Deutscher Protokoll Nr. 16/71 16. Wahlperiode

Ausschuss für Gesundheit

Wortprotokoll

71. Sitzung

Berlin, den 21.01.2008, 11:00 Uhr Sitzungsort: Reichstag, SPD-Fraktionssaal 3 S 001

Vorsitz: Dr. Martina Bunge, MdB

TAGESORDNUNG:

Öffentliche Anhörung (Block I: Abbau von Schnittstellen, Entbürokratisierung, Qualitätssiche- rung, Hilfsmittel, Rehabilitation, Prävention) zu folgenden Vorlagen:

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Entwurf eines Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz) BT-Drucksachen 16/7439, 16/7486

Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Nicole Maisch, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Finanzielle Nachhaltigkeit und Stärkung der Verbraucher - Für eine konsequent nutzerorientierte Pflegeversicherung

BT-Drucksache 16/7136

Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, , Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Für eine humane und solidarische Pflegeabsicherung

BT-Drucksache 16/7472

Antrag der Abgeordneten Heinz Lanfermann, (Münster), Dr. Konrad Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für eine zukunftsfest und generationengerecht finanzierte, die Selbstbestimmung stärkende, transparente und unbürokratische Pflege

BT-Drucksache 16/7491 Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 2

Mitglieder des Ausschusses

Ordentliche Mitglieder des Ausschusse Stellv. Mitglieder des Ausschusses

CDU/CSU Bauer, Wolf, Dr. Blumenthal, Antje Eichhorn, Maria Brüning, Monika Faust, Hans Georg, Dr. Hennrich, Michael Hüppe, Hubert Jordan, Hans-Heinrich, Dr. Koschorrek, Rolf, Dr. Krichbaum, Gunther Michalk, Maria Luther, Michael, Dr. Scharf, Hermann-Josef Meckelburg, Wolfgang Spahn, Jens Philipp, Beatrix Straubinger, Max Scheuer, Andreas, Dr. Widmann-Mauz, Annette Zöller, Wolfgang

Zylajew, Willi N.N.

SPD Friedrich, Peter Bätzing, Sabine Hovermann, Eike Becker, Dirk Kleiminger, Christian Bollmann, Gerd Lauterbach, Karl, Dr. Ferner, Elke Mattheis, Hilde Gleicke, Iris Rawert, Mechthild Hemker, Reinhold, Dr. Reimann, Carola, Dr. Kramme, Anette Spielmann, Margrit, Dr. Kühn-Mengel, Helga Teuchner, Jella Marks, Caren Volkmer, Marlies, Dr. Schmidt, Silvia Wodarg, Wolfgang, Dr. Schurer, Ewald

FDP Bahr, Daniel Ackermann, Jens Lanfermann, Heinz Kauch, Michael Schily, Konrad, Dr. Parr, Detlef

DIE LINKE. Bunge, Martina, Dr. Ernst, Klaus Seifert, Ilja, Dr. Höger, Inge

Spieth, Frank Knoche, Monika

B90/GRUENE Bender, Birgitt Haßelmann, Britta Scharfenberg, Elisabeth Koczy, Ute Terpe, Harald, Dr. Kurth, Markus

______*) Der Urschrift des Protokolls ist die Liste der Unterschriften beigefügt.

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Sprechregister Abgeordnete Seite/n Sprechregister Sachverständige Seite/n Abg. Christian Kleiminger (SPD) 29 SV Andreas Besche (Verband der 17 privaten Krankenversicherung e.V. (PKV)) Abg. Daniel Bahr (Münster) 18 SV Andreas Wagener (Deutsche 27 (FDP) Krankenhausgesellschaft e.V. (DKG)) Abg. Dr. Carola Reimann (SPD) 12, 30, 31 SV Bernd Tews (Bundesverband 16, 18, 28 privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa)) Abg. Dr. Hans Georg Faust 9, 27 SV Dieter Lang 11, 13, 24 (CDU/CSU) (Verbraucherzentrale Bun- desverband e. V.): Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE 19, 20, 21 SV Dr. Alfred Spieler 14 LINKE.) (Volkssolidarität - Bundesverband e.V. (VS)) Abg. Dr. Konrad Schily (FDP) 16 SV Dr. Carl-Heinz Müller 27 (Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)) Abg. Dr. Margrit Spielmann 13, 31 SV Dr. Herbert Reichelt (AOK- 12, 31, 32 (SPD) Bundesverband (AOK-BV)) Abg. Dr. Marlies Volkmer (SPD) 14, 31 SV Dr. Joachim Wilbers 9, 10, 25, 27 Abg. Dr. Martina Bunge (DIE 7, 9, 12, 16, SV Dr. Martin Danner 13, 31 LINKE.) 19, 21, 22, 25, (Bundesarbeitsgemeinschaft 29, 30, 31, 32 Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V. (BAG SELBSTHILFE)) Abg. Elisabeth Scharfenberg 22, 23, 24 SV Dr. Peter Pick (Medizinischer 8, 11, 13, 15, (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dienst der Spitzenverbände der 19 Krankenkassen e.V.(MDS)) Abg. Frank Spieth (DIE LINKE.) 19, 20, 21 SV Elke Bartz (Forum 19, 20, 32 selbstbestimmter Assistenz behinderter Menschen e.V. (ForseA)) Abg. Heinz Lanfermann (FDP) 16, 17, 18 SV Gerd Kukla (IKK- 13 Bundesverband (IKK-BV)) Abg. Hermann-Josef Scharf 10, 28 SV Gerhard Igl (Bundeskonferenz 23, 24 (CDU/CSU) zur Qualitätssicherung im Gesundheits- und Pflegewesen e. V. (BUKO-QS)) Abg. Hilde Mattheis (SPD) 13, 14, 31 SV Helmut Wallrafen-Dreis ow 22 Abg. Hubert Hüppe (CDU/CSU) 26 SV Herbert Mauel (Bundesverband 9, 17, 26 privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa)) Abg. (CDU/CSU) 8 SV Herbert Weisbrod-Frey 20, 21, 30 (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)) Abg. 26 SV Jürgen Sendler (Deutscher 30 (CDU/CSU) Gewerkschaftsbund (DGB)) Abg. Willi Zylajew (CDU/CSU) 8, 25, 28 SV Mario Damitz (Arbeitgeber- und 18 BerufsVerband Privater Pflege e.V. (ABVP)) SV Paul-Jürgen Schiffer (Verband 26, 28, 29 Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 4

der Angestellten Krankenkassen e.V./ Arbeiter-Ersatzkassen- Verband e.V. (VdAK/AEV)) SV Prof. Dr. Thomas Klie (Deutsche 9, 24 Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie e. V.) SV Rainer Brückers 12, 14 (Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V. (AWO)) SV Sebastian A. Froese 8, 31 (Bundesverband Ambulante Dienste und Stationäre Einrichtungen (bad) e.V.): SV Stephan Baumann (Verband 30 Deutscher Alten- und Behindertenhilfe e.V. (VDAB)) SV Thomas Ballast (Verband der 13, 28 Angestellten Krankenkassen e.V./ Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V. (VdAK/AEV)) SV Thomas Eisenreich 16, 17 SV Thomas Montag (Deutsche 29 Gesellschaft für Palliativmedizin e.V. (DGP)) SV Ulrich Krüger (Aktion Psychisch 14 Kranke e.V. (APK)) SV Wolfram-Arnim Candidus 11 (Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten e.V. (DGVP)) SVe Christiane Schiller 11 (Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) e.V.) SVe Dr. Brigitte Weihrauch 29 (Deutscher Hospiz- und Palliativ Verband e.V. (DHPV)) SVe Dr. Cornelia Goesmann 21 (Bundesärztekammer (BÄK)) SVe Dr. Elisabeth Fix (Deutscher 12, 18, 25, 26 Caritasverband e.V.) SVe Dr. Gabriele Kuhn- 20, 21 Zuber(Sozialverband Deutschland e.V. (SoVD)) SVe Dr. Irene Vorholz (Deutscher 28 Landkreistag) (Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände) SVe Helga Walter 13 (Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) e.V.) SVe Prof. Dr. Doris Schiemann 10 (Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP)) SVe Prof. Dr. Martina Hasseler 14, 15 Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 5

SVe Sabine Jansen (Deutsche 21, 32 Alzheimer Gesellschaft e.V. (DAlzG)) SVe Sabine Mattes (Bundesverband 8 der kommunalen Senioren- und Behinderteneinrichtungen e.V. (BKSB)) SVe Silvia Raffel (Deutscher 30, 31 Berufsverband für Pflegeberufe e.V. (DBfK)) SV Wilfried Voigt (Deutscher 19 Evangelischer Verband für Altenarbeit und Pflege e.V. (DEVAP))

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Bundesregierung

Bundesrat

Fraktionen und Gruppen

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Gesetzentwurf der Bundesregierung

Entwurf eines Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz)

BT-Drucksache 16/7439

16/7486

Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Nicole Maisch, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Finanzielle Nachhaltigkeit und Stärkung der Verbraucher - Für eine konsequent nutzerorientierte Pflegeversicherung

BT-Drucksache 16/7136

Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Für eine humane und solidarische Pflegeabsicherung

BT-Drucksache 16/7472

Antrag der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Daniel Bahr (Münster), Dr. Konrad Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für eine zukunftsfest und generationengerecht finanzierte, die Selbstbestimmung stärkende, transparente und unbürokratische Pflege

BT-Drucksache 16/7491

Beginn: 11.00 Uhr die Selbstbestimmung stärkende, transparente und unbürokratische Pflege“ - BT-Drs. Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): 16/7491. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf Sie recht herzlich begrüßen. Da das Jahr Ich habe die Drucksachen zum einen der Form noch nicht so sehr alt ist, gestatten Sie mir, Ih- halber aufgerufen, zum anderen aber auch, um nen alles Gute für 2008 zu wünschen, vor allen Ihnen zu verdeutlichen, dass es in dieser Anhö- Dingen Gesundheit und möglichst keinen Un- rung nicht allein um den Gesetzentwurf geht, fall, damit Sie nicht womöglic h noch pflege- den die Bundesregierung vorgelegt hat. bedürftig werden. Wir werden sehen, was uns heute zum Thema Pflege vorliegt. Der Ausschuss hat für die Anhörung zu diesen Vorlagen elf Stunden eingeplant. Heute Vor- Als einzigen Tagesordnungspunkt rufe ich die mittag beschäftigen wir uns mit „Block I: Ab- öffentliche Anhörung zu folgenden Vorlagen bau von Schnittstellen, Entbürokratisierung, auf dem Gesetzentwurf der Bundesregierung: Qualitätssicherung, Hilfsmittel, Rehabilitation, „Entwurf eines Gesetzes zur strukturellen Wei- Prävention“. terentwicklung der Pflegeversicherung“ (Pfle- ge-Weiterentwicklungsgesetz) - BT-Drs. Neben den Mitgliedern des Ausschusses be- 16/7439, Antrag der Fraktion BÜNDNIS grüße ich zuvörderst die Sachverständigen der 90/DIE GRÜNEN „Finanzielle Nachhaltigkeit Verbände und die Einzelsachverständigen und Stärkung der Verbraucher - Für eine kon- recht herzlich. An dieser Stelle begrüße ich na- sequent nutzerorientierte Pflegeversicherung“ - türlich auch die Vertreterinnen und Vertreter BT-Drs. 16/7136, Antrag der Fraktion DIE der Bundesregierung, voran Herrn Parlamenta- LINKE. „Für eine humane und solidarische rischen Staatssekretär Schwanitz. Auch die Pflegeabsicherung“ - BT-Drs. 16/7472 und den Bundesratsbank ist gut besetzt. Ich begrüße die Antrag der Fraktion der FDP „Für eine zu- Mitarbeiter des Stenografischen Dienstes recht kunftsfest und generationsgerecht finanzierte, herzlich, die uns ob des Mammutprogramms Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 8 unterstützen. Ich danke Ihnen, dass Sie uns so ist gut, damit alle Pflegeeinrichtungen in die tatkräftig unter die Arme greifen. Natürlich Prüfung hineingenommen werden können. Die begrüße ich auch alle Gäste, die auf der Gäste- Medizinischen Dienste werden sicherstellen, bank sitzen, und die Medienvertreter. dass diese Gesetzesvorschrift umgesetzt wird. Den Ehrgeiz haben wir. Gegenwärtig werden Jetzt legen wir los. Einige von Ihnen kennen jedes Jahr rund 20 Prozent der Einrichtungen das Prozedere vielleicht schon. Ich bitte alle, geprüft. Durch die Prüfquote kommen wir auf zum Sprechen das Mikrofon zu benutzen, sich deutlich über 30 Prozent. Wir werden das leis- vorzustellen, Verband und Namen zu nennen, ten. soweit ich das nicht tue. Da wir dieses Mal Vertreter von 66 Verbänden und fünf Einze l- sachverständige anhören und darunter etliche Abg. Willi Zylajew (CDU/CSU): Ich richte sind, die nicht täglich hier im Hause sind, bitte meine Fragen an den Bundesverband der ich meine Kolleginnen und Kollegen Abge- kommunalen Senioren- und Behindertenein- ordneten, nicht mit Abkürzungen um sich zu richtungen e. V., an den Bundesverband Am- werfen, weil das sowohl für die Handhabung bulante Dienste und Stationäre Einrichtungen auf unserer Seite als auch für die anwesenden e. V. sowie an den bpa. Die Fragen zielen in Gäste schwierig wäre. Ich bitte Sie also, die die gleiche Richtung. Die im Gesetz vorgese- Verbandsnamen auszusprechen, soweit es nö- hene Festschreibung einer Dreijahresfrequenz tig ist; es gibt sicherlich Ausnahmen. für die Prüfung von Pflegeeinrichtungen würde ich gerne aus Ihrer Sicht bewertet wissen. Ins- Jetzt ist unser Geburtstagskind anwesend: der besondere würde ich gerne erfahren, wie sich Einzelsachverständige Herr Wallrafen- die Prüffrequenz für Sie derzeit real darstellt. Dreisow. Alles Gute, natürlich vor allen Din- gen Gesundheit! SVe Sabine Mattes (Bundesverband der So einen Geburtstag haben Sie selten, nicht kommunalen Senioren- und Behindertenein- wahr? richtungen e. V.): Im Moment ist die Prüffre- quenz relativ unterschie dlich. Sie hängt davon Sie wissen, dass wir die Frage- und Antwort- ab, wie gut oder schlecht die Pflegeheime bei zeit zwischen den Fraktionen aufgeteilt haben. den jeweiligen Prüfungen abschneiden. Das Wir beginnen mit der Frage- und Antwortzeit finden wir auch gut so; denn Einrichtungen, der Fraktion der CDU/CSU. die nicht so gut sind, sollten häufiger geprüft werden. Das wird in dem Gesetzentwurf ja auch nicht ausgeschlossen. Im Moment werden Abg. Jens Spahn (CDU/CSU): Wir würden die Einrichtungen etwa alle fünf Jahre geprüft, gerne mit einem Themenkomplex beginnen, manche natürlich wesentlich seltener. Im letz- der uns sehr wichtig ist: mit der Frage der Qua- ten Bericht des MDS wurde festgestellt, dass litätssicherung und der Transparenz. Als Erstes manche Einrichtungen bis jetzt erst einmal o- habe ich zwei Fragen an den Medizinischen der noch gar nicht geprüft worden sind. Die Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen kommunalen Einrichtungen stellen hier keine e. V. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass alle Ausnahme dar. Auch wir finden die im Ge- Pflegeheime alle drei Jahre einmal geprüft setzentwurf vorgesehene Prüffrequenz von drei werden sollen. Wie stehen Sie zu dieser Fest- Jahren gut. legung auf eine Frequenz von drei Jahren? Können Sie diese Frequenz sicherstellen? SV Sebastian A. Froese (Bundesverband Am- bulante Dienste und Stationäre Einrichtungen SV Dr. Peter Pick (Medizinischer Dienst der e. V.): Auch der bad begrüßt die dreijährige Spitzenverbände der Krankenkassen e. V.): Regelprüfzeit. Nach unserer Wahrnehmung Die Situation im Bereich der Pflege ist nicht gibt es in den Bundesländern derzeit höchst so, dass wir uns entspannt zurücklehnen kön- unterschiedliche Praktiken. Es gibt Bundeslä n- nen. In der internen, aber auch in der externen der, die den dreijährigen Turnus schon jetzt, Qualitätssicherung muss mehr passieren. Des- ohne Vorgabe, einhalten. In anderen Bundes- halb halten wir es für richtig, dass eine Prüf- ländern hält der MDK diesen Turnus allerdings frequenz durch den Gesetzgeber vorgegeben noch nicht ein. Es gibt Beispiele, die belegen, wird. Ich denke, der Zeitraum von drei Jahren dass sich das im Einzelfall über einen sehr la n- Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 9 gen Zeitraum erstreckt. Das mögen zwar Ein- den bisher erarbeiteten nationalen Standards zelfälle sein, aber unter diesem Gesichtspunkt gab es immer wieder kritische Stimmen aus begrüßen wir einen regelmäßigen dreijährigen der Fachwelt. Es ist problematisch, wenn man Turnus. Insbesondere vor dem Hintergrund, sagt: Das ist es jetzt, und das wird jetzt sozusa- dass zur Veröffentlichung der Ergebnisse eine gen amtlich gemacht. Neuregelung vorgesehen ist dazu werden wir heute sicherlich noch etwas hören, halten wir Ein Weiteres kommt hinzu: Die Standards sind es für zwingend erforderlich, dass ein entspre- nur gut, wenn die zugrunde liegenden Er- chender Turnus eingeführt wird; denn nur so kenntnisse aktuell sind. Was passiert, wenn es kann Vergleic hbarkeit hergestellt werden. neue Erkenntnisse gibt, die nahelegen, vom bisherigen Standard abzuweichen? Den Stan- dard kann man natürlich nicht alle paar Monate SV Herbert Mauel (Bundesverband privater überarbeiten; das geht so seinen Gang. Was Anbieter sozialer Dienste e. V.): Die Prüffre- soll eine Pflegeeinrichtung in dem Fall ma- quenz ist gegenwärtig keineswegs zu hoch. chen? Auf der einen Seite muss sie sich an die Wir haben überhaupt nichts dagegen, dass alle neuesten Erkenntnisse halten so steht es im drei Jahre geprüft wird. Aus unserer Sicht kann Gesetz, auf der anderen Seite soll sie sich aber auch häufiger geprüft werden. Ich glaube aber, an den Standard halten. Wenn das auseinan- es ist zu hinterfragen, ob die Prüfungen so dergeht, ist das ein Problem. bleiben müssen, wie sie jetzt sind, ob es zum Beispiel bei dem la ngen Fragenkatalog bleiben Ich plädiere dafür, den nationalen Standards muss. Vielleicht sollte man sich stärker auf die großes Gewicht beizumessen. Die Allgemein- Ergebnisqualität konzentrieren. Das, was jetzt verbindlichkeitserklärung in Form einer Veröf- vorgeschlagen wird, ist eine Verdoppelung der fentlichung im Bundesanzeiger sollte aber Prüffrequenz, wodurch die Ergebnisqualität si- noch einmal überdacht werden. chergestellt werden soll.

Abg. Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU): Ich Abg. Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU): hatte noch zwei andere Fragen an Herrn Dr. Meine Fragen richten sich an Herrn Dr. Wil- Wilbers gerichtet: bezüglich der Schiedsstelle bers, an die Deutsche Gesellschaft für Geron- als Konfliktlösungsinstrument und bezüglich tologie und Geriatrie e. V. sowie das Deutsche des Zeitraums bis zum 31. März 2009. Oder Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der möchten Sie nachher noch einmal antworten? Pflege. Die Pflegeselbstverwaltung wird ge- mäß § 113 SGB XI beauftragt, Expertenstan- dards entwickeln zu lassen. Diese Standards SV Dr. Joachim Wilbers : Das kann ich nach- werden nach entsprechender Beschlussfassung her beantworten. für alle Pflegeeinrichtungen und Pflegekassen verbindlich. Jetzt die Fragen: Ist das geplante Gremium so, wie es zusammengesetzt ist, ge- Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Das eignet, diese Aufgabe zu erfüllen? Wenn ja: Ist heißt, jetzt antwortet zunächst Professor Klie der Zeitraum bis zum 31. März 2009 realistisch für die Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und ausreichend? Ist die vorgesehene Schieds- und Geriatrie. stelle als Konfliktlösungsinstrument in diesem Zusammenhang geeignet? SV Prof. Dr. Thomas Klie (Deutsche Gesell- schaft für Gerontologie und Geriatrie e. V.): SV Dr. Joachim Wilbers : Ich halte sehr viel Insgesamt begrüßen wir es sehr, dass die Qua- von nationalen Expertenstandards. Der Idee, litätssicherungsdiskussion nicht von den Prüf- dass diese durch eine Veröffentlichung im instanzen allein geführt werden soll und die Bundesanzeiger quasi amtlic h gemacht wer- Qualitätsmaßstäbe nicht von ihnen selbst fest- den, stehe ich aber kritisch gegenüber; denn es gelegt werden, sondern dass systematisch ag- wird kaum möglich sein, dafür zu sorgen, dass gregierte Wissensbestände in Expertenstan- sich ausnahmslos alle Experten eines Fachge- dards übergeführt und somit zur Grundlage der biets bei der Erarbeitung einbringen und sich Qualitätssicherungsaktivitäten gemacht werden auf einen Standard einigen, der dann als End- sollen. Damit wird der allgemein anerkannte punkt der Diskussion zu gelten hat. Auch zu Stand der Erkenntnis verbin dlich. Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 10

SVe Prof. Dr. Doris Schiemann (Deutsches Große Bedenken haben wir in dreierlei Hin- Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der sicht: Pflege): Grundsätzlich begrüßen wir es sehr, dass durch die Verbindlichkeitsregelung im Erstens. Die Expertenstandards so heißen sie SGB XI eine Regelfinanzierung der Entwic k- im Gesetz; in der Begründung heißen sie etwas lung von Expertenstandards hergestellt werden anders sind im Wesentlichen monodisziplinär soll. Die Entwicklung von Expertenstandards angelegt. Das halten wir angesichts der Tatsa- fand bislang auf der Projektebene statt und che, dass das Care-Geschehen multidisziplinär wurde projektbezogen finanzie rt. Wir ha lten es geprägt ist, für falsch. allerdings für wichtig, dass im Gesetz nicht nur steht, dass die Standards wie bisher evidenzba- Zweitens halten wir ebenso wie Herr Wilbers siert, also auf der Basis von internationalen Er- die Verbindlichkeitserklärung für hochproble- kenntnissen entwickelt werden, sondern auch, matisch, auch unter juristischen Gesichtspunk- dass das Verfahren unabhängig sein soll. In der ten. Für uns stellt sich dabei auch die Frage, ob Begründung steht, dass eine Lenkungsgruppe in dem vorgesehenen Gremium diejenigen ver- das übernehmen kann. Aus unserer Sicht muss treten sein werden, die dort hingehören. Die dort stehen, dass es eine unabhängige Len- Beteiligung von Vertreterinnen und Vertretern kungsgruppe geben muss. Wir denken, dass die der Selbsthilfe und der Patienten ist in der Unabhängigkeit durch die Vertragspartner Schiedsstelle bisher überhaupt nicht vorgese- nicht gewährleistet werden kann. hen.

Drittens. Die Konzeption, nach der die Quali- SV Dr. Joachim Wilbers : Entschuldigung, tätssicherungsmaßstäbe im Vereinbarungswege dass ich die beiden anderen Fragen in der ers- festgelegt werden, sehen wir als problematisch ten Runde nicht beantwortet habe. Ich denke, an. Insofern schließen wir uns der Stellung- der Terminplan bis zum 31. März 2009 ist am- nahme der BUKO-QS an. Herr Wilbers hat an- bitioniert. Ich bin mir nicht sicher, ob das bis gedeutet, dass man nicht auf dem Konsenswe- dahin erledigt werden kann. ge feststellen kann, was verbindlich ist und was der allgemein anerkannte Stand ist. Ich schließe mich der Aussage von Herrn Pro- fessor Klie an: Eine Schiedsstelle wäre in dem Wir sprechen uns für eine Empfehlungsstrate- ganzen Qualitätsmechanismus ein Fremdkör- gie aus. Man sollte sich auf Empfehlungen ver- per. Die Frage ist, was die Schiedsstelle ma- ständigen. Diesen Empfehlungen kann in der chen soll. Üblicherweise ist eine Schiedsstelle Qualitätssicherungs-, aber auch in der haf- dafür da, um über unterschiedliche Pflegesätze tungsrechtlichen Diskussion der gleiche Grad oder so etwas zu entscheiden. Ich halte es für an Verbindlichkeit beigemessen werden, der ausgesprochen schwierig, wenn sie über unter- hier vorgesehen ist. Die Schiedsstelle scheint schiedliche Qualitätsstandards entscheiden uns ein Fremdkörper in der Gesamtkonzeption soll. Das sollte der fachlichen Diskussion über- der Qualitätssicherung zu sein. Man weiß nicht lassen bleiben. recht, wie das funktionieren soll. Wenn es all- gemein anerkannte Erkenntnisstände gibt, die sich in die Praxis implementieren lassen, dann Abg. Hermann-Josef Scharf (CDU/CSU): sollten sie nicht von einem Schiedsstellenver- Meine Fragen richten sich an die Deutsche Ge- fahren abhängig gemacht werden, das uns im sellschaft für Versicherte und Patienten e. V., Übrigen auch juristisch problematisch zu sein die Verbraucherzentrale Bundesverband e. V., scheint. die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren- Organisationen e. V. und den Medizinischen Wir plädieren sehr dafür, die Unabhängigkeit Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen ähnlich wie im Bereich der Medizin durch In- e. V. stitutionalisierung sicherzustellen. Mittelfristig könnte diese Institutionalisierung in einem Die Landesverbände der Pflegekassen sollen deutschen Institut für Qualität in der Pflege nach § 115 Abs. 1 a SGB XI sicherstellen, dass münden. die von den Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität, für die Pflegebedürftigen und ihre Angehör i- Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 11 gen verständlich, übersichtlich und vergleic h- können. Es wäre aber sicherlich von Vorteil, bar sowohl im Internet als auch in anderer ge- wenn das bereits auf der Bundesebene ange- eigneter Form kostenfrei veröffentlicht wer- gangen würde. den.

Die Kriterien der Veröffentlichung sollen SVe Christiane Schiller (Bundesarbeitsge- „durch den Spitzenverband Bund der Pflege- meinschaft der Senioren-Organisationen e. V.): kassen, die Vereinigungen der Träger der Pfle- Wir begrüßen es, dass jetzt davon gesprochen geeinrichtungen auf Bundesebene“ sowie „die wird, dass die Lebensqualität Niederschlag Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen finden soll. Das Ganze ist vonseiten der MDKs Träger der Sozialhilfe“ vereinbart werden. Der sicherlich zu erweitern. Wir sehen es als Her- MDS ist daran zu beteiligen. ausforderung an, dass die Prüfergebnisse jetzt übersichtlich gestaltet werden sollen. Unter Bieten die bisherigen Prüfinhalte des MDK ei- dem Aspekt des Verbraucherschutzes sollte ne geeignete Grundlage, um insbesondere die dem Rechnung getragen werden. Wir halten Ergebnisqualität abbilden zu können? Können das für möglich. Das muss gelingen. Insofern die Prüfergebnisse des MDK übersichtlich und schließen wir uns der Auffassung des Bundes- laienverständlich aufbereitet werden? Wie be- verbandes der Verbraucherzentralen und urteilen Sie die Vorschrift, nach der die Veröf- Verbraucherverbände an. Auch wir sagen: Auf fentlichung von Prüfergebnissen von der Lan- Landesebene liegen entsprechende Erfahrun- desebene vorgenommen werden soll? gen vor, die einfließen können.

SV Wolfram-Armin Candidus (Deutsche SV Dr. Peter Pick (Medizinischer Dienst der Gesellschaft für Versicherte und Patienten e. Spitzenverbände der Krankenkassen e. V.): V.): Ich behaupte, dass die Pflegekassen bisher Gegenwärtig ist die Situation so, dass die Prüf- nicht in der Lage waren, hinsichtlich der indi- ergebnisse der MDKs weder von den Pflege- viduellen Leistungen für Transparenz zu sor- kassen noch vom Medizinischen Dienst veröf- gen. Angesichts der jetzt vorgesehenen Ge- fentlicht werden können. Dadurch, dass die sichtspunkte bezweifle ich auch, dass sie in Veröffentlichung der Prüfergebnisse ermög- Zukunft dazu in der Lage sein werden. Aus un- licht wird, geht man einen wichtigen Schritt in serer Sicht wäre es im Sinne der Versicherten Richtung Herstellung von Transparenz. und Patienten, wenn Beteiligte aus unter- schie dlichen Berufsgruppen, Institutionen und Wir denken, dass die MDK-Prüfergebnisse Bereichen deutlich stärker an der Schaffung wesentliche Dimensionen der Pflegequalität von Rahmenbedingungen für Transparenz be- abbilden: die Wohnlichkeit einer Einrichtung, teiligt würden. Das System muss nachvollzie h- die Versorgung mit Essen und Trinken, das bar und überprüfbar werden und darf nicht Vorhalten von Betreuungsangeboten. All diese zum Teil beeinflusst werden können. Daten werden bei den Prüfungen der MDKs erhoben. Wir werden unsere Arbeit in Zukunft sehr stark auf die Ergebnisqualität fokussieren: SV Dieter Lang (Verbraucherzentrale Bun- Wie ist die Versorgung bei Druckgeschwüren? desverband e. V.): Ich kann mich meinem Vor- Liegt eine Unterernährung vor? Wie wird mit redner anschließen. Auch ich bin der Meinung, Inkontinenz umgegangen? Wie wird in der dass das bisherige System nicht ausreichend Einrichtung mit Demenz umgegangen? ist, um die Punkte Lebensqualität und Ergeb- nisqualität zur vollen Zufriedenheit ermitteln Die Prüfkriterien der MDKs enthalten also zu können. Im Übrigen bin ich der Meinung, schon wesentliche Dimensionen und können dass den Verbraucherverbänden sowie den veröffentlicht werden. Es ist klar, dass wir das Verbänden der Patienten und der pflegebedürf- in eine laienverständliche Sprache übersetzen tigen Menschen die Grunddaten aus diesen Er- müssen. Unsere Prüfberichte werden heute für hebungen zur Verfügung zu stellen sind, damit Fachleute geschrieben. Sie müssen daher über- über diese Verbände eine Aufarbeitung der Da- setzt werden. Uns ist klar, dass es weitere Di- ten stattfinden kann, was im Hinblick auf die mensionen gibt, die in einen solchen Bericht zu Veröffentlichung der Daten und Prüfberichte integrieren sind. Die Verbraucherschützer ha- eine Hilfestellung wäre. Ich bin der Meinung, ben das angesprochen. Eine wesentliche Di- dass wir das durchaus auf Landesebene regeln mension kann der MDK aber liefern. Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 12

Im Übrigen haben sich alle Spitzenverbände Eine Anmerkung zu der Frage, ob die Landes- der freien Wohlfahrtspflege auf ein solches ebene geeignet ist: Natürlich ist es zweckmä- System verständigt. Es gibt Spitzenverbände, ßig, die Landesebene mit der Veröffentlichung die das in ihren Statuten für ihre Einrichtungen zu beauftragen. Ich würde aber Wert auf eine zwingend vorschreiben. Beispielsweise ist dies bundeseinheitliche Darstellung legen. Das für die AWO-Einrichtungen gemacht worden. heißt, es muss bundesweit einhe itlich geregelt sein, wie und worüber berichtet wird. Denken Gleichwohl sind wir der Auffassung, dass öf- Sie nur an die Versicherten, die im Landes- fentlich-rechtliche Prüfungen notwendig sind, grenzbereich, zum Beispiel im Umland von insbesondere bei Einrichtungen ohne Zertifikat Hamburg wohnen. Sie schauen auf die Inter- und bei konkreten Anlässen. Allerdings muss netplattform von Hamburg und stellen fest, die Prüfung auch Folgen haben. Es ist besser, dass sie ganz anders ist als die Internetplatt- unverbesserlich schlechte Einrichtungen vom form von Schleswig-Holstein. Das kann nicht Netz zu nehmen, als alle Einrichtungen perma- beabsichtigt sein. Die Darstellungskriterien nent zu überwachen und zu überprüfen. Das sollten einheitlich sein. Ansonsten haben wir halten wir für unverhältnismäßig und für nicht keine Bedenken dagegen, das auf die Landes- wirksam. Im Übrigen würde das die Selbstre- ebene zu ziehen. gulierungskräfte der Träger der freien Wohl- fahrtspflege zerstören. Wir brauchen Anreize, und das Gesetz ist ein solcher Anreiz. Das be- Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Da- grüßen wir sehr. mit kommen wir zur Fragezeit der SPD- Fraktion. SVe Dr. Elisabeth Fix (Deutscher Caritasver- band e. V.): Wir begrüßen, dass der Gesetzge- Abg. Dr. Carola Reimann (SPD): Ich habe ber durch die Anerkennung der Zertifizie- eine Frage zur Zertifizierung. Im Gesetzent- rungsverfahren das interne Qualitätsmanage- wurf sind dazu Regelungen vorgesehen. Ich ment gestärkt hat. Dieser Weg ist durch das möchte die AWO, die Caritas, die AOK, den PQsG eingeschlagen worden und sollte weiter- VdAK und den IKK-BV fragen, wie sie die hin verstärkt verfolgt werden. Es ist positiv zu Regelungen bewerten, die zur Zertifizierung bewerten, dass zertifizierte Einrichtungen im von Pflegeeinrichtungen vorgesehen sind. Ich Hinblick auf Prüfturnus, Prüfumfang und Prüf- möchte Sie bitten, darzustellen, warum die Re- dichte durch den MDK entsprechend ausge- gelprüfung des MDK bei den zertifizierten nommen werden. Aus unserer Sicht kann eine Einric htungen entfallen soll. externe Prüfung durch den MDK entfallen, wenn die Zertifizierungen den Kriterien der Qualitätsprüfrichtlinien entsprechen. SV Rainer Brückers (Arbeiterwohlfahrt Bun- desverband e. V.): Wir begrüßen die Regelung Wir möchten allerdings anmerken, dass die im Gesetz. Wir halten eine Verknüpfung zw i- vorgesehene Stichprobenquote von 20 Prozent schen Zertifizierungsverfahren und staatlichen den an sich sehr positiven Gesetzentwurf kon- Überwachungsprüfungen für eine Stärkung des terkariert, da die Stichprobe pro Jahr gezogen Qualitätsverbesserungsprozesses, insbesondere wird und somit innerhalb von drei Jahren 60 unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit. Wir Prozent der zertifizierten Einrichtungen erneut müssen aber ganz klar festhalten: Das gilt nur geprüft werden. An dieser Stelle bitten wir, auf für solche Verfahren, die auf der Basis eines die Regelung des Referentenentwurfs, in dem Qualitätsmanagements von externen Zertifizie- eine Stichprobenquote von 10 Prozent vorge- rungsstellen nach ISO 17021:2006 begutachtet sehen war, zurückzukommen. und geprüft werden. Es handelt sich an dieser Stelle also nicht um sogenannte Gütesiegel. Diese Zertifizierungsstellen werden vom Deut- SV Dr. Herbert Reichelt (AOK- schen Akkreditierungsrat beim Bundeswirt- Bundesverband): Wir sind der Meinung, dass schaftsminister beaufsichtigt und bieten des- es für die Qualitätssicherung wichtig ist, dass halb die Gewähr für Unabhängigkeit, Unpartei- das bisherige Prüfrecht des MDK in den Pfle- lichkeit und Kompetenz. geheimen und bei den Pflegediensten uneinge- schränkt gültig bleibt. Die Wächterfunktion, die der MDK ausübt, darf nicht tangiert wer- Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 13 den. Nun enthält der Gesetzentwurf für die SV Dieter Lang (Verbraucherzentrale Bun- Kassen die Option, zu entscheiden, ob sie von desverband e. V.): Diese Regelung begegnet einer MDK-Prüfung absehen, wenn ihnen ein großen Bedenken. Wir sind nach wie vor der überzeugendes Zertif ikat vorgelegt wird. Das Meinung, dass ein wesentlich kürzerer Zeit- ist der springende Punkt. Denn mit den Zertif i- raum angemessen wäre. Das ist aber wohl zur- katen und Gütesiegeln hat es in der Vergan- zeit nicht machbar. genheit nicht die besten Erfahrungen gegeben. Insoweit denke ich, dass die Frage, wie sicher- gestellt wird, dass diese Zertifikate ihre Funk- SVe Helga Walter (Bundesarbeitsgemein- tion erfüllen, beantwortet werden muss. schaft der Senioren-Organisationen e. V.): Wir Gleichwohl sollte es beim MDK-Prüfrecht schließen uns dem Vorredner von der Verbrau- ble iben. cherzentrale an. Es gibt Bedenken dagegen, dass dieses Prüfverfahren ausgesetzt wird und Wir denken allerdings auch, dass durch die ein Zertifikat die Prüfung ersetzt. Möglichkeit, ein solches Zertifikat beizubrin- gen, das den Pflegekassen vorgelegt werden kann, die Motivation der Pflegeeinrichtungen, SV Dr. Martin Danner (Bundesarbeitsge- in der Qualitätssicherung und Qualitätsent- meinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Be- wicklung selber tätig zu werden, durchaus ge- hinderung und chronischer Erkrankung und ih- steigert werden kann. Insofern ist das zu be- ren Angehörigen e. V.): Aus unserer Sicht liegt grüßen. Aber beides sollte nebeneinander Be- der Schlüssel zur Verbesserung der Qualität stand haben. der Pflege in den Prüfungen durch den Medi- zinischen Dienst der Krankenkassen. Aus un- serer Sicht ist es sehr wichtig, dass auch die SV Thomas Ballast (Verband der Angestell- Prüfkriterien künftig unter Beteiligung von ten-Krankenkassen e. V.): Ich kann mich den Vertretern der Selbsthilfe erstellt und weiter- Ausführungen meines Vorredners im Großen entwickelt werden; denn dann kann es gelin- und Ganzen anschließen. Prüfung ist wichtig gen, betroffenenorientierte Kriterien maßgeb- und muss neutral und unabhängig erfolgen. lich zu überprüfen. Aus unserer Sicht geschieht das im Wesentli- chen durch den MDK. Um die Befürchtungen im Hinblick auf Gefälligkeitsatteste auszuräu- Abg. Dr. Margrit Spielmann (SPD): Meine men, könnte man sich allenfalls überlegen, ob Frage richtet sich an Dr. Pick und Frau Profes- man begrenzte Erprobungen solcher Zertifizie- sor Hasseler. Herr Dr. Pick, wie können Exper- rungen zulässt, um zu testen, ob es wirtschaft- tenstandards, so wie wir sie vorgesehen haben, liche Verflechtungen gibt oder nicht. Ansons- zur Verbesserung der Pflegequalität beitragen, ten sehen wir den MDK als hauptsächlichen und wie kann dies wissenschaftlich untersucht Partner in diesem Prüfgeschäft und unterstüt- werden? Die Frage nach einer wissenschaftli- zen ihn. chen Untersuchung dieser Expertenstandards möchte ich explizit an Frau Professor Hasseler weiterreichen. SV Gerd Kukla (IKK-Bundesverband): Die Kollegen vom AOK-Bundesverband und vom VDAK haben alles Notwendige dazu gesagt. SV Dr. Peter Pick (Medizinischer Dienst der Wir schließen uns diesen Auffassungen an. Spitzenverbände der Krankenkassen e. V.): Wir brauchen Expertenstandards, weil sie ein wesentlicher Beitrag zur Beschreibung des Abg. Hilde Mattheis (SPD): Ich möchte an Stands der Kunst in der Pflege, also des medi- dieser Stelle gern noch einmal nachhaken und zinisch-pflegerischen Wissens, sind. Wir brau- fragen, wie die Vertreterinnen und Vertreter chen sie auch, um eine gewisse Vereinheitli- der Verbraucherzentrale, der Bundesarbeits- chung des Wissens sicherzustellen. Deshalb gemeinschaft der Senioren-Organisationen und glaube ich, dass es richtig ist, die Experten- der BAG Selbsthilfe es sehen, wenn der MDK- standards durch den Gesetzgeber stärker zu un- Prüfauftrag durch eine Zertifizie rung ersetzt terstützen und zu fördern. werden würden. Wichtig ist, dass eine große Unabhängigkeit zum Tragen kommt, wenn die Konsentierung Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 14 und die Erarbeitung der Expertenstandards entscheidender Bedeutung. Deshalb ist es stattfindet. Das halten wir für nötig und sinn- - dies betrifft die Kriterien zur Veröffentli- voll. Für uns als Medizinische Dienste ist chung - wichtig, darauf zu achten, dass die selbstverständlich, dass das, was in den Exper- Bewertung nicht auf reine Defizitkriterien ver- tenstandards als Konsens dargelegt wird, dann engt wird, sondern das Gesamtspektrum der auch in die Prüfmaßstäbe des Medizinischen Leistungen einer Einric htung zum Tragen Dienstes eingeht. Aber auch da muss man be- kommt. achten das knüpft an das an, was Herr Wilbers eben gesagt hat: Wenn Expertenstandards heu- te erarbeitet und beschlossen werden, braucht SV Dr. Alfred Spieler (Volkssolidarität Bun- es natürlich eine gewisse Zeit, bis sie in der desverband e. V.): Im Wesentlichen möchte Versorgungsrealität ankommen. Diese Zeit ich mich Herrn Brückers anschließen. Ich muss man den Einrichtungen geben. Hier muss möchte aber zusätzlich darauf aufmerksam man entsprechende Flankierungen leisten. machen, dass die Prüfberichte des MDK im Großen und Ganzen auf die Struktur- und Pro- zessqualität abzielen und weniger auf die Er- SVe Prof. Dr. Martina Hasseler: In der wis- gebnisqualität. Dieses Problem sehen wir hin- senschaftlichen Untersuchung von Qualität ist sichtlich der umfassenden Darstellung, die es erstens wichtig, auf die Ergebnisebene zu auch von den Pflegebedürftigen und ihren An- gehen und zu fragen, welche Ergebnisse er- gehörigen genutzt werden soll. Wir meinen, reicht werden sollen, und natürlich die Ziele zu dass überlegt werden muss, welche zusätzli- bestimmen. Zweitens ist es sehr wichtig, die chen Aspekte, die die Ergebnisqualität betref- Perspektive der Pflegebedürftigen und pfle- fen, in der Darstellung berücksic htigt werden genden Angehörigen einzubeziehen. Wir ha- müssen. ben Hinweise darauf, dass Pflegebedürftige und pflegende Angehörige andere Parameter an Qualität anlegen, als wir es aus fachlicher SV Ulrich Krüger (Aktion Psychisch Kranke Perspektive vermuten. e. V.): Die Frage kann ich mit Ja beantworten. Als Instrument zur Verbesserung der Qualität wird das interne Qualitätsmanagement der ent- Abg. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Ich bleibe scheidende Hebel sein. Zur Überprüfung leistet beim Thema Pflegequalität. Meine Frage ric h- die externe Qualitätssicherung einen starken tet sich an den Vertreter der Arbeiterwohlfahrt, Beitrag. Insofern regt der hier gefundene Weg an den Vertreter der Volkssolidarität und an dazu an, in einer produktiven Form zusam- die Aktion Psychisch Kranke. Im Rahmen des menzuarbeiten. Ausbaus der Qualitätssicherung soll das inter- ne Qualitätsmanagement gestärkt werden, die Wir haben beim Thema Qualitätssicherung Inhalte der Qualitätssicherung sollen transpa- insgesamt darauf hingewiesen, dass wir es für renter gemacht und gleichzeitig soll die Prüf- wichtig ha lten, die Beteiligung der Nutzer tiefe bei externer Prüfung verringert werden. stärker in den Blick zu nehmen und über die Meine Frage lautet: Dient das bei Nachfragen einzelfallbezogene Qualitätssicherung hinaus der Pflegebedürftigen bzw. ihrer Angehörigen auch regionale Versorgungsaspekte mit in den der besseren Information? Blick zu nehmen. Im Moment ist alle Quali- tätssicherung im Wesentlichen einzelfallbezo- gen; auch die einrichtungsbezogene Qualitäts- SV Rainer Brückers (Arbeiterwohlfahrt Bun- sicherung orientiert sich an der Qualität der desverband e. V.): Es ist bisher so, dass die Leistungen für die einzelnen Klienten dieser Prüftiefe und der umfang der internen Quali- Einrichtungen. Dabei wird nicht geprüft, wie tätsmanagementverfahren, die einer externen das Versorgungsangebot in der Region ist. Es Prüfung unterliegen, weit größer sind als das, wäre nötig, das zu berücksichtigen. was der MDK bisher durch seine Prüfungen vorweisen kann. Sie bieten aufgrund ihrer Da- Abg. Hilde Mattheis (SPD): Ich habe eine tenbasis eine viel bessere Übersicht über das Nachfrage bezüglich der Zertifizierung und Gesamtspektrum der Leistungen einer Einric h- richte sie an Herrn Dr. Pick und Frau Professor tung. Dies ist für Verbraucher, die sich einen Hasseler. Ich möchte außerdem zum Prüf- Überblick über das Gesamtleistungsspektrum rhythmus eine Nebenfrage stellen. Welche Er- von Einrichtungen verschaffen müssen, von gebnisse erzielen zertifizierte Einrichtungen Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 15 bei MDK-Prüfungen? Ich würde Sie bitten, legung auf drei Jahre ist ein wichtiger Schritt. darauf noch einmal einzugehen. Ich habe auch Dies können wir auch zügig leisten. Aber man die Bitte, dass Sie die Frage mit aufnehmen, ob muss sich schon überlegen, ob das auf Dauer man über einen kürzeren Prüfrhythmus, zum ausreicht oder ob man noch weitere Schritte Beispiel von einem Jahr, verstärkt nachdenken gehen muss. Ein Jahr ist natürlich im Moment könnte. Wenn ja, warum? ein sehr ehrgeiziges Ziel.

SV Dr. Peter Pick (Medizinischer Dienst der SVe Prof. Dr. Martina Hasseler: Pflegewis- Spitzenverbände der Krankenkassen e. V.): Sie senschaftlich kann ich nur sagen, dass wir kei- haben als Erstes nach den Erfahrungen, die wir ne Erkenntnisse darüber haben, ob zertifizierte mit Zertifizierungen in der MDK- Einrichtungen eine bessere Pflegequalität er- Qualitätsprüfung machen, gefragt. Wir haben zeugen oder sichern als nichtzertifizierte Ein- das im zweiten Qualitätsbericht beschrieben. richtungen. Einen Hinweis gibt der MDS- Wir haben die Einrichtungen, die ein Zertifikat Qualitätsbericht; aber wir haben keine syste- hatten mit denen verglichen, die kein Zertif ikat matischen wissenschaftlichen Erkenntnisse da- hatten. Das Ergebnis war, dass die zertifizie r- zu. ten Einrichtungen bezogen auf die Prozessqua- lität durchaus besser als der Durchschnitt, aber Es gibt eine große Heterogenität bei den Quali- bezogen auf die Ergebnisqualität nicht besser, tätssiegeln. Sie berücksichtigen soweit ich in- sondern sogar leicht schlechter waren. Man formiert bin zwar alle die gesetzlichen Grund- muss beachten: Unter Zertifikaten versteht lagen; dennoch legen sie unterschiedliche Ver- man heute vieles. Von daher bieten Zertifizie- fahren und Instrumente zugrunde, um die Qua- rungen und Zertifikate aus unserer Sicht nicht lität zu prüfen. Diese sind, wie alle Instrumen- in jedem Fall Gewähr für gute Qualität. te, die wir zurzeit anwenden, wissenschaftlich nicht geprüft. Die Frage lautet: Messen sie Der zweite Punkt, der bezüglich Zertifizierun- Qualität, und messen sie das, was sie messen gen zu beachten ist: Wenige Zertifizierungs- sollen? Wir können im Moment nur davon verfahren beziehen überhaupt den Pflegebe- ausgehen, dass sie unterschiedliche Dimensio- dürftigen im Rahmen einer Inaugenschein- nen von Qualität messen. nahme ein. Das heißt, die zentral geforderte Dimension der Ergebnisqualität fehlt gerade Dies führt zu Problemen bei den Pflegebedürf- bei den Zertifizierungen. Deshalb ist unsere tigen und deren Angehörigen. Die Heterogeni- Empfehlung, diese beiden Instrumente nicht tät der Qualitätssiegel führt zu Intransparenz. miteinander zu vermischen. Zertifizierungen Letztendlich wissen sie nicht, was dort geprüft sind ein Instrument des internen Qualitätsma- worden ist und ob das, was geprüft worden ist, nagements. Sie haben einen Stellenwert bei der auch ihren eigenen, also den für sie relevanten Unterstützung der Einrichtung im Rahmen der Qualitätskriterien entspricht. Pflegewissen- Erledigung ihrer Aufgaben. Aber die externe schaftlich haben wir auch keine Kenntnisse Qualitätsprüfung des MDK geht deutlich dar- darüber, ob die Qualitätssicherungsverfahren über hinaus und ist unabhängiger. tatsächlich Effekte auf Qualitätssicherung oder Qualitätsentwicklung haben. Zum Prüfturnus und zur Prüftiefe: Den Turnus der Zertifizierung zu reduzieren, lehnen wir ab; Jetzt noch zur Frage nach dem Prüfrhythmus: das halten wir für falsch. Wir können uns vor- Das ist eine relativ schwierige Frage, weil wir stellen, dass da, wo anerkannte Zertifikate vor- wissenschaftlich überhaupt sehr wenig über gelegt werden, die Prüftiefe zurückgefahren das Thema Pflegequalität wissen. Welche In- wird. Für uns ist aber zentral, dass in jedem strumente messen Qualität, und welche Indika- Fall die Ergebnisqualität erhoben und be- toren brauchen wir? Es müsste dann auch noch schrieben wird. Wenn sich dort ein gutes Er- geklärt werden, ob ein kürzerer Rhythmus tat- gebnis zeigt und ein Zertifikat vorliegt, sind sächlich mehr Qualität in den Einrichtungen wir bereit , die Prüftiefe zu reduzieren. Aber erzeugen kann. wenn das Ergebnis negativ ausfällt, sind wir für eine volle Prüfung.

Zur letzten Frage bezüglich des kürzeren Prüf- rhythmus, Frau Mattheis: Ich denke, die Fest- Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 16

Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Wir rig sein dürfte, festzustellen, wie hoch genau kommen zur Frage- und Antwortzeit der FDP- die ortsübliche Vergütung im jeweiligen Ein- Fraktion. zugsgebiet ist. Darüber hinaus sind wir der Auffassung, dass es zwar sinnvoll ist, gegen Dumpinglöhne vorzugehen und keine Vergü- Abg. Heinz Lanfermann (FDP): Ich habe eine tungs- oder Lohnzahlungen unterhalb von so- Frage an den Sachverständigen Herrn Eisen- genannten Mindestlöhnen zuzulassen. Alle r- reich und an den bpa. Die Pflegekassen dürfen dings möchten wir darauf hinweisen, dass in nur noch mit Pflegeeinrichtungen einen Ver- diesem Zusammenhang nicht von Mindestlöh- sorgungsvertrag abschließen und Leistungen nen, sondern von durchschnittlichem Tariflohn für die dort erbrachte Pflege gewähren, wenn die Rede ist. Dieser durchschnittliche Tariflohn diese eine ortsübliche Arbeitsvergütung an ihre liegt deutlich oberhalb eines Mindestlohnes, Beschäftigten zahlen. Ich frage jetzt: Wie be- aber gegebenenfalls auch deutlich unterhalb werten Sie diese Regelung, und was kann nach eines üblichen Tariflohnes. Ihrer Auffassung jeweils unter ortsüblichen Tarifen verstanden werden? Zu welchen unter- Es gibt verschiedene Tarifverträge. Sie unter- schiedlichen Auffassungen von ortsüblich mit scheiden sich in der Höhe der Vergütung bei welchen Inhalten und Folgen kann man hier den jeweiligen Berufsgruppen. Einige dieser gelangen? Genauer: Wenn auf ortsübliche Ta- Tarifverträge sehen eine höhere Vergütung vor rifverträge abgezielt werden soll, welche sind als andere. Insofern wäre die Folge, dass diese dann Ihrer Meinung nach gemeint, AVR, ortsüblichen Löhne zukünftig in einen mittle- Haustarife oder TVöD? ren Tariflohn münden und dass von den Pfle- gekassen ausschließlich die se weil sie einen erheblichen Teil der Kosten der Pflegeeinric h- SV Thomas Eisenreich: Die spannende Frage tungen, ungefähr 70 Prozent darstellen, über- dabei ist, was Herr Lanfermann hat das schon nommen werden. Das würde dazu führen, dass angesprochen ortsüblich ist. Ich nenne ein Bei- alle, die oberhalb dieses durchschnittlichen Ta- spiel aus der Praxis. Wir haben bei uns recher- riflohns zahlen, dies entweder nicht refinan- chiert, dass wir in einem Umkreis von 40 Ki- ziert bekommen oder ihre tarifvertraglich ge- lometern sage und schreibe drei geltende Ta- schlossene Vereinbarung zugunsten dieses rifverträge plus Hausregelungen und Einzela b- neuen mittleren Tariflohns auflösen müssen. sprachen mit den Mitarbeitern vorfinden. Der TVöD liegt bei gewissen Altersgruppen und Das hätte erhebliche Folgen. Die Absicherung Anstellungskonstellationen unter unserem ei- der Löhne und Gehälter auf einem durch- genen Vergütungssystem. Die AVR der Caritas schnittlichen Niveau würde dadurch nicht er- liegen darüber. reicht, weil ein Großteil der Gehälter abge- senkt werden müsste, immer unter der Voraus- Für eine Vergleichbarkeit der Ortsüblichkeit setzung, dass ausschließlich diese Gehälter würde das bedeuten: Nimmt man jetzt den durch die Pflegekassen refinanziert werden. In TVöD für eine bestimmte Altersklasse, zum Verbindung mit der beabsichtigten Abschaf- Beispiel junge Mitarbeiter, zur Grundlage, o- fung des externen Vergleiches würde das dazu der nimmt man ein Durchschnittsalter und eine führen, dass wir das, was die Pflegeversiche- durchschnittliche Familienkonstellation, für die rung ursprünglich vorgesehen hatte, nämlich die AVR höhere Vergütung vorsehen? Das Markt und Wettbewerb, weitestgehend wieder heißt, in den Verhandlungen über einen Ver- dem Selbstkostendeckungsprinzip übereignen. sorgungsvertrag würde es wahrscheinlich zum Das würde aus unserer Sicht zu deutlich stei- Streit darüber kommen, wie man diese Ortsüb- genden Kosten führen, weil das Marktprinzip, lichkeit überhaupt bemisst und welche Alters- das mit der Einführung der Pflegeversicherung gruppe oder Mitarbeiterkonstellation man beabsichtigt war, nicht mehr zum Tragen kä- zugrunde legt. Das ist aus meiner Sicht nicht me. praktikabel.

Abg. Dr. Konrad Schily (FDP): Auch ich ha- SV Bernd Tews (Bundesverband privater An- be eine Frage an den Bundesverband privater bieter sozialer Dienste e. V.): Einen Teil der Anbieter sozialer Dienste. Sie lautet: Sehen Sie Antwort hat Herr Eisenreich schon gegeben. in dem hier zur Diskussion stehenden Gesetz- Auch wir sind der Auffassung, dass es schwie- entwurf Ansätze für eine Entbürokratisierung, Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 17 und wo sehen Sie die? Umgekehrt: Wenn Sie geschaffen und dieses Überdokumentieren keine Ansätze dazu sehen, wo sehen Sie, dass aufgegeben wird. eine verstärkte Bürokratie einsetzt? Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass Wenn ich gleich weiterfragen darf, dann richte die Frage besteht, ob durch die Expertenstan- ich meine nächste Frage an Herrn Eisenreich. dards neue Dokumentationsanforderungen ent- Ich möchte noch einmal auf die Standardisie- stehen würden, die dem eigentlichen Streben rung eingehen und nach seiner Meinung zu ei- nach Entbürokratisierung zum Teil oder voll- ner Standardisierung der Pflegedokumentation ständig zuwiderliefen. fragen. Gegenwärtig besteht das Problem, dass die Dienste vielfach aus Angst vor externen Qualitätsprüfungen und dem Wunsch nach haf- Abg. Heinz Lanfermann (FDP): Ich habe zu tungsrechtlicher Absicherung im Falle von den Expertenstandards noch eine kurze Frage Pflegemängeln zu einer Überdokumentierung mit der Bitte um kurze Antwort an den Vertre- tendieren. ter der privaten Krankenversicherung. Sie for- dern in Ihrer Stellungnahme, bei den Experten- standards gleichberechtigte Vertragspartei zu SV Herbert Mauel (Bundesverband privater werden. Deshalb lautet meine Frage: In wel- Anbie ter sozialer Dienste e. V.): Es kommt be- cher Hinsicht würden Sie an der Entwicklung kanntlich zu Problemen, wenn es Vorschriften der Expertenstandards mitarbeiten wollen und gibt, die schwierig umzusetzen sind. Ein Prob- können? lem ist sicherlich die Umsetzung der Leistungs- und Qualitätsvereinbarung, die uns seit Jahren wegen fehlender einvernehmlich SV Andreas Besche (Verband der privaten akzeptierter Leistungsbeschreibungen und da- Krankenversicherung e. V.): Wir stellen uns mit auch Personalbemessungsgrundlagen mehr vor, dass wir aktiv und durch eigene fachliche als schwerfällt. Insofern ist es an der Stelle gut Vorschläge in diesen Gremien mitarbeiten. Wir gemeint, aber nicht wirklich ein guter Beitrag wollen dafür innerhalb unseres eigenen Ver- zur Abschaffung der Bürokratie. Die LQV soll bandes in Zukunft verstärkt wissenschaftliche zwar abgeschafft werden; aber das funktioniert Anstrengungen unternehmen, um uns auch nach dem Prinzip: markieren, kopieren, einfü- fachlich einbringen zu können. gen. Bei der Entgeltvereinbarung wird nämlich die gleiche Regelung wieder aufgenommen, sodass wir dort auf die gleichen inhaltlichen Abg. Heinz Lanfermann (FDP): Eine Frage Schwierigkeiten stoßen. noch an Herrn Eisenreich. Sie haben in Ihrer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass Ärzte, Ein anderer Punkt, der immer wieder ange- die viele Patienten in Pflege- und Behinderten- sprochen wird, ist die Pflege- einrichtungen betreuen, besonders stark von Buchführungsverordnung. Ich glaube, dass wir Regresszahlungen betroffen sind, weil sie be- uns dort sehr schnell auf die Grundlagen der sonders viele Arzneimittel oder Heilmittel ver- ordnungsgemäßen Buchführungsvorschriften ordnen müssen. Können Sie uns vielleicht sa- verständigen können, sodass dieser Teil dann gen, welche Größenordnung man sich da vor- entfallen würde. stellen muss und ob es schon signifikantes Verhalten der betroffenen Ärzte beim Verord- nungsverfahren gibt? SV Thomas Eisenreich: Das ist eine sehr inte- ressante Frage. Wir haben das in der Praxis bei 35 Einrichtungen untersucht. Das Problem ist, SV Thomas Eisenreich: Ich hatte zwei Fälle, glaube ich, nicht allein die Standardisierung wobei der eine Fall den niedrigen Betrag be- der Prüfung bzw. der Dokumentation, sondern trifft. Da geht es innerhalb von sechs Quartalen sind die Anforderungen der Prüfer des MDK. um Rückforderungen in Höhe von ca. 90 000 Sie stellen sehr unterschiedliche Anforderun- Euro für zu viel verordnete physikalische gen. Insbesondere dann, wenn es einen Mitar- Heilmittel. Die Reaktion des Arztes war ein beiterwechsel gibt, gibt es meistens auch einen Schreiben an die Behinderteneinrichtung und Wechsel in den Anforderungen an die Doku- unsere Pflegeeinrichtung, dass die Verordnun- mentation. Insofern ist eine Standardisierung gen entsprechend reduziert werden. Wir stehen zu begrüßen, damit ein einheitlicher Standard im Moment vor der Frage, wie wir die aus un- Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 18 serer Sicht medizinisch-fachlich notwendigen möchte, in welchem Einzugsbereich der jewei- Heilmittelabgaben entsprechend kompensieren lige Pflegedienst tätig ist. können. Das betrifft zum Beispiel die mobile Rehabilitation, bei der die Krankenkassen sehr Das kann man, wie ich denke, außerhalb der unterschiedlicher Meinung sind, ob sie tatsäch- Zulassung regeln. lich ein Ersatz für eingeschränkte Heilmit- telabgaben sein soll. SV Mario Damitz (Arbeitgeber- und Berufs- verband Privater Pflege e. V.): Ich möchte dar- Abg. Heinz Lanfe rmann (FDP): Ich habe eine auf hinweisen, dass die Pflegedienste schon al- weitere Frage an einige Verbände; ich schlage lein aus wirtschaftlichen Gründen ein Interesse Caritas, bpa und ABVP, also den Arbeitgeber- daran haben, dass der Einzugsbereich nicht zu und Berufsverband Privater Pflege, vor. Die stark erweitert wird. Außerdem ist die Abgel- Pflegedienste sollen ihre Leistungen künftig tung zusätzlicher Wegekosten in den Vergü- nur in einem bestimmten Einzugsgebiet tungsvereinbarungen nach § 89 SGB XI bisher erbringen dürfen. Das betrifft Sie. Mich inte- ausgeschlossen. Insofern sehen wir keinen ressiert, wie Sie dazu stehen. Grund, hier eine Regelung zu treffen, und ver- weisen in diesem Zusammenhang auf das BSG-Urteil. SVe Dr. Elisabeth Fix (Deutscher Caritasver- band e. V.): Das Bundessozialgericht hat ja diesbezüglich eine andere Rechtsprechung ge- Abg. Daniel Bahr (Münster) (FDP): Ich habe troffen, als der Gesetzgeber es jetzt vorsieht. eine Frage an den Caritasverband und den Wir sehen in der Beschränkung des Einzugs- DEVAP. Es wurde bereits die Frage aufgewor- gebietes eine Zulassungsbeschränkung. Die fen, ob die Veröffentlichung der MDK- Wahl eines bestimmten Pflegedienstes oder ei- Prüfberichte ein geeignetes Mittel ist. Mich ner Pflegeeinrichtung entspricht dem Wunsch- würde interessieren, ob der Caritasverband und und Wahlrecht und sollte über das definierte der DEVAP Alternativen zur Veröffentlichung Einzugsgebiet hinaus zulä ssig sein. Das BSG der Prüfberichte des MDK sehen, um die wollte mit seinem Urteil eigentlich einen Si- Transparenz in der Pflege zu erhöhen. cherstellungsauftrag für ein bestimmtes Ein- zugsgebiet definieren und nicht eine Zula s- sungsbeschränkung. Wir bitten darum, diesen SVe Dr. Elisabeth Fix (Deutscher Caritasver- Passus aus dem Gesetzentwurf zu entfernen. band e. V.): Bisher kommt die Ergebnisqualität in den MDK-Prüfberichten weitaus zu kurz. Überwiegend wird darin die Struktur- und Pro- SV Bernd Tews (Bundesverband privater An- zessqualität abgebildet. Der Verbraucher ist bieter sozialer Dienste e. V.): Ich möchte mich aber an der Ergebnisqualität interessiert. Unser weitestgehend den Ausführungen von Frau Dr. Vorschlag ist, die Kriterien zur Definition von Fix anschließen. Auch wir sind der Auffas- Ergebnisindikatoren von den Leistungserbrin- sung, dass hier sozusagen das Recht des Pfle- gern und den Leistungsträgern gemeinschaft- gebedürftigen auf freie Wahl der Pflegeein- lich entwickeln zu lassen. Dann sollten sie als ric htung eingeschränkt wird. Das war nic ht die Grundlage für die Erstellung der Qualitätsbe- Absicht der BSG-Rechtsprechung. richte, die veröffentlic ht werden, herangezogen werden. Außerdem sind wir der Auffassung, dass es den Pflegediensten durchaus ermöglicht wer- Darüber hinaus sollte, wie vom Gesetzgeber den sollte, auch über das vereinbarte Einzugs- gefordert, auch die Lebensqualität abgebildet gebiet hinaus Leistungen zu erbringen, wenn werden. Diese kann der MDK nicht definieren. es vom Pflegebedürftigen gewünscht wird; Hier ist man im Wesentlichen auf die Daten dies betrifft auch Gesichtspunkte der Wirt- der Einrichtungen angewiesen. Des Weiteren schaftlichkeit und die Möglichkeit, flexibel zu sollte es möglich sein, dass auf der Basis frei- agieren. Davon abgesehen haben wir natürlich williger Angaben Berichte, die den Aspekt der Verständnis dafür, dass wie in der Begründung Lebensqualität beinhalten, angefertigt werden. ausgeführt die Bundesregierung den Pflegekas- Der Deutsche Caritasverband beschäftigt sich sen einen Überblick darüber verschaffen gegenwärtig in Zusammenarbeit mit seinem Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 19

Fachverband, dem VKAD, damit, solche Krite- kommen ist. Einrichtungen haben sich gegen- rien zu erarbeiten. seitig zertifiziert unter der Prämisse: Dann werden wir nicht mehr so oft und nicht mehr in so kurzen Abständen kontrolliert. SV Wilfried Voigt (Deutscher Evangelischer Verband für Altenarbeit und Pflege e. V.): Durch eine Zertifikation kann immer nur die Daran will ich kurz anschließen. Im Grunde Istsituation dargestellt werden. Viele Einric h- genommen befürworten wir Veröffentlichun- tungen sind ab dem Moment, in dem sie ein gen. Sie müssen aber nach einheitlichen Krite- Zertifikat erhalten, nicht mehr unbedingt be- rien aufgebaut sein. Deswegen muss tatsäch- müht, ihren bisherigen Standard zu halten; lich von einem Gremium festgelegt werden, denn sie wissen, dass sie sicher sein können, in was veröffentlicht wird. den nächsten Jahren nicht überprüft zu werden.

Ich denke, der einzige Sinn des Ganzen ist, Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Wir dass man bei Regressforderungen seitens der kommen zur Fragerunde der Fraktion Die Lin- Heimbewohnerinnen und -bewohner sagen ke. kann: Rückwirkend vom Zeitpunkt X, dem Tag, an dem die Zertifizierung erfolgt ist, war vermutlich alles in Ordnung. Darauf, wie die Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.): Ich kann Situation in der Zukunft ist, hat das meiner an das, was gerade gesagt wurde, anknüpfen. Meinung nach aber keine Auswirkungen. Die Meine erste Frage richte ich an Frau Bartz vom Lebensqualität der Heimbewohnerinnen und - Forum selbstbestimmter Assistenz behinderter bewohner spielt bisher ohnehin eine viel zu ge- Menschen; ich bedaure übrigens, dass die ringe Rolle. Bundesinteressenvertretung der Nutzerinnen und Nutzer von Wohn- und Betreuungsange- boten im Alter und bei Behinderung, der ich Abg. Frank Spieth (DIE LINKE.): Ich habe diese Frage auch gern gestellt hätte, hier nicht eine Frage an Herrn Pick, den Vertreter des vertreten ist. MDS. Mit der begrüßenswerten Verkürzung der Prüfintervalle auf drei Jahre hätten wir, Im Hinblick auf die Kriterien, die Betroffene wenn der Inhalt dieses Gesetzentwurfes Wirk- an Prüfaufträge anlegen, frage ich Sie: Sind für lichkeit würde, durchaus einen Fortschritt er- die Betroffenen tatsächlich die Fragen, um die zielt. Dennoch bedeutet diese Verkürzung, es hier immerzu geht, wichtig, oder sind für sie dass lediglich an zwei von 1 095 Tagen geprüft andere Aspekte wichtiger, zum Beispiel die wird. An 1 093 Tagen geschieht nichts. Vor Ermöglichung von Teilhabe und selbstbe- diesem Hintergrund frage ich Sie: Können Sie stimmter Lebensführung oder die Erhöhung aufgrund Ihrer Erfahrungen mit den Prüfungen der Lebensqualität, die gerade angesprochen des MDK und den Berichten des MDS Vor- wurde? schläge machen, wie die Qualität in den ambu- lanten und stationären Einrichtungen darüber hinaus gesichert werden kann? SVe Elke Bartz (Forum selbstbestimmter As- sistenz behinderter Menschen e. V.): Wenn ich den gesamten Prozess betrachte, habe ich sehr SV Dr. Peter Pick (Medizinischer Dienst der große Bedenken. Denn wir verfolgen immer Spitzenverbände der Krankenkassen e. V.): noch den Ansatz, wegorientiert zu agieren und Zunächst muss man immer fragen: Was kann zu fragen: Wie laufen die einzelnen Prozesse eine Einrichtung selbst tun? Ich denke, was das ab? Das ist nicht ergebnisorientiert. Es sollte eigene Engagement betrifft, kann sicherlich uns immer um eine Ergebnisor ientierung zum noch mehr getan werden. Wir vertrauen nicht Wohle der Heimbewohnerinnen und - auf die Selbstregulierung der Einrichtungen. bewohner gehen. Das heißt, dass sie viel stär- Hier sind mehr Engagement und Aktivitäten ker einbezogen werden müssen. gefordert.

Was die Zertifikationen anbelangt, habe ich in Mit der Regelprüfung, die gewährleistet, dass meinem Umfeld in einer Region, die recht spätestens alle drei Jahre eine Prüfung stattfin- dünn besiedelt ist feststellen können, dass es zu det, haben wir ein ganz gutes Raster entwi- einem regelrechten Zertifikationsreigen ge- ckelt; das ist ein wesentlicher Schritt. Daneben Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 20 besteht nach wie vor die Möglichkeit, Anlass- die Ihrer Meinung nach geeignet sind, die am- prüfungen zu initiieren. Immer dann, wenn im bulanten Angebote im Interesse pflegebedürf- Umfeld negative Vorkommnisse bekannt wer- tiger Menschen zu verbessern, und in welcher den, sollte man die Pflegekassen informieren, eher nicht? sodass sie die Möglichkeit haben, dem MDK einen Prüfauftrag zu erteilen. SVe Elke Bartz (Forum selbstbestimmter As- Man muss sagen: Es ist in sehr hohem Maße sistenz behinderter Menschen e. V.): Noch lie- vom Umfeld abhängig, ob Missstände bekannt ber als der Grundsatz „ambulant vor stationär“ und Maßnahmen eingeleitet werden. Man soll- wäre mir der Grundsatz „ambulant statt statio- te dazu ermuntern, an die Pflegekassen und die när“. Es gibt aber im gesamten Leistungsbe- Heimaufsicht heranzutreten, um zusätzlich reich noch sehr viele Defizite. In den Pflege- zum geplanten Dreijahresrhythmus die Durch- stufen I und II sind der Umfang der Unterstüt- führung anlassbezogener Prüfungen zu ermög- zung und die Höhe der Sachleistungen im sta- lichen. Natürlich ist es vorstellbar, die Prüfin- tionären Bereich nach wie vor größer. Das Ni- tervalle in Zukunft noch weiter zu verkürzen; veau dieser Leistungen soll laut Gesetzentwurf das habe ich bereits angedeutet. Die Verkürzug nicht gesenkt werden. Eine tatsächliche An- der Prüfintervalle auf drei Jahre ist allerdings gleichung der ambulanten und der stationären erst einmal ein wichtiger Schritt, den wir sehr Leistungen findet allerdings nicht statt. begrüßen. Wesentlich besser wäre es gewesen, die Rege- lung zu treffen, dass die Leistungen personen- Abg. Frank Spieth (DIE LINKE.): Ich habe orientiert gewährt werden, und zwar unabhän- eine Frage an Verdi. Welche Gründe sind aus gig davon, wo sich die betreffende Person be- Ihrer Sicht für Mängel in der Versorgungsqua- findet. Die Höhe der Leistung sollte sich nur lität verantwortlich, und welche Vorschläge nach der jeweiligen Einstufung richten. Die würden Sie machen, wie diese Mängel besei- jetzige Situation hat für stationäre Einrichtun- tigt werden könnten? gen den großen Anreiz, dafür zu sorgen, dass sie ihren Status und ihre Bewohnerinnen und Bewohner behalten und sie nicht durch rehabi- SV Herbert Weisbrod-Frey (Vereinte Dienst- litative Maßnahmen in die Lage versetzen, leistungsgewerkschaft): Für Versorgungsmän- vom stationären in den ambulanten Bereich zu gel ist insbesondere die Personalknappheit ur- wechseln. sächlich. Die Personalknappheit ist eines der größten Probleme, die wir haben. Insbesondere in der Altenpflege wird zu wenig ausgebildet, Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.): Jetzt ha- und die Vergütungen sind häufig zu gering. be ich zu einem ganz anderen Themengebiet Wir sind der Meinung, dass als ein Qualitätsin- eine Frage an den Sozialverband Deutschland, strument für höhere Vergütungen gesorgt wer- den SoVD diese Frage richte ich auch an den den sollte; hier hat der Gesetzgeber einen gu- Deutschen Frauenrat: Wie bewerten Sie die im ten Weg eingeschlagen. Wir halten es alle r- Omnibusverfahren angehängte geplante Neu- dings für wichtig, dass dabei nicht auf die orts- regelung zur Verpflichtung von Ärzten und üblichen Vergütungen, sondern auf den Tarif- Einrichtungen, sich in bestimmten Fällen nicht vertrag für den öffentlichen Dienst abgestellt an die Schweigepflicht zu halten und Daten an wird. Es muss gewährleistet sein, dass die ent- die Krankenkassen zu übermitteln? sprechenden Vergütungen von den Einrichtun- gen gezahlt werden. SVe Dr. Gabriele Kuhn-Zuber (Sozialver- band Deutschland e. V.): Wir halten das Om- Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.): Ich habe nibusverfahren für etwas fragwürdig, weil es eine zweite Frage an Frau Bartz. Wie beurtei- zu einer Änderung des SGB V im Rahmen des len Sie, dass der Grundsatz „ambulant vor sta- Pflege-Versicherungsgesetzes führt. Die ge- tionär“ immer wieder proklamiert, in der Pra- plante Verpflichtung der Ärzte, die Kranken- xis aber häufig nicht umgesetzt wird? Da heute kassen zu informieren, stellt einen schweren ein Gesetzentwurf und verschiedene Anträge Eingriff in das Grundrecht auf informationelle zur Diskussion stehen, frage ich Sie: In wel- Selbstbestimmung dar. Wir befürchten, dass cher dieser Vorlagen werden Wege aufgezeigt, Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 21 dadurch das Vertrauensverhältnis zwischen Wir halten es außerdem für erforderlich, dass Arzt und Patient nachhaltig gestört wird. Leistungserbringer und Krankenkassen ein Personalbemessungsinstrument vereinbaren, Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass durch dem zugrunde gelegt wird, welche Möglichke i- die Verpflichtung der Ärzte, eine Meldung zu ten der Pflege bestehen. Ein solches Personal- machen, wenn sie zum Beispiel einen Patie n- bemessungsinstrument gibt es derzeit noch ten behandeln, der sich bei einem Vergehen nicht. Diese Voraussetzungen müssen erst oder einem Verbrechen verletzt hat, der rechts- einmal erfüllt werden. Im bisherigen Gesetz- staatliche Grundsatz der Unschuldsvermutung gebungsverfahren ist das noch nicht der Fall. unterlaufen wird; denn die Ärzte, die diese Meldung nicht machen, werden sanktioniert. Wir halten das Ganze mit Blick auf das allge- Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.): Ich habe meine Persönlichke itsrecht für eine sehr große noch eine Frage an den SoVD und an die Gefahr. Deutsche Alzheimer-Gesellschaft. Wie bewer- ten Sie den Zusammenhang zwischen Pflege, Rehabilitation und Prävention und insbesonde- Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Da re die vorgesehene Einführung von Strafzah- im Moment keine Vertreterin des Deutschen lungen? Frauenrates anwesend ist, kann Ihre Frage von dieser Seite leider nicht beantwortet werden. SVe Dr. Gabriele Kuhn-Zuber (Sozialver- band Deutschland e. V.): Im Gesetz ist bereits Abg. Frank Spieth (DIE LINKE.): Dann wür- vom Vorrang von Rehabilitation und Präventi- de ich meine Frage gern an die Bundesärzte- on die Rede. Dennoch ist auf diesem Gebiet kammer richten. Sofern möglich, möchte ich noch nicht viel passiert. Wir bezweifeln, dass darüber hinaus den Vertreter von Verdi fragen, die geplante Einführung von Strafzahlungen wie er die Einführung flexibler Personalschlüs- dazu führen wird, dass verstärkt Rehabilitati- sel im Pflegebereich beurteilt. onsmaßnahmen durchgeführt werden. Beson- ders kritisch beurteilen wir die Regelung, dass sich die Krankenkassen von ihrer Verpflic h- SVe Dr. Cornelia Goesmann (Bundesärzte- tung zur Durchführung von Maßnahmen zur kammer): Auch wir lehnen die geplante Rege- medizinischen Rehabilitation freikaufen kön- lung vehement ab. Sie ist nicht nur gegen das nen, wenn sie einen Betrag in Höhe von 1 536 Selbstbestimmungsrecht des Patienten geric h- Euro zahlen; denn die Durchführung von Re- tet, sondern sie untergräbt natürlich auch die habilitationsmaßnahmen ist teurer als 1 536 ärztliche Schweigepflicht. Ärztinnen und Ärzte Euro. Wir halten dieses Instrument für über- würden die Patientinnen und Patienten in ent- prüfungswürdig. sprechenden Situationen sicherlich darauf hin- weisen, dass es keine Leistung der GKV ist, wenn sie sie behandeln. Wir möchten aber SVe Sabine Jansen (Deutsche Alzheimer- nicht, dass es zu einer Verletzung der Schwei- Gesellschaft e. V.): Der bisher nicht wahrge- gepflicht kommt. nommene Tatbestand, dass vor der Pflege in der Regel keine Reha stattgefunden hat, soll nun behoben werden; das ist zunächst einmal SV Herbert Weisbrod-Frey (Vereinte Dienst- zu begrüßen. Allerdings sind wir ähnlich wie leistungsgewerkschaft): Was die Einführung der SoVD der Auffassung, dass sich die beab- flexibler Personalschlüssel betrifft, sind wir der sichtigte Anreizwirkung nicht entfalten wird, Meinung, dass erst dann für Flexibilität gesorgt wenn es möglich ist, diese Regelung durch werden kann, wenn es klare Vergütungsrege- Zahlung des vorgesehenen Betrages zu umge- lungen gibt. Darüber hinaus ist eine eindeutige hen; denn Rehamaßnahmen sind teurer. Ei- Definition des Begriffs Pflegebedürftigkeit gentlich müsste man diesem Gesetzentwurf ei- notwendig diese gibt es derzeit noch nicht, nen anderen Geist verleihen. Es müsste eine damit deutlich wird, mit welcher Qualifikation Selbstverständlichkeit sein, Rehabilitation im man welche Aufgaben verrichten kann. Hier Rahmen der Pflege stärker zu verankern. gibt es Nachholbedarf. Diese Rahmenbedin- gungen müssen erst einmal geschaffen werden.

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Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Wir All das macht aus meiner Sic ht eine stärkere kommen damit zur Fragerunde der Fraktion Einbindung der Kundinnen und Kunden erfor- Bündnis 90/Die Grünen. derlich. Die im Heimgesetz getroffenen Rege- lungen der Heimmitwirkung sind völlig unzu- reichend. Hier geht es, wie in Ihrer Frage deut- Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS lich wurde, um Mitbestimmung. Dass Mitbe- 90/DIE GRÜNEN): Meine ersten Fragen ric h- stimmung praktiziert werden soll, kann ich ten sich an Herrn Wallrafen-Dreisow. Welche zum jetzigen Zeitpunkt weder im vorliegenden Bedeutung hat im Rahmen der Qualitätssiche- Gesetzentwurf noch an der Entwicklung der rung die Einbindung und Mitbestimmung der Landesheimgesetze erkennen. Nutzerinnen und Nutzer in den Diensten und Einrichtungen vor Ort? Wird der vorliegende Gesetzentwurf dieser Bedeutung gerecht? Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Auch meine nächsten Fra- gen richte ich an Herrn Wallrafen-Dreisow. SV Helmut Wallrafen-Dreisow: Ich würde Wie bewerten Sie die geplante Regelung, dass gern zwei Begriffe, von denen bis jetzt noch den Einrichtungen die Möglichkeit eröffnet nicht die Rede war, in diese Diskussion ein- werden soll, die Tiefe der MDK-Regelprüfung bringen: die Würde und die Wertschätzung der zu verringern und den Prüfungsturnus zu ver- älteren Menschen, um die es geht. Wenn diese längern, sofern aus anderen Zertifizierungsver- Aspekte zentrale Punkte sind das unterstelle fahren vergleichbare Prüfungsergebnisse vor- ich, dann haben sie auch Einfluss auf die Hal- liegen? Halten Sie es für ausreichend, dass je- tung der Beschäftigten im Arbeitsalltag, so- des Jahr mindestens 20 Prozent der betreffen- wohl auf die der Auszubildenden als auch auf den Einrichtungen einer unangemeldeten die der Vorgesetzten. Wenn die Arbeitgeber Stichprobe unterzogen werden sollen und dass also die Kunden sind als Konzerngeschäftsfüh- für die Regelprüfung ein Dreijahresturnus vor- rer steuert man einen Apparat; letztlich geht es gesehen ist? aber um die älteren Menschen, dann ist es exi- stenziell wichtig, dass mit dieser Reform die Ergebnisqualität in den Mittelpunkt gerückt SV Helmut Wallrafen-Dreisow: Davon halte wird. ich nichts. Heute Morgen ist schon mehrfach angeklu ngen, dass zwischen der Zertifizierung Wie bereits gesagt wurde, haben wir bisher und der Einflussnahme auf den Turnus der viel über die Struktur- und Prozessqualität ge- Prüfungen ein Zusammenhang bestehen kann. sprochen. Völlig unklar ist aber das wurde in Wer die Zertifizierung ernst nimmt wir tun das den Stellu ngnahmen der Verbände deutlich, und wenden das EFQM-Modell an, dem ist was letztlich unter Ergebnisqualität zu verste- letztlich egal, wie häufig geprüft wird. Für uns hen ist. Das finden wir allerdings nicht heraus, kommt die Selbstbestimmung vor der Fremd- wenn wir Träger uns mit dem Gesetzgeber zu- bestimmung. Sie sind übrigens herzlich einge- sammensetzen. Hier ist eine existenzielle Ein- laden, die Regelung zu treffen, dass auch un- bindung der Kunden vonnöten. Ob diese Ein- angemeldet geprüft werden kann; das fordern bindung durch Personen vor Ort oder im Rah- wir schon lange. men der Verbandsstrukturen erfolgen sollte, möchte ich an dieser Stelle offen lassen. Durch eine gute Zertifizierung wird das Selbstbewusstsein der Belegschaft, das in ih- Es wird immer wieder verkannt, weshalb die rem Arbeitsalltag notwendig ist, gestärkt. Da- Einbindung der Nutzerinnen und Nutzer von so durch wird man unabhängig davon, ob eine großer Bedeutung ist. Bitte berechnen Sie doch Fremdkontrolle stattfindet oder nicht. Von da- einmal, wie viel Eigenkapital die Menschen, her halte ich es für sehr bedenklich, eine Ver- die in einem Heim leben, mitbringen. Dieser rechnung von Zertifizierung, die nach vielen Anteil beträgt nicht etwa nur 5 Prozent. Wir Zertifizierungsmodellen nur eine Momentauf- haben berechnet, dass sich der Anteil des Ei- nahme ist, und Prüfung vorzunehmen; auch genkapitals, der ausgeschöpft wird, bevor an- das wurde bereits angesprochen. Das eine, un- dere Refinanzierungsquellen in Anspruch ge- sere Selbstprüfung, hat mit der Ergebnisquali- nommen werden, auf circa 50 Prozent beläuft. tät zu tun, das andere betrifft Aspekte, die ich nicht weiter kommentieren möchte.

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Wie Sie sagten, sollen jedes Jahr 20 Prozent solche Klarstellung ist auch im Gesetzentwurf der Einrichtungen einer unangemeldeten notwendig. Stichprobe unterzogen werden. Dieser Anteil ist eindeutig zu gering. Wir Heimträger sagen Die Sorge, die wir haben, betrifft die Unab- zu Recht, dass viele Einrichtungen über eine hängigkeit der Qualitätsentwicklung; dieses hohe Qualität verfügen. Gerade deshalb for- Thema ist von Herrn Dr. Wilbers, Frau Profes- dern wir, viel häufiger überprüft zu werden. sor Schiemann und Herrn Professor Klie schon Wir wollen unsere Qualität unter Beweis stel- aufgegriffen worden. Unserer Ansicht nach ist len und dazu beitragen, dass endlich die Spreu die Unabhängigkeit der Qualitätsentwicklung vom Weizen getrennt werden kann. Das muss in diesem System, das die Schaffung eines endlich rüberkommen. Wenn man an die Gremiums nach § 113 SGB XI und einer schlechten Einrichtungen, die es auch gibt, Schiedsstelle vorsieht, nicht gewährleistet. Wir denkt, muss man feststellen: Wenn nur alle plädieren, wie Frau Scharfenberg von der drei Jahre eine Prüfung durchgeführt wird, ist Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausge- das viel zu selten. führt hat, für die Einrichtung eines unabhängi- gen Gremiums zur Sicherstellung der Qualität in Pflege und Betreuung. Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine nächste Frage geht Unser Verein hat hierzu Machbarkeitsstudien an die Bundeskonferenz zur Qualitätssicherung erstellt. Wir kamen zu dem Ergebnis: Das ist im Gesundheits- und Pflegewesen. Die grüne verfassungsrechtlich machbar, gesundheitspo- Bundestagsfraktion plädiert in ihrem Antrag litisch ohne weiteres in dieses System einzufü- für die Errichtung einer unabhängigen und gen und auch organisatorisch so umzusetzen, multidisziplinär besetzten Instanz für Qualität dass Unabhängigkeit gewährleistet ist. Unsere in der Pflege mit dem Ziel, in einem transpa- Studien liegen vor und sind bekannt. Ich bitte renten und unabhängigen Verfahren verbindli- Sie, diese Ergebnisse zur Kenntnis zu nehmen. che Kriterien und Standards zur Definition und Bewertung der Pflegequalität zu entwickeln. Damit würden sich die anderen Fragen erübri- Wie bewerten Sie diese Forderung insbesonde- gen. Das Gremium nach § 113 SGB XI kann re vor dem Hintergrund der im Gesetzentwurf Qualität nicht sozusagen per Vertrag festlegen. geplanten Regelungen? Man kann Qualität erst recht nicht von einer Schiedsstelle bestimmen lassen. Was unser Gesundheitswesen angeht, wäre das rechtlich SV Prof. Dr. Gerhard Igl (Bundeskonferenz problematisch und systemfremd. Diese zur Qualitätssicherung im Gesundheits- und Schiedsstelle wäre die erste, die über Qualität Pflegewesen e. V.): Frau Abgeordnete, lassen befindet; ansonsten entscheiden Schie dsstellen Sie mich zunächst eine Freude, eine Bitte und nur über Vergütungen. International ist kein eine Sorge zum Ausdruck bringen. solches Beispiel bekannt.

Die Freude bezieht sich darauf, dass in der Ge- Ich möchte dafür plädieren, dass die Quali- setzgebung, die sich mit pflegebedürftigen tätsmaßstäbe, die entwickelt werden, empfoh- Menschen befasst, zum ersten Mal etwas Posi- len werden. Da in allen Qualitätsklauseln von tives zur Qualitätsentwicklung gesagt wird; das allgemein anerkannter Qualität und allgemein hat eine Folgewirkung. Es wird zwar immer anerkannten Erkenntnissen die Rede ist, würde beklagt, dass der MDK eine andere Qualität eine Art Beweislastumkehr stattfinden. Derje- prüft, als es später die Heimaufsicht tut. Wir nige, der diese Qualität nicht anerkennt, be- beurteilen es aber als sehr positiv, dass dieser kommt ein Problem. Er muss begründen, wa- Aspekt vom Gesetzgeber aufgegriffen wurde rum er sie nicht anerkennt. Deswegen muss und die notwendige Finanzierung sichergestellt man sie nicht vorschreiben. werden soll.

Unsere Bitte ist: Stellen Sie klar, dass sich der Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS Begriff Expertenstandards nicht nur, wie es in 90/DIE GRÜNEN): Meine nächste Frage ric h- der Gesetzesbegründung heißt, auf monodiszi- te ich erneut an die Bundeskonferenz zur Qua- plinäre Standards, sondern auch auf multipro- litätssicherung im Gesundheits- und Pflegewe- fessionelle Standards bezieht. Ich denke, eine sen und an die Verbraucherzentrale; ich bitte Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 24 um eine möglichst akzentuierte Antwort, damit im Gesetzentwurf der Bundesregierung formu- ich danach eine weitere Frage stellen kann. lierten Ansätze?

In ihrem Antrag fordert die grüne Bundestags- fraktion bezüglich der Qualitätsentwicklung, SV Prof. Dr. Thomas Klie (Deutsche Gesell- die Beteiligung und Mitwirkung der Organisa- schaft für Gerontologie und Geriatrie e. V.): tionen für die Wahrnehmung der Interessen Für die Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und der Selbsthilfe von pflegebedürftigen und und Geriatrie ist Multidisziplinarität ein sehr behinderten Menschen sicherzustellen. Wie wichtiger Qualitätsbaustein zur Sicherung der beurteilen Sie diese Forderung nach Mitwir- Versorgung der Menschen mit Pflegebedarf. kung, und wird ihr im Gesetzentwurf der Bun- Dieser Ansatz ist im Gesetzentwurf leider nicht desregierung Ihres Erachtens in ausreichendem prominent vertreten bzw. wird sogar eher ver- Maße Rechnung getragen? nachlässigt.

Das gilt, wie ich schon erwähnte, auch für die SV Prof. Dr. Gerhard Igl (Bundeskonferenz Formulierung der Expertenstandards, bei der zur Qualitätssicherung im Gesundheits- und die Multidisziplinarität anders als es das Leis- Pflegewesen e. V.): Ich bitte um Nachsicht, tungsrecht des SGB XI eigentlich nahelegen dass ich diese Frage noch nicht beantwortet würde nicht berücksichtigt wurde, bei aller habe. Es ist eigenartig, dass diese Beteiligung, Bedeutung, die wir gerade in diesem Zusam- was die Schiedsstelle betrifft, nach dem Ge- menhang den monodisziplinären Standards setzentwurf der Bundesregierung nicht ge- beimessen. Die Dimension der Multidisziplina- währleistet ist. Auch wenn man dieses Modell rität ist unserer Meinung nach auch in den beibehalten würde, könnte man den Betroffe- Konzepten der Qualitätsprüfung nicht hinrei- nenverbänden wenn auch keine entscheidende, chend berücksichtigt. so doch zumindest eine beratende Beteiligung ermöglichen. Bisher ist das aber nicht gewähr- In unserem Prüfpunktepapier haben wir formu- leistet. Im Übrigen unterstütze ich Ihre An- liert, dass Qualitätssicherung für uns mindes- sicht. tens vier Ebenen hat: nicht nur die externe E- bene, die im vorliegenden Gesetzentwurf be- sonders betont wird, sondern natürlich auch ei- SV Dieter Lang (Verbraucherzentrale Bun- ne interne, die ebenfalls erwähnt wird, eine re- desverband e. V.): In den §§ 113 ff. des Ge- gionale, in deren Rahmen regionale Akteurs- setzentwurfes werden die Art und Weise und gruppen, insbesondere Akteure der Zivilgesell- der Rahmen der Beteiligung der sogenannten schaft, stärker einzubeziehen sind, und eine in- maßgeblichen Organisationen nicht einheitlich dividuelle. geregelt. Für meine Begriffe fehlen aber an entscheidender Stelle entscheidende Vorschrif- Wir würden uns wünschen, dass die Ergebnis- ten, wie diese Beteiligung im Einzelnen statt- qualität im Rahmen der in Auftrag gegebenen finden soll. Wir sind der Auffassung, dass den Entwicklung eines neuen Begutachtungsver- maßgeblichen Organisationen ein Beratungs- fahrens und Assessmentinstruments auf der recht eingeräumt werden sollte. Der Gesetz- Einzelfallebene geprüft wird, sodass man den entwurf sollte dahin gehend ergänzt werden, Prüfaufwand in den Einrichtungen reduzieren dass die Bundesregierung nähere Einze lheiten kann. Wenn wir die Lebenssituation der Men- zur Zertifizierung der maßgeblichen Organisa- schen mit Pflegebedarf in einem Begutach- tionen durch eine Verordnung regelt. tungs- und Assessmentverfahren aus multidis- ziplinärer Perspektive betrachten, dann können wir auch die in der gesamten Diskussion über Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS Qualitätssicherung vernachlässigten Personen- 90/DIE GRÜNEN): Meine nächste Frage ric h- gruppen, die bisher nur Pflegegeld beziehen, tet sich an die Deutsche Gesellschaft für Ge- mit in den Blick nehmen. Aus unserer Sicht rontologie und Geriatrie und an den Caritas- könnte dies einen Quantensprung in Sachen verband. Die grüne Bundestagsfraktion betont multidisziplinärer Qualitätsentwicklung bedeu- in ihrem Antrag, dass Qualitätsentwicklung ten. multidisziplinär zu erfolgen hat. Wie bewerten Sie diese Forderung vor dem Hintergrund der Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 25

SVe Dr. Elisabeth Fix (Deutscher Caritasver- Pflegebedürftigkeit auskennt, der weiß, dass es band e. V.): Qualitätsentwicklung erfordert ei- einen deutlich höheren Rehabilitationsbedarf nen multidisziplinären Ansatz und die Einbe- oder auch mehr Rehabilitationsmöglichkeiten ziehung aller Professionen. Im Mittelpunkt gibt. Die Umsetzung muss also anders gestaltet muss die Lebensqualität der Bewohner stehen. sein. Hierbei geht es auch um die hauswirtschaftli- che Versorgung und die soziale Betreuung, o- Ich halte grundsätzlich die Idee, finanzielle rie ntiert an den Grundsätzen der Selbstbe- Anreize zu setzen, für richtig. Bisher ist die Si- stimmung und der Normalität. Insofern müssen tuation folgende: Die Krankenkasse muss die alle Disziplinen in den Prozess der Qualitäts- Rehabilitation bezahlen, wovon die Pflegekas- entwicklung einbezogen werden. se profitiert, weil das unterschiedliche Finan- zierungskreise sind. Strafzahlungen besser wä- Eine kurze Anmerkung zu den Expertenstan- ren natürlich Anreize sind im Grunde genom- dards. Wir sehen es als erforderlich an, dass men der richtige Weg, weil dann ein finanzie l- nicht nur die Regelungen zur Pflege im SGB les Interesse vorhanden ist. Ob der Betrag von XI einseitig in den Blick genommen werden, 1 536 Euro ausreicht, wage ich zu bezweifeln. sondern auch die im SGB V. Auch hinsichtlich Ich würde, um ein Zeichen zu setzen, den Be- der Expertenstandards ist ein interdisziplinärer trag verdoppeln. Ich sehe, dass hier einige Ansatz zugrunde zu legen. schon tief durchatmen. Aber auch die Vertreter der Kassen sagen, dass sie für das Motto „Re- habilitation vor Pflege“ sind. Deswegen dürfte Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Wir sie dieser Betrag gar nicht schrecken, weil die- kommen zur zweiten Fragerunde der se Strafzahlungen nie anfallen würden. Inso- CDU/CSU-Fraktion. fern wäre es eine gute Sache, wenn man eine höhere Zahl in den Gesetzentwurf hinein- schreiben würde. Abg. Willi Zylajew (CDU/CSU): Uns interes- siert die Position des Herrn Dr. Wilbers zu Man stellt sich die Rehabilitation bei Pflegebe- dem Bereich Prävention und Rehabilitation dürftigkeit immer als eine sechswöchige stati- und ganz konkret zu § 40 Abs. 3 Sozialgesetz- onäre geriatrische Behandlung vor. Das muss buch V. Hier ist eine Strafzahlung der Kran- nicht immer der Fall sein. Das ist auch nicht kenkassen für den Fall vorgesehen, dass nicht immer indiziert. Vielmehr gibt es ganz gezielte innerhalb von sechs Monaten notwendige Leis- Maßnahmen, die die Lebensqualität deutlich tungen zur Rehabilitation erbracht worden verbessern. Ich denke zum Beispiel an den Be- sind. reich der Logopädie oder auch der Ergothera- pie, in dem rehabilitative Maßnahmen sehr Erste Frage: Wie sehen Sie diesen Betrag, Herr schnell zu einer Verbesserung der Lebensqua- Dr. Wilbers, und zwar sowohl von der Idee als lität führen können, die ambulant erbracht auch von der Höhe her? Zweite Frage: Wie ist werden können. Ihre Einschätzung zu den Leistungen der Heil- berufe in diesem Bereich insgesamt? Dafür müssen natürlich die entsprechenden Dienstleister vorhanden sein. Versuchen Sie einmal, für einen älteren pflegebedürftigen SV Dr. Joachim Wilbers : Überall wird ge- Menschen eine logopädische Betreuung zu or- sagt, Rehabilitation solle vor Pflege gehen. ganisieren. Das ist in der Praxis gar nicht so Wenn man sich aber den vierten Pflegebericht einfach. Hier sollte man das breite Spektrum der Bundesregierung von letzter Woche an- im ambulanten, stationären und auch im teil- schaut, dann stellt man fest, dass nur in 1,7 stationären Bereich der Rehabilitation nutzen. Prozent aller Begutachtungen eine Rehabilita- Das würde mich sehr freuen; denn dann kann tionsempfehlung gegeben wird. Das ist vor der Ansatz „Rehabilitation vor Pflege“ tatsäch- dem Hintergrund überraschend, dass das Motto lich umgesetzt werden. „Rehabilitation vor Pflege“ immer nach außen getragen wird. Ich habe keine Information dar- Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. über, wie viele dieser Anregungen tatsächlich Bei der Begutachtung des MDK werden auch umgesetzt worden sind. Ich nenne hier eine Menschen beurteilt, die dann keine Pflegestufe Größenordnung: 1,7 Prozent entspricht pro genehmigt bekommen. Diese haben aber trotz- Jahr ungefähr 25 000 Personen. Wer sich mit dem meistens irgendeine Art von Pflegebedarf; Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 26 sonst würden sie keinen Antrag stellen. Hier Abg. Max Straubinger (CDU/CSU): Ich habe könnte man durch gezie lte Maßnahmen sogar einige Fragen an den Deutschen Caritasver- erreichen, dass die Pflegebedürftigkeit erst gar band und an den bpa bezüglich des Bürokratie- nicht eintritt, sondern dass schon vorab präven- abbaus. Sehen Sie in der Aufhebung der tiv und rehabilitativ eingegriffen wird. Die In- Leistungs- und Qualitätsvereinbarungen eine formationen, die der MDK durch die Begut- Regelung zur Entbürokratisierung? Ist die achtung gewinnt auch bei denjenigen, bei de- LQV tatsächlich verzichtbar oder droht damit nen die Genehmigung einer Pflegestufe abge- ein Verlust an Qualität? Woran ist die inhaltli- lehnt wird, könnten genutzt werden, um zu er- che Umsetzung der LQV bisher gescheitert? reichen, dass diese Personen auch in näherer Zukunft keine Pflegestufe benötigen, sodass es bei einem leichten Pflegebedarf bleibt bzw. der SVe Dr. Elisabeth Fix (Deutscher Caritasver- Gesundheitszustand sogar verbessert werden band e. V.): Wir sehen in der Abschaffung der kann. Hier kann man recht viel erreichen, LQV nach § 80 a SGB XI so, wie die Rege- wenn die vorliegenden Informationen an die lung bisher vorgesehen ist, einen positiven An- Stellen gelangen, die etwas machen können. satz; denn das, was mit der LQV erzielt wer- den sollte, konnte nicht erreicht werden. Es ging nämlich um das vergütungsrechtliche Abg. Hubert Hüppe (CDU/CSU): Ich habe Postulat, dem zur Folge qualitätsgesicherte und eine Frage an den Verband der Pflegekassen -bezogene Leistungen der Einrichtung tatsäch- und den bpa. Wirtschaftlichkeitsprüfungen von lich vergütet werden sollten. Mit den bisheri- Pflegeeinrichtungen gelten allgemein als um- gen LQVs, die auf Länderebene erstellt wur- stritten. Es kommt tatsächlich öfter zu juristi- den, konnte dieses Ziel nicht erreicht werden. schen Auseinandersetzungen. Von daher meine Frage: Wird die im Gesetzentwurf vorgeschla- Zudem sind die Daten, die mit den LQVs er- gene Ergänzung hier zu mehr Klarheit und hoben wurden, zum Großteil mit den Daten i- Rechtssicherheit führen? dentisch, die wir in den Rahmenverträgen nach § 75 Abs. 2 SGB XI oder im bisherigen § 80, jetzt § 113 SGB XI, oder in den Versorgungs- SV Herbert Mauel (Bundesverband privater verträgen nach § 72 SGB XI abgebildet finden, Anbieter sozialer Dienste e. V.): Wir begrüßen sodass sich die LQV als zahnloser Tiger erwie- die jetzt vorgeschlagene Regelung ausdrück- sen hat und in dieser Form abgeschafft werden lich. Es geht ja nicht darum, bei möglichen kann. Allerdings sehen wir weiter Handlungs- Anhaltspunkten dafür, dass nur die halbe Zahl bedarf darin, dass sich das Wechselverhältnis des vorgesehenen Personals beschäftigt ist, ei- von Leistung, Qualität und Preis tatsächlich ne Pflegeeinrichtung zu überprüfen. Vielmehr auch im Gesetz wiederfinden soll. Insofern ist geht es darum: Haben die Unternehmen die eine Integration in die Pflegesatzverhandlun- Verantwortung für das, was sie tun, oder haben gen nach § 85 SGB XI erforderlich. sie sie nicht? Der bisherige Ansatz ist biswei- len nicht umgesetzt worden. Die Regelung ist so, wie sie jetzt vorgesehen ist, aus unserer SV Herbert Mauel (Bundesverband privater Sicht eine sehr klare, verfassungskonforme Anbieter sozialer Dienste e. V.): Wir sind der Auslegung. Wir sehen hier keinen Änderungs- Überzeugung, dass es bei der Abschaffung der bedarf. LQV nicht zu Qualitätseinbußen kommt. Ge- dacht war diese, um die Aufgaben und die per- sonelle Ausstattung einvernehmlich zu regeln. SV Paul-Jürgen Schiffer (Verband der Ange- Das geht aber nur, wenn dafür einvernehmli- stellten-Krankenkassen e. V./Arbeiter- che Spielregeln herrschen, die sowohl für die Ersatzkassen-Verband e. V.): Wir unterstützen Kostenträger als auch für die Einrichtungsträ- diese Neuregelung. Ich weise noch darauf hin, ger klar und verbindlich sind. Daran mangelt dass die Wirtschaftlichkeitsprüfungen im Lan- es uns nach wie vor. Wir haben nach wie vor de Bayern in der Vergangenheit gemeinsam kein entsprechendes Pflegezeitbemessungssys- mit allen Beteiligten wiederholt mit einem po- tem oder Personalbemessungssystem. Solange sitiven Ansatz durchgeführt wurden. Von da- wir das nicht haben, fehlt es schlichtweg an her sollte es bei dieser Regelung bleiben. Grundlagen, um die inhaltliche Umsetzung der LQV so zu gestalten, wie sie eigentlich ge- dacht war. Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 27

Bisher hat sie nicht dazu gedient, den Einric h- Dieses Problem kann man nicht dadurch lösen, tungen die Ausstattung zu verschaffen, die sie dass man alles in die Verantwortung des Kran- brauchen, weil dafür schlichtweg die Differen- kenhauses überträgt, weil das Krankenhaus zierungspunkte fehlten. Die Leistungs- und diese Probleme nicht aus eigener Kraft lösen Qualitätsvereinbarungen ähneln sich häufig kann. Man kann hier gute Ansätze finden. Ich sehr stark, sodass dabei wenig Differenzierung denke, es hat sich in den letzten Jahren bei der möglich ist. Insofern ist wegen der fehlenden Kooperation zwischen Pflege und Kranken- inhaltlichen Grundlage die Abschaffung der häusern eine ganze Menge verbessert. Ich LQV kein Verlust. glaube aber nicht, dass man mit den Regelun- gen, die im Gesetzentwurf stehen, das Thema vom Tisch haben wird, sondern das wird uns Abg. Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU): weiter begleiten. Meine Fragen richten sich an Dr. Wilbers, an die KBV und an die Deutsche Krankenhausge- sellschaft. Das Entlassungsmanagement eines SV Dr. Carl-Heinz Müller (Kassenärztliche Krankenhauses ist an der Schnittstelle immer Bundesvereinigung): Die Mehrdimensionalität ein besonderes Sorgenkind des Gesetzgebers der Pflege wurde bereits mehrfach angespro- gewesen. Mit § 11 des GKV-WSG wurden chen. Hier kann man Abhilfe schaffen. Das Neuregelungen eingeführt. Auch mit diesem bedarf aber Vereinbarungen, die nach Mög- Gesetz wird weiter an diesem Bereich gearbei- lichkeit dreiseitig sein sollten. Hier ist, wie tet. Ist aus Ihrer Sicht das, was in diesem Ge- vorgesehen, nach § 73b SGB V der Hausarzt in setzentwurf verankert werden soll, zielführend, die Koordinierung mit einzubeziehen. Nichts- um das Entlassungsmanagement an der statio- destotrotz kennen wir es insbesondere aus der när-ambulanten Schnittstelle zu verbessern? Pflege, dass die anderen Facharztdisziplinen, Was könnte man aus Ihrer Sicht noch machen, der Chirurg, der Dermatologe, der Kollege aus damit dieses Sorgenkind kein Sorgenkind der Geriatrie und der Neurologe, einzubezie- bleibt? hen sind. Das kann man sowohl vor Ort wie auch überregional mit entsprechenden Ver- tragsregelungen schaffen. Dafür haben wir un- SV Dr. Joachim Wilbers : Aufgrund langjä h- ter anderem die Möglichkeit der IV-Verträge. riger Erfahrungen glaube ich, dass es Schnitt- Hier ist festzulegen, dass der zu Pflegende ge- stellenprobleme immer geben wird, egal wel- regelt übergeleitet wird. che gesetzlichen Bestimmungen gelten. Es liegt in der Natur der Sache, dass es unter- schiedliche Interessen und Verfahrensabläufe SV Andreas Wagener (Deutsche Kranken- gibt. Man kann die Zahl der Schnittstelle n- hausgesellschaft e. V.): In der Tat kann ich probleme verringern, aber man kann sie nie mich den Ausführungen von Herrn Wilbers ganz aufheben. Das, was im Gesetzentwurf weitgehend anschließen. In der Regel scheitert steht, könnte dazu aber ein Beitrag sein. es nicht am Management. Tatsächlich muss die Versorgungssituation auch im ambulanten Be- Ich nenne ein praktisches Beispiel: Ein Patient reich sichergestellt sein. Ansonsten besteht die wird an einem Freitag aus dem Krankenhaus in Möglichkeit, das Personalmanagement im die Kurzzeitpflege entlassen und bekommt die Krankenhaus dadurch zu verbessern, dass Geld Medikation für zwei oder zweieinhalb Tage bis zur Verfügung gestellt und das Personal be- zum Montag mit. Hier muss die Anschlussme- reitgestellt wird, welches das Management dikation sichergestellt werden. An dem Mon- besser praktiziert. Hier müsste man dem Kran- tag das ist ein realer Fall wird der Hausarzt an- kenhaus extrabudgetär Mittel geben, die dann gerufen. Der Hausarzt erklärt, ein bestimmtes auch beim Krankenhaus verbleiben. Medikament nicht verschreiben zu dürfen, weil das nur ein Neurologe verschreiben dürfe. Ein Angesichts der Verdichtung gerade im Pflege- daraufhin angerufener Neurologe sagt, er ver- bereich darf die Arbeit der Personalgruppen schreibe erstens nichts für einen Patienten, den nicht weiter verdichtet werden, sondern sie er nicht kenne, und er könne zweitens jetzt muss so gestaltet werden, dass sie sich mehr nicht kurzfristig einen Hausbesuch vornehmen. um die Patienten und das Management küm- Was machen Sie hier? Das ist eine echte mern können. Schnittstellenproblematik. Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 28

Daran möchte ich die Frage an den Verband Abg. Hermann-Josef Scharf (CDU/CSU): der Pflegekassen anschließen. Bei den Meine Frage richtet sich an den Verband der Leistungs- und Qualitätsstandards der MDKs Kranken- und Pflegekassen sowie die Bundes- gibt es enorme Unterschiede; das haben wir vereinigung der kommunalen Spitzenverbände. heute schon mehrfach gehört. Welche gesetzli- Wie beurteilen Sie die in § 75 SGB XI neu che Regelung müssen wir treffen, sodass wir aufgenommene Klarstellung, dass in den Lan- ein etwa gleiches und am Interesse des Be- desrahmenverträgen nicht nur die personelle wohners orientiertes Niveau erreichen? Ausstattung, sondern auch die Grundausstat- tung der Pflegeeinrichtungen mit Hilfsmitteln zu vereinbaren ist? SV Thomas Ballast (Verband der Angestell- ten-Krankenkassen e. V./Arbeiter- Ersatzkassen-Verband e. V.): Grundsätzlich SV Paul-Jürgen Schiffer (Verband der Ange- begrüßen wir die Möglichkeit, unabhängige stellten-Krankenkassen e. V./Arbeiter- Schiedspersonen einzuschalten. Ob es tatsäch- Ersatzkassen-Verband e. V.): Die Vereinba- lich zu einer Beschleunigung des Verfahrens rung hinsichtlich der Personalbemessungen ist kommt, hängt natürlich sehr stark von den Ver- schon heute durchaus Gegenstand in den Lan- hältnissen im Einzelfall ab. Auch Einigungs- desrahmenvereinbarungen. Von daher gibt es prozesse von unabhängigen Schiedspersonen dagegen keine Bedenken. können manchmal sehr lange dauern.

Erhebliche Bedenken haben wir aber gegen die Vereinbarung in Bezug auf die Ausstattung mit SVe Dr. Irene Vorholz (Bundesvereinigung sächlichen Hilfsmitteln. Das hat in der Ver- der kommunalen Spitzenverbände): Wenn nur gangenheit der Streit zwischen den Kostenträ- eine einzelne Person entscheidet, geht das in gern immer wieder gezeigt. Dabei geht es nicht der Regel schneller, als wenn sich ein Gremi- nur um die Pflegeversicherung, sondern teil- um eine Meinung bilden soll. Wir fragen uns weise auch um die Krankenversicherung bis aber, wie die praktische Relevanz aussehen hin zum Sozialhilfeträger. Hier erwarten wir wird, weil die Beauftragung einer unabhängi- eine ganz klare Abgrenzung. Diese wäre durch gen Person, die entscheiden soll, ein quasi eine Rechtsverordnung des Gesetzgebers zu er- blindes Vertrauen voraussetzt. Hier müsste al- reichen. so eine Art Blankoscheck ausgestellt werden, zumal kein Rechtsbehelf vorgesehen ist. Die Fragen, um die es geht, sind aber in der Regel SVe Dr. Irene Vorholz (Bundesvereinigung höchst strittig. Daher machen wir von der Sa- der kommunalen Spitzenverbände): Wir haben che her ein Fragezeichen. gleichfalls Bedenken. Die Einbeziehung der sächlichen Ausstattung in die Rahmenverträge wirft Fragen hinsichtlich der Abgrenzung zu SV Bernd Tews (Bundesverband privater An- Investitionsaufwendungen auf, weil die sächli- bieter sozialer Dienste e. V.): Wir schließen chen Aufwendungen eigentlich zu den Investi- uns weitestgehend dem an, was Frau Dr. Vor- tionsaufwendungen gehören. Daneben sind die holz gesagt hat. Wir sind der Auffassung, dass Abgrenzungsprobleme zu den Hilfsmitteln in eine zusätzliche Schiedsperson nicht zwingend § 33 SGB V schon heute nicht geklärt. Hier erforderlich ist. Der bestehenden Schiedsstel- wird es zu einer doppelt schwierigen Abgren- lenregelung ist hier der Vorzug zu geben. Inso- zung kommen. fern bedarf es keiner weiteren Schiedsperson.

Allerdings sind wir der Auffassung, dass die Abg. Willi Zylajew (CDU/CSU): Ich habe Zusammensetzung der Schiedsstellen im Rah- zwei Fragen, und zwar zum einen an den Ver- men der je tzigen Regelung hinsichtlich der band der Pfle gekassen und die kommunalen Gleichberechtigung der Bänke zu überprüfen Spitzenverbände sowie den bpa. Gehen Sie da- ist, weil nach unserer Erfahrung der Sozialhil- von aus, dass die in § 76 SGB XI neu vorgese- feträger zum Teil nicht mit eigenen Einric h- hene Möglichkeit zur Beauftragung einer un- tungen ausgestattet ist und sich trotzdem auf abhängigen Schiedsperson zu einer Beschle u- der Bank der Leistungserbringer und der Kos- nigung des Schiedsverfahrens führt? tenträger wiederfindet. Das halten wir für kor- rekturbedürftig. Insofern würden wir einer Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 29

Korrektur auf der Ebene der Besetzung und SV Thomas Montag (Deutsche Gesellschaft Zusammensetzung der bestehenden Schieds- für Palliativmedizin e. V.): Es gibt gerade im stelle den Vorrang geben. Rahmen der Veränderung des § 37 b SGB V, Sie haben es angesprochen, mit der Entwic k- lung von Palliativcareteams viele Schnittstellen SV Paul-Jürgen Schiffer (Verband der Ange- zwischen dem Pflege-Weiterentwicklungs- stellten-Krankenkassen e. V./Arbeiter- gesetz und der Palliativversorgung. Die Ersatzkassen-Verband e.V.): Die Frage ist Schnittstellen liegen aus unserer Sicht insbe- durchaus berechtigt. Wenn man die Qualitäts- sondere in der Einrichtung der Pflegestütz- berichte der MDKs liest, und zwar sowohl für punkte, der Beratungsstellen. Überall dort, wo die abzugebenden Berichte in Bezug auf die Pflegebedarf entsteht, gibt es dann ein Prob- Qualität der Begutachtung wie auch mit Blick lem, wenn die Patienten im Sterben liegen. In auf die Qualität der erbrachten Pflegeleistun- dem Gesetzentwurf müssen die Regelungen gen das sind die heute Morgen schon vielfach zur Versorgung der Palliativpatienten überall zitierten Qualitätsergebnisse, dann wird man ergänzt werden. Es geht also nicht nur um die sicherlich feststellen, dass es dabei unter- Versorgung im kurativen oder rehabilitativen schiedliche Ergebnisse gibt, weil die MDKs Bereich, sondern eben auch im palliativen Be- landesunmittelbar sind. Da nützen die Richtli- reich. Die Regelungen zur Versrogung von nien der Spitzenverbände auf Bundesebene mit Pallietivpatienten müssen konkretisiert und ge- Blick auf die Einheitlichkeit nicht überall et- nauer beschrieben werden. was.

Allerdings - das muss man positiv hervorheben SVe Dr. Birgit Weihrauch (Deutscher Hos- - wird bei einem Vergleich der Berichte deut- piz- und Palliativverband e. V.): Ich kann mich lich, dass – dies zeigt auch der in der letzten der Aussage von Herrn Montag voll anschlie- Woche präsentierte vierte Pflegebericht der ßen. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf Bundesregierung - sich die Ergebnisse in den einige andere Aspekte eingehen und betonen, letzten Jahren stark angenähert haben. Es muss warum wir eine enge Verzahnung zwischen unsere Aufgabe sein, gemeinsam mit dem Me- beiden Gesetz unbedingt brauchen, also zw i- dizinischen Dienst der Spitzenverbände, aber schen der gesetzlichen Regelung in § 37 b auch mit den MDKs zu weiteren Annäherun- SGB V und dem Pflege- gen zu kommen, um die darzustellenden Quali- Weiterentwicklungsgesetz. In beiden Berei- tätsergebnisse zu verbessern. chen haben wir gerade beim Ausbau der ambu- lanten Versorgung, um den es im Pflege- Weiterentwicklungsgesetz entscheidend geht, Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Da- eine große Zahl einer gemeinsamen Klientel. mit kommen wir zur zweiten Fragerunde der Gerade in den stationären Pflegeeinrichtungen SPD-Fraktion. spielt die Hospiz- und Palliativversorgung zu- nehmend eine Rolle, sodass wir sie im Rahmen der Pflege mit berücksichtigen müssen. Abg. Christian Kleiminger (SPD): Meine Fragen richten sich an die Deutsche Gesell- Ich möchte über die Beratung und die Pflege- schaft für Palliativmedizin und den Deutschen stützpunkte hinaus zwei weitere Regelungen Hospiz- und Palliativverband. Mich interes- ansprechen, die wir beim Thema Ausbau der siert, welche Berührungspunkte im Gesetzent- Hospiz- und Palliativversorgung unbedingt in wurf für den Bereich der Hospiz- und Pallia- den Blick nehmen müssen. Der erste Punkt ist tivversorgung besondere Relevanz haben. Se- die Feststellung der Pflegebedürftigkeit, die hen Sie eventuell und, wenn ja, an welchen nach § 18 SGB XI anders geregelt werden soll. Stellen Konkretisierungsbedarf? An welchen Bei der Hospizversorgung wird die Finanzie- Schnittstellen muss der Entwurf hinsichtlich rung zum Teil von der Pflegeversicherung ü- der Hospiz- und Palliativversorgung noch bes- bernommen. Wir haben derzeit mit der gelten- ser abgestimmt werden? Ich denke dabei an den zeitlichen Frist der Feststellung der Pfle- den Aufbau der spezialisierten ambulanten gebedürftigkeit ein großes Problem, weil die Versorgung durch Palliativcareteams im Rah- Hospizpatienten in aller Regel sehr spät in die men des § 37 b SGB V. Hospize kommen und die verbleibende Zeit gar nicht ausreicht, um die Pflegebedürftigkeit

Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 30 innerhalb dieser Frist festzustellen. Hier gibt es lungen des Tarifvertrages kommt. Mir liegen Änderungsbedarf. keine Beispiele von Überschreitungen vor.

Der zweite Punkt ist die Pflegezeit, die in dem Zu den Einzelpflegekräften kann man sagen, neuen Pflege-Weiterentwicklungsgesetz eine dass man auch für sie dieselben Regelungen große Rolle spielt. Wir plädieren sehr dafür, braucht; denn es kann nicht sein, dass für Pfle- dass in die Pflegezeitregelung auch Angehör i- geeinrichtungen, mit denen Verträge ausge- ge einbezogen werden, die Palliativpatienten handelt werden, ein Vergütungskriterium versorgen, bei denen keine der drei Pflegestu- zugrunde gelegt wird, aber für Einzelpflege- fen I bis III festgestellt wurde. In diesem Fall kräfte, die Verträge mit den Krankenkassen fallen sie nach § 37 b SGB V in die Gruppe der schließen und daher bei Vertragsverhandlun- Schwerstkranken, die die Voraussetzungen für gen in einer schwächeren Position als eine Or- eine spezialisierte ambulante Palliativversor- ganisation sind, kein Schutz durch den TVöD gung erfüllen. In einem solchen Fall ist auch gilt. Ich halte die vorgesehene Lösung für für die Angehörigen unbedingt die Pflegezeit praktikabel und würde es begrüßen, wenn man geltend zu machen. diese klare Regelung tatsächlich einbaute.

Abg. Dr. Carola Reimann (SPD): Ich möchte SV Jürgen Sendler (Deutscher Gewerk- gern auf die Qualitätssicherung und die Pfle- schaftsbund): Ich bedanke mich für die Frage. gequalität zurückkommen. Die Sicherung der Ich kann meine Antwort sehr einfach machen: Qualität der pflegerischen Versorgung hat Ich möchte mich den Ausführungen des Kolle- maßgeblich mit den Menschen, die pflegen, zu gen Weisbrod-Frey inhaltlich voll anschließen. tun. Deswegen möchte ich an Verdi, den DGB, den Deutschen Bundesverband für Pflegeberu- fe und den Berufsverband für Altenpflege eine SVe Silvia Raffel (Deutscher Berufsverband Frage richten. für Pflegeberufe e. V.): Auch wir schließen uns den Aussagen der Vorredner an. Allerdings Bei der Zulassung von Pflegeeinrichtungen sind die Regelungen in dem Gesetzentwurf, soll sichergestellt sein, dass diese den Beschäf- mit denen Lohndumping vermieden werden tigten eine Arbeitsvergütung entrichten, die soll, nicht an den Stellen, an denen sie hinge- dem Lohnniveau des Wirtschaftskreises ent- hören. Zur Vermeidung von Lohndumping spricht. Diese Regelung der ortsüblichen Ver- muss die Ausführung konkreter gestaltet wer- gütung wurde bereits kritisiert. Meine Frage den. ist: Reicht die Regelung der ortsüblichen Ver- gütung aus, um Lohndumping zu vermeiden Im Zusammenhang mit den Einzelpflegekräf- und die Qualität zu verbessern? Wenn Sie dazu ten ist auszuführen, dass es nicht sein kann, Vorschläge haben, die in eine andere Richtung dass Einzelpflegekräfte, wenn sie Verträge mit gehen, möchte ich sie gerne hören. Bitte be- den Krankenkassen abschließen, entgegen dem rücksichtigen Sie bei Ihrer Antwort auch den Tarifvertrag zu gering vergütet werden. Dies Aspekt der Einzelpflegekräfte. öffnet dem Missbrauch Tor und Tür.

SV Herbert Weisbrod-Frey (Vereinte Dienst- Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Jetzt leistungsgewerkschaft): Ich habe vorhin schon haben wir das Problem, dass wir keinen weite- ausgeführt, dass die Regelung der ortsüblichen ren Sachverständigen für diese Fragen haben. Vergütung meines Erachtens nicht ausreicht. Wer fühlt sich angesprochen? Bitte schön. Das ging auch aus anderen Beiträgen hervor. Ich möchte dazu noch gerne ergänzen, dass wir bereits bei der Krankenhausversorgung an ver- SV Stephan Baumann (Verband Deutscher schiedenen Stellen einen Hinweis auf den Ta- Alten- und Behindertenhilfe e. V.): Entschul- rifvertrag des öffentlichen Dienstes haben. Wir digung, ich glaube, hier liegt ein Missver- können uns vorstellen, dass dieser auch im Be- ständnis vor. Der Verband Deutscher Alten- reich der Pflegeversicherung eingeführt wird. und Behindertenhilfe wurde nicht aufgerufen. Man muss davon ausgehen, dass es heute eher Ich gebe also die Frage zurück. zu Unter- als zu Überschreitungen der Rege-

Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 31

Abg. Dr. Carola Reimann (SPD): Ich wollte bände der Pflege- und Krankenkassen, den ganz konkret den Berufsverband für Altenpfle- Bundesverband für Rehabilitation und Interes- ge hören. Wir hatten einen Vertreter eingela- senvertretung Behinderter sowie den Bundes- den; aber ich habe ihn im Sitzplan nicht gefun- verband Ambulante Dienste und Stationäre den. Einrichtungen fragen: Wie stehen Sie zu den Zahlungen nach § 40 SGB XI? Erachten Sie, damit diesem Grundsatz besser Rechnung ge- Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): tragen wird, weitere Maßnahmen für notwen- Wahrscheinlich hat der Berufsverband abge- dig, zum Beispiel dass der MDK bei der Be- sagt. gutachtung der Notwendigkeit von Pflege auch etwas zum Rehabilitationsbedarf und zum Be- darf an Maßnahmen zur Teilhabe am gesell- Abg. Hilde Mattheis (SPD): Ich richte meine schaftlichen Leben sagt? Frage an die BAG Selbsthilfe, an den DBVA, den DBfK und an die Spitzenverbände der Krankenkassen: Wäre es im Interesse einer SV Dr. Herbert Reichelt (AOK- Verbesserung der Qualität der Arzneimittelver- Bundesverband): Zu diesem Betrag ist heute sorgung, insbesondere von Pflegebedürftigen, schon viel gesagt worden. Diese Regelung un- wenn Apothekerinnen und Apotheker stärker terstreicht das Anliegen der Politik, dem in die Qualitätssicherung eingebunden wür- Grundsatz „Reha vor Pflege“ Nachdruck zu den? verleihen. Insofern ist das grundsätzlich zu be- grüßen. Doch in der Praxis wird das wahr- scheinlich keine Rolle spielen, weil gar nicht SV Dr. Martin Danner (Bundesarbeitsge- zu erwarten ist, dass die Krankenkassen die meinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Be- notwendigen Rehaleistungen nicht initiieren. hinderung und chronischer Erkrankung und ih- ren Angehörigen e. V.): Das Regelungsgefüge Was die Notwendigkeit angeht, dass der MDK im Arzneimittelbereich wird immer kompli- bereits bei der Begutachtung auf Rehamaß- zierter. Das Wechselspiel zwischen Ärzten und nahmen eingeht, muss ich sagen: Auch das Apothekern bei der Verordnung von Arzne i- kann man nur begrüßen. Wir unterstützen das mitteln ist schon für den nicht pflegebedürfti- und sehen es als einen Fortschritt an. gen Patienten schwer zu durchschauen. Inso- fern wäre eine bessere Einbindung derer, die an der Medikation beteiligt sind, sicherlich Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Herr hilfreich. Bahr vom BDH. Er ist nicht da. Dann kommen wir zu Herrn Froese.

SVe Silvia Raffel (Deutscher Bundesverband für Pflegeberufe e. V.): Wir schließen uns die- SV Sebastian A. Froese (Bundesverband Am- ser Stellungnahme an, weil auch wir der Mei- bulante Dienste und Stationäre Einrichtungen nung sind, dass eine fachliche medikamentöse e. V.): Ich kann mich den Ausführungen Herrn Versorgung nicht immer gesichert ist. Je mehr, Dr. Reichelts weitgehend anschließen. Was die gerade im stationären Bereich, an Beratung Frage angeht, wo bei den Hilfsmitteln noch hinzugezogen wird, desto besser. Präzisierungsbedarf besteht, möchte ich sagen, dass die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben der Rechtsprechung zufolge in der Praxis um- SV Dr. Herbert Reichelt (AOK- gesetzt werden muss. Die Rechtsprechung ist Bundesverband): Die Arzneimittelverordnung auf dem richtigen Weg; aber sicherlich kann ist umfangreich geregelt. Es bedarf in diesem man im Gesetz bezüglich der Hilfsmittel ein Zusammenhang aus unserer Sicht keiner be- Zeichen setzen. sonderen Regelung. Wir haben hier die ärztli- che Verschreibung; dies muss der Fall bleiben. Abg. Dr. Margrit Spielmann (SPD): Ich komme auf Frau Mattheis’ Frage zur Arznei- Abg. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Ich komme mittelversorgung zurück. Ich möchte die Ver- noch einmal auf den Grundsatz „Rehabilitation treter der Deutschen Krankenhausgesellschaft vor Pflege“ zurück und möchte die Spitzenver- fragen: Reichen die gesetzlichen Regelungen Ausschuss für Gesundheit, 71. Sitzung, 21.01.2008 32 für die Verordnung von Arzneimitteln und Wenn Menschen mit Behinderung eine Reha- weiterer Leistungen im Rahmen der ambula n- maßnahme beantragen, wird dies mit der Be- ten Behandlung im Krankenhaus nach § 116 b gründung abgelehnt: Du wirst eh nie unabhän- Abs. 2 SGB V aus, oder sind weitere Regelun- gig von Pflegebedarf. Auch für diese Men- gen erforderlich und, wenn ja, welche? schen brauchen wir entsprechende Rehaange- bote. Auch finden viele pflegebedürftige Men- Meine zweite Frage richte ich an die Deutsche schen, die eine Behinderung haben, keine Re- Alzheimer-Gesellschaft, an Frau Bartz und an hakliniken, in denen sie individuelle Reha- die Spitzenverbände der Kranken- und Pflege- maßnahmen bekommen können. versicherung: Welche Erwartungen haben Sie hinsichtlich des Bedarfs an und des Ausbaus von Angeboten der Rehabilitation für pflege- SV Dr. Herbert Reichelt (AOK- bedürftige Menschen, und wie bewerten Sie Bundesverband): Wir können diese Regelung vor diesem Hintergrund die Regelung nach § nur unterstützen; sie wird zur Verfahrensbe- 31 Abs. 3 SGB XI in Art. 1 Nr. 14, wonach die schleunigung beitragen. Mitteilung über den Rehabilitationsbedarf an den zuständigen Rehaträger als Antragstellung für das Verfahren nach § 14 SGB IX gilt? Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Ich schließe damit den Block I der Anhörung.

Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Für Ich darf mich für Ihr Hiersein ganz herzlich diese zwei Fragen haben die vier Antworter bedanken. Ich wünsche denjenigen, die nach zwei Minuten Zeit. Alles klar? Wer beginnt für Hause fahren das sind einige wenige, eine gute die DKG? Heimreise.

SVe Sabine Jansen (Deutsche Alzheimer- (Schluss: 13.10 Uhr) Gesellschaft e. V.): Ich kann Ihnen das men- genmäßig nicht genau beantworten. Wie wir gehört haben, bekommen nur 1,7 Prozent der Pflegebedürftigen eine Empfehlung für eine Reha. Ich glaube aber, dass der Bedarf viel hö- her ist. Wenn man ihn abdecken will, wird man auf verschiedene Settings schauen müssen. Zum Beispiel wird man besonders für De- menzkranke im Frühstadium niedrigschwellige Rehaangebote, zum Beispiel mobile geriatri- sche Rehabilitation, ins Auge fassen müssen. Wichtig sind aber auch stationäre Programme, bei denen die Demenzkranken mit ihren Ange- hörigen zusammen auf den weiteren Verlauf der Krankheit vorbereitet werden. In den we- nigen Fällen, in denen so etwas schon angebo- ten wird, gibt es große Probleme bei der Kos- tenerstattung. Wir sehen Bedarf, diese Ange- bote auszuweiten. Auch im stationären Bereich müsste es viel selbstverständlicher sein, die Rehabilitation in die Pflege zu integrieren.

SVe Elke Bartz (Forum selbstbestimmter As- sistenz behinderter Menschen e. V.): Ich den- ke, man muss vor allen Dingen definieren: Was bedeutet Reha? Reha kann bedeuten: Maßnahmen vor dem Eintreten von Pflegebe- dürftigkeit. Reha kann aber auch bedeuten: Statuserhalt, Verschlechterung verzögern.

Deutscher Bundestag Protokoll Nr. 16/72 16. Wahlperiode

Ausschuss für Gesundheit

Wortprotokoll

72. Sitzung

Berlin, den 21.01.2008, 14:00 Uhr Sitzungsort: Reichstag, SPD-Fraktionssaal 3 S001

Vorsitz: Dr. Martina Bunge, MdB Dr. Hans Georg Faust, MdB (zeitweise)

TAGESORDNUNG:

Öffentliche Anhörung (Block II: Stärkung der Versorgung, Pflegestützpunkte, Pflegezeit, Pfle- gebegriff, Demenzielle Versorgung) zu folgenden Vorlagen:

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Entwurf eines Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz)

BT-Drucksache 16/7439, 16/7486

Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Nicole Maisch, Birgitt Bender, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Finanzielle Nachhaltigkeit und Stärkung der Verbraucher - Für eine konsequent nutzerorientierte Pflegeversicherung

BT-Drucksache 16/7136

Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Für eine humane und solidarische Pflegeabsicherung

BT-Drucksache 16/7472

Antrag der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Daniel Bahr (Münster), Dr. Konrad Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für eine zukunftsfest und generationengerecht finanzierte, die Selbstbestimmung stärkende, transpa- rente und unbürokratische Pflege

BT-Drucksache 16/7491

Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 2

Mitglieder des Ausschusses

Ordentliche Mitglieder des Ausschusse Stellv. Mitglieder des Ausschusses

CDU/CSU Bauer, Wolf, Dr. Blumenthal, Antje Eichhorn, Maria Brüning, Monika Faust, Hans Georg, Dr. Hennrich, Michael Hüppe, Hubert Jordan, Hans-Heinrich, Dr. Koschorrek, Rolf, Dr. Krichbaum, Gunther Michalk, Maria Luther, Michael, Dr. Scharf, Hermann-Josef Meckelburg, Wolfgang Spahn, Jens Philipp, Beatrix Straubinger, Max Scheuer, Andreas, Dr. Widmann-Mauz, Annette Zöller, Wolfgang

Zylajew, Willi N.N.

SPD Friedrich, Peter Bätzing, Sabine Hovermann, Eike Becker, Dirk Kleiminger, Christian Bollmann, Gerd Lauterbach, Karl, Dr. Ferner, Elke Mattheis, Hilde Gleicke, Iris Rawert, Mechthild Hemker, Reinhold, Dr. Reimann, Carola, Dr. Kramme, Anette Spielmann, Margrit, Dr. Kühn-Mengel, Helga Teuchner, Jella Marks, Caren Volkmer, Marlies, Dr. Schmidt, Silvia Wodarg, Wolfgang, Dr. Schurer, Ewald

FDP Bahr, Daniel Ackermann, Jens Lanfermann, Heinz Kauch, Michael Schily, Konrad, Dr. Parr, Detlef

DIE LINKE. Bunge, Martina, Dr. Ernst, Klaus Seifert, Ilja, Dr. Höger, Inge

Spieth, Frank Knoche, Monika

B90/GRUENE Bender, Birgitt Haßelmann, Britta Scharfenberg, Elisabeth Koczy, Ute Terpe, Harald, Dr. Kurth, Markus

_ Der Urschrift des Protokolls ist die Liste der Unterschriften beigefügt.

Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 3

Sprechregister Abgeordnete Seite/n Sprechregister Sachverständige Seite/n Abg. Annette Widmann-Mauz 8, 9, 16, 56 SV Andreas Besche (Verband der 33 (CDU/CSU) privaten Krankenversicherung e.V. (PKV)) Abg. Birgitt Bender (BÜNDNIS 51, 52 SV Andreas Leimpek-Mohler 16 90/DIE GRÜNEN) (Deutscher Caritasverband e.V.) Abg. Daniel Bahr (Münster) 35, 36 SV Bernd Tews (Bundesverband 11, 31, 37, 56, (FDP) privater Anbieter sozialer Dienste 58, 59 e.V. (bpa)) Abg. Dr. Carola Reimann (SPD) 18, 22, 23, 61 SV Claus Fussek 40, 44 Abg. Dr. Hans Georg Faust 14 SV Detlev Heins (Deutsche 24 (CDU/CSU) Krankenhausgesellschaft e. V.) Stellvertretender Vorsitzender, 18, 29 SV Dieter Lang 11, 13, 24, 52, Abg. Dr. Hans Georg Faust (Verbraucherzentrale Bundesverband 57, 68 (CDU/CSU) e. V.): Abg. Dr. Harald Terpe 52, 53, 54 SV Dietmar J. Herdes 30 (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE 37, 42, 45 SV Dr. Alfred Spieler 41 LINKE.) (Volkssolidarität - Bundesverband e.V. (VS)) Abg. Dr. Konrad Schily (FDP) 34 SV Dr. Herbert Reichelt (AOK- 9, 14, 34, 69 Bundesverband (AOK-BV)) Abg. Dr. Margrit Spielmann 23, 24, 67 SV Dr. Joachim Wilbers 11, 15, 17 (SPD) Abg. Dr. Marlies Volkmer (SPD) 21, 22, 68 SV Dr. Martin Danner 24, 28, 41, 52, (Bundesarbeitsgemeinschaft 68 Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V. (BAG SELBSTHILFE)) Abg. Elisabeth Scharfenberg 46, 47, 49, 50, SV Dr. Peter Pick (Medizinischer 17, 21, 27, 54 (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 51 Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e.V.(MDS)) Abg. Frank Spieth (DIE LINKE.) 41, 44 SV Dr. Peter Weskamp 19 Abg. Heinz Lanfermann (FDP) 29, 32, 33, 37 SV Franz Wagner (Deutscher 14 Pflegerat e. V.) Abg. Helga Kühn-Mengel (SPD) 27 SV Gerd Kukla (IKK- 10, 15 Bundesverband (IKK-BV)) Abg. Hermann-Josef Scharf 13, 58 SV Herbert Mauel (Bundesverband 55, 57, 60 (CDU/CSU) privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa)) Abg. Hilde Mattheis (SPD) 18, 26, 64, 70 SV Herbert Weisbrod-Frey 52 (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)) Abg. Jens Spahn (CDU/CSU) 10, 11, 15, 54, SV Jan Dannenbring 35 59, 60 (Zentralverband des Deutschen Handwerks e. V.) Abg. Maria Eichhorn 13, 17, 57 SV Jens Kaffenberger 38, 58, 64 (CDU/CSU ) (Sozialverband VdK Deutschland e. V.) Abg. (SPD) 20, 66 SV Klaus Lachwitz 50, 67 (Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung e.V. (BVLH)) Abg. Silvia Schmidt (Eisleben) 25 SV Michael Löher (Deutscher 58 (SPD) Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V.) Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 4

Abg. Ute Kumpf (SPD) 27 SV Norbert Müller-Fehling 53 (Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte e. V.): Abg. Willi Zylajew (CDU/CSU) 12, 14, 17, 55, SV Otto Frey 22 60 Vorsitzende Abg. Dr. Martina 7, 9, 37, 46, SV Paul-Jürgen Schiffer (Verband 16, 25, 33, 58, Bunge (DIE LINKE.) 54, 61, 71 der Angestellten Krankenkassen e.V./ 59 Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V. (VdAK/AEV)) SV Prof. Dr. Clemens Tesch-Römer 50 (Deutsches Zentrum für Altersfragen e.V. (DZA)) SV Prof. Dr. Felix Welti 25, 39, 43, 49, 70 SV Prof. Dr. Gregor Thüsing 8, 10, 11, 22, 23, 26 SV Prof. Dr. Hugo Mennemann 46, 47 SV Prof. Dr. Thomas Klie (Deutsche 47, 52, 64 Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie e. V.) SV Rainer Brückers 27, 29, 65 (Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V. (AWO)) SV Sebastian A. Froese 57, 60 (Bundesverband Ambulante Dienste und Stationäre Einrichtungen (bad) e.V.): SV Thomas Ballast (Verband der 16, 30, 36, 37 Angestellten Krankenkassen e.V./ Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V. (VdAK/AEV)) SV Thomas Montag (Deutsche 51 Gesellschaft für Palliativmedizin e.V. (DGP)) SV Ulrich Krüger (Aktion Psychisch 20, 71 Kranke e.V. (APK)) SV Wolfram-Arnim Candidus 13, 60 (Deutsche Gesellschaft für Versicherte und Patienten e.V. (DGVP)) SVe Andrea Pawils (Deutscher 52, 54 Paritätischer Wohlfahrtsverband - Gesamtverband e.V. (DPWV)) SVe Astrid Grunewald-Feskorn 39, 57, 61 (Bundesinteressenvertretung der Nutzerinnen und Nutzer von Wohn- und Betreuungsangeboten im Alter und bei Behinderung e. V.) SVe Dr. Brigitte Weihrauch 64 (Deutscher Hospiz- und Palliativ Verband e.V. (DHPV)) SVe Dr. Cornelia Goesmann 36 (Bundesärztekammer (BÄK)) SVe Dr. Elisabeth Fix 31, 34 (Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V.) SVe Dr. Elisabeth Fix (Deutscher 27, 56, 58, 61 Caritasverband e.V.) Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 5

SVe Dr. Irene Vorholz (Deutscher 18, 32, 34, 37 Landkreistag) (Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände) SVe Dr. Regina Klackow-Franck 18 (Bundesärztekammer) SVe Elke Bartz (Forum 25, 38, 42, 45, selbstbestimmter Assistenz 48 behinderter Menschen e.V. (ForseA)) SVe Erika Stempfle (Diakonisches 14, 16, 28, 54, Werk der Evangelischen Kirche in 55, 56, 59, 60, Deutschland e.V. (EKD)) 2 61, 65 SVe Gabriele Feld-Fritz (Vereinte 68 Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)) SVe Helga Nielebock (Deutscher 62 Gewerkschaftsbund) SVe Helga Walter 67 (Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) e.V.) SVe Henny Engels (Deutscher 21, 45, 51, 58, Frauenrat e. V.) 66 SVe Iris Emmelmann 61, 63 (Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Familienorganisationen e. V./Deutscher Familienverband e. V.) SVe Katrin Kollex 29 SVe Kerstin Bordt 35 (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e. V.) SVe Kerstin Brandhorst 28 (Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen e.V. (bagfa)) SVe Mona Frommelt 18 (Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V. (AWO)) SVe Mona Frommelt (Deutsche 69 Gesellschaft für Care und Case Management) SVe Sabine Jansen (Deutsche 15, 17, 23, 64, Alzheimer Gesellschaft e.V. 71 (DAlzG)) SVe Ulrike Döring (Deutscher 59 Pflegerat e. V.): SVe Verena Göppert (Deutscher 12, 70 Städtetag) (Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände)

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Bundesregierung

Bundesrat

Fraktionen und Gruppen

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Gesetzentwurf der Bundesregierung

Entwurf eines Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz) BT-Drucksache 16/7439, 16/7486

Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Nicole Maisch, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Finanzielle Nachhaltigkeit und Stärkung der Verbraucher - Für eine konsequent nutzerorientierte Pflegeversicherung

BT-Drucksache 16/7136

Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Für eine humane und solidarische Pflegeabsicherung

BT-Drucksache 16/7472

Antrag der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Daniel Bahr (Münster), Dr. Konrad Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für eine zukunftsfest und generationengerecht finanzierte, die Selbstbestimmung stärkende, transparente und unbürokratische Pflege

BT-Drucksache 16/7491

Beginn: 14.06 Uhr Antrag der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Daniel Bahr (Münster), Dr. Konrad Schily, Vorsitzende Abg. Dr. Martina Bunge (DIE weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKE.): Meine sehr verehrten Damen und FDP: „Für eine zukunftsfest und generatio- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nengerecht finanzierte, die Selbstbestim- darf Sie recht herzlich begrüßen. Ich rufe jetzt mung stärkende, transparente und unbüro- den einzigen Punkt der Tagesordnung der 72. kratische Pflege“ - BT-Drucksache 16/7491 - Sit zung des Gesundheitsausschusses auf: Wir haben jetzt den Block II von insgesamt elf Öffentliche Anhörung von Sachverständigen Stunden, mit den Schwerpunkten: Stärkung der zu folgenden Vorlagen: Versorgung, Pflegestützpunkte, Pflegezeit, Pflegebegriff, demenzielle Versorgung. Die Bundesregierung: „Entwurf eines Gesetzes Vertreter von insgesamt 64 Verbänden und zur strukturellen Weiterentwicklung der zehn Einzelsachverständige haben hier Platz Pflegeversicherung (Pflege - genommen. Soweit wir uns noch nicht gesehen Weiterentwicklungsgesetz)“, - BT- haben, darf ich Sie recht herzlich begrüßen. Ich Drucksachen 16/7439, 16/7486 - begrüße auch die Vertreter der Bundesregie- rung - die Regie rungsbank hat sich inzwischen Antrag der Abgeordneten Elisabeth Schar- gefüllt -, an der Spitze Herrn Parlamentari- fenberg, Nicole Maisch, Birgitt Bender, wei- schen Staatssekretär Schwanitz. Auch die Bun- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- desratsseite ist gut vertreten. Ich begrüße ferner NIS 90/DIE GRÜNEN: „Finanzielle Nachhal- die Gäste und Medienvertreter, die an dieser tigkeit und Stärkung der Verbraucher - Für Anhörung teilnehmen. eine konsequent nutzerorientierte Pflegeve r- sicherung“, - BT-Drucksache 16/7136 - Das Reglement kennen die meisten. Ich bitte Sie alle, die Mikrofone zu benutzen; das be- Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, deutet: ein- und ausschalten. Sobald eines Ihrer Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Ab- Mikrofone an bleibt, hat der Nächste Schwie- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: „Für rigkeiten; das kann dazu führen, dass hier gar eine humane und solidarische Pflege - nichts mehr geht. absicherung“ - BT-Drucksache 16/7472 - Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 8

Soweit ich Sie nicht mit Namen und Verband scher Couleur, ein abweichendes Sondervotum aufrufe - das ist bei der Vielzahl von Personen abgegeben haben. manchmal nic ht einfach, vor allem wenn meh- rere Vertreter anwesend sind und einer antwor- Überall dort, wo Träger verschiedener Körper- tet -, stellen Sie sich bitte vor. schaften zusammengeführt werden und die Gefahr einer Mischverwaltung entsteht, wie es Ich habe schon heute Morgen an die Ab- bei der vorgeschlagenen Regelung von § 92 c geordneten appelliert, möglichst nicht nur die der Fall ist, ist die Grauzone zwischen dem, Abkürzung zu nennen; denn viele Verbände, was zulä ssig ist, und dem, was unzulässig ist, die hier vertreten sind, sind nicht tagtäglich zu nur schwer auszuleuchten. Anhörungen in den Bundestag eingela den. Meines Erachtens spricht viel dafür, die Ansät- Wir nehmen uns am heutigen Nachmittag für ze, die hier gewählt sind, einer intensiven Prü- die eben genannten Schwerpunkte insgesamt fung zu unterziehen. Ich weiß nicht, inwieweit fünf Stunden Zeit. Wir haben große Anhö- das bislang geschehen ist. Ich halte jedoch rungsblöcke: 48 Minuten seitens der Koalit i- wesentliche Punkte für fragwürdig, insbeson- onsfraktionen, 40 bzw. 35 Minuten seitens der dere deswegen, weil in der Gesetzesbegrün- Oppositionsfraktionen, dann noch einmal 47 dung eine weiter gehende Kompetenz der Pfle- Minuten seitens der Koalitionsfraktionen. gestützpunkte angedeutet ist, als es der eigent- liche Wortlaut des Gesetzes hergibt. Wenn das Wir beginnen wie immer mit der Fraktion der alles bloß Beratung ist, könnte man noch dafür CDU/CSU. votieren, dass das zulässig ist. Aber spätestens dann, wenn es tatsächlich mit Kompetenzen verbunden ist, die eine einheitliche Entschei- Abg. Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): dung über die Leistungen verschiedener Träger Meine erste Frage betrifft den Themenkomplex begründen, wäre der Schritt zu einer unzulässi- der Pflegestützpunkte. Das Ziel dabei ist ja, gen Mischverwaltung gemacht. So wird in der dass die Beratung im Hinblick auf die unter- Gesetzesbegründung an einigen Stellen aus- schiedlichen Bereiche an einem Ort, inklusive drücklich davon gesprochen, dass es wün- der Leistungsentscheidung, stattfin det. Herr schenswert wäre, hier eine Entschei- Professor Thüsing, wie ist dies aus verfas- dungskompetenz einzusetzen, und dass die sungsrechtlicher und ordnungspolitischer Sicht Möglichkeit einer sofortigen Entscheidung zu bewerten? bestehen solle. Insofern muss man sich die Frage stellen, ob diese Mischverwaltung ge- rechtfertigt ist. Ich sehe keine Gründe für eine SV Prof. Dr. Gregor Thüsing: Herzlichen ausnahmsweise Zulässigkeit nach Art. 87 Dank für die Ehre, heute Nachmittag den Vor- Abs. 2 und 3 des Grundgesetzes. trag der Hundertschaft anzuführen! Bei der vorgeschlagenen Regelung nach § 92 c Die gleichen Fragen stellen sich im Hin blick SGB XI hat der Gesetzgeber sicherlich gese- auf die beteiligten Kassen, für die, wie Sie hen, dass verfassungsrechtliche Probleme be- wissen, der Selbstverwaltungsgrundsatz gilt. stehen, und er hat versucht, diese zu umschif- Wie kann ein Angestellter einer fremden Kas- fen. Die Frage ist, ob er von den Klippen weit se, der an einem solchen Stützpunkt arbeitet, genug Abstand genommen hat. Das Problem, über die Leistungen einer anderen Kasse ent- um das es hier geht, hat das Bundesverfas- scheiden oder beraten? Wenn er entscheiden sungsgericht in seiner Entscheidung vom 20. kann, wird offensichtlich in das Selbstverwal- Dezember 2007 zu den Arbeitsgemein schaften tungsrecht der Kassen einge griffen; darf er nur aufgearbeitet. Nun war diese Entscheidung beraten, muss man sich fragen, was dies helfen beim Bundesverfassungsgericht selber nicht soll. Denn wenn sich die Kasse nicht daran unumstritten; Sie wissen, dass drei Richter des halten sollte, würde die Beratung letztlich ins Senats, von durchaus unterschiedlicher polit i- Leere greifen. Das wäre sicherlich nicht im Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 9

Sinne dieses Gesetzes. Das, was geht, wird also 62 Wörtern gefunden. Auch die Begrifflichkeit nicht viel helfen, wäre nicht effizient und nicht „Pflegestützpunkt“: Geben Sie einmal „Stütz- sinnvoll, während das, was sinnvoll und effi- punkt“ bei Wikipedia ein! Dann werden Sie zu zient wäre, bei dieser Ausgestaltung der Pfle- einem Artikel zum Thema „Militärbasis“ wei- gestützpunkte verfassungsrechtlich fragwürdig tergeleitet. wäre. „Pflegestützpunkt“ würde man dann wohl mit Und wie sollte das im typischen Fall mit der „Lazarett“ übersetzen; in der Tat gab es diese Haftung sein? Der Ratsuchende, der sich we- militärische Begrifflichkeit im Ersten und gen Leistungen beraten lässt, wird oftmals gar Zweiten Weltkrieg. „Pflegestützpunkt“ ist also nicht wissen, welcher Kasse derjenige, der ihm ein Unwort. Wenn Sie diese Einrichtungen gegenübersitzt, zuzuordnen ist. Das wirft viele wirklich schaffen wollen, sollten Sie sie anders Folgefragen auf, die ich in meiner schriftlichen nennen. Stellungnahme aufgearbeitet habe.

Bei der Beteiligung der Gemeinden müs sen wir Vorsitzende Abg. Dr. Martina Bunge (DIE ebenfalls das Selbstverwaltungsrecht nach LINKE.): Da Sie zu einer eher die Form Art. 28 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes be- betreffenden Anmerkung Beifall gespendet achten. Wenn Sie sich den Wortlaut der Ent- haben, toleriere ich ihn. Ansonsten ist so etwas scheidung zu den Arbeitsgemein schaften an- hier nicht üblich. schauen, werden Sie sehen, dass sich viele Punkte auf dieses Vorhaben übertragen lassen. Abg. Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Zur Einbeziehung der privaten Kranken- Meine nächsten Fragen richten sich an den versicherung, die fragwürdig ist, möchte ich AOK-Bundesverband und an den IKK-Bun- auf meine schriftlichen Ausführungen verwei- desverband. Ist die Vertragskonstruktion, die sen. Entscheidend scheint mir zu sein - das für die Pflegestützpunkte vorgesehen ist, aus sage ich, weil dieses Argument im politischen Ihrer Sicht ein geeignetes Instrument? Wie ist Kontext gebracht wurde -: Die Tatsache, dass diese Konstruktion unter Wettbewerbs- wir hier vertragliche Vereinbarungen haben, gesichtspunkten zu bewerten? Wie beurteilen führt nicht zu einer vom Grundgesetz abwei- Sie die flächendeckende Einführung von Pfle- chenden Zuordnung der Kompetenzen. Dies gestützpunkten in der Verantwortung der Pfle- gilt insbesondere, wenn die vertraglichen Ver- ge- und Krankenkassen, insbesondere unter einbarungen zwangsweise erfolgen sollen. Laut finanziellen Aspekten? Grundgesetz sind die zugewie senen Zuständig- keiten mit eigenem Personal, eigenen Sachmit- teln und eigener Organisation wahrzunehmen. SV Dr. Herbert Reichelt (AOK- Grund für diese strikte und nicht abdingbare Bundesverband): Wir halten es für dringend Trennung ist, dass eine Verwischung der geboten und begrüßen es, dass ein individueller Kompetenzordnung droht. Genau das droht bei Rechtsanspruch auf Pflegeberatung im Sinne § 92 c SGB XI. eines Fallmanagements geschaffen werden soll. Die wohnortbezogene integrierte Beratung Eine letzte Bemerkung: Ich rege an, die ses und Versorgung Pflegebedürftiger muss künf- Gesetz einer erweiterten Rechtsförmlich- tig stärker zwischen den verschiedenen Leis- keitsprüfung zu unterziehen. § 92 c SGB XI ist tungsträgern vernetzt werden. Des Aufbaus sprachlich doch gewöhnungsbedürftig. Wenn neuer Strukturen in Form einer flächendecken- Sie einmal das Handbuch der Rechtsförmlic h- den Einführung von Pflegestützpunkten, in keit , das Ihnen das Bundesjustizministerium denen die Pflegeberater angesiedelt werden, gerne ausleihen wird, auf schlagen, werden Sie bedarf es jedoch aus der Sicht der AOK nicht. feststellen, dass dort steht: Ein Satz soll nicht mehr als 22 Wörter haben. Ich habe welche mit Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 10

Die Regelungen werfen Rechtsfragen auf; es SV Gerd Kukla (IKK-Bundesverband): Ich gibt aber auch eine ganze Reihe organi- kann mich den Ausführungen von Herrn Dr. satorischer Probleme: Das Konzept ist sehr Reichelt in weiten Teilen anschließen, möchte komplex und beinhaltet Tendenzen zur Büro- aber noch auf einige besondere Aspekte hin- kratisierung. Wir sehen die Gefahr, dass das weisen. wichtige Ziel, die ambulante und wohnortnahe Es ist gefragt worden, ob dieses Ver- Versorgung von Pflegebedürftigen zu verbes- tragskonstrukt geeignet ist. Das Vertragswerk sern, nur mit einem sehr hohen finanziellen über die integrierte Versorgung spielt haupt- und personellen Aufwand erreicht werden sächlich im Bereich der wettbewerblichen Or- könnte. Auch der Termin für den Start der ganisation der Vertragsstrukturen eine Rolle. In Pflegestützpunkte, der 1. Januar 2009, dürfte diesem Bereich soll der Wettbewerb hingegen für den Aufbau solcher Strukturen unrealistisch ausgeschlossen werden. In den Pflegestütz- sein. punkten soll eine wettbewerbsneutrale Bera- tung geleistet werden. Hier sehen wir einen Frau Widmann-Mauz, Sie sprachen die Wett- gewissen Widerspruch. bewerbsaspekte an. In der Tat muss man sehen, Die Finanzen sind ebenfalls angesprochen dass auch heute Pflegeberatung stattfindet. Bei worden. Wir teilen nicht die Auffassung, dass der AOK beispielsweise sind rund 2 500 Per- die Einrichtung der Pflegestützpunkte insge- sonen in der Pflegeberatung tätig. Natürlich samt kostenneutral vonstatten gehen kann. wird man über eine kompe tente und qualif i- Auch wenn bestehende Beratungsangebote in zie rte Beratung auch wettbewerblich tätig. Ich weiten Teilen genutzt werden sollen, so sehen persönlich halte solche Anreizsysteme, die wir doch die in den einzelnen Regionen sicher- dazu führen, dass ein qualitativ gutes Angebot lich unterschiedlichen Notwendigkeiten, Pfle- entsteht, für wesentlich besser. gestützpunkte mit all den laufenden Kosten - Miete, Telefon, Strom usw. - neu zu gestalten. Wenn man an diesem Konzept festhalten will, Von daher ist es nicht nur damit getan, die dann wäre es aus unserer Sicht sehr wichtig, Pflegeberater, die dort angesiedelt sind, von dass man die Ergebnisse der Modellversuche - den originären Trägern dorthin abzuordnen, es sind ja nicht nur Modellversuche seitens des sondern es gibt auch andere laufende Kosten. BMG initiiert worden sind; vielmehr hat die Deshalb sehen wir hier keine Kostenneutralität. AOK beispielsweise an verschiedenen Stellen schon vorher ähnliche Modellvorhaben in ei- gener Regie entwickelt - zunächst einmal ab- Abg. Jens Spahn (CDU/CSU): Ich habe eine wartet, um zu sehen, wie solche Konstrukte Frage an Herrn Professor Thüsing, an Herrn gelingen können. Ganz wichtig ist aus unserer Dr. Wilbers, an den Verbraucherzentrale Bun- Sicht auch, dass die vorhandenen Strukturen in desverband und an den bpa. Die gerade disku- diesem Kontext genutzt werden, das heißt, dass tierten Pflegestützpunkte und auch die Pflege- insbesondere die Kompetenz der Pflegekassen berater sollen eine Beratung der Angehörigen genutzt wird. Das ist der eigentlich zentrale unter Einbeziehung wohnortnaher Strukturen Punkt. und die Koordination derselben sicherstellen. Kann dieses Ziel auch ohne den Aufbau von In der ersten Runde haben wir heute Morgen Pflegestützpunkten erreicht werden, und, wenn viel über die Qualität der ergänzenden Angebo- ja, wie? te gesprochen. Hierbei kommt es darauf an, dass das aus einer Hand geleistet wird. Das lässt sich nur in der Regie der Pflegekassen SV Prof. Dr. Gregor Thüsing: Die Fraktion realisieren. Aus unserer Sicht ist das der richti- fragt nach ihren eige nen Vorschlägen, die Ih- ge Ansatz. nen bekannt sein könnten. Ich benenne Sie gerne noch einmal; das ist nicht das Problem.

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Abg. Jens Spahn (CDU/CSU): Sie können danken macht. Wenn es eine Wahlfreiheit für auch weitere Vorschläge machen, wenn Sie denjenigen gibt, der sich beraten lässt, dann ist wollen; so ist es nicht. das natürlich umso besser, weil es zu einer Qualitätsentwicklung kommen kann, die es möglicherweise nicht gibt, wenn eine feste SV Prof. Dr. Gregor Thüsing: Herr Spahn, Zuordnung besteht. das ist die ordnungs politische Seite. Ich glaube, das Ziel wird von allen Fraktionen geteilt. Man will ein effizientes Beratungsangebot haben, SV Dieter Lang (Verbraucherzentrale Bun- das über das bisherige System hinausgeht, und desverband e. V.): Pflegestützpunkte können über die Information einen möglichen Zugang durchaus einen wertvollen Beitrag zur besseren zur Pflege schaffen. Das ist legitim. Die Frage Versorgung der pflegebedürftigen Menschen ist, ob das am besten durch eine solche Stütz- leisten. Ich bin allerdings der Meinung - das punktsystematik erreicht wird, die eine gilt in gleicher Weise auch für den Pflegebera- Zwangszusammenführung von unterschied- ter -, dass wir mit dieser umfänglichen Aufga- lichen Trägern bedeutet, oder ob eine Bera- benzuweisung an die Stützpunkte keinen Fort- tung - neutrale und unabhängige Beratung - schritt erzie len. Wir sind der Meinung, dass die auch dadurch möglich ist, dass man diese Ver- Pflegeberatung unabhängig erfolgen sollte. bindung nicht herstellt und stattdessen neutrale Dafür gibt es in Deutschland bereits umfängli- Systeme schafft, die von den Hilfesuchenden che Strukturen. Man hätte das Rad an dieser selber frei gewählt werden können. Stelle nicht neu erfinden müssen.

Mein tiefes Bekenntnis ist: Wenn ich selber Wenn man die Ausführungen im Gesetz- entscheiden kann, von wem ich mich beraten entwurf im Einzelnen betrachtet, dann wird lasse, dann werde ich mir die beste Beratung klar, dass auch unabhängige dritte Organisa- aussuchen. Das ist etwas anderes, als wenn ich tionen in die Arbeit am Stützpunkt einbezogen einem bestimmten Stützpunkt zugewiesen werden können. Diese Möglichkeit gab es bis- werde, der über einen großen Verwaltungsauf- her aber auch schon: Im Rahmen einer Kann- bau verfügt, deshalb vielleicht nicht flexibel vorschrift sollten die Pflegekassen eine unab- genug auf Neuerungen regieren kann und vie l- hängige Beratung fördern. Von dieser Kann- leicht auch Eigeninteressen verfolgt. Es wurde möglichkeit wurde in der Vergangenheit aber teilweise schon angesprochen, dass die Wett- kein Gebrauch gemacht. Ich habe die Befürch- bewerbsneutralität hier fraglich sein kann. In- tung, dass das auch in Zukunft zwar im Gesetz sofern habe ich große Sympathien für die Al- steht, dem aber keine Taten folgen werden. ternative, die von der CDU/CSU-Fraktion vor- gebracht wurde. Hinsichtlich des Pflegeberaters bin ich der Meinung, dass ein unabhängiges und in Ric h- tung eines tatsächlichen Case-Managements SV Dr. Joachim Wilbers : Auch ich sehe, dass entwickeltes System den Konstruk- es nicht zwingend erforderlich ist, neue Struk- tionsmerkmalen vorzuziehen st,i die jetzt im turen aufzubauen; denn es gibt schon jetzt eine Entwurf stehen. ganze Reihe von Strukturen und Beratungs- möglic hkeiten. Die Pflegekassen sind schon jetzt dazu verpflichtet, zu beraten, und es gibt SV Bernd Tews (Bundesverband privater An- kommunale Beratungsstrukturen. Herr Pogadl bieter sozialer Dienste e. V.): Die Antwort ist hat in seiner Stellungnahme geschildert, dass zum Teil schon gegeben worden. Auch wir es in Dortmund zum Beispiel Seniorenbüros sehen die Notwendigkeit zum Ausbau der Be- gibt. ratung und zur Unterstützung pflegender An- Insofern sollte man zunächst einmal überlegen, gehöriger. Wir sind nicht der Meinung, dass es wie man das, was es schon gibt, einbeziehen dazu zusätzlicher Stützpunkte bedarf; vielmehr kann, ehe man sich über neue Strukturen Ge- sollten die Mittel dafür ausgegeben werden, die Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 12

bestehenden Beratungsstrukturen auszubauen Auffassung ist es von Bedeutung, wie Sie die und die bestehenden Beratungsverpflichtungen gesetzlichen Regelungen zu den Pflege- umzusetzen. stützpunkten sehen. Sind sie praktikabel ge- fasst, und sind die Aufgaben der einzelnen Es ist bereits mehrfach darauf hingewie sen Akteure in diesem Bereich klar abgegrenzt? worden, dass der Sozialhilfeträger bei- Daneben habe ich noch die Frage, wie Sie den spielsweise über die Altenhilfe schon heute die Rechengang - je 50 000 Euro Anlauf- Möglichkeit der Beratung hat. Die Pflege- finanzierung für 4 000 Stützpunkte ergibt einen kassen sind nach § 7 SGB XI zur Beratung und Budgetansatz von 80 Millionen Euro - nach- zum Informationsaustausch mit anderen Trä- vollziehen. gern verpflichtet. Dieses Beratungsangebot, auf dem man aufbauen kann, hätte eigentlich schon heute vorhanden sein müs sen. SVe Verena Göppert (Bundesvereinigung der kommunalen Spit zenverbände): Herr Zylajew, Die Beratungstätigkeit der Pflegeeinrichtungen zu Ihrer ersten Frage, der Praktikabilität der ist bereits heute in § 37 Abs. 3 SGB XI gere- Pflegestützpunkte. Herr Thüsing hat zu Recht gelt. Dies betrifft ungefähr 70 Prozent der darauf hingewiesen, dass es sicher der Mühe Pflegebedürftigen. Für Bezie her von Geldleis- wert ist, dieses Konstrukt noch einmal vor dem tungen, die von Angehörigen gepflegt werden, Hintergrund des Verfassungsgerichtsurteils zu sind bereits heute Pflegeeinrichtungen ver- beleuchten. Wir als Kommunen sind bei nicht pflichtend in der Beratung tätig. Diese Bera- genau beschriebenen Aufgabenzuweisungen tungstätigkeit besteht auch gemäß § 45 und Aufgabenwahrnehmungen gebrannte Kin- SGB XI, in dem es um die Schulung und An- der: Wir haben bei den Arbeitsgemeinschaften leitung von pflegenden Angehörigen geht. Die nach dem SGB II leidvolle Erfahrungen ma- AOK hat eben darauf hingewiesen, dass diese chen müssen. Leistungen durch die in diesem Bereich beste- hende Struktur bundesweit bereits sicherge- Die Zielsetzung der Pflegestützpunkte, dass stellt werden können und dass die Pflegebera- man den Pflegesuchenden vollumfänglich an tung bereits bei Krankenhausentlassungen er- einem Ort beraten sollte, kann man mit Nach- folgt. druck unterstützen. Das wird aber gemäß der im Regierungsentwurf vorgesehenen Fassung Der bpa hat - genauso wie die AOK - bundes- nicht umsetzbar sein. Keiner weiß so richtig, weit 2 500 Pflegeberater qualifiziert und setzt wer was durchführen soll und wer letztendlich sie in diesem Kontext ein. Vor die sem Hinter- die Verantwortung für Entscheidungen hat. grund sind wir der Auffassung, dass die beste- Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Im Gesetz henden Beratungsstrukturen ausgeweitet wer- und in der Begründung kann man lesen, dass den müssen. Dann wäre ein Pflegestützpunkt der Pflegestützpunkt entscheidet. Man muss obsolet. Hinsichtlich der Zusammenarbeit und aber wissen, wer der jeweilige Entscheidungs- Vernetzung - Herr Kukla hat schon darauf hin- träger dahinter ist. Das vermissen wir im Ge- gewiesen - sind wir der Auffassung, dass das setzentwurf noch. Die Verantwortlichkeiten Instrument der integrierten Versorgung bereits müssten klar geregelt sein. Bestandteil des Gesetzes ist. Das Instrument der Integrationsversorgung müsste in diesem Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, Kontext auch auf die bestehenden und auszu- dass sich die Kommunen hier stärker einbinden bauenden Beratungsstrukturen Anwendung wollen und dass sie im Rahmen der Daseins- finden. vorsorge bereit sind, die Koordi- nierungsfunktion zu übernehmen. Nach Be- endigung der Arbeit der Föderalismuskom- Abg. Willi Zylajew (CDU/CSU): Meine Fra- mission II ist der Weg nicht mehr so einfach gen richten sich an die Bundesvereinigung der wie vorher. Er müsste über die Länder ge- kommunalen Spitzenverbände. Nach unserer funden werden. Wir als Kommunen sind mit Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 13

unseren Erfahrungen nicht nur im Bereich der zieren soll, was parallel dazu installiert und Pflegeberatung, sondern auch bei sonstigen finanziert wird. Dienstleistungen - ich erwähne hier nur die Altenhilfe und die Wohnraumberatung - prä- destiniert dafür, hier eine größere Ver- SV Wolfram-Arnim Candidus (Deutsche antwortung und die Koordinierungsfunktion zu Gesellschaft für Versicherte und Patienten e. übernehmen. V.): Ich vertrete den Standpunkt, dass wir ge- nügend Institutionen ha ben, die den Pflegebe- Zu Ihrer zweiten Frage, dem Rechenvor gang, dürftigen und die Angehörigen schon heute wie man also auf 80 Millionen Euro kommt, beraten können. Das gilt auch für die Vernet- wenn man 50 000 Euro mit 4 000 multipliziert: zung. Es ist mir neu, dass dieses Ergebnis am Ende der Rechenkette steht. Es wären Wir reden in dem Gesetzgebungsverfahren 200 Millionen Euro bzw., wenn man von über die integrierte Versorgung und die Ver- 45 000 Euro ausgeht, 180 Millionen Euro not- netzung zwischen den Apothekern und den wendig. Ärzten. Im Moment gibt es bei der Patienten- Im Gesetzentwurf steht, dass die Verteilung Compliance hinsichtlich der Medikamente ein der Mittel gewissermaßen nach dem Eingang Desaster. Ein Arzt verordnet einem Norma l- des Antrags erfolgt. Man nennt das das Wind- versicherten ein bestimmtes Medikament; der hundverfahren. Ich denke, es ist notwendig, Apotheker muss das aber nach den AOK- diese Regelung noch einmal zu überprüfen. Rabattverträgen abgeben. Das soll jetzt durch einen Pflegestützpunkt oder einen Pflegebera- ter geleistet werden, obwohl sich bereits die Abg. Hermann-Josef Scharf (CDU/CSU): Apotheker kaum noch damit auskennen. Meine Frage richtet sich an den Verbrau- cherzentrale Bundesverband und an die Deut- Ich warne davor, eine Überstruktur aufzu- sche Gesellschaft für Versicherte und Patie n- bauen, und fordere, lieber das zu nutzen, was ten. Im Rahmen der Pflegestützpunkte sollen wir haben, und Anreizsysteme zu schaffen. Wir die Beratung über Angebote und die Entschei- finden Beispiele dafür. Sie brauchen nur ein- dung über Leistungen aus einer Hand erfolgen. mal ins Internet zu gehen. Selbsthilfeorganisa- Wie bewerten Sie diese Konzeption, und wel- tionen, Sozialstationen und Altenhe ime haben che Folgen kann das für die Betroffenen ha- sich mit Kommunen zusammengeschlossen, ben? um einen Stützpunkt aufzubauen und eine ef- fektive Beratung unter einer Notfall- bzw. Be- ratungsnummer zu leisten. Dabei werden die SV Dieter Lang (Verbraucherzentrale Bun- stationären Einrichtungen integriert, damit desverband e. V.): Das ist genau der Punkt. In auch das Entlassungsmanagement effektiv vielen Bundesländern gibt es bereits ordentli- betrieben wird. Hier und nicht darin, weitere che Strukturen. Ich erinnere zum Beispiel an Institutionen aufzubauen, sehen wir einen das Landespflege gesetz Nordrhein-Westfalen. Handlungs bedarf. Danach gibt es die Möglichkeit, dass die Land- kreise bestimmten Trägern die unabhängige Beratung und Begleitung übertragen. Das ist Abg. Maria Eichhorn (CDU/CSU): Meine nicht nur eine Rechtsberatung, sondern das ist Frage geht an den Deutschen Pflegerat und an auch eine aufsuchende Begleitung im Pflege- das Diakonische Werk der Evangelischen Kir- prozess. che in Deutschland. Welche Anforderungen sind an ein Fallmanagement zu richten, und ist Diese Strukturen wird man aller Voraussicht es vor diesem Hintergrund sachgerecht, die nach irgendwann nicht mehr auf dem Markt Pflegeberatung bzw. den Fallmanager bei den sehen; denn das Land wird an dieser Stelle Pflegekassen anzusiedeln? natürlich fragen, warum es noch etwas finan- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 14

SV Franz Wagner (Deutscher Pflegerat e. V.): neutrale Strukturen geschaffen werden müssen. Aus unserer Sicht ist es zwingend erforderlich, Diese müssen sich vor Ort ergeben. Dabei sind dass die Fallmanager unabhängig, also losge- gewachsene Strukturen zu berücksichtigen und löst von den Interessen der Leistungserbringer je nach Bundesland unter Umständen auch und der Kostenträger, arbeiten können und unterschiedlich auszugestalten. dass sie ausschließlich im Interesse der Versi- cherten tätig sind. Die Versicherten müssen darauf vertrauen können, dass ihre Situation im Abg. Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU): Vordergrund steht. Meine Frage geht an die Spitzenverbände der Pflegekassen. Wie bewerten Sie die Vorgabe, Es wurde bereits das Konzept des Case- dass ein Pflegeberater für 100 Pflege bedürftige Managements erwähnt. Wir sehen das eher in vorzuhalten ist? Wie viele Kontakte hat ein dieser Richtung. Wir sind der Auffassung, dass Berater der Pflegekassen schon heute? es zumindest im Erstkontakt einer pfle - gefachlichen Kompetenz bedarf, um festzu- stellen, welchen weiteren Beratungsbedarf es SV Dr. Herbert Reichelt (AOK- gibt und welche Unterstützung man geben Bundesverband): Wir halten die Richtschnur kann. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, bzw. Relation, die in der Gesetzesbegründung dass wir eine Ansiedlung bei den Pflegekassen vorgesehen ist - ein Pflegeberater auf 100 Pfle- nicht für zielführend halten. Die verschiedenen gebedürftige oder Angehörige -, aufgrund un- Parteien müssten sich vielmehr zum Beispiel serer Erfahrungen im Case-Management für unter einer unabhängigen Rechtsform zusam- deutlich überzogen. Unsere Erfahrungen in der menfinden, die es ermöglicht, dass die Pflege- Kundenberatung zeigen, dass ein gutes Bera- berater tatsächlich im Sinne der Versicherten tungsangebot auch mit einem geringeren Per- tätig werden. sonaleinsatz zu gewährleisten ist. Wir haben die Erfahrung ge macht: Entscheidend ist nicht die Quantität, sondern die Qualität der Bera- SVe Erika Stempfle (Diakonisches Werk der tung. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Evangelischen Kirche in Deutschland e. V.): Zu den Anforderungen an das Fallmanage- Es wäre zielgerichtet, hier auf der Grundlage ment: Wir denken, dass die Fallmanagerinnen der Erfahrungen der Krankenkassen ein le r- und Fallmanager von der Grundqualifikation nendes System zu nutzen, um über den zukünf- her entweder eine pflegefachliche oder eine tigen Personalbedarf angemessen entscheiden sozialarbeiterische Qualifikation haben müs- zu können. Rein statische Angaben führen aus sen. Darüber hinaus sind wir der Auffassung, unserer Sicht möglicherweise zu einer Über- dass die Grundaus bildung nicht ausreicht, son- oder Unterversorgung, zumindest aber zu einer dern dass es entsprechender Weiterbildungen regionalen Über- oder Unterversorgung. Ein bedarf. Dazu gibt es Richtlinien der Deutschen vernünftiges System müsste sich an dem wirk- Gesellschaft für Care und Case Management, lichen Bedarf und der Inanspruchnahme orie n- die sowohl von den Angehörigen der Pflege- tieren. berufe als auch von den Sozialarbeitern an- erkannt sind. Diese sind unserer Ansicht nach Ich darf noch einmal sehr deutlich he- auf die Pflegeberater gemäß § 7 a SGB XI rausstellen, dass wir ein großes Interesse daran anzuwenden. haben, Kundenzufriedenheit herzustellen. Aus meiner Sicht ist es der richtige Ansatzpunkt, Wir halten die Ansiedlung bei den Kranken- dass die Versicherten in ihrem Sinne beraten oder Pflegekassen für nicht geeignet, da es werden. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. keine unabhängige, sondern immer eine leis- tungssteuernde Beratung sein wird. Wir den- ken, dass für die Verortung der Pflegeberater Abg. Willi Zylajew (CDU/CSU): Meine Frage und gegebenenfalls auch der Pflegestützpunkte richtet sich an den IKK-Bundesverband. Im Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 15

Zusammenhang mit der Pflegeberatung ist in Deutschen Caritasverband. Zusätzliche Betreu- dem Gesetzentwurf vorgesehen, dass die damit ungsleistungen für Demenzkranke sollen nur verbundenen Leistungsaufwendungen zu Personen gewährt werden, die sich im ambu- 50 Prozent in die Verwaltungskosten- lanten Bereich befinden. Wie groß ist die Not- abrechnung einfließen. Wie beurteilen Sie aus wendigkeit, diese Betreuungsleistungen auch Ihrer Sicht diese Regelung - auch unter dem im stationären Bereich in Anspruch nehmen zu Aspekt des Beratungsaufwands? können, und wie könnte das in der Praxis aus- sehen?

SV Gerd Kukla (IKK-Bundesverband): Die gesetzliche Regelung ist an dieser Stelle nicht SV Dr. Joachim Wilbers: Eine große Anzahl ganz interpretationsfrei. Wenn man sich die von Demenzkranken lebt in Heimen. Insofern Gesetzesbegründung anschaut, dann kommt ist es sicherlich sinnvoll, Leistungen für De- man zu dem Ergebnis, dass es bei der Berech- menzkranke in den Heimen vorzusehen - auch nung der Verwaltungskostenpauschale keinen separate Leistungen -, solange der Pflegebeg- Unterschied zwischen den normalen Leis- riff noch nicht geändert worden ist. Wenn man tungsausgaben, die zugrunde gelegt werden, einen neuen Pflegebegriff definiert, dann kann und der Finanzierung der Pflegeberatung über man das alles integrieren und in die Leistungen den Leistungshaushalt gibt. mit aufnehmen. Solange das noch nicht so ist, bin ich dafür, dass man diese Leistungen auch Gemeint ist offensichtlich, dass der Ge- den demenzkranken Menschen, die im statio- setzgeber davon ausgeht, dass die Pflegekassen nären Bereich leben, zugute kommen lässt. schon jetzt den Auftrag haben, einen Teil der Beratungsleistungen, die über die Pflegebera- Das kann man auf zwei Arten tun: Zum einen tung erbracht werden sollen und zukünftig über können zusätzliche Mittel zur Verfügung ste- den Leistungs haushalt der Pflegeversicherung hen, die von den Einrichtungen nachgewiese- finanziert werden, zu erbringen. Von daher nermaßen für mehr Betreuung ausgegeben wird der individuelle Anteil, den die einzelne werden. Zum anderen kann man individuelle Pflegekasse aus der Verwaltungskostenpau- Zusatzleistungen definieren, die individuell schale erhält, um die Hälfte der Kosten der hinzugewählt werden können. Wenn die De- Pflegeberater bei die ser einzelnen Pflegekasse menzkranken selber nicht mehr in der Lage reduziert. Deshalb wirken sich diese Anrech- dazu sind, dann können deren Betreuer be- nungsregelungen recht unterschiedlich auf die stimmte zusätzliche Leistungen in den Einric h- einzelnen Pfle gekassen aus. tungen hinzuwählen, die der speziellen Le- benssituation gerecht werden. Im Ergebnis geht der Beratungsauftrag, den die Pflegekassen durch dieses neue Gesetz erhalten werden, allerdings wesentlich über den bishe- SVe Sabine Jansen (Deutsche Alzheimer- rigen Beratungsauftrag hinaus. Von daher ist Gesellschaft e. V.): Sicherlich ist es richtig, die Anrechnung zur Hälfte aus unserer Sicht zunächst einmal die häusliche Pflege im ambu- überzogen. lanten Bereich zu stärken; aber genau wie Herr Dr. Wilbers sehen auch wir durchaus einen Bedarf im stationä ren Bereich. Immer wieder Abg. Jens Spahn (CDU/CSU): Vorneweg ein werden wir mit Horrorberichten aus der statio- Hinweis, um das verfassungsrechtlich klar- nären Pflege in der Presse konfrontiert. zustellen: Es geht nicht um einen Gesetz- Eine Verbesserung im stationären Bereich entwurf des Gesetzgebers, sondern um einen könnten wir uns durch den zusätzlichen Einsatz Gesetzentwurf der Bundesregierung. von Präsenzkräften vorstellen, deren Finanzie- rung gesichert werden muss. Auf jeden Fall Ich habe eine Frage an Dr. Wilbers, an die sollte man dafür sorgen, dass tatsächlich ver- Deutsche Alzheimer-Gesellschaft und an den besserte Angebote für Demenzkranke in den Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 16

entsprechenden stationären Einrichtungen vor- SV Thomas Ballast (Verband der Angestell- gehalten werden und dass nicht eine Förderung ten-Krankenkassen e. V./Arbeiter- nach dem Gießkannenprinzip erfolgt. Einem Ersatzkassen-Verband e. V.): Ich werde etwas zusätzlichen Betrag in der stationären Pflege zur ersten Frage und Herr Schiffer wird etwas sollte gerade im Hinblick auf die soziale zur zweiten Frage sagen. Betreuung und Begleitung auch eine Quali- Im Jahre 2007 wurden zusätzliche Betreuungs- tätsverbesserung über die professionelle Pflege leistungen im Umfang von 6,8 Millionen Euro hinaus gegenüberstehen. in Anspruch genommen. Davon entfielen 5,1 Millionen Euro auf niedrigschwellige Betreu- ungsangebote und 1,7 Millionen Euro auf die SV Andreas Leimpek-Mohle r (Deutscher Inanspruchnahme im Rahmen von Modellvor- Caritasverband e. V.): Etwa 70 Prozent der haben. Es war insgesamt also ein beträchtlicher Menschen, die in Mitgliedseinrichtungen unse- Betrag. res Fachverbandes, Verband katholischer Al- tenhilfe in Deutschland, wohnen, sind auch an einer demenziellen Krankheit erkrankt. Die SV Paul-Jürgen Schiffer (Verband der Ange- Formen sind sehr unterschiedlich. Es gibt bis stellten-Krankenkassen e. V./Arbeiter- zu 30 unterschiedliche demenzielle Erkrankun- Ersatzkassen-Verband e. V.): Bezogen auf die gen. Es wäre unseres Erachtens angebracht, Grundsätze der Leistungs verpflichtungen gibt durch die Ausweitung der Leistungen auf De- es heute entsprechende Richtlinien, durch die menzkranke in statio nären Einrichtungen eine festgelegt wird, welcher Versicherte diesen Vielfältigkeit von Angeboten der Therapie und Anspruch auf die Betreuungsleistungen hat. der Betreuung zu sichern. In dem Gesetzentwurf ist eine Bis-Regelung Eine praktikable Möglichkeit bestünde darin, vorgesehen: bis 200 Euro monatlich, bis dass die Vernetzung mit den niedrig- 2 400 Euro jährlich. Da haben wir erhebliche schwelligen Angeboten, die durch Ehrenamt- Bedenken. Wir müssen uns nämlich verge- liche oder Gruppen von Kirchengemeinden oft genwärtigen, dass die Begutachtung, ob und in den Räumlichkeiten von stationären Einric h- inwieweit der Tatbestand für diese Leistung tungen bereits gemacht werden, dazu führt, erfüllt ist, eine Momentaufnahme ist. Ich den- dass auch Demenzkranke, die in stationären ke, das ist durchaus ein Problembereich, der Einrichtungen leben, davon profitie ren und dazu führen kann, dass es zu unnötigen Rechts- daran teilnehmen. Wir finden, dass das viel zur streiten kommt, weil sich der Zustand des zivilgesellschaftlichen Verantwortung und Betreffenden im Laufe der Zeit natürlich ver- Bewusstseinsbildung beitragen würde. ändert.

Von daher geht unser Petitum klar dahin, je- Abg. Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): dem Betroffenen den vollen Betrag von Ich habe eine Frage an die Spitzenverbände der 200 Euro monatlich bzw. 2 400 Euro jährlich Krankenkassen. Bereits heute gibt es Betreu- zur Verfügung zu stellen, wenn in der Begut- ungsleistungen nach dem SGB V. Welche Er- achtung festgestellt worden ist, dass die ent- fahrungen haben Sie bisher mit der Gewährung sprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. dieser Betreuungsleistungen gemacht, und in welchem Umfang wurden diese Leistungen bislang in Anspruch genommen? Wie bewerten SVe Erika Stempfle (Diakonisches Werk der Sie es, dass die Leistungsbeträge für zusätzli- Evangelischen Kirche in Deutschland e. V.): che Betreuungsleistungen an qualifizierte Erstens können wir das letzte Petitum von Betreuungsangebote geknüpft sind? Ist der Herrn Schiffer unterstützen. Wir sind ebenfalls vorgesehene Katalog im Gesetzentwurf sach- der Meinung, dass es keine Abstufung geben gerecht? Die zweite Frage richtet sich auch an sollte, sondern dass jeder den Betrag von das Diakonische Werk. 200 Euro bekommen sollte. Da es bei der an- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 17

gestrebten Reform, die 2008 in Kraft treten SVe Sabine Jansen (Deutsche Alzheimer- soll, auch um den Begriff der Pflegebedürftig- Gesellschaft e. V.): Wir bewerten die Einbe- keit geht, sehen wir diesen zusätzlichen ziehung der Pflegestufe 0 als sehr positiv. Wir Betreuungsbetrag als eine Interimslösung an. fordern schließlich schon lange, dass die Sym- Zum einen halten wir die Bemessung der Ab- ptome, die gerade bei Demenzkranken die stufung für sehr schwie rig, und zum anderen - Pflegebedürftigkeit ausmachen, Berücksichti- heute Vormit tag ging es bereits um das Thema gung finden müs sen, was in der gegenwärtig Entbürokratisie rung - meinen wir, dass es sich sehr somatisch orientierten Pflegeversicherung dabei um eine sehr bürokratische Lösung han- nicht der Fall ist. Wir glauben, dass das ein delt. erster Schritt ist. Gleichzeitig findet die Arbeit des Beirats zur Überprüfung des Begriffs der Zweitens ist im Vorfeld der Reform kolportiert Pflegebedürftigkeit statt, mit dessen Abschluss worden, dass jeder, der dem Personenkreis es hoffentlich dann ein schlüssiges Konzept nach § 45 a SGB XI in der neuen Fassung an- gibt, nachdem eine Einstufung nach allen gehört, den Betrag von 200 Euro monatlich Symptomen – sozusagen aus einem Guss - bzw. 2 400 Euro jährlich bekommen soll. Inso- erfolgen kann. Aber zu diesem Zeitpunkt ist es fern ist die Enttäuschung bei den Betroffenen sehr wichtig, dass erstmalig auch Menschen groß. mit der Pflegestufe 0 Leistungen bekommen können. Viele Angehörige sind enttäuscht, weil Was die Inanspruchnahme angeht, haben die ihre Kranken bisher bei der Einstufung unbe- Pflegekassen bereits Daten vorgelegt. Wir rücksichtigt bleiben. merken in diesem Zusammenhang an, dass die regionale Verteilung insbesondere bei den Mo- dellversuchen und bei der Förderung nach SV Dr. Joachim Wilbers: Ich sehe das genau- § 45 c SGB XI sehr unterschiedlich ist, da die so. Das ist besonders für den Personenkreis der Länder, die zur Kofinanzierung verpflichtet bereits demenziell Erkrankten positiv, bei de- sind und 50 Prozent der Kosten selber aufbrin- nen körperliche Symptome noch nicht so weit gen müssen, diese Aufgabe unterschiedlich fortgeschritten sind, dass eine Pflegestufe zu- ernst genommen haben und ihr unterschiedlich erkannt wird. Bei diesen Personen ist die Be- schnell nachgekommen sind. Zum Beispiel ist lastung besonders groß. Der Betrag von bis zu in Mecklenburg-Vor pommern meines Wissens 200 Euro im Leistungskatalog kann in dieser erst vorletztes Jahr eine entsprechende Verord- Situation eine große Hilfe sein und Entlastung nung erlassen worden. bringen. Deswegen begrüße ich das sehr.

Drittens meinen wir, dass die niedrig- schwelligen Betreuungsangebote nach § 45 c Abg. Maria Eichhorn (CDU/CSU): Meine SGB XI qualitätsgesichert sein müssen und Frage richtet sich an den Medizinischen Dienst dass es keinen Bedarf an weiteren niedrig- der Krankenkassen und an die Bun- schwelligen Betreuungsangeboten durch die desärztekammer. Sind Sie der Meinung, dass Pflegestützpunkte ohne Qualitätssicherung das bisherige Verfahren zur Feststellung von gibt. Wir denken, dass die bestehenden Ange- erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz bote ausreichen. geeignet ist, Menschen mit psychischen Stö- rungen angemessen zu erfassen?

Abg. Willi Zylajew (CDU/CSU): Ich frage die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft und Herrn SV Dr. Peter Pick (Medizinischer Dienst der Dr. Wilbers: Wir bewerten Sie die erstmalige Spitzenverbände der Krankenkassen): Wir Einbeziehung der Pflegestufe 0 in den Leis- gehen davon aus, dass das gegenwärtige Ver- tungsbereich Demenz? fahren geeignet ist, den Personenkreis derjeni- gen mit eingeschränkter Alltagskompetenz zu erfassen. Es geht schließlich nicht um eine Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 18

Diagnose, sondern um die Feststellung einer Stellvertretender Vorsitzender Abg. Dr. Hans Ein schränkung. Dazu ist das Instrument geeig- Georg Faust (CDU/CSU): Wir kommen dann net. zur Fragezeit der SPD.

Es ist aber nicht - darauf haben wir be reits hingewiesen - für eine Abstufung innerhalb Abg. Dr. Carola Reimann (SPD): Ich möchte dieses Personenkreises geeignet. Wir können auf die Pflegestützpunkte zurückkommen und also feststellen, ob jemand diesem Personen- unsere Eingangsfrage an die Bundes- kreis angehört, aber keine Abstufung vorneh- vereinigung der kommunalen Spitzenverbände men. Von daher schließen wir uns den vorge- richten. Inwieweit kommen die Kommunen brachten Empfehlungen an, auf die Abstufung schon heute Ihrer Aufgabe im Rahmen der zu verzichten. Verantwortung für die Hilfe zur Pflege, der kommunalen Altenhilfe und auch der Daseins- Bei der Begutachtung ist zu berücksichtigen - vorsorge nach? Herr Schiffer hat es bereits angesprochen -, dass es bei körperlichen Einschränkungen möglich ist, sich bestimmte Kompensationen SVe Dr. Irene Vorholz (Bundesvereinigung demonstrieren zu lassen. Das ist bei den Ein- der kommunalen Spit zenverbände): Die von schränkungen und Verhaltensauffälligkeiten, Ihnen angesprochenen Bereiche sind sehr un- um deren Erhebung es hier geht, nicht der Fall. terschiedlicher Natur. Nach den bestehenden Dabei ist man auf die Angaben der Angehör i- gesetzlichen Regelungen kommen die Kom- gen und eine gewisse Plausibilität angewiesen, munen - das heißt konkret, die örtlichen Sozi- was ebenfalls gegen die Einführung einer Ab- alhilfeträger - den Aufgaben in diesen Berei- stufung spricht. Diese würde auch von den chen umfänglich nach. Auf den Pflegestütz- Betroffenen hin terfragt werden. Von daher punkt bezogen weise ich aber darauf hin, dass halte ich es auch für politisch klug, bei dem zur in diesem Bereich über unsere bereits vorhan- Diskussion stehenden Betrag keine weitere denen Aktivitäten hinaus etwas Neues veran- Differenzie rung vorzunehmen, die dem Ein- kert werden soll. zelnen ge genüber schwer zu begründen wäre.

Abg. Hilde Mattheis (SP D): Ich habe zwei SVe Dr. Regina Klackow-Franck (Bundes- Fragen an Frau Frommelt, die für die AWO ärztekammer): Den Ausführungen meines Vor- spricht, und an Herrn Dr. Weskamp. Welche redners schließen wir uns inhaltlich voll an. Möglichkeiten der konkreten Zusammenarbeit Die bestehende Begutachtungsrichtlinie sieht zwischen den Pflegekassen und den Kommu- zwar schon in vorbildlicher Weise den Aufbau nen können Sie sich in den Pflegestützpunkten eines Screening- oder Assessmentverfahrens vorstellen? Wie sehen Sie die Entwicklung von vor; aber eine Differenzierung verschiedener Pflegestützpunkten im Kontext von Angebots- Stufen eingeschränkter Alltagskompetenz ist strukturen der kommunalen Altenhilfe? dabei nicht möglich. Insofern sind wir dafür, von einer abgestuften Auszahlung bei einge- schränkter Alltagskompetenz abzusehen. SVe Mona Frommelt (Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e. V.): Ich spreche für das Pra- Im Übrigen erhoffen wir uns eine weitere Ver- xisnetz Nürnberg-Nord, wo wir hervorragende besserung des Begutachtungsverfahrens im praktische Erfahrungen in der Vernetzung un- Zusammenhang mit der Aktualisierung des terschiedlichster Strukturen sowohl der Haus- Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Insofern sehe n ärzte als auch der Kassen - das hat mein Vor- wir dem Ergebnis der Reform Ende 2008 ent- redner von der AOK bereits angesprochen - gegen. und der Kommunen gemacht haben. Nürnberg ist eine hervorragend vernetzte Stadt. Alle Strukturen sind vorhanden. Jetzt ist es aber im Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 19

Rahmen der Pflegestützpunkte erforderlich, ment auf der kommunalen Ebene, das die hie r- diese Strukturen zu verknüpfen, und zwar nicht zu notwendigen Prozesse zielgerichtet integrie - nur auf der Beratungsebene, wie es bisher ge- ren kann. Es wird somit Hilfe aus zwei Hän- schildert wurde, sondern auch auf einer Ver- den - allerdings in koordinierten Bewegungs- sorgungssteuerungsebene, wie sie im Gesetz- abläufen - realisiert. Die Dimension dieses entwurf vorgesehen ist. Dazu bedarf es nicht Vorhabens wird deutlich, wenn man das, was nur einer Beratung, die auf Ansprüche hin- man mit einer Hand machen kann, mit dem weist, Erwartungen erzeugt und den Ratsu- vergleicht, was mit zwei Händen möglich ist. chenden dann sich selbst überlässt, sondern es muss auch eine entsprechende Durchset- Für die Pflegebedürftigen kann dann unter zungskraft gewährleistet werden. Das ist mit Berücksichtigung ihrer konkreten Lebenslage der Gesetzesvorlage der Fall. Allerdings han- auf der Grundlage einer unabhängigen Bera- delt es sich dabei nach unseren Erfahrungen im tung ein passgenaues Angebot für Pflege und Praxisnetz Nürnberg-Nord um einen Aushand- Versorgung in einer Kombination von Leistun- lungsprozess zwischen den Versorgungsanbie- gen nach dem SGB XI und dem SGB XII in tern und den Leistungsträgern, der auf diese einem einheitlichen Versorgungsplan darstellt Weise institutionalisiert wird. Das begrüßen werden. Für die Leistungserbringer und den wir. Dienstleister besteht in einem räumlich über- schaubaren Markt die Chance, unter diesen Rahmenbedingungen ihr Leis tungsangebot SV Dr. Peter Weskamp: Ich möchte mit der darzustellen und zu realisieren sowie es auf Strukturebene beginnen. Pflegestützpunkte diesen Kontext abgestimmt weiterzuentwi- schaffen aus der Sicht einer kommunalen Sozi- ckeln. alplanung zunächst für den Pflegebedürftigen und dessen Angehörige erstmalig nachhaltige Für die Leistungsträger, Pflegekassen und und qualif izierte Strukturen, die Beratung, Kommunen besteht die Möglichkeit eines ab- Bedarfsanalyse und Leistungsgewährung integ- gestimmten Care-Managements zur Etablie- rieren. rung optimal aufeinander abgestimmter Leis- tungsangebote. Die Transparenz der Hilfe- Alleine mit der Etablierung dieses Struk- erbringung und der Kostenentwicklung bietet turelements in der Altenhilfelandschaft ist nach dadurch erhebliche Evaluations- und Steue- meiner Überzeugung ein wichtiger Ent- rungspotenziale hinsichtlich der Qualität und wicklungsschritt - gleichsam ein Paradig- der Quantität von Hilfen. Ich bin davon über- menwechsel, wie ich es sehe - auf dem Weg zeugt, dass erst dadurch eine Steigerung der zur Erreichung des Ziels einer integrierten Compliance zugunsten der Wirksamkeit von Versorgung vollzogen worden. Pflegestütz- Prävention strukturell möglich und darstellbar punkte sind danach auch immer integraler Be- wird. standteil einer kommunalen Daseinsvorsorge. Damit besteht erstmalig auch strukturell und Die konkrete Zusammenarbeit bezieht sich auf vor allen Dingen praktisch die Möglichkeit, die die Prozessebene. Hier ist es möglich, durch Angebotsentwicklung sowohl in der Pflege als die Zusammenarbeit im Pflegestützpunkt erst- auch in der kommunalen Altenhilfe nach malig ein erfolgreiches Case-Management SGB XII planvoll zu einem umfassenden Care- unter Einbeziehung der Leis tungen des Management in unmittelbaren Nahräumen auf SGB XII und des SGB XI als Pflegeberatung einer vertraglichen Grundlage zu entwickeln. zu ermöglichen. Für den Pflegebedürftigen und Die daraus resultierenden Effekte bringen me i- seine Angehörigen werden mit einer gleichsam ner Meinung nach für alle daran Beteiligten integrierten Beratung durch beide Leistungs- Win-win-Situationen. Zur Erreichung des Ziels träger und aufeinander abgestimmte Hilfen und der vorrangigen häuslichen Versorgung primär Versorgungspläne ein hohes Maß an Qualität durch ambulante Angebote gibt es mit den und Verlässlichkeit sowie eine erweiterte Le- Pflegestützpunkten erstmals ein Strukturele- bensplanung und damit umfangreichere Le- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 20

bensqualität erreicht. Für den Leistungser- gehören andere sozialrechtlich abgesicherte bringer erhöht sich die Planbarkeit seines An- Hilfen, aber auch Selbsthilfeleistungen inner- gebots. Es ist in eine räumlich überschaubare halb der Familie und in der Nachbarschaft. Das Qualitätsentwicklung eingebunden. erscheint in besonderem Maße bei unserer Klientel, aber auch generell das vordringliche Die Einbeziehung auch des Leistungser- Problem mit der Konsequenz, dass die Mög- bringers in die individuelle Versorgungspla - lichkeiten zur Reduzierung der Pflegebedarfe nung ermöglicht die Abstimmung und Wei- aus unserer Sicht derzeit bei weitem nicht aus- terentwicklung sowohl des eigenen Leis- geschöpft werden. tungsangebots als auch des eigenen Ge- schäftsmodells. Sie erhält dadurch wesentlich Hinzu kommt, dass bei bestehenden Pflegebe- mehr Sicherheit. darfen erbrachte Pflegeleistungen im Rahmen der Gesamtleistung kein Optimum an Effizienz Beide Leistungsträger sind in die Leis- erbringen, weil wir ein System additiver Ein- tungssteuerung im Einzelfall eingebunden. Sie zelleistungen haben, in dem jeder im Rahmen haben dadurch in einem abgestimmten Verfah- seiner jeweils selektiven Zuständigkeiten a- ren der Versorgungsplanung Steue- giert. Das ist für Menschen, die selbst nicht gut rungsmöglichkeiten hinsichtlich der Angebote, in der Lage sind, solche unterschiedlichen Hil- Qualität und Kosten und können damit umfas- fen zu organisie ren, ein enormes Problem. sende Hilfs- und Versorgungsangebote entwi- Genau diese beiden Instrumente sind aus unse- ckeln und Leistungen passgenau erbringen. rer Sicht notwendig. Durch eine frühzeitige Beratung wird die Prä- vention größere Wirksamkeit entfalten. Wir sprechen von einem Konzept der per- sonenzentrierten Hilfen. Damit ist gemeint, dass man alle im Rahmen eines Gesamthil- Abg. Mechthild Rawert (SPD): Auch ich be- febedarfs erforderlichen Leistungen bündelt ziehe mich auf die Pflegestützpunkte und die und einzelfallbezogen koordiniert, statt darauf Einführung der Pflegeberatung. Meine erste zu vertrauen, dass sich aus der Summe der Frage richtet sich an die Aktion Psychisch jeweils arrangierten und organisierten Einze l- Kranke e. V. und an den Medizinischen Dienst. leistungen ein gutes Gesamtprogramm ergeben Wie bewerten diese Institutionen den Aufbau wird. Das ist, wie die Erfahrung sehr deutlich von Pflegestützpunkten bzw. die Einführung zeigt, nicht der Fall. von Pflegeberatung? Die Pflege - ich beziehe mich zunächst nur auf Meine zweite Frage richtet sich an den Deut- die Pflegestützpunkte - realisiert die ses Prinzip schen Frauenrat und bezieht sich auf die durch die Koppelung von zwei notwendigen gleichge schlechtliche Pflege. Wie bewerten Sie Aspekten. Zum einen sind die Pflegestützpunk- die vorgesehene Formulierung, nicht zuletzt te leistungsübergreifend organisiert, und zum angesichts der Tatsache, dass viele Pflege- anderen haben sie einen überregionalen Bezug. bedürftige weiblich sind und es viele Pflege- Das Leistungs übergreifende halte ich ebenso rinnen gibt? wie die Einbeziehung der Selbsthilfeförderung für sehr wichtig. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang aber, dass die bisherigen Bera- SV Ulrich Krüger (Aktion Psychisch Kranke tungsangebote in aller Regel selektiv sind; sie e. V.): Wir halten die Pfle gestützpunkte und sind auf Pflegeleistungen bezogen und zusätz- die Pflegeberatung für notwendige und höchst lich in der Regel jeweils auf die Versicherten sinnvolle Instrumente zur Lösung der derzeit der eigenen Kasse oder auf tatsächliche oder bestehenden erheblichen Schnittstellenproble- potenzielle Nutzer der eigenen Angebote. Ü- me. Mit Schnittstellenproblemen ist zum einen bergreifende Angebote fehlen weitgehend. Die die Frage des Zugangs und zum anderen die bereits bestehenden und gut funktionie renden Vernetzung mit anderen Hilfen gemeint. Dazu Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 21

Angebote entsprechen genau dem Konzept des es um Prävention und Rehabilitation - die not- Pflegestützpunktes. wendige Weichenstellung vorzunehmen.

Diese Vorgehensweise, sich nicht auf spezif i- sche Leistungen zu konzentrieren, erhöht die SV Henny Engels (Deutscher Frauenrat e. V.): Komplexität erheblich, sodass sich die Frage Der Deutsche Frauenrat hält die im Gesetzent- der Praktikabilität stellt. Sie ist - das zeigen wurf vorgesehene Regelung, dass dem Wunsch alle Erfahrungen - nur durch eine räumliche nach gleichgeschlechtlicher Pflege nach Mög- Eingrenzung möglich. Sonst wäre dieser Zu- lichkeit stattzugeben ist, für nicht zureichend. ständigkeitsgewinn für keinen Beteiligten rea- Das ist zum einen grundsätzlich begründet; lisierbar. Umgekehrt zeigen aber die Erfahrun- denn wir sind der Meinung, dass die Würde der gen, dass bei einer Beschränkung auf ein kle i- zu Pflegenden zu berücksichtigen und dem nes Wohngebiet tatsächlich neue Ressourcen berechtigten Wunsch nach Selbstbestimmung insbesondere der Selbsthilfe herangezogen in jedem Fall ohne Wenn und Aber statt- werden können, die im bestehenden System zugeben ist. Zum anderen sind wir sehr davon weitgehend ungenutzt bleiben. überzeugt, dass alle Beteiligten mit etwas Fan- tasie und gutem Willen einen Weg finden wer- den, dies zu ermöglichen. SV Dr. Peter Pick (Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen): Was die Ich möchte die Aufmerksamkeit auf zwei Pflegeberatung angeht, wird die institutio nelle Gruppen richten, die wir im Blick haben. Zum Ausgestaltung intensiv diskutiert. Dass ein einen ist es Menschen mit Behinderungen, die großer Beratungsbedarf besteht, ist offensicht- ein Leben lang auf Assistenz angewiesen sind, lich. Denn wer in seinem familiären Umfeld unserer Meinung nach nicht zuzumuten, gegen einen Pfle gebedürftigen hat und alles mitbe- ihren Willen von einer Person des anderen gleiten muss, der weiß, wie schwierig es ist, Geschlechts gepflegt zu werden. Mit Blick auf die pflegerischen und sonstige Hilfen zu orga- die Frauen, die bekanntlich die Mehrheit der zu nisieren. Daher halte ich Pflegeberatung für Pflegenden ausmachen, ist dies insoweit nic ht wichtig. Das wird auch sehr häufig in unserer zumutbar, als 60 Prozent der zu pflegenden Begutachtung deutlich, bei der wir immer wie- Frauen im Laufe ihres Leben einmal oder der mit solchen Fragen zu tun haben. mehrfach Gewalterfahrungen - auch sexuali- sierte Gewalterfahrungen - gemacht haben. Wir Wir haben ein gutes Leistungsfallmanagement. sehen die Gefahr, dass diese Frauen retrauma- Notwendig ist ein Case-Management. Ich halte tisiert werden. Auch Männern, denen Ähnli- Strukturen für notwendig, die mehr auf die ches widerfahren ist, wollen wir das nicht zu- Pflegebedürftigen zugehen und die im Leis- muten. tungsgeschehen vorhandenen Ansatzpunkte nutzen. Ich teile aber auch die Auffassung, Wir sehen das zum anderen mit Blick auf die dass die im Gesetzentwurf der Bundesregie- kultursensible Pflege für notwendig an, näm- rung vorgesehenen Regelungen in der Ausges- lich im Bezug auf die immer stärker werdende taltung etwas überdimensioniert sind. Ich plä- Gruppe von Migrantinnen und Migranten mit diere dafür, mehr bei dem anzusetzen, was es anderen Vorstellungen und traditionellen Ein- bei den Kassen und den Kommunen bereits stellungen und Erfahrungen, über die wir uns, gibt, und diese Möglichkeiten zu nutzen und zu glaube ich, nicht hinwegsetzen dürfen. verbreitern.

Ich halte es, wie gesagt, für wichtig, einen grö- Abg. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Es gibt ein ßeren Schwerpunkt auf die Pflegeberatung zu Projekt Demenz im Diakonieverband Ulm/Alb- setzen und auch denjenigen, die noch keine Donau. Ich frage Herrn Frey, wie er aufgrund Pflegestufe erhalten, Unterstützung zu bieten, seiner Erfahrungen mit dem Projekt Demenz um auch hier frühzeitig - heute Vormittag ging die im Gesetzentwurf vorgesehenen Aufgaben Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 22

und Strukturen der Pflegestützpunkte und Pfle- punkten und Pflegeberatung beurteilen, und geberatung einschätzt. Ins besondere interes- insbesondere auf den Aufbau von Doppel- siert mich Ihre Einschätzung zum Vorwurf des strukturen und Bürokratie eingehen? Aufbaus von Parallelstrukturen und von Büro- kratisierung. SV Otto Frey: Ich denke, in meinen Ausfüh- rungen wurde deutlich, dass ich die Pflegebera- SV Otto Frey: Ich berichte vor dem Hinter- tung für sehr wic htig halte. Den Aufbau von grund eines Modellvor habens nach § 45 c Doppelstrukturen sehe ich dadurch nicht gege- SGB XI. Wir sind im fünften Jahr dieses Mo- ben. dellvorhabens, in dessen Verlauf es gelungen ist, 400 an Demenz erkrankte Menschen in einem Stadtteil mit 20 000 Einwohnern persön- Abg. Dr. Carola Reimann (SPD): Ich möchte lich kennenzulernen. In dem Modellvorhaben zum Thema Mischverwaltung einige Fragen an sind zwei Fachkräfte beschäftigt, eine Pflege- Herrn Professor Thüsing richten. Trifft es zu, kraft und eine Sozialarbeiterin mit hoher bera- dass sich Kommunen und Landesbehör den terischer Kompetenz. nach dem vorliegenden Gesetzentwurf beteili- gen können, aber nicht müssen? Kennt das Ich möchte auf zwei Punkte hinweisen, die sich Verwaltungsrecht - insbesondere das SGB X - im Projekt als wesentlich herausgestellt haben: allgemeine Regeln für das Zusammenwirken Zum einen werden durch die aufsuchende Ar- von Behörden im Sozialbereich? Halten Sie beit - das heißt der Besuch im häuslichen Be- insbesondere die Vorschriften für die Beauf- reich - vor allem die Ange hörigen wesentlich tragung für verfassungswidrig? entlastet. Die Mitarbeiterinnen werden zu wichtigen Ansprech- und Vertrauenspersonen in Krisensituationen und bei chronischer Über- SV Prof. Dr. Gregor Thüsing: Ihre Frage lastung, die einen wichtigen Punkt in der Pfle- zielt in eine bestimmte Richtung. In dieser ge von Demenzkranken darstellt. Von ent- Richtung darf ich Ihnen recht geben. Es gibt scheidender Bedeutung war es, die Öffentlic h- die Möglichkeit einer Mischverwaltung. Sie keit und das Gemein wesen für die Belange der haben die Bereiche angesprochen, in denen das Betroffenen zu sensibilisieren und auf eine bereits in Ansätzen realisiert worden ist. Dafür demenzfreundlichere Gestaltung des Zusam- ist es aber erforderlich, dass es einen hinrei- menlebens hin zuwirken. chenden sachlichen Grund gibt und die Sache nic ht ähnlich effektiv ohne Mischverwaltung Das Modellvorhaben hat gezeigt, dass es da- geregelt werden kann. Die Frage nach der durch gelingt, bürgerschaftlich engagierte Per- Rechtfertigungsprüfung muss sich der Ge- sonen zu gewinnen. Unsere Gesellschaft wird setzentwurf gefallen lassen. Ich halte die Frage lernen müssen, dass Menschen ein Recht dar- der Prüfung für offen; sie ist vielleicht sogar auf haben, in Würde die Orientie rung verlieren dahingehend zu beantworten, dass eine sachli- zu können. Es wurden Berufsgruppen geschult, che Rechtfertigung nicht vorliegt. die in besonderer Weise mit den Betroffenen in Kontakt kommen, zum Beispiel Polizeibeamte, Die Tatsache, dass durch den Vertrag Beteili- Bankangestellte, Beschäftigte im Einzelhandel gungen erzwungen werden, führt im Übrigen und Busfahrer. Dafür wurden Kurrikula entwi- nicht zur Abweichung von der Ge- ckelt. setzeszuständigkeit des Bundes. Das ist ein Instrument, das eine gewisse Flexibilität er- lauben soll, aber das Ziel der Vermischung des Abg. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Könnten Auftretens zum Ziel hat. Das hat nur dann Sie bitte noch meine Frage beantworten, wie Sinn - dies ist, glaube ich, in der Dis kussion Sie gerade vor dem Hintergrund Ihres Modell- schon deutlich geworden -, wenn tatsächlich projekts die Einführung von Pflegestütz- Entscheidungen gebündelt werden. Bloße Be- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 23

ratung wird oftmals nicht reichen, vor allem können, oder die Aushändigung von vier Bera- wenn sie von den Stellen, deren Leistungen tungsgutscheinen? Gegenstand der Beratung sind, nicht als ver- bindlich anerkannt wird. Dies ist insbesondere dort problematisch, wo verbindliche Entschei- SVe Sabine Jansen (Deutsche Alzheimer- dungsstrukturen geschaffen werden. Das ist Gesellschaft e. V.): Ich möchte auf diese Fra- sozusagen ein gewisser Eiertanz zwischen der gen antworten: sowohl - als auch. Pflegestütz- Gesetzesbegründung und dem Gesetzeswort- punkte halte ich insbe sondere da für ein sehr laut, der nicht ganz klar ist. gutes Angebot für Hilfesuchende, wo es keine Alternative gibt und wo sie einen strukturellen In die Bewertung des sachlichen Grundes im Anreiz bieten. Es gibt in jedem Fall Beratungs- Zusammenhang mit den Pflegestützpunkten bedarf; das sehe ich genauso wie meine Vor- muss auch der angesprochene Gesichtspunkt redner. der Doppelung von Zuständig keiten einfließen. Ich empfehle, dazu die Stellungnahmen der Aber nicht nur wir, sondern viele andere Ver- unabhängigen Verbände wie des Deutschen bände - sie haben sich zum Teil in dieser An- Caritasverbandes zu lesen. Deren Aussagen hörung schon geäußert - sehen bei dieser Kon- kann ich mich nur anschließen. struktion allerdings auch einige Kritik punkte. Zum Beispiel verstehe ich unter dem Begriff Pflegeberatung etwas Umfassendes, das weit Abg. Dr. Carola Reimann (SPD): Ich habe über die Information, welche Leistungen es eine Nachfrage zu den Entscheidungen. Trifft gibt und wie sie finanziert werden können, es zu, dass das Bundesverfassungsgericht die hinausgeht. Mit den häufig verzweifelten Be- Kooperation unterschiedlicher Sozial- troffenen sind auch psychosoziale Ge spräche leistungsträger unter einem Dach ausdrücklich notwendig. für zulässig hält, solange die Entschei- dungskompetenz getrennt bleibt? In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Qualifikation der Menschen in den Pflegestützpunkten. Meine Erfahrungen in der SV Prof. Dr. Gregor Thüsing: Ich würde es telefonischen Beratung von Alz heimerkranken, anders formulieren. Dass die Entscheidungs- bei der es auch um die Ablehnung von Leis- kompetenz getrennt bleibt, hat das Bundesver- tungen geht, zeigen, dass dieser Punkt wichtig fassungsgericht nicht als ausdrücklich unzulä s- ist. Insofern halte ich es für notwendig, dass sig bezeichnet. Die Problematik, zu der eine die Pflegeberatung unabhängig stattfindet. intensive Prüfung notwendig ist, liegt an der Deswegen halte ich es auch für eine Option, Stelle, wo die Entscheidungsfindung zusam- Beratungsgutscheine auszugeben, wo ent- mengeführt wird, nämlich bei der Beratung. sprechende Strukturen vorhanden sind. Meine persönliche Ansicht dazu ist, dass man das Ganze zwar so durchspielen kann, dass es Dabei stellt sich auch hier die Frage nach dem aber in der Praxis keinen Bestand haben wird Akkreditierungsverfahren der Krankenkassen. und die Ausgestaltung insofern nicht sinnvoll Man muss sehr strenge Maßstäbe anlegen. ist. Welche Qualifikation müssen unabhängige Case-Manager haben? Sie müssen meiner Meinung nach besser ausgebildet sein, gerade Abg. Dr. Margrit Spielmann (SPD): Ich frage wenn sie sozusagen als Einzelkämpfer in die die Deutsche Alzheimergesellschaft, die BAG Haushalte gehen. Vorstellbar ist aber auch, Selbsthilfe und die Verbraucherzentrale, wel- dass unabhängige Organisationen das machen. che Alternativen sie für sinnvoll halten: die Ich denke zum Beispiel an die Verbände der wohnortnahen Stützpunkte, an die sich Ratsu- Selbsthilfe, die eine sehr spezifische Pflegebe- chende bei Beratungsbedarf jederzeit wenden ratung für bestimmte Krankheitsbilder anbieten können. Daher sehe ich beides als eine Option. Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 24

Angesichts der Tatsache, dass sehr viel Geld nicht machbar. Ich hätte mir gewünscht - ich im Spiel ist, plädiere ich dafür, an manchen weiß nicht, warum das nicht geschehen ist -, Orten Pflegestützpunkte einzurichten und an dass man eine nationale Konferenz derjenigen anderen Orten, wo es bereits gute Strukturen einbe rufen hätte, die im Beratungs- und Be- gibt, Beratungsgutscheine auszugeben. Man gle itungsgeschäft tätig sind. Dann hätte man sollte das nach drei Jahren evaluieren und sehen können, wer bereit ist, welche Aufgaben schauen, welche Ergebnisse erzielt wurden und zu übernehmen. Danach hätte sich ein Akkre- wie groß die Akzeptanz bei den Pflegebedürf- ditierungs- bzw. Zertifizierungsverfahren an- tigen ist. Wir sind der Meinung, dass wir in schließen müssen. So hätte man es machen naher Zukunft wieder eine Reform der Pflege- können. Nun werden uns die Kassen vorge- versicherung brauchen, wenn der Begriff der setzt. Das ist die zweitschlechteste Lösung. Pflegebedürftig keit neu definiert wird. Wir investieren nun unheimlich viel Geld in den Aufbau neuer Pflegestützpunkte, das dann den Abg. Dr. Margrit Spielmann (SPD): Ich Pfle gebedürftigen unter Umständen nicht mehr möchte eine Frage stellen, die von der Deut- zur Verfügung steht. Daher kann ich keine schen Krankenhausgesellschaft in der vo- eindeutige Meinung zu einer der beiden Alter- rangegangenen Runde nicht beantwortet wur- nativen abgeben, sondern nur eine differenzie r- de. Ich gestatte mir daher, diese für unser Ge- te Stellungnahme. setzesvorhaben wichtige Frage zu wie derholen. Reichen die gesetzlichen Regelungen zur Ver- ordnung von Arzneimitteln und weiteren Leis- SV Dr. Martin Danner (Bundesarbeitsge- tungen im Rahmen der ambulanten Behand- meinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Be- lung im Krankenhaus nach § 116b SGB V aus, hinderung und chronischer Erkrankung und oder sind weitere Regelungen erforderlich, ihren Angehörigen e. V.): Auch wir sehen und, wenn ja, welche? Pflegestützpunkte in Trägerschaft der Kassen als problematisch an. Insofern kann ich diese Option nicht unterstützen. Aber Gutscheine SV Detlev Heins (Deutsche Krankenhausge- sind nur so viel wert wie das Angebot, das man sellschaft e. V.): Bei § 116b geht es um die mit ihnen in Anspruch nehmen kann. Aus un- ambulante Behandlung besonders schwerer serer Sicht ist der beste Weg, dass unabhängige Erkrankungen im Krankenhaus. Vor dem Ein richtungen der Selbsthilfe - Frau Jansen von GKV-WSG war es bekanntlich drei Jahre in der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft hat das Belieben der Krankenkassen gestellt, mit gerade darauf hin gewiesen - kompetent Bera- den Krankenhäusern Vereinba rungen und Ver- tungsangebote machen. Insofern ist es sicher- träge zu schließen. Der Gesetzgeber schafft das lich ein sehr guter Weg, die Förderung dieser ab. Nun werden die Landesplanungsbehörden Einrichtungen zu intensivieren, das Ganze zu tätig. In Sonderheit haben wir aber ein Prob- evaluie ren und zu sehen, ob man eine flächen- lem: Den Krankenhäusern soll eine Abgabe deckende, unabhängige Beratung aufbauen von Arzneimitteln durch das Apothekengesetz kann. ermöglicht werden. Allerdings sind damit die Verordnung und die Finanzierung der Arznei- mittel nicht geregelt. Das ist zum Beispiel bei SV Dieter Lang (Verbraucherzentrale Bun- der Abgabe von Zytostatika bei der on- desverband e. V.): Ich schließe mich Herrn kologischen Behandlung problematisch. Fak- Danner weitgehend an. Auch im Rahmen einer tisch können wir hier eine ambulante Be- unabhängigen Beratung sind Beratungsgut- handlung im Krankenhaus nicht durchführen. scheine denkbar. Ich halte diese Lösung aber Es ist daher korrekt, dass hier Regelungsbedarf für eher geeignet, wenn es um Rechtsbera- vonseiten der DKG gesehen wird. tungsfragen und nicht um die zugehende Bera- tung in pflegefachlicher Hinsicht geht. Hier Im Moment behelfen wir uns mit freiwilligen halte ich eine Gutscheinlösung für praktisch Vereinbarungen mit den Krankenkassen, so- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 25

fern es denn schon Genehmigungen vonseiten Ein Beratungsgutschein ist sicherlich nicht das der Landesplanungsbehörden gibt. Aber es A und O; denn Anspruch auf einen Be- geschieht nur hilfsweise und ist wie der in das ratungsgutschein hätte laut Gesetz nur der- Belieben der Krankenkassen gestellt, Verein- jenige, der einen Anspruch auf Leistungen der barungen mit den Krankenhäusern zu schlie- Pflegeversicherung hat. Vielleicht sollte man ßen. Hier müsste aus unserer Sicht eine ver- generell allen Betroffenen, die Fragen oder pflichtende und deutliche Regelung getroffen Hilfsbedarf bei ihrer Lebensführung haben, den werden, die im günstigsten Fall den Kranken- Weg zu einer Beratungsstelle eröffnen. Das häusern eine direkte Rezeptierung zulasten der wäre das Wesentliche. GKV ermöglicht.

SVe Elke Bartz (Forum selbstbestimmter As- Abg. Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD): Meine sistenz behinderter Menschen e. V.): Zum erste Frage zu den Pflegestützpunkten geht an Thema Geldleistungen in Höhe der Sachleis- Herrn Schiffer. Ist es nicht so, dass die Bera- tungen für behin derte Menschen: Selbstver- tung nach dem SGB bereits kostenlos stattfin- ständlich sehen wir es als dringend notwendig det und dass der Pflegeversicherung durch die an, dass behinderte Menschen entweder im Ausgabe von Gutscheinen ein zusätzlicher Rahmen eines trägerübergreifenden persönli- Aufwand entsteht? Natürlich hat ein Hilfesu- chen Budgets oder ohne Budget als Arbeit- chender durch einen Pflegestützpunkt einen geberinnen und Arbeitgeber, die ihre Assistenz einzigen Anlaufpunkt und muss nicht durch selbst organisieren und damit sozialversiche- das gesamte Beratungssystem gehen. rungspflichtige Arbeitsplätze schaffen, Geld- leistungen in Höhe der ambulanten Sachleis- Meine zweite Frage geht an Frau Elke Bartz tungen bekommen. Die Geldleistungen dienten und Herrn Professor Welti. Wäre es nicht gut, ursprünglich als Anerkennungsleistung für wenn Menschen mit Behinderung im Rahmen pflegende Angehörige. Über solche verfügen ihres persönlichen Budgets einen Geldbetrag behinderte Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber von der Pflegeversicherung bekämen, der so in der Regel nicht. Wir haben genauso wie hoch wäre wie ein entsprechender ambulanter ambulante Dienste Assistenzpersonen als ab- Sachleistungsbetrag? Das fordert unter ande- hängig Beschäftigte. Daher ist die Geldleis tung rem der Bundesrat. Wahrscheinlich wären es in Höhe der Sachleistung unbedingt notwendig, nicht allzu viele Menschen, die ein solches insbesondere im Hinblick auf § 66 SGB XII, Budget beantragten. der Leistungskonkur renz. Die Sozialhilfeträger versagen immer wieder Leistungen, weil sie die Differenz zwischen Geld- und Sachleistun- SV Paul-Jürgen Schiffer (Verband der Ange- gen nicht finanzieren wollen. Zumindest inner- stellten-Krankenkassen e. V./Arbeiter- halb eines trägerübergreifenden persönlichen Ersatzkassen-Verband e. V.): Beratung und Budgets sollten Geldleistungen in Höhe der Information betreffen nicht nur Pflegebedürfti- Sachleistungen eine Selbstverständlichkeit ge, die einen Leistungs anspruch nach dem sein. Es besteht nach wie vor die Problematik, SGB XI haben. Das ist sicherlich im Gesetz so dass die Pflegeversicherung nicht teilhabeor i- vorgesehen. Aber es gibt auch eine Reihe von entiert ist. Ein erster Schritt wäre, zu sagen: Versicherten mit Hilfsbedarf unterhalb der Pflege ist ein Teil von Teilhabe; ohne Pflege ist Leistungen der Pflegeversicherung, die eben- keine Teilhabe möglich. falls eine Beratung benötigen. Daher muss eine Anlauf stelle, unabhängig davon, ob es sich um einen Pflegestützpunkt hande lt oder wie auch SV Prof. Dr. Felix Welti: Die Bundesregie- immer man eine solche Beratungs- und Infor- rung spricht sich zu Recht für das persönliche mationsstelle vor Ort nennen will, für alle Be- Budget als eine innovative Leistungsform für wohner in einem Wohnquartier bzw. einer behinderte Menschen aus und hat dies auch in Gemeinde eingerichtet werden. der Gesetzgebung zum SGB IX wirksam aus- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 26

gestaltet. Die dazugehörigen Modellversuche nahme genau lesen, werden Sie feststellen, sind weit gehend erfolgreich abgeschlossen. dass ich die Frage, ob es tatsächlich zu Verwal- Leider wird dies im Gesetzentwurf der Bundes- tungs akten kommt, offengelassen und wohl regie rung noch nicht berücksichtigt. Die Mög- unterstellt habe, dass das nicht der Fall ist. Es lichkeit, das persönliche Budget mit Leistun- wird aber Entscheidungsbefugnisse geben. Ob gen der Pflegeversicherung trägerübergreifend diese in das öffentlich-rechtliche Gewand nach zu kombinieren, sollte in den Gesetzentwurf § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz gekleidet aufgenommen werden. Es droht ansonsten eine sind oder nicht, wird letztlich nicht entschei- Auseinanderentwicklung und Wider- dend sein. sprüchlichkeit im Sozialrecht. Es ist zu ver- muten, dass hier Meinungsverschiedenheiten Stellen wir uns einmal folgenden Fall vor: Ein zwischen zwei Bundesministerien auf dem Hilfsbedürftiger wird von einem Sach- Rücken der Betroffenen ausgetragen werden. bearbeiter beraten, der von einer Krankenkasse Das sollten Sie als Gesetzgeber durch polit i- entsandt wurde. Der Hilfsbedürftige selber ist sche Entscheidungen verhindern. Der Bundes- aber bei einer anderen Krankenkasse versi- rat hat zu Recht die Streichung der Sonderrege- chert. Trotzdem wird er vom Sachbearbeiter lungen in § 35 a SGB XI zum persönlichen erwarten, dass die empfohlene Behandlung von Budget einstimmig gefordert. Ein Verzicht auf seiner Krankenkasse gewährt wird. Sollte dies pflegespezifische Sonderregelungen beendete nicht der Fall sein, wäre das System der Pfle- zum einen die bestehende Benachteiligung gestützpunkte sinnlos, weil es den Hilfesu- pflegebedürftiger Behinderter und leistete zum chenden falsch informierte. Um dies zu ver- anderen ein Beitrag zur Entbürokratisierung. meiden, werden sich die Krankenkassen ge- Man hätte dann eine klare Regelung im zwungen sehen, Leistungen nicht nur nach SGB IX. Damit könnte man viel für die betrof- ihren eigenen Maßstäben und Gepflogenheiten fenen Menschen tun. zu gewähren, sondern auch nach denjenigen, die der Berater des jeweiligen Pflegestützpunk- Das System der Pflegeversicherung würde tes für angemessen hält. Hier spielt auch das dadurch nicht gefährdet; denn das persönliche Selbstverwaltungsrecht der Krankenkassen Budget wäre kein Pflegegeld, sondern eine eine Rolle. Leistung, die durch eine Zielvereinbarung an eine bedarfsgerechte Verwendung gebunden Im Gesetzentwurf heißt es auf Seite 189, dass wäre. Sie würde nach dem SGB IX nur demje- es zu begrüßen wäre, wenn Mitarbeiter mit nigen gewährt werden, der Ansprüche gegen- Entscheidungskompetenz eingesetzt würden. über anderen Trägern hätte. Es würde sich also Es sollte die Möglichkeit der sofortigen Ent- um einen überschaubaren Adressatenkreis han- scheidung geben. Ziel ist, eine enge Verzah- deln. nung zu erreichen. Das alles wird faktisch mit den dort zu treffenden Entscheidungen zu- sammenhängen. Ob diese als öffentlich- Abg. Hilde Mattheis (SPD): Herr Professor rechtlicher Verwaltungsakt aus gestaltet sind, Thüsing, § 92 c SGB XI im Gesetzentwurf ist letztlich im Hinblick auf das Verbot der sieht nicht vor, dass ein Pflegestützpunkt selbst Mischverwaltung nicht entscheidend. Das Verwaltungsakte oder Widerspruchsbescheide würde es vielleicht ein wenig dramatisieren, erlässt. Sehen Sie trotzdem die Gefahr einer überspitzen oder akzentuieren; aber es wäre unzulässigen Mischverwaltung? keine grundlegende Weichenstellung, die das Problem löste. Ich weiß nicht, ob das verfas- sungswidrig ist. Aber bei den Arbeitsgemein- SV Prof. Dr. Gregor Thüsing: Auch bei me i- schaften haben wir damals diese Frage nicht ner dritten Stellungnahme werde ich nichts ausreichend geprüft. Ich sehe daher die Gefahr, anderes sagen als zuvor. Aber ich danke für die dass das Bundesverfassungsgericht auf dem Gelegenheit, das, was ich bislang angedeutet Weg voranschreitet, den es mit seiner Ent- habe, zu vertiefen. Wenn Sie meine Stellung- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 27

scheidung vom letzten Dezember eingeschla- SV Dr. Peter Pick (Medizinischer Dienst der gen hat. Spitzenverbände der Krankenkassen e. V.): Sie haben primär danach gefragt, wer es machen soll. Man sollte noch einmal darüber nachden- Abg. Helga Kühn-Mengel (SPD): Ich richte ken, welches Ziel die Beratungseinsätze ver- meine Fragen an die Vertreter des Deutschen folgen. Am Anfang stand der Kontrollaspekt Caritasverbandes, des Bundesverbandes der im Vordergrund. Dann rückte der Beratungsas- Arbeiterwohlfahrt und des MDS. Es geht um pekt mehr in den Vordergrund. Man sollte sich die Beratungseinsätze nach § 37. Meine Frage fragen, ob die Beratungseinsätze tatsächlich lautet: Wer soll diese Ein sätze durchführen? den Nutzen bringen, den man sich von ihnen versprochen hat. Wenn man von ihrem Nutzen überzeugt ist, dann spricht einiges dafür, die SVe Dr. Elisabeth Fix (Deutscher Caritasver- Beratung unabhängig durchzuführen. Das be- band e. V.): Gegenwärtig werden die Bera- deutet, man sollte es nicht mehr so fortführen tungseinsätze von Pflegediensten, die einen wie bisher. Wir sollten auch noch einmal über Versorgungsvertrag mit der Pflegekasse haben, die Zielsetzung reden und darüber, wer das durchgeführt. Das birgt die Gefahr, dass Pfle- sinnvollerweise im System machen sollte. gedienste, die Personen, die Pflegegeld bezie - hen, besuchen, im Sinne ihres eigenen Leis- tungsangebots beraten. Wir setzen uns daher Abg. Ute Kumpf (SPD): Meine erste Frage dafür ein, dass der Pflegeberatungseinsatz zum bürgerschaftlichen Engagement richte ich künftig nur von neutralen, das heißt von Kos- an die Vertreterin der Bundesarbeits- ten- und Leistungsträgern bzw. Leistungserb- gemeinschaft der Freiwilligenagenturen. Es ist ringern unabhängigen Pflegefachkräften, erfreulich, dass das bürgerschaftliche Engage- durchgeführt wird, die über eine entsprechende ment im Gesetzentwurf aufgegriffen wird. Wir pflegefachliche Kompetenz verfügen müssen. haben in § 45 PfWG auch die Frei- Nur auf diese Art und Weise kann eine echte willigenagenturen im Blick. Sollten die Frei- Kontroll- und Schutzfunktion ausgeübt wer- willigenagenturen in diesen Paragrafen auf- den. genommen werden, und welche Erfahrungen können diese beim Aufbau ehrenamtlicher Wir lehnen es in diesem Zusammenhang ab, Strukturen einbringen? dass bei Pflegekassen angestellte Berater nach § 7 a auch Pflegeberatungsbesuche durchfüh- Meine zweite Frage geht an die Vertreter der ren. Das ist entsprechend unserer Argumentati- BAG Selbsthilfe, des Diakonischen Werkes on für eine neutrale Beratung nur möglich, und der Arbeiterwohlfahrt. Wir haben in § 75 wenn sich der Pflegestützpunkt nicht in der Abs. 2 Nr. 9 des Gesetzentwurfs die Bedin- Trägerschaft der Pfle gekasse befindet, was gungen geregelt, unter denen sich Selbsthilfe- aber nach dem Gesetzentwurf so vorgesehen gruppen sowohl in der häuslichen Pflege als ist. auch in Einrichtungen an der Versorgung und der Betreuung Pflegebedürftiger beteiligen können. Dies soll durch Rahmen- SV Rainer Brückers (Arbeiterwohlfahrt Bun- vereinbarungen auf Landesebene geregelt wer- desverband e. V.): Inhalt lich schlie ße ich mich den, und zwar zwischen den Landesverbänden dem an, was Frau Dr. Fix von der Caritas ge- der Pflegekassen, unter Beteiligung des MDK sagt hat. Entscheidend ist, dass Pflegeberater, sowie des Verbandes der privaten Krankenver- die auch die Beratung nach § 37 machen sol- sicherungen und der Vereinigung der ambula n- len, möglichst neutral beraten können. Dazu ten und der statio nären Pflegeeinrichtungen. bedarf es einer gewissen Unabhängigkeit von Reichen Rahmenverträge auf Landesebene aus, Leistungsträgern und Leistungserbringern. oder sollten wir als Gesetzgeber Vorgaben ma- Diese sollte auf jeden Fall gewahrt bleiben. chen, damit hier kein Schindluder getrieben wird? Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 28

SV Kerstin Brandhorst (Bundesarbeitsge- SV Dr. Martin Danner (Bundesarbeitsge- meinschaft der Freiwilligenagenturen e. V.): meinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Be- Die Struktur der Freiwilligenagenturen ist bis- hinderung und chronischer Erkrankung und lang im Pflegebereich weitgehend ungenutzt. ihren Angehörigen e. V.): Aus Sicht der BAG Das ist sehr schade; denn wir sind der Auffas- Selbsthilfe ist es sehr zu begrüßen, dass in § 75 sung, dass die Freiwilligenagenturen einiges Abs. 2 Nr. 9 des Gesetzentwurfs nunmehr fest- beitragen könnten. Dazu möchte ich ein paar gelegt ist, dass Kooperationen mit der Selbst- Punkte nennen. hilfe zwingender Bestandteil der Rahmenver- träge auf Landesebene sein sollen. Er ist aus Der erste Punkt betrifft die Tatsache, dass unserer Sicht allerdings ergänzungsbedürftig. Freiwilligenagenturen vor allem in der Auf- Die Organisation der Selbsthilfe sollte an den bauphase von bürgerschaftlichem Engagement Beratungen über die Ausgestaltung der Verträ- Unterstützung geben können, das heißt im dem ge im Wege eines Mit beratungsrechts beteiligt Zeitraum, in dem Freiwillige noch auf der Su- werden, um dafür zu sorgen, dass der Aspekt che nach einem passenden Engage ment im der Betroffenenpartizipation Eingang findet. kommunalen Raum sind. Im Sinne einer bundesein heitlichen Weiterent- wicklung wäre es aus unserer Sicht sicherlich Zweitens können Freiwilligenagenturen solche hilfreich, wenn es auch in diesem Bereich bun- Organisationen unterstützen, die freiwilliges deseinheitliche Vorgaben oder zumindest Eck- Engagement bei sich selber etablie ren wollen. punkte für die Ausgestaltung der Landes- verträge gäbe. Drittens verfügen Freiwilligenagenturen über Erfahrungen mit Modellprojekten im Pflegebe- reich. SVe Erika Stempfle (Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e. V.): Viertens haben Freiwilligenagenturen ein um- § 75 Abs. 2 Nr. 9 regelt insbesondere Vertrags- fassendes Qualitätsmanagementsystem im Be- inhalte. Wir denken, dass es dazu keiner Rege- reich der Freiwilligenarbeit - auch in der Pfle- lung auf Bundesebene bedarf, da die Struktu- ge - eingeführt. ren auf der Landesebene sehr unterschiedlich sind und ehrenamtliches Engagement sozusa- Fünftens können Freiwilligenagenturen auf gen zusätzlich sein soll. Wir haben die Sorge, eine umfassende Struktur im kommuna len dass wir dann, wenn das verpflichtend in die Raum zurückgreifen. Es gibt zurzeit circa 300 Rahmenverträge aufgenommen wird, der Vie l- solcher Einrichtungen. Diese Zahl wächst ste- falt in den Bundesländern nicht gerecht wer- tig. den, der zusätzliche, unterstützende Cha rakter des ehrenamtlichen Engagements verloren geht Wir bewerten den neuen § 45 d positiv. Aber und die Ehrenamtlichen verstärkt in die Regel- unseres Erachtens sind dort nicht alle Bereiche arbeit eingebunden werden, was auf jeden Fall bürgerschaftlichen Engagements verankert. verhindert werden muss. Nicht alle Menschen wollen sich in Gruppen engagieren und haben aufgrund persönlicher § 82 b ist nicht gut formuliert. Hier geht es um Betroffenheit - etwa wie im Selbsthilfebe- die Refinanzierung der ehrenamtlichen Arbeit. reich - die Motivation für ein bürgerschaftli- Insbesondere im ambulanten Bereich können ches Engagement. Es fehlen zum Teil Mög- die Dienste, die sehr viel mit Ehrenamtlichen lichkeiten, Menschen für bür gerschaftliches und Selbsthilfegruppen arbeiten, den Punkt- Engagement zu gewinnen. Frau Kumpf, des- wert nicht erhöhen. Aber der Klient, der eine wegen plädieren wir dafür, die Freiwilligen- Grundpflege bucht, hat einen höheren Punkt- agenturen in § 45 d aufzunehmen. wert, obwohl er gar nicht an der ehrenamtli- chen Leistung partizipiert, was auch gar nicht sein Ansinnen ist. Deshalb schlagen wir insbe- sondere im Hinblick auf den ambulanten Be- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 29

reich eine Fondslösung - analog zu § 39 a im setzentwurfs und seiner Begründung erkennen Hospizbereich - vor. können, oder ist das für sie eher abschreckend? Welche Befürchtungen haben Sie? Ich hätte gerne einen kleinen Überblick, wie sich das aus SV Rainer Brückers (Arbeiterwohlfahrt Bun- Sicht der Betroffenen darstellt. desverband e. V.): Wir sind für die Aufnahme der Förderung der ehrenamtlichen Arbeit und Strukturen in die Empfehlungen. Gleichwohl SVe Katrin Kollex: Wir selber bieten als Leis- stehen wir der Aufnahme in die Vereinbarun- tungserbringer bereits ein Netzwerk zur ambu- gen skeptisch gegenüber. Ehrenamtliche Arbeit lanten Versorgung von Patienten an. Wir set- verträgt sich nicht mit gesetzlichen Vorgaben. zen uns sehr intensiv mit Fragen nach dem Insoweit sollte es bei Empfehlungen bleiben. ambulanten Fall- bzw. Case-Management und Das ehrenamtliche Engagement sollte nicht in der Pflegeberatung auseinander. Wir kennen Vereinbarungen aufgenommen werden. daher die Thematik sehr gut. Alle Verantwortlichen, die versuchen, eh- renamtliche Arbeit in pflegerische Strukturen Für uns ist die Frage, welche Anreize zu einer und Dienste einzubeziehen, sind sich der Ge- Kooperation für einen bei den Pflege kassen fahr des Missbrauchs bewusst. Wer das ehren- angesiedelten Pflegestützpunkt mit Pflegebera- amtliche Engagement fördern und zum erklä r- tung bestehen, eine Frage der Existenzgrundla- ten Ziel seines Qualitätsstandards machen will, ge. Unsere Existenzgrundlage ist die Patie n- ist gut beraten, sehr sorgsam mit der Förderung tenversorgung. Das alles hängt für uns eng ehrenamtlicher Strukturen umzugehen. miteinander zusammen. Es stellt sich für uns gar nicht allein die Frage der Anreize, sondern wir werden zusehen müssen, ob es einen Weg Stellvertretender Vorsitzender Abg. Dr. Hans zur Kooperation gibt und ob man uns über- Georg Faust (CDU/CSU): Wir kommen jetzt haupt kooperieren lässt. zur Fragezeit der FDP. Uns schreckt sehr stark ab, dass Pflege- stützpunkte und insbesondere die Pflegebe- Abg. Heinz Lanfermann (FDP): Ich möchte ratung und die Entscheidungsmöglichkeiten bei mit einer komplexen Frage beginnen, die sich den Pflegekassen angesiedelt sind. Für uns auf das Verhältnis eventuell einzurichtender bedeutet das einen sehr starken, steuernden Pflegestützpunkte zu denjenigen bezieht, die Eingr iff in den Markt. Das betrifft auch die schon vor Ort tätig sind bzw. damit zu tun ha- Qualität der Leistungen, die zukünftig finan- ben. Die Frage richtet sich an die Sach- ziert werden. Wir haben große Befürchtungen, verständigen Frau Kollex und Herrn Herdes dass es auch zu Leistungs ausgrenzungen sowie an die Vertreter der Pflegekassen, der kommen wird und wir in die Misere geraten Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohl- werden, dass wir auf der einen Seite unseren fahrtspflege und des Bundesvereinigung der eigenen Qualitätsanspruch im Rahmen der kommunalen Spitzenverbände. wettbewerblich orientierten Patientenberatung aufrechterhalten wollen, uns aber auf der ande- Wie könnte die Verknüpfung der Pflege- ren Seite den monetären Sachzwängen der stützpunkte mit bestehenden Strukturen in der Kranken- und Pflegekassen unterordnen müs- Praxis überhaupt aussehen? Ist das realis tisch sen. Deshalb sind wir der Meinung, dass defi- und durchführbar, oder gibt es Probleme? Wel- nitiv Pflegebe ratung, aber auch Pflege- che Folgen hätte das für diejenigen, die bereits stützpunkte wettbewerblich organisiert werden vor Ort tätig sind? Sicherlich gibt es Unter- sollten. Die Zielsetzung sollte ganz klar die schiede zwischen den einzelnen Bundeslä n- beste Qualität für den Patienten sein. Das sollte dern. Was bedeutet das für dieje nigen, die be- in unseren Augen eine solche Struktur der reits solche Strukturen vorhalten? Gibt es für Pflegestützpunkte berücksichtigen. Deshalb sie Anreize, soweit Sie das aufgrund des Ge- sollten diese bei den Pflegekassen angesiedelt Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 30

werden, sondern im Wettbewerb durch Leis- Bundesländern dezentral vorhanden ist und wie tungserbringer oder bei den Kommunen ent- man das in die künftige Struktur integrieren stehen. kann.

SV Dietmar J. Herdes: In Baden- SV Thomas Ballast (Verband der Angestell- Württemberg gibt es ein breites Spektrum von ten-Krankenkassen e. V./Arbeiter- Beratungsstellen. Ausgehend von einer Struk- Ersatzkassen-Verband e. V.): Es ist schwer, tur, die das Land am Anfang der 90er-Jahre den gewünschten Überblick zu geben, weil wir aufgebaut hat, sind sogenannte IAV-Stellen, Dinge beschreiben müssen, die zum Teil jetzt Informationsanlauf- und Vermittlungsstellen, schon da sind, zum Teil aber auch erst entste- geschaffen worden. In Baden-Württemberg ist hen sollen. Die Pflegestützpunkte haben eine eigentlich eine blühende Wiese vorhanden, was doppelte Zielsetzung: Auf der einen Seite sol- Beratungsarbeit anbelangt. Sie ist in den Stadt- len die individuelle Beratung und das individu- und Landkreisen sehr unterschiedlich konfigu- elle Fallmana gement ausgebaut werden; auf riert. Diese Arbeit funktioniert vor allem, was der anderen Seite soll die Vernetzung der Bera- die Bedie nung der Netzwerke anbelangt. Sie ist tungs- und Unterstützungsangebote vor Ort nicht nur auf den Bereich der Pflegeversiche- geleistet werden. Was die individuelle Bera- rung konzentriert; auch die Bürgerinnen und tung be trifft, so muss man feststellen, dass der Bürger mit der Pflegestufe 0 haben die Mög- Gesetzentwurf vorsieht, dass zum 1. Januar lichkeit, zur Beratung zu kommen. Es gelingt, 2009 die Pflegeberatung der Pflegekassen er- das bürgerschaftliche Engagement und die heblich ausgeweitet wird. Wenn man das ernst Selbsthilfegruppen zu integrieren. Ebenfalls nimmt und das zum 1. Januar 2009 erreicht funktioniert - dann komme ich zu dem struk- wird, wird ein gutes Stück dessen, was mög- turellen Anteil - Folgendes: In allen 44 Stadt- licherweise heute noch als Defizit empfunden und Landkreisen sind Altenhilfefachberatun- wird, durch die ausgebaute Pfle geberatung gen institutionalisiert. Damit ist ein Transmis- abgedeckt. Dann muss man sich die Frage stel- sionsriemen vorhanden, der Prozesse mit den len, was an Vernetzung tatsächlich noch zu Beteiligten vor Ort in Schwung bringt. leisten ist.

Die Frage ist nun, wie man das neue System Wir stellen fest, dass das Beratungs- und Un- mit dem alten verzahnen und gege benenfalls terstützungsangebot vor Ort schon heute sehr weiterentwickeln kann. Ich denke, die kommu- unterschiedlich ausgeprägt ist. Das betrifft nale Seite wird mit einer gewissen Skepsis der sowohl das, was die Pflegekassen jetzt schon Aufgabenübertragung an die Pflegekassen bereitstellen - da ist schon einiges in der Ver- gegenüberstehen, weil die Pflegekassen mit gangenheit geleistet worden -, als auch das, ihrem Teilauftrag der kommunalen Seite, die was an kommunalen, kreisbezogenen und eigentlich das ganze Spektrum bedienen will landbezogenen Angeboten vor handen ist. und eher einen ganzheitlichen Auftrag hat, ein Stück weit die Steuerungsfunktion entziehen. Die Fragen im Einzelnen zu be antworten, bei- Ob sich die kommunale Seite jetzt zurückzie- spielsweise ob Doppelstrukturen entstehen hen wird, kann man schwer beurteilen. Ich werden, ob man diese vermeiden kann und was glaube es nicht, da die Verpflichtung im Rah- mit den bereits bestehenden Angeboten ge- men der Daseinsvorsorge vorhanden ist. Aber schieht, ist im Moment sehr schwer. Wir haben es besteht schon die Befürchtung, dass ein es deshalb außerordentlich be grüßt, dass jetzt funktionierendes System, das Angebote vor- Modellprojekte durchgeführt werden, in denen hält, die die Menschen brauchen, ein Stück die Organisation und der Betrieb der Pflege- weit umstrukturiert wird. Vielleicht bricht auch stützpunkte getestet werden sollen. Mehrere manches wegen anderer Finanzierungsformen Kassen und Kassenarten beteiligen sich daran. weg. Deshalb wäre mein Plädoyer, sehr viel Wir haben die Hoffnung, dass offene Fragen stärker darauf zu achten, was in den einzelnen durch erfolgreiche Musterbeispiele im Rahmen Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 31

dieser Modellprojekte beantwortet werden Strukturen konform geht, die in den Ländern können. Wir finden schlecht, dass offenbar zu existieren. Daher plädieren wir als freie Wohl- wenig Zeit eingeräumt wird, um diese Modell- fahrtspflege dafür, dass möglichst flexible Lö- projekte überhaupt bis zum Ende durchzufüh- sungen in den Ländern ermöglicht werden. Wir ren und die Ergebnisse auszuwerten; denn erst finden hierzu den Beschluss des Bundesrats wenn man die Musterbeispiele kennt, kann vom November 2007 zielführend, wonach ge- man die notwendigen Konsequenzen ziehen meinsam einheitliche Bundesempfehlungen und sich Gedanken über ein flächendeckendes zum Aufbau, zu den Aufgaben und der Fi- Angebot in Deutschland machen. nanzierung dieser Pflegestützpunkte erarbeitet werden, dass dann aber die Umsetzung auf der Grundlage von Landesrahmenempfehlungen SVe Dr. Elisabeth Fix (Bundesarbeitsgemein- erfolgt und somit flexible Lösungen vor Ort in schaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V.): Zu- den Bundesländern möglich werden. nächst zu dem gefragten Überblick, welche Strukturen und welche Träger vorhanden sind, Aus unserer Sicht ist es essenziell, dass die die die Auf gaben der Pflegestützpunkte, wie Kommunen und die Pflegeeinrichtungen in die sie im Gesetzentwurf vorgesehen sind, wahr- Pflegestützpunkte einbezogen werden, und nehmen. Da kann ich drei Institutionen nennen. zwar auf Augenhöhe. Für die Leistungs- Die Pflegedienste und Pflegeeinrichtungen erbringerverbände, die zugleich zahlreiche erbringen vielfache Beratungsleistungen, auch Stellen der offenen Altenhilfe anbieten und den vorhin schon genannten Pflege- auch ehrenamtliche Strukturen vorhalten, kann beratungseinsatz nach § 37 und die Schulungen man sicherlich sagen, dass ein hohes Interesse in der Häuslichkeit nach § 45. Viele Kommu- an der Einbindung in die künftigen Pflege- nen haben Beratungsstellen einge richtet, und es stützpunkte besteht. Es ist auch im Sinne der gibt in mehreren Bundesländern - zum Teil Verbraucher erforderlich, dass diese Angebote flächendeckend - so etwas wie Pflegestütz- einbezogen werden, da diese die Strukturen punkte, nämlich die schon von Herrn Herdes bereits kennen. genannten IAV-Stellen in Baden-Württemberg, die Bekos im Saarland und in Rheinland-Pfalz, die Koordinierungs stellen „Rund ums Alter“ in SV Bernd Tews (Bundesverband privater An- Berlin, die Lotsendienste in Schleswig- bieter sozialer Dienste e. V.): Frau Dr. Fix hat Holstein, die Demenz-Servicezentren in Nord- schon auf vieles hingewiesen. Auch wir sind rhein-Westfalen und die Angehörigenfachstel- der Auffassung, dass eine Einbeziehung der len in Bayern. Es gibt also eine ganze Reihe bestehenden Struktur im Rahmen der Optimie- von Beratungseinrichtungen, die auch über rung der Pflegeberatung und der Anle itung von eine ein fache Beratung hinaus im Sinne eines Pflegebedürftigen und deren Angehörigen Case-Managements Angebote machen. mehr als notwendig ist. Wir sind darüber hin- aus der Auffassung, dass diese Pflege- Es gilt, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stützpunkte wettbewerbsneutral ausgestaltet zu vermeiden, dass diese Strukturen zerstört werden müssen und dass sie in der Aus- werden. Also dürfen keine Doppel- und Paral- gestaltung des Beratungsangebots eine größere lelstrukturen aufgebaut werden. Solange aber Wahlfreiheit bieten müssen, als das gegenwär- der Gesetzentwurf vorsieht, dass die Pflege- tig im Gesetzentwurf vorgesehen ist. und die Krankenkassen die Regie bei der Er- richtung des Pflegestützpunktes haben, indem Zu der Frage, ob sich bestimmte Anreize wie- sie Verträge initiieren, sind die bestehenden derfinden lassen: Theoretisch bestehen die Strukturen - da meine ich vor allem die Struk- Anreize im Gesetzentwurf darin, dass sich turen, die in den Ländern schon entstanden auch Pflegeeinrichtungen an bestimmten Leis- sind - in Gefahr. Auch wenn die Pflegeberater tungen der Pflegestützpunkte beteiligen kön- bei den Pflegekassen angestellt sind, ist ein nen, gegebenenfalls sogar als Vertragspartner. bestimmter Weg vorgebahnt, der nicht mit den Wir sind allerdings der Auffassung, dass der Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 32

Ausbau und die Stärkung der bestehenden hängige Beratung von ganz entscheidender Strukturen mit einem deutlich geringeren fi- Bedeutung. nanziellen Aufwand verbunden wären und deshalb die bestehenden Strukturen ausgebaut Beim zweiten Bereich ist es vielleicht leichter. werden müssten. Da ist ins besondere auf die Dabei geht es um die Koordina tion und Ver- Leistungen nach § 45 hin zuweisen. Da gibt es netzung der Angebote. Da kann man durchaus ein zugehendes Angebot. Die Pflegeeinric h- sagen, dass das den strukturellen Bereich be- tungen sind sowohl in Krankenhäusern bei akut trifft. Das kann man auch virtuell machen. Da auftretenden Krisensituationen als auch bei den muss man keine räumliche Struktur schaffen; Pfle gebedürftigen in der Häuslichkeit mit die- das kann man im sogenannten Backoffice ma- sem zugehenden Angebot präsent. Insofern chen. Man kann sich verständigen, welche halten wir insbesondere dieses Angebot der in- Angebote man vorhalten muss, welche fehlen dividuellen häuslichen Beratung, der Schulung und welche man zusätzlich braucht. von Angehörigen, aber auch der Überleitung aus Krankenhäusern in die Pflegeein richtungen Der dritte Bereich betrifft das rechtlich für ein optimales Angebot. Wir sind der Auf- Schwierige, nämlich die individuelle Bedarfs- fassung, dass dieses Angebot weiterentwickelt befriedigung, die Leistungserbringung für den werden sollte. Darüber hinaus sollten die Pfle- einzelnen Pflegebedürftigen. Der Bereich der gebedürftigen die Wahlfreiheit haben, auch auf vielfältigen unterschiedlichen Leis tungen, die die darüber hinaus weiterhin bestehenden Ein- hier erbracht werden sollen, knüpft an die Fra- richtungen im Quartier und in der Kommune ge an, die die SPD-Fraktion eingangs stellte, zurückgreifen zu können. nämlich was denn die Kommunen schon alles machen: die Hilfe zur Pflege, die Altenhilfe, der Fahrdienst, der ÖPNV. Das alles ist ein SVe Dr. Irene Vorholz (Bundesvereinigung vielfältiges Spektrum. Das lässt sich in den der kommunalen Spitzenverbände): Die Dis- Pfle gestützpunkt nicht einbinden, weil die Ent- kussion dreht sich oftmals relativ pauschal um scheidung jeweils beim Leistungsträger bleiben Pflegestützpunkte allgemein. Die Frage, wel- muss und das Gleiche für die SGB-XI- che Auswirkungen es auf die bestehenden Leistungen der Pflegekassen gilt. Insofern wird Strukturen geben wird, macht es notwendig, es hier bei den bestehenden Strukturen bleiben sich die einzelnen Aufgaben des Pflegestütz- müssen. Die werden schlecht verknüpft werden punktes anzuschauen und sauber zu unter- können, ohne dass es wieder zu einer Misch- scheiden. § 92 c des Entwurfes gibt eine ge- verwaltung kommt. naue Trennung der einzelnen Bereiche vor und bestimmt, dass zunächst die Beratung vorzu- nehmen ist. Bei der Beratung muss man ganz Abg. Heinz Lanfermann (FDP): Ich habe eine klar sagen: Wenn es bislang zum Beispiel zehn Zusatzfrage an den Vertreter der Pflegekassen. Beratungsstellen gibt und es jetzt einen Pflege- Ich habe bisher immer geglaubt, soweit man stützpunkt geben soll, der diese Beratung über- das aus dem Gesetz erkennen konnte, dass in nimmt, dann kann man diese Beratung bei dem Stützpunkt Vertreter einer Pflegekasse einer der bestehenden Beratungsstellen ansie- sitzen, um dort zu beraten. Jetzt hat aber Frau deln. Die Frage ist dann, ob die anderen neun Ministerin Schmidt am letzten Mittwoch bei Stellen bestehen bleiben oder nicht. Man muss der Regierungsbefragung auf eine Frage der also auch wissen, welche Strukturen nicht Kollegin Scharfenberg, der es um die Neutrali- mehr fortbestehen können. Wenn ich räumlich tät und Unabhängigkeit dieser Beratung ging, etwas zusammenfügen möchte - in einem Pfle- folgende Antwort gegeben. Diese möchte ich gestützpunkt sollen Ansprechpartner für den Ihnen mit der Frage vorhalten, ob das mit Ih- Pflegebedürftigen räumlich anwesend sein nen so vereinbart worden ist bzw. ob das so können -, dann geht das nur an einer Stelle und kommen soll. Die Ministerin sagte: nicht verteilt auf die zehn bislang beratenden Stellen. Für uns ist dabei eine anbieterunab- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 33

Oft wird behauptet, dass die Menschen, die die Gesetzentwurf geregelt, dass auch diese Bürger Beratung ausüben, deswegen nicht unabhängig Anspruch haben sollen, in diesen Pflegestütz- seien, weil die Pflegekassen auch die Pflegebe- punkten beraten und be treut zu werden. Das ratung finanzieren sollen. Doch wir haben eine hat zur Folge, dass sie dafür bezahlen sollen, Konstruktion, dass man nicht von einer einze l- sei es pauschal oder im Einzelfall; das sei jetzt nen Pflegekasse bezahlt wird, sondern die einmal dahingestellt. Da dies aber ein Eingriff Pflegekassen als Ganzes die Finanzierung der in das privatrechtliche Verhältnis ist, möchte Pflegeberatung, das Fallmanagement, über- ich Sie bitten, aus Ihrer Sicht darzulegen, wie nehmen. Sie das sehen, einerseits rechtlich, andererseits aber auch praktisch, und wie Sie damit um- Trifft das so zu, ist das mit Ihnen abge spro- gehen würden, wenn diese Regelung Gesetz chen, oder gibt es einen Pflegekassen- würde. beraterfonds? Wie soll man sich das vorstel- len? SV Andreas Besche (Verband der privaten Krankenversicherung e. V.): Wir teilen Ihre SV Paul-Jürgen Schiffer (Verband der Ange- Einschätzung, Herr Lanfermann. Auch wir stellten-Krankenkassen e. V./Arbeiter- sehen uns im Augenblick durch das Gesetz Ersatzkassen-Verband e. V.): Das ist mit uns nicht verpflichtet, die Beratungsleistung der garantiert nicht abgesprochen worden. Das Pflegekassen in den Stützpunkten in Anspruch kann ich ganz deutlich von uns weisen. Vorge- zu nehmen. Ich glaube, Herr Professor Thüsing sehen ist, dass die Pflegeberatung insgesamt - hat das in seinen Ausführungen, auch wenn er das hat Herr Kukla heute Vormittag schon im im Einzelnen nicht darauf eingegangen ist - das Zusammenhang mit einer anderen Frage ausge- findet sich in der Stellungnahme, wie ich eben führt - über das Leistungskonto der Pflegever- gelesen habe -, bestätigt. Auch andere Verfas- sicherung ausgeglichen werden soll, mit der sungsrechtler haben uns in diesem Sinne bera- entsprechenden Anrechnung in Bezug auf die ten. Wir sind der Meinung, dass wir als private Krankenkassen. Ich könnte mir bei dieser Fra- Versicherungsträger aufgefordert sind - die ge etwas anderes eher vorstellen, nämlich die private Pflegepflichtversiche rung ist nun ein- Beauftragung, die auch von Professor Thüsing mal ein eigenes System neben dem der sozia- schon einmal angesprochen worden ist. Der len Pflegeversicherung -, den Anspruch unserer Hintergedanke ist, dass nicht alle Kassen am Versicherten, wenn er denn kommt, nach § 7 a Ort, also dort, wo der Pflegestützpunkt etabliert auf Pflegeberatung, der sich auch im § 28 fin- ist, vertreten sind. Dann sieht das Gesetz eine det, einzulösen. Wir wollen das durch ein eige- Art Beauftragung im Sinne des SGB X vor. nes Pflegeberatungskonzept tun. Wir können Das allerdings halten wir für undurchführbar. uns schlichtweg nicht vorstellen, dass Mitar- Ich könnte mir keine Kasse vorstellen, die so beiter der Pflegekassen, ohne deren Qualifika- etwas in Auftrag gibt. Herr Dr. Reichelt hat zu tion in Abrede stellen zu wollen - Herr Schiffer Recht heute Morgen darauf hingewiesen, dass hat eben angedeutet, dass hier der Wettbewerb wir uns insgesamt auch in diesem Feld ein eine noch stärkere Rolle spielt als bei den Kas- ganzes Stück im Wettbewerb bewegen. Ob sen untereinander -, diese Beratungsleistung eine Krankenkasse oder eine Pflegekasse gut für uns erbringen. Wir wollen aber auf jeden beraten ist, jemand anderem einen Auftrag Fall eine hochwertige, am besten sogar eine nach SGB X zu erteilen, halte ich für sehr frag- noch höherwertige Leistung für unsere Versi- lich. cherten in diesem Bereich erbringen, die unbe- Abg. Heinz Lanfermann (FDP): Ich habe eine dingt neutral sein soll. Wir ha ben inzwischen Frage an den Vertreter des Verbands der priva- Konzepte erarbeitet, die, wenn das Ganze so ten Krankenversicherung. Bei Ihnen besteht kommt, umgesetzt werden. Eine neutrale, un- eine andere Situation, weil die bei Ihnen Versi- abhängige, qualifizierte, zeitnahe, aufsuchende cherten in einem privatrechtlic hen Verhältnis und umfassende Beratung stellen wir uns vor. zu Ihnen stehen. Gleichwohl wird aber in dem Wir wollen dabei auch Erfahrungen aus dem Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 34

Bereich des Care- und Case-Managements Ich kann nur wiederholen: Die Idee, dass da- nutzen. Wir werden das Ganze sicher spätes- durch eine unabhängige Beratung nicht mög- tens zum 1. Januar 2009 umsetzen. lich sei, halte ich schon deswegen für abwegig, weil in der Tat die Pfle gekassen ein nachhalt i- ges Interesse daran haben müssen, dass eine Abg. Dr. Konrad Schily (FDP): Ich habe - an- qualitativ gute Beratung stattfindet. Warum ist schließend an Herrn Scharf - folgende Fragen: das so? Es ist tatsächlich der Wettbewerb, und Über welche Leistung kann die Pflege beraterin ich halte in diesem Punkt den Wettbewerb für oder Pflegeberater selbst entscheiden? Welche enorm wichtig, weil er dazu beiträgt, dass sich Befugnis haben die Pflege berater in den Ver- nie mand aus seiner Verantwortung stehlen fahren der Leistungsbewilligung durch die wird; er wird vielmehr dafür sorgen, dass eine Krankenkassen oder Sozialhilfeträger? Anders vernünftige Beratung verknüpft mit einem herum: Welche Folgen hat die Ablehnung ei- qualitativ guten Pflegeangebot stattfindet. nes aufgestellten Versorgungsplanes durch die Pflegebedürftigen oder ihre Angehörigen? Ich würde gerne die Pflegekassen, die Krankenkas- SVe Dr. Irene Vorholz (Bundesvereinigung sen, die Bundesvereinigung der kommunalen der kommunalen Spitzenverbände): Der Bera- Spitzenverbände und die Bundesarbeitsge- ter ist den Pflegekassen nach dem SGB XI meinschaft der Freien Wohlfahrtspflege fragen. zugehörig und kann deswegen auch nur über SGB-XI-Leis tungen entscheiden. Das muss man so deutlich sagen. Er kann nicht in die SV Dr. Herbert Reichelt (AOK- Sozialhilfeleistungen „hineinregieren“ und Bundesverband): Ich glaube, eines ist ganz über SGB-XII-Leistungen entscheiden. So ist wichtig. Ich habe heute im Laufe des Tages nun ein mal unser System. Wir haben zwei schon einmal darauf hingewiesen, dass das Leistungsträger. Das Prinzip der eigenverant- Angebot tatsächlich aus einer Hand sein muss. wortlichen Aufgabenwahrnehmung - auch das Das betrifft das Problem, das Sie mit Ihrer ist Teil des Karlsruher Urteils - besagt eben: Frage gerade angesprochen haben. Das lässt Jeder muss über seine Leistungen selbst ent- sich nicht dadurch auflösen, dass man das scheiden können. Deswegen kann es da kein trennt. Es muss in einer Hand sein. Das muss Hinüberschwappen geben. Sofern der indiv i- nicht administrativ von einer Person durchge- duelle Versorgungsplan vom Pflegeberater führt werden; aber das Ganze muss nachhaltig aufgestellt ist und dieser etwas aus dem Be- abgestimmt sein. Das können wir sicherstellen, reich der Sozialhilfe umfasst, ist das ein Prob- indem das bei den Pflegekassen angesiedelt lem. Er kann dann in sofern nicht verbindlich wird. sein, als er wieder in einen anderen Bereich hinüberreicht, der von ihm nicht zu verantwor- Man muss sich einmal vorstellen, um ganz ten ist. Deswegen gilt auch hier das Gebot der praktisch zu werden, was es hieße, wenn man Verantwortungsklarheit : Über das SGB XI das anders machen würde. In der Tat müsste entscheiden die Pflegekassen, über das dann derjenige, der die Pflegeberatung SGB XII die Sozialhilfeträger. wünscht, mehrere Stellen anlaufen; denn er hätte im Pflegestützpunkt die Beratung anzu- nehmen und müsste anschließend natürlich SVe Dr. Elisabeth Fix (Bundesarbeitsgemein- noch das gesamte Verfahren der Antragstel- schaft der Freien Wohlfahrtspflege): Für uns ist lung und Bewilligung bei den Pfle gekassen es unabdingbar, dass Beratung und Leistungs- weiterhin auf sich nehmen. Dann treten genau entscheidung strikt voneinander getrennt ble i- diese Probleme auf. Deshalb sind wir nach- ben. Das heißt, der Case-Manager muss zwar drücklich dafür, das in einer Hand zu belassen umfassende Kompetenz besitzen, und zwar von und über die Pflegekassen zu steuern. der Analyse des Hilfebedarfs bis zur Erschlie- ßung von Hilfebedarf einschließlich der Auf- stellung eines auch individuellen Ver- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 35

sorgungsplans und der Umsetzung des Ver- SVe Kerstin Bordt (Bundesvereinigung der sorgungsplans, er darf aber über keine Leis- Deutschen Arbeitgeberverbände e. V.): Wir tungen entscheiden, und zwar weder im SGB- sehen durchaus nachteilige Auswirkungen, die XI-Bereich noch im Bereich des SGB XII oder ein gesetzlicher Pflegezeitanspruch hervorru- SGB V. Er hat durchaus umfassende Bera- fen kann. Es gibt derzeit bereits zahlreiche tungskompetenzen; aber seine Kompetenzen Lösungen auf betrieblicher Ebene. Es gibt Ta- enden bei der Beratung. rifverträge, die Freistellungen vor sehen, zum Teil auch bezahlte Freistellungen für den Fall, Es ist wichtig, dass bei der Aufstellung des dass pflegebedürftige Angehörige zu pflegen Versorgungsplans Einvernehmen mit dem be- sind. Es gibt Lösungen auf betrieblicher Ebene troffenen Versicherten und seinen Angehörigen durch Betriebsvereinbarungen. Es gibt indivi- hergestellt wird, damit der Versicherte auch die duelle Lösungen, die man vor allem bei klei- Möglichkeit hat, empfohlene Leistungen abzu- neren Betrieben antrifft, die ganz besonders auf lehnen, wenn er keinen Bedarf sieht. Insofern die Mithilfe jedes einzelnen Arbeitnehmers muss die Ablehnung des Angebots, wonach angewiesen sind. Sie, Herr Lanfermann, gefragt haben, im Sinne der Wahlfreiheit und Autonomie der Betroffe- Wenn ein gesetzlicher Anspruch eingeführt nen jederzeit gewährleistet seien. Noch einmal wird, dann sehen wir die Gefahr, dass die Vie l- zusammengefasst: Beratung und Leistungs ent- zahl der freiwilligen Lösungen, die bisher in scheidung dürfen nicht in einer Hand lie gen. In der Praxis gefunden wurden, abnimmt und dass dieser Hinsicht ist der Gesetzentwurf aus unse- der Wille, solche Lösungen zu finden, nicht rer Sicht zu präzisieren. mehr vorhanden sein wird. Es besteht die Ge- fahr, dass dann allein die gesetzliche Lösung - eine Freistellung von einem halben Jahr, wie Abg. Daniel Bahr (Münster) (FDP): Vielen hier vorgesehen - die Regel wird und dass das Dank, Frau Vorsitzende. - Ich habe eine Frage das Maximum ist, was in der Praxis anzutref- zu dem Komplex Pflegezeit und kurzzeitige fen ist. Es ist zu befürchten, dass darüber hin- Arbeitsverhinderung. Ich selbst habe als Ange- aus keine Wege gefunden werden, um das höriger eines Pflegebedürftigen, aber auch als Problem zu lösen. Vorgesetzter/Arbeitgeber erlebt, welch ein Es zeigt sich, dass aufgrund der Dauer der Aufwand es ist, das richtige Pflegeheim zu Pflege - derzeit liegt die durchschnittliche finden und sich mit diesem Komplex zu be- Pflegezeit bei 8,2 Jahren - Lösungen auf Dauer schäftigen. Gleic hwohl weiß ich, dass zu starre notwendig sind. Solche aber wären mit dem Vorgaben und zu rigide gesetzliche Regelun- vorgesehenen Pflegezeitanspruch nicht er- gen häufig für Arbeitge ber ein Hemmnis sein reichbar. können, Arbeitnehmer einzustellen. Deshalb möchte ich gerne die Vertreter des BDA und Also sind die Arbeitgeber gefordert, mit den des ZDH fragen, ob sie durch einen gesetzli- Arbeitnehmern Lösungen zu finden. Sie sind chen Anspruch auf Pflegezeit und Pflegeurlaub darauf angewiesen, um ihre Fachkräfte zu be- auch in diesem Bereich Einstellungs- und Be- halten. Solche Lösungen werden derzeit in der schäftigungs chancen gerade von Frauen und Praxis erarbeitet. Es gibt immer mehr davon. älteren Arbeitnehmern gefährdet sehen. Die Wir sehen diese Lösungen ge fährdet, wenn ein zweite Frage lautet: Gibt es Alternativen, um gesetzlicher Anspruch eingeführt wird. dem Wunsch gerecht zu werden, die Angehö- rigen von Pflegebedürftigen besser zu unter- stützen, wenn sie für ihre Pflegebedürftigen die SV Jan Dannenbring (Zentralverband des passenden Angebote suchen, ohne dass man Deutschen Handwerks e. V.): Ich kann mich gleich starre gesetzliche Vorgaben macht? den Ausführungen meiner Vorrednerin wei- testgehend anschließen. Gerade kleine und mittlere Unternehmen leiden bereits heute sehr stark unter der zunehmenden Verrechtlichung Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 36

von Arbeitsverhältnissen. Diese Tendenz wird neue Leistungserbringergruppe, die Kranken- durch das vorgesehene Pflegezeitgesetz noch pflege kräfte, zu schaffen? einmal verstärkt. Wir halten es für richtig, dass man sich Gedan- Schematische Lösungen, die vom Gesetzgeber ken über die Frage macht: Wie kann man die vorgegeben werden, sind für kleine und mittle- Ärzte gerade in den neuen Bundesländern, wo re Unternehmen nicht der richtige Weg, um das es zum Teil Schwierigkeiten gibt, Praxen Problem der Pflege zu lösen. Vielmehr sind nachzubesetzen, entlasten und ihr Leistungs- freiwillige Vereinbarungen innerhalb des Be- spektrum durch entsprechend qualifizierte triebes vorzuziehen. Gerade in kleinen Betrie- Kräfte ergänzen? Nicht für notwendig erachten ben gibt es ein sehr direktes Miteinander von wir die Schaffung einer neuen Leistungserb- Betriebsinhaber und Mitarbeitern. Hier sind ringergruppe. Wir befürchten, dass es dadurch freiwillige Lösungen besser als schematische letztlich zu nicht kontrollierbaren neuen Aus- gesetzliche Verpflichtungen. gaben kommt.

Insofern plädieren wir dafür, dass die im Ar- Insgesamt sind wir also der Meinung: Wir beitsrecht bestehenden Flexibilisierungs- müssen uns mit dem Thema der Einbezie hung möglichkeiten wie Telearbeit, Heimarbeit oder von pflegerischen Kräften in die ärztliche Ver- flexible Arbeitszeitmodelle genutzt werden, sorgung auseinandersetzen; aber wir benötigen um gerade für Beschäftigte in kleineren und diese Neuregelung zu den Modellversuchen mittleren Betrieben das Problem der Pflege zu nicht. lösen.

SVe Dr. Cornelia Goesmann (Bundesärzte- Abg. Daniel Bahr (Münster) (FDP): In der kammer): Wir sind Modellversuchen gegen- Pflegereform ist auch die Erweiterung der Tä- über durchaus aufgeschlossen. Wir meinen, tigkeitsmöglichkeiten einer Pflegekraft vorge- dass man überprüfen sollte, welche Möglic h- sehen. Mit der Neuregelung zu den Modellvor- keiten der Delegation von Leistungen an ande- haben - das ist der neue Abs. 3 c des § 63 des re Berufsgruppen in Betracht kommen, aber SGB V - und den Änderungen des Kranken- ohne völligen Übergang in den Verantwor- pflege- und des Altenpflege gesetzes zielt die tungsbereich dieser anderen Berufsgruppen. Bundesregierung auf eine Erweiterung der Wenn Leistungen delegiert werden, bleiben sie Leistungserbringerseite. Deshalb frage ich den weiterhin unter der rechtlichen Aufsicht und VdAK und vor allem die Bundesärztekammer: der Verantwortung der Ärzteschaft. Wenn auch Wie würde sich ein direkter Zugang des Pati- die Verantwortung für solche Leistungen über- enten zu neuen nichtärztlichen Leistungserb- geht, hat das haftungsrechtliche Konsequenzen ringern voraussichtlich auf Wirtschaftlichkeit für die anderen Berufsgruppen. und Effizienz im GKV-System auswirken? Wir wünschen uns zunächst einmal Mo- dellversuche, bei denen die Delegierbarkeit SV Thomas Ballast (Verband der Angestell- von ärztlichen Leistungen überprüft wird, um ten-Krankenkassen e. V./Arbeiter- Ärzte zu entlasten und andere Berufsgruppen Ersatzkassen-Verband e. V.): Die Regelung im Sinne auch von Kooperation im Ge- des neuen Abs. 3 c des § 63 SGB V hat zwei sundheitswesen zu unterstützen. Das ist auch Aspekte. Die eine Frage ist: Wie kann man in das, was wir mit unseren eigenen Mo- Bereichen, in denen es Schwierigkeiten gibt, dellversuchen, die derzeit schon durchgeführt die ärztliche Versorgung sicherzustellen, mög- werden, im Sinne der Versorgungsforschung licherweise durch Rückgriff auf qualifizierte anregen und unterstützen möchten. Also: Mo- Fachkräfte mit medizinisch-pflegerischer Aus- dellvorhaben - ja, aber im Rahmen der Delega- bildung die ärztliche Versorgung sicherstellen? tion ärztlicher Leistungen. Die andere Frage ist: Ist es notwendig, eine Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 37

Abg. Heinz Lanfermann (FDP): Ich habe beziehen ist, fallen die Kosten unterschiedlich noch eine Frage an die Vertreter der Pflegekas- hoch aus. sen und der Krankenkassen - das können sie vie lleicht auch gemeinsam beantworten -, an die Bundesvereinigung der kommunalen Spit- SV Bernd Tews (Bundesverband privater An- zenverbände, den Arbeitgeber- und Berufs- bieter sozialer Dienste e. V.): Wir haben ein- Verband Privater Pflege und den bpa. mal vorsichtig geschätzt und sind davon aus- gegangen, dass es pro Jahr ungefähr Nach Angaben im Gesetzentwurf sollen bei der 1,3 Millionen MDK-Begutachtungen gibt. Der anteiligen Kostenübernahme keine Mehrkosten Versorgungsplan knüpft an die MDK- entstehen und soll die Pflegeberatung ab 2008 Begutachtungen an. Wir haben dann hochge- zunächst 30 Millionen Euro, dann rechnet, dass die Arbeitgeberbruttokosten in- 110 Millionen Euro und in den folgenden Jah- klusive der Verwaltungskosten ungefähr bei ren 290 Millionen Euro kosten. Man geht da- 65 000 Euro pro Mitarbeiter und Jahr liegen. von aus, dass etwa 1 Million Personen diese 13 000 Pflegebegleiter werden benötigt. Nach Beratung in Anspruch nehmen. Die Frage ist dieser Rechnung kommen wir auf nun ganz einfach die: Wie hoch sind die not- 845 Millionen Euro für die Pflegebegleiter. wendigen Aufwendungen nach Ihrer Schät- zung? Trifft es aus Ihrer Sicht zu, dass keine Wenn diese Zahlen zutreffend sind, gibt es Mehrkosten entstehen? Halten Sie die Zahl von zwei Probleme. Einmal wissen wir nicht genau, 1 Million Personen für realistisch, oder von woher die 13 000 examinierten Pfle - welcher Zahl würden Sie ausgehen? gefachkräfte als Pflegebegleiter kommen sol- len. Wir befürchten ein wenig, dass sie den Pflegeeinrichtungen entzogen werden und da- Vorsitzende Abg. Dr. Martina Bunge (DIE mit die Versorgung der Pflegebedürftigen LINKE.): Die Antwort muss knapp sein; es durch die hierfür dringend erforderlichen exa- sind nur noch anderthalb Minuten. minierten Pflegefachkräfte proble matisch wird. Zum anderen sind wir der Auffassung, dass diese Versorgung, wie vorhin schon ausge- SV Thomas Ballast (Verband der Angestell- führt, durch Unterstützung der bestehenden ten-Krankenkassen e. V./Arbeiter- Beratungseinrichtungen deutlich günstiger Ersatzkassen-Verband e. V.): Ich kann es wirk- erbracht werden könnte. lich kurz machen. Wir wis sen, dass nach dem Gesetzentwurf 290 Millionen Euro vorgesehen sind. Die Frage, ob das ausreicht, können wir Vorsitzende Abg. Dr. Martina Bunge (DIE heute nicht konkret beantworten. Wir fürchten LINKE.): Wir kommen zur Fragerunde der allerdings, dass insgesamt eher mit höheren Fraktion Die Linke. Kosten zu rechnen sein wird.

Die Zeit ist aber schon überschritten. Ich un- SVe Dr. Irene Vorholz (Bundesvereinigung terbreche ungern bei den Antworten. Dann der kommunalen Spit zenverbände): Auch wir hätten Sie bei den etwas längeren Ausfüh- rechnen eigentlich mit höheren Kosten, ohne rungen gerade „Stopp!“ sagen müssen. das im Detail quantifizieren zu können. Wenn man einen Pflegestützpunkt und insbesondere die Beratung vernünftig betreiben will, dann Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Ich frage kostet das etwas. Je nachdem, wie die Struktu- nach dem Pflegebegriff. Das richtet sich an ren vor Ort sind, was man einbeziehen kann, Herrn Kaffenberger vom VdK, Frau Bartz vom was neu aufgebaut werden muss, wie die Per- Forum selbstbestimmter Assistenz be hinderter sonenkreise beschaffen sind, was alles einzu- Menschen, die Vertreterin der Nutzerinnen und Nutzer von Wohn- und Betreuungsangeboten Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 38

sowie die Einzelsachverständigen Herrn Welti Viel weniger weit ist man im Beirat und insge- und Herrn Fussek. samt mit der Erarbeitung des Pflegebe- dürftigkeitsbegriffs. Der Begriff ist noch kaum Ich habe eine ganze Frage, zwei halbe Fragen konturiert. Er hat natürlich sehr viele Implika- und zwei Vorbemerkungen. tionen und steuert letztlich den Zugang zu Leistungen. Insofern wird es dabei hoch kon- Die erste Vorbemerkung. Die Frau Minis terin trovers zugehen. hat am vergangenen Mittwoch in der Befra- gung der Bundesregierung erwähnt, dass be- Wir sind der Auffassung, dass eine umfassende reits die ersten Gutachten zur Veränderung des Abdeckung des Teilhabebedarfs notwendig ist. Pflegebegriffs vorlägen, die Ende des Jahres Das heißt nicht unbedingt, dass alle Leistungen der Öffentlichkeit bekannt ge macht werden sozusagen schon im Pflegebegriff angelegt sein soll. Sollte sich einer derjenigen, die diese müssen. Aber der Bedarf muss zumindest um- Gutachten geschrieben haben, hier outen kön- fassend festgestellt und bestimmten Leistungs- nen, wäre das sehr schön. Mich würde schon trägern zugeordnet werden; ich nenne die interessieren, in welche Richtung der Pflege- Stichworte Hilfe zur Pflege und Eingliede- begriff geändert werden soll. Ich befürchte rungshilfe. allerdings, dass die Betreffenden im Panzer- schrank schlafen müssen, weil das noch so Sie haben gefragt, was wirklich notwendig ist. geheim ist. Dazu darf ich kurz erläutern. - Was heißt ei- gentlich „teilhabeorientierte Pflege“? Das Zweite Vorbemerkung. Ich will gar nicht so Problem heute ist, dass die Pflege viel zu sehr tun, als ob ich es für richtig hielte, dass die auf „satt und sauber“ ausgerichtet ist - das steht Pflegeversicherung geändert wird und erst im Fokus; aber selbst das wird zum Teil nicht anschließend der Pflegebegriff neu definiert gewährleistet -, aber die Teilhabe am Leben in werden soll. Deswegen frage ich die genannten der Gemeinschaft, soziale Aspekte und psy- Organisationen bzw. Personen: Wie müsste ein chosoziale Aspekte in der Praxis zu kurz solcher Begriff eigentlich definiert werden? kommen. Aus unserer Beratung wis sen wir jedoch, dass das Dinge sind, an denen den Die zweite halbe Frage ist: Brauchen wir ei- Menschen am meisten liegt. Sie sagen: Im gentlich einen Pflegebegriff oder einen Pflege- Pflegeheim erleben wir einen grauen Pflegeall- bedürftigkeitsbegriff? Geht es also um die Be- tag. Es gibt nur ganz wenige Mosaiksteinchen dürftigkeit nach Sozialhilfekriterien, oder geht von Betreuung. - Im Sinne von würdevoller es um die Pflege, die verrichtet werden soll? Pflege, im Sinne von Pflege, die eine Teilhabe ermöglicht, bei der das soziale Leben weiterhin aufrechterhalten wird, ist das natürlich nicht SV Jens Kaffenberger (Sozialverband VdK ausreichend. Deutschland e. V.): Herr Seifert, das ist eine sehr umfangreiche Frage, die natürlich ganz viele Implikationen hat. SVe Elke Bartz (Form selbstbestimmter As- sistenz behinderter Menschen e. V.): Ich sehe Ich möchte kurz berichten: Ich bin auch Mit- es nach wie vor als problematisch an, dass wir glied im Beirat für die Überarbeitung des Pfle- über Leistungen der Pflegeversicherung disku- gebedürftigkeitsbegriffs. Dort ist in der letzten tieren, ohne zu wissen: Wie wird der Pflegebe- Sitzung ein erster Entwurf eines Assessments darf- oder der Pflegebedürftigkeitsbegriff in vorgestellt worden. Das ist eigentlich ein ganz Zukunft aussehen, und wie viele Personen sind guter Aufschlag gewesen. Es geht tatsächlich letzten Endes leistungsberechtigt? Die Mittel darum, alle Lebensbereiche abzudecken und sind gedeckelt und müssen entsprechend den eine umfassende Erfassung des Versorgungs-, Kriterien auf vielleicht 100 000, 200 000 oder Pflege- und auch Teilhabebedarfs zu ermögli- 300 000 Personen ve rteilt werden. Man muss chen. Das ist schon einmal positiv. doch wissen, wie viel letztlich übrig bleibt. Ich Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 39

muss mich also wirklich wundern, dass erst die redner gesagt haben. Für uns ist wichtig, dass Reform der Pflegeversicherung kommt und der Pflegebegriff erweitert wird, eben um den dann der Pflegebedürftigkeitsbegriff geklärt Aspekt der Teilhabe. Uns wird oft entgegen- wird. gehalten, dass gerade Heimbewohner keine Lust mehr auf Teilhabe haben. Das sehen wir Ich sehe es als sehr problematisch an, dass der nicht so. Die Erfahrungen zeigen da anderes. Gedanke des SGB IX hierbei leider überhaupt Wenn Aspekte der Menschenwürde mit in den keine Rolle spielt. Aus unserer Sicht ist es au- Pfle gebegriff eingehen würden, wäre das sehr ßerordentlich wichtig, dass die Pflegeversiche- erfreulich. rung in den Kreis der Rehaträger aufgenom- men wird und entsprechenden Vergaben des Die Ratlosigkeit, was die Reihenfolge der Re- SGB IX nachkommen muss. Ich nenne hier nur gelungen angeht - erst werden die Leis tungen § 9 SGB IX und § 14 SGB IX. Die Pflegever- definiert, und dann soll über den Pflegebegriff sicherung muss endlich zur Zusammenarbeit geredet werden -, teilen wir; den Fragezeichen, mit anderen Rehaträgern gezwungen werden. die dazu angebracht worden sind, schließen wir uns an. Das betrifft auch die Pflegestützpunkte. Es gibt verschiedene Bereiche, die wieder zusammen- geführt müssen, aber strikt ge trennt werden. SV Prof. Dr. Felix Welti: Das Recht kann sich Bei SGB-XII-Leistungen geht es bei den beab- nicht völlig autonom entwickeln, auch nicht in sichtigten Pflegestützpunkten eigentlich nur der Pflegeversicherung. Die Pflegeversiche- um ergänzende Hilfe zur Pflege; mit Sicherheit rung - SGB XI - verspricht, den Stand der me- ist da keine Eingliederungshilfe gemeint. dizinisch-pflegerischen Erkenntnisse zu rezi- pieren, das heißt, sich nicht losgelöst von dem Es besteht eine große Proble matik bezüglich zu entwickeln, was in der Fachwelt unter dem der Leistungsberechtigung: Zunächst einmal Begriff der Pflegebedürftigkeit und der Pflege muss klargestellt werden, wer letzten Endes verstanden wird. Dementsprechend ist es über- überhaupt leis tungsberechtigt ist. Wenn das fällig, dass die Pflegeversicherung diesem Ver- geschehen ist, können wir weiterfragen: Be- sprechen nachkommt. schränkt sich das auf Menschen mit rein soma- tischen Beschwerden? Dann müssten Men- Es ist ein Geburtsfehler der 1994er Reform schen mit eingeschränkten Alltagskompeten- gewesen, dass man meinte, man könne die zen außen vor bleiben. Man erweitert Gott sei knappen Mittel nur verteilen, indem man einen Dank den Leistungskatalog oder die Möglic h- restringierten Begriff von Pflegebedürftigkeit keit, Leis tungen zu beziehen; aber die Frage ist schafft. Dadurch ist das Problem entstanden, dann: Wo hört Teilhabe auf? dass die knappen Mittel - das wissen wir alle inzwischen - ungerecht verteilt werden. Geistig Es gibt noch viele ungeklärte Fragen. Als je- und seelisch Behinderte sowie Demenzkranke mand, der schon jetzt berechtigt ist, Leis tungen werden durch diesen Pflegebedürftigkeitsbeg- aus der Pflegeversicherung zu bezie hen, sehe riff ausgegrenzt. ich keine Überwindung der einzelnen Struktu- ren, auch nicht in Form von Zusammenarbeit Wenn es gilt, knappe Mittel zu verteilen - Sie der einzelnen Rehaträger und der einzelnen entscheiden ja, ein wie hoher Beitrag erhoben Leistungsbereiche. werden soll -, kann festgelegt werden: Es sol- len diejenigen Leistungen erhalten, die den tatsächlich höheren Pflegebedarf haben. - Dar- SVe Astrid Grunewald-Feskorn (Bundesinte- an muss sich ein Instrument orientieren, das ressenvertretung der Nutzerinnen und Nutzer den Pflegebedarf in einer gerechten und letzt- von Wohn- und Betreuungsangeboten im Alter lich auch verfassungsrechtlich akzeptablen und bei Behinderung e. V.): Ich kann mich Weise misst. Hier ist das Recht gefordert. Es weitestgehend dem anschließen, was die Vor- gilt, den aktuellen Stand der Pflege- und Reha- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 40

bilitationswissenschaft so schnell wie möglich sen zur Toilette gehen will. Man stelle sich zu rezipieren. Wir wären gut beraten, das einmal vor, wir hätten hier genau abgezählt, schon in den Beratungen dieser Reform stärker wie viele Abgeordnete da sind, wie oft jemand zu berücksichtigen. zur Toilette geht, ob er sein Kontingent schon ausgeschöpft hat usw. Das ist absurd und welt- Pflegebedarf muss vom Pflegebedürftigen her fremd. Die Pflegestufen gehören abgeschafft! gedacht werden. Pflege selbst muss von den Pflegeberufen her gedacht werden. Herr Sei- Hinzu kommt - auch das ist, glaube ich, Kon- fert, es ist richtig, finde ich, zu sagen: Diese sens -: Niemand, der einen gesunden Men- beiden Dinge müssen auseinandergehalten schenverstand hat, kann die Fließbandpflege werden. Von beiden brauchen wir einen klare- befürworten. Eine Pflegefachkraft will nicht ren Begriff im Recht. nach Minuten pflegen. Sie hat das nicht ge- lernt. Sie will umfassend pflegen. Sie will nach dem individuellen Bedarf pflegen. Hier ist eine SV Claus Fussek: Nach der langen Zeit ist es gesamtgesellschaftliche Diskussion gefragt. Da für mich nun ein bisschen schwierig. Ich arbei- muss man den Fokus ein bisschen erweitern. te übrigens seit 25 oder fast 30 Jahren an der Kein Mensch will in ein Pfle geheim. Kein Basis und kann diese Diskussion nur schwer Mensch will in ein Doppelzimmer. Kein nachvollziehen. Mensch will in Windeln gelegt werden. Jeder will zur Toilette gehen. Jeder will in Ruhe es- Die Debatte über den Pflegebegriff fasziniert sen und trinken. - Das System ist irgendwie mich, aber negativ. Ich kenne niemanden, der verrückt. gegen einen neuen Pflegebegriff ist, der gegen eine sofortige Veränderung ist. - Nebenbei Ich komme zu einer Forderung, die vielleicht gesagt: In Bayern wurde bereits ein neuer Beg- schon fast revolutionär ist. Es sollte darüber riff entwickelt. In einer Bundestagsnotiz war nachgedacht werden - aufgrund der Diskussion zu lesen, dass dieser Be-griff zur Unzeit ent- haben wir es doch gemerkt -, inwieweit die standen ist. Pflegeversicherung und die Krankenversiche- rung zusammengelegt werden müssen. Ich Für mich stellt sich die Frage: Warum ge- verweise auf die Abgrenzungsdiskussion, die schieht das erst so spät, da wir doch eigentlich wir im Zusammenhang mit den Pflegestütz- kein Erkenntnisproblem haben? Gibt es ir- punkten erleben. Jeder ist dafür. Jeder ist für gendwelche taktischen Überlegungen? Solche Beratung. Jeder ist für optimale Pflege. Aber es könnte ich nicht nachvollziehen. Ich kenne funktioniert nicht. Da muss doch die Frage keine Gegner von guter Pflege. Ich kenne nie- erlaubt sein: Warum funktioniert es nicht? Wo manden, der für schlechte Pflege ist. Das faszi- sind die Bedenkenträger? Wo liegen die Prob- niert mich immer wieder. Wir führen eine ab- leme? surde Diskussion. Man muss doch konsequent sein. Eine Pflegeversicherungsreform ohne Aus meiner Praxis kann ich nur sagen: Dort, einen umfassenden Pflegebegriff, den alle wol- wo alle, die in der Pflege tätig sind, ihrer per- len, den alle befürwor ten, und zwar schon seit sönlichen und gesetzlichen Verantwortung über 10 oder 15 Jahren - man schaue einmal in nachkommen, funktioniert es. Dort brauchen die Literatur -, das kann nicht sein. wir keine neuen Modelle, keine neuen Proje k- te. Wenn eine Gemeinde ihrer Verantwortung nachkommt, wenn eine Pflege- oder Kranken- Noch etwas aus der Praxis heraus. Es muss kasse ihrer Verantwortung nachkommt, wenn letzten Endes einmal die Wahrheit gesagt wer- die Menschen, die vor Ort arbeiten, ihrer Ver- den: Die Pflegestufen gehören abgeschafft, antwortung nachkommen, dann funktioniert es. schlicht und einfach abgeschafft. Ich kenne Das sollte man anstreben, und zwar sehr drin- niemanden, der nach Minuten bemessen gewa- gend. schen werden will oder nach Minuten bemes- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 41

Abg. Frank Spieth (DIE LINKE): Meine Fra- Hinzu kommt die Problematik der Dyna- gen richten sich an die Volkssolidarität, Herrn misierung der Leistungssätze. Es ist de facto Spieler, und an die BAG Selbsthilfe, Herrn vorgesehen, mit der Dynamisierung erst zum Danner. - Ich vermute, dass Sie das ähnlich Jahr 2014 bzw. 2015 einzusetzen. Das ist unse- sehen wie die Vorredner in der letzten Frage- res Erachtens deutlich zu spät. Wir plä dieren runde. Deshalb gehe ich mit meinen Fragen dafür, nach der Anhebung der Leis tungssätze einen Schritt weiter: Wie beurteilen Sie die von mit der Dynamisierung spätestens im Jahr 2012 der Regierung geplanten Leistungsaus- zu beginnen und dabei zu berücksichtigen, dass weitungen? Entsprechen die Pläne der Bun- bis dahin ein Wertverlust eintritt, der unbedingt desregierung dem, was aus Ihrer Sicht erfor- mit Zuschlägen aufgefangen werden muss. - derlich ist? Wie beurteilen Sie insbesondere die Das ist unser Vorschlag zur Anhebung der Dynamisierung? Ein besonderer Aspekt inte- Leistungssätze. ressiert mich noch: Wie bewerten Sie die Tat- sache, dass im Bereich der stationären Pflege Hier ist der Pflegebegriff schon diskutiert wor- in den Stufen I und II quasi überhaupt nichts den. Lassen Sie mich dazu abschließend sagen: geschieht? - Dazu erbitte ich Ihre Antworten. Dass der Beirat zur Überprüfung des Pflegebe- dürftigkeitsbegriff im November 2008 eine Empfehlung vorlegen soll, darf unseres Erach- SV Dr. Alfred Spieler (Volkssolidarität - tens nicht folgenlos im Gesetz stehen bleiben. Bundesverband e. V.): Die Volkssolidarität Wir regen an, dazu einen Auftrag an die Bun- begrüßt die Leistungsausweitungen. Allerdings desregierung vorzusehen, damit die Empfeh- fiel heute schon der Begriff der Interimslösun- lung zum Pflegebedürftig keitsbegriff nicht gen. Dass es solche Lösungen sind, kann ich folgenlos bleibt. Das muss Folgen haben in nur bestätigen. Bezug auf ein Gesetzgebungsverfahren spätes- In vielerlei Hinsicht ist es bedauerlich - in- tens im Jahr 2010. sofern knüpfe ich an die Ausführungen der Sachverständigen in der vorhergegangenen Fragerunde an -, dass der Pflegebegriff oder SV Dr. Martin Danner (Bundesarbeitsge- Pflegebedürftigkeitsbegriff nicht im Rahmen meinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Be- dieses Gesetzgebungsverfahrens geklärt wird, hinderung und chronischer Erkrankung und sondern erst im Nachhinein, nach Ver- ihren Angehörigen e. V.:): Auch wir sehen abschiedung des Gesetzes, geklärt werden soll. Klärungs bedarf beim Pflege- bedürftigkeitsbegriff; eine teilhabeorientierte Wir befürworten die Anhebung der Leis- Ausgestaltung ist dringend notwendig. tungssätze vor allen Dingen im ambulanten Bereich. Wir bedauern allerdings, dass das Ich bin etwas darüber enttäuscht, dass die Pflegegeld, mit dem auch die Pflegeleistung Tragweite des SGB IX im Rahmen der heuti- der Angehörigen gewürdigt werden soll, nur in gen Anhörung nicht ausreichend zum Aus- sehr geringem Umfang steigen soll. Wir stehen druck gebracht wurde. Alle Menschen, die kritisch zu der Anhebung der Leis tungssätze hilfe- und pflegebedürftig sind, sind quasi auch im stationären Bereich. Wenn das so realisiert von einer Behinderung betroffen bzw. sind wird, wie es jetzt im Gesetzentwurf steht, er- zumindest in der Situation, dass eine Behinde- folgt bei 80 Prozent der Pflegebedürftigen im rung droht. Insofern muss das Re- stationären Bereich de facto keine Leistungs- gelu ngsprogramm des SGB IX natürlich auch verbesserung. Hier bleibt also der Wertverlust im SGB XI umgesetzt werden. Das bedingt seit Einführung der Pfle geversicherung wirk- natürlich eine Ausweitung des Pflegebedürf- sam. Bedauerlich ist auch, dass nicht vorgese- tigkeitsbegriffs. Das findet sich übrigens auch hen ist, das Pflegegeld für Menschen mit Be- in einem Grundsatzpapier der Beauftragten der hinderungen in stationären Einrichtungen der Bundesregierung für die Belange behinderter Behindertenhilfe anzuheben. - Insofern halten Menschen wieder und sollte aufge griffen wer- wir das für sehr widersprüchlich. den. Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 42

Dies hat natürlich gravierende Auswirkungen ßerhalb stationärer Einrichtungen fragen, da- auf die Finanzierungsfrage. Insofern ist es nach, wie die Pflegeversicherung da wirkt und schlichtweg unlogisch, im Rahmen dieser Re- in welche Richtung sie entwickelt werden soll- form Beitragssatzsteigerungen zu diskutieren, te. Ich denke an die Situation, dass man be i- aber den Basisbegriff der Pfle gebedürftigkeit spielsweise bei Pflegebedarf mit Assis tenz ins nicht zu klären. Ausland reisen möchte oder ins Krankenhaus muss. Mir geht es darum, zu erfahren, was sich Auch die Verbesserung der Versorgung De- ändern muss, damit so etwas möglich wird. menzkranker ist nicht zum Nulltarif zu haben. Diese Verbesserung ist, wie von verschiedenen Wenn ich Sie, Frau Bartz, richtig verstanden Seiten heute schon dargelegt wurde, gut und habe - bestätigen Sie mir es bitte noch einmal wichtig. oder widersprechen Sie -, wollen Sie genauso wie wir von der Fraktion Die Linke in unserem Die Pflegestützpunkte sind, wenn sie in unab- Antrag, dass die Pflegeversicherung als Re- hängiger Trägerschaft geschaffen werden, e- haträger im SGB IX benannt wird, damit dem benfalls zu finanzieren. Das muss ein kalkuliert SGB IX ein bisschen mehr Gewicht zukommt. werden, wenn es um die künftige Finanzierung der Pflegeversicherung geht. Auch die Problematik der Dynamisierung wur- SVe Elke Bartz (Forum selbstbestimmter As- de schon angesprochen. Aus unserer Sicht sistenz behinderter Menschen e. V.): Ich sehe muss das unmittelbar angegangen werden und es, wie vorhin schon mehrfach gesagt, als not- darf nicht auf die Zeit nach 2014 vertagt wer- wendig an, die Pflegeversicherung auch als den. Rehaträger zu benennen. Warum sie das nicht will, ist ganz klar: So hat sie vermeintlich ei- Insofern muss man sich schon fragen, ob die nen Sonderstatus inne und muss nicht notwen- Reformüberlegungen bei der Finanzie rung der digerweise mit Rehaträgern kooperieren. Pflegeversicherung im Rahmen des vorliegen- den Gesetzentwurfs hinreichend durchdacht Bei einem Auslandsaufenthalt und bei einem sind. Ich meine das nicht in dem Sinne, dass Krankenhausaufenthalt wird ja im Moment das man fragen sollte, ob wir uns das alles leisten Pflegegeld noch vier Wochen weiter gezahlt. können. Meines Erachtens ist es Aufgabe der Wenn also ein Krankenhaus aufenthalt bis zu Politik, der Situation Rechnung zu tragen, dass vier Wochen dauert, ist es durchaus möglich, wir infolge der Veränderung der Altersstruktur die Assistenz mit ins Krankenhaus zu nehmen. der Bevölkerung künftig weitaus mehr in die Wer jedoch Pfle gesachleistungen bezieht, steht Pflege in vestieren müssen, als wir das bislang vor dem großen Problem, dass die Leistungen getan haben. Diese Grundsituation darf man vom ersten Tag an eingestellt werden, weil das nicht aus dem Auge verlieren. Es geht nicht an, Krankenhaus vermeintlich auch die Pflege die Erweiterung des Pflegebedürftigkeits- sicherstellt. Bezüglich des Versorgungsauftrags begriffs nachzuschieben und es jetzt erst ein- der Krankenhäuser steht im SGB V aber ganz mal mit einer geringfügigen Anhebung des deutlich, dass nur die medizinisch notwendige Beitragssatzes zu versuchen. Ich würde mir Pflege und nicht die behinde rungsbedingte wünschen, dass man die Finanzierungs- Pflege gesichert werden muss. Vor diesem probleme mit offenem Visier angeht und eine Hintergrund haben wir eine Rechtsexpertise mittel- und langfristige Planung auch für die - erstellen lassen, die das sehr deutlich belegt. sen Versicherungszweig ins Auge fasst. Sie ist Teil einer Kampagne unter dem Motto „Ich muss ins Krankenhaus … und nun?“, die wir durchgeführt haben. Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Bezug nehmend auf die bereits gegebenen Antworten Weiterhin haben Menschen mit Behinde- möchte ich Frau Bartz und Herrn Welti noch rungen, die im Rahmen eines Studiums ent- nach den konkreten Lebensbedingungen au- weder ein Auslandssemester oder ein Aus- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 43

landspraktikum machen möchten, um hinterher die hier wohl niemand beantworten kann. Be- überhaupt Chancen auf dem allgemeinen Ar- hinderte Menschen haben zudem Bedarf an beitsmarkt zu haben, große Probleme, Pflege- Leistungen der Krankenbehandlung. versicherungsleistungen ins Ausland zu trans- ferieren, insbesondere wenn der Auslandsauf- Wir haben ja gesehen, dass es zwischen den enthalt ein Vierteljahr, ein halbes Jahr oder Sektoren Pflege, Reha und Krankenbehandlung noch länger dauert. Wir plädieren deshalb da- eine unzureichende Abstimmung gibt. Um die für, Pflegeversicherungsleistungen ins Ausland Lebenssituation der Betroffenen zu verbessern, mitnehmen zu können, wenn der Auslandsauf- müssen diese Leistungsansprüche dringend enthalt nachweislich begrenzt ist. Über die koordiniert werden. Dazu müsste die Pflege- maximale Zeitdauer kann man sicherlich dis- kasse Rehabilitationsträgerin werden. Dann kutieren. Es muss aber möglich sein, im Rah- hätte sie nach §§ 14 und 10 des SGB IX die men von Erwerbstätigkeit oder von Ausbil- Instrumente, um gegenüber den Rehabilitati- dung, Pflege versicherungsleistungen mit ins onsträgern Krankenkasse und Sozialhilfe Leis- Ausland zu nehmen. Damit wird auch sicher- tungsgewährung durchzusetzen. Der Gesetz- gestellt, dass man hinterher die gleichen Chan- entwurf operiert hier mit untauglichen Mitteln, cen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hat wie anstatt die rechtssystematischen Probleme zu Menschen ohne Pflege-/Assistenzbedarf. Ich lösen. denke, das wird keinesfalls zu Leistungsaus- weitungen führen, weil die Leistungen ja so- Das Problem tritt bereits bei der Bedarfs- wieso anfallen, wenn der behinderte Mensch feststellung auf. Die Pflegebegutachtung stellt aufgrund der derzeitigen Rechtslage nicht ins auch weiterhin keine voll koordinierte Bedarfs- Ausland geht. Es findet also keinerlei Leis- feststellung dar, wie sie nach § 10 SGB IX tungsausweitung statt, sondern nur ein vorü- stattfinden würde. So bleibt etwa der Bedarf an bergehender Transfer von Leistungen ins Aus- Eingliederungshilfe bei der Pflege- land, wobei dann, wenn eigene Assistentinnen begutachtung unberücksichtigt. Es fehlen wei- oder Assistenten mitgenommen werden oder terhin Regelungen, die eine wirklich zügige der ambulante Dienst die entsprechenden Leis- Bedarfsfeststellung an jedem Punkt der Leis- tungen im Ausland zur Verfügung stellt, nur tungskette gewährleisten; ich denke hier insbe- die Leistungen an einem anderen Ort erbracht sondere an die Schnittstellen zu Beginn und werden, die Zahlungen aber weiterhin Deutsch- Ende eines Krankenhausaufenthaltes. Es gibt land zugute kommen. konkrete Vorschläge, durch die beispielsweise Pflegebegutachtung bei einem oder auch vor einem Krankenhausaufenthalt gewährleistet SV Prof. Dr. Felix Welti: Das Problem, das und Ausflüchten, die Fristen würden nicht ein- Sie angesprochen haben, zeigt deutlich, dass gehalten werden, ein Riegel vorgeschoben eine schlechte Rechtssystematik auch Folgen werden könnte. Diese Vorschläge sind bisher in der Lebenswirklichkeit hat. Dementspre- im Gesetzgebungsverfahren leider nicht aufge- chend ist es genau richtig, zu fragen, warum griffen worden. die Pflegekassen nach wie vor nicht die gle i- chen Rechte und Pflichten wie ein Rehabilita- Schlie ßlich könnte eine selbstbestimmte Le- tionsträger nach dem SGB IX haben. Das wäre bensweise durch das schon angesprochene eine Reform, die zunächst einmal auch kein trägerübergreifende Budget sichergestellt wer- Geld kosten würde und darüber hinaus die den. Damit könnte auch das Problem der Assis- Effektivität und Effizienz des Systems erhöhen tenz im Ausland gelöst werden. Das persönli- und die Teilhabe an Leistungen gerechter ge- che Budget ist ja eine Leistung, die ein Rehabi- stalten könnte. Pflegebedürftige Menschen sind litationsträger ohne Wenn und Aber etwa in auch behinderte Menschen. Warum ausge- Form von Gutscheinen zu erbringen hat. Pfle- rechnet diesen besonders schwer behinderten gebedürftige behinderte Menschen werden jetzt Menschen die rechtssystematischen Wohltaten aber gegenüber anderen behinderten Menschen des SGB IX verwehrt werden, ist eine Frage, Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 44

in einer Weise benachteiligt, für die es keine dikamente einsparen könnte, wenn man gezielt Rechtfertigung gibt. mehr Personal, mehr engagierte Mitarbeiter vor Ort hätte. Alle diese Dinge sind bekannt, sind veröffentlicht und publiziert. Abg. Frank Spieth (DIE LINKE): Herr Fus- sek, zwei Fragen: Wir kommen deshalb - diese Forderung habe ich ja vorhin schon aufgestellt - nicht umhin, Erstens. Betrachten Sie es noch als zeit gemäß, Krankenkasse und Pflegeversicherung zusam- dass die Pflegeversicherung quasi als Teilkas- menzulegen. Am Vormittag habe ich mit komodell gefahren wird? Oder müsste diese Schrecken feststellen müssen - meine diesbe- nicht, um es vereinfacht zu sagen, auch auf ein züglichen Vermutungen wurden völlig bestä- Vollkasko-, also Sachleistungsmodell umge- tigt -, dass dem gesetzlichen Anspruch „Reha- stellt werden? bilitation vor Pflege“ nicht nachgekommen wird. Der Medizinische Dienst verschreibt nur Zweitens. Welche finanziellen Größen- in 1,7 Prozent der Fälle Rehabi- ordnungen müsste man ins Auge fassen, um litationsmaßnahmen. Das ist für mich ein diesen umfassenden Anspruch zu finanzie ren? volkswirtschaftlicher, aber darüber hinaus auch ein ethischer Irrsinn.

SV Claus Fussek: Mit Ihrer Frage haben Sie Ich will Ihnen an dieser Stelle noch ein Bei- das Kernproblem angesprochen: Man hätte spiel bringen, um Sie in dieser Diskussion zum eigentlich schon längst eine gesamtgesell- Nachdenken anzuregen: Ein Chirurg erklärte schaftliche Diskussion führen müssen. mir einmal - das wurde mir auch immer wieder bestätigt -, dass in unserem System inzwischen Wie man angesichts der unterschiedlichen ein Druckgeschwür, ein Dekubitus, bei einem Kostenträgerstrukturen zu einer Ge- Oberschenkelhalsbruch zur wirtschaftlichen samtfinanzierung kommen könnte, ist mir Sicherstellung der Arbeitsplätze in der Chirur- schleierhaft. Ich rege deshalb an, einmal fest- gie dient. Man muss sic h einmal vorstellen, zustellen, wie viele Milliarden jährlich einge- wie viele Milliarden hier eingespart werden spart werden könnten, wenn man gezielt das könnten, ganz abge sehen von den Schmerzen Prinzip „Prävention bzw. Rehabilitation vor und den menschlichen Problemen. Pflege“ umsetzen würde. Dass das Milliarden sind, ergibt sich aus zahllosen wissenschaftli- Wenn es uns nicht gelingt, all dies als Teil der chen Untersuchungen. Man müsste daraus Gesamtproblematik zu sehen, dann wird das endlic h Konsequenzen zie hen. So könnte man - System kollabieren. Deswegen verstehe ich auch das ist zig Mal in Fachpublikationen ver- auch nicht die Diskussion über den Pfle - öffentlicht worden - zum Beispiel Maßnahmen gebegriff. Wir haben doch keine Erkenntnis- zur Sturzprophylaxe in Pflegeheimen durch- probleme. Alles, was heute gesagt worden ist, führen. Sehr viele Menschen stürzen nämlich wurde zig Mal publiziert, gesagt, ge schrieben und ziehen sich die gefürchteten Oberschen- oder gedruckt. Es ist heute nicht ein einziger kelhalsbrüche zu, weil sie zu viele Medika- neuer Satz gefallen oder eine einzige neue Er- mente bekommen oder zu wenig Personal da kenntnis vorgetragen worden. Wir müssen ist. deshalb endlich aus den Erkenntnissen Kon- Tatsache ist, dass man diese Erkenntnisse igno- sequenzen ziehen und die Problematik Pfle - riert und an Prophylaxe spart, aber dafür einen geversicherung zur Schicksalsfrage der Nation Transport ins Krankenhaus bezahlt, der teurer erklären. Wenn wir dabei genauso lei- ist als alle Präventionsmaßnahmen, ganz zu denschaftlich wie für die Zukunft von kleinen schweigen von den Kosten für den Kranken- Eisbären kämpfen würden, dann täte das dem hausaufenthalt und die daran anschließenden Thema Pflege gut. Rehamaßnahmen. Tatsache ist auch, dass man viel Geld für missbräuchlich verwendete Me- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 45

Ja, bezüglich der Frage, ob zwei kleine Eisbä- Dieses Problem könnte mit etwas Fantasie ren im Nürnberger Zoo verhungern dürfen oder gelöst werden. Wenn es jetzt nicht geht, dann nicht, gab es einen kleinen Volksaufstand. Als müsste es zumindest eine Absichtserklärung die Berichte des MDK zum Thema „Mangele r- geben. Aber es reicht nicht aus, wenn es im nährung in Pflegeheimen“ veröffentlicht wur- Gesetz nur heißt: „nach Möglichkeit“. Ich den, sind wir relativ schnell zur Tagesordnung muss gar nicht lange nachdenken, um darauf zu übergegangen. kommen, wer dann alles feststellt, dass die Möglichkeit im konkreten Fall leider nicht gegeben ist. Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Meine Frage richtet sich an den Deutschen Frauenrat und noch einmal an das Forum selbstbestimm- SVe Elke Bartz (Forum selbstbestimmter As- ter Assistenz behinderter Menschen. Es geht sistenz behinderter Menschen e. V.): Dem kann um geschlechtergleiche Pflege bzw. Assistenz. ich mich nur anschließen, auch aus der eigenen Erfahrung heraus, dass ich männliche Assis- Zunächst einmal möchte ich geklärt haben, ob tenz akzeptieren musste, als ich selbst noch in es um gleichgeschlechtliche oder geschlechter- einer stationären Einrichtung war und keinerlei gleiche Pflege geht. Ich vermute, eher um Einfluss darauf hatte, wer zu mir kommt und Letzteres, aber beide Begriffe wurden hier ja Pflege, auch Intimpflege, verrichtet. Im Ge- verschiedentlich gebracht. setzentwurf steht: „nach Möglichkeit“. Jeder Einrichtungsträger, jeder ambulante Dienst Nun meine Frage: Bringt der Gesetzentwurf wird stichfeste Begründungen haben, warum es das, was gebraucht wird, oder gibt es Nachbes- ihm gerade jetzt und in dieser Situation und serungsbedarf? Wenn ja, worin besteht dieser? vielleicht auch in Zukunft nicht möglich sein wird, Personen des Geschlechts einzusetzen, das gewünscht wird. Jeder, der das nicht nach- SV Henny Engels (Deutscher Frauenrat e. V.): vollziehen kann und sagt: „Sei doch froh, dass Wir meinen nicht gleichgeschlechtliche, son- du überhaupt ge waschen wirst oder auf die dern geschlechtergleiche Pflege. Danke für den Toilette kommst“, möge sich, wenn er gleich Hinweis; auch wir haben den Begriff falsch zur Toilette geht, vorstellen, wie es wäre, wenn verwandt. jemand neben ihm stehen würde - eine Frau bei einem Mann oder umgekehrt. Allein die An- Wir sind der Meinung, wie eben schon einmal wesenheit einer anderen Person würde sicher- ausgeführt, dass der Gesetzentwurf in diesem lich bei manchem von Ihnen Unbehagen we- Punkt nicht ausreicht und dem Wunsch nach cken. Bei uns ist es Lebensalltag, den akzeptie- geschlechtergleicher Pflege ohne Wenn und ren zu müssen, der geschickt wird. Aber in jedem Fall stattgegeben werden sollte. Gerade bei Frauen mit Gewalterfahrung - wir haben es vorhin gehört - ist das absolut nicht Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Dann akzeptabel. Man muss sich einfach einmal brauchen wir mehr Personal! vorstellen, was demenzkranke Frauen, die vie l- leicht Gewalterfahrung hinter sich haben, emp- finden, wenn sie sich plötzlich einem jungen SV Henny Engels (Deutscher Frauenrat e. V.): Zivildienstleistenden oder einem jungen Pfle- Das ist unzweifelhaft richtig. Ich könnte mich ger gegenübersehen, der ihr Enkel sein könnte jetzt dem Vorredner anschließen und sagen, und von dem sie aus für sie nicht nachvollzie h- das ist alles ganz wichtig und unumstritten, baren Gründen plötzlich ausgezogen werden. aber wenn es ums Geld geht, gilt das Sankt- Wenn sich diese Frauen dann wehren, um sich Florians-Prinzip: „Verschon mein Haus, zünde hauen und um sich schlagen, um ihre Ehre und andere an“. ihre Würde zu verteidigen, werden sie als ag- gressiv be zeichnet und mit Psychopharmaka Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 46

ruhig gestellt, weil man ihnen doch nur Gutes zen zugesprochen bekommen hat. Aber die tun wolle. Wer nicht nachvollziehen kann, autorisierte Stellung des Pflegeberaters ist im warum und wie sich diese Frauen wehren, der Versorgungsgefüge im Gesetzentwurf nicht sollte sich das doch bitte selbst einmal an- gegeben. schauen. Zu fordern wäre also, dass die Trägerschaft der Pflegeberatung, die Festlegung der Qualifizie- Vorsitzende Abg. Dr. Martina Bunge (DIE rungsvoraussetzungen für die Berater und die LINKE.): Danke für die Punktlandung bei der konzeptuelle Ausgestaltung der Pflegeberatung Zeit. - Wir kommen zur Fragerunde der Frakti- nicht federführend und schon gar nicht alleine on Bündnis 90/Die Grünen. in den Händen der Pflegekassen liegen dürfen. Verweisen kann man an dieser Stelle auf eine Expertise und auf die Rahmenempfehlungen Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ der Deutschen Gesellschaft für Care und Case DIE GRÜNEN): Ich möchte in meiner ersten Management, die meines Erachtens in dem Frage, die an Herrn Professor Mennemann Gesetzentwurf unbedingt Berücksichtigung geht, den Komplex Pflegestützpunkte und finden sollten. Pflegeberater ansprechen. Die Bundestags- fraktion der Grünen verweist in ihrem Antrag auf die Notwendigkeit der Eta blierung von Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ Case-Managern. Können die im Gesetzentwurf DIE GRÜNEN): Herr Professor Mennemann, der Bundesregierung geplanten Pflegeberater welche Risiken ergeben sich aus der domi- dem Anspruch eines Case-Managements ge- nierenden Stellung, die den Kassen im Rahmen recht werden? Wenn Sie es nicht so sehen, der Trägerschaft, also der Finanzie rung der erläutern Sie uns bitte kurz, warum nicht und Pflegestützpunkte und der Berater, im Pflege- worin der Unterschied liegt. WG zugeschrieben wird?

SV Prof. Dr. Hugo Mennemann: Grundsätz- SV Prof. Dr. Hugo Mennemann: Zunächst lich zu begrüßen ist die Aufnahme des Aspekts einmal wird damit die Definitionsmacht und der Versorgungs steuerung im Gesetz über die die Zuständigkeit bezüglich Pflegeberatung Betonung der Pflegestützpunkte. So eröffnet einem Kostenträger allein zugewiesen. Das das Gesetz die Möglichkeit, Case-Management heißt, die vorhin schon angesprochene Vermi- zu implementieren, sichert dies aber in keiner schung von alltagsnaher umfassender Bera- Weise hinreichend ab. Case-Manager sollen ja tung, die adressatenorientiert sein soll, und von die Angebote in einer Region bedarfsgerecht Leistungsentscheidung findet statt; beides liegt und subsidiär auf den Einzelfall bezogen koor- nämlich in einer Hand. Damit droht die Ge fahr, dinieren und abstimmen. Dazu muss zunächst dass die Funktion des Gate-Keepings, also der strukturell, also mit Blick auf die Trägerschaft Zuweisung von Geld- und Sachleis tungen, do- der Pflegeberatung, sichergestellt sein, dass die minant wird und die anderen Funktionen im Beratung unabhängig von den Interessen ein- Case-Management, insbesondere die advokato- zelner Kostenträger und auch unabhängig von rische und die unterstützender Funktion immer den Interessen einzelner Leistungsanbie ter vor mehr zurückgedrängt werden. Das könnte be- Ort erfolgen kann. Allerdings ist die Unabhän- deuten, dass die hohen Standards der Pflegebe- gigkeit der Berater in dem Gesetzentwurf nicht ratung, die in einigen Regionen erreicht wur- gegeben, da die Beratung und die Leistungs- den, be ispiels weise bei den BeKo-Stellen in entscheidung in einer Hand liegen. Rheinland-Pfalz, unterschritten werden, dass das Qualifizierungsniveau der Pflegeberater Zudem benötigt der Pflegeberater eine autori- gesenkt wird und dass auch einige Berufs- sierte Stellung im Versorgungsgefüge. Er kann gruppen, beispielsweise aus dem Bereich der nur das koordinieren, wozu er auch Kompeten- Sozialen Arbeit, zurückgedrängt werden, ob- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 47

wohl diese derzeit mit Abstand am meisten im man Versorgungsstrukturen vor Ort aufbauen Bereich der Pflegeberatung tätig sind. können. Das ist gar nicht so leicht angesichts der unterschiedlichen Interessenslagen vor Ort. Es könnte auch dazu kommen, dass bisherige Schließlich muss man Kenntnisse im Bereich Beratungsstrukturen zerstört werden - das kann der Wohnberatung, Pflegegrundkenntnisse und man ersten Gesprächen beispielsweise der Trä- Kenntnisse von Alterserkrankungen usw. ha- ger von BeKo-Stellen mit den Pflegekassen in ben. Rheinland-Pfalz entnehmen - und sich die Vor- aussetzungen, die Versorgungsstrukturen auf Insgesamt wird daran deutlich, dass es wichtig regio naler Ebene weiter konsequent adres- ist, die Qualifikation für eine Pflegeberatung satenorientiert aufzubauen, verschlechtern. Das an eine Hochschulausbildung anzubinden. Die würde insgesamt die Gefahr mit sich bringen, Kenntnisse können dann in unterschiedlichen dass Pflegeberatung entgegen der im Gesetz Disziplinen erworben werden. Die Soziale genannten Zielperspektive über die Dominanz Arbeit sollte meines Erachtens unbedingt mit- der Pflegekassen eher zu einem Gate-Keeping bedacht werden. Darüber hinaus ist eine Bin- umdefiniert wird. dung an die zertifizierte Weiterbildung der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management notwendig; denn Case-Mana- Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ gement kann man nicht einfach so leisten, son- DIE GRÜNEN): Herr Professor Mennemann, dern dazu ist eine qualifizierte Weiterbildung der Gesetzentwurf sieht vor, dass Pflege- erforderlich. fachkräfte und Sozialfachangestellte zukünf tig die Aufgabe der Pflegeberatung übernehmen sollen. Konkrete Angaben zu entsprechenden Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ Fortbildungsmaßnahmen werden jedoch nicht DIE GRÜNEN): Meine nächste Frage geht an gemacht. Welche Voraussetzungen und welche die Deutsche Gesellschaft für Gerontologie Qualifikation ist Ihrer Ansicht nach notwendig, und Geriatrie sowie an das Forum selbst- um als Pflegeberater im Bereich des Fallmana- bestimmter Assistenz behinderter Menschen. gements zie lge richtet und auch erfolgreich Können Ihrer Ansicht nach die mit den Stütz- agieren zu können? punkten verfolgten Ziele einer effektiven Bün- delung von Leistungsansprüchen und einer effektiven Kooperation der relevanten Akteure SV Prof. Dr. Hugo Mennemann: Man sollte erreicht werden? sich an dieser Stelle vor Augen führen, mit welcher Adressatengruppe wir es zu tun haben. Ich selber war auch Leiter einer Pflegebera- SV Prof. Dr. Thomas Klie (Deutsche Gesell- tungsstelle. Wir haben es häufig mit Menschen schaft für Gerontologie und Geriatrie e. V.): zu tun, die viel zu spät die Pflegeberatung auf- Ich würde die Frage noch etwas weiter führen suchen, die zum Teil vereinsamt sind. Das und neben Effektivität auch Effizienz betrach- bedeutet, dass die Pflegeberater vor allem zu- ten. Es liegen ja sehr interessante Erfahrungen nächst einmal Beratungskompetenz mitbringen aus dem Wissenschaftsbereich vor, unter wel- müssen. Es geht also nicht primär darum, pfle- chen Voraussetzungen Case-Management sei- gerelevante oder rechtliche Fragen zu erörtern, ne Effizienz entfalten kann. Dabei muss natür- sondern die Berater müssen vor allem die alten lich darüber nachgedacht werden, woran wir Menschen erreichen und ihr Vertrauen gewin- Effizienz messen. Eine in der Diskussion aus nen können. Das heißt, man sollte Moderati- meiner Sicht weitgehend vernachlässigte Di- onskenntnisse haben und auch lösungsorien- mension der Effizienz ist die Sicherung der tierte und motivationsfördernde Beratung an- subsidiären Anlage der Pflegeversicherung; das bieten können. Um das Sozialrecht zu über- heißt, gerade angesichts des demografischen schauen, muss man darüber hinaus ein sehr und sozialen Wandels die Bereitschaft der Be- umfangreiches Wissen haben. Außerdem muss völkerung zu befördern respektive zu erhalten, Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 48

sich verantwortlich an Pflegeaufgaben zu gestützpunkte einen zentralen Baustein für eine beteiligen. Dies ist eine ganz zentrale Dimen- effizientere Gestaltung der Beratung darstellen. sion der Effizienz; denn sonst gerät uns die Dabei ist zu berücksichtigen, dass wir auch Pflegeversicherung auch fiskalisch völlig außer zielgruppenspezifische Angebote beispielswei- Rand und Band. se für bestimmte Versichertengruppen, die einen speziellen Beratungsbedarf haben - Es geht auch darum, einen effizienten Mix zu Stichwort: private Pflegeversicherung -, brau- organisieren bzw. sicherzustellen und zu ver- chen. hindern, dass unnötigerweise Heimaufnahmen erfolgen. Modellprojekte haben gezeigt, dass Zentral erscheint mir, dass man die Erfah- die Quote der Heimaufnahmen um 40 Prozent rungen evaluiert und ähnlich wie im SGB II gesenkt werden kann. Auch die Vermeidung systematisch versucht, die Erkenntnisse für unnötiger Krankenhauseinweisungen gehört zu eine Etablierung und Implementierung von dem, was man durch eine effiziente Organisa- Case-Management zu nutzen. Ich halte es im tion von Case-Management erreichen kann. Es Übrigen auch für ziemlich problematisch, jetzt geht also nicht - da kann ich dem Kollegen die entsprechenden Strukturen für Pfle - Mennemann nur zustimmen - primär um das gestützpunkte aufzubauen, ohne zu wissen, auf Leistungsrecht. welchen Pflegebedürftigkeitsbegriff und auf welches Begutachtungsverfahren man sich Der Befund ist eindeutig der - da möchte ich bezieht. Die Entscheidung darüber hat nämlich gerne dem widersprechen, was heute hier Auswirkungen auf die Beratungen und die schon mehrfach gesagt wurde -, dass die Bera- Strukturentwicklung. tung bei Pflege vielerorts nicht gewährleistet ist, mit entsprechenden Folgen, und insofern die Gefahr besteht, dass Effizienzkriterien SVe Elke Bartz (Forum selbstbestimmter As- missachtet werden. Die Pfle gestützpunkte kön- sistenz behinderter Menschen e. V.): Ich sehe nen hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem nach wie vor große Probleme bezüglich der man Case-Management-Erfahrungen auf- Pflegestützpunkte. Den Vergleich zum Militä- nimmt. Für dringend halte ich es, dass man die rischen, der ganz am Anfang dieses Blocks Expertise der Deutschen Gesellschaft für Care gezogen wurde, fand ich ganz gut. Diesen kann und Case Management ähnlich wie einen Ex- man noch ausweiten und den Spruch „Stell dir pertenstandard zur Grundlage macht, weil man vor, es ist Krieg, und keiner geht hin“ so um- sonst überhaupt keine Parameter hat. Das ist formulieren: „Stell dir vor, wir haben Pflege- übrigens aus meiner Sicht auch ein Problem stützpunkte, und keiner geht hin“. Das ist nicht der experimentellen Förderung des Pflege- aus der Luft gegriffen und polemisch, sondern stützpunktmodells durch das BMG, die in ein i- beruht auf der eigenen Beratungserfahrung, gen Bundesländern bereits vor Verabschiedung dass immer mehr Menschen, die zu uns kom- des Gesetzes angestoßen wurde. men und ihre Probleme in Bezug auf Leistun- gen der Pflegeversicherung vor tragen, also was Als nicht notwendig erachte ich, dass Ent- ihnen überhaupt zusteht, wo sie was bekom- scheidungen in sozialleistungsrechtlicher Hin- men und wie sie das Ganze organisieren kön- sicht in den Pflegestützpunkten getroffen wer- nen, dann, wenn ich sie unterstütze und berate, den. Da möchte ich eindeutig dem wider- sehr oft sagen: Sie sind die Erste, die mir zu- sprechen, was hier heute gesagt wurde. Wenn hört und mich entsprechend meinen Bedürfnis- man die Verknüpfung mit dem SGB IX sen berät. schafft - da möchte ich dem Kollegen Welti ausdrücklich zustimmen -, bräuchte man die Das heißt also, in den Pflegestützpunkten, ob ganze Entscheidungsthematik nicht aufneh- sie allein von den Pflegekassen getragen wer- men. Es geht eher um die Schaffung effizienter den oder in Kooperation mit den Kommunen, Prozeduren für eine abgestimmte Entschei- die ja auch ihre eigenen Interessen verfolgen, dungsfindung und Beratung. Hier können Pfle- werden immer die Interessenslagen der Dienst- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 49

herren bzw. der Träger, die sie finanzieren, haben wir dementsprechend ein isoliertes Son- verfolgt werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dersystem außerhalb anderer sozialrechtlicher dass hier eine unabhängige Beratung stattfin- Koordinierungsmechanismen mit einem Träger den wird. Es wäre sehr gut gewesen, wenn man geschaffen, der nicht Rehabilitationsträger ist. im Vorfeld zum einen Menschen, die kurz vor einer Antragstellung stehen, gefragt hätte, was Wir haben aber auch pflegebedürftige Kinder. sie sich wünschen bzw. was sie brauchen, und Der Gesetzentwurf bringt zum Glück im Be- zum anderen Menschen, die schon Leistungen reich der Begutachtung eine kleine Verbesse- beziehen, gefragt hätte, was sie sich anders rung; ansonsten wird er der besonderen Prob- gewünscht hätten. Die Antworten wären wohl lematik pflegebedürftiger Kinder oder junger ein wenig unterschiedlich ausgefallen. Dieje - Menschen, die ja auch Leistungen in der Schu- nigen, die noch keine Erfahrungen haben, hät- le oder am Ausbildungsplatz gemäß SGB XI ten vielleicht gesagt: Wir suchen eine Stelle, an brauchen, gegenwärtig nicht gerecht. die wir uns wenden können und die uns berät. - Die andere Gruppe, die schon Leistungen be- Meistens wird auch völlig ausgeblendet, dass kommt, hätte wohl gesagt: Ich hätte mir eine wir pflegebedürftige Menschen haben, die unabhängige Beratungsstelle gewünscht. erwerbstätig sind.

Als großes Problem sehe ich auch, dass ein Auch auf die Tatsache, dass das soziale Um- pflegebedürftiger Mensch mit einem er- feld pflegebedürftiger Menschen völlig unter- weiterten Hilfebedarf, dann, wenn keine Teil- schiedlich ist, müsste man besser eingehen. habeorientierung stattfindet, erst zum Pflege- stützpunkt und danach für den ganzen Kom- Ein Instrument, um diesen multiplen Le- plex der sozialen Teilhabe zu einer weiteren benslagen besser gerecht werden zu können, Beratungsstelle gehen muss. Wenn man großes wäre ein integriertes Budget, mit dem für ver- Glück hat, kooperieren beide miteinander, schiedene Bedarfslagen auf Leistungen ver- wenn man Pech hat, allerdings nicht. schiedener Träger zurückgegriffen werden kann. So nehmen Pflegebedürftige Leistungen zur Rehabilitation und der Krankenbehandlung Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ in Anspruch, zum Teil auch Leistungen zur DIE GRÜNEN): Mein nächstes Fragengebiet Ermöglichung der Teilhabe am Arbeitsleben betrifft das Pflegebudget. Meine erste Frage und am Leben in der Gemeinschaft. geht an Professor Welti: Wird der vor lie gende Gesetzentwurf der multiplen Lebens- Diese Leistungen kann man zusammenfassen, lagenproblematik pflegebedürftiger Menschen wenn man das Budget einführt. Dies bedeutet und ihren multiplen Leistungsansprüchen in keine Mehrkosten, sondern Effizienzgewinne. unterschiedlichen Sozia lleis tungsbe reichen gerecht? Wenn nicht, erläutern Sie bitte kurz, warum nicht. Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Meine nächste Frage in dem Bereich geht an die Bundesvereinigung Le- SV Prof. Dr. Felix Welti: Eine multiple Fra- benshilfe. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gestellung kurz beantwortet: Pflegebedürftige fordert in ihrem Antrag, das inte grierte Budget Menschen sind immer nicht nur pflegebedürf- für Menschen mit Behinde rungen in ein trä- tig. Das ist das Problem unserer Pflegeversi- gerübergreifendes persönliches Budget nach cherung. Ihr liegt immer noch das falsche Bild SGB IX zu überführen. Darin sind Pflegeleis- eines alten, pflegebedürftigen Menschen tungen anstelle von Gutscheinen als echte zugrunde, der keine Teilhabe an der Gesell- Budgetleistungen integriert. Wie bewerten Sie schaft mehr braucht und nichts mehr vom Le- diese Forderungen vor dem Hintergrund, dass ben will außer der Befriedigung seiner Grund- in dem Ge setzentwurf der Koalition diesbezüg- bedürfnisse durch Pflege. Für diese Menschen lich keine Aussagen gemacht werden, und die Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 50

entsprechenden Forschungsergebnisse? Auch Monate erstrecken und mit einer steuerlichen hier bitte ich um eine relativ kurze Antwort. Lohnersatzleistung verbunden sein soll. Wie bewerten Sie diese Forderung? SV Klaus Lachwitz (Bundesvereinigung Le- benshilfe für Menschen mit geistiger Behinde- rung e. V.): Ich kann mich in vielen Punkten SV Prof. Dr. Clemens Tesch-Römer (Deut- dem anschlie ßen, was Herr Welti ausgeführt sches Zentrum für Altersfragen e. V.): Die hat. Hier wird eine große Chance vertan. Für häusliche Pflege in Deutschland wird vor allem den großen Personenkreis von Menschen, die durch Angehörige, aber auch durch weitere ihr ganzes Leben lang auf Pflege angewiesen Mitglieder des privaten Netzwerkes geleistet. sind - geistig und Mehrfachbehin derte sind oft Es sind vor allen Dingen Frauen - Mütter, Ehe- von Geburt an pflegebedürftig -, steht nicht nur frauen, Töchter und Schwiegertöchter -, die die die Pflege im Vordergrund, sondern auch Teil- Pflege im häuslichen Kontext leisten. Bei den habe am gesellschaftlichen Leben und Selbst- Männern, die Pflege leisten, handelt es sich in bestimmung. erster Linie um Ehepartner.

Das wirksamste Mittel, um die beiden Be- Im Augenblick gibt es eine Unterstützung der reiche, die hier berührt sind - nämlich Teilhabe häuslichen Pflege durch das Pflegegeld. Wir und Pflege -, zusammenzuführen und flexibel denken, dass die Einführung der Pflege zeit zu gestalten, ist das persönliche Budget in der eine außerordentlich gute Möglichkeit ist, die Pflege. Insofern ist es wirklich sehr zu bedau- Pflege durch Angehörige oder durch andere ern, dass die Bundesregierung nach wie vor an Mitglieder des privaten Netzwerkes zu unter- der Gutscheinregelung festhält. Gutscheine stützen. Allerdings stellen sich in die sem Zu- können eben nur bei anerkannten Pflegediens- sammenhang folgende Fragen: Was ist das Ziel ten und Pflegeeinrichtungen eingelöst werden. der Pflegezeit? Wie sieht die Ausgestaltung der Im Grunde genommen ist dies die Aufrechter- Pflegezeit aus? Welche möglichen Folgen ent- haltung des Sachleistungsprinzips. stehen durch die Ein führung der Pflegezeit?

Der Bundesrat hat einstimmig gefordert, dass Wir denken, das Ziel der Pflegezeit sollte die das integrierte Budget in der Pflegever- Herstellung eines guten häuslichen Pfle - sicherung eingeführt wird. Dem schließen wir gearrangements sein. Im Augenblick sind eine uns an. Wir hoffen, dass es noch zu Verän- kurzfristige und eine längerfristige Pfle gezeit derungen in diesem Bereich kommt. Die Ge- bis zu sechs Monaten vorgesehen. Insbesonde- genäußerung der Bundesregierung bein haltet re bei der längeren Pflegezeit ist festgelegt, keine Totalablehnung. Es wird vielmehr davon dass eine häusliche Pflege vorlie gen muss. Wir gesprochen, dass zunächst die Ergebnisse der sind aber der Meinung, dass es Pflegekonstel- Modellvorhaben abgewartet werden sollen. lationen gibt, in denen die Voraussetzung, dass Diese sind so gut wie abgeschlossen; Herr Klie eine häusliche Pflege besteht, nicht unbedingt kann sich näher dazu äußern. Die Modellvor- sinnvoll ist. Auch für Angehörige, die bei- haben zeigen, dass das persönliche Budget mit spielsweise an einem anderen Ort in Deutsch- dem Ausschütten von Geldleistungen das idea- land leben, sollte ein Pflegearrangement getrof- le Instrument wäre, um beides, Teilhabe und fen werden können. Wir glauben daher, dass es Pflege, sicherzustellen. sinnvoll und notwendig ist, den Zeitraum von Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ sechs Monaten zu stückeln. DIE GRÜNEN): Die nächsten Fragen behan- deln die Pflegezeit. Meine erste Frage geht an Eine Pflegezeit von sechs Monaten - damit das Deutsche Zentrum für Altersfragen. Die komme ich zur Ausgestaltung - ist sicherlich grüne Bundestagsfraktion fordert in ih rem An- nicht ausreichend, um häusliche Pflege lang- trag die Einführung einer Pflegezeit, die sich fristig zu organisieren. Häusliche Pflege er- im Gegensatz zum Gesetzentwurf der Bundes- streckt sich in der Regel über mehrere Jahre. regierung nicht über sechs, sondern über drei Die Folgen der Pflegezeit sind mögli- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 51

cherweise - das ist vorhin in den Stellung- Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ nahmen der Arbeitgeber schon angedeutet DIE GRÜNEN): Meine letzte Frage zu die sem worden -, dass bestimmte Personengruppen - Komplex richtet sich an den Deutschen Frau- das sind vor allem Frauen und ältere Arbeit- enrat. Die grüne Bundestagsfraktion fordert in nehmerinnen und Arbeitnehmer, bei denen ein ihrem Antrag, dass nach einem erweiterten höheres Risiko besteht, dass sie die Pflegezeit Familienbegriff auch Personen ohne direkte in Anspruch nehmen - auf dem Arbeitsmarkt verwandtschaftliche Beziehungen anspruchsbe- diskriminiert werden. Daher ist es gut, dass die rechtigt für eine Pflegezeit sein sollen. Wie Pflegezeit auf sechs Monate begrenzt wird. bewerten Sie diese Forderung vor dem Hinter- Eine Pflegezeit von drei Monaten sollte in be- grund der von der Bundesregierung geplanten stimmten Fällen sicherlich auch ausreichen, um Pflegezeit? Auch hier bitte ich um eine kurze das Ziel, ein gutes häusliches Arrangement zu Stellungnahme. gestalten, zu erreichen.

SV Henny Engels (Deutscher Frauenrat e. V.): Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ Der Deutsche Frauenrat befürwortet diese For- DIE GRÜNEN): Meine nächste Frage geht an derung. Er hat sie in seiner Stellungnahme die Deutsche Gesellschaft für Pallia tivme dizin. angesichts der Tatsache aufgenommen, dass Die grüne Bundestagsfraktion fordert in ihrem die Zahl der Menschen in unserer Gesellschaft, Antrag, dass eine gesetzliche Pflegezeit auch die keine nahen Verwandten haben, zunimmt. dem Zweck der Sterbebegleitung dienen soll. Es muss die Möglichkeit geben, die Regelung, Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht die für nahe Verwandte vorgesehen ist, auf das aber nicht vor. Wie bewerten Sie das? Grundlage einer eidesstattlichen Erklärung auf Auch hier bitte ich um eine kurze Antwort. diejenigen, die im Sinne des Gesetzes pfle gen wollen, auszudehnen.

SV Thomas Montag (Deutsche Gesellschaft Ich möchte noch folgenden Punkt hinzufügen, für Palliativmedizin e. V.): Die Deutsche Ge- den wir in unserer Stellungnahme nicht er- sellschaft für Pallia tivmedizin begrüßt die Ein- wähnt haben. Möglicherweise nimmt auch die führung der Pfle gezeit. Sie sieht allerdings Zahl derjenigen zu, die zwar noch Verwandte gerade in Bezug auf die Begleitung Sterbender haben, die in der Lage wären, sie zu pflegen, bzw. von Palliativpatienten durch ihre Familien deren Verhältnis zu Freunden und Nachbarn das Problem, dass diese Pflegezeit an die Pfle- aber sehr viel besser für die Pflege geeignet ist. geeinstufung geknüpft wird. Wir würden natür- Dieser Punkt ist besonders wichtig, wenn es lich lieber sehen, wenn die Familien von Ster- um die Intimpflege geht. Wir sind der Mei- benden jeden Alters ihre Angehörigen unab- nung, dass dieser Aspekt unbedingt beachtet hängig von ihrer Pflegebedürftigkeit und von werden muss und dass es zu einer entsprechen- dem Vorliegen einer Pfle gestufe begleiten den Erweiterung kommen sollte. könnten. Es sollte eine Karenzzeit für Angehö- rige von Palliativpatienten geben, die von sol- chen Voraussetzungen unabhängig ist und auch Abg. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE nicht ausschließlich am Begriff der Sterbebe- GRÜNEN): Ich möchte die in dem vorliegen- gleitung festgemacht wird. Man könnte dies den Gesetzentwurf eingefügte Vorschrift des bewerkstelligen, indem man innerhalb dieses § 294 SGB V aufgreifen. Es geht darin um die Gesetzes die Voraussetzungen für den Zugang Informationspflicht der Ärzte im Falle selbst- zur spezialisierten ambulanten Palliativversor- verschuldeter Krankheiten. Ich möchte dazu gung, die in § 37 b SGB V eingeführt worden die Verbraucherzentrale Bundesverband und ist, mit der Pflegezeit verknüpft und damit die den Paritätischen Wohlfahrtsverband fragen: Zugangskriterien ausweitet. Welche Gefahren für den Datenschutz ergeben sich Ihrer Ansicht nach aus dieser Vorschrift?

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SV Dieter Lang (Verbraucherzentrale Bun- würde. Die Ärzte würden quasi zu Zwangser- desverband e. V.): Wir waren natürlich sehr mittlern der Krankenkassen. Für die Patienten überrascht, als wir im Rahmen des Entwurfs wäre überhaupt nicht mehr klar, was die ärztli- zur Pflegereform bei den Änderungen zum che Schweigepflicht noch beinhaltet. Diese Re- SGB V diese Vorschrift gefunden haben, die gelung ist auch aufgrund der sehr offenen sozusagen eine Ergänzung zu den Änderungen Formulierung der Norm aus unserer Sicht nicht im Rahmen des GKV-WSG darstellt. Wir ha l- hinnehmbar. Die „positiven“ Auswirkungen, ten diese Vorschrift unter datenschutzrechtli- die man sich von derartigen Ermittlungen ver- chen Kriterien für höchst problematisch. Wenn spricht, muss man als zweifelhaft bezeichnen. man davon ausgeht, dass die Definition einer nichtindizierten Behandlung nicht hinreichend konkretisiert ist, kann man sich leicht vor- SV Herbert Weisbrod-Frey (Vereinte Dienst- stellen, dass hier Erweiterungen - auch über die leistungsgewerkschaft): Auch wir halten diese genannten Beispiele hinaus - ohne weite res aus unserer Sicht katastrophale Regelung für möglich sind. Bliebe die Regelung auf Pier- nicht sachgerecht. Wir hatten schon beim cings, Tätowierungen und Schönheitsopera- GKV-WSG Bedenken geäußert, weil Leistun- tionen beschränkt, dann würden wir hier nur gen aus dem Sachleistungsprinzip herausge- Marginalien abhandeln. Das ist wohl nicht nommen werden. Wir finden es schade, dass Sinn und Zweck einer solchen Vorschrift im sich in einem ansonsten guten Pflegegesetz Rahmen einer Pflegereform. eine solche Regelung findet.

SVe Andrea Pawils (Deutscher Paritätischer Abg. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE Wohlfahrtsverband - Gesamtverband e. V.): GRÜNEN): Ich habe zum Pflegebudget noch Auch wir haben genauso wie die Verbraucher- eine Frage an die Deutsche Gesellschaft für zentrale Bundesverband große Bedenken hin- Gerontologie und Geriatrie. Wie bewerten Sie sichtlich des Datenschutzes und der Beziehung den Umstand, dass in dem vorliegenden Ge- zwischen Arzt und Patient. Die ärztliche setzentwurf kaum weiterführende Regelungen Schweigepflicht und auch das Patientenge- zum persönlichen Budget getroffen werden, heimnis werden mit dieser Regelung ausgehe- obwohl die Ergebnisse der entsprechenden belt. Die Bezie hung zwischen Arzt und Patient Modellprojekte bereits vorliegen? erleidet dadurch einen sehr großen Vertrauens- verlust. SV Prof. Dr. Thomas Klie (Deutsche Gesell- schaft für Gerontologie und Geriatrie e. V.): Es Abg. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE geht hier - das ist heute schon angeklungen - GRÜNEN): Zur Beziehung zwischen um unterschiedliche Budgets. Zunächst gibt es Arzt/Ärztin und Patient/Patientin habe ich noch das trägerübergreifende Budget, das im eine Nachfrage. Ich hätte gerne von der BAG SGB IX verankert ist. Die praktische Erpro- Selbsthilfe und von Verdi gehört, welche Aus- bung des sogenannten Pflegebudgets, in denen wirkungen sie von der Vorschrift in dieser die Sachleistungen als Geldleistungen ausbe- Beziehung erwarten. zahlt werden - allerdings durch Case-Mana- gement begleitet -, wird zum 30. April abge- schlossen sein. Schließlich gibt es das integ- SV Dr. Martin Danner (Bundesarbeitsge- rierte Budget, bei dem die Gutscheinlösung meinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Be- aufgegeben und die Möglichkeit für Menschen hinderung und chronischer Erkrankung und mit Behinderungen ge schaffen wurde, auch ihren Angehörigen e. V.): Auch wir befürch- Leistungen der Pflegeversicherung im Rahmen ten, dass es zu einer tiefgreifenden Störung des eines echten Budgets zu erhalten. Verhältnisses von Ärzten und Patienten kom- men würde, wenn diese Regelung Realität Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 53

Das sogenannte Integrierte Budget ist an- Abg. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE gesichts der Effekte, die sich in der modell- GRÜNEN): Eine Frage an den Bundesverband haften Erprobung zeigen, sehr gut geeignet, für Körper- und Mehrfachbehinderte zu den Menschen mit Behinderungen und Pflegebe- Leistungen für behinderte Menschen. Der Leis- darf eine autonomere und auch eine an ihre tungsbetrag für Pflegeleistungen in vollstatio- Lebenssituation wesentlich besser angepasste nären Einrichtungen der Behindertenhilfe nach Lebensführung zu ermöglichen. Es ist auch § 43 a SGB XI wird mit dem Gesetzentwurf nicht zu befürchten, dass sich bei Aufgabe der keine Veränderung erfahren. Halten Sie das für Gutscheinregelung in § 35 a SGB XI eine gro- sachgerecht? Wie hoch sollte dieser Betrag ße Resonanz ergeben wird, weil hier die Regu- Ihres Erachtens künftig sein? larien des trägerübergreifenden Budgets grei- fen, die durchaus mit einigen Hürden verbun- den sind. Es ist auszuschließen, dass es hier zu SV Norbert Müller-Fehling (Bundesverband einer Zweckentfremdung dieser Leistung für Körper- und Mehrfachbehinderte e. V.): kommt. Seit Einführung der Pflegeversicherung setzen wir uns mit dem Problem auseinander, dass Es spricht demzufolge sehr viel dafür, das in- Einrichtungen der Behindertenhilfe unter tegrierte Budget, das der Bundesrat in einer Druck geraten, in Einrichtungen der Pflegever- einstimmigen Entscheidung vorgeschla gen hat, sicherung mit Versorgungsvertrag umgewan- mit dieser Reform einzuführen. Dies wäre auch delt zu werden. Gleichzeitig wird Druck auf deshalb wichtig, damit Menschen mit Behinde- pflegebe dürftige behinderte Menschen ausge- rungen im Rahmen dieser Reform nicht völlig übt, Pflegeeinrichtungen aufzusuchen und leer ausgehen. Denn bisher haben die Empfeh- nicht Einrichtungen der Eingliederungshilfe. lungen der Bundesbeauftragten für die Belange behinderter Menschen hinsichtlich der teilha- Es ist den Verbänden der Behindertenhilfe zu beorientierten Pflege überhaupt keine Berück- verdanken, dass immer noch 70 000 behinderte sichtigung gefunden. Aufgrund der Ergebnisse Menschen mit Pflegebedarf in Einrichtungen der Begleitforschung kann man nur sagen: Es der Eingliederungshilfe versorgt werden und gibt keinen Grund, das integrierte Budget nicht nicht in Pflegeeinrichtungen abgeschoben wer- schon jetzt einzuführen. den. Dem Bundestag liegt zurzeit eine Petition aus Baden-Württemberg vor. Es gibt entspre- Beim sogenannten Pflegebudget ist es anders. chende Elterninitiativen in Hessen und in Ber- Wir finden es durchaus richtig, dass man hier lin, die sich dagegen zur Wehr setzen, dass nicht auf eine weitere Erprobung setzt. Das Einrichtungen der Eingliederungshilfe umge- Pflegebudget zeigt sehr deutliche Effekte. Es wandelt werden. spricht sehr viel dafür, Budgets mittelfristig als Regelleistung zu etablieren. Mit Budgets ist Eine Möglichkeit der Unterstützung wäre, den man der Lage, vor allen Din gen völlig unter- Betrag von 256 Euro zu erhöhen, sodass die versorgte und alleinlebende Menschen wesent- heute bestehende Diskrepanz zwischen den lich besser zu versorgen, als das heute im Sachleistungen im ambulanten oder im statio- Sachleistungssystem der Fall ist. Die entspre- nären Bereich und denen nach § 43 a SGB XI chenden Zahlen liegen vor. Aber nach meiner nicht größer wird. Die Erhöhung, die im ambu- Meinung sollte ein Pflegebudget nicht als dritte lanten Bereich im Zuge der Reform vorgesehen Leistungsoption im ambulanten Bereich einge- wird, sollte auch für die Leistungen nach § 43 a führt werden. Hier müssen vielmehr weiter gelten. Langfris tig müssen die Leistungen an reichende Konsequenzen im Leistungsrecht die Person des Leistungsberechtigten, in die- gezogen werden. Außerdem muss man die sem Fall des Pflegebedürftigen, gekoppelt Ergebnisse der Begleitforschung auswerten werden. Nur so lässt sich letztendlich die von und Bedingungen schaffen, die eine verant- uns erwartete Weiterentwicklung der Einglie- wortliche Einführung dieses Budgets ermögli- derungshilfe sinnvoll vorantreiben. chen. Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 54

Abg. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE eine Frist von einer Woche bei Überleitung aus GRÜNEN): Eine kurze Frage an den Paritäti- dem Krankenhaus und der Rehaklinik sowie schen Wohlfahrtsverband zur Ehrenamtlich- eine Frist von zwei Wochen bei der Beantra- keit. Wird der Gesetzentwurf die ehrenamtli- gung der Pflegezeit gesetzt. Das ist natürlich chen Strukturen überfordern? Wenn ja, möchte ein ganz schönes Paket, das Sie dem MDK mit ich um eine kurze Begründung bitten. auf den Weg geben.

Da wir nun auch Leistungen für Personen mit SVe Andrea Pawils (Deutscher Paritätischer eingeschränkter Alterskompetenz festzustellen Wohlfahrtsverband - Gesamtverband e. V.): haben, werden Anträge von Personen gestellt, Diese Gefahr besteht natürlich. In der Begrün- die bisher noch keine Leistungen erhalten ha- dung zum Gesetzentwurf habe ich gelesen, ben. Außerdem beauftragen Sie uns, noch in- dass die Ehrenamtlichen auch unterstützend tensiver die Rehabilitation zu prüfen. Daher tätig werden sollen. Die Gefahr, dass die Eh- kann man sagen, dass dieses Gesamtpaket mit renamtlichen eventuell in die professionelle einem Mehrbedarf an Personal für den MDK Pflege ein greifen sollen, besteht also nach un- verbunden ist. serer Auffassung durchaus. Wir würden angesichts dieses Gesamtpakets Für uns stellt sich auch die Frage, inwie weit es anregen, die Zeit etwas großzügiger zu bemes- wirklich erforderlich ist, die ehrenamtlichen sen. Wir denken an sechs bis acht Wochen. Strukturen vertraglich festzuschreiben. Nach Das wäre eher machbar. Berücksichtigen Sie unserer Auffassung muss eine Art Win-win- bitte auch, dass wir aufgrund der kurzen Frist Situation entstehen. Die Ehrenamtlichen müs- nicht mehr die Möglichkeit ha ben, die Begut- sen ihre Arbeit sozusagen von sich aus ma- achtungen beispielsweise nach Stadtteilen zu chen, ohne dass es von gesetzlicher Seite strik- bündeln. Sie ermuntern uns sozusagen zu te Vorgaben gibt. Sternfahrten innerhalb einer Region. Das ist natürlich mit einem entsprechenden Zeitbedarf verbunden. Vorsitzende Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Wir be ginnen die zweite Runde mit Wir sehen die politische Zielsetzung; diese der CDU/CSU-Fraktion. akzeptieren wir auch. Aber wir glauben, dass unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Frist von sechs bis acht Wochen realistischer Abg. Jens Spahn (CDU/CSU): Ich habe eine ist als die Frist von fünf Wochen, die jetzt im Frage an den MDS. Halten Sie die vorgesehene Entwurf steht. Frist zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit von fünf Wochen für realistisch? Welche Mehrkosten sind aus Ihrer Sicht für Sie damit SVe Erika Stempfle (Diakonisches Werk der verbunden? Eine Zusatzfrage an das Diakoni- Evangelischen Kirche in Deutschland e. V.): sche Werk der EKD und an den bpa: Wie be- Wir begrüßen diese Fünfwochenfrist eindeutig. werten Sie diese Frist von fünf Wochen? Sie kennen alle die Zahlen und wissen daher, wie lange Pfle gebegutachtungen dauern. Sie dauern in der Regel sehr viel länger als fünf SV Dr. Peter Pick (Medizinischer Dienst der Wochen. Es variiert von Bundesland zu Bun- Spitzenverbände der Krankenkassen): Es ist desland. Die Frist von fünf Wochen ist erfor- klar, dass der MDK zügig begutachten muss. derlich, damit die Betroffenen ihre Pflegear- Mit der Frist von fünf Wochen setzen Sie den rangements planen und entsprechende Ent- MDK natürlich ein Stück weit unter Druck. Ich scheidungen treffen können. Wir begrüßen denke, das ist beabsichtigt. Aber es wird nicht genauso die Einwochenfrist beim Übergang nur eine Frist von fünf Wochen für die normale aus dem Krankenhaus bzw. aus der Rehaklinik Begutachtung gesetzt, sondern es wird auch Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 55

und die Zweiwochenfrist bei der Beantragung SVe Erika Stempfle (Diakonisches Werk der der Pflegezeit. Evangelischen Kirche in Deutschland e. V.): Prinzipiell begrüßen wir die Möglichkeit, Pfle- Wir bitten die Anwesenden darum, dass diese gesachleistungen zu poolen. Denn gerade im Fristen im Gesetz stehen bleiben. Denn die Bereich neuer Wohnformen wie bei den soge- Leistung muss bei den Betroffenen ankommen, nannten ambulant betreuten Wohngemein- die Pflegebereitschaft muss gestärkt werden schaften gab es bisher immer wieder einmal und die Möglichkeiten für die Planung von juristische Schwierigkeiten. Mit dieser Rege- Pflegearrangements müssen verbessert werden. lung wird nach unserer Ansicht Rechtsklarheit geschaffen. Wir denken aber, dass hiermit Er- wartungen geweckt werden, die nicht erfüllt SV Herbert Mauel (Bundesverband privater werden können. Anbieter sozialer Dienste e. V.): Es muss das gesamte Verfahren in den Blick genommen Zum Stichwort Effizienzgewinne. Durch das werden und nicht nur die MDK-Begutachtung. Poolen soll Zeit gewonnen werden. Die Effi- Im Moment dauern diese Begutachtungen we- zienzgewinne sollen dazu verwendet werden, sentlich zu lange. Ich glaube, anfallende höhere dass im ambulanten Bereich Betreuungsleis- Fahrtkosten dürfen nicht der Grund sein, dass tungen im Pool für den Betroffenen zur Verfü- man die Fristen nicht verkürzt. gung stehen. Wir sehen diese Effizienzgewinne bei den Wegezeiten der ambulanten Dienste. Es kann nicht sein, dass die Einrichtungen und Wir sehen aber auch, dass in der Regel in den letztendlich die Betroffenen monatelang auf Vergütungsvereinbarungen nach § 89 SGB XI ihre Einstufung warten. Dass die Verkürzung und bei den Einsatzpauschalen für das betreute der Frist möglicherweise mit zusätzlichem Wohnen wurden hierfür Regelungen getroffen. Aufwand verbunden ist, ist in Kauf zu nehmen. Das gilt insbesondere dann, wenn es um die Wir sehen Effizienzgewinne in der haus- Begutachtung des Rehabedarfs geht. Wenn das wirtschaftlichen Versorgung. Das gilt für den Gutachten des MDK nicht die Anforderungen Fall, dass Menschen in einem gemeinsamen an einen Antrag auf Rehabilitationsleistungen Haushalt leben. Wir sehen aber keine Effi- erfüllt , werden alle anderen Regelungen, die zienzgewinne bei der Grundpflege und auch vorher diskutiert wurden, ins Leere laufen. keine bei der hauswirtschaftlichen Versorgung, Denn dann kann immer argumentiert werden, wenn die Menschen nicht in einem gemeinsa- es liege kein Antrag vor. men Haushalt leben. Wir bedauern, dass die Leistungen um die Betreuungsleistung erwei- Wir plädieren also sehr dafür, kurze Zeiten tert werden, ohne dass es eine Erhöhung des vorzugeben. Das sollte aber nicht nur für die Pflegesachleistungsbetrages gibt. Begutachtung, sondern auch für den Zeitraum Die Leistungsflexibilisierung halten wir prinzi- von der Antragstellung bis zur Zustellung des piell für gut. Wir denken aber, dass sie unab- Bescheides gelten. Es dürfen nicht an anderer hängig vom Poolen erfolgen sollte. In der Be- Stelle lange Bearbeitungs zeiten entstehen. gründung ist die Aussage enthalten, dass Pfle- gestützpunkte das Poolen anregen sollten. Aber wir sehen darin die Gefahr, dass die Wahlmög- Abg. Willi Zylajew (CDU/CSU): Meine Frage lichkeiten der Betroffenen eingeschränkt wer- ric htet sich an das Diakonische Werk der EKD den. Außerdem fehlt uns beim Poolen die und ebenfalls an den bpa. Wie bewerten Sie die Schnittstelle zum SGB XII. Wir haben heute Möglichkeit, ambulante Sachleis- darüber diskutiert, dass die Pflegeversicherung tungsansprüche von verschiedenen Pflege- einen Teilleistungscharakter hat. Viele Men- bedürftigen zusammenzufassen, also zu poo- schen erhalten noch ergänzende Hilfe zur Pfle- len? Welche Auswirkungen hat dies auf die ge. Auch da muss es in ambulant betreuten Pflegeeinrichtungen? Wie beurteilen Sie dabei Wohngemein schaften die Möglichkeit zum insbesondere die Chancen für neue Wohnfor- Poolen geben. men? Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 56

SV Bernd Tews (Bundesverband privater An- würde interessieren, ob Sie die Gesamtversor- bieter sozialer Dienste e. V.): Wir begrüßen es gungsverträge als praxisgerecht empfinden, ausdrücklich, dass diese Möglichkeit zum Poo- und wenn ja, warum. len ins Gesetz aufgenommen worden ist. Wir begrüßen es insbesondere deswegen, weil da- durch die Möglichkeit besteht, Betreuungsleis- SVe Erika Stempfle (Diakonisches Werk der tungen im ambulanten Bereich zu erbringen. Evangelischen Kirche in Deutschland e. V.): Das war bisher nicht möglich. Es gab nur die Wir halten die Formulie rung „ortsübliche Ver- Grundpflege und die hauswirtschaftlichen Ver- gütung“ für nicht ausreichend. Wir schlagen richtungen. Insofern sind wir sehr davon ange- stattdessen vor, § 72 Abs. 3 SGB XI um die tan, dass hier gerade zur Entlastung der Ange- Formulierung „ange messene tarifliche Arbeits- hörigen von demenziell Erkrankten die zusätz- vergütung“ zu ergänzen. Denn wir denken, liche Möglichkeit eröffnet wird, Betreu- dass der Begriff „ortsübliche Vergütung“ zu ungsleistungen im ambulanten Bereich durch schwammig ist. das Poolen zu erbringen.

Selbstverständlich hätten auch wir uns für die SVe Dr. Elisabeth Fix (Deutscher Caritasver- demenziell Erkrankten eine Leistungs- band e. V.): Ich kann mich meiner Vorrednerin ausweitung im Rahmen der Einzelleistung und vollumfänglich anschließen und möchte ergän- nicht nur im Rahmen des Poolens gewünscht. zen, dass nach Art. 140 des Grundgesetzes in Wir gehen aber davon aus, dass dieses dann im Verbindung mit Art. 137 der Weimarer Rahmen der Überarbeitung des Pflegebedürf- Reichsverfassung die Arbeitsvertragsrichtlinien tigkeitsbegriffes berücksichtigt wird. Wir sind der Kirchen einem besonderen Schutz unterlie- der Auffassung, dass es sich hier um einen gen. Im kirchlichen Bereich gibt es keine Ta- Teilschritt in die richtige Richtung handelt, den rifverträge, sondern tarifliche Regelungen, die wir insbesondere vor dem Hintergrund begrü- nach einem anerkannten geregelten Verfahren ßen, dass hier die sogenannten neuen Wohn- zustande kommen. Insofern halten wir auch formen rechtskonformer versorgt werden kön- aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Er- nen. Damit ist eine zusätzliche, flexible Mög- gänzung der für den Abschluss von Versor- lichkeit der Ausgestaltung gegeben. gungsverträgen vorgesehenen Bedin gung einer ortsüblichen Vergütung um den Begriff „tarif- Abg. Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): liche Vergütung“ für angemessen. Ich habe zwei Fragen. Die erste Frage, die ich an das Diakonische Werk, an die Caritas und an den bpa richte, behandelt die ortsübliche SV Bernd Tews (Bundesverband privater An- Vergütung. Wie ist aus Ihrer Sicht zu bewer- bieter sozialer Dienste e. V.): Zunächst zur ten, dass Versorgungsverträge an eine ortsübli- ersten Frage, was die ortsübliche Vergütung che Vergütung der Pflegekräfte gebunden wer- angeht; dazu hatte ich vorhin schon Ausfüh- den sollen? In der Gesetzesbegründung wird rungen gemacht. Wir sind der Auffassung, dass die ortsübliche Vergütung mit dem Tariflohn die Begrifflichkeit „ortsübliche Vergütung“ - gleichgesetzt. Gibt es überhaupt einheitliche sie wird in der Gesetzesbegründung durch den Tariflöhne in der Pflegebranche? Begriff „tarifliche Vergütung“ gefestigt - jede Menge Schwierigkeiten mit sich bringen dürf- Die zweite Frage, die das Thema Ge- te. In der Pflege gibt es - Frau Widmann-Mauz, samtversorgungsvertrag behandelt, richte ich das hatten Sie in Ihrer Frage schon angedeutet - an den bpa, an den Bundesverband Ambulante keinen Einheitstarifvertrag, keinen Flächenta- Dienste und Stationäre Einrichtungen, an die rifvertrag. Frau Dr. Fix hat gerade ein Spezia l- Verbraucherzentrale Bundesverband und an die problem angesprochen; es gibt also diverse Bundesinteressenvertretung der Nutzerinnen unterschiedliche tarifliche Regelungen. Inso- und Nutzer von Wohn- und Betreuungsangebo- fern besteht das Problem: Wenn, wie es jetzt ten im Alter und bei Behinderungen. Mich im Gesetzentwurf vorgesehen ist, für den Ab- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 57

schluss von Versorgungsverträgen die Bedin- che Fragen beantworten müssen und nach ei- gung einer ortsüblichen Vergütung eingeführt nem halben Jahr einen Zwischenbescheid ge- würde, würde gegebenenfalls ein Durch- ben. Insofern hilft es uns nicht, wenn nur meh- schnittswert für die jeweilige Berufsgruppe rere Verträge hintereinander geheftet werden verankert werden. Das würde bedeuten: Es gibt und obendrauf Gesamtversorgungsvertrag sozusagen einen Durchschnittstarif für die je- steht. Wenn man einen solchen ermöglichen weilige Berufsgruppe, nach der dann vergütet will, dann müssen wir ein durchlässiges Leis- werden müsste. Die Einrichtungen, die mehr tungssys tem haben. So viel Freiheit müssen als die sen Tarif zahlen, würden die zusätzli- wir dann wagen und auf viele vorherige Rege- chen Kosten, die sie für ihre Arbeitnehmer lungen verzichten. Wenn die Leistung in Kom- aufzuwenden haben, vermutlich nicht von den bination erbracht werden kann, können wir Pflegekassen refinanziert bekommen, weil nur die se viel besser am Bedarf der Versicherten ein ortsüblicher durchschnittlicher Tarif lohn ausrichten. Insofern befürworten wir die Mög- vorgesehen würde. Das würde im Übrigen lichkeit eines Gesamtversorgungsvertrages auch für viele der privaten Pflegeein richtungen ausdrücklich. gelten, die in der Regel übertarif lich zahlen. Gerade bei den jüngeren Arbeit nehmerinnen und Arbeitnehmern würde das zum Tragen SVe Astrid Grunewald-Feskorn (Bundesinte- kommen. ressenvertretung der Nutzerinnen und Nutzer von Wohn- und Betreuungsangeboten im Alter Vor diesem Hintergrund sind wir der Auf- und bei Behinderung e. V.): Wir schließen uns fassung, dass diese Regelung dazu führen wür- den Ausführungen des bpa zum Gesamtversor- de - das hat auch schon der Bundesrat in seiner gungsvertrag an; auch wir sehen dies unter Stellungnahme befürchtet -, dass das Selbst- dem Strich so. kostendeckungsprinzip, einhergehend mit der Abschaffung des externen Vergleich, einge- führt werden würde und damit ein Großteil der SV Dieter Lang (Verbraucherzentrale Bun- Kosten, die den Pflegeeinrichtungen entstehen, desverband e. V.): Auch wir halten den Ge- ausschließlich dem Selbstkostendeckungs- samtversorgungsvertrag für durchaus praxisge- prinzip übereignet und so zu einem durch- recht. Da gibt es keine Einwendungen. laufenden Posten bei der Vergütung werden würde. Das ist aus unserer Sicht eigentlich mit der Verabschiedung des Pflege-Versicherungs- SV Sebastian A. Froese (Bundesverband Am- gesetzes ausgeschlossen worden, indem seiner- bulante Dienste und Stationäre Einrichtungen zeit das Selbstkostendeckungsprinzip genau e. V.): Auch wir können uns den Ausführungen vor diesem Hintergrund abge schafft und Wett- von Herrn Mauel anschließen. Wir halten das bewerb eingeführt wurde. Das halten wir nach für eine sachgerechte Lösung, die letztendlich wie vor für die optimalere Lösung und plädie- bürokratische Hürden abbaut und im Zweifels- ren dafür, dass die in § 72 SGB XI vorgesehe- falle sogar wirtschaftlich von Vorteil ist. ne Regelung entsprechend gestrichen wird.

Abg. Maria Eichhorn (CDU/CSU): Meine SV Herbert Mauel (Bundesverband privater Frage richtet sich an mehrere Verbände: an den Anbieter sozialer Dienste e. V.): Zum Gesamt- Deutschen Frauenrat, den Deutschen Verein versorgungs vertrag. Wir halten diese Möglic h- für öffentliche und private Fürsorge, den Cari- keit für notwendig, um die Leistungen konse- tasverband, den VdK und die Spit zenverbände quent am Bedarf der Versicherten ausrichten der Pflegekassen. Es geht um die soziale Abs i- zu können. Es kann nicht sein, dass Frau Mül- cherung der Pflegepersonen, die die vorgese- ler im benachbarten Heim fragt: „Können Sie hene Pflegezeit von sechs Monaten beanspru- morgen Nachmittag meine Mutter betreuen?“ chen. Wie bewerten Sie die vorgesehene sozia- und wir erst unglaublich viele leistungsrechtli- le Absicherung, insbe sondere die Regelung zu Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 58

den Rentenversicherungsbeiträgen? Sehen Sie der Pflegezeit für unabdingbar. Personen, die eine Möglichkeit, dass wir dieses Geld zum diese Auszeit nehmen werden, werden über- Beispiel zusätzlich für Demente verwenden, wiegend Frauen sein, die ohnehin häufig auch oder halten Sie die soziale Absicherung in der aus anderen Gründen, zum Beispiel Kinderer- Weise, wie es jetzt vorgesehen ist, für unbe- zie hung, eine gebrochene Berufsbiografie ha- dingt erforderlich? ben, sodass jeder Monat der Beitragszahlung zählt.

SV Henny Engels (Deutscher Frauenrat e. V.): Wir halten eine soziale Absicherung dieser SV Jens Kaffenberger (Sozialverband VdK Pflegepersonen für unabdingbar notwendig. Es Deutschland e. V.): Auch wir halten diese Re- ist heute mehr fach darauf hingewiesen worden, gelung für dringend notwendig. Es sind insbe- dass viele Frauen diese Pflegezeit wahrneh- sondere Frauen, die die Verantwortung für die men. Frauen unterbrechen ihre Erwerbstätig- Pflege ihrer Angehörigen übernehmen. Diese keit und damit den Erwerb eigenständiger Ren- Regelung soll ja verhindern, dass ihnen daraus tenversicherungsansprüche bekanntlich des übermäßige Nachteile entstehen. Deswegen ist Öfteren: erst durch Kindererziehung, dann es richtig, dass, wenn keine Familienversiche- durch Pflege. Wir alle wollen wieder mehr rung vorliegt, zumindest Krankenversiche- Kinder; daher tritt dies zukünftig noch häufiger rungs zuschüsse gezahlt werden, damit eine ent- auf. Deshalb denken wir, dass eine soziale sprechende Absicherung erfolgt. Auch Leis- Absicherung zwingend erforderlich ist. tungen zur Arbeitslosenversicherung müssen sichergestellt werden. Analog zur Elternzeit bei kleinen Kindern müssen Regelungen zu Ren- SV Michael Löher (Deutscher Verein für öf- tenleistungen gelten. fentliche und private Für sorge e. V.): Im Grundsatz wird die Zielrichtung begrüßt. Wir sind der Auffassung, dass die Anforderungen SV Paul-Jürgen Schiffer (Verband der Ange- an die Arbeitsorganisatio nen in den Betrieben, stellten-Krankenkassen e. V./Arbeiter- die durch die Inanspruchnahme von Pflegezeit Ersatzkassen-Verband e. V.): Die Spitzenver- entstehen, aufgrund des hohen Nutzens der bände stimmen dem, was zuvor ausgeführt Pflegezeit sowie zugunsten der Pflegebereit- wurde, zu. Auch wir sehen das als dringend schaft von Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh- notwendig an. mern und der Kultur des Pflegens in der Be- völkerung zu vernachlässigen sind. Wir lehnen allerdings ab, dass nunmehr der Anspruch auf Abg. Hermann-Josef Scharf (CDU/CSU): Pflegezeit gegenüber Arbeitgeberinnen und Meine Frage richtet sich an den bpa: Ist es Arbeitgebern mit in der Regel 15 oder weniger ausreichend, dass sowohl für Verhinderungs- Beschäftigten ausgeschlossen sein soll. Im als auch für Kurzzeitpflege ein fixer Betrag Referentenentwurf war noch von Arbeit- vorgesehen ist, der dazu führt, dass die Mög- geberinnen und Arbeitgebern mit in der Regel lichkeit der Leistungsinanspruchnahme mit der zehn oder weniger Beschäftigten die Rede. Pflegestufe abnimmt? Welche Auswirkungen hat dies auf die Versicherten der unterschiedli- Im Zusammenhang mit der Frage der Renten- chen Pflegestufen und deren Angehörige? versicherung sind wir der Auffassung, dass dies bei der Pflegezeit analog zur Elternzeit geregelt werden sollte. SV Bernd Tews (Bundesverband privater An- bieter sozialer Dienste e. V.): Im Hinblick auf die Einführung einer Regelung zur Kurzzeit- SVe Dr. Elisabeth Fix (Deutscher Caritasver- pflege sind wir der Auffassung, dass sowohl band e. V.): Wir halten die vorgesehenen Re- die Kurzzeit pflege als bestehendes Element, so gelungen der sozialen Absicherung während wie sie gegenwärtig durchgeführt wird, als Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 59

auch ergänzend die Entlastungspflege, die der SVe Erika Stempfle (Diakonisches Werk der Entlastung der pflegenden Angehörigen bei Evangelischen Kirche in Deutschland e. V.): Krankheit oder anderen Dingen dient, in der Wir unterstützen zunächst einmal die Positio- ambulanten Pflege durchführbar sein sollten. nierungen des Deutschen Pflegerats. Unserer Insofern regen wir an, an dieser Stelle neben Ansicht nach könnte ein Grund zum Abschluss der sogenannten Urlaubspfle ge die Möglichkeit eines Vertrages mit einer Einzelpflegekraft der Kurzzeitpflege in der Häuslichkeit als zu- sein, dass dies den Wünschen des pflegebe- sätzliche Entlastung einzuräumen. dürftigen Menschen entspricht. Das ist unserer Ansicht nach zu respektieren. Das ist insbe- sondere dann der Fall, wenn es um den Bereich Abg. Jens Spahn (CDU/CSU): Ich hätte einige der Assistenzverhältnisse bei Menschen mit Fragen zur Einzelpflegekraftregelung, zu dem Behinderungen geht. geplanten § 77 SGB XI, und zwar an den Deut- schen Pflegerat, das Diakonische Werk der Wir halten es allerdings nicht für erforderlich, EKD und den bpa: Einzelpflegekräfte sollen generell die Zulassung von Einzelpfle gekräften insbesondere dann eingesetzt werden, wenn zu eröffnen. dies besonders wirksam und wirtschaftlich ist. Welche Auswirkungen könnte diese Regelung Ansonsten unterstützen wir die Forderungen auf die Vergütung der Leistungen von Einze l- des Deutschen Pflegerats. Es müssen Verträge pflegekräften haben? Ergänzend an die Spit- nach § 120 SGB XI abgeschlossen werden. Die zenverbände der Pflegekassen die Frage, wel- Qualitätssicherung muss Anwendung finden. che Erfahrungen sie bisher mit Verträgen für Es muss eine tarifliche Vergütung geben, und Einzelpflegekräfte gemacht haben und wie es müssen Preise nach § 89 SGB XI verabredet hoch die Zahl der momentanen Verträge ist? werden. Es muss also gleiche Kriterien geben wie für die zugelassenen ambulanten Pflege- dienste. SVe Ulrike Döring (Deutscher Pflegerat e. V.): Wir befürchten, dass weit weg von den Überlegungen eines freien Marktes mit der SV Bernd Tews (Bundesverband privater An- Formulierung „besonders wirksam und wirt- bieter sozialer Dienste e. V.): Wir schließen schaftlich“ Lohndumping auf uns zukommt. uns den hierzu gemachten Ausführungen an. Wir sagen Ja zu Einzelpflege kräften, aber unter folgenden Bedingungen: Grundsätzlich muss es sich um Pflegefachkräfte handeln; denn nur SV Paul-Jürgen Schiffer (Verband der Ange- dann ist eine ausreichende Qualität der Versor- stellten-Krankenkassen e. V./Arbeiter- gung sichergestellt. Die Auswahlkriterien für Ersatzkassen-Verband e. V.): Dies ist ja keine die Entscheidung müssen sich darauf be- grundsätzlich neue Regelung. Das bisherige schränken, dass die pflegerische Versorgung Recht des SGB XI sieht schon in § 77 den Ab- ohne den Einsatz von Einzelpflegekräften nicht schluss von Einzelverträgen vor. Von daher möglich ist und eine Versorgung durch zuge- wird diese erweiterte Regelung - es ist keine lassene Pflegedienste nicht gewährleistet wer- Neuregelung - begrüßt. den kann. Es müssen insbesondere die gleichen Qualitätsmaßstäbe an die Leistungserbrin gung von Einzelpflegekräften gestellt werden wie an Dann hat Herr Spahn die Frage gestellt, inwie- die der ambulanten Pflegedie nste. Im Rahmen weit in der Vergangenheit entsprechende Ver- des Wettbewerbs müssen ortsübliche Leis- träge geschlossen worden sind. Ich kann Ihnen tungsvergütungen analog den mit ambulanten ganz deutlich sagen, dass die Zahl sehr gering Pflegediensten in der Region ausgehandelten ist. Zu beachten bei dieser Erweiterung in § 77 Sätzen gezahlt werden, damit es nicht zu ist auch, dass bestimmte Sanktionsmechanis- Lohndumping kommt. men eingezogen worden sind, sodass es nicht

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regelmäßig zu Abschlüssen von Verträgen die Rechtsprechung, so wie sie beim BSG vor- nach § 77 kommen wird. genommen wurde, genau richtig.

Abg. Willi Zylajew (CDU/CSU): Ich bitte um SVe Erika Stempfle (Diakonisches Werk der Antwort auf die folgende Frage durch den bpa, Evangelischen Kirche in Deutschland e. V.): den Bundesverband Ambulante Dienste und Wir schließen uns den Ausführungen des bpa Stationäre Einrichtungen, das Diakonische an. Werk und die Deutsche Gesellschaft für Versi- cherte und Patienten: Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass das Inkrafttreten von Pflege- SV Sebastian A. Froese (Bundesverband Am- satzvereinbarungen und Schiedsstel- bulante Dienste und Stationäre Einrichtungen lenentscheidungen zu Pflegesatzvereinba- e. V.): Auch wir schließen uns diesen Ausfüh- rungen an die angemessene Berücksichtigung rungen an, wobei ich ergänzen möchte: Auch der Interessen der Pflegeheimbewohner zu wir sehen es als eine Selbstverständlichkeit an, koppeln ist. Unsere Frage: Ist diese Regelung dass die Interessen der Pflegeheimbewohner aus Ihrer Sic ht sachgerecht? angemessen berücksic htigt werden. Soweit der Entwurf aber implizieren sollte, dass das bisher nicht der Fall gewesen sei, möchten wir dem SV Herbert Mauel (Bundesverband privater widersprechen. Anbieter sozialer Dienste e. V.): Die angemes- sene Berücksichtigung der Interessen ist selbstverständlich sachgerecht. Wir befürchten SV Wolfram-Arnim Candidus (Deutsche aber, dass sich dahinter etwas verbirgt, wozu es Gesellschaft für Versicherte und Patienten e. auch in den letzten Jahren immer wieder erheb- V.): Ich schließe mich ebenfalls an, muss aber liche Streitereien und eine höchstrichterliche etwas hinzufügen: Wir haben mit Schiedsstel- Rechtsprechung des BSG gab. Es geht zum len in allen Bereichen des Gesundheitswesens Beispiel darum, dass eine Entgelterhöhung keine hervor ragende Erfahrung. Das betrifft angekündigt wurde, Einsichtnahme gewährt nicht nur die Pflege; das betrifft auch die medi- wurde, der Heimbeirat angehört wurde usw. zinische Versorgung. Wir erleben es - wir sind und man sich dann in der Verhandlung nicht selber am Schiedsausschussverfahren in Rhein- einigen kann. Anschlie ßend tagt die Schieds- land-Pfalz beteiligt -, dass die Fälle immer stelle, und das dauert in Einzelfällen Monate. zugunsten derer ablaufen, die Leistungen zu Die Frage ist, ob die Erhöhung dann zum an- erbringen haben, und zula sten des Patienten - gekündigten Zeitpunkt wirksam gemacht wer- bis auf 1,2 bis 1,5 Prozent. Das müssen wir im den kann oder ob durch eine erhebliche Verzö- Bereich der Pflege verhindern; denn hier liegen gerung völlig neue Kalkulationsgrundlagen ge- komplexe Dinge vor, die durch das, worüber schaffen werden. Wir möchten auf gar keinen wir heute diskutiert haben, nicht einfacher, Fall - das haben wir schon erlebt -, dass die zu sondern eher komplexer werden. einem bestimmten Zeitpunkt angekündigte und vereinbarte oder festgesetzte Erhöhung über Aus meiner Sicht müssen wir also dafür Sorge zielgerichtetes Zuwarten schlichtweg verscho- tragen, dass die Interessen der Versicherten ben oder unterlaufen wird. und Patienten bei allen unseren Überlegungen, bei jedem Gesetz, bei jeder Handhabung und bei regionalen und überregionalen Strukturen Insofern ist es selbstverständlich richtig, eine in den Vordergrund gestellt werden. angemessene Berücksichtigung zu wahren. Aber ein Instrument zu eröffnen, mit dem die Umsetzung von Entgeltvereinbarungen mona- Abg. Jens Spahn (CDU/CSU): Ich hätte an telang verzögert werden kann, halten wir für das Diakonische Werk, die Arbeitsgemein- schlichtweg falsch. Unserer Ansicht nach ist schaft der Deutschen Familienorganisationen Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 61

und die Bundesinteressenvertretung der Nutze- einer familiennahen Regelung Nachbes- rinnen und Nutzer von Wohn- und Betreuungs- serungsbedarf. angeboten im Alter und bei Behinderung die Frage, wie sie die vorgesehenen Regelungen in § 87 a SGB XI bewerten, wonach der Heim- SVe Astrid Grunewald-Feskorn (Bundesinte- vertrag am Tag des Auszuges oder des Todes ressenvertretung der Nutzerinnen und Nutzer beendet wird und wie die Regelungen heute von Wohn- und Betreuungsangeboten im Alter aussehen. Eine Zusatzfrage an die Caritas: Ist und bei Behinderung e. V.): Das Problem ist, aus Ihrer Sicht eine detaillierte gesetzliche dass die bisherige heimgesetzliche Regelung Regelung für Abwesenheitszeiten erforderlich? und die Regelung in SGB XI auseinanderfal- Das wäre dann unsere letzte Frage für heute im len. Das ist in der Praxis ein Problem; das ver- Sinne christlich-demokratischer Effizienz. Wir steht kaum einer, der vor dieser Situation steht. danken Ihnen allen für die Ausführungen. Deshalb sind auch wir dafür, dass man das SGB XI dem derzeitigen Heimrecht anpasst und den Leistungsbezug verlängert. Vorsitzende Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Aber es ist noch nicht Schluss; es geht noch weiter. SVe Dr. Elisabeth Fix (Deutscher Caritasver- band e. V.): Wir halten eine Regelung, wonach Heimbewohner für fünf Tage Zuschläge für SVe Erika Stempfle (Diakonisches Werk der Entgeltbestandteile, betreffend Wohnraum- Evangelischen Kirche in Deutschland e. V.): und Investitionskosten, zahlen müssen, für Wir halten die Regelung, die im Gesetzentwurf angemessen, sehen hier also gegenüber dem vorgesehen ist, für nicht zielführend, weil sie geltenden Heimgesetz durchaus Modifizie- impliziert, dass die Angehörigen am Tag des rungsbedarf. Todes das Zimmer räumen bzw. ausziehen müssen. Das halten wir für ethisch nic ht ver- Was Ihre Zusatzfrage zu Abschlägen bei Ab- tretbar. Wir denken, dass ein Mensch aus ethi- wesenheit anbelangt, sehen wir keinen Rege- schen Gründen das Recht hat, nach seinem Tod lungsbedarf. Die Rahmenverträge nach § 75 noch eine Weile in seiner Wohnung oder in SGB XI regeln bereits die Abschläge bei Ab- seinem Zimmer zu bleiben. Deshalb stößt diese wesenheit. Diese Regelungen sollten weiterhin Regelung oft auf Unverständnis und Able h- den Vertragspartnern überlassen bleiben. Wir nung. Wir denken, dass es Sinn machen könn- sehen also in diesem Punkt keinen weiteren te, die vor gesehene Regelung an die Regelung Regelungsbedarf in § 87 a SGB XI. des jetzigen Bundesheimrechtes anzupassen.

Vorsitzende Abg. Dr. Martina Bunge (DIE SVe Iris Emmelmann (Arbeitsgemeinschaft LINKE.): Jetzt schließe ich die Fragerunde der der Deutschen Familienorganisationen CDU/CSU-Fraktion mit einem Dank ab und e. V./Deutscher Familienverband e. V.): Wir komme zur letzten Runde der SPD-Fraktion. haben diese Frage in unserer Stellungnahme nicht behandelt. Ich möchte mich aus der Er- fahrung, die wir von unseren Mitgliedsfamilien Abg. Dr. Carola Reimann (SPD): Ich möchte mitgeteilt bekommen haben, der Vorrednerin die Runde noch einmal mit einer Frage nach anschließen. Das betrifft durchaus nicht nur der Pflegezeit beginnen und den DGB, die solch eine Einzelregelung. Es geht vielmehr Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Famili- darum, zu schauen, unter welchen psychischen enorganisationen, die Deutsche Alzheimer- Belastungen Familien stehen, die gepflegt ha- Gesellschaft, den Deutschen Hospiz- und Palli- ben und jetzt ertragen müssen, dass beispiels- ativ-Verband und den SoVD fragen: Wie be- weise ihre alten Eltern, ihre alten Verwandten werten Sie die Zielsetzung des Pflegezeit- gestorben sind. Von daher besteht hier als Teil gesetzes, und werden durch das Gesetz die Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 62

Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von ben, obwohl sie in Teilzeit sind, Pfle gezeit zu Erwerbstätigkeit und Angehörigenpflege Ihrer beantragen, damit sie vor Überstunden oder Ansicht nach verbessert und wird die Pflegebe- Mehrarbeitsanforderungen gefeit sind. Wir reitschaft gefördert? meinen, dass es erforderlich und richtig ist, dass im Gesetzentwurf ein weiter Beschäfti- gungsbegriff unterlegt wird und auch arbeit- SVe Helga Nielebock (Deutscher Gewerk- nehmerähnliche Personen mit einbezogen sind. schaftsbund): Der DGB begrüßt die Zielset- zung des Pflegezeitgesetzes und hält es für Wir haben in unserer Stellungnahme abgelehnt, richtig, dass dies in einem eigenständigen Ge- dass Kleinbetriebe mit bis zu 15 Beschäftigten setz geregelt wird. Er begrüßt, dass es eine nicht einbezogen und diese Beschäftigten von kurzzeitige Unterbrechung der Arbeitszeit und vornherein ausgegrenzt werden. Das sind im- dadurch eine Freistellung zur Akutpflege eben- merhin 6,5 Millionen Beschäftigte in so wie eine bis zu sechs Monate vorgesehene 1,8 Millionen Betrieben. Sie grenzen damit Vollfreistellung und die Möglichkeit zur Teil- viele Personen von der Möglichkeit aus, eine freistellung geben soll. Vollfreistellung oder eine Teilfreistellung in Anspruch zu nehmen. Wir bedauern es außerordentlich, dass die noch im Referentenentwurf enthaltene Bezahlung Was die Frage der sonstigen Details angeht, der bis zu zehn Tage vorgesehenen Möglic h- habe ich bei der Beantragung einer Teilfreistel- keit zur Akutpflege und Unterstützung entfal- lung die dringende Anregung, dass in diesem len ist. Wir regen in einer ge meinsamen Erklä- Zusammenhang das Erfordernis der Schrift- rung mit anderen Verbänden dringend an, die form nicht zwingend festgelegt wird und es Bezahlung dieser zehn Tage wieder vorzuse- ausreicht, dass der Arbeitgeber dringende be- hen. Das würde nämlich die Vereinbarkeit von triebliche Gründe einwendet. Wenn er diese Beruf und Familie besser fördern. Außerdem nicht einwendet, gilt dies als Fiktion, und dann sollte eine Bezahlung davon abhängig gemacht wird der Antrag als bewilligt angesehen. Das werden, wie viel die einzelnen Personen ver- ist unbürokratisch, gibt je dem Menschen, der dienen und ob sie es sich überhaupt leisten einen solchen Antrag gestellt hat, Rechtskla r- können, ihre nahen pflegebedürftigen Angehö- heit - und dies innerhalb der notwendigen Zeit, rigen im Akutfall zu unterstützen. Deshalb sind die nur zehn Tage umfassen darf; denn sonst ist wir der Auffassung, dass die Zahlung eines möglicherweise ein Anschluss nicht möglich. Pflegeunterstützungsgeldes wieder vorgesehen Ich würde hier dringend darum bitten, dass werden sollte. diese Änderung durchgeführt wird.

Was die sonstige Ausgestaltung der Pfle gezeit Ich habe eine weitere Anregung, was das Zu- angeht, halten wir die vorgesehenen Regelun- sammenspiel im Hinblick auf die Frage angeht, gen für sachgerecht. Wir regen dringend an, wann mindestens die Pflegestufe I vorliegt, dass nach Beendigung einer Vollfreistellung damit eine Vollfreistellung oder Teil- oder einer Teilfreistellung das Recht zur Rück- freistellung überhaupt in Anspruch genommen kehr auf den bisherigen Arbeitsplatz bzw. zur werden kann. Wir hatten vorhin die Dis- bisherigen Tätigkeit ausdrücklich im Gesetz kussion, dass bei denjenigen, die im Kran- vorgesehen wird. Das erscheint auch im Hin- kenhaus liegen, dieser Antrag in einer Be- blick auf die gleichlautende Regelung zur El- gutachtungszeit von möglichst einer bzw. zwei ternzeit sinnvoll. Hier sollte es dann keinen Wochen bewilligt oder abgelehnt werden soll, Abbruch geben, also möglicherweise andere dass dann also Klarheit besteht. Es ist gesagt Tätigkeitszuweisungen oder das Verlangen worden, man wolle den Zeitraum für die Fest- anderer Arbeitszeiten. stellung der Pflegestufe auf insgesamt fünf Wochen reduzieren. Das ist erfreulich; denn Wir halten es allerdings für erforderlich, dass die Zeiten sind jetzt viel länger. Was ist aber in auch Teilzeitbeschäftigte die Möglichkeit ha- dem Fall, in dem jemand zu Hause bereits Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 63

pflegebedürftig ist, dies aber noch nicht festge- ein fach so: Mir nützt eine Freistellung relativ stellt worden ist und eine Voll- oder Teilfrei- wenig, wenn ich mir als pflegender Angehö- stellung für die Pflege erforderlich ist? Hier riger die Pflege nicht leisten kann. Wir haben müsste als Auffanglösung ein ärztliches Attest heute leider sehr wenig von der geplanten für die Freistellung ausreichen, wenn die Pfle- Ausgestaltung des Pflegegeldes für die häusli- ge nicht anders geleistet werden kann und man che Pflege gehört. im Anschluss an die zehn Tage, die man even- tuell für eine Akutpflege nutzt - fünf Wochen Ich will das jetzt auch nicht weiter ausführen, sind doch wesentlich länger -, eine Voll- oder weil die Frage eine andere ist. Aber wenn es so Teilfreistellung in Anspruch nehmen muss, bleibt, dass das Pflegegeld über vier Jahre hin- weil man es in den zehn Tagen nicht anders weg nur um 30 Euro erhöht werden soll, muss gelöst bekommen hat. Das wäre für Sie viel- ich sagen: Da stimmt etwas nicht bei der Aus- leicht eine Kleinigkeit, ist aber für die Praxis gestaltung der im Pflege-Versicherungsgesetz möglicherweise von Bedeutung. als vorrangig angesehenen häuslichen Pflege.

Im Hinblick auf den zweiten Teil des Pfle - SVe Iris Emmelmann (Arbeitsgemeinschaft gezeitgesetzes, die Freistellung wegen kurzze i- der Deutschen Familienorganisationen tiger Arbeitsverhinderung nach § 2, halten wir e. V./Deutscher Familienverband e. V.): Wir es für dringend erforderlich, dass die Lohnfort- unterstützen prinzipiell die Idee der Pflegezeit. zahlung durchgesetzt wird. Es ist nicht hin- Wir halten das für ein grundsätzlich sinnvolles nehmbar und für uns nicht nachvollziehbar, Angebot an Menschen, die ihre Angehörigen dass in diesen zehn Tagen die Angehörigen pflegen möchten und plädieren für eine Aus- ohne Lohn oder Gehalt auskommen müssen. weitung auf weitere nahestehende Personen, Wir insbesondere Probleme mit Blick auf das zum Beispiel auf Nichten und Neffen. Fortlaufen der sozialversicherungsrechtlichen Absicherung während die ser Zeit. Deswegen Die vorgesehenen sechs Monate der Pflegezeit la utet unsere sehr drin gende Forderung, in sind zeitlich sehr knapp bemessen. Die durch- dieser Frage einen Weg aufzuzeigen, wie Lohn schnittlichen Pflegezeiten sind wesentlich lä n- und Gehalt fortgezahlt werden. Möglich wären ger. Wir halten es daher zumindest für erfor- etwa eine analoge Regelung zu der, die für derlich, dass man sehr intensiv beobachtet, wie Krankentage bei Kindern gilt, oder ein Umla- sich die Inanspruchnahme der Pflegezeit ent- geverfahren. wickelt, und dies in einem zeitnahen Berichts- Wir haben uns auch mit dem Argument ausei- wesen aufbereitet, um zu sehen, ob eine Ver- nandergesetzt, dass der bestehende, ungefähr längerung eventuell erforderlich wäre. Sechs 30tägige Urlaubsanspruch bereits ausreiche Monate sind ein sehr kurzer Zeitraum. und darüber mit Mitgliedsfamilien, die pflegen und die Pflege organisieren müssen, gespro- Ein weiteres Problem, das wir in der An- chen. Tatsächlich führt in diesen Familien die spruchsvoraussetzung sehen, ist die Kleinbe- Bewältigung plötzlich eintretender Pflegefälle triebsklausel, also die Ausnahme aller Mitar- bereits jetzt dazu, dass sie einen großen Teil beiterinnen und Mitarbeiter in Betrieben mit ihres Erholungsurlaubs für die Organisation bis zu 15 Beschäftigten. Das ist die große von Pflege verwenden. Mit der Organisation Mehrheit der Arbeitnehmerbevölkerung; das von Pflege sind sie psychisch und zum Teil muss man sich klarma chen. Auch hier gibt es auch physisch sehr gefordert. Es wäre sicher Verbesserungsbedarf und zumindest den auch im Sinne der Arbeitgeber, dass Arbeit- Wunsch, das sehr genau zu beobachten. nehmer nicht zu einem großen Teil ihren Erho- lungsurlaub dafür einsetzen. Daher der Appell, Aber wie sich die Rahmenbedingungen für die in Bezug auf diese zehn Tage eine Lösung zu häusliche Pflege durch die Gewährung von finden, damit Familien die Organisation von Pflegezeit verbessern, steht und fällt vor allem Pflege ohne finanzielles oder absicherungs- mit der Ausgestaltung des Pflegegeldes. Es ist rechtliches Risiko leisten können. Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 64

SVe Sabine Jansen (Deutsche Alzheimer- nämlich nicht nur die Einstufung in eine Pfle- Gesellschaft e. V.): Die Details sind jetzt schon gestufe, sondern auch die Indikationsstellung ausführlich besprochen worden; deswegen im Sinne einer Versorgung nach § 37 b die möchte ich mich grundsätzlich äußern. Möglichkeit eröffnet, eine Pflegezeit zu neh- men. Wir haben in unserer Stellungnahme auch Auch wir befürworten die Pflegezeit. Wir konkrete For mulierungsvorschläge mit Blick glauben, dass das zu einer Entlastung führen auf die §§ 1, 3 und 7 des Pflegezeitge setzes wird und pflegenden Angehörigen, insbeson- gemacht. dere Frauen, helfen wird, nicht vorschnell Ent- scheidungen zu treffen, etwa ihre Arbeit auf- Es gibt klare statistische Zahlen dazu. Im All- zugeben oder aufgrund des Drucks nach einer gemeinen ist es so - das betrifft über die Hälfte stationären Einrichtung zu suchen. Gerade der Fälle -, dass selbst Menschen, die eine rela- häusliche Arrangements brauchen Zeit und tiv lange palliativmedizinische Versorgung Überlegung. hinter sich haben, nicht in eine Pflegestufe eingestuft sind. Einen weiteren Aspekt, warum die Pfle gezeit wichtig ist, möchte ich noch anführen. Ich meine die Wertschätzung, die pflegende Ange- SV Jens Kaffenberger (Sozialverband VdK hörige in diesem Gesetz erfahren. Die Wert- Deutschland e. V.): Auch wir begrüßen die schätzung ist dabei umso höher, je besser die Einführung der Pfle gezeit; ich kann mich den Pflege vergütet wird. Vorrednerinnen da im Grunde genommen nur anschließen. Ich möchte aber deutlich machen, dass auch wir finden, dass eine zehntägige SVe Dr. Brigitte Weihrauch (Deutscher Hos- bezahlte Freistellung aus unserer Sicht erfor- piz- und Palliativ-Verband e. V.): Der Deut- derlich ist, gerade um die Pflege zu Hause und sche Hospiz- und Palliativ-Verband begrüßt das entsprechende Arrangement kurzfristig ebenfalls grundsätzlich, dass es jetzt bei Pfle- organisieren zu können. Dafür wäre der An- gebedürftigkeit einen Rechtsanspruch nach spruch auf eine bezahlte Freistellung sehr sinn- dem SGB XI geben soll, eine solche Pflegezeit voll. nehmen zu können. Wir möchten aber auch darauf hinweisen, dass die Menschen, die pa l- Abg. Hilde Mattheis (SPD): Nachdem in der liativmedizinisch oder hospizlich versorgt wer- letzten Fragerunde so ausführlich auf die Frei- den, also Menschen in ihrer letzten Lebenspha- stellung eingegangen worden ist, möchte ich se, sehr häufig eine genauso intensive häusli- jetzt eine Frage zum Pflegebudget stellen, und che Betreuung durch ihre Angehörigen benöti- zwar an Professor Klie. Ich hätte gern von Ih- gen. Diese Menschen sind in ihrer überwie - nen gewusst: Wie hoch schätzen Sie die Kos- genden Zahl nicht in einer Pflegestufe einge- ten für die Pflegeversicherung ein, wenn das stuft. Wir wünschen uns daher, dass die Mög- persönliche Budget als Regelleistung einge- lichkeit, Pflegezeit zu nehmen, auch auf Ange- führt würde? An die Vertreter der AWO und hörige von Menschen ausgedehnt wird, die in der Diakonie habe ich die zusätzliche Frage: der letzten Lebensphase palliativmedizinisch Wie wird sich die Situation für die Anbieter betreut werden, und zwar besonders vor dem ändern, wenn sie mit Pflege budgets agieren Hintergrund, dass wir den neuen § 37 b So- müssen? zialgesetzbuch V umsetzen, der den Vorrang der häuslichen Versorgung schwerstkranker und sterbender palliativmedizinisch versorgter SV Prof. Dr. Thomas Klie (Deutsche Gesell- Menschen vorsieht. Das hat natürlich auch schaft für Gerontologie und Geriatrie e. V.): damit zu tun, dass Angehörige die Möglichkeit Ich habe ja vorhin schon kurz angedeutet, dass erhalten, solche Patienten zu pflegen. Wir wür- ich die Zeit für eine regelhafte Einführung des den daher vorschlagen, dass in diesem Gesetz Pflegebudgets noch nicht für gekommen sehe. eine Erweiterung vorgenommen wird, dass Gleichwohl ist es natürlich wichtig, mittelfris- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 65

tig abschätzen zu können, welcher Aufwand absichert. Hierfür eignet sich das Instrument und welche Nachfrage sich mit der Budgetie- der Zielvereinbarungen in denen auch die Leis- rungsoption für Pflegeleistungen ergeben. Be- tungsform definiert wird. fragungen in zwei Modellregionen, in denen wir dies erproben, haben das Ergebnis ge- bracht, dass etwa mit einem grundsätzlichen SV Rainer Brückers (Arbeiterwohlfahrt Bun- Interesse von bis zu 30 Prozent der Versicher- desverband e. V.): Wir halten das grundsätzlich ten zu rechnen ist. Diese Zahl ist etwas hoch für positiv, weil da mit bedarfsindizierte Leis- gegriffen. Wir ha ben nach den Mentalitäten der tungen ermöglicht werden. Es wird natürlich 40- bis 65-Jährigen gefragt, nämlich, wie sie notwendig sein, dass die Seite der Leistungs- sich die Bewältigung von Pflegebedürftigkeit erbringer zu einer höheren Flexibilität bei ihren vorstellen. Deutlich war, dass man es sich nicht Angeboten kommt und dass sie aufgrund des- gut vorstellen kann, „unschlüssige“ Tauschbe- sen in Bereichen Angebote macht, wo bisher ziehungen, d. h. die Sachleistungen, zu präfe- keine Angebote vorhanden waren. Es bietet da- rieren. Wir ge hen aber davon aus, dass von rüber hinaus eine große Möglichkeit der Ver- diesen 30 Prozent, die generell an einem Pfle- zahnung von privaten Netzwerken, insbe- gebudget interessiert wären, nur ein kleinerer sondere von ehrenamtlichen Strukturen vor Teil die entsprechenden Leistungen in An- Ort. spruch nehmen würde. Dazu ist zu beachten, dass die Pflegebudgetleistungen nicht dazu da Insgesamt würde dies, wenn es so, wie es im sind, dass damit nahe Angehörige finanziert Gesetzentwurf steht, umgesetzt werden würde, werden, sondern dass sie dazu dienen, dass der zu einer Verbesserung der Versorgungsstruktur Betreffende auf andere Weise Leistungen ein- für die Betroffenen führen. kaufen kann, und zwar begleitet durch Case- Management oder andere geeignete Beratung. SVe Erika Stempfle (Diakonisches Werk der Die Kosten, die damit verbunden wären, kön- Evangelischen Kirche in Deutschland e. V.): nen wir jetzt noch nicht beziffern. Aber sie Für den Bereich des § 35 a SGB XI sprechen wären letztlich ja nicht höher als die Kosten, auch wir uns dafür aus, dass in der Behinder- die die bisherigen Leistungen verursachen. tenhilfe die Sachleistungen für Menschen im Man kann davon ausgehen - das zeigen auch integrierten Budget in Geldleistungen umge- die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleit- wandelt werden. forschung -, dass vergleichsweise vielen Per- sonen aufgrund des Budgets der Heimaufent- Zum Thema „persönliches Pflegebudget“ gibt halt erspart bleibt, sodass damit auch erhöhte es in unserem Verband Pros und Kontras. Wir Heimkosten vermieden werden können. An- denken, dass die Einführung des Pflegebudgets sonsten wäre bei ausgebauter Case- an eine Begleitungs- oder Beratungsstruktur Management-Struktur und suffizientem As- gebunden sein sollte, wobei eine Frage ist, wie sessment-Verfahren, die die Pflegebedürftigen man sie nennen sollte: „Case-Management“, und alle ihre Bedarfe in den Blick nehmen, „Budgetassistenz“ oder einfach nur „Bera- Budget nicht mit höheren Kosten zu rechnen. tung“. Eine weitere Frage ist, ob es verpflic h- tend oder fakultativ sein soll. Auf jeden Fall Ich möchte betonen: Das ist kein Ersatz für das sollte es für die Betroffenen die Möglichkeit Pfle gegeld. Es muss natürlich verhin dert wer- geben, das in Anspruch zu nehmen. Wir den- den, dass es dort Mitnahmeeffekte gibt, die ken, dass die Ergebnisse des Modellversuchs sich so umschreiben lassen: Wir nehmen das ausgewertet werden müssen. Zudem muss es Pflegebudget, einfach weil es da mehr Geld entsprechende Assessment-Systeme geben. gibt. Dadurch gönnen wir uns mehr für die eigene Haushaltskasse. - Das muss verhindert Wir sehen die Chance, dass unsere Dienste werden; das kann man aber auch verhindern, andere Angebote entwickeln können, flexibler wenn man das verfahrensrechtlich intelligent sein können. Wir meinen in diesem Zusam- Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 66

menhang, dass es andere Indikatoren für die SV Henny Engels (Deutscher Frauenrat e. V.): Nachfrage als nur den Preis geben müsste. Hier Ich fange mit der letzten Frage an – das ist ja liegt eine Schwierigkeit. Sie in der SPD disku- meine Hausfrage. Um es kurz und knapp zu tieren ja über den Mindestlohn in der Pflege. sagen: Nein. Wir haben Ihnen diesen Eindruck Was ich aus den Ergebnissen des Modellver- auch schon beim GKV-WSG mitgeteilt. Wir suchs zum Pflegebudget weiß, ist, dass nach haben Ihnen damals mitgeteilt, dass für den dem Maximierungsprinzip verfahren worden Entwurf die Bewertung „hat keine gleichstel- ist. Die Personen erhielten eine Pflegesachleis- lungspolitische Relevanz“ zutrifft, aber leider tung und bekamen nun andere Leistungen. Sie für die Problemlage nicht. sind durch ein Angebotsmix entstanden, durch eine Kombination von Ehrenamtlichen und Im Fall des vorliegenden Entwurfs ist das inso- Profis. Das ist sicherlich generell sinnvoll. fern etwas besser gelungen, als Frauen bei den Aber wir denken eben auch, dass die Personen, zu Pflegenden erwähnt sind. Was Ihnen leider die diese Leistungen erbringen, davon müssen entgangen ist, ist, dass die Mehrheit der haupt- leben können. und ehrenamtlich Pfle genden ebenfalls Frauen sind. Von daher sind sie in vielfältiger Weise Ein weiteres Thema ist die Qualitätssicherung. von den Regelungen des Gesetzes betroffen. Insofern hätte dieser Aspekt deutlicher heraus- Wir stehen diesem Thema also durchaus offen gestellt werden können. Wir bedauern, dass das gegenüber und denken, dass das für bestimmte nicht geschehen ist, gla uben aber, dass der Betroffenengruppen die richtige Versorgungs- Bundestag lernfähig ist und die Regierung form ist, aber nicht die alleinige Regel- auch. Wir setzen also darauf, dass es in die ser versorgung sein sollte. Beziehung immer besser wird und Sie bei den nächsten Gesetzentwürfen den Anforderungen Ihrer eigenen Geschäftsordnung gerecht wer- Abg. Mechthild Rawert (SPD): Ich möchte den. folgende Vorbemerkungen machen: Es freut mich sehr, dass wir heute den Familienbegriff Zu den Anknüpfungspunkten, zu den Stellen nicht mehr in der traditionellen Art und Weise im Gesetz, wo der Begriff der Pflege- verstehen, nämlich dass die Frau ihn ausfüllt. bedürftigkeit aufgegriffen werden kann. Es gibt Das ist gerade auch für den Bereich der Pflege einige bei den Qualitätskriterien, bei der Frage, von hoher Bedeutung. wie Pflege überhaupt definiert wird, wozu sie dient. Ich glaube aber - das haben wir auch in Die zweite Vorbemerkung. Wir haben uns unserer Stellungnahme geschrie ben -: Damit darauf geeinigt, dass gute Arbeit auch etwas wird der missliche Umstand, dass der Begriff mit Tarifen zu tun hat. Pflegebedürftigkeit geklärt wird, nachdem das Gesetz verabschiedet sein wird, nicht aus der Ich möchte meine Fragen an den Deutschen Welt geschafft. Es ist eine halbgare Lösung. Es Frauenrat, die Bundesarbeitsgemeinschaft der ist vielleicht ein Schritt in die richtige Ric h- Senioren-Organisationen und die Lebenshilfe tung. Aber ich be fürchte, dass der Bundestag richten und auf den Pflegebegriff zurückkom- bei der Beschlussfassung über dieses Gesetz men. Meine Frage: Wo wären die konkreten deutlich machen muss, dass er sich darüber im Anknüpfungspunkte im Pflege- Kla ren ist, dass dann, wenn der Begriff Pflege- Weiterentwicklungsgesetz, wo die diskutierten bedürftigkeit geklärt ist, das Gesetz entspre- neuen Gegebenheiten - das müsste dann ja chend geändert werden müsste. Ansonsten noch beschlossen werden - im Gesetz eingefügt werden Sie der Befürchtung nicht entgegen- werden können? Als für den Bereich Frauenge- treten können, dass der Begriff der Pflege- sundheit Verantwortliche frage ich weiter: Hat bedürftigkeit den vorhandenen Ressourcen das Pflegegesetz die gender- bzw. frauenpolit i- angepasst werden soll, dass er somit nicht den schen Aspekte genügend berücksichtigt? Erfordernissen gerecht wird. Wir haben ja die gute Erfahrung mit dem GKV-WSG. Damals Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 67

haben Sie in eine Entschlie ßung das hineinge- tigkeit in dieser Reform nicht mit geklärt wer- schrieben, was Sie im Gesetz nicht regeln den kann, hat ja seine eigentliche Ursache dar- konnten. Wir hoffen sehr darauf, dass Ihnen in, dass ein neues Begutachtungsverfahren das jetzt auch gelingt. entwickelt werden soll, weg von der Minuten- pflege hin zu einer ganz anderen Form der Begutachtung, in der eben nicht der Zeitfaktor SVe Helga Walter (Bun- in den Mittelpunkt gestellt werden soll. Das desarbeitsgemeinschaft der Senioren-Orga- lässt sich nicht übers Knie brechen; das haben nisationen e. V.): Es ist müßig, darüber zu dis- wir inzwischen gelernt. Insofern kommt man kutieren, warum nicht zwei Jahre, bevor das an der Erkenntnis nicht vorbei, dass es eine Pflege-Versicherungsgesetz in Angriff ge- Reform in zwei Schritten geben wird. nommen wurde, der Pflegebedürftigkeits- begriff geklärt wurde. Ich halte sehr viel da- Wir können aber einmal im Voraus über- von, dass diese Klärung nun in aller Ruhe mit denken, was passieren wird: Wir werden einen der erforderlichen Genauigkeit erfolgt. An- Pflegebedürftigkeitsbegriff bekommen, der knüpfungspunkte im Gesetz gibt es insofern, sehr viel weiter sein wird als der jetzige. Dann als die im Gesetz vorgesehenen Pflegebe- wird es auch zunehmend zu Überschneidungen ratungsstützpunkte - wie immer sie auch hin- mit Leistungen der Eingliede rungshilfe und terher tatsächlich genannt werden - für die Teilhabe kommen. Es könnte schon jetzt disku- Betroffenen wichtige Voraussetzungen dar- tiert werden, wie man mit diesen Überschnei- stellen. Denn nach erfolgter Definition des dungen umgeht. Wir bedauern sehr, dass im Begriffs der Pflegebedürftigkeit - er soll ja vorliegenden Gesetzentwurf der Begriff der umfassend sein und soll nicht nur den Bereich Teilhabe nur an einer einzigen Stelle erwähnt der Pflegeversicherung beinhalten - brauchen wird - es ist allerdings eine zentrale Stelle -: Es sie eine Anlaufstelle, in der sie Beratung dazu ist § 12 SGB XI, in dem steht, dass zum Si- erhalten, wo bei ihrem Hilfebedarf angesetzt cherstellungsauftrag der Kassen auch die Teil- wird. Das ist für uns ein ganz wichtiger An- habe zählt. knüpfungspunkt. Deshalb kann ich nur appe l- lieren, nicht von der Vernetzung vor Ort abzu- Nur: Welche Teilhabe ist damit überhaupt ge- gehen, sondern darauf zu bestehen, dass sie vor meint? Ist das die Teilhabe im umfassenden Ort geschaffen wird. Sinn des SGB IX? Ist das ein abge speckter Teilhabebegriff? Das kann eigentlich niemand Die Diskussionen zeigen, dass in den Kommu- richtig beantworten. Es kann nicht der volle nen - nicht in allen; es gibt ja gute Beispiele Begriff gemeint sein; denn sonst würden Sie ja dafür, dass es funktioniert - die Hilfe für die die gesamten Abgrenzungs fragen in das SGB Menschen viel früher ansetzen muss. Über die XI, in das Reformwerk, hineinnehmen. 5 Prozent Pflegebedürftige diskutieren wir jetzt. Damit es in Zukunft nicht noch viel mehr Wir sehen insofern im Moment wenig An- werden und wir die Kosten für die Pflege sen- knüpfungspunkte. Wir müssen einfach ab- ken können, brauchen wir die Vernetzung vor warten, wie die Diskussion über den Pflege- Ort, die Beratungsstellen. So kann frühzeitig bedürftigkeitsbegriff und über das neue Gut- angesetzt werden und eine Pflegebedürftigkeit achten ausgehen wird. Aber wir können jetzt bzw. eine Einweisung in ein Heim verhindert schon prophezeien: Die Aufgaben, die sich werden. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich dann stellen, werden möglicherweise noch denke, es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, größer als die jetzigen sein. Denn die Systeme dass das auch so umgesetzt wird. aus SGB IX und SGB XI müssen vernünftig miteinander verknüpft werden.

SV Klaus Lachwitz (Bundesvereinigung Le- benshilfe für Menschen mit geistiger Behinde- Abg. Dr. Margrit Spielmann (SPD): Ich frage rung e. V.): Dass der Begriff der Pflegebedürf- Dr. Danner, einen Vertreter von Verdi und der Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 68

Verbraucherzentrale und möchte mich einer SV Dieter Lang (Verbraucherzentrale Bun- anderen Thematik zuwenden. Ich glaube, Sie desverband e. V.): Zu den datenschutzrechtli- alle haben die Änderung im Gesetzentwurf zur chen Problemen habe ich ja vorhin schon etwas Kenntnis genommen, wonach sich die Kosten- gesagt. Es ist so, wie Herr Dr. Danner gesagt beteiligung der Versicherten auf die Folgen hat: Es ist wegen der im Gesetz gefundenen von Tätowierungen, Piercings und Schönheits- unklaren Rechtsbegriffe in hohem Maße un- operationen beschränkt. Halten Sie eine Inan- klar, was denn nun unter diese Vorschriften spruchnahme der Solidargemeinschaft für die fallen soll. Was ist eine „angemessene Beteili- Folgen solcher Maßnahmen für gerechtfertigt? gung“? Für welche Eingriffe muss eine zusätz- liche private Absicherung vorgenommen wer- den? Was ist mit Menschen, die ein bestimmtes SV Dr. Martin Danner (Bundesarbeitsge- Vorrisiko ha ben? Wenn wir nur über Piercings, meinschaft von Menschen mit Behinderung Tätowie rungen usw. sprechen, möchte ich dar- und chronischer Erkrankung und ihren Ange- auf hinweisen: Die Ausgaben dafür sind im hörigen e. V.): Die Problematik sehen wir we- Gesamtverhältnis höchst marginal. niger in Bezug auf Piercings, Tätowierungen usw., sondern eher in der Unklarheit des Beg- riffs „nicht indizierte Maßnahmen“. Es ist ja Abg. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Ich möchte so, dass eine Maßnahme im Rahmen einer auf die Pflegeberatung zurückkommen, weil Behandlung, die fehlerhaft ist, im Prinzip nicht das ein zentrales Element dieses Gesetzes ist. indiziert ist. Schon hat man in der Praxis ein Es geht ja darum, die Strukturen den Bedürf- ganz brisantes Streitthema, wenn der Patient nissen des zu Pflegenden und seiner Angehör i- der Auffassung ist, dass ein Behandlungsfehler gen anzupassen. Ich möchte die Vertreter der zu den Kosten geführt hat, und der Arzt diese Spitzenverbände der Pflege- und Krankenkas- Auffassung nicht teilt. Der Arzt kann über eine sen, der Deutschen Gesellschaft für Care und Meldung an die Kasse seine Sicht weitertragen. Case Management, Herrn Professor Welti und So etwas kann in der Praxis auftauchen. den Vertreter des Bundesverbandes der kom- munalen Spitzenverbände fragen. Zu den grundsätzlichen Erwägungen hin- sichtlich Datenschutz, Schweigepflicht des Erstens möchte ich gern wissen, welche Quali- Arztes und Vertrauensverhältnis zwischen Arzt fikation der Pflegeberater haben muss. Haben und Patient habe ich ja vorhin schon etwas die Beschäftigten der Pflegekassen, die heute ausgeführt. die Beratung durchführen, die notwendige Qualifikation? Es geht ja nicht nur um Bera- tung, sondern auch um die Veranlassung von SVe Gabriele Feld-Fritz (Vereinte Dienstleis- Leistungen, um deren Überwachung und An- tungsgewerkschaft): Ganz herzlichen Dank an passung. den Vorredner. In dem, was er gesagt hat, fin- den wir unsere Position zum Teil wieder. Ich Zweitens würde ich gern wissen, ob Sie mir möchte darüber hinaus noch betonen, dass wir darin recht geben, dass es nicht so ist, wie es die Rolle des Arztes nicht darin sehen, dass er vorhin geäußert worden ist, dass sich die Pfle- eine Ermittlungsbehörde ist. Ansonsten ist geberater wirklich nur zur Pflege äußern. dieser Sachverhalt ja schon in der letzten Run- Vielmehr beraten sie zu folgenden Themen: de der Gesundheitsreform geregelt worden, gesundheitsfördernde, präventive, kurative, was wir kritisiert haben. Ich meine, dass hier rehabilitative und sonstige medizinische sowie andere Wege gefunden werden müssen, als das pflegerische Hilfen. Arzt-Patientin/Patient-Verhältnis auszunutzen, um diese Ein schränkungen, wenn sie denn der Schließlich drittens: Wie kann man es hinbe- Gesetzgeber für gerechtfertigt hält , praktikabel kommen, dass die Pflegebedürftigen bzw. ihre zu machen. Angehörigen hinsichtlich der erforderlichen sozialen Hilfen und einer Einbezie hung des Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 69

Ehrenamtes unter Beachtung der Rechtspre- erste Faktor ist, dass wir natürlich über die chung beraten werden? Die Menschen interes- Selbstverwaltung eine entsprechende Kontrolle siert es ja nicht, wer es durchführt und wie die ausüben. Der zweite Faktor besteht darin - das Struktur ist; sie wollen die Pflegestützpunkte führe ich noch einmal sehr gerne aus -, dass in mit einem vollständigen Plan dazu verlassen, der Tat alle Pflegekassen in dem Bemühen welche Hilfen sie in ihrem Fall nun tatsächlich einig sind, gerade für diesen Bereich ihren bekommen können. Versicherten ein wirklich kompetentes Ange- bot an Beratung und Leistung zu bieten, ein Angebot, dass den Betreffenden darin bestäti- SV Dr. Herbert Reichelt (AOK- gen soll, die richtige Kasse gewählt zu haben. Bundesverband): Es ist in der Tat so, dass wir Das ist ein starker Wettbewerbsfaktor. Nicht davon ausgehen müssen, dass es eine umfas- zuletzt ist es ja doch auch so - das sollte man sende Beratung geben soll; das sehen wir ge- an dieser Stelle vielleicht noch einmal er- nauso. Sonst wäre das Konzept mit der erwei- wähnen -, dass die zentrale Leistungsgewäh- terten Beratung in sich nicht schlüssig. Inso- rung auf der Basis von Begutachtungen durch fern gehört das eindeutig dazu. Die Frage ist: den Medizinischen Dienst erfolgt, der nach Wo kann man das ansiedeln? Wir sind mit den einheitlichen Vorgaben und Kriterien arbeitet. Pflegekassen durchaus in der Lage, diesem An- spruch gerecht zu werden. Diejenigen, die der- Insofern meinen wir schon, dass das in diesem zeit in der Pflegeberatung tätig sind, haben sehr Kontext leistbar ist. Zudem bin ich der An- unterschiedliche Qualif ikationen. Hier geht es sicht, dass jede andere Form, zum Beispiel eine zum einen um eine Bewertung sozialrechtli- Ausgestaltung unter Einbezie hung Dritter, cher Zusammenhänge. Inzwischen haben wir lediglich Schnittstellen schafft, die dann wieder auch Fachpersonal eingestellt. Die bei uns be- zu Komplikationen führen. schäftigten Ärzte, Pflegefachkräfte, Sozi- alpädagogen und Arzthelferinnen können hin- zugezogen werden; das kann auch vor Ort ge- SVe Mona Frommelt (Deutsche Gesellschaft schehen. für Care und Case Management): Pflegebe- dürftige sind - in der Sicht der Betroffenen - Das Wichtige in diesem Zusammenhang ist, nicht in erster Linie Versicherte, sondern kom- dass die ergänzenden Leistungen, also die plex Unterstützungs- und Hilfebedürftige. Von Leistungen, die die Pflegekassen nicht zu be- daher sind sie nicht leistungsrechtlich, aus willigen haben, über ein angemessenes Fall- Sicht der Kassen, sondern in Bezug auf Pflege management vermittelt werden. und die komplexen Unterstützungsbedarfe zu definie ren. Eine Vertrauensbasis dieser Pflege- Ausgehend von den Pflegekassen erhalten wir bedürftigen ist unabdingbar für den Zugang eine flächendeckende Infrastruktur. zum Pfle geberater. Dort, wo diese Vertrau- ensbasis immer schon besteht, muss sie weiter- Aus unseren Erfahrungen können wir von der hin genutzt werden. AOK sagen, dass das auch eine Erwartung der Versicherten ist - die sich als Versicherte ver- Zu Qualifikation des Case-Managements stehen -, dass sie ihre Leistungen genau dort möchte ich aus der Sicht der Deutschen Ge- abfragen wollen. sellschaft für Care und Case Management sa- gen: Man muss zwei Ebenen in Betracht zie- Es ist heute Nachmittag häufig angeführt wor- hen. Die eine betrifft das Case-Management als den, dass die Pflegeberater der Pflegekassen Handlungsset auf der Fall- und der Systemebe- ihren Auftrag nicht hinreichend, objektiv, neut- ne. Das setzt ein umfangreiches Wissen voraus ral, unabhängig durchführen könnten. Das hal- nicht nur hinsichtlich der Beratung und des ten wir für abwegig; wir halten das für unbe- Aufbaus einer Vertrauensbasis; die Advokat- gründet. Das können sie schon. Dass sie es Funktion, die Gatekeeping-Funktion wurden auch tun, dafür sorgen mehrere Faktoren. Der heute schon genannt. Es geht also um eine Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 70

Beziehungsarbeit, die auf Dauer angelegt ist. kann; vielmehr müssen wir davon ausgehen, Deshalb kann sie - das ist schon häufig gesagt dass eine solche Tätig keit in einem interdis- worden - nur aus einer Hand kommen. Dazu ziplinären Team geleis tet werden muss. Wenn ist, besonders bei der Fallsteuerung, Vertrauen Case- und Care-Management daran beteiligt erforderlic h. Ob diese Voraussetzungen bei den werden sollen, dann muss das von jemandem Mitarbeitern der Pflegekassen immer gegeben angeleitet werden, der dafür eine besondere sind, weiß ich nicht. Die zweite Ebene betrifft Ausbildung - sei es im Rahmen einer Fort- und die fachliche Qualifikation, die zu fordern ist, Weiterbildung, sei es im Rahmen der Erst- und zwar in verschiedenen Abstufungen. Bei ausbildung - bekommen hat. der Beratung geht es zuerst um das sozialrecht- liche Leistungsspektrum. Man sollte nicht un- terschätzen, wie komplex die regionalen Ver- SVe Verena Göppert (Bundesvereinigung der sorgungsangebote sind. Wenn man sie ge nau kommunalen Spit zenverbände): Ich kann daran kennen und auf sie hinsteuern will, erfordert nahtlos anknüpfen. Wenn man sich das Aufga- das eine Menge Aufwand. Bei der klienten- benspektrum ansieht, das der Pflegeberater zentrierten Beratung sind Fallsteue rung und bewältigen soll, so muss man sagen: Das ist ein Netzwerkarbeit zu nennen. Allround-Genie, das sämtliche Rechtsbereiche zu kennen hat. Wir müssen einfach davon aus- Wir von der DGCC haben dazu ein Curriculum gehen, dass der Schwerpunkt - so, wie es vor- erarbeitet, das heute schon mehrfach angespro- gesehen ist - im Sozialversiche rungsrecht liegt chen worden ist und das die verschiedenen und dass die Anforderungen, die sich im sozia- Ebenen berücksichtigt. Darauf verweise ich. len Bereich ergeben - ich erinnere auch da Auch in der Praxis haben wir damit nur beste wiederum an die Beratungsfunktionen, die von Erfahrungen gemacht. den Kommunen wahrgenommen werden -, abgebildet werden. Ein solches Berufsbild ist eigentlich kaum vorstellbar. Bevor man über SV Prof. Dr. Felix Welti: Bei der Beratungs- Berufsbilder nachdenkt und sich dazu äußert, tätigkeit sind auf jeden Fall übergreifende sozi- müsste man, auch in Abgrenzung zu anderen alrechtliche Kenntnisse und Systemkenntnisse Regelungsbereichen, die Aufgaben klar defi- erforderlich. Wenn die Intentionen, die mit nieren. Das gilt auch für die Ansiedlung des dem Gesetzentwurf verfolgt werden, verwirk- Pflegeberaters im Pflegestützpunkt, wobei wir licht werden sollen und erst recht wenn wir zu wie der bei der Diskussion von heute Mittag einer umfassenden teilhabeorientierten Be- sind: Sind die Verantwortlichkeiten klar er- darfsfeststellung kommen wollen, werden wir kennbar, bzw. wie sind sie abgegrenzt? Ich Kenntnisse des Sozialhilferechts und des denke, in dieser Beziehung ist noch einiges am Krankenversicherungsrechts benötigen. Man Gesetzentwurf nachzubessern. kann davon ausgehen, dass diese Kenntnisse nicht automatisch vorausgesetzt werden kön- nen, nicht bei Pflegefachkräften, nicht bei An- Abg. Hilde Mattheis (SPD): Eine kurze Frage gehörigen der sozialen Arbeit, nicht bei Ange- noch an die Deutsche Alzheimer-Gesellschaft hörigen des Arztberufs, aber auch nicht bei So- und die Aktion Psychisch Kranke. Es wurde zialversicherungsfachangestellten. Das heißt, bezüglich der Pflegebegriffsdefinition bzw. der Gesetzgeber wäre an dieser und an anderen seiner Aus- oder Neugestaltung in einigen Stellen gut beraten, wenn er das nicht unter Antworten deutlich, dass die Reihenfolge bes- Bezugnahme auf eine Berufsgruppe, auf die ser anders wäre. Ich würde Sie beide gern fra- der Fokus dann gerichtet würde, definieren gen: Halten Sie dieses Gesetz, das ja eine Pau- würde, sondern funktional danach, was erfor- schale von 200 Euro vorsieht, für den von Ih- derlich ist, um diese Beratungsaufgabe wahr- nen vertretenen Personenkreis für positiv? nehmen zu können. Man muss weiterhin davon Und: Würde das, was heute Nachmittag eben- ausgehen, dass wir niemals einen Pflegeberater falls gesagt wurde, dass es nicht „bis zu“, son- finden, der das gesamte Spektrum abdecken dern „200 Euro generell“ heißen müsste, nicht Ausschuss für Gesundheit, 72. Sitzung, 21.01.2008 71

eventuell eine Erwartung hervorrufen, die bei in der Pflegestufe 0 gezahlt werden kann, dass einer Neugestaltung des Pflegebegriffes mögli- also schon jetzt eine Leis tung erfolgen kann. cherweise so gar nicht eingelöst werden könn- te? Eine Differenzierung halten wir nicht für zie l- Abschließend möchte ich mich für unsere führend. Wir halten es einfach für schwie rig, in Fraktion ebenfalls für die Beantwortung aller der Begutachtung überhaupt eine Dif- Fragen herzlich bedanken. ferenzierung zu erkennen, weil es sich dabei oftmals um Augenblicksausnahmen handelt.

SV Ulrich Krüger (Aktion Psychisch Kranke Den folgenden Wunsch hätten wir noch: Im e. V.): Ich kann Ihnen in beiden Punkten abso- Moment ist im Gesetzentwurf vorgesehen, dass lut zustimmen. Was den Geldbetrag anbelangt: eine Übertragbarkeit in das erste Quartal des Das ist nicht nur in materieller Hinsicht sehr Folgejahres möglich ist. Hier würden wir uns sinnvoll; vielmehr ist aus unserer Sicht sehr noch mehr Flexibilität wünschen, dass also positiv, dass in die sem Gesetzentwurf die be- eine Übertragbarkeit auf das ganze Kalender- sonderen Bedürfnisse von Menschen mit De- jahr möglich wäre. Ferner wünschen wir, dass menz in dieser klaren Form aufgegriffen wer- die Verhinderungspflege in den Katalog aufge- den. Eine Differenzierung bei dieser Finanzie- nommen wird, weil wir es mit unterschiedli- rung ist nicht praktikabel und sollte von daher chen Angehörigen zu tun haben und man des- entfallen. wegen das Spektrum der Entlastungsangebote möglichst weit fassen sollte. Wenn Angehörige Zum Zweiten, zum Pflegebegriff und den An- das Geld für die Verhinderungspflege gebrau- knüpfungspunkten. Ich glaube, in der Auf- chen wollen, sollte man ihnen die Möglichkeit gabenbeschreibung der Pflegestützpunkte und dazu geben, und es sollte auch eine Übertrag- der Pflegeberatung sind wesentliche Elemente barkeit in das nächste Kalenderjahr möglich dessen enthalten, was künftig auch im Pflege- sein. begriff berücksichtigt werden soll, nämlich all die Aspekte, die über einzelfallbezogene Sach- verhalte und die Verrichtung hinausgehen: der Vorsitzende Abg. Dr. Martina Bunge (DIE gesamte soziale Kontext, die Kooperation mit LINKE.): Damit haben wir unser Pensum für anderen Hilfebereichen, die Teilhabe usw. usf. heute erfüllt. Ich darf mich bei allen Sachver- Im Grunde findet man da die vollständige ständigen bedanken, dass sie uns, den Abge- Stichwortliste einschließlich der Selbsthilfe- ordneten dieses Ausschusses, heute für die förderung. Ich finde, das wird sich gut an das Befragung zur Verfügung standen, bereitwillig anschließen lassen, was jetzt im Gesetzentwurf geantwortet haben. Ich darf mich auch für Ihre angelegt ist. Geduld bedanken. Es war doch ein Mammut- programm. Erholen Sie sich heute Abend gut! Kommen Sie gut nach Hause! Vielleicht sehen SVe Sabine Jansen (Deutsche Alzheimer- sich ja einige am Mittwoch wieder. Gesellschaft e. V.): Da ich selbst Mitglied im Auch meinen Kolleginnen und Kollegen wün- Beirat zur Weiterentwicklung des Pflegebe- sche ich einen schönen Abend. dürftigkeitsbegriffs bin, weiß ich, dass dieser die vorgesehenen Zeit braucht, um das Vorha- Danke schön. ben fundiert umzusetzen. Deswegen sind die 200 Euro zu diesem Zeitpunkt ein positiver erster Schritt. Besonders positiv ist im Zusam- menhang mit der Erweiterung des Pflegebe- Ende der Sitzung: 18.58 Uhr dürftigkeitsbegriffs, dass der Betrag jetzt auch

Deutscher Bundestag Protokoll Nr. 16/74 16. Wahlperiode

Ausschuss für Gesundheit

Wortprotokoll

74. Sitzung

Berlin, den 23.01.2008, 14:00 Uhr Sitzungsort: Reichstag, SPD-Fraktionssaal 3 S001

Vorsitz: Dr. Martina Bunge, MdB

TAGESORDNUNG:

Öffentliche Anhörung (Block III: Finanzierung, PKV) zu folgenden Vorlagen:

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Entwurf eines Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz) BT-Drucksache 16/ 7439, 16/7486

Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Nicole Maisch, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Finanzielle Nachhaltigkeit und Stärkung der Verbraucher - Für eine konsequent nutzerorientierte Pflegeversicherung

BT-Drucksache 16/7136

Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Für eine humane und solidarische Pflegeabsicherung

BT-Drucksache 16/7472

Antrag der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Daniel Bahr (Münster), Dr. Konrad Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für eine zukunftsfest und generationengerecht finanzierte, die Selbstbestimmung stärkende, transparente und unbürokratische Pflege

BT-Drucksache 16/7491

Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 2

Mitglieder des Ausschusses

Ordentliche Mitglieder des Ausschusse Stellv. Mitglieder des Ausschusses

CDU/CSU Bauer, Wolf, Dr. Blumenthal, Antje Eichhorn, Maria Brüning, Monika Faust, Hans Georg, Dr. Hennrich, Michael Hüppe, Hubert Jordan, Hans-Heinrich, Dr. Koschorrek, Rolf, Dr. Krichbaum, Gunther Michalk, Maria Luther, Michael, Dr. Scharf, Hermann-Josef Meckelburg, Wolfgang Spahn, Jens Philipp, Beatrix Straubinger, Max Scheuer, Andreas, Dr. Widmann-Mauz, Annette Zöller, Wolfgang

Zylajew, Willi N.N.

SPD Friedrich, Peter Bätzing, Sabine Hovermann, Eike Becker, Dirk Kleiminger, Christian Bollmann, Gerd Lauterbach, Karl, Dr. Ferner, Elke Mattheis, Hilde Gleicke, Iris Rawert, Mechthild Hemker, Reinhold, Dr. Reimann, Carola, Dr. Kramme, Anette Spielmann, Margrit, Dr. Kühn-Mengel, Helga Teuchner, Jella Marks, Caren Volkmer, Marlies, Dr. Schmidt, Silvia Wodarg, Wolfgang, Dr. Schurer, Ewald

FDP Bahr, Daniel Ackermann, Jens Lanfermann, Heinz Kauch, Michael Schily, Konrad, Dr. Parr, Detlef

DIE LINKE. Bunge, Martina, Dr. Ernst, Klaus

Seifert, Ilja, Dr. Höger, Inge

Spieth, Frank Knoche, Monika

B90/GRUENE Bender, Birgitt Haßelmann, Britta Scharfenberg, Elisabeth Koczy, Ute Terpe, Harald, Dr. Kurth, Markus

______Der Urschrift des Protokolls ist die Liste der Unterschriften beigefügt.

Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 3

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Sprechregister Abgeordnete Seite/n Sprechregister Sachverständige Seite/n Vorsitzende Abg. Dr. Martina 5 SV Alexander Gunkel 7 Bunge (DIE LINKE.): (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. (BDA)) Abg. Annette Widmann-Mauz 5, 6 SV Dr. Alfred Spieler 15, 17 (CDU/CSU) (Volkssolidarität - Bundesverband e.V. (VS)) Abg. Birgitt Bender (BÜNDNIS 17, 18, 19 SV Dr. Pekka Helstelä (AOK- 6, 8 90/DIE GRÜNEN) Bundesverband) Abg. Christian Kleiminger (SPD) 10 SV Dr. Volker Leienbach (Verband 13, 20, 21 der privaten Krankenversicherung e.V. (PKV)) Abg. Daniel Bahr (Münster) 14 SV Erwin Dehlinger (AOK- 6 (FDP) Bundesverband (AOK-BV)) Abg. Dr. Carola Reimann (SPD) 9 SV Gerd Kukla (IKK- 9 Bundesverband (IKK-BV)) Abg. Dr. Hans Georg Faust 19 SV Herbert Weisbrod-Frey 18 (CDU/CSU) (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)) Abg. Dr. Konrad Schily (FDP) 13 SV Jens Kaffenberger 16 Abg. Dr. Margrit Spielmann 11 SV Jürgen Sendler (Deutscher 10, 12, 17 (SPD) Gewerkschaftsbund (DGB)) Abg. Dr. Rolf Koschorrek 20 SV Paul-Jürgen Schiffer (Verband 9 (CDU/CSU) der Angestellten Krankenkassen e.V./ Arbeiter-Ersatzkassen- Verband e.V. (VdAK/AEV)) Abg. Eike Hovermann (SPD) 11 SV Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen 12, 14 Abg. Frank Spieth (DIE LINKE.) 15, 16, 17 SV Prof. Dr. Eckart Bomsdorf 5, 7 Abg. Heinz Lanfermann (FDP) 12, 14 SV Prof. Dr. Heinz Rothgang 9, 10, 16, 17, 18, 21 Abg. Hilde Mattheis (SPD) 9, 21 SV Prof. Dr. Helge Sodan 8, 14, 19 Abg. Jens Spahn (CDU/CSU) 7, 21 SV Prof. Dr. Winfried Schmähl 9, 10, 11, 19 Abg. Willi Zylajew (CDU/CSU) 8 SVe Bettina Wagner (Deutscher 18 Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V.) SVe Dr. Elisabeth Fix (Deutscher 19 Caritasverband e.V.) SVe Verena Göppert (Deutscher 19 Städtetag) (Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände)

Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 4

Bundesregierung

Bundesrat

Fraktionen und Gruppen

Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 5

Entwurf eines Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz) BT-Drucksache 16/7439

16/7486

Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Nicole Maisch, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Finanzielle Nachhaltigkeit und Stärkung der Verbraucher - Für eine konsequent nutzerorientierte Pflegeversicherung

BT-Drucksache 16/7136

Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Für eine humane und solidarische Pflegeabsicherung

BT-Drucksache 16/7472

Für eine zukunftsfest und generationengerecht finanzierte, die Selbstbestimmung stärkende,

transparente und unbürokratische Pflege

BT-Drucksache 16/7491

Beginn der Sitzung: 14.00 Uhr Der Schwerpunkt dieser Anhörung liegt auf der Finanzierung und der PKV. Die Fraktionen ha- Vorsitzende Abg. Dr. Martina Bunge (DIE ben ein Zeitkontingent für ihre Fragen, Sie LINKE.): Ich darf Sie ganz herzlich zur 74. antworten auf meine Aufforderung. Soweit ich Sitzung des Ausschusses für Gesundheit , der Ihren Namen und Verband nicht gesagt habe, öffentlichen Anhörung zu folgenden vier Vor- stellen Sie sich bitte vor, damit wir ein exaktes lagen begrüßen: Protokoll führen können. Bitte benutzen Sie die Mikrofone und vergessen das Ausschalten - Gesetzentwurf der Bundesregierung – nicht. Entwurf eines Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversiche- rung – BT-Drucksache 16/7439, Abg. Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Meine erste Frage richtet sic h an den Einze l- - Antrag der Abgeordneten der Fraktion sachverständigen, Herrn Prof. Bomsdorf. Wie BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Finan- ist aus Ihrer Sicht die Ausgabenentwicklung zielle Nachhaltigkeit und Stärkung der der Pflegeversicherung vor dem Hintergrund Verbraucher - Für eine konsequent nut- der demographischen Entwicklung zu bewer- zerorientierte Pflegeversicherung – BT- ten? Halten Sie die im Gesetzentwurf enthalte- Drucksache 16/7136, nen Regelungen zur Dynamisierung, insbeson- dere die Bindung an den Verbraucherpreisin- - Antrag der Abgeordneten der Fraktion dex, für eine geeignete, statistische Größe zur DIE LINKE. – Für eine humane und so- Feststellung der Preisentwicklung im Pflegebe- lidarische Pflegeabsicherung – BT- reich? Wenn nicht, welche Indikatoren wären Drucksache 16/7472, aus Ihrer Sicht besser geeignet?

- Antrag der Abgeordneten der Fraktion der FDP – Für eine zukunftsfest und ge- SV Prof. Dr. Eckart Bomsdorf: Die zukünfti- nerationengerecht finanzierte, die ge Ausgabenentwicklung der Pflegeversiche- Selbstbestimmung stärkende, transparen- rung wird – ohne Berücksichtigung der Dyna- te und unbürokratische Pflege – BT- misierung – im Wesentlichen vom demogra- Drucksache 16/7491. phischen Wandel und von der Verschiebung Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 6 der Pflegefall-Wahrscheinlichkeiten bestimmt. her, aufbauend auf Vorarbeiten des Statisti- Nach den in meiner Stellungnahme dargelegten schen Bundesamtes einen Preisindex für den Berechnungen scheint es mir, dass die posit i- Pflegebereich zu konstruieren. Man sollte se- ven Folgen z. B. eines Rückgangs der Pflege- hen, ob man auf diese Weise zu einer geeigne- wahrscheinlichkeiten etwas überbewertet wer- ten Größe kommt. Es wäre wichtig, dass die den. Außerdem muss man bedenken, dass wir dynamische Anpassung dann weitgehend au- verschiedene Komponenten haben, die für die tomatisch erfolgt. Ausgabenentwicklung verantwortlich sind. Ich habe die Dynamisierung herausgelassen, weil diese sicher bei der Einnahmen-Entwicklung Abg. Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): noch eine Rolle spielen sollte. Die Ausgaben- Meine zweite Frage richtet sich an die Spitzen- seite lässt sich jedoch nicht ohne die Einnah- verbände der Pflegekassen. Wird aus Ihrer menseite sehen. Dabei genügt es nicht, immer Sicht die geplante Beitragssatzanhebung von einfach die absolute Zahl der Pflegebedürftigen 0,25 % nach heutigem Ermessen ausreichen, zu berechnen, sondern wir müssen vor alle m um den Beitragssatz bis 2015 stabil zu halten? deren Anteil an der Bevölkerung sehen. Wir Wie beurteilen Sie die Dynamisierung der haben einen Rückgang der Bevölkerung bei Leistungen ab dem Jahr 2015 unter finanziellen steigender Zahl der Pflegebedürftigen; das ist Aspekten? Ist diese Dynamisierung der Leis- eine divergente Entwicklung. Letzten Endes ist tungen darüber hinaus auch finanzierbar? nicht nur der Anteil der Pflegebedürftigen an Den zweiten Teil der Frage betreffend die Dy- der Bevölkerung entscheidend, sondern auch namisierung ab 2015 richte ich auch an den das Verhältnis der Anzahl der Pflegebedürfti- Bundesverband der Arbeitgeberverbände. gen zur Anzahl der Beitragszahler. Wenn man den neuesten Pflegebericht liest, sieht die Ausgabenentwicklung sehr positiv SV Erwin Dehlinger (AOK Bundesverband aus. Der Bericht endet nämlich 2006. Wir wis- (AOK-BV)): Das Gesetzt sieht eine Reihe sehr sen alle, dass es im Jahr 13 statt 12 Beiträge begrüßenswerter Leistungsverbesserungen vor, gab. Nach Angaben des Statistischen Bundes- die zu höheren Ausgaben führen werden. Das amtes aus der letzten oder vorletzten Woche BMG hat Berechnungen vorgelegt, die aus un- hatten wir jedoch in den ersten neun Monaten serer Sicht realistisch sind. Entscheidend ist des letzten Jahres bereits ein Finanzierungsde- aber auch, wie sich die Einnahmesituation fizit von über 500 Mio. Euro in der Pflegever- entwickeln wird. Angesichts der derzeitigen sicherung. Krisen und der Berechnungen der Bundesre- Die Dynamisierung der Leistung ist notwendig, gierung, dass die Wirtschaftsleistung nicht wenn die Pflegeversicherung ihre Legitimation mehr so stark steigen wird, wie ursprünglich behalten soll. Das ist 1995 nicht gemacht wor- erwartet, gibt es hier Unwägbarkeiten. Wenn den. Die Dynamisierung sollte aber aus meiner man das auf das Jahr 2015 verlängert, gibt es Sicht nicht Gegenstand politischer Verhand- hier natürlich noch Risiken, aber insgesamt lungen sein. Daher wäre es zu begrüßen, wenn muss man beim heutigen Stand davon ausge- man die Dynamisierung weitgehend automati- hen, dass die 1,95 % Beitragssatzpunkte bis siert. So etwas ist angedacht. Vorgesehen ist zum Jahr 2015 stabil bleiben können. dabei eine Anpassung an den Verbraucher- preisindex. Die Frage ist nun, ob das aus statis- tischer Sicht der geeignete Index ist. Meines SV Dr. Pekka Helstelä (AOK-BV): Nach ei- Erachtens ist er das nicht. Man muss sehen, ob ner groben Faustformel halbiert sich der Real- es man nicht eine andere Größe gibt, die die wert der Leistungen ohne Dynamisierung alle Preisentwicklung im Pflegebereich besser ab- 20 Jahre, d. h., der Zeitraum von 1995 bis 2015 bildet. Als z.B. Studiengebühren eingeführt halbiert den Realwert, bis zum Jahr 2055 wurden bzw. wenn sie erhöht werden, stieg schrumpft er sogar auf einen Wert von einem bzw. steigt der Verbraucherpreisindex. Gehen Achtel. Dies zeigt, wie bedeutsam die Leis- wir davon aus, nur die Studiengebühren wür- tungsdynamisierung ist. Insofern begrüßen die den sich verändern und alle anderen Preise Spitzenverbände der Pflegekassen ausdrück- blieben konstant, dann stiege der Verbraucher- lich, dass nun eine Leistungsdynamisierung preisindex. In der Folge würden die Leistungen vorgesehen ist. aus der Pflegeversicherung steigen, obwohl die Die konkret vorgeschlagene Regelung sieht Studiengebühren sicher mit der Pflegeversiche- vor, dass alle drei Jahre eine am Verbraucher- rung weniger zu tun haben. Ich empfehle da- preisindex orientierte Dynamisierung stattfin- Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 7 det, die jedoch nicht höher ausfallen sollte als und nachvollziehbar, über eine Dynamisierung die Bruttolohnentwicklung. Hier ist eine Ober- der Pflegeleistung nachzudenken, dann aber grenze eingezogen, aufgrund derer damit zu auch zu sagen, wie eine dauerhafte Finanzie- rechnen ist, dass die allgemeine Inflationsrate rung gewährleistet sein kann. Darauf gibt der nicht erreicht wird. Der von Herrn Prof. Boms- Gesetzentwurf keine Antwort. Wir schlagen dorf vorgeschlagene Weg, sich vom allgeme i- hierzu vor, die Finanzierung vom Arbeitsver- nen Verbraucherpreisindex zu lösen, ist sach- hältnis abzukoppeln und im Wege der Kapital- lich sicherlich gerechtfertigt, führt jedoch in deckung eine Demographiereserve zu schaffen, eine ganz andere Dimension der Dynamisie- wie ursprünglich vorgesehen. rung. Während langfristig von einem Verbrau- cherpreisindexzuwachs von rd. 1,5 Prozent im Jahresdurchschnitt auszugehen ist, ist aufgrund Abg. Jens Spahn (CDU/CSU): Ich hätte eine des sehr personalintensiven Dienstleistungsbe- Frage an Herrn Prof. Bomsdorf und Herrn reiches in der Pflege sicherlich mit einem hö- Prof. Sodan. Ist die umlagefinanzierte Pflege- heren Wert zu rechnen. So hat die „Rürup- versicherung aus Ihrer Sicht dauerhaft sicher Kommission“ hier mit einem Wert von finanziert? Wenn nein, welche Alternative gibt 2,25 Prozent argumentiert. Der AOK- es dazu? Bundesverband hat versucht, diese verschiede- nen Zahlen rechnerisch in eine langfristige Bei- tragssatzentwicklung umzusetzen, um Ihre SV Prof. Dr. Eckart Bomsdorf: Die soziale Frage beantworten zu können, ob das langfris- Pflegeversicherung kann man prinzipiell auf tig finanzierbar ist. Die Extremvariante einer Dauer über das Umlageverfahren finanzieren. Orientierung an der Entwicklung der Pflege- Man muss sich aber im Klaren darüber sein, leistungen in einer Größenordnung von über welchen Beitragssatz man damit akzeptiert. Bei 2 Prozent würde dazu führen, dass der Bei- allen Berechnungen zur Entwicklung der Bei- tragssatz in der sozialen Pflegeversicherung tragssätze handelt es sich nur um Modellrech- langfristig auf eine Dimension von über nungen. Wenn gesagt wird, bereits die demo- 5,5 Prozent anwachsen würde. Eine Orientie- graphische Entwicklung sei in ihren Berech- rung am langfristigen Durchschnitt der Inflati- nungen relativ unsicher, würde ich sagen, alle onsrate von 1,5 Prozent würde eine Größen- anderen Berechnungen sind deutlich unsiche- ordnung von etwas unterhalb von 4 Prozent rer. Das müssen wir immer bedenken. Der de- erwarten lassen. Der hier vorgelegte Vor- mographische Wandel ist sicher und hat Kon- schlag, eine an der Bruttolohnentwicklung or i- sequenzen, auch für das Umlageverfahren. entierte Obergrenze einzuziehen, würde in der Selbst wenn man jetzt die Dynamisierung ein- langfristigen Perspektive eine Größenordnung führt, am Preisindex orientiert und dabei de- von etwa 3,2 bis 3,3 %-Beitragssatzpunkten ckelt, lassen sich die Dynamisierung der Pfle- bedeuten. Die vorgesehene Deckelung würde geversicherung und der demographische Wan- den langfristigen Beitragssatz also gegenüber del nicht gleichzeitig mit einem konstanten einer reinen Inflationsorientierung nochmals Beitragssatz finanzieren. Das ist wie die Quad- um etwa 0,5 Prozent Beitragssatzpunkte dämp- ratur des Kreises, die bekanntlich nicht funkti- fen. Insofern bewerten wir diesen Vorschlag oniert. Bei steigender Zahl der Pflegefälle , insgesamt als langfristig finanzie rbar. zugleich schrumpfender Bevölkerung sowie gleichzeitiger Dynamisierung muss der Bei- tragssatz steigen. Aus meiner Sicht ist langfris- SV Alexande r Gunkel (Bundesvereinigung tig ein reines Umlageverfahren nicht tragfähig. der Deutschen Arbeitgeberverbände e. V. Das wissen wir allerdings schon seit der Ein- (BDA)): Wir halten die Einschätzung im Ge- führung der Pflegeversicherung. Es stellt sich setzentwurf für realistisch, dass die Finanzie- die Frage, ob es für ein reines Kapitalde- rung der Pflegeversicherung trotz der vorgese- ckungsverfahren überhaupt Mehrheiten gibt. henen Beitragssatzanhebung nur bis zum Jahr Das dürfte aber nicht mein Problem sein. Ich 2014 gesichert ist – auch wenn das im Einze l- möchte daher etwas anders formulieren. Ge- nen sicherlich von der dann vorhandenen Bei- genwärtig reproduziert sich jede Generation tragsbasis abhängt, insbesondere vom Beschäf- nur zu zwei Drittel, d. h., wir haben nur zwei tigungsniveau. Angesichts der vorgesehenen Drittel der Kinder, die notwendig wären, damit Leistungsausweitung ist der jetzt im Gesetz- die jeweilige Generation sich reproduziert. entwurf vorgesehene Beitragssatz langfristig Daraus ließe sich die Regel ableiten, dass man nicht ausreichend. Wir halten es für vertretbar zwei Drittel dieser Pflegeversicherung durch Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 8 das Umlageverfahren, ein Drittel über das Ka- pitaldeckungsverfahren finanziert. Wir sollten im Übrigen immer bedenken, dass die Pflege- Abg. Willi Zylajew (CDU/CSU): Die Frage versicherung keine Vollkaskoversicherung sein richtet sich an die AOK und die IKK. Wäre wollte. angesichts der demografischen Entwicklung aus Ihrer Sicht eine Demografiereserve, d.h. ein Kapitalstock, notwendig, um finanzielle SV Prof. Dr. Helge Sodan: Ich stimme Herrn Nachhaltigkeit zu schaffen? Bomsdorf zu und erinnere zugleich daran, dass der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 11. November 2005 den Plan vorsah, bei SV Dr. Pekka Helstelä (AOK-BV): Die AOK der soziale n Pflegeversicherung das Umlage- hat auch hierzu Berechnungen durchgeführt. verfahren durch kapitalgedeckte Elemente als Ich gebe Herrn Prof. Bomsdorf Recht, dass es Demografiereserven zu ergänzen. Bei einem sich um Prognosen handelt, d.h. grobe Modell- Umlageverfahren ist nicht nur die demographi- rechnungen. Umso mehr ist man auf Angaben sche Entwicklung problematisch, sondern von Spannbreiten angewiesen. Wir haben lang- selbstverständlich auch die konjunkturelle. fristig die Wirkung einer Demografiereserve Niemand kann im Moment voraussagen, wie analysiert. Wir sind dabei davon ausgegangen, sich die Finanzkrise an den Märkten auf die dass der Beitragssatz um 0,7 Prozent statt 0,25 konjunkturelle Entwicklung in Deutschland Prozent angehoben würde, und haben berech- auswirken wird. Wir hoffen natürlich, dass das net, wie viel Kapital sich ansammeln und wie Schlimmste abzuwenden ist, aber sicher kann lange dieser Kapitalstock vorhalten würde. Je man nicht sein. Insofern ist in Erinnerung zu nach konjunktureller Entwicklung und je nach rufen, dass weniger Beitragszahler in umlage- Leistungsdynamisierung wäre mit einem Kapi- finanzierten Systemen zu Problemen führen, talstock von 50 bis 75 Mrd. Euro in einem d. h., sollte die Massenarbeitslosigkeit wieder Zeitraum von 40 bis 45 Jahren zu rechnen, der ansteigen, werden auch die Sozialsicherungs- dann auf Null abgebaut würde. systeme verschärfte Probleme bekommen. In Spannend wird, was nach dem Abbau passiert, Bezug auf die demografische Entwicklung zi- wenn kein Geld mehr in der Kasse ist. Nach tiere ich aus dem Urteil des Bundesverfas- dem über einen Zeitraum von 40 bis 45 Jahren sungsgerichts vom 3. April 2001 zur sozialen konstant gehaltenen Beitragssatz wäre ein ab- Pflegeversicherung: „In Deutschland ist seit rupter Anstieg in einer Größenordnung von et- Mitte der sechziger Jahre die Zahl der Lebend- wa 1 bis 1,5 Beitragssatzpunkten erforderlich, geborenen je Frau von 2,49 in rascher Folge um die soziale Pflegeversicherung im Umlage- auf mittlerweile 1,3 gesunken. In den meisten verfahren weiterzufinanzieren. Die s ergibt sich der wirtschaftlich entwickelten Länder hat der daraus, dass die demografische Entwicklung Effekt beobachtet werden können, dass mit kein vorübergehendes Phänomen ist, sondern steigendem Lebensstandard und steigendem die Zahl der Beitragszahler dauerhaft sinkt, die Pro-Kopf-Einkommen die Geburtenrate zum Zahl der Pflegebedürftigen dauerhaft steigt und Teil erheblich unter 2,0 sinkt. Es ist nichts da- das Verhältnis von einem Pflegebedürftigen zu für ersichtlich, dass sich die für diese Entwic k- Beitragszahlern im Zeitablauf dauerhaft um lung verantwortlichen Rahmenbedingungen mindestens 70 Prozent zugenommen haben alsbald grundlegend wandeln.“ Diese Feststel- wird, sodass ein niedrigerer Beitragssatz nicht lungen sollte man ernst nehmen. In der Analy- zu erwarten ist. se hat sich seit 2001 nichts geändert. Wenn Es wird vorübergehend scheinbar Nachhaltig- man nun überlegt, kapitalgedeckte Elemente in keit erzielt, indem der Beitragssatz über einen die soziale Pflegeversicherung einzubeziehen, relativ langen Zeitraum konstant gehalten wer- ergibt das me ines Erachtens auch deshalb Sinn, den kann. Die Frage ist aber, ob die soziale weil hier – im Gegensatz etwa zur gesetzlichen Pflegeversicherung überlebensfähig ist, wenn Renten- und zur gesetzlichen Krankenversiche- nach dem bereits zu Beginn des Prozesses mit rung – ein deutlich geringeres Finanzvolumen 0,7 Prozent recht dramatischen Anstieg der notwendig ist. Vor diesem Hintergrund halte Zeitpunkt einer erneuten Beitragssatzsteige- ich die Forderung der „Herzog-Kommission“ rung in einer Größenordnung von 1 bis 1,5 aus dem Jahre 2003 für völlig richtig. Damals Prozent kommt und die Beitragszahler das ver- hat die „Herzog-Kommission“ speziell für die kraften müssen. Um die Frage der Nachhalt ig- soziale Pflegeversicherung die Überführung in keit zu beantworten, reicht also nicht der Blick ein kapitalgedecktes System befürwortet. auf die Zeitspanne, für die ein Kapitalstock Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 9 reicht, sondern man muss vor allem fragen, ob zogen zu sein. Keiner weiß, was wirklich pas- die Beitragszahler und das System bereit sind, siert, aber aus heutiger Sicht hielte ich zw i- diesen anschließenden abrupten Anstieg zu schen drei und vier Beitragssatzpunkte für rea- verkraften. listisch.

SV Gerd Kuk la (IKK-Bundesverband (IKK- SV Prof. Dr. Heinz Rothgang: Dem kann ich BV)): Wir halten eine vorsorgende Finanzie- mich im Wesentlichen anschließen. Es hängt rungsregelung für notwendig. Wir halten es von den Annahmen ab, die man setzt. Wenn auch für sinnvoll, einen Kapitalstock anzule- man sich die Berechnungen von der Enquete- gen, aber innerhalb der sozialen Pflegeversi- Kommission „Demografischer Wandel“ bis zur cherung. Bei der Ausgestaltung der Finanzie- „Rürup-Kommission“ ansieht, unsere eigenen rungsregelungen muss die Leistungsfähigkeit und die der PKV, sieht man, dass man sehr ex- des einzelnen Beitragszahlers Berücksichti- treme Annahmen setzen muss, um auf den ge- gung finden. nannten Beitragssatz zu kommen. Realistischer und in der Regel bei den anderen Berechnun- gen das Ergebnis ist ein Beitragssatz von drei Abg. Dr. Carola Reimann (SPD): Ich möchte bis vier Beitragssatzpunkten im Jahre Herrn Prof. Schmähl und Herrn Prof. Rothgang 2040/2050. zur Entwicklung des Beitragssatzes befragen. Herr Prof. Raffelhüschen und sein Institut ha- ben für Generationenverträge bis 2050 eine Abg. Hilde Mattheis (SPD): Ich habe eine Beitragssatzsteigerung auf bis zu 7 Prozent er- Frage an die Spitzenverbände der Kranken- rechnet. Wie beurteilen Sie diese Berechnung? und Pflegekassen sowie an den DGB. Im Koa- litionsvertrag war ein Ausgleichsbetrag der privaten Pflegeversicherung an die soziale SV Prof. Dr. Winfried Schmähl: Aus der Pflegeversicherung vorgesehen. Halten Sie das Antwort von Herrn Prof. Bomsdorf wurde für gerechtfertigt? Wie hoch müsste dieser ggf. schon deutlich, dass für die Beitragssatzent- ausfallen, und wie lange wäre er nach Ihrer wicklung sowohl auf der Ausgaben- als auch Einschätzung zu zahlen? Auch der Sachver- auf der Einnahmenseite eine ganze Reihe von ständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirt- Faktoren maßgebend sind. Man kann in Mo- schaftlichen Entwicklung hält einen solchen dellberechnungen jeden Beitragssatz errech- Ausgleichsbetrag für möglich. nen, aber es stellt sich die Frage, wie realistisch das ist. Hier müsste man im Detail sehen, in- wieweit es z.B. Verhaltensänderungen gibt, SV Paul-Jürgen Schiffer (Verband der Ange- mehr Verlagerungen in den stationären Bereich stellten Krankenkassen e.V. (VdAK)): Die zu beobachten sind, mehr Sach- als Geldleis- Spitzenverbände haben diesen Ausgleich be- tungen eine Rolle spielen und welche Effekt in reits in der Vergangenheit immer wieder ge- Bezug auf die mögliche Entwicklung der Mor- fordert. Wir müssen uns zunächst noch einmal bidität man ansetzt, die dazu führt, dass sich die Situation bei der Einführung der Pflegever- die Pflegebedürftigkeit noch weiter in ein hö- sicherung vor Augen führen: Die Pflegeversi- heres Lebensalter verlagert. Ganz entscheidend cherung war als eine Volksversicherung ge- ist die Frage der Dynamisierung der Leistun- dacht. Lediglich aufgrund der damaligen Prob- gen und in welcher Weise sie erfolgt. lematik der Versorgung der Bahn- und Postbe- Es ist auch wichtig zu fragen, wie die Einnah- amten ist seinerzeit die private Pflegeversiche- meentwicklung aussieht, auf die sehr viele rung mit ihrer Struktur in den Vordergrund ge- Faktoren einwirken, darunter z.B. Entschei- rückt. Ausgehend von diesem Grundansatz ei- dungen im Rentenrecht. Der Anteil der Rentner ner Volksversicherung halten wir einen Aus- an den Beitragszahle nden wird in Zukunft gleich zwischen diesen beiden Systemen für deutlich steigen, und die Beitragsbemessungs- dringend notwendig. grundlage der Rentenempfänger wird aufgrund Wenn man die beiden Systeme sowohl auf der der geplanten Kürzungsfaktoren langfristig Ausgaben- wie auch auf der Einnahmenseite deutlich von der Beitragsbemessungsgrundlage miteinander vergleicht, zeigt sich sehr schnell der aktiv Erwerbstätigen abweichen. Nach un- das Ungleichgewicht zwischen beiden Syste- seren Modellberechnungen scheint mir eine men. Es gibt Berechnungen, wonach sich ein Anhebung auf 7 Prozent jedoch deutlich über- derartiger Finanzausgle ich in einer Größenord- Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 10 nung von 1 Mrd. Euro bewegen dürfte; es will heit freiwillig gehen und nicht mehr in der pr i- keiner an die berühmten 16,5 Mrd. Euro heran, vaten Versicherung bleiben würde. Es wäre über die die PPV zum Ende des letzten Jahres demnach ein abnehmendes Geschäft, aber es an Rücklagen verfügt und die als Altersrück- ist sehr schwer, dies nach Zeiten zu schätzen. stellungen für die Versicherten in der PPV ge- sichert sind. Wenn man alleine den Ausgaben- bereich miteinander vergleicht, wäre es durch- Abg. Christian Kleiminger (SPD): Meine aus möglich, einen Ausgleich zwischen der Frage richtet sich an Herrn Prof. Schmähl und privaten und der sozialen Pflegeversicherung Herrn Prof. Rothgang. Halten Sie einen Fi- in einer Größenordnung von 1 Mrd. Euro nanztransfer von der privaten an die soziale durchzuführen. Die vorliegenden Gutachten Pflegeversicherung mit Blick auf die unter- zur Verfassungskonformität sind uns allen be- schiedliche Risikostruktur und zum Ausgleich kannt, aber wenn der Gesetzgeber die entspre- derselben für gerechtfertigt? Wenn ja , müsste chende Regelung trifft, kann ein solcher Aus- ein solcher Ausgleichbestand Teil einer lang- gleich auch entgegen den Feststellungen und fristigen Finanzierungslösung in der Pflegever- Aussagen in den Gutachten Platz greifen. sicherung sein?

SV Jürgen Sendler (Deutscher Gewerk- SV Prof. Dr. Winfried Schmähl: Auf der schaftsbund (DGB)): Der DGB begrüßt Aus- Leistungsseite liegt ein einheitliches Leistungs- gleichszahlungen außerordentlich. Wir halten recht zu Grunde. Die Risikostruktur der beiden sie für sachlich berechtigt, weil die gesetzli- Populationen in der sozialen und der privaten chen Grundlagen für die privaten Versiche- Pflegeversicherung unterscheidet sich. Auf der rungsunternehmen und die soziale Pflegeversi- Ausgabenseite muss man zudem darauf achten, cherung gleich sind. Es werden die gleichen dass bei der PKV z.B. über Beihilfen ein Aus- Leistungen geboten, es gibt das gleiche Ver- gaben mindernder Effekt eintritt. Auf der Ein- fahren der Einstufung und der Bestimmung nahmenseite haben wir nicht nur unterschiedli- von Pflegebedürftigkeit. Es wäre finanziell vor che Finanzierungsverfahren, sondern die Mittel allem deswegen gerechtfertigt, weil hier ein werden auch verschieden aufgebracht. Wir ha- Ausgleich der unterschiedlichen Risiken statt- ben den einkommensbezogenen Beitragssatz in finden könnte, die in den beiden Zweigen zu der sozialen Pflegeversicherung und die vom Hause sind. Dass sich die soziale Pflegeversi- Einkommen unabhängige Prämiengestaltung, cherung heute immer am unteren Rand der Re- berechnet nach dem jeweiligen Risiko. Deshalb serven bewegt, während bei den privaten Un- liegt die Frage des Ausgleichs eigentlich eher ternehmen eine hohe Rücklage aufgebaut wer- auf der Ausgabenseite nahe, d.h. im Sinne ei- den konnte, liegt nicht an anderer Umgehens- nes Risikostrukturausgleichs, der z.B. unter weise mit Geld. Vielmehr sind hier unter- anderen Gesic htspunkten auch innerhalb der schiedliche Risiken zu Hause, so dass die Aus- Krankenversicherung gemacht wird. Schwieri- gaben für Pflegeleistungen bei den privaten ger sehe ich das im Hinblick auf die Gestaltung Versicherungsunternehmen bedeutend geringer der Einnahmenseite. Auf alle Fälle müssten sind. Ein Ausgleich würde einen Schritt in die Ausgleichselemente in eine langfristige Gestal- von uns befürwortete einheitliche gesetzliche tung der Finanzierung eingebettet werden, aber Pflegeversicherung auf gleicher rechtlicher Ba- diese Frage wurde im Gesetzentwurf eigentlich sis bedeuten. Sie würde zu mehr Gerechtigkeit offen gelassen. bei der Tragung von finanziellen Lasten führen und „breitere Schultern“ einschließen können. Die bereits gegebenen Antworten zur Frage der SV Prof. Dr. Heinz Rothgang: Ich würde eine Höhe des Ausgleichs bewegen sich im Rahmen Integration von Pflegepflichtversicherungen dessen, was von verschiedener Seite berechnet sozia ler Pflegeversicherung vorziehen. Wenn worden ist. Dort könnte vielleicht Herr Dr. das aber nicht möglich ist, halte ich einen Fi- Leienbach eigene Zahlen anführen. In Bezug nanzausgleich der beiden Systeme für zwin- auf die Dauer sind wir dafür, dass die heute gend. Die Risikostruktur zwischen beiden Ver- privat Versicherten die Wahl hätten, ob sie sicherungskollektiven unterscheidet sich erheb- bleiben oder wechseln wollen, wenn es einen lich. Der Anteil der Hochaltrigen ist in der so- solchen Ausgleich und eine gemeinsame Ver- zialen Pflegeversicherung um mehr als 50 Pro- sicherung gäbe, Für die Zukunft würde die zent höher als in der privaten Pflegepflichtver- Wahl vermutlich so ausfallen, dass die Mehr- sicherung. Die altersspezifischen Pflegehäufig- Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 11 keiten unterscheiden sich. Auch dort hat die private Pflegeversicherung einen Vorteil. SV Prof. Dr. Winfried Schmähl: Die Frage Wenn man beides zusammen betrachtet, sind des Aufbaus eines Kapitalstocks in der Pflege- die Ausgaben pro Versicherten im Moment in versicherung ist meines Erachtens nicht unab- der sozialen Pflegeversicherung um das hängig zu sehen von der Entwicklung in ande- 2,5fache höher als in der privaten Pflegeversi- ren sozialen Sicherungssystemen, insbesondere cherung, wenn man die Beihilfezahlung schon der Alterssicherung in Deutschland, aber auch berücksichtigt – sonst ist der Unterschied noch in anderen Ländern. Der Aufbau eines Kapital- größer. Es ist normativ nicht zu rechtfertigen, stocks wird vielleicht keine großen Rückwir- dass wir die Bevölkerung in zwei Versiche- kungen haben, weil die Größenordnung bei der rungskollektive mit unterschiedlicher Risiko- Pflegeversicherung gesamtwirtschaftlich nicht struktur einteilen und den Solidarausgleich durchschlagend ist. Man muss das aber im Zu- dann nur innerhalb des jeweiligen Kollektivs sammenhang sehen. Der Aufbau eines Kapital- stattfinden lassen, aber nicht zwischen den stocks ist mit beträchtlichen Risiken verbunden Kollektiven. Beide Versicherungen sind obli- – auf die Finanzmarktrisiken brauche ich in gatorisch und haben praktisch identische Leis- diesen Tagen nicht besonders hinzuweisen. tungen. Insofern ist nicht einzusehen, warum Wenn Sie sich vorstellen, die Demografiere- die in der privaten Pflegeversicherung Versi- serve wäre in Aktien angelegt worden, würden cherten so viel besser gestellt werden sollen. wir wahrscheinlich jetzt zittern. Es gibt aber Ich halte vor diesem Hintergrund einen Fi- auch andere Risiken, auch politische – unab- nanzausgleich für zwingend. hängig davon, ob die Reserve im öffentlichen Die Dimensionen sind schon genannt worden: oder im privaten System angesammelt wird. Auf der Ausgabenseite würde der sozialen Durch Regulierung, Steuergesetzgebung u.a. Pflegeversicherung ungefähr 1 Mrd. Euro zu- können Sie als Gesetzgeber eingreifen. Die auf fließen. Wenn man auch auf der Einnahmen- die Ansammlung eines Kapitalbestandes ge- seite einen Ausgleich durchführt, wird sich das setzten Hoffnungen halte ich deshalb für weit Volumen ungefähr verdoppeln. Auch fiskalisch überzogen. Man sollte an der Stelle zu einer ist das also eine relevante Größe. ausgewogenen Sicht kommen und hier nicht isoliert die Frage einer Demografiereserve in der Pflegeversicherung betrachten, sondern Abg. Eike Hovermann (SPD): Ich habe eine insgesamt die Frage der Ausweitung der Kapi- Frage an Herrn Prof. Schmähl. Herr Prof. So- talfundierung im gesamten sozialen Siche- dan hat gesagt, dass der Parameter „wirtschaft- rungssystem und seine Rückwirkungen. liche Entwicklung“, d.h. die Arbeitslosigkeit , Hier wurde schon deutlich, dass es nicht um nicht genau einzuschätzen ist. Es sei aber da- ein Modell geht, wie es auch schon in den 60er von auszugehen, dass die s Probleme mit sich und 70er Jahren – damals für die Rentenversi- bringen werde. Die AOK hat gesagt, dass sie cherung – diskutiert wurde, d.h. eine Untertun- davon ausgehe, dass die Zahl der Pflegebedürf- nelung eines „Pflegeberges“. Wir haben diesen tigen ansteige, während die Zahl der Beitrags- Berg mit dem deutlichen Rückgang an der zahler aber absinke. Im Rahmen dieser Prog- Stelle nicht, sodass am Ende auch wieder die nose wisse man aber nicht genau, wie das Ver- Frage steht, was ich mit der Beitragssatzent- hältnis zwischen ambulanter und stationärer wicklung mache. Wenn Sie nach einer flexib- Versorgung sein werde und wie sich die Pfle- len Demographiereserve gefragt haben, heißt gestufen weiterentwickeln werden. Sie selbst das nichts anderes, als dass Sie eigentlich einen haben sehr offen gesagt, dass sich im Grunde mehr oder weniger permanenten Kapitalstock genommen jeder Beitrag errechnen ließe. Es ist aufbauen wollen. Wenn man eine Reserve an- also insgesamt viel Vermutung dabei. Damit legen will, muss man den Beitragssatz im Ver- wir nicht alle zwei bis drei Jahre gesetzlich gleich zu dem, was bereits vorgesehen ist, im nachjustieren müssen, wenn wir von Werten Zweifel deutlich anheben. Ob das heutzutage oder Parametern überholt werden, stellt sich der richtige Weg ist, wage ich zu bezweifeln. mir vor diesem Hintergrund die Frage, ob mit- tels einer Demographiereserve bzw. durch den Aufbau eines Kapitalstocks Nachhaltigkeit ins Abg. Dr. Margrit Spielmann (SPD): Meine System gebracht werden könnte, indem sich Frage richte ich an den DGB. Wie bewertet der dieser Kapitalstock „anpasst“ und flexibel ist. DGB die moderate Beitragssatzanhebung? Wie müsste ein solcher Kapitalstock aussehen?

Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 12

SV Jürgen Sendler (DGB): Zunächst einmal Deshalb hätte man eine ganz andere Orientie- begrüßt der DGB außerordentlich, dass die rung suchen sollen. Beitragsanhebung paritätisch erfolgt. Das war Der zweite Fehler war die Umlagefinanzie- in der Diskussion nicht von Anfang an klar. rung. Wir wissen von den Experten, dass die Ansonsten gehen wir davon aus, dass durch ein Beitragssätze steigen werden. Nun gibt es dar- Ausbleiben weitergehender Maßnahmen, wie über Streit. Wir haben dies bei einer anderen wir sie eben schon diskutiert haben, dies auch Frage gemerkt. In meinem Institut kommen wir für die Leistungsverbesserungen in den nächs- nicht auf 7 %. Vielmehr haben wir errechnet, ten Jahren ausreichen kann. Wir hoffen, dass dass sich der Korridor in Abhängigkeit von den im Zusammenhang mit den Ergebnissen des gesetzten Annahmen zwischen 4 und 7 Prozent Beirats zur Überarbeitung des Pflegebedürftig- bewegt. Wenn die untere Marge bei 3 bis keitsbegriff und dessen Umsetzung in einer 4 Prozent liegt und die obere bei 5 , 6 oder nächsten Stufe der Reform an dieser Stelle 7 Prozent, sind das Annahmen. Daran merken nachgearbeitet werden kann. Sie aber, dass alle Experten irgendwo zwischen 4 und 7 Prozent ankommen. Wir liegen derzeit bei 1,7 Prozent; d. h., wir kommen im Mini- Abg. Heinz Lanfermann (FDP): Ich habe eine mum auf das 2,5fache des Beitragssatzes. Wir Frage an Herrn Prof. Raffelhüschen. Vielleicht erhöhen die lohnbezogenen Beiträge im Mini- könnten Sie im Zusammenhang Stellung dazu mum 2,5 Prozent. Wir sehen, dass wir uns die nehmen, wie Sie den jetzigen Zustand und die Leistungen von heute offensichtlich nicht leis- zu erwartende Entwicklung der Pflegeversiche- ten können, denn im Pflege- rung sehen und dabei auch auf die Frage einer Weiterentwicklungsgesetz geht es nicht um die zukünftig finanziell nachhaltigen Entwicklung erste Beitragssatzerhöhung, sondern um die eingehen. dritte. Mit der ersten haben wir die Kinderlosen mit 0,25 Prozent stärker herangezogen. Die zweite Beitragssatzerhöhung bestand im SV Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen: Der 13maligen Einzug. Jetzt ist die dritte Beitrags- Kernpunkt des Gesetzentwurfs besteht darin, satzerhöhung in Folge vorgesehen, um die dass wir einen umlagefinanzierten Generatio- Leistungen auszuweiten. Eine Leistungsaus- nenvertrag weiterführen und ausweiten. Wir weitung in dem Maße ist aber selbst durch die- wissen, dass das Einführen des umlagefinan- se Beiträge nicht gedeckelt. Wir kommen im zierten Generationenvertrags historisch gese- Grunde genommen von einer nicht nachhalt i- hen ein Fehler war. Die Einführung der Pflege- gen Situation in eine „noch nicht nachhaltige- versicherung gehört in das Kapitel „Denn sie re“ Situation. Wenn Sie das wollen und es für wussten, was sie taten.“ Wir wussten zum gerecht und vernünftig halten, dass zukünftige Zeitpunkt der Einführung der Umlagefinanzie- Generationen diese Lasten zu schultern haben, rung, dass die entsprechenden Beitragszahler sollten Sie das Gesetz so verabschieden. nicht da sind. Wir wussten zu dem Zeitpunkt, dass sich die Anzahl der Pflegebedürftigen er- heblich nach oben bewegen würde und wir ca. Abg. Heinz Lanfermann (FDP): Ich möchte 2,5mal soviel Pflegefälle zu finanzieren haben Sie bitten, noch einmal kurz darzustellen, wie würden. Da unterscheiden sich die Projektio- man aus Ihrer Sicht alternativ ein neues Gesetz nen kaum. Wir wussten, dass die Beitragszah- gestalten sollte. ler im günstigen Fall 75 Prozent der Beitrags- zahler ausmachen werden, die wir heute haben. Trotzdem haben wir den Generationenvertrag SV Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen: Das Ver- gestartet. Das Gesetzt weitet ihn aus. Er war nünftigste ist es einzusehen, was Sie angestellt von Anfang an falsch, sowohl auf der Einnah- haben. Die Pflegeversicherung ist ein groß an- menseite wie auch auf der Ausgabenseite. Die gelegtes Erbschaftsbewahrungsprogramm für Einnahmenseite ist schon deshalb falsch kon- den deutschen Mittelstand gewesen, hat aber struiert, weil sie eine lohnabhängige Beitrags- den Armen nicht geholfen. Solidarisch ist hier zahlung vorsieht. Nun sind Statistiker in der nichts, denn die Armen haben nichts gewon- Lage nachzuweisen, dass das deshalb falsch ist, nen. Wir sollten uns deshalb klar machen, dass weil eine Lohnerhöhung nicht zum Pflegefall wir der heutigen Altengeneration ein Einfüh- macht. Das Risiko, ein Pflegefall zu werden, rungsgeschenk gegeben haben, das bei jeder hat mit dem Einkommen zunächst einmal Umlagefinanzierung entsteht. Wir sollten dar- nichts zu tun. Wir haben keine Äquivalenz. über diskutieren, inwieweit wir dieses Ge- Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 13 schenk teilweise zurücknehmen. Wenn wir ehr- dem BMJ, dessen Fazit mit dem übrigen Text lich wären, würden wir sagen, dass es nicht fi- nicht in Einklang zu bringen ist. Ich meine nanzierbar ist. Wir müssen hier eine solidari- auch andere Gutachten, die von zwei Solidar- sche Finanzierung für die Bedürftigen vorse- gemeinschaften sprechen, die nach unter- hen, d.h. über die Steuer, bei der es die Pro- schiedlichen Prinzipien arbeiten und jeweils in gression gibt und die alle erfasst. Allerdings sich eine solidarische Versicherungsgemein- müssten wir dann natürlich die Bedürftigkeit schaft darstellen. prüfen. Den Rest sollten wir den Menschen Ein weiterer Punkt: wenn Sie sich die Einnah- selbst überlassen. Das wäre ein mutiger Schritt, men der privaten Pflegeversicherung anschau- ein so genanntes Auslaufmodell. en, sind das knapp 1,9 Mrd. Euro. Hier werden Wenn das nicht möglich ist, würde ich die ent- Finanzausgleichsbeträge diskutiert, die recht- sprechenden „Einfrier-Modelle “ wählen, d.h. lich – auch wenn sie gegen Null mutieren – ohne die Leistungen zu dynamisieren. Dadurch nicht zulässig sind, aber in einer Größenord- kann man auch mehr Nachhaltigkeit herstellen. nung von 1 Mrd. Euro liegen. Es würde damit Völlig abwegig ist es, die jenigen, die mit dem eine Beitragserhöhung von deutlich über Geld gut umgegangen sind und Demographie - 50 Prozent zugemutet, obwohl die betroffene Reserven gebildet haben, dadurch zu bestrafen, Klientel heute im Durchschnitt schon einen dass sie das Geld jetzt mit allen anderen zu te i- wesentlich höheren Beitrag zahlt als in der so- len haben. Die Einbeziehung der Privatversi- zialen Pflegeversicherung. Das würde bedeu- cherten in eine Bürgerversicherung ist nichts ten, großen Teile n der Beamten aus dem einfa- anderes, als dass Sie die Ersparnisse von ein i- chen und mittleren Dienst mit einem Brutto- gen unter allen aufteilen. Wenn Sie die Erspar- einkommen von 2.000 bis 2.500 Euro um nisse aufteilen, haben sie auch einen Indikator 50 Prozent höhere Beiträge zuzumuten, um dafür, wie staatliche, großkollektive Organisa- freiwillig in der GKV Versicherte zu subventi- tionen mit Kapitalstöcken umgehen. Ich bin im onieren, die über ein deutlich höheres Ein- Gegensatz zu vielen Kollegen nicht der Mei- kommen verfügen. Das mit Solidarität zu ver- nung, dass ein staatlicher Kapitalstock hier knüpfen ist, während andererseits die Genera- wirklich helfen würde. Denn ich glaube nicht, tionensolidarität völlig ausgespart wird, bleibt dass einer der Politiker dieser Bank wirklich in im Dunkeln. der Lage ist, auf so einen Stock gut aufzupas- sen. Abg. Dr. Konrad Schily (FDP): Würden Sie es für zweckmäßig halten, den Pflegekassen in Abg. Dr. Konrad Schily (FDP): Ich würde § 47 SGB XI per Satzung die Vermittlung von gerne die PKV fragen, wie weit der Finanzaus- Zusatzversicherungen analog zu § 194 Abs. 1a gleich zwischen privater und sozialer Pflege- SGB V mit dem Ziel zu ermöglichen, die Ei- versicherung ein Instrument zur nachhaltigen genvorsorge zu stärken? Sicherung der Finanzierbarkeit der sozialen Pflegeversicherung sein könnte. SV Dr. Volker Leienbach (PKV): Es gibt der- zeit schon Zusatzversicherungen im Bereich SV Dr. Volker Leienbach (Verband der priva- der Pfle ge. Die Inanspruchnahme ist ver- ten Krankenversicherung e.V. (PKV)): Mit ei- gleichsweise bescheiden. Etwa 1 Mio. Men- nem Finanzausgleich, mit dem eine Überwei- schen in Deutschland haben eine Pflegezusatz- sungsrichtung von privater zu sozialer Pflege- versicherung. Jetzt steht in Rede, die se über die versicherung beabsichtigt wäre, würde das Sys- gesetzliche Krankenversicherung vermitteln zu tem gestärkt, das nachweislich nicht nachhaltig lassen. Hierzu gibt es eine eindeutige Ver- und nicht generationengerecht ist. Die Umlage- bandsposition. Wir halten nichts davon, dass finanzierung würde „stabilisiert“, ohne dass eine öffentlich-rechtliche und mit allen Privile- 10 Prozent der Bevölkerung mit Finanzaus- gien ausgestattete Körperschaft in Konkurrenz gleichszahlungen in der Lage wären, dies tat- zu Vermittlern am Markt auftritt, damit den sächlich zu tun. Das „schleichende Aus“ würde Wettbewerb ausschaltet und zu unfairen Be- etwas verlä ngert. dingungen antritt, weil keine Provisionen flie- Rechtliche Bedenken wurden hier und heute ßen, man nicht davon leben muss und letztlich etwas leichtfertig beiseite geschoben. Die Gu- der Wettbewerb zerstört wird. Wenn sich eine tachtenlage ist aber eindeutig. Ich meine das gesetzliche Krankenversicherung einen priva- Gutachten aus dem BMI, aber auch das aus ten Krankenversicherer als Kooperationspart- Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 14 ner nimmt, der nach den Rankings z.B. an ausgleich und Solidarität geschehen durch die fünfter Stelle steht, haben die Nummern 1 bis 4 Steuer, denn sie erfasst alle Einkommen, alle keine Chancen. Gleichwohl sehen wir, dass Menschen und ist progressiv, indem der Reiche dieser Weg angelegt ist und die Wirklichkeit überproportional zahlt. Das ist Solidarität. Die häufig etwas anders tickt als die Verbandsposi- Solidarität wird hier untergraben. Wir sollten tion. Es ist die Vorstufe dazu, dass die gesetzli- uns vielleicht wieder auf unsere alten Systeme che Krankenversicherung in Zukunft auch im besinnen. Die Sozia lversicherungen sind Äqui- Bereich der Pflege eigene Angebote machen valenzsysteme. Der Sozialausgleich hat dage- wird. Ob sich die gesetzliche Krankenversiche- gen durch die Steuer zu erfolgen. Das war etwa rung als Sozialversicherung einen Gefallen 70 bis 80 Jahren die Richtschnur. damit tut, dass sie zur Privatversicherung mu- tiert, ist eine Frage, die politisch zu beantwor- ten wäre. Abg. Heinz Lanfermann (FDP): Ich möchte noch einmal auf die Frage der Ausgleichszah- lungen von der privaten an die soziale Pflege- Abg. Daniel Bahr (Münster) (FDP): Meine versicherung zurückkommen, den von Herrn Frage richte ich an Herrn Prof. Raffelhüschen. Dr. Leienbach kurz angesprochenen rechtli- Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass die chen Aspekt aufgreifen und Herrn Prof. Sodan Pflegestufen dynamisiert werden sollen. Ziel fragen, wie er die Frage aus rechtlicher Sicht dieser Regelung ist es, einen weiteren Real- beurteilt. wertverlust der letzten Jahre bei den Leistun- gen aus der Pflegeversicherung für die kom- menden Jahre zu verhindern und damit auch SV Prof. Dr. Helge Sodan: Ich halte den Fi- einen weiteren Anstieg der Empfänger von Hil- nanzausgleich zwischen sozialer und privater fe zur Pflege zu vermeiden. Wie beurteilen Sie Pflegeversicherung – wie er übrigens auch im diese Dynamisierung? Ist sie geeignet, diesen Koalitionsvertrag angesprochen ist – für ver- beiden Effekten – Realwertverlust und Anstieg fassungsrechtlich äußerst bedenklich, um nicht der Empfänger von Hilfe zur Pflege – zu ver- zu sagen für verfassungswidrig. Die nähere ringern? Ausgestaltung bleibt allerdings auch im Koali- tionsvertrag offen, und zwar insofern, als nicht klar ist, ob die privaten Pflegeversicherer an SV Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen: Die Dy- die soziale Pflegeversicherung eine einmalige namisierung hat Kollege Bomsdorf schon the- Zahlung oder jährliche Ausgleichszahlungen matisiert. So wie sie jetzt angelegt ist, ist sie leisten sollen. Solche Ausgleichsverpflichtun- unterhalb der Realdynamisierung angelegt. Die gen treffen die privaten Versicherer unmitte l- reale Kaufkraft ist nicht zu 100 Prozent ausge- bar und die Versicherten mittelbar. Insofern glichen. Es gibt darüber Streit, wie viel Prozent kann hier offenbleiben, ob darin ein Eingriff in darunter, aber auf jeden Fall ist auch die im die Eigentumsgarantie des Artikels 14 Abs. 1 Gesetz vorgesehene Dynamisierung kein echter des Grundgesetzes oder ein Eingriff in das Realkaufkrafterhalt. Das ist glücklicherweise Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit so, denn der reale Kaufkrafterhalt ist sehr teu- nach Artikel 2 Abs. 1 des Grundgesetzes zu er. Wenn man dazu übergehen wollte, die Ü- sehen ist. In jedem Fall müsste der Grundsatz bergänge in die Hilfe zur Pflege konstant zu der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein. Das halten, würde dies wahrscheinlich eine Diffe- kann ich nicht erkennen. Zwar würde ein sol- renz von etwa 2 Prozentpunkten gegenüber ei- cher Finanzausgleich mit der Sicherung der fi- nem Szenario bedeuten, dass das nicht macht. nanziellen Stabilität der sozialen Pflegeversi- Auch diese Zahlen werden die Kollegen wahr- cherung einen legitimen Zweck erfüllen, aber scheinlich bestätigen, auch wenn es Streit gibt, nach meiner Überzeugung erweist sich ein sol- ob es 2 oder 2,5 Prozentpunkte sind. Aber das cher Ausgleich weder als erforderlich noch als wäre der Preis. Es stellt sich die Frage, warum angemessen. Die bereits diskutierte Überfüh- wir mit so einem System Übergänge in die Hil- rung der sozialen Pflegeversicherung in ein ka- fe zur Pflege vermeiden wollen. Das macht pitalgedecktes System würde jedenfalls deut- keinen Sinn. Wenn wir bedürftige Menschen lich mehr der Sicherung der finanziellen Stabi- haben, die sich nicht leisten können, was wir lität dienen, als dies mit der Regelung einer als Gesellschaft für relevant erachten, ist die Abgabenpflicht für die private Pflegeversiche- Pflege dafür nicht der geeignete Transformator. rung hier der Fall wäre. Im Übrigen fehlt es Das muss durch die Steuer passieren. Sozia l- auch an der Zumutbarkeit des Finanzausgleichs Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 15 aus Sic ht der privaten Versicherer und ihrer hung insofern ausreichend ist, als sie Leis- Versicherten, denn diese trifft keine Verant- tungsverbesserungen in der Perspektive bis wortlichkeit für die soziale Pflegeversicherung. 2014/2015 erfasst. Aber sie erfasst nicht die ab Es gibt im Bereich der Pflegeversicherung dem Jahre 2015 vorgesehene Dynamisierung zwei völlig unterschiedlich strukturierte Sys- der Leistung und auch nicht Leistungsverbes- teme. Das eine basiert auf dem Umlageverfah- serungen, die sich daraus ergeben, dass der ren; dies führt zu einem unsicheren Leben „von Pflegebegriff neu definiert wird. Im Übrigen der Hand in den Mund“. Das andere System stellen wir mit Bedauern fest, dass die Leis- beruht – trotz gewisser Umlageelemente – im tungsverbesserungen – insbesondere beim Wesentlichen auf einer Kapitaldeckung, die Pflegegeld – nicht den Realwertverlust aus- wirtschaftlich gesehen wesentlich solider ist. gleichen und z. B. keine Anhebung der Leis- Im Übrigen würde die eigenständige Stellung tungssätze im Bereich der stationären Pflege in der privaten Pflegeversicherung missachtet, den Pflegestufen I und II vorgesehen ist. Die- wenn es zu einem solchen Finanzausgleich ses Geld fehlt real z.B. auch bei der Prävention käme. Das wäre auch mit den Grundsätzen un- und für Leistungen im Bereich der Rehabilita- vereinbar, die das Bundesverfassungsgericht zu tion. Das führt dazu, dass sich die Tendenz den Sonderabgaben entwickelt hat. Hierzu gibt weiter verstärkt, dass wieder mehr Pflegebe- es eine ausdifferenzierte Rechtsprechung. Dar- dürftige bzw. ihre Angehörigen auf Leistungen in heißt es, dass Sonderabgaben nur in engen der Sozialhilfe angewiesen sind. Grenzen zulässig sind. Beispielsweise die Ver- Wir begrüßen als Verband ausdrücklich die fassungsmäßigkeit eine gruppennützige Ver- Vorschläge zur Einführung einer solidarischen wendung der erhobenen Abgabe voraus. Das Bürgerversicherung im Antrag der Fraktion ist natürlich nicht der Fall, wenn die Gruppe DIE LINKE. und im Antrag der Fraktion der privaten Versicherer und ihrer Versicherten BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wir unterstüt- selbst nichts von der Solidarabgabe hat und zen diese Forderung ausdrücklich, weil die diese ausschließlich der sozialen Pflegeversi- Probleme nicht am umlagefinanzierten System cherung zugute kommt. liegen. Vielmehr schöpfen wir Ressourcen nicht aus, die das umlagefinanzierte System in sich birgt, indem wir die Beitragsbemessungs- Abg. Frank Spieth (DIE LINKE.): Meine grundlagen nicht auf breitere Schultern stellen. Frage richtet sich an die Volkssolidarität: Wir Dafür gibt es derzeit keine Mehrheiten. Wenn haben gehört, dass das Reformvorhaben im ak- man sich den Deutschen Bundestag anschaut, tuellen Gutachten des Sachverständigenrates gäbe es allerdings eine strukturelle Mehrheit. zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Persönlich bedauere ich sehr, dass sie nicht Entwicklung sehr kritisch bewertet wird. Es realisierbar ist. wird vor alle m die Finanzierungsseite kritis iert. Unabhängig davon kann man darüber nach- Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die denken, wie bestimmte Schritte verwirklicht von der Bundesregierung im Gesetzentwurf werden sollten, die sogar in der Koalitionsver- vorgesehene Beitragserhöhung um einbarung stehen. Hier nehme ich den dort 0,25 Prozent? Wie beurteilen Sie demgegen- vorgesehenen Finanzausgleich noch einmal über das Anliegen im Antrag der Fraktion DIE auf, der sich ausdrücklich darauf beruft, dass es LINKE., eine solidarische Bürgerinnen- und in der sozialen und in der privaten Pflegeversi- Bürgerversicherung einzuführen, und die dort cherung unterschie dliche Risikostrukturen gibt. gemachten Finanzierungsvorschläge? Ich möchte hier ergänzend auf die Struktur der Glauben Sie im Übrigen, dass mit den hier Leistungsausgaben gemäß dem Vierten Pflege- vorgelegten Erhöhungsansätzen die Leistungs- bericht der Bundesregierung verweisen. Bei ausweitung – insbesondere vor dem Hinter- der sozialen Pflegeversicherung sind demnach grund des Ende diesen Jahres voraussichtlich 95 Prozent aller Ausgaben Leistungsausgaben, neu vorgelegten Pflegebedürftigkeitsbegriffs – in der privaten Pflegeversicherung sind es nicht überhaupt finanzierbar wäre? einmal 21 Prozent. Das macht deutlich, dass hier strukturell unbedingt Schritte gegangen werden müssen, um nicht nur innerhalb der SV Dr. Alfred Spieler (Volkssolidarität- Systeme mehr Solidarität herzustellen, sondern Bundesverband e.V.(VS)): In Bezug auf die auch zwischen den Systemen. Ein Finanzaus- Beitragssatzerhöhung um 0,25 Prozentpunkte gleich, wie er im Koalitionsvertrag vorgesehen pflichte ich den Sachverständigen bei, die un- war, wäre ein erster richtiger Schritt in diese terstrichen haben, dass diese Beitragssatzerhö- Richtung. Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 16

Lasten der Pflegeversicherung beteiligen, weil sie durch einen Feiertag kompensiert worden Abg. Frank Spieth (DIE LINKE.): Ich möchte sind. Im Sinne einer fairen Lastenverteilung Herrn Kaffenberger fragen, ob er etwas zur wäre auch hier zu überlegen, dass man den Frage der paritätischen Finanzierung sagen Beitragssatz beispielsweise für Arbeitgeber kann. Nach meiner Auffassung und Wahrneh- einseitig stärker anhebt. Allerdings ist diese mung können wir hier nur noch von einer fikti- Maßnahme kein Ausweg aus der zum Teil ven Parität reden. Ist die paritätische Finanzie- problematischen Lohnzentriertheit. Es müssen rung mit den vorgesehenen Regelungen ge- auch noch andere Aspekte berücksichtigt wer- währleistet oder wird sie nicht noch stärker in- den, etwa der bereits angesprochene Solidar- frage gestellt? ausgle ich zwischen privater und gesetzlicher Pflegeversicherung oder auch die Steuerfinan- zierung versicherungsfremder Leistungen. Es SV Jens Kaffenberger: Gute Pflege kostet ist nicht kohärent, dass man die beitragsfreie Geld, und dieses Geld muss aufgebracht wer- Mitversicherung von Kindern in der Kranken- den. Angemessen fände ich auch noch mehr als versicherung über Steuern finanziert wird, 2,5 Mrd. Euro bis 2015, allerdings im Rahmen während man diesen Schritt in der Pflegeversi- einer fairen Lastenverteilung zwischen Arbeit- cherung, wo der Sachverständigenrat die dafür gebern, Arbeitnehmern, Rentnern und Bezie- nötige Summe auf 3,1 bis 3,4 Mrd. Euro hern anderer Einkommensarten. Die vorgese- schätzt, nicht nachvollzieht. henen Finanzierungsregelungen werfen im Hinblick auf die Fairness der Lastenverteilung, aber auch im Hinblick auf die Nachhaltigkeit Abg. Frank Spieth (DIE LINKE.): Die nächs- einige Probleme auf. Die Beitragserhöhung te Frage geht an Herrn Prof. Rothgang: Wel- von 0,25 Prozent wirkt sich sehr unterschie d- chen Betrag und welche Beitragssetzung lich auf die verschiedenen gesellschaftlichen bräuchten wir, um die von der Bundesregie- Gruppen aus. Während Arbeitergeber und Ar- rung im demenziellen Bereich versprochenen beitnehmer durch eine Senkung des Beitrags Leistungsverbesserungen allen Dementen an- zur Arbeitslosenversicherung entlastet werden, bieten, die Realwertverluste ausgleichen, Qua- werden Rentnerinnen und Rentner in Höhe von litätsverbesserungen auch im professionellen, 0,25 Prozent erheblich zusätzlich belastet. Man d.h. stationären und ambulanten Pflegebereich, kann aber nicht nur die isolierten Bereiche der vornehmen zu können? Sozialversicherung betrachten, sondern muss auch die Gesamtbela stung betrachten. Gerade im Bereich der Rentnerinnen und Rentner ha- SV Prof. Dr. Heinz Rothgang: Wenn die ben sich in den letzten Jahren eine ganze Reihe Leistungen der Pflegeversicherung real kon- von Kürzungen, Nullrunden und Belastungen stant bleiben sollen, müssen sie ungefähr so ergeben. Wir haben es mit einer Kaskade der steigen wie die Preise für die Pflegeleistungen. Teilhabe am Wohlstand zu tun. Die Löhne Die se werden in erster Linie durch die Lohn- bleiben immer weiter hinter der gesamtwirt- kosten getrieben, d.h. in etwa so wie die Lohn- schaftlichen Entwicklung zurück, und die Ren- entwicklung. Wenn man eine Formel sucht, mit ten bleiben immer weiter hinter den Löhnen der man die Leistungen der Pflegeversicherung zurück. In der Folge warnt mittlerweile auch langfristig real konstant halten will, muss des- schon die OECD vor Altersarmut in Deutsch- halb die Orientierung an der Entwicklung der land. Deswegen muss man hier darüber nach- durchschnittlichen Löhne und Gehälter eine denken, bestimmte Entscheidungen rückgängig große Rolle dabei spielen. zu machen, indem man z.B. wieder zur paritä- Konkrete Zahlen zu den Dementen und der tischen Finanzierung bei der Rente übergeht Qualität kann ich nicht nennen. Es gibt den und den hälftigen Beitragssatz durch die Ren- Beirat der Bundesregierung zur Weiterentwic k- tenversicherung wieder einführt. Wenigstens lung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs, der im muss man dafür sorgen, dass Beitragserhöhun- November nächsten Jahres ein Ergebnis vorle- gen nicht voll auf die Rentner umgelegt wer- gen wird. Die Diskussion um eine neue Defin i- den. tion des Pflegebedürftigkeitsbegriffs ist vor al- Ein anderes Problem der Parität ist altbekannt: lem dadurch angestoßen worden, dass demen- Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber werden ent- ziell Erkrankte in der Pflegeversicherung nicht lastet, obwohl sie sich seit Einführung der hinreichend berücksichtigt sind. Da muss etwas Pflegeversicherung kaum an den finanziellen passieren. Das wird ausgabenwirksam sein und Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 17 bedeutet eine Gefahr für die im Moment im ben und die Konjunktur gut weiterläuft, kann Gesetzentwurf vorgesehene Finanzierung. In es ausreichen. Es würde mich aber auch nicht welchem Umfang das zum Tragen kommt, wundern, wenn wir in der nächsten Legislatur- wird man aber erst nächstes Jahr sehen können. periode wieder über eine Erhöhung der Ein- nahmen reden müssten, weil die Pflegeversi- cherung sonst in ein Defizit kommt. Abg. Frank Spieth (DIE LINKE.): Ich würde die Frage gerne noch einmal an die Volkssoli- darität richten: Glauben Sie sagen zu können, Abg. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE welcher Betrag insgesamt erforderlich ist, um GRÜNEN): Die nächste Frage richtet sich die versprochenen Leistungsverbesserungen wieder an Herrn Prof. Rothgang sowie an den der Bundesregierung tatsächlich zu finanzie- DGB und ver.di. Als Bundestagsfraktion ren? BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern wir in unserem Antrag eine Zusammenführung der sozialen und privaten Pflegeversicherung zu SV Dr. Alfred Spieler (VS): Das ist zwar eine einer solidarischen Pflegebürgerversicherung interessante Frage, geht aber in das Feld der und sehen darin einen Baustein zur Finanzie- Spekulation. Eine konkrete Zahl sollten hier rungsreform. Wie bewerten Sie diese Forde- eher die Finanzexperten nennen. rung?

Abg. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE SV Prof. Dr. Heinz Rothgang: Ich halte es für GRÜNEN): Meine erste Frage richtet sich an eine zwingende Forderung, entweder die bei- Herrn Prof. Rothgang. Wie bewerten Sie die den Systeme zusammenzuführen oder zumin- Schätzung im Gesetzentwurf, wonach die Er- dest einen Solidarausgleich, d.h. einen Risiko- höhung des Beitragssatzes um 0,25 % bis zum ausgleich, herbeizuführen. Die günstige finan- Jahr 2014 oder 2015 zur Finanzierung der Re- zielle Lage der privaten Pflegeversicherung be- formmaßnahmen ausreiche? Halten Sie diese ruht nicht darauf, dass sie effizienter arbeitet. Prognose für stimmig? Die Leistungsstrukturen, Leistungshöhen und Leistungen sind identisch. Die Vorteile der privaten Pflegeversicherung beruhen aus- SV Prof. Dr. Heinz Rothgang: Wenn 2014 schließlich darauf, dass sie eine andere Risiko- wie geplant weitere Dynamisierungen be- struktur und das günstigere Klientel hat. Inso- schlossen werden, reichen die Einnahmen nicht fern halte ich es sozialpolitisch für zwingend, mehr aus. Auf der anderen Seite ist auch klar: hier einen Ausgleich herbeizuführen. Bis 2014 reichen die Mehreinnahmen aus, um Rechtliche Bedenken sind schon geäußert wor- die beschlossenen Mehrausgaben zu finanzie- den. Ich bin kein Jurist, würde hier allerdings ren. Fraglich dagegen ist meines Erachtens, ob gerne das Verfassungsgericht zitieren, das in die Erhöhung ausreicht, um das Defizit bis seinem Urteil 2001 gesagt hat, „dass die priva- 2014 zu vermeiden. Das ist zumindest uns i- te Pflegeversicherung Teil eines gesetzgeberi- cher. Die zu Grunde liegenden Annahmen im schen Gesamtkonzeptes einer möglichst alle Gesetzentwurf sind optimistisch und blenden Bürger umfassenden sozialen Absicherung des einige fiskalische Risiken aus, etwa die makro- Risikos der Pflegebedürftigkeit ist.“ Das Ver- ökonomische Frage, ob die gute Konjunkturla- fassungsgericht spricht davon, dass der Ge- ge tatsächlich so lange anhält – gerade in die- setzgeber eine Pflegevolksversicherung in Ges- sen Tagen werden die Fragezeichen da sehr talt zweier Versicherungszweige geschaffen deutlich – oder die sozialpolitische Frage, in- hat. Für mich als Nichtjurist klingt das so, als wieweit wir Beitragsverluste, z. B. durch die würde nichts dagegen sprechen, diese zwei verstärkte Nutzung von Entgeltumwandlung Zweige der Volksversicherung stärker zu ver- oder geringere Rentensteigerung haben. Das al- zahnen. les würde dem System Mittel entziehen. Pfle- gepolitisch bleibt das große Fragezeichen, in- wieweit die geplante Neufassung des Pflege- SV Jürgen Sendler (Deutscher Gewerk- bedürftigkeitsbegriffs zu mehr Ausgaben führt. schaftsbund (DGB)): Grundsätzlich ist unsere Insgesamt sind die Berechnungen der Regie- Einstellung zu dieser Frage positiv, und die rung angesichts der genannten Fragezeichen Forderungen sind sehr ähnlich. Wir werden sehr „auf Kante genäht". Wenn wir Glück ha- verfassungsrechtliche Überlegungen ernst Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 18 nehmen, aber festzustellen ist ein äußerst ge- die etwa als gewogener Mittelwert von Brutto- wichtiger Einfluss der privaten Versiche- lohnsteigerungen und Inflation konzipiert wird, rungswirtschaft auf diesen ganzen Komplex in z. B. im Verhältnis 2:1. der politischen Entscheidungsfindung. Ohne Das im Gesetzentwurf genannte Kriterium der diesen sichtbar sehr gewichtigen Einfluss wäre gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen es vermutlich ganz leicht, dahingehende erscheint mir als eine Klausel, mit der die Leis- rechtspolitische Phantasie zu entwickeln, dass tungsdynamisierung in Zeiten knapper Kassen die Sache im Sinne einer gemeinsamen Volks- ausgesetzt werden kann und soll. Das würde versicherung lösbar ist. dann zu einem Realwertverlust der Versiche- rungsleistungen führen. Da das unbedingt zu vermeiden ist, wäre ich dafür, diese Klausel zu SV Herbert Weisbrod-Frey (Vereinte Dienst- streichen. leistungsgewerkschaft (ver.di)): Ich kann mich im Wesentlichen den Vorrednern anschließen. Es ist auch eine Frage der Würde der Men- SVe Bettina Wagner (Deutscher Verein für schen, dass eine gute und ausreichende Finan- öffentliche und private Fürsorge e. V.): Der zierung der Pflegeversicherung vor liegt. Des- Deutsche Verein fordert, die Leistungen der wegen brauchen wir die solidarische Bürger- Pflegeversicherung schon jetzt zu dynamisie- versicherung, an der sich alle gleichermaßen ren, da die geplanten Erhöhungen selbst den beteiligen. Wir haben durch die Pflegeversi- Kaufkraftverlust nicht ausgleichen werden. Die cherung erreicht, dass der entwürdigende Gang jetzt vorgesehen Regelung, die lediglich eine zum Sozialamt für viele Menschen entfallen Prüfung der Notwendigkeit und Höhe einer ist. Mit dem Wertverlust der Pflegeversiche- Anpassung der Leistungen vorsieht – und dies rung sehen wir, dass der Gang zum Sozialamt auch erstmals ab dem Jahr 2014 –, lässt be- wieder für viele angesagt ist. Deswegen muss fürchten, dass wegen der auch in Zukunft zum man diesen Schritt in eine andere Ric htung der Teil anhaltend hohen Eigenleistungen der Finanzierung noch machen. Menschen die Akzeptanz des Gesetzes bei den Betroffenen, den pflegebedürftigen Menschen, und deren Angehörigen le idet. Abg. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine weitere Frage an Herrn Prof. Rothgang und den Deutschen Verein. Wie ist Abg. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE es fachlich zu beurteilen, das erstmals 2014 GRÜNEN): Die nächste Frage richtet sich an und dann alle drei Jahre eine Dynamisierung Herrn Prof. Rothgang, die Bundesvereinigung erst nach Prüfung durch die Bundesregierung der kommunalen Spitzenverbände und Herrn erfolgen soll? Halten Sie den dreijährigen Tur- Prof. Schmähl. Reicht die mit dem Gesetzent- nus für angemessen und dieses Verfahren für wurf vorgesehene schrittweise Erhöhung der sinnvoll? Ist damit eine Dynamisierung über- Leistungssätze bis zum Jahr 2012 aus, um den haupt gesichert? bisher eingetretenen Realwertverlust der Pfle- geversicherungsleistungen auszugle ichen bzw. wenn nein, warum nicht? SV Prof. Dr. Heinz Rothgang: Der Gesetz- entwurf sieht vor, dass alle drei Jahre geprüft werden soll, ob die Leistungen angepasst wer- SV Prof. Dr. Heinz Rothgang: Die im Gesetz den. Wünschenswert wäre eine eindeutige Re- vorgesehene schrittweise Erhöhung ist nach gelbindung, die eine Anpassung zwingend vor- Pflegestufen und Leistungsarten differenziert. sieht, ohne dass vorher geprüft wird. Gemäß Dabei werden beispielsweise die Leistungen der jetzigen Formulierung sollen Inflationsrate der stationären Pflege in Stufe I und II nicht und Lohnsteigerungen betrachtet werden. Die angehoben. Die s ist ein Bereich, der im Mo- Dynamisierung soll dann der niedrigeren der ment mehr als 40 Prozent aller Ausgaben ab- beiden Raten folgen. Das ist aus meiner Sicht deckt. Es findet also für einen großen Bereich ebenfalls unbefriedigend. Wenn wir davon aus- keine Angleichung statt. Wenn man deshalb gehen, dass die realen Bruttolöhne in Zukunft versucht, sich anhand der derzeitigen Inan- steigen, ist eine Anpassung gemäß der Inflati- spruchnahmequoten ein Gesamtbild zu ver- onsrate unzureichend, wenn die Kaufkraft der schaffen, sieht man, dass bis zum Ende des Be- Versicherungsleistung aufrechterhalten werden trachtungszeitraumes insgesamt eine Erhöhung soll. Sinnvoll wäre vielmehr eine Anpassung, um 7 Prozent vorgesehen ist. Bezogen auf den Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 19

Zeitraum von fünf Jahren sind das im Durch- ben und das sich in Zukunft evtl. noch verrin- schnitt 1,4 Prozent pro Jahr. Das ist gerade in gern wird, für die Zukunft fortschreiben. Das der Nähe der Inflation und reicht knapp aus, ist eine Entwicklung, die man sehr sorgfältig um die Leistungen bis 2012 konstant real zu und kritisch betrachten muss. halten. Rückwirkend passiert gar nichts. Wenn man das auf den Zeitraum 1996 bis 2012 bzw. 2015 bezieht, würde das einer jährlichen An- Abg. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE hebung von etwa 0,4 Prozent entsprechen, also GRÜNEN): Die nächste Frage richte ich an die deutlich unter der Inflationsrate. Entsprechend Caritas. Als Fraktion BÜNDNIS 90/DIE findet keine nachholende Angleichung statt. GRÜNEN fordern wir in unserem Antrag den Aufbau einer kollektiven, vor polit ischem Zugriff geschützten Demographiereserve zur SVe Verena Göppert (Deutscher Städtetag Abfederung künftiger demografischer Bela s- und Bundesvereinigung der kommunalen Spit- tungen. Wie stehen Sie zu dieser Forderung? zenverbände): In einigen Beiträgen wurde schon verneint, dass ein Realwertverlustaus- gleich mit der Erhöhung stattfindet. Das hat SVn Dr. Elisabeth Fix (Deutscher Caritasver- auch Herr Prof. Raffelhüschen bereits ausge- band e. V.): Der Deutsche Caritasverband un- führt. Er hat aber eine Schlussfolgerung gezo- terstützt die Forderung der Fraktion BÜNDNIS gen, die wir als Kommunen nicht teilen kön- 90/DIE GRÜNEN nach dem Aufbau eines kol- nen. Es ist nicht Aufgabe der Kommunen und lektiven Kapitalstocks. Wir sehen die Notwen- der Sozialhilfe, hier als Ausfallbürge für ein digkeit, die zusätzlichen Belastungen aus- vorgelagertes Sozialleistungs- zugleichen, die durch den demographischen Versicherungssystem einzuspringen. Es geht Übergang entstehen. Hierfür ist ein kollektiver bei der Pflege um ein allgemeines Lebensris i- Kapitalstock ein geeignetes Instrument. Er soll ko, das gerade diese Versicherung auffangen allerdings ausschließlich zur Beitragsglättung soll. Es kann nicht Aufgabe der kommunalen verwendet werden und vor politischen Zugrif- Sozialhilfe sein und ist auch im Sinne der Hil- fen geschützt sein. Vorstellbar ist daher z. B. feempfänger kein sinnvoller Weg, hier die Be- eine Verwaltung durch die Deutsche Bundes- darfs- und Bedürfniskriterien in der Sozialhilfe bank. heranziehen und die Unterhaltsverpflichtungen anwenden zu müssen. Es ist Aufgabe der Pfle- geversicherung, die Ausgabenentwicklung mit Abg. Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU): Ich einer entsprechenden Anpassung der Leistun- habe eine Frage an Herrn Prof. Sodan und die gen aufzufangen. PKV. Wie beurteilen Sie die Regelungen im § 110 Abs. 2 Satz 2 ff SGB XI, wonach Versi- cherte des Standardtarifs und Versicherte des SV Prof. Dr. Winfried Schmähl: Es scheint Basistarifs, unabhängig von ihrem individue l- mir statistisch eindeutig zu sein, dass es auch len Risiko, maximal den sozialen Pflegeversi- bei der vorgesehenen Anhebung von Leis- cherungshöchstbeitrag von demnächst voraus- tungssätzen insgesamt zu einer Minderung des sichtlich 70,20 Euro zahlen sollen, bei Hilfebe- Leistungsniveaus im Vergleich zu dem kommt, dürftigkeit die Hälfte davon? was bei Einführung der Pflegeversicherung vorgesehen war. Damit besteht auch die Ge- fahr, dass eines der zentralen Ziele bei Einfüh- SV Prof. Dr. Helge Sodan: Artikel 1 Nr. 67 rung der Pflegeversicherung – Menschen in und Artikel 2 des Entwurfs des Pflege- höherem Maße aus der Sozialhilfebedürftigkeit Weiterentwicklungsgesetzes regeln die ange- heraus zu nehmen –weiter verfehlt wird. sprochene Ergänzung des § 110 Abs. 2 SGB Schlie ßlich muss man darauf hinweisen, dass XI. Bezug genommen wird auf Regelungen es nicht um den Zeitraum bis 2012, sondern zum Basistarif und zum Standardtarif, d. h. auf um den Zeitraum bis 2014/2015 geht, wenn Vorschriften, die im GKV-Wettbewerbs- erst einmal die weitere Dynamisierung einset- stärkungsgesetz vom 26. März 2007 enthalten zen soll. Wenn im Jahre 2014/15 eine tatsäch- sind. Mit der Anknüpfung nehmen die Be- lich sachadäquate Dynamisierung regelgebun- stimmungen aus dem Entwurf des Pflege- den – und nicht in der je tzt im Gesetz vorgese- Weiterentwicklungsgesetzes nach meiner Ü- henen Form – erfolgen sollte, würde man das berzeugung aber auch an der Verfassungswid- verminderte Leistungsniveau, das wir dann ha- rigkeit der Regelungen des GKV- Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 20

Wettbewerbsstärkungsgesetz teil. Ich habe im worden war; dabei handelt es sich um eine Rahmen der Anhörung vor diesem Ausschuss Gruppe, die wegen ihrer Schutzbedürftigkeit in am 8. November 2006 versucht darzulegen, eine Sozialversicherung gehört, aber ganz ge- dass sich insbesondere die Regelungen zum wiss nicht in eine private Versicherung. Basistarif nicht mit den Vorgaben des Grund- Entsprechendes ist für den Versicherungs- gesetzes vereinbaren lassen. Sie werden ver- schutz im Standardtarif anzunehmen. Die we- stehen, dass ich von dieser Position auch heute sentlic hen Elemente des Standardtarifs, wel- nicht abrücken werde. cher der Einführung des Basistarifs „vorgela- Wegen der engen Verknüpfung möchte ich gert“ ist, stimmen mit denen des Basistarifs noch einmal einige verfassungsrechtliche Ü- überein, so dass durch diese gesetzlichen Vor- berlegungen zum Basistarif und zum Standard- gaben auch im Standardtarif eine Äquivalenz- tarif nach § 315 SGB V in der neuen Fassung störung zwischen den Krankheitskosten und darlegen. Die privaten Krankenversicherungs- den Beitragseinnahmen angelegt ist. unternehmen sind darauf angewiesen, dass ihre Die vorgesehene Neuregelung in Arti- den Versicherungsprämien zu Grunde liegen- kel 1 Nr. 67 und Artikel 2 des Entwurfs eines den Risikoprognosen so präzise wie möglich Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes steht damit die Realität abbilden. Bei einer Abweichung ist in unmittelbarem Zusammenhang, denn sie die Äquivalenz zwischen den beitragsbezoge- gibt dem genannten Personenkreis auch die nen Einnahmen und den Ausgaben für die Möglichkeit, sich entsprechend privat Pflege Krankheitskosten der Versicherten nicht mehr zu versichern. Damit führt auch diese Rege- gegeben. Je ungenauer nun diese Risikoprog- lung zu einer ganz erheblichen Störung des nosen sind, desto größer ist sogleich die Ge- Äquivalenzverhältnisses zwischen den Pflege- fährdung der Äquivalenz, also eines tragenden kosten und den Beitragseinnahmen und ver- Prinzips der privaten Krankenversicherung. stößt nach meiner Auffassung sowohl gegen Um die Äquivalenz wieder herzustellen, müs- die Grundrechte der Berufsfreiheit wie auch sen dann zwangsläufig die Beiträge der Versi- der Eigentumsgarantie von Versicherern. cherten erhöht werden. Die Einführung eines Tarifs mit Kontrahierungszwang ohne Risiko- prüfung trägt wegen der ungenauen Prognose SV Dr. Volker Leienbach (PKV)): Herr Prof. der Krankheitskosten dazu bei, dass die Äqui- Sodan hat das Wesentliche gesagt. Den Basis- valenz bei denjenigen, die diesen Tarif wählen, tarif und seine Mechanik haben wir vie lfältig – nicht vorliegt. Das entsprechende Defizit ist auch rechtlich – kritisiert; dies wird zur Ent- regelmäßig von den übrigen Versicherten zu scheidung nach Karlsruhe gebracht. Durch die tragen. Darin sehe ich Grundrechtseingriffe zu Beitragslimitierung, vor allem durch die Hal- Lasten der Versicherer: zum einen in das durch bierung des Beitrags, ist der Subventionstatbe- Artikel 12 Abs. 1 des Grundgesetzes geschütz- stand angelegt, d. h. man schafft hier einen Ta- te Grundrecht der Berufsfreiheit, das auch die rif, von dem man weiß, dass er sich aus sich Wettbewerbs- und die beruflich genutzte Ver- heraus nicht finanziert. Wenn es der polit ische tragsfreiheit umfasst, und zum anderen in das Wille ist, den man zu akzeptieren hat, dass Grundrecht der Eigentumsgarantie nach Arti- Versicherte mit geringem Einkommen Versi- kel 14 Abs. 1 des Grundgesetzes. Betroffen cherungsschutz haben, ist es Aufgabe der öf- sind auch die Grundrechte von Altbestands- fentlichen Hand, für eine adäquate Beitrags- kunden, welche für die entstehenden Defizite leistung zu sorgen. Es kann nicht sein, dass die mit ihren Beiträgen aufkommen müssen. Ins- öffentliche Hand sich zu Lasten eines Teilkol- gesamt erweisen sich die gesetzlichen Rege- lektivs von Versicherten entlastet. lungen nach meiner Überzeugung als unver- hältnismäßig. Der Personenkreis, dem man es ermöglicht, sich im Basistarif zu versichern, ist Abg. Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU): Ich viel zu groß. Es können sich sogar Personen habe eine Frage an die private Pflegeversiche- versichern, die wegen vorangegangener arglis- rung. Wird die Einbeziehung und Mitfinanzie- tiger Täuschung über den Gesundheitsstatus ih- rung der privaten Pflegeversicherung in die ren Versicherungsschutz verloren hatten. Sie Gemeinschaftsaufgaben zur Sicherung der haben nun einen Aufnahmeanspruch – zwar Qualität im Gesetzentwurf sachgerecht gere- nicht bei demselben, aber bei einem anderen gelt? Versicherer. Ebenso versicherungsberechtigt sind hier Personen, denen der Versicherungs- vertrag wegen Zahlungsverzugs gekündigt Ausschuss für Gesundheit, 74. Sitzung, 23.01.2008 21

SV Dr. Volker Leienbach (PKV)): Die PKV cherten von Bahn und Post übernommen. Das soll mit 10 Prozent der Kosten belastet werden. sind rd. 1 Mio. Versicherte, die keinen Nach- Dazu möchte ich zwei Bemerkungen machen: wuchs haben und im versicherungstechnischen Zum einen wäre ein Schlüssel von 7 Prozent Sinne eher „schlechte Risiken“ sind. Es ist angemessen, weil hier die anteilige Beihilfefi- ric htig , dass sich die Altersstruktur der privaten nanzierung herausgerechnet werden müsste. Pflegeversicherung im Augenblick noch pos i- Wenn die PKV zu einer Finanzierung herange- tiv von der in der sozialen Pflegeversicherung zogen wird, müssen zweitens dem auch ent- unterscheidet. Das liegt im Wesentlichen dar- sprechende Rechte gegenüberstehen. Hier stel- an, dass privat versicherte Rentner bis 1989 in len wir – wie in unserer Stellungnahme aus- die gesetzliche Krankenversicherung zurück- führlich begründet – fest, dass unsere Beteili- wechseln konnten. Dieser unhaltbare Zustand gungsrechte unzureichend sind. Wir fordern ist inzwischen beseitigt, doch die Altersstruktur keineswegs „gemeinsam und einheitlich“, wie der PKV lebt noch von diesem Effekt, der aber bei der GKV, vorzugehen, aber wenn wir in selbstverständlich auslaufen wird. Wir können gle ichem Umfang zahlen, wollen wir auch davon ausgehen, dass wir in ca. 15 Jahren zu mindestens die gleichen Rechte haben, um als einer Angleichung der Altersstruktur kommen. weiterer Player für Wettbewerbsintensität und Dann werden die Verhältnisse sogar kippen, letztlich bessere Qualität sorgen zu können. und die private Pflegeversicherung wird mitte l- Dafür gibt es viele Anwendungsbeispiele, die fristig eine schlechtere Altersstruktur haben als in unserer Stellungnahme im Einzelnen ge- die soziale Pflegeversicherung. Ich warne da- nannt sind. vor, jetzt kurzfristig einen kleinen Zeitraum in Betracht zu ziehen, wenn wir das langfristige Problem der Generationensolidarität lösen Abg. Jens Spahn (CDU/CSU): Ich habe eine müssen. Frage an die PKV. Von anderen Sachverstän- digen wurde mehrfach das Stichwort „Ros i- nenpickerei“ gebraucht. Ich bitte dazu um Ihre Abg. Jens Spahn (CDU/CSU): Mich interes- Stellungnahme. Es gibt Prognosen, nach denen siert, ob Herr Prof. Rothgang befürwortet, dass bei einem Transfer zwischen den beiden Sys- sich der Sozialtransfer in 15 Jahren umkehrt. temen in einem absehbaren Zeitraum ein um- gekehrter Finanztransfer nötig würde, weil sich die Risikolage in der privaten Pflegeversiche- SV Prof. Dr. Heinz Rothgang: Sicher, ja. rung entsprechend verschärft. Könnten Sie da- zu auch Ausführungen machen? Abg. Hilde Mattheis (SPD): Wir haben keinen Fragebedarf mehr. SV Dr. Volker Leienbach (PKV): Es gibt den Grundsatz „Pflege folgt Kranken“, d. h., bei Pflege erfolgt keine Selektion, und wer kran- kenversichert ist, wird unabhängig vom Zeit- punkt seines Eintritts auch pflegeversichert. Ende der Sitzung: 15.40 Uhr Wir haben als Solidarbeitrag schon die Versi-

Deutscher Bundestag Protokoll Nr. 16/75 16. Wahlperiode

Ausschuss für Gesundheit

Wortprotokoll

75. Sitzung

Berlin, den 23.01.2008, 16:30 Uhr Sitzungsort: Reichstag, SPD-Fraktionssaal 3 S001

Vorsitz: Dr. Martina Bunge, MdB

TAGESORDNUNG:

Öffentliche Anhörung (Block IV: Berufsrechtliche Fragestellungen) zu folgenden Vorlagen:

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Entwurf eines Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz) BT-Drucksache 16/7439, 16/7486

Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Nicole Maisch, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Finanzielle Nachhaltigkeit und Stärkung der Verbraucher - Für eine konsequent nutzerorientierte Pflegeversicherung

BT-Drucksache 16/7136

Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Für eine humane und solidarische Pflegeabsicherung

BT-Drucksache 16/7472

Antrag der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Daniel Bahr (Münster), Dr. Konrad Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für eine zukunftsfest und generationengerecht finanzierte, die Selbstbestimmung stärkende, transparente und unbürokratische Pflege

BT-Drucksache 16/7491

Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 2

Mitglieder des Ausschusses

Ordentliche Mitglieder des Ausschusse Stellv. Mitglieder des Ausschusses

CDU/CSU Bauer, Wolf, Dr. Blumenthal, Antje Eichhorn, Maria Brüning, Monika Faust, Hans Georg, Dr. Hennrich, Michael Hüppe, Hubert Jordan, Hans-Heinrich, Dr. Koschorrek, Rolf, Dr. Krichbaum, Gunther Michalk, Maria Luther, Michael, Dr. Scharf, Hermann-Josef Meckelburg, Wolfgang Spahn, Jens Philipp, Beatrix Straubinger, Max Scheuer, Andreas, Dr. Widmann-Mauz, Annette Zöller, Wolfgang

Zylajew, Willi N.N.

SPD Friedrich, Peter Bätzing, Sabine Hovermann, Eike Becker, Dirk Kleiminger, Christian Bollmann, Gerd Lauterbach, Karl, Dr. Ferner, Elke Mattheis, Hilde Gleicke, Iris Rawert, Mechthild Hemker, Reinhold, Dr. Reimann, Carola, Dr. Kramme, Anette Spielmann, Margrit, Dr. Kühn-Mengel, Helga Teuchner, Jella Marks, Caren Volkmer, Marlies, Dr. Schmidt, Silvia Wodarg, Wolfgang, Dr. Schurer, Ewald

FDP Bahr, Daniel Ackermann, Jens Lanfermann, Heinz Kauch, Michael Schily, Konrad, Dr. Parr, Detlef

DIE LINKE. Bunge, Martina, Dr. Ernst, Klaus

Seifert, Ilja, Dr. Höger, Inge

Spieth, Frank Knoche, Monika

B90/GRUENE Bender, Birgitt Haßelmann, Britta Scharfenberg, Elisabeth Koczy, Ute Terpe, Harald, Dr. Kurth, Markus

______Der Urschrift des Protokolls ist die Liste der Unterschriften beigefügt.

Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 3

Fehler! Keine Indexeinträge gefunden. Sprechregister Abgeordnete Seite/n Sprechregister Sachverständige Seite/n Abg. Annette Widmann-Mauz 10 SV Detlev Heins (Deutsche 18 (CDU/CSU) Krankenhausgesellschaft e. V.) Abg. Daniel Bahr (Münster) 16, 17 SV Dr. Carl-Heinz Müller 7, 9, 15, 17, (FDP) (Kassenärztliche Bundesvereinigung 25 (KBV)) Abg. Dr. Carola Reimann (SPD) 11 SV Dr. Diethard Sturm (Deutscher 8 Hausärzteverband e.V.) Abg. Dr. Hans Georg Faust 6, 25 SV Dr. Monika Rausch (Deutscher 26 (CDU/CSU) Verband für Physiotherapie – Zentralverband der Physiotherapeuten/Krankengymnaste n e.V.(ZVK)) Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE 18, 19 SV Dr. Peter Pick (Medizinischer 7, 27 LINKE.) Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e.V.(MDS)) Abg. Dr. Konrad Schily (FDP) 15, 16, 18 SV Dr. Susanne Jassim-Guddorp 28 Abg. Dr. Margrit Spielmann 13 SV Dr. Theodor Windhorst 16, 17, 25 (SPD) Abg. Dr. Marlies Volkmer (SPD) 14, 26 SV Dr. Thomas Scharmann 8, 17 (Deutscher Facharztverband e.V. (DFV)) Vorsitzende Abg. Dr. Martina 6, 29 SV Dr. Wolfram Johannes 7, 8, 10, 24 Bunge (DIE LINKE.): Abg. Dr. Rolf Koschorrek 23 SV Arno Metzler (Bundesverband 16 (CDU/CSU) der Freien Berufe (BFB)) Abg. Elisabeth Scharfenberg 21, 22, 23 SV Erwin Dehlinger (AOK- 8, 17 (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bundesverband (AOK-BV)) Abg. Frank Spieth (DIE LINKE.) 20 SV Franz Wagner (Deutscher 11, 13, 19 Pflegerat e. V.) Abg. Hermann-Josef Scharf 26 SV Gerd Dielmann (Vereinte 19, 20, 23 (CDU/CSU) Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)) Abg. Hilde Mattheis (SPD) 28 SV Heinz Christian Esser 24 (Deutscher Verband für Physiotherapie - Zentralverband der Physiotherapeuten/Krankengymnaste n e.V. (ZVK)) Abg. Jens Spahn (CDU/CSU) 7, 25 SV Herbert Mauel (Bundesverband 9 privater Anbieter sozialer Dienste e.V. (bpa)) Abg. Maria Eichhorn 8, 24 SV Herbert Weisbrod-Frey 20 (CDU/CSU) (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)) Abg. Mechthild Rawert (SPD) 27 SV Horst-Dieter Schirmer 12, 26 (Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)) Abg. Willi Zylajew (CDU/CSU) 9, 24 SV Jörg Fröhlich (Deutscher 14 Caritasverband e.V.) SV Paul-Jürgen Schiffer (Verband 27 der Angestellten Krankenkassen e.V./ Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V. (VdAK/AEV)) SV Prof. Dr. Christel Bienstein 15, 21, 22 SV Prof. Dr. Stefan Görres 10, 22, 26 SV Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann 12, 26 Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 4

SV Ralf Neiheiser (Deutsche 23 Krankenhausgesellschaft (DKG)) SV Robert Roßbruch 18 SVe Dr. Cornelia Goesmann 10, 11, 14, 24, (Bundesärztekammer (BÄK)) 25, 27 SVe Dr. Elisabeth Fix (Deutscher 9 Caritasverband e.V.) SVe Erika Stempfle (Diakonisches 29 Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e.V. (EKD)) SVe Gertrud Stöcker (Deutscher 13, 20, 23 Berufsverband für Pflegeberufe e.V. (DBfK)) SVe Mona Frommelt 14 (Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V. (AWO))

Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 5

Bundesregierung

Bundesrat

Fraktionen und Gruppen

Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 6

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Entwurf eines Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz)

BT-Drucksache 16/ 7439

16/7486

Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Nicole Maisch, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Finanzielle Nachhaltigkeit und Stärkung der Verbraucher - Für eine konsequent nutzerorientierte Pflegeversicherung

BT-Drucksache 16/7136

Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Für eine humane und solidarische Pflegeabsicherung

BT-Drucksache 16/7472

Antrag der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Daniel Bahr (Münster), Dr. Konrad Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für eine zukunftsfest und generationengerecht finanzierte, die Selbstbestimmung stärkende, transparente und unbürokratische Pflege

BT-Drucksache 16/7491

Beginn: 16.30 Uhr transparente und unbürokratische Pflege - BT- Drs. 16/7491. Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Da nicht alle der Anwesenden schon an Anhö- Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich rungen teilgenommen haben, erkläre ich kurz möchte Sie, die Sachverständigen und Ver- das Prozedere. Jede Fraktion hat für Fragen bandsvertreter, die Kolleginnen und Kollegen und Antworten ein bestimmtes Zeitkontingent Abgeordneten, die Vertreterinnen und Vertre- zur Verfügung. Ich möchte Sie bitten, nur auf ter der Regierung, des BMG, insbesondere meine Aufforderung hin zu antworten. Sofern Herrn Staatssekretär Dr. Schröder sowie Herrn ich das noch nicht getan habe, bitte ich Sie, Ih- Staatssekretär Schwanitz und die Bundesrats- ren Namen und die Institution, die Sie vertre- bank, unsere Gäste und die Medienvertreter ten, zu nennen. Am Ende Ihres Wortbeitrages recht herzlich zur 75. Sitzung des Ausschusses sollten Sie das Mikrofon ausschalten. Wir be- für Gesundheit begrüßen. Einziger Tagesord- ginnen mit der Fragezeit der Fraktion der nungspunkt ist heute Nachmittag eine öffentli- CDU/CSU. che Anhörung zu folgenden vier Vorlagen: 1. Gesetzentwurf der Bundesregierung zur struk- turellen Weiterentwicklung der Pflegeversiche- Abg. Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU): rung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz) - BT- Meine Fragen richten sich an Herrn Dr. Johan- Drs. 16/7439, 2. Antrag der Fraktion nes und an die Kassenärztliche Bundesverein i- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Finanzielle gung. Wie ist aus Ihrer Sicht die geplante Re- Nachhaltigkeit und Stärkung der Verbraucher - gelung im Paragraphen 119b SGB V zu bewer- Für eine konsequent nutzerorientierte Pflege- ten, derzufolge Pflegeheime zukünftig ermäch- versicherung - BT-Drs. 16/7136, 3. Antrag der tigt werden können, im Rahmen der vertrags- Fraktion DIE LINKE.: Für eine humane und ärztlichen Versorgung Ärzte anzustellen. Gibt solidarische Pflegeabsicherung - BT-Drs. es aus Ihrer Sicht andere Möglichkeiten, die 16/7472 und 4. Antrag der Fraktion der FDP: ärztliche Versorgung in Pflegeheimen zu Für eine zukunftsfest und generationsgerecht verbessern? Eine spezielle Frage an die KBV: finanzierte, die Selbstbestimmung stärkende, Wie beurteilen Sie die vorgesehene Ermächti- Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 7 gung eines Pflegeheims zur ambulanten Ver- sichts der von uns entwickelten Alternative sorgung? ohnehin abzulehnen ist, käme allenfalls eine persönliche Ermächtigung eines Arztes in Be- tracht. Es wäre das erste Mal in der Entwic k- SV Dr. Wolfram Johannes: Zum Heimarzt- lung des Vertragsarztrechts, dass der Gesetz- modell habe ich eine sehr kritische Meinung, geber einer nicht ärztlich gele iteten Institution und zwar aus folgenden Gründen: Erstens ist eine entsprechende Möglic hkeit einräumt. Die die ambulante und jetzt die stationäre Pflege Alternative bilden Kooperationsverträge, die eine Phase in der Biographie eines Menschen, unter der Regie der Kassenärztlichen Verein i- in der spezielle Probleme auftreten, die am gung mit den betroffenen Ärzten vor Ort, also besten gelöst werden können, wenn die bishe- gemeinsam mit Fachärzten und Hausärzten, rige betreuende Struktur, sprich die hausärztli- geschlossen werden mit dem Ziel, eine Run- che Primärversorgung, weiterhin bestehen dumversorgung des Altenheimes zu gewähr- bleibt. Der Hausarzt hat den Patienten oft über leisten, und zwar unter Einschluss des Nacht- Jahre und Jahrzehnte begleitet, und auch der und Wochenenddienstes. Patient hat sich auf seinen Arzt eingestellt. Auch die Kommunikation mit den Angehör i- gen hat sich oft über Jahre eingespielt. Ein Abg. Jens Spahn (CDU/CSU): Ich habe zu- zweiter Grund dafür, das Heimarztmodell ab- nächst eine Frage an den Medizinischen Dienst zulehnen, ist die ungesicherte Regelung für die der Spitzenverbände der Krankenkassen Nächte, die Wochenenden und Feiertage. Zu (MDS): Wie bewerten Sie die derzeitige ärztli- diesen Zeiten müsste dann wieder der normale che Versorgung in den Pflegeheimen? Daran ärztliche Dienst tätig werden. Drittens wird das anknüpfend möchte ich Herrn Dr. Johannes Modell objektiv daran scheitern, dass der Ar- von den Spitzenverbänden der Krankenkassen beitsmarkt momentan keine Kollegen bereit- fragen, welche Alternativen es zu den Heim- hält , die diese Funktionen ausfüllen können, ärzten gibt. und das, meiner Meinung nach, auch auf lange Sicht hin. SV Dr. Peter Pick (Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen e.V. SV Dr. Carl-Heinz Müller (Kassenärztliche (MDS)): Klar ist, dass viele Pflegebedürftige Bundesvereinigung (KBV)): Ich kann mich auch einen medizinischen Behandlungsbedarf den Ausführungen des Kollegen Johannes nur haben, der entsprechend zu befriedigen ist. Wir anschließen. Auch wir sehen es als problema- hören immer häufiger, dass dies in den Pflege- tisch an, mit nur einem Heimarzt ein Heim zu heimen nicht immer gewährleistet ist, dass versorgen. Das gilt insbesondere für die Ur- Pflegeheime Schwierigkeiten haben, die ärztli- laubsvertretung, die Wochenenden und die che Versorgung in ihren Einrichtungen sicher- Nächte. In Altenheimen spielt auch die Mult i- zustellen. Daher denke ich, dass die Einfüh- professionalität eine Rolle. Das heißt, die Pati- rung des Heimarztes eine weitere Option enten werden nicht nur von dem einem Arzt schafft, diese Versorgung durch Ärzte sicher- betreut, sondern es besteht eine enge Zusam- zustellen. Dabei muss natür lich weiterhin die menarbeit zwischen dem Hausarzt und den freie Arztwahl gewährleistet sein; das heißt, Fachärzten. Insofern ist die Einführung des ein Patient muss, wie es eben schon angeklun- Heimarztes keine Lösung, die hier weiterfüh- gen ist, die Möglic hkeit haben, auf seinen ren würde. Wir halten es aber für ric htig – und Wunsch hin, auch bei einem Wohnortwechsel das hatten wir auch schon einmal im Zusam- und ähnlichen Gegebenheiten, weiter durch menhang mit dem GKV-WSG vorgeschlagen – seinen Hausarzt betreut zu werden. Die Schaf- , dass es den Heimen ermöglicht wird, mit den fung dieser Option ist somit positiv zu bewer- kassenärztlichen Vereinigungen Vereinbarun- ten, aber eben nur als Option. Uns als Mediz i- gen zu schließen, die eine multiprofessionelle nischem Dienst geht es nicht darum – und ich Versorgung gewährleisten. Zur zweiten Frage glaube, so denken auch viele Pflegeheime –, ist Folgendes zu sagen: Die Ermächtigung ei- wer die ärztliche Versorgung sicherstellt, son- nes Pflegeheims, das nicht ärztlich geleitet dern dass sie sichergestellt wird. Dies kann wird, zur Teilnahme an der vertragsärztlichen entweder durch das vertragsärztliche Versor- Versorgung halten wir für einen verfehlten gungssystem – das ist möglich, muss aber ent- Vorschlag. Unabhängig davon, dass der Rege- sprechend organisiert werden – oder durch ei- lungsvorschlag des Paragraphen 119b ange- nen Heimarzt gewährleistet werden. Entschei- Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 8 dend ist, dass es tatsächlich geschieht. Jeden- wäre sicher sinnvoll, und da stimme ich einem falls besteht hier aus unserer Sicht ein Verbes- der Vorredner zu, diese Finanzierung über IV- serungsbedarf. Verträge sicherzustellen.

SV Erwin Dehlinger (AOK-Bundesverband Abg. Maria Eichhorn (CDU/CSU): Meine (AOK-BV)): Wir können uns dem, was Herr Frage richtet sich an mehrere Verbände, näm- Dr. Pick gesagt hat, in der Analyse anschlie- lich an den Deutschen Hausärzteverband, den ßen. Vor die sem Hintergrund halten wir auch Facharztverband, den Caritasverband und den die jetzt vorgesehene Regelung für sinnvoll. Bundesverband privater Anbieter sozialer Wir würden es begrüßen, wenn durch den Ein- Dienste. Wie beurteilen Sie die haus-, fach- satz eines Arztes im Pflegeheim die medizini- und zahnärztliche Versorgung pflegebedürfti- sche Versorgung der Bewohner verbessert ger Menschen in den Heimen, also in den sta- würde und damit auch Kosten, beispielsweise tionären Pflegeeinrichtungen, und ist nach Ih- durch Vermeidung unnötiger Krankenhausbe- rer Meinung die Anstellung von Ärzten in handlungen und Einweisungen, vermindert Heimen eine geeignete Maßnahme, um even- würden. Es gibt hier ja bestimmte Modellpro- tuelle Engpässe zu beseitigen? jekte, zu denen ich gleich noch etwas sagen werde. Grundsätzlich muss die Möglichkeit der freien Arztwahl erhalten bleiben. Das sehen SV Dr. Diethard Sturm (Deutscher Hausärz- wir auch so. Andererseits muss man natürlich teverband e.V.): Im Allgemeinen werden die auch sehen, dass dort, wo Defizite bestehen, Patienten im Heim auf Grundlage der freien wo Ärzte, die die Heimbewohner versorgen Arztwahl durchgängig durch Hausärzte ver- könnten, nicht in ausreichender Zahl vorhan- sorgt. Der Hausarzt zieht auch Spezia listen den sind, die Frage der freien Arztwahl keine hinzu, sofern die s für die Versorgung notwen- Rolle spielt , weil eben kein Arzt da ist. Genau dig ist. Es ist richtig, dass die Versorgungsbe- das ist das Problematische an der Situation. dingungen je nach Facharzt- und Hausarztdic h- Die AOK Berlin führt gemeinsam mit der IKK te unterschiedlich sind. Aber durch die Mög- seit 1998 ein Berliner Projekt durch, das sehr lichkeit der Anstellung von Ärzten wird in die- erfolgreich war. Im Rahmen des Projektes wa- ser Hinsicht keine Abhilfe geschaffen. Wir be- ren in 27 Einrichtungen angestellte Ärzte tätig. nötigen hier vertragliche Regelungen und ent- In elf Fällen handelte es sich um kooperierende sprechende Anreize. Ich denke, dass gerade der Ärzte. Daraus kann man ersehen, dass auch neue EBM, der eine zusätzliche Vergütung für Mischformen möglich sind. Da die Ergebnisse Hausbesuche im Heim auf Anforderung vor- überaus positiv waren, wird das Projekt jetzt sieht, die Vorraussetzung dafür geschaffen hat, übergeleitet in die Integrationsversorgung nach dass diese Aufgabe ernster genommen wird. § 140. Aus Sicht der AOK ist dies sehr zu be- grüßen. Wir versuchen also, mit Modellvorha- ben und solchen Projekten Beispiele für Ver- SV Dr. Thomas Scharmann (Deutscher sorgungskonzepte zu geben. In Bayern gibt es Facharztverband e.V. (DFV)): Niedergelassene übrigens ein ähnliches Projekt wie in Berlin. Fachärzte können in Alten- und Pflegeheimen Ich denke, das ist der richtige Weg. nur auf Aufforderung des Hausarztes tätig werden. Dies ist der Hauptgrund für die man- gelnde Präsenz der Fachärzte in den Heimen. SV Dr. Wolfram Johannes: Wie Sie wissen, Ohne einen Ruf des Hausarztes dürfen Fach- bin ich hier als Praktiker und nicht als Funkti- ärzte nur in Ausnahmefällen eine sogenannte onär. Ich arbeite in einer großen Gemein- Besuchsbehandlung in Pflegeheimen durchfüh- schaftspraxis. Wir betreuen am Ort ein Heim ren. Das Prozedere ist für Primärkassen im mit 80 Plä tzen zu ungefähr drei Vierteln. Wir Bundesmantelvertrag Ärzte im Paragraphen 17 sind an drei Tagen in der Woche präsent. Wir Abs. 6 und für die Ersatzkassen im Bundes- sehen an diesen Tagen nicht jeden Patienten im mantelvertrag Paragraph 13 Abs. 14 geregelt. Sinne einer Visite, wir sehen aber die jenigen, Das bedeutet, dass fachärztliche Medizin erst bei denen das notwendig ist. Wir fragen vor nach einem Konsil mit dem Hausarzt in Pfle- der Nacht und auch am Samstag ab, ob noch geheimen ausgeübt werden kann. In diesem ein Besuchsbedarf vorliegt. Falls das so wäre, Zusammenhang muss auch das Thema Arz- würden wir das Heim aufsuchen. Das regeln neimittelregresse gesehen werden. So können wir im Rahmen des derzeit gültigen EBM. Es Fachärzte, hier vor allem Neurologen und Ner- Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 9 venärzte, auch auf Grund der hohen Zahl von die Behandlung von Patienten im häuslichen Demenzpatienten in Gefahr geraten, in Regress Umfeld erforderlich. genommen zu werden. Wir schla gen in diesem Zusammenhang vor, dass die Fachärzte durch Schaffung eines engeren Konsilzusammen- SV Herbert Mauel (Bundesverband privater hangs zwischen Haus- und Fachärzten stärker Anbieter sozialer Dienste (BpA)): Wir müssen in die Pflegeheime eingebunden werden. Wir dafür sorgen, dass sowohl die Regel- als auch meinen, das dies auch am Wochenende mög- die Notfallversorgung funktioniert. Wir ma- lich sein sollte. Fachärzte tragen entscheidend chen in letzter Zeit immer wieder die Erfah- dazu bei, unnötige Krankenhauseinweisungen rung, dass Einrichtungen und Hausärzte keine zu vermeiden und damit Kosten einzusparen. neuen Patienten mehr übernehmen können. Es sollte daher eine gesetzlich verpflichtende Daran zeigt sich ein großes Problem, denn die konsiliarische Regelversorgung durch nieder- Menschen in den Pflegeheimen sind in aller gelassene Fachärzte im Zusammenhang mit Regel wirklich behandlungsbedürftig. Es darf den Hausärzten gescha ffen werden. nicht sein, dass plötzlich eine Notfallversor- gung notwendig wird, wo eigentlich eine Re- gelversorgung angemessen wäre. Wenn man SV Dr. Elisabeth Fix (Deutscher Caritasver- bedenkt, wie viele Heime es gibt, glaube ich band e.V.): In den Pflegeheimen weist sowohl nicht, dass das Heimarztmodell gut funktionie- die hausärztliche als auch die fachärztliche ren würde. In jedem Falle müsste aber klar Versorgung Mängel auf. Das zeigt die SÄVIP- sein, dass das nicht über Entgelte zusätzlich Studie, eine Studie zur ärztlichen Versorgung zum Krankenversicherungsbeitrag finanziert in Pflegeheimen, ganz deutlich. Dabei sind die wird, sondern dass die Finanzierung letztlich Lücken in der hausärztlichen Versorgung we- im System der Krankenversicherung erfolgt. niger gravierend als in der fachärztlichen Ver- Wir glauben, dass das Problem durch Koopera- sorgung, bei der wir erhebliche Defizite fest- tionsvereinbarungen und Integrationsverträge stellen. Dies betrifft insbesondere Gynäkolo- regional zu lösen wäre, wenn zugleich auch die gen, Urologen, Zahnärzte, Augenärzte, Ortho- Budgetprobleme aus dem Weg ge räumt wür- päden, also vie le Facharztgruppen, die gerade den. Wir begrüßen alle rdings ausdrücklich die für ältere und pflegebedürftige Menschen be- Option auf Zulassung eines weiteren Arztes im sonders wichtig sind. Die Anstellung eines Pflegeheim. Dieser könnte an einer vertrags- Heimarztes kann dieses Problem natürlich ärztlichen Versorgung teilnehmen und nicht auch nicht lösen, denn bei den Heimärzten nur die Patienten des Pflegeheimes, sondern wird es sich überwiegend um Allgemeinmedi- auch der Region betreuen und damit zur Lö- ziner oder Internisten handeln. Jedenfalls wird sung sowohl der Finanzie rungs- als auch der kaum ein Heimarzt einer der eben genannten Auslastungsfrage beitragen. Facharztgruppen angehören. Dennoch befür- worten wir die Schaffung einer Rechtsgrundla- ge für die Einstellung eines Heimarztes als zu- Abg. Willi Zylajew (CDU/CSU): Mich würde sätzliches Instrument. In einigen Bundeslä n- interessieren, welche Position die KVen und dern, wie beispielsweise in Berlin, wurden mit die Ärztekammer zu dem Themenbereich Arz- diesem Instrument auch gute Erfahrungen ge- neimittelversorgung in Pflegeheimen vor dem macht. Von größerer Bedeutung ist es aber, Hintergrund der Situation der ärztlichen Ver- dass sich erstens die Zusammenarbeit zw i- sorgung einnehmen, insbesondere die Haltung schen Hausärzten und Fachärzten verbessert, zu den Arzneimittelbudgets, speziell auch für wie mein Vorredner gerade ausgeführt hat, und den Bereich der Dementen. dass zweitens Ärzte insgesamt in ihrer Ausbil- dung mehr Kenntnisse in Geriatrie und Geron- topsychiatrie erwerben. Wir setzen uns dafür SV Dr. Carl-Heinz Müller (KBV): Das Prob- ein, dass ältere Menschen einen Rechtsan- lem ist allseits bekannt: Die Heimbetreuung er- spruch auf ein jährliches geriatrisches Assess- fordert erhöhte Arzneimittelbudgets. Hier ist ment erhalten. Denn nur durch frühzeit ige Di- Abhilfe zu schaffen. Eine Möglic hkeit, die Sie agnosen, durch Prävention und Rehabilitation, gerade vorgeschlagen haben, besteht sicherlich lässt sich der Gesundheitszustand älterer und darin, dies über entsprechende Versorgungs- pflegebedürftiger Menschen in Pflegeheimen verträge zwischen dem Altenheim, den behan- nachhaltig verbessern. Zudem ist eine Verbes- deln den Ärzten und der Kassenärztlichen Ver- serung der geriatrischen Kenntnisse auch für einigung zu regeln. Wie Sie am Beispiel der Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 10

Demenz dargestellt haben, haben wir es hier benspektrums der Pflege inzwischen ein mit der Situation der Multiprofessionalität zu durchaus innovatives Potential sehen, was die tun. Bei Demenzerkrankungen erfolgt in den Versorgungsqualität betrifft, insbesondere auch Heimen eben oft auch eine Mitbehandlung angesichts neuer Bedarfsentwicklungen. Inso- durch Neurologen und Psychiater. Hier sollten fern ist die Notwendigkeit einer Reform der sich die verschiedenen Fachdisziplinen die Pflegeausbildung in Deutschland unstrittig. Bälle gegenseitig zuspielen. Ich glaube, das Man sollte auch darauf hinweisen, dass die geht am besten über Verträge, die die Gesamt- Novellierung des Krankenpflegegesetzes 2004 versorgung regeln. und das bundeseinheitliche Altenpflegegesetz 2003 in diese Richtung gegangen sind und ü- ber entsprechende Modellklauseln Möglichke i- SV Dr. Cornelia Goesmann (Bundesärzte- ten eröffnet haben, die Pflege innovativ wei- kammer (BÄK)): Ich kann mich dem, was Herr terzuentwickeln. Die beiden Gesetze gehen a- Müller ausgeführt hat, anschlie ßen. Ich bin ber an zwei Stellen nicht weit genug; und ich auch der Ansicht, dass wir im Hinblick auf die sage das hier nicht als Jurist, sondern als Pfle- besondere Versorgungssituation von alten gewissenschaftler: zum einen, was die Aus- Menschen und Demenzkranken die bestehen- übung heilkundlicher Tätigkeiten betrifft, oder den Arzneimittelbudgets in Frage stellen müs- anders formuliert: was Tätigkeiten betrifft, die sen und dass hier über IV-Verträge, aber auch über das Delegationsverfahren hinausgehen. durch Argumentationshilfen gegenüber den Hier ist gerade angesichts neuer Bedarfslagen regressierenden Institutionen, Abhilfe geschaf- eine Weiterentwicklung notwendig. Zum ande- fen werden müsste. Aus eigener täglicher Er- ren besteht ein Defizit im Hinblick auf die A- fahrung – ich bin Heimärztin für etwa 200 kademisierung der Pflegeberufe im Sinne einer Heimpatie ntinnen und -patienten – würde ich grundständigen Pflegeausbildung. Wir haben jedoch sagen, dass die größte Problematik im bisher deutliche Schwerpunktsetzungen in den Heilmittelbereich liegt. Bei den Heilmittelbud- Bereichen Management, Pädagogik und Pfle- gets, vor allem was die Verordnung von Phy- gewissenschaft. Wir haben aber bei der Aka- siotherapie, Logopädie und Ergotherapie an- demisierung bisher keine wirklich nennenswer- geht, befinden wir uns in noch viel größeren te Entwicklung, was die patientennahe Tätig- Schwierigkeiten. Daher möchte ich dringend keit betrifft. Insofern sehe ich die Chance, dass darum bitten, hier Abhilfe zu schaffen und Modellvorhaben uns hier weiter bringen. Dies neue Regelungen zu treffen. bringt es natürlich auch mit sich, dass Aufga- ben zwischen den Berufen neu zu verteilen sind. Ich bin mit dieser Auffassung in guter Abg. Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU): Gesellschaft, denn das Ministerium für Arbeit Meine Fragen bezie hen sich auf das Thema und Soziales in Baden-Württemberg und der Delegation ärztlicher Leistungen. Ich frage die Sachverständigenrat haben sich ähnlich geäu- Einzelsachverständigen Prof. Dr. Görres und ßert. Deren Argumentation geht dahin, dass je- Dr. Johannes, wie Sie die Möglichkeiten beur- de Veränderung der Kooperation und der Auf- teilen, die Ausweitung von Kompetenzen der gabenverteilung zwischen den heute bestehen- Pflegeberufe im Rahmen von Modellvorhaben den Gesundheitsberufen der Überprüfung und zu erproben. Welche Auswirkungen könnten gegebenenfalls auch der Änderung der rechtli- die Modellklauseln auf die einzelnen Berufs- chen Voraussetzungen bedarf. Dabei kann man bilder und die künftige Abgrenzung der Ge- sicherlich über Modellklauseln , die in Ric h- sundheitsberufe untereinander haben? Sind Ih- tung Kompetenzerweiterung gehen, Fortschrit- rer Auffassung nach die geplanten Kompe- te erzielen. tenzerweiterungen für Kranken- und Pflegebe- rufe geeignete Maßnahmen zur Sicherstellung der ambulanten Versorgung, insbesondere in SV Dr. Wolfram Johannes: Ich will mich strukturschwachen Regionen? Die zweite Fra- kurz fassen: Diagnose und Therapie gehören in ge richtet sich auch an die Bundesärztekammer die Hand des Arztes. Über delegierbare Leis- und den Deutschen Pflegerat. tungen kann man immer reden. Die Pflege soll- te in ihrer Professionalität gestärkt werden. Die Qualität der medizinischen Ausbildung, insbe- SV Prof. Dr. Stefan Görres: Grundsätzlich sondere die künftiger Hausärzte, sollte nicht kann man davon ausgehen, dass Experten in reduziert werden. Und in strukturarmen Gebie- der Erweiterung des Kompetenz- und Aufga- ten hilft man am besten mit Geld. Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 11

SV Dr. Cornelia Goesmann (BÄK): Ich kann nichtärztlichen Personals in die Ausgestaltung mich den Ausführungen meines Vorredners der verordneten häuslichen Krankenpflege er- anschließen. Natürlich sind wir gegenüber in- möglicht werden. Die Frage richtet sich an die novativen Ideen im Gesundheitswesen immer Kassenärztliche Bundesvereinigung sowie an aufgeschlossen. Gerade die strukturschwachen Prof. Hoffmann. Außerdem würde gern Frau Regionen brauchen aber nicht einen Ersatz Dr. Goesmann die Gele genheit geben, das zu ärztlicher Tätigkeit durch andere Berufsgrup- ergänzen, was sie vorhin nicht zu Ende führen pen, sondern Anreize dafür, dass sich dort konnte. Sind die Regelungen hinreichend be- wieder mehr Ärztinnen und Ärzte niederlassen. stimmt und geeignet, um die Zusammenarbeit Ich habe bisher Äußerungen dazu vermisst, wo zwischen Ärzten und nichtärztlichen medizini- eigentlich eine Übertragung von bisher ärztli- schen Pflegeberufen im Sinne einer integrie r- chen Tätigkeiten an andere Berufsgruppen, ten Versorgung zu verbessern? speziell an die Pflege, angebracht ist. Wir den- ken, dass man gerade strukturschwache Regio- nen vor allem dadurch besser versorgen kann, SV Dr. Cornelia Goesmann (BÄK): Die Mo- dass man im Delegationsverfahren vor allem dellversuche sind grundsätzlich zu begrüßen. unsere medizinischen Fachangestellten, aber Allerdings sind wir der Ansicht, dass heilkund- auch andere Berufsgruppen dazu bewegt, unter liche Aufgaben unter Arztvorbehalt stehen und Aufsicht des Arztes Arzt unterstützende Tätig- dass der diagnostische und therapeutische Pro- keiten aufzunehmen und damit die Patienten- zess weiterhin in der Hand von Ärztinnen und versorgung zu verbessern. Wir halten aber die Ärzten bleiben sollte. Auch die Patienten wün- Übertragung von primär ärztlichen Aufgaben, schen, dass der Gesamtkoordinierungsprozess die unter Arztvorbehalt stehen, aus haftungs- für ihre Versorgung in ärztlicher Hand bleibt. rechtlichen, inhaltlichen und auch aus ökono- Aus Gründen der Patientensicherheit sollte mischen Gründen für sehr problematisch. Die man diesen Prozess nicht aufsplittern, indem Zeit ist jetzt vielleicht zu kurz, um dies auszu- man bestimmte ärztliche Tätigkeiten ausglie- führen, aber wir werden das sicherlich heute dert und an andere Berufsgruppen überträgt. Es noch mehrfach untermauern können. wäre zumindest sehr intensiv zu prüfen, wel- che Tätigkeiten das sein könnten und wie das dann auch haftungsrechtlich zu behandeln wä- SV Franz Wagner (Deutscher Pflegerat e.V. re. Die Frage ist, ob eine Tätigkeit, die der Arzt (DPR) Bundesarbeitsgemeinschaft Pflege- und abgibt, dann auch haftungsrechtlich von den Hebammenwesen): Wir begrüßen es grund- anderen Berufsgruppen übernommen wird oder sätzlich, dass der Pflege heute die Möglichkeit ob es nicht sinnvolle r wäre, dies im Delegati- gegeben wird, sich mit ihren Kompetenzen onsverfahren – den Arzt entlastend – an andere stärker als früher in das Versorgungsgeschehen Berufsgruppen zu geben, wie dies in den Mo- einzubringen. Gerade im ländlichen Bereich dellversuchen vorgesehen ist, bei denen eben stellt sich bei der Versorgung die Frage, wie die haftungsrechtliche Verantwortung letztlich bestimmte Aufgaben erfüllt werden können. Es beim Arzt verbleibt. Im Hinblick auf die Pati- geht uns nicht darum, dass die Pflege Ärzte er- entensicherheit ist vor allem Folgendes zu sa- setzen soll oder dass dort, wo heute ein Haus- gen: Ärztinnen und Ärzte haben immerhin eine arzt tätig ist, demnächst eine Pflegepraxis ent- mindestens elfjährige Aus- und Weiterbildung stehen soll, sondern es geht uns um die Frage, absolviert, bevor sie eigenverantwortlich in der wie die pflegerische Fachexpertise zum Bei- Patientenarbeit tätig werden können, und die spiel in die Versorgung chronisch kranker Patientinnen und Patienten wünschen sicher- Menschen, etwa in die Versorgung von chroni- lich nicht, wie das auch schon Herr Wagner schen Wunden, eingebracht werden kann und gesagt hat, dass andere Berufsgruppen diese wie sich dies mit den bestehenden Strukturen Tätigkeit jetzt gänzlich übernehmen, sondern verknüpfen lässt. Wir sehen in der vorgeschla- sie wünschen sich eine bessere Kooperation im genen Regelung zumindest einen Einstieg in Gesundheitswesen. Dies ließe sich aus unserer die Lösung dieser Frage n. Sicht am besten mit neuen Modellen zur Dele- gation ärztlicher Leistungen erreichen. Wir ha- ben selbst eigene Modellversuche über die Abg. Dr. Carola Reimann (SPD): Meine Fra- Versorgungsforschungsprojekte initiiert, die gen beziehen sich auch auf die Modellvorha- die Bundesärztekammer im Augenblick in ben nach Paragraph 63. Dieser Regelung zu- Auftrag gibt. Im Rahmen dieser Modellversu- folge soll eine stärkere Einbeziehung des che sollen Möglichkeiten zur erweiterten De- Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 12 legation von ärztlichen Tätigkeiten an andere tung. Wir sind von der Universität Greifswald Berufsgruppen überprüft und untersucht wer- aus seit zweieinhalb Jahren an mehreren Mo- den. Es ist anzunehmen, dass hierzu bald inte- dellprojekten beteiligt. Diese werden in ver- ressante Ergebnisse vorliegen werden. schiedenen Bundesländern durchgeführt und haben Bezeichnungen wie „Schwester AG- nES“, „Gemeindeschwester“ oder „Telege- SV Horst-Dieter Schirmer (KBV): Ich sundheitsschwester“. Wir haben dort den De- schließe mich dem an, möchte aber noch Fol- legationsprozess genau überprüft. Die beteilig- gendes ergänzen: Die vorgeschlagenen Vor- ten Kollegen fühlen sic h tatsächlich entlastet, schriften des Paragraphen 63 Abs. 3b und 3c und die Schwestern machen das auch gern, sind gesetzestechnisch so unbestimmt, dass wenn sie die dafür nötige Zusatzausbildung völlig unklar bleibt, was getan werden darf. erworben haben. Auch die Patienten beurteilen Auch die ausschließlich von Krankenkassen das positiv. Die Modellproje kte fin den faktisch organisierten Modellversuche lassen den Be- bisher nur im Osten statt, wir sind dort aber in zug zur ärztlichen Tätigkeit möglicherweise einer länderübergreifenden Arbeitsgruppe ak- völlig außer Acht. Die Frage der Haftung wur- tiv , in der auch Vertreter der alten Bundeslä n- de ebenfalls schon angesprochen: Das Gesetz der mitwirken. Wie sich bisher herausgestellt lässt offen, ob diese Personen in selbstständige hat, funktioniert das AGnES-Modell auch in Behandlungsbeziehungen zum Patienten treten. der Fläche sehr gut, und es ist sehr wahrschein- Wenn eine solche Person Tätigkeiten entfaltet, lich sogar wirtschaftlich, zumindest den Zahlen für die sie gar nicht befähigt ist, hat sie mögli- nach zu urteilen, die uns bisher vorliegen. Wir cherweise auch mit Abgrenzungsfragen und überblicken etwa 1100 Patienten und 5000 mit der Rechtsfigur des Übernahmeverschul- Hausbesuche. Allerdings gibt es eine Rechts- dens zu tun. Wir meinen auch, dass die Grund- unsicherheit bezüglich der Möglichkeit, dass lage für diese Modellversuche, die durch die der Arzt diese Delegation überhaupt aus- Änderungen im Altenpfle ge- und Kranken- spricht. Unsere juristischen Berater sagen, dass pflegegesetz gelegt worden sein soll, in der die Fachaufsicht nicht eindeutig geregelt ist, Form von relativen Kompetenzermittlungen in und es gibt Urteile, denen zufolge der Arzt in speziellen Ausbildungsstätten eine punktuell Rufweite oder sogar persönlich anwesend sein unterschiedliche Kompetenz für diese Berufe muss. Daher ist im Zusammenhang mit einer schafft. Vor diesem Hintergrund stellt sich na- Beauftragung für Hausbesuche – und genau türlich auch die verfassungsrechtliche Frage, darum geht es in die sen Projekten in den dünn ob nicht der parlamentarische Gesetzesvorbe- besiedelten Gebieten mit Hausarztmangel – halt, demzufolge für einen Beruf eine generelle eben nicht ganz klar, ob die Schwester das darf einheitliche Ausbildung geschaffen werden bzw. ob der Arzt das delegieren darf. Ganz un- muss, verletzt ist. Denn am Ende liegen hier abhängig von dem Paragraphen 63 3c, der be- ganz unterschiedliche Qualifikationen vor. stimmt, dass in Modellvorhaben die Schwes- Man müsste eigentlich als Arzt oder als betrof- tern auch ohne Arztdelegation tätig werden fener Patient immer nachfragen, wo derjenige, dürfen, sind wir der Meinung, dass im Hin- der eine bestimmte Maßnahme ergreift, ausge- blick auf die Delegationsfähigkeit ein Rege- bildet worden ist und ob er das auch darf. Denn lungsbedarf besteht. Es gibt den Vorschlag ei- nach dem Gesetzentwurf entscheidet jede Aus- ner gemeinsamen Arbeitsgruppe aus den fünf bildungsstätte nach Genehmigung durch das neuen Bundesländern, dem sich mittlerweile Bundesministerium für Gesundheit auf der auch mehrere der alten Bundesländer ange- Grundlage eines Ausbildungsplans, wie sie schlossen haben, mit einem Halbsatz festzu- weiterbildet. Das wollte ich nur hinzufügen, schreiben, dass auch dann, wenn der Arzt nic ht ohne damit die Auffassung der KBV zu relati- persönlich anwesend ist, die Delegation erfol- vieren, dass wir uns eigentlich generell gegen gen darf. Das hat hier zwar noch nicht im Mit- diese Regelung aussprechen. telpunkt der Diskussion gestanden, es ist aber eine Angelegenheit, die noch nicht geregelt ist. Wenn sie geregelt wäre, würde dies nach Auf- SV Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann: Ich möch- fassung der beteiligten Kollegen die Möglic h- te an die beiden Kollegen anschließen, die vor keit schaffen, in den Regionen, in denen eine mir Stellung bezogen haben. Bei uns in solche Delegation wirklich den Arzt entlasten Greifswald geht es gerade um die Delegation würde, das entsprechende Verfahren zu er- von ärztlichen Leistungen und zwar in Ver- leichtern. Wir haben festgestellt, dass die Mo- antwortung des Arztes, also um die Arztentla s- dellprojekte, die gut evaluiert sind und die im Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 13

Grunde in die Regelversorgung überführt wer- sem Zusammenhang vorhin schon die Behand- den könnten, in diesem Punkt noch eine Kla r- lung von chronisch Kranken, etwa von chroni- stellung brauchen, und die könnte im Zusam- schen Wunden bzw. das Wundmanagement, menhang mit diesem Gesetzentwurf erfolgen. erwähnt. Es gibt internationale und nationale Evidenz dafür, dass die Behandlung mindes- tens gleichwertig ist, wenn pflegerische Wund- Abg. Dr. Margrit Spielmann (SPD): Meine experten die Versorgung übernehmen. Und zur ersten Fragen richten sich an Herrn Wagner Versorgung gehört eben auch die Auswahl von vom Deutschen Pflegerat: Warum ist Ihres Er- geeigneten Verbandsmitteln. Dies nur als kle i- achtens die Erweiterung der Aufgaben der nes Beispie l. Es gibt darüber hinaus Bereiche, Pflegefachkräfte eine sin nvolle Regelung? Und in denen heute eine Unterversorgung besteht. des Weiteren: Halten Sie die vorgeschlagenen Zudem gibt es Hinweise darauf, dass Pflegen- Regelungen im Artikel 15 (Krankenpflegege- de über Beratung einen besseren Zugang zu setz) und Artikel 16 (Altenpflegegesetz) im bestimmten Zielgruppen, etwa zu vulnerablen Hinblick auf die angestrebte Verbesserung der Gruppen, finden und hier auch eine höhere Versorgung für Ziel führend? Die folgenden Adherence erreichen können, also bessere Ver- Fragen richten sich an den Deutschen Berufs- sorgungsregime. Wir sind der Auffassung – verband der Pflege, Frau Stöcker, an die AWO und damit komme ich zum zweiten Teil der und an den Caritasverband. Wie bewerten Sie Frage –, dass die se Regelung, wie sie jetzt vor- es, dass die pflegerischen Handlungsfelder im gesehen ist, zwar eine Art kleinstmöglicher Gesetzentwurf erweitert werden und wie beur- Einstieg, aber ein Schritt in die richtige Ric h- teilen Sie die im Gesetzentwurf genannten tung ist. Es geht hier um Modelle. Es ist immer Modellprojekte zur Erweiterung pflegerischer unser Petitum gewesen – in Übereinstimmung Handlungsfelder? mit dem Sachverständigenrat –, neue Versor- gungsformen zu erproben und zu evaluie ren, um am Ende sagen zu können, ob dies etwas SV Franz Wagner (DPR): Die Notwendigkeit bringt oder nicht. Es geht nicht darum, etwas zur Erweiterung der Kompetenzen ergibt sich an sich zu reißen und dies irgendwie zu bewäl- für uns aus der praktischen Erfahrung in der tigen, sondern wir wollen tatsächlich eine Ü- Arbeit mit Patienten bzw. Bewohnern. Dabei berprüfung haben. Aber diese Überprüfung stellen wir fest, dass im Rahmen des heute muss auch zugelassen werden. Wir sind des Möglichen Kompetenz häufig nicht effektiv Weiteren der Auffassung, dass man unabhän- genug umgesetzt wird; das bedeutet, die Kom- gig von der Frage der Übertragung und Erwei- petenz, über die die Pflegenden verfügen, stößt terung von Aufgaben auch jetzt schon regelhaft an Grenzen. Es wurde von Herrn Prof. Hoff- die Möglichkeit einer Hochschulausbildung mann gerade ein Beispiel angeführt, wo dies eröffnen sollte. Denn wir haben bereits an im Rahmen der Delegation eine Rolle spielt. zwölf Standorten eine hochschulische Erstaus- Es gibt aber viele andere Beispiele dafür, dass bildung in der Pflege, die aber auf der Grund- sich die unterschiedlichen Professionen effek- lage des heute bestehenden Modellparagraphen tiver in das gesamte Behandlungsgeschehen immer wieder an Grenzen stößt. einbringen und ihre eigenen Kompetenzen um- setzen könnten. Oft ist dies aber nicht möglich, weil hier eine Rückkoppelung mit einem dele- SV Gertrud Stöcker (Deutscher Berufsver- gierenden Arzt erfolgen muss. Um das zu kon- band für Pflegeberufe e.V. (DBfK): Ich bezie- kretisieren: Die Regelung in Paragraph 63 Ar- he mich in meiner Antwort auf den ersten Teil tikel 3b sieht vor, dass die Ausgestaltung der der Frage darauf, dass es eine Kompetenzent- häuslichen Krankenpflege zukünftig auch von wicklung in der Pflege gibt, die maßgeblich dafür qualifizierten Pflegefachkräften über- auf die neuen Berufsgesetze aus den Jahren nommen werden kann. Im heutigen Praxisall- 2003 und 2004, also auf das Altenpflegegesetz tag stellt es sich bei einer guten Zusammenar- und das Krankenpflegegesetz, zurückzuführen beit so dar, dass sich der Arzt, der die Verord- ist. Wir haben die Fort- und Weiterbildung ent- nung ausfüllen muss, mit dem ambulanten sprechend ausgestaltet und auch bereits neue Pflegedienst rückkoppelt und nachfragt, was er Studiengänge eingerichtet. Damit verfügt die verordnen soll. Deshalb fragen wir uns, warum Pflege über ein eigenes Wissen, eigene Metho- man zukünftig nicht gle ich die jenigen, die die den und eigene Konzepte. Diese Kompetenz- Expertise für die häusliche Krankenpflege ha- entwicklung findet in der Pflegepraxis jedoch ben, damit beauftragen sollte. Ich hatte in die- keine Entsprechung. Wir haben hier immer Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 14 noch die überkommenen Strukturen der beruf- die dafür Sorge tragen, dass die vorgesehenen lichen Zuweisung von Arbeitsbereichen an die und für die Modellversuche notwendigen Qua- unterschiedlichen Gesundheitsberufe, explizit lifikationen auch auf anderem Wege als der an die Heilberufe. Hier spreche ich insbeson- grundständigen Ausbildung, zum Beispiel über dere die Kernkompetenzen von Medizin und entsprechende Studiengänge, Fort- und Wei- Pflege an. Um dieses Wissen – wie auch Herr terbildungen bereits ausgebildeter Gesund- Wagner und Prof. Görres angedeutet haben – heits- und Krankenpflegekräfte bzw. Alten- ständig weiterentwickeln zu können, brauchen pflegekräfte, nachgewiesen werden können. wir eine strukturelle Öffnung der Krankenver- Haftungsrechtlich sehen wir durchweg ein sicherung. Das heißt, dass insbesondere die Problem bei dieser Kompetenzerweiterung für Hierarchieebenen zwischen der Medizin und die Pflegekräfte bzw. schlussfolgernd auch für der Pfle ge abgebaut werden müssen, damit die die Betroffenen. Dieses könnte aber dadurch Kompetenzen, die die Pflege heute schon ein- gelöst werden, dass der Gesetzgeber für die bringt bzw. über neue Modelle in die gesund- Pflegekräfte eine verpflichtende Berufshaft- heitliche Versorgung einbringen kann, auch pflicht vorschreibt. Damit könnten Regressan- greifen. sprüche der betroffenen Pflegebedürftigen be- dient werden.

SV Mona Frommelt (Arbeiterwohlfahrt Bun- desverband (AWO)): Wir sind für die Bestim- Abg. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Meine Fra- mungen in Artikel 15 und 16 wirklich dankbar. ge richtet sich an die Bundesärztekammer und Das ist endlich ein richtiger Schritt, um die an die Kassenärztliche Vereinigung. Herr Prof. Pflegelandschaft in Deutschland für die EU- Hoffmann hat gerade einen Vorschlag vorge- Qualifikationen anschlussfähig zu machen. tragen für die Etablierung der Arzt entlasten- Dieser Schritt ist sowohl in sich rechtlich kon- den gemeindenahen Versorgung durch beson- sistent als auch logisch abgestimmt mit der ders qualifizierte Schwestern, also praktisch Qualitätssicherung in den Paragraphen 113 die Ausdehnung des Modellprojektes „Agnes“ folgende, durch die Evidenzbasierung, wie sie auf eine flä chendeckende Versorgung. Halten gefordert wird. Das eine kann man nicht ohne Sie diesen Vorschlag für sinnvoll und prakti- das andere haben. Die Pflege hat, wie die Vor- kabel? redner schon ausgeführt haben, in den letzten 10 Jahren zwar ein ganz eigenes Kompetenz- profil erworben, es besteht aber ein erheblicher SV Dr. Cornelia Goesmann (BÄK): Grund- Bedarf, die ses noch weiter auszubauen. Das sätzlich befürworten wir nachdrücklich solche geht nur mit einer Akademisierung der Pflege, Modellversuche, die die Delegation von Auf- auch im grundständigen Bereich. Ich möchte gaben an nicht ärztliche Berufsgruppen zur folgende These vertreten: Je besser die pflege- Entlastung der Ärzte von bestimmten definie r- rische Versorgung ist, desto besser ist auch die ten Tätigkeiten erproben und die damit die gesamtgesundheitliche Versorgung. Das heißt, Voraussetzungen für ihre Etablierung schaffen. Pflege und Ärzte nehmen sich hier gegenseitig Die Frage ist nur , ob man dafür eine ganz neue überhaupt nichts weg, sondern müssen gut Ebene an Gemeindeschwestern oder „Agnes“- Hand in Hand arbeiten. Die fehlenden Vorbe- ähnlichen Pflegeberufen einrichten müsste. haltsaufgaben der Pflege wären tatsächlich Das werden die Modellversuche zeigen. Wir dringend zu definieren, so dass dort eine klare könnten uns demgegenüber sehr gut vorstellen, und auch haftungsrechtliche Abgrenzung bzw. dass, wenn die rechtlichen Fragen der Delega- ein Ineinandergreifen möglich wird. tion in Abwesenheit der Ärzte geklärt sind, un- sere eigenen Mitarbeiterinnen oder auch Pfle- gekräfte, die wir in den Praxen anstellen, also SV Jörg Fröhlich (Deutscher Caritasverband die medizin ischen Fachangestellten oder auch e.V.): Der Deutsche Caritasverband begrüßt Pflegepersonen aus der Praxis, diese Versor- prinzipiell die Erweiterung des Paragraphen gungsebene darstellen könnten. Das heißt, wir 63. Damit die Modellvorhaben nach dem In- müssen nicht eine neue Ebene von Gemeinde- krafttreten aber auch wirklich gestartet und auf schwestern oder etwas Vergleichbares einzie- die Berufsanghörigen mit bereits vorhandenen hen, sondern wir könnten auch aus den Praxen entsprechenden Qualifikationen ausgedehnt heraus Ähnliches leisten. Das würde aber eine werden können, sollten unserer Auffassung Finanzierung dieser Mitarbeiterinnen und Mit- nach Übergangsregelungen geschaffen werden, arbeiter voraussetzen. Die Frage ist, was Pati- Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 15 entinnen und Patienten wollen. Sie möchten ih- Haftung, aber auch hinsichtlich einer mögli- re Ärzte haben, sie möchten zusätzlich aber chen akademischen Ausbildung in der Pflege auch noch die pflegerische Versorgung. Das bzw. in Teilen der Pflegeberufe. heißt, die Schaffung einer solchen Ebene wür- de nicht unbedingt Geld einsparen. Man müss- te also prüfen, was ökonomisch, medizinisch SV Prof. Dr. Christel Bienstein: Ich schließe und haftungsrechtlich sinnvoll ist. mich vor allen dem Sachverständigenrat an, der gefordert hat, dass die Arbeit von Ärzten und Pflegepersonen eine gemeinsame Arbeit SV Dr. Carl-Heinz Müller (KBV): Ich möch- sein soll. Es geht nicht primär darum, Ärzte te kurz noch einmal auf die Diskussion vom von ihrer Arbeit zu entlasten, sondern es gilt, Montag zurückkommen. Wir haben hier unter auf die sehr komple xen Versorgungszusam- anderem das Problem der Koordination und menhänge zu reagieren, die mittlerweile aufge- der Kooperation zu lösen. Zunächst einmal treten sind. Man muss sehr genau beobachten, sollten für die Übernahme von erweiterten welche Aufgaben überhaupt übertragen bzw. Pflegeleistungen auch die nötigen rechtlichen übernommen werden könnten. Das hängt sehr Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die- vom Setting ab. In unseren Nachbarstaaten gibt se sind zurzeit noch nicht vorhanden, wie heute es schon langjährige Erfahrungen in der Zu- auch schon mehrfach dargelegt wurde. Wenn sammenarbeit von Pflege und Ärzten. Dabei sie geschaffen worden sind, ist es sehr wichtig, übernehmen die Pflegenden nicht primär, son- dass die Koordination funktioniert und dass dern nur teilweise ärztliche Aufgaben. Es wer- vor allem die Kompetenzen klar sind. Modell- den meist Aufgaben übernommen, die im Au- versuche finden derzeit kassenspezifisch statt. genblick gar nicht wahrgenommen werden. Es kann also ohne weiteres sein, dass in einem Studien belegen eindeutig, dass Angehörige Pflegeheim oder in einer ambulanten Pflege- und auch Betroffene sich immer wieder dar- einrichtung Modellversuche von einer Kasse über beklagen, dass sich niemand um sie küm- zugela ssen sind, wonach die Pflege diese oder mert. Wir wissen, dass unsere Hausärzte sehr jene Tätigkeit ausführen darf. Aber bei einem stark belastet sind und dass heute ein Facharzt anderen Patienten, der einer anderen Kasse an- bis zu vier Stunden täglich lesen müsste, um gehört, kann das anders sein. Insofern plädie- auf dem aktuellen Stand der Dinge zu bleiben. ren wir für Modellversuche, die in Zusammen- Ich weiß nicht, wie er es schaffen sollte, auch arbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung noch einen Überblick über Wechseldruckmat- kassenübergreifend durchgeführt werden und ratzen, Rollstühle , Lifte oder Stomahilfsmittel dies – damit die Koordination auch klappt und zu bekommen. Es geht darum, dass, wenn wir die Kompetenzen klar sind – unter Anleitung Pflegende mit ihrer Expertise dem Arzt an die durch ärztliches Personal, das sich entspre- Seite stellen, beide Seiten absprechen müssen, chend fortbilden muss. Abgesehen davon, wel- wer welche Aufgabe übernehmen soll und was che Kasse welchen Modellversuch laufen hat, die medizinische Fachangestellte übernehmen stellt sich auch die Frage, welche Pflegekraft kann. Bei einem Schlaganfallpatienten, der in über welche Kompetenz verfügt, durch welche der eigenen Häuslichkeit versorgt wird, könnte Fortbildungen sie diese erlangt hat und wie das beispielsweise bedeuten, dass zuerst eine lange die Kompetenz gilt. Denn es kann heute Pflegende erfassen muss, welcher Unterstüt- vorkommen, dass innerhalb des gleichen Pfle- zungsbedarf bei diesem Menschen vorliegt ist, gedienstes zwei Pflegekräfte über diese Kom- welche Bewegungsunterstützung ihm angebo- petenz verfügen, drei andere aber nicht. Ich ten werden muss, wie man Angehörige unter- glaube, das entspricht nicht der Transparenz stützen kann, welche Hilfsmittelausstattung des Pflegemarktes, so wie wir ihn uns vorstel- und welche Ernährungsunterstützung nötig ist, len. ob eine Schluckproblematik oder mangelnde Sprachfähigkeit vorliegt. Insgesamt betrachtet geht es also nicht um Delegation, sondern um Abg. Dr. Konrad Schily (FDP): Ich möchte gemeinsam gestaltete Aufgabenaufteilung und noch einmal auf die Frage der Übernahme von um neue Aufgabenzuschnitte. Beides ist drin- ärztlichen Tätigkeiten durch die Pflege zu- gend erforderlich, um die Struktur der Versor- rückkommen. Ich würde gern von Frau Prof. gungssituation zu verbessern. Ich plädiere da- Bienstein erfahren, wie sie dazu steht, und für, dies nicht vom grünen Tisch aus zu planen. zwar insbesondere unter den bereits angespro- Ich glaube, man kann nicht einfach sagen: Die chenen Aspekten der Patientensicherheit, der übernehmen jetzt die Blutzuckerbestimmung Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 16 etc., sondern die Aufgabenteilung muss in Mo- Gesundung der Patienten ist in ihrer Gänze dellmaßnahmen gemeinsam erarbeitet werden, nicht teilbar. Wir sind natürlich bereit, über in- und es müssen Outcomekriterien entwicke lt novative Vorschläge zu diskutieren. Für mich werden, nach denen sich beurteilen lässt, ob es gehört dazu auch die Delegation von Arbeiten, wirklich zu einer besseren Versorgung ge- aber eben außerhalb des Bereichs der Heilkun- kommen ist. Wir können nicht einfach vermu- de. Wir überlegen auch im Rahmen der Bun- ten, dass sic h die Versorgung verbessert, son- desärztekammer, ob es nicht notwendig wäre, dern wir müssen das auch nachweisen. Dabei einen sogenannten Case-Manager einzuführen, kann es eine Hilfe sein – wie unsere Nachbar- der Pflegeüberleitungen organisiert und der als staaten zeigen –, wenn wir grundständige Stu- Koordinator auftritt. Es ist sicherlich erforder- diengänge einrichten, in denen Pfle gende di- lich, in Modellversuchen zu erproben, inwie- rekt für die Praxis vorbereitet werden. Das fern die Pflege eingebunden werden kann, da- funktioniert natürlich bei uns in Wit- mit wir vor allem keine Doppelstrukturen und ten/Herdecke besonders gut, weil wir dort die auch keine Zwei-Klassen-Medizin aufbauen. Mediziner mit integriert haben. Wir können nicht sagen, in Pflegeheimen, in der stationären Pflege, ist es möglich, dass Pflegekräfte diese Aufgaben übernehmen, aber Abg. Daniel Bahr (Münster) (FDP): Ich habe ansonsten machen es die Ärzte weiter. Das wä- eine Frage an den Einzelsachverständigen Dr. re eine ganz gefährliche Entwicklung. Wir sa- Windhorst zum gleichen Themenkomplex, also gen also klar und deutlich, dass der Facharzt- zum Thema Kompetenzverlagerung auf Pfle- standard bei der Heilkundeausübung die condi- geberufe. Könnten Sie aus der ärztlichen Pra- tio sine qua non darstellt. Ich will gar nicht xis, aus Ihrer Erfahrung heraus darstellen, wo dem Besitzstand das Wort reden, es geht nur Sie die Chancen, aber auch wo Sie Probleme darum, keine Parallelstrukturen, keine Doppel- bei einer solchen Verlagerung sehen? Ich den- funktionen zu etablieren. Ansonsten, Herr ke insbesondere an einen Bereich, der heute Bahr, können wir gern über die Dinge reden, schon stark durch Budgets, Regresse und haf- die ich gerade aufgezählt habe. tungsrechtliche Fragen reglementiert ist. Könn- ten Sie des Weiteren einmal Praxisbeispiele nennen, wo Sie eine engere Kooperation zw i- Abg. Dr. Konrad Schily (FDP): Meine Frage schen Pflegeberufen und ärztlicher Tätigkeit richtet sich an den Berufsverband der Freien für sinnvoll halten? Ich denke dabei an das Berufe. Ihr Verband hat ein Modell für die Beispiel von Herrn Wagner, der uns gezeigt Neuorganisation der Selbstverwaltung der hat, wo Ärzte bei Verordnungen auf Erfahrun- Pflegeberufe als Qualitätssicherungsinstrument gen in der Pflege angewiesen sind. angeboten. Sehen Sie einen Weg für die Quali- tätssicherung ohne vermehrten Aufbau von Bürokratie ? Geht es nicht letztlich darum, dass SV Dr. Theodor Windhorst: Ich bin der An- wir Qualität von unten aufbauen und nicht von sicht, dass das Pflege-Weiterentwicklungs- oben mehr und mehr Kontrolle ausüben? gesetz der Notwendigkeit Rechnung trägt, die Pflege in vielen Bereichen fortzuentwickeln. Das findet meine Unterstützung. Ich spreche SV Arno Metzler (Bundesverband der Freien mich aber dagegen aus, dass die Pflege stärker Berufe (BFB)): Ich kann hier aus dem Papier in die Ausübung der Heilkunde am Menschen zitie ren, dass wir vorgestellt haben. Bei der be- eingebunden wird. Wir haben in der Bundesre- rufsrechtlichen Frage, die Sie zum Thema die- publik Deutschland ganz eindeutig den Fach- ses Teils der Anhörung gemacht haben, geht es arztstandard. Es ist auch juristisch durch viele darum, ein Recht für die entsprechenden Beru- Gerichtsurteile abgeklärt, dass zu einem Arzt, fe zu schaffen und dafür zu sorgen, dass im in Abgrenzung zum Beispiel zu einem Heil- Rahmen einer Selbstverwaltung – wie auch praktiker, eine Aus- und Weiterbildung über immer diese rechtlich aufgebaut ist, ob das ei- 11 Jahre gehört, die auch die Erlangung von ne Körperschaft oder eine Gesellschaft mit ent- Fähigkeiten und Kenntnissen im Team ein- sprechenden Aufträgen ist –, die Qualität von schließt. Dabei steht die Patientensicherheit unten aufzubauen und zu sichern. Die Quali- ganz im Vordergrund. Durch den Facharzt- tätssicherung erfolgte dann in Selbstverwal- standard sollen auch Haftungsprobleme mini- tung durch Überwachung von Kolle ge zu Kol- miert werden. Die ärztliche Verantwortung et- legen. Das hat den unschätzbaren Vorteil, dass wa für Budgetprobleme, vor allem aber für die die Konkurrenz zu einem Element der Quali- Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 17 tätssicherung wird. Dies kommt der Sachkunde Abg. Daniel Bahr (Münster) (FDP): Ich habe des Handelns am Patienten zugute. Wenn dann noch eine Frage an den Deutschen Facharzt- von der entsprechenden Anbieterseite auch verband und an den Einzelsachverständigen noch die Kosten für diese Selbstverwaltung ge- Dr. Windhorst. Wie stehen Sie zu dem Vor- tragen werden, dann ist hier, wie das in ande- schlag, dass Modellvorhaben, die eine Erweite- ren Berufen auch der Fall ist, ein System etab- rung der Delegationsfähigkeit bzw. eine Sub- liert, das in ausreichendem Maße Qualitätsmo- stitution ärztlicher Tätigkeiten durch Kranken- nitoring und Qualitätsentwicklung betreiben und Altenpfleger vorsehen, ausschließlich von kann und das auch garantiert, dass die unmit- den Krankenkassen durchgeführt werden sol- telbaren Erfahrungen aus der Praxis in die len? Qualitätssicherung einfließen.

SV Dr. Thomas Scharmann (DFV): Die Sub- Abg. Daniel Bahr (Münster) (FDP): Ich habe stitution hoch spezialisierter fachärztlicher Tä- eine Frage an den AOK-Bundesverband und tigkeiten durch Kranken- und Altenpflege ist die KBV. In das Pflegereformgesetz ist eine schlicht nicht möglich. Denkbar ist ein Dele- Bestimmung aufgenommen worden, die uns im gieren entsprechender Leistungen; medizinisch Nachgang zur Gesundheitsreform beschäftigt verantwortlich und damit federführend muss hat. Herr Prof. Hoppe von der Bundesärzte- dabei jedoch ein Facharzt sein. Das ist allein kammer hat das den sogenannten „Petz- schon eine Haftungsfrage. Nach der derzeiti- Paragraphen“ genannt. Es geht um die Melde- gen Rechtslage müssen Nicht-Fachärzte bzw. pflicht. Ärzte sollen durch Neuregelung des Hausärzte fachärztliche Leistungen an nicht- Paragraphen 294a SGB V dazu verpflichtet ärztliche Berufe delegieren. Das kann so nicht werden, den Krankenkassen die erforderlichen bleiben. Wenn die Politik den Systemfehler, Daten zu übermitteln, wenn Anhaltspunkte da- nämlich das künstliche Fernhalten der Fachärz- für vorlie gen, dass sich Versicherte vorsätzlich te von den Pflegeeinrichtungen, nicht erkennt, Krankheiten oder Schäden zugefügt haben, et- kommt es zudem zu einer fehlerhaften Bin- wa auch im Zusammenhang mit Tätowierun- dung von finanziellen Mitteln. Alle Maßnah- gen, ästhetischen Operationen oder Piercings. men, von der Festanstellung eines Arztes bis Wie beurteilen Sie diese Regelung? hin zur stärkeren Einbindung nichtärztlicher Berufe, kosten zusätzliches Geld, das für die notwendige Honorierung der fachärztlichen SV Erwin Dehlinger (AOK-BV): Ich kann Tätigkeit in Pflegeheimen fehlen wird. Der darauf eine kurze Antwort geben. Aus unserer Systemfehler wird so weiter vertieft und un- Sicht ist diese Regelung notwendig und sinn- umkehrbar. Die Verantwortung für krasse voll, damit wir das Vorliegen der Vorausset- Fehlentwicklungen in der medizinischen Ver- zungen für eine Leistungsbeschränkung über- sorgung würden in einem solchen Fall nicht prüfen können. die Fachärzte tragen. Die Organisatoren der Pflege in Deutschland wären gut beraten, ge- meinsam mit Fach- und Hausärzten die medi- SV Dr. Carl-Heinz Müller (KBV): Wir ble i- zinische Versorgung zu verbessern. Fachärztli- ben bei der Auffassung, die wir bereits geäu- che Tätigkeit muss vernetzt in die Altenpflege ßert haben. Die Regelung zerstört das Arzt- eingebracht werden. Sie zeichnet sich durch Patienten-Verhältnis. Unseres Erachtens ist es Nachprüfbarkeit in Diagnostik und Therapie mit der Schweigepflicht, der der Arzt oder die aus. Das ist auch ein wichtiger Beitrag, um Ärztin unterliegen, nicht vereinbar, dass diese mögliche gravierende Missstände in Pflege- Meldung erfolgt, ohne dass der Patient seine heimen zu vermeiden bzw. aufzudecken. Einwilligung gibt. Wenn er diese Einwilligung nicht gibt, kann der Patient selbstverständlich nicht zu Lasten der Krankenkasse behandelt SV Dr. Theodor Windhorst: Für die Qualität werden, aber es ist für uns unvorstellbar, dass im ambulanten wie im stationären System ist wir einen solchen Vorgang melden, ohne dass nach wie vor letztlich der Facharztstandard der Patient darüber informiert wird und ohne maßgebend. Wir haben ein qualitativ hochwer- seine Einwilligung. tiges System. Daher frage ich mich, wie man die Krankenkassen in die Lage versetzen will, besondere Modellversuche begleitend zu un- terstützen. Die Krankenkassen haben andere Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 18

Aufgaben als die Fachärzte bzw. die Ärzte- Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.): Der An- schaft. Der MDK, der sich bewusst aus der ku- trag der Fraktion DIE LINKE. will unter ande- rativen Medizin zurückgezogen und auf Kon- rem die Situation der Pflegenden und der As- trollmedizin spezialisiert hat, ist sicherlich sistentinnen und Assistenten dadurch verbes- nicht die richtige Instanz, die hier die regulie- sern, dass er ihnen eine berufliche Perspektive renden Maßstäbe setzen könnte. Ich muss es gibt und die se noch ausbaut. Das ist in dem noch einmal betonen: Die Ausübung des Heil- Gesetzentwurf der Regierung so nicht entha l- berufes am Menschen ist nicht in einem Mo- ten. Ich frage Herr Roßbruch und den Vertreter dellversuch, auch nicht hilfsweise, unterzu- von ver.di: Wie kann man die Ausbildung von bringen. Die Patientensicherheit sollte genauso Pflege- und Assistenzkräften so gestalten, dass ernst genommen werden wie die Flugsicher- sie nicht das Bestreben haben, nach wenigen heit. Wenn bei Air Berlin kein Geld mehr für Jahren wieder aus dem Beruf auszuscheiden? die Piloten vorhanden ist, dann fliegen auch nicht die Stewardessen das Flugzeug. Jeder an seinem Platz: Das macht die Stärke des Teams SV Robert Roßbruch: Es ist grundsätzlich zu aus. begrüßen, wenn Assistenz- und Pflegekräfte angemessen qualifiziert werden und auch einen höheren gesellschaftlichen Stellenwert in Abg. Dr. Konrad Schily (FDP): Ich habe noch Deutschland erhalten. Allerdings besteht ein eine Frage an die Deutsche Krankenhausge- Grundproblem darin – das ist in der Diskussion sellschaft: Wie müssten Ihres Erachtens die auch schon deutlich geworden –, wie die Frage notwendigen Leistungen beim Übergang von der Delegation ärztlicher Tätigkeiten – und für der Krankenhausbehandlung in ambulante mich geht es dabei um die Erweiterung von Versorgung, Reha oder Pflege finanziert wer- Handlungskompetenzen, so wie es auch im den? Gesetzesentwurf formuliert ist – geregelt wer- den soll. Dazu muss ich sagen – ich bin kein Pflegeexperte und kein Arzt, sondern Jurist –, SV Detle v Heins (Deutsche Krankenhausge- dass mich die Diskussion etwas befremdet. sellschaft (DKG)): In der Tat sehen wir ein Fi- Denn die Delegation ärztlicher Tätigkeit haben nanzierungsproblem an dieser Stelle , also beim wir schon seit Jahren in der ambulanten Pflege Entlassungsmanagement. Wir sind der Auffas- und im stationären Bereich. Schon seit Jahren sung, dass die Bundesregierung, wenn sie die- wird die intravenöse Injektion, die Subkutanin- sen Bereich als förderungswürdig ansieht, auch jektion, die Blutzuckerkontrolle delegiert. Es die finanziellen Mittel dafür bereitstellen soll- kann also nicht um die Delegation als solche, te, und zwar außerhalb der gedeckelten und sondern nur um die Erweiterung der Hand- ohnehin zu knappen Budgets. Da die Kranken- lungskompetenzen gehen. Diese muss auch be- häuser sich in einer prekären finanziellen Situ- rufsrechtlich abgesichert werden. Auch die ation befinden, wäre es angemessen, hier zu- Tatsache, dass plötzlich das Haftungsrecht ins sätzliche Finanzmittel bereit zu stellen. Beson- Spiel gebracht wird, befremdet mich etwas. ders problematisch ist die Finanzierung des Das Haftungsrecht ist gar nicht das Problem. Übergangs von der stationären zur ambulanten Eine Pflegefachkraft kann, wenn sie die ent- Versorgung. Erschwerend kommt die aktuelle sprechende Qualifikation hat, im Prinzip alles Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hin- tun, wenn der Arzt es anordnet und der Patient zu, das hier auch noch Regelungsbedarf sieht. einwilligt. Denn es gibt überhaupt keine Ver- Aus Sicht der DKG besteht die Lösung darin, bote. Das Problem ist vielmehr ein arbeits- dass eine entsprechende Klarstellung im Ge- rechtliches und ein versicherungsrechtliches. setz erfolgt, wonach eine stationäre Behand- Denn eine Pflegefachkraft, die eine ärztliche lungsbedürftigkeit auch dann gegeben wäre, Tätigkeit durchführt und dabei einen Fehler wenn die Krankenkasse keine konkrete Be- macht, durch den es zu einem Schadensfall handlungs- und Versorgungsalternative aufzei- kommt, ist versicherungsrechtlich überhaupt gen kann. Das wäre dann die Wiederherstel- nicht abgesichert, weil die Berufshaftpflicht- lung der Rechtslage vor dem Urteil des Bun- versicherungen eine Deckung bei der Durch- dessozialgerichts, und dafür würden wir plä- führung berufsfremder Tätigkeiten nicht über- dieren. nehmen. Wir würden somit das Problem dieser Rechtsunsicherheit abstellen, wenn wir diesen Bereich in den Berufsgesetzen endlich normie- ren würden. Dabei stellt sich allerdings aus Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 19 meiner Sicht das große Problem, was denn un- pflegefähigkeit des Betroffenen noch vorhan- ter dem Begriff „erweiterte Kompetenzen“ zu den ist. Sofern er noch eigene Verantwortung verstehen ist. Denn hier handelt es sich um ei- übernehmen kann, können auch Hilfskräfte nen unbestimmten Rechtsbegriff. Der Gesetz- eingesetzt werden. Aber in dem Maße, wie der entwurf geht mir an dieser Stelle nicht weit ge- Pflegebedürftige keine Verantwortung mehr nug und muss daher nachgebessert werden. für sich selbst übernehmen kann, müssen Fach- Denn entweder wird dieser Begriff ein deutig kräfte eingesetzt werden. Dafür sollte man definie rt, andernfalls ist er überflüssig, oder er dann auch klare Abgrenzungen schaffen – wird durch bestimmte Tätigkeiten beschrieben möglicherweise im Berufsgesetz – zwischen und in die Berufsgesetze aufgenommen. Das dem, was Pflegehilfskräfte und dem, was Pfle- heißt also, man könnte einen entsprechenden gefachkräfte tun können. Es reicht dann nicht, Kompetenzkatalog in das Krankenpflegegesetz in einem Gesetz festzulegen, wie das oft in den und das Altenpflegegesetz aufnehmen, so wie Ländern geschieht, dass Pflegehilfskräfte „un- ich das in meiner schriftlichen Stellungnahme ter der Verantwortung“ einer Pflegefachkraft auf Seite 14 vorgeschlagen habe. tätig werden dürfen, denn damit erfolgt so gut wie keine Abgrenzung.

SV Gerd Dielmann (Vereinte Dienstleis- tungsgewerkschaft (ver.di)): Die Frage bezieht Abg. Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE.): Meine sich, wenn ich Sie richtig verstanden habe, auf nächste Frage richtet sich an den Deutschen die beruflichen Perspektiven von Pflegeassis- Pfle gerat und an den Deutschen Berufsverband tenzkräften. Wir sind prinzipiell sehr stark dar- für Pflegeberufe. Der Antrag der Fraktion DIE an interessiert, dass Pflege von Fachkräften LINKE. geht davon aus, dass im Falle von ausgeübt wird. Auf der anderen Seite gibt es Pflegebedürftigkeit nicht das Motto „satt, sau- natürlich eine große Zahl von Menschen, die ber und trocken“ maßgebend sein kann, son- pflegerisch tätig sind, ohne dafür hinreichend dern Ziele wie Persönlichkeitsentfaltung, Teil- qualifiziert zu sein, sei es auf freiwilliger Basis habe und selbstbestimmte Lebensführung ver- im häuslichen Bereich oder auch teilberuflich. wirklicht werden sollten. Nun wissen wir, dass Es ist natürlich richtig, diesen Menschen auch im Pflegebereich einfach nur Menschen fehlen, eine Perspektive in den Fachberuf zu geben. die pflegen, also Arbeitskräfte. Wie groß wäre Wir halten die entsprechenden Ansatzpunkte, nach Ihrer Einschätzung der Personalbedarf, die es in einer Reihe von Modellversuchen zur wenn man diesen Anspruch auf ein selbstbe- Pflegeassistenzausbildung, aber auch in der stimmtes Leben mit Hilfe von pflegenden und Regelausbildung im Bereich der Pflegehelfe- assistierenden Menschen umfassend einlösen rinnen gibt, für unzureichend, weil sie gerade wollte? diese Perspektive oft nicht eröffnen. Die Fach- berufe müssen die Anrechenbarkeit dieser Qualifikationen sicherstellen. Dies muss im SV Franz Wagner (DPR): Ich kann den Per- Gesetz geregelt und dabei so organisiert wer- sonalbedarf nicht wirklich quantifizieren. Ich den, dass sich tatsächlich eine Perspektive bie- denke, wir brauchen deutlich mehr Menschen, tet. Wir sehen diese Perspektive vor allen Din- die in der pflegerischen Betreuung tätig wer- gen darin, dass eine Berufsorientierung vermit- den. Wir brauchen auch eine hohe pflegerische telt wird und dass auch die fachlichen Voraus- Fachkompetenz, gepaart mit Assistenz, mit setzungen im Sinne von Allgemeinbildung ge- weiteren Unterstützungs- und Serviceleistun- schaffen werden. Denn die Defizite in der All- gen. Es gibt eine Umfrage des Deutschen Insti- gemeinbildung stellen für viele Hauptschula b- tuts für angewandte Pflegeforschung zur Situa- solventen eine Hürde beim Einstieg in einem tion in den Krankenhäusern. Auf deren Grund- Pflegefachberuf dar. Im Rahmen einer Pflege- lage wurde hochgerechnet, dass im Moment in hilfsausbildung sollte daher auch die Allge- den Krankenhäusern bei den Pflegefachkräften meinbildung verbessert werden können. Zu- ein Maß an Überstunden aufgelaufen ist, das dem sollten eine erste berufliche Orientie rung einem Äquivalent von etwa 5000 Stellen ent- und eine erste Berufsqualifikation vermittelt spricht. Wenn man nun anstrebt, in diesem Be- werden, die dann auch anrechenbar sein müs- reich auch nur ein Stück weit Normalität zu er- sen. Die Stichworte lauten also: Durchlässig- reichen, dann käme man zu einer deutlich hö- keit und Orientierung hin auf Fachlichkeit. Die heren Zahl, zumindest wenn man eine bessere Einsetzbarkeit von Pflegehilfskräften hängt Versorgung haben möchte. Für die Versorgung auch davon ab, in welchem Maße die Selbst- Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 20 in der stationären Altenhilfe kann ich leider häusliche Krankenpfle ge. Das kann jede Kran- überhaupt keine Quantifizie rung vornehmen. kenschwester, dafür muss man die Ausbildung nicht verlängern und auch nicht an die Hoch- schule verlegen. Sie brauchen dann aber die SV Gertrud Stöcker (DBfK): Ich würde die rechtliche Kompetenz, um häusliche Kranken- Frage gerne von einer anderen Seite her be- pflege auch organisieren zu dürfen. Darüber antworten. Es gibt in Deutschland keine quali- hinaus wäre etwa Wundmanagement ein Tä- tativ ausgerichtete Bedarfsbestimmung, das tigkeitsfeld, das auch schon angesprochen heißt keine, die den Pflegebedarf aus der Sicht worden ist, in dem Krankenpflegepersonen ei- zu pflegender Menschen definieren würde. ne sehr hohe Expertise haben, die sie auch rea- Vielmehr gehen wir von quantitativen Be- lisieren können. Insoweit geht der Gesetzent- darfsbestimmungen aus, die sich an Statistiken wurf an dieser Stelle nicht weit genug. Was die und an ökonomischen Gegebenheiten orientie- ausbildungsrechtlichen Regelungen betrifft, ren. Was in Deutschland fehlt , sind Kriterien geht er hingegen zu weit. Er schüttet das Kind dafür, welcher Personalbestand qualifiziert und gewissermaßen mit dem Bade aus, weil die vorgehalten werden muss, um eine qualitativ Regelungen, die er für die Ausbildung vor- gute, würdevolle Versorgung von Menschen sieht, in diesem Maße gar nicht erforderlich sicher zu stellen. Die Pflegeversicherung ist sind. Wir kritisie ren vor allem die Aufhebung sehr streng somatisch orientiert. Wir beklagen, der ausbildungsrechtlichen Schutzbestimmun- dass demenziell oder gerontopsychiatrisch er- gen, die sowohl für die Regelausbildung als krankte Versicherte nicht ausreichend versorgt auch für die Hochschulausbildung vorgesehen werden. Hier fehlt einfach die Beweislage da- ist. Sie wird der Situation nicht gerecht, son- für, welche Qualifikationen und wie viele dern verschlechtert sie sogar. Wir befürchten Pflegekräfte wir brauchen. Wenn es dazu Da- vor allem, dass ein weiterer Ausbildungsplatz- ten gäbe, würde sich die Frage nach dem quan- abbau in der Regelausbildung erfolgen wird, titativen Verhältnis von qualifizierten zu weni- wenn kostenlose Praktikanten aus den Hoch- ger qualifizierten Pflegepersonen auflösen. schulen die Auszubildenden ersetzen können. Dies wird so kommen, weil die Ausbildung überwiegend praktisch sein muss, unabhängig Abg. Frank Spieth (DIE LINKE.): Meine davon, ob es sich um ein Studium oder um eine Frage richtet sich noch einmal an ver.di. Sind betriebliche Ausbildung handelt. Die EU- Sie der Auffassung, dass die qualitativen und Richtlinie schreibt das so vor. Die s ist ein quantitativen Anforderungen an die Pflege mit Punkt, den wir kritisie ren. Hier müsste der Ge- den in dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz setzgeber nachbessern, weil das nichts mit dem avisierten Mitte ln eingelöst werden können? eigentlichen Anliegen zu tun hat, die pflegeri- sche Kompetenz zu erweitern. Das kann man auch erreichen, ohne die Schutzbestimmung SV Gerd Dielmann (ver.di): Wenn Sie mit ih- aufzuheben. rer Frage die Kompetenzen ansprechen wollen, die für heilkundliche Tätigkeiten zusätzlich vermittelt werden sollen, dann kann ich nur sa- Abg. Frank Spieth (DIE LINKE.): Ich möchte gen, dass das, was in dem Gesetz versucht noch eine weitere Frage an ver.di stellen. Wir wird, aus unserer Sicht unzureichend ist, weil nehmen zur Kenntnis, dass die Pflegestufen im die Probleme, die wir in der Praxis haben, mit stationären Bereich, außer in der Stufe 3, nicht der Delegation von ärztlichen Tätig keiten, wie angepasst werden sollen. Die unterlassene An- sie in der Tat schon seit geraumer Zeit erfolgt, passung der zurückliegenden Jahre wirft aber so nicht zu lösen sind. Herr Roßbruch hat dar- schon jetzt im personellen Bereich erhebliche auf schon hingewiesen. In den Krankenhäusern Finanzierungsprobleme auf. Auch Sie fordern gibt es derzeit einen Trend dahingehend, Ärzte eine deutliche Erhöhung der Fachkräftequote. zu entlasten und Tätigkeiten auf die Pflege zu Glauben Sie, dass diese angesichts der finan- übertragen. Es werden neue Berufe geschaffen, ziellen Rahmenbedingung mit diesem Gesetz bei denen völlig unklar ist, ob sie die neuen zu realisieren ist? Aufgaben haftungsrechtlich tragen können. In dem Gesetzentwurf ist die s aus unserer Sicht nicht ausreichend dargelegt. Er hebt zu stark SV Herbert Weisbrod-Frey (ver.di): Wir sind auf Qualifikationen ab, über die die Pflegekräf- der Auffassung, wie ich schon ausgeführt habe, te heute schon verfügen. Dies gilt etwa für die dass die finanziellen Rahmenbedingungen Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 21 nicht ausreichend sind. Wir haben auch schon senschaft mit in die Verantwortung für die dargelegt, dass wir eine bessere Finanzie- Wissenszirkulation zu nehmen. Dies betrifft rungsgrundlage für die Pflegeversicherung für die Fragen, wie neues Wissen wirklich in die notwendig halten. Dies wird mit dieser Reform Praxis kommt und wie es gelingen kann, nicht realisiert. Wir stellen derzeit auch schon Implementationsstrategien zu entwickeln, die vielfach eine Überarbeitung der Pfle gekräfte auch wirklich evaluiert sind. Wir müssen na- fest. Das ist nicht mehr wegzudiskutieren. Es türlich auch die Pflegewissenschaft damit be- ist vor allem dem enormen Engagement der auftragen, Ergebnisse zu ermitteln. Zu welchen Pflegepersonen zu verdanken, dass die Pflege Ergebnissen kommt man, wenn man verschie- häufig doch noch so gut funktioniert. Wir se- dene Modellprojekte durchführt? Ist das wirk- hen hier einen großen Änderungsbedarf und lich etwas, was die Situation der Patienten, der hoffen, dass auch im Rahmen der weiteren Pflegebedürftigen verbessert? Des Weiteren ist Diskussionen über den Pflegebegriff noch es sehr erstaunlich, dass durch das Pflege- Verbesserungen erzielt werden. Weiterentwicklungsgesetz die Entwicklung von Qualitätskriterien und Expertenstandards im Grunde primär in die Zuständigkeit der Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS Leistungs- und Kostenträger überführt und die 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte vorweg an- Pflegewissenschaft nur beratend hinzugezogen merken, dass wir bei einer Anhörung zu be- wird. Damit setzt sich das fort, was wir schon rufsrechtlichen Regelungen in der Pflege nicht damals bei der Einführung der Pflegeversiche- von Schwestern, sondern von Pflegefachkräf- rung 1995 erle bt haben. Wir haben die Einfüh- ten sprechen sollten. Meine Frage richtet sich rung des MDK vorgeschlagen als eine Instanz, an Frau Prof. Bienstein. Werden in dem vor- die regelmäßig prüft, ob ein Mensch wirklich liegenden Gesetzentwurf die durch die Pflege- Leistungen aus der Pflegeversicherung bezie- wissenschaft gewonnenen Erkenntnisse ausrei- hen muss. Bis heute gibt es aber kein Instru- chend berücksichtigt? Wenn nicht, könnten Sie ment, das wirklich wissenschaftlich fundiert einen zentralen Punkt benennen, an dem diese ist. Es ist auch sehr erstaunlich, dass die Exper- unzureichende Berücksichtigung deutlich tenstandards über das SGB XI finanziert wer- wird? den sollen. Die Expertenstandards, die in unse- rem Hause im Auftrag des Deutschen Netz- werks für Qualitätsentwicklung entstanden SV Prof. Dr. Christel Bienstein: Ich bin der sind, beziehen sich immer auf das gesamte Pa- Auffassung, dass die Pflegewissenschaft und norama der Pflege. Da sind Kliniken ebenso ihre Fähigkeit, zur Lösung der in der Pflege einbezogen wie Rehaabteilungen etc. Es wurde bestehenden Probleme einen Beitrag zu leisten, also versäumt mit einzuplanen, dass es eine na- zu wenig genutzt worden sind. An erster Stelle tionale Pflegebedarfserfassung geben muss, die muss erwähnt werden, dass wir in Deutschland regelmäßig erfolgt und wahrscheinlich auch keine Pflegebedarfserfassung haben. Das wur- von unabhängigen Instituten durchgeführt wer- de vorhin schon einmal angesprochen. Wir ha- den muss. Ich hätte es auch sehr begrüßt, wenn ben auch keine sinnvolle nationale Pflegebe- man etwas mehr zu den vulnerablen Gruppen richterstattung, die regelmäßig, wie zum Bei- gesagt hätte, zum Beispiel zu Migranten oder spiel in den Niederlanden oder in Luxemburg, zu behinderten Menschen. Es wird zwar etwas erheben würde, welche Pflegebedarfe existie- zu chronisch kranken Kindern gesagt, aber es ren. Allein die s führt dazu, dass wir nach dem wäre wichtig gewesen, hier auch gefährdete Prinzip von Versuch und Irrtum Personen aus- Familien und Obdachlose einzubeziehen. Wir bilden, Schwerpunkte setzen und auch Exper- hätten die Chance gehabt – und das wäre ein- tenstandards entwickeln müssen. Ich war selbst malig gewesen–, in diesem Pflege- mit verantwortlich dafür und habe erlebt, wie Weiterentwicklungsgesetz zum ersten Mal ei- wir sozusagen über dem Daumen gepeilt ha- nen Sonderforschungsbereich für die Pflege- ben, was wohl die Probleme sind. Das ist im forschung einzuplanen oder anzuregen. Wir Augenblick in Deutschland noch in ganz vielen haben hier einen großen Bedarf. Die Institute, Fällen so. Da wir keine epidemiologischen Da- die wir in Deutschland haben, werden ständig ten haben, kann die Bedarfsplanung nicht aufgefordert, Forschungsprojekte durchzufüh- passgenau erfolgen. Hier müsste sich dringend ren. Wir brauchen eigene Strukturen und Ent- etwas ändern. Darüber hinaus hätte auch eine wicklungsmaßnahmen, damit die Pflegewis- explizite Aufgabenver- bzw. -zuteilung erfol- senschaft diesen Rückstand aufholen kann. Im gen müssen, um zum Beispiel die Pflegewis- Moment können wir das nicht. Wir haben so- Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 22 mit etwas versäumt, was wir hätten tun kön- in diesem Bereich sehr vieles. Wir haben es nen. auch versäumt, aus Erfahrungen im Ausland zu lernen. So hat zum Beispiel Finnland bei der PISA-Studie unter anderem deshalb so gut ab- Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS geschnitten, weil es dort die School-Nurse gibt. 90/DIE GRÜNEN): Ich habe eine weitere Fra- Wir haben viele präventive, rehabilitative Po- ge an Frau Prof. Bienstein: Werden Ihrer An- tentiale nicht ausgeschöpft. Wir wissen inzw i- sicht nach im Gesetzentwurf die Potentiale von schen, dass bei Wohnungsbaugesellschaften Pflegekräften im Bereich von Prävention und eine hohe Bereitschaft besteht, im Bereich der Rehabilitation ausreichend gefördert und adä- Prävention tätig zu werden. Sie machen das quat honoriert? sogar schon auf eigene Kosten. Wir müssten in viel höherem Maße herauszufinden versuchen, wie wir die Menschen erreichen, die Hilfe SV Prof. Dr. Christel Bienstein: Meiner An- brauchen. Es wäre spannend, zum Beispiel mit sicht nach nicht. Wir verfügen inzwischen über ALDI darüber zu verhandeln, ob nicht in sol- sehr qualifizierte Pflegende mit neurologischen chen Läden Präventionskonzepte vorgestellt Zusatzqualifikationen, die sich gezielt der Re- werden könnten, ähnlich wie wir das aus dem habilitation widmen. Wir haben inzwischen Ausland kennen. auch die Familien- und Gesundheitsschwester, – stark unterstützt vom Bundesgesundheitsmi- nisterium –, die sehr gut auch präventive Auf- Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS gaben wahrnehmen kann, wir haben Experten 90/DIE GRÜNEN): Meine nächste Frage ric h- für Herzinsuffizienz und für die Begleitung tet sich an Herrn Prof. Görres. Welche Maß- von brustkrebserkrankten Patienten. Das heißt, nahmen müssten ergriffen werden, damit die es gibt inzwischen eine hohe Kompetenz auch neu hinzukommenden Aufgaben nicht zur be- im Bereich des Case-Managements. In vielen ruflichen Überforderung von Pflegekräften Kliniken ist dies in die Hände der Pflegenden führen? gelegt worden, gerade auch mit dem Ziel, die rehabilitativen Potentiale auszuschöpfen und auch die präventiven Konzepte für die Patie n- SV Prof. Dr. Stefan Görres: Ich kann hier ten mit auf den Weg zu bringen. In der Praxis eindeutig mit dem Stichwort Qualifikation zeichnet sich im Moment eine dramatische antworten. Ich denke, eine angemessene Quali- Entwicklung ab: Unsere solitären Kurzzeit- fikation ist die Grundvoraussetzung dafür, dass pflegeeinr ichtungen gehen reihenweise Pleite. es nicht zur Überforderung kommt. Wir haben Wir haben viel zu wenige Kurzzeitpflegeein- jetzt schon mehrfach gehört, dass die Versor- richtungen, weil diese alle nach dem SGB XI gungssituationen sehr komplex geworden sind finanziert werden. Wir haben aber einen hohen und weit über das hinausgehen, was wir mit Bedarf. Es kommen schwerkranke Menschen den Stichworten Delegation oder Heilkunde zu aus den Kliniken in diese Einrichtungen. Wir beschreiben versuchen. Ich würde also Herrn bräuchten spezifisch rehabilitative Kurzzeit- Roßbruch durchaus Recht geben, wenn er sich pflegeeinrichtungen und auch Tagespflegeein- dafür ausspricht, die Kompetenzen stärker in richtungen, die sich bestimmter Problemstel- den Mittelpunkt zu rücken. Ich will aber noch lungen annehmen. Also dieser Grundsatz „Wir etwas hinzufügen. Ich bedauere es sehr, dass pflegen alles, was kommt“ muss unbedingt wir hier, zum Teil vielleicht in lobbyistischer eingestellt werden, und zwar sowohl bei den Art und Weise, zur Polarisierung tendieren und häuslichen Pflegedien-sten als auch bei den Delegation gegen Heilkunde auszuspielen ver- Kurzzeit- und Tagespflegeeinric htungen. Wir suchen. Es geht hier um eine Optimierung der brauchen Einrichtungen, in denen die gebün- Versorgungssituation und auch darum, alle Be- delte Expertise von Fachexperten zum Tragen rufsgruppen entsprechend gut zu qualifizieren. kommt. Wir haben hier inzwischen einzelne Gerade die Pflege bedarf einer sehr guten Qua- kleine Modellprojekte – zum Beispiel hat die lifikation, denn die Erfahrungen in alle n euro- Barmer Ersatzkasse ein sehr gutes Projekt auf- päischen Ländern zeigen, dass eine gute Quali- gelegt, das in der eigenen Häuslichkeit spezi- fikation auch zu guten Ergebnissen führt. Man fisch geschulte Pflegekräfte einsetzt, so ge- kann es kaum nachvollziehen, warum wir in nannte Kinästhetik-Trainer, die Angehörige Deutschland auf diesen Vorteil im Gesund- anleiten, wie sie die Pflegebedürftigen bewe- heitswesen und in der Qualität der Versorgung gungsfähiger machen können. Es fehlt uns also verzichten wollen. Es gibt aus meiner Sicht nur Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 23 einen Weg, und der liegt eindeutig in der Qua- SV Gertrud Stöcker (DBfK): Ich denke, die- lifizierung. Qualifikation muss man jedoch ser überkommene Gedanke einer Aufwertung sehr differenziert betrachten. Der Vertreter von der Pflege durch Entlastung der Ärzte holt uns ver.di hat etwa auf die Allgemeinbildung hin- immer wie der ein. Im Dienste der Versor- gewiesen. Wir wissen, dass hier auch bei den gungsqualität ist aber zunächst die gerade von Pflegeberufen einiges im Argen liegt. Aber es Frau Prof. Bienstein beschriebene Weiterent- geht auch um die berufliche Qualifikation. Die wic klung der Kompetenz in der Pflege gefragt. muss sicherlich durch Weiterbildung gestärkt Es geht hier nicht um eine Konkurrenz mit den werden. Ich bin allerdings kein Anhänger einer Ärzten. Es geht um die Verordnung der Aus- endlosen Addit ion von Weiterbildungen, weil führung von Pflege vor Ort, die nur die Pflege die s nämlich zu Überforderungen führen wür- leisten kann und die nicht automatisch durch de, sondern ich bin dafür, dass man einen kon- das Vorbehaltsmonopol der Ärzte in Deutsch- sequenten Schritt geht, was man in anderen land zur ärztlichen Tätigkeit wird. Delegation, Berufen auch tut, und dieser konsequente so wurde eben auch gesagt, ist kein neues Schritt kann für mich nur in der Hochschul- Thema in der Zusammenarbeit zwischen Pfle- ausbildung liegen. Auch dort hinken wir allen genden und Ärzten. Wenn die Eigenverant- anderen europäischen Ländern hinterher. Es ist wortlichkeit der Pflege, dass Interprofessionel- kaum nachvollzie hbar, warum wir auf das ent- le und das Interdisziplinäre der Pflege, greifen sprechende Potential verzichten. Denn wir be- soll, brauchen wir ein gleichberechtigtes Ver- finden uns in Deutschland in einer Situation, in antwortungsgefüge. Jede Verschiebung in die- der wir große Probleme in der Versorgungs- sem Verantwortungsgefüge nennt man Delega- qualität im Gesundheitswesen haben. Mein tion, und Delegationsmöglichkeiten machen Appell geht daher dahin, dieses Potential durch professionelle Pflege ersetzbar. Wir stellen vor Qualif ikation zu aktivieren, denn dann können Ort fest, dass der Arzt delegieren kann, solange die Pflegekräfte den komplexen Versorgungs- er bereit ist, die Verantwortung dafür zu tra- situationen durchaus Stand halten. Wir haben gen. Das ist dann aber nicht unbedingt an Pfle- auch evidenzbasierte Hinweise darauf, dass in gefachkräfte gerichtet. ganz bestimmten komplexen Versorgungssitu- ationen durch akademisch gebildete Pflege- kräfte eine ähnlich hohe Qualität der Versor- Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS gung erzielt werden kann wie durch Ärzte. 90/DIE GRÜNEN): Meine letzte Frage richtet Dieses Potential sollten wir nutzen. Und daher sich an ver.di. Leistet der Gesetzentwurf der sage ich es noch einmal: Es geht hier nicht um Regierung Ihrer Ansicht nach einen ausrei- ein Entweder-oder, also darum, Delegation und chenden Beitrag zur Verbesserung der Arbeits- Heilkunde gegeneinander auszuspielen, son- situation von Pflegekräften in ambulanten und dern es geht um die Qualität der gesundheitli- stationären Pflegeeinrichtungen? chen Versorgung und um die Frage, welche Berufsgruppe am besten geeignet ist, auf be- stimmte Versorgungssituationen adäquat zu re- SV Gerd Dielmann (ver.di): Darauf kann ich agieren. Dazu brauchen wir für alle Berufs- eine sehr kurze Antwort geben: Nein. gruppen eine adäquate Ausbildung und ganz besonders für die Pflegeberufe. Abg. Dr. Rolf Koscho rrek (CDU/CSU): Ich habe eine Frage an die DKG. Wir beurteilen Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS Sie das Modell zur Verlängerung der Ausbil- 90/DIE GRÜNEN): Meine nächste Frage ric h- dungszeit im Krankenpflegegesetz und im Al- tet sich an den Deutschen Berufsverband für tenpflegegesetz und welche Auswirkung hätte Pflegeberufe. Wie bewerten Sie es, dass die eine Verlängerung der Ausbildung für die Erweiterung pflegerischer Handlungsfelder im Krankenhäuser? Welche Folgen hat die zu- Pflege-Weiterentwicklungsgesetz mit dem Ziel künftige Höherqualifizierung in der Pflege für einer Entlastung von Ärztinnen und Ärzten be- die Finanz- und Ausbildungsstruktur und was gründet wird? Müsste die Argumentation nicht bedeutet sie für die Krankenpflegeschulen? eher dahin gehen, dass die Versorgungssicher- heit der Bevölkerung gewährleistet wird? SV Ralf Neiheiser (DKG): Sollte es zu einer Verlängerung der Ausbildungszeit kommen, muss aus Sicht der Deutschen Krankenhausge- Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 24 sellschaft unbedingt eine Refinanzierungsrege- Hier gibt es ein Kursprogramm über 160 Stun- lung geschaffen werden, durch die sicherge- den, mit ganz speziellen Lernverfahren. Diese stellt wird, dass die entstehenden Mehrkosten Zusatzweiterbildung Palliativmedizin ist bun- für die Krankenhäuser in vollem Umfang refi- desweit sehr gut angenommen worden. Geria t- nanziert werden. Darüber hinaus sollte eine rie gehört neben der Palliativmedizin, der psy- verlä ngerte Ausbildungszeit festgelegt werden. chosomatischen Grundversorgung, der Akut- versorgung und der Prävention im weitesten Sinne zu den Kernstücken hausärztlicher Tä- Abg. Maria Eichhorn (CDU/CSU): Meine tigkeiten, und wenn wir den Hausarzt landes- Frage richtet sich an Herrn Dr. Johannes und weit auf hohem qualitativem Niveau installie- an die Bundesärztekammer. Als Voraussetzung ren wollen, dann muss hier eine Lösung ge- für die Anstellung eines Arztes im Pflegeheim schaffen werden. ist der Nachweis einer Weiterbildung im Be- reich Geriatrie vorgesehen. Wie viele Ärzte verfügen nach Ihrer Kenntnis über eine derar- SV Dr. Cornelia Goesmann (BÄK): Ich kann tige Weiterbildungsqualifikation und ist eine nicht mit Zahlen aufwarten, sondern nur damit solche Voraussetzung für die Tätigkeit in Hei- argumentieren, dass in der fünfjährigen Wei- men aus Ihrer Sicht notwendig und sachge- terbildung zum Facharzt für Innere und Allge- recht? meinmedizin, wie er derzeit heißt, erhebliche geriatrische Anteile enthalten sind und das man, wenn man die Weiterbildung zum Fach- SV Dr. Wolfram Johannes: Ich habe mir die arzt durchlaufen hat, also Hausärztin oder Zahlen für die Anerkennungen im Fach Geria t- Hausarzt ist, auch ein erhebliches Know-How rie im Regierungsbezirk Koblenz aus den Jah- im Bereich der Geriatrie mitbringt. Ich möchte ren 1998 bis 2007 übermitteln la ssen. Wir jetzt nicht, sozusagen en passant, die Weiter- müssen dabei Folgendes berücksichtigen: Wir bildungsordnung ändern. Das ist ein Komplex, hatten bis zum Jahr 2006 nach der alten Wei- über den auf dem Deutschen Ärztetag und in terbildungsordnung das Fach klinische Geria t- den entsprechenden Gremien entschieden wer- rie. Das war eine zweijährige Zusatzweiterbil- den muss. Ich würde aber behaupten, dass dung in der Regel für Internisten, Neurologen Hausärztinnen und Hausärzte durch die beste- und Psychiater. Seit 2006 haben wir die Zu- henden Weiterbildungsmöglichkeiten ausrei- satzbezeichnung Geriatrie. Dafür werden 18 chende Kompetenz erwerben, um geriatrisch Monate Weiterbildung gefordert. In dem ge- tätig zu werden. Selbstverständlich sollte man, nannten Zeitraum haben im Bereich der Be- wenn man merkt, dass man eine Fortbildung zirksärztekammer Koblenz 13 Mediziner diese braucht, versuchen, auf dem Laufenden bleibt, Anerkennung erworben. 13 Mediziner! Es gibt um adäquat reagieren und die Patientinnen und im selben Kammerbezirk fünf Weiterbild ungs- Patienten angemessen behandeln zu können. stätten für Geriatrie. Daher ist deutlich zu se- hen, dass mit dem bisherigen Weiterbildungs- instrument im Fach Geriatrie kein Staat zu ma- Abg. Willi Zylajew (CDU/CSU): Meine Frage chen ist und erst recht keine Voraussetzungen richtet sich an die Vertreter des Verbandes für für die Anstellung von Heimärzten gegeben Physiotherapie und die Bundesarbeitsgemein- sind. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf schaft Heilmittelverbände. Sie schlagen für den eine Diskussion verweisen, die wir vor unge- Heilmittelbereich Modellvorhaben nach Para- fähr 17 Jahren geführt haben. Dabei ging es – graph 63 Absatz 3 SGB V vor. Gibt es hie rfür ich war daran auch beteiligt – unter Federfüh- aus Ihrer Sicht wirklich einen Bedarf bei den rung von Rheinland-Pfalz um den Diabetolo- Patientinnen und Patienten? gen. Das Land bzw. das Ministerium und die Kassen haben als Grundvoraussetzung eine Qualifikation als Endokrinologe gefordert. SV Heinz Christian Esser (Deutscher Ver- Damals haben wir eine ähnliche Recherche band für Physiotherapie – Zentralverband der durchgeführt. Ihr zufolge hatten wir in einem Physiotherapeuten/Krankengymnasten e.V. Fünf-Jahres-Zeitraum in ganz Rheinland-Pfalz (ZVK)): Ich kann eindeutig bestätigen, dass zwei Anerkennungen als Endokrinologen. ein solcher Bedarf besteht. Den besten Nach- Mein Vorschlag wäre, dass wir die Geriatrie weis hierfür liefert der GEK-Heilmittelreport als Zusatzweiterbildung etablieren, wie wir es 2007. Darin wird völlig zu Recht beanstandet, auch bei der Palliativmedizin gemacht haben. dass die Versorgung insbesondere von Schla g- Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 25 anfallpatienten darunter leidet, dass zwischen gehen kann und daher gemeldet werden muss. der Entlassung aus der stationären Versorgung, Aber dazu müsste der Patient seine schriftliche sei es nun Reha oder Krankenhaus, und der Einwilligung geben. Anders kann ich mir das Aufnahme der Heilmittelversorgung, also ins- für die Ärzteschaft nicht vorstellen. besondere Krankengymnastik und Logopädie, in der Regel 40 Tage liegen. Hier gibt es also eine Versorgungslücke bzw. eine Schnittstel- SV Dr. Cornelia Goesmann (BÄK): Ich sehe lenproblematik, die aus Sicht der Krankenkas- das genauso. Wir werden die Schweigepflicht sen schnellstmöglich gelöst werden muss. Dies nicht brechen, aber wir haben es schon immer zum einen. Zum anderen gibt es valide Unter- so gehandhabt, dass wir die Patientinnen und suchungen zu diesen Fragen, und zwar nicht Patienten bei eindeutig selbstinduzierten Er- nur in Schottland, worauf ja im Gutachten des krankungen – ic h glaube, so lautet die Formu- Sachverständigenrates Bezug genommen wor- lierung – privat liquidiert haben. Wir haben den ist. Wir wissen zum Beispiel, dass die An- schon bisher gesagt, dass das keine Leistung zahl der Fehltage deutlich zurückgeht, wenn der GKV ist. In der Praxis wird dann vorab Versicherte sofort nach der Entlassung aus der vereinbart, dass die Behandlung über eine Pri- stationären Einrichtung einen Physiotherapeu- vatliquidation zu zahlen ist. Wir sehen uns ten aufsuchen und nicht erst 14 Tage oder drei auch der GKV gegenüber in der Pflicht, Pati- Wochen auf einen Termin beim Hausarzt war- entinnen und Patienten auf diesen Umstand ten müssen, um dann an den Orthopäden wei- hinzuweisen. Darüber hinaus könnte man na- terverwiesen zu werden, bis sie dann das Inte- türlich zum Beispiel für bestimmte gefährliche resse an einer physiotherapeutischen Therapie Sportarten, die ein gesundheitliches Risiko letztlich verloren haben. Dies sind Ergebnisse bergen, die Verpflic htung zum Abschluss von valider Untersuchungen, die auch in das Gut- Zusatzversicherungen beim Kauf eines ent- achten des Sachverständigenrates eingeflossen sprechenden Sportgerätes oder etwas Ähnli- sind. ches erwägen. Das wird ja auch in der gesund- heitspolitischen Diskussion immer wieder thematisiert. Ich will keinen entsprechenden Abg. Jens Spahn (CDU/CSU): Ich habe noch Vorschlag machen, sondern nur anregen, dar- eine Frage zum Paragraphen 294a an Herrn Dr. über noch einmal nachzudenken. Aber eines Müller von der KBV, an Frau Dr. Goesmann steht fest: Wir werden die Patienten nicht de- von der BÄK und an Herrn Dr. Windhorst. nunzieren und die Schweigepflicht nicht bre- Wie werden ihrer Meinung nach die Ärzte rea- chen. gieren, wenn es zu dieser gesetzlichen Rege- lung kommt, und zwar angesichts des Um- stands, dass es faktisch keine Sanktionsmög- SV Dr. Theodor Windhorst: Das sehe ich lichkeit gibt? Was schlagen Sie vor, um in den auch so. Wir werden natürlich hohe Hürden er- vorgesehenen Fällen eine unter sozialpolit i- richten, wir werden mit den Patienten sprechen schen Gesichtspunkten durchaus vertretbare und sie darauf hinweisen, dass sie sich eigent- Leistungsanspruchsminderung umzusetzen? lich in einer Situation befinden, aus der sie mit Und welche Alternative würden Sie vorschla- eigenen Leistungen wieder herausfinden müs- gen, wenn Sie die geplante Regelung rundweg sen. Aber wenn es zum Konflikt kommt, wird ablehnen, um das, was das SGB V vorschreibt, man natürlich letztlich keine Meldung machen, auch umsetzen zu können? sondern den Patienten weiterhin versorgen. Das ist unser eigentlicher Auftrag. Bei den chronischen Erkrankungen haben wir eine ähn- SV Dr. Carl-Heinz Müller (KBV): Die Ärzte liche Situation. Auch hier werden wir versu- werden das höherrangige Recht beachten und chen, mit den Patienten zu einvernehmlichen keine Meldung vornehmen, das ist für mich Regelungen zu kommen. Der Patient ist unser klar. Wenn es eine Lösung hierfür gibt – mit erster Ansprechpartner. der sich die Ärzteschaft letztlich schwer tun wird, denn sie ist nicht die Gesundheitspolizei der Patienten –, dann kann die nur so aussehen, Abg. Dr. Hans Georg Faust (CDU/CSU): Ich dass die Ärzte die Patienten darauf aufmerk- habe eine Frage an Herrn Schirmer. Welchen sam machen, dass der Schaden, der zum Bei- Entscheidungsspielraum hätte der Zulassungs- spiel durch Piercings entstanden ist, nicht zu ausschuss für die Ermächtigung der Pflegeein- Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung richtungen zur ambulanten Versorgung – es Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 26 geht dort um den Heimarzt – im Hinblick auf diengänge würden damit auf eine sicherere die im Paragraph 119b des Gesetzentwurfs rechtliche Basis gestellt. Insbesondere könnte vorgegebenen Entscheidungskr iterien? dann dort auch die Berufsanerkennung erfol- gen.

SV Horst-Dieter Schirmer (KBV): Nach die- sem Paragraphen soll der Zulassungsausschuss Abg. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Ich möchte prüfen, ob der Träger eines Heimes ohne Herrn Prof. Görres fragen, ob er mir zustimmt, Heimarzt die Versorgung nicht sicherstellen dass wir einerseits die gut qualifizierte Pflege- kann. Die Vergleichsversorgung wird dabei fachkraft brauchen, die in bestimmten Berei- bezogen auf besondere Versorgungsformen, chen eigenständig arbeitet, ohne selbst zur also auf die Hausarzt zentrierte Versorgung Ausübung der Heilkunde befugt zu sein , ande- nach Paragraph 73b, eine spezifische oder eine rerseits aber auch – vor allem in bestimmten integrierte Versorgung. Unseres Erachtens ist Regionen – die Arzt entlastende, gemeindenah hier aber schon der Vergleichsmaßstab falsch arbeitende Pflegefachkraft. Herrn Prof. Hoff- gewählt, weil diese Versorgungsformen kran- mann möchte ich noch einmal fragen, wie denn kenkassenspezifisch sind. Da die Heimbewoh- die zusätzliche Qualifikation dieser Arzt ent- ner unterschiedlichen Krankenkassen angehö- lastenden Schwestern aussehen soll, die in dem ren, kann gar nicht festgestellt werden, ob ein „Agnes“-Modell arbeiten. Was hat Ihre Evalu- solcher Parallelvertrag überhaupt existiert. An- ierung im Hinblick auf die Verbesserung der scheinend ist dies bewusst so ausgestaltet wor- medizinischen Versorgung ergeben? den, um den Vergleich mit der Sicherstellung in der hausärztlichen und fachärztlichen Ver- sorgung, also der üblichen vertragsärztlichen SV Prof. Dr. Stefan Görres: Es ist inzw i- Versorgung, zu vermeiden. Außerdem würde schen in allen einschlägigen Fachkreisen un- dieses System die Bewohner dazu zwingen, strittig, dass wir ein gestuftes Qualifikations- den Heimarzt in Anspruch nehmen. Sie haben system in der Pflege brauchen. Das heißt, ein aber eigentlich eine freie Arztwahl. Das sind Qualifikationssystem, das im Servicebereich die Probleme, die wir bei der Betrachtung die- anfängt und bis zum PhD-Level reicht, wenn ser Vorschrift feststellen. Faktisch hat der Zu- Sie so wollen. Insofern sind hier viele Varia n- lassungsausschuss bei dieser Art von Ver- ten möglich und müssen in Zukunft auch mög- gleichsmaßstab keine andere Möglichkeit, als lich sein. Die Robert-Bosch-Stiftung hat zum eine Ermächtigung auszusprechen. Diese Er- Beispiel in ihrer Schrift „Pflege neu denken“ mächtigung ist auch ausgenommen von den genau auf dieses Qualifikationsstufenmodell üblichen Regeln. Sie ist nicht befristet und hingewiesen. Insofern sind die von Ihnen an- kann nicht mit Auflagen versehen werden. Es gesprochenen Varianten in dieses Stufenmo- gibt dann praktisch eine Kontinuität der Tätig- dell einzuordnen. Ich will aber noch einmal keit des Heimarztes in dieser Einrichtung. Aus deutlich sagen, dass wir darüber hinaus eben diesen Gründen ist die Regelung unseres Er- auch eine akademische Stufe brauchen. Es gibt achtens nicht nur politisch – wie hier schon Schätzungen, wonach der Bedarf bundesweit zum Ausdruck gebracht worden ist –, sondern bei sie ben bis zehn Prozent lie gt. Dies ent- auch gesetzestechnisch völlig verfehlt. spricht etwa 100.000 bis 125.000 Pflegekräf- ten, denen eine Akademisierung ermöglicht werden sollte. Das zeigt aber auch, dass über- Abg. Hermann-Josef Scharf (CDU/CSU): haupt nicht daran gedacht ist, sozusagen Meine Frage richtet sich an den Deutschen schlagartig alle Pflegekräfte zu akademisieren, Verband für Physiotherapie. Was halten Sie wie dies in anderen Ländern der Fall ist. Das von der Anregung des Bundesrates, in die Be- würde ich auch überhaupt nicht für sinnvoll rufsausbildungsgesetze eine generelle Erpro- halten, sondern ich befürworte eindeutig das bungsklausel für die akademische Ausbildung Stufenmodell. aufzunehmen?

SV Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann: Das ist SV Dr. Monika Rausch (ZVK): Ich kann, eine Frage, die wir mit erforscht haben, weil zu glaube ich, für alle Heilmittelverbände sagen, Beginn der Modellprojekte unklar war, wel- dass wir das sehr begrüßen würden. Die schon cher zusätzliche Qualifikationsbedarf in die- heute an den Hochschulen vorhandenen Stu- sem Delegations-Setting besteht. Es geht, um Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 27 das noch einmal deutlich zu sagen, darum, dass ärztliche Versorgung in den Pflegeheimen für die Pflegefachkraft im Setting der Häuslic h- ausreichend? keit, also i.d.R. weit entfernt von der Praxis des Arztes – beispielsweise in Mecklenburg- Vorpommern oder auch in den anderen östli- SV Paul-Jürgen Schiffer (Verband der Ange- chen Bundesländern – in der Regel selbststän- stellten Krankenkassen e.V. (VdAK)): Wir hal- dig tätig wird, und dies ohne die Möglichkeit , ten die Versorgung für nicht ausreichend. Ver- kurzfristig den Arzt hinzuzuziehen. Hier exis- besserungen sind dringend notwendig. Im Hin- tiert somit ein Aufgabenspektrum, zu dem bis- blick auf das Ziel, das hier erreicht werden lang keine langen Erfahrungen vorlagen. Wir soll, kann ich mich den Ausführungen meiner haben in unseren Modellprojekten zusammen Vorredner anschließen. Wir sind für eine Art mit den Pflegeexperten erforscht, wo Qualif i- von Ermächtigung in diesen Bereich. Zudem kationsbedarfe bestehen und haben die ent- gilt es, das Problem der Fachärzte zu lösen, sprechenden Erkenntnisse gleichzeitig mit der weil dafür auch in die sem Gesetzentwurf keine Hochschule Neubrandenburg in eine Weiter- optimale Lösung gefunden worden ist. bildungsstudiengang umgesetzt. Die Entwic k- lung des Curriculums ist unter anderem von den Kollegen der Gewerkschaft ver.di mit ei- SV Dr. Peter Pick. (MDS): Die Anhörung hat nem Modellprojekt unterstützt worden, in dem deutlich gemacht, dass wir Probleme bei der es darum geht, die Gesundheitsberufe für die Sicherstellung der Versorgung in Pflegeheimen zukünftigen Herausforderungen im Gesund- haben. Daran muss gearbeitet werden. Ich heitswesen zu wappnen. Dieses „Lernende möchte noch einmal unterstreichen, dass die Curriculum“§ enthält im Wesentlichen Ele- Option für den Heimarzt aus meiner Sicht in mente, die auch in diesem Setting gebraucht das System eingefügt werden sollte. Die Erfah- werden und die den Pflegefachkräften in der rungen in Berlin zeigen, dass das sehr gut Primärqualifizierung noch nicht so stark ver- funktioniert. Und wir haben von Herrn Dr. Jo- mittelt worden sind. Das sind zum Beispiel Be- hannes gehört, dass das auch im niedergelasse- ratungskompetenzen, die in den unterschie d- nen System möglich ist. Aus meiner Sicht ist lichsten Bereichen erforderlich sind, aber auch beides wichtig. In der Ausrichtung kommt es technische Dinge, weil wir in unserem Projekt darauf an, dass durch eine dauerhafte Koopera- in größerem Umfang auch mit Telemedizin tion zwischen Pflegeheimen und Ärzten auch und Videofunktionalitäten gearbeitet haben. eine dauerhafte Kooperation zwischen Pflege- Das umfasst des Weiteren Bereiche wie das fachkräften und Ärzten erreicht wird. Dies Medikamentenmanagement, die Sturzprophy- setzt aber voraus, dass man häufiger miteinan- laxe oder das geriatrische Assessment, also der zu tun hat, um auch die jeweiligen Kompe- Dinge, die orig inär medizinische Aufgaben tenzen entsprechend einschätzen zu können. sind, die dort aber in der Häuslichkeit durch Ich möchte auch noch einmal unterstreichen, Delegation durchaus auch von weitergebilde- dass eine geriatrische Ausrichtung dieser Ärzte ten Pflegekräften ausgeführt werden können. nötig ist und dass auf Dauer 61 Stunden Geri- Das hat sich zu einem Curriculum von unge- atrie sicher zu wenig sein werden, um dieses fähr 250 Stunden addiert, und derzeit entwi- Feld ausreichend abzudecken. ckeln wir gerade ein weiteres Curriculu m, das etwa 300 Stunden umfassen wird. Wir haben über 100 Bewerbungen, weil eben auch von SV Dr. Cornelia Goesmann (BÄK): Man der Pflegeseite her ein Qualifizierungsbedarf kann Verhältnisse immer verbessern, und als gesehen wird, und dies, obwohl es zurzeit noch Praktikerin, die seit 20 Jahren mit Heimen zu- gar keine Möglichkeit gibt, dieses Curriculum sammenarbeitet und dort Patientinnen und Pa- zu belegen. Wir glauben, dass Pflege und Arzt tienten betreut, würde ich durchaus Verbesse- in ihrer Zusammenarbeit ein sehr gutes Tan- rungspotentiale sehen. Zunächst möchte ich dem bilden können. Dafür bedarf es aber eben aber auf ein Dilemma hinweisen: Einerseits noch einer Qualifizierung in den Bereichen, muss die Wahlfreiheit des Patienten gegeben die ich genannt habe. sein, also die Freiheit, sich für einen Arzt oder eine Ärztin seiner Wahl zu entscheiden, ande- rerseits sind Heime dadurch oft mit dem Prob- Abg. Mechthild Rawert (SPD): Ich habe eine lem konfrontiert, dass viele verschiedene Ärz- Frage an die Pflegekassen, an den MDS und an tinnen und Ärzte zu unterschiedlichen Zeiten die Bundesärztekammer. Halten Sie die fach- unkoordiniert in den Heimen auftauchen und Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 28 dort Visite oder Besprechungen machen wol- noch sehr viel dringlicher geworden, weil die len. Man sollte dieses Dilemma vielleicht Mitarbeiter durch die kürzeren Liegezeiten in durch eine verstärkte Kooperation mit Heim- den Krankenhäusern, die Zunahme der Mult i- ärztinnen und Heimärzten lösen. Es sollte Mo- morbidität und den zunehmenden Schweregrad delle einer kooperativen Versorgung geben – der Diagnosen in einen Zwiespalt zwischen darauf hatte der BPA schon hingewiesen, und Akutmedizin und Chroniker-Bereich geraten wir führen darüber auch Gespräche miteinan- sind. Die Ängste, die daraus resultieren, könn- der –, bei denen verschiedene Ärztinnen und ten auch mit der Unterstützung durch einen Ärzte, Fachärzte und Hausärzte sich gemein- fest angestellten Arzt in gewisser Weise kom- sam um ein Heim kümmern, den Not- und pensiert werden. Des Weiteren muss man se- Wochenenddienst gemeinsam gestalten und ei- hen, dass immer mehr Menschen in die Heime ne Rufbereitschaft anbieten. Das könnte, so kommen, die eine Fortsetzung der begonnenen glaube ich, ein erfolgversprechendes Modell Behandlungen brauchen, und zwar nicht erst für die Zukunft sein. Es sollte regelmäßig Fall- nach vier Wochen, wie hier gerade bestätigt konferenzen in den Heimen geben, bei denen wurde, sondern sofort. Das beinhaltet auch die sich die Pflege mit ihrer speziellen Kompetenz, rehabilitative Therapie. Wenn ein Arzt vor Ort die Heimbetreuer und die behandelnden Ärz- ist, können interkurrente Infekte und Krankhei- tinnen und Ärzte über die Patientinnen und Pa- ten vor Ort behoben werden. Der chronisch tienten austauschen könnten. Wir machen zwar kranke Mensch muss nicht unbedingt ins A- Visiten, aber die könnte man durchaus noch kutkrankenhaus verlegt werden. Ein Ortswech- weiter ausbauen. Man könnte auch noch weite- sel ist immer eine ziemlich schwierige Angele- re Berufsgruppen wie die Physiotherapeuten in genheit und verursacht neben den Kranken- diese Fallkonferenzen einbeziehen. Wenn das hauskosten auch Transportkosten. Des Weite- entsprechend finanziert würde und ausreichend ren gibt es die wichtige Frage der Erhaltungs- Zeit dafür zur Verfügung stünde, dies optimal therapie. Oft wird ein Patient von zu Hause aus zu gestalten, dann wäre das ein großer Fort- in ein Akutkrankenhaus eingewiesen und dort schritt in der Heimversorgung. Ich bin immer einigermaßen „wiederhergestellt“. Dieser Zu- für Kooperation und Bünde lung von Kompe- stand sollte dann auch erhalten bleiben, um tenzen. Daher würde ich mir wünschen, dass dem Patienten ein bisschen Lebensqualität zu- das ausgebaut wird. rückzugeben. Sehr wichtig ist im Zusammen- hang mit der medikamentösen Therapie die Compliance, die zu Hause und auch in den Abg. Hilde Mattheis (SPD): Ich habe eine Heimen ohne Arzt vielfach zu kurz kommt. Oft Frage an Frau Dr. Jassim-Guddorp und auch an verschreiben Heimärzte und Hausärzte, die im die Diakonie. Frau Dr. Jassim-Guddorp, Sie Heim ein- und ausgehen, verschiedene Medi- haben ja Erfahrung als Heimärztin. Ich frage kamente, die sich gegenseitig nicht vertragen. Sie , wie Sie die ärztliche Versorgung in den Dann sollte man auch noch an die Schmerzthe- Pflegeheimen im Moment einschätzen, welche rapie denken. Es ist oft so, dass in einem Haus positiven Aspekte Sie für die Tätigkeit anfüh- mit einem festangestellten Arzt der Arzt sofort ren können und wie Sie unseren Vorschlag be- ans Krankenbett eilen und etwas unternehmen urteilen, die Möglichkeit für die Anstellung kann, etwa wenn ein Mensch starke Schmerzen von Heimärzten zu schaffen, also nicht nur hat. Das ist im Alter besonders wichtig, vor al- Kooperationen einzugehen. lem bei Osteoporose- und auch bei Karzin om- patienten. Ganz wichtig ist auch die Sterbebe- gleitung zusammen mit den Pflegekräften. Um SV Dr. Susanne Jassim-Guddorp: Ich habe das alles regeln zu können, bedarf es einer re- der Diskussion aufmerksam zugehört und wür- gelmäßigen ärztlichen Grundversorgung mit de sagen, dass zur adäquaten Behandlung, Visiten und Sofortmaßnahmen, einer 24- Pflege und Therapie in jedes Pflegeheim ein Stunden-Rufbereitschaft und der Koordin ie- ständig anwesender Arzt gehört. Er ist dort rung des ärztlichen Therapieplans unter Einbe- dringend erforderlich. Es gab bereits vor 20 ziehung mitbehandelnder Fachärzte und unter Jahren – ausgerichtet vom Deutschen Zentrum Integration des im Heim tätigen pflegerischen für Altersfragen – sechs Arbeitssitzungen zu und therapeutischen Personals. Dies sind die dem Thema „Das Heimkonzept der Zukunft“. Voraussetzungen für einen geringen Notarzt- Auch da wurde bereits eindeutig festgestellt, und Bereitschaftsarzteinsatz. Und dies sind dass jedes Heim einen Heimarzt braucht. Die- auch die Forderungen, die ich angesichts me i- ses Erfordernis ist in den letzten 20 Jahren ner 30-jährigen Erfahrung erheben möchte. Ausschuss für Gesundheit, 75. Sitzung, 23.01.2008 29

Wenn die Pflegereform wirklich dazu dienen kurz fassen. Wir denken, dass es verschiedene soll, die Bedürfnisse der chronisch Kranken Modelle geben muss, um ärztliche Versorgung stärker zu berücksichtigen, dann sollte die se in Pflegeheimen zu regeln. Ein Thema kann Forderung berücksichtigt werden. Positive Er- dabei die Kompetenzerweiterung für Pflege- fahrungen habe ich an einem der heute schon kräfte sein. Des Weiteren sprechen wir uns häufiger erwähnten Berliner Krankenheime zwar gegen die grundsätzliche Einführung ei- gemacht, wo im Grunde genommen alles prak- nes Heimarztes aus, denken aber, dass dieser tiziert wird, was hier heute gefordert worden für einzelne Heime dennoch eine Option sein ist. Die Krankenheime im Land Berlin gibt es kann. Die Wahlfreiheit für die Heimbewohner seit 30 Jahren. Bei der Einführung der Pflege- muss gewährleistet sein. Wir denken, dass der versicherung im stationären Bereich Mitte der Sicherstellungsauftrag auf jeden Fall bei der 90er Jahre gab es einen sehr intelligenten Ver- kassenärztlichen Vereinigung und nicht beim trag mit der AOK-Berlin, den ganzen Träger- Pflegeheim liegen sollte. Das Pfle geheim ist verbänden, der IKK Berlin, einigen Betriebs- aber für die Kooperation zuständig. Wir sehen krankenkassen, die erst ab- und jetzt wieder Versorgungslücken nicht nur bei den Hausärz- auf den Zug aufgesprungen sind, in dem für ten, sondern vor allem auch bei den Fachärz- die Häuser zur Vorbedingung gemacht worden ten. Zu unseren weiteren Vorschlägen gehören ist, sowohl ihre Wirtschaftlichkeit als auch die zugelassene Praxen in den Heimen, integrierte Qualitätsentwic klung unter Beweis zu stellen. Versorgung, Verbesserung der ärztlichen Ver- Dies betrifft 38 Häuser im Land Berlin. Beide gütung, geriatrisches Assessment, Ausbau der Anforderungen haben wir erfüllt. Das kann mobilen geriatrischen Rehabilitation, Ausbau auch an Hand von Zahlen belegt werden, die der akutgeriatrischen Versorgung und anderes ich jetzt allerdings nicht vorliegen habe. Wir mehr. haben auf jeden Fall die Pflegequalität bzw. die Versorgungsqualität deutlich verbessern können. Wir realisieren dies mit dem Resident- Abg. Dr. Martina Bunge (DIE LINKE.): Ich Assessment-Instrument (RAI 2.0), das aus 210 danke allen, die an der heutigen Sitzung teilge- Items pro Patient besteht und das alle Bereiche, nommen haben. Nach insgesamt 11 Stunden also die Pflege, den Arzt und die Therapeuten, Anhörung zum Pflege- einschließt. Insgesamt gelingt es uns so, ein Weiterentwicklungsgesetz und den drei Anträ- wirklich gutes Ergebnis zu erzielen, und zwar gen schließe ich die Sitzung. Die Fraktionen gleichermaßen im Hinblick auf die Pflegepla- werden Ihre Ausführungen aufnehmen. Der nung, den Therapie plan und die individuelle Ausschuss wird in seiner Sitzung am 13. Feb- Versorgung. Es ist nötig, dass alle Bereiche, ruar die Beratung über die Vorlagen fortsetzen. Therapie, Pflegebereich und eben auch die Ich wünsche allen noch einen schönen Abend Ärzte, eng zusammenarbeiten, und dies auf und einen guten Heimweg. verschiedenen Ebenen, etwa bei den Fallge- sprächen, den regelmäßigen Visiten, den Hel- ferkonferenzen und bei der Erstellung des Ende der Sitzung: 18:30 Uhr Pflegeplans, der so auch sehr viel schneller und mit weniger Bürokratie aufwand erstellt werden kann. Wichtig ist auch, dass die Hierarchie zwischen Ärzten, Pflegenden und Therapeuten mehr und mehr entfällt, weil man im Interesse des Patienten einfach gezwungen ist zusam- menzuarbeiten.

SV Erika Stempfle (Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e.V. (EKD)): Wir haben uns innerhalb der Diakonie sehr intensiv mit dem Thema ärztliche Versor- gung von Pflegeheimbewohnern befasst. Wir haben dazu auch eine Handreichung herausge- geben. In unserer Ste llungnahme gibt es in der Fußnote einen Internet-Link zu dieser Hand- reichung. Deshalb kann ich mich hier ganz