Der Letzte Kampf Der Alten Garde
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515_24-28_Kleinert_2spaltig 25.09.12 15:33 Seite 24 Die Grünen Der letzte Kampf vor dem Wahljahr der alten Garde Hubert Kleinert Wohl noch nie in der Geschichte der Bun - Vorjahr inzwischen wieder in der Norma - desrepublik Deutschland herrschte ein lität einer Mittelpartei von zehn bis fünf - Jahr vor der nächsten Bundestagswahl so zehn Prozent angekommen, haben sie viel Ungewissheit über den möglichen derzeit nicht weniger als fünf Regierungs - Ausgang. Während nicht nur in der in - beteiligungen in den Ländern aufzuwei - haltlichen Kernfrage dieser Zeit, der sen, darunter sogar einen veri tablen Zukunft des Euro und der Finanzkrise, Ministerpräsidenten. Drei Jahre nachdem ein mehr oder weniger überparteilicher mit dem Ausgang der Bundestagswahl Grundkonsens die Konturen der partei - 2009 Rot-Grün schon das politische Toten - politischen Wettbewerber in den Augen glöcklein geläutet worden war, hat sich des Wählervolks verschwimmen lässt das Bündnis von SPD und Grünen über und der Begriff der „politischen Al - die Schwäche von Schwarz-Gelb und die ternativlosigkeit“ manchen Stimmbürger Wahlergebnisse in den Ländern wieder ratlos macht, scheint unsicher, ob der zur realistischen machtpolitischen Op - nächste Bundestag aus drei, vier, fünf tion gemausert. Nach dem Scheitern der oder gar sechs Parteien zusammengesetzt schwarz-grünen Experimente in Ham - sein wird. Während die Öffentlichkeit burg wie im Saarland scheint der kurze noch nie so viel Mühe hatte, klare Profile Flirt mit der Union für die Grünen in - zumindest der politischen Hauptkonkur - zwischen schon wieder beendet. Jeden - renten zu unterscheiden, hat sich das Par - falls beeilen sich die Führungsleute der teiensystem gleichzeitig immer mehr zer - Partei seit einiger Zeit, immer wieder zu splittert. So gut wie sicher ist nur, dass versichern, ihr Ziel sei die „rückstands - Union und FDP ohne realistische Chance freie Entsorgung dieser Bundesregie - auf ein neues Bündnis in den Wahlkampf rung“ – kein sehr gelungenes Sprachbild ziehen müssen. Welche Alternativen aber übrigens für die Anhänger eines einiger - zur immer möglichen Großen Koalition maßen kultivierten politischen Stils. rechnerisch wie politisch nächsten Herbst Dabei können derlei schroffe grüne in Betracht kommen, ist völlig offen. Gut Bündnisabsagen kaum darüber hinweg - möglich, dass am Ende das wahlpoliti - täuschen, dass sich die Partei an der sche Schicksal der Piraten darüber ent - Schwelle des Wahljahres in einem objek - scheiden wird – wenn denn FDP und Lin - tiven strategischen Dilemma befindet. ken die Rückkehr in den Bundestag ge - Sosehr die Rückkehr zur alternativlosen lingt, was der Verfasser für wahrschein - Orientierung auf Rot-Grün zur Befrie - lich hält. dung der innerparteilichen Diskussion Entsprechend viel kann abhängen von beitragen und Risiken bei der Wählerzu - der inzwischen wieder eindeutig dritten stimmung vermeiden mag, so riskant ist Kraft des Parteienspektrums, den Grünen. sie im Blick auf eine mögliche Mehr - Nach einem grandiosen Höhenflug im heits bildung im Herbst 2013. Schließlich Seite 24 Nr. 515 · Oktober 2012 515_24-28_Kleinert_2spaltig 25.09.12 15:33 Seite 25 Der letzte Kampf der alten Garde muss als hochwahrscheinlich angesehen eine Frau fallen muss, sind die Altvor - werden, dass die Union mit der im Wäh - deren an den Partei- und Fraktionsspit - lervolk beliebten Angela Merkel erneut zen Renate Künast, Claudia Roth und stärkste Partei wird, gegen die eine Mehr - Jürgen Trittin sowie die evangelische heit nur schwer zu erreichen sein wird. Kirchenrepräsentantin und Bundestags - Alle grünen Attacken gegen die Versäum - vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt. nisse der amtierenden Regierung bei der Was von den Grünen neuerdings als ba - Energiewende, alle Kritik der europa - sisdemokratischer Meilenstein einer neuen begeisterten Grünen am too little, too late Partizipationskultur dargestellt wird, ist des Merkel ´schen Krisenmanagements in in Wahrheit eher aus der Not geboren. Brüssel können am Ende die machtpoli - Während ziemlich sicher scheint, dass das tische Tatsache nicht verdecken, dass je - grüne Wahlergebnis allenfalls unerheb - denfalls für den Fall des Einzugs der Pira - lich von der Frage beeinflusst werden ten in den Bundestag eine eigene Mehrheit dürfte, wie viele Wahlplakate das Konter - für Rot-Grün sehr unwahrscheinlich ist. fei von Trittin, Roth, Künast oder Gö - Hier droht den Grünen Ungemach: Ma - ring-Eckardt zeigen, wie viele Wahlspots, chen sie jede Option für eine schwarz- Großveranstaltungen und Fernsehrun - grüne Allianz zu, müssen sie nach der den diesen oder diese ins Blickfeld bringen Wahl womöglich ohnmächtig mit anse - werden, hatte sich die Partei im Dickicht hen, wie sich der Wunschpartner SPD in ihrer eigenen Quoten- und Strömungspro - Richtung Große Koalition davonmacht. porzregeln tüchtig verheddert. Nachdem Oder sie riskieren Glaubwürdigkeitspro - Renate Künast durch ihre gefühlte Wahl - bleme, die sich zu Zerreißproben aus - niederlage in Berlin deutlich geschwächt wachsen können. Versuchen sie aber, die worden war, hatte es im Frühjahr für eine Tür wenigstens ein kleines Stück weit of - Weile so ausgesehen, als wäre nun Jürgen fen zu halten, ris kieren sie schwierige in - Trittin in die Rolle des mehr oder weni - nerparteiliche Diskussionen und Kom - ger unbestrittenen Spitzengrünen in der munikationsprobleme mit einem Teil ih - Öffentlichkeit gerückt und damit eine rer Anhängerschaft. Man darf gespannt Art Nachfolger von Joschka Fischer in sein, wie die Partei mit diesem Dilemma der Rolle eines einzigen (männlichen) umgeht. Spitzenkandidaten. Da dies aber ange - sichts des grünen Frauenstatuts nicht Überraschende Personaldebatten sein durfte, brachte sich Claudia Roth als Einstweilen freilich haben die Grünen an - weibliche Spitzenkandidatin in Position. dere Probleme. Angesichts ihrer Rolle als Dies aber musste das mühsam austarierte dritter Kraft ohne Chance auf den Kanzler Strömungsgefüge der Partei verletzen: und ihrer Geschichte, in der sie jede Per - Schließlich entstammen beide der inner - sonalisierung lange ablehnten und sich parteilichen Linken. Da aber die Realos mit exponierten Köpfen nicht selten in der geschwächten Künast auch keine schwertaten, eher überraschend, sind sie rechte Alternative sahen, kam es zu ei - in den letzten Monaten vor allem mit Per - nem monatelangen Hin und Her, an des - sonaldebatten über die Spitzenkandida - sen Ende schließlich Künast und die aus tur auffällig geworden. Inzwischen ist so - Baden-Württemberg favorisierte Göring- gar eine Urabstimmung der Parteibasis Eckardt ins Rennen gingen. Hieraus in der zu dieser Frage beschlossene Sache. Bis eigenen Öffentlichkeitsarbeit eine basis - November soll das Ergebnis feststehen. demokratische Pioniertat zu machen ist Ernsthafte Aspiranten auf die beiden Po - sehr gewagt, wenn nicht ver messen. In sitionen, von denen mindestens eine an Wahrheit geht die Partei mit ihrer Urab - Nr. 515 · Oktober 2012 Seite 25 515_24-28_Kleinert_2spaltig 25.09.12 15:33 Seite 26 Hubert Kleinert stimmung etliche Risiken ein: Warum soll Auch Katrin Göring-Eckardt gehört dem man eigentlich Parteivorstände künftig Bundestag bereits seit 1998 an. noch auf Parteitagen wählen? Ist über - Eine derartige personelle Kontinuität haupt sicher, dass eine Mehrzahl der Par - kann – von Gysi, Schäuble und Lafon - teimitglieder die Frage der Spitzenkandi - taine einmal abgesehen – jedenfalls keiner daten wirklich so stark bewegt? Und was der parteipolitischen Konkurrenten der bedeutet der Ausgang für die künftige Ko - Grünen vorweisen. Als Jürgen Trittin operationsfähigkeit an der Spitze? Verliert erstmals Minister wurde (1990 in Nieder - Renate Künast, was wahrscheinlich ist, sachsen), gab es die DDR noch. Und Hel - droht ihr dann der innerparteiliche Ab - mut Kohl hatte die zweite Hälfte seiner sturz? sechzehn Jahre noch vor sich. So ge - Es ist jedenfalls eine erstaunliche Ent - sehen, ist die Veteranendichte bei den wicklung, dass ausgerechnet die Grünen 1980 so jugendlich gestarteten Grünen offenbar keine wichtigeren Fragen haben überraschend hoch. Natürlich lässt sich als ebendiese. Freilich scheint die Öffent - das erklären: Nachdem in den Anfangs - lichkeit dies nicht weiter übel zu nehm - jahren das Führungspersonal in allzu en. Nachdem lange in der veröffent lich - rascher Folge gewechselt hatte, haben ten Meinung ein kritischer Grundton do - später Aspekte der Kontinuität und Er - minierte, ist über den Urabstimmungs - fahrung eine größere Rolle gespielt. Und beschluss des Kleinen Parteitags eher da seit den 1990er-Jahren große Misser - wohlwollend berichtet worden. Dass die folge bei Wahlen auf Bundesebene aus - Wähler das auch so sehen, kann freilich blieben (auch den Machtverlust 2005 ha - be zweifelt werden. Denn es ist kaum zu ben die Grünen einiger maßen glimpf - erkennen, welche großen Unterschiede lich überstanden), haben sich die Argu - sich mit der Wahl der einzelnen Personen mente für einschneidende Personalwech - verbinden. sel kaum von selbst aufgedrängt. Hinzu Immerhin hat die Partei auch noch ei - kommt, dass echte Ambitionen auf die ne zweite Urabstimmung zu inhalt lichen bundespolitischen Spitzenämter durch Fragen geplant: Im Frühjahr 2013 soll die eine nachrückende Generation bis heute Parteibasis aus dreißig von einem Partei - ausgeblieben sind. Ihre Vertreter drängt tag vorgeschlagenen Punkten die zehn es eher in die Führungsrollen auf Landes - Schwerpunktthemen für den Bundes - ebene. tagswahlkampf auswählen. Es steht zu So ist durchaus