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Zwischen gestern und morgen von Horst-Werner Hartelt* Karl Schabrod (KPD) er nahezu 80-jährige Alterspräsident nährung, Unterkunft und soziale Gerechtigkeit der Gründerversammlung, Peter Zim- organisieren, den Staatsaufbau nicht nur in den Dmer, musste unmittelbar vor der Ge- Mund, sondern in die Hand nehmen. burtsstunde des ersten, gleichwohl nicht frei gewählten Landtags Rede und Antwort stehen, Die Ruhr-Angst – dem von der KPD entsandten und durch die Militär-Regierung genehmigten Vertreter Karl Schabrod. Der ab 1934 bis 1945 in Hitlers Der Landtag in diesem Katastrophen-Jahr- Gefängnissen misshandelte Edel-Kommunist hundert „quälte“ sich, so der kernige Kölner wollte von Zimmer nur wissen: „Warum Cori- Robert Görlinger. Das Parlament darbte mit, olan und nicht Fidelio?“ Beethovens Ouvertü- die Tagesration: zwei Scheiben Graubrot, 20 re Coriolan, zur Eröffnung des Landtags doch Gramm Fett, ein Löffel Marmelade, zwei Tassen angemessen, wie Zimmer bedeutete, gelte dem Muckefuck. Erik Nölting jedoch fahndete nur Gleichnis eines Mannes, der seine Vaterlands- nach Schreibpapier, der Paderborner Johannes Carl Severing (SPD) liebe mit dem Leben bezahlen musste, so in der Gronowski, einstmals Oberpräsident, freute Oper. Tischler und Journalist Schabrod ließ sich über einen Bleistift. Heinrich Lübke besaß Galgenhumor aufblitzen: „Da habe ich ja wohl eine Aktentasche und musste den falschen Ver- noch Glück gehabt.“ dacht ertragen, Butterbrote aus dem Sauerland Die Gründerversammlung von Englands mitzubringen. Tabak-Krümel in einer aus Zei- Gnaden fasste an jenem grauen Oktobertag tungspapier gedrehten Zigarette, „ein Hochge- 1946 die verschiedensten Gruppen und Cha- nuss“, wie Karl Matull allen Ernstes meinte. Die raktere zusammen: Kriegs-Invaliden, KZ-Über- Abgeordneten-Diät: 200 Reichsmark! lebende, NS-Mitläufer, Vertriebene und auch Aus dem Ruhrgebiet indes Töne neuen Er- NS-Nutznießer. Umso empörter Parteifreunde schreckens, die Fritz Henßler in der zerschun- des Sozialdemokraten Carl Severing: Die Mili- denen Region analysierte: Sowjetunion und tär-Regierung sperrte ihn aus, weil er 1932 als Frankreich strebten nach restloser Ausbeutung Innenminister von Preußen dem Putsch der sowie territorialen Veränderungen. Der Land- Konrad Adenauer (CDU) Demokratie-Feinde auswich: „Ich weiche nur tag einig in der Abwehr, nur die KPD abseits. der Gewalt!“ Genugtuung empfand Severing Schneller als gedacht entwickelte sich le- jedoch 1947, als der Prominente in seinem Bie- bensnotwendige Vernunft mit der britischen lefeld mit großer Mehrheit in den nun frei zu Siegermacht, nachdem die ersten drei Land- wählenden Landtag entsandt wurde, ebenso wie tagspräsidenten Ernst Gnoß, Robert Lehr so- sein Gerechtigkeits-Kämpfer, der Zeitungsver- wie Josef Gockeln die Besatzer fortwährend leger Emil Groß. beschworen. 75 Millionen Pfund spendeten die Konrad Adenauer und Carl Severing, zwei Engländer, die erste Rate noch vor dem dollar- Parteien, zwei Welten, und doch gemeinsam schweren Marshall-Plan. ihr Schicksal der Verdammten in verfluchten Im Landtag jagten sich die Konferenzen NS-Zeiten. Aber Adenauer (CDU) wollte keine Tag und Nacht, aufopfernd die wahren Volks- Große Koalition, er wollte die Macht allein und vertreter, zwölfstündiges Anreisen, zehn Stun- schon gar nicht mit seinem gewerkschaftsna- den andauernde Sitzungen. Da fragte doch ein- hen Karl Arnold teilen. Adenauer-Urteile über mal ein Pastor Emil Marx, ob er denn gar nicht Karl Arnold (CDU) ihn bedrückend, beleidigend. Frontal ging der in die Bibelstunde käme. Der fromme Christ: Machtmensch gegen die Zentrumspartei (DZP) „Erst kommt’s Fressen, dann der Choral!“ Der vor, gegen Parteifreunde aus der Weimarer Abgeordnete hungerte nicht allein. Amelunxen Zeit. Amelunxens Signal, seine Parteilosigkeit indes stieß sich an Manieren einiger Offiziers- aufzugeben und den bedrängten Katholiken Gäste. Die Herren legten gern ihre Füße auf den das politische Überleben zu ermöglichen, er- Tisch, tadelte Amelunxen: „Kommiss-Köppe!“ freute den Klerus, doch der Landtag überließ Feiner hingegen hohe Zivilbeamte aus London, das eigentümliche Schisma der Gleichgültig- Mitglieder der CONTROL-Kommission. Einer keit. Millionen rangen ums nackte Überleben, von ihnen Michael Thomas; er visitierte Franz der Gesetzgeber musste Ordnung schaffen, Er- Blücher und berichtete seinem Chef General

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Willi Weyer (FDP) Templer in Bad Oeynhausen: Der FDP-Politi- haben es ihm nie verziehen. Dass fast 20 Jahre ker sei „eitel, stieselig, ein Buchhalter“. Lenz und John van Nes Ziegler abwechselnd Blücher und Freund Friedrich Middelhauve ab 1966 bis 1985 Landtagspräsidenten waren, haben jedenfalls die FDP-Krise nicht erkannt. mutet wie ein Kuriosum an, zumal der SPD- Über Nacht verhaftete die Militär-Polizei in und der CDU-Repräsentant ihre Wahlkreise in Düsseldorfs Umgebung Goebbels’ ehemaligen Köln hatten, „Nes“ Vorgänger und Nachfol- Staatssekretär Naumann und Hintermänner. ger von „Bobby“, die Spitznamen der beiden, Secret Service konstatierte „Unterwanderun- merkwürdige Zufälle. gen“ bei den Liberalen, zumal ihr Landtags- abgeordneter , Ribbentrops Die grosse Einigkeit Gesandter in Paris, gleich nach 1945 wie Phö- nix aus der Asche herumflog. Umtriebe am Rand schadeten auch Unbescholtenen wie Willi Turbulente Jahre, epochale Entscheidungen Fritz Steinhoff (SPD) Weyer. Dieser Hüne von Gestalt sollte angeblich im Landtag, so die Schul- und Bildungsreform, SS-Mann gewesen sein, sein wirklicher Rang: 20 Fachhochschulen auf einen Schlag Anfang Unteroffizier der Flakartillerie. Er wurde stell- der 70er Jahre und schließlich die Gebietsre- vertretender Ministerpräsident an Fritz Stein- form, Opposition und Regierungsparteien nach hoffs Seite, jener Mann mit zerfurchtem Berg- stürmischen Phasen Hand in Hand: Aus 2.334 manns-Antlitz und dem Leibspruch: „Butter bei Kommunen wurden 396! Das hohe Lied des die Fische!“ Hohen Hauses stimmte aber keiner an, kein Präludium, kein Tedeum, obschon doch eine Der traurige Sieg historische Umwälzung in den Regionen. Das Parlament konnte auch schweigsam sein. Nach Hin und Her rief der amtierende Die erste SPD/FDP-Koalition hatte nach Präsident Alfred Dobbert den hoch angesehe- Karl Arnolds Sturz keinen Bestand, das Schick- nen Erklärer Josef Hofmann auf: „Sie wollen Franz Meyers (CDU) sal schlug unbarmherzig zu. Arnold erlag im berichten…“ Doch der verzichtet. Also ruft Wahlkampf dem Herztod, und seine CDU Dobbert den Kollegen Köllen auf, aber der errang die absolute Mehrheit. Es kam Franz winkt ab. Ersatzweise soll jetzt „Herr von Ameln Meyers, kein Reformator, wohl aber ein ex- das Wort haben“. Wiederum Absage, Dobbert zellenter Administrator mit Witterungen für hartnäckig: „Dann Kollege Schmelter…“ Der Zeitströmungen. Als erster und einziger CDU- Präsident, von der Stirne heiß, rinnen muss der Prominenter forderte er die Aufhebung des Schweiß, macht noch einen letzten Versuch bei KPD-Verbots. Josef Hermann Dufhues griff „Herrn Schmiedel“. Wiederum Nein, da bricht ihn scharf an. Meyers revanchierte sich: „Zeit Dobbert die Sitzung ab und verabschiedet sich meines Lebens hat er nicht vergessen und mir mit einem „Dankeschön“. nicht verziehen, dass er bei der Wahl zum Mi- Es ging schon mal lustiger in der Landtags- nisterpräsidenten unterlegen war.“ Und noch runde zu. Christine Teusch: „Für meinen Herr- eines wusste Meyers genau: Käme der Rivale gott springe ich über jede Mauer.“ Kühns Zwi- Heinz Kühn erst an die Macht, würden die schenruf: „Ihr konfessioneller Hochsprung!“ Heinz Kühn (SPD) Sozis mindestens 30 Jahre regieren… Warum, Größter Lacherfolg durch Unikum Walter wieso? Die parlamentarische Fachelite von Möller: „Ja, diese großen Politiker sehen alles Christine Teusch bis Fritz Holthoff, von Josef durch die Große-Weite-Welt-Brille, und wir in Hofmann bis Heinz Kühn, von bis Hausberge gucken durchs herzige Guckloch in Johannes Rau, von Wilhelm Lenz bis Wolfgang der Klo-Tür!“ Der Welt-Reisende, Landesvater Brüggemann verstrickte sich in leidenschaftli- Kühn, war gemeint, den Katharina Focke in che Gegensätze und Glaubenskämpfe um 2.000 Redepausen labte mit Schokolade, zart-bitter. Zwergschulen sowie um das überfällige Ende Heinrich Köppler, ein rhetorischer Genuss all- staatlicher Konfessionsschulen. Den Knoten zeit, musste verknusen, denn durchhaute Wilhelm Lenz, wohl wissend, wie der spottete, es müsse Nacht werden, „wenn viele dagegen standen. Kirchliche Geistheiler Köpplers Sterne strahlen sollen“.

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Der plötzliche Herztod des Oppositionsfüh- oder Garzweiler, ob Kohle oder Kalk, mehr Dis- rers Köppler 1980 wiederholte das Karl-Arnold- pute statt Debatten zum Umweltschutz. Fried- Drama von 1958. Damals wie jetzt nicht nur ein helm Farthmann warnte vor „emotionalen erschreckender Verlust der CDU, sondern für Unterwanderungen“, die Grünen in der Offen- den Landtag insgesamt. Selbst Nachfolger Kurt sive, Klaus Matthiesen im Streit um Meinungs- Biedenkopf konnte das Unglück kaum verklei- macht. Balance-Politik bröckelte im Steinbruch nern, auch Bernhard Worms nicht. Abwande- der Kompromisse, Unmut und Unruhe. Edgar rungen verstärkten das Defizit. Moron: „Die Kohle ist unser Schicksal!“ Hän- Der intellektuelle Reichtum des Parlaments deringend die Experten im Landtag, die in den schmolz dahin wie die Kassenbestände. Frie- 50er, in den 60er, in den 70er, in den 80er und del Neuber, einst Finanzexperte im Landtag, in den 90er Jahren und in der jetzt laufenden warnte vor „Ewigkeits-Schulden“ durch rück- 14. Wahlperiode fortdauernd um Absatz und sichtslose Kreditaufnahmen. Finanzminister Existenz der Kohle ringen. Hunderte Anträ- Diether Posser jedoch setzte sich ans Klavier ge, Entschließungen, Richtlinien, Gesetze und Christine Teusch (CDU) und spielte „Ich brauche keine Millionen, mir Resolutionen in knapp 60 Jahren haben den fehlt kein Pfennig zum Glück…“. Der integere Niedergang im Bergbau nicht verhindert. SPD, Mann machtlos, und der Sieger-Meister Rau in CDU, FDP, einst vereint in der so genannten allen Wahlen bis 1995 winkte ab, wenn Helmut „Kohle-Fraktion“, sind schon lange uneins. Linssen „Schulden-Johannes“ rief. Den Grünen gefällt dies. Das letzte Jahrzehnt im letzten Jahrhundert Sozusagen im Nebenlicht der Kontroversen stand im Glanze der deutschen Einheit. NRW die mustergültige Haushaltskontrolle des Abge- übernahm die Patenschaft für Brandenburg, ordneten Franz Riehemann, doch nur zuständig generös der Landtag, auf eigene Faust Herbert für die Richtigkeit der Rechnungen, nicht ob ih- Schnoor und Bodo Hombach. Lieferungen wur- rer Notwendigkeit. So konnte es geschehen, dass den organisiert, von der Büroklammer bis zur die Regierung noch nach 1990 für die Bonner Apfelsine, und Friedrich Halstenberg baute die Landesvertretung viele Millionen zum Aus- Brandenburger Verwaltung auf. Der energische und Umbau vergeudete. Dass der ungewollte Heinrich Köppler (CDU) Präsident Karl Josef Denzer half mit Delegie- Umzug von nach Berlin sich um zehn rungen, bevor er sein Amt freudig an Ingeborg Jahre verspätete, verdoppelte die Kosten… Friebe übergab, ein außergewöhnliches Ereig- Eine neue Zeit brach an, ein neuer Mann in nis! Erstmals eine Frau Landtagspräsidentin, der Arena: Bundesminister a.D. Jürgen Rüttgers. die aus ihrer Bescheidenheit kein Hehl machte: Raus Nachfolger Clement und Steinbrück ha- „Das liebste Amt ist mir das Bürgermeisteramt ben ihn unterschätzt. Perfekt die Überraschung, in Monheim…“ als Regina van Dinther den Präsidentenstuhl im Landtag einnehmen konnte, es war seit 1980 das Neue Farben erste Mal für die CDU und das erste Mal für die SPD seit 1966, dass sie die Opposition einnehmen musste. Staatsministerin a. D. Hannelore Kraft Dass die Grünen mit Sitz und Verstimmun- die Vorsitzende, – unvergesslich der sozialdemo- gen dem Landtag nicht schadeten, war ihrem kratische Oppositionsführer von 1962 bis 1966, versierten Politikus zu verdanken, nämlich Mi- „der CICERO“, wie Freunde Heinz Kühn wegen (CDU) chael Vesper, der zuvor in Bonn Joschka Fischer seiner brillanten Redekunst apostrophierten. half. Das Erscheinungsbild des Hohen Hauses Der Landtag im 60. Lebensjahr arbeitet allerdings mit einer exorbitanten Darbietung in schon wieder auf Hochtouren: 29 Gesetze be- jeder Plenarsitzung: Bajazzohaft gekleidet de- schlossen! Zuviel des Guten? An Danksagungen filierte der grüne Roland Appel im Plenarsaal. fehlt es nicht, aber übersehen werden die Spezi- Leise weinend nahm es der Landtag hin. Aus- alisten der Staatsverwaltung, „Nicht-Politiker“ * Horst-Werner Hartelt (78) war lang- jähriger landespolitischer Korrespondent weichend Patriarch Hans Ulrich Klose: „Kein wie Rietdorf, Rombach, Röver und andere. der Neuen Ruhr/Neuen Rhein Zeitung Blödmann“! Und Ulrich Schmidt nickte. Dank ihres administrativen Sachverstandes ha- in Düsseldorf und Funkkommentator. Die durch Rau vorgelebte Harmonie ver- ben sie in vielen Jahren viele Gesetze des Ge- 1973/74 erhielt er den renommierten wehte im Wind des Werte-Wandels. Ob Kalkar setzgebers vorbestimmt. Theodor-Wolff-Preis.

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