Schriftenreihe 13
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DieDie JuragewässerkorrektionJuragewässerkorrektion EinEin wasserbaulicherwasserbaulicher GrossversuchGrossversuch undund seineseine FolgenFolgen Martin Grosjean SCHRIFTENREIHE VBS Nr.13 Die Juragewässerkorrektion Ein wasserbaulicher Grossversuch und seine Folgen Martin Grosjean, Bern Als Johann Rudolf Schneider, der Übervater der Juragewässerkorrektion 1804 in Meienried geboren wurde, war das Seeland ein Lebensraum in dem sich die Menschen vor dem wild gewordenen Element fürchteten. Regelmässige Hochwasser brachten den Wehrlosen Krankheiten, Hunger, Leid und Not. In der Zwischenzeit wurden mit der 1. war eng mit dem Entstehen des Bundes- Als die Wasser wild geworden und 2. Juragewässerkorrektion in einer staates verknüpft und «benötigte» immer «Katastrophen kennt allein der Mensch, riesigen Anstrengung 400 km2 Moor- wieder Hochwasserkatastrophen als Ka- sofern er sie überlebt. Die Natur kennt landschaft trockengelegt und in eine talysatoren zur Vollendung des Projektes. keine Katastrophen» (Max Frisch). moderne und prosperierende Agrarland- Nicht abschätzbar war damals allerdings, Das heutige Seeland als «Garten Eden schaft verwandelt. Ein durchdachtes dass die Umgestaltung des Seelandes des Gemüsebaus» ist lediglich eine zu- Kanalsystem schützt erfolgreich vor Auswirkungen auf das regionale Klima fällige Momentaufnahme in einer 15 000 Hochwassern. im Seeland hat, und dass naturnahe Jahre langen bewegten Geschichte. Eine Die technische Realisierung des für Landschaft und Erholungsraum bald zur andere Momentaufnahme erlebte Johann helvetische Verhältnisse gigantischen knappen Ressource und zum wertvollen Rudolf Schneider als 11-jähriger Knabe Eingriffes in die Landschaft setzte aber Gut werden wird. Die Ansprüche, die wir in seinem Elternhaus in Meienried, als bestimmte politische und gesellschaft- an unsern Lebensraum stellen ändern während einer Serie von Überschwem- liche Rahmenbedingungen voraus. Sie mit der Zeit. mungen 1815 –1819 die Wogen der 2 Das Flussnetz der Aare im Grossen Moos (Wohlfarth et al. 1993). hochwasserführenden Aare den Wänden dass die Aare zwischen 14 000 und 5000 im Mittelland setzte eine Zeit häufiger seines Hauses entlang strichen. Das Jahren vor heute mehrheitlich von Aarberg Überschwemmungen ein, durchschnittlich waren für Johann Rudolf Tage der Angst. aus über Ins oder Sugiez in den Neuen- gab es alle zwei bis fünf Jahre ein Hoch- War das Element wild geworden? burgersee floss (Wohlfarth et al. 1993). wasser (Pfister 1999). So flüchteten 1480 Seit Ende der letzten Eiszeit ist das Sanddünen südöstlich von Gampelen die Leute oberhalb Solothurn auf die Bäu- Seeland auf Grund seiner Entwicklungs- und Seeablagerungen belegen, dass der me. 1579 ging der Pfarrer von Nidau mit geschichte natürlicherweise eine Über- Spiegel der grossen Seen vor 10 000 Jah- dem Schiff zur Predigt, 1758 ertranken 50 schwemmungslandschaft. Bei Aarberg re etwa so hoch war wie vor der JGK, das Prozent der Kühe und zwei Drittel der Scha- beginnt der riesige Schuttfächer der Aare, heisst 2,5 m höher als heute. Zu Beginn fe. Besonders schlimm war die Situation die sich dort über Jahrtausende hin ins des Neolithikums vor etwa 7000 Jahren, zwischen 1810 und 1900: In diese Zeit fällt flache Becken des Seelandes ergoss begann der Wasserspiegel im Zuge einer die Planung und Verwirklichung der JGK. und einen grossen Teil der mitgespülten Klimaänderung hin zu wärmeren und Typischerweise fallen Hochwasser im Sand- und Tonfracht ablagerte. Dabei trockeneren Bedingungen stark zu sinken. Seeland in die warme Jahreszeit und in verbaute sich der Fluss oftmals selbst Die Gletscher in den Alpen erreichten ihre die Übergangsjahreszeiten und somit den Weg, trat bei Hochwasser über die Minimalstände. Speziell zur Bronzezeit in die Vegetationsperiode. Meteorologisch Ufer und suchte sich ein neues Bett. und Römerzeit lagen die Seespiegel sogar sind Hochwasser an anhaltende Süd- Nicht immer floss die Aare bei Aarberg tiefer als heute. Auf eine weitere trocke- west-, West- oder Nordwestlagen und Richtung Lyss, Meienried und Dotzigen ne Wärmephase im Mittelalter (800 bis den Zustrom von warmer und sehr feuch- wie es heute die «Alte Aare» immer noch 1300 n.Chr.) folgte mit der «Kleinen Eis- ter Luft gebunden. Besonders verhee- tut und wie es die Aare vor dem Bau des zeit» eine starke Klimaverschlechterung rend werden Hochwasser im Frühjahr Hagneckkanals getan hat. Aus geologi- mit kühlen, teilweise auch feuchten und Frühsommer (wie 1999), wenn schen Untersuchungen von alten Aareläu- Klimabedingungen. Die Gletscher im starke Niederschläge mit einem Tempe- fen im Grossen Moos und Seesediment- Alpenraum stiessen um 1850 erneut zu raturanstieg im Alpenraum und starker kernen im Neuenburgersee wissen wir, einem Höchststand vor. Im Alpenraum und Schneeschmelze verbunden sind. Fotos: M. Grosjean Hochwassermarke vom 10. August 1847, Meienried. Die Marke ist an der weissen Hauswand sichtbar in Kopfhöhe. 3 SCHRIFTENREIHE VBS Nr.13 Derartige Hochwasser können grosse Lage waren, beschlusskräftige Entscheide Kompetenz, Grossprojekte wie Fluss- Teile des Mittellandes und des nördlichen zu fällen und 1868 mit dem Bau der JGK verbauungen (zum Beispiel die Korrektion Alpenraumes umfassen. Vor dem Eisen- begonnen werden konnte. Der «Leidens- der Linthebene) in Angriff zu nehmen. Die bahnbau um 1880 und vor der Möglichkeit weg» der JGK gleicht einer Tragödie, hohen Kosten derartiger Projekte schreck- eines europaweiten Austausches von Nah- widerspiegelt aber ein interessantes ten vorher die Tagsatzung ab und über- rungsmitteln führten derartige Ereignisse Stück Schweizergeschichte. Die JGK soll stiegen die Möglichkeiten der beteiligten regional zu Ernteschäden, Versorgungs- in der Folge in dem Zusammenhang Kantone und Gemeinden bei weitem. engpässen, Hungersnöten und Mangel beleuchtet werden. Eines ist aber sicher: Erneut hatte die patrizische Regierung an Futter für Tiere. Es bedurfte letztlich der Überschwem- von Bern zwischen 1816 und 1831 mit mungen, die als Katalysatoren das totge- dem Projekt von Tulla eine Gelegenheit, Der Widerspenstigen Zähmung sagte Projekt immer wieder neu belebten. sich für das Seeland positiv in Szene zu Wir befinden uns im Seeland in der Brauchen wir wirklich Katastrophen um setzen. Das Projekt sah in der günstigen ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: zu lernen? Variante Korrekturen der Zihl im Gebiet «Wahrlich, ein trauriger, schrecklicher Das Problem war nicht neu. Bereits 1704 Nidau-Meienried vor. Obschon Bauarbei- Anblick so viele tausend Jucharten frucht- reichte Samuel Bodmer einen Plan für ten nur im Gebiet des Kantons Bern vor- bares Land unter Wasser zu sehen» drei Durchstiche in der Zihl zwischen gesehen waren, hätten die Eingriffe aber zitiert Fischer (1963) J. R. Schneider aus Brügg und Büren ein. Die angefangenen günstige Auswirkungen auf das ganze den «Gesprächen über die Überschwem- Arbeiten wurden wegen Opposition aus Schadensgebiet der fünf Kantone gehabt. mungen...». Die Fluten überdeckten Ge- Büren abgebrochen. Nach schweren Über- Weil sich die andern vier im Schadens- treide- und Grasfelder mit Sand und Kies schwemmungen riet der Walliser Wasser- gebiet liegenden Kantone finanziell aber und machten deren weitere Bebauung baumeister Rivaz 1760 erneut zur nicht beteiligen wollten, der Grosse Rat schwierig. Das Nerven- und Wechsel- Senkung des Sees und Begradigung Bern mit einer zögerlichen Haltung glänz- fieber hausten. Die verzweifelten Notrufe der Zihl, wie auch Mirani nach der Über- te, der Kleine Rat primär sparen wollte von Bedrängten waren zahlreich, ihre Hoff- schwemmung von 1771. Ein weiteres und am Projekt kein Interesse zeigten, nung auf Hilfe von Seiten der Regierung Projekt, das ein neues Bett für die Zihl trat die Sonderkommission 1831 zurück. wurde aber enttäuscht. Wie Hunderte und die Aare vorsah, scheiterte erneut Das bedeutete gleichzeitig das Ende des andere, entschloss sich Landwirt Maurer am Widerstand Bürens, das befürchtete Projektes. nach 39 erlebten Überschwemmungen seine Einnahmen aus dem Wasserzoll zu Das Hochwasser von 1834 wirkte erneut auszuwandern. verlieren (Fischer 1963). als Katalysator. Diesmal wurde Johann Die mystische Erklärung von Hochwas- Erst die Mediationsverfassung 1803 gab Rudolf Schneider, Arzt von Nidau aktiv. Be- sern als Strafe Gottes, der Dämonen, der Eidgenossenschaft überhaupt die vor die eigentliche politische Diskussion Hexen und des Gewürms im Boden war der naturdeterministischen Deutung be- reits gewichen. Die Zeitgenossen des Seen 19. Jahrhunderts waren sich durchaus Wald, Stauden bewusst, dass aus Klimakatastrophen Moos die entsprechenden Lehren gezogen wer- Kies, Sand den könnten, vorausgesetzt der Wille Mattland dazu war in Regierung und Politik vor- Äcker handen. «Die Noth zeigt sich gewöhnlich Reben als Lehrmeister, solange man sie spürt» Siedlung schrieb das Allgemeines Intelligenzblatt der Stadt Basel eine Woche nach der Hochwasserkatastrophe vom September 1852 (Müller 2003). Die Wasserbau- ingenieure und ihr Ruf nach Flusskorrek- turen erfreuten sich damals eines grossen Echos in der Tagespresse, insbesondere in Solothurn und Bern, wo der Aufruf an die Regierung ging, die seit langer Zeit 0 10 20 30 40 50 60 km geplante JGK nun doch endlich an die Hand zu nehmen. Doch es sollten weitere Jahre 15 Jahre vergehen, bis die fünf Landnutzung im Seeland um 1850 4 Kantone und der neue Bundestaat in der (B. Schichler und N. Schneider, Geograph. Inst. Uni Bern). im Grossen Rat losging, verfasste er für Gebäude und Wehre, die Krankheiten folgende erneute Verschleppung