ker. Im April 1973 wurde mit freundlicher Ironie die gemeinsame Tochter offenbart. Und anrührend Wie die DDR sich geboren. Und ein Jahr spä- ist der Kampf Robert Ha- erledigte. ter, am Jahrestag der Be- vemanns um Lebenszeit München, Ullstein, 2003, freiung des Zuchthauses und Lebenskraft geschil- 430 Seiten, 24,00 Euro. Brandenburg, den Robert dert. Sie war 22 Jahre alt, als Havemann als Tag seiner sie Robert Havemann 1970 Wiedergeburt ansah, hei- Die DDR im Originalton kennen lernte. Er, der re- rateten sie. Neun gemein- Das Buch trägt den Unter- nommierte Wissenschaft- same Jahre blieben ihnen, titel Wie die DDR sich erle- ler und landesweit be- Robert Havemann starb digte. Das verweist auf kannte Dissident, war 1983. eine andere Dimension: sechzig. Katja lernte ihn Nun hat Katja Have- auf das Zeitgeschichtliche, bei kennen mann ihre Erinnerungen das ungewöhnlich fakten- und war sofort fasziniert aufgeschrieben. Dass es reich und lebendig darge- von seiner Herzlichkeit kein sentimentales, ver- stellt ist. Zahlreiche Er- und Offenheit, von der klärendes Witwenbuch innerungen und Episoden Klarheit seiner politischen geworden ist, ist wohl lassen diese Zeit, die sieb- Gedanken. Wie viele auch ihrem Koautor, dem ziger und achtziger Jahre, junge DDR-Bürger emp- Journalisten Joachim Wid- lebendig werden. Das fand sie es als etwas Uner- mann, zu danken. Vor al- Haus der Havemanns in hörtes, dass da ein Mensch lem aber den vielen Freun- Grünheide war das Zen- freimütig aussprach und den der Havemanns, die trum der Opposition in aufschrieb, was ihn be- Katja befragt hat und die der DDR schlechthin – wegte und was ihm poli- im Buch ausführlich zu trotz ständiger Überwa- tisch wünschenswert Wort kommen. Die prä- chung durch den Staatssi- schien. Sie fühlte sich an- gende, starke Persönlich- cherheitsdienst und zeit- gezogen von dem sehr viel keit Havemanns wird er- weiligen Hausarrestes, Älteren, und Havemann kennbar, und nachdrück- unter den die SED den ge- umwarb die junge Frau lich drängt sich das Bild fürchteten Dissidenten ge- ebenso jungenhaft wie vom „alten Leitwolf“ auf, stellt hatte. Die Have- nach alter Schule. Eine als den viele DDR-Dissi- manns wurden auf Schritt Freundin warnte sie, mit denten Robert Havemann und Tritt beobachtet, wur- Havemann könne man empfunden haben. Doch den bespitzelt und abge- nicht zusammenleben, der auch seine Starrköpfigkeit, hört. Manch einer, der sich

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als Freund ausgegeben gen, dass sich die DDR er- schrieben, das so lebens- hatte, wurde im Nachhi- ledigt hat. Das Buch kon- voll und authentisch noch nein als Zuträger entlarvt. zentriert sich auf die letz- nirgends zu lesen war. Mehr als 300 Aktenbände ten beiden Lebensjahr- Wer von Havemann „infi- hat das Ministerium für zehnte, auf die Dissiden- ziert“ wurde, wie er selbst Staatssicherheit auf diese tenjahre Havemanns. Da- es nannte, konnte politisch Weise angehäuft. bei kommt zu kurz, wa- nicht gleichgültig bleiben. Im Buch wird immer rum er zum Kritiker und Für viele wurde die Be- wieder aus den Spitzelbe- zum Gegner der SED ge- gegnung mit ihm der ent- richten zitiert. Zuweilen worden ist. Und ob er scheidende Anstoß, sich fragt man sich, ob diesen wirklich in seinem Den- gegen das Regime zu stel- Berichten nicht zu viel ken den Marxismus über- len und selbst zum Dissi- Raum und damit Gewicht wunden hatte. Seine „frü- denten zu werden; Wolf gegeben wird. Doch letzt- heren Leben“ als Wissen- Biermann, Jürgen Fuchs, lich bringen sie in Erinne- schaftler und als Wider- Gerd und Ulrike Poppe rung, wie die DDR wirk- ständler, als Häftling und und Reiner Eppelmann lich war, und setzen damit marxistischer Philosoph, gehören dazu. Nicht min- einen notwendigen als verbohrter Stalinist der wichtig waren die zu- Kontrapunkt zu den vie- und „Geheimer Infor- verlässigen und risikobe- len verharmlosenden und mant“ des Staatssicher- reiten Freunde aus dem verschleiernden Darstel- heitsdienstes sind zwar Westen, die dafür sorgten, lungen, mit denen sonst berücksichtigt, werden dass Havemann publizie- versucht wird, die DDR- insgesamt aber recht holz- ren konnte und in der Me- Geschichte umzudeuten. schnittartig abgehandelt. dien-Öffentlichkeit prä- Vieles scheint ja inzwi- Doch das ist legitim, denn sent blieb und so die Iso- schen wirklich schon ver- das Buch ist nicht in erster lierung, zu der ihn die gessen zu sein: diese un- Linie eine Biografie, son- SED verdammt hatte, glaubliche Borniertheit dern das Erinnerungsbuch durchbrach. Und gewür- der SED-Führung, ihr Rea- Katja Havemanns. Den- digt werden auch die, die litätsverlust, die Angst vor noch: Es müsste auch auf- den Havemanns geholfen jeder Kritik. Und die pani- regend sein, diesen radi- haben und ihnen trotz al- sche Fixierung der DDR- kalen Brüchen und Wand- ler Repressalien mensch- Machthaber auf die West- lungen, die Robert Have- lich nahe geblieben sind, medien, diese törichte manns Größe eigentlich die Nachbarn, der Pfarrer, Furcht, die Wahrheit ausmachen, tiefer nachzu- die Gastwirtsfrau. Sie alle könne „dem Gegner nut- gehen. hat Katja Havemann für zen“. Da ist es erhellend das Buch noch einmal und vielleicht doch hilf- Ein Stück befragt und dabei viele reich, die DDR massiv im Oppositionsgeschichte Details und Erinnerungen Originalton vorgeführt zu Eine entschiedene Stärke zusammengetragen. So ist bekommen. des Buches ist hingegen, nicht nur ein Buch über Ja, die DDR hat sich er- dass die Autoren das Um- Robert Havemann ent- ledigt, und sie hat sich er- feld Robert Havemanns, standen, sondern auch das ledigt; der Untertitel des seinen großen Freundes- kenntnisreiche und de- Buches ist auf intelligente kreis, seine Schüler so in- tailgetreue Gruppenpor- Weise zweideutig. Robert tensiv einbezogen haben. trät eines maßgeblichen Havemann hat fraglos ent- Sie haben damit ein Stück Teiles der DDR-Opposi- scheidend dazu beigetra- Oppositionsgeschichte ge- tion.

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