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Analysen

Parteien und Demokratie und der Verfassungs- schutz

Felix Korsch Inhalt

Vorwort zur Nachauflage 2

Asylkritik, mit und ohne Hakenkreuz 4

1 Einleitung 8

2 Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen im Diskurs um Pegida 10

3 Die Pegida-Bewegung im Spiegel der Verfassungsschutzberichte 16

4 Berichterstattung und Beobachtung als Verfassungsschutzpolitik 28

5 Pegida als ständiger Prüffall 33

6 Reziproke Anpassung 36

7 Pegida und die Grenzen des Verfassungsschutzes 40 2 Vorwort zur Nachauflage

Als die «Patriotischen Europäer gegen landsgeheimdienste im Jahr eins der Be- die Islamisierung des Abendlandes» wegung noch nicht als opportun. (Pegida) im Oktober 2015 das einjähri- Warum, das erklärt die vorliegende Bro- ge Bestehen feierten, meldete die Po- schüre, deren erste Auflage pünktlich litik bis hoch in die Bundesregierung zum Jubiläum beziehungsweise zum plötzlich ihren Bedarf nach Beobach- Meinungswandel erschienen war. Sie tung Pegidas durch den Verfassungs- erklärt vorsorglich, warum auch im Jahr schutz an. Was war geschehen? Bei der zwei eine Beobachtung durch die Ämter Jubiläums-Demonstration in für Verfassungsschutz nicht zu erwarten beendete Akif Pirinçci seine Karriere ist. Der einzige analytische Zuwachs et- mit seiner Aufsehen wie Abscheu erre- wa seitens des sächsischen Landesam- genden «KZ-Rede». Am Rande des Ver- tes für Verfassungsschutz bestand En- sammlungsgeschehens kam es unter de 2015 in der ernstlichen Feststellung, Hooligan- und Neonazi-Beteiligung zu «Gida»-Veranstaltungen seien für soge- Straßenschlachten. Wenige Tage zuvor nannte Rechtsextremisten erstens «at- hatte in Köln ein Anhänger der rechten traktiv» und würden zweitens «attrakti- Szene die heutige Oberbürgermeisterin ver». Es ist nicht auszuschließen, dass der Stadt Henriette Reker niedergesto- die Analysekompetenz der Ämter weiter chen und lebensgefährlich verletzt. Da regrediert. Den nach optimistischer Les- habe Pegida «mitgestochen», pointier- art unveränderten Einsichten der Diens- ten Medienkommentare. Einige Tage te entspricht jedenfalls die unveränderte darauf nahm die Polizei in Oberfranken Neuauflage dieser Broschüre: Sie um- mehrere Personen fest, die bewaffnete reißt ein fast schon «zeitloses» Problem Anschläge geplant und teils einem ört- amtlicher Extremismusdiskurse. Von ei- lichen Pegida-Ableger nahegestanden ner Ausweitung dieses Diskurses auf die haben sollen. sich gleichwohl weiter radikalisierende Diese Bewegung sei «in Teilen offen Pegida-Bewegung ist demnach so wenig rechtsradikal», erklärte nunmehr Vize- zu erwarten wie von einer tatsächlichen kanzler (SPD). Bundesin- Beauftragung der Verfassungsschutzbe- nenminister Thomas de Maizière (CDU) hörden. Sie klingt folgerichtig, ist aber, ging so weit, die Pegida-Organisatoren entgegen dem drastischen Tenor, nicht als «harte Rechtsextremisten» zu be - einmal beabsichtigt. Andernfalls hätte de zeichnen. Sein Ministerium relativier- Maizière sie herbeigeführt. Sein Ressort te das kurz darauf zwar und versicherte hat die Aufsicht über das Bundesamt für noch vorsorglich, dass ein – so von nie- Verfassungsschutz. mandem gefordertes – Verbot unmög- Als die Bundessprecherin der Alterna- lich sei. Gleichwohl: So deutliche Wor- tive für Deutschland (AfD), Frauke Pe- te waren vorher nicht gewählt worden. try, Ende Januar 2016 in einem Presse- Im Überbietungswettbewerb um die interview ausführte, «ein Grenzpolizist größtmögliche Nachsicht für angeblich müsse den illegalen Grenzübertritt ver- berechtigte «Ängste und Sorgen» des hindern, notfalls auch von der Schuss- Protestmilieus galt der Einsatz der In- waffe Gebrauch machen», da empfah- len Politikerinnen und Politiker bis hinauf pulismus als systematischer Leerstelle 3 in die Bundesregierung schon wieder, der «Extremismus»-Beobachtung in der dass sich der Verfassungsschutz rühren Bundesrepublik informieren. müsse. Er rührt sich nicht. Keine Poin- te. Klar jedoch, dass die nächsten Seiten Felix Korsch auch zum zeitgenössischen Rechtspo- Februar 2016 4 «Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.» J. W. v. Goethe

Asylkritik, mit und ohne Hakenkreuz

In den vergangenen Monaten ist in der An der fortgesetzten Entwicklung hat Bundesrepublik – mit deutlichen regio- die extreme Rechte einen unleugbaren nalen Schwerpunkten – eine ungeahnte, Anteil, aus der heraus sich offenbar ei- buchstäblich un-heimliche Eskalations- ne neue Fraktion formiert, die durch ei- dynamik zu beobachten. Der staatliche nen vigilantistischen Aktionismus1 ge- Versuch, sie einzudämmen, bewertet das eint ist: Das ist beispielsweise der Fall bei Geschehen augenscheinlich kaum als ein einer sogenannten Bürgerwehr in Frei- innenpolitisches Risiko. Er teilt dafür, wo tal, bei Teilen der «Reichsbürger»-Bewe- zeitweise Grenzen erschlossen werden, gung im Umfeld der «Initiative Heimat- mit dem Rassismus deutscher Nation die schutz» in Meißen sowie bei überörtlich Signatur des Illiberalen.Diese scheint seit mobilisierungsfähigen, hooligan-artigen gut einem Jahr immer stärker auf und Gruppierungen, die mehrfach bei Legi- begegnet uns – das ist bemerkenswert – da ( gegen die Islamisierung des in Gestalt einer sozia­len Bewegung von Abendlandes)2 in Leipzig ihre Aufwar- rechts. Im Oktober 2014 begann die Se- tung machten. Wissenschaftlich gestütz- rie von Pegida-Demonstrationen in Dres- te Einordnungen sind angesichts der dy- den. Außerhalb der sächsischen Lan- namischen Gemengelage noch äußerst deshauptstadt tritt Pegida (Patriotische rar.3 Der Verfasser hat bislang versucht, Europäer gegen die Islamisierung des den Aufschwung der Pegida-Bewegung Abendlandes), von wenigen Ausnahmen in ihrer Hochphase und die elektoralen abgesehen, inzwischen nicht mehr in Er- Auswirkungen nachzuzeichnen.4 Dem- scheinung. Recht synchron ist es aller- nächst erscheinen zwei weitere kleine dings zu anhaltenden Protestmobilisie-

rungen in Mittel- und selbst Kleinstädten 1 Damit wird ein gewaltaffines Gruppenhandeln zur Durch- gekommen, die sich – teils unverkenn- setzung oder Verteidigung bestehender oder erwünschter Normen, insbesondere Privilegien, bezeichnet; vgl. Johnston, bar – formal, inhaltlich und selbst perso- Les: What is Vigilantism?, in: British Journal of Crimonology 2/1996, S. 220–236. 2 Die meisten Pegida-Ableger haben ih- nell auf das Dresdner Vorbild beziehen, re Eigenbezeichnungen entsprechend an das Dresdner Vor- aber insbesondere gegen Asylsuchen- angelehnt und um einen Ortshinweis ergänzt. 3 Jüngst erschienen: Kiess, Johannes: 50 Shades of Brown: Pegida und de und deren Unterbringung gerich- der Wunsch nach Autorität, in: Möllers, Martin/van Ooyen, tet sind. Dafür stehen in (vorerst) letzter Christian (Hrsg.): Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2014/2015, a.M. 2015, S. 207–222; Salzborn, Samuel: Demokra- Konsequenz die als Po­gromversuch zu tieferne Rebellionen. Pegida und die Renaissance völkischer Verschwörungsphantasien, in: Frindte, Wolfgang u. a. (Hrsg.): wertenden Ausschreitungen von Heide- Rechtsextremismus und «Nationalsozialistischer Untergrund». nau. Dafür stehen auch die vollendeten Interdisziplinäre Debatten, Befunde und Bilanzen, Wiesbaden 2015, S. 359–366; Jennerjahn, Miro: Sachsen als Entstehungs- Anschläge in vielen anderen Orten, die ort der völkisch-rassistischen Bewegung PEGIDA, in: Braun, sich mitnichten auf Sachsen oder Ost- Stephan u. a. (Hrsg.): Strategien der extremen Rechten. Hin- tergründe – Analysen – Antworten, 2., akt. u. erw. Aufl., Wies- deutschland beschränken. baden 2015, S. 533–558. Studien in einem bei der Forschungsstel- Abgeben oder Bestreiten solcher Be- 5 le Rechtsextremismus und Neonazismus kenntnisse als entscheidendes Kriteri- (FORENA) der Fachhochschule Düssel- um für irgendetwas herzunehmen hieße dorf edierten Sammelband, die sich mit dann, die Verfassungsschutzbehörden Interaktionsverhältnissen Pegidas zur von jedem Auftrag, also auch von der ei- Alternative für Deutschland (AfD), poli- genen Verantwortung freizustellen. tischen Kräfteverhältnissen in der orga- Die tiefere Bedeutung des Maaßen’schen nisatorischen Kernsphäre sowie thema- Satzes wird unten von seiner diskursiven tischen Elementen der Protestagenda Vorgeschichte her zu erhellen sein, die, auseinandersetzen.5 wie sich zeigen wird, tatsächlich Einfluss Der hier vorgelegte Beitrag soll den auf die Entwicklung Pegidas hatte. Dass Blick weiten und auf einen Akteur auf- sich im Hinblick darauf kein «Beobach- merksam machen, der so selbstver- tungsauftrag» ergab, stand in dieser Zeit ständlich im medialen Diskurs ein- und überhaupt nicht fest. Wer das kritisiert, aufgeht, dass er als kollektive drama- muss damit rechnen, unter «Pro-Sozia­ tis personae zumeist gar nicht in Be- lismus-Verdacht» gestellt zu werden. 9 tracht gezogen wird. Gemeint sind die Bemerkenswert erscheint dem Verfas- Verfassungsschutzämter der Länder ser aber die jüngst publizierte Ansicht und des Bundes, die sich wiederholt, des Sozialwissenschaftlers und ehema- vor allem aber wiederholt widersprüch- ligen Mitarbeiters des nordrhein-west- lich zur Pegida-Bewegung und zu de- fälischen Landesamtes für Verfassungs- ren Umfeld eingelassen haben. Aus - schutz (LfV), Thomas Grumke, über die gewertet wurde dafür Material, das bis Verfassungsschutzämter: «Bisher ist je- Ende Juni 2015 angefallen ist, das also doch keine neue Qualität im professio- mit den Ereignissen in Heidenau und nellen Handeln bzw. der Auswertung des andernorts noch nicht rechnen konnte Rechtsextremismus zu erkennen. […] und auch nicht mit dem entscheiden- Nach wie vor gibt es […] weder auf der den Satz, mit dem sich der Präsident des Arbeits- geschweige denn auf der Lei- Bundesamtes für Verfassungsschutz

(BfV), Hans-Georg Maaßen, schließ- 4 Vgl. Korsch, Felix: Pegida – das erste halbe Jahr. Eine kriti- lich aus der Affäre zog: «Pegida hat sche Zwischenbilanz, in: Burschel, Friedrich (Hrsg.): Aufstand der «Wutbürger». AfD, christlicher Fundamentalismus, Pegida sich deutlich von Rechtsextremisten und ihre gefährlichen Netzwerke. hrsg. von der Rosa-Luxem- distanziert, insofern hatten wir auch burg-Stiftung, Reihe Papers, Berlin 2015, S. 58–66.; Korsch, Fe- lix: Pegida und die Kommunalpolitik, in: ebd., S. 66–69. 5 Vgl. keinen Beobachtungsauftrag.»6 Der Satz Häusler, Alexander (Hrsg.): Die Alternative für Deutschland. Programmatik, Entwicklung und politische Verortung, Wies- ist eine Irreführung, denn niemand, der baden (im Erscheinen). 6 Zit. nach: Kauschke, Detlef David: sich um politischen Einfluss bemüht, «Noch besteht Gefahr». Verfassungsschutz-Präsident Hans- Georg Maaßen über antisemitische Bedrohungen, NPD-Ver- bekennt sich freiwillig zum «Extremis- bot und Vertrauen in seine Behörde, 30.7.2015, unter: www. mus»,7 sondern wird dies bestreiten, um juedische-allgemeine.de/article/view/id/22950. 7 Vgl. Botsch, Gideon: Was ist «Rechtsextremismus»? Definitionen, Problem- nicht in eine «Außenseiterposition im dimensionen und Erscheinungsformen, in: Botsch, Gideon/ 8 Kopke, Christoph (Hrsg.): Die NPD und ihr Milieu. Studien und Kommunikationsprozess» zu geraten. Berichte, Munster/Ulm 2009, S. 24. 8 Vgl. Backes, Uwe: Ex- Wollte man solche Selbstdarstellungen tremismus: Konzeptionen, Definitionsprobleme und Kritik, in: Backes, Uwe u. a. (Hrsg.): Jahrbuch Extremismus & Demokra- allerdings beim Worte nehmen, müsste tie 2010, Bd. 22, Baden-Baden 2010, S. 13–31. 9 So z. B. Neu, man auch die NPD als «National-Demo- Viola: Lehrbuch Extremismus – Wichtig oder nichtig?, in: Ba- ckes, Uwe u. a. (Hrsg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie kraten» für demokratisch erklären. Das 2013, Bd. 25, Baden-Baden 2013, S. 297–299. 6 tungsebene den systematischen Erwerb wenn, dann ausschließlich für die Verfas- von Fachkompetenz hinsichtlich des sungsschutzämter und deren Theoretike- Phänomens Rechtsextremismus.»10 Die rInnen: Das LfV Sachsen veröffentlichte Verdrängung der Pegida-Bewegung, ihr Ende Juli 2015 einen Beitrag, dem zufol- ähnlicher Strömungen und der bemer- ge die «überwiegende Mehrzahl asylkriti- kenswerten Verschiebungen in der re- scher Veranstaltungen im Freistaat Sach- zenten extremen Rechten aus dem amt- sen» von «nichtextremistischen Gruppen lichen Gesichtskreis spricht für diesen initiiert und getragen» werde. Allenfalls Befund. Maaßens Satz ist das Paradebei- habe man es mit «einzelnen Rechtsext- spiel genau dieses Befundes. remisten» zu tun. Dieser so bezeichneten Die Verfassungsschutzämter sprechen «Einzelfälle» wegen sollten die «asylkriti- ihre eigene Sprache, es ist die Seman- schen Initiativen des Freistaates Sachsen tik der Extremismustheorie. Sie fragt da- […] sensibel und mit deutlicher Abgren- nach, und nur danach, ob und inwieweit zung auf das Engagement von Rechtsex- sich politische Strömungen gegen die tremisten reagieren».12 Dann, so möchte Bundesrepublik Deutschland als demo- man mit Maaßen ergänzen, könne Ent- kratischen Verfassungsstaat und dessen warnung gegeben werden: Solange ei- freiheitlich-demokratische Grundord- ne Distanzierung vorliegt, rangiert «Asyl- nung (FdGO) richten. Wenn das der Fall kritik» als legitime Position innerhalb des ist, und nur dann, wird von «Extremis- Verfassungsbogens. mus» gesprochen. Dann, und nur dann, Es geschieht nicht oft, dass Verfassungs- ergibt sich ein «Beobachtungsauftrag», schutzämter ihr normiertes Vokabular der auch unter Anwendung geheim- erweitern, und es verwundert, dass der dienstlicher Methoden erfüllt wird. Ob Zweck dieser Erweiterung offensichtlich so vorgegangen werden sollte, braucht darin besteht, ein bestimmtes Protest- hier nicht diskutiert zu werden. Soweit spektrum vom Ruch des «Rechtsextre- nämlich Grumkes Befund zutrifft, kön- mismus» freizuhalten. Das ist keineswegs nen noch so viele Informationen auf be- Aufgabe der Ämter, aber doch ein Vorge- liebigem Meldeweg einlaufen – das Re- hen, das in Bezug auf Pegida schon er- sultat bleibt systematisch irrig. In Teilen probt ist. Die Irritation ist komplett, wenn der Wissenschaft, aber auch der Zivilge- man sich anschaut, wann und von wem sellschaft und der Politik geht man davon der Begriff «Asylkritik» gebraucht wurde. aus, dass der Irrtum weniger individuel- lem Unvermögen geschuldet ist, son- 10 Grumke, Thomas: Prozesse und Strukturen der Verfas- sungsschutzämter nach dem NSU, in: Frindte (Hrsg.): Rechts- dern einem zur Doktrin erhobenen Extre- extremismus und «Nationalsozialistischer Untergrund», S. mismusverständnis.11 273f. 11 Vgl. u. a. Forum für Kritische Rechtsextremismusfor- schung (Hrsg.): Ordnung. Macht. Extremismus. Effekte und Es macht auch beim hier verhandelten Alternativen des Extremismus-Modells, Wiesbaden 2011; Thema sachlich keinen Unterschied, ob Ackermann, Jan: Metamorphosen des Extremismusbegriffes. Diskursanalytische Untersuchungen zur Dynamik einer funk- dem hegemonialen Verständnis zufolge tionalen Unzulänglichkeit, Wiesbaden 2015. 12 Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen: Rechtsextremisten versuchen derjenige, der eine Unterkunft für Asyl- weiterhin Einfluss auf Anti-Asylveranstaltungen im Freistaat suchende anzündet oder andere dabei Sachsen zu nehmen, 29.7.2015, unter: http://verfassungs- schutz.sachsen.de/1621.htm. Lesenswert hierzu die Glosse buchstäblich anfeuert, als «Rechtsextre- des Türkei-Korrespondenten der Tageszeitung : Yücel, mist» bezeichnet werden kann. Genau- Deniz: Und wer schützt den Verfassungsschutz?, 5.8.2015, un- ter: www.welt.de/kultur/article144815456/Und-wer-schuetzt- er gesagt existiert dieser Unterschied den-Verfassungsschutz.html. Im aktuellen Kontext tauchte er zum ers- ner Brücke im Landkreis Aschaffenburg 7 ten Mal Ende November 2014 auf, als sich seien «asylkritische Banner» angebracht ein ehemaliger sächsischer NPD-Kom- worden. Keine Pointe: Auf ihnen prangten munalpolitiker selbst zum «Moderator Hakenkreuze.15 des asylkritischen Protests» erklärte. Es Wenn anschließend versucht wird, die ist höchst zufällig derselbe NPD-Mann, Schritte nachzuvollziehen, die bei derlei den das LfV Sachsen als «Einzelfall» ei- Absurditäten enden, wird es nicht aus- nes Rechtsextremisten unter lauter Un- bleiben, der Semantik der angewandten bescholtenen ausmacht.13 Ende 2014 Extremismustheorie zu folgen und inso- war «Asylkritik» zunächst in den Medi- weit die Sprache der Verfassungsschutz- en als Chiffre für die Ziele der Teilneh - ämter zu sprechen. Die «deutliche Ab- merInnen an den Pegida-Veranstaltungen grenzung» des Verfassers gegen Stücke übernommen worden. Während etliche dieser Werkschau darf vorausgesetzt Medien und Presseagenturen von dem werden. Etikett wieder Abschied nahmen,14 floss es wenig später als quasi-amtlicher Be- Felix Korsch griff erneut in den Diskurs ein. So berich- September 2015 tete kürzlich die bayerische Polizei, an ei-

13 Protest gegen Asylheim, SäZ-Online, 30.11.2014, un - ter: www.sz-online.de/nachrichten/protest-gegen-asyl- heim-2984106.html. 14 Vgl. Stefanowitsch, Anatol: Kurze Ge- schichte eines Unwortes: Asylkritiker, 1.8.2015, unter: www. sprachlog.de/2015/08/01/kurze-geschichte-eines-unworts- asylkritiker/. 15 Vgl. Polizeipräsidium Unterfranken: Asylkri- tische Banner mit Hakenkreuzen an Staatsstraße, 15.9.2015, unter: www.polizei.bayern.de/unterfranken/news/presse/ak- tuell/index.html/227770. 8 1 Einleitung

Wer sind die «Patriotischen Europäer taphorischen Ausdruck findet: dass «der gegen die Islamisierung des Abendlan- Verfassungsschutz» so etwas wie «das des» und wie bedenklich sind sie? Seit Fernlicht» der demokratischen Gesell- der Entstehung der Pegida-Bewegung schaft sei, mit dem Gefahren frühzeitig befinden sich unter den ExpertInnen, die ausgeleuchtet werden könnten. Doch in der Medienberichterstattung zur Ein- gerade vor dem Hintergrund der Pegi- ordnung des neuen Phänomens beitra- da-Bewegung, die ihrerseits Ausdruck gen sollen oder wollen, auch Mitarbeite- eines derzeit äußerst bedeutsamen ge- rInnen von Verfassungsschutzbehörden. sellschaftlichen Konfliktfeldes ist, steht An deren Einschätzungen ist nichts Be- das infrage, wie sich aus Äußerungen der sonderes, sie sind so vorläufig wie alle Verfassungsschutzämter selbst ergibt. anderen, sie können sich demnach als Nur diese Äußerungen können unter- zutreffend oder unzutreffend erweisen. sucht werden. Die eigentliche nachrich- Von Anbeginn fraglich war aber das amt- tendienstliche Tätigkeit, die von anderen liche Expertentum, denn zumindest die Erwägungen geleitet sein und die zu an- Stellungnahmen des Landesamtes für deren Resultaten gelangen könnte, bleibt Verfassungsschutz (LfV) Sachsen ha- dem Diskurs bis auf Weiteres entzogen. ben Anfang 2015 – auf dem Höhepunkt Dem gegenüber ist ein bleibender Ein- der Pegida-Bewegung – politischen Ein- fluss dieser Tätigkeit – genauer: der fluss auf den herrschenden Diskurs und bloßen Ahnung, dass sie stattfinden die Handlungsoptionen der Landesre- könnte – auf das Bewusstsein von Kriti- gierung genommen. Hierum wird es zu- kerInnen wie auch AnhängerInnen der nächst gehen. Pegida-Bewegung zu berücksichtigen. In der Zwischenzeit1 sind einige Verfas- Der kanadische Kriminologe Jean-Paul sungsschutzberichte für das vergangene Brodeur nannte dies «the threatening Jahr vorgelegt worden, von denen eine potential of secrecy»2 und bezeichnete Konsolidierung und Systematisierung damit eine zentrale, wenn auch zumeist der Informationslage zu erwarten gewe- vorbewusst bleibende Funktion des so- sen wäre. Stattdessen gehen Analysen, genannten high policing, wie sie die Ver- Bewertungen und Prognosen von Bun- fassungsschutzämter im Gegensatz zu desland zu Bundesland erheblich ausei- regulärer Polizeiarbeit (low policing) leis- nander, sodass sich ein Flickenteppich ten. Sie schreiben sich sogleich ein in ergibt, der grobe Webfehler aufweist. Erzählungen über Pegida, sei es in ap- Hierum soll es in zweiter Linie gehen. pellativer oder deskriptiver, in abweh- Die Absicht der vorliegenden Analyse ist render oder diffamierender Absicht. So nicht, den Ämtern eine andere Sichtwei- geht etwa der Investigativ- se nahezulegen; das steht dem Verfasser

nicht an. Er kennt indes den selbstlegi- 1 Es wurden nachfolgend Quellen berücksichtigt, die bis En- timierenden Anspruch jener Behörden, de Juni 2015 vorlagen. Der Fokus liegt insoweit auf der Hoch- phase der Bewegung, die nach etwa einem halben Jahr zu der in den zumeist ministerlichen Vor- Ende war, nachdem mit einem Auftritt von zum worten der Verfassungsschutzberichte vorerst letzten Mal eine funfstellige Teilnehmerzahl erreicht worden war. 2 Brodeur, Jean-Paul: The Policing Web, Oxford in immer neuen Variationen seinen me- 2010, S. 230. David Schraven von einer Radikalisie- Es geht in diesen Beispielen um eine 9 rung im Umfeld Pegidas aus und äußert möglichst drastische Abgrenzung, die aus diesem Grund die Hoffnung, dass sich beliebig verlängern oder weiterspie- der Verfassungsschutz «verdammt gut» geln lässt. Nachdem etwa im Juni 2015 arbeite und «tief in die ganze PEGIDA- im nahe Dresden gelegenen Freital eine Bewegung eingestiegen» sei. 3 Dafür rechte Protestserie, an der Bachmann spricht realiter wenig, wenn auch die zeitweise mitwirkte und die teils unter Besorgnis nachvollziehbar bleibt. Weit- dem Namen «Frigida» firmierte, in An- aus häufiger anzutreffen ist eine speku- griffen auf eine Unterkunft für Asylsu- lative Steigerung wie die folgende, der chende und auf AntirassistInnen münde- die Nachvollziehbarkeit bereits abgeht: te,7 distanzierte Bachmann sich von den « mag das Gesicht der Vorfällen: Die hätten «VS-Schlapphüte PEGIDA sein, ihr Kopf ist er nicht. […] von der NPD» und andere eingeschleuste Welche Behörde würde besser zu den is- Provokateure angezettelt.8 Um die einge- lamfeindlichen, die Gesellschaft spalten- schränkte Glaubwürdigkeit einer solchen den Ergüssen von PEGIDA passen als der Abgrenzung muss es hier nicht gehen.9 sächsische Verfassungsschutz?»4 Über Es sollte dagegen die spezifische diskur- den kritischen Gehalt solcher Vermutun- sive Existenz des Verfassungsschutzes gen soll man sich keine Illusionen ma- auffallen, ob in kritischer oder apologe- chen, sie werden sehr ähnlich auch von tischer Absicht, ob in aller Öffentlichkeit ganz rechts formuliert: «Lutz Bachmann oder in internen, bald schon sektiereri- einte darauf seine Freunde und früheren schen Fehden. Dem liegt eine erfundene, Weggefährten, und sie gründeten […] um nicht zu sagen paranoide Vorstellung die PEGIDA. Ob das eine Spontaneität der Tätigkeit von Verfassungsschutzbe- war oder ob Dienste, Verfassungsschutz hörden zugrunde. Das aber überstrahlt u. a. dabei als Pate zur Seite standen, sei vollständig deren tatsächlichen, mindes- dahingestellt. […] Das oppositionelle La- tens rezeptiven Zugriff auf das Themen- ger zu bündeln und danach zu zerlegen, feld und die (Wechsel-)Wirkungen, die wäre ein mögliches Ziel gewesen.»5 An- sich daraus ergeben. haltspunkte dafür gibt es nicht. Trotz- dem ging eine im Namen der «Hooligans 3 Schraven, David: «Ich befürchte, dass wir bald schwe- gegen Salafisten» (HoGeSa) verbreite- re Anschläge erleben werden», Interview, 6.5.2015, unter: te Erklärung noch viel weiter: «Uns sind www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk/politik-ge- sellschaft/oldschool--interview-david-schraven-100. Informationen aus der Motorrad-Szene html. 4 Ewen-Ungar, Gert: Wer steckt hinter PEGIDA? Lutz Bachmann mit Sicherheit nicht, 21.12.2014, unter: http://lo- zugespielt worden, wonach [eine Pegida- gon-echon.com/2014/12/21/wer-steckt-hinter-pegida-lutz- Führungsperson] als Spitzel agiert hat. bachmann-mit-sicherheit-nicht/. 5 Medger, Gerd: Die Ur- sprünge von Pegida, in: Die Aula 2/2015, S. 8. 6 Pegida die […] Auch haben wir uns gewundert, wie Wahrheit, 20.1.2015, inzwischen gelöscht; Kopie abrufbar un- gut organisiert diese Bewegung vorgeht. ter: https://web.archive.org/web/20150120185352/http://ho- gesa.info/?page_id=158. 7 Meisner, Matthias/Radau, Lars: […] Wo kommt das Geld dafür her und «Vergleiche mit Hoyerswerda sind angebracht», 23.6.2015, 6 unter: www.tagesspiegel.de/politik/anti-asyl-proteste-in-frei- warum hat es die PEGIDA so leicht?» Be- tal-vergleiche-mit-hoyerswerda-sind-angebracht/11955918. lege wurden nicht präsentiert, und selbst html. 8 Bachmann, Lutz: -Profil, 24.6.2015, Kopie abrufbar unter: https://archive.is/DPvmV. 9 Kurz vorher war wenn es sie gäbe, würden sie die hinter- ein Gruppenfoto aufgetaucht, das Pegida-Sicherheitschef Sieg- fragten Erfolgsbedingungen kaum erklä- fried Daebritz an der Seite des NPD-Parteivorsitzenden Frank Franz und des ehemaligen NPD-Landtagsabgeordneten Arne ren. Schimmer zeigt. 10 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen im Diskurs um Pegida

Gehen wir zunächst von dem aus, Auch sonst schien es so, als wäre das was das sächsische LfV selbst mitteilt. LfV mit seiner Warnung auf der Höhe Am Anfang war es folgende Passage: der Zeit. Denn allein in den drei voran- «Rechtsextremisten […] bedienen sich gegangenen Wochen war es in Chem- in ihrer Argumentation eines fremden- nitz, Zwickau, Plauen und Zwönitz zu feindlichen Weltbildes, das sich gegen Attacken gegen Flüchtlingsunterkünf- Asylbewerber, gleich welcher Herkunft, te, teils auch gegen deren BewohnerIn- richtet. Der pauschale Vorwurf des mas- nen gekommen.12 In Wilkau-Haßlau war senhaften Asylmissbrauchs und die da- zudem unter ungeklärten Umständen mit verbundene Verunglimpfung und Kri- ein Döner-Imbiss ausgebrannt, mehrere minalisierung der betroffenen Menschen Menschen hatten aus einem anliegen- lassen den extremistischen Kern ihrer den Wohnhaus gerettet werden müs- Agitation offen zutage treten.» Mit die- sen.13 Das LfV hätte also Anlässe gehabt, ser konventionellen Klarstellung warnte über Montagabende in Dresden oder das sächsische Landesamt für Verfas- andere sächsische Nächte zu berichten. sungsschutz öffentlich vor «rechtsextre- Doch mit jenen «rechtsextremistischen mistischen Anti-Asylkampagnen».10 Ent- Anti-Asyl-Kampagnen» meinte das Amt, scheidend war dabei der Zeitpunkt der pars pro toto, «insbesondere die NPD»14 Wortmeldung, der 10. November 2014. und sonst nicht viel mehr. Wer dieses be- An diesem Tag gingen in Dresden zum hördliche Deutungsangebot beim Wort vierten Mal die «Patriotischen Europäer nahm, konnte ihm implizit eine erste Ein- gegen die Islamisierung des Abendlan- schätzung über Pegida entnehmen: Falls des» auf die Straße. Daran beteiligten es sich um eine Anti-Asyl-Kampagne sich schon 1.700 Personen, in den Fol- handelt, ist sie jedenfalls nicht «rechtsex- gewochen sollte sich ihre Zahl schließ- trem». Ihr fehle, so kann man es verste- lich mehr als verzehnfachen. Der MDR hen, so etwas wie die NPD. hatte auf die damals unerwartete Ent- An diesem Befund änderte sich in der wicklung bereits zeitig in einem Fernseh- Folgezeit nichts Wesentliches. Ende No- beitrag hingewiesen, Pegida damit über- vember 2014, als Pegida schon bundes- regional bekannt und zugleich zu einem weit in den Medien war, äußerte sich Problem der öffentlichen Sicherheit ge- erstmals der sächsische Innenminister macht. Denn unter anderem wurde auf (CDU) ausführlich zum Verbindungen zum Netzwerk der «Hoo- Thema: Zwar sehe er die aktuelle Ent- ligans gegen Salafisten» hingewiesen, wicklung «mit Sorge», denke aber nicht, die sich wenige Tage zuvor unter Mitwir- 10 LfV Sachsen: Rechtsextremistische Anti-Asylkampagnen. kung zahlreicher Neonazis in Köln eine 10.11.2014, unter: http://verfassungsschutz.sachsen.de/1473. htm. 11 Vgl. Fragwürdige Demonstrationen – Wer steckt hin- Straßenschlacht mit der Polizei geliefert ter den Protesten?, MDR Exakt, 5.11.2014, unter: www.mdr. hatten, und wie sich ein Pegida-Mitorga- de/exakt/hooligans116.html. 12 Vgl. Deutscher , Kleine Anfrage, Drs. 18/3964, S. 4f. 13 Vgl. Brand in Döner-Im- nisator gegenüber solcher Klientel über biss bleibt rätselhaft, Freie Presse, 25.3.2015, unter: www.freie­ Muslime äußerte («bärtige Ziegenwäm- presse.de/LOKALES/ZWICKAU/ZWICKAU/Brand-im-Doener- Imbiss-bleibt-raetselhaft-artikel9150761.php. 14 LfV Sachsen: ser»).11 Rechtsextremistische Anti-Asylkampagnen. «dass alle, die da mitlaufen, Nazis oder rationen. Und auch Mitglieder der AfD 11 Rechte sind. Aber wir müssen genau hin- beteiligen sich. Sie versuchen, aus dem sehen, ob nicht unter den Organisatoren Schicksal der Flüchtlinge politisches Ka- Rattenfänger sind.»15 Während in dieser pital zu schlagen. Das ist niederträch- Hinsicht also noch nichts klar sei, hatte tig.»19 Ulbig in den Anti-Pegida-Protesten be- Ist Pegida also doch so etwas wie ei - reits eine konkrete Gefahr erkannt: «Ich ne «rechtsextremistische Anti-Asyl- halte es für gefährlich, wenn hier die übli- Kampagne»? Dieser Darstellung wur- chen Antifa-Reflexe kommen. Ich denke, de unverzüglich in einem anderen man kann bei dieser Konstellation nicht Presseorgan widersprochen, das eine pauschal gegen Demonstranten sein, die privilegierte Informationsquelle aufbot: ihre Meinung sagen.» Und in einer ande- «Rechtsextremisten beteiligen sich nach ren Hinsicht war gar schon Anlass zum Erkenntnissen des Landesamtes fur Ver- Eingreifen gegeben: Im selben Interview fassungsschutz Sachsen bislang als Ein- kündigte Ulbig an, man werde eine «spe- zelpersonen an den Veranstaltungen der zialisierte Gruppe bei der Polizei einset- ‹Pegida›. Seit Ende November rufen NPD, zen, die sich mit den straffälligen Asyl- JN und auch einzelne neonationalsozia­ bewerbern intensiv beschäftigen wird».16 listische Gruppierungen offen zur Teil- Die Worte des Innenministers konnten nahme an den Veranstaltungen auf.» Sol- verstanden werden als eine Drohung an che Gruppierungen verbänden damit die die Adresse derjenigen, gegen die sich Hoffnung, «von der Mobilisierungskraft der Pegida-Protest richtete, als Delegiti- der ‹Pegida› zu profitieren.» Also nur ein mierungsversuch der Anti-Pegida-Pro- Versuch der Instrumentalisierung, von teste («gefährlich») und gegenüber Pe- gida selbst als eine Entwarnung («nicht 15 Thema Asyl: Innenminister plant Sondereinheiten, Mo- alle rechts»).17 Den ausdrücklichen Vor- po24, 24.11.2014, unter: https://mopo24.de/nachrichten/ innenminister-ulbig-sondereinheiten-fuer-straffaellige-asyl- behalt, «ob nicht unter den Organisato- bewerber-2517. 16 Erwähnenswert ist auch die wörtliche ren Rattenfänger sind», nahm Ulbig spä- Begründung: «Wenn deutsche Rocker Angst und Schrecken verbreiten, gehen wir knallhart dagegen vor. Und wenn Asyl- ter nach Angaben eines Pegida-Redners bewerber schwere Straftaten begehen, muss künftig ebenso 18 konsequent durchgegriffen werden» (ebd.). Der Vergleich hat wieder zurück. eine doppelte Kriminalisierung zur Konsequenz, wonach Asyl- Die auffällige Ambivalenz in der Bewer- suchende nicht nur in einem Maße «kriminell» seien, das ein «intensiveres» Vorgehen als im Falle üblicher Strafverfolgung tung bekräftigte das LfV Sachsen Mitte nötig mache, sondern dass sich diese Kriminalität immer schon Dezember 2014 unter bemerkenswerten auf das Feld der Organisierten Kriminalität erstrecke. 17 Nicht wenige öffentliche Fürsprachen zugunsten Pegidas bedienten Begleitumständen. Ausgangspunkt war sich genau dieses Hinweises, man habe es bei den Demons- trierenden nicht ausschließlich mit AnhängerInnen der extre- ein ausführliches Presseinterview mit men Rechten zu tun. Allerdings ist die logische Gegenposition,­ dem sächsischen Ministerpräsidenten die Ulbig mutmaßlich für den sogenannten Antifa-Reflex hält, im hegemonialen Diskurs durch niemanden vertreten worden. Stanislaw Tillich (CDU). Er äußerte da- Antifaschistische Initiativen haben den Pegida-Versammlungen bei die Ansicht, zwar müsse man mit den und auch deren Teilnehmenden allenfalls rassistische Inhalte oder Motivationen unterstellt, was, wenn es zuträfe, noch im- Demonstrierenden ins Gespräch kom- mer nicht dasselbe wäre wie die pauschalisierende Betitelung sämtlicher TeilnehmerInnen als Nazis. 18 Vgl. Reinhold, Fabi- men, warnte dann aber: «Die NPD hat an: Anti-Islam-Demos: Pegida wächst weiter, 10.3.2015, un- sich diese Demonstrationen von Anfang ter: www.spiegel.de/politik/deutschland/pegida-mehr-teilneh- mer-und-ein-termin-in-berlin-a-1022668.html. 19 Zit. nach: an zu eigen gemacht. Nachdem sie nicht Gaugele, Jochen: Rolle der AfD bei Pegida-Protesten «nieder- mehr im Parlament auf sich aufmerksam trächtig», 10.12.2014, unter: www.welt.de/politik/deutschland/ article135200597/Rolle-der-AfD-bei-Pegida-Protesten-nieder- machen kann, nutzt sie diese Demonst- traechtig.html. 12 außen betrieben und durch Einzelne ge- gestimmt haben. Das ist überraschend, tragen. Pegida sei daher kein «Beobach- weil die Stellungnahme ausgesprochen tungsobjekt» des LfV Sachsen.20 «scharf» ist. Übertroffen wurde sie noch Es bleibt später zu diskutieren, warum vor Ort durch den nordrhein-westfäli- das so war. Beachtung verdienen hier zu- schen Innenminister Ralf Jäger (SPD), nächst einige Besonderheiten im setting. der im Zusammenhang mit der Pegida- Erstens: Dies war die allererste öffentli- Bewegung von «Neonazis in Nadelstrei- che Stellungnahme des LfV Sachsen zu fen» sprach und eine Beobachtung durch Pegida, abgegeben erst acht Wochen Verfassungsschutzbehörden ankündig- nach Beginn, kurz nachdem die damals te, «wenn sich Pegida verfestigt».23 Diese jüngste Demonstration in Dresden auf vielzitierte Ansicht Jägers, der zu der Zeit bereits 10.000 Teilnehmende angewach- immerhin IMK-Vorsitzender war, dürfte sen war. Zweitens: Die Veröffentlichung der Auffassung des sächsischen Innen- war platziert, um kraft Autorität des LfV ministeriums denkbar fern gestanden den sächsischen Ministerpräsidenten haben. In der Tat widersprach Ulbig un- regelrecht zurechtzuweisen und zwar, verzüglich, warnte erneut vor einer «re- drittens: in der Onlineausgabe der rech- flexhaften Stigmatisierung» und sagte ten Wochenzeitung . Sie weiter: «Natürlich [!] sind bei Pegida auch verwendete sich nicht das erste Mal für Rechtsextremisten dabei, aber wir kön- die im vorliegenden Falle durch Tillich ge- nen nicht 10.000 Menschen mit einem scholtene AfD21 und begleitete auch die Satz zu Nazis erklären.»24 Das LfV Sach- Pegida-Demonstrationen ausführlich. sen bekräftigte ihn darin nicht nur, son- Währenddessen weilte, viertens, Ulbig in dern es nahm dem IMK-Beschluss sofort Köln, wo bei der Innenministerkonferenz die Spitze und widerlegte Jäger sozusa- (IMK) über Pegida diskutiert und folgen- gen praktisch, denn das Amt hatte sich der Beschluss gefasst wurde: ja eben erst für unzuständig erklärt. Mit «Die IMK verurteilt die islamfeindliche anderen Worten: Was die IMK für eine Ausrichtung der Organisatoren von ‹PE- islamfeindliche Ausrichtung, eine Ins- GIDA› und Ähnlichen. Sie betrachtet die trumentalisierung durch das rechtsex- Instrumentalisierung von Ängsten aus treme Spektrum und das Schüren von der Mitte der Gesellschaft durch Mitglie- Vorbehalten halte, sei jedenfalls eines der des rechtspopulistischen und rechts- nicht: extremistisch, und dadurch eben extremen Spektrums mit Sorge. Das auch nicht verfassungsschutzrelevant. Schüren von Vorbehalten wegen einer

angeblichen Islamisierung Deutschlands 20 Tillich attackiert «Pegida», 10.12.2014, unter: www.jun- und die Herstellung einer Verbindung zur gefreiheit.de/politik/deutschland/2014/tillich-attackiert-pegi- da-und-afd/. 21 Zum Einfluss der AfD auf die Pegida-Bewe- Aufnahme von Flüchtlingen hält die IMK gung vgl. meinen Beitrag in: Häusler (Hrsg.): Die Alternative für unverantwortlich.»22 für Deutschland (im Erscheinen). 22 Beschluss «‹PEGIDA› und Ähnliche demaskieren – Sorgen der Bevölkerung ernst Der Diskussionsverlauf und das Ab- nehmen», in: Freigegebene Beschlüsse der 200. Sitzung der IMK (11./12.12.2014), Köln 2014, S. 9. 23 Zit. nach: Innenmi- stimmungsverhalten einzelner Länder nister von NRW: «Pegida» sind «Nazis in Nadelstreifen», dpa, während der IMK werden zwar nicht 11.12.2014, unter: www.augsburger-allgemeine.de/politik/ Innenminister-von-NRW-Pegida-sind-Nazis-in-Nadelstreifen- veröffentlicht, jedoch kann sich Sach- id32308667.html. 24 Zit. nach: Innenminister streiten über sen höchstens enthalten und muss der Pegida, Spiegel Online, 11.12.2014, unter: www.spiegel.de/ politik/deutschland/pegida-innenminister-streiten-ueber-anti- Veröffentlichung des Beschlusses zu- islam-bewegung-a-1007987.html. Wir werden darauf zurückkommen, dass lich von rechtsextremistischen Bezügen 13 in anderen Bundesländern wohl andere unter den OrganisatorInnen ausgegan- Auffassungen vorherrschen. gen wäre, wenn eine Radikalisierung hät- In Sachsen blieb es einstweilen bei der te konstatiert werden müssen oder ein Zurückhaltung, die noch mehrfach un- wachsender Einfluss etwa der NPD oder terstrichen wurde, nicht ohne behördli- anderer, nicht mehr nur «einzelner» Neo- che Aufmerksamkeit für mögliche künf- nazis. Wären amtlicherseits beliebige An- tige Entwicklungen zuzusichern: Eine haltspunkte für einen Extremismusbezug Beobachtung von Pegida erfolge derzeit und dadurch eine Verfassungsschutzre- zwar nicht, «weil es sich um keinen Zu- levanz vorgebracht worden, hätte ein sol- sammenschluss von Personen handelt, ches Treffen nicht stattfinden können. In der unseren Staat umstürzen will», al - gewisser Weise trugen die entwarnen- lerdings würden einzelne rechtsextre- den presseöffentlichen Statements des me Organisatoren beobachtet.25 Es habe LfV dazu bei, das Treffen allererst zu er- Hinweise gegeben auf «Verbindungen möglichen. Es ist freilich nicht klar, seit zwischen den Veranstaltern der Dresd- wann es angestrebt wurde und welche ner Anti-Islam-Märsche und der Fußball- Inhalte es hatte, weil das Innenministe- Hooliganszene», doch dieser Verdacht rium hierzu bislang keine exakten An- habe sich nicht bestätigt.26 Die explizite gaben gemacht hat.29 Erwägenswert ist Annahme schließlich, Organisatoren sei- zumindest ein Interesse Ulbigs an der en rechtsextrem geprägt, wurde Anfang Ermöglichung des unter erheblicher 2015 ebenso medienwirksam zurückge- Medienaufmerksamkeit erwarteten Ge- rufen, wie sie durch das LfV selbst zuvor sprächs, insoweit er nicht nur einen «Dia- verbreitet worden war.27 Am 19. Janu- log» in seiner Funktion als Innenminister ar 2015 äußerte sich dann LfV-Präsident gefordert, sondern unlängst seine Kandi- Gordian Meyer-Plath in einem ausführ- datur zur Dresdener Oberbürgermeister- lichen Interview und gab, wenig überra- wahl bekannt gegeben hatte.30 schend, noch einmal Entwarnung: Pegi- da radikalisiere sich nicht, die NPD bleibe 25 Malzahn, Claus u. a.: SPD und Grüne fordern neue Ein- wanderungspolitik, 14.12.2014, unter: www.welt.de/po- «Zaungast», zu vermelden sei lediglich litik/deutschland/article135336908/SPD-und-Gruene-for- die Teilnahme «einzelner Neonazis».28 Für dern-neue-Einwanderungspolitik.html. 26 Vgl. Dieckmann, Christoph u. a.: Neues aus der Tabuzone, in: Nr. 52, lobenswert hielt es Meyer-Plath dagegen, 17.12.2014, S. 3f. 27 Vgl. Schlottmann, Karin: Verfassungs- dass Pegida-AnhängerInnen zunehmend schutz schaut nach rechts und links, 9.1.2015, unter: www. sz-online.de/sachsen/verfassungsschutz-schaut-nach-rechts- «Dialogangebote» nutzen würden. und-links-3010826.html. 28 Zit. nach: Jansen, Frank: «Sach- sen im Fokus der Dschihadisten», 19.1.2015, unter: www. Gut eine Woche nachdem dieses Inter- tagesspiegel.de/politik/verfassungsschutz-praesident-im-in- view erschienen war, folgte ein «Dia- terview-sachsen-im-fokus-der-dschihadisten/11250948.ht- ml. 29 Vgl. CDU Sachsen: Innenminister Markus Ulbig im log» dergestalt, dass sich Innenminister Gespräch mit Pegida-Führung, 26.1.2015, unter: www.cdu- Ulbig unter Ausschluss der Öffentlich- sachsen.de/inhalte/2/aktuelles/72676/innenminister-markus- ulbig-im-gespraech-mit-pegida-fuehrung-staatsregierung- keit mit Mitgliedern des sogenannten setzt-dialogforum-fort/index.html. Vgl. hierzu die auch etlichen Kleinen Anfragen im Sächsischen Landtag, Drs. 6/737, 857, Pegida-Orgateams traf. Es versteht sich, 879, 1127, 1144, 1311. Einen Tag nach dem seinem Inhalt nach dass ein solches Treffen nicht opportun nicht weiter bekannten Treffen mit Ulbig setzte die «Spaltung» Pegidas ein. 30 Dass dann, gewollt oder nicht, eine Ansprache gewesen und nach aller Wahrschein- der Demonstrierenden als Wahlkandidat nicht stattfand, lag an lichkeit auch nicht zustande gekommen späteren Ereignissen wie der Spaltung Pegidas und schließlich der Zuspitzung, dass das «Orgateam» mit ei- wäre, wenn Ulbigs eigenes Amt öffent- ne eigene Kandidatin aufstellte. 14 In jedem Fall äußerten sich der Innen- ne ­und rechtsextremistische Hooligans» minister und das LfV, dessen vorgesetz- zusammenarbeiten und versuchen, Le- ter Dienstherr er ist, in einer Zeit ausge- gida als Plattform zu erschließen38 Es ge- sprochen politisch über Pegida, in der be gleichwohl «keine Anhaltspunkte für Pegida ein kommunal-, landes- und bun- einen dominierenden rechtsextremisti- despolitisches Politikum zugleich war.31 schen Einfluss».39 Man beachte, wie sich Das Politikum vervielfältigte sich noch, der Maßstab des Behördenleiters binnen als Anfang 2015 neben Pegida in Dres- weniger Tage in einer entscheidenden den mobilisierungsstarke Ableger und Nuance verschoben hatte. Zunächst war ähnliche Protestformate bundesweit in von einer «maßgeblichen» Beeinflussung Erscheinung traten, das stärkste davon durch Rechtsextremisten die Rede. Dann mit Legida in Leipzig. Die dortigen Or- davon, dass der Einfluss nicht «dominie- ganisatorInnen hatten Ende 2014 ein ei- rend» sei, so jedenfalls die Ansicht am genes Positionspapier veröffentlicht und 21. Januar 2015. Am selben Tag fand in darin dezidiert extrem rechte Forderun- Dresden ein erstes «Dialogforum» statt, gen aufgestellt, namentlich die «Abkehr zu dem die Staatsregierung Pegida-An- von der Multikultur», eine «Stärkung bzw. hängerInnen eingeladen hatte.40 Es ver- Wiedererlangung unserer nationalen 31 Das mag erklären, warum sich das LfV noch mehrfach ein- Kultur» und schließlich die «Beendigung ließ, nachdem es die eigene Nichtzuständigkeit festgestellt hat- te, und der LfV-Präsident ein «Dialogangebot» lobte, für wel- des Kriegsschuldkultes und der Genera- ches das Amt nicht zuständig ist. Es ist aber von Bedeutung, tionenhaftung».32 Tatsächlich, so erklärte dass das LfV hier in der Rolle eines politischen Akteurs spricht: Das ist etwas anderes als die sachverständige Expertenrolle, Meyer-Plath daraufhin, bestünden «An- die dem Nachrichtendienst in der Medienöffentlichkeit zuge- haltspunkte, dass die sogenannten Le- schrieben wird. 32 Legida 2014: Positionspapier, Erstfassung vom 31.12.2014, inzwischen depubliziert, Kopie im Archiv des gida-Demos von rechtsextremen Kräften Autors. 33 Schlottmann: Verfassungsschutz. 34 Hach, Oli- 33 ver/Eumann, Jens: Pegidas rechter Arm in Leipzig, 10.1.2015, maßgeblich beeinflusst werden», und unter: www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/SACHSEN/Pegi- zwar «sowohl in der Führung als auch in das-rechter-Arm-in-Leipzig-artikel9082652.php. 35 ARD Mit- tagsmagazin: Widerstand in Leipzig: Demonstrationen gegen 34 den Forderungen», die sich «sehr viel Legida, 12.1.2015,unter: www.daserste.de/information/politik- naher an der rechtsextremistischen Ge- weltgeschehen/mittagsmagazin/sendung/leipzig-legida-pegi- da-rechtsextremismus-demonstration-100.html. 36 Döring, dankenwelt als bei Pegida» bewegen Kriminaldirektor und vormals Referatsleiter Rechtsextremis- mus im LfV Sachsen, war bis kurz vor diesem Statement zur würden. Von einer teilweisen inhaltlichen Landeszentrale für politische Bildung abgeordnet, die wieder- «Deckungsgleichheit mit Rechtsextre- um wesentlicher Träger des «Dialog»-Konzepts war. Zeitweise war Döring als Stellvertreter Meyer-Plaths im Gespräch, aktu- 35 misten» sprach der Behördenvertreter ell ist er Pressesprecher des LfV. Vgl. auch Cremet, Jean: Das Martin Döring.36 Er fügte sogleich an, es große Verständnis, in: Der rechte Rand, Nr. 153, März/April 2015, S. 6. 37 Verfassungsschutz beobachtet Pegida & Co. bestehe dennoch keine Veranlassung zu nicht direkt, 10.1.2015, unter: www.mdr.de/nachrichten/pegi- da-legida-verfassungsschutz100_zc-e9a9d57e_zs-6c4417e7. einer nachrichtendienstlichen Beobach- html. 38 Müller, Uwe: Die dubiosen Gestalten hinter der Le- tung.37 gida-Bewegung, 21.1.2015, unter: http://investigativ.welt. de/2015/01/21/die-dubiosen-gestalten-hinter-der-legida-be- Das änderte sich auch nicht nach einer wegung/. 39 Als Hauptorganisator von Legida gilt Silvio Rös- ersten Legida-Demonstration am 12. Ja- ler. Die Tageszeitung Die Welt zitierte in dem genannten Artikel aus Dokumenten zu jener Korruptionsaffäre, die unter der Be- nuar 2015, die laut Meyer-Plath gezeigt zeichnung «Sachsensumpf» bekannt geworden ist, und in de- nen gegen Rösler der Verdacht der Schleusung und des Men- habe, dass der Ableger «entschlossener schenhandels erhoben wurde. So die Darstellung zutrifft, hat und viel radikaler» ausgerichtet sei, als sich das LfV Sachsen in der Vergangenheit mutmaßlich mit Rösler befasst. Umstände und Inhalte der vormaligen Beob- es in Dresden der Fall sei. In Leipzig wür- achtungstätigkeit des Amtes auf dem Gebiet der Organisierten den «parteigebundene Rechtsextremis- Kriminalität waren denn auch Bestandteil der «Sachsensumpf»- Affäre und Anlass zweier parlamentarischer Untersuchungs- ten, Angehörige der Kameradschaftssze- ausschüsse im Sächsischen Landtag. steht sich auch hier von selbst, dass ein Entsprechend wenig überzeugend ist die 15 solches Treffen desavouiert worden wä- Annahme des LfV Sachsen, die Hinwen- re, falls das LfV auch nur Indizien für ei - dung des Neonazispektrums zur Pegida/ nen Extremismusbezug der Pegida-Be- Legida-Bewegung sei die Sache ledig- wegung festgestellt hätte. Dabei rückte lich «einzelner» Neonazis. Die Legida- diese Annahme noch am selben Abend Organisatoren äußerten in einer Nachbe- so nahe wie noch nie: Legida demons - trachtung zur erwähnten Demonstration trierte zum zweiten Mal, und die Ver - denn auch unverhohlen, man habe «das sammlung geriet zu einem der gewalt- System an seinem wundesten Punkt ge- tätigsten Ereignisse im Pegida-Kontext troffen, an der Wurzel allen Übels, näm- überhaupt. In einer Lageeinschätzung der lich unserer Demokratie».43 Bei künftigen Polizeidirek­tion Leipzig hieß es nachher, Legida-Demonstrationen erschienen ei- es «befanden sich am 21. Januar 2015 nige JournalistInnen vorsorglich in Be- unter den Versammlungsteilnehmern gleitung von Angehörigen einer priva- mindestens 1000 gewaltbereite Per­so­ ten Sicherheitsfirma. Man weiß nicht, ob nen. Darunter auch Personen mit starkem das LfV seine Ansichten änderte, denn Bezug zur rechtsextremistischen Szene es äußerte sich nun für längere Zeit gar und Hooligans. Zwei Reporter sollen laut nicht mehr. Erst Anfang April 2015 wurde Medienberichten während des Aufzuges erneut berichtet, dass das LfV infolge der physisch angegriffen worden sein.»41 Ver- Spaltung und der anschließenden Kon- suche der Veranstalter, solches Vorgehen solidierung Pegidas eine «Radikalisie- zu unterbinden, waren nicht zu beobach- rung» bemerke. Trotzdem finde nach wie ten, vielmehr befanden sich unter den vor keine Beobachtung statt.44 Personen, die JournalistInnen bedräng- ten, offensichtlich auch Legida-Ordner. Die Fachjournalistin Andrea Röpke be- schrieb die Vorfälle so: «‹Schiebt sie weg! Schiebt sie weg!› Mit diesem Kommando ging die überwie- gend vermummte Spitze der ‹Legida› gleich zu Beginn des ‹Spazierganges› durch Leipzig auf die völlig überrasch- ten Fotografen los. Die Medien schienen neben einigen Politikern das Feindbild Nummer eins dieses Aufmarsches. […] Bereits auf der Kundgebung auf dem Au- 40 Vgl. 1. Dialogforum, 21.1.2015, unter: www.sachsen.de/ gustusplatz war die Stimmung so aufge- dialogforum_miteinander_in_sachsen_21.01.2015.jsp. 41 Zit. heizt, dass der Organisator […] an seine nach: Stadt Leipzig: Vollzug des sächsischen Versammlungs- gesetzes. Auflagenbescheid für die angezeigte Versamm- Anhanger appellieren musste, die Medi- lung am 9.2.2015, S. 5. Kopie im Archiv des Autors. 42 Röp- ke, Andrea: Aufgeheizte Gidas, 26.1.2015, unter: www.bnr. en zu schonen. Seine Mahnung, es herr- de/print/14159. 43 Leipzig 21.1.2015 – Eine Nachbetrach- sche ‹absolutes Vermummungsverbot›, tung, 24.1.2015, unter: https://legida.eu/news/26-leipzig- 21-01-2015-eine-nachbetrachtung.html. 44 Wilders rügt wurde mit Gelächter gezollt. Ansonsten Bachmann wegen Hitler-Selfie, 6.4.2015, unter: https://mo- gab es von der Bühne eher wenig Aufrufe po24.de/nachrichten/pegida-sucht-rechten-schulterschluss- in-deutschland-und-europa-5980, inzwischen depubliziert; Ko- zur Mäßigung – im Gegenteil.»42 pie im Archiv des Autors. 16 3 Die Pegida-Bewegung im Spiegel der Verfassungsschutzberichte

Andere Landesämter für Verfassungs- – In Schleswig-Holstein wird auf die ver- schutz hatten sich in der Zwischenzeit fassungsfeindliche Motivation und anders geäußert, freilich bezogen auf «offenkundige» Beeinflussung eines die jeweiligen Pegida-Ableger, weniger dortigen Ablegers (Shegida) hingewie- auf die Ereignisse in Sachsen. Eine der sen48 sowie auch auf das grundsätz- frühesten Einschätzungen, noch aus liche Problem, im Falle Pegidas nur dem November 2014, stammt von Ma- schwer zwischen Rechtspopulismus ren Brandenburger, Präsidentin des LfV und (verfassungsschutzrelevantem) Niedersachsen. Noch in Bezug auf die Rechtsextremismus unterscheiden zu damaligen Mobilisierungserfolge der können.49 HoGeSa äußerte sie die Sorge, «dass – In Bayern wird auf mögliche «Akti- aus diesem Bewegungscharakter etwas vitäten von bekannten Extremisten wird, was übergeht in einen Kampagnen- innerhalb der Initiativen»,50 in Bran- teil gegen Asyl, gegen Zuwanderung, denburg51 und Mecklenburg-Vorpom- gegen Einwanderung». Als Beispiel für mern52 jeweils auf eine «rechtsextre- entsprechende «Facetten» einer solchen mistische Beeinflussung» von außen Bewegung nannte sie auch Pegida.45 An- hingewiesen. fang 2015 warnte Bernd Palenda, Präsi- – In Sachsen-Anhalt wird dergleichen dent des LfV Berlin, vor dem Berliner Bär- hinsichtlich des Ablegers Magida aber gida, einem Bündnis, das sich auf «vor ausgeschlossen.53 Auch in Baden- allen Dingen durchaus auch rechtsextre- Württemberg lautet der Befund, dass mistisch gesinnte Personen» stütze, die es sich dort nicht um eine «extremis- versuchten, «ein Thema zu okkupieren tische Bestrebung» handle.54 Hier wä- und Unzufriedenheit von Bürgern zu nut- re nach offiziöser Lesart auch der Fall zen».46 Entweder ist etwas Vergleichba- Sachsen einzuordnen. res in Sachsen, trotz beispielsweise der Aus Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland einschlägigen Legida-Episoden, wirklich sowie den Stadtstaaten Bremen und nicht der Fall oder aber die Maßstäbe der Hamburg sind bisher keine vergleichba- behördlichen Bewertung weichen deut- ren Einschätzungen bekannt geworden. lich voneinander ab. Das zeigt sich, wenn Die auch so gegebene Vielfalt der Län- Einschätzungen der jeweiligen Landesre- 45 Vgl. Hooligans gegen Salafisten: Wer sind die Drahtzieher gierungen bzw. ihrer Innenressorts mitei- hinter den Demos?, 25.11.2014, unter: www.swr.de/report/ nander verglichen werden: hooligans-gegen-salafisten-wer-sind-die-drahtzieher-hinter- den-demos/-/id=233454/did=14366704/nid=233454/1e75rys/ – In Mecklenburg-Vorpommern (MVgi- index.html. 46 Verfassungsschutz will «Bärgida» nicht pau- da), Niedersachsen (Bragida), Nord- schal überwachen, 6.1.2015, unter: www.rbb-online.de/politik/ beitrag/2015/01/verfassungsschuetzer-palenda-zu-baergida. rhein-Westfalen (Kögida, Dügida) html. 47 Deutscher Bundestag, Kleine Anfrage, Drs. 18/4846. 48 Schleswig-Holsteinischer Landtag, Kleine Anfrage, Drs. und Thüringen (Sügida, Thügida) gel- 18/2612. 49 Vgl. Schleswig-Holsteinischer Landtag, Kleine ten verschiedene pegida-artige De- Anfrage, Drs. 18/2568. 50 Vgl. Bayerischer Landtag, Schrift- liche Anfrage, Drs. 17/4977. 51 Vgl. Landtag Brandenburg, monstrationsserien als «überwiegend Kleine Anfrage, Drs. 6/673. 52 Vgl. Landtag Mecklenburg-Vor- rechtsextremistisch beeinflusst bzw. pommern, Kleine Anfrage, Drs. 6/3702. 53 Vgl. Landtag von Sachsen-Anhalt, Kleine Anfrage, Drs. 6/4044. 54 Vgl. Landtag gesteuert».47 von Baden-Württemberg, Kleine Anfrage, Drs. 15/6314. derpositionen kann allerdings nicht ei- re Landesämter äußern sich mitunter an- 17 ne deutliche Tendenz verdecken: Zum ders, aber widersprechen einander auch. als «überwiegend rechtsextremistisch Das Vorkommen solcher Uneinigkeiten beeinflusst bzw. gesteuert» eingestuf- ist so ungewöhnlich nicht,59 doch die Re- ten Versammlungsgeschehen in Meck- gel ist eine gegenseitige Erörterung und lenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Abstimmung. Im VS-Verbund besteht ei- Nordrhein-Westfalen und Thüringen ge- ne Zusammenarbeitspflicht,60 die auf ge- hörten im ersten Quartal 2015 nach Zäh- genseitige Unterrichtung der beteiligten lung der Bundesregierung insgesamt 43 Ämter und in Sachfragen auf Einverneh- Einzelveranstaltungen mit zusammen men zielt. Das gilt auch für die Auswahl rund 13.100 Teilnehmenden.55 Das sind von Beobachtungsobjekten und die da- etwas mehr als ein Viertel sämtlicher pe- hingehende Bewertung von Verdachts- gida-artiger Veranstaltungen außerhalb fällen.61 Divergente Darstellungen in den Sachsens in diesem Zeitraum, denen VSB geben einen Hinweis darauf, dass sich wiederum etwas mehr als ein Drit- ein solches Einvernehmen zum vorlie- tel aller Teilnehmenden anschloss.56 Inso- genden Thema bisher nicht zu erzielen weit war eine überwiegende rechtsextre- war. mistische Beeinflussung oder Steuerung der Veranstaltungen bei einem an sich si- gnifikanten Teil der Bewegung gegeben, der darüber hinaus vergleichsweise mo- bilisierungsstark war. Gemessen am ma- ximal erreichten Zulauf waren mit Sügida der (nach München/Bagida) zweitstärks- te, mit Kögida der viertstärkste und mit MVgida der sechststärkste Pegida-Able- ger außerhalb Sachsens betroffen. Folgt man der Einschätzung der Bundesregie- rung, die sich ihrerseits auf Erkenntnisse der Ämter für Verfassungsschutz (ÄfV) stützte,57 muss man anerkennen, dass 55 Vgl. Deutscher Bundestag, Kleine Anfrage, Drs. 18/4846. 56 Nach Erhebung des Verfassers. 57 Vgl. Budler, Kai: die rechtsextremistische Prägung be- Rechtsextreme Präsenz auf der Straße, 15.5.2015, unter: reits zu intensiv ist, um nur mehr als eine www.bnr.de/print/14353. 58 Vgl. Abgeordnete diskutieren Rolle des Verfassungsschutzes. 30.4.2015, unter: www.mdr. Randerscheinung der Pegida-Bewegung de/sachsen/landtag-extremismus-verfassungsschutz100_ zc-f1f179a7_zs-9f2fcd56.html; Müller, Anna: Verfassungs- zu gelten. schutzbericht in Sachsen vorgestellt, 23.4.2015, unter: www. In fast allen bisher erschienenen Verfas- endstation-rechts.de/news/kategorie/politik/artikel/verfas- sungsschutzbericht-in-sachsen-vorgestellt-jn-profitiert-von- sungsschutzberichten (VSB) für das Jahr distanzierung-von-npd.html; Sundermeyer, Olaf: Rechts lie- 2014, in denen eine Systematisierung der gen lassen, 14.5.2015, unter: www.juedische-allgemeine.de/ article/view/id/22274. 59 Vgl. kritisch den «klassischen» Ver- Erkenntnisse hätte erwartet werden kön- gleich bei Seifert, Jürgen: Hoheitliche Verrufserklärungen?, in: Vorgänge, Nr. 55, 1/1982, S. 46–60 sowie affirmativ z. B. nen, bleibt diese Tatsache überraschen- die Würdigung bei Jaschke, Hans-Gerd: Extremismus in Da- derweise nicht nur unreflektiert, sondern ten und Trends, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hrsg.): Jahr- buch Extremismus & Demokratie 1996, Baden-Baden 1996, mehrere Landesämter erwähnen Pegida S. 329f. 60 Vgl. § 1, Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz überhaupt nicht, was im Falle Sachsens (BVerfSchG). 61 Richtlinie für die Zusammenarbeit des Bun- desamtes für Verfassungsschutz und der Landesbehörden für mit Erstaunen registriert wurde.58 Ande- Verfassungsschutz – Koordinierungsrichtlinie (KR), §§ 2 bis 5. 18 Tabelle 1: Darstellungen der Pegida-Bewegung und ihrer Ableger in Verfassungsschutzberichten (VSB) für das Jahr 201462

Verfassungs- Thematisierungen … schutzbericht (a) Pegidas (Dresden) bzw. (b) der jeweiligen Pegida-­ (VSB) der Pegida-Bewegung Ableger Datum

Sachsen Keine. Keine. 21.4.2015 Daneben Erwähnung Pegidas Daneben Erwähnung Legidas (Dresden) als Aktionsfeld von (Leipzig) als Aktionsfeld von Linksextremisten (163, 171, 173, Linksextremisten (147f., 168, 175–177, 179f., 188f.). 179f., 191).

Bayern Allgemein hinsichtlich thema­ Speziell hinsichtlich Bagida 27.4.2015 tischer Konvergenz von Rechts- (München) und dem Einfluss des extremisten und sog. «verfas- «Personenkreises um Michael sungsschutzrelevanter Stürzenberger» (225). Islamfeindlichkeit» und entspr. Daneben Erwähnung nicht Anschlussversuchen; Hinweis bezeichneter bayerischer auf gleichwohl bestehende ideo- Ableger als Aktionsfeld von logische Divergenzen (224f.). Links­extremisten (226).

Schleswig- Allgemein als problematische Allgemein als Aufgreifen der Holstein Schnittmenge von Rechtspopu- «Marke PEGIDA» durch Rechts- 28.4.2015 lismus und Rechtsextremismus extremisten außerhalb Sachsens (19, 43–46) in «bisher nicht (45). vorstellbarem Ausmaß» (46). Speziell hinsichtlich Shegida Speziell als Darstellung der (Neumünster) (20, 45f.). Entwicklung in Dresden (44f.).

Brandenburg Indirekt hinsichtlich Bemühun- Keine. 6.5.2015 gen der NPD, sich thematisch «einzuklinken» (8).

Bremen Keine. Keine. 19.5.2015

Rheinland-Pfalz Indirekt als Versuche von Rechts- Keine. 20.5.2015 extremisten, bei Kundgebungen geäußerte Missstände zu «miss- brauchen» (19f.).

* Eine analoge Einschätzung des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern lag bis zum Abschluss dieses Beitrages noch nicht vor.

62 In der Reihenfolge des Erscheinens; Zitate und Seitenanga- ben entstammen bzw. beziehen sich auf die zuerst vorgelegten «Presse»- oder «Vorabfassungen». Niedersachsen Allgemein als «nicht von Speziell hinsichtlich Hagida 19 28.5.2015 Neonazis organisierte Demons- (Hannover) und Bragida (Braun- trationen» (29) mit islam- und schweig), woran «in nicht uner- fremdenfeindlicher Grund­ heblicher Anzahl auch Rechts- tendenz (31, 60). extremisten beteiligt» gewesen Indirekt als «attraktive Alter- seien (29). native» für Rechtsextremisten Zudem Hinweis auf MVgida (29) sowie als «strategische (Mecklenburg-Vorpommern), Anknupfungspunkte, um an dessen Erscheinung «wesent- fremdenfeindliche Strömungen lich von der NPD und den freien in der Bevölkerung» anzuschlie- Kameradschaften mitbestimmt» ßen (43). sei (60).*

Sachsen- Allgemein als islamfeindliche Speziell hinsichtlich Magida Anhalt Proteste mit «mehrheitlich frem- (Magdeburg) als Gegenstand von 2.6.2015 denfeindlicher Atmosphäre» und Stellungnahmen durch Rechts­ einem «xenophoben Milieu» (98). extremisten (82). Indirekt als Gegenstand von Stellungnahmen durch Rechts­ extremisten (73ff.) Daneben Erwähnung Pegidas als «Kampffeld» des gewaltbereiten Linksextremismus (119).

Nordrhein- Keine. Allgemein hinsichtlich regel­ Westfalen mäßiger Teil- und unmittelbarer 8.6.2015 Einflussnahme (12) bis hin zur Steuerung (38) bzw. Unterwan- derung (191) durch Rechtsextre- misten. Speziell, ohne namentliche Zuordnung, Hinweis auf die Nichtausgrenzung fremden­ feindlicher Positionen (47).

Hamburg Allgemein hinsichtlich Zustim- Keine. 11.6.2015 mung durch Rechtsextremisten Daneben Hinweis auf die Thema- (178). tisierung Pegidas durch «links­ extremistische Antifaschisten» als «Rassismus aus der Mitte» (76).

Baden-­ Keine. Keine. Württemberg 11.6.2015 20 Es fällt hier eine abgestufte Einschätzung Dezember 2014 bemüht, sich zuneh- zwischen zwei Polen auf (vgl. Tabelle 1): mend in diese Kampagne einzuklin- – Den einen Pol bildet der Bericht für ken, um so ihre Anti-Asyl-Kampagne Sachsen – das Stammland der Bewe- neu aufleben zu lassen.»66 Die Formu- gung –, der Pegida im Zusammenhang lierung legt recht metaphorisch nahe, mit Rechtsextremismus überhaupt dass die NPD zwar darum bemüht sei, nicht benennt. Es ist dort zunächst die sich «anzulehnen» oder «einzuklin- Rede von den mit Pegida nicht iden- ken», dies aber in einem instrumen- tischen «ausländer- und islamfeindli- tellen Sinne, um eine eigene, von Pe- chen Kampagnen der NPD»,63 später gida zu unterscheidende Kampagne von einer Beteiligung rechtsextremis- zu stärken. Insoweit figuriert Pegida in tischer Parteien an «Protestbewegun- dieser Darstellung in der Tat (nur) als gen gegen Islam und Asylbewerber», Objekt rechtsextremistischer Bestre- an denen «Parteistrukturen subtil im bungen. Wie dieser Bezug konkret Hintergrund» mitwirkten.64 Der Kon- ausfällt, wird gleichwohl nicht erklärt. text erlaubt hier allerdings nicht die Das verwundert, weil der entschei- Annahme, dass Pegida gemeint wä- dende Satz in einem mit «Zusammen- re. Eine namentliche Erwähnung fin- fassung» betitelten einführenden Ab- det nur im Kapitel «Linksextremismus» schnitt steht, ohne dass sich hier oder statt, wo dargestellt wird, dass und später entnehmen ließe, was zusam- inwieweit linksextremistische Perso- mengefasst wird. Ähnlich kursorische nenzusammenschlüsse gegen Pegi- Darstellungen externer Bezugnahmen da-Versammlungen vorgehen. Es fällt auf Pegida finden sich in den Berichten auf, dass der Bericht keinen Versuch für Nordrhein-Westfalen, Rheinland- unternimmt zu erklären, warum es rele- Pfalz, Sachsen-Anhalt und Hamburg. vant ist, ob und wie sich Linksextremis- – Eine mittlere Position bezieht der Be- tInnen auf Pegida beziehen, aber nicht, richt für Bayern: Außerhalb der syste- ob und wie das auch bei Rechtsex­ matischen Berichtsgliederung wird tremistInnen der Fall ist, wenn auch in unter der Überschrift «Ausblick» auf anderer Weise. Das will im Lichte des die Existenz einer «verfassungsschutz- Äquidistanzprinzips nicht einleuch- relevanten islamfeindlichen Szene» ten. Auch die Berichte für Bremen und hingewiesen.67 Der Inhalt dieser Ka- Baden-­Württemberg verzichten auf ei- tegorie wird nicht systematisch ent- ne Erwähnung Pegidas im Zusammen- wickelt, jedoch von der «rechtsextre- hang mit dem Rechtsextremismus.65 mistischen Szene» geschieden. Für – Der Bericht für Brandenburg geht bei diese sei Islamfeindlichkeit bislang ein der Thematisierung Pegidas kaum über den des LfV Sachsen hinaus. Er 63 Sächsisches Staatsministerium des Innern: Verfas- sungsschutzbericht 2014, Dresden 2015, S. 21. 64 Ebd., erwähnt die Bewegung namentlich S. 36. 65 Zur Erklärung einander inhaltlich ähnlicher Tenden- zen kommt der Umstand in Betracht, dass unter anderem Beam- nur in einem einzigen Satz: «Ange- tInnen des LfV Baden-Württemberg Anfang der 1990er Jahre zu lehnt an die Dresdener Demonstrati- den «Aufbauhelfern» des LfV Sachsen gehörten. Vgl. dazu LfV Sachsen: 5 Jahre Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen. onen unter dem Motto ‹Patriotische Eine Festschrift, Dresden 1997. 66 Ministerium des Innern des Europäer gegen die Islamisierung des Landes Brandenburg: Verfassungsschutzbericht 2014, Potsdam 2015, S. 8. 67 Bayerisches Staatsministerium des Innern: Ver- Abendlandes› (Pegida) ist die NPD seit fassungsschutzbericht 2014, München 2015, S. 222ff. nachrangiges Thema gewesen. «Erst gen deutlich hervor: «Die durch die- 21 mit den im Herbst 2014 aufkommen- se Bewegungen» – genannt wird den Demonstrationen gegen eine an- auch HoGeSa – «sichtbar gewordene, gebliche Islamisierung Deutschlands über das rechtsextremistische Spek- änderte sich dies. Die rechtsextremis- trum hinausgehende Furcht vor dem tische Szene versuchte, diese thema- Islam ist für Prognosen über die mit- tische Schnittmenge zu nutzen […]. telfristige Entwicklung des Rechtsex- U. a. gab es auch Versuche, eigene tremismus zur zentralen Frage gewor- Initiativen zu etablieren oder sich Ak- den.»72 Abgestellt wird insbesondere tivitäten der bayerischen verfassungs- auf damit zusammenhängende Ge- schutzrelevanten islamfeindlichen fährdungslagen, sei es per se entlang Szene anzuschließen.»68 Als Beispiel anschwellender Mobilisierungsleis- werden die Bagida-Demonstrationen tungen durch Rechtsextremisten, sei in München aufgeführt, wo einerseits es durch die Stimulation «gezielter ein namentlich genannter «Islam - Gewalttaten» seitens Einzeltätern.73 feind» eine organisatorische Schlüs- Ähnliche Gefährdungslagen werden selfunktion einnehme und woran sich in den anderen VSB nicht angeführt. andererseits etliche Rechtsextremis- Noch bemerkenswerter ist die im - tInnen beteiligen würden. 69 Bagida plizite Kritik an den sächsischen Kol- sei insoweit mehr als nur ein Objekt legInnen: Nach Darstellung des LfV extremistischer Bestrebungen, wenn- Schleswig-Holstein seien zwar die gleich der maßgebliche, verfassungs- Dresdner Pegida-Demonstrationen schutzrelevante Einfluss aus einem «nach Bewertung der zuständigen politischen Spektrum jenseits des [sächsischen] Landesverfassungs- klassischen Rechtsextremismus kom- schutzbehörde […] als ‹nicht extre- me. Es ist hier ausdrücklich nicht ent- mistisch› einzustufen». Aber ganz schieden, ob Bagida selbst eine ver- offensichtlich macht sich das nord- fassungsschutzrelevante Bestrebung deutsche Partneramt diese Einschät- darstellt oder nicht. zung nicht zu eigen: Sein Bericht ist – Den Gegenpol zu Sachsen bietet der der einzige, der die außerordentliche Bericht für Schleswig-Holstein. In ei- Protestdynamik trotzdem anhand der nem einleitenden Überblick über Entwicklung der Teilnehmerzahlen in rechtsextremistische Bestrebungen Dresden illustriert. Dieser VSB kon- wird problematisiert, dass die «Gren- terkariert insoweit die hier auch in zen zwischen Gruppen am rechten Anführungszeichen gesetzte sächsi- Rand mit ihren gerade noch verfas - sche Einschätzung, nach der die Pe- sungskonformen rechtspopulistischen gida-Bewegung «nicht offenkundig Thesen und tatsächlichen Rechtsext- extremistisch» sei,74 und misst ihr für remisten» zunehmend70 und in einem die Entwicklung des rechtsextremisti- «bisher nicht vorstellbaren Ausmaß»71 schen Spektrums zumindest prognos- verschwimmen würden. Die Relevanz

solcher Schnittmengen trete insbe- 68 Ebd., S. 225. 69 Vgl. ebd. 70 Ministerium für Inneres sondere bei den als «Aufmärschen» Schleswig-Holstein: Verfassungsschutzbericht 2014, Kiel 2015, S. 19. 71 Ebd., S. 46. 72 Ebd. 73 Ebd., S. 20. 74 Ebd., bezeichneten Pegida-Versammlun- S. 46. 22 Tabelle 2: Divergierende Auffassungen der Pegida-Bewegung durch die Verfassungsschutzämter

I. keine II. als Gelegenheitsstruktur III. als eigenständige, für Rechtsextremisten teils extremistische Bewegung

durch durch durch mit frem- mit teils extre- positive Konver- Steue- denfeind- Schnitt- mistische Bezug- genzen, rungs- licher menge Islam nahmen Teilnah- versuche Grundten- zum feindlich- men denz Rechts- keit extremis- mus

Sachsen Hamburg Bayern Nord- z. T. Schles- Bayern rhein- Nord- wig-Hol- Westfalen rhein- stein Westfalen

Baden-­ Sachsen- Branden- z. T. Württem­ Anhalt burg Sachsen- berg Anhalt

Bremen Rhein- Schles- z. T. land-Pfalz wig-Hol- Nieder- stein sachsen

Nieder- sachsen

tisch eine ganz erhebliche Bedeutung angetragene Relevanz als Objekt einer bei. Auf in diesem Sinne bedeutsame verschieden weit reichenden und ver- Konvergenzen jedenfalls im Falle eini- schieden erfolgreichen Einflussnahme ger Pegida-Ableger weisen auch die durch RechtsextremistInnen bis hin zum Berichte für Niedersachsen und Nord- (III.) eigenständigen Akteur, der mit dem rhein-Westfalen hin. klassischen Rechtsextremismus ideolo- Die Spalten in Tabelle 2 können von links gische Strukturmerkmale teilt, als Teil- nach rechts zum Teil als «Steigerun- menge des Rechtsextremismus existiert gen» verstanden werden, wenngleich es oder aber bereits in einen eigenständi- durch die meist nur kursorische Darstel- gen Extremismusbereich übergeht. Zu lung an Trennschärfe fehlt: Die Pegida- bedenken ist, dass diese unterschied- Bewegung changiert nach Bundesland lichen Konzeptionen nicht nur bundes- zwischen (I.) verfassungsschützerischer länderspezifische Unterschiede bei der Irrelevanz über (II.) eine von außen her- Bewertung Pegidas anzeigen, sondern eine Spannweite aufmachen, die für Un- der vermittelbares Resultat eines födera- 23 vergleichbarkeit spricht: Nehmen wir die tiv bedingten Pluralismus sind, sondern von Schleswig-Holstein vertretene Auf- dass die jeweiligen Perspektiven einan- fassung beim Wort, wonach «das Phä- der widersprechen. Die aufgezeigten Dif- nomen PEGIDA […] eine islamkritische ferenzen repräsentieren insoweit nicht Bewegung aufgebaut [hat], die schon einfach unterschiedlich strenge Bewer- aufgrund ihrer Größe nicht ignoriert wer- tungen – die in der Gesamtschau die den kann»,75 so ist ganz unverständlich, Glaubwürdigkeit der Verfassungsschutz- warum gerade das unter anderem in berichte und des jeweiligen Amtes für Sachsen, wo Pegida die größten Aus- Verfassungsschutz dahingestellt lassen. maße erreicht hat, im dortigen Verfas- Ihr derart verschiedener Zugriff auf das sungsschutzbericht nicht auftaucht. Pegida-Phänomen zeigt, dass das ganze Die auch in Baden-Württemberg und Feld des Rechtsextremismus als Begriff Bremen vorliegende Nichtthematisie- und als verfassungsschützerischer Beob- rung entspricht zudem in keiner Weise achtungsraum unterschiedlich konstru- dem in seiner Wortwahl vergleichswei- iert ist. Davon hängt es aber ab, wie die se drastischen Beschluss der Herbst-IMK Pegida-Bewegung jeweils verortet und von 2014.76 Erinnert sei hier daran, dass ob sie demnach überhaupt als relevant auf der anderen Seite gerade (aber nicht erachtet wird. nur) die sächsischen Verfassungsschutz- Die Ungleichzeitigkeit dieser Konstruk- berichte seit Anbeginn angereichert sind tionsleistungen zeigt sich besonders in um stark interpretative Abschnitte («Aus- einer Entwicklung, die in den Diskursen blick», «Hintergrund») sowie um außer- von Medien und Wissenschaft und teils halb der einzelnen Extremismusrubriken auch der Darstellung der ÄfV sowohl für stehende «phänomen-» und «spektren- die Kennzeichnung des rezenten Rechts- übergreifenden Betrachtungen», die teils extremismus beziehungsweise der ext- nicht einmal einen Bezug auf das eigene remen Rechten,77 wie nunmehr auch der Bundesland aufweisen. Die Eignung des Pegida-Bewegung herangezogen wird: in den Berichten Dargestellten als Beob- die zweifellos zunehmende Bedeutung achtungsobjekt steht dabei nicht im Vor- der Islamfeindlichkeit. In etlichen Ver- dergrund. Wenigstens hier hätte erschei- fassungsschutzberichten der Vorjahre nen müssen, was fraglos der Fall ist, ganz wird auf die Konjunktur des Themas hin- gleich, welche nähere Einschätzung Pe- gewiesen, ohne dass der Begriff näher gidas vorliegt: dass die entsprechenden entwickelt oder dem Phänomen bereits Demonstrationen eindeutig ein äußerst ein systematischer analytischer Wert präsentes und schon allein deswegen re- beigemessen worden wäre. Dies hat levantes Objekt verfassungsschutzrele- sich im Jahr 2011 verändert. 78 Im Jah- vanter Bestrebungen sind. 75 So der Innenminister Schleswig-Holsteins, zit. nach: Schleswig-Holsteinischer Landtag, Kleine Anfrage, Drs. 18/2568. 76 Freigegebene Beschlüsse der 200. Sitzung der Exkurs: Islamfeindlichkeit als Begriff IMK. 77 Vgl. für diese Begriffsalternative Hüttmann, Jörn: Ex- und Begriffsverwirrung treme Rechte – Tragweite einer Begriffsalternative, in: Forum für kritische Rechtsextremismusforschung (Hrsg.): Ordnung. Es liegt nahe anzunehmen, dass die- Macht. Extremismus, S. 327–346. 78 Plausibler Zeitkontext se unterschiedlichen Einschätzungen für die nuancierte (Neu-)Bewertung des Phänomens Islam- feindlichkeit sind die Anschläge in und Utøya durch An- nicht mehr nur ein konstruktiv miteinan- ders B. Breivik am 22. Juli 2011. 24 resbericht des BfV für jenes Berichts- feindlichkeit um eine «moderne Form der jahr – und nochmals fast wortgleich im Fremdenfeindlichkeit», stellt allein noch Folgejahr – war erstmals umfangreich nicht zwingend einen Rechtsextremis- auf die wachsende Bedeutung der Is - musbezug her.83 Er ist aus dieser Perspek- lamfeindlichkeit als «Agitationsfeld» von tive nur dann gegeben, wenn es gerade RechtsextremistInnen hingewiesen wor- rechtsextremistische Gruppen sind, die den.79 Im Bericht für 2013 wurde bereits sich islamfeindlich betätigen. die Etablierung des Themas innerhalb Die erwähnte Ausnahme ist das LfV des Rechtsextremismus als «moderne Bayern: Es erklärt Islamfeindlichkeit be- Form der Fremdenfeindlichkeit» vermel- reits zum «eigenständigen Phänomen det.80 Die Aufwertung des Themas fiel extremistischer Ausprägung». Des­ zeitlich zusammen mit der Aufwertung sen Existenz ist damit abgelöst von der «Bürgerbewegung Pro NRW» zum der Notwendigkeit eines Rechts­extre­ Beobachtungsobjekt auf Bundesebene. mismusbezugs: Islamfeindlichkeit wird Jene Partei bewege sich, wie es im nie- mittlerweile als eigenständiges extremis- dersächsischen VSB für das Jahr 2013 tisches Spektrum neben dem Rechtsex- kurz und knapp hieß, «an der Schnitt - tremismus konstruiert. Bereits im VSB stelle zwischen Rechtsextremismus und für das Jahr 2012 hatte das LfV Bayern Rechtspopulismus».81 Damit wurde auf islamfeindlicher Agitation im Kontext ein offenkundiges Abgrenzungsproblem rechtsextremistischer Themenfelder die hingewiesen, das zugleich eine proble- Besonderheit zugeschrieben, dass es matische Grenze zwischen Verfassungs- nunmehr außerhalb des Rechtsextre- schutzrelevanz und -irrelevanz markiert. mismus stehende Personenkreise ge- Diese Grenze scheint im Falle Pegidas be, «die islamgläubigen Menschen nicht wieder auf. die im Grundgesetz verankerte Religi- Ebenfalls 2013 hatte die Bundesregie- onsfreiheit zugestehen. Sie setzen den rung mitgeteilt, das BfV intensiviere die Islam als Weltreligion pauschal gleich «Sichtung und Auswertung mutmaßlicher mit Islamismus und islamistischem Ter- islam- und muslimfeindlicher Äuße­ rorismus.»84 Ein Beispiel dafür wurde rungen einschlägiger Websites und nicht angeführt. Im Mai 2013 bekräftig- Organisatio­nen […]. Dabei wird konti - te die bayerische Staatsregierung die nuierlich geprüft, ob in der Gesamtbe- Annahme, ausgehend vom «Agitati - trachtung Anhaltspunkte für eine verfas- onsfeld Islamfeindlichkeit» würden sich sungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit «auch losgelöst von rechtsextremisti- vorliegen. […] Ob sich dabei ein neues, schen Kreisen verfassungsfeindliche eigenständiges Phänomen extremisti- 79 Vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutz- scher Ausprägung herausbildet, unter- bericht 2012, Berlin 2013, S. 126ff. 80 Bundesministerium liegt der ständigen Prüfung durch die des Innern: Verfassungsschutzbericht 2013, Berlin 2014, S. 119. 81 Niedersächsisches Ministerium für Inneres: Verfas- Verfassungsschutzbehörden von Bund sungsschutzbericht 2013, Hannover 2014, S. 47. Im Folgen- 82 den ist zu beachten, dass der VSB für Schleswig-Holstein unter und Ländern.» Dahin ist – bis auf ei- Verwendung einer ähnlichen Formulierung Pegida an genau ne gleich zu verhandelnde Ausnahme – dieser Stelle platziert. Diese Stelle, sei sie Punkt oder Raum, ist in der Mehrzahl der VSB eine Leerstelle. 82 Deutscher Bun- den bisher vorgelegten VSB zufolge kei- destag, Kleine Anfrage, Drs. 17/13686. 83 Vgl. Droste, Ber- nes der Ämter gelangt. Die aktuellste nadette: Handbuch des Verfassungsschutzrechts, Stuttgart 2007, S. 181–183. 84 Bayerisches Staatsministerium des In- BfV-Annahme, es handle sich bei Islam- nern: Verfassungsschutzbericht 2012, München 2013, S. 74f. Bestrebungen» formieren. Kennzeich- gelangen, ist zuerst auf den Umstand 25 nend dafür seien «Verhaltensweisen, die zurückzuführen, dass vergleichbare darauf gerichtet sind, die Geltung der Kategorien – extremistische Islamfeind- genannten Prinzipien für Muslime oder lichkeit oder islamfeindlicher Extremis- den Islam außer Kraft zu setzen bzw. mus – dort nicht in Gebrauch sind. Wenn beseitigen zu wollen».85 In einem kurz in Verfassungsschutzberichten von Is- darauf erschienenen Halbjahresbericht lamfeindlichkeit die Rede ist, sind ganz des LfV Bayern wurde Islamfeindlichkeit verschiedene Sachverhalte gemeint: erstmals als eigenständige Form des Ext- von einem Agitations- und Kampag­ remismus aufgeführt und daraufhin auch nenthema des Rechtsextremismus (z. B. in den VSB 2013 aufgenommen.86 In die- Sachsen) über ein Schnittstellenphäno- sem Bereich verortet das Amt nunmehr men zwischen Rechtsextremismus und zumindest den Münchner Pegida-Able- Rechtspopulismus (Schleswig-Holstein) ger Bagida aufgrund der tragenden orga- und einer eigenständigen, sich wo - nisatorischen Kräfte. möglich verselbstständigenden Form Am nächsten kommt dem aktuell das der Fremdenfeindlichkeit jenseits der LfV Hamburg, das seit dem Berichtsjahr klassischen Extremismusfelder (BfV) 2012 über «Politisch motivierte Islam- bis hin zu einem strukturbildenden Phä- feindlichkeit» berichtet.87 Wiewohl for- nomen, das jüngst zum eigenständigen mal noch als Unterfall des Rechtsextre- Extremismusfeld geronnen sei (Bay- mismus behandelt, wird aktuell auf die ern). Aus dieser bislang wenig beachte- Versuche auch von RechtspopulistInnen ten Unordnung ergeben sich Folgen, die hingewiesen, «Ängste vor dem Islam zu über die Schriftform hinaustreiben: Je schuren und Vorurteile zu verstärken. Zu nach Zuschnitt des Begriffs unterschei- diesem Zweck verbreiten sie die Behaup- den die Verfassungsschutzämter, ob und tung einer Bedrohung Deutschlands und unter welchen Umständen islamfeind- Europas durch ‹Überfremdung› und ‹Is- liche Phänomene unter nachrichten- lamisierung›.» Hieraus könnten sich «An- dienstliche Beobachtung zu stellen oder haltspunkte für verfassungsschutzrele- aber zu vernachlässigen sind. Gegen- vante Bestrebungen gegen den Islam über der Öffentlichkeit wird notwendig und die Muslime» ergeben. 88 In einem ein Missverständnis vorbereitet, indem Folgeabsatz wird die Frage, ob es ei- völlig im Unklaren bleibt, was die Erwäh- nen Zusammenhang mit dem «Aufkom- nung des islamfeindlichen Extremismus men neuer islamkritischer Bewegungen im bayerischen VSB oder die Nichter- im Herbst 2014» gebe, nicht ausdrück- wähnung anderswo bedeuten soll: dass lich bejaht.89 Insoweit bleibt die «verfas- 85 Bayerischer Landtag, Schriftliche Anfrage, Drs. sungsschutzrelevante Islamfeindlich- 16/16700. 86 Der bayerische Halbjahresbericht 2013 ist zu- keit» außerhalb des Rechtsextremismus, rückgezogen worden und wird auf der Website des LfV Bayern nicht mehr verbreitet. Noch abrufbar, aber mit umfangreichen anders als in Bayern, vorerst eine leere Si- Schwärzungen versehen ist der VSB für 2013: Über zwei islam- feindliche Bestrebungen mussten bestimmte Behauptungen gnifikante. In den meisten aktuellen Ver- sowie eine offenbar als zentral erachtete Bestrebung vollstän- fassungsschutzberichten allerdings ist dig gestrichen werden. Im jüngsten VSB für 2014 wird in einem zentralen Fall auf das gerichtlich festgestellte Verdachtsstadi- nicht einmal der Begriff etabliert. um hingewiesen. 87 Vgl. Behörde für Inneres Hamburg: Ver- Dass andere Verfassungsschutzäm- fassungsschutzbericht 2012, Hamburg 2013, S. 183f. 88 Be- hörde für Inneres Hamburg: Verfassungsschutzbericht 2014, ter nicht zu analogen Einschätzungen Hamburg 2015, S. 177f. 89 Ebd. 26 es nur dort und in anderen Bundeslän- lichen Diskurs zugänglich sind, erscheint dern keine solche Szene gäbe? Oder die Setzung des LfV Bayern nur mehr als dass die Szene, wenn es sie auch woan- eine Verlegenheitslösung neben ande- ders gibt, in Bayern besonders weit ent- ren. Entsprechendes gilt für die Frage, wickelt ist, sodass dort eher ein neuer wie belastbar von hier aus die jeweiligen Begriff zu finden war? Oder dass es bis- Einschätzungen der Pegida-Bewegung her nur dem bayrischen LfV gelungen noch sind: Sie verraten im Vergleich ist, einen adäquaten Begriff zu finden? doch mehr über die Nöte der Einschät- Ist das dann aber ein haltbarer, der Ent- zenden als über ihren Gegenstand. Einen wicklung des wirklichen Phänomens an- den Verfassungsschutzäußerungen me- gemessener Begriff oder geht dem LfV dial zugeschrieben Expertenstatus be- Bayern nur jene Nonchalance ab, die an- kräftigt das nicht. dere Ämter vor dem eigenen Tätigwer- Woran die Verfassungsschutzämter in den zögern lässt? diesem Fall scheitern, ist einer thema- Wenn all das so aufgefasst werden tisch durchaus verwandten Debatte um könnte, entleerte sich sogleich der Begriff und tatsächliche Bedeutung der von einigen Ämtern verwendete Be - Neuen Rechten im Verhältnis zum klas- griff Islamfeindlichkeit, da auch keine sischen Rechtsextremismus zu entneh- der verschiedenen begrifflichen Kons- men, die vor bald zwei Jahrzehnten in truktionen überzeugend ist und nach- ungewöhnlicher Zusammensetzung93 prüfbare Begründungen in keinem Fall geführt und in seltener Offenheit doku- gegeben werden. Schon die Festle - mentiert worden ist.94 Die Protagonis- gung auf den Begriff Islamfeindlich - tInnen der Debatte – in dieser Hinsicht keit verlangte aber angesichts zahl - KritikerInnen der Verfassungsschutzpra- reicher semantisch nahestehender xis – gingen davon aus, dass die Ämter und auch im publizistischen Gesichts- eine bedeutsame Entwicklung der ex- kreis der Verfassungsschutzämter be- tremen Rechten nicht adäquat zu deu- kannter Konzepte – Islamfeindschaft, ten wüssten:95 Der zugrunde gelegte Islamophobie,90Antimuslimismus,­ 91 an- Extremismusbegriff sei politischen Dy- timuslimischer Rassismus92 – nach ei- ner Begründung. Das Gleiche gilt für 90 Vgl. Pfeiffer, Thomas: Islamfeindschaft als Kampag­ nenthema im Rechtsextremismus, in: Pfahl-Traughber, Armin den Versuch, Islamfeindlichkeit als ei- (Hrsg.): Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung gene Form des Ex­tremismus zu model- 2011/2012, Bd. I, Brühl 2012, S. 216–245. 91 Vgl. Pfahl-Trau- ghber, Armin: Gemeinsamkeiten und Unterschiede von An- lieren, wo die Entscheidung auch hätte tisemitismus und «Islamophobie». Eine Erörterung zum Ver- gleich und ein Plädoyer fur das «Antimuslimismus»-Konzept, lauten können, einen die Islamfeindlich- in: Pfahl-Traughber, Armin (Hrsg.): Jahrbuch für Extremismus- keit stärker berücksichtigenden Begriff und Terrorismusforschung 2009/2010, Brühl 2010, S. 604– 826. 92 Vgl. z. B. Ministerium für Inneres Nordrhein-West- des Rechtsextremismus zu wählen, die falen: Verfassungsschutzbericht 2014, Düsseldorf 2015, S. bereits problematisierten Schnittstellen 190ff.; sowie Niedersächsisches Ministerium für Inneres: Ver- fassungsschutzbericht 2014, Hannover 2015, S. 53. 93 Vgl. oder -mengen zum Rechtspopulismus Wölk, Volkmar: Antifa und Verfassungsschutz an einem Tisch, in: analyse & kritik, Nr. 405, 28.8.1997, S. 4. 94 Vgl. dazu die neu und besser zu vermessen oder aber Beiträge in den beiden Sammelbänden Gessenharter, Wolf- nach der Existenz eines verfassungs- gang/Fröchling, Helmut (Hrsg.): Rechtsextremismus und in Deutschland. Neuvermessung eines politisch-ideo- schutzrelevanten Rechtspopulismus logischen Raumens?, Opladen 1998; Gessenharter, Wolfgang/ zu fragen. Vor dem Hintergrund dieser Pfeiffer, Thomas (Hrsg.): Die Neue Rechte – eine Gefahr für die Demokratie?, Wiesbaden 2004. 95 Vgl. Gessenharter/Fröch- Möglichkeiten, die dem wissenschaft­ ling (Hrsg.): Rechtsextremismus und Neue Rechte, S. 11. 96 namiken nicht angemessen. Richtiger- Möglichkeiten des staatlichen Verfas- 27 weise hingewiesen wurde auf faktische sungsschutzes mit dem zu beobachten- Angriffe auf Verfassungsgrundsätze – den Phänomen», das in der alten Debat- beispielsweise das Asylrecht oder das te die Neue Rechte war99 – und die, nicht Grundrecht auf freie Religionsaus- ohne ironische Note, heute ein wichtiger übung –, die nicht zugleich den demo- Protestakteur innerhalb der Pegida-Be- kratischen Verfassungsstaat angreifen. wegung ist.100 Entscheidend ist: In der Be- Damit wird allerdings eine zentrale Vor- stimmung notwendiger Begriffe, um die- aussetzung für eine Verfassungsschutz- se Phänomene adäquat zu beschreiben, relevanz notwendig verfehlt.97 Sobald es sind die Verfassungsschutzämter heute einer Entwicklung an dem eindeutigen ebenso wenig frei wie damals.101 Das ist Vorliegen dieser Voraussetzung gebre- ein geradezu nachvollziehbares Defizit. che, werde deren «Gefährdungspoten- Folgenreich ist dagegen, dass dieses Pro- tial überhaupt ignoriert oder klein judi- blem hinter die diskursive Bedeutung der fiziert»,98 ist sie also weder Gegenstand Verfassungsschutzämter bei der sozia- einer Beobachtung noch einer Berichter- len Konstruktion der Phänomenbereiche stattung durch Verfassungsschutzämter. Rechtsextremismus, Islamfeindlichkeit Das erhellt, warum heute hinsichtlich Pe- oder eben auch Pegida zurücktritt. Der gida nur das (zurückhaltende) hamburgi- entlang der Extremismussemantik mä- sche sowie das (drastischer formulieren- andernde «Flickenteppich», den die Ver- de) schleswig-holsteinischen Landesamt fassungsschutzberichte in diesem Falle für Verfassungsschutz auf mögliche künf- ausbreiten, kann auf diese Weise keine tige Gefährdungen hinweisen. Dies sind Frühaufklärung über Gefahren betreiben, jedoch Ausnahmen vor dem Hintergrund sondern meistenteils nur deren Ausblen- einer «strukturellen Unvereinbarkeit der dung.

96 Gessenharter, Wolfgang: Neue radikale Rechte, intellektu- elle Neue Rechte und Rechtsextremismus. Zur theoretischen und empirischen Neuvermessung eines politisch-ideologi- schen Raumes, in: Gessenharter/Fröchling (Hrsg.): Rechtsext- remismus und Neue Rechte, S. 26. 97 Ebd., S. 30. 98 Gessen- harter/Fröchling (Hrsg.): Rechtsextremismus und Neue Rechte, S. 16. 99 Fröchling, Helmut: Die Neue Rechte im Fokus des Verfassungsschutzes, in: ebd., S. 128. 100 Nur am Rande sei hier bemerkt, dass einige Verfassungsschutzämter neurechte Akteure wie die «Identitäre Bewegung», einzelne Burschen- schaften, aber auch islamfeindliche Gruppierungen beobach- ten, die maßgeblich an Pegida beteiligt sind. All das ist beim LfV Sachsen derzeit nicht der Fall. 101 Gessenharter/Pfeiffer (Hrsg.): Die Neue Rechte, S. 13. 28 4 Berichterstattung und Beobachtung als Verfassungsschutzpolitik

Was besagt es faktisch, ob und wie Pe- den Berichten nicht vermerkt wird, und gida in Verfassungsschutzberichten umgekehrt.105 Das Gleiche gilt für die An- verhandelt wird? Die VSB sind idealiter sicht, dass die Berichte, selbst in der Zu- Lagebilder, die durch die privilegierten sammenschau, ein «realistisches Bild Kenntnisse der HerausgeberInnen für über jegliche Bedrohungen des demo- den Bereich des Extremismus zugleich kratischen Verfassungsstaates»106 ab- Leitberichte darstellen oder dafür her- gäben. Es gibt aber sowohl sogenannte genommen werden. Sie sind sichtba- Beobachtungsobjekte, über die nicht be- res Resultat eines in sich stark differen- richtet wird,107 als auch Bestandteile der zierten, im Großen und Ganzen freilich Berichterstattung, die nicht zugleich Be- nicht an die Öffentlichkeit adressierten obachtungsobjekte sind, die von ihnen Berichtswesens. Was Eingang in die öf- abstrahieren oder Kontexterläuterungen fentlichen VSB findet, dürfte vom «ope- betreffen, die dem Wirken und dem Ver- rativen Wissen» auf Ebene der Sach- und ständnis bestimmter Bestrebungen vor- Fallbearbeitung denkbar weit entfernt ausgesetzt sind. sein. Vor der öffentlichkeitsgerechten Nach verfassungsschutznaher – gericht- Aufbereitung stehen als äußere Grenze lich aber erfolgreich bestrittener108 – Aus- «politische Rücksichtnahmen»,102 ent- legung darf berichtet werden «über alle sprechend werden die Berichte von den politischen Aktivitäten (auch aus dem jeweiligen Innenministerien herausge- breiten Feld der Voraufklärung), die ‹tat- geben.103 Solche Berichte können ihrer sächliche Anhaltspunkte› dafür bieten, inneren Grenze nach nur Vorgänge the- dass sie darauf gerichtet sind, die durch matisieren, die von den Aufgaben der den Verfassungsschutz zu wahrenden Behörde irgendwie umfasst sind,104 an- Rechtsgüter zu beeinträchtigen».109 Es sonsten bestehen aber weder inhaltli- genügte demnach der Verdacht 110 mit che, noch formale Vorgaben. Was das 102 Jesse, Echkard: Die Verfassungsschutzberichte der Bun- Zweite betrifft, so gewannen die Publi- desländer. Deskription, Analyse, Vergleich, in: Backes, Uwe/ kationen der Ämter bereits ab Ende der Jesse Eckhard (Hrsg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie 2007, Baden-Baden 2008, S. 33. Jesse vermutet indes eine 1960er Jahre eine Gestalt, die stilbildend Übervorteilung des Rechtsextremismus. 103 Vgl. § 16 Abs. 2 für die heutigen Verfassungsschutzbe- BVerfSchG. 104 Vgl. § 3 Abs. 1 BVerfSchG. 105 Vgl. Fröch- ling: Die Neue Rechte im Fokus, S. 132. 106 So die Annahme richte wurde und gleichsam ein eigenes in Flümann, Gereon: Streitbare Demokratie in Deutschland und den Vereinigten Staaten. Der staatliche Umgang mit nichtge- Genre begründete: Wiewohl grundsätz- walttätigem politischem Extremismus im Vergleich, Wiesba- lich sachorientiert, umfasst und erfüllt den 2015, S. 346. 107 Für Sachsen vgl. Sächsischer Landtag, Kleine Anfrage, Drs. 6/1698. 108 Zuletzt im Zusammenhang dieses Genre weder wissenschaftliche mit Ablegern der «Pro»-Bewegung, vgl. Bundesverwaltungsge- noch journalistische Ansprüche. Auch richt (BVerwG) 6 C 4.12, 26.6.2013. Nach dem in der Literatur noch kaum berücksichtigten Urteil begegnen der öffentlichen sind die VSB weder Rechenschafts - Erwähnung von Verdachtsfällen zwar keine verfassungsrecht- lichen Bedenken, aber es wird auf das Fehlen ausdrücklicher berichte über die Arbeit der jeweiligen Befugnisse hingewiesen. Ausdrücklich vor liegt diese Befug- Ämter noch ein Abbild oder auch nur nis aber in § 3 (1) VSG (NRW) sowie § 7 (1) LVerfSchG (Schles- wig-Holstein). 109 Droste: Handbuch des Verfassungsschutz- Kondensat ihrer Tätigkeit. Schlicht un- rechts, S. 457. 110 Der Verdacht muss selbst begründet sein zutreffend ist die zählebige Auffassung, und soll nicht als erwiesen dargestellt werden. Vgl. das «Jun- ge Freiheit»-Urteil: BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005, Az. 1 wonach nicht-extremistisch sei, was in BvR 1072/01, BVerfGE 113, 63. 111 dem Willkürverbot als Grenze. Entge- tet freilich – neben den immer vorliegen- 29 gen der verbreiteten Wahrnehmung – den, von außen immer unkenntlichen und auch Betitelungen als «Handbuch» nachrichtendienstlichen Interessen- u. Ä. – sind Verfassungsschutzberich- lagen – auch einen politischen Zugriff te angesichts dieses Spielraums keine auf die Ausprägung von Problemwahr- schlichten Faktensammlungen. Ihr In- nehmungen in den Sicherheitsbehör- halt ist zwar gewiss systematisch gene- den und noch weit darüber hinaus. 121 In riert, aber die Systematik liegt nicht of- Anlehnung an das Konzept der Krimi- fen. Was dargestellt wird, erfährt auch nalpolitik kann von einer Verfassungs- keine originär wissenschaftliche Würdi- schutzpolitik gesprochen werden. Sie gung: Das Erkenntnisinteresse ist nicht hat auf Ebene der VSB die nicht nur re- diskursiv entwickelt, sondern gesetzlich daktionelle Entscheidung zum Gegen- normiert. Die Verfassungsschutzäm- stand, ob und welche Berichterstattung ter verfügen auf Grundlage exklusiven betrieben wird, «um thematisierend in Herrschaftswissens über die exklusive die öffentliche Debatte eingreifen zu Definitionsmacht und auch das Defini- können».122 Kurz gesagt: Die Frage, ob tionsrecht darüber, welche Bestrebun- und in welcher Weise Pegida in Verfas- gen als bedenklich zu gelten haben 112 sungsschutzberichten auftaucht, wird und durch schiere Benennung zu expo- in den Innenministerien, welche die Jah- nieren sind. Es ergibt sich eine «amtli- resberichte ihrer Verfassungsschutzäm- che Würdigung politischer Tätigkeiten» ter redigieren, so politisch behandelt, Dritter.113 Würdigung heißt Wertung: «Der Verfassungsschutzbericht ist 111 Vgl. «Extremistenbeschluss»: BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975, Az. 2 BvL 13/73, BVerfGE 39, 334, 360. 112 Vgl. keine Quellensammlung, um politisch- Seifert, Jürgen: Verfassungsschutzbericht 1998, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hrsg.): Jahrbuch Extemismus & De- historische Abläufe zu dokumentieren; mokratie 1998, Baden-Baden 1998, S. 382–385. 113 Droste: […] er will bestehende Tendenzen auf­ Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. 457. 114 Ebd., S. 458. 115 Vgl. Gessenharter/Fröchling (Hrsg.): Rechtsex- zeigen und vor zukünftigen Entwick­ tremismus und Neue Rechte, S. 12. 116 Roberts, Geoffrey: lungen warnen.»114 Diese Warnfunktion, Verfassungsschutzbericht 2000, in: Backes, Uwe/Jesse, Eck- hard (Hrsg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie 2002, Ba- das heißt der Gebrauch einer Stigmati- den-Baden 2002, S. 346. 117 Schubert, Thomas: Verfassungs- 115 schutzbericht 2007, in: Backes, Uwe/Gallus, Alexander u. a. sierungsmacht, ist nicht wertneutral. (Hrsg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie 2009, Baden- Der Gebrauch verfolgt einen «erzieheri- Baden 2010, S. 372. 118 Flümann: Streitbare Demokratie, S. 345. 119 Der keineswegs fundamentalkritische, hier tatsäch- 116 schen Zweck», ist getragen durch ei- lich auf eine Inschutznahme der ÄfV ausgehende Hans Josef nen «volkspädagogischen Impetus»117 Horchem, bemerkte in einem vielzitierten Artikel: «Schon al- lein die Bezeichnung derartiger PR-Bemühungen als ‹posi- und zielt hinsichtlich der exponierten Be- tiven Verfassungsschutz› enthielt die Sorge, daß der Bürger die Tagesarbeit der Mitarbeiter als ‹negativen› Verfassungs- strebungen auf eine «gewisse Ächtung schutz bewerten könne» (Horchem, Hans Josef: Die geäch- […], die von einer Unterstützung der teten Verfassungsschützer, in: Die ZEIT, Nr. 44, 26.10.1979, S. 3). 120 Vgl. hierzu die so «klassische» wie plastische Schilde- 118 Organisation abschreckt». rung in Chaussy, Ulrich: Oktoberfest – Ein Attentat, Neuwied In dieser Hinsicht sind die Verfassungs- 1985, S. 151–174. 121 Die mögliche Wirkmacht und Reich- weite einer Einschätzung, ob zutreffend oder nicht, zeigt ein schutzberichte das wichtigste Instru- Beispiel der unterbliebenen Problematisierung verfassungs- schutzrelevanter Entwicklungen: die offenbar rückhaltlose, das ment dessen, was «positiver Verfas- heißt unsachgemäße Dethematisierung des Rechtsterrorismus sungsschutz» oder «Verfassungsschutz in den Verfassungsschutzberichten nach dem Jahr 2000. Vgl. Sächsischer Landtag: Abweichender Bericht zum 3. Untersu- 119 durch Aufklärung» genannt wird und chungsausschuss (NSU) der 5. Wahlperiode, Dresden 2014, im Wesentlichen eine gut ausgestattete S. 177–181. 122 Ferse, Hartmut: Die Neuen Rechten – Her- ausforderung an den Rechtsstaat, in: Gessenharter/Fröchling Öffentlichkeitsarbeit ist.120 Das bedeu- (Hrsg.): Rechtsextremismus und Neue Rechte, S. 109. 30 wie sie eben ist – kann also dort ähnlich ren Entscheidungsgründe dem öffent- umstritten sein wie überall sonst. Das lichen Diskurs systematisch entzogen bedeutet zugleich, dass das Auftauchen bleiben. 123 oder Nichtauftauchen Pegidas in den Verfassungsschutzämter können sich jeweiligen Berichten keinen zwingenden mit politischen Strömungen auch dann Rückschluss darauf erlaubt, inwiefern auseinandersetzen, wenn sie diese Pegida beobachtet oder ihre Beobach- (noch) nicht verdeckt bearbeiten. An die- tung vorbereitet wird. Und das ist auch sen Schritt sind rechtliche Vorausset- in allen anderen Fällen so: Verfassungs- zungen geknüpft, die den Beginn einer schutzberichte thematisieren zwar Beob- nachrichtendienstlichen Beobachtung achtungsobjekte der Ämter, aber nicht als ein «langwieriges, burokratisches sämtliche, und die Ämter können vor Antragsverfahren» erscheinen lassen, manchen warnen, müssen es aber nicht. wie ein Sprecher des LfV Sachsen im Zu- Ebenso verhält es sich mit sonstigen Äu- sammenhang mit Pegida erklärte.124 Ins- ßerungen der Verfassungsschutzämter besondere ist das Vorliegen gesetzlicher gegenüber den Medien. Beobachtungsvoraussetzungen im Lich- Das LfV Sachsen hat, wie oben gezeigt te «offen» vorliegender oder verdeckt an- wurde, immer wieder erklärt, dass es gefallener, jedoch nicht gezielt erhobener Pegida nicht beobachtet. Eine Nicht - Erkenntnisse zu prüfen und mit den an- thematisierung im sächsischen Verfas- deren Behörden im Verfassungsschutz- sungsschutzbericht gewinnt dadurch verbund abzustimmen. Die schließliche allein nicht unbedingt an Plausibilität. Klassifizierung als Beobachtungsob- Es bleibt nämlich nach wie vor fraglich, jekt125 ist die Entscheidung der jeweiligen ob die – in den VSB recht durchgängig Amtsleitung.126 Die Zuständigkeit eines thematisierte – aktuelle Konjunktur des bestimmten Verfassungsschutzamtes Kampagnenthemas «Asyl», die Verstär- ergibt sich aus der Bedeutung des Be- kung islamfeindlicher Bestrebungen, die obachtungsobjekts: Ist es in den Gren- Existenz einer Bewegung mit fremden- zen eines Bundeslandes aktiv, ist das ent- feindlichen Grundtendenzen usw. ohne sprechende Landesamt zuständig. Wirkt Pegida erklärbar ist. Eine darauf ausge- es darüber hinaus, sorgt gar für eine bun- hende VSB-Darstellung ist möglich: Sie desweite Resonanz, fällt es in die Zustän- dürfte ins «Feld der Voraufklärung» gehö- digkeit des BfV.127 ren, sie könnte ausgesuchte Verdachts- fälle aufnehmen und gar – wie im VSB 123 Das wird im Grundsatz weder bestritten noch problema- tisiert, sondern beispielsweise bei Droste (Handbuch des Ver- für Schleswig-Holstein geschehen – vor fassungsschutzrechts, S. 201) – ausgerechnet den Staats- zukünftigen Entwicklungen warnen. Der rechtler paraphrasierend – zum Bestandsgrund des Verfassungsschutzes als Institution gemacht: Solche Ent- Tenor der öffentlichen Äußerungen des scheidungen zu treffen entspreche der und wahre die «Freund- LfV Sachsen ging aber weder auf eine Feind-Unterscheidung als Wesensmerkmal der politischen Auseinandersetzung». 124 Vgl. MDR: Verfassungsschutz Warnung aus, noch unterließen sie die- beobachtet Pegida & Co. nicht direkt. 125 Die einzelnen Trä- ger einer jeweiligen Struktur sind, Terminus technicus, «Beob- se, sondern lieferten etwas, das eher als achtungssubjekte», das heißt Einzelpersonen. Die nachrichten- Entwarnung verstanden werden kann. dienstliche Beobachtung schöpft diese Beobachtungssubjekte ab, um Rückschlüsse auf die -objekte zu erlangen. 126 Vgl. Das ist ebenso wenig zwingend wie das Droste: Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. 73. Be- Gegenteil und damit Ergebnis einer ver- achte dort auch den Hinweis bezüglich offenkundiger Versu- che politischer Einflussnahmen auf diesen Entscheidungspro- fassungsschutzpolitischen Setzung, de- zess. 127 Ebd., S. 73f. Die Zuständigkeitsfrage kann im Falle Pe- sungsschutzgüter tatsächlich zu beein- 31 gidas umstritten sein. Das maßgebliche trächtigen oder außer Kraft zu setzen. «Orgateam» ist im Raum Dresden aktiv Träger einer Bestrebung ist in der Regel und betätigt sich in der Landeshaupt- ein Personenzusammenschluss, der ei- stadt; insoweit obliegt die Entscheidung nen gemeinsamen Zweck verfolgt; die dem LfV Sachsen. Allerdings ist die bun- nähere Organisationsform kann dahin- desweite Resonanz unzweifelhaft gege- stehen.130 Demnach ist Pegida nicht rele- ben; hier hat die Entscheidung des LfV vant als Gesamtheit der Versammlungen Sachsen vorentscheidende Auswirkun- unter diesem Namen einschließlich aller gen auf das Tätigwerden oder Untätig- Teilnehmenden, sondern zuerst hinsicht- bleiben aller Partnerämter. Anders verhält lich des Verhaltens der maßgeblichen es sich mit den getrennt vom Dresdner OrganisatorInnen . Diese müssen nicht «Orgateam» aktiven Pegida-Ablegern in selbst extremistisch sein – es genügt, anderen Bundesländern, die in die Zu- wenn sie durch eine Kernorganisation ständigkeit anderer Landesämter fallen «extremistisch beeinflusst»131 sind: «Ver- und die wiederum ganz andere Beurtei- fassungsschutzrelevante Bestrebungen lungen treffen können. Aber auch hier können sich schließlich als Einflussnah- ist das überregionale Echo vorhanden, me von Extremisten, respektive extre- etwa durch die Tatsache, dass von Dres- mistischen Personenzusammenschlüs- den aus eine «Deutschland-Orga» beru- sen auf demokratische Organisationen fen wurde, die das Vorgehen der Ableger konkretisieren. Solche Bestrebungen über die Grenzen einzelner Bundesländer konzentrieren sich vor allem auf Bewe- hinaus zu koordinieren beanspruchte. Es gungen, Kampagnen und Aktionsbünd- kann nur gemutmaßt werden, dass die nisse.»132 Entscheidend ist unter Beach- Gemengelage den Abstimmungsprozess tung aller Umstände die Erfüllung von innerhalb des Verfassungsschutzverbun- gesetzlich konkretisierten Gefahrentat- des und damit den Vorlauf einer mögli- beständen, namentlich die Gefährdung chen Beobachtung erheblich verkompli- des Bestandes und/oder der Sicherheit ziert hat. eines Landes oder des Bundes – etwa Die nachrichtendienstliche Beobachtung durch politisch motivierte Gewaltanwen- gilt sogenannten Bestrebungen, verstan- dung –, vor allem aber die Beeinträch- den als «politisch bestimmte ziel- und tigung der freiheitlich demokratischen zweckgerichtete Verhaltensweisen in ei- Grundordnung.133 nem oder für einen Personenzusammen- 128 128 § 4 Abs. 1 BVerfSchG. 129 Droste: Handbuch des Verfas- schluss», soweit sie «gegen die frei- sungsschutzrechts, S. 165. 130 Allerdings dürfte das Vorlie- heitliche demokratische Grundordnung gen formaler Organisationsmerkmale – Hierarchien, Funktio- nen, Satzungen, Mitgliederversammlungen, Mitgliedsbeiträge oder andere Schutzgüter des Gesetzes usw. – den Nachweis, dass ein Personenzusammenschluss gerichtet sind».129 Unerheblich ist dabei, vorliegt, erheblich erleichtern. Siehe unten, Fn. 144. 131 Die Wendung geht zurück auf die praktische Erfordernis in den inwieweit eine solche Bestrebung legal 1970er Jahren, «kommunistisch beeinflusste Organisationen», vulgo auch das Spektrum sogenannter SympathisantInnen, oder illegal im Sinne des Strafgesetzes identifizieren und hernach in die Verfassungsschutzberich- ist. Verfassungsschutzrelevant werden te aufnehmen zu können. Vgl. Seifert: Hoheitliche Verrufser- klärungen? 132 Droste: Handbuch des Verfassungsschutz- solche Bestrebungen, soweit sie über rechts, S. 170f. Diese Definition orientiert sich allerdings an die bloße Meinungsäußerung hinausge- Neuen Sozialen Bewegungen, die üblicherweise nicht der ex- tremen Rechten, sondern der politischen Linken zuzurechnen hen und zudem darauf abzielen, Verfas- sind. 133 Vgl. § 4 Abs. 1 BVerfSchG. 32 Erst wenn dafür «tatsächliche Anhalts- Sache, dass ungeachtet der gesetzli- punkte» vorliegen, dürfen (gegebenen- chen Bestimmungen, die das Vorliegen falls verdeckt) Informationen erhoben des Verdachts immer schon vorausset- («beobachtet») und ausgewertet wer- zen, der Verdacht selbst erst bekannt den. Das Fehlen solcher Anhaltspunk- gemacht und überprüft werden muss. te – gewissermaßen eines Tatverdachts – Eben hieraus begründet sich die Funk­ bedeutet schlicht die Unzuständigkeit tion der Verfassungsschutzbehörden als der Verfassungsschutzbehörden. Wenn «Frühwarnsystem».136 De facto können tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, «tatsächliche Anhaltspunkte» sogar al- darf und muss nach Legalitätsprinzip ei- les sein, was über den Bereich «bloßer ne Beobachtung erfolgen.134 Jedoch er- Mutmaßungen, Hypothesen oder Pro- geben sich in dem weiten Vorfeld ganz gnosen» hinausreicht137 und damit nicht erhebliche Ermessensspielräume, in de- gegen das Willkürverbot verstößt. Be- nen das Opportunitätsprinzip greift: Die reits ein Minimum an Anhaltspunkten Beobachtung ist nicht erst dann zuläs- kann die Erforderlichkeit der (weiteren) sig, «wenn eine auf unmittelbare Beein- Beobachtung begründen. Ein derartiger trächtigung der […] Schutzgüter gerich- Extremismusverdacht kann auch ange- tete Handlung gewärtigt wird, sondern nommen werden in der «Gesamtschau bereits dann, wenn objektive Umstän- aller vorhandenen tatsächlichen Anhalts- de, Indizien, den Verdacht einer verfas- punkte […], wenn jeder für sich genom- sungsfeindlichen Bestrebung aufkom- men einen solchen Verdacht noch nicht men lassen».135 Es liegt in der Natur der zu stützen vermag».138

134 Vgl. Droste: Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. 199. 135 Ebd., S. 176. 136 Ebd. 137 Ebd., S. 177. 138 Ebd. 5 Pegida als ständiger Prüffall 33

Das Vorgehen der Verfassungsschutz- dessen einschlägigen Kriterien zu abwei- ämter beginnt in der Regel mit einer so- chenden, ja gegensätzlichen Ergebnis- genannten Prüffallbearbeitung, die ei- sen zu gelangen. nen vorliegenden Verdacht139 erhärten Man kann dies an den Verfassungs- (oder auch ausräumen) soll. Erst wenn schutzberichten selbst ablesen und der dem Prüffall geltende Verdacht ve- daraus neuerliche Hinweise auf die rifiziert werden kann, wird eine Bestre- möglichen Gründe der inkonsistent er- bung zum Beobachtungsobjekt, über scheinenden (Nicht-)Bewertungen Pegi- das (auch) mithilfe nachrichtendienstli- das gewinnen: cher Mittel systematisch Informationen Träger von Bestrebungen als basalen gesammelt werden dürfen. Prüffälle sind Entitäten nachrichtendienstlicher Beob- demnach nur potenzielle Beobachtungs- achtung können Personenzusammen- objekte. Das LfV Sachsen behandelt Pe- schlüsse unterschiedlichster Art sein; gida offenbar als solchen Prüffall. Pegi- diese werden zumeist verstanden als da ist daher von einer systematischen, Vereinigungen mit formalen, oft hierar- gegebenenfalls mit nachrichtendienstli- chisch geschichteten, funktionell strati- chen Mitteln operierenden Beobachtung fizierten Organisationsprinzipien. Diese bis auf Weiteres140 ausgenommen, aber eingeschränkte Sicht verkennt, dass na- eben nicht von einer dienstlichen Befas- mentlich das rezente Spektrum der ex- sung überhaupt, die eine Eignung des tremen Rechten eine «rhizomatische» Prüffalls zum Beobachtungsobjekt erst Netzwerkstruktur aufweist, deren Be- erweisen soll.141 Das Thüringer LfV bei- standteile nicht hierarchisch aufeinan- spielsweise hält dies im Falle des dorti- der bezogen sein müssen, oder es aber gen Pegida-Ablegers Sügida bereits für sein können, ohne derselben Kernstruk- gegeben. Dort lägen, im Gegensatz zu tur anzugehören.143 Eine daran orientier- Sachsen, tatsächliche Anhaltspunkte te Begriffsbildung gibt es bei den Ver- dafür vor, «dass die Initiative von Rechts- 142 139 Dieser Begriff von Verdacht ist nicht zu verwechseln mit extremisten ausgegangen sei». Dem- dem gleichlautenden strafprozessualen Begriff, der Abstufun- nach ist Sügida bereits Beobachtungs- gen kennt und dessen Ausermittlung auch entlastende Um- stände einschließen muss. 140 Aber: «Unter Umständen» – objekt im Gegensatz zu Pegida, nach Wahrung der Verhältnismäßigkeit, Willkürverbot – sei «zur dessen Vorbild das Thüringer Bündnis definitiven Erklärung von ‹Dauerverdächtigungen› auch der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel angezeigt», so Droste in gleichwohl entstanden war. Da freilich dem Handbuch des Verfassungsschutzrechts (S. 462). 141 Bei Droste (ebd., S. 180) wird in diesem Zusammenhang ein auf- die Inhalte und Erwägungen einer Prüf- schlussreicher Hinweis auf die Ansicht des BVerfG gegeben, fallbearbeitung öffentlich nicht bekannt wonach Angriffe auf die Daseinsberechtigung anderer Partei- en durch die Bezeichnung als «Lizenz- oder Monopolparteien» sind, ist auch nicht bekannt, inwieweit oder der Vorwurf, die «vitalen Interessen des deutschen Volkes sich die Maßstäbe zwischen den Verfas- zu verraten», als Angriff auf das Demokratieprinzip und inso- weit als Verstoß gegen die FdGO gewertet werden können. Die sungsschutzbehörden unterscheiden. Nähe dieser Beispiele zu Pegida-Parolen wie «Volksverräter» ist so offensichtlich wie bislang folgenlos. 142 «Sügida»: Rechts- Aber ein recht weiter Ermessensspiel- extreme wollen Gunst der Stunde nutzen, unter: www.mdr. raum ist offensichtlich gegeben, und er de/thueringen/sued-thueringen/suegida_hintergruende100. html. 143 Vgl. Griffin, Roger: ’s new faces (and new lässt es auch namentlich im Falle Pegi- facelessness) in the «post-fascist» epoch, in: Griffin, Roger u. a. das zu, nach dem verfassungsschütze- (Hrsg.): Fascism Past and Present, West and East. An Internati- onal Debate on Concepts and Cases in the Comparative Study rischen Begriffsinstrumentarium und of the Extreme Right, Stuttgart 2006, S. 29–67. 147 34 fassungsschutzbehörden nicht, zumal Legaldefinition gekommen sind. Es sich deren Begriffe weder einem wissen- handelt sich um Wert- und Strukturprin- schaftlichen Diskurs verdanken noch ei- zipien, die nach herrschender Meinung nem solchen Diskurs offenstehen. Für für den Bestand und den Charakter der eine Einordnung Pegidas könnte es sich gesellschaftlichen Ordnung in der Bun- allerdings als entscheidend erweisen, sie desrepublik Deutschland als zentral und nicht als Organisation, sondern als Be- wesentlich erachtet werden.148 Die kano- wegung oder Netzwerkstruktur zu ana- nisierten Elemente der FdGO teilweise lysieren.144 oder ganz außer Kraft setzen zu wollen Die Verfassungsschutzberichte kennen macht aus einer beliebigen Bestrebung wohl den Begriff Rassismus, der regel- eine extremistische und begründet die mäßig als Element nationalsozialisti- Zuständigkeit der Verfassungsschutzbe- scher Ideologie aufgezählt wird. Aber hörden. Allerdings sind Plausibilität und als typische Zeichen des Rechtsextre- Konsistenz der FdGO-Formel nicht un- mismus werden nicht ein kritisches Be- umstritten,149 insbesondere ist sie in der griffskonzept des Rassismus, sondern sozialwissenschaftlichen Forschung von wissenschaftlich weithin kritisierte Kon- zepte der Fremdenfeindlichkeit und – als 144 Ein Beispiel für die «Bevorzugung» klar konturierter Orga- nisationsstrukturen findet sich in LfV Sachsen: 5 Jahre, S. 33. Spezialfall – Ausländerfeindlichkeit be- In einem dort abgedruckten Lagebild heißt es, die «militanten 145 Rechtsextremisten bereiten besondere Sorge nicht nur wegen müht. Die zunehmende Verbreitung ei- ihrer relativ großen Anzahl im Freistaat Sachsen, sondern auch, nes kulturellen Rassismus und, hochak- weil sie nicht organisiert sind». Ob diese Desorganisationsthese zutrifft, sei einmal dahingestellt, aber nun liegt es auf die Hand, tuell, eines antimuslimischen Rassismus dass die «Ortung» verfassungsschutzrelevanter Bestrebungen, im ideologischen Inventar der radikalen wie hier mehr oder weniger eingeräumt wird, an den Tatsa- chen vorbeigehen kann, wenn und weil Bestrebungen stär- und extremen Rechten146 wie auch insbe- ker organisierter Gruppen auch stärker wahrgenommen wer- den. 145 Droste: Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. sondere im Zusammenhang mit Pegida 181–183. 146 Vgl. z. B. Kuhn, Inva: Antimuslimischer Rassis- wird so entweder nicht wahrgenommen mus. Auf Kreuzzug für das Abendland, Köln 2015; Attia, Iman/ Häusler, Alexander u. a.: Antimuslimischer Rassismus am rech- oder muss «unbewertet» bleiben. Das ten Rand, Münster 2015. 147 § 4 Abs. 1, 2 BVerfSchG; vgl. hat unter anderem Folgen für die Gefah- Droste: Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. 196f. Nach abweichender Auffassung ist der FdGO-Katalog, wie ihn das renabschätzung, die in diesem Fall sich Bundesverfassungsgericht versteht, nur eine mögliche Ausle- gung des Begriffs FdGO im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG, zu der nur noch schwerlich auf eine Situierung es andere Begriffe oder wenigstens andere Operationalisie- in aktuellen gesellschaftlichen Diskursen rungen geben könnte. Vgl. Abendroth, Wolfgang: Recht und Politik in der Demokratie, in: Abendroth, Wolfgang: Antagonis- und damit auch auf die Wirkmacht einer tische Gesellschaft und politische Demokratie, Neuwied/Berlin Bestrebung beziehen kann. 1967, S. 146ff. 148 Nach BVerfGE 2,1 sind dies: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor Für die Entscheidung, ob sich eine Be- allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die strebung gegen die Freiheitlich demo- Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der kratischen Grundordnung (FdGO) richtet Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrpar- teienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Par- und damit einen verfassungsschutzre- teien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Aus- levanten Tatbestand erfüllt, sind die Kri- übung einer Opposition. 149 Vgl. zu problematischen Effekten Liebscher, Doris: FDGO – Zur Idealisierung des verfassungs- terien maßgeblich, wie sie anlässlich rechtlichen Demokratiebegriffs in der Extremismusdebatte, in: Feustel, Susanne/Stange, Jennifer u. a. (Hrsg.): Verfassungs- der Verbote gegen die Sozialistische feinde? Wie die Hüter von Denk- und Gewaltmonopolen mit Reichspartei (SRP) 1952 und die Kom- «Linksextremismus» umgehen, Hamburg 2012, S. 123–133; Liebscher, Doris: Wahnsinn und Wirkungsmacht, in: Burschel, munistische Partei Deutschlands (KPD) Fritz/Schubert, Uwe u. a. (Hrsg.): Der Sommer ist vorbei … Vom 1956 entwickelt wurden und im Bun- «Aufstand der Anständigen» zur «Extremismus-Klausel». Bei- träge zu 13 Jahren «Bundesprogramme gegen Rechts», Müns- desverfassungsschutzgesetz zu einer ter 2013, S. 103–118. 150 nebensächlicher Bedeutung und wird die Abschaffung des Grundrechts auf 35 selbst im Kontext der institutionalisier- Asyl zu agitieren. ten Extremismustheorie nicht identisch Man sieht: Es gibt Gründe, die eine Ein- übernommen, sondern im Sinne der tat- schätzung Pegidas durch Verfassungs- sächlichen Spannweite als extremistisch schutzbehörden, gleich welche, er- verstandener Phänomene in verschie- schweren. Diese Gründe liegen nicht denster Weise ausdifferenziert, teils auch notwendig bei Pegida, sondern sind auf durch andere Konzepte substituiert. 151 die politische Stellung der Ämter, ih- Zur Grundordnung werden bestimmte re Opportunitätserwägungen und die Grundrechte nicht gezählt, die selbst ei- durchaus strittigen, jedoch rechtlich nen hohen Verfassungsrang haben, et- stark befestigten Rubrizierungen zu- wa die Pressefreiheit; daher ist selbst rückzuführen. In ganz verschiedenen wiederholtes handgreifliches Vorgehen Dimensionen zeigt Pegida somit die gegen JournalistInnen nicht gleich Ext- strukturell bedingten Grenzen der Ver- remismus und damit verfassungsschutz- fassungsschutzbehörden auf und damit relevant. Letztlich sind die Elemente der freilich auch die begrenzte Aussagekraft FdGO Strukturprinzipien institutionali- ihrer allzu apodiktischen154 Darstellun- sierter Politik im demokratischen Verfas- gen in den Verfassungsschutzberichten. sungsstaat, umfassen daher also nicht Dies zieht sukzessive die Richtigkeit und annähernd das gesamte Feld demokra- Zweckmäßigkeit dieser Darstellungen in tischer Aushandlung,152 sondern nur ihre Zweifel. souverän-etatistische Seite.153 Zur Grund- ordnung gehört etwa das Recht auf Bil- dung und Ausübung einer Opposition, aber der grundgesetzliche Kontext dieser Bestimmung lässt keinen Zweifel daran zu, dass hier parteiförmige, parlamenta- risch orientierte Opposition gemeint ist. Eine Bestrebung ist also auch nicht des- 150 Zur weitergehenden Auseinandersetzung vgl. die Beiträge in Forum für kritische Rechtsextremismusforschung (Hrsg.): wegen extremistisch, weil sie institutio- Ordnung. Macht. Extremismus. 151 Vgl. etwa Pfahl-Traugh- nenfern gegen die Interessen anderer ber, Armin: Der Extremismusbegriff in der politikwissenschaftli- chen Diskussion, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hrsg.): Jahr- Bevölkerungsteile agitiert, solange Men- buch Extremismus & Demokratie 1992, 1992, S. 67–88. schenrechte oder hoheitliche Interessen 152 Das wird auch daran deutlich, dass der FdGO – anders, als im Grundgesetz konkretisiert – informell eine gegen gesell- nicht nachweislich tangiert sind. Es kann schaftliche Entwicklungen resistente Bestandsgarantie beige- geben ist. Es könne nicht verschiedene freiheitlich demokrati- auch deutlich antidemokratische Bestre- sche Grundordnungen geben, sondern nur eine, so jedenfalls bungen geben, die unter für sie «günsti- Droste (Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. 196). Jede Revision des FdGO-Katalogs hätte demnach zur paradoxen Fol- gen» Voraussetzungen – das heißt, wenn ge, dass die bisher so beschriebene Ordnung dann zwingend sie sich nicht offen gegen den demokra- keine freiheitlich demokratische Grundordnung gewesen wäre. Die Kodifizierung der FdGO ist für die Verfassungsschutzämter tischen Verfassungsstaat und dessen in- im Laufe der Jahre immer wieder auch Anlass gewesen, Kritik an dieser Normierung mit einer Bestrebung gegen die FdGO stitutionelle Voraussetzungen richten – zu verwechseln und sie wenigstens als illegitim, wenn nicht als den Verfassungsschutz schlechterdings extremistisch abzuqualifizieren. Vgl. bereits für das Jahr 1975 Seifert: Hoheitliche Verrufserklärungen? Vgl. für die Jahre 2011 nicht interessieren können: So ist es auch und 2012 die jeweiligen sächsischen Verfassungsschutzbe- nicht automatisch ein Verstoß gegen die richte, S. 110f. bzw. 147. 153 Zur «schmittianischen» Deutung siehe oben, Fn. 123. 154 Vgl. Seifert: Hoheitliche Verrufserklä- FdGO, aus rassistischer Motivation für rungen? 36 6 Reziproke Anpassung

Wen braucht es jetzt noch zu interes- Umständen bewusst darauf aus, für Si- sieren, ob und wie Verfassungsschutz- cherheitsbehörden nicht ohne Weiteres behörden die Pegida-Bewegung wahr- erkennbar, greifbar und durchdringbar nehmen, sie bewerten oder nicht, zu werden. Mithilfe dieser «Repressi- beobachten oder nicht? Zumindest Pegi- onshypothese» werden unter anderem da wird es interessieren, wenn wir Olaf die weitreichenden organisatorischen Sundermeyer folgen: «Die Veranstalter Wandlungen des deutschen Neonazis- achten in den Redebeiträgen und bei der mus seit Mitte der 1990er Jahre erklärbar öffentlich dargestellten Symbolik pein- «als taktische Anpassungen an staatliche lich darauf, dass sie verfassungskon- Sanktionsmechanismen».156 Auch eine form sind. Auf diese Strategie gründet bekannt gewordene Beobachtung durch der zwischenzeitliche Erfolg von Pegida: eine Verfassungsschutzbehörde oder die auf der Verschleierung des eigentlichen Erwähnung in einem Verfassungsschutz- Wesens, das die Summe der menschen- bericht stellen einen solchen Sanktions- feindlichen Einstellungen ihrer Sym- mechanismus dar. Daraus ergeben sich pathisanten ist.»155 Wie schon die hohe nicht nur Nachteile für Außendarstellung Medienrelevanz und der faktische Exper- und Diskursposition – wer als extremis- tenstatus von Äußerungen der Verfas- tisch erkannt ist, wird außerhalb demo- sungsschutzbehörden zeigen, verhalten kratischer Diskurse gestellt –, sondern sie sich auch gegenüber den (potenziel- es können sich auch materielle Nachtei- len) Beobachtungsobjekten und der an le ergeben, etwa durch ein Abschneiden ihnen hängenden Teilöffentlichkeiten von Fördermitteln oder eine Aberken- nicht kontemplativ, sondern erzeugen ei- nung der Gemeinnützigkeit eines einge- ne Resonanz, mithin eine bewusste Re- tragenen Vereins. Mithin kann niemand aktion, die dann wieder eine behördliche ein Interesse haben, als Extremist zu gel- Reaktion und weitere wechselseitige Ef- ten und so behandelt zu werden, am we- fekte nach sich ziehen kann. Auch wenn nigsten natürlich jene, auf die das bereits nachrichtendienstliche Tätigkeit im We- zutrifft oder noch zutreffen könnte. Die sentlichen als «Beobachten» bezeichnet Frage, wie Verfassungsschutzbehörden und (miss-)verstanden wird, verändert Pegida bewerten, wird also, wenn wir ra- das bei den betroffenen Personen entste- tionale Berechnung voraussetzen, zuvör- hende Bewusstsein über die vorhandene derst Pegida selbst interessieren. oder drohende Beobachtung womöglich Ein Beispiel dafür ist eine Rede des Pe- die Ausdrucksformen oder gar struktu- gida-Frontmanns Lutz Bachmanns, die rellen Rahmenbedingungen ihres Verhal- er am 27. April 2015 in Leipzig bei einer tens. Legida-Demonstration hielt. Bachmann Dieser Zusammenhang – er tritt nicht erst sprach das erste Mal bei Legida. Denn beim Einsatz «invasiver» Methoden oder obgleich Legida der größte Pegida-Ab- gar menschlicher Quellen mit doppelten leger ist, verhielt sich das Dresdner «Or- Loyalitäten auf – darf nicht unterschätzt werden: Organisationsmodelle der re- 155 Sundermeyer: Rechts liegen lassen. 156 Zit. nach: Schulz, Peter: Neue Nazis. Wie und warum sich die radikale Rechte ver- zenten extremen Rechten gehen unter ändert, in: Berliner Debatte Initial 1/2014, S. 26. gateam» zunächst distanziert – wohl extremistisch zu sein, könnten sie «das 37 nicht zuletzt, weil Legida unter anderem Spiel» der Extremismusbeobachtung je- nach Ansicht des LfV Sachsen als radika- denfalls nicht aus eigenem Erleben ken- ler galt. Bachmann leitete seinen späten nen. Was meint Bachmann dann? Er Einstand in Leipzig dann wie folgt ein: imaginiert eine sich und seine Anhänge- «Es ist mir eine große Ehre, heute Abend rInnen betreffende, bedrohliche Repres- hier sprechen zu dürfen. Mein Name sionslage. Er illustriert sie dahingehend, ist Lutz Bachmann […]. Ich freue mich, dass er gar nicht das vortragen könne dass – also, ich muss kurz was erklären. und dürfe, was er «eigentlich» sagen Ich lese immer ab, aus einem einfachen wolle, und er deswegen gezwungen sei, Grund. Es sind immer Redebeobachter am Skript zu bleiben; was er nämlich «ei- da, wenn ich spreche, die das dann an gentlich» vortragen wolle, würde dazu den Verfassungsschutz geben etc., etc., führen, dass im Nachgang etwas «pas- ihr kennt das Spiel. Deswegen halte ich siert». Man weiß nur nicht, was. mich an dieses Redeprotokoll, damit mir Man mag das alles deuten als Bach- im Nachgang da nix passieren kann.»157 manns schlichten Versuch, seine an- Die Suggestion, es gebe «Redebeob- sonsten recht unspektakuläre Rede achter» vor Ort, die einer Behörde Mel- gehörig aufzuwerten durch die Rekla- dung über die Inhalte erstatten würden, mation einer von außen kommenden ist freilich wirklichkeitsfremd: Vor Ort ist Aufmerksamkeit, die für jene besonde- Polizei, die beim Verdacht auf Straftaten re Brisanz bürgt, die dem abgelesenen eingreifen würde. Seitens der Verfas- Text sonst keineswegs zukäme. Es kann sungsschutzämter droht Bachmann un- sein, dass Bachmann – rhetorisch nicht mittelbar gar nichts, außer dass genau unbegabt – einen solchen Eindruck er- das bekannt wird, was er vorträgt, und wecken wollte. Es kann aber auch sein, darin besteht der Zweck jedes öffentli- dass die «Repressionshypothese» hier ei- chen Vortrags. Eine Besorgnis hinsicht- nen anderen Zweck hat. Man muss da- lich des Inhalts der Rede wird kaum be- zu wissen, dass Legida noch im Januar standen haben, denn sie wurde von den 2015 zwei Mal jeweils bis zu 5.000 Men- Legida-OrganisatorInnen live über einen schen mobilisiert hatte. Nun, Ende April, Internetstream verbreitet. Wer sich tat- bei und trotz Bachmanns Rede, waren sächlich sorgte, eine frei vorgetragene es gerade noch 300. Er sprach bei Legi- Rede könne auch nur missverständlich da als dem noch immer quantitativ ge- sein und unangenehme Folgen zeitigen, sehen bedeutendsten Pegida-Ableger, würde nicht nur auf die freie Rede selbst, jedoch zu einer Zeit, als dieser Ableger sondern auch auf ihre Übertragung ver- seine Bedeutung schon wieder fast voll- zichten, die eine Entgrenzung des Publi- ständig eingebüßt hatte. Das ist, was kums darstellt und damit das Risiko birgt, es ist: eine politische Niederlage. Bach- das Gesagte nicht mehr leugnen oder mann lieferte, ob gewollt oder nicht, ei- widerrufen zu können. Warum nimmt ne Erklärung für diese Niederlage: Eine Bachmann aber obendrein an, sein Pu- aufmerksame, gleichsam auf der Lau- blikum kenne «das Spiel», von dem er er liegende Behörde habe es unmöglich behauptungsweise spricht? Soweit die Pegida-Bewegung darauf besteht, nicht 157 Transkript der Rede Bachmanns nach Audiomitschnitt. 162 38 gemacht, die «richtigen» Inhalte zu the- spreche. Neben der zeitgleich erfolgten matisieren, und sei damit ein effektives Spaltung Pegidas in Dresden drohte da- Hindernis für den Erfolg der Pegida- und mit auch die Expansion in andere Städ- Legida-Mobilisierungen gewesen. Derlei te zu scheitern. Kurz darauf trat Hoyer Erklärungen, wenn auch wenig schlüs- jedoch unter Hinweis auf seine «gesund- sig, können für den Bereich der extremen heitliche Verfassung» zurück und fortan Rechten als konventionell gelten.158 Dass bei Legida nicht mehr in Erscheinung.163 die artikulierte Wahrnehmung im vorlie- Anschließend kam es zu einer engen Zu- genden Fall mit der tatsächlichen Rolle sammenarbeit von Pegida und Legida. der Verfassungsschutzbehörden über- Offenbar handelte es sich weniger um haupt nicht übereinstimmt, ändert frei- gesundheitliche Gründe als um einen tak- lich nichts an der (möglichen) Wirkung tischen Zug, der den Eindruck der «Ent- einer solchen Wahrnehmung.159 radikalisierung» erwecken sollte, wie ein Die von Verfassungsschutzämtern ver- beteiligter Akteur – mit Götz Kubitschek tretene Annahme, sie seien geeignet, immerhin ein führender Kopf der Neuen politische Bestrebungen «durch eine ar- Rechten in Deutschland – erinnert: gumentative politische Auseinanderset- «Das Dresdner Orgateam wußte um die zung in die Schranken zu verweisen»,160 härtere Gangart in Leipzig und schätzte zeigt, dass dieses Kalkül den Ämtern, die Gefahr richtig ein: Es würde alles da- die sich auch nur irgendwie über Pegi- rauf ankommen, auch in Leipzig den da äußern, nicht nur bewusst ist: Sie bürgerlichen Anteil der Protestierenden können im Sinne des «positiven Verfas- hoch zu halten […] In dieser Phase dis- sungsschutzes» Einfluss auf die Ent - tanzierte sich das Dresdner Orgateam wicklung einer Bestrebung nehmen. von der LEGIDA, und zwar just an dem Dass und wie das tatsächlich gesche- Mittwoch, als man in Leipzig zu einer von hen kann, demonstriert das Binnenver- Dresden aus unterstützten Demonstra- hältnis von Pegida und Legida sehr gut. tion zusammenkam […] Ich fuhr am 23. Als maßgeblicher «Wortführer» Legidas Januar nach Dresden und trug vor. Da- galt ursprünglich (Dezember 2014/Ja- nach sondierte das Orgateam die Bedin- nuar 2015) der Heidenauer Jörg Hoyer, gungen, unter denen die Dresdner be- der sich als Pressesprecher bezeichne- reit sein würden, die Distanzierung von te. Journalistische Veröffentlichungen den Leipzigern zu widerrufen […] Vor al- über Hoyer schrieben ihm Äußerungen lem an Frau Oertel [damals Pegida-Pres- zu, die auch maßgeblich waren für pub-

lizierte Einschätzungen des LfV Sachsen, 158 Vgl. Schulz: Neue Nazis, S. 26. 159 Noch auf die Spitze Legida in Leipzig sei «entschlossener und getrieben wurde das Repressionsnarrativ durch MVgida in Stralsund und Schwerin, wo über angebliche Versuche be- 161 viel radikaler» als Pegida in Dresden. richtet wurde, V-Leute anzuwerben; vgl. Roll, Udo: MVgida Unmittelbar nach Veröffentlichung die- und der Verfassungsschutz. Islamgegner fühlen sich beob- achtet, 30.1.2015, unter: www.nordkurier.de/mecklenburg- ser Vorwürfe, den journalistischen wie vorpommern/islamgegner-fuehlen-sich-verfolgt-3012693401. html. 160 Droste: Handbuch des Verfassungsschutzrechts, S. den verfassungsschützerischen, kündig- 460. 161 Vgl. Müller: Die dubiosen Gestalten. 162 Vgl. Streit te das Pegida-Orgateam ebenso öffent- zwischen Islamkritikern. «Pegida» prüft Klage gegen «Legi- da», 21.1.2015, unter: www.tagesschau.de/inland/pegida-le- lich eine Unterlassungsklage gegen Le- gida-101.html. 163 Vgl. Wohin steuern Pegida und Legida?, gida an und teilte mit, dass der Leipziger 3.2.2015, unter: www.mdr.de/sachsen/dresden/neuausrich- tung-pegida-legida100_cpage-3_zc-93feff68_zs-6689deb8. Ableger nicht im Namen der Bewegung html. sesprecherin; F.K.] war die Suche nach des größten Zulaufs Ende 2014 und An- 39 einem verläßlichen Maßstab mimisch fang 2015 eine weitreichende öffentliche abzulesen, und sie trug am Ende der Sit- Würdigung erfuhr.166 Und letztlich war zung folgenden Kompromiß mit: Aus- auch die in Reden immer wieder erhobe- schluß des radikalen Redners Hoyer aus ne Forderung, durch «die Politik» gehört dem Orgateam der LEGIDA.»164 zu werden, nur glaubwürdig aufrechtzu- Das «Problem» der relativen Radikalität erhalten unter der Voraussetzung, nicht Legidas war, wie gesagt, massenme- bereits als ExtremistInnen außerhalb dial gestellt worden, fundiert durch die der gesellschaftlich akzeptierten Diskur- als privilegiert behandelte Einschätzung se verortet zu sein. Die Realisierung die- des LfV Sachsen, und war insoweit für ser Forderung war dann nichts anderes das «Orgateam» in Dresden völlig ernst als die ihr entgegenkommende «Dia- zu nehmen. Der «Ausschluss» Hoyers logstrategie» der sächsischen Staatsre- war die Reaktion darauf, mit der die in gierung. Sie teilte sich, wie wir jetzt se- der Presse identifizierte Quelle der Ra- hen, mit dem Vorgehen Pegidas dieselbe dikalisierung entfernt wurde. Demnach Voraussetzung: dass Pegida nominell war die amtliche Warnung vor einer ver- demokratisch bleibt, dass also das LfV gleichsweise größeren Radikalität Le- Sachsen den Prüffall Pegida einstweilen gidas nicht ohne Wirkung geblieben.165 einen Prüffall sein lässt, eben eine – so zi- Ob der so erzeugte Effekt wirklich eine tiert der schleswig-holsteinische VSB die Entradikalisierung bedeutete, sei dahin- Ansicht der sächsischen KollegInnen – gestellt. Aber die Erzielung des Effekts «nicht offenkundig extremistische»167 Be- ermöglichte wiederum erst die offene strebung. Eine bewusste Berechnung sei Annäherung der Gruppen in Leipzig und damit keinesfalls unterstellt, sehr wohl Dresden, inbegriffen mögliche Synergie- aber an die Informations-, das heißt poli- effekte, eben bis hin zum Auftritt Bach- tikberatende Funktion168 der ÄfV erinnert. manns bei Legida, bei dem er vor dem Verfassungsschutz warnte. Von solchen einzelnen Episoden abge- sehen, zeigt sich in der Draufsicht, dass die «Strategien» Pegidas – wenn auch zu- nächst eher in geringem Maße geplant – nur aussichtsreich zu verwirklichen wa- ren unter der Voraussetzung, nicht als extremistisch eingestuft zu werden. Das 164 Kubitschek, Götz: Der Aufstand der Bürger, in: Sezes­sion betrifft zunächst die ausgeprägte De- 3/2015, Sonderheft Pegida, S. 12f. 165 Mit der Aufmerksam- keit des Verfassungsschutzes hatte Hoyer in seiner Rede bei monstrationspolitik, der weithin zugu- der ersten Legida-Versammlung am 12. Januar 2015 noch ko- tegehalten wurde, sie sei eine legitime kettiert: «Ich möchte mich erst mal vorstellen. Mein Name ist Hoyer. Ich bin der Pressesprecher dieser Bürgerbewegung Inanspruchnahme der Grundrechte auf der Legida. Viele kennen mich durch meine schriftlichen Wer- ke, die beim Verfassungsschutz schon auf etwas Gegenliebe Meinungs- und Versammlungsfreiheit. gestoßen sind» (Transkript nach Audiomitschnitt). 166 Vgl. Das betrifft auch das Aufstellen der ver- Begrich, David: Pegida: ein genuin ostdeutsches Protestfor- mat? Aspekte und Fragen an eine Mobilizing Ressource, in: schiedenen Forderungskataloge auf dem Burschel (Hrsg.): Aufstand der «Wutbürger», S. 53–57. 167 Mi- Wege «basisdemokratischer» Akklama- nisterium für Inneres Schleswig-Holstein: Verfassungsschutz- bericht 2014, S. 46. 168 Vgl. dazu z. B. Horchem: Die geächte- tion – ein Vorgehen, das in der Phase ten Verfassungsschützer. 40 7 Pegida und die Grenzen des Verfassungsschutzes

Eine «nicht offenkundig extremistische» sprüchliche Befunde erteilt wurden, die Bestrebung ist eine contradictio in adiec- sich gegenseitig infrage stellen. Der we- to, denn es existieren nur zwei disparate nigstens durch einige Landesämter kon- Modalitäten: Entweder es liegen tatsäch- statierten Tragweite der Pegida-Bewe- liche Anhaltspunkte für eine extremisti- gung, ob extremistisch oder nicht, wird sche Betätigung vor oder eben nicht. Kei- das nicht gerecht. ne andere falsche Formulierung bringt Dieser Fehlleistung steht eine Diskurs- die Verlegenheit der Verfassungsschutz- macht der Verfassungsschutzbehörden ämter angesichts Pegidas besser auf den gegenüber, die sich ungeachtet offen- Punkt, und keine andere falsche Formu- kundiger inhaltlicher Probleme nicht nur lierung bezeugt so deutlich, wie wenig auf die massenmediale Rezeption Pegi- Stichhaltiges die Ämter – insbesondere das auswirkt, sondern zumindest epi- das sächsische – zur Einschätzung Pe- sodenhaft, ob bezweckt oder nicht, auf gidas beizutragen haben. Das mag sich die Entwicklung der Bewegung selbst in Zukunft ändern. Doch statt des «Fern- durchschlägt. Im Hinblick auf den Ver- lichts» der Demokratie kann es sich such, das Pegida-Phänomen und die ge- dann, um in der Metapher zu bleiben, nur sellschaftlichen Reaktionen darauf so- noch um ein Rücklicht handeln. zialwissenschaftlich zu erfassen, sollte Die hier unternommene ausführliche dieser Einfluss nicht unberücksichtigt Darstellung sollte zeigen, dass die La- bleiben. Der vorliegende Beitrag wollte ge in Wirklichkeit komplizierter ist, und ihn möglichst spekulationsarm erhellen sie wollte nicht von populären Irrtümern und erklären; Erwägungen, dass der Ein- über die Verfassungsschutzämter aus- fluss noch weiter gereicht haben mag,169 gehen, sondern von deren tatsächlicher bleiben davon unberührt. Tätigkeit – soweit sie bekannt ist – und Die Frage, was aus alledem folgt, lässt deren Effekten. Wie im Falle Sachsens sich ins Prinzipielle wenden: Was spricht gezeigt werden konnte, hatten die Ein- denn dafür, in einem demokratischen schätzungen des dortigen Landesamtes, System ausgerechnet einem gegenüber ob zutreffend oder nicht, einen Einfluss dem demokratischen und auch wissen- darauf, dass das sogenannte Dialogkon- schaftlichen Diskurs weitgehend abge- zept der Landesregierung, ob angemes- schotteten Nachrichtendienst die he- sen oder nicht, aufrechterhalten werden gemoniale Ausdeutung und Analyse konnte. In dem Moment, in dem eine politischer Tendenzen zu übereignen, Reihe untereinander vergleichbarer Ver- noch dazu, wenn die Analyse (nicht nur) fassungsschutzberichte vorlag, zeigte wissenschaftlich angreifbar ist? Die Ant- sich aber auch, dass die politische Hand- wort wird gemeinhin abhängig sein von lungssicherheit keineswegs durch eini- den normativen, gegebenenfalls auch germaßen einhellige Einschätzungen institutionellen Bezugssystemen derer, innerhalb des Verfassungsschutzver- die sie geben wollen, und kann hier nicht bundes abgesichert war, sondern dass höchst unterschiedliche, sogar wider- 169 Siehe oben, Fn. 29. entwickelt werden. Verbleiben wir bei gen äußerste Zurückhaltung auferlegt 41 dem hier verhandelten Sachverhalt, kann werden. Das schließt den Verzicht auf aber die engere Frage erwogen werden, die Veröffentlichung von Verfassungs- was zu folgern ist, wenn die Aufklärung schutzberichten ein; für die öffentliche der Öffentlichkeit in Gestalt der Verfas- Kontrolle der Ämtertätigkeit an sich ge- sungsschutzberichte zu fragwürdigen nügte ein (bislang nicht existierender) Darstellungen und unbegründeten Ir- Rechenschaftsbericht. Oder aber die Ver- ritationen führt und wenn sie relevante fassungsschutzämter bemühten sich um Tendenzen und sich daraus womöglich ein öffentliches Lagebild, das antidemo- ergebene Gefahren nicht behandelt. Mit kratische und menschenfeindliche Ten- Pegida verfehlt der Verfassungsschutz denzen gehaltvoll und nachprüfbar bilan- gerade das, was als eine einfluss- und ziert – in der gebotenen methodischen vermutlich folgenreiche soziale Bewe- Vielfalt und wissenschaftlichen Offen- gung von rechts verstanden werden heit, gegebenenfalls auch losgelöst von kann – der VSB Schleswig-Holsteins der Extremismussemantik und der ihr spricht immerhin von einer «für Prog- entsprechenden juristischen Dogmatik, nosen über die mittelfristige Entwick- also auch losgelöst von den nachrich- lung des Rechtsextremismus […] zent- tendienstlichen Instrumenten, die daran ralen Frage».170 Wenn es die Absicht der hängen. Eine Entwicklung in die eine wie Verfassungsschutzämter sein soll, «die die andere Richtung ist gleichwohl un- Burgerinnen und Burger durch Informa- wahrscheinlich. Beide Funktionsberei- tionen dazu zu befähigen, effektiv die che werden jeweils für sich bereits durch Verfassung schutzen zu können, dann andere Institutionen (hier Wissenschaft, muß jenes Amt doch genau die Informa- Medien und Zivilgesellschaft, dort der tionen bereitstellen, die das tatsächliche polizeiliche Staatsschutz) bearbeitet. Gefahrenpotential auszuleuchten in der Womöglich besser.172 Lage sind».171 Doch die angeblich «klare juristische Definition von Extremismus», der abschließende Aufgabenkatalog der Felix Korsch arbeitet als wissenschaftlicher Verfassungsschutzgesetze etwa, führt zu Mitarbeiter und freier Journalist in Dresden und den beschriebenen Begriffsverrenkun- Leipzig. Er forscht und publiziert schwerpunkt- gen. Offenbar treten, was beileibe kein mäßig zur außerparlamentarischen und extre- origineller Befund ist, zwei unterschiedli- men Rechten. che Wirkungssysteme des Verfassungs- schutzes untereinander in Konflikt: die Informations- und die Staatsschutzfunk- tion, die nicht beide zugleich erfüllt wer- den können. Eine nicht zu lösende Aufgabe aber 170 Ministerium für Inneres Schleswig-Holstein: Verfassungs- braucht gar nicht erst verfolgt zu werden. schutzbericht 2014, S. 19. 171 Gessenharter, Wolfgang: Ver- Es gibt hieraus zwei mögliche Auswe- fassungsschutzbericht 1998, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hrsg.): Jahrbuch Extremismus & Demokratie 2000, Baden- ge, nämlich das Unterlassen des einen Baden 2000, S. 447f. 172 So argumentieren u. a. Leggewie, oder des anderen. Den Ämtern könnte Claus/Meier, Horst: Nach dem Verfassungsschutz. Plädoyer für eine neue Sicherheitsarchitektur der Berliner Republik, Ber- also entweder für öffentliche Äußerun- lin 2012. Aktuelle Publikationen

Max Lill The Kids Are Alright? Ausgewählte Befunde aktueller Jugendstudien

Studie 01/2016, 38 Seiten Dezember 2015, ISSN 2194-2242 Download unter: www.rosalux.de/publication/42102

Helge Schwiertz und Philipp Ratfisch Antimigrantische Politik und der «Sommer der Migration» Rassistische Mobilisierungen, das deutsch-europäische Grenzregime und die Perspektive eines gegenhegemonialen Projekts

Analysen Nr. 25, 44 Seiten Dezember 2015, ISSN 2194-2951 Download unter: www.rosalux.de/publication/42062

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Luxemburg 3/2015 SMARTE NEUE WELT Diese Ausgabe der Zeitschrift fragt nach den strategischen Herausforderungen linker Politik: Wie hängt der digitale Wandel mit dem Umbau der Demokratie zusammen?

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Rosalux 3/2015 Europas Demokratie Über die Notwendigkeit einer radikalen Demokratisierung der Europäischen Union. Letzte «RosaLux»-Ausgabe in 2015 mit: Sommer der Migration, Arbeitskampf bei Amazon, Politische Krise in Westafrika, 25 Jahre Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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ANALYSEN Nr. 22, 2. Auflage wird herausge­geben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung V. i. S. d. P.: Stefan Thimmel Franz-Mehring-Platz 1 · 10243 Berlin www.rosalux.de ISSN 2194-2951 · Redaktionsschluss: Februar 2016 Layout/Herstellung: MediaService GmbH Druck und Kommunikation Lektorat: Text-Arbeit, Berlin Gedruckt auf Circleoffset Premium White, 100 % Recycling «Eine ‹nicht offenkundig extremistische› Bestrebung ist eine contradictio in adiecto [...]. Keine andere falsche Formulierung bringt die Verlegenheit der Verfassungsschutzämter angesichts Pegidas besser auf den Punkt, und keine andere falsche Formulierung bezeugt so deutlich, wie wenig Stichhaltiges die Ämter [...] zur Einschätzung Pegidas beizutragen haben.»

Felix Korsch

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