Berichte | Geschichte

Starke BERGFRAUEN

Vom „Sportsweib“ zur Profibergsteigerin – eine Kulturgeschichte des Frauenalpinismus. Rainer Amstädter, Historiker

ie hat die „Fünf Schatzkam- Spanierin mit lichen Entwicklung im letzten so lange im Korsett zurechtge- S mern des großen Schnees“ je 8 höchsten Bergen. Doch in Jahrhundert ähnlich. schnürt, bis sie dem männlichen am dritthöchsten Berg der Erde der anspruchsvollsten Spielart Weiblichkeitsideal entsprach; geöffnet: Im Mai 2006 ist der des Alpinismus, dem Höhen- Männerdominierte Hosen anzuziehen war für eine oberösterreichischen Alpinistin bergsteigen, sind Frauen mit Alpinklubs Frau undenkbar. Wollte sie den- Gerlinde Kaltenbrunner die Be- nicht einmal 10 % Anteil im- noch bergsteigen, musste sie mit steigung des 8.586 Meter hohen mer noch Ausnahmen. Warum Bergsteigen, in seinen Anfän- Korsett und Reifrock zurechtge- Kangchendzönga im Himalaya Frauen auch hier nur selten über gen immer auch Entdecken und richtet, in die Berge aufbrechen. gelungen. Mit 9 bestiegenen die sogenannte gläserne Decke Forschen, war im bürgerlichen 1871 erkletterte die Englände- 8.000er-Hauptgipfeln wird hinauskommen – das mag ein Weltbild des 19. Jahrhunderts rin Lucy Walker das Matterhorn Kaltenbrunner gefolgt von der Blick auf die Alpingeschichte der rationalen Natur des Man- im Flanellunterrock, nachdem Italienerin und der zeigen; diese ist der gesellschaft- nes zugehörig. Die Frau wurde sie den lästigen Reifrock hinter

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Gerlinde Kaltenbrunner im den großen Nordwänden der die Polin Wanda Rutkiewicz Lager III auf ca. 7.000 m, Westalpen ebenso anzutreffen zur Protagonistin der alpinen Gascherbrum I wie in den Südwänden der Dolo- Frauenemanzipation. 1978 Foto R. Dujmovits, www.amical.de miten. Die Genferin Loulou Bou- besteigt sie den Everest als ers- laz, die Französin Simone Badier te Europäerin und macht die und die Italienerin Silvia Metzel- reinen Frauenexpeditionen tin machen das von der österrei- gesellschaftsfähig – gleichsam ternahmen. Gelang einer Frau die chischen Bergsteigerin Felicitas logische Reaktion auf den Aus- Wiederholung einer besonders von Reznicek 1968 gegründete schlussmechanismus der Män- schwierigen Tour, wurde diese Alpinistinnentreffen „Rendez- ner. Rutkiewicz, die es sich zum oft als Damentour abgewertet, vous Hautes Montagnes“ zu einer Ziel gesetzt hat, als erste Frau al- z. B. durch Herabsetzung des Bannerträgerin des alpinen Femi- le 14 Achttausender zu bestei- früheren Schwierigkeitsgrades. nismus und bringen die feminis- gen, sind bereits 8 gelungen, als Chronisten legten die Rolle der tischen Forderungen der späten sie 1992 am Kangchendzönga Frauen als Geführte meist deut- 1960er Jahre auch ins Bergsteigen verunglückt. Zu ihrem Gedächt- lich klar und betonten die Vor- ein, dass Alpinhistoriker einmal nis organisiert ihre langjährige steigerrolle des Mannes. eine Geschichte des Bergsteigens Bergpartnerin Gertrude Rei- schreiben, an der alle teilhaben nisch 1994 die erste öster- Diffamierung dürfen. Eine wahre Geschichte. reichische Frauenexpedition zum 8.015 m hohen Shisha Nach dem Ersten Weltkrieg Von der Emanzipation Pangma, bei welcher der Ober­ gab die Entwicklung des Alpi- zur Gleichberechtigung österreicherin Edith Bolda un- nismus zum Massensport den ter schwierigen Wetterbedin- Frauen bessere Möglichkeiten In den 1970er-Jahren wird gungen der Gipfelsieg gelingt. zum Bergsteigen. Doch gegen die Zunahme von Frauen in den Ber- Emanzipation 1919: Frauen dürfen endlich Hosen tragen, das gen wandten sich nun wiederholt Rucksacktragen wird dem „schwachen Geschlecht“ aber nicht Kommentare in der Alpinpresse. zugetraut. Ernst Platz, „Vom Sturm gepackt“, © Alpenverein- Die Ablehnung der Frau in den Museum, Innsbruck Bergen schwankte zwischen dem Vorwurf des alpinistischen Ver- sagens oder der Diffamierung der bergsteigenden Frau als vermänn- lichtes „Sportsweib“. Mediziner einem Felszacken deponiert vertraten die Meinung, dass Sport hatte. Doch gegen den Versuch die Frau vermännliche, zu einem englischer Alpinistinnen, ihren gestörten Geschlechtscharakter Landsmännern den „Alleinbe- führe und damit den eigentlichen tretungsanspruch“ streitig zu Lebenszweck der Frau, die Gebär- machen, setzte der 1854 ge- fähigkeit, behindere. Die Dro- gründete britische Alpine Club hung mit der Vermännlichung als seine Statuten, welche die Frau- dem Verlust der spezifisch weib- en überhaupt ausschlossen; kon- lichen Attraktivität war eines der tinentale Alpenvereine machten wesentlichsten Instrumente der es mitunter nicht anders. Unterdrückung der Frau in der Zwischenkriegszeit. Männertaten und Damentouren Frauen in großen Wänden Der Ausgrenzung der Frau in Beruf und Bildung des 19. Jahr- Die Geschichte des Frauenberg- hunderts entsprach die in der steigens ist mittlerweile über 150 Körperkultur. Gingen Frauen in Jahre alt, aber die Breitenwirkung die Berge, handelte es sich meist entfaltet sich so richtig erst nach um Gattinnen, Verlobte oder dem 2. Weltkrieg. In den 1950er Schwestern von Alpinisten, die Jahren sind vor allem Franzö- mit diesen Männern Touren un- sinnen und Schweizerinnen in Berichte | Geschichte >PE>QFEKBKDBO>ABKL@EDBCBEIQ den sogenannten „härteren Al- PerLe pinsportarten“, dürfte die Ursa- KAT>PCBEIQ EKBKŸ plus che neben der traditionellen Er- ziehung von Frauen zu Vorsicht BO BMIRP¦AFBMBOPpKIF@EB B?BKPMI>KRKDABOHypo Tirol Bank’ und dosiertem Wagnis ebenso in >JFQ EOBBKPFLKPSLOPLODBDBPF@EBOQFPQ’ der Erwartungshaltung der Ge- sellschaft zu suchen sein. Für das Erbringen einer alpinen Leistung spielen neben körperlichen und technischen Voraussetzungen auch die Anerkennung in Fami- lie und Freundeskreis sowie die Akzeptanz in der Gesellschaft ei- ne Rolle. Ändert sich die Erwar- tungshaltung der Gesellschaft, werden Frauen wohl auch den bisher oft empfundenen Rollen- Silvia Metzeltin-Buscaini und Wanda Rutkiewicz beim Bergfilmfestval von Trient 1969 zwiespalt zwischen erfolgreicher Foto: K. Lukan Sportlerin und „weiblicher“ Frau auflösen. Gerlinde Kaltenbrun- ner mag das bislang beste Bei- Die 1980er – Bergführerberuf, fällt in den in- Kaltenbrunner. Sie und ihr Le- spiel dafür sein. n Leistungsexplosion ternationalen Ausbildungen der benspartner, der deutsche Berg- 1980er-Jahre. In Frankreich, Ita- führer , gehören Mit dem Aufkommen der lien und der Schweiz gelingt den seit Jahren zu den erfolgreichsten Sportkletterbewegung in den ersten Frauen die Absolvierung Expeditionsbergsteigern, ihre 1970er-Jahren beginnen die der Bergführerausbildung, in Ös- Achttausender erreichen sie auf konservativen Werte des Berg- terreich schaffen die beiden ersten anspruchsvollen Routen im „Al- steigens ihre Dominanz zu ver- Frauen 1987 die Ausbildung. pinstil“, ohne Träger, Fixseile und lieren. Der Entwicklung des mo- bereits eingerichtete Hochlager. dernen Sportkletterns folgt in den Im neuen Jahrtausend Begonnen hat das Bergsteigerle-

1980er-Jahren der internationale ben der 35-jährigen Kaltenbrun- www.amical.de Durchbruch des Wettkletterns. Seit 1990 sind die „wilden ner im Toten Gebirge, doch schon Beim Sportklettern wie bei Klet- Jahre“ des Frauenalpinismus ver- mit 23 Jahren stand sie auf ihrem terwettbewerben und beim Ex- gangen. Doch die Idee des reinen ersten Achttausender. Mit dem peditionsbergsteigen beweisen Frauenbergsteigens wird von der , ihrem 5. erstiegenen Frauen nunmehr ihre Leistungs- Mehrheit der Bergsteigerinnen Achttausender, gelingt der gelern- fähigkeit. Die letzte männliche nicht angenommen, obwohl sie ten Krankenschwester 2003 der Domäne des Alpinismus, der zweifellos der Katalysator für die Sprung ins Profibergsteigertum, Emanzipation der Frauen im Alpi- seither finanziert sie nicht nur ihre infos nismus war. Seit den 1990er-Jah- Expeditionen, sondern auch ihren Achttausender-Erfolge von ren gehen Frauen in die Berge, wie Lebensunterhalt mit Sponsoring Gerlinde Kaltenbrunner es ihnen passt – in den Klettergar- und Vorträgen. Mit 9 bestiegenen 1994 , Pakistan ten oder ins Hochgebirge, gemein- 8000er-Hauptgipfeln ist Gerlinde (Vorgipfel, 8.041 m) sam oder mit Männern, mit denen Kaltenbrunner die derzeit erfolg- 1998 , Nepal/Tibet sie eine vertrauensvolle Beziehung reichste Höhenbergsteigerin der (8.201 m, West) 2000 Shisha Pangma, Tibet haben. Beispiel dafür ist Gerlinde Welt. Ihre weiteren Ziele: „Zum (Zentralgipfel, 8.013 m) einen würde ich gerne auf jedem 2001 , Nepal (8.463 m) FO der 14 Achttausender einmal ge- 2002 , Nepal (8.163 m) standen haben. Es gibt noch viele, 2003 Nanga Parbat, Pakistan OB>IFPFBOBK (8.125 m, Diamirflanke) Die Österreicherin Felicitas viele Routen, von denen wir träu- 2004 I, Nepal ABBK’ von Reznicek, Alpinhistori­ men.“ (8.091 m, Hauptgipfel) kerin und Gründerin des 2004 , Pakistan „Rendez-vous Hautes Fames and facts (8.068 m) Montagnes“ (1968), 2005 Shisha Pangma, Überschrei- tung (Hauptgipfel, 8.027 m) Bergfilmfestival Trient, 1969 Erscheinen Frauen auch heu- 2005 Gasherbrum II, (8.035 m) Foto: K. Lukan te noch unterrepräsentiert in 2006 Kangchendzönga, Nepal BI’ˆƒˆ ˆˆ (8.586 m) www.hypotirol.com 50 |BERGAUF 02-2007