Völkischer Rechtsextremismus Im Nordosten Niedersachsens 4

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Völkischer Rechtsextremismus Im Nordosten Niedersachsens 4 »Die letzten von gestern, die ersten von morgen«? Völkischer Rechtsextremismus in Niedersachsen Herausgeberin: Amadeu Antonio Stiftung Niederlassung Niedersachsen Otto-Brenner-Straße 1 30519 Hannover Telefon 0511. 89 73 43 33 [email protected] www.amadeu-antonio-stiftung.de Autor: Falk Nowak Redaktion: Britta Kollberg Titelbild: Alfred Schierholz (CC BY 2.0 DE) Gestaltung: Design Litho/Druck: DRUCKZONE GmbH & Co. KG Gedruckt auf Envirotop Recycling 100% Altpapier © Amadeu Antonio Stiftung 2017 Alle Rechte vorbehalten. ISBN: 978-3-940878-20-5 Gefördert durch Inhalt Grußwort 2 Vorwort 3 Einführung: Völkischer Rechtsextremismus im Nordosten Niedersachsens 4 Was ist die völkische Ideologie? 5 Von der Wiking-Jugend zu den Artamanen. Völkische Präsenz in Nordost-Niedersachsen 9 Frauen, Familie und Bildung – pädagogische Herausforderungen und Möglichkeiten 17 Demographie, Sozioökonomie und Politik – Was tun im ländlichen Raum? 22 Literatur 24 Information und Beratungsstellen 25 Grußwort Liebe Leserinnen und Leser, das Leben auf dem Land hat für viele Menschen einen besonderen Reiz, die Nähe zur Natur, Ruhe oder auch wohnortnahe Versorgung mit Lebensmitteln, die nachhaltig in der Region angebaut werden, suchen. Gerade in den Dörfern wird oft viel Wert auf einen sorgsamen Umgang mit der Natur und Traditionen gelegt. Wie diese Broschüre zeigt, bietet dies aber auch Anknüpfungspunkte für Menschen, denen es darum geht, ihre völkischen und rassistischen Ideo- logien auszuleben. Diese verknüpfen z.B. den Wunsch nach gesunden, nachhal- tig angebauten Lebensmitteln mit esoterischen Vorstellungen oder übertragen vermeintliche Naturverhältnisse biologistisch auf das menschliche Zusammen- leben. Abstammung und völkische Traditionen, die alles vermeintlich Fremde oder Neue ausgrenzen wollen, können aber keine Grundlage für eine zukunftsge- wandte Entwicklung der ländlichen Räume sein. Diese Handreichung zeigt, dass es auch im Nordosten Niedersachsens Familien gibt, in denen völkische Werte und Deutungsmuster über Genera tionen weitergegeben werden. Neben alteingesessenen Akteuren nutzen völkische Esoteriker, so genannte »Reichsbürger«, Rassisten oder auch militante Nationalsozialisten ebenfalls gezielt die ländlichen Regionen, um preiswerte Grundstücke zu erwerben und dort nach eigenen Vorstellungen zu leben. Damit verbunden sind oft Versuche, sich vor Ort zu verankern, als »normale Nachbarn«, die sich z. B. in Vereinen engagieren. Dabei profitieren sie von einer z. T. schwach ausgeprägten Zivilgesellschaft. Voraussetzungen, um den Einfluss von Gruppen zurückzudrängen, deren Gemeinsamkeit in einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit besteht, sind Informationen und die Bereitschaft der öffentlichen Stellen und besonders der Menschen in den Dörfern, sich dem entgegenzu- stellen. Das Land Niedersachsen stärkt den ländlichen Raum mit einer Vielzahl von Maßnahmen. So werden z. B. neben Regionalvermarktungsinitiativen auch Dorfläden oder Gemeinschaftshäuser gefördert, um Orte der Kommunikation in den Dörfern, gerade zwischen lange dort wohnenden und Menschen, die neu dazu kom- men, zu erhalten oder zu schaffen. Ich danke der Amadeu Antonio Stiftung für ihre wichtige Arbeit. Die vorliegende Handreichung zu völ- kischem Rechtsextremismus im Nordosten Niedersachsens trägt dazu bei aufzuklären und ermutigt, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren. Es gilt weiterhin auf den Dörfern genau hinzuschauen, auch um die besonderen Chancen, die die ländlichen Räume für ein integratives und friedliches Zusammenleben bieten, gemeinsam zu nutzen. Hannover, im Mai 2017 Christian Meyer Niedersächsischer Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Vorwort Es sind die bekannten Kleinigkeiten, die die Stimmung im Dorf vergiften kön- nen. Wenn der ortsansässige, bundesweit bekannte Rechtsextremist sich mor- gens mit einer Flasche Korn, wie er in Norddeutschland gern getrunken wird, zur Sprechstunde beim ehrenamtlichen Bürgermeister anmeldet und mit die- sem zusammen erstmal ein paar Kurze genehmigt. Dieser morgendliche Besuch ist ein paar Stunden später im ganzen Ort bekannt. Er vermittelt der Dorfge- meinschaft subtil, wer dazu gehört und wer nicht. Weniger subtil ist es, wenn das ganze Dorf zur germanischen Hochzeit mit großer Metverkostung eingela- den wird, selbstverständlich mit kostenlosem Essen und Trinken. Da wird von allen genau registriert, wer kommt und wer nicht. Es sind diese Formen völkisch-rechtsextremer Raumergreifung, mit denen Kommunen im Nordosten Niedersachsens gegenwärtig zunehmend zu kämp- fen haben. Das ist einerseits nicht neu, da die rechtsextreme Szene dort seit Jahrzehnten gut verwurzelt ist und sich Neonazis aus strategischen Gründen zunehmend auf ländliche Regionen konzentrieren: vermeintlich weniger Migra tion, naturnahe Lebensweise sowie Raum für unverdächtiges Engagement. Andererseits findet die Szene in wenigen Landschaften sonst so gute Ausgangsbedingungen vor. In anderen Bundesländern gibt es für rechte Raumergreifungsversuche eine Öffentlichkeit und eine Politik, die sich diesen Versuchen mit breiter Unterstützung fast aller Parteien entgegenstellt. Deswegen brauchen wir auch für Niedersachsen eine klare Haltung und deutliche Zeichen gegen diese Raumergreifung, damit das Land nicht zum Labor für rechtsextreme Ansiedlungsversuche wird. Der völkische Rechtsextremismus zeichnet sich jedoch nicht nur durch häufig unscheinbare rechtsextre- me Siedlungen aus. Wer geht bei dem Handwerker, der zu Hause vorbeikommt, um den neuen Ofen zu bau- en, schon davon aus, dass er Mitglied einer alteingesessenen völkischen Familie, einer sogenannte »Sippe« ist? Der Rassismus und Antisemitismus, der in dieser Szene vertreten wird, hat (im Gegensatz zur »Neuen Rechten«) deutliche Ähnlichkeit mit der »Rassenlehre« der Nationalsozialisten. Umso unverständlicher sind demgegenüber die jüngsten Versuche aus den Reihen der AfD, die völkische Ideologie wieder hoffähig zu machen. Der Begriff »völkisch« war zentral für die nationalsozialistische Ideologie und diente als Basis ihrer Rassenideologie. Insbesondere der Antisemitismus der Nationalsozialisten basiert in weiten Teilen auf »völ- kischen« Ideen. Wie sich auch im Nordosten Niedersachsens zeigt, ist diese Spielart des Rechtsextremismus in vielen rechten Strömungen zu finden. Die Siedlungspunkte der völkischen Rechtsextremisten dienen als Vernetzungsorte für die gesamte Szene. Bei den Feiern der Siedler_innen gehen oft bekannte Mitglieder der NPD und ihrer Jugendorganisation, Reichsideologen und Esoteriker_innen ein und aus. Diese Handreichung ist das Produkt intensiver Gespräche mit engagierten Journalist_innen, Bündnissen und Bürger_innen aus Nordost-Niedersachen. Die Informationen, Erfahrungen und Expertisen dieser verschiede- nen Personen sind – systematisiert – in den Text eingeflossen. Wir danken ihnen sehr für die Unterstützung und respektieren den Wunsch, hier nicht namentlich genannt zu werden. Unser besonderer Dank gilt zudem dem Landespräventionsrat Niedersachsen, der diese Publikation mit einer Förderung ermöglicht hat. Die Amadeu Antonio Stiftung engagiert sich seit vielen Jahren sowohl in Niedersachsen als auch in der angrenzenden Region in Mecklenburg-Vorpommern. Mit Vorträgen und Informationsveranstaltungen, Bera- tungsgesprächen und der Unterstützung lokaler Initiativen begleiten wir verschiedene Akteur_innen dabei, einen Umgang mit völkischer Ideologie zu entwickeln. Wir möchten auch weiterhin allen engagierten Bür- ger_innen und Initiativen beratend zur Seite stehen und freuen uns über Anregungen und Rückmeldungen zu dieser Publikation. Timo Reinfrank Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung Einführung: Völkischer Rechtsextremismus im Nordosten Niedersachsens »Völkisch«, »Volksverräter!«, »Umvolkung« – in den letzten Jahren drängt das »Volk« wieder stärker in die politische Öffentlichkeit. Vor allem die Neue Rechte beschwört einen geeinten »Willen des Volkes«, möchte »völkisch« wieder positiv besetzen oder sieht sich als »Stimme des Volkes«. Doch wer ist eigentlich »das Volk«? Und: Wer gehört nicht dazu? »Das deutsche Volk« steht seit jeher im Zentrum rechtsextremer Ideologie.1 Diese versteht unter »Volk« aber nicht die Gesamtheit der deutschen Bevölkerung. »Deutsch« ist nur, wer in Deutschland geboren ist, deutsch spricht, »deutsch« aussieht, deutsche Eltern hat, der »deutschen Kultur« angehört. Was »deutsch« ist, bestimmt die »Volksgemeinschaft«. Die Vorstellung einer ethnisch homogenen, über Jahrhunderte bestehenden »Schicksalsgemeinschaft« eint die rechte Szene. Sowohl im Rechtsextremismus als auch im Rechtspopulismus, in Reichs- und Ver- schwörungsideologien und rechter Esoterik existiert die Angst vorm Aussterben des bedrohten »Volkes«. Tatsächlich prägt in der rechten Szene der »völkische Blick« die Haltung zu Einwanderung, Geschlechter- verhältnissen, Sexualität und Fortpflanzung, die Sicht auf Ökologie und Natur, Bildung von Kindern, die Gesellschaftsordnung und vieles mehr. Diese Ideologie findet in der völkischen Bewegung ihren politischen Ausdruck – einer Bewegung, die politische Aktionsformen durch lokale Raumergreifungen ergänzt. Bei in- tensiver Recherche entfaltet sich hinter den Kulissen dörflicher Idylle ein Netzwerk aus völkischen Familien, sogenannten »Sippen«, Akteur_innen und Organisationen, die gemeinsam Tagungen und Feste organisieren, Verlage und Antiquariate betreiben oder versuchen, völkische Siedlungen aufzubauen. Besonders im länd- lichen Raum versuchen Rechtsextreme, ihre Ideologie zu verbreiten und politisch zu agitieren.
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