DieDie JuragewässerkorrektionJuragewässerkorrektion EinEin wasserbaulicherwasserbaulicher GrossversuchGrossversuch undund seineseine FolgenFolgen Martin Grosjean

SCHRIFTENREIHE VBS Nr.13 Die Juragewässerkorrektion Ein wasserbaulicher Grossversuch und seine Folgen Martin Grosjean,

Als Johann Rudolf Schneider, der Übervater der Juragewässerkorrektion 1804 in Meienried geboren wurde, war das Seeland ein Lebensraum in dem sich die Menschen vor dem wild gewordenen Element fürchteten. Regelmässige Hochwasser brachten den Wehrlosen Krankheiten, Hunger, Leid und Not.

In der Zwischenzeit wurden mit der 1. war eng mit dem Entstehen des Bundes- Als die Wasser wild geworden und 2. Juragewässerkorrektion in einer staates verknüpft und «benötigte» immer «Katastrophen kennt allein der Mensch, riesigen Anstrengung 400 km2 Moor- wieder Hochwasserkatastrophen als Ka- sofern er sie überlebt. Die Natur kennt landschaft trockengelegt und in eine talysatoren zur Vollendung des Projektes. keine Katastrophen» (Max Frisch). moderne und prosperierende Agrarland- Nicht abschätzbar war damals allerdings, Das heutige Seeland als «Garten Eden schaft verwandelt. Ein durchdachtes dass die Umgestaltung des Seelandes des Gemüsebaus» ist lediglich eine zu- Kanalsystem schützt erfolgreich vor Auswirkungen auf das regionale Klima fällige Momentaufnahme in einer 15 000 Hochwassern. im Seeland hat, und dass naturnahe Jahre langen bewegten Geschichte. Eine Die technische Realisierung des für Landschaft und Erholungsraum bald zur andere Momentaufnahme erlebte Johann helvetische Verhältnisse gigantischen knappen Ressource und zum wertvollen Rudolf Schneider als 11-jähriger Knabe Eingriffes in die Landschaft setzte aber Gut werden wird. Die Ansprüche, die wir in seinem Elternhaus in Meienried, als bestimmte politische und gesellschaft- an unsern Lebensraum stellen ändern während einer Serie von Überschwem- liche Rahmenbedingungen voraus. Sie mit der Zeit. mungen 1815 –1819 die Wogen der

2 Das Flussnetz der im Grossen Moos (Wohlfarth et al. 1993). hochwasserführenden Aare den Wänden dass die Aare zwischen 14 000 und 5000 im Mittelland setzte eine Zeit häufiger seines Hauses entlang strichen. Das Jahren vor heute mehrheitlich von Überschwemmungen ein, durchschnittlich waren für Johann Rudolf Tage der Angst. aus über Ins oder Sugiez in den Neuen- gab es alle zwei bis fünf Jahre ein Hoch- War das Element wild geworden? burgersee floss (Wohlfarth et al. 1993). wasser (Pfister 1999). So flüchteten 1480 Seit Ende der letzten Eiszeit ist das Sanddünen südöstlich von die Leute oberhalb Solothurn auf die Bäu- Seeland auf Grund seiner Entwicklungs- und Seeablagerungen belegen, dass der me. 1579 ging der Pfarrer von Nidau mit geschichte natürlicherweise eine Über- Spiegel der grossen Seen vor 10 000 Jah- dem Schiff zur Predigt, 1758 ertranken 50 schwemmungslandschaft. Bei Aarberg re etwa so hoch war wie vor der JGK, das Prozent der Kühe und zwei Drittel der Scha- beginnt der riesige Schuttfächer der Aare, heisst 2,5 m höher als heute. Zu Beginn fe. Besonders schlimm war die Situation die sich dort über Jahrtausende hin ins des Neolithikums vor etwa 7000 Jahren, zwischen 1810 und 1900: In diese Zeit fällt flache Becken des Seelandes ergoss begann der Wasserspiegel im Zuge einer die Planung und Verwirklichung der JGK. und einen grossen Teil der mitgespülten Klimaänderung hin zu wärmeren und Typischerweise fallen Hochwasser im Sand- und Tonfracht ablagerte. Dabei trockeneren Bedingungen stark zu sinken. Seeland in die warme Jahreszeit und in verbaute sich der Fluss oftmals selbst Die Gletscher in den Alpen erreichten ihre die Übergangsjahreszeiten und somit den Weg, trat bei Hochwasser über die Minimalstände. Speziell zur Bronzezeit in die Vegetationsperiode. Meteorologisch Ufer und suchte sich ein neues Bett. und Römerzeit lagen die Seespiegel sogar sind Hochwasser an anhaltende Süd- Nicht immer floss die Aare bei Aarberg tiefer als heute. Auf eine weitere trocke- west-, West- oder Nordwestlagen und Richtung , Meienried und ne Wärmephase im Mittelalter (800 bis den Zustrom von warmer und sehr feuch- wie es heute die «Alte Aare» immer noch 1300 n.Chr.) folgte mit der «Kleinen Eis- ter Luft gebunden. Besonders verhee- tut und wie es die Aare vor dem Bau des zeit» eine starke Klimaverschlechterung rend werden Hochwasser im Frühjahr Hagneckkanals getan hat. Aus geologi- mit kühlen, teilweise auch feuchten und Frühsommer (wie 1999), wenn schen Untersuchungen von alten Aareläu- Klimabedingungen. Die Gletscher im starke Niederschläge mit einem Tempe- fen im Grossen Moos und Seesediment- Alpenraum stiessen um 1850 erneut zu raturanstieg im Alpenraum und starker kernen im Neuenburgersee wissen wir, einem Höchststand vor. Im Alpenraum und Schneeschmelze verbunden sind. Fotos: M. Grosjean

Hochwassermarke vom 10. August 1847, Meienried. Die Marke ist an der weissen Hauswand sichtbar in Kopfhöhe. 3

SCHRIFTENREIHE VBS Nr.13 Derartige Hochwasser können grosse Lage waren, beschlusskräftige Entscheide Kompetenz, Grossprojekte wie Fluss- Teile des Mittellandes und des nördlichen zu fällen und 1868 mit dem Bau der JGK verbauungen (zum Beispiel die Korrektion Alpenraumes umfassen. Vor dem Eisen- begonnen werden konnte. Der «Leidens- der Linthebene) in Angriff zu nehmen. Die bahnbau um 1880 und vor der Möglichkeit weg» der JGK gleicht einer Tragödie, hohen Kosten derartiger Projekte schreck- eines europaweiten Austausches von Nah- widerspiegelt aber ein interessantes ten vorher die Tagsatzung ab und über- rungsmitteln führten derartige Ereignisse Stück Schweizergeschichte. Die JGK soll stiegen die Möglichkeiten der beteiligten regional zu Ernteschäden, Versorgungs- in der Folge in dem Zusammenhang Kantone und Gemeinden bei weitem. engpässen, Hungersnöten und Mangel beleuchtet werden. Eines ist aber sicher: Erneut hatte die patrizische Regierung an Futter für Tiere. Es bedurfte letztlich der Überschwem- von Bern zwischen 1816 und 1831 mit mungen, die als Katalysatoren das totge- dem Projekt von Tulla eine Gelegenheit, Der Widerspenstigen Zähmung sagte Projekt immer wieder neu belebten. sich für das Seeland positiv in Szene zu Wir befinden uns im Seeland in der Brauchen wir wirklich Katastrophen um setzen. Das Projekt sah in der günstigen ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: zu lernen? Variante Korrekturen der Zihl im Gebiet «Wahrlich, ein trauriger, schrecklicher Das Problem war nicht neu. Bereits 1704 Nidau-Meienried vor. Obschon Bauarbei- Anblick so viele tausend Jucharten frucht- reichte Samuel Bodmer einen Plan für ten nur im Gebiet des Kantons Bern vor- bares Land unter Wasser zu sehen» drei Durchstiche in der Zihl zwischen gesehen waren, hätten die Eingriffe aber zitiert Fischer (1963) J. R. Schneider aus Brügg und Büren ein. Die angefangenen günstige Auswirkungen auf das ganze den «Gesprächen über die Überschwem- Arbeiten wurden wegen Opposition aus Schadensgebiet der fünf Kantone gehabt. mungen...». Die Fluten überdeckten Ge- Büren abgebrochen. Nach schweren Über- Weil sich die andern vier im Schadens- treide- und Grasfelder mit Sand und Kies schwemmungen riet der Walliser Wasser- gebiet liegenden Kantone finanziell aber und machten deren weitere Bebauung baumeister Rivaz 1760 erneut zur nicht beteiligen wollten, der Grosse Rat schwierig. Das Nerven- und Wechsel- Senkung des Sees und Begradigung Bern mit einer zögerlichen Haltung glänz- fieber hausten. Die verzweifelten Notrufe der Zihl, wie auch Mirani nach der Über- te, der Kleine Rat primär sparen wollte von Bedrängten waren zahlreich, ihre Hoff- schwemmung von 1771. Ein weiteres und am Projekt kein Interesse zeigten, nung auf Hilfe von Seiten der Regierung Projekt, das ein neues Bett für die Zihl trat die Sonderkommission 1831 zurück. wurde aber enttäuscht. Wie Hunderte und die Aare vorsah, scheiterte erneut Das bedeutete gleichzeitig das Ende des andere, entschloss sich Landwirt Maurer am Widerstand Bürens, das befürchtete Projektes. nach 39 erlebten Überschwemmungen seine Einnahmen aus dem Wasserzoll zu Das Hochwasser von 1834 wirkte erneut auszuwandern. verlieren (Fischer 1963). als Katalysator. Diesmal wurde Johann Die mystische Erklärung von Hochwas- Erst die Mediationsverfassung 1803 gab Rudolf Schneider, Arzt von Nidau aktiv. Be- sern als Strafe Gottes, der Dämonen, der Eidgenossenschaft überhaupt die vor die eigentliche politische Diskussion Hexen und des Gewürms im Boden war der naturdeterministischen Deutung be- reits gewichen. Die Zeitgenossen des Seen 19. Jahrhunderts waren sich durchaus Wald, Stauden bewusst, dass aus Klimakatastrophen Moos die entsprechenden Lehren gezogen wer- Kies, Sand den könnten, vorausgesetzt der Wille Mattland dazu war in Regierung und Politik vor- Äcker handen. «Die Noth zeigt sich gewöhnlich Reben als Lehrmeister, solange man sie spürt» Siedlung schrieb das Allgemeines Intelligenzblatt der Stadt Basel eine Woche nach der Hochwasserkatastrophe vom September 1852 (Müller 2003). Die Wasserbau- ingenieure und ihr Ruf nach Flusskorrek- turen erfreuten sich damals eines grossen Echos in der Tagespresse, insbesondere in Solothurn und Bern, wo der Aufruf an die Regierung ging, die seit langer Zeit 0 10 20 30 40 50 60 km geplante JGK nun doch endlich an die Hand zu nehmen. Doch es sollten weitere Jahre 15 Jahre vergehen, bis die fünf Landnutzung im Seeland um 1850 4 Kantone und der neue Bundestaat in der (B. Schichler und N. Schneider, Geograph. Inst. Uni Bern). im Grossen Rat losging, verfasste er für Gebäude und Wehre, die Krankheiten folgende erneute Verschleppung des 1835 ein populäres Büchlein «Gespräche gingen zurück, es gäbe Bevölkerungs- Projektes durch den Grossen Rat war über die Überschwemmungen im See- wachstum, Stärkung des Gewerbe- und politischer Natur (Freischarenzüge), und lande der westlichen Schweiz...», das Kaufleutestandes. Es konnte vorgerech- als Schneider 1850 als Regierungsrat für verschiedene Gruppen der Bevölke- net werden, dass der jährliche Gewinn abgewählt wurde schien das Projekt rung sämtliche Vorteile des Projektes verzinst einem Kapital entsprach, das wiederum am Ende. erläuterte. Anschliessend sicherte sich höher war als das, was vom Staat Die Serie von grossen Überschwemmun- Schneider gezielt die Unterstützung verlangt wurde; kurzum sich insgesamt gen 1851, 1852 und 1853 liess die führender Persönlichkeiten und der ein volkswirtschaftlicher Gewinn ergebe. Bevölkerung resignieren. Für einzelne Regierung, und die andern vier Kantone Die Argumentationslinien haben sich bis Exponenten war sie aber ein Antrieb, das wurden zum Gespräch eingeladen. heute nicht wesentlich verändert. Projekt wiederzubeleben. Der Artikel 21 Schneider wusste um die ausserordent- Schneider wurde 1837 Regierungsrat der neuen Bundesverfassung gab neuer- liche Wichtigkeit der Kommunikation, und überzeugte die Regierung, die drin- dings dem Bund die Möglichkeit, Projekte legte sich eine kluge Strategie zurecht, gende Angelegenheit der Entsumpfung zu unterstützen, die wie die JGK im die auch modernen Ansprüchen auch des Seelandes fortan einer Aktiengesell- Interesse der gesamten Eidgenossen- genügen würde, und legte so den Grund- schaft zu überlassen. Das sei der Erfolg schaft standen. Glücklicherweise war stein zum Modell, das die Regierung versprechende Weg, und dadurch böte der Vorsitzende der Verfassungskom- 33 Jahre später im Bundesbeschluss sich der Regierung die einmalige Chance mission (U. Ochsenbein) als Freund von von 1867 verabschieden sollte. «...sich selbst ein ewiges Ehrendenkmal J. R. Schneider mit den besonderen Ver- Für das Projekt und dessen Finanzierung zu stiften..» (Schneider J. R. 1838, in hältnissen im Seeland bestens vertraut. musste zunächst die Unterstützung des Müller 2003). Entscheidend dabei war, dass durch die Staates Bern gewonnen werden. Die Em- 1839 wurde die «Vorbereitungs-Gesell- neue Verfassung nebst der gesetzlichen mentaler, Oberländer und Oberaargauer schaft für die Jura-Gewässerkorrektion» Grundlage zur Land-Enteignung auch wurden belehrt, dass das reicher werden- gegründet. Von dieser beauftragt legte Kompetenzen auf den Bund übertragen de Seeland ein bessere Absatzmarkt für der Bündner Ingenieur La Nicca 1842 werden konnten, wenn die einzelnen deren Produkte sein werde. Ausserdem ein Projekt vor, das der teuren Variante Kantone nicht mehr in der Lage waren, verlöre der Staat weniger an Steuerein- von Tulla entsprach und den - die Probleme zu lösen. Was zunächst nahmen (Heu-, Getreide- und Weizenzehn- kanal sowie die Verbindungskanäle als eine grosse Chance für die pragmati- ten) und es gäbe weniger Reparaturkosten zwischen den Seen vorsah. Die darauf- sche Lösung des Überschwemmungs- problems schien barg aber reichlich politischen Konfliktstoff und die «Sache» wurde zum Spielball politischen Block- denkens. Müller (2003) zeigt, wie sich die liberale «Berner Zeitung» für ein Engage- ment des Bundes in der «Causa JGK» stark machte und die Vorteile des Hoch- wasserschutzes pries, während sich das konservative «Vaterland» gegen jegliche Einmischung des Bundes in kantonale Angelegenheiten verwahrte. Es folgten ein Expertenstreit mit Gutach- ten und Gegengutachten, Gegenprojekte, Projektmodifikationen, ein Streit über die Kostenverteilung. Das Projekt wurde schliesslich 1863 von der Bundes- versammlung und den Kantonen ange- nommen. Technisch gesehen diente die 1. JGK primär dem Hochwasserschutz. In den Jahren 1869 bis 1886 wurden der Nidau –Büren Kanal zur Ableitung des Wassers und der Zihl- und Broye-Kanal zum Ausgleich der Wasserstände in Die Juragewässer vor und nach der 1. Korrektion (Müller 1963). den drei Seen gebaut. 5

SCHRIFTENREIHE VBS Nr.13 dem neu gewonnen Land geschehen solle und wem es denn nun eigent- lich gehöre. Die Besitzverhält- nisse waren da- mals äusserst kom- pliziert (Egli in BVG 1985) und wurden erstmals 1864 bis auf den letzten Quadratmeter ge- klärt. Damit konnte auch der Land- tausch und Land- handel einsetzen, Übersichtskarte zur 2. Juragewässerkorrektion (BVG 1985). was für die Jurage- wässerkorrektion Durch den Hagneckkanal sollte schliess- Natürlicherweise eignen sich die Böden im eine wichtige Voraussetzung war. Die lich die Aare zuerst in den Bielersee Grossen Moos bestens als Grünland und im Zuge der JGK erfolgte Regelung der fliessen, um dort die Sedimente abzula- Weide. Der intensive Gemüsebau von heu- Besitzverhältnisse und des Wasserhaus- gern. te ist deshalb keine Selbstverständlichkeit haltes war eine wichtige Voraussetzung und wurde erst durch aufwändige Boden- für die Güterzusammenlegung, die Neu- Die Folgen des Grossversuches verbesserungsmassnahmen wie Tiefpflü- gestaltung der landwirtschaftlichen Par- Mit der Absenkung der Seespiegel um gen, Übersanden, Grundwasserregulie- zellen, die Neuauslegung von Teilen 2,5 m und der Entsumpfung von 400 km2 rung sowie Erosionsschutz möglich. des Wegnetzes und die Strukturbereini- Moorlandschaft entstanden grosse neue Schien vorerst das grösste Problem der gung der Landwirtschaft. Dies sind im Flächen, die in der Folge landwirtschaft- Überschwemmungen durch die Absen- Wesentlichen die Elemente, die einerseits lich genutzt werden konnten. Entschei- kung des Wasserspiegels gelöst, stellten das heutige Landschaftsbild der moder- dend für die landwirtschaftliche Nutzung sich bald neue Schwierigkeiten ein: nen Agrarlandschaft mit den grossen in- ist wiederum die Geschichte der Land- Die nun entwässerten und durchlüfteten tensiv genutzten Ackerflächen prägen, schaftsentwicklung der letzten 10 000 Torfböden sackten zusammen, wurden andererseits aber auch das Fundament Jahre. Während die Böden auf den erhöh- vom Wind erodiert und bauten sich ab, für eine gesunde, wettbewerbsfähige und ten Terrassen, Molasse- und Moränenge- was zu Setzungen der Bodenoberfläche moderne Agrarwirtschaft in einem stabi- bieten zu den besten landwirtschaftlichen bis zu 1 m führte. Dies ist oftmals am len Wirtschaftsraum bilden. Böden der Schweiz gehören, sind die erhöhten Niveau der Wege durch die Andere Folgen der JGK sind weniger au- Böden in den ehemals versumpften Ebe- schwarzen Gemüsefelder noch sichtbar. genfällig und wenig ist über deren Aus- nen mit starken Einschränkungen ver- Grosse Gebiete des Seelandes wurden wirkungen bekannt. Mit Computermodel- bunden. Im Grossen Moos zeigt sich erneut anfällig für Überschwemmungen len ist es heute zum Beispiel möglich, ein feingliederiges Mosaik mit Sandböden und die 2. JGK wurde notwendig. den Einfluss von Landoberflächenände- in ehemaligen Flussläufen der Aare, Projekte dazu wurden bereits um 1900 rungen der JGK auf das regionale Klima schweren Tonböden in ehemals ruhigen entwickelt. Wiederum wirkten die Hoch- zu berechnen. Eine neue Studie (Schnei- Altwasserarmen, und schwarzen Torf- wasser von 1944, 1950, 1952 und 1956 der und Eugster 2003) zeigt mit dem Ver- böden, die über Jahrtausende in den als Katalysatoren um die fünf Kantone BE, gleich von Klimasimulationen zwischen Flachmooren gebildet wurden. Sandbö- FR, VD, NE und SO zu einem Beschluss zu- dem «Zustand 1850» und dem «Zustand den trocknen sehr rasch aus und sind sammenzubringen. Und wiederum stand heute» Erstaunliches: Über das ganze nährstoffarm; Tonböden neigen zu mit Dr. R. Müller eine energische Persön- Seeland gesehen hat die Umgestaltung Wasserstau, besitzen keinen Sauerstoff lichkeit dem Projekt- und der Bauleitung von 400 km2 Moorlandschaft in Ackerland im Wurzelraum der Pflanzen und sind vor. Die Bauarbeiten dauerten von 1962 und einem Rückgang von 30 Prozent schwer zu bearbeiten; Torfböden sind bis 1973 und hatten technisch gesehen des Waldes seit 1850 zu einer generellen für viele Nutzpflanzen zu sauer, trocknen das Ziel, die Schwankungen des Wasser- Abkühlung im Sommer von 0.25° C ge- leicht aus und sind anfällig für Wind- standes zu verringern. Bereits 1835 führt. In Gebieten mit Aufforstung 6 erosion. wurde die Frage diskutiert, was denn mit entlang der neu entstandenen Seeufern, des Murtensees stiegen die Temperaturen für Schwächere einräumten, ist längst tagsüber allerdings um 1° C, während es wieder dem Primat der Entwicklung und in Gebieten mit Entsumpfung und gleich- falsch verstandenem Liberalismus gewi- zeitiger Abholzung (insbesondere um chen und lässt Umweltbelangen kaum Aarberg, Jäissberg, Lyss) zu einer land- mehr Raum. Um jeden Quadratmeter wird nutzungsbedingten Abkühlung um 2° C gekämpft, die Reparatur von Schäden kam. Dies sind Beträge, die der Klima- durch frühere Eingriffe bleibt ein Flickwerk. änderung in der Schweiz bedingt durch die Die Landschaft ist weitgehend gestaltet. globale Erwärmung (1.2° C seit 1900), Ist sie aber richtig gestaltet? Sind die durchaus gleich kommen. Die JKG hat das verschiedenen Interessen der Stadtmen- regionale Klima stark modifiziert. schen, der Landmenschen, der Landwirt- schaft, des Gewerbes, des Tourismus, Das Pendel schlägt zurück. des Verkehrs und des Naturschutzes Schlägt es wirklich zurück? ausgewogen berücksichtigt? Haben Stadt- Während bei den Menschen früher der menschen einen Anspruch auf Erholungs- Schutz vor der Natur absoluten Vorrang raum in einer Landschaft, die durch die genoss, hat sich die Situation heute Land- und Forstwirtschaft und den Verkehr diametral verändert: Die Natur muss vor zumindest vom Erscheinungsbild her dem Menschen geschützt werden. Im monopolistisch belegt ist? Zuge der gewaltigen Änderungen der Land- nutzung sind naturnahe Lebensräume, Epilog insbesondere Feuchtgebiete in der ehe- Antworten sind schwer zu finden, denn die maligen Moorlandschaft, zur Seltenheit Betrachtungsweise, das Verständnis für geworden. Erholungsraum für die Stadt- und die Ansprüche an unsern Lebensraum Das Bildpaar zeigt die Parzellierung menschen ist heute Mangelware und befinden sich in stetem Wandel. Das zeigt im Isleren südostlich von Gampelen v Landschaft ein knappes Gut geworden. die Geschichte der Juragewässerkorrek- or 1970 und nach der Güterzusammen- Während die Güterzusammenlegungen tion und der Umgang der Menschen mit legung und Neuzuteilung 1975. in den 1970er Jahren die Gelegenheit ihrem unmittelbaren Lebensraum deut- Die alten Parzellen waren zwischen boten, einzelne Feuchtgebiete wie Torf- lich. Neu ist allerdings, dass wir uns 150 –230 m lang und nur ca. 15 m stiche, Altwasserarme, Kanalabschnitte heute weitgehend die Gestaltungsmög- breit (BVG 1985). und Seeufer unter Schutz zu stellen, ge- lichkeiten genommen haben. Geben wir staltet sich die Vernetzung dieser «Inseln» uns und den zukünftigen Generationen zu einem Verbund von Schutzgebieten den Handlungsspielraum langsam wieder zugestehen. Der Landschaft als knappes heute als sehr schwierig. Die Notwendig- zurück! Pioniergeist, Opferwille, Weitblick, Gut muss Rechnung getragen werden, es keit zu Wandermöglichkeiten für Tier- energische und beharrliche Persönlichkei- ist eine wichtige Ressource. Dies kommt und Pflanzenarten ist aus Gründen des ten sind gefragt. Erinnern wir uns an die allerdings nicht von selbst, es erfordert genetischen Austausches eine Notwen- historischen Ereignisse im Seeland. eine Grossinvestition in die Zukunft! digkeit zum Überleben der Populationen. Gibt es heute aber noch Platz für die Grossinvestitionen in die Zukunft, so Einige Erfolgsgeschichten wie Biber-Re- Schaffenskraft herausragender Frauen unsicher sie sein mögen und wie die JGK viere, das Auengebiet der Alten Aare und und Männer, die unter grossem Einsatz eine war, können für nachfolgende Gene- andere dürfen nicht darüber hinweg- beharrlich und konsequent visionäre rationen von unschätzbarem Wert sein. täuschen: Der Spielraum zur Vernetzung Ziele verfolgen? Ja, nur entspricht Voraussetzung dazu ist allerdings, dass von naturnahen Lebensräumen ist in der Pioniergeist heute nicht mehr dem jede Generation bereit ist, Opfer zu intensive genutzten Landschaft äusserst grossflächigen Umgestalten der Land- bringen. Das Opfer von heute heisst: klein! schaft und der Realisierung technischer grosszügig, bewusst, bescheiden und mit Genoss der Naturschutz in den 1980er Grossprojekte, sondern dem demokrati- Rücksichtnahme auf unsere Nachkom- Jahren eine hohe Priorität, geschieht schen Finden ausgewogener Lösungen für men und unsere Umwelt auf Machbares paradoxerweise genau in dem Moment, Raumnutzungskonflikte, dem Entwickeln zu verzichten. da die Wissenschaft ein schärferes Bild und konsequenten Umsetzen von weit- über die Gefährdung der Umwelt durch sichtigen Strategien, die langfristig die Martin Grosjean, den Menschen (Klimaänderungen, Bio- Schlüsselfunktionen des Seelandes als Nationaler Forschungsschwerpunkt diversität) zu zeichnen beginnt genau Lebens-, Wirtschafts- und Erholungs- Klima und Geographisches Institut, das Gegenteil: Das Bild der «kränkelnden raumes sichern und zukünftigen Genera- Universität Bern, Erlachstrasse 9 a, Natur», der wir grosszügig einen Bonus tionen einen offenen Handlungsspielraum 3012 Bern 7

SCHRIFTENREIHE VBS Nr.13 Herausgeber Ausgewählte Literatur Verein Bielerseeschutz VBS BVG 1985. Gesamtmelioration Ins-Gampelen- 1970 –1985. Postfach 1810 2501 Biel/Bienne Bodenverbesserungsgesellschaft Ins-Gampelen-Gals. Dätwiler. Ins. Tel./Fax: 032 315 27 29 Fischer, H. 1963. Dr. med. Johann Rudolf Schneider. E-mail: [email protected] Retter des Westschweizer Seelandes. Haupt Verlag. Bern. Homepage: www.vereinbielerseeschutz.ch Müller. R. 1959. Die II. Juragewässerkorrektion. Auflage Wasser- und Energiewirtschaft 1959 (1–2), 1– 44. 2300 Ex./März 2004 Müller, R. 2003. «Das wild gewordene Element». Redaktion und Produktion Gesellschaftliche Reaktionen auf die beiden Mittellandshochwasser v Peter Meier-Apolloni on 1852 und 1876. Lizentiatsarbeit Historisches Institut, Universität Bern. Gestaltung Oliver Salchli Pfister, C. 1999. Wetternachhersage. 500 Jahre Klimavariationen und Naturkatastrophen 1496 –1995. Haupt Verlag. Bern. Druck Witschidruck Schneider, N. und Eugster, W. 2003. Klimawandel vor der Haustür. Auswirkungen der Juragewässerkorrektion auf das Lokalklima. Verkaufspreis: Fr. 5.– UniPress 116, 21– 24. http://www.giub.unibe.ch/klimet/iluclims/ Abdruck und Kopien nur mit Quellenangabe gestattet. Wohlfarth, B., Schwalb. A. und Schneider, A. 1993. Seen- und Flussgeschichte im Westschweizer Seeland zwischen 5000 und 12000 Jahren vor heute. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier Mitt. Naturf. Ges. Bern 50, 45 – 60.