Deutscher 4. Sitzung

Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1972

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung 25 A

Bekanntgabe der Bildung der Bundesregie rung 25 A

Eidesleistung der Bundesminister 25 D

Abgabe einer Erklärung des Bundeskanzlers Brandt, Bundeskanzler 27 B Dr. Barzel (CDU/CSU) 30 B

Antrag der Fraktion der CDU/CSU betr. Einsetzung des Rechtsausschusses (Druck- sache 7/21) Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) 32 B

Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rech- nungsjahr 1972 (Haushaltsgesetz 1972) (Drucksachen 7/10, 7/11) — Erste Bera- tung — Leicht (CDU/CSU) 32 D Haehser (SPD) 34 B Kirst (FDP) 36 B

- Nächste Sitzung 38 C

Anlage

Liste der beurlaubten Abgeordneten 39 A

Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 4. Sitzung. , Freitag, den 15. Dezember 1972 25

4. Sitzung

Bonn, den 15. Dezember 1972

Stenographischer Bericht Frau Dr. Katharina Focke zum Bundesminister für Jugend, Familie und Beginn: 10 Uhr Gesundheit, Herrn Dr. Präsident Frau Renger: Meine Damen und zum Bundesminister für Verkehr, Herren, die Sitzung ist eröffnet. Herrn Dr. Hans-Jochen Vogel Vor Eintritt in die Tagesordnung gebe ich Ihnen zum Bundesminister für Raumordnung, Bau- bekannt, daß auf Grund einer interfraktionellen Ver- wesen und Städtebau, einbarung die Tagesordnung um einen Punkt, näm- Herrn lich um die Beratung des Antrags der Fraktion der zum Bundesminister für innerdeutsche Bezie- CDU/CSU betreffend Einsetzung des Rechtsausschus- hungen, ses, erweitert werden soll. Nach dieser interfraktio- nellen Vereinbarung soll darüber jedoch erst nach Herrn Professor Dr. Punkt 3 der Tagesordnung, nach Abgabe der Erklä- zum Bundesminister für Forschung und Tech- rung des Bundeskanzlers, entschieden werden. Ich nologie und für das Post- und Fernmelde- gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden wesen, ist. (Lachen bei der CDU/CSU) Ich rufe nunmehr Punkt 1 der Tagesordnung auf: Herrn Dr. Bekanntgabe der Bildung der Bundesregierung zum Bundesminister für Bildung und Wissen- schaft, Meine Damen und Herren, der Herr Bundesprä- Herrn Dr. sident hat mir folgendes Schreiben übersandt: zum Bundesminister für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit, Gemäß Artikel 64 Absatz 1 des Grundgesetzes habe ich auf Vorschlag des Herrn Bundeskanz- Herrn lers zu Bundesministern ernannt: zum Bundesminister für besondere Aufgaben, Herrn Herrn Professor Dr. zum Bundesminister des Auswärtigen, zum Bundesminister für besondere Aufgaben.

Herrn Hans-Dietrich Genscher Meine Damen und Herren, nach Art. 64 des Grund- zum Bundesminister des Innern, gesetzes leisten die Bundesminister bei der Amts- Herrn übernahme den in Art. 56 des Grundgesetzes vorge- zum Bundesminister der Justiz, sehenen Eid. Herrn Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: zum Bundesminister der Finanzen, Eidesleistung der Bundesminister. Herrn Dr. zum Bundesminister für Wirtschaft, Ich bitte die Herren Bundesminister, wenn ich sie aufrufe, einzeln zu mir heranzutreten und den Herrn gemäß Art. 64 in Verbindung mit Art. 56 des zum Bundesminister für Ernährung, Landwirt- Grundgesetzes bei der Amtsübernahme vorgesehe- schaft und Forsten, nen Eid zu leisten. Herrn (Die Abgeordneten erheben sich.) zum Bundesminister für Arbeit und Sozial- ordnung, Ich werde den Eid vorsprechen und bitte die Mit- glieder der Bundesregierung, ihn mit den Worten Herrn „Ich schwöre es" bzw. „Ich schwöre es, so wahr zum Bundesminister der Verteidigung, mir Gott helfe" zu bekräftigen. 26 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1972 Bundestagspräsident Frau Renger Der Eid lautet: Arendt, Bundesminister für Arbeit und Sozial- Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle ordnung: Ich schwöre es. des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grund- Präsident Frau Renger: Herzlichen Glück- gesetz und die Gesetze des Bundes wahren und wunsch! verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft er- Herr Bundesminister Leber, wollen Sie diesen Eid füllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben leisten? werde. So wahr mir Gott helfe. Ich frage Sie, Herr Bundesminister Scheel: Sind Leber, Bundesminister der Verteidigung: Ich Sie bereit, diesen Eid zu leisten? schwöre es, so wahr mir Gott helfe.

Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ich Präsident Frau Renger: Herzlichen Glück- schwöre es, so wahr mir Gott helfe. wunsch! Frau Bundesminister Focke, wollen Sie diesen Präsident Frau Renger: Ich darf Ihnen herz- Eid leisten? lichen Glückwunsch sagen! Herr Bundesminister Genscher, wollen Sie diesen Frau Dr. Focke, Bundesminister für Jugend, Eid leisten? Familie und Gesundheit: Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe. Genscher, Bundesminister des Innern: Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe. Präsident Frau Renger: Herzlichen Glück- wunsch! Präsident Frau Renger: Herzlichen Glück- Herr Bundesminister Lauritzen, wollen Sie diesen wunsch! Eid leisten? Herr Bundesminister Jahn, wollen Sie diesen Eid leisten? Dr. Lauritzen, Bundesminister für Verkehr: Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe. Jahn, Bundesminister der Justiz: Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe. Präsident Frau Renger: Herzlichen Glück- wunsch! Herzlichen Glück- Präsident Frau Renger: Herr Bundesminister Vogel, wollen Sie diesen wunsch! Eid leisten? Herr Bundesminister Schmidt, wollen Sie diesen Eid leisten? Dr. Vogel, Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau: Ich schwöre es, so wahr Schmidt, Bundesminister der Finanzen: Ich mir Gott helfe. schwöre es, so wahr mir Gott helfe. Präsident Frau Renger: Herzlichen Glück- Herzlichen Glück- Präsident Frau Renger: wunsch! wunsch! Herr Bundesminister Franke, wollen Sie diesen Herr Bundesminister Friderichs, wollen Sie die- Eid leisten? sen Eid leisten?

Franke, Bundesminister für innerdeutsche Bezie- Bundesminister für Wirtschaft: Dr. Friderichs, hungen: Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.

Herzlichen Glück- Präsident Frau Renger: Herzlichen Glück- Präsident Frau Renger: wunsch! wunsch! Herr Bundesminister Ehmke, wollen Sie diesen Herr Bundesminister Ertl, wollen Sie diesen Eid Eid leisten? leisten?

Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt- Dr. Ehmke, Bundesminister für Forschung und schaft und Forsten: Ich schwöre es, so wahr mir Technologie und für das Post- und Fernmelde- Gott helfe. wesen: Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.

Präsident Frau Renger: Herzlichen Glück- Präsident Frau Renger: Herzlichen Glück- wunsch! wunsch! Herr Bundesminister Arendt, wollen Sie diesen Herr Bundesminister von Dohnanyi, wollen Sie Eid leisten? diesen Eid leisten? Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode - 4. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1972 27

Dr. von Dohnanyi, Bundesminister für Bildung nachten vermutlich nicht mehr gekommen. Deshall und Wissenschaft: Ich schwöre es, so wahr mir hatten sich schon kurz nach den Neuwahlen Ver Gott helfe. treter aller Fraktionen verständigt, die Regierungs erklärung am 18. Januar, also nach der Unterbre Präsident Frau Renger: Herzlichen Glück- chung der Parlamentsarbeit durch die Weihnachts wunsch! ferien, entgegenzunehmen und in der darauffolgen den Woche ausführlich darüber zu debattieren. Herr Bundesminister Eppler, wollen Sie diesen Eid leisten? Die Regierungserklärung vom Januar 1973 wirr natürlich an die vom Oktober 1969 anknüpfen. Si( Dr. Eppler, Bundesminister für wirtschaftliche wird die gemeinsame Arbeit der beiden Regierungs. Zusammenarbeit: Ich schwöre es, so wahr mir Gott parteien und deren Wahlprogramme einbeziehen. helfe. Am 28. Oktober 1969 sagte ich von dieser Steil( aus, die Politik meiner Regierung werde im Zei Präsident Frau Renger: Herzlichen Glück- chen der Kontinuität und der Erneuerung stehen wunsch! Am 18. Januar 1973 werde ich darzulegen haben, wc es in den nächsten vier Jahren darum geht, fortzu- Herr Bundesminister Bahr, wollen Sie diesen Eid führen und weiterzuentwickeln, und wo es sich aus leisten? unserer Sicht um notwendige neue Vorhaben han- delt. Bahr, Bundesminister für besondere Aufgaben: Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe. Gestern hat das Vertrauen der Wähler im Ver- trauen der Mehrheit dieses Hauses seinen Nieder- schlag gefunden. Dafür möchte ich danken. Der Bun- Präsident Frau Renger: Herzlichen Glück- deskanzler und seine Regierung fühlen sich neu und wunsch! verstärkt in die Pflicht genommen. Das deutlichere Herr Bundesminister Maihofer, wollen Sie die- Mandat, das uns die Wähler am 19. November sen Eid leisten? erteilt haben, bedeutet aus meiner Sicht ein über- zeugendes Votum für die Fortsetzung dessen, wor- Dr. Maihofer, Bundesminister für besondere um wir uns schon bisher in der Außen- und Innen- Aufgaben: Ich schwöre es. politik bemüht haben. (Beifall bei den Regierungsparteien.) Präsident Frau Renger: Herzlichen Glück- Aber ich will gleich hinzufügen: mein Respekt gilt wunsch! natürlich auch den vielen Wählern, die sich aus ihren Gründen gegen uns entschieden. Mein Bestre- Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß die ben wird dahin gehen, in diesem Hause nichts zu Mitglieder der Bundesregierung damit den im verschleiern, was ausgetragen werden muß; aber ich Grundgesetz für die Übernahme ihres Amtes vor- will gern Brücken des Zueinander und Miteinander geschriebenen Eid vor dem Deutschen Bundestag. betreten, wo immer dies sachlich möglich ist und im geleistet haben. Ich spreche ihnen nochmals die auf- Interesse unseres Volkes Erfolg verspricht. richtigen Wünsche des ganzen Hauses für ihre Ar- beit aus. (Beifall bei den Regierungsparteien.) (Beifall.) Ohne dem Regierungsprogramm für die Arbeits- periode dieses Bundestages vorgreifen zu wollen, Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf: erscheint es mir notwendig, ja, dem Parlament ge- Abgabe einer Erklärung des Bundeskanzlers genüber unerläßlich, heute kurz von den Aufgaben zu sprechen, die in den nächsten Wochen, also noch Herr Bundeskanzler, Sie haben das Wort! bevor über die Regierungserklärung, die auch noch erst abzugeben ist, gesprochen werden kann, zu Brandt, Bundeskanzler: Frau Präsident! Meine leisten sind. Damen und Herren! In den hinter uns liegenden- Mo- Wir gehen, um mit einem Gegenstand zu begin- naten haben wir das Grundgesetz auf einigen Ge- nen, der den Bundestag heute und Anfang der kom- bieten neu erproben können oder es neu erproben menden Woche im Plenum und in den Ausschüssen müssen. Die vorzeitige Auflösung des vorigen Bun- befassen wird, davon aus, daß der heute der Form destages hat nun auch dazu geführt, daß sich die nach neu einzubringende Bundeshaushalt 1972 in zeitlichen Planungen im Vergleich zu früheren Wahl- der nächsten Woche verabschiedet werden kann, jahren verschieben. nachdem der Bundesrat, was ich wohl zu würdigen Nach den gründlichen Beratungen zwischen Ver- weiß, auf die volle Ausschöpfung seiner Beratungs- tretern der beiden Fraktionen, der Sozialdemokra- frist verzichtet hat. ten und der Freien Demokraten, die meine Regie- Zweitens. Den Haushalt 1973 und die Fortschrei- rung tragen, hätte ich heute oder Anfang der kom- bung der mittelfristigen Finanzplanung wird die menden Woche ohne Schwierigkeit eine ausführ- Bundesregierung so vorbereiten, daß die abschlie- liche Erklärung über die Regierungsarbeit in den ßende Behandlung im Kabinett wahrscheinlich noch nächsten Jahren abgeben können. Zu einer einge- im Februar erfolgen kann. Dabei werden wir von ienden Debatte wäre es dann allerdings vor Weih dem Rahmen ausgehen, den das vorige Kabinett am 28 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1972

Bundeskanzler Brandt 6. September festgelegt hat und über den damals politik finden, die im Einklang mit dem gemein- öffentlich Auskunft gegeben worden ist. samen stabilitätspolitischen Ziel steht. Drittens. Die Bundesregierung oder auch die Koa- (Beifall bei der SPD.) litionsfraktionen werden wichtige und dringende Die Förderung des Wettbewerbs — — Gesetzentwürfe unverzüglich wieder einbringen, die (Zunehmende Unruhe bei der CDU/CSU.) den gesetzgebenden Körperschaften bereits vorla- gen, wegen der Auflösung des 6. Deutschen Bundes- — Ja, man darf doch nicht nur, wenn wir schon — — tages aber nicht mehr verabschiedet werden konn- Wir haben 1969 das schon mal gehabt, meine Damen ten. Diese Entwürfe werden dem Bundesrat, soweit und Herren, ich fand, das war ein schlechter Stil, sie seitens der Regierung unverändert wiederkeh- die erste Erklärung der Regierung bereits mit pole- ren, so zugeleitet, daß die üblichen Fristen möglichst mischen Zwischenbemerkungen zu beginnen. verkürzt werden können. (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der Viertens. Die sachliche Anpassung des Renten- CDU/CSU.) reformgesetzes mußte von den Koalitionsfraktionen Wenn Sie das jetzt haben wollen— nach meinen in Übereinstimmung mit der Regierung unverzüglich Bemerkungen über den Unternehmer —, dann re- eingeleitet werden. Nur so sichern wir unserer Mei- den wir darüber, wofür Unternehmer — ich sage nung nach das Ziel dieses Gesetzes, mit Hilfe der nicht „die", sondern „einige" — im Wahlkampf flexiblen Altersgrenze einen reibungslosen Über- Geld ausgegeben haben. gang vom Erwerbsleben in den Ruhestand zu er (Beifall bei der SPD und bei Abgeordne eichtern. ten der FDP. — Zurufe von der CDU/ Fünftens. Noch im Januar sollte auch der vom CSU.) Bundesrat bereits gebilligte Entwurf zur Verbesse- Ich meine heute alle Kräfte in unserem Volk, wenn rung des Bundeskriminalamtgesetzes beraten wer- es um Stabilitätspolitik geht. den. Dieses Gesetz wird das gemeinsame Sicher- heitskonzept von Bund und Ländern wirksam er- (Erneuter Beifall und weitere Zurufe.) gänzen. Die Förderung des Wettbewerbs kann zu dem, wovon ich jetzt spreche, einen wichtigen Beitrag wirt- Was nun, meine Damen und Herren, die leisten. Die Bundesregierung begrüßt es, daß die schaftspolitischen Aufgaben angeht, so werden sich Koalitionsfraktionen die Novelle zum Kartellgesetz die verehrten Kolleginnen und Kollegen unbe- bald wieder einbringen werden. Wir sind uns dar- schadet aller Polemik während des Wahlkampfes in einig, daß die Novelle zum Kartellgesetz in den gewiß an das 15-Punkte-Programm erinnern, das Ausschußberatungen weiter verbessert werden soll. die vorige Bundesregierung Ende Oktober beschlos- sen hatte und dem die Luxemburger Beschlüsse des In der Außenpolitik ging und geht es in diesen Rates der Europäischen Gemeinschaft folgten. Schon Wochen um folgende Termine: auf der Pariser Konferenz der Regierungschefs der Erstens. Zum 1. Januar 1973 vollziehen Großbri- erweiterten Gemeinschaft hatten wir uns mit Nach- tannien, Dänemark und Irland ihren Beitritt zur druck für gemeinsame stabilitätspolitische Maß- Die Einigung West- nahmen eingesetzt, und wir haben auch im eigenen Europäischen Gemeinschaft. europas kommt damit einen wesentlichen Schritt Haus — der Bundesrepublik Deutschland — im Rahmen unserer Möglichkeiten notwendige Ent- voran. Ich nehme an, daß dies von uns allen be- scheidungen getroffen. So hat die Bundesbank in grüßt wird. enger Abstimmung mit der Bundesregierung in den Zweitens. Die neue, erweiterte Kommission, für letzten Monaten, wie Sie wissen, mehrfach Maß- die die Bundesregierung die beiden bewährten nahmen zur Eindämmung der Kreditausweitung ge- deutschen Mitglieder wieder vorgeschlagen hat, troffen. Das vor kurzem vorgelegte Jahresgutach- nimmt am 6. Januar ihre Arbeit auf. Der Rat wird ten 1972 des Sachverständigenrats zur Beurteilung am 15. Januar 1973 zum erstenmal in der erweiterten der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat uns Zusammensetzung tagen. wertvolle Anregungen vermittelt. Diese werden wir Ein großer Arbeitskatalog liegt vor den Orga- in unseren Jahreswirtschaftsbericht einbeziehen.-l- nen der Gemeinschaft. Wir werden es an Initiativen, Meine Damen und Herren, das Ergebnis der jetzt die mehr als Worte zum Inhalt und zum Ziel haben, anlaufenden Tarifverhandlungen wird von großer weiterhin nicht fehlen lassen. Bedeutung sein für den Erfolg unserer stabilitäts- Drittens. Im Rahmen der Nato haben die Ab- politischen Bemühungen. Ich muß daher die Er- sprachen über die Europa-Gruppe — die Euro wartung aussprechen, daß die Tarifpartner neben group — kürzlich in Brüssel bedeutende Fort- der Verfolgung ihrer berechtigten Interessen in schritte gemacht. Dem zuständigen Ausschuß wird diesen Monaten noch mehr als sonst ihre Mitver- darüber im einzelnen berichtet werden. antwortung für das Ganze berücksichtigen; den öf- Viertens. Auf der Nato-Konferenz Anfang die- fentlichen Dienst beziehe ich dabei ausdrücklich ses Monats wurden unter anderem gemeinsame mit ein. Richtlinien verabschiedet für Möglichkeiten einer Was für die Löhne gilt, gilt auch für die Preise. beiderseitigen ausgewogenen Truppenverminderung Die Unternehmer müssen in all den Bereichen, in in Europa. Das ist ein weiterer Schritt zur Entspan- denen dies tatsächlich möglich ist, zu einer Preis nung, der langfristig auch zur Verminderung der Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1972 29 Bundeskanzler Brandt Rüstungslasten führen soll und der vor viereinhalb vor den Wahlen erklärt hatten, beide Regierungs- Jahren durch das, was man damals das „Signal von parteien ministerielle Verantwortung. Reykjavik" nannte, vorbereitet worden ist. Im 2. Eine wesentliche Zusammenfassung von Auf- Januar 1973 werden die ersten exploratorischen gaben ergibt sich durch das erweiterte Ministerium Gespräche zwischen Ost und West über dieses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. schwierige Thema stattfinden. 3. Im Bereich von Bildung und Wissenschaft ha- Fünftens. Die Bundesregierung ]eistet parallel ben wir die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß dazu in diesen Wochen in Helsinki ihren Beitrag der Bund auf dem wichtigen Gebiet der beruflichen zur multilateralen Vorbereitung der Konferenz über Bildung stärker initiativ werden kann. Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Wir haben ein besonderes Interesse daran, daß die 4. Als einziges neues Ministerium haben wir das erste große Begegnung der europäischen sowie der für Forschung und Technologie geschaffen. nordamerikanischen Staaten eine Verbesserung der (Abg. Rawe: Und Post!) Lage im geteilten Europa einleitet. — Ich bin in diesem Fall für Ihre Zwischenrufe Im Verhältnis der beiden deutschen Staaten zu- dankbar; sie geben mir die Möglichkeit, den folgen- einander wird in der kommenden Woche eine wich- den Satz hinzuzufügen. Wegen der Bedeutung der tige Etappe auf dem Weg zur Normalisierung fest- Nachrichtentechnologie zustellen sein, den wir im Herbst 1969 eingeleitet (Lachen bei der CDU/CSU) haben. Am 21. Dezember 1972 werden die beiden geht auch die Zuständigkeit für die Bundespost auf Verhandlungsführer ihre Unterschriften unter den dieses Haus über. Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten setzen. Uns (Abg. Dr. Barzel: BND auch?) schien eine baldige Unterzeichnung des Vertrages 5. Die bilaterale und die multilaterale Kapitalhilfe wünschenswert, damit die Erleichterungen im werden dem Ministerium für wirtschaftliche Zusam- Reiseverkehr und bei der Familienzusammenfüh- menarbeit übertragen. rung nicht verzögert werden. 6. Das Ministerium für Jugend, Familie und Ge- Im übrigen wird die Bundesregierung die Gesetz- sundheit wird mit der Federführung für einige be- entwürfe zum Grundvertrag und zum Beitritt zu sonders wichtige, wichtiger gewordene und wichti- den Vereinten Nationen noch vor Weihnachten dem ger werdende Aufgaben betraut. Es ist außer für Bundesrat zuleiten. Die im Grundvertrag vorge- Frauenfragen auch für Fragen von Freizeit und Er- sehenen Verhandlungen zwischen den zuständigen holung — außer der Zuständigkeit für den Sport, Stellen für das Post- und Fernmeldewesen sind in- die dort bleibt, wo sie ist und wo sie war — und zwischen aufgenommen worden. für die gesellschaftliche Integration der Alten in un- serem Volk zuständig. Abschließend möchte ich zur Struktur und Orga- nisation des neuen Kabinetts noch folgendes be- 7. Zur Intensivierung der Kabinettsarbeit haben merken dürfen. Die meisten unserer Mitbürger wir es für richtig gehalten, zwei Minister ohne Ge- werden es, so denke ich, unbeschadet der Meinungs- schäftsbereich zu ernennen. Einer von ihnen wird verschiedenheiten in diesem Hause verstehen, daß mir in erster Linie für meine Arbeit im Kanzleramt ich die Arbeit im wesentlichen mit jener Regierungs- zur Verfügung stehen. Zum Chef des Bundeskanz- mannschaft fortzuführen wünsche, der am 19. No- leramtes habe ich einen Staatssekretär berufen. vember 1972 gemeinsam mit mir ein eindrucksvolles 8. Was die Institution der Parlamentarischen Vertrauensvotum ausgesprochen worden ist. Staatssekretäre angeht, eine Institution, die nun in (Beifall bei den Regierungsparteien.) zweimal drei Jahren erprobt werden konnte, so wird die Regierung eine Änderung des Gesetzes In diesem Hause wird es andererseits auch — vorschlagen, ohne daß ich diese jetzt schon zu be- wiederum unbeschadet der bekannten Gegensätze gründen brauchte. Die Amtsbezeichnung „Staats- — sicherlich richtig verstanden werden, wenn ich minister", von der in öffentlichen Erörterungen die- der bisherigen Bundesministerin für Jugend, Fa- ser Tage wiederholt die Rede war, soll den beiden milie und Gesundheit, Frau Käte Strobel, sehr, sehr Kollegen vorbehalten sein, die dem Außenminister herzlich für langjährige und erfolgreiche Arbeit zur Seite stehen. Einer der beiden Kollegen wird mit danke schön sage. der Koordinierung der Europapolitik beauftragt sein. (Anhaltender Beifall.) Dies, meine Damen und Herren, ist das, was ich Trotz der weitgehenden personellen Kontinuität vor der Regierungserklärung mitzuteilen für er- hat sich die Struktur des Kabinetts in einigen Punk- forderlich hielt. ten geändert. Dabei ging es im wesentlichen um Für diejenigen, die uns über dieses Haus und über eine solche Zuordnung von Zuständigkeiten, die uns die Grenzen unseres Landes hinaus zuhören, will im Interesse einer wirksamen Regierungsarbeit sinn- ich schon heute sagen: Das Regierungsbündnis von voll erschien. Sozialdemokraten und Freien Demokraten wird die Ich möchte dies in folgenden Punkten erläutern. Außen-, Europa- und Sicherheitspolitik, die Deutsch- land- und Berlinpolitik, die Verteidigungspolitik 1. Die Bereiche Finanzen und Wirtschaft werden sowie die Politik für die innere Sicherheit zielstrebig neu gegliedert, und dabei übernehmen, wie wir es fortsetzen. 30 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1972

Bundeskanzler Brandt Zur Wirtschafts- und Finanzpolitik habe ich den stehend freihändig, wenn ich so sagen darf — in Kurs bestätigt, zu dem wir uns noch im alten Bundes- Ihre Erklärung eingefügt haben. tag und in der Zeit seitdem bekannt haben. Meine Damen und Herren, das erste, was hier zu Über die Schwierigkeiten der Bundespolitik einer- Ihrer Erklärung festzustellen ist: zu dem wichtigsten seits, über die Notwendigkeit innerer Reformen an- und dringendsten innenpolitischen Problem, einem dererseits wird im Januar eingehend zu sprechen Problem, das in der Bevölkerung eine große Rolle sein. Lassen Sie mich nur noch hinzufügen: Ich hoffe spielt, nämlich der Uberwindung der trabenden In- auf möglichst viel Sachlichkeit in den vier Jahren, flation durch ein umfassendes Konzept einer ent- für die wir gewählt sind; schiedenden Stabilitätspolitik, zu diesem Problem Nummer 1, Herr Bundeskanzler, haben Sie keine (Beifall bei der SPD) konkreten Mitteilungen gemacht. Sie haben an an- möglichst viel Sachlichkeit auch dort, wo die Mei- dere appelliert und sind den eigenen Beitrag schul- nungen zuweilen weit auseinandergehen. dig geblieben. Von dieser ersten Regierungserklä- Am 19. November ist meiner Überzeugung nach rung ist ein Stabilitätssignal nicht ausgegangen. auch gegen Übertreibungen und Fehlentwicklungen (Beifall bei der CDU/CSU.) entschieden worden, die den 6. Bundestag leider Sie haben sich bezogen auf das den Wählern vor- nicht nur z. B. daran hinderten, einen Bundeshaus- halt zu verabschieden, wie das Grundgesetz es uns enthaltene Gutachten der fünf Sachverständigen. auferlegt. Dieses wissenschaftliche Gutachten, das zu gege- (Zurufe von der CDU/CSU.) bener Zeit hier zu erörtern sein wird, Herr Bundes- kanzler, kommt doch zu einem verheerenden und Ich will hier nichts verniedlichen, sondern ich will vernichtenden Urteil über die bisherigen Jahre der ohne Selbstgerechtigkeit Koalition in diesem Bereich. (Abg. Rawe: Wer hat denn den Haushalt (Beifall bei der CDU/CSU.) zurückgenommen!? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU) Daß Sie sich nun trotzdem entschlossen haben, hier zu sagen, Sie blieben bei Ihrer Linie, d. h. der Linie, nur dies sagen: Wer sich hier um mehr Sachlichkeit darauf zu verzichten, eine konkrete und rechtzeitige bemüht, wird den Bundeskanzler und die Regierung Stabilitätspolitik zu leisten, läßt uns nichts Gutes auf seiner Seite haben. ahnen. Denn die Zeche dafür zahlt der kleine Mann, (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu und Reformen werden dadurch verzögert, verscho- ruf des Abg. Rawe.) ben oder unmöglich gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU. — Unruhe bei Präsident Frau Renger: Meine Damen und den Regierungsparteien.) Herren, das Wort hat der Abgeordnete Dr. Barzel. Meine Damen und Herren, ich möchte daran er- innern, wie ich Ihnen, Herr Bundeskanzler, vor drei Dr. Barzel (CDU/CSU) : Frau Präsidentin! Meine Jahren sagte, daß Sie ein gutes und solides Erbe Damen und Herren! Bevor wir auf die Erklärung antreten in einer Situation, wie sie keiner Ihrer Vor- des Herrn Bundeskanzlers antworten, möchten wir gänger vor sich hatte. Wenn ich nun Ihre Erklärung deutlich machen, wie wir unsere Verantwortung in höre — und den „Vorwärts" dieser Woche lese diesem 7. Deutschen Bundestag wahrzunehmen ge- über die harten Zeiten, über Sturm und Unwetter, denken: Friede, Freiheit und Gerechtigkeit sind die durch die Sie müßten —, dann wird es der Oppo- unverzichtbaren und unabdingbaren Grundlagen un- sition erlaubt sein, daran zu erinnern, daß Sie ein serer Politik, und sie beziehen sich gleichermaßen schweres Erbe antreten. Aber von wem eigentlich? auf unsere innerstaatlich-gesellschaftliche Ordnung — Ihr eigenes Erbe, Herr Bundeskanzler. Dies muß wie auf unsere Beziehungen zu anderen Völkern. hier gesagt sein. (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.) In diesem 7. Deutschen Bundestag sind durch die Wähler selbst die Aufgaben klar verteilt: Sie sollen Sie haben etwas mitgeteilt — wir haben dies mit Regierung, wir sollen Opposition sein. Wir sehen - Bestürzung gehört —, was wir auch schon in den unsere Aufgabe nicht darin, an jedem Tag und zu letzten Tagen gelesen haben, als Herr Kollege Schel- jedem Thema den Vorschlägen der Regierung die lenberg die Initiative zur Zurücknahme eines Teils der Opposition entgegenzusetzen, diesen noch zu- der gerade beschlossenen Rentenreform vorgetragen vorzukommen oder alles rundweg ablehnen zu müs- hat. Es sollen Absichten bestehen, das im Eilgalopp sen, was von der Regierung kommt. Wir werden durchzupeitschen, vielleicht sogar im Wege der Ma- unser kritisches Wächteramt sehr grundsätzlich, auf nipulation. Schwerpunkte konzentriert und darauf angelegt (Zurufe von der SPD: Unverschämtheit!) wahrnehmen, im Jahre 1976 die bessere Alternative zu sein. Dazu wird vieles zu sagen sein. Nur, meine Damen (Beifall bei der CDU/CSU.) und Herren, heute muß festgehalten werden: Dies ist eine Gesetzgebung, die im 6. Deutschen Bundes- Unsere Kritik — wo sie nötig ist — wird deutlich, tag in dritter Lesung die Zustimmung der Koali- fair und maßvoll sein. Auch wir werden hier nichts tion, Ihrer aller Zustimmung, gefunden hat. verschleiern, Herr Bundeskanzler, und werden auch zu dem einen Punkt antworten, den Sie soeben — (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1972 31

Dr. Barzel Sie haben sich dieser Gesetzgebung den Wählern Die Menschenrechtserklärung der Vereinten Natio gegenüber gerühmt und versuchen nun, im ersten nen enthält u. a. folgende Vorschriften. In Art. 12: Galopp — möglichst ohne daß es jemand merkt; das Niemand darf willkürlicher Einmischung in sein ist doch Ihre Hoffnung — ein Stück der Zusagen, die Privatleben, seine Familie, sein Heim oder sei- Sie selber gegeben haben, zurückzunehmen. Sie nen Briefwechsel oder Angriffen auf seine Ehre werden uns dabei nicht auf Ihrer Seite finden. Wir und seinen Ruf ausgesetzt werden. werden das einhalten, was wir den Wählern dazu versprochen haben. Art. 13: (Beifall bei der CDU/CSU.) Jeder hat das Recht auf Freizügigkeit und Auf- enthalt innerhalb der Grenzen aller Staaten. Zur Frage des Haushalts 1972 wird nachher mein Jeder hat das Recht, jedes beliebige Land ein- Kollege Leicht etwas Grundsätzliches sagen, soweit schließlich seines eigenen zu verlassen sowie es die kurze Debatte heute ermöglicht. Auch hier in sein Land zurückzukehren. ist das Kennzeichen Manipulation. Volljährige Männer und Frauen haben ohne Wir halten fest, daß zu den wichtigsten gesell- Rücksicht auf Rasse, Staatsangehörigkeit oder schaftspolitischen Themen — der Vermögensbil- Religion das Recht, eine Ehe einzugehen oder dung, der Mitbestimmung und der Steuerpolitik — eine Familie zu gründen. die konkrete Einigkeit innerhalb der Koalition fehlt. Ich will es bei diesen drei Auszügen sein Bewenden Die zusätzlichen Posten, die Sie geschaffen haben, sein lassen. Nichts davon, Herr Bundeskanzler, können diese Einigkeit und das mangelnde Konzept, sichert dieser Vertrag. Nichts davon entspricht der das mangelnde Programm nicht ersetzen. Ich hoffe, Wirklichkeit in der DDR. Herr Bundeskanzler, daß Sie einen Staatssekretär finden, der durch den Wirrwarr der neuen Zustän- Auch wir verlangen und erwarten nicht, daß dies digkeiten wirklich durchfindet, und ich wünsche ihm alles auf einmal anders werden könnte. Wir haben das Glück, das Theseus im Labyrinth hatte, als die einen verbindlichen Stufenplan vorgelegt. Daß aber Göttin Ariadne ihm mit Knäuel und Garn zur Ver- nun alles hier weggegeben wird, ohne verbindlich fügung stand, um da wieder herauszufinden. Zusicherungen auf mehr Menschenrechte im ganzen Deutschland zu haben, dies muß heute gesagt wer- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) den, bevor Sie diese weitgehende Unterschrift in Ich muß ein Wort zu der Ankündigung des Herrn der nächsten Woche leisten werden. Bundeskanzlers sagen, am 21. Dezember, also in der (Beifall bei der CDU/CSU.) kommenden Woche, den Grundvertrag unterschrei- ben zu lassen, also eine Unterschrift zu leisten, ob- Demokraten, wenn sie wie dieses ganze Haus wohl der Schießbefehl andauert, obwohl sich die zum Frieden entschlossen sind, müssen oft und DDR an den Verkehrsvertrag, dem wir zugestimmt manchmal für lange Zeit Unrecht hinnehmen. Aber hatten, nicht hält. Trotz dieser Erfahrung wollen Sie Demokraten sollten dies nie bestätigen. Sonst ver- einen so weitgehenden Vertrag ohne verbindlich wischen sie die Grundlage der Grundsätze, auf gesicherte, ausreichende menschliche Erleichterun- denen sie selbst stehen. Der geistige Kampf um das gen unterschreiben. Dies bleibt festzuhalten: Dieser ganze Deutschland hört doch mit diesem Vertrag Vertrag — schlecht und eilig ausgehandelt, ohne nicht auf, der politische auch nicht. Wer soll den angemessene Leistung und Gegenleistung — soll, geistigen und politischen gewinnen, wenn in diesen so wird gesagt, dem Frieden dienen. Frieden aber Grundansätzen und Grundlagen Verwischung statt — dieses Wort ist früher auch von Ihnen und Ihrer Klarheit eintritt? Regierung zitiert worden, Herr Bundeskanzler — (Beifall bei der CDU/CSU.) ist doch nach einem berühmten Wort des Präsiden- Sie haben, Herr Bundeskanzler, von Wahlkampf ten Kennedy eine Sache der Menschenrechte. Eben- gesprochen und es wieder für richtig gehalten, eine so sieht es doch die Satzung der Vereinten Natio- Schicht unseres Volkes hier besonders anzugreifen. nen, auf die dieser schlechte Vertrag vielfach Bezug Ich möchte deshalb hier sagen: Niemand spricht nimmt. Über dieses Problem wird später im ein- wirklich mit Recht von guter Nachbarschaft und zelnen zu sprechen sein wie über Ihre neue Formel Frieden, der nicht weiß und praktiziert, daß dies zu von den zwei deutschen Staaten. Es hieß vor kur- - Hause anfängt. zem noch: zwei Staaten in Deutschland. Wieder ein anderer Anfang, wieder genau wie 1969. Darüber (Beifall bei der CDU/CSU.) wird im einzelnen zu sprechen sein. Herr Bundeskanzler, wir lesen in den Zeitungen von Was wir Ihnen vorwerfen, Herr Bundeskanzler, Boykottmaßnahmen z. B. gegen einen Kölner Kauf- ist dies: Mit der Unterschrift unter den Grundver- mann, der sich in diesem Wahlkampf als Demokrat trag bereiten Sie der DDR den Weg in die UNO, zu seiner Meinung öffentlich bekannt hat. ohne daß diese auch nur die mindesten Zusicherun- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) gen gemacht hätte — ganz zu schweigen von Ver- Wir lesen von Maßnahmen gegen Professoren, die bindlichkeiten —, den Bürgern der DDR die in der sich bekannt haben. Herr Bundeskanzler, da Sie von UNO-Charta beschworenen Menschenrechte zu ge- Wahlkampf gesprochen haben, gehört dies hier hin. währleisten. Diesen Vorwurf müssen wir Ihnen Es wäre sehr gut, wenn Sie Ihre Regierungserklä- heute und rechtzeitig machen. rung zu einem ganz klaren Wort benutzten, damit (Beifall bei der CDU/CSU.) für den 7. Deutschen Bundestag klar ist: Die Soli- 32 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1972

Dr. Barzel darität der Demokraten ist intakt, und sie hat Vor- die Ausschüsse des Deutschen Bundestages, ausge- rang vor allen anderen Solidaritäten. Das sollte nommen der Haushaltsauschuß, im Januar 1973 kon- für diesen Bundestag durch ein Wort von Ihnen tituiert werden. In der Zwischenzeit gibt es nicht klar sein; denn es waren Ihre Wahlhelfer, die jetzt nur bei der CDU/CSU die Feststellung, daß der Ent- so handeln! wurf des Haushaltsgesetzes 1972, der als nächster (Beifall bei der CDU/CSU.) Punkt der Tagesordnung beraten werden wird, mit Der innere Friede und die innere Freiheit, Herr dem Grundgesetz nicht übereinstimmt, insbesondere Bundeskanzler, sind hohe Güter, denen sich Regie- gegen die Bestimmungen des Art. 110 verstößt. rung wie Opposition verpflichtet fühlen sollten. Mein Kollege Leicht wird dazu beim nächsten Punkt der Tagesordnung sprechen. Meine Damen und Herren, uns wird jeder jeder- zeit auf die Solidarität der Demokraten, auf Sach- Meine Damen und Herren, die Klärung dieser lichkeit, auf gute Nachbarschaft ansprechen können, Frage liegt nach meiner Ansicht auch im beson- auch auf den inneren Frieden und auf die innere deren Interesse des Parlamentes. Sie kann nur im Freiheit. Uns wird jeder darauf ansprechen können, Rechtsausschuß erfolgen. Die Voraussetzung dafür daß soziale Marktwirtschaft und soziale Partner- zu schaffen ist Ziel unseres Antrags auf Einsetzung schaft die Grundlagen unserer freiheitlichen Ord- eben dieses Rechtsausschusses. nung sind —, einer Ordnung, für die wir einstehen, Meine Damen und Herren, die CDU/CSU schlägt die wir verbessern und entfalten, die wir aber nicht vor, den Rechtsausschuß so rasch wie möglich zu sprengen und nicht überwinden wollen. Von dieser konstituieren, um die Beratung des Haushaltsgeset- Frage aus wird in diesem Bundestag bei der Bera- zes in der nächsten Woche nicht zu verzögern. Uns tung konkreter Einzelheiten wohl vor allem im ge- liegt an Sachaufklärung, nicht an Verzögerung. sellschaftspolitischen Bereich mehr Bewegung ent- Ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag Drucksache stehen, als manch einer annahm, als er das Wahl- 7/21 zuzustimmen. ergebnis hörte. Zu all diesen Grundfragen werden wir — ohne das übliche parlamentarische do ut des (Beifall bei der CDU/CSU.) — jedermann beistehen, der sich hier im Hause wei- terhin in dieser Ordnung wohlfühlen und mit die- Präsident Frau Renger: Wird zu diesem An- ser Ordnung Entwicklung und Fortschritt bewirken trag weiter das Wort gewünscht? — Das ist offen- will. Auch daran soll man uns in diesen vier Jahren sichtlich nicht der Fall. erinnern können. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag Der Leitsatz des Programms, das wir uns für diese zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand- vier Jahre gaben, heißt: „Fortschrittliche Gesell- zeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltun- schaftspolitik entscheidet über die Zukunft der Frei- gen? — Bei einigen Gegenstimmen und einer Ent- heit." Fortschritt ist für uns da, wo der Lebens- und haltung ist der Antrag angenommen. Freiheitsraum des einzelnen erweitert, wo die Men- schenrechte verwirklicht und ihre soziale Basis in Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf: der Alltagswirklichkeit gestärkt werden. Aus die- Erste Beratung des von der Bundesregierung ser Sicht werden wir hier in diesem Bundestag un- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über sere Pflicht als Opposition tun, und wir werden da- die Feststellung des Bundeshaushaltsplans bei auch in den Wettbewerb der gesellschaftspoli- für das Rechnungsjahr 1972 (Haushaltsgesetz tischen Zielvorstellungen und in Jderen Konkreti- 1972) sierung eintreten. An uns soll es nicht liegen. Dies kann der Bundestag gesellschaftspolitischen Fort- — Drucksachen 7/10, 7/11 — schrittes sein, — freilich für die Ordnung, in der wir Ich eröffne die erste Beratung. Wird das Wort uns wohlfühlen, in diesem nicht gesprengten, nicht zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der veränderten, sondern erhaltenen und ausgebauten Fall. Wird das Wort in der Aussprache gewünscht? freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat. — Herr Leicht, bitte, Sie haben das Wort. (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU.) Leicht (CDU/CSU) : Frau Präsidentin! Meine sehr Präsident Frau Renger: Wird weiter das Wort verehrten Damen! Meine Herren! Zum zweitenmal gewünscht? — Das ist offenbar nicht der Fall. Dann steht der Haushalt 1972 zur ersten Beratung an. schließe ich die Aussprache. Dieser Punkt der Ta- Statt zum Jahresanfang steht er zum Jahresende gesordnung ist erledigt. zur Entscheidung. Das Jahr, für den er gilt, liegt praktisch schon hinter uns. Dem Parlament ist damit Wir kommen zu dem angekündigten Zusatzpunkt: jede Möglichkeit genommen, auf das Haushaltsge- Beratung des Antrags der Fraktion der CDU/ schehen des Jahres 1972 Einfluß zu nehmen. Das CSU betr. Einsetzung des Rechtsausschusses Haushaltsgeschehen lag ausschließlich in den Hän- — Drucksache 7/21 — den der Exekutive. Das Haushaltsbewilligungsrecht ist indessen das vornehmste Recht des Parlaments. Das Wort hat der Abgeordnete Wagner. Das Parlament als Ganzes — nicht nur diese oder jene Seite des Hauses — wird daher sehr sorgfältig Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) : Frau Präsiden- zu prüfen haben, ob die Regierung die durch die tin! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen die- Verfassung gezogenen Grenzen eingehalten und von ses Hauses sind zunächst davon ausgegangen, daß der ihr gegebenen Ermächtigung des Nothaushalts- Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1972 33 Leicht rechts der Art. 111 und 112 des Grundgesetzes den die nicht oder nicht mehr stimmen. Damit macht die rechten Gebrauch gemacht hat. Regierung die parlamentarische Beschlußfassung Der Zeitdruck, unter dem wir heute stehen, er- über den Haushalt 1972 zur Farce. „Die Bundes- laubt es nicht, hier darauf näher einzugehen. Die regierung hält eine Anpassung an die bisherigen CDU/CSU-Fraktion wird jedoch darauf drängen, daß Ist-Ergebnisse nicht für sinnvoll" ; so in der Bun- diese Frage auf die Tagesordnung der ersten Sit- destagsdrucksache 7/11, die auf Ihren Pulten liegt, zung des neuen Haushaltsausschusses zu Beginn des in der Stellungnahme zu dem, was der Bundesrat nächsten Jahres gesetzt wird. zu diesen Fragen gesagt hat. Ich will auch heute nicht auf die grundsätzlichen Diese Auffassung steht mit dem eindeutigen Ver- Bedenken gegen diese Politik, vor allem gegen die fassungsauftrag des Art. 110 GG nicht in Einklang. Die Finanz- und Konjunkturpolitik, eingehen, die in den Wirklichkeitsnähe der Haushaltszahlen ist doch Zahlen des vorgelegten Haushaltsentwurfs ihren kein Selbstzweck. Der Haushalt soll nicht Wunsch- denken entsprechen, sondern er soll die wirkliche Ausdruck findet. Darüber wird in der dritten Lesung Lage der Staatsfinanzen bewußtmachen. noch zu sprechen sein. Nur einen wesentlichen Punkt möchte ich näher beleuchten, was gleichzeitig, Frau (Beifall bei der CDU/CSU.) Präsident, als Begründung des vorgelegten Antrags Er soll darüber hinaus diesem Parlament die Mög dienen soll. lichkeit geben, seine Kontrollfunktion auszuüben. Der Bundeskanzler hat soeben in Vorwegnahme Daran — und das ist für mich die einzige Er- der Regierungserklärung einige Ziele seiner Regie- klärung für den Verfassungsverstoß der Regie- rung angesprochen. Er will vieles, so habe ich dar- rung — versucht sich die neue Regierung vorbei- aus entnommen, besser machen. Indessen, der erste zumogeln. Sie will offenbar nicht zugeben, daß Beitrag zur praktischen Politik, den seine Regierung wegen der — aus welchen Gründen auch immer durch die Vorlage des Haushalts geleistet hat, ver entstandenen — Zwangsläufigkeiten auf der Aus- stößt nach unserer Meinung gegen Verfassung und gabenseite des Haushalts die ursprünglichen Ziele Recht. nicht erreicht worden sind. So ist die Regierung Nach Art. 110 des Grundgesetzes sind alle im Zeit- z. B. gar nicht mehr in der Lage, die vorgesehenen punkt der Einbringung und parlamentarischen Be- Investitionen durchzuführen; vielmehr müssen die schlußfassung vorhersehbaren Einnahmen und Aus- Investitionsausgaben und die Ausgaben für andere gaben des Bundes in den Haushaltsplan einzustel- wichtige Zwecke viel stärker gedrosselt werden, len. Das ist nicht geschehen. Der jetzt vorgelegte als das ursprünglich vorgesehen war. Entwurf zeigt die unveränderte Übernahme der Be- schlüsse des Haushaltsausschusses vom 14. Septem- Wie bisher versucht die Regierung, ein rosiges ber dieses Jahres. Er geht also von dem damaligen Bild der Bundesfinanzen zu zeichnen, das meiner Erkenntnisstand aus; das ist der des Juli 1972. Die Meinung nach und nach Meinung meiner Fraktion zwischenzeitlich erkennbar gewordene neue Ent- der Wirklichkeit überhaupt nicht mehr entspricht. wicklung, die neuen Beschlüsse des Kabinetts, die Damit setzt die neue Regierung — insofern aller- eingetretene zwangsläufige Ausgabenvermehrung dings folgerichtig — die Politik fort, die bereits und Einnahmevermehrung, sind nicht berücksichtigt. dazu geführt hat, daß wichtige Staatsausgaben in einer Größenordnung von rund 5 Milliarden DM Ich kann hier nur das aufgreifen, was der Finanz- nicht im Haushalt geleistet, sondern außerhalb des minister, was die deutsche Presse uns als Anhalts- Haushalts durch zusätzliche Schuldaufnahmen ge- punkte gegeben haben, ohne alle Einzelheiten genau wissermaßen unter dem Tisch getätigt werden. festlegen zu können, denn dazu haben wir das Wis- sen nicht. Es fehlen: Die heile Welt besteht in den Staatsfinanzen unserer Überzeugung nach nicht mehr. Es mag noch 1. 700 Millionen DM an Mehrausgaben, die von wahltaktisch erklärbar sein, daß die Koalitionspar- der Regierung über den vorgelegten Haushaltsent- teien das bis zur Wahl nicht zugeben wollten. Aber wurf hinaus als zwangsläufig angesehen wurden. der neue und alte Bundesminister der Finanzen 2. Steuermehreinnahmen in Höhe von 900 Millio- leistet sich selbst meiner Meinung nach einen nen bis 1 Milliarde DM, um die der zuständige schlechten Dienst, wenn er diese Politik auch jetzt noch fortsetzt. Minister nach den Angaben in seiner Pressekonfe-- renz vom 27. Oktober 1972 die Neuverschuldung (Zustimmung bei Abgeordneten der herabsetzen will. CDU/CSU.) 3. Die Aufgliederung von Einsparungen in einer Er müßte doch bei den bisherigen Verhandlungen Größenordnung von rund 1,8 Milliarden DM oder — nach allem, was man so hört — bereits bemerkt mehr auf die einzelnen Ausgabeermächtigungen, die haben, wie schwer er sich bei jedem Schritt zur notwendig sind, um die angestrebten Gesamtaus- Sanierung der Bundesfinanzen tut. Er selbst ver- gaben auf 109 Milliarden DM zu beschränken. größert, wenn ich es richtig sehe, die Probleme, je 4. Die Angabe, in welchem Umfang von den Er- weiter er die Stunde der Wahrheit in der Haushalts- mächtigungen Gebrauch gemacht werden soll, in politik des Bundes hinauszögert. den sogenannten Schattenhaushalten zusätzliche In der Haushaltspolitik hat in der Vergangenheit Ausgaben zu leisten. meines Erachtens hinreichend Willkür geherrscht. Wir sollen also hier über Zahlen beschließen, Zwei Minister — wir wissen es — verließen da- die teilweise durch die Entwicklung überholt sind, rüber die Regierung. Wir urteilen heute nicht an- 34 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1972 Leicht ders als vor der Wahl: Die Opposition — der Vor- Das alles ist richtig, aber nach meinen Dankes- sitzende meiner Fraktion hat darauf hingewiesen — worten an die Bundesregierung, den Bundesrat und steht nicht in der Verantwortung für die Regie- die Opposition muß ich natürlich auch ein paar Be- rungspolitik. Aber auch die Opposition ist dem merkungen zur Geschichte des Haushaltsplans 1972 Wohle des Ganzen verpflichtet. Sie muß ihre war- machen. nende Stimme erheben, wenn sie eine für unser Hier erinnere ich Sie alle an den 28. April 1972. Volk unheilvolle Entwicklung erkennt. In einer großen Kraftanstrengung hat es die Oppo- Sorgen Sie, Herr Bundesfinanzminister, in dieser sition fertiggebracht, die gültige Verabschiedung des Frage der Aktualisierung des Haushalts für die Kanzleretats zu verhindern, indem sie Stimmen- Achtung der Verfassung; sorgen wir alle dafür, daß gleichheit herbeiführte. Die an die nicht erfolgte wir durch umgehende Vorlage der Zahlen und durch Verabschiedung des Kanzlerhaushalts geknüpfte den Einbau dieser Zahlen, die wir bis jetzt im ein- Schlußfolgerung, der Bundeskanzler habe also kein zelnen nicht kennen, in den Haushalt dem Grund- Vertrauen mehr, hat sich spätestens und erfreulicher- gesetz Rechnung tragen. Sie, Herr Minister, tragen weise am 19. November 1972 als falsch herausge- sonst die Hauptverantwortung dafür, daß das Par- stellt. lament durch die Zustimmung zu diesem Haushalts- (Beifall bei den Regierungsparteien.) entwurf sehenden Auges gegen die Verfassung ver- Hier wäre der Opposition überhaupt zu raten, mit stößt. ihren Prophezeihungen nicht allzu voreilig zu sein; Ich bin dafür dankbar, daß die Koalitionsfrak- sonst wird sie von der Öffentlichkeit, vom Wähler tionen unserem Antrag auf Einsetzung des Rechts- — wie in diesem Fall geschehen — zurückgewiesen. ausschusses und damit der Schaffung der entspre- Damals, am 28. April 1972, hat der Herr Bundes- chenden Prüfungsmöglichkeiten zugestimmt haben. Ich wäre aber auch dankbar, Herr Bundesfinanz- kanzler hier folgendes ausgeführt — ich zitiere —: minister, wenn Sie in den nächsten Tagen — ich Die Bundesregierung bedauert, daß durch Stim- hatte Ihnen ja einen Brief geschrieben — zur Aktu- mengleichheit bei Nichtwertung der Berliner alisierung dieses Haushalts uns auch die nötigen Stimmen diese Vorlage nicht die Zustimmung Zahlen lieferten, damit das geschehen kann, was, des Hohen Hauses gefunden hat. Ich bitte glaube ich, im Interesse von uns allen geschieht: namens der Bundesregierung schon jetzt um die daß zumindest das Gebot des Grundgesetzes für Unterstützung, die wir brauchen, um dies bei diesen Haushalt geachtet wird. der dritten Lesung zu korrigieren. (Beifall bei der CDU/CSU.) Wenn man ein bißchen Sinn für Geschichte hat, muß man eigentlich diese erste Lesung als die dritte Lesung des Bundeshaushalts 1972 werten. Präsident Frau Renger: Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haehser. (Beifall bei der SPD.) Wir haben die erste Beratung und den Beginn der Haehser (SPD) : Gnädige Frau! Meine sehr geehr- zweiten Beratung hier im Hohen Hause gehabt. Wir ten Damen und meine Herren! Lassen Sie mich an haben zweitens die Rücküberweisung und die Bera- die Spitze meiner Bemerkungen zur Haushaltsplan- tung des Etats im Haushaltsausschuß gehabt. Jetzt beratung 1972 ein Wort des Dankes an die Bundes- haben wir die erste Beratung — sprich: dritte Bera- regierung setzen. Durch die Vorlage des Gesetzent- tung — noch immer desselben Entwurfs, wurfes und der Anlagen wird sich das Bundesparla- (Abg. Leicht: Die zweite erste Beratung!) ment in den Stand gesetzt sehen, den bisherigen den wir aber natürlich aktualisiert haben, Herr Haus- Haushaltsplänen seit 1949 nun auch noch den Kollege Leicht, wie Sie mir ja als alter Fachmann haltsplan 1972 hinzuzufügen. zugeben müssen. Diese Aktualisierung hat in dem Namens meiner Fraktion möchte ich mich aus- Antrag der CDU/CSU-regierten Länder im Bundes- drücklich beim Bundesrat bedanken, der in seiner rat und auch in Ihrem Schreiben sowie in Ihrer Gesamtheit auf die ihm zustehende Beratungsfrist Rede eine Rolle gespielt. Sie spielt auch eine Rolle verzichtet hat, damit der Bundesetat 1972 noch vor bei dem Antrag, der zu unserer Überraschung, aber Ablauf des Haushaltsjahres verabschiedet werden auch zu unserer Freude — wir haben ihm ja zuge- kann. stimmt — heute auf den Tisch gelegt worden ist. (Beifall bei den Regierungsparteien.) Ich gehe davon aus — sehr viel mehr werde ich Auch die CDU/CSU-regierten Länder haben in dazu gar nicht sagen; denn wir werden im Haus- einem im Bundesrat gestellten Antrag ausdrücklich haltsausschuß, im Plenum und nun auch noch im auf die Einlegung der Fristen verzichtet. Rechtsausschuß beraten —, daß alle fälligen und kassenwirksamen Einnahmen und Ausgaben veran- Der dritte Dank, den ich auszusprechen habe, gilt schlagt sind, soweit sie etatreif sind; diese Einschrän- der CDU/CSU-Opposition. Denn der Kollege Albert kung möchte ich machen. Leicht hat in einem Brief an den Herrn Bundesmini- ster der Finanzen vom 5. Dezember 1972 einen Hin- Die von Ihnen gewünschte Aktualisierung wäre weis auf das Interesse der CDU/CSU-Opposition ein ständiger Prozeß. Sie müßte manchmal mehrfach an einer baldigen Verabschiedung des Haushalts- am Tage vorgenommen werden, denn in der Bun- plans gegeben, damit die parlamentarische Kontrolle deskasse passiert ja, was Einnahmen und Ausgaben wiederhergestellt werden kann. angeht, etwas. Ich bin sicher, meine Damen und Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1972 35 Haehser meine Herren, daß so aktualisiert noch kein Bun- — Aber von dem, was ich gerade gesagt habe, sind deshaushalt verabschiedet worden ist, wie es in doch Ihre eigenen Kollegen überzeugt. der nächsten Woche, ich hoffe, mit Zustimmung (Abg. Wohlrabe: Die Primitivplatte! Abg. des ganzen Hauses, geschehen kann. Das ergibt sich Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein: doch aus der Rücküberweisung an den Haushaltsaus- Nein, nein, sind wir nicht!) schuß. Wer die Aktualisierung wünscht — sie wird hier ohne Einschränkung gefordert —, der muß Ich weise zunächst darauf hin, daß in § 4 des wissen, daß dann unter Umständen 6500 Titel be- jetzt vorliegenden Entwurfs des Haushaltsgesetzes troffen wären. Das ist rein technisch überhaupt nicht die Offa-Kreditfinanzierung ausdrücklich erwähnt mehr zu machen. ist. Darüber hinaus sind die Offa-Kredite sowohl im Bundeshaushalt als auch im Straßenbauplan und in (Abg. Leicht: Das wollen auch wir nicht!) der Haushaltsrechnung klar ausgewiesen. Ich könnte Herr Kollege Leicht, was uns vorgelegt werden Ihnen sogar die Seitenzahlen nennen, wo sie aus- kann, ist das Ist-Ergebnis von Oktober 1972. Ich gewiesen sind. — Sie wollen sie anscheinend wis- habe mich davon überzeugt, daß das Ist-Ergebnis sen, Herr Leicht. Was den Einzelplan 12 angeht, ist von November 1972 noch gar nicht vorgelegt wer- es die Seite 178. den kann. (Abg. Leicht: Das weiß ich selber!) (Abg. Leicht: Einverstanden!) und soweit es den Kapitaldienst angeht, ist es die Würde uns das weiterhelfen, würde das den Er- Seite 168, Tit. 661 01. Also geben Sie dieses Märchen kenntnisstand beträchtlich vermehren? Das sind von den Schattenhaushalten auf! Fragen, die ich hier zu stellen habe. Jeder weiß -- und das weiß der bisherige und wohl auch künftige Worum es Ihnen geht, ist die Abschaffung der so- Vorsitzende des Haushaltsausschusses genannten Schattenhaushalte, um dann mit so lan- (Abg. Leicht: Das wissen Sie noch nicht!) ger Nase der Regierung vorwerfen zu können, sie habe eine Aufblähung des Staatshaushalts vorge- genauso —, daß uns das Ist-Ergebnis 1972 erst im nommen. Das steckt doch dahinter, März/April nächsten Jahres zur Verfügung stehen wird. (Beifall bei den Regierungsparteien) Ein anderes Thema hat heute, aber auch in Ihrem und Sie können uns nicht vormachen, daß Sie dafür Brief, Herr Kollege Leicht, und in der Stellungnahme andere, sachlich gerechtfertigte Gründe haben. der CDU/CSU-regierten Länder, immer wieder eine Nun will ich Ihnen namens der sozialdemokrati- Rolle gespielt, nämlich die sogenannten Schatten- schen Fraktion und deren Arbeitsgruppe Haushalt haushalte. Dieser Begriff ist von mir heute zurück- ein Angebot machen. Ich mache Ihnen das Angebot, zuweisen. Es wird mit seiner Verwendung der Ver- in einer ruhigen Stunde, zu einer ruhigen Zeit mit such unternommen, unterschwellig zum Ausdruck uns über die ganze Problematik einmal zu reden. bringen ,als vollziehe sich mit den, wie Sie das nen- nen, Schattenhaushalten etwas im dunkeln oder am (Abg. Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohen Rande der Legalität. Das ist falsch, das ist unwahr. stein: Haben wir doch versucht!) (Beifall bei den Regierungsparteien.) Es ist kein Angebot, die Haushalte, die Sie zu Unrecht „Schattenhaushalte" nennen, abzuschaffen, Meine Damen und meine Herren, was ist das aber es ist das Angebot, in aller Ruhe und Sachlich- Kernstück der sogenannten Schattenhaushalte? Wenn keit über dieses Thema einmal zu reden. ich mich nach den bisherigen Ausführungen nicht (Beifall bei der SPD.) täusche, dann sind damit insbesondere die Kredite für öffentliche Arbeiten, die sogenannten Öffa- Nun lassen Sie mich eine letzte Bemerkung Kredite, gemeint. Nun tun Sie doch nicht so, als gebe machen. Immer wieder wird erklärt, dieser Haushalt es diese Offa-Kreditfinanzierung erst seit der Regie- 1972, der, wenn er verabschiedet ist, nur noch eine rung Brandt/Scheel! Diese gibt es seit 1955, d. h. es relativ kurze Laufzeit hat, sei kein Beitrag zur gab sie fast eineinhalb Jahrzehnte lang unter christ- Stabilität. Dies i s t ein Beitrag zur Stabilität. lich-demokratischen Bundeskanzlern. Denn der Haushaltsvollzug wird deutlich machen, daß die Zuwachsrate bei den Ausgaben Ende Okto- (Abg. Wehner: Hört! Hört!) - ber 1972 bei 10,5 % liegt. Mich wundert es sehr, daß Das ist doch die Wahrheit, und das muß ich hier ein- im Bundesrat die CDU/CSU-regierten Länder auch mal ganz deutlich sagen. das Thema „Beitrag zur Stabilität" aufgreifen, denn (Abg. Dr. Barzel: Wieviel denn?) die Zuwachsraten der Länder liegen im Durchschnitt um mehr als 1 % über der erkennbaren Zuwachsrate Es stimmt im übrigen auch nicht — ich habe das des Bundeshaushalts 1972. im Haushaltsausschuß schon ausgeführt —, daß Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit verletzt (Abg. Leicht: Das müssen die doch!) werden. Das muß also sehr verwundern. (Abg. Wohlrabe: Na, na!) Nun lassen Sie mich zum Schluß auf Grund der — Sie verstehen sowieso nichts davon, Herr Wohl- Rede des Herrn Kollegen Barzel und auch auf Grund rabe. der Einlassungen des Herrn Kollegen Leicht folgen- (Beifall bei der SPD. — Oh-Rufe bei der des sagen. Auf der Seite der sozialdemokratischen CDU/CSU.) Fraktion dieses Hauses ist der Eindruck entstanden, 36 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1972 Haehser sie haben beide in den letzten drei Jahren nichts kuum, bei dem wir uns sicher alle gemeinsam nicht hinzugelernt. wohlgefühlt hätten. (Beifall bei den Regierungsparteien.) Ich darf wie der Kollege Haehser diese Befriedi- Wir haben, was den Herrn Vorsitzenden der Oppo- gung verbinden mit einem Dank an das Ministerium, sition anging, die gleichen Töne auch in der glei- das die technische Vorbereitung geleistet hat, auch chen Art vorgebracht gehört, und wir haben vom mit einem ausdrücklichen Dank an den Bundesrat, Herrn Kollegen Leicht die gleiche Schwarzmalerei der bereit war, uns die heutige Beratung durch zu ermöglichen, und auch mit gehört, mit der Sie am Schluß des Wahlkampfes die Verzicht auf Fristen Zeitungsseiten überschwemmten. Das hat bei uns einem Dank an die Opposition, die geschäftsord- nichts bewirkt, und das hat — was uns noch viel nungsmäßig bereit war, die Voraussetzungen dafür froher stimmt — beim deutschen Wähler nichts be- zu 'schaffen, daß wir heute in erster und nächste wirkt. Deswegen unser Rat Woche in zweiter und dritter Lesung beraten kön- nen. Ich ergänze den Kollegen Haehser, indem ich (Abg. Wehner: So weitermachen!) den Dank noch an eine zusätzliche Gruppe richte: — Herr Kollege Wehner, Sie greifen mir vor —: ma Ich meine, wir sollten diesen Dank auch an die chen Sie so weiter, dann wird unsere Mehrheit noch — ich glaube, es sind 149 — neuen Abgeordneten größer, und Sie werden noch etwas kleiner werden. im 7. Deutschen Bundestag aussprechen, für die es eine besondere Lage ist, den Haushalt 1972 in dieser (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu Form zu verabschieden; denn für uns ist er ja ein rufe von der CDU/CSU.) alter Bekannter. Zum Schluß! Der Herr Bundesminister der Finan- (Beifall bei den Regierungsparteien.) zen Helmut Schmidt hat uns wissen lassen, daß er Die Feststellung, er sei ein alter Bekannter, sowohl im Haushaltsausschuß als auch im Plenum veranlaßt mich zu der Erinnerung, daß wir diesen des Deutschen Bundestages in der nächsten Woche Haushalt, wie er jetzt von der Regierung vorgelegt zum Haushaltsplan 1972 Stellung zu nehmen beab- wird — aus formalen Gründen wegen des Prinzips sichtigt. Das wird noch manche Klärung bringen, der Diskontinuität von Vorlagen zwischen zwei insbesondere, Herr Kollege Leicht, in der sachlichen Legislaturperioden vorgelegt werden muß —, in ruhigen Atmosphäre des Ausschusses, dem, wenn der gleichen Form Mitte September im Haushalts- Sie ihm wieder vorsitzen werden, immer ein ganz ausschuß verabschiedet und verabschiedungsreif für anderer Leicht vorsitzt, als ich ihn im Wahlkämpfer das Plenum vorbereitet hatten, und zwar in einer wiederentdeckt habe. Da herrscht Ruhe und Sach- absolut aktualisierten Form, in einer Form, wie lichkeit und Gelassenheit, und das wird unseren Be- er damals im September aktueller, aktualisierter ratungen guttun. nicht sein konnte, und auch in einer Form, die ihn (Zuruf von der CDU/CSU.) nicht nur formal verabschiedungsreif erscheinen ließ, sondern für uns als Regierungsparteien von Dem Bundesminister der Finanzen Helmut Schmidt damals und heute auch inhaltlich verabschiedungs- wünscht bei dieser Gelegenheit die SPD-Fraktion reif erscheinen ließ. Glück in seinem Wirken, bietet ihm jede Unterstüt- zung an und möchte den Wunsch an ihn richten, daß Wir bitten allerdings nachträglich um Verständ- er sich mit seinen Kabinettskollegen darum bemüht, nis, daß wir diesen so erarbeiteten Haushalt damals daß wir den Bundeshaushalt 1973 frühzeitig zur nicht der Zufallsmehrheit von einer Stimme, wie Verfügung haben, damit er entsprechend frühzeitig sie im September gegeben war und mit der anderes verabschiedet werden kann. angerichtet wurde, überantwortet haben, sondern ihn zurückgestellt haben, bis ein neuer Bundestag Nun hoffe ich, daß wir in der nächsten Woche Ein- zusammengetreten ist. mütigkeit bei der Abstimmung über den Bundes- (Beifall bei den Regierungsparteien.) haushalt 1972 haben. Wir jedenfalls werden ihm zustimmen. Von den Kollegen der FDP-Fraktion er- Wir werden über die Einzelheiten in der zweiten warte ich das auch. Bleiben also nur noch Sie even- und dritten Beratung zu sprechen haben. Zur Zeit tuell übrig, aber das können Sie sich ja noch über- scheinen sich mir drei Probleme besonders zu stellen. Das ist einmal die Frage der Aktualisierung, das legen. - (Beifall bei den Regierungsparteien.) ist zweitens — nicht neu, immer wieder — die Frage der konjunkturpolitischen Relevanz und schließlich die Frage der Gesetzmäßigkeit bzw. der Präsident Frau Renger: Das Wort hat der Ab- Verfassungsmäßigkeit des Vollzugs. Lassen Sie mich geordnete Kirst. heute in der ersten Lesung zu allen drei Fragen nur kurze Bemerkungen machen. Kirst (FDP) : Frau Präsident! Meine sehr geehrten Ich teile im Prinzip, Herr Leicht, den Wunsch, Damen und Herren! Die FDP-Fraktion äußert ihre einen möglichst aktualisierten Haushalt zu verab- Befriedigung darüber, daß es möglich ist — oder zu- schieden. Nur wenn ich sehe, wie die Dinge tech- mindest mit einer an Sicherheit grenzenden Wahr- nisch sind — wir wollen ja nach Möglichkeit keine scheinlichkeit möglich scheint —, in der nächsten Scheinaktualisierung, sondern eine umfassende ma- Woche den Haushalt 1972 zu verabschieden, so daß chen —, dann muß ich doch abwägen, was mir lie- nicht eintritt, was gelegentlich einmal als Möglich- ber ist: ein Haushaltsplan, wie er jetzt vorliegt, keit erörtert wurde: ein haushaltspolitisches Va- aktuell nach dem Stand von Mitte September, der Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1972 37

Kirst vor Weihnachten und damit noch vor Ende des sprochen haben, die Haushalts- und Finanzpolitik

Kalenderjahres — gleich Haushaltsjahr — verab- aller öffentlichen Hände in diesem Staat — das schiedet wird, oder ein weiter zu aktualisierender, ist das Entscheidende — einer relativ harten Kritik dann aber — das wissen Sie auch — aus Zeit- und unterzieht. Es bezieht sich also auf den Bund, elf technischen Gründen nicht mehr vor Ablauf des Länder und zigtausend Gemeinden, Städte, Kreise Kalenderjahres zu verabschiedender Haushalt. Das usw. Wer sich die Mühe macht, dieses Sachverstän- ist der Zielkonflikt, in dem wir uns zu bewegen digengutachten genau zu lesen, wird doch wohl haben, und da meine ich, unter Abwägung aller feststellen, daß die Zensuren, die die öffentlichen Umstände müssen wir uns dann eben dafür ent- Hände erhalten, vielleicht insgesamt nicht sehr scheiden, den Haushalt so, wie er jetzt vorliegt, gut sind, wie bisher; man muß doch aber eindeutig zu verabschieden. feststellen, daß der Bund unverändert noch die (Abg. Wehner: Sehr wahr!) besten Zensuren im Vergleich mit all diesen Gebiets- körperschaften erhält. Das schließt ja nicht aus, daß wir im Haushalts- (Beifall bei den Regierungsparteien.) ausschuß eine umfassende Unterrichtung über die Haushaltslage, über die Entwicklung seit der letzten Wir werden über das Sachverständigengutachten Beratung im Haushaltsausschuß erhalten. im Zusammenhang mit dem Jahreswirtschaftsbericht noch eingehender zu diskutieren haben. Ich meine, Das zweite Problem — wie gesagt, die konjunktur- aber auch in diesem Sachverständigengutachten politische Qualität des Bundeshaushalts —, ein Stan- fehlt etwas, was bei fast allen fehlt, die über diese dardthema der 6. Legislaturperiode, und ich könnte Dinge reden, schreiben und denken. Es fehlt etwas mir vorstellen, auch der 7. Legislaturperiode. In Konkretes, was realistisch ist. Es werden wunder- diesem Zusammenhang muß man die Bemerkungen bare Berechnungen angestellt, und die Darstellungs- des Kollegen Barzel zurückweisen, daß das Sachver- weise ist fast nur noch zu begreifen, wenn man ständigengutachten dem Wähler vorenthalten wor- die höhere Mathematik beherrscht. Es wird dar- den sei. Dieses Sachverständigengutachten ist, so gestellt, um wieviel Prozent — oder welche Bezugs- würde ich sagen, mit der normalen Verzögerung größe auch immer gewählt wird — die öffentlichen gegenüber dem im Gesetz festgelegten Stichtag — Haushalte zu expansiv waren. Wie man es hätte 15. November — veröffentlicht worden. Wenn Sie anders machen können, wird auch im Sachverstän- Wert darauf legen, können wir ja einmal eine An- digengutachten nicht gesagt. Das muß man einmal frage stellen, damit wir schwarz auf weiß vorgelegt sehr deutlich feststellen. bekommen — das ist einfach eine Fleißarbeit —, zu (Abg. Leicht: Da haben Sie vollkommen welchem Termin das Sachverständigengutachten in recht!) den vergangenen Jahren jeweils vorgelegt worden ist. Mit Sicherheit käme bei einer Überprüfung her- — Vielen Dank, Herr Leicht, daß wir uns darin aus, daß es nie zum 15. November vorgelegt wurde. einig sind. Wir sollten uns vielleicht auch einmal — Nach meiner Erinnerung war es meistens Anfang wir sind in den letzten Jahren darüber immer hin- Dezember. weggegangen — mit der Rechenmethodik beschäfti- gen, die dort angewandt wird. Da scheint mir eini- (Beifall bei den Regierungsparteien.) ges problematisch zu sein. Deshalb wollen wir doch nicht gleich weiter mit Un- Nun zu dem dritten Punkt einige wenige Worte. terstellungen anfangen, die so naiv sind, daß jeder Wir haben ja dem Antrag zugestimmt, auch den merkt, daß etwas nicht stimmt. Rechtsausschuß wieder in alter Form zu konsti- (Abg. Wehner: Das ändert auch nichts mehr tuieren. Wir sind mit der Prüfung dieser Frage ein- am Wahlergebnis!) verstanden. Wenn ich Herrn Leicht recht verstan- den habe, ging es ihm um die Frage der Einbrin- — Nein, das sowieso nicht, Herr Kollege Wehner. gung in dieser Form. Es kann kein Zweifel bestehen, (Abg. Dr. Wagner [Trier] : Deswegen könnte daß das vorletzte Wort über die Haushaltswirtschaft man es doch jetzt zugeben, Herr Wehner! und den Haushaltsvollzug des Jahres 1972 der Bun- Es ist doch vorbei!) desrechnungshof haben wird. Das ist seine Aufgabe. — Nein, da gibt es gar nichts zuzugeben. Wir wollen Das letzte Wort haben wir dann, wenn wir die doch nicht, nur um Ihnen einen Gefallen -zu tun, Rechnung für 1972 zur Entlastung vorgelegt bekom- etwas zugeben, was nicht zuzugeben ist. Das wäre men. Was meine Person angeht, so bin ich bereit, doch nun wirklich zu viel verlangt. hier folgendes zu sagen. Wir werden die Handlun- gen der Exekutive an Hand des Berichtes des Rech- (Abg. Dr. Wagner [Trier] : Aber das Gut nungshofes ganz vorurteilsfrei prüfen. Meine Damen achten war doch fertig! — Abg. Wehner: und Herren, es gehörte für mich zu den angeneh- Wie wollen Sie das mit ihrer christlichen men Erfahrungen der letzten Legislaturperiode — Haltung auf einen Nenner bringen? — Abg. Kollege Haehser, das darf man wohl so sagen —, Dr. Jenninger: Wir haben doch von etwas daß sich auch die Kollegen der Opposition vor- ganz anderem gesprochen! — Abg. Dr. urteilsfrei an der Kritik im Hinblick auf die Rech- Wagner [Trier] : S i e haben doch vom nungslegung der Jahre bis 1969 beteiligt haben. Wahlergebnis gesprochen!) Wir werden Ihnen, was die kommenden Jahre an- In der Sache kommt es doch auf folgendes an. geht, darin nicht nachstehen. Das kann ich Ihnen Es ist klar und richtig, daß das Sachverständigen- versprechen. gutachten, über dessen Vorlagetermin wir eben ge (Beifall bei den Regierungsparteien.) 38 Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1972

Kirst Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum ist nicht der Fall. Dann schließe ich damit die Aus- Schluß eine politische Bemerkung machen. Die sprache. Opposition hat die Nichtverabschiedung des Haus- Die Geschäftsordnung schreibt Überweisung an halts wesentlich in den Mittelpunkt ihrer Wahl- den Haushaltsausschuß vor; Mitberatung durch den kampagne gestellt. Im Zusammenhang mit der ge- Rechtsausschuß ist gewünscht. Herrscht mit der samten Stabilitätspolitik war das eines Ihrer Stan- Überweisung Einverständnis? — Das ist der Fall; dardthemen. Wir, die Freien Demokraten, betrach- dann ist so beschlossen. ten das Wahlergebnis vom 19. November als Voll- macht und Auftrag, diesem Haushalt nun endlich Damit ist die heutige Tagesordnung erschöpft. zur politischen Legitimität zu verhelfen. Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages (Beifall bei den Regierungsparteien.) auf Dienstag, den 19. Dezember, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen. Präsident Frau Renger: Meine Damen und Herren, wird weiter das Wort gewünscht? — Das (Schluß der Sitzung: 11.36 Uhr.) Deutscher Bundestag — 7. Wahlperiode — 4. Sitzung. Bonn, Freitag, den 15. Dezember 1972 39

Anlage zum Stenographischen Bericht

Anlage

Liste der beurlaubten Abgeordneten

Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Augstein (Hamburg) 15. 12. Dr. Dr. h. c. Birrenbach 15. 12. Blumenfeld ** 15. 12. Dr. Burgbacher 15. 12. Dr. Franz 15. 12. Handlos 15. 12. Lücker * 15. 12. Frau Schroeder (Detmold) 15. 12. Strauß 15. 12.

* Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischen Par- laments ** Für die Teilnahme an Sitzungen der Beratenden Ver- sammlung des Europarats