Regierungschefin Merkel Im Kanzleramt in Berlin: „Könnten Sie Uns Den Rotwein Bringen?“
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Regierungschefin Merkel im Kanzleramt in Berlin: „Könnten Sie uns den Rotwein bringen?“ 16 DER SPIEGEL 01 / 1/02 Deutschland Im Ka rtenhaus Karrieren Im zwölften Jahr ihrer Kanzlerschaft ist Angela Merkel fast ganz hinter ihrem Amt verschwunden. Im Wahlkampf gegen ihren Kontrahenten Martin Schulz könnte dies ihr größtes Problem werden. Von René Pfister und Britta Stuff rgendwann im Herbst vor zwölf Jahren „Angela, du bist so bescheiden, um dei - bekam Angela Merkel Besuch von nen Job nicht zu beneiden.“ IHandwerkern. Sie tauschten die Fens - Sie verzieht keine Miene. Sie setzt sich terscheiben in ihrer Wohnung aus, mit de - an ihren Platz, holt ihr Redemanuskript nen eigentlich alles in Ordnung war. Aber raus und kritzelt darin herum. Manchmal, weil sie gerade Kanzlerin geworden war, wenn die Leute im Saal über Kuhn lachen, brauchte sie neue, aus Panzerglas. Sie tarn - nickt sie mit dem Kopf und klatscht. ten sie als normale Altbaufenster. Alles Um kurz nach sechs tritt sie ans Pult sollte aussehen wie immer. und hält eine Rede, die ohne jeden Scherz Es ist seither etwas dunkler in ihrer auskommt. Sie spricht über die Türkei, Wohnung, sagen Fachleute, das ist der die Konjunktur und die Breitbandverka - Preis für den höheren Sicherheitsstandard. belung auf dem Land. Nach 22 Minuten Aber es könnte nun jemand mit einer Waf - ist sie fertig, niemand hat gelacht, es gab fe auf dem Dach des nahe gelegenen Per - auch nichts zu lachen. Kuhn sagt noch, gamonmuseums stehen, die Kanzlerin dass sich Merkel natürlich ein bisschen wäre sicher. Zeit nehmen werde für die Parteifreunde, Man muss sich als Kanzler daran gewöh - aber da ist sie schon auf dem Weg zum nen, hinter dickem Glas zu leben, nicht Ausgang. Sie winkt noch einmal, dann nur in der Wohnung. verschwindet sie hinter der dunklen Wand „Ich denke an dichte Fenster“, sagte ihrer Sicherheitsleute, und als sie weg ist, Merkel vor ein paar Jahren, als sie gefragt hat man das Gefühl, dass sie nicht wirklich wurde, was sie mit Deutschland verbinde. da war. „Kein anderes Land kann so dichte und Als hätte jemand aus der CDU einen so schöne Fenster bauen.“ dieser lebensgroßen Pappaufsteller ge - Vielleicht, sagt einer, der sie kennt, habe schickt, neben denen man sich im Wahl - das alles mal mit Fenstern angefangen. kampf fotografieren lassen kann, und ge - Aber zwischen ihr und der Welt sei längst dacht: merkt keiner. mehr. Mindestens eine Wand. Im Laufe jeder Kanzlerschaft spürt man irgendwann eine Fremdheit zwischen Volk und Amtsinhaber. Es ist, als würden die Kontrolle Stärken des Kanzlers plötzlich zu Schwä - An einem Mittwoch Anfang März kommt chen werden. Niemand regierte die Bun - sie gerade so rechtzeitig, dass es nicht un - desrepublik länger als Helmut Kohl, aber höflich wirkt. Der Europaabgeordnete am Ende seiner 16-jährigen Amtszeit wirk - Werner Kuhn hat mit seiner Rede schon te er mit seiner Strickjacke wie aus der begonnen. Sie weiß, was sie erwartet, sie Zeit gefallen. Gerhard Schröder verstörte ist inzwischen zum 19. Mal in Demmin seine Wähler, weil er als Sozialdemokrat beim politischen Aschermittwoch, und das Land reformierte wie kein Kanzler zu - Werner Kuhn hat bisher immer die Rede vor. Noch heute ist diese Distanz zu spü - vor ihr gehalten. ren, wenn die Rede auf die Agenda 2010 Er sagt: kommt. „Der Tag erwacht, die Sonne lacht, das Angela Merkels wichtigstes politisches hat die CDU gemacht.“ Instrument war immer Kontrolle, sagt L E I Kuhn trägt einen Zylinder, eine Fliege jemand aus ihrem Kreis. Wie man im H T N und einen etwas zu kurzen Frack. Ach - Labor die Raumtemperatur konstant hal - A I T S I tung, lustig, soll das heißen. Als die ten und die exakte Dosierung beachten R H C Hauptperson endlich den Saal betritt, muss, so kontrolliert Merkel ihre Worte, sagt er: ihre Emotionen, ihr Umfeld. Ihre Konstanz DER SPIEGEL 01 / 1/02 17 Merkel mag Sicherheit. Vielleicht hat sie auch deshalb ihren Alltag so lange unter Kontrolle gehabt. hatte immer etwas Klinisches, aber zu - de über die Jahre so selbstverständlich wie knapp vier Meter lang, leicht geschwungen gleich Beruhigendes. die Wohnung, in der man lebt, und das und mit blaugrauem Lack überzogen. Wenn man mit Merkel heute unterwegs Auto, mit dem man morgens zur Arbeit Schröder empfing seine Besucher gern so, ist, merkt man, dass sie es mit der Kon - fährt. Als sie sich im Jahr 2013 zum dritten dass der Schreibtisch zwischen ihnen trolle womöglich übertrieben hat. Dass es Mal um das Kanzleramt bewarb, bestand stand. Manchmal lehnte er sich zurück und fast unmöglich geworden ist, hinter der ihre Kampagne im Grunde aus einem Satz: zündete sich eine Zigarre an. Kanzlerfassade noch den echten Menschen „Sie kennen mich.“ Merkel hat den Besprechungstisch als zu erkennen. Im Sommer 2015, als mehr und mehr ihren Arbeitsplatz gewählt. Im ersten Ka - Flüchtlinge kamen, überraschte Merkel die binett spotteten manche SPD-Minister: s hat anders begonnen. Als sie 1990 Deutschen zum ersten Mal seit Langem, „Merkel sitzt am Katzentisch.“ Es kam ih - nach Bonn kam, sah man Angela manche im Guten, manche im Schlechten. nen vor, als traute sie sich nicht, Schröders EMerkel an, dass sie neu in der Politik Danach sah man genauer hin, und man Schreibtisch zu übernehmen. Als wollte war. Sie wollte sich nicht in diese Stadt fü - fragte sich, ob hinter den tausend Bildern sie sich sicherheitshalber lieber nicht so gen, in der die Damen betonierte Frisuren und Statements vielleicht jemand ist, den breitmachen, oben im Kartenhaus. trugen und die Herren karierte Sakkos. man gar nicht kennt. Merkel mag Sicherheit. Vielleicht hat sie Einmal, so erzählt jemand, da war sie Anfang September 2016 fliegt sie nach auch deshalb ihren Alltag so lange unter noch Frauen- und Jugendministerin, sollte China zum G-20-Gipfel. Merkel wäre lie - Kontrolle gehabt. Der Tag eines Kanzlers sie mit Helmut Kohl nach New York flie - ber zu Hause geblieben, weil an diesem ist ein Korsett, das so lange weiter zuge - gen. Sie kam in einem weiten Rock, Strick - Wochenende Wahl in Mecklenburg-Vor - schnürt wird, bis man Stopp sagt. Zu den strümpfen und Sandalen. Kohl soll gesagt pommern ist und die Umfragen in den Gremiensitzungen der Partei und den Be - haben: „So geht das nicht.“ Keller gerutscht sind. Aber der Gastgeber suchen bei den Ortsverbänden kommen die Merkels heutiges Aussehen entstand des Gipfels ist der chinesische Präsident Rücksprachen mit den Ministern, die Tref - nach und nach, im Ausschlussprinzip. Al - Xi Jinping, und der hat vermutlich noch fen mit dem Kabinett und die unzähligen les, was Aufsehen erregte, ließ sie bleiben. nie was von Mecklenburg-Vorpommern Anfragen für Reden und Grußworte, die Man muss sich diese Entwicklung als gehört. man nur dosiert absagen kann. Von Sigmar Kampf vorstellen: Will ich mir treu bleiben Am Abend, nach Terminen mit Recep Gabriel weiß man, dass er auch mal Termi - oder Erfolg haben? Tayyip Erdo ğan und Wladimir Putin, ne sausen lässt, wenn ihm alles zu viel wird. Noch als Umweltministerin ließ sie sich wählt sie eine Nummer in Deutschland. Merkel führt ihren Kalender wie ihre Poli - vor Fernsehauftritten nicht abpudern, zum Dort ist es kurz nach fünf Uhr nachmittags, tik: Sie zögert lange, bevor sie etwas zusagt. Leid ihrer Berater, die ihr sagten, sie sehe und alle Umfragen für Mecklenburg-Vor - Aber die Zusage steht. dann halt leider aus wie eine Leiche. pommern sagen, dass die CDU und die Als Merkel noch neu im Amt war, klin - Als Merkel prominenter wurde, stapel - AfD nahezu gleichauf liegen. Sie telefo - gelte an einem Sonntag das Handy von ten sich in der Parteizentrale Briefe von niert mit Horst Seehofer, der sie wegen ih - Ulrich Wilhelm, dem damaligen Regie - Imageberatern, die sich an ihr ausprobie - rer Flüchtlingspolitik angegriffen hat wie rungssprecher. „Sie sind jetzt mein 35. Te - ren wollten. Sie hat keinem geantwortet, sonst nur die Leute von der AfD. lefonat an diesem Wochenende“, sagte aber dass sie sich verändern muss, wenn Seehofers Laune schwankt zwischen Merkel. Es war keine Klage, eher eine ver - sie nicht immer wieder Thema von Stil - Genugtuung und Entsetzen. „Du, ich kann wunderte Feststellung. kolumnen sein will, hat sie verstanden. jetzt erst einmal gar nichts sagen. Ich bin Freude, sagt ein ehemaliger Minister, Männer tragen ihren Anzug wie eine geplättet“, sagt er. bereite die Macht erst am Abend, wenn Uniform. Es gibt Manager, die sich von Wenn es einen Moment gab, in dem al - der Druck des Tages weiche. dem gleichen Modell gleich zehn Stück les ins Rutschen kam, dann dieser. Alles Am Abend, wenn die mit Akten bewaff - kaufen, damit die Kleiderfrage ein für alle so lange unter Kontrolle – und nun das. nete Armee aus fast 600 Mitarbeitern nach Mal erledigt ist. Merkel hält das inzwi - Hause gegangen ist, zeigt sich die wahre schen ähnlich. Sie trägt meistens eine Größe des Kanzleramts. Der Wind rüttelt schwarze Hose und Blazer, die nur in der Der Abend wie einst Schröder am Haus, als wollte er Farbe variieren. Ihr erster Weg am Morgen Von außen sieht das Kanzleramt aus rein. Man geht allein durch lange Flure, im Kanzleramt führt zu ihrer persönlichen wie eine Burg und von innen wie ein und es würde einen nicht wundern, wenn Visagistin. „Sie legt ihre Maske auf“, heißt Karten haus, sagt einer, der viele Jahre die alten Kanzler aus ihren Bildern im das bei ihren Leuten. dort ge arbeitet hat. Die Büros sind über - ersten Stock sprängen, um kettenrasselnd Danach fühle sie sich für den Tag ge - einandergeschachtelt, in jedem kleinen durch die Gänge zu ziehen. rüstet. Schächtelchen sitzt jemand. Es ist meist Gegen so ein Gefühl hilft Gesellschaft. Merkel ist die meistfotografierte Frau still, nur manchmal weht der Wind „Toch - Im Frühjahr 2006 bittet Merkel Jürgen Deutschlands und hat in den vergangenen ter Zion“ in die Schächtelchen, gespielt Klinsmann, Oliver Bierhoff und Franz Be - zwölf Jahren etwas geschafft, was sonst von einer Blaskapelle.