Regierungschefin Merkel im Kanzleramt in Berlin: „Könnten Sie uns den Rotwein bringen?“

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Im Ka rtenhaus Karrieren Im zwölften Jahr ihrer Kanzlerschaft ist fast ganz hinter ihrem Amt verschwunden. Im Wahlkampf gegen ihren Kontrahenten könnte dies ihr größtes Problem werden. Von René Pfister und Britta Stuff

rgendwann im Herbst vor zwölf Jahren „Angela, du bist so bescheiden, um dei - bekam Angela Merkel Besuch von nen Job nicht zu beneiden.“ IHandwerkern. Sie tauschten die Fens - Sie verzieht keine Miene. Sie setzt sich terscheiben in ihrer Wohnung aus, mit de - an ihren Platz, holt ihr Redemanuskript nen eigentlich alles in Ordnung war. Aber raus und kritzelt darin herum. Manchmal, weil sie gerade Kanzlerin geworden war, wenn die Leute im Saal über Kuhn lachen, brauchte sie neue, aus Panzerglas. Sie tarn - nickt sie mit dem Kopf und klatscht. ten sie als normale Altbaufenster. Alles Um kurz nach sechs tritt sie ans Pult sollte aussehen wie immer. und hält eine Rede, die ohne jeden Scherz Es ist seither etwas dunkler in ihrer auskommt. Sie spricht über die Türkei, Wohnung, sagen Fachleute, das ist der die Konjunktur und die Breitbandverka - Preis für den höheren Sicherheitsstandard. belung auf dem Land. Nach 22 Minuten Aber es könnte nun jemand mit einer Waf - ist sie fertig, niemand hat gelacht, es gab fe auf dem Dach des nahe gelegenen Per - auch nichts zu lachen. Kuhn sagt noch, gamonmuseums stehen, die Kanzlerin dass sich Merkel natürlich ein bisschen wäre sicher. Zeit nehmen werde für die Parteifreunde, Man muss sich als Kanzler daran gewöh - aber da ist sie schon auf dem Weg zum nen, hinter dickem Glas zu leben, nicht Ausgang. Sie winkt noch einmal, dann nur in der Wohnung. verschwindet sie hinter der dunklen Wand „Ich denke an dichte Fenster“, sagte ihrer Sicherheitsleute, und als sie weg ist, Merkel vor ein paar Jahren, als sie gefragt hat man das Gefühl, dass sie nicht wirklich wurde, was sie mit Deutschland verbinde. da war. „Kein anderes Land kann so dichte und Als hätte jemand aus der CDU einen so schöne Fenster bauen.“ dieser lebensgroßen Pappaufsteller ge - Vielleicht, sagt einer, der sie kennt, habe schickt, neben denen man sich im Wahl - das alles mal mit Fenstern angefangen. kampf fotografieren lassen kann, und ge - Aber zwischen ihr und der Welt sei längst dacht: merkt keiner. mehr. Mindestens eine Wand. Im Laufe jeder Kanzlerschaft spürt man irgendwann eine Fremdheit zwischen Volk und Amtsinhaber. Es ist, als würden die Kontrolle Stärken des Kanzlers plötzlich zu Schwä - An einem Mittwoch Anfang März kommt chen werden. Niemand regierte die Bun - sie gerade so rechtzeitig, dass es nicht un - desrepublik länger als , aber höflich wirkt. Der Europaabgeordnete am Ende seiner 16-jährigen Amtszeit wirk - hat mit seiner Rede schon te er mit seiner Strickjacke wie aus der begonnen. Sie weiß, was sie erwartet, sie Zeit gefallen. Gerhard Schröder verstörte ist inzwischen zum 19. Mal in Demmin seine Wähler, weil er als Sozialdemokrat beim politischen Aschermittwoch, und das Land reformierte wie kein Kanzler zu - Werner Kuhn hat bisher immer die Rede vor. Noch heute ist diese Distanz zu spü - vor ihr gehalten. ren, wenn die Rede auf die Agenda 2010 Er sagt: kommt. „Der Tag erwacht, die Sonne lacht, das Angela Merkels wichtigstes politisches hat die CDU gemacht.“ Instrument war immer Kontrolle, sagt L E

I Kuhn trägt einen Zylinder, eine Fliege jemand aus ihrem Kreis. Wie man im H T

N und einen etwas zu kurzen Frack. Ach - Labor die Raumtemperatur konstant hal - A I T S

I tung, lustig, soll das heißen. Als die ten und die exakte Dosierung beachten R H

C Hauptperson endlich den Saal betritt, muss, so kontrolliert Merkel ihre Worte, sagt er: ihre Emotionen, ihr Umfeld. Ihre Konstanz

DER SPIEGEL 01 / 1/02 17 Merkel mag Sicherheit. Vielleicht hat sie auch deshalb ihren Alltag so lange unter Kontrolle gehabt. hatte immer etwas Klinisches, aber zu - de über die Jahre so selbstverständlich wie knapp vier Meter lang, leicht geschwungen gleich Beruhigendes. die Wohnung, in der man lebt, und das und mit blaugrauem Lack überzogen. Wenn man mit Merkel heute unterwegs Auto, mit dem man morgens zur Arbeit Schröder empfing seine Besucher gern so, ist, merkt man, dass sie es mit der Kon - fährt. Als sie sich im Jahr 2013 zum dritten dass der Schreibtisch zwischen ihnen trolle womöglich übertrieben hat. Dass es Mal um das Kanzleramt bewarb, bestand stand. Manchmal lehnte er sich zurück und fast unmöglich geworden ist, hinter der ihre Kampagne im Grunde aus einem Satz: zündete sich eine Zigarre an. Kanzlerfassade noch den echten Menschen „Sie kennen mich.“ Merkel hat den Besprechungstisch als zu erkennen. Im Sommer 2015, als mehr und mehr ihren Arbeitsplatz gewählt. Im ersten Ka - Flüchtlinge kamen, überraschte Merkel die binett spotteten manche SPD-Minister: s hat anders begonnen. Als sie 1990 Deutschen zum ersten Mal seit Langem, „Merkel sitzt am Katzentisch.“ Es kam ih - nach Bonn kam, sah man Angela manche im Guten, manche im Schlechten. nen vor, als traute sie sich nicht, Schröders EMerkel an, dass sie neu in der Politik Danach sah man genauer hin, und man Schreibtisch zu übernehmen. Als wollte war. Sie wollte sich nicht in diese Stadt fü - fragte sich, ob hinter den tausend Bildern sie sich sicherheitshalber lieber nicht so gen, in der die Damen betonierte Frisuren und Statements vielleicht jemand ist, den breitmachen, oben im Kartenhaus. trugen und die Herren karierte Sakkos. man gar nicht kennt. Merkel mag Sicherheit. Vielleicht hat sie Einmal, so erzählt jemand, da war sie Anfang September 2016 fliegt sie nach auch deshalb ihren Alltag so lange unter noch Frauen- und Jugendministerin, sollte China zum G-20-Gipfel. Merkel wäre lie - Kontrolle gehabt. Der Tag eines Kanzlers sie mit Helmut Kohl nach New York flie - ber zu Hause geblieben, weil an diesem ist ein Korsett, das so lange weiter zuge - gen. Sie kam in einem weiten Rock, Strick - Wochenende Wahl in Mecklenburg-Vor - schnürt wird, bis man Stopp sagt. Zu den strümpfen und Sandalen. Kohl soll gesagt pommern ist und die Umfragen in den Gremiensitzungen der Partei und den Be - haben: „So geht das nicht.“ Keller gerutscht sind. Aber der Gastgeber suchen bei den Ortsverbänden kommen die Merkels heutiges Aussehen entstand des Gipfels ist der chinesische Präsident Rücksprachen mit den Ministern, die Tref - nach und nach, im Ausschlussprinzip. Al - Xi Jinping, und der hat vermutlich noch fen mit dem Kabinett und die unzähligen les, was Aufsehen erregte, ließ sie bleiben. nie was von Mecklenburg-Vorpommern Anfragen für Reden und Grußworte, die Man muss sich diese Entwicklung als gehört. man nur dosiert absagen kann. Von Sigmar Kampf vorstellen: Will ich mir treu bleiben Am Abend, nach Terminen mit Recep Gabriel weiß man, dass er auch mal Termi - oder Erfolg haben? Tayyip Erdo ğan und Wladimir Putin, ne sausen lässt, wenn ihm alles zu viel wird. Noch als Umweltministerin ließ sie sich wählt sie eine Nummer in Deutschland. Merkel führt ihren Kalender wie ihre Poli - vor Fernsehauftritten nicht abpudern, zum Dort ist es kurz nach fünf Uhr nachmittags, tik: Sie zögert lange, bevor sie etwas zusagt. Leid ihrer Berater, die ihr sagten, sie sehe und alle Umfragen für Mecklenburg-Vor - Aber die Zusage steht. dann halt leider aus wie eine Leiche. pommern sagen, dass die CDU und die Als Merkel noch neu im Amt war, klin - Als Merkel prominenter wurde, stapel - AfD nahezu gleichauf liegen. Sie telefo - gelte an einem Sonntag das Handy von ten sich in der Parteizentrale Briefe von niert mit , der sie wegen ih - Ulrich Wilhelm, dem damaligen Regie - Imageberatern, die sich an ihr ausprobie - rer Flüchtlingspolitik angegriffen hat wie rungssprecher. „Sie sind jetzt mein 35. Te - ren wollten. Sie hat keinem geantwortet, sonst nur die Leute von der AfD. lefonat an diesem Wochenende“, sagte aber dass sie sich verändern muss, wenn Seehofers Laune schwankt zwischen Merkel. Es war keine Klage, eher eine ver - sie nicht immer wieder Thema von Stil- Genugtuung und Entsetzen. „Du, ich kann wunderte Feststellung. kolumnen sein will, hat sie verstanden. jetzt erst einmal gar nichts sagen. Ich bin Freude, sagt ein ehemaliger Minister, Männer tragen ihren Anzug wie eine geplättet“, sagt er. bereite die Macht erst am Abend, wenn Uniform. Es gibt Manager, die sich von Wenn es einen Moment gab, in dem al - der Druck des Tages weiche. dem gleichen Modell gleich zehn Stück les ins Rutschen kam, dann dieser. Alles Am Abend, wenn die mit Akten bewaff - kaufen, damit die Kleiderfrage ein für alle so lange unter Kontrolle – und nun das. nete Armee aus fast 600 Mitarbeitern nach Mal erledigt ist. Merkel hält das inzwi - Hause gegangen ist, zeigt sich die wahre schen ähnlich. Sie trägt meistens eine Größe des Kanzleramts. Der Wind rüttelt schwarze Hose und Blazer, die nur in der Der Abend wie einst Schröder am Haus, als wollte er Farbe variieren. Ihr erster Weg am Morgen Von außen sieht das Kanzleramt aus rein. Man geht allein durch lange Flure, im Kanzleramt führt zu ihrer persönlichen wie eine Burg und von innen wie ein und es würde einen nicht wundern, wenn Visagistin. „Sie legt ihre Maske auf“, heißt Karten haus, sagt einer, der viele Jahre die alten Kanzler aus ihren Bildern im das bei ihren Leuten. dort ge arbeitet hat. Die Büros sind über - ersten Stock sprängen, um kettenrasselnd Danach fühle sie sich für den Tag ge - einandergeschachtelt, in jedem kleinen durch die Gänge zu ziehen. rüstet. Schächtelchen sitzt jemand. Es ist meist Gegen so ein Gefühl hilft Gesellschaft. Merkel ist die meistfotografierte Frau still, nur manchmal weht der Wind „Toch - Im Frühjahr 2006 bittet Merkel Jürgen Deutschlands und hat in den vergangenen ter Zion“ in die Schächtelchen, gespielt Klinsmann, Oliver Bierhoff und Franz Be - zwölf Jahren etwas geschafft, was sonst von einer Blaskapelle. Dann weiß man, ckenbauer ins Kanzleramt. Es sind Freun - nur der Queen gelang: Sie sieht auf allen bald ist Weihnachten und wieder ein de von Schröder und Fremde für Merkel. Bildern gleich aus. Nichts löst mehr Irrita - Jahr vorbei. Bald steht die Weltmeisterschaft an. tion aus. Nicht ihr Aussehen, nicht ihre Oben, im siebten Stock, ist Merkels Ob ein Essen im Kanzleramt gelingt, er - Grußworte, nicht ihre Neujahrsanspra - Büro. Als sie dort einzog, hat sie ein Bild kennt man nach dem Dessert. An diesem chen, die man sich am Stück ansehen von Konrad Adenauer aufhängen lassen, Abend, so erzählt einer, der dabei war, kann, ohne eine Ahnung davon zu bekom - Schröders Schreibtisch durfte bleiben. Ge - beginnen die Männer nach dem Nachtisch, men, welches Jahr gerade ist. Merkel wur - wöhnen konnte sie sich an ihn nie. Er ist unruhig zu werden.

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Merkel sagt: „Herr Beckenbauer, was würden Sie jetzt machen, wenn Schröder noch hier wäre?“ Beckenbauer: „Dann würden wir jetzt eine Zigarre kommen lassen.“ Merkel: „Könnten wir Herrn Becken - bauer eine Zigarre kommen lassen? Was würden Sie noch machen?“ Beckenbauer: „Wir würden eine schöne Flasche Rotwein vom Chirac öffnen.“ Merkel: „Könnten Sie uns den Rotwein bringen?“ Als die Zigarre angesteckt und die Fla - sche geöffnet war, entspannte sich die Run - de. Es wurde ein Abend, an dem Merkel Schröders Freunde für sich einnehmen konnte. Anfangs füllten sich die Abende von selbst mit Leben. Als Schröder abgewählt war, besetzte die Union den Regierungssitz wie einst verlorenes Land. Jeder CDU-Ab -

L geordnete wollte einer Delegation aus dem E G E I Wahlkreis endlich das eroberte Gebäude P S

R präsentieren. Als Kanzler kann man ein - E D

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Z laden, wen man will, er wird kommen. U E

R Merkel richtete Abendessen für Schau - K T S

O spieler und Künstler aus, für Kardinal

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S Walter Kasper, für „Focus“-Chefredakteur S I E W

Helmut Markwort. E C I

R Schriebe ein Soziologe eine Arbeit mit U A

M dem Titel „Was für Menschen waren Deutschlands Kanzler?“, würde er in der Nacht fündig werden. Willy Brandt versuchte, seine Depres - sion zu verscheuchen. Einmal sagte er ei - nem Parteifreund über eine besonders schwere Nacht: „Wenn ich einen Revolver gehabt hätte, hätte ich mich erschossen!“ Kurt Georg Kiesinger stieg um vier Uhr nachts aus seinem Bett, um die Beschwer - nisse des Tages in Gedichte zu gießen. Helmut Kohl verachtete den Bonner Kanzlerbungalow. Die 3600 Mark Miete im Monat seien „sehr teuer“, die Räume zu klein. Er ließ eine bombastische Licht - anlage installieren, in deren Schein er abends seine Berater versammelte, damit sie ihm Stichworte geben konnten für Geschichten, die alle schon auswendig kannten. Gerhard Schröder, der erste Kanzler im neuen Berliner Kanzlerbau, mietete die Kanzlerwohnung im achten Stock für etwa 500 Euro. Die Wohnung hat einen großen Repräsentationsbereich und ein kleines Schlafzimmer. Vier bis fünf Nächte pro Woche verbrachte Schröder dort. Schröder hatte morgens schlechte Laune und lief abends zur Höchstform auf. Er Z U E

R lud gern Leute ein, um die Einsamkeit zu K T S verscheuchen. Die Rothschilds kamen zum O

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S Essen, und manchmal hörte man aus dem S I E W

obersten Stockwerk Männer laut fluchen: E C I

R Schröder, der Maler Markus Lüpertz, der U A

M Manager Jürgen Großmann und Innen - CDU-Vorsitzende Merkel*, Kabinettstisch mit Kanzlerglocke Tag wie ein Korsett * Beim politischen Aschermittwoch in Demmin.

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minister saßen im Dämmer - ein Wendepunkt war. Ackermanns Plau - diskutiert, ob sie weitermachen solle. Er licht mit gelockerter Krawatte und klopp - derei hat die Unschuld aus den Abenden gibt einem das Gefühl, dass jede Frage die ten Skat. vertrieben. Merkel musste beginnen, die Aufforderung zum Verrat sei. Am Ende, In Merkels Amtszeit wurden die Aben - Abende zu kontrollieren wie die Tage. Sie als er sich schon zum Gehen wendet, sagt de zum ersten Mal für einen Kanzler ein wurden stiller. er, einen Satz über Merkel dürfe man doch öffentliches Problem. zitieren: „Angela Merkel ist eine Frau mit Am 22. April 2008 feiert Josef Acker - einem großen Pflichtbewusstsein.“ mann, der Chef der Deutschen Bank, im Das Misstrauen Wenn man zehn Menschen fragt, die Kanzleramt seinen 60. Geburtstag nach. Das Vier Jahreszeiten in Hamburg ist ein Angela Merkel kennen, ob sie über sie re - Merkel lässt ihn Teile der Gästeliste be - Ort, der zu Klaus von Dohnanyi passt. Der den möchten, sagen sieben sofort Nein, stimmen. Das macht sie manchmal, um Holzboden ist schwarz-weiß gemustert, die ohne überhaupt die Fragen zu kennen. Sie mit Menschen in Kontakt zu kommen, die Wände sind vertäfelt, man sitzt an Tischen sagen, dass sie in den nächsten Monaten sie sonst nicht treffen würde. Ackermann mit gestärkten Decken und blickt auf die keinen einzigen freien Termin hätten. lässt den Bankier Friedrich von Metzler, Alster. Manche behaupten, sie nie persönlich ge - „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann und Dohnanyi war Staatssekretär, Bundes - troffen zu haben. Andere sagen, dass sie den Moderator Frank Elstner auf die Liste minister, Erster Bürgermeister von Ham - Angst vor ihr hätten. setzen. Ackermann ist zu dieser Zeit einer burg. Er ist einer der engsten Freunde Angst? der wichtigsten Manager des Landes und Merkels, sie feiern zusammen Silvester. Er Ist Angst nicht ein etwas großes Wort? ein Freund der Kanzlerin. und seine Frau, die Schriftstellerin Ulla Im Gegenteil, sagt einer der zahlreichen Es war ein ruhiger Abend im Kanzler - Hahn, sind wie Merkel und ihr Mann Joa - Namenlosen. Bei Merkel sei es wie von amt. Kein Vergleich zu Ackermanns eige - chim Sauer Opernliebhaber. Dohnanyi ist Hugo von Hofmannsthal beschrieben: „Sie ner Party, bei der Udo Jürgens sang und 88 Jahre alt und immer noch scharfsinnig. kann töten, ohne zu berühren.“ bis zum Morgen gefeiert wurde. Bei dem Er spricht gern über Politik, man kann mit Merkel kaufte ihre Blazer lange bei der Essen gab es nur einen kleinen Aufreger: ihm über Trump reden, über den Zustand Berliner Designerin Anna von Griesheim. Ein Gast hatte kurz zuvor geheiratet und der SPD, über Putin. Er kann sehr un- Nachdem sie Kanzlerin wurde, tauchten soll Merkel leicht beleidigt gefragt haben, gnädig werden, wenn man nicht bereit ist, immer mehr Artikel auf, für die Griesheim warum seine Frau nicht eingeladen worden seinen Argumenten zu folgen. harmlose Zitate geliefert hatte. Merkel sei. „Mein Mann ist ja auch nicht da“, habe Es ist nicht ganz leicht, einen Mann, der ärgerte sich darüber. „Griesheim flog, Merkel erwidert, erinnert sich ein Teilneh - so hanseatisch auftritt wie Dohnanyi, nach weil sie zu viel gequatscht hat“, heißt es mer der Runde. seiner Freundschaft mit der Kanzlerin zu in Merkels Umfeld. Heute kauft sie lieber Gut ein Jahr später, am 11. August 2009, fragen. Er rede mit Merkel selten über bei der Hamburger Designerin Bettina lief im ZDF die Dokumentation „Kanzle - Poli tik, er habe mit ihr auch nicht darüber Schoenbach. rin Merkel“. Sie sprach dort über sich, was sie sonst nur dosiert tut, aber es war gerade Wahlkampf. In dem Beitrag tauchte auch Ackermann auf. Er sagte, stolz lächelnd: „Sie hat mir da - mals gesagt, sie würde gern etwas für mich tun. Ich solle doch einmal etwa 30 Freunde und Freundinnen einladen, aus Deutsch - land und der Welt, mit denen ich gerne einen Abend zusammen sein würde, im Kanzleramt. Und ich muss Ihnen sagen, es war ein wunderschöner Abend.“ Es waren nur drei Sätze, aber sie be - stimmten die folgenden Wochen. Merkel habe Ackermann eine „Geburtstagsfeier auf Staatskosten“ spendiert, titelte eine Zei - tung. Wochenlang schrieben Medien über den Steuerzahler, der Ackermann und seine Freunde durchfüttern müsse. Die Finanz - krise war gerade erst durchgestanden und der Ruf der Banker angeschlagen. Merkel verteidigte sich. Es habe sich nicht um eine Geburtstagsparty gehandelt, sondern um ein „Abendessen im Umfeld des Geburts - tags“. Es half ihr nichts. Der Foodwatch- Gründer Thilo Bode und eine Rechtsanwäl - tin klagten erfolgreich, das Kanzleramt musste später die Gästeliste und die Tisch - Z U E

ordnung des Abends herausgeben, darüber R K T hinaus die Rede der Kanzlerin und die S O

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Rechnung über den Kauf der Zutaten: S S I E W

Kalbsrücken für 138,27 Euro, Spargel für E C I

303,20 Euro, Erdbeeren für 20,96 Euro. R U A

Wenn man mit Vertrauten Merkels M spricht, wird einem klar, dass dieses Essen Treppenaufgang im Kanzleramt: Außen eine Burg, innen ein Kartenhaus

20 DER SPIEGEL 01 / 1/02 Wer aus vertraulicher Runde spricht, wird es bereuen. Sie wird sich einfach zurückziehen.

Josef Ackermann war nicht mehr zu Klaus von Dohnanyi, der Sänger Wolf „Das ist immer das Dilemma“, sagt er Gast bei Merkel, nachdem er mit seiner Biermann. noch. „Wie hört man auf?“ Nähe zur Kanzlerin geprahlt hatte. Wenn Wolfgang Schäuble über Merkel Als der Journalist Mainhardt Graf von redet, zuckt er mit den Schultern und sagt: Die Nacht Nayhauß 2006 zum ersten Mal über Mer - Sie ist halt so. Er hat sich immer eine kri - kels Visagistin berichtete, war bei der tische Distanz zu ihr bewahrt, auch wenn Es gibt Menschen, die sie nicht loswird, nächsten Auslandsreise kein Platz mehr er die Dinge nie auf die Spitze getrieben mit denen sie sich arrangieren muss. Horst für ihn im Kanzlerjet frei. hat. Bevor sie erklärte, dass sie noch ein - Seehofer sitzt an einem Tisch mit Blick Manche versuchen, sich die Erlaubnis mal antreten werde, besprach sie sich auch auf das Regierungsviertel. Er sagt: „Sie zu holen, mehr zu sagen. Wenn sie im mit ihm. „Ich habe ihr gesagt, Sie müssen will natürlich nicht, dass ich über Dinge Kanzleramt nachfragen, ob sie eine private das machen.“ Aber er hatte nicht den Ein - spreche, die wir untereinander besprochen Anekdote preisgeben dürfen, bekommen druck, dass das noch wichtig war. Sie war haben.“ Einmal habe sie ihm gesagt: „Muss sie eine Mail: „Das schätzt sie nicht.“ ohnehin schon entschieden. das sein, immer mit den Medien reden?“ Wer doch plaudert, kommt nicht wieder „Ich bin kein enger Vertrauter“, sagt Angela Merkel und Horst Seehofer an Merkel ran. Man darf sie in der Flücht - Schäuble. Sie kennen sich jetzt seit über brauchen einander, der eine würde ohne lingskrise kritisieren, man darf ihre Euro - 25 Jahren und siezen sich noch immer. den anderen untergehen. Seehofer ist nach politik angreifen, das sieht sie zwar nicht Schäuble sagt, er duze sich nur noch mit langen Verhandlungsnächten im Kanzler - gern, aber es rechtfertigt noch keinen Aus - Leuten aus seiner Generation, und Merkel amt oft der letzte Gast. Er fährt dann mit schluss aus ihrem Kreis. Wer aber aus ver - sei eben über zehn Jahre jünger als er. Merkel im Fahrstuhl nach unten, manch - traulicher Runde spricht, wird es bereuen. Schäuble hat schon dem späten Kohl die mal lästern sie noch ein bisschen, dann Sie wird sich einfach zurückziehen. Meinung gesagt. Er ist jetzt 74 Jahre alt verabschieden sie sich, per Handschlag. Geblieben sind ein paar wenige, die sich und will sich nicht mehr ändern. „Ich bin Nur einmal habe sie ihn umarmt, nach der an die Regeln halten. Fraktionschef Volker eher kritisch, und im engeren Umfeld er - gewonnenen Wahl 2013. Ob sie Freunde Kauder, Kanzleramtsminister Peter Alt - fährt sie ja wenig Widerstand“, sagt er. sind? Seehofer überlegt. maier, die Medienberaterin Eva Christian - Wie es eben oft so ist, wenn man schon Es gibt eine Geschichte, die ihr Verhält - sen, ihre Büroleiterin Beate Baumann, lange an der Macht ist. nis besser beschreibt als das Wort Freunde. Vor anderthalb Jahren, die Flüchtlingskrise fand gerade ihren Höhepunkt, schickte er ihr nachts um drei eine SMS. Da stand, dass er nicht schlafen könne angesichts dieser Krise, dass er sich große Sorgen ma - che. Die Kanzlerin antwortete morgens um sechs. Sie mache sich auch große Sor - gen. Im Übrigen habe sie seine SMS schon um drei gesehen, aber erst am Morgen ant - worten wollen. Bei Shakespeare können die Könige nicht schlafen, aus Sorge, dass das Reich zerfällt oder die Feinde sie stürzen. Stalin ließ sein Büro nicht dunkel werden. „Im Kreml brennt noch Licht“ bedeutete: Stalin arbeitet immer, er braucht keinen Schlaf, er ist nicht von dieser Welt. Die Konkurrenz der Mächtigen darum, wer weniger Schlaf braucht, gibt es seit Ewig - keiten. Tony Blair sagte Merkel einmal, Politi - ker stürzten manchmal, weil ihnen in der Krise die entscheidenden zwei Stunden Schlaf fehlten.

L Viele Politiker geben in Interviews E G E I damit an, dass sie mit wenig Schlaf aus - P S

R kämen. In Amerika hat der Präsident so E D

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Z gut wie keine Abendtermine, dennoch sag - U E

R te Obama immer, dass er nur fünf Stunden K T S

O schlafe. Es scheint, als wäre Schlaflosigkeit

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S ein anderes Wort für Disziplin. S I E W

Merkel sei ein „Nachttier“, sagt jemand, E C I

R der oft bei langen Verhandlungsnächten U A

M im Kanzleramt dabei ist. Er sagt: „Sie gibt Uckermark-Landschaft: Wo Frau Merkel mal Frau Merkel sein darf nie als Erste auf.“ Bei Koalitionsverhand -

DER SPIEGEL 01 / 1/02 21 lungen wolle Gabriel meist früh zurück nach Goslar. Ein wenig später sage manchmal: „Das war ein harter Tag, wollen wir Schluss machen?“ Von Merkel ist so etwas nicht überliefert. Kein anderer Kanzler hat so viele Näch - te durchverhandelt. Es gibt Fotos aus der Nacht der Opel-Rettung im Mai 2009: Fiat-Chef Sergio Marchionne, der müde abwinkt, der rauchende Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Merkel mit ei - nem Glas Rotwein. In Minsk suchten die Verhandler 2015 einen Ausweg aus der Ukrainekrise. Es dauerte 17 Stunden, bis Merkel, Putin, Poro schenko und Hollande eine Waffen - ruhe vereinbaren konnten. Nächte sind Wettkämpfe. Wer zu Bett geht, kann sich auch gleich mitten auf einem Schlachtfeld hinlegen. Merkel hat in den vergangenen Jahren nur einmal den Fehler gemacht, zu früh ins Bett zu gehen. Am 28. Juni 2012 treffen sich im Brüsseler Ratsgebäude die Staats- und Regierungschefs Europas. An diesem Abend wird der Zugang zum Euro- N O P

I rettungsfonds verhandelt. Italiens und Spa -

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S niens Ministerpräsidenten Mario Monti S E N

O und Mariano Rajoy wollen leichter an das B

N

A Geld kommen, Merkel möchte das verhin - F E T

S dern. Nach 15 Stunden Verhandlung geht Merkel mit der Überzeugung aus dem Raum, sie habe einen guten Kompromiss gefunden. Sie fährt in ihr Hotel in der Brüsseler Altstadt und legt sich hin. Monti dagegen stellt sich vor die Presse. Er habe Großes für Italien erreicht. Als Merkel am nächsten Morgen auf - wacht, hat sich bereits die Deutung durch - gesetzt, dass Deutschland über den Tisch gezogen worden sei. Danach ist Merkel in Brüssel nie mehr zu Bett gegangen, ohne vorher noch ein - mal vor die Presse getreten zu sein. Die Fluchten Wo immer Merkel war, bleibt ein Teil von ihr zurück, wie ein Fingerabdruck. Jedes Restaurant, in dem sie mal war, hat eine neue Zeitrechnung: T. n. M., Tage nach Merkel. Der Wirt des Cassambalis nahe dem Ku’damm sagt, sie sei vor zehn Tagen da gewesen. Er glaubt, mit Kauder. Im Bor -

L chardt sah man sie vor ein paar Wochen E G E I mit dem kanadischen Premierminister P S

R Justin Trudeau. E D

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Z „Sie verlässt das Kanzleramt gern, sie U E

R will auch mal ein normales Leben“, sagt K T S

O eine Mitarbeiterin.

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S Was heißt das, normal? S I E W

An einem Tag im Frühsommer 2013 will E C I

R Angela Merkel nur im Publikum sitzen. U A

M Im Deutschen Theater in Berlin liest der Gesprächspartner Gabriel, Merkel, Merkels Lieblingsplatz im Restaurant Cassambalis Schauspieler Ulrich Matthes am Abend Sie geht nie als Erste Schiller-Balladen. An diesem Abend ist

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der Saal beinahe voll besetzt, als in letzter J oachim Sauer ein Bügelbrett in seinem planen, dass sie am Abend zu Hause sein Minute die Kanzlerin mit Joachim Sauer alten Auto, was sofort als Hinweis dafür kann. Merkel schläft gern in ihrem eige - reinschlüpft. Menschen, die dabei waren, galt, er ziehe aus. Merkel könne darüber nem Bett, wie die meisten Mächtigen, und erzählen später, wie nach und nach die lachen, was das wohl für ein Mann sein weil das Flugzeug immer wartet, seit sie Nachricht durch die Reihen geht, wie im - muss, der mit seinem Bügelbrett von zu Kanzlerin ist, lässt sich das meist ein- mer, wenn ein Star den Raum betritt. Hause ausziehe. richten. Ist sie das? Das ist sie doch. Ist das ihr Sie erzählen von Merkels Verlust der Angela Merkel war darüber erstaunt, Mann? Privatsphäre. Ihr Terminkalender habe nur dass Martin Schulz plötzlich einen solchen Matthes bittet bei solchen Abenden gern einen halben Tag Trauer für ihren Vater Erfolg hat. Wenn man sie nach seinem Leute nach vorn, um ein paar Zeilen vor - zugelassen. Talent fragt, die Menschen anzusprechen, zutragen: Ihre Wohnung sei neben ihrer Datsche antwortet sie nicht direkt. in der Uckermark der „einzige Ort, an dem Sie habe in ihrer Jugend viel darüber Und nimmt aus einem schwarzen Frau Merkel Frau Merkel sein kann“, sagt nachgedacht, wer sie eigentlich sein wolle. Becken / Noch blutig, zu der eine Freundin. Es gibt nur wenige Men - Sie habe davon geträumt, Balletttänzerin Beiden Schrecken / Ein wohl - schen, die mal bei ihr zu Hause eingeladen zu werden oder Turnerin. Aber irgend - bekanntes Haupt empor. waren. Wolfgang Schäuble war nie da, wann habe sie erkannt, wo ihre Talente auch nicht ihr ehemaliger Generalsekretär lägen und wo nicht. An diesem Abend findet er nur mit Not Hermann Gröhe, nicht mal ihr Sprecher Ich bin, wie ich bin, soll das wohl hei - jemanden, der auf die Bühne will. Die An - Steffen Seibert. ßen. wesenheit Merkels lässt das Publikum ver - Wer da war, sagt, sie und ihr Mann Ihre Leute warnen, sie möge es nicht, zagen. lebten ganz und gar unprätentiös, wie wenn allzu viel in sie reininterpretiert Sie mag es nicht, wenn Menschen in ih - Studenten. werde. rer Gegenwart befangen sind. Das ist nur Die Geschichten, die die Freunde von „Sie will sich einfach schützen“, sagt einer der vielen Ansprüche an ihre Ver - Merkel erzählen, sind Geschichten, die eine Bekannte. Wenn man mit Menschen trauten. nicht nach der Kanzlerin klingen. Wenn über Merkel spricht, hat man irgendwann Die wenigen, die sie noch um sich hat, die Person ganz hinter dem Politiker ver - das Bild eines Ritters im Kopf, der immer die nichts falsch gemacht haben, die nicht schwindet, hat er es vielleicht mit der Kon - mehr Rüstung angelegt hat und dem Brust - unbedacht plaudern, die ihr nicht die trolle übertrieben? panzer, Beinschutz, Armschutz, Helm und Macht streitig machen wollen und von ihr Von Martin Schulz weiß man, dass er Visier am Leib festgerostet sind. Er kann nicht verlangen, dass sie ihnen einen Ge - zweimal sitzengeblieben ist, Alkoholiker sich kaum mehr bewegen. Man kann ihn fallen tut, diese Ausnahmeerscheinungen war und sich mal das Leben nehmen nicht mehr erkennen. Er wirkt nicht bereit kennen eine andere Merkel. wollte. für einen Krieg. Oder einen Wahlkampf. Eine Merkel, die über Politik lachen Merkel wird schon ungehalten, wenn Aber vielleicht ist das auch zu viel rein - kann. Die mit russischem Akzent Putin man sie fragt, ob sie das Gefühl habe, dass interpretiert. nachmacht: „Angela, ich werfe meine Ra - die Kanzlerjahre im Vergleich zu ihrer Zeit Neulich, im NSA-Untersuchungsaus - keten auf dich!“ Oder Sarkozy: „Angela, als Wissenschaftlerin in der DDR an ihr schuss, setzte sich Merkel in einem orange- I love you, but I love my beautiful wife vorbeigerast sind. farbenen Blazer hinter das Schild „Dr. An - more.“ Am 3. März sitzt Merkel im Flieger zu - gela Merkel – Zeugin“. Als sie nach ihrem Sie erzählen, wie sie sich darüber amü - rück nach Berlin. Sie war in Ägypten und Namen gefragt wurde, rutschte ihr aus siert, dass ihr Dekolleté in Oslo so ein Tunesien, um über Lösungen in der Flücht - Versehen ihr Mädchenname raus, Angela Thema war – und auch über die Gerüchte, lingsfrage zu sprechen. Im Flugzeug ist es Dorothea Kasner. Als sei auch ihr kurz die es über sie gibt. Einmal verstaute dunkel geworden. Sie lässt Dienstreisen so entfallen, wer sie ist. n