„Eine Schule Der Demokratie“
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Deutschland SPIEGEL-GESPRÄCH „Eine Schule der Demokratie“ Der neue Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn, 57, über den Umgang mit früheren Stasi-Mitarbeitern in seiner Behörde, den schwierigen Weg zur Versöhnung und die Frage, was Ägypten von der Aufarbeitung der SED-Diktatur lernen kann SPIEGEL: Herr Jahn, der Staatssicherheits - dienst hat Sie über Jahre drangsaliert. Nun sind Sie Chef der Behörde, die das Erbe der Geheimpolizei bewältigen soll. Fühlen Sie sich als Sieger der Geschichte? Jahn: Nein. Das passt nicht zu mir. Mein Lebensmotto ist Freiheit. „Freiheit muss man sich nehmen“, das hat schon die Band meiner Jugend, „Ton Steine Scher - ben“, gesungen. SPIEGEL: Aber ein bisschen Genugtuung empfinden Sie schon? Jahn: Ich freue mich wirklich täglich über meine Freiheit. Jahrelang wurde ich ver - folgt, und nun sitze ich hier, im SPIEGEL- Büro, mit Blick auf das Brandenburger Tor. An der Stelle, an der man früher sein Leben riskierte, schlendern heute junge Menschen. Das genieße ich. Besonders wenn ich an meinen Vernehmer im Stasi- Gefängnis zurückdenke. Selbst im Knast habe ich mein Lachen bewahrt und bin nicht verbittert. Mein Vernehmer hat dann immer gesagt: Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Da hat er recht behalten. SPIEGEL: Ihr erster Auftritt als neuer Be - hördenleiter wirkte allerdings nicht so entspannt. Sie haben angekündigt, Mit - arbeiter aus Ihrem Haus zu entfernen, die einst der Stasi dienten. Jahn: Das habe ich nicht getan. Ich sagte in meiner Antrittsrede: Jeder ehemalige Stasi-Mitarbeiter, der in der Behörde an - gestellt ist, ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer. Das Wort Entlassung kam bei mir nicht vor. SPIEGEL: Ihre Vorgänger, Joachim Gauck und Marianne Birthler, müssen Ihren Vor - L E stoß als Affront empfinden. Schließlich G E I P S hatten sich beide mit den Stasi-Leuten in R E D der Behörde abgefunden. Warum zeigen / L E Sie nun solche Härte? I H T Jahn: Vor meinem Amtsantritt habe ich N A I T S mehrere Gespräche mit Opferverbänden I R H geführt. Denn ich sehe mich als Anwalt C der Opfer. Alle haben gesagt: Für sie sei es unerträglich, dass sie in der Behörde Der Staatsfeind und nach fünf Monaten U-Haft wegen „Herab - zur Aufarbeitung der Diktatur ausgerech - Ins Visier der Staatsmacht geriet der in Jena würdigung der staatlichen Ordnung“ verurteilt. net früheren hauptamtlichen Stasi-Leuten geborene Roland Jahn, weil er 1977 öffentlich 1983 sperrte man ihn in einen Zug und schob begegnen können – womöglich schon am gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns ihn gewaltsam gen Westen ab. Dort arbeitete Empfang des Gebäudes. Das sei eine Zu - protestierte. Er wurde exmatrikuliert und „zur er als Journalist, etwa für das ARD-Magazin mutung. Wir machen diese Aufarbeitung Bewährung in die Produktion“ geschickt, wie es „Kontraste“, und unterstützte die DDR-Opposi - auch, damit Menschen ihre Würde wieder hieß. Einen Anwerbeversuch der Stasi wies er tion. Die Stasi setzte auch dort Spitzel auf ihn zurückbekommen, die ihnen die Unter - zurück. Als er sich 1982 mit der polnischen an. Im Januar wählte ihn der Bundestag zum drücker genommen haben. Da sage ich: „Solidarno ść “ solidarisierte, wurde er verhaftet Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Die Beschäftigung früherer Stasi-Leute 30 ! " 13/2011 beschädigt die Glaubwürdigkeit der Be - geht nicht um Strafurteile. Mir geht es und von ihrer Verstrickung erzählt haben. hörde. immer darum, dass Menschen Verantwor - Es gab 1990 in der frei gewählten Volks - SPIEGEL: Man könnte auch sagen: Knapp tung übernehmen für das, was sie getan kammer auch einen PDS-Abgeordneten, 50 frühere Stasi-Leute sind gut integriert haben, und Konsequenzen ziehen. Für der von sich aus seine Verbindung mit in einer Behörde mit über 1600 Mitarbei - die Ex-Stasi-Offiziere in unserer Behörde der Geheimpolizei offenlegte und sich tern. Die Leute haben 20 Jahre unbean - heißt das: Wer bereut, der würde spüren, nicht in Ämter drängte. Vor solchen Men - standet gearbeitet. Also lasst sie. dass es nicht angemessen ist, als Wach - schen habe ich großen Respekt. Jahn: Ich bin von meinem Wesen her ja mann die Opfer von einst zu begrüßen. SPIEGEL: Würde die Bereitschaft bei den ein Versöhner. Ich werbe auch für eine Grundsätzlich aber gilt: Die Gesellschaft Verstrickten zum offenen Gespräch nicht differenzierte Betrachtung von Lebensläu - hat selbstverständlich auch den Auftrag, sprunghaft steigen, wenn ihnen keine fen. Aber ich kann nicht vermitteln, dass Menschen, die im Unterdrückungsappa - beruflichen Konsequenzen mehr dro - Auskünfte unserer Behörde über die in - rat mitgearbeitet haben, zu integrieren. hen? offizielle Stasi-Tätigkeit anderswo Jahn: Berufliche Nachteile sind zu Entlassungen führen und bei nicht zwangsläufig. Es gibt genug uns ehemals hauptamtliche Stasi- Arbeitgeber, auch im Öffentlichen Offiziere tätig sind. Erst recht nicht, Dienst, die sich an der früheren Sta - wenn der Bundestag gerade debat - si-Tätigkeit nicht stören. Und auch tiert, ob die Überprüfungsmöglich - ich bin kein Anhänger des Auto - keiten im Öffentlichen Dienst auf matismus: IM gleich Entlassung. Inoffizielle Mitarbeit erhalten oder Ich stehe für die differenzierte Be - sogar ausgeweitet werden sollen. trachtung von Biografien. Ich weiß, SPIEGEL: Haben Sie mit den betrof - warum Menschen mitmachten. Das fenen Personen gesprochen – im - kann ich von mir selbst berichten. merhin sind es nun Ihre Mitarbei - Ich war Mitglied der FDJ, ich habe ter, für die Sie eine Fürsorgepflicht meinen Wehrdienst abgeleistet. haben? Also war ich auch ein kleines Rad Jahn: Ja, natürlich. Ich gehe auf sie im Getriebe der Diktatur. D P zu und respektiere sie als Perso - A SPIEGEL: Die Öffnung der Stasi-Ak - D / nen. Neulich las ich spät am S ten war durchaus umstritten. Es E G Abend noch etwas in meinem A gab Furcht vor Lynchjustiz. Wie M I P Büro und hörte Geräusche an mei - D sieht die Bilanz von 20 Jahren Auf - D / ner Tür. Ein Mann stand plötzlich T arbeitung aus Ihrer Sicht aus? F A H in meinem Büro. Ich erkannte ihn C Jahn: Es ist eine Erfolgsgeschich te. S L L und sagte spontan: Da ist ja die E Wir haben Akteneinsicht und S E G Staatssicherheit. Da musste auch - Überprüfung möglich gemacht – N N er lachen. Ein absurder Moment. A beides rechtsstaatlich geregelt. Die M E V Im Übrigen: Wir wollen die 47 Be - A gefürchteten Racheaktionen sind H - T R troffenen nicht in die Wüste schi - E ausgeblieben. Unser Weg des Um - B O cken. Ich bin ein vehementer An - R gangs mit der Diktatur sorgt inter - hänger des Rechtsstaats. Denjeni - Dissident Jahn (l.)*: „Freiheit muss man sich nehmen“ national für Aufsehen. Osteuropäi - gen, die ihn uns vorenthalten sche Staaten haben bei uns Rat ein - haben, werden wir ihn gewähren. geholt, nachdem sie anfangs gegen Sie haben Arbeitsverträge mit der die Öffnung der Akten waren. Und Bundesrepublik, nicht mit dem nun kommen Fragen aus dem ara - Bundesbeauftragten. Die Politik ist bischen Raum. Ein Vertreter unse - gefordert, an einer Lösung mitzu - rer Behörde wird jetzt nach Ägyp - arbeiten. ten fahren, weil man sich dort für SPIEGEL: Hinter dieser Debatte unsere Arbeit interessiert. steckt eine prinzipielle Frage: Wie SPIEGEL: Was erwarten die Ägypter? lange soll einem früheren Mitar - Jahn: Sie wollen Informationen, beiter der Stasi seine Vergangen - wie die Öffnung und Sicherung der heit noch vorgehalten werden? Akten bei uns erfolgte. Auch in Matthias Platzeck, immerhin auch diesen Gesellschaften geht es Men - aus der Bürgerbewegung, warb im schen um Aufklärung. Aufklärung vergangenen Jahr heftig für Ver - über Diktaturen hilft allen. Viel - söhnung. leicht lernen dann auch deutsche Jahn: Für mich gilt der Grundsatz: Politiker, eine Diktatur nicht erst Verzeihen ist möglich. Aber den dann Diktatur zu nennen, wenn Zeitpunkt können nicht die Täter Stasi-Chef Mielke 1985: „Wie funktioniert eine Dikta tur?“ der Staat Menschen auf der Straße bestimmen, das können nur die erschießt. Opfer. Und kein Täter kann einfach nur SPIEGEL: Gibt es denn frühere Stasi-Leute, SPIEGEL: Die Anfragen aus Ägypten kön - „Entschuldigung“ sagen. Er kann aller - die sich aus Ihrer Sicht ausreichend ihrer nen aber über eines nicht hinwegtäu - dings darum bitten. Geschichte gestellt haben? schen: Nach 20 Jahren ist eine wesentli - SPIEGEL: Im Rechtsstaat gibt es Verjäh - Jahn: Die gibt es natürlich. Zu meinem che Aufgabe Ihrer Behörde erledigt – die rungsfristen und neutrale, unbefangene Bekanntenkreis gehören auch Personen, Zahl der Überprüfungen im Öffentlichen Richer, die entscheiden. Die Opfer einer die früher Inoffizielle Mitarbeiter waren. Dienst geht zurück. Straftat fällen keine Urteile. Es gab Menschen, die auf mich zukamen Jahn: Das mag sein. Aber es ist vom Ge - Jahn: Das ist ein unzulässiger Vergleich. setzgeber geplant, die Überprüfungen Wir sind hier nicht im Strafverfahren. Es * Auf einer Friedensdemonstration 1983 in Jena. wieder auszuweiten. Die Zahl der Anträ - ! " 13/2011 31 Deutschland SPIEGEL: Sie sehen sich als Anwalt der Op - fer. Ein wichtiges Recht der Opfer wurde vor Jahren aus dem Stasi-Unterlagen-Ge - setz getilgt – das Recht, seine Akte ver - nichten zu lassen. Warum wird dieses Recht einem Ausgespähten verwehrt? Jahn : Das ist eine komplizierte Materie. Ich bin immer vehement für den Opfer - schutz eingetreten. Ich habe etwa auch Helmut Kohl unterstützt, als dieser sich gegen die Herausgabe seiner Akte wehr - te. Er war Opfer von Telefon-Überwa - chung. Zugleich sind die Akten ein großer Schatz für Wissenschaftler. Die Vernich - tung wäre ein Verlust. A P D SPIEGEL: In der Sache Kohl gerieten Sie / E C N mit Ihrem Vor-Vorgänger Joachim Gauck A I L L aneinander. A - E R Jahn: Ja, wir hatten damals über die Her - U T C I P ausgabe der Kohl-Akte unterschiedliche / R E Auffassungen. Am Ende haben Gerichte I S E S E M E R die Rechte der Opfer bei der Herausgabe K P A N R O B von Abhörprotokollen gestärkt. Das war I T M C I T A genau mein Anliegen. Politiker Gysi, Stolpe*: „Unterschiedliche Perspektiven auf die DDR“ SPIEGEL: Gauck hat sich bitter gerächt und Ihre Kandidatur hintertrieben.