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Swiss Philosophical Preprint Series

# 95 Yves Bossart

Radikaler Skeptizismus Pyrrhonische Skepsis, sprachphilosophische Bedenken und pragmatische Tendenzen

added 30/05/2012

ISSN 1662-937X

© Yves Bossart

Radikaler Skeptizismus PyrrhonischeSkepsis, sprachphilosophischeBedenkenund pragmatischeTendenzen Masterarbeit zurErlangungdes Mastergrades derKulturundSozialwissenschaftlichenFakultätder UniversitätLuzern vorgelegtvon YvesBossart Luzern Eingereichtam17.9.2007

1 Inhaltsverzeichnis 0.Einleitung ...... 3

1.SkepsisalsLebenskunst:Pyrrhonismus...... 7 1.1OrientierungsgrundlagedesPyrrhonikers...... 11 1.2InkonsistenzvorwürfeandieDogmatiker...... 17 1.3UnbehagenamRepräsentationalismus...... 18 1.4Relativismus...... 21 1.5Praktikabilität:ApraxieundAphrasieproblematik ...... 22 1.6PragmatistischeTendenzen...... 27 1.7NatürlichkeitdesZweifels...... 30

Exkurs: David Humes Pyrrhonismus ...... 32

2.SkepsisundSprachspiel:LudwigWittgenstein...... 33 2.1AufgabeundFormderPhilosophie...... 33 2.2Lebensform,Weltbild,Sprachspiel...... 36 2.3AntiskeptischeEinwände...... 38 2.3.1AbweichenderSprachgebrauchdesSkeptikers...... 38 2.3.2AnwendbarkeitskeptischerÜberlegungenimSprachspiel...... 40 2.3.3Euthyphronismus...... 43 2.3.4KohärentismusundKontextualismus...... 47 2.3.5ExterneFragenundgrammatischeSätze...... 50 2.4WissensansprücheundunausgesprocheneGewissheiten...... 54 2.5SkeptizismusalsAntifundamentalismus...... 61

3.KontextualismusundKontrastivismus–zweikompatibilistischeVersuche...... 64 3.1Kontextualismus...... 65 3.2Kontrastivismus...... 68

4.ExternalistischeAntiskepsis...... 71 4.1KausaleReferenztheorie:HilaryPutnamsGehirneinTanks ...... 72 4.2RadikaleInterpretation:DonaldDavidsonsallwissenderInterpret...... 76

5.SkepsisundPragmatismus:RichardRorty...... 82 5.1.Wahrheit...... 83 5.2Antirepräsentationalismus...... 86 5.3TheoriealsPraxis...... 89 5.4EntledigungdertraditionellenSkepsis...... 91 5.5RechtfertigungohneObjektivität...... 95 6.Schlussbemerkungen...... 99 7.Literaturverzeichnis...... 101

2 0. Einleitung „mayhaveevolved;itisnotdead.“ 1 NachAristoteleszeichnetdenMenscheneinStreben aus, das neblige Dunkel des NichtwissenshintersichzulassenundzumWissenvorzudringen(πντεςνθρωποι τοεδναιργονταιφσει ).2Aberwasheisstes,etwaszuwissen?SeitPlatonversteht man unter Wissen ( πιστη ) eine wahre, begründete Meinung ( δξα ληθς ετ λγου ). 3 Wie wissen wir aber, wann eine Meinung wahr ist? Nun, wir versuchen Gründedafüranzuführen,dassessichwirklichsoverhält, wie wir meinen. Diese GründegarantierenjedochseltendieWahrheitdesFürwahrGehaltenen.Oftkön nenberechtigteZweifelgeäussertwerden,dadieangeführtenGründenurseltenaus schliessen,dassessichandersverhältalswirdenken.Könnenwirjedochnichtaus schliessen,dassessichandersverhält,dannsindwirauchnichtsicher,obwirwirk lichwissen,wieessichverhältoderobwirblosseinefalscheMeinunghaben,diewir irrtümlicherweisefürwahrhalten. Es ist kennzeichnend für einen Skeptiker, dass er immer dieses Schlupfloch des Zweifelssucht.ErbenenntGegenpositionenundversuchtsiestarkzumachen,wo durch er den Dogmatiker – verstanden als einen Vertreter von Lehrmeinungen (δγατα )–herausfordert,bessereGründefürdieWahrheitseinerPositionanzufüh ren.DerSkeptikeristsomitbeides:missliebigerQuerulantundtreibendeKrafteiner dogmatischen Philosophie. Als radikaler Skeptiker vertritt er weder Wahrheitsan sprüche,nochglaubter,irgendetwaszuwissen.NichteinmaldieagnostischeThese, mankönnenichtswissen,machtersichzueigen.AlspyrrhonischerSkeptikerzwei felterschliesslichauchdaran,dassfesteMeinungenundWissenüberhaupterstre benswertsind.ErlebtohneundineinerkritischenHaltung,erhebtkeinerlei Wahrheitsansprücheundorientiertsichandem,wasihmnützlichscheint. DiediskursiveVorgehensweisedesSkeptikersistüberausvielgestaltigundkontext abhängig.ImWesentlichenbestehtderskeptischeDiskursineinerRelativierungvon Wissensansprüchen,TheorienundBeschreibungsweisendurchdieCharakterisierung undRechtfertigungalternativerAuffassungen.

1Williams,ScepticismwithoutTheory,588. 2Aristoteles,MetaphysikI,980a21. 3Platon,Theaitetos,201d.

3 Das in den Schriften des Sextus Empiricus überlieferte Begründungstrilemma des AgrippaerwecktdasvielleichtradikalsteMisstrauen gegen Wissensansprüche jegli cher Art: 4 Ausgangspunkt ist die These, dass jeder Wissensanspruch diskursiv be gründbarseinsoll,da–wieausdenzweiTropendesMenodotersichtlichwird–die EvidenzaufgrundihrerSubjektbezogenheitundZeitgebundenheitkeinallgemeingül tigesWahrheitskriteriumseinkannundalsonichtsdurchsichselbstalswahrerkannt werdenkann( οδνξαυτοκαταλαβνεται )5.DiezurFirmierungeinerThesean geführten Gründe und Argumentationsprämissen sind jedoch in den Augen des Skeptikersebensobegründungsbedürftig,wiediedurchsiezubegründendeAussa ge. 6WennesdemSkeptikerzuzeigengelingt,dassdieWahrheitjederAussagebe gründungsbedürftig ist, versetzt er den Dogmatiker in eine trilemmatische Aporie: DerProponentvonGeltungsansprüchenistnungezwungen,entweder(i)unendlich vieleArgumentationsschrittezudurchlaufen( εςπειρονκβαλλν),(ii)dieWahr heitderPrämissendurchwechselseitigeBezugnahmeunddamitzirkulärzubegrün den( διλληλος )oder(iii)wahllosbeiirgendeinerBehauptungHaltzumachen,die dadurchdenStatuseinerunbegründetenHypotheseaufweist (ποθετικς).AmAn fangderSkepsisstehtdieEinsicht,dassdieeigenePositionlediglichalseinGlied einesunaufgelöstenWiderstreitszubetrachtenist( πτςδιαφωνας )undalsonur relativeGeltungfürsichinAnspruchnehmenkann (πτοπρςτι).JederVer such, mehr beanspruchen zu wollen als eine gleichstarke Position innerhalb eines unentschiedenen Konflikts, mündet in die skizzierte trilemmatische Begründungs aporie. Eine prominente skeptische Strategie, welche die Begründungsbedürftigkeit ver meintlichevidenterAussagenhervorkehrt,istdas Fingieren alternativerSzenarien.Im AnschlussandieEntfaltungundPlausibilisierungeinessolchenSzenarioswirdvon SeitendesSkeptikersderAnsprucherhoben,wirwürdenbzw.könntennichtwissen, dasswiruns nicht indiesemSzenariobefinden.ZumeististdasentwickelteSzenario so grundlegend verschieden von unserer Wirklichkeitsauffassung, dass unter An nahmeseinerGültigkeitnichtnurdiemeisten,sondernauchundgeradediebasalsten unsererÜberzeugungenalsunwahrzugeltenhätten.Wirkönnen–sodieskandalö

4SextusEmpiricus,GrundzügederpyrrhonischenSkepsis(PH),I,164ff. 5PHI,178. 6InmachenFällenfolgtdiezubegründendeThesenichtausdenPrämissen;insolchenFällenreicht einelogischeAnalyseundderHinweis,dassbeiinduktivenundabduktivenSchlüssendieWahrheit derPrämissendieFalschheitderKonklusionnichtausschliesst.

4 se 7 conclusio desSkeptikers–nieausschliessen,dassunserÜberzeugungssystem im Ganzen falsch ist. Der Skeptiker spielt aus Sicht des Dogmatikers die Rolle eines potentiellen Psychotikers, dessen alternative Weltmodelle und Situationsbeschrei bungenabseitigscheinen,aberdennochbeunruhigendsind,weilesnichtgelingt,sie alsblosseWahnideenauszuweisen. EineweiteregängigeTaktikdesSkeptikersistdasVerweisen aufbereitsvorhandene Theorien,BeschreibungenoderErklärungsmodelle,diemitdenfürevident,natürlich undunbezweifelbargehaltenenAuffassungeninKonfliktstehenundunserWeltbild insWankenbringen.DerSkeptikerzeigtaufdieseWeise,dassdiejeeigeneAnsicht 8 lediglicheineuntervieleninkompatiblenAnsichtenist( έροςτςδιαφwνας ) ,diezu früherenZeitenvertretenwurdenoderheutenochvertretenwerden–etwainande renKulturen,ForschungsdisziplinenoderDiskursgemeinschaften. DievielleichtanerkanntesteVorgehensweisedesSkeptikersistdiejenigederimma nentenKritik,welchedarinbesteht,bestimmteLehrmeinungen( δόγατα )undBeg riffsbestimmungen ad absurdum zuführen,alsoihreInkonsistenz,Unhaltbarkeitoder Unverständlichkeitaufzuzeigen. Diese antidogmatischeStossrichtungfindetsichin Sextus Empricus’ Rekonstruktion der pyrrhonischen Skepsis beispielhaft durchge führt.AuchRichardRortyversuchtdieMängelundInkohärenzendesrepräsentatio nalistischenParadigmas–derVorstellung,dassunserGeistdieWeltmittelsSprache abbildet–aufzuzeigen,mitderpragmatischmotiviertenEmpfehlung,dieseerkennt nistheoretischeAnnahmeaufzugebenundunserSelbstbildeinerRevisionzuunter ziehen. ImLaufederPhilosophiegeschichtegabeszahlloseVersuche,denSkeptizismusin allseinenVariantenzuüberwinden, 9zuwiderlegenoderalsunmöglichesUnterfan

7IneinerberühmtgewordenenFussnoteinderVorredezur Kritik der reinen Vernunft (BXL)schreibt Kant:"[...]sobleibtesimmereinSkandalderPhilosophieundallgemeinenMenschenvernunft,das DaseinderDingeausseruns[...]blossauf Glauben annehmenzumüssen,und,wennesjemandeinfällt eszubezweifeln,ihmkeinengenugtuendenBeweisentgegenstellenzukönnen".Heideggernimmtin einernichtwenigerprominentenPassageausSeinundZeitkritischaufKantsEmpörungbezug:„Der ‚SkandalderPhilosophie’bestehtnichtdarin,dassdieserBeweisbislangnochaussteht,sonderndarin, dasssolcheBeweiseimmerwiedererwartetundversuchtwerden“,dennzu„beweisenistnicht,dass undwieeine‚Außenwelt’vorhandenist,sondernaufzuweisenist,warumdasDaseinalsInderWelt seindieTendenzhat,die‚Außenwelt’zunächst‚erkenntnistheoretisch’inNichtigkeitzubegraben,um siedannerstzubeweisen“(SeinundZeit,§43a). 8PHI,59. 9DerunterAnthropologemverdachtstehendeÜberwindungstoposverschränktsichnichtseltenmit einemAnspruchaufEndgültigkeit.BlumenbergbringtdiescheinbareUnüberwindbarkeitderÜber windungsversucheaufdenPunkt:„Nichtsistaufschlussreicher,alsdasBeispielder‚endgültigenÜ berwindungen’desAbsurdenundAbstruseninderGeschichtezubeobachten,umausihrwenigstens dieszulernen,dassessichnichtsoleichtüberwindet“( Arbeit am Mythos ,24).

5 genzuentlarven.EinigedieserVersuchebasierenauftranszendentalenArgumenten, welchedemSkeptikervorwerfen,erwürdedurchseineskeptischenEinwändegegen vorgebrachte Dogmen den Ast absägen, auf welchem er sitzt, und verwickle sich unvermeidbarerweiseinSelbstwidersprüche.Vielfachvermischensichantiskeptische HaltungendiesesTypsmitErwägungen,diedenSkeptizismusunterSinnlosigkeits verdachtstellen.VertretersolcherPositionenattestierendemSkeptiker,erseinicht imStandezuzweifeln,woranerzweifelnwolle.SoschreibtWittgensteinim Tractatus logico-philosophicus :„Skeptizismusistnichtunwiderleglich,sondernoffenbarunsinnig, wennerbezweifelnwill,wonichtgefragtwerdenkann“ 10 .DerSkeptikeristausdie serPerspektivekeinunwiderlegbarerGegner,sonderneinzutherapierenderKrank heitsfall. EineweitereantiskeptischeStrategiegestehtdemSkeptikerzu,dasserZweifeläus sert,welchezwarwedersinnlossind,nochihreeigeneFalschheitimplizieren,leugnet jedochdiepraktische Relevanz skeptischerEinwändegegendieMöglichkeitvonWis sen.NichtweitentferntvondieserAuffassungfindensichdiebescheidenenTröster Hiobs,welchesichmiteinemnotdürftigbegründetenGlaubenzufriedengebenund inderblossenMöglichkeitdesZweifelskeinenAnlasssehen,ihreÜberzeugungenin Fragezustellen. IndervorliegendenArbeitwerdenmitunterdreiPositionenskizziertunddiskutiert, die aufgrund antifundamentalistischer Ansichten der pyrrhonischen Traditionslinie zugeordnetwerdenkönnen.IneinemerstenSchrittsolldiepyrrhonischeSkepsisals dieradikalsteFormskeptischenDenkensundHandelnsumrissenwerden.Anschlies send möchte ich die ambivalente Haltung des späten Wittgenstein bezüglich des Skeptizismuscharakterisieren:einerseitsdieaufseinerSprachspielkonzeptionbasie rendenBedenkengegenüberderExplizierbarkeittraditionellerskeptischerEinwände und andererseits seinen antifundamentalistisch und kompatibilistisch zu verstehen denKontextualismus,welcherzusammenmitdemKontrastivismusinKapitel3er läutertwird.ImAnschlussandiebeidenkompatibilistischenPositionenwerdenzwei prominente externalistische Widerlegungsversuche des Aussenweltskeptizismus be sprochenundihreSchwächenbenannt.AbschliessendsolldieAnsichtdesanWitt genstein orientierten Neopragmatisten Richard Rorty vorgestellt werden, der die pyrrhonische Skepsis als Wegbereitung der eigenen Position würdigt und auf der

10 Wittgenstein,TLP,6.51.

6 GrundlageeinessprachphilosophischreflektiertenPragmatismusdenBogenzueiner skeptischenKonzeptiongelingenderPraxisschlägt,dieauchdasZielderpyrrhoni schenSkepsisist.DerPyrrhonismus,wieerindenSchriftendesSextusEmpiricus überliefertist,dieSpätphilosophieWittgensteinsunddiepragmatistische‚Postphilo sophie’ Rortys weisen allesamt antifundamentalistische Tendenzen und eine starke philosophiekritischeAffinitätzuralltäglichenPraxisauf,diebeiderDarstellungder jeweiligenPositionaufgezeigtundkritischreflektiertwerdensoll.

1. Skepsis als Lebenskunst: Pyrrhonismus

DiepyrrhonischeSkepsisisteine Lebenskunst ,eineaufGemütsruhe( ταραξα)und gemässigte Erlebnisintensität ( ετριοπαθεα) ausgerichtete Lebensführung. 11 In dis kursiverPraxiszeigtsichderskeptische modus vivendi alsparasitärundreaktiv,dadie skeptische Methode wesentlich in der Relativierung und Kontrastierung dogmati scher Positionen besteht. Aus der durch ein antithetisches Verfahren ( δναις ντιθετικ)12 zum Vorschein kommenden Gleichwertigkeit ( σοσθενεα) sich wider streitender Argumente und Thesen resultiert eine epistemische Zurückhaltung (ποχ),anwelchesichdieerwünschte,aberletztlichsymptomhaftundzufälligein tretende 13 Seelenruhe ( ταραξα) anschliesst. Die Pyrrhonische Skepsis gleicht in praktischtherapeutischerAusrichtungalsodenbeidengrossenhellenistischenSchu len,derStoaunddemEpikureismus.JededieserdreiintellektuellenStrömungenzielt aufeinegelingendeLebensführungundbegreiftdieintellektuellePraxisalsWegzur Glückseligkeit ( εδαιονa ). 14 Alles Unglück ( κακαδαιονία ) entsteht durch eine Ver wirrung( ταραχή ),welchewiederumdieKonsequenzeifrigen( σντονος )Strebensund Meidensist. DerSkeptikeristunbestimmt( οριστν)15 hinsichtlichmoralischerGüte, wogegenderDogmatikereifrig( σντονος )undungestüm( ετσφδρου )erstrebt,was erfürguthält,weilerderMeinungist,dasAngestrebtesei von Natur aus ( φύσει )an

11 PHI,25. 12 PHI,8. 13 PHI,26:„ τυχικς“.InPHI,29sagtSextus,dieAtaraxiefolgederEpochewieder Schatten dem Gegenstand. 14 Vgl. PE, 141: „ Εδαωννστινταρχως διεξγωνκαςλεγεν Των, ν συχ κα γαληντητικαθεστς“;Vgl.PE,160161. 15 PHI,28.

7 strebenswert. 16 DerDogmatikerlebtunbefriedigtundtrachtetnacheinemschwerzu erreichendenZiel,umdessenErhaltungersichsorgt,sobaldereserreichthat,und dessen Verlust er fürchtet. Aus der skeptischen Annahme der Gleichwertigkeit (σοσθενεα) konfligierender Überzeugungen und Argumente folgt eine massvolle Zurückhaltung, die der Autarkie des Hochgesinnten (σπουδαος )17 bei Aristoteles gleichkommtundbeinahedenCharakterjenerdistanziertenIndifferenzaufweist,die EpikurseinenGötternundAristotelesdemunbewegten,erstenBewegerzuschreibt. Der Hochgesinnte nimmt nur wenig ernst, gerät dadurch nicht leicht in Hast ( ο σπευσικς)undempfindetkeineinnereSpannung( οδεσντονος ). 18 SeinepraktischeEmpfehlung,durcheineepistemischeZurückhaltungdiegewünsch teGemütsruhezuerreichen,darfallerdingskeineswegsalsGlücksversicherungver standenwerden.ZumeinenwürdeeinesolcheVersicherungnämlichderskeptischen Grundhaltung widersprechen, die auch in Fragen der gelungenen Lebensführung keineGewissheitenanzubietenvermagundzumanderenwürdeeinemitder nischenPraxisverbundeneGlücksgarantie–ebensowiebeidogmatischenLehren– eineifriges,besorgtes,vielleichtsogarangstvollesStrebennachGemütsruheauslö sen,dieparadoxerweiseumsowenigererreichtwird,jeheftigerundbedingungsloser sie gewollt wird. 19 DurchdiepyrrhonischeAuffassung,dieGemütsruhe stelle sich „wiedurchZufall( τυχικς)“ 20 ein,sollgenaudieseabsurdeKonsequenzeinesverbis senenStrebensnacheinemZustanddesNichtStrebensvermiedenwerden. DiepyrrhonischeDenkkunstistkritisch( σκεπτικς),suchend( ζητητικς),zurückhal tend( φεκτικς)undscheinbarausweglos( πορητικς). 21 DerPyrrhonikervertrittwe derLehrmeinungen( δγα,αρεσις ),nochistseineLebensform( γωγ)durcheine Theorie fundiert. 22 WieSokratesgleichtereinerseitseinemZitterrochen 23 ,derden Dogmatiker in lähmende Verlegenheit bringt, indem er jedem neu vorgebrachten WahrheitsanspruchseinesGesprächspartnerswiederummiteinemskeptischenEin

16 PE,112. 17 Vgl.Aristoteles,EN,1125a1416:Der σπουδαος nimmtnurwenigernst,gerätdadurchnichtleicht inHast( οσπευσικς)undempfindetkeineinnereSpannung( οδεσντονος ). 18 FürOdoMarquardist„ der skeptische Zweifel der Sinn für Gewaltenteilung“unddiedurchBefreiunger langteGemütsruheverdanktsichder„TeilungauchnochjenerGewalten,dieÜberzeugungensind“ (Marquard,AbschiedvomPrinzipiellen,19). 19 DarinunterscheidetsichdiepyrrhonischeHaltungvonderSkepsisdesArkesilaos(PHI,233). 20 PHI,26. 21 DiogenesLaertius,IX,69f. 22 WilliamJamesschreibt:„DerkonsequenteSkeptiker bringtseinenSkeptizismus niemals ineienr formalenAussagezumAusdruck–erwähltihnschlechthinalsHabitus“(DiepragmatistischeDarstel lungderWahrheit,128). 23 Platon,Menon,80ab.

8 wand begegnet und ihn dadurch in eine scheinbar ausweglose Situation ( πορία ) treibt.AndererseitsgleichtauchereinerkinderlosenHebamme 24 ,indemerdieGe danken und Argumente der Gesprächspartner diskutiert, um sie anschliessend auf ihrediskursiveHaltbarkeithinzuprüfen,ohnedabeiselbstThesenmiteinemWahr heitsanspruchvorzubringen.DerpyrrhonischenHebammesindbisanhinallerdings nurFehlgeburtenindieHändegeraten,i.e.auspyrrhonischerSichtlauterungerecht fertigteGeltungsansprüche.DerpyrrhonischeSkeptikerwürdesichalsodemplato nischenSokratesanschliessen,wenndieserimDialog Theaitetos meint:„Duverkennst aber die Tatsache, dass keine der Behauptungen von mir selber stammt, sondern immervonmeinemDiskussionspartner.Ichverstehemichaufnichtsweiteralsauf dieKleinigkeit,voneinemanderenklugenMenschendieBehauptungenaufzugreifen undangemessenzubehandeln.“ 25 WennderPyrrhonikerimGesprächmitdemDogmatikerThesenvorbringt,soer hebterdamitwederWahrheitsansprüchenochverleihtereigenen,antidogmatischen Überzeugungen Ausdruck, vielmehr bringt er in epistemischer Distanznahme Ge genargumente vor, von welchen er sich erhofft, sie würden den Opponenten zur Kenntnisnahmeder Isosthenie undschliesslichzur Epoche führen.Vielfachargumen tiert der er innerhalb des dogmatischen Systems und versucht zu zeigen, dass ‚der GegnerimeigenenHaus’zufindenist,indemerdieInkonsistenzeneinerbestimm tenPositionaufweist.DiesetheorieimmanenteFormderKritikhatalsoimmerkon ditionalen bzw. hypothetischen Charakter: Vor dem Hintergrund einer bestimmten dogmatischenVoraussetzungsindgewisseBehauptungenunbegründet,unverständ lichodergarwidersprüchlich. 26 HinterdenskeptischenFloskeln( φωναί)27 wie„allesistunbestimmt“,„allesistuner kennbar“und„jedemArgumentstehteingleichwertigesentgegen( παντλγλγος σοςντκειται )“verbergensichkeineswegsfürinfallibelgehalteneGeltungsansprü che, vielmehr sind sie als Äusserungen eines gegenwärtigen und subjektiven Ein drucksoderalsResümeesderskeptischenDiskurspraxiszuverstehen.Diesenskepti schenRedewendungenmüsstekorrekterweisejeweilsein„esscheintmirgegenwärtig sozusein,dass( φαίνεταιονν)“vorangestelltwerden.DieWahrheitvonAussagen derForm„Esscheintmirgegenwärtigsozusein,dassp“impliziertkeineswegsdie

24 Platon,Theaitetos,149aff. 25 Platon,Theaitetos,161b. 26 Vgl.BarryStroud,ContemporaryPyrrhonism,176. 27 PHI,187ff.

9 Wahrheitvonp,sondernbringtlediglichzumAusdruck,welcheEinstellungichge genwärtigzudemSachverhalt,dassp,einnehme.Sextusstelltdem Grundiss der pyrrho- nischen Skepsis folgende,programmatischePassagevoran:„[Ich]möchte[...]bemer ken,dassichvonkeinemderDinge,dieichsagenwerde,mitSicherheitbehaupte, dassessichinjedemFallsoverhalte,wieichsage,sonderndassichüberjedesein zelnenurnachdem,wasmirjetzterscheint,erzählend( στορικς)berichte“. DurchdiegenannteSelbstrelativierunggrenzensichdiepyrrhonischenvondenaka demischenSkeptikernab,dieeineagnostischePositionvertreten,indemsiedieThe sefirmieren,nichtsliessesicherkennen. 28 DieAussage„DasWahrelässtsichnicht erkennen“geniesstausSichtderakademischenSkepsiseinenexzeptionellenStatus, da allein das durch sie Ausgesagte erkannt werden kann, nämlich, dass nichts er kennbar ist. Diese Ausnahmeregelung kann aus pyrrhonischer Perspektive jedoch nichtbegründetwerden,damansichmitjederBegründungschonaufeinWissen überdiekognitiveBeschränktheitoderdasWesendesmenschlichenErkennensbe rufenmüsste,wasfürdenPyrrhonikereinzumScheiternverurteiltesProjektzusein scheint–einProjekt,welchesdieakademischenSkeptikerebensoweniggutheissen dürften,daimZugeeinerArgumentationfürdieUnerkennbarkeitüberdieTatsache hinaus, dass nichts erkannt werden kann, noch weiteres gewusst werden müsste. ZweiBedenkenbewahrendenPyrrhonikeralsovoreinemnegativenDogmatismus, derfüragnostizistischePositionenkennzeichnendist:dieVerabschiedungeinerals unbegründbaranmutendenAusnahmeregelungunddaslatenteBewusstseinüberdie verhängnisvolle, permanent drohende Selbstapplizierbarkeit skeptischer Einwände aufdieGeltungebensolcherEinwände( περιτροπ). 29 DertherapeutischeSkeptikerSextusEmpiricussiehtsehrdeutlichdieanSelbstwi derlegunggrenzendeSelbstbezüglichkeitrelativierenderArgumente,betontaberde renpositiventherapeutischenEffekt,indemersiemitderWirkungsweiseeinesab führendenMedikamentsvergleicht,dessenEinnahmedazuführt,dasseszusammen mitdenkrankheitsverursachendenGiftenvomKörperausgeschiedenwird. 30 Medi zinischeMetaphernsindnichtnurbeiderempirischenÄrzteschulepräsent,sondern sind auch ein wirkungsgeschichtliches Kondensat therapeutischer Philosophiekon zeptionen:SovergleichtHeraklitdasblosseWähnen( οησις )miteinerzuheilenden

28 PHI,226 29 PHI,7,206. 30 PHI,2067.HeutewürdemanvielleichtdasmakabereBeispieleinesSelbstmordattentätersanfüh ren.

10 Krankheit 31 undSokratesverstehtseinediskursivphilosophischePraxisalsmaieuti scheHilfeleistungzurgeistigenKatharsisodergaralsImpulszurSelbsterkenntnis derDiskurspartner 32 .DertherapeutischeImpetusunddiePraxisnähederpyrrhoni schen Skepsis verlangen nach phronetischer Kompetenz und einer gewissen Rezi pientenadäquatheit antidogmatischer Argumentationen, da bestimmte skeptische Einwände nicht für alleDogmatiker in gleicherWeise verständlich, glaubhaft und plausibel scheinen. Was Dogmatiker „Fehlschlüsse“, „Rhetorik“ und „Suggestion“ nennen,kanningewissenKontextenauchalseinskeptischesHeilmitteldienen,das denDogmatikervonseinerGewissheitabzubringenvermag. 33

1.1 Orientierungsgrundlage des Pyrrhonikers DiealltäglicheDiskurspraxisbestehtfürSextusim Wesentlichen darin, bestimmte Urteilezubejahen,zuverneinenodersichdesUrteilsüberihreWahrheitzuenthal ten.Dem,wasfürmichgegenwärtigderFallzuseinscheint( φαινενα ),sowiemei nenVorstellungen( φαντασαι ),NeigungenundAffekten( πθη )wirdjedochweder aktiv zugestimmt,nochwirdihrVorhandenseingeleugnet,dasieallesamtunterdie Kategorie des Erleidens ( πσχειν ) fallen. Im Gegensatz dazu inhäriert jeder aktiven StellungsnahmeeinlibertäresMoment. 34 DerSkeptiker–sodieradikaleThesedes Pyrrhonikers–stimmtnurzu,wokeineZurückhaltungmöglichist,dadieZustim munggleichsammitderAffektioneinhergeht,deren veräussernde Artikulation sie ist.WoesamUrteilendenliegt,ineinemfreienAktzuzustimmenoderabzulehnen, hältsichderPyrrhonikerzurück. 35 MitBlickaufdas„zwangsweise“undunfreiwillig (αβουλητς)zurZustimmungFührendekannsichderSkeptikernichtzurückhalten. 36 MeistsinddiesUrteileüberdieeigenenBefindlichkeiten,alsoUrteileüberdas,wasin

31 DK,22B46. 32 Vgl.Platon,Charmides,155e157c;ders.,Theaitetos149aff. 33 PHIII,280. 34 Platon,Theaitetos190a. 35 EinMeinungsbildungsprozessistnurdaeinaktivesund„freies“Zustimmen,woaucheinAblehnen odereineZurückhaltungmöglichscheint. 36 DiezugrundeliegendeIdeeistwohl,dasskeinefalscheInterpretationenmöglichsind,wogarkeine Interpretationen statthaben. David Hume schreibt „Die Natur nötigt uns mit absoluter und unab wendbarerNotwendigkeit,Urteilezufällen,ebensowiesieunsnötigtzuatmenundzuempfinden“ (Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis, 245). „Die Natur hat uns eben in dieserHinsichtkeineWahlgelassen“(ebd.,250).Humeglaubt,damitdiePraktikabilitätdespyrrhoni schenSkeptizismuswiderlegtzuhaben.Erhat,wieichspäter(Exkurs)zeigenmöchte,allerdingseine andereVorstellungdesPyrrhonismusalsSextus.

11 dermodernenPhilosophiedesGeistesalsqualitativeundkognitiveBewusstseinszu ständebezeichnetwird.Soscheintesunmöglich,Schmerzenzuhaben,ohnezumei nen,Schmerzenzuhaben.Unwahrscheinlichundunhinterfragt ( ζτητος ) ist auch dieAnnahme,jemandkönnesichdarintäuschen,wasihmgeradederFallzusein scheine: „Deshalb wird niemand vielleicht zweifeln, ob der zugrundeliegende Ge genstandsoodersoerscheint.Oberdagegensoist,wieererscheint,wirdinfrage gestellt“ 37 .Sextusbeschränktdie φαινενα ,welchebessernichtalsEntitäteneigener Artverstandenwerdensollten, 38 nichtnuraufsinnlichePhänomene,sondernrechnet auchkognitiveBewusstseinsinhaltewieMeinungenunterdieseKategorie: 39 So scheint esdempyrrhonischenSkeptikeretwaauch,dassArgumenteundGegenargumente jeweils gleich stark seien. Man könnte sagen, dass der Pyrrhoniker insofern ohne feste Meinungen ( δοξάστwς) durchs Leben kommt, als er lediglich Vermutungen anstellt( εδοκεν).VorÄusserungenwie„Esscheintmirgegenwärtigsozusein,dass p“schreckteralsonichtzurück,daausderenWahrheitwederfolgt,(i)erhältesfür wahr,dassp,noch(ii)dassp.EinzentralesCharakteristikumder φαινεναistihre orientierende Funktion für den Handelnden. 40 Diese Leitfunktion rückt sie in die NähezudenebenfallsunbezweifeltenErlebnissen( πθη ).FürdenPyrrhonikerist, imUnterschiedzudemakademischenSkeptiker,nochnichteinmaldasGlaubhafte (πιθανν)einKriteriumseinesHandelns,sondernallenfallsdasglaubhaftScheinen de. 41 DerpyrrhonischeSkeptikerhatalsoMeinungenineinemschwachen,höherstufigen Sinne, nämlich solche über das Vorliegen bestimmter Bewusstseinszustände, etwa überdasHabenvonVermutungenundsichaufdrängendenEmpfindungen.InFäl len,indenenerjedoch aktiv Stellungnehmenkann,i.e.wannimmereinfreierdelibe

37 PHI,22. 38 Vgl.HegelundSchelling(SkeptizismusAufsatz,248):„DieErscheinungistihm[demPyrrhoniker] aber nicht ein sinnliches Ding , hinter welchem von dem Dogmatismus und der Philosophie noch andereDinge,nämlichdieübersinnlichenbehauptetwerdensollten.Daersichüberhauptzurückhält, eineGewissheitundeinSeinauszusprechen,sohaterschonfürsichkeinDing,keinBedingtes,von demerwüsste,underhatnichtnötig,derPhilosophiewederdiesesgewisseDingnocheinanderes, dashinterdiesemwäre,indieSchuhezuschieben,umsiefallenzumachen“. 39 Vgl. Graeser, Hauptwerke der Philosophie. Antike, 209: „Nun eignet dem Wort ‚erscheint’, wie auchdemgriechischeneineAmbiguität.EsschwanktzwischeneinemphänomenologischenSinn‚sich zeigen’undeinemurteilshaftenbzw.epistemischenSinn‚meinen’“.DerAusdruck„XscheintFzu sein“kannalsonichtimmerals„DieErscheinungvonxistF“wiedergegebenwerden.Wennzwei Dingeeinandergleichzusein scheinen ,mussesnichtimmerzweiphänomenaleEntitätengeben,die einergleich sind .Dieadverbialebzw.kopulamodifizierendeFunktionvon„scheinen“istinbestimm tenVerwendungsweisennichtineineobjektmodifizierendeFunktionumformbar–etwabeidemSatz „DieGerechtigkeitscheintgesiegtzuhaben“. 40 PHI,2124. 41 PHI,231;II,79.

12 rativer Entscheidungsprozess stattfindet, hält er sich zurück. Der Pyrrhoniker hat alsokeinerleilibertärerworbene,festeMeinungen.Sextusschreibtaneinereinschlä gigenStelle:„Wennwirsagen,derSkeptikerdogmatisiere nicht, dann meinen wir nichtjeneBedeutungvonDogma,indereinige‚Dogma’ganzallgemeindieBilligung (τεδοκεν)irgendeinerSachenennen(denndenalsEindruck(κατφαντασαν )auf gezwungenen Erlebnissen ( κατηναγκασνοις πθεσι )42 stimmt der Skeptiker zu (συνκατατθεται ))“ 43 .AuchdasVerb„glauben“( πεθεσθαι )habe,soSextus,zweiBe deutungen ( λγεται διαφρως ): „einmal das Nichtwiderstreben ( ντιτενειν ), son dern einfache Folgeleisten ohne starke Neigung und Teilnahme, so wie man sagt, dassderKnabedemErzieherglaube;dasandereMalaberdasZustimmenzuetwas mitEntschiedenheitundgleichsameinemMiterleben aufgrund eines starken Wol lens.“ 44 WennderSkeptikereinUrteilderForm„xistF“äussert,someinterdamitstets„Es scheintmirgegenwärtigsozusein,dassxFist“. 45 WährendnachSextusimgriechi schen Alltagssprachgebrauch die Kopula „ist“ zweierlei bedeuten kann, einerseits „wieetwaswirklichist( τοονυπρχει )“undandererseits„wieetwasscheint( τοον φανεται )“, restringiert der Pyrrhoniker den Gebrauch von „ist“ auf die schwache Bedeutung„esscheint“.DiesesemantischeRestriktion–indenAugendesDogma tikerseinedemLogoszuwiderlaufendeModifikation–ermöglichtdemPyrrhoniker, dogmatische Vorwürfe der Nichtsagbarkeit (Aphrasie) abzuwehren, die ihn zum Schweigenverpflichtenwollen. 46 DerersteundprominentesteAphrasieVorwurfder Philosophiegeschichtefindetsichinder Metaphysik desAristoteles:sowohlderkon sequenteSkeptikeralsauchderdialektischeLeugnerdesSatzesvomausgeschlosse nenWiderspruchmüsstennachAristoteles„schweigenwieeinePflanze“,dasiedie transzendentalenBedingungenderKommunikationuntergrabenwürden. 47 Wennmit jederAussageeinWahrheitsanspruchverbundenwäre, dürfte der Pyrrhoniker also nichtsmehrsagen,dennererhebtkeineWahrheitsansprüche.Skeptikerbeschränken ihreRedejedochaufdas Kundtun ( παγγελλεν)der φαινενα ,wobeidiesesprotokol lierendeSichAusdrückenmehrfachrelativist:Esgiltnurdenjeweils eigenen und mo-

42 Vgl.„ βουλτωπθει “(PHI,19). 43 PH I, 13. Vgl. PH I, 193: „[...] denn den Dingen, die uns erlebnishaft ( παθητικς) bewegen und erzwungenermassen( ναγκαστικς)indieZustimmungführen,gebenwirnach( εκοεν )“. 44 PHI,230. 45 Vgl.Vogt, Skepsis und Lebenspraxis ,72ff.,insb.77. 46 PE,18.Vgl.Kapitel1.5. 47 Aristoteles,Metaphysik,IV,1006aund1008b1012.

13 mentanen Befindlichkeiten.Wittgensteinentgegnetderin§244der Philosophischen Un- tersuchungen eigensgestelltenFrage„WiebeziehensichWörteraufEmpfindungen?“ mit der Antwort „Der Wortausdruck des Schmerzes ersetzt das Schreien und be schreibtesnicht“. 48 DieÄusserung„IchhabeSchmerzen“beziehtsichnachWitt gensteinalsonichtaufmeinenSchmerz,sondernistalseineverfeinerteFormmeines Schmerzbenehmens,alseinkultiviertes„Aua!“zuverstehen.Solche Ausdrucksäusse- rungen könnenzwarwahrhaftig(echt)oderunaufrichtig(unecht)sein,nichtjedoch wahroderfalsch.Wervorgibt,seineGefühleoffenzulegen,kannlügenodersich verstellen,erkannsichjedochnichtinderüblichenWeiseirren:„DieÄusserungder Empfindung eine Behauptung zu nennen, ist dadurch irreführend, dass mit dem Wort‚Behauptung’die‚Prüfung’,die‚Begründung’,die‚Bestätigung’,die‚Entkräf tung’ der Behauptung im Sprachspiel verbunden ist“ 49 . In Fällen des Sich Ausdrückensistesmitunterdeswegenirreführendvon„beschreiben“odergarvon „wissen“ (Russels knowledge by aquaintance )zureden,weilunverständlichbleibt,wie eineaufrichtige,aberfalscheBeschreibungodereinSichTäuschenaussehenkönn te. 50 Wirhabengesehen,dassBewusstseinsphänomenevomglobalenZweifeldesSkepti kersfaktischausgenommensind,dadieÜberzeugungenüberdasHabenbestimmter kognitiverundphänomenalerBewusstseinszustände(i)mitdiesenZuständenineiner scheinbar untrennbaren Weise verknüpft sind, (ii) sie gleichsam passiv erworben werdenund(iii)ihreWahrheitsfähigkeitinFragesteht,dassiekeineobjektivenTat sachenzurepräsentierenscheinen.MitBlickaufdie φαινενα wäreallenfallseine Fehlklassifikation möglich: Ich könnte zwar einen Zahnschmerz für einen Kopf schmerzhalten,einIrrtumbezüglichderunbeschreiblichenArtundWeisedesSich Anfühlensscheintjedochunverständlich. FaktischunbezweifeltbleibengemeinhinjedochnichtnurhöherstufigeMeinungen überBewusstseinszuständeunddasHabenvonVermutungen,sondernauchpassiv erworbene kulturelle Hintergrundüberzeugungen, an welchen zu zweifeln aus le bensweltlicherPerspektiveanIrrsinngrenzenwürde.InnichtskeptischenDiskursen

48 Wittgenstein,PhilosophischeUntersuchungen(PU),244. 49 Wittgenstein,Zettel549. 50 WolframHogrebeschreibt:„Ausdrucksphänomene[e.g.einerührendeAbschiedsszene]repräsen tierennichts,washinterihnenliegt,undwomöglichersterschlossenwerdenmüsste[...],sondernsind subrepräsentativeSinnpräsenzensuigeneris,fürdieeinevorbegriffliche,szenischeGewahrungsweise erforderlichist[...].SoistdieGewahrungvonAusdrucksphänomenen,auchdieWahrnehmungdes Fremdpsychischenunddersog.Aussenweltnichtetwas,wassichirgendwieableitenoderbegrifflich erzeugenliesse“(OrphischeBezüge,14).

14 undPraxengehenwirdavonaus,dassesZeit,Raum,materielleGegenstände,Eigen schaftenundlogischeGültigkeitskriteriengibt.Auchunhinterfragte(jedochprinzi piellhinterfragbare)RegelnderLebenskunst,derpolitischenOrganisationunddes Anstandes–von„Lebemassvoll“bis„ManerweistdenTotendieletzteEhre“– sowieNormalitätenästhetischerundmoralischerBewertungspraxis–wie„Phidiasist unübertroffen“oder„ManisstkeineMenschen“–gehören zum „überkommenen Hintergrund“ 51 ,dergemeinhinwederaktivaffirmiertnochnegiertwird,sondernauf dessen Basis wir ‚zunächst und zumeist’ zwischen wahr und falsch oder gut und schlechtunterscheiden.Esgibtalso,wasOdoMarquardals„dasRechtdernächsten Dinge gegenüber den letzten“ 52 verkündet. Sextus schreibt: „Wir beziehen unsere skeptischenSchlagwortenichtschlechthinaufalleDinge,sondernnuraufdiever borgenen( περτνδλwν )unddievondenDogmatikernuntersuchten.Wirsagen, wasunserscheint,undwirerklärennichtsmitSicherheitüberdieNaturderäusseren Wirklichkeit( κτςποκεινων )“ 53 .DieGrenzezwischendemunbezweifeltenOffen sichtlichen( πρδηλον, ναργς)unddemVerborgenen( δηλον )scheintallerdingsteil weise variabel und kontextgebunden zu sein. Michael Williams schreibt dazu: „The boundsofscepticalassentdonotconstrainPyrrhonianpractice,theyemergeoutof it.Thustheyshiftaspracticerespondstochangedconditions.“ 54 ImUnterschiedzu den eigenen gegenwärtigen Bewusstseinszuständen kann die Geltung bestimmter kulturellerHintergrundüberzeugungensehrwohlinZweifelgezogenwerden.Meist bleiben die tradierten Handlungsregeln und Weltbilder jedoch unausgesprochen. WerdensieallerdingsthematisiertundihreGeltunginFragegestellt,soverlierensie ihren Gewissheitsstatus und müssten in einem gleichsam nachholenden Entschei dungsakt aktiv affirmiertwerden,wozuderPyrrhonikerjedochnichtinderLageist, dafürihngleichguteGründefürwiegegenihreWahrheitzusprechenscheinen. Der pyrrhonische Skeptiker lebt also ohne feste Überzeugungen ( δοξάστwς , ο διαβεβαουσθαι )55 darüber,wieessichinWirklichkeitverhält,folgtohneZustimmung denunhinterfragtenRegelnderPraxisundbeschränktseineMeinungenaufdas,was fürihnhierundjetztderFallzuseinscheint.

51 Wittgenstein,ÜberGewissheit,94. 52 Marquard,AbschiedvomPrinzipiellen,14. 53 PH,I208. 54 Williams,ScepticismwithoutTheory,588. 55 PH,I2324,226;II246;III2,235237.

15 UnterdenInterpretenderpyrrhonischenSkepsis herrscht ein philologischer Streit überdieExtensiondesGegenstandsbereichsepistemischerZurückhaltung:Die rusti- kale AuffassungdesPyrrhonismusvertrittdieThese,derPyrrhonikerhabekeinerlei Meinungen(Mates,Barnes),wogegendie urbane Konzeption(Frede,Burnyeat,Foge lin)demSkeptikerjedeMengealltäglicherMeinungenzuspricht. 56 DierustikaleKonzeptiondesPyrrhonismusmachtdiePraktikabilitätsvorwürfe(1.5) verständlich,welchebereitsinderAntikeundauchwiederbeiDavidHumegegen diepyrrhonischeSkepsisvorgebrachtwurden.DieseEinwändebehauptennämlich, esliessesichnichtlebenohneMeinungen,dadiesealseinkonstitutiverBestandteil menschlichenHandelnszuverstehenseien.EineurbaneLesartmüsstediesenver breitetenVorwürfeneinbeträchtlichesundtradiertesMissverständnisderpyrrhoni schenPositionentgegenhalten. DerStreitdrehtsichm.E.inersterLinieumdenBegriffderMeinung( δγα ).Ich möchtezwischenMeinungenimstarkenundschwachenSinneunterscheiden.Unter einerstarkenMeinungversteheichdasmiteinemWahrheitsanspruch verbundene ResultateineraktivenStellungsnahme,wogegeneineschwacheMeinungmitkeinem Wahrheitsanspruchverbundenistundlediglicheineabgeschwächte,subjektiveund gegenwärtigeGeltungbeansprucht.SchwacheMeinungensinddoxastischeEinstel lungenbezüglichdessen,washierundjetztfür michderFallzuseinscheint.Im RahmendieserUnterscheidunghateinPyrrhonikerzwar keine starken, sehr wohl aberschwacheMeinungen.ObkognitiveZuständehöhererOrdnung,i.e.etwasol cheüberdasHabenschwacherMeinungen,alsstarkeMeinungengeltendürfen,kann bestrittenwerden,solangediesenichtalsdasResultateineraktivenStellungsnahme zu verstehen sind. Doxastische Einstellungen zweiter Stufe haben abgesehen von ihrerPassivitätundscheinbarenNichthinterfragbarkeitinsofernexzeptionellenSta tus,alssie(i)sichaufEinstellungenersterStufebeziehenundnichtaufdieGegens tändeerststufigerEinstellungenund(ii)mitdenjeweiligenkognitivenundphänome nalenBewusstseinszuständengegebensind,diesiegleichsambegleitenundbewusst machen. DieAuslegungsdifferenzenzwischeneinerurbanenundeinerrustikalenVarianteder pyrrhonischenSkepsissindallerdingsnicht nur dasResultateinesBedeutungsunter schiedsdesMeinungsbegriffs,sondernhabennocheinenweiterenGrund:Dieurba

56 Vgl.Burnyeat/Frede, The Original Sceptics: A Controversy undMates, The Sceptic Way .

16 neLesarterklärt,derpyrrhonischeSkeptikerkönnesehrwohlMeinungenüberall täglich begegnende Dinge haben, denn er habe keine Theorie darüber, wann eine epistemischeZurückhaltunggebotenist,sondernerwollevielmehrdemDogmatiker aufzeigen,dassdieserentsprechendseineneigenenStandardssichzurückhaltensolle –auchmitBlickaufalltäglicheFragen. 57 AusmeinerSichtistdieurbaneAuslegung in diesem Punkt paradoxerweise konsequenter als die rustikale, denn die rustikale AuslegungunterstelltdemausSichtderurbanenLesart gänzlich ohne Meinungen lebendenPyrrhoniker,dieserhabezumindestfesteMeinungenüberdieBedingungen der Angebrachtheit einer Zustimmung, teile also Auffassungen darüber, was gute GründeeinerMeinungsbildungseienundwelcheArgumentenichthinreichen,einen deliberativen Entscheidungsprozess zu rechtfertigen. Die Frage ist also, ob die e pistemischen Standards des Skeptikers bereits in der Sprachgemeinschaft implizit vorhandensindoderobderPyrrhonikerdieAnforderungenanguteGründeerhöht, umletztlichüberdiedadurchbegünstigte Epoche sichdererwünschten Ataraxie an zunähern.WieauchimmerdieseFragezubeantwortenist,derPyrrhonikerwürde fürkeineAntwortdieHandinsFeuerlegen,daer–wiemirscheint–selbstweder eineTheorienocheineMeinungdarüberhat,waseinguterGrundist.Erglaubtle diglich, bestimmte epistemische Standards vorzufinden, an welchener sich jeweils ausrichtet,umdadurchsichselbstunddieGesprächspartnereinerAnerkennungder GleichwertigkeitkonfligierenderArgumente(Isosthenie)näherzubringen.Eristalso nichtderMeinung,man solle sichaufgrundderAllgemeingültigkeitbestimmterStan dardsmitBlickaufnichthinreichendbegründeteThesenzurückzuhalten–dieZu rückhaltungistvielmehrderbewirkteEndzustandeinespsychischenMechanismus. DieAnforderungenanguteGründekönnenvonKontextzuKontextvariierenund der Pyrrhoniker hat sich in seiner (selbst)therapeutischen Rolle an den jeweiligen Standardsauszurichten.

1.2 Inkonsistenzvorwürfe an die Dogmatiker

57 Vgl.Frede,TheSkeptic’sBelief,184:„Theclaimthatactionsdonotpresupposebeliefs[...]isno lessdogmaticthanthedogmaticclaim,thatactionsdopresupposebeliefs“.Vgl.ders.,TheSkeptic’s TwoKindsofAssent,204:„Their[Skeptiker]aimmightjustbetopointouttotheopponentthatby hisownstandardsitwouldseemthatheoughttowithholdassent“.

17 Ein Grossteil pyrrhonischantidogmatischer Argumentationspraxis besteht darin zu zeigen,dassdieLehrmeinungenderDogmatikerunnütz ( περιττς, χρηστος )58 , un verständlich( σνητα )59 ,untereinandernichtkonsistent 60 odergarjeweils in sich wi dersprüchlichsind.DerpyrrhonischeSkeptikersiehtsichalsonichtnurnichtinder Lagezubestimmen,obdievorgebrachtenLehrmeinungenwahroderfalschsind,er bezweifelt mitunter sogar deren Wahrheitswertfähigkeit, indem er gegen ihre Ver ständlichkeitoderWiderspruchsfreiheitargumentiert.SoistetwadieFrage,obdie AnzahlderHimmelskörpergeradeoderungeradesei,zwarverständlich,dadieBe deutungderinihrvorkommendenAusdrückeklarist,siescheintallerdingsunent scheidbar.DagegenistbereitsdieFrage,obeseineUrsachegibt,nachSextusunver ständlich,daderBegriffderUrsacheeinnichtdenkbarer,weilinsichwidersprüchli cher, Begriff ist. 61 Wenn der Pyrrhoniker theoretische Begriffe wie „Vorstellung“ (φαντασα), „Natur“ ( φσις ), „Aussending“ ( τ κτς υποκεενον ) oder „Wahrheit“ (λθεια ) verwendet, sotut er dies nur im Rahmen einer Konsistenzprüfung und allfälligen Widerlegung der dogmatischen Position. Der Skeptiker verwendet die Spracheansonstenungenau( καταχρηστικς),lässteinzelneBegriffeundefiniertund ohne‚eigentliche’( κυρις)Verwendung. 62 Erverlässtsichaufdenunphilosophischen Alltagssprachgebrauch und ein möglichst theoriefreies Vorverständnis der Begriffe (προλήψεις )63 ,nichtzuletztdeswegen,weilervermutet,dasssemantischeFaktenkon tingenterweiseexistieren,da„WortedurchSetzungBedeutunghabenundnichtvon Natur“ 64 .

1.3 Unbehagen am Repräsentationalismus InderSchrift Gegen die Mathematiker streichtSextusheraus,dasswirlediglichwissen, wie die Dinge für uns erscheinen, nicht jedoch,wie diese an sich sind. Wir haben permanent mit Repräsentationen und‚Bildern’zutun,derenBezugsgegenständeund

58 PH,II151,211.DerVorwurfderUnnützlichkeitundKontraproduktivitätrichtetsichauchandas Verlangen,alleszudefinieren(PH,II211ff.). 59 PH,II22. 60 SowidersprichtdasPrinzip„WasausEntgegengesetztemfolgt,istnichtnurwahr,sondernauch notwendig“demlogischenPrinzip,welchesbesagt,dassdasnegierteKonsequenseinerImplikation unddasAntezedensnichtbeidewahrseinkönnen(PHII,190ff.). 61 PHIII,22,25,28. 62 PHI,191,194,207,239. 63 PMIX,124. 64 PHII,214.

18 ontischeKorrelatefürunsunerreichbarbleiben. 65 WirwissenvondenDingennur, wiedieseaufunseinwirken,undhabennurimmervon dem jeweiligenWahrneh mungssinn hergestellte ( ποιεν) Eindrücke ( τυπσεις ) präsent. 66 So wissen wir nach SextusüberdasFeuerlediglich,dassesimstandeist,unszuwärmen,nichtjedoch,ob esselbstwarmistundwasdiesgegebenenfallsheissenkönnte. 67 Dasrepräsentationa listische Paradigma der Stoiker bahnt der pyrrhonischen Skepsis den Weg des e pistemischenRückzugsaufeinlediglichvorstellendesIchundeineals„Aussenwelt skeptizismus“bekanntgewordene,radikaleInfragestellungderextramentalenWirk lichkeit. Die Stoiker glaubten, mit ihrer Konzeption der erfassenden Vorstellung (καταληπτικφαντασα)jedocheinenAuswegausdemrepräsentationalistischenZir kel gefunden zu haben, welcher besagt, dass wir es immer nur mit Vorstellungen (φαντασαι )zutunhabenundunsereVorstellungenalsoniemalsmiteinernichtvor gestellten Wirklichkeit vergleichen können. 68 Aus pyrrhonischer Sicht müsste aller dingseinvergleichender„BlickvonderSeite“( sideways-on point of view 69 )möglichsein, wenn veridische von falschen Repräsentationen unterschieden werden sollen, da nachdemPrinzipderUnunterscheidbarkeit( Aparallaxie )richtigeVorstellungennicht anhandintrinsischeroderphänomenalerEigenschaftenvonfalschenVorstellungen zuunterscheidensind: 70 „DemnachmüsstenwirdaswirklicheObjektvorgängiger fassen,damitwirverstehenkönnen,wannwiresmiteinererfassendenVorstellung zutunhaben.DamitwiraberdaswirklicheObjektvorgängigerfassenkönnen,müs senwirdieerfassendeVorstellungbereitsvoraussetzen“ 71 .Sextusstelltderstoischen ErkenntnistheorieauchdiesubjektividealistischenAnsichtenderkyrenäischenSchu le entgegen, für welche „allein die Eindrücke wirklich sind ( να πρχειν τ πθη )“ 72 .Dasjenige,„wasausserhalbdesEindrucksistundihnhervorbringt“,mei nendieKyrenaiker,„existiertzwarvielleicht( τάχαένστινν),stelltsichunsaber nichtdar.AufdieseWeisesindwirimHinblickaufunsereprivatenEindrücke( τ πθη οκεα) unfehlbar ( σν πλανες),wasdasAussending( τ κτς ποκεενον )

65 PMVII,358.Vgl.PHII,74:„DennwohersollderVerstandwissen,obdieErlebnissederSinne denSinnesgegenständengleichen,daerdenAussendingennichtselbstbegegnetundauchdieSinne ihmnichtderenNaturoffenbaren,sondernnurihreeigenenErlebnisse“. 66 DiekonstruktivistischeMetapherfindetsichinPHI,49. 67 AMVII,357. 68 PHII,78. 69 McDowell,HavingtheWorldinView,490. 70 ALI,408f.Vgl.Platon,Theaitetos,157e1158d10. 71 ALI,426. 72 MVI,53.

19 aberangeht,alleimIrrtum( πλανεθα ).UnsereprivatenEindrückesinderfassbar, dasAussendinghingegennichterfassbar.“ 73 DerAusdruck„ τκτςυποκεενον “ist –mehralsandere,vonSkeptikernimZugeantidogmatischerArgumentationsversu cheverwendeteAusdrücke–dogmatischerHerkunftundmeint,dasseinGegens tandbzw.eineTatsacheunabhängigvoneinemBewusstseinodereinerSeeleexistiert bzw.derFallist. 74 DieepistemischeZurückhaltungmitBlickaufsubjektunabhängige Entitäten( κτυποκεενa)entsprichtinvielenFällender Epoche bezüglichdesVer borgenen( δηλa).DietheoretischschlanksteUnterscheidung,welchedasGemeinte einzufangenweissundinderpyrrhonischenRedeweiseVerwendungfindet,istaller dingsdiejenigezwischen„esscheint“und„esist“.Diesefundamentalebegriffliche Differenzierung,welchedie mögliche VerschiedenheitvonSeinundScheinstetsprä senthält,istdieeinzige,aberauchunerlässliche Basis pyrrhonischer Argumentati onspraxis gegen dogmatische Wahrheitsansprüche. Der Pyrrhoniker betont die Wichtigkeit,jaUnentbehrlichkeitdesScheinsundleugnetandererseitsdieverpflich tendePräsenzvon‚Hinterwelten’desSeins. DiepyrrhonischeSkepsis–sokönntemanmiteinemprägnantenAusdruckWolfram Hogrebes sagen – entlarvt die „Orphische Bezüglichkeit“ jeder kognitiven und aisthetischenAnnäherungansWirkliche.OrphischeBezügesinddadurchcharakteri siert,dass„ durch Zuwendung alles dasjenige getilgt oder verändert wird ,demmansichzuwen det“ 75 .DiepyrrhonischenSkeptikerradikalisierendierepräsentationalistische Epis temologie,indemsiebemerken,dassdas,„wasEurydike,wasdieWeltansichselbst seinmag,vonunsererRegistraturdurchZuwendungalleinschoninsUnzugängliche gestellt“ 76 wird.OrphischistnichtnurderBezugaufeinesubjekttranszendenteWirk lichkeit tout court ,sondernauchdieThematisierunggefestigterundfaktischunhinter

73 ALI,194195. 74 DieseAuslegung,welche„ausserhalb“alsIndikatoreinerontologischenIndependenzundnichtals blossenVerweisaufeineräumlicheRelationliest,stütztsichaufdiearistotelischeVerwendungvon „inetwassein“,wiesieinKontextenderFragenachderUnabhängigkeitvonSubstanzenexpliziert wird:„xistiny“besagthierbeinicht,dassxeinTeilvonyist,sonderndassdieExistenzvonxvon derExistenzvonyabhängt(Aristoteles,Kategorien,1a20f.). 75 Hogrebe,OrphischeBezüge,2.Vgl.HegelsEinleitungindie Phänomenologie des Geistes :„Wirbrau chen [...] ein Mittel, welches unmittelbar das Gegenteil seines Zwecks hervorbringt“, denn das Er kenntnismittel(obWerkzeugoderMedium)zeigtunsdasWirklichenurwieesinunddurchdieses Mediumist(PhdG,68). 76 Ebd., 8. In Orpheus’ Fall lässt der unsichere und vergewissernde „Blick des Wissenwollenden“ verschwinden,wasseinemusischeBegabunghervorzauberte.DieGewissheitdessen,woraufwiruns immerverlassen(bspw.dasseseineWeltgibt),waswirniehinterfragenundwovonwirimmerschon ausgehen, wird durch den anatomischen Blick der skeptischen ratio als letztlich grundloses, blindes Vertrauenentlarvt,dessenBlindheitnachStanleyCavellalleindurchdieLiebegerechtfertigtwerden kann(Cavell,AnspruchderVernunft,684).

20 fragterGewissheiten.DerSkeptiker„versetztLeserundHörermitAbsichtineinen orphischenBezugzuseinemimplizitenWissen,dessenerinabgeforderterrechen schaftlicherZuwendungverlustiggeht“ 77 .AlltäglicheGewissheiten,wiedieTatsache, dass ich zwei Hände habe und Autos nicht auf Bäumen wachsen, verlieren ihren StatusalsGewissheiten,sobaldwirversuchen,siezubegründenundalsWissenaus zuweisen(vgl.2.4). 1.4 Relativismus

DerAusspruch„Allesscheintrelativzusein(πρςτι πάνταφανεται )“ 78 istdasrelati vistischeKondensatderzehnTropendesÄnesidemsowiederfünfTropendesAg rippa.Wozuetwasrelativist,zeigendieTropen.DieGeltungbestimmterAussagen istrelativzuUnterschiedenundModifikationendes jeweils Urteilenden und/oder Beurteilten.EinundderselbeGegenstandwirdnichtnurdefactoausunterschiedli chenPerspektivenoderinungleichenKontextenandersbeurteilt,sondernersollte auchimmerinseinerPerspektivitätundRelativität verstanden werden,i.e. als Ge genstand für eine bestimmte Weise des Zugangs, vor dem Hintergrund bestimmter Annahmenoder in einembestimmtenKontext.JedeHerangehensweiseanWirklich keitistgezeichnetdurchbestimmteUmstände( περιστάσεις ),welchesowohldasSub jektalsauchdasObjektdesErkennensprägenundbeeinflussen. 79 AuchdieTropen desArgumentationstrilemmassind–àlamanièrereductioniste–Spezifikationendes „allgemeinsten“ ( γενικώτατος ) aller Tropen, des Relationalitätstropus ( π το πρςτι ),dadieGeltungvonKriterienunddieWirkkraftvonArgumentationensich den in actu operandi unhinterfragten Voraussetzungen des Argumentationskontextes verdankt.DiebeiSextushäufigwiederkehrendeWendung„soweitesdasArgument betrifft ( σον π τ λγω )“ 80 isteinstarkesIndizfürdieNähederpyrrhonischen Skepsiszumepistemischen Kontextualismus 81 ,dadurchsiedieKontextbedingtheitder Überzeugungskraft bestimmter Argumentationen unterstrichen werden soll. Jede Argumentation richtet sich an kontextspezifischen Rechtfertigungsstandards aus,

77 Ebd.,4. 78 PH,I135. 79 Vgl.diezehnTropenundALI,63. 80 Vgl.PHI,20,215,227. 81 DiePositiondesepistemischenKontextualismuswirdweiteruntenerläutert(Kapitel3).

21 welchenurbestimmteGründeals gute Gründegeltenlassen,undfokussiertgewisse AspektedesThematisierten,währendandereignoriertwerden. DieimGesprächgegendenDogmatikervorgebrachten Behauptungen haben ihre GültigkeitlediglichaufgrundundimRahmenderjeweiligen antidogmatischen Ar gumentationunduntersteheninersterLiniederNormderSituationsundRezipien tenadäquatheit,nichtderAngemessenheitandenGegenstand. Der Pyrrhoniker ist einTherapeut,keinTheoretiker.ErverbindetmitdertherapeutischenEmpfehlung an den Dogmatiker, er solle sich besser des Urteils enthalten ( ποχ), weder eine Heilsgarantie noch den Anspruch, eigenes Wissen um die Gleichwertigkeit (σοσθενεα)konfligierenderArgumentezumAusdruckzubringen.Vielmehrgibter lediglicheineBerichterstattung( στορια)dereigenen,gegenwärtigenBewusstseinszu stände.DieEmpfehlungder Epoche gleichtalsoeinerautobiographischenKundgabe desjeweilsgegenwärtigenkognitivenBewusstseinszustandes,dersichaufgrundanti thetischerVerfahrenundrelativierenderArgumentationeneinstellte. DerPyrrhonikeristkeinRelativist,daerimZugerelativistischerArgumentationen keineWahrheitsansprücheerhebt.RelativierendeArgumentesindauspyrrhonischer PerspektiveblossgeeigneteHeilmittel,umdenDogmatikervonabsolutenGeltungs ansprüchenabzubringen.DerRelativismusistzwareinePosition,diedemPyrrhoni ker vertraut ist und plausibel scheint, niemals jedoch würde er behaupten wollen, dieseTheorieseidieeinzigwahre. 1.5 Praktikabilität: Apraxie- und Aphrasieproblematik KannderpyrrhonischeSkeptikerseinenSkeptizismus leben und,wennja,woranori entiertsichseinePraxis?DieSkeptikerfolgen–soSextus–einem„gewissenLogos (τινλγω )“,derihnen,„entsprechenddenErscheinungen,dasLebennachdenvä terlichenSitten( θη ),denGesetzen( νους ),den Lebensformen( γωγς)undden eigenen Affektionen ( πθη ) zeigt“. 82 Sielebenso,wieesihnenambestenzusein dünkt( φαινονοιςπροσχοεν )83 ,wobeisienichtbehaupten,dassdieschwachenMei nungen,andenensiesichorientieren,wahrsindoderauchnurgerechtfertigteroder objektivnützlicheralsandere.MeisthandelnsiewieihrenichtskeptischenMitbürger,

82 PHI,17. 83 PHI,21.

22 indem sie sich an den geltenden Gepflogenheiten und Konventionen orientieren. EinescheinbarabsurdeKonsequenzderpraktischenMitläuferschaft( πραγοσνη ) istetwadieTatsache,dassdiepyrrhonischenSkeptiker–genausowiediemeisten ihrerZeitgenossen–überGötterredenundihnenimKultihreReverenzerweisen. 84 WennderSkeptikerinderbrütendenHitzeeinenBecherWassereinerFlascheWein vorzieht,sotuterdiesnicht,weilerweiss,dass Alkoholkonsum in einer solchen Situationunangebrachtist,sondernausanderenGründen–etwaweilersichanver gangeneunbequemeErfahrungenzuerinnernmeint,dieernichtwiederholenmöch te.Aberkönnteesnichtsein,dassersichtäuscht,unddiebeidenSubstanzenihre Wirkungentäglichändern,oderergardurcheinenüblenScherzhintersLichtgeführt wird,mitdemZiel,ihndurchWein,derwieWassererscheint,betrunkenzumachen? ObwohlderSkeptikersolcheSzenariennichtausschliessenundwederwahrheitsga rantierendeGründefürnochgegensieanführenkann,wählterjeneFlüssigkeit,die ihnanWassererinnert.Obwohlerniezuwissenbeanspruchenwürde,dassessich beidergewähltenFlüssigkeitwirklichumWasserhandelt,verlässtersich in praxi auf seineErinnerungundagiertentsprechenddendurchTradition 85 verbürgtenVorstel lungen( τηρσεις )undseinereigenenLebenserfahrung (βιwτικτρησις ),welcheihm gewisse Meinungen gleichsam aufdrängen.86 Aufgrund gemeinsamer biologischer AnlagenundkulturellerPrägungennistensichkollektiveVorbegriffe( κοινπρληψις ) –Aristoteleswürdesie νδοξα nennen–ineinerDiskursgemeinschaftein,diezuver werfeneskeinenGrundgibt,dasiesichindertradiertenPraxisbewährtzuhaben scheinen. DerdoxastischeHaushaltdesSkeptikers–seineVermutungenoderallgemeindasje nige,wasihmderFallzusein scheint –bleibtinseinemGesamtbestandweitgehend unangetastetvondersichimmeraufsNeuebestätigendenAnnahme,esgäbegleich guteGründefürundgegeneinbestimmtesUrteil.DiePsychologieentziehtsichin machen Fragen der Logik. Für den Pyrrhoniker scheint es zwar keine objektiven Gründe ,sehrwohljedochpsychische Ursachen zugeben,einebestimmtedoxastische

84 PHIII,2. 85 Vgl.Marquard,AbschiedvomPrinzipiellen,17:„DieSkeptikerrechnenalsomitdersterblichkeits bedingtenUnvermeidlichkeitvonTraditionen;undwasdort–üblicherweiseundmitdemStatusvon Üblichkeiten–gewusstwird,wissensieauch“. 86 DieHumescheInduktionsskepsismitBlickaufzukünftigeEreignissewardenpyrrhonischenSkep tikernnichtunbekannt(PHII,204).

23 Einstellungeineranderenvorzuziehen. 87 Auchwennesihmsoscheint,dassentge gengesetzteAuffassungenobjektivgleichstarkseien( σοσθενεα),undesnachseiner VermutungalsokeinewahrheitsgarantierendenGründegibt,diefüreinebestimmte Auffassungsprechen,richtetersichinseinemHandelngleichwohlnachderihmhier und jetzt plausibler scheinenden Vorstellung. Aus dogmatischer Perspektive muss jedeHandlungdesPyrrhonikersirrationalscheinen,daineinemstriktenunddogma tischenSinnevon„Rechtfertigung“derSkeptikerkeineseinerHandlungenrechtfer tigenkann.DerPyrrhonikerwürdeimGegenzugvorschlagen,dieRechtfertigungs standardsunddieAnforderungenanguteGründenichtderartzuüberhöhen,dass keineunsererHandlungenundStellungsnahmenalsbegründetgeltenkönnen.Falls dievertrauteUnterscheidungzwischenbegründetemundirrationalemHandelnnütz lichscheintfüreinegelingendePraxis,solltesieaufrechterhaltenwerden,auchwenn die alltäglichen Anforderungen an gute Gründe mit den dogmatischen Ansichten überdiewahrheitsundrichtigkeitsgarantierendeFunktionguterGründeinKonflikt stehen. VielfachwirddenradikalenSkeptikernnichtnureineInkonsistenzzwischenPraxis und‚Lehre’(Diskurshaltung) 88 –odergareinetheoriebedingteHandlungsunfähigkeit (Apraxie )89 –vorgeworfen,sonderndarüberhinausaucheineSelbstwidersprüchlich keitimzweifelndenTheoretisierenselbst.DieserVorwurfmachtsichfestanAussa gen, welche behaupten, es gäbe weder Bedeutung, noch Wissen, noch Wahrheit, nochVernunft,nochBeweise.ThesensolcherArtsolltederantithetischverfahrende SkeptikerstarkzumacheninderLagesein,wennerdieentgegengesetztenThesen desDogmatikers(„EsgibtmindestenseineWahrheit,einenBeweisetc.“)relativieren will.Die akademischen SkeptikerderAntikehättendieAussage„Nichtsisterkennbar“ (NE)alseineelliptischeVerwendungfür„NichtsisterkennbarausserNE“verstan denwissenwollen,wogegender phyrrhonische Skeptikerwederbehauptenwürde,NE

87 Vgl.Bailey,SextusEmpiricusandPyrrhoneanScepticism,145.WennderSkeptikervordieFrage gestellt wird, weshalb er sich so und nicht anders verhaltenhabe,dannwirder seinedoxastischen Neigungen plausibel zu machen versuchen, indem er anfügt, was für seine schwache Meinung zu sprechen scheint. Aus Sicht des nichtskeptischen Adressaten könnte dieses nachträgliche Anführen vonSachverhalten,dieebenfallsderFallzuseinundfürdiepräferierteHandlungzusprechenschei nen,sogaralseine„Rechtfertigung“dervollzogenenHandlunggelten. 88 HegelschreibtüberdenSkeptiker:„SeinTunundseineWortewidersprechensichimmer“(Phä nomenologie des Geistes, 162). Auch David Hume glaubt, der pyrrhonische Skeptizismus, deren VertreternachHume keinerlei Meinungenhaben,seizwarunwiderlegbar,allerdingsauchnichtlebbar bzw.vertretbar(vgl.Exkurs). 89 InM11,1623verwendetSextusdenTerminus„ νεργησα“.Vgl.AlexandervonAphrodisiasin De fato , 205: „Manche Lebewesen werden nur tätig sein ( νεργσει ), aber rationale Lebewesen werden handeln( πρξαι )“.

24 seierkennbar,nochNEseinichterkennbar.DerPyrrhonikermöchteseinemGe sprächspartnerzeigen,dassesgleichguteGründefürwiegegendieTheseNEzu geben scheint .WirdderPyrrhonikeraufgefordert,GründeanzuführenfürdiePräfe renzderThese„Esscheintmirsozusein,dassgleichguteGründefürwiegegenNE sprechen“, kann er entweder auf die scheinbaren Ursachen seines kognitiven Be wusstseinszustandesverweisenoderweitereschwacheÜberzeugungenanführen,die für NE zu sprechen scheinen. Die erste Alternative käme einem Begründungsab bruchgleich,daUrsachenkeineGründesind.DurchdasAnführenweitererAussa genderForm„Esscheintmir,dassp“geräterineineninfinitenRegressodereinen Begründungszirkel,dieihnallerdingsbeidenichtinVerlegenheitbringen,daerwe derBegründungsnochWissensansprücheerhebt. BezweifeltderSkeptiker,dasses gültige Schlüssegibt,sogeräternachAuffassungdes DogmatikersineinenpragmatischenWiderspruch,daergegendieAnnahmegültiger Argumentationen eine gültige Argumentation vorzubringen sucht. Der Skeptiker mussjedochnichtbeanspruchen,gültiggegendieMöglichkeitgültigerArgumentati onenzuargumentieren;esgenügtumderGlaubhaftmachung( πστις )willen,gültig scheinende Argumentevorzutragen.InanalogerWeisekönntedieThese„Eskannet waskommuniziertwerden“bzw.„EsgibtsinntragendesprachlicheEinheiten“ent kräftetwerden,undzwarmitThesenundArgumenten,derenGültigkeitnichtde monstrierbarist,dieaberauchnichtalsungültigauszuweisensindunddeshalbnur mitdemAnspruch scheinbarer Gültigkeitvorgebrachtwerden. 90 Sextusantizipiertalso dendogmatischenPeritropeEinwand,dergegenden‚semantischen’Skeptikervor gebracht werden könnte, wendet ihn jedoch durch eine Differenzierung zwischen unterschiedlichenTypenvonZeichenab:„Entwederalsobezeichnendiegegendas ZeichenvorgebrachtenWorteetwas,odersiebezeichnennichts.Wennsiebedeu tungslossind,wiekönnensiedannanderExistenzdesZeichensrütteln?Wennsie aberetwasbezeichnen,danngibtesZeichen“ 91 .DiesentranszendentalenEinwand entkräfteterwiefolgt:„DawireineUnterscheidungtreffenunddieeineSortevon Zeichenverwerfen,dieanderedagegengeltenlassen,istesnichtzwingend,dieExis

90 NichtohneGrundbezeichnetePierreBaylediepyrrhonischeDenkkunstals„diegrössteAnstren gungderSubtilität[...],diedermenschlicheGeisthatunternehmenkönnen“(Bayle,Pyrrho,270).Für Hegel dagegen ist das unversöhnte skeptische Bewusstein eine „absolute dialektische Unruhe“ und gleichteinem„GezänkeeigensinnigerJungen,dereneinerAsagt,wennderandereB,undwiederB, wennderandereA“sagt(PhänomenologiedesGeistes161;162). 91 PHI,130.Vgl.dieausführlichereDiskussioninPLII,281297.

25 tenzanzeigenderZeichenanzunehmen,umbedeutungsvollgegendieExistenzan zeigenderZeichenzuargumentieren“ 92 . OhneaufdieobenskizzierterhetorischeAbwehrzuvertrauen,diedenDogmatiker mitÄusserungenkonfrontiert,dienur scheinbar bedeutungsvollsind,gelingtesSextus vorerst dem PeritropeVorwurf zu entkommen, indem er zwischen anzeigenden (πιδεικτικν) und kommemorativen ( πονηστικν) Zeichen unterscheidet und nur die ExistenzanzeigenderZeichenbezweifelt: 93 AusderExistenzeines anzeigenden natürli chen Zeichens kann berechtigt auf die Existenz eines verborgenen, theoretischen undnichtwahrnehmbarenGegenstandesgeschlossenwerden.SokannausSichtdes DogmatikersetwaausderTatsachederSchweissabsonderungeinesKörpersaufdas VorhandenseinvonunsichtbarenSchweissporengeschlossenwerden.AusdemVor liegeneines kommemorativen natürlichenZeichensdagegenkannlediglichaufdieAn wesenheit eines beobachtbaren Gegenstandes geschlossen werden, welcher in der RegelgemeinsammitdemkommemorativenZeichenauftritt.Rauchistnachdieser UnterscheidungeinkommemorativesZeichenfürFeuer,dadasFeueralsdasBe zeichnete keine rein theoretische, sondern eine beobachtbare Entität ist, und der erfahreneInterpretsichalsolediglichanübliche,ihm bereits bekannte Begleitum ständeundUrsachenderRauchproduktionzuerinnernbraucht.Durcheingleichsam scholastischesFeingefühlfürDistinktionenvermeidetderSkeptikeralsoeinenprag matischenSelbstwiderspruch:DerPyrrhonikerbezweiflenämlich,soSextus,ledig lichdieExistenzanzeigenderZeichen,wobeisprachlicheZeichendeskommemora tivenTypsausreichen,umgegendieExistenzanzeigenderZeichenzuargumentie ren,ohnesichineinenSelbstwiderspruchzuverwickeln.DerSkeptikerbrauchtalso wederaufnichtevidenteGegenständeBezugzunehmen,umdieExistenzvonan zeigendenZeichenzuleugnen,nochistergezwungen,imZugediesesZweifelsden Ausdruck„anzeigendesZeichen“zuverwenden,dessenReferenzerinFragestellt. DerSkeptikerkannaufdieMetaebenewechseln,indemerdenAusdruck„anzeigen desZeichen“lediglich erwähnt undsagt:„DerAusdruck‚anzeigendesZeichen’,wie ihr Dogmatiker ihn verwendet, hat keinen Bezugsgegenstand“. In einem zweiten Schrittgiltes,fürdieThesezuargumentieren,dasseskeineEntitätgibt,aufdieder Ausdruckzutrifft,ohnedabeivonZeichendesanzeigendenTypsGebrauchzuma

92 PLII,290. 93 DieDifferenzierunggleichtderwissenschaftstheoretischenUnterscheidungzwischentheoretischen BegriffenundBeobachtungsbegriffen.

26 chen. Der Skeptiker versucht also, ohne Zuhilfenahme theoretischer Begriffe, i.e. mithilfeeinesVokabulars,dasalleinaufbeobachtbarScheinendesbezogenwerden kann,dieExistenznichtbeobachtbarerEntitäteninFragezustellen. 94 Obihmdas gelingt,hängtletztlichdavonab,wievielTheorieinBeobachtungsbegriffenundge läufigenAusdrückenwie„esgibt“steckt. Darüberhinausbleibtallerdingsfraglich,wieeinpyrrhonischerSkeptikerdieThese, es gäbe keine kommemorativen Zeichen, argumentativ verteidigen würde. Zunächst würdeerwohlmeinen,kommemorativeZeichenseien de facto vomZweifelausge nommen ( ζτητος ). Falls ihn der Dogmatiker allerdings mithilfe transzendentaler Argumentevonder Unhinterfragbarkeit derExistenzkommemorativerZeichenüber zeugen möchte, wäre mein bereits erwähnter Vorschlag, den Dogmatiker mit Sprachäusserungenzukonfrontieren,denen scheinbar Bedeutungundargumentative Kraftinnewohnt,dabeiaberoffenzulassen,obdieseÄusserungen tatsächlich etwas bedeutenundwassiebedeuten. 95

1.6 Pragmatistische Tendenzen Die Stärke der pyrrhonischen Position verdankt sich dem Kontrast zwischen der FragilitäteinerBegründungspraxisunddeninihrvorgebrachtenWissensansprüchen. Das diskursive Ziel des Skeptikers besteht nicht darin, durch radikale Zweifel die alltäglichePraxisdesGebensundVerlangensvonGründenalseineFarcezuentlar ven,sonderndieUnhaltbarkeitdogmatischvorgebrachterWahrheitsansprücheauf zuzeigen. 96 DiepyrrhonischeSkepsiserhofftsicheine„programmatischeEntintellek tualisierung“ 97 desmenschlichenLebens–einegänzlichuntheoretischeEinstellung als Konsequenz theoretischer Aporien. Mit einem praxisnahen Verständnis der menschlichen Lebensform geht eine biologische Kontinuitätsthese einher, welche

94 DerPyrrhonikerkönntesichvorerstaufdieUnterscheidungzwischenderIntensionundderExten sioneinesBegriffsberufenundalleindieExtensioneinestheoretischenBegriffsinFragestellen.Da mitverpflichtetersichjedochaufIntensionen,i.e.aufnichtbeobachtbare,semantischeEntitäten. 95 DieProblematikdessemantischenNihilismussollimletztenKapitel–beiderRekapitulationder antiskeptischenVersuchePutnamsundDavidsons–ausführlicherbesprochenwerden(vgl.Kap.4). 96 OdoMarquardüberspanntm.E.diekonservativistischenundurbanenTendenzendesPyrrhonis mus,wennerschreibt,dieSkeptikerseien„alsogarnichtdie,dieprinzipiellnichtswissen;siewissen nichtsPrinzipielles:dieSkepsisistnichtdieApotheosederRatlosigkeit,sondernnurder Abschied vom Prinzipiellen “96 unddie„EntlastungvomAbsoluten“(AbschiedvomPrinzipiellen,19). 97 Ricken,AntikeSkepsis,135.

27 zwischen Menschen und Tieren keine prinzipielle Differenz konstatiert, sondern auch Tieren Orientierungskompetenz und sogar praktische Vernunft zuspricht. 98 UnseremoralischenIntuitionensindReflexionen,ResümeesundVerallgemeinerun geneinergelingendensozialenPraxisundeingeübterVerhaltensregeln,deren„Güte“ sichfürdenPyrrhonikerlediglichanihrerscheinbarenNützlichkeitbemisst.Sämtli cheNormen–religiöseVorschriften,moralischePrinzipien,politischeGesetze,Ge pflogenheitenundNormalitätendespraktischenAlltags–werdeninihrenGeltungs ansprüchen relativiert, da sie alle auf tradierten Konventionen basieren, welche aus pyrrhonischer Sicht allein dadurch ‚gerechtfertigt’99 werden können, dass sie sich bewährtzuhabenscheinen. 100 PierreBayleschreibtdazu:„[E]skannnichtbezweifelt werden,dasser[Pyrrho] lehrte,EhrhaftigkeitundSchändlichkeit der Handlungen, ihreGerechtigkeitundUngerechtigkeithingenalleinvondenmenschlichenGeset zenunddemeingewurzeltenGebrauchab.WieabscheulichdiesesLehrstückauch seinmag,esergibtsichaufnatürlicheWeiseausdempyrrhonischenPrinzip,dassuns dasabsoluteundinnereWesenderDingeverborgenistunddasswirnurdarüber Gewissheithabenkönnen,wiesieunsinbestimmtenHinsichtenerscheinen“ 101 .In demdieSkeptiker–inerstaunlicherÜbereinstimmungmitdensophistischen‚Viel wissern’–dieKonventionalität,RelativitätundKontingenzdesvermeintlichNatürli chen und Normalen hervorkehren, entkräften sie die Objektivität und Gewissheit von Werten und gewinnen dadurch eine der gemässigten Erlebnisintensität (ετριοπαθεα) und Gemütsruhe ( ταραξα) zuträgliche, annähernde Gleichgültigkeit gegenüber konventionalen Bedeutsamkeiten. 102 Die Ataraxie, das einzige Ziel

98 PHI,6271;PHII,26. 99 DerPyrrhonikeristsichderTatsachebewusst,dassausSichtdesDogmatikersdiescheinbareNütz lichkeiteinerHandlungsregelkeinGrundfürihreRichtigkeitist.Erkönntejedochvorschlagen,die Ausdrücke„Rechtfertigung“und„Begründung“–auchnachderAneignungderskeptischenVermu tung über die letztliche Grundlosigkeit sämtlicher Handlungen und Stellungsnahmen – wieder ins Sprachspielaufzunehmen,undihreAnwendungskriteriengleichsamskeptischzumodifizieren. 100 Vgl. Platon lässt Sokrates in Theaitetos, 172b behaupten, die konventionalistisch euthyphronistische Position, nach welcher die Geltung von Normen und Werten sich der Zustim mungundAkzeptanzeinesKollektivsverdankt,seidiegängigeundweitverbreiteMeinung:„Beiden ebengenanntenBegriffenjedoch,demGerechtenunddemUngerechten,HeiligenundUnheiligen, machtmansichbereitwilligdafürstark,dasshiervonnichtsvonNatur( φσει )ausistundeineigenes Wesen( οδνουσαν )hat,sonderndassdiegemeinsameMeinungdannwahrist,wennmansieeben hatundsolangemansiehat“. 101 Bayle,Pyrrho,258. 102 PHI,25:„Wirsagen nun,bisjetztseidasZieldesSkeptikersdieSeelenruheimBezugaufdie MeinungunddiegemässigteErlebnisintensität( ετριοπαθεα)indenaufgezwungenenDingen“.Vgl. PHI,29:„AberselbstindiesenDingen[denaufgezwungenen]werdendiegewöhnlichenLeute[im Gegensatz zu den Skeptikern] von doppelten Nöten bedrängt, von den Erlebnissen selbst und, in keinemschwächerenMasse,dadurch,dasssiedieseNötefürvonNaturausschlechthalten“.Sextus EmpiricusillustriertdenSachverhalt,dassMeinungenunsereErlebnisseintensivierenundihnenbe

28 pyrrhonischerPraxis,istvielleichtderZustand,inwelchemwir,mitRortyWorten, „nichts mehrverehren, nichts mehrwieeineQuasiGottheitbehandeln“,wowir„alles, unsereSprache,unserBewusstsein,unsereGemeinschaft,alsProduktevonZeitund Zufallbehandeln“–kurz,eineGeisteshaltung,inderwir„denZufallfürwürdighal ten, über unser Schicksal zu entscheiden“ und unser Selbstbild den narzisstischen KränkungenvonKopernikus,DarwinundFreudangepassthaben. 103 Der Pyrrhoniker rechtfertigt seine Handlungen, ähnlich wie der Pragmatist, nicht durch die Berufungaufeinean sich bestehendeWirklichkeit, sondern folgt allein demjenigen,wasihmjeweilsnützlichzuseinscheint.Vordemkulturellgeprägten Hintergrund,dermitbestimmt,wasihmderFallzuseinscheint,präferiertderSkep tikerbestimmteHandlungsoptionenalleinaufgrundihrerscheinbarenNützlichkeit. DerKonservativismus,derdemPyrrhonikeroftundzuUnrechtvorgeworfenwird, istm.E.keinezwingendeFolgeseinerSkepsis,sonderneinerseitsderuntilgbareRest vonEthnozentrismus,denwirallekennen,undandererseitsdieFolgevonNützlich keitsüberlegungenmitdemZieleinesgemütsruhigenundvonfestenÜberzeugungen freienLebens.EinepragmatistischeHaltungistzwarnichtdieunausweichlicheFolge pyrrhonischerSkepsis,siebietetsichallerdingsan,daauchderPragmatisttheoreti scheundpraktischeEntscheidungennichtdurchihreWahrheitundobjektiveRich tigkeit,sondernalleindurchihrenNutzen,zurechtfertigenversucht,unddietheore tischeEinstellungalsGanzezugunsteneinergelingendenPraxisaufgibt.Diepyrrho nische Skepsis kann insofern als eine Wegbereitung des Pragmatismus verstanden werden.EswärezwarmitderskeptischenHaltungprinzipiellvereinbar,wennsich derPyrrhonikerinseinemHandelnaneinerdeontologischenEthikausrichtenoder eingottgefälligesLebenführenwürde,mitdemVorbehalt,dassesihmsorichtigzu sein scheint .Erwirdjedoch,someineich,geneigtsein,einetheorieärmereundonto logischwenigerverpflichtendeOrientierungzuwählen,dieihndemfolgenlässt,was er–letztlichfürsichselbst–fürnützlichhält.DiesescheinbarsonatürlicheHaltung scheint mir nur mit erheblichem theoretischem Arsenal hinterfragbar zu sein. Ein Arsenal,dasdemSkeptikernichtzurVerfügungsteht.

stimmendeKraftschenkendurchdasEreigniseinerOperationaneinemPatienten,derbeiBewusst seinbleibt,währenddieanwesendenFreundeinOhnmachtfallen(PHIII,2367). 103 Rorty,Kontingenz,IronieundSolidarität,50.

29 1.7 Natürlichkeit des Zweifels EntgegenderAnnahmevonMichaelWilliamsmöchteichfürdieNatürlichkeitskep tischerZweifelvotieren. 104 UngewissheitenundZweifelwerdenoftnichtnurdurch imStudierzimmerfingierteSzenarienzumLebenerweckt,derenFalsifizierbarkeitin Fragesteht–wieetwadurchdieFiktioneines brain in a vat ,eines genius malignus oder durchdassogenannte‚Traumargument’–,sondernkönnenauchimAlltagauftau chen oder durch Infragestellung kontextgebundener Rechtfertigungsstandards und Begründungsverfahreninduziertwerden.DiephilosophischkindlicheUnnachgiebig keit,nachdenGründendesFürwahrHaltenszufragen,beleuchtetdieFragilitätund Fallibilität alltäglicher sowie wissenschaftlicher Annahmen und Schlussverfahren. DurchzweifelndesNachfragenwerdenwirder(fürdiePraxisunvermeidbaren)Vor eiligkeitimUrteilenundderNachlässigkeitimÜberprüfenvonGeltungsansprüchen bewusst.TäuschenwirunsineinerSache,vonderwirzubehauptengeneigtsind „Wennichetwasweiss,dann das “,sodrängtsichderVerdachtauf,wirkönntenuns inanderenFragenebensogetäuschthaben–einVerdacht,derdieHypothetizitätdes gemeinhinUnhinterfragtenbewusstmacht.AnlasszumZweifelkanneinealltägliche Situationsein,durchdieeinefürunumstürzbargehalteneMeinunginsWankengerät, wobei wir niemals gedacht hätten, dass wir uns in dieser Sache täuschen könnten. AusgehendvoneinemderartigenErlebniskannsichdas(auchemotionale)Bewusst werdenüberunsereEndlichkeit 105 unddieKontingenzunsererdoxastischenBefind lichkeitwieumsichfressenderRostausbreiten.DieLogizitätdesBegründungstri lemmasdesAgrippaverliertanAbstraktheitundPraxisferne,indemwirzunehmend nicht nur die Unhinterfragtheit epistemischer Fundamente, sondern Fundamente dieser Art selbst preiszugeben geneigt sind. Die menschliche Existenz ist immer möglicherweisetragisch–oderkomisch.ObdiepermanentdrohendeUnwissenheit des Menschen dem unabwendbaren Schicksal ( εαρνη ) oder dem vermeidbaren Zufall( τχη )zuverdankenist,lassendieGötterunslediglichahnen. 106 Wassichin dersolipsistischenVorstellungAusdruckverschafft,Blumenbergnenntes„dasTota

104 Vgl.Williams,UnnaturalDoubts,Preface,xvii. 105 IndiesemPunktsindsichStanleyCavellundOdoMarquardeinig,dennauchMarquardglaubt,die Skepsissei„derSinnfürdiemenschlicheEndlichkeit“(SkepsisundZustimmung,11). 106 Cavell,AdV,685:„DieTragödiestelltdar,dassichderGeschichte,Fortuna,demSchicksalausge setztbin,dieKomödie,dassichdemZufall,demGlückausgesetztbin“.

30 le und das Endgültige“ 107 , eine totale Ohnmacht über das eigene Unwissen, dies kanntediegriechischeMythologienochnicht.Erst durch eine „dogmatische Abs traktion“–wiedersowohlPlatonalsauchSextusvertrautenTraumvorstellungoder derjenigendesDescartesschen genius malignus –wirddieepistemischeOhnmachtins Unermessliche ausgeweitet und der ansonsten eher sporadisch eingreifenden Ver blendung( τη )dieVollmachtübertragen. In akademischen Kreisen kursiert die Meinung, das Aussenweltproblem, die Ge trenntheitdesSubjektsvonderWeltunddieFragedesIdealismusseienneuzeitliche epistemologischeProblemeinderTraditionslinieDescartes’,diesichfürdasantike Griechentumnochnichtgestellthätten. 108 DiesePositionscheintmirunhaltbarange sichtsderTatsache,dassSextus(i)dierepräsentationalistischeEpistemologiegleich sam ad absurdum führt,(ii)dieKyrenaikeralsPhilosophensieht,welcheimStileBer keleys„behaupten,dassalleinunsereEindrückewirklichexistieren,abernichtsan ders“ 109 und(iii)dieempiristischeIdeeeinesvomTraumzustand 110 ununterscheidba ren Sinnesdatentheaters bereits explizit formulierte: Sextus schreibt, der Kyniker MonimosundAnaxarchos,derLehrerPyrrhons,seienderMeinunggewesen,„dass das Seiende eine Bühnenmalerei ist, die den Bildern vergleichbar ist, die uns im TraumoderimWahnsinnzufallen“ 111 . EinpyrrhonischerSkeptikerverstehtsich–diesmöchteichabschliessendfesthalten –inersterLiniealseinSelbsttherapeut,derdaseigeneDenkenvonfestenMeinun genbefreienunddadurchdieerlebteIntensitätaufgedrängternegativerEmpfindun gen,SorgenundÄngstemöglichstgeringhaltenmöchte.Eristjemand,derimmer auchdieGegenpositionstarkzumachenversucht,dabeikeineWahrheitsansprüche vertrittundsichlediglichandemorientiert,wasihmhierundjetztjeweilsderFallzu seinscheint.DerWegzurerwünschtenGemütsruhe(Ataraxie)führtdabeinichtüber ein Wissen um das Gute und die Welt, sondern über ein Unwissen – über eine scheinbareAusweglosigkeitinSachenTheorie.

107 Blumenberg, Arbeit am Mythos ,296. 108 Siehez.B.MylesBurnyeat,IdealismandGreekPhilosophy. 109 MIV,53. 110 ALI,403. 111 ALI,88.

31 Exkurs: David Humes Pyrrhonismus DavidHumesRezeptiondesPyrrhonismusweichtinentscheidendenPunktenvon der systematischen Schilderung des Sextus Empiricus ab. Nach Hume hat der pyrrhonischeSkeptiker,imUnterschiedzueinemEpikureeroderStoiker,keinprak tischesoderintellektuellesZiel.112 AuchhaternachHume keinerlei Meinungen,weder wankende Vermutungen noch mit dem Bewusstsein einer möglichen Falschheit durchsetzte,schwacheMeinungen.MeinungenzuhabenüberdieWirklichkeit,istfür HumeallerdingseinkonstitutiverBestandteilmenschlichenHandelns.Alsoseidie pyrrhonische Skepsis eine für handelnde Wesen nicht vertretbare Position, und „Handlung, Beschäftigung und die Verrichtungen des täglichen Lebens“ seien der „grosseÜberwinderdes Pyrrhonismus “113 . SkeptischeArgumentesindzwarunwiderlegbar–Humeschreibt,siewürdenkeine „Antwortzulassen“–,siekönnenjedochauchkeine„Überzeugungliefern“. 114 Der radikaleSkeptizismusgleichtnachHumeeinerintellektuellenSpielereiinderStudier stube,diezwar„Staunen,UnentschlossenheitundVerwirrung“ 115 hervorrufenkann, fürdiePraxisjedochirrelevantodergarschädlichist.EinGrossteilderfürmenschli cheAgentenunerlässlichenMeinungenistnachHumenichtdasProduktgründlichen Raisonnierens sondern die Konsequenz irrationaler Naturinstinkte und natürlich psychologischer Mechanismen, und somit von skeptischen Glasperlenspielereien unbetroffen. DerSkeptizismusseilediglichineinerrestringierten,moderatenFormnützlich.Eine „geringeDosisPyrrhonismus“–eingewisser„GradvonZweifel,VorsichtundBe scheidenheit“–solltedieim‚ZeitalterderAufklärung’lebendenMenschenauszeich nen. 116 Humeistalso,obgleichihmdiesentgeht,derselbenAnsichtwiediepyrrhoni schenSkeptiker.BeidevertretendiepragmatistischeAuffassung,nachwelchersich dieSkepsislediglichdurchihrenNutzenetablierenund‚rechtfertigen’kann. DermoderateZweiflerist,wieHumeihnversteht,weniger vorurteilsbehaftet, be scheiden,zurückhaltendundsorglos. 117 DerradikaleSkeptikerdagegengleichteiner schizophrenenPersönlichkeit,daradikaleZweifelsichnurinbestimmten,meistme

112 Hume,Untersuchung,201. 113 Ebd.,199.Vgl.Popkin,DavidHume:SeinPyrrhonismusundseineKritikdesPyrrhonismus,231f. 114 Ebd.,195. 115 Ebd. 116 Ebd.,202f. 117 Ebd.,202.

32 lancholischenStimmungenentfaltenkönnen.Dieinnere Natur heiltdenMenschen vonderskeptischenKrankheitderVerwirrungundMelancholie und verhilft ihm, sichwiedergeselligerenunderfreulicherenDingenzuzuwenden.Deminalltäglichen SituationensichbefindendenMenschen,derlebhaftereEindrückehatalsderbloss reflektierendeSkeptiker,erscheinendieskeptischenSpekulationen„kalt,überspannt undlächerlich“ 118 . DerPyrrhoniker,wieHumeihnzeichnet,glaubefälschlicherweise,„dassjemandeine Haltung,dieermanchmalunduntergewissenUmständeneinnehmenkann,immer undunterallenUmständeneinnehmenkönne“ 119 .DieserEinwandscheintberechtigt zu sein, dawir gesehenhaben, dass der Pyrrhoniker seine schwachen Meinungen eherderPsychologiealsderLogikzuverdankenhat.EinPyrrhonikerhatdoxasti scheNeigungen,obwohlergleichguteGründefürwiegegendieobjektiveGeltung einerTheseanführenzukönnenglaubt.DieStabilitätderepistemischenZurückhal tungunddoxastischenIndifferenzbleibtfürdenPyrrhonikereinIdeal,einnieganz zuerreichendesZielseinestherapeutischenGeschäfts. DerPyrrhoniker,wieSextusihncharakterisiert,istdemmoderatenSkeptikerHumes auffallendähnlich:Beidehabenlediglichpassiverworbene,durchdienatürlicheVer anlagunggleichsamaufgezwungene,schwacheMeinungenundseheninderskepti schenGrundhaltungeinenNutzenfüreinegelingendeLebensführung.Der gänzlich ohneMeinungenlebendeMenschistausSichtbeidereineIllusion.Wennwirunter demLabel„pyrrhonischeSkepsis“alsoeineHaltungverstehen,wiesieindenSchrif tendesSextusEmpiricusinsystematisierterFormbeschriebenwird,dannhabenwir gute Gründe zu behaupten, dass Humeein pyrrhonischer Skeptikerwar,ohneeszu wissen.

2. Skepsis und Sprachspiel: Ludwig Wittgenstein

2.1 Aufgabe und Form der Philosophie DasSpätwerkWittgensteinsstehtineinem prima facie ambivalentscheinendenVer hältniszurSkepsis:EinerseitsstösstersichausverschiedenenGründenandertradi

118 Hume,Traktat,347. 119 Hume,Dialoge,10.

33 tionellenAusdrucksweiseskeptischerZweifelundantiskeptischer Einwände, ande rerseitsbasiertseineeigene,therapeutischzuverstehendePhilosophieaberaufskep tischenVorbehalten,antifundamentalistischenErwägungenundeinerkontextualisti schenGrundhaltung,aufgrundderersieamehestenderantitheoretischenTraditions liniedesPyrrhonismuszuzuordnenist. DiePhilosophiehatausseinerSichtwedereinenbestimmten Gegenstandsbereich vorAugen,nochsollsieThesenodergarTheorien 120 aufstellen.Inden Philosophischen Untersuchungen schreibterexplizit,„wirdürfenkeinerleiTheorieaufstellen“. 121 Seine SpätphilosophieisteinKonglomeratbestimmterMethoden,eineklärendeundum Übersichtlichkeit bemühte Tätigkeit . Sie bleibt als Tätigkeit immer fragmentarisch, unsystematischunddiskursiv.IneinemzwischenverschiedenenPositionenringen den Selbstgespräch 122 exemplifiziert Wittgenstein – frei von jeder endgültigen Zu stimmungundAblehnung–gegensätzlicheUmgangsweisenmitkonkretenFragen. 123 DiesesGesprächistfürWittgensteinimmeraucheineszwischenAutorundLeser: „IchmöchtenichtmitmeinerSchriftAnderndasDenkenersparen.Sondern,wenn es möglich wäre, jemand zu eigenen Gedanken anregen“ 124 . Er sieht die Aufgabe seinerPhilosophiedarin, dieVerwirrungen,Unklarheiten und Aporien philosophi schen Fragens und Denkens aufzulösen und die Philosophie von bestimmten, sie gefangen haltenden Bildern und Zwängen zu befreien.125 Wittgensteins therapeuti scherImpetus,seinskeptischesRingenmitkonfligierendenPositionen,dasundog matische Vertrauen in die alltägliche Praxis und die Ablehnung jedweder Theorie

120 Gemeint sind insbesondere systematische und quasiaxiomatische Formen der Theoriebildung, derenVertreternichtnureinenBeschreibungssondernaucheinenErklärungsansprucherheben. 121 PhilosophischeUntersuchungen(PU),109,128. 122 DasSpätwerkWittgensteinsausderSichtStanleyCavellsdurchzogenvoneinerPolyphonieder Stimmen.EspräsentiertsichalsaphoristischesEnsemble,alsdieManifestationeines‚Gesprächsder Seelemitsichselbst’.DiephilosophischskeptischenEinwändenzugrundeliegendenWünsche,Ängs te und Sehnsüchte, die vielgestaltigen Überwindungsversuchungen der conditio humana (Getrenntheit und Endlichkeit), die Sehnsucht nach Notwendigkeit, Objektivität und nach Unabhängigkeit von (allzu)menschlichenPraktiken,kurz:derverstiegeneVersuch,derKontingenzzuentrinnen,alldies istnachStanleyCavellsoriginärerLesartkeine fremde ,zumSchweigenverurteilteStimmeimSpätwerk Wittgensteins.VielmehristesWittgensteinszweiteStimme propria persona ,dieantithetische,deneige nenSehnsüchtenAusdruckverleihendeStimmeeines alter ego .Vgl.Cavell, Der Zugang zu Wittgensteins Spätphilosophie ,151ff. 123 Auch die Essays Montaignes präsentieren sich als skeptisches Selbstgespräch. Die vielschichtige Position Montaignes muss, obwohl er eine neuzeitliche Schnittstelle des Pyrrhonismus darstellt, in dieserArbeitausPlatzgründenunbeachtetbleiben. 124 Vgl.Vorwortzuden Philosophischen Untersuchungen . 125 PU,115,119,132133.

34 veranlasstenRobertJ.FogelinzuderBehauptung:„[...]Pyrrhonianisthe historicalmovementthatWittgenstein’slatephilosophymostresembles“ 126 . Seine Position bezüglich des Skeptizismus scheint allerdings ambivalent. Während diekontextualistischenundantifundamentalistischenTendenzenseinerPhilosophie skeptisch motiviert sind, verpflichtet er den traditionellen Skeptiker, seine Fragen undZweifelsprachlichanderszufassenalserdiesüblicherweisetut.ImGegenzug ermahnt er auch den Antiskeptiker der ordinary language philosophy , er sollesich auf skeptischeEinwändeeinlassenundnichtaufeinerdirektenWiderlegungbestehen, welchedemSkeptikerschlichtmitVorwürfendesSprachmissbrauchsbegegnet.Für denspätenWittgensteingibtesalsowederschlechthinunumstürzbareWahrheiten, nochgibteseineaufdemCommonSensebasierende,direkteWiderlegungdesSkep tizismus. 127 Erglaubt,eine„WahrheitdesSkeptizismus“ 128 ausfindiggemachtzuha ben,ermahntdenSkeptikerjedoch,sicheinessprachphilosophischreflektiertenVo kabularszubedienen. Bei der Beschäftigung mit philosophischen Positionen sollen nach Wittgenstein in einemerstenSchrittdiemitdemCommonSenseunverträglichenskeptischenEin wände und Bedenken verständlich gemacht werden, um diese in einem weiteren Schritt in einer skeptisch reflektierten Form des CommonSenseaufzuheben–im dreifachenHegelschenSinnevon„aufheben“.WittgensteinmahnteinseinenVorle sungen1934/35: Man darf nicht versuchen,einem philosophischen Problem auszuweichen, in demmansichaufdenCommonsenseberuft;stattdessensolltemanessodar stellen, dass es besonders eindrucksvoll wirkt. Man muss es sich gestatten, in denSumpfgezerrtzuwerdenundsichdannwiederherausarbeiten. DiePhilosophie,kannmansagen,bestehtausdreiTätigkeiten:dieAntwortdes Commonsense erkennen– sich so tief in dasProblem verstricken, dass die AntwortdesCommonsenseunerträglicherscheint–vondieserSituationzu rückgelangen zur Antwort des Common sense. Die Antwort des Common senseistalssolchejedochkeineAntwort,unddaswissenauchalle.InderPhi losophiedarfmannichtversuchen,dieProblemekurzzuschliessen. 129

126 Fogelin,PyrrhonianReflections,9. 127 Vgl.Wittgenstein,DasBlaueBuch(BB),95:„EsgibtkeinecommonsenseAntwortaufeinphilo sophischesProblem“. 128 StanleyCavellbehauptetindervielleichtentscheidenstenPassageseines opus magnum „TheClaimof Reason“,„dieWahrheitdesSkeptizismusoder[...]dieMoraldesSkeptizismus[sei]die,dassdieBasis dermenschlichenKreaturinderWeltalsganzer,ihrVerhältniszurWeltalssolcher,nichtimWissen besteht,zumindestnichtindem,waswirfürWissenhalten“ 128 .CavellwirddurchWittgensteinbe stärkt, wenn dieser in Über Gewissheit schreibt: „Das Wissen gründet sich am Schluss auf Anerken nung“(ÜG,378). 129 Vorlesungen193035,286287.

35

2.2 Lebensform, Weltbild, Sprachspiel Das Konzept der Lebensform ,welchesTheorieundPraxiszuversöhnensucht,der holistischimprägnierte Begriffdes Weltbildes sowiederkontextualistischeTerminus „Sprachspiel“–alledreinehmensieimwittgensteinschenSpätwerkeineprogramma tischeFunktioneinundsollendeshalbimFolgendenumrisshafterläutertwerden. JedeKultur(Sprachgemeinschaft)kennteineVielzahlvonNormalitäten,Gewisshei ten, unhinterfragten undnicht weiter zu rechtfertigenden „Grundlagen“ menschli cherLebensformenundSprachspiele. 130 Wittgensteinverwendetfürdiesekulturelle BasisderVerständlichkeitdengeläufigenBegriffdesWeltbildes:„AbermeinWelt bildhabeichnicht,weilichmichvonseinerRichtigkeitüberzeugthabe;auchnicht, weilichvonseinerRichtigkeitüberzeugtbin.SondernesistderüberkommeneHin tergrund, auf welchem ich zwischen wahr und falsch unterscheide.“ 131 Zu diesem „überkommenen Hintergrund“ gehören nicht nur Sätze der Logik, sondern auch „SätzevonderFormderErfahrungssätze“ 132 .Wittgensteinschreibt:„ZurVerständi gungdurchdieSprachegehörtnichtnureineÜbereinstimmungindenDefinitionen, sondern (so seltsam das klingen mag) eine Übereinstimmung in den Urteilen“ 133 . WenneinemKinddieBedeutungdesAusdrucks„Stuhl“beigebrachtwird,soge schiehtdiesdurchdemonstrativeBezugnahmeaufObjekte,verbundenmitderUn terweisung,dass das da einStuhlist, jenes abernicht.InformationenüberdieSprache gehenHandinHandmitInformationenüberNichtsprachliches.Quinevergleichtin seinem Aufsatz Two of Empiricism dieGesamtheitdessen,wasvonunsge wusstodergeglaubtwird,miteinem„geflochtenenNetz,dasnuranseinenRändern mitderErfahrunginBerührungsteht“bzw.miteinem„Kraftfeld,dessenRandbe

130 DerSprachspielbegriffist–wiediemeistenBegriffeWittgensteins–ambig.DieBedeutung,dieich hierzugrundelege,wirdanfolgendenStellenexpliziert:„IchwerdeauchdasGanze:derSpracheund derTätigkeiten,mitdenensieverwobenist,das‚Sprachspiel’nennen“(PU,§7);„DasWort‚Sprach spiel’sollhierhervorheben,dassdasSprechenderSpracheeinTeilisteinerTätigkeit,odereinerLe bensform“(PU,§23).Sprachspielesindzwar regelgeleitet ,jedochkeineKalküle(wovonWittgensteinin der Philosophischen Grammatik ausging:„DieSpracheistfürunseinKalkül“,193). 131 ÜG,94.Vgl.ÜG,167:„Ich sageWeltbildund nicht Hypothese, weil es die selbstverständliche GrundlageseinerForschungistundalssolcheauchnichtausgesprochenwird“. 132 ÜG,401.Wittgensteinschreibtin Über Gewissheit ,96:„Mankönntesichvorstellen,dassgewisse SätzevonderFormderErfahrungssätzeerstarrtwärenundalsLeitungfürdienichterstarrten,flüssi genErfahrungssätzefunktionierten;unddasssichdiesVerhältnismitderZeitänderte,indemflüssige Sätzeerstarrtenundfesteflüssigwürden“. 133 PU,242.

36 dingungenErfahrungsind“ 134 .EinedemdoxastischenNetzzuwiderlaufendeErfah rungerforderteineRevisiondervonunsfürwahrgehaltenenAussagen, lässt uns aberSpielraumzuentscheiden,welcheAussagendesSystemswirrevidierenwollen, umKohärenzherzustellen.Quinegehtsoweitzubehaupten, dass „jede beliebige Aussage [...] als wahr aufrechterhalten werden [kann], was da auch kommen mag, wennwirnuranderweitigindemSystemausreichenddrastischeAnpassungenvor nehmen“ 135 .Eswärefolglich„albern,eineGrenzliniezwischensynthetischenAussa gen, die abhängig vonErfahrung wahr sind, undanalytischen Aussagen, die wahr sind,egal,wasdakommenmag,zusuchen“ 136 . FürStanleyCavellmanifestiertsichder„wirbelndeOrganismus“namens„Lebens form“ 137 in„gemeinsamenInteressen,GefühlenundFormenderReaktion,demglei chenSinnfürHumorundfürdieBedeutungundErfüllungdessen,wasschändlich ist,einander‚ähnelt’,waseinTadel,wasVerzeihungist,wanneineÄusserungeine Behauptung,wanneineBitteundwanneineErklärungist“ 138 .DasunsererLebens formzugrundeliegendeundunhinterfragteEinvernehmenzeigtsichsprachlichbei spielsweise in der allgemeinen Verständlichkeit von Metaphern oder der geteilten Akzeptanzneuer‚Projektionen’:Werglaubt,mankönnenichtnurHasen,sondern auchParkuhrenfütternundbeimHörendesSatzes„KönntestdudieParkuhrfüt tern,mirfehltdasGeld“nichtweiss,oberüberdenAusdruck„dieParkuhrfüttern“ schmunzeln, die permanente Geldknappheit des Gegenübers bedauern oder sich überdessenGeizärgernsoll,derlebtwiewir,denktundhandeltnachvollziehbarund scheintunsinseinemTunverständlich–wasnichtheisst,dasswirmitdieserPerson stetseinerMeinungsind. 139

134 Quine,ZweiDogmendesEmpirismus,47. 135 Ebd. 136 Ebd. 137 DiebeidenaufschlussreichstenStellenzuWittgensteinsLebensformbegriffsindm.E.diefolgen den:„EineSprachevorstellenheisst,sicheineLebensformvorstellen“(PU,19)und„DasHinzuneh mende,Gegebene–könntemansagen–seienLebensformen“(PUII,S.572).DieThese,dassein SprachspielerstvordemHintergrundeinerbestimmtenLebensformBedeutsamkeitgewinnt,findet sichbereitsinWilhelmvonHumboldts Schriften zur Sprache ;etwawennerschreibt,dassdieSprache „[...]immereingeistigerAushaucheinesnationellindividuellenLebensist“(§8)oder,wennerbe hauptet,„injederSprache“liege„eineeigentümlicheWeltansicht“(§9). 138 Cavell,DerZugangzuWittgensteinsSpätphilosophie,81. 139 Vgl.PU241:„[...]DiesistkeineÜbereinstimmungderMeinungen,sondernderLebensform“.Für Eike von Savigny ist der Begriff der Lebensform „ein nichttechnischer Ausdruck, der einem sagt, welcheVoraussetzungennotwendigundhinreichendsind,damitmansicheinesonstunvorstellbare Sprachevorstellenkann“(WittgensteinsPhilosophischeUntersuchungen,I,49).

37 ImunseremHandeln zeigt sichnachWittgenstein,waswirunhinterfragtannehmen und worin wir „übereinstimmen“. 140 Unsere epistemische Praxis steht jedoch auf keinemrationalenFundament:„HabeichdieBegründungen erschöpft, so bin ich nunaufdemhartenFelsenangelangt,undmeinSpatenbiegtsichzurück.Ichbin danngeneigtzusagen:‚Sohandleicheben’“ 141 .AnandererStelleschreibtWittgen stein:„DasSprachspielistnichtbegründet.Nichtvernünftig(oderunvernünftig).Es stehtda–wieunserLeben.“ 142 InAnlehnunganGoethes Faust I schreibterinseinen spätesten,unterdemTitel Über Gewissheit zusammengefasstenundpostumveröffent lichtenSchriften:„…undschreibgetrost‚ImAnfangwardieTat’“ 143 .

2.3 Antiskeptische Einwände

2.3.1 Abweichender Sprachgebrauch des Skeptikers VonVertreternder ordinary language philosophy wirddemSkeptikervorgeworfen,dieser überhöhedieAnforderungenaneineRechtfertigungundveränderedadurchillegi timerweise die Bedeutung bzw. den Gebrauch 144 bestimmter Ausdrücke, wie etwa „wissen“oder„guterGrund“.DievomAlltagssprachgebrauchabweichendeSprach praxis des Skeptikers kann auf zwei Weisen gerechtfertigt werden: Im ersten Fall beanspruchter,wieesderPyrrhonikertut,lediglichdendeviantenGebrauchseines dogmatischen Kontrahenten zu übernehmen. Ist der dogmatische Kontrahent je docheinVerteidigerderüblichenSprachpraxis,dannmussderSkeptikeralseinse mantischerReformereinWissenumdieeigentliche, wahre und exakte Bedeutung einesWortesfürsichinAnspruchnehmen.EinsolcherWissensanspruchistaller dingsnichtnurunskeptisch,sondernblosseIgnoranzgegenüberetwas,dasausSicht

140 Vgl.PU,241. 141 PU,217;Vgl.ÜG,110:„AberdasEndeistnichteineunbegründeteVoraussetzung,sonderneine unbegründete Handlungsweise“. Oder: ÜG, 204: „Die Begründung [..], die Rechtfertigung der Evi denzkommtzueinemEnde;–dasEndeaberistnicht,dassunsgewisseSätzeunmittelbaralswahr einleuchten,alsoeineArt Sehen unsrerseits,sondernunser Handeln ,welchesamGrundedesSprach spielsliegt“(vgl.ÜG196,268,360;dazuPU211f.,485,654655). 142 Vgl. ÜG, 166: „Die Schwierigkeit ist, die Grundlosigkeit unseres Glaubens einzusehen“. Vgl. AnselmvonCanterburys credo, ut intelligam oderAugustins credimus, ut cognoscamus. 143 ÜG,204. 144 Vgl.Wittgenstein,DasBlaueBuch(BB),104:„DieBedeutungeinesAusdruckesistfürunsdurch denGebrauch,denwirvonihmmachen,charakterisiert“;PU43:„MankannfüreinegrosseKlasse vonFällenderBenützungdesWortes‚Bedeutung’–wennauchnichtfüralleFälleseinerBenützung– diesesWortsoerklären:DieBedeutungeinesWortesistseinGebrauchinderSprache“;BB,109: „DerGebrauchdesWortes in der Praxis istseineBedeutung“.

38 desPhilosophendernormalenSprachedenStatuseinerTatsachehat,nämlich,dass sichdieBedeutungeinesAusdrucksseinerGebrauchweiseineinerSpracheverdankt bzw.nichtsanderesistalsdieimGebrauchsichmanifestierendeRegel. Der Skeptiker, welcher bezweifelt, dass wir überhaupt etwas wissen, gleicht nach AuffassungseinesnormalsprachlichenKontrahentenjemandem,derbezweifelt,man habeeineZigaretteimstrikten(i.e.eigentlichen)SinnezuEndegeraucht,wennder Filterübrigbleibt.Wirsindgeneigt,einensolchenMenschenaufdieDevianzseines Sprachgebrauchs hinzuweisen, indem wir ihm klar zu machen versuchen, dass im Alltagssprachgebrauch das Wegwerfen eines Zigarettenfilters nach Beendigung des RauchensalsIndizdafürgilt,dasseine„ZigarettezuEndegeraucht“wurde.Genau so verspüren wir ein gewisses Unbehagen, demPhysiker Arthur Eddington zuzu stimmen,wenndiesermeint,TischeundSteineseiennicht feste (solide)Gegenstände, dawirmitdemWort„solid“normalerweisemeinen:„voneinerinnerenBeschaffen heitundKonsistenz,wiederjenigenvonTischenusf.“. 145 EinewenigereindeutigeSzeneriewärediefolgende:Jemandemwirdvorgeworfen,er habedensoebengekauftenApfelnichtzuEndegegessen,daerdasKerngehäuse nichteinmalangerührthabe.DiesesSzenariogleichtjenemFall,indemderSkeptiker bezweifelt,wirwüsstenetwas,dawirkeinehinreichendgutenGründefürdieWahr heitunsererMeinunganzuführenimStandesind.Wirsolltenallerdingswederdenje nigen,derunsvorwirft,wirhättendenApfelnichtganzgegessen,nochdenSkepti ker allein durch den Hinweis auf deren deviantes Sprachverhalten zurückweisen. NewtonwürdevermutlichEinsteinauchnichtgleichinsWortfallenoderihnzum Sprachunterrichtschickenwollen,wenndieservon„gekrümmtenRäumen“zureden anfinge–eineWendung,welchebeimerstenHörenfür Newton verdächtig nach einer contradictio in adjecto klingenkönnte.EinVertreterder ordinary language philosophy solltesichvonstriktkonservativistischenHaltungenfernhaltenunddieIdeevonfür immerfeststehendenBedeutungenaufgeben.DerGebraucheinesbestimmtenVo kabulars ändert sich, ein Vokabular wird aufs Abstellgleis verschoben und andere linguistischeGepflogenheitenspielensichein–ganzimSinnevon„makeupthe rulesaswegoalong“ 146 .„WennsichdieSprachspieleändern,ändernsichdieBegrif

145 Dabeihilftes nicht ,sichaufeineLexikondefinitionvon„solid“zuberufen,dieinetwasagenwird: „imInneren komplett ausgefüllt“,dennwirwürdennormalerweiseauchvonTischennichtsagen,sie hättenmaterielleLückenimInneren. 146 PU,83.

39 fe,undmitdenBegriffendieBedeutungenderWörter“ 147 ,schreibtWittgenstein.Der Skeptiker ist allerdings verpflichtet, den abweichenden Gebrauch zu rechtfertigen. Waskannesaberheissen,einevomalltäglichenSprachgebrauchabweichendeWort verwendung zu rechtfertigen? Eine ungewöhnliche Zwecksetzung , durch welche ab weichendeVerwendungsregelnihrescheinbareAbsurditätverlierenisteinzentrales Merkmal ‚sinnstiftender Kontexte’. In Kontexten, die durch abnorme Interessen regiertwerden,wirdmitunterauchdieNegationeinesabweichendverwendetenPrä dikats ins Spielgebracht, wodurch beide Verwendungen, die Zusprechung ebenso wiedieAbsprechungdesPrädikats,gleichsamneuzumLebenerwecktwerden.Eine bestimmte‚ausserordentliche’ZwecksetzungscheintalsoderhinreichendeGrundfür abweichende Anwendungskriterien eines Begriffs zu sein. Sie lässt eine deviante Verwendungsweiseannäherndsonormalundnatürlichaussehen,wiealltäglicheSitu ationendengängigenSprachgebrauch. Wittgensteinlocktunsdurchdie„StimmederKorrektheit“ 148 vielerortsaufdieFähr teeinertherapeutischenAntiskepsis.DertherapeutischeAnsatzoperiertauf semanti- scher Ebeneundversuchtzuzeigen,dassdieZweifel,FragenundHypothesendes Skeptikersunverständlichundsinnlossind.AlsPrüfsteinderIntuitionfürdieSinn haftigkeiteinesSatzesdientdieNegationsoder„Bipolaritätsregel“ 149 ,welchebesagt: „Umzusehen,wieunklarderSinndesSatzesist,betrachteseineNegation[...]“ 150 . EinSatzistalsonurdannsinnvoll,wennauchseineVerneinungsinnvollist.„Sinn los“bedeutetnicht„lächerlich“,„kommunikativirreführend“oder„unangebracht“, sondernmeintindenmeistenFällen,dasssicheine zunächst sinnverdächtige Zu sammenstellung von Wörtern bei genauerer Betrachtung entweder als semantisch regelwidrigoderalskeinersemantischenRegelentsprechenderweist. 151 2.3.2 Anwendbarkeit skeptischer Überlegungen im Sprachspiel

147 ÜG,63;ebd.65.Vgl.PU,23:„[...]neueTypenderSprache,neueSprachspiele,wiewirsagenkön nen,entstehenundandreveraltenundwerdenvergessen“. 148 Vgl.Cavell,DerZugangzuWittgensteinsSpätphilosophie,151ff. 149 Glock,WittgensteinLexikon,siehe„Bipolarität“,90ff.Pitchersprichtvom„Prinzipdersignifi kantenNegation“(DiePhilosophieWittgensteins,80). 150 ÜG,4. 151 DieentscheidendeFrage,welcheVerwendungsregelndesSprachspielssemantischkonstitutivund welchevonblosskonversationalerNützlichkeitsind,wirdweiteruntenaufgegriffen.

40 WittgensteinwirftdemphilosophischenSkeptikervor,dieserwollesprachlicheUn terscheidungenundsemantischeKontrastehintergehen,welchesich in praxi bisher bestens bewährt haben, tue „der Praxis“ de facto jedoch „keinen Eintrag“, da er bloss scheinbar neue Züge im Sprachspiel vollziehe. 152 Dadurch, dass der Skeptiker einebestimmteRedeweise,wie„ichweiss,dassp“,aufgrundihrerangeblichenIna däquatheit aus dem Verkehr ziehen möchte, ebnet er sinnstiftende Kontraste ein, etwadenjenigenzwischen„wissen“und„vermuten“.DerSkeptikerseigeneigt,den Ausdruck„wissen“ausseinemVokabularzustreichenundnurnochvon„vermu ten“zureden.DieumfassendereVerwendungsweisevon„vermuten“wird–gleich demleerlaufendenZahnradeinerMaschine 153 –allerdingsfunktionslos,sobaldder Ausdruck „wissen“ als semantisch konstitutives, da kontrastierendes Pendant des Verbs„vermuten“ausdemVerkehrgezogenwird.Somüsste,umskeptischenVor behaltenRechnungzutragen,etwaeineRedeweiseà laSamHawkens’„wennich mich nicht irre“ 154 an sämtliche Äusserungenangehängtwerden,„wodurchsichihre Sinnlosigkeitzeigt[e]“ 155 .DieskeptischmotivierteAbschwächungjedwederAussage isteinebensozumScheiternverurteiltesProjekt,wiederVersuch,einemathemati scheGleichungzuverändern,indemmanauf beiden Seitenein„+2“hinzufügt. InalltäglichenDiskursenistdieUnterscheidungzwischen„wissen“und„meinen“, aberauchdiejenigezwischen„glauben“und„vermuten“,scheinbarunerlässlich,so dassfürdenSkeptikerandieStellederbisherigenUnterscheidungzwischen„wissen“ und „meinen“ eine neue Unterscheidung treten müsste. Da die Bedeutung eines Ausdrucks aber durch seine Verwendung(sregeln) charakterisiert ist, verfehlt der SkeptikerseinZiel,wenneranStellen,anwelchender‚Dogmatiker’denAusdruck „ichweiss“verwendet,mitskeptischerMiene„ichvermute“äussert. 156 DerSkeptiker,welcherdasWort„wissen“durchdasfalsifikationssichere„vermuten“ substituierenmöchte,gleichteinemSchachspieler,derseinenKönigvomSpielfeld nimmtundeinenTurmandieselbeStellesetzt,wobeifürdeneingewechseltenTurm

152 ÜG,524. 153 Vgl.PU,271. 154 SamHawkensistder–fürmanche–witzigeGefährtevonOld Shatterhand ,derbeinahejederwahr heitsfähigenÄusserungein„wennichmichnichtirre,hihihihi“hinzufügt.DieskeptischeKrönung bildenSätzewie„[...]Undichirremichnie–wennichmichnichtirre,hihihihi“. 155 Vgl.ÜG,625:„MüsstemandieseKlausel[z.B.„wennwirunsnichtinnerhalbeinesskeptischen Szenariosbefinden“]nichtin alle Sprachspieleeinschieben?(WodurchsichihreSinnlosigkeitzeigt)“. Vgl,ÜG,607:„DerRichterkönntejasagen‚DasistdieWahrheit–soweiteinMenschsieerkennen kann’.–AberwaswürdedieserZusatzleisten?“. 156 NachWittgensteinneigenPhilosophen„dazu,zuvergessen,dassesalleinderbesondereGebrauch einesWortesist,derdemWortseineBedeutunggibt“(BB,109).

41 absofort(nurnoch)königlicheSpielzügeerlaubtundverbotensind.Erkonstatiert, dassdereingewechselteTurmzwardieselbeFunktion,denselbenGebrauchhatwie einKönig,meintallerdings,durchdieseSubstitutiondie richtige FigurfürdieRolle desKönigsgefundenzuhaben,daerausbestimmtenGründeneinebestehende Ähn- lichkeit hervorheben möchte – diejenige zwischen den Ausdrücken „wissen“ und „vermuten“. 157 Wenn allerdings der Unterschied zwischen der ‚königlichen Verwen dung’dereingewechseltenTurmfigurunddenmöglichenZügenderbeidenanderen TürmezuhilfreichenUnterscheidungszweckenansLichttretensoll,wirdderSkepti kerzwischenzweiArtenvonTürmen(T1undT2)unterscheidenoderdie‚wirkli chen’TürmedurchandereFigurenersetzenmüssen,wodurchsichdieProblematik blossverlagert. Wittgenstein hält dem Skeptiker also die absurden Konsequenzen einer skeptisch imprägnierten Alltagssprache vor Augen und zeigt vor dem Hintergrund einer ‚Gebrauchstheorie der Bedeutung’, dass eine skeptische Sprachrevision bloss alten WeindurchneueSchläuchefliessenlässt.ZurVerteidigungdesSkeptikersmussje dochaufdieungewöhnlicheZwecksetzung(vgl.2.3.1)hingewiesenwerden,diein bestimmten philosophischen Kontexten den devianten, i.e. erweiterten, Gebrauch desAusdrucks„vermuten“rechtfertigt.Inalltäglichen,theoretischunambitionierten KontextenziehtesderSkeptikerauspragmatischen vor, ebenso von „wissen“ zu redenwiealleanderen.AuchKopernikusscheutesichvornichtwissenschaftlichem Publikumnichtzusagen,dieSonnegeheaufundunter.AusSichtgewisserSkeptiker wäreesebenso‚ungenau’undimstriktenSinnefalschzusagen,man wisse umdie ExistenzderAussenwelt,wiefürKopernikusdieAussage„dieSonnegehtauf“ eigent- lich falschist,dasienahelegt,dieSonnewürdesichumdieErdedrehen.ImAlltag meint„wissen“einfachetwasanderesalsinskeptischenKontexten,genausowiemit demAusdruck„dieSonnegehtauf“meistnichtgemeintwird,dasssichdieSonne umdieErdebewegt.

157 Vgl.Wittgenstein,DasBlaueBuch,104:„IchmöchteSchachspielen,undjemandsetztdemweis senKönigeinePapierkroneauf,ohnejedochdenGebrauchderFigurimSpielzuändern;jedochsagt ermir,dassfürihndieKroneimSpielBedeutunghat,dieermitRegelnnichtausdrückenkann.Ich sage:‚SolangedieKronedenGebrauchderFigurnichtändert,hatsienichtdas,wasicheineBedeu tungnenne“.

42 2.3.3 Euthyphronismus EinweiteressemantischesUnbehagengegeneinebestimmteFormskeptischerZwei felliegtinIntuitionen,dieichinAnlehnunganCrispinWright„euthyphronistisch“ nennen möchte. 158 „Euthyphron“ ist der Name eines platonischen Frühdialogs, in dessenZentrumdieThematikderFrömmigkeitsteht:NachdemdieGesprächspart nerSokratesundEuthyphronvorübergehenddarinübereinkamen,dassallesFrom me von den Göttern geliebt werde und alles, was von den Göttern geliebt wird, frommsei 159 ,fragtSokratesdenEuthyphron:„WirddasFromme(τσιον ),[ i]weil esfrommist,vondenGöttengeliebt( φιλεταιπτνθεν),oder[ ii ]istesfromm, weil es von ihnen geliebt wird?“ . Sokrates, dem im Rahmen seiner Anklage vorgeworfenwurde,erbezweifledieExistenzdergriechischenGötterundführe neue Götter( δαινια )ein,argumentiertanschliessend–wenigüberraschend 160 –fürdie erste Alternative i. Im Folgenden soll nicht der sokratische Widerlegungsversuch, sonderndieeuthyphronistischeIdeebesprochenwerden,dassetwasderFallist,weil es für ein bestimmtes Kollektiv gilt .161 Es geht also um Fälle, inwelchen sich die WahrheitdemKonsensverdankt:IstCharlieChaplinwitzig,weilüberihngelacht wirdoderwirdüberihngelacht,weilerwitzigist?Könnteerwitzigsein,obgleichihn niemandwitzigfindet?IsteinBildschön,weilesfürschönbefundenwirdoderwird esfürschönbefunden,weilesschönist?Istesmöglich,dasswirseitjeherdasSpiel SchachimmerfalschgespielthabenundesdemKönigaucherlaubtist,dreiFelder zu fahren? Könnten wir uns permanent verrechnen? Ist es möglich, dass uns ein Dämon täuscht und 5 + 7 nicht 12, sondern 13 ergibt? Wittgensteins Einwände gegen derartige skeptische Versuchungen basieren auf der Annahme, dass die Wahrheitvon„5+7=12“ konstitutiv istfürunsereVerwendungsweisederZeichen „5“,„7“und„+“.DieBedeutungderZeichen„5“,„7“und„+“istalsogleichsam mitdefiniert durch„5+7=12“.EinZusammezählenvon„5+7“mitdemResultat

158 Vgl.Wright,WahrheitundObjektivität,142ff. 159 GemeinsameGrundlagederDiskussionistalsodasBikonditional ∀x(Fx↔Gx). 160 WerwieSokratesnacheinerEthikohnedieallzumenschlichengriechischenGöttersucht,muss diezweiteAlternative–„DasFrommeistdeswegenfromm,weilesvondenGötterngeliebtwird“– entweder kontrafaktisch reformulieren (und so das Geliebtwerden durch die Götter zu einer DispositiondesFrommenwerdenlassen)oderfallen lassen,daesFrömmigkeitauchohneGötter gebensoll. 161 DasVerb„gelten“hatzweiVerwendungen:(1)IndererstenVerwendunggilt:FürSgilt,dassp→ p.EinBeispiel:AusderTatsache,dassfürdieSprecherdesDeutschengilt,dassjederJunggeselle unverheiratetist,folgt,dassjederJunggeselleunverheiratetist.FürdiezweiteVerwendunggiltdas nicht:Daraus,dassSchwarzealsminderwertiggalten,folgtnicht,dasssieauchminderwertigwaren.

43 „13“ würden wir nicht als „eine Addition vollziehen“ beschreiben. Aufgrund euthyphronistischantirealistischerIntuitionenistesingewisserWeisealsounsinnig zubehaupten,wirkönntenunsindenmeistenRechnungenverrechnethaben.Die Wahrheitvon„5+7=12“scheintalleinkonventionalbedingtzusein.Ohnedie Annahme einer Bedeutungsveränderung der verwendeten Zeichen bleibt die HypotheseeinermöglichenFalschheitunverständlich.DieFalschheitvon„5+7= 12“ kann allenfalls zeigen, dass sich die BedeutungdesAusdrucks„5+ 7=12“ veränderthatundwiresmiteineranderenRechnungzutunhaben,i.e.nichtmitder Additionvon5und7. Wittgenstein suggeriert, dass die Unmöglichkeit eines radikalen mathematischen IrrtumseinemaussenweltskeptischenSzenariovergleichbarist–einVergleich,der amEndedesKapitelsnäherbetrachtetwerdensoll: Ist[..]die Hypothese möglich,dassesalledieDingeinunsererUmgebungnicht gibt?Wäresienichtwiedie,dasswirunsinallenRechnungenverrechnetha ben? 162 MankönnteEinem,dergegendiezweifellosenSätzeEinwändemachenwollte, einfach sagen ‚Ach Unsinn!’. Also nicht ihm antworten, sondern ihn zurecht weisen.–EsisthiereinähnlicherFallwiewennmanzeigt,dasseskeinenSinn hatzusagen,einSpielseiimmerfalschgespieltworden. 163

AvrumStrollschreibtinseinemaufschlussreichenWerkMoore and Wittgenstein on Cer- tainty : Thesceptic’squestionissenseless,forittriestoquestionthehistoricalpractices that define gameplaying,thetraditionalproceduresthat define calculating,andour communallinguisticrulesthat define whatitistorefertosuchthingsastables andchairs.ThisiswhatWittgensteinmeanswhenhesaysthat“atsomepointin our everyday practices, a mistake about such matters is no longer conceiv able”. 164 EinSpielistdurchdieArtundWeise,wiewiresspielen,definiert,bestimmtund festgelegt. Uns könnte also allenfalls vorgeworfen werden,wie spielten auf andere WeiseodergareinanderesSpiel,nichtaber,wirspielten dasselbe Spiel auf falsche Weise.DerVorwurfvonSeitendesAntiskeptikersistalsodiealtbekanntePlattitüde „Du,Skeptiker,änderstdieBedeutungderAusdrücke!Wirbeideredennichtüber dasselbe“.FürWittgensteinistes„TeilderGrammatikdesWortes‚Stuhl’,dasswir

162 ÜG55;vgl.54. 163 ÜG,495f. 164 Stroll, Moore and Wittgenstein on Certainty ,112.Vgl.ÜG,497.

44 diesesmit‚aufeinemStuhlsitzen’bezeichnen“ 165 .Erschreibt:„Wirlernenmitder gleichenUnerbittlichkeit,dassdieseinSesselist,wiedass2x2=4ist“ 166 .Werbe zweifelt,dass dies einStuhlist,lehntsichnichtnurgegeneineweithingeteilte,empi rische Gewissheit auf, sondern versucht zugleich die Verwendungsweise des Aus drucks„Stuhl“zumodifizieren. NunwerdenallerdingsnichtnurAusdrückewie„Stuhl“,sondernauchdasAdjektiv „wirklich“(imGegensatzzu„blossvorgestellt“)oderderAusdruck„vonunserem Denken unabhängig“ (in Kontrast zu „bloss gedacht“) in didaktischen Kontexten durch hinweisende Definitionen und paradigmatische Verwendungsfälle charakterisiert: SokönntemaneinemKinddenAusdruck„wirklich“beibringen,indemmanesmit seinemFussgegeneinenTischtretenlässtundihmsagt„ Das hier, dieser Tisch,ist wirklich.DenTisch,derindeinemBuchvorkommtundsprechenkann,gibtesnicht wirklich,eristblossausgedacht“.Daalso(i)auchphilosophischrelevanteAusdrücke wie„wissen“und„wirklich“einealltäglicheVerwendungzugeniessenscheinenund inpädagogischenKontextenanhandkonkreterFälledeiktischdefiniertwerden,(ii) einglobalerSkeptizismusinalltäglichenKontextenjedochausgeblendetwirdbzw. nichtinFragekommt,trägtderSkeptikerstetsdieLasteinessemantischenRevisio närs,derseineRevisionendesSprachgebrauchsvordemnormalenSprachverwender zurechtfertigenhat. DieeuthyphronistischeAntiskepsishateinegewisseÄhnlichkeitmitderkantischen Konzeption,nachwelcherdieWeltimmerdievonunsvorgestellteWeltistundOb jekte immer unsere Syntheta sind. Die Tatsache, dass ein Haus existiert, heisst für Kant,dasswirsinnlichaffiziertwerden,dergestalt,dasswirdieErscheinungenunter einer sie handhabbar machenden Regel (Begriff) subsumieren. 167 Das Haus ist ein Bezugskonstrukt für eine Mannigfaltigkeitvon Anschauungen, die regelgeleitet auf eineintensionaleEntitätprojiziertwerden. 168 DieBedenken,eskönnte,obgleichwir diesmeinen, kein Hausexistieren,könnenalsonurbedeuten,dasszukünftigeWahr nehmungenaufgrundihrerwirrenUneinheitlichkeitmöglicherweisenichtmehrunter denBegriffdesHausessubsumiertwerdenkönnenbzw.dassder als ob extramentale,

165 BB,47. 166 ÜG,455. 167 Kant,KrVB234236. 168 Vgl, Kant, KrV B236: „Dasjenige an der Erscheinung, wasdieBedingungdiesernothwendigen RegelderApprehensionenthält,istdasObject“.

45 jedoch intensionale Gegenstand namens „Haus“ zukünftige Phänomene vielleicht nichterklärenkann. 169 Wittgensteinschreibtin§80der Philosophischen Untersuchungen : Ichsage:„DortstehteinSessel“.Wie,wennichhingeheundihnholenwill,und erentschwindetplötzlichmeinemBlick?–„AlsowareskeinSessel,sondernir gendeineTäuschung.“–AberineinpaarSekundensehenwirihnwiederund könnenihnangreifen,etc.–„AlsowarderSesseldochdaundseinVerschwin denwarirgendeineTäuschung.“–Abernimman,nacheinerZeitverschwindet erwieder,–oderscheintzuverschwinden.Wassollenwirnunsagen?Hastdu fürsolcheFälleRegelnbereit,–diesagen,obmansoetwasnoch„Sessel“nen nendarf? FallsderSkeptikersichaufeineantirealistischeuthyphronistische 170 Auslegung sämtli- cher Aussageneinlassensollte,bliebeihmalsoimmernochderAuswegeinerHume schenInduktionsskepsisübrig.Erkönnteeinwenden:„Wenndusagst,dasswir das ein Haus nennen und ein Haus dadurch ein Haus ist, dass wir es normalerweise ‚Haus’nennen,sokönnteichinZweifelziehen,dasswireszukünftignochHaus nennenwerden,dawirvielleichtentdecken,dasseseinblossesHologrammoderein Kartonhausist“. IchmöchteaufdiezuBeginndesKapitelsinFormeinerFrageunterstellteÄhnlich keitzwischenderHypotheseeinesradikalenmathematischenIrrtumsundderAn nahme eines globalen Irrtums über die raumzeitliche Wirklichkeit zurückkommen: DiebeidenHypothesen,(i)dasses„alledieDingeinunsererUmgebungnichtgibt“ und(ii)dasswir„unsinallenRechnungenverrechnethaben“sindm.E.nuraus SichtzweierTheorieoptionenhinreichendähnlich:Einerseits für einen mathemati schenPlatonistenundRealisteninSachenPhysik,fürdenderMathematiker,ebenso wiederPhysiker,einebereitsbestehendeWirklichkeitzuentdeckenundabzubilden sich anschicken, und andererseits für einen mathematischen Konzeptualisten und AntirealistenmitBlickaufphysikalischeTatsachen.Füreinennurhalbwegsmodera tenRealistenbezüglichspatiotemporalerWirklichkeit,dermitBlickaufmathemati scheGegenständeeinenKonzeptualismusoderFormalismusvertritt,sindbeideAn nahmen grundlegend verschieden. Wittgensteins kontextualistische Auffassungen undseineBedenkengegenübereinerOntologiejenseitsderSprachspielelegeneinen globalen Konventionalismus nahe.DerKonventionalismusscheintaufdenersten Blick mitdenrealistischenIntuitionendesfürWittgenstein normativen Common Sense

169 Ebd.:„Mansiehtbald,dass,weilÜbereinstimmungderErkenntnismitdemObjectWahrheitist, hiernurnachdenformalenBedingungenderempirischenWahrheitgefragtwerdenkann.“ 170 Vgl.JoachinSchulte,„WittgensteinalsGrossvaterdesAntirealismus“,284.

46 allerdingsunvereinbar.DieSpannunglässtsichjedochdialektischlösen,indemman denRealismusalsKonventiondeutet.Undgenauhierinbestehteinentscheidendes ZugeständnisandenSkeptizismus.DieTatsache,dassesrealistischeKonventionen gibtundalsoetwas per conventionem alsnichtkonventionaleRealität gilt ,verträgtsich mitdemlebensweltlichenAlltagsrealismusebensowiemiteinerphilosophischreflek tierten Haltung, welche die Konventionalität und Sprachgebundenheit realistischer Intuitionen zwar in philosophischen Kontexten betont, in alltäglichen Diskursen allerdingsunthematisiertlässt. Wittgenstein erhebt nicht den Anspruch, den Skeptiker zu widerlegen, indem er schlichteinenSprachmissbrauchdiagnostiziert.VielmehrversuchterihmvorAugen zu führen, dass sich der skeptische Zweifel explizit und in erster Linie gegen die vermeintlicheUnantastbarkeitsprachlicherKonventionenrichtensoll,unddamitnur mittelbar gegen die scheinbare Gewissheit bestimmter Wirklichkeitsauffassungen. DerSkeptikeristgehalten,seineEinwändeumzuformulierenundalsZweifelander Nützlichkeit bestimmter Konventionen zu verstehen. Wenn er etwa zu bezweifeln versucht,dassesüberhauptnichtmentaleGegenständegibt,dannstellterprimärdie alltäglicheSprachpraxisunddamitdierealistischeVerwendungsweisederAusdrücke „es gibt“ und „Gegenstand“ in Frage. Eine Handlungsweise kann jedoch nur mit BlickaufihreNützlichkeitoderEffektivitätinFragegestelltwerden,nichtjedoch bezüglichihrerWahrheit.WittgensteinhältdemSkeptikerentgegen,erversuchedas Letztereundunterstelledamit,unserontologischrelevantesSprachspielwürdesich als Ganzes auf eine sprachspielunabhängige Wirklichkeit beziehen, die es adäquat darzustellengelte–einerepräsentationalistischeVorstellung,dieWittgensteininFra gestellt.

2.3.4 Kohärentismus und Kontextualismus MancheBemerkungeninWittgensteinsSpätwerklasseneinen kohärentistischen Ansatz erkennen.Soschreibterin Über Gewissheit :„NichtAxiomeleuchtenmirein,sondern einSystem,worinsichFolgenundPrämissen gegenseitig stützen“ 171 ;oder:„eswerden uns Urteile beigebrachtundihrZusammenhangmitandernUrteilen. Ein Ganzes von

171 ÜG,142.

47 Urteilenwirdunsplausibelgemacht.“ 172 DieeinzelnenÜberzeugungenunseresdo xastischenNetzesstützensichwechselseitig.DieAussageneinessolchen‚Glaubens netzes’sindalsoalethischundsemantischinterdependent.WürdederWahrheitswert bzw.dieBedeutungeinerAussageverändert,dannwürdensichaufgrundderinferen tiellen Struktur des Aussagenkollektivs, i.e. aufgrund der darin geltenden logisch begrifflichenZusammenhänge,auchdieWahrheitswerte bzw. Bedeutungeneiniger andererAussagenändern. IndemderSkeptikerdieMöglichkeiteinesglobalenIrrtumsinErwägungzieht,zwei felteralsogleichzeitiganderunsvertrautenBedeutungeinesGrossteilsderBegriffe undSätze,worunterauchdiejenigenAusdrückefallen,dieerselbstimZugeseines Zweifels verwendet. Einzelne Urteile können nur in Frage gestellt werden, wenn gewisseandereUrteile,bestimmteKriterienundRechtfertigungsstandards nicht be zweifeltwerden. Gibt es also eine feste Klasse unhinterfragbarer Aussagen, deren NichtbezweifeltwerdendenskeptischenZweifelmöglichmacht?Nachderkontextu alistischenSichtweiseWittgensteinsgibteskeinekontextinvariantenFundamentedes Wissens. So kann etwa die Richtigkeit eines Massstabs in bestimmten Kontexten durchdasGemesseneüberprüftwerden:„Ja,warumsollichnichtmeineAugenda mitprüfen,dassichschaue,obichbeideHändesehe? Was ist wodurch zuprüfen?! (Werentscheidetdarüber, was feststeht?)UndwasbedeutetdieAussage,dasunddas stehefest?“ 173 .ImRahmenjedesZweifelsgibtesunhinterfragtinAnspruchgenom meneMassstäbe.PrinzipiellkannjederAussageMassstäblichkeitzugesprochenwer den.Allerdings–unddiesistdievonderkontextualistischenAuffassungnahegeleg teskeptischeKonsequenz–kannauch jede AussageprinzipiellinFragegestelltwer den.WittgensteinrütteltalsoamfundamentalistischenBilddesmenschlichenWis sens.Esscheint,alskönnejedeGeltunginFragegestelltwerden,allerdingsnichtalle GeltungenaufeinenSchlag. Aufgrund der zwischen einzelnen Aussagen bestehenden semantischalethischen InterdependenzundderdurchsiebedingtenSchwierigkeiteneinesglobalenZweifels könntemangeneigtsein,demdoxastischenNetzalsGanzemrechtfertigendenund fundierendenCharakterzuzusprechen.WittgensteingibtdieserNeigungnach,wenn er die fundamentalistische Metapher der Mauer holistisch umdeutet: „Ich bin auf demBodenmeinerÜberzeugungenangelangt.UndvondieserGrundmauerkönnte

172 ÜG,140. 173 ÜG,125.

48 manbeinahesagen,siewerdevomganzenHausgetragen“ 174 .Dasbedeutungskonsti tutive„System“istnachWittgensteinkein„AnfangspunktallerunsererArgumente, sondernesgehörtzumWesendessen,waswireinArgumentnennen“,esist„das LebenselementderArgumente“. 175 WenndieholistischeAnnahmezutrifft,dasssichdieVerwendungsweiseundBedeu tungsprachlicherAusdrückebestimmtenHintergrundannahmen,Lebensformenund Weltbildern verdankt, die ihrerseits kaum hinterfragbar sind, dann macht sich der SkeptikeralsBefürworteralternativerWeltundSelbstbildereinessemantischenNi hilismusverdächtig.DievonihmvorgeschlageneRevisiondesVokabularsinfiziert aufgrundderinsichdifferenziertenGanzheitlichkeitderSprachedasgesamteNetz semantischerBezügeundUnterscheidungenundlässt die gewohnte Redeweise als GanzegleichsamineinschwarzesLochfallen:„WerkeinerTatsachegewissist,der kannauchdesSinnesseinerWortenichtgewisssein“ 176 .Dieholistischesowiekon textualistischeKonsequenzbestehtdarin,dassnicht alle Aussagenzugleichbezweifelt werdenkönnen,obgleichprinzipiell jede Aussagefallibelist.WennalsodieFalschheit einerMeinungdieFalschheiteinesGrossteilsunsererMeinungennachsichzöge,so kanndieseMeinungnichtfalschsein: Wennichzweifelnwollte,dassdiesmeineHandist,wiekönnteichdaumhinzu zweifeln, dass das Wort ‚Hand’ irgendeineBedeutunghat? [...] Dass ich ohne SkrupeldasWort‚Hand’undalleübrigenWörtermeinesSatzesgebrauche,ja, dassichvordemNichtsstünde,sowieichauchnurversuchenwolltezuzwei feln–zeigt,dassdieZweifellosigkeitzumWesendesSprachspielsgehört,dass dieFrage‚Wieweissich...’dasSprachspielhinausziehtoderaufhebt. 177 AuchmitBlickaufholistischeEinwändegegenglobaleZweifelzeigtsichaber,dass WittgensteinnichtjedeFormdesSkeptizismuszuwiderlegenversucht,sondernle diglicheinesprachphilosophischunreflektierteVariante,dieunsereWirklichkeitsauf fassung radikal in Frage stellt, ohne Berücksichtigung ihrer Sprachgebundenheit. WittgensteinsympathisiertmiteinerSkepsis,welchedieMöglichkeiteinerunsvöllig

174 ÜG248;vgl.105 175 ÜG,105. 176 ÜG,114. 177 ÜG,369f.Vgl.,ebd.,456,514.AufdieGründedafür,dassdiemeistenunsererMeinungennicht falsch sein können, möchte ich im Kapitel 5 zurückkommen, wo es um externalistische Versuche geht,dieseThesestarkzumachen.

49 fremdundunverständlichanmutendenSprachgemeinschaftinErwägungzieht,de renSprachäusserungensichnichtbefriedigendübersetzenlassen. 178 ZudemsindderKohärentismusundderKontextualismusalssolchebereitsskepti schePositionen:DerKohärentismusistinsofernskeptisch,alsdieKohärenzeines Aussagesystemsintuitiv 179 keinhinreichendesWahrheitskriteriumist,dazweiinkom patibleSystemezwarbeideinsichkohärent,jedochnichtbeidezugleichwahrsein können. Der Kontextualismus ist vergleichsweise nicht weniger skeptisch, da aus kontextualistischerSichtjedeGeltungkontextbedingtistundesalsoimmermindes tenseinenKontextgibt,inwelchemsinnvollanderWahrheiteinerbestimmtenAus sagegezweifeltwerdenkann.DerKontextualistkanndemSkeptikernurnochmit demEinwandbegegnen,erkonstruieresicheinenaufarbiträrenundfragwürdigen Hypothesenbasierenden,genuinskeptischenKontextundformuliereseineZweifel damitauseinerartifiziellenPerspektive. 2.3.5 Externe Fragen und grammatische Sätze EineweitereantiskeptischeStrategieWittgensteinsberuftsichaufsogenannte„lin guistische Rahmenwerke“ 180 und „logische Begriffe“. Zur Erläuterung dieser Ten denz des wittgensteinschen Spätwerks wird oft und zu Recht auf die von Rudolf CarnapeingeführteUnterscheidungzwischen internen und externen Fragenzurückge griffen: Externe Fragen betreffen die Existenz kategorial bestimmter Entitäten als solcher, wogegen interne Fragen sich auf die Realität eines Vorkommnisses einer bestimmtenKlassevonEntitätenbeziehenoderdieTatsächlichkeiteinesbestimm ten Sachverhalts bezüglich solcher Entitäten in Frage stellen. So sind Fragen wie „GibtesüberhauptFarben?“oder„GibtesmaterielleGegenstände“externeFragen, während„IstdiesesBuchgrün?“und„GibtesindiesemZimmereineLampe?“in terneFragensind.

178 Vgl.PU,S.568:„[...]dasseinMenschfüreinenanderneinvölligesRätselseinkann.Daserfährt man,wennmanineinfremdesLandmitgänzlichfremdenTraditionenkommt“. 179 GemeintsindIntuitionen,denenineinerKorrespondenztheoriederWahrheitRechnunggetragen wird. 180 Carnap,Empirismus,SemantikundOntologie,269.

50 ExterneFragensindnachCarnapnur pragmatisch entscheidbar,also„eineSacheder praktischen Entscheidung betreffs der Struktur unserer Sprache“ 181 . Die Entschei dung,ineinerbestimmtenWeiseüberdieWirklichkeitzureden,istnichtmiteiner wahrheitsfähigenAnnahmeüberkonkreteEntitätenzuverwechseln.„Wirklichsein“ bedeutetfürCarnapimwissenschaftlichenSinne,„einElementdesSystemszusein; daherkanndieserBegriffnichtsinnvollaufdasSystemangewendetwerden“ 182 :

Eine angebliche Feststellung der Realität des Systems der Entitäten ist eine PseudoFeststellung ohne Erkenntnisgehalt. [...] Die Annahme kann nicht als entwederwahroderfalschbeurteiltwerden,weilsiekeineBehauptungist.Sie kannnuralsmehroderwenigerangemessen,fruchtbar,demZweckedienlich beurteiltwerden,zudemdieSprachebestimmtist.[...]Soistesklar,dassdie AnnahmeeineslinguistischenRahmenwerksnichtsoangesehenwerdenmuss, alsschliessesieeinemetaphysischeLehrebezüglichderRealitätderfraglichen Entitätenein. 183

Wittgensteinschreibt: DieBelehrung„AisteinphysikalischerGegenstand“gebenwirnurdem,der entwedernochnichtversteht,was„A“bedeutet,oderwas„physikalischerGe genstand“bedeutet.EsistalsoeineBelehrungüberdenGebrauchvonWorten und„physikalischerGegenstand“,einlogischerBegriff.(WieFarbe,Mass,...) UnddarumlässtsicheinSatz„EsgibtphysikalischeGegenstände“nichtbil den. SolchenverunglücktenVersuchenbegegnenwiraberaufSchrittundTritt. 184 DieBehauptung,AseieinphysikalischerGegenstand,findetnachWittgensteinübli cherweiseinsprachdidaktischenKontextenVerwendung,undsolltesieinphiloso phischenGefildenangetroffenoderinFragegestelltwerden,soistsieein„fehlge gangener Versuch (etwas) auszudrücken, was so nicht auszudrücken ist“ 185 . Da (i)

181 Ebd.,260. 182 Ebd.,267.FürCarnapsSchülerQuineheisst„aexistiert“lediglich,dassazumWertebereicheiner Variablegehört,überwelcheineinerkanonischenWissenschaftssprachequantifiziertwird( Was es gibt , 19:„AlsEntitätangesehenzuwerden,heisstschlichtundeinfach,alsWerteinerVariablenangesehen zuwerden“). 183 Ebd., 269. Vgl. Fichtes pragmatistisches Philosophieverständnis in Erste Einleitung in die Wissen- schaftslehre (1794) :„Welchesvonbeiden[DogmatismusoderIdealismus]sollnunzumerstengemacht werden?EsistkeinEntscheidungsgrundausderVernunftmöglich;dennesistnichtvonAnknüpfung einesGliedesinderReihe,wohinalleinVernunftgründereichen,sondernvondemAnfangedergan zenReihedieRede,welches,alseinabsolutersterAct,lediglichvonderFreiheitdesDenkensab hängt.ErwirddaherdurchWillkür,unddaderEntschlussderWillkürdocheinenGrundhabensoll, durch Neigung und Interesse bestimmt.DerletzteGrundderVerschiedenheitdesIdealistenundDog matikers ist sonach die Verschiedenheit ihres Interesse. [...] Was für eine Philosophie man wähle, hängtsonachdavonab,wasmanfüreinMenschist:denneinphilosophischesSystemistnichtein todterHausrath,denmanablegenoderannehmenkönnte,wieesunsbeliebte,sondernesistbeseelt durchdieSeeledesMenschen,dereshat.“ 184 ÜG,35f. 185 ÜG,37.

51 durchdenZweifelanderExistenzphysikalischerGegenständedieSignifikanzeines „logischen Begriffs“ in Frage gestellt wird, (ii) ein solcher als ontologische Frage missverstandenerZweifelaberdemSinnlosigkeitsverdachtausgesetztist,istkraftdes PrinzipsdersignifikantenNegationauchdiesichalsEntdeckungüberdieWirklich keitmaskierendeAussage„EsgibtphysikalischeGegenstände“unterSinnlosigkeits verdachtzustellen. FürKantianerundFregeanerkönnenExistenzaussagenkeineanalytischenAussagen sein.DerSatz„EsgibtphysikalischeGegenstände“istausihrerSichtalso synthetischer Natur.Behauptungendarüber,wasalleinaufgrundderAkzeptanzbestimmter„lingu istischer Rahmenwerke“ folgt, wären für einen sprachphilosophischen Kantianer synthetisch und a priori .DaCarnapallerdingsbestreitet,dassmitsolchenAussagenü berhauptüberetwasNichtsprachlichesgeredetwird,unddiefaktischeVerwendung bestimmterVokabularenur empirisch überprüfbarist,istdieWahrheitvonAussagen über unser linguistisches Rahmenwerk aus Sicht des logischen Empirismus nur a posterioriwissbar. FürWittgensteinsindnebeninexplorativerAbsichtgeäussertenAussagenüberdie Regeln unseres Sprachspiels, i.e. über unsere ‚Grammatik’, auch Tautologien und Kontradiktionen sinnlos, da sie (in nichtpädagogischen Kontexten) uninformativ sindundinnichtdidaktischenSprachspielendurchsiekeinZuggemachtwird.Einen ZugineinemSprachspielzumachenheisstmitAustin,einenillokutionärenAktzu vollziehen,i.e.etwaszutun,indemmanetwassagt.DurcheinesinnvolleÄusserung gelingt in der Regel eine Mitteilung, dergestalt, dass sich der sprachpragmatische ‚Kontostand’desSprechersundHörersverändertunddiekommunikativenRechte undPflichtenmodifiziertwerden. Wittgensteinistversucht,dieProblemederPhilosophendadurchaufzulösen,dasser aufzeigt,dass„etwas,wasunsdurchseineFormeinenErfahrungssatzvortäuscht,[...] in Wirklichkeit ein grammatischer Satz ist“ 186 . Grammatische Sätze – oder besser: ‚grammatische’ Satzverwendungen 187 – sind analytischen Aussagen darin ähnlich, dass siewederempirischfalsifizierbarnochsinnvollbezweifelbarsind.DerWahrheitswert

186 PU,251. 187 EinundderselbeSatzkanninunterschiedlichenVerwendungskontextenalsgrammatischerundals empirischerSatzauftreten:„Aberdiesistrichtig,dassdergleicheSatzeinmalalsvonderErfahrungzu prüfen,einmalalsRegelderPrüfungbehandeltwerdenkann“(ÜG,98).AuchÄusserungenwie„Ich binhier“oder„MenschensindLebewesen“könneninformativsein,nämlichdann,wennderblinde Hörernichtweiss,woichmichbefindeoderwennjemanddenAusdruck„Lebewesen“nichtversteht (Vgl.PU117).

52 einesSatzes als einesgrammatischenistalleindurchdieVerwendungsregelndesin ihmvorkommendenVokabularsbedingt.SoistderSatz„Empfindungensindprivat“ eingetarntergrammatischerSatz,ähnlichdemSatz „Patience spielt manallein“. 188 WennderSkeptikerbehauptet,mankönneniewissen,sondernlediglichvermuten, dasseineanderePersonSchmerzenhat,sosetzterdamit–entsprechenddemBipo laritätsprinzip–voraus,dassmansichvorstellen kann,wasesheissenwürde,von dieserPersonzu wissen ,siehabeSchmerzen.Werbehauptet,mankönnedenAtlantik nichtschwimmendüberqueren,hateinehinreichendklareVorstellungeinergelun genen Überquerung. 189 DerSkeptikerglaubt,sichsehrwohlvorstellenzu können, wasesheisst,vonjemandesSchmerzenzuwissen,dadochjedePerson von sich selbst wisse , ob sie Schmerzenhabe. Wittgensteins Einwand dagegen ist: „Von mir kann man überhaupt nicht sagen (ausser etwa im Spass), ichwisse, dass ich Schmerzen habe.Wassollesdennheissen–ausseretwa,dassichSchmerzen habe ?“ 190 .Daes also sinnlos ist,zusagen,man wisse ,dassmanselbstodereineanderePersonSchmer zenhat,hates–aufgrunddesPrinzipsdessignifikanten Negation – auch keinen Sinn zu sagen, man könne nie wissen, ob jemand anderes Schmerzen hat. 191 Der SkeptikerdesFremdbewusstseinserliegtderVersuchung,Ausdrückewie„Ichweiss, wasersieht“zudeutenals„ichsehe,wasersieht“,wobeiwirseinerMeinungnach sensu stricto niedasselbesehenkönnen,dadasvonmirGesehenewesentlichdadurch bestimmtist,dass ich essehe.DurchdieseVersuchung,diebedingtistdurchÄhn lichkeitenderSatzgrammatikundderdurchdiesenahegelegtenAnalogien,wirdder SkeptikerindenBanneinesbestimmten Bildes gezogen,daseranzuwendenallerdings nichtimStandeist. 192 HinterphilosophischenProblemenwieder„unüberwindlichen Barriere“zwischenzweibewusstenPersonenverbirgtsicheinegrammatischeRegel. DerPhilosophglaubt,TatsachenüberdieWelt,überdiekognitiveUnzugänglichkeit desAnderenoderüberdiewahrenGegenständeunsererWahrnehmungsprozessezu entdecken,währenderdefacto„irreführendeAnalogien“ 193 ziehtzwischenähnlichen

188 PU,248. 189 BB,88. 190 PU,246.EsistingewissemSinnealsosinnlos,wennauchnichtunsinnig(umdieUnterscheidung desTLPaufzugreifen),zusagen„Ichweiss,dassichSchmerzenhabe“,dadieAussagetautologischist und tautologische, sowie kontradiktorische Aussagen in „keiner darstellenden Beziehung zur Wirk lichkeit“stehen(TLP4.462). 191 Vgl.Wittgenstein,DasBlaueBuch,89:„WennwirdenSatz‚IchhabeseineZahnschmerzen’aus unsererSpracheausschliessen,dannschliessenwirdamitnatürlichauchdenSatz‚ichhabe(oderspü re)meineZahnschmerzen’aus“. 192 Wittgenstein,BB,91. 193 BB,80.

53 VerwendungsweisenvonSpracheundsichdabeinichtseltenvonderGrammatikder Sätzeverführenlässt. 194 WittgensteinmöchtemitsprachphilosophischenEinwändengegendieSinnhaftigkeit sogenannter„externerFragen“desSkeptikerszeigen,dassdieserseineskeptischen Bedenkenandersformulierenmuss,nämlichalsFragen bezüglich der Kontingenz sprachlicher Konventionen: So würde er einem Idealisten die Frage vorschlagen: „Könntenwirdas,wasgemeinhinalsphysikalischgilt,nichtgenausogutals‚mentale Gegenstände’bezeichnen?“. 195 EinemSkeptikerdesFremdpsychischenkönnteWitt gensteinfolgendeWorteempfehlen:„Solltenwirnichtbessersagen,nurderEmp findendekönnewissen,dassereineEmpfindunghat;dennderAusdruck‚wissen, dassesxgibt’istbedeutungsgleichmit‚xhaben’,sofernfür‚x’derNameeinerEmp findungeingesetztwird.“DerSkeptikersollalso–diesistdasFazitWittgensteins– dasInBetrachtZiehenalternativerSprachkonventionennichtalseinewahrheitsfähi geBehauptungoderalsmöglicheErkenntnisüberdieWirklichkeitmissverstehen. 2.4 Wissensansprüche und unausgesprochene Gewissheiten WittgensteinwarntvorDefinitionsversuchen.Fragenwie„Wasist(ein)x?“,dieklas sischen τί στι Fragen des Sokrates, verursachen einen „mentalen Krampf“ 196 , schreibtWittgensteinzuBeginnvon Das Blaue Buch .SeineSkepsisgegenüberDefini tionenistdieKonsequenzbahnbrechenderÜberlegungenzur„Familienähnlichkeit“ von Verwendungsweisen sprachlicher Ausdrücke. 197 Diese Überlegungen besagen, dasseinWortoftsehrunterschiedlicheGegenständebezeichnetundmitdemÄus serneinesSatzessehrVerschiedenesgesagtundgetanwerdenkann.Sogibtesbei spielsweisekeinfestesSetvonEigenschaften,dasalleindasjenigeauszeichnet,was wir„Spiel“nennen.Esgibtalso,klassischausgedrückt,kein Wesen desSpiels.Was einSpielist,zeigtsichinunserenVerwendungsweisendesAusdrucks„Spiel“.Diese Verwendungensindallerdingssehrheterogen,haben Traditionen, vermehren, ver

194 MitFriedrichNietzschesWorten:„DieVernunftinderSprache:ohwasfüreinealtebetrügerische Weibsperson!Ichfürchte,wirwerdenGottnichtlos,weilwirnochandieGrammatikglauben...“ (Götzendämmerung,„Die‚Vernunft’inderPhilosophie“,5). 195 Vgl.Tagebucheintragvom15.10.1916:„SoführtderIdealismusstrengdurchgeführtzumRealis mus“. 196 BB,9. 197 PU,65ff.,insbesondere67.

54 ringernundverändernsich.EsgibtComputerspiele,Ballspiele,Reigenspiele,Macht spieleetc.VerschiedeneSpielegleicheneinander,habengemeinsameCharakteristika, anderedagegensindeinanderfremd;allegehörensiejedocheiner‚Familie’an.Die Tatsache,dassesGemeinsamkeitenzwischenunterschiedlichenSpielengibt,garan tiertallerdingsnicht,dasseseineSchnittmengederCharakteristika aller Spielegibt. UndfallseseineSchnittmengevonEigenschaftenallerSpielegebensollte,werdenes wahrscheinlichzuwenigesein,umdiezurKlassegeformteFamiliederSpielegegen andereBegriffsfamilienabzugrenzen. TrotzdesUnbehagensgegenüberDefinitionenlegtNormanMalcolmdemWittgen steinLeserdreiCharakteristikaderÄusserung„Ichweiss...“ansHerz:Durcheinen Wissensanspruchmuss(1)einZweifelbeseitigtwerdenwollen. 198 DerSprechermuss (2)inderLagesein,GründefürdasBehaupteteanzuführenundessoll(3)eineUn tersuchungmöglich(i.e.denkbar)sein,welchedenZweifelbeseitigt. 199 VordemHin tergrunddieserdreiKriterienerweisensichWiderlegungsversuchegegenskeptische Zweifel,wiesiebspw.G.E.Moorein Eine Verteidigung des Common Sense undin Beweis einer Aussenwelt formulierthat,ihrerseitsalsproblematisch.Mooreschreibt: Offenbargibtes[...]tausendevonverschiedenenDingen,vondenengilt,dass, wennichirgendeinesvonihnenbeweisenkann,ichdieExistenzvonDingen ausserunsbewiesenhabe.KannichnichteinesdieserDingebeweisen?[...]Ich kannjetztz.B.beweisen,dasszweimenschlicheHändeexistieren.Wie?Indem ichmeinebeidenHändehochhebe,mitderrechtenHandeinebestimmteGeste macheundsage„HieristeineHand“,unddannhinzufüge,wobeiichmitder linkenHandeinebestimmteGestemache,„Hieristnocheine“. 200 DaMooreimZugeeinesalltagsprachlichen,direktenWiderlegungsversuchszu wissen beansprucht,wasausskeptischerSichtnichtgewusstwerdenkann,machtersichim ZugederWiderlegungselbsteinerillegitimenVerwendung schuldig: Befindet sich MoorenämlichineinemnichtphilosophischenKontext,soläuftseineÄusserungins Leere,daerzubeweisensucht,wasnichtinFragegestelltwird.StehtseineAussage hingegenin einem philosophischen Kontext, so besteht sein Fehler darin,dass er eineindiesemKontextinakzeptable,daunphilosophischeAntwortgibt,indemer seineHanderhebtundsagt„ das isteineHand!“. Die Konsequenzen der malcolmschen Rekonstruktion des Wissensbegriffs ähneln denResümeesderüblichenWittgensteinrezeption,welchebesagt,dassmitBlickauf

198 Vgl.ÜG,121:„Kannmansagen:‚WokeinZweifel,daauchkeinWissen’?“. 199 Malcolm,DefendingCommonSense,203. 200 Vgl.Moore,BeweiseinerAussenwelt,178.

55 Gewissheiten, welche Moore zu wissen behauptet („Das ist eine Hand“), Wissen nichtinFragekommt,i.e.manweissweder,dass das hier eineHandist,nochweiss manesnicht.DiezweitemalcolmscheBedingungscheinteinezentralePointedes Wissensbegriffsoffenzulegen,aufdiebereitsWilfridSellarsnachdrücklichhinwies: „CharakterisierenwireineEpisodeodereinenZustandalseinenZustanddesErken nens[Wissens],sogebenwirkeineempirischeBeschreibungdiesesZustandes;wir stellenihnindenlogischenRaumderGründe,desRechtfertigensunddesRechtfer tigenkönnensdesGesagten“ 201 . In§555von Über Gewissheit schreibtWittgensteindenfürseineSpätphilosophiebe zeichnendenSatz:„Wennjemandsagt,er wisse etwas,somussesetwassein,waser, demallgemeinenUrteilnach,inderLageistzuwissen“. 202 EsgibtSachverhalte,von denenman(inbestimmtenSituationen)nichtbehauptenkann,manwissesie,da„an der Wahrheit meiner Aussagen mein Verständnis dieser Aussagen“203 geprüft wird. Angenommen, einem Kind wird der Ausdruck „stolz“ beigebracht: Nachdem der LehrerGestendesStolzesvorführt,zeigterseinemSchülereinigeFotosvonPerso nenundlässtihnbeurteilen,welchederabgebildeten Personen den Eindruck des Stolzesvermitteln.DemKindscheintinderskizziertendidaktischenSituationkeine abweichendeBeurteilungmöglichzusein,daderLehreralskompetenterSprachver wenderdemKindimFalleeinerabweichendenBeurteilungeinemangelndeSprach kompetenzzuschreibtundesdaraufaufmerksammacht,dass das keinestolzePerson ist.Werbehauptet,erwisse,dassKatzenaufBäumenwachsen,lässtbeimAdressaten den Verdacht auf sprachliche Inkompetenz aufkommen. Wittgenstein schreibt: „wennichgewissefalscheAussagenmache,wirdesdadurchunsicher,obichsiever stehe“ 204 .WennmicheinAmerikanerfragt,woLuzernliegt,sonehmeichan,erver lange eine bestimmte geographische Information. HebterjedochseineHandund fragtmich„IstdaseineHand“,sonehmeichan,erverlangevonmireinesprachli

201 Sellars,Science,PerceptionandReality,169.Vgl.Fay,ZweifelundGewissheitbeimspätenWitt genstein,67. 202 Entsprechend verhält es sich mit den Ausdrücken „sich irren“ und „bezweifeln“. Wenn Peter wahrhaftigundhartnäckigbehauptet,erhiesse„Martin“,sowürdenwirnichtsagen,erhabesich geirrt , sondernwirwärengeneigt,ihnfür irre zuerklären.Vgl.,ÜG71:„WennmeinFreundsicheinesTages einbildete,seitlangemdaunddagelebtzuhaben,etc.etc.,sowürdeichdaskeinen Irrtum nennen, sonderneine,vielleichtvorübergehende,Geistesstörung“;ÜG,72:„NichtjederfälschlicheGlaube[...] isteinIrrtum“. 203 ÜG,80,81. 204 Ebd.

56 cheInformationundmöchtewissen,ob„Hand“derkorrektedeutscheAusdruckzur BezeichnungeinerHandist. Wenn der Skeptiker bestreiten möchte, dass wir überhaupt etwas wissen können, dannrekurrierterineinemerstenSchrittaufeinenvermeintlichen‚IdealfalldesWis sens’,umanschliessendzuzeigen,dasswirselbstunterdenvorliegenden,optimalen epistemischenBedingungeneinGetäuschtwerdennichtgänzlichausschliessenkön nen.IdealfälledesWissenssindsolcherart,dasswirüberdenbetreffendenSachver halt(p)geneigtsindzusagen:„Wennich etwas weiss,danndassp“.GesetztdenFall, einFreundkrümmtsichvormeinenAugenaufdemBoden, sein Gesichtverzerrt sichunderschreit„Aua!“.ImvorliegendenFallwürdeichnuruntersehrbizarren UmständenanderEchtheitseinesSchmerzverhaltenszweifeln.Heisstdasaber,dass wirhiereinen Idealfall von Wissen vorunshaben,eineSituation,inderwirohneskep tischeBedenkendenAusdruck„ichweiss“verwenden?DadieAussage„Ich weiss nicht ,obmeinFreundSchmerzenhat“inderskizziertenSituationmitSicherheitun angebrachtist,weist–aufgrundderwittgensteinschenNegationsregel:„Umzuse hen,wieunklarderSinndesSatzesist,betrachteseineNegation[..]“ 205 –auchdie Äusserung„Ich weiss ,dassmeinFreundSchmerzenhat“denStatuseinerskurrilen und unmotivierten Behauptung auf. Obwohl ich es normalerweise für eine ausge machteSachehalte,dassicheinenKörperhabe,gibteskaumeineSituation,indrer dieÄusserung„Ichweiss,dassicheinenKörperhabe“angebrachtwäre.Wittgen steins Kontrastprinzip lässt uns also die Gründe erahnen, weswegen Wissenszu schreibungenin‚idealenKontexten’fehlgehen:DenÄusserungenfehlteinverständ licherAnlass.Esbleibtunklar, weshalb jemandvonsichbehauptet,etwaszuwissen. Folgt allerdings aus der Unangebrachtheit einerÄusserung ihre semantische Defi zienz?Bleibtunklar, was gesagtwurde,wennunklarist, weshalb esgesagtwurde? ZurBeantwortungdieserFragenmöchteichvorabeinleichtmerkwürdigesBeispiel anführen,umanschliessendunterRückgriffaufPaulGricesTheoriekonversationaler Implikaturen 206 einen intuitiv plausiblen Antwortvorschlag zu präsentieren: Ange nommen,jemandwürdesichineinerKonferenzüberAbwasserreinigungunvermit telt erheben und ausrufen „Der FC Bayern München hat die besten Fussballer Deutschlands!“. Vermutlich würde er weder nach den Gründen seines Fürwahr

205 ÜG,4. 206 Grice,andConversation,27.

57 Haltensgefragt,nochwürdenEinwändegegendasGesagtevorgebracht.Vielmehr drängtesichdieFrageauf,waserdenAnwesendendurchdiesesunkonventionelle Intermezzowohlzuverstehengebenmöchte.MöchteerdurchdieAbsurditätseines StatementsdenGesprächspartnerndieAbsurditätderDiskussionüberAbwasserrei nigungsstrategien vorhalten? Will er zeigen, dass die Statements der Anwesenden genausounmotiviertsind,wieseineeigeneBehauptung?Oderversuchterdurchsein Exempel klarzumachen, dass das flächenmässig grösste Land sehr wahrscheinlich auchdiebestenLösungeninSachenAbwasserreinigungvorzuweisenhat,daBayern alsdasgrössteBundeslandDeutschland–seinerMeinungnach–diebestenFussbal lerversammelt?Dochvielleichtwillereinfachnurzuverstehengeben,dassdiebes tenFussballerDeutschlandsimFCBayernspielen?Da aber alleAnwesenden an nehmen,kein normaler MenschwürdeindemskizziertenKonferenzKontextunver mitteltbehauptenwollen,wasdefactogeäussertwurde,istfraglich,obdemSprecher indiesemKontextdieMitteilunggelingt,derFCBayernversammlediebestenFuss ballerDeutschlands. DieKonversationsmaximeder Relevanz inPaulGricesTheorieüberkonversationale Implikaturenlegtnahe,demalsrationalanerkanntenSprechereinebestimmteÜber zeugung zuzuschreiben,wenn ohne die zugeschriebene Überzeugung seine Äusse rungvöllig irrelevant wäre.Angenommen,derBenzintankmeinesWagensistleerund meinBeifahrerantwortet„gleichdavornumdieEckeisteineTankstelle“.AlsAd ressatgeheichdavonaus,dasssichderSprecherandieMaxime„berelevant“hält, undnehmedeswegenan,erseiderMeinung,dieTankstellehabegeöffnet,obwohler diesnicht gesagt hatte. EsstellensichdreiFragen: (a) Ist der Horizont des Behauptbaren in bestimmten Kontexten eingeschränkt, i.e.gibtesÄusserungen,dieformalsindBehauptungen(wiedieÄusserungdes BayernFans), durch welche aber in bestimmten Kontexten nichts behauptet wird? (b) IsteineÄusserunginfolgeihrerUnangebrachtheitnichtwahrheitsfähig? (c) Besteht eine hinreichende Ähnlichkeit zwischen dem Fall des bekennenden BayernfansinderAbwasserreinigungskonferenzunddemFalldesAntiskepti kers,der„Ichweiss,dass das einBuchist“äussert? Zu(a):WittgensteinistderAnsicht,„dassmitdemWort‚Behauptung’die‚Prüfung’, die‚Begründung’,die‚Bestätigung’,die‚Entkräftung’derBehauptungimSprachspiel

58 verbundenist“ 207 .Diese‚SchattenderBehauptung’könneninnichtalltäglichenKon textenm.E.allerdingsausbleiben,ohnedassdieÄusserungihrenStatusalsBehaup tungverlöre.Intuitivwärenwirgeneigtzusagen,esgäbeunbeachtetgebliebene,an schlussloseBehauptungen–gleichsamkommunikativeFehlzündungen. Zu (b): Obwohl Mitteilungen und Äusserungen „einen Hintergrund, eine Umge bung“ 208 brauchen, da nur die „gewohnte Umgebung“ klar erscheinen lässt, „was gemeintist“ 209 ,lassensichSemantikundPragmatikindemskizziertenFalldesun verständlichenBayernfansm.E.trennen.ObwohldiePersonaufgrundihresschein bar unmotivierten Kommunikations akts unverständlich bleibt, scheint klar zu sein, wasderFallist,wennderSatz„DerFCBayernhatdiebestenSpielerDeutschlands“ wahrist.DerAussageaktdesBayernfansscheitert nicht inderselbenWeise,wiedie Aussage(G)„DergegenwärtigeKönigvonFrankreichhateineGlatze“heutzutage scheitert.BeiderAussageGmisslingtderReferenzakt,dasieeineleereKennzeich nung(„DergegenwärtigeKönigvonFrankreich“)enthält.Daunklarbleibt,worüber gesprochenwird,könnteselbstGottnichtentscheiden,obdiePrädikationwahroder falschist.DieAussage„DerFCBayernhatdiebestenSpielerDeutschlands“dage genenthältwedereineleereKennzeichnungnocheinwidersprüchlichesoderunver ständlichesPrädikat.Trotzdemistunklar,wasderSprecherdurchdaswortwörtlich Gesagtezuverstehengebenmöchte.DieWahrheitsfähigkeitdeswortwörtlichGe sagtenistoffensichtlich.WashinterdemNebelderUneindeutigkeitverschwindet,ist dasGemeinte.StanleyCavellfindettreffendereWorte:„Wirkönnenzwar,auchohne zuverstehen,warumeinerdieseWörterbenutzt,verstehen,wassiebedeuten;aber ohnedieVeranlassungeinerÄusserungzuverstehen,könnenwirnichtverstehen, was jemand meint“ 210 . Zu(c):DieÄusserungdesAntiskeptikers„Ichweiss, dass das einBuchist“istin nichtphilosophischenKontextengenausofehlamPlatzwiedieemphatischeBemer kungdesBayernFanswährendderKonferenz.Undtrotzdemscheinenbeidegute GründezuhabenfürdieWahrheitihrerAussage.EineorphischeBezüglichkeitver hindertdiesinnvolleMitteilungdeslatentSinnvollen: 211 ImAlltagverwendenwirden

207 Wittgenstein,Zettel§549. 208 Wittgenstein,ÜG,350. 209 Ebd.,237. 210 Vgl.Cavell,DerAnspruchderVernunft,345. 211 Vgl.Wittgenstein,ÜG,481:„Esist,alssäheicheinGemälde(vielleichteineBühnenmalerei)und erkennevonweitemsofortundohnegeringstenZweifel,wasesdarstellt.Nuntreteichabernäher:

59 Begriff„wissen“nurinFällen,wowirunsgegendrohendesNichtwissenaufdiesi chereSeiteschlagenwollen.DasimpliziteSichAbsetzengegendieNegationeiner Behauptungistgleichsamdas Lebenselixier einesjedenWissensanspruchs. 212 DieAus sage„Ichbindereinzigevonuns,derweiss,wo’slanggeht–ichwarvorJahren schonmalda“istzwarsinnvollundrelevant,allerdingsscheintdurchsiekeinIdeal fallvonWissengegeben,dadasGedächtnisMenschennichtseltenimStichlässt.Die Tatsache,dassinalltäglichenKontextennichtüberdieMöglichkeitskeptischerSze narienspekuliertwird,lässtdieÄusserung„Ichweiss,dassdaseinBuchist“beinahe zurLeblosigkeiterstarren,diedenVersuchherausfordert,dieÄusserungdurchEnt wicklungfiktiverskeptischerSzenariengleichsamzureanimieren.Gelingtesaufdie seWeisederAussageSinnzuverleihen,dannheisstdas,wirsindunsüberdieBedin gungeneinerdrohendenFalsifizierungimKlarenundspielenalsodemSkeptikerin dieHände.EssinddieselbenKontraste,welcheeinerseitseinerAussagedasPneuma einblasenundsieandererseitsderalethischenLabilitätundFragilitätaussetzen. Wittgensteinsprichtdavon,dasssichinunseremHandeln zeige ,waswirunhinterfragt annehmen.JeneSätze,welchedieGewissheitenunseresWeltbildesausdrücken,sind „aus dem Verkehr“ gezogen, „sozusagen auf ein totes Gleis verschoben“ 213 , und könnennicht gesagt werden,ohneentwedersinnloszuscheinenoderihrenGewiss heitsstatusaufzugeben,indemihnendurchskeptischeSzenarienSinnverliehenwird. Wittgenstein schreibt in Über Gewissheit :„WennmanMooresagenhört‚Ichweiss, dassdaseinBaumist’,soverstehtmanplötzlichdie,welchefinden,dasseigarnicht ausgemacht[...]Esist,alsobdas‚Ichweiss’keinemetaphysischeBetonungvertrü ge“ 214 .DerWittgensteinlesererinnertsichandiefürden Tractatus logico-philosophicus zentraleUnterscheidungzwischen sagen und zeigen :„Wasgezeigtwerdenkann,kann nichtgesagtwerden“(4.1212). 215 UnserHandelnundArgumentierenzeigt,worinwir übereinstimmen.Versuchenwiraberzusagen,wassich in praxi zeigt,werdenunsere Äusserungenseltsam,uninformativundunverständlichundgleichzeitigverleitenwir unddaseheicheineMengeFleckenverschiedenerFarben,dieallehöchstvieldeutigsindunddurch auskeineGewissheitgeben“. 212 NachWittgensteingibteseine„typischmetaphysischeWeise“,inderWörter„falsch“verwendet werden,nämlichdann,wennsie„ohneeineAntithese“gebrauchtwerden,wennalsoderZweckder sprachlichenDifferenzsetzungausbleibt(BB,77). 213 ÜG,210. 214 ÜG,481;482.Vgl.PU,116:„WirführendieWörtervonihrermetaphysischen,wiederaufihre alltäglicheVerwendungzurück“. 215 Vgl.ÜG,501:„KommeichamSchlussnichtimmermehrundmehrdahinzusagen,dassdieLogik sichamSchlussnichtbeschreibenlasse?DumusstdiePraxisderSpracheansehen,dannsiehstdu sie“.

60 denAdressatendazu,sichskeptischeSzenarienzufingieren,durchwelche–entspre chenddemKontrastprinzipdersignifikantenNegation–dieÄusserungeinerseitsan Verständlichkeit gewinnt, andererseits aber ihren Gewissheitsstatus verliert, sodass wiraufdenzuvorerhobenenWissensanspruchverzichtenmüssen. 2.5 Skeptizismus als Antifundamentalismus DieSkepsisdesspätenWittgensteinwirdmeistaufeinezweifelndeHaltunggegen übertraditionellenMethodenderPhilosophieodergegenüber bestimmtenBedeu tungstheorieneingeschränkt,dieBedeutungenalsvonderkonkretenSprachpraxis losgelöste Entitäten konzipieren. 216 Dagegen möchte ich Wittgensteins antifunda mentalistische,antitheoretische,konventionalistischeundtherapeutischeTendenzen fokussieren, die ihn m. E. in eine pyrrhonische Tradition einordnen lassen. Den AntifundamentalismusbringteraufdenPunkt,indemerschreibt,dasseinInFrage Stellen von Geltungsansprüchen, Handlungsweisen und Rechtfertigungsverfahren letztlichnurdurchein„sohandleicheben“ 217 zurückgewiesenwerdenkönne. Der Konventionalismus und Kontextualismus Wittgensteins betrifft nicht nur die BereicheEthikundÄsthetik,sondernauchdieLogikunddieOntologie.Wittgen steinschreibtinden Bemerkungen zu den Grundlagen der Mathematik ,dass„[h]interdem scheinbaren Zwang [der Logik und Mathematik] ein allgemeines Einverständnis [steht].[...]DaherbesagtjederlogischeSchlussnichtsanderes,alsdassichmireinen ganzbestimmtenBeweisgefallenlasse“ 218 .Die„KristallreinheitderLogik“entbirgt sichals„eineForderung“,alsein„Vorurteil“. 219 Die„Härtedeslogischen‚muss’“ 220 istdasResümeeunseresmathematischlogischenSprachspiels,einerPraxis,diebe stimmte Ziele und Zwecke verfolgt. Es scheint sich ein an Zwecken orientierter Instrumentalismus,Antiessentialismus,RelativismusundKonventionalismusaufzu drängen,daselbstdieLogikaufeinerbestimmtenLebensform,i.e.einer„gemein samenmenschlichenHandlungsweise“,basiert,diezwarnichtalsihr Grund ,aberals ihre Ursache aufzufassenist.DieGeltungverdanktsichjedochletztlichderGenese,

216 Dazugehörtauchdersogenannte„Regelskeptizismus“,derWittgensteinnachAnsichtvonSaul Kripkein Wittgenstein über Regeln und Privatsprache vertritt. 217 PU,217. 218 Vgl.Wittgenstein,BemerkungenzudenGrundlagenderMathematik(BGM)I,§33. 219 PU,107;108. 220 BGMVI,§49.

61 dieTheorieetabliertsichdurchdiePraxis.MitBlickaufdasZählenalsRechenpra xisschreibtWittgenstein: „AberistdiesesZählenalsonurein Gebrauch ;entsprichtdieserFolgenichtauch eineWahrheit?“Die Wahrheit ist,dassdasZählensichbewährthat.–„Willstdu alsosagen,dass‚wahrsein’heisst:brauchbar(odernützlich)sein?“–Nein;son dern,dassmanvondernatürlichenZahlenreihe–ebensowievonunsererSpra che–nichtsagenkann,sieseiwahr,sondern:sieseibrauchbarund,vorallem sie werde verwendet .221 Wittgenstein nivelliert den Unterschied zwischen empirischen und apriorischen Aussagen,indemerdieÄhnlichkeitdesErlernensbeiderSprachspielebetont:„Wir lernenmitdergleichenUnerbittlichkeit,dassdieseinSesselist,wiedass2x2=4 ist“ 222 .DieGeltungmathematischerSätzeistfürWittgensteinkeineswegsunantast bar.DieWahrheitvon„2x2=4“lässtsichjedochnurinbestimmtenKontexten undineinersprachphilosophischreflektiertenWeisebezweifeln.Hierinunterschei densiesichnichtvonempirischenSätzen,sodassWittgensteinmitscheinbaranti skeptischemImpetusüberbeideAussagetypenbemerkt:„WennderSatz12x12= 144vomZweifelausgenommenist,dannmüssen’sauchnichtmathematischeSätze sein“ 223 . DerspäteWittgensteinsiehtdieSpracheals„eine Verfeinerung“ 224 der Reaktionen aufunsereUmweltundunsereMitmenschen.VordemHintergrunddesengenZu sammenhangszwischenunserenSprachspielenundeinernuanciertenAnpassungan unsereLebensweltzeigtsichdieEntrücktheitundPraxisferneskeptischerErwägun gen,denn„dieprimitiveFormdesSprachspielsistdieSicherheit,nichtdieUnsi cherheit“,welche„nichtzurTatführen“könne. 225 Esgibtkeinen‚archimedischenPunktderErkenntnis’,daselbstdieaprioristischen WissenschaftenderLogikundMathematikdensieumgebenden„Nimbusderabso lutenExaktheitundUnanfechtbarkeit“ 226 seitNietzsche–undspätestensmitWitt

221 Vgl.BGM,99:„DermathematischeSatzhatdieWürdeeinerRegel.[...]DerMathematikeristein Erfinder,keinEntdecker“. 222 ÜG,455. 223 ÜG,653. 224 VermischteBemerkungen,65:„DerUrsprungunddie primitive Form des Sprachspiels ist eine Reaktion.[...]DieSprache–willichsagen–isteineVerfeinerung,‚imAnfangwardieTat’“.ÜG,475: „DieSpracheistnichtauseinemRaisonnementhervorgegangen“. 225 UrsacheWirkung,404. 226 Stegmüller,HauptströmungenI,434f.

62 gensteinundQuine–verlorenhaben.Die‚SuchenachderverlorenenGewissheit’ 227 wareinverfehltesBemühen,unsereepistemischePraxiszufundieren.Wittgenstein schreibtinder Philosophischen Grammatik :„EinGrundlässtsichnurinnerhalbeines Sprachspielsangeben.DieKettederGründekommtzueinemEndeundzwaran der Grenze des Spiels“ 228 . Das schlagkräftige Fazit der wittgensteinschen Überle gungenist,„dassdieSpracheinsichgeschlossen,autonombleibt“ 229 .NachWittgen steinkannvoneinerRechtfertigungspraxisalsganzernichtsinnvollgesagtwerden, sieseiwahroderfalsch,dagilt:„WenndasWahredasBegründeteist,dannistder Grund nicht wahr , noch falsch“ 230 . Von Wahr und Falschheit kann nur innerhalb einesSprachspielsgesprochenwerden.Einemnaturwissenschaftlichenoderreligiö senWeltbildalsganzenWahrbzw.Falschheitzuzusprechen,bedeutetetwasande resalseinzelneTheoremeundSätzeinnerhalbeines bestimmten Systems „wahr“ oder„falsch“zunennen.NachWittgensteinkannnurletzteressinnvollbehauptet werdenundesgiltzubedenken,inwelchembegrenztenSinneeinemSatzinnerhalb einesSprachspielsWahrheitzugesprochenwerdenkann:„Wennnunallesfüreine Hypothese,nichtsgegensiespricht–istsiedann gewisswahr?Mankannsieso bezeichnen.–AberstimmtsiegewissmitderWirklichkeit,denTatsachen,überein? –MitdieserFragebewegstdudichschonimKreise“231 . Die Zirkularität besteht darin,dassselbstdieAusdrücke„Wirklichkeit“und„Tatsachen“nurjeweilsinner halbeinesSprachspielseineRollespielenundhinreichendbestimmbarsind.Witt gensteinistgeradedeshalbderskeptischenTraditionzuzuordnen,weilersichder protagoreischenSentenz„DerMenschistdasMassallerDinge“verpflichtetfühlt und die Unhintergehbarkeit der menschlichen Praxis immer wieder betont. Die KonsequenzdesradikalenKonventionalismusbesagt,dassRichtigesoderWahres nicht deswegenrichtigoderwahrist,weilesmiteinernichtkonventionalenRealität übereinstimmt:„[...]mitwelcherRealitätstimmt[...]dasRichtigeüberein?Wohlmit einer Abmachung , oder einem Gebrauch , und etwa mit den praktischen Bedürfnis sen“ 232 .

227 SoderTiteleinesBuchesvonLeszekKolakowski. 228 Wittgenstein,PhilosophischeGrammatik(PG),97. 229 PG,97.JürgenHabermasschreibt,dassWittgenstein„dieBedeutungsregelnvonWortennichtmit derWahrheitsbedingungvonSätzenzusammen“bringeunddadurch„jedensprachspieltranszendie rendenGeltungsbezug“preisgebe(ZurKritikderBedeutungstheorie,118). 230 ÜG,205. 231 ÜG,191. 232 BGM,41.

63 DieBevorzugungeinesbestimmten„Bezeichnungssystems“beruhtnachWittgen steinalleinaufpragmatischenKriterien.Soistesbeispielsweisesinnlos,unabhängig voneinemspezifischenKontextunddeninnerhalbdiesesKontextsdominierenden Interessendavonzureden,wasdiewirklichenBestandteileeinesbestimmtenObjek tessind. 233 Weretwabehauptet,Russlandgehöre„eigentlich“zuEuropa,das„wirk liche“Europaseialsogeographischumeinigesumfangreicheralsgemeinhinange nommenwird,dersolltesichbewusstsein,dassernichtempirischeTatsachenent deckt,sondernfüreinengeographischenNameneineneueVerwendungsweisevor schlägt.WirsolltenunsnachWittgensteinnichtdarumstreiten,welcheBezeichnung adäquater ist,sondernnachdemzuerwartendenNutzenderneuenVerwendungs weiseeinesBegriffsfragensowiedieMotiveausfindigmachen,dieeinesemantische Verschiebungnahelegen.DieSuchenachphilosophischenTiefenhinterdenalltäg lichenSprachspielen–diedefactoeine Ver suchungund„VerführungvonSeiten derGrammatikher“ 234 ist–entdecktkeinelösbarenProbleme,sonderngleichteiner zu therapierenden Krankheit. 235 AuchWittgensteinversteht, wie Sokrates und die pyrrhonischen Skeptiker, seine Reflexion als eineForm der (Selbst)Therapie, die philosophischeScheinproblemealssolcheentlarvtundsodenBlickaufdiePraxis alsAusgangsundZielpunktseinerÜberlegungenfreigibtundihnschliesslichbefä higt,„dasPhilosophierenabzubrechen,wann[er]will“ 236 . „FriedeindenGedanken,dasistdasZieldessenderphilosophiert“ 237 .

3. Kontextualismus und Kontrastivismus – zwei kompatibilistische Versuche VielePhilosophenattestiertendenkontextualistischen Einsichten des wittgenstein schenSpätwerksTheorietauglichkeitundarbeiteteninderFolgeaneinerkontextua listischenTheoriederErkenntnisundderRechtfertigung.Nebendemepistemischen KontextualismusdesMichaelWilliamssollimFolgendenauchderKontrastivismus

233 PU,59ff. 234 Nietzsche,JenseitsvonGutundBöse,Vorrede. 235 „DerPhilosophbehandelteineFrage,wieeineKrankheit“(PU,255);„Esgibtnicht eine Methode derPhilosophie,wohlabergibtesMethoden,gleichsamverschiedeneTherapien“(PU,133). 236 PU,133. 237 VB,511.

64 diskutiertwerden,einanJ.L.AustinangelehnterVersuchderAnalysevonWissens ansprüchen. KontextualistischeundkontrastivistischePositionenversuchenbeidedieKonfliktuö sität zwischen skeptischen Zweifeln und alltagsrelevanten Überzeugungen als ein Schattenkampfzuentlarven,indemsiedieKontextbedingtheit skeptischer Zweifel akzentuieren.

3.1 Kontextualismus

DerepistemischeKontextualismusbetontdiebereitsvonHumeunterstrichene In- stabilität skeptischerZweifel.KontextualistensindallerdingsnichtderMeinungHu mes,derSkeptiker entdecke gleichsamimmerschonvorhandene,imAlltagausprag matischenGründenjedochignorierte,LückeninderRechtfertigungunsererÜber zeugungen.NachMichaelWilliams,einemHauptvertreter des epistemischen Kon textualismus,liegenradikaleskeptischeZweifelwederaufderHand,nochsindsie dienatürlicheFolgederalltäglichenepistemischenPraxisdesGebensunsVerlangens vonGründen.Vielmehr schaffe sichderSkeptiker,soWilliams,eineneigenenKontext undermöglichedurchbestimmteAnnahmenbezüglichunsererErkenntnisradikale, aussenweltskeptischeZweifel. DasepistemischePrädikat„()weiss,dass p“hatauskontextualistischerSichtinun terschiedlichenKontextenunterschiedlicheAnwendungskriterien.Sowirdetwaauch das Prädikat „() ist rund“ in mathematischen Kontexten anders verwendet als in Situationen,inwelchenKindermitKreideeinerundeSonnezuzeichnenversuchen. DerKontextualististalsoderMeinung,esgäbe keinen kontextfreienepistemischen StatusalsintrinsischeEigenschafteinesbestimmtenÜberzeugungsgehalts.Genauso wenig gibt es epistemisch privilegierte Meinungen ungeachtet eines theoretischen Vorhabens und bestimmter Erkenntnisinteressen. Michael Williams charakterisiert seinePositiondesepistemischenKontextualismusdurchdreiKennzeichen: 238

(C 1)Alljustificationtakesplaceinacontextofpresuppositions(e.g.relatingto whichpotentialdefeatersneedtobeexcluded)andothercircumstanceswhich arenotcurrentlyunderscrutiny.

238 Williams,ProblemsofKnowledge,227.

65 (C 2) These presuppositions and circumstances can themselves be articulated andchallenged,butonlybyrecontextualisationoftheoriginaljustificatorypro cedure,arecontextualisationthatwillinvolvepresuppositionsofitsown. (C 3)Recontextualisationcangoonindefinitely.Butthisistheopenendedness ofinquiry,notaviciousregressofjustification. JedeandiskursivenNormenorientierteRechtfertigung–mithinauchdieskeptische – vollzieht sich auf der Basis bestimmter Hintergrundannahmen und blendet be stimmteZweifelsgründeaus.Dieser‚Horizont’desFragens,BegründensundRecht fertigens kann verschoben werden ( recontextualisation ), um die diskursive Aufmerk samkeitaufzunächstnochunhinterfragteHintergrundannahmenzulenken.Mitje dem Perspektivenwechsel gehen jedoch auch neue Unhinterfragtheiten einher: „While in neither case will they [the unquestioned presuppositions] be absolutely unquestionable, questioning them will shift the focus of inquiry in ways that take other commitments out of the line of fire“ 239 . Kontextualisten sind der Meinung, mankönnegenausowenigallesaufeinmalbezweifeln,wiemaninalleRichtungen zugleichgehenkann.FürMichaelWilliamssinddie Probleme des Skeptikers also wederblosseScheinprobleme,nochhältereineendgültigeWiderlegungskeptischer Zweifelfürmöglich. 240 DerKontextualistbezweifeltlediglichdieGeltungderimpli ziten skeptischen „Theorie des Verhältnisses zwischen philosophischer Reflexion und normalem Leben“ 241 . Die epistemischen Massstäbe des Skeptikers verdanken sichwenigereinermeistverdeckten condition humaine alsbestimmtenAnnahmenüber dieNaturunseresErkennens,durchdieeintheoretischesVorhabennamens„philo sophischerZweifel“erstmöglichwird. JederWiderlegungsversuchdersogenannten‚Aussenweltskepsis’–dieser„’Verwand lung’derWirklichkeitinsRechtfertigungsbedürftige“ 242 –istbishergescheitertund mussauskontextualistischerSichtauchscheitern.DemSkeptikerbleibtimmereine Hintertüreoffen,dieesihmermöglicht–wennnötigdurcheinSelbstmordattentat–, dasganzeHausindieLuftzusprengen.Derinseinem methodischen Zweifelalsdog matischzuverstehendePhilosophDescarteszündetdasskeptischeDynamitdurch eine–ichmöchtesagen,füreinepolitischeDoppelbödigkeithinreichendoffensicht liche–petitio principii gleichselbst,indemerdaserstnochauszuweisendeEvidenzkri

239 Ebd,167. 240 Williams,UnnaturalDoubts,35. 241 Ebd. 242 Marquard,AbschiedvomPrinzipiellen17.

66 teriumdes„ clare et distincte percipio “243 fürdenBeweisvoraussetzt. 244 DerVerdachtdes KontextualistengegenDescartes’Aussenweltskeptizismusistjedocheinradikalerer: Der Kniff des cartesischen Grossprojekts einer sophistischen ‚Argumentationsma schineriezurFestigungderWissenschaft’geschehe–vor jederArgumentation–be reitsindererstenMeditation,woderDenkerderMeditationendemLeserunterder HandeinimspäterenArgumentationsverlaufunhinterfragtbleibendesBildunseres doxastischenNetzesansHerzlegt:„DajabeiderUntergrabung der Fundamente (fundamentis )alles,wasdaraufgebautist,vonselbstzusammenstürzt,werdeichun mittelbardiePrinzipien( principia )angreifen,aufdiesichallesstützt,wasichfrüher fürwahrhielt“ 245 .AusSichtdesepistemischenKontextualismusistdasfundamenta listische Bild unseres Wissens, sowie jede Form des epistemologischen Realismus, verfehlt. 246 DasSichBerufenaufeine‚natürlicheOrdnungderGründe’unddieEin teilungdessen,worüberwirMeinungenhaben,inprivateSinnesempfindungenund öffentlicheGegenstände,bleibtkünstlich–einefürbestimmteskeptischeInteressen hilfreicheKonstruktion,welchefälschlicherweisedas‚WesendermenschlichenEr kenntnis’entdecktzuhabenglaubt.SowohlderKontextualistàlaWittgensteinals auchderepistemologischeBehavioristàlaRorty(vgl.Kap.5)halteneineessentialis tischeVorstellungdesmenschlichenErkennensfürschief. Aus kontextualistischer SichtgibteswederepistemischprivilegierteMeinungabseitsderSprachpraxisund der sie charakterisierenden Interessen und Zwecke noch eine unserem Wissen zugrunde liegende Struktur, die der epistemologische Realismus vorzufinden glaubt. 247 Der diskursive Kontext eines Aussenweltskeptikers ist nach Williams durch zwei Forderungen charakterisiert: die Objektivitätsforderung und die damit meist einherge hende Totalitätsforderung .NachdenMassstäbendesObjektivistenmusssichjedeEr kenntnisaufeinesubjektunabhängigeWeltbeziehen,i.e.aufeineWirklichkeit,wel che„unabhängigdavon,wiesieunserscheintoderwaswirübersiezuglaubenge

243 Descartes,MeditationenIII,Abschn.25,S.123. 244 DerVerdachtaufpolitischeBotschaftenverschärftsichdadurch,dassnachdemalsgelungenhin gestelltenerstenGottesbeweiseinzweiternachgeschobenwird–ganznachdemMotto„doppelthält besser“. 245 Descartes,MeditationesI,2. 246 AuchdiePyrrhonikerberufensichstellenweiseaufdie–meistvonDogmatikernvorgebrachte– fundamentalistischeMetapher(PHII,84):„Dennwie,wennmandasFundamenteinerMauerein reisst, auch der ganze Oberbau mit einstürzt, so werden auch die einzelnen Spitzfindigkeiten der Dogmatikermitausgeschaltet,wennmandieExistenzdesWahrenwiderlegt“. 247 Williams,UnnaturalDoubts,89ff.

67 neigtsind,soist,wiesieist“ 248 .DieTotalitätsforderungdagegenverlangt,wassieals Möglichkeitpräsupponiert,nämlich,dassunser ganzes doxastischesNetzmiteinem SchlagaufseineRichtigkeitgeprüftwerdenkann.MeistgehtmitdiesenbeidenAn nahmendieUnterstellungeinerepistemischenPrivilegiertheitbestimmterAussagen einher. Verfolgt der Skeptiker das Projekt des Aussenweltskeptizismus so wird er wederanderWahrheitvonWahrnehmungsäusserungennochanderEvidenzoder garExistenzphänomenalerErfahrungzweifeln.Ermeint,wissenzukönnen,waser wahrzunehmenglaubt,ohneauchnurdasGeringsteüberdieWeltausserhalbseiner Wahrnehmungen wissen zu müssen. Kauft der Antiskeptiker diese internalistische Prämisse,soistergezwungen,unserWissenüberextramentale Entitäten aus phä nomenalemWissengleichsamabzuleiten.DerSkeptikerverkauftdieseZweiteilung desdoxastischenInventarsalsdie natürliche OrdnungderGründe,indemerbehaup tet,jedesWissenüberdieWeltmüsseletztlichauseinemWissenüberdieprivaten Erlebnisseabgeleitetwerden,welchedieunhinterfragbarenBelegeunseresWeltwis sensbereitstellten.DerKontextualistwendetdagegenein,dassdasinternalistische BildunseresErkennensnureinesuntervielenistunddieAnnahmendesAussen weltskeptikersnurimRahmeneinesbestimmtentheoretischenUnterfangensplausi belscheinen.DieskeptischenAnforderungenangute Gründe sind kontextspezifi sche Anforderungen. Rechtfertigungsstandards sind interkontextuell variabel, was simpliciter dictu heisst,dassFragendesAlltags,derEthik,derÄsthetik,derPolitik,der Naturwissenschaft,derGeschichteundderPhilosophieaufsignifikantandereWeise gestelltundbeantwortetwerden. Masstabistdasjenige,waswirzumMasstabmachen.UndwirmacheneszumMass stab,umbestimmteZweckezuerreichen.

3.2 Kontrastivismus

EinemitdemKontextualismusverwandteepistemologischePositionistderKontras tivismus. Kontrastivisten wie Fred Dretske und Jonathan Schaffer analysieren das

248 Ebd,91.HegelundSchellingbehauptendasselbefürdennachdescartesschenSkeptizismus:„Was derneuesteSkeptizismusimmermitbringt,ist[...]derBegriff einer Sache ,die hinter und unter denEr scheinungssachenliege“(SkeptizismusAufsatz,247).AuchThomasNagelistdieserAnsicht,wenner schreibt:„DieMöglichkeitdesSkeptizismuswohntallenunserengewohntenGedankenvermögedes Realismus,densieautomatischannehmen,sowiedesAnspruchsinne,dieErfahrungzuüberschrei ten“(Erkenntnis,74).

68 Prädikat„()weiss,dass p“alsdreistelligesPrädikatdesTyps„ Xweiss,dass p–und nichtvielmehr q“,wobei qeineimentsprechendenKontext relevante Alternative 249 dar stellt.EinbestimmterepistemischerKontextistdurchdiejeweilsrelevantenkontras tierendenBehauptungenindividuiert. 250 EinePersonkannalsowissen,dassdortdrü beneinRohrspatzundnichtvielmehreineDrosselsitzt,ohnezuwissen,dasssich dortdrübeneinRohrspatzundnichtvielmehreinRohrspatzHologrammbefindet. Man kann gute Gründe (Überprüfungsverfahren) haben, eine Alternative q auszu schliessen, ohne damit gute Gründe für die Exklusion einer radikal skeptischen Hypothese hzuhaben.WenneinePersonweiss,dassdortdrüben ein Rohrspatz sitzt,dannweisssiedamitjenachKontextsehr Verschiedenes .Einmalweisssieviel leicht,dassdortkeineDrosselsitzt,einanderesMal,dassdortkeintäuschendechtes Hologrammaufwartet. DerSkeptikerversuchtdurcheinelistige Verschiebung des Kontrastes jedenWissensan spruchzuentkräften.DiesgelingtihmauskontrastivistischerSichtjedochnicht,da ausdemNichtwissenüberdasNichtbestehenskeptischerSzenarienkeineswegsein NichtwissenbezüglichalltäglicherGewissheitenfolgt.Genausowenigfolgtjedoch ausdenWeisheitendesCommonSensedieFalschheitskeptischerHypothesen.Die Position des Kontrastivismus ist somit kompatibilistisch , insofern sie einerseits den SkeptizismusinrestringierterFormamLebenerhältundandererseitsdieGewisshei tendesgemeinenMenschenverstandesunangetastetlässt. DasplausibelscheinendePrinzipderGeschlossenheit( closure principle )–welchesbe hauptet,dassalleImplikatedesGewussten(i)gewusstwerdenkönnenbzw.(ii)bei WissenumdieImplikationsbeziehungdefactoauchgewusstwerden–wirddurch diekontrastivistischeAnalysenur scheinbar verletzt.DasPrinzipwürdenurdannver letzt,wennausderTatsache,dass peherals q,folgte,dass peherals h(wobei qfür einedurchapplikableKriterienausschliessbareAlternativeund hfüreinenichtfalsi fizierbare skeptische Hypothese steht). Diese Konsequenz folgt aus kontrastivisti scherPerspektivejedochkeineswegs,obwohldieWahrheitvon pdieFalschheitvon himpliziert.WenndererläuterungsbedürftigeAusdruck„peherals q“nämlichmeint, dasses bessere Gründe zurAnnahmevon palsvon qgibt,dannkannausderTatsache,

249 Vgl.Austin,Fremdseelisches;undDretskesAufsatz„EpistemicOperaters“,143. 250 Vgl.FredDretske,Perception,Knowledge,Belief.48ff.: „Iproposetothinkofknowledgeasan evidentialstateinwhichallrelevantalternatives(towhatisknown)areeliminated.Thismakesknowl edgeanabsoluteconcept,buttherestrictiontorelevantalternativesmakesit,likeemptyandflat, applicabletothisepistemicallybumpyworldwelivein“.

69 dassdieIndizienundGründeeherfür palsfür qsprechen,nichtgeschlossenwerden, dieGründesprächeneherfür palsfür h.251 ImFolgendenmöchteichaufSchwächenderkontrastivistischen Analyse zu spre chenkommen:Angenommen,meinBruderundichkaufenjeeineMützedesselben Typs.Weiterseiangenommen,ichhätteaufmeinerMützeeinkleinesKreuzange bracht,umdiebeidenExemplarevoneinanderunterscheidenzukönnen.Amnächs tenTagwürdemichmeinBruderfragen„Weisstdunoch,welchesdeineMützeist?“ undichwürdeantworten„Ja,ichweiss,dass dies hiermeineMützeist,dasiemitei nemkleinenKreuzversehenist“. 252 AuskontrastivistischerSichtkannichnichtwis sen,obichnichtvielleichtdasOpfereinesTäuschungsversuchsbin.Schliesslichhät temeinBruderinmeinerAbwesenheitdasKreuzaufmeinerMützeentfernenund auf seine MützeeinKreuzmalenkönnen,odermeineErinnerungkönntemireinen Streichspielen.ObwohlichdieseskeptischenAlternativszenariennichtausschliessen kann,seiich–soderKontrastivist–gleichwohlinderLagezu wissen ,dassdiemit demKreuzverseheneMütze eher meineMützealsdiemeinesBrudersist. InvorliegendemFallgibtes–diesistderentscheidendePunkt–nur eine kontrastie rendeAlternative,nämlichdiejenige,dassdiebekreuzteMützemeinemBruderge hört.EssindalsoskeptischeSzenarienfingierbar,derenBestehenzurFolgehat,dass dervom Common Sense inErwägunggezogene,alternativeSachverhalt(„Diebekreuz teMützegehörtmeinemBruder“)besteht.FürdenKontrastivistenmüsstedasaller dingsheissen,dassder‚Alltagsmensch’undderSkeptikervon ein und demselben Kon trastreden.Wennaberbeide–wiederKontrastivistannimmt–(i)unter„wissen“ bzw.„gutenGründen“dasselbeverstehenund(ii)derselbeKontrastvorliegt,dann musseinerderbeidenWissensansprüchefalschsein,daentwedergewusstodernicht gewusstwird,dassdiebekreuzteMützemeineundnichtvielmehrdiemeinesBru dersist.DiebeidenSzenarienunterscheidensichm.E.indendurchsieinAnspruch genommenen, impliziten Anforderungen an gute Gründe . Was in nichtskeptischen Kontexten als guter Grund für eine Annahme gilt („Ich habe das Kreuz gestern selbsthingezeichnet“),giltinskeptischenKontextenalseinschlechter,dabegrün

251 AuchderKontextualismuslässtingewissemSinnedasPrinzipderGeschlossenheitunangetastet, da aufgrund der Kontextsensitivität des epistemischenPrädikats„()weiss,dassp“jeweilsnichtin derselbenWeisevon„wissen“dieRedeistunddeshalbauchkeineSchlüssegezogenwerdensollten zwischenWissenszuschreibungenunterschiedlicherKontexte. 252 DieBegründung„dasiemiteinemKreuzversehenist“scheintnahezuunerlässlichzuseinfürdas Äussernvon„ichweiss“.FolgtkeineBegründungwürdeesreichenzusagen„dashieristmeineMüt ze“(Vgl.ÜG18,40,91,111,243,245,484).

70 dungsbedürftigerGrund(„Woherweisstdu,dassdugesternnichtausversehendie falscheMützevordirhattest?“oder„Woherweisstdu,dassdichniemandüberOhr hauenmöchte?“). DiePlausibilitätderkontrastivistischenAnalysebasiertaufskeptischenKontrastsze narien,durchderenBestehen beide AlternativendesCommonSensefalsifiziertwür den:WennicheinemSpatzenhologrammgegenüberstehe,soistdiesesHologramm wedereinSpatznocheineAmsel,obwohldasSpatzenhologrammehereinemSpat zenalseinerAmselgleicht.ImMützenExempelwürdedurchdasallfälligeBestehen eines skeptischen Szenarios allerdings die weniger gut begründete Alternative des Common Sense –„dieMützemitdemKreuzgehörtmeinemBruder“–verwirklicht. DerKontrastivistkönnteaufdasGegenbeispielwiefolgtkontern:Wenndurchdas BesteheneinesSzenariosnichtbeideAlternativenfalsifiziertwerden,soistentweder dasSzenariokeinskeptischesoderdieAlternativeistkeinedesCommonSense.Da mitwürdederKontrastivistdieDoppelfalsifikationvonnichtskeptischenAlternati venalseinlogischesMerkmalskeptischerSzenarienbegreifen.Einederartigedefini torischeFestsetzungscheintmirjedochunplausibel,daGedankenexperimentemög lichsind,diezwardieselbenKonsequenzenhabenwiealltäglicheErwägungen(„Die Mützegehörtnichtmir,sondernmeinemBruder“),jedoch offensichtlich ungleich skeptischersind,wasdieVerlässlichkeitunsererSinneundunsererErinnerungan geht.

4. Externalistische Antiskepsis ImUnterschiedzukompatibilistischenKonzeptionenerhebenexternalistischePosi tionen diagnostische EinwändegegenradikaleskeptischeZweifelsversuche.DerExter nalistplädiertfürbedeutungstheoretischeAnnahmen,aufderenBasisradikaleZwei felalssemantischdefizientodergaralsunaussprechbarzugeltenhaben.DerSkepti keristnachAnsichtdesExternalistennichtinderLage,einenglobalenZweifelzu formulieren,derdiemöglicheFalschheitdermeistenundbasalstenunsererÜberzeu gungeninBetrachtzieht,daeinsolcherZweifelzugleichauchdieMöglichkeitsbe dingungensinnvollerRedebezweifelt.ExternalistischePositionenversuchenalsovor demHintergrundeinerbestimmtenBedeutungstheoriesystematischeZweifelmittels transzendentalerArgumenteunterSinnlosigkeitsverdachtzustellen.Dieskeptische

71 Aussage„WirkönntenindenmeistenDingenfalschliegen“istausexternalistischer PerspektiveannäherndsounverständlichwiedieÄusserung„Ichbinnichthier“. Die bedeutungstheoretische Annahme externalistischer Positionen besagt, „dass WorteundGedankenindeneinfachstenFällenaufdasBezugnehmen,wodurchsie bewirktwerden“ 253 .SonimmtunserAusdruck„Wasser“inderRegelaufdasjenige Bezug, was unsere Wasserempfindungen und Wasserrepräsentationen verursacht. WärendieEmpfindungendieselben,diesieverursachenden,physikalischatomaren EreignisseundGegenständejedochandere,sobedeutete „Wasser“ etwas anderes. Bedeutungensind,wieHilaryPutnamsagt,„einfachnichtimKopf“ 254 .Diesekausa listische und externalistische Grundannahme bricht also endgültig mit der interna listischen Vorstellung, welche besagt, „subjektive geistige Zustände könnten unab hängigvomRestderWeltundihrerGeschichtegenausobeschaffensein,wiesiees nuneinmalsind“ 255 .NachexternalistischerSichtmachtalsodieAnnahme,wirkönn tenunsüberdieUrsachenunsererEmpfindungenundMeinungensystematischir ren, keinen Sinn, da der Inhalt unserer Meinungen durch seine Ursachen mitbe stimmtist. 4.1 Kausale Referenztheorie: Hilary Putnams Gehirne in Tanks HilaryPutnamformuliertzuBeginnseinesBuches Reason, Truth and History einaus senweltskeptisches Szenario. Dieses Gedankenexperiment besagt, wir könnten alle blosse Gehirne in Behältern (Tanks) sein, eingesperrt in einem Laboratorium und angeschlossenaneinenhochentwickeltenZentralcomputer,derunseremBewusst seindurchneuronaleReizeeineWirklichkeitvorgaukelt,wiewirsiezukennenglau ben.AnschliessendversuchtPutnamzuzeigen,dasssolcheGehirneinTanksweder sagen noch denken könnten,sieseienGehirneinTanks,dasieineinemsolchenFall zuvorkeinefüreinegelingendeReferenzunerlässlichekausaleBekanntschaft 256 mit Gehirnen und Tanks gemacht hätten. 257 Die Äusserung „Ich bin ein Gehirn im Tank“istnachPutnaminbeidenmöglichenFällenfalsch:(i)Wennich kein Gehirn

253 Davidson,ExternalisierteErkenntnistheorie,70. 254 Putnam,DieBedeutungvon„Bedeutung“,37. 255 Davidson,DerMythosdesSubjektiven,101. 256 AuchnichtaufkommunikativenUmwegen(siehesprachlicheArbeitsteilung,Namensgebungusf. beiPutnamundKripke).Vgl.Putnam,BrainsinaVat,38. 257 Putnam,BrainsinaVat,32.

72 imTankbin,dannentsprichtdasAusgesagtenichtdemjenigen,wasderFallist,und istsomitfalsch.(ii)WäreichdagegeneinGehirnineinemTank,dannwürdeich michmittelsmeinersprachlichenÄusserung„IchbineinGehirnimTank“aufdie UrsachenmeinerTankundGehirnempfindungenbeziehen,sprich,ichwürdenicht überTanksundGehirneredenundalsoauchnichtbehauptenkönnen,ichseiein GehirnimTank. 258 DieAussage,ichseieinGehirnimTank,istnachPutnamein pragmatischerSelbstwiderspruch,ebensowiedieAussage„Ichexistierenicht“.Für beideAussagengilt,dasssiefalschsind,wennsiegeäussertwerdenkönnen. 259 EinSkeptikerwürdewohldenversperrtenWegderontischenSkepsis,diefragt,ob die Welt wirklich so sei, wie wir meinen, durch einen semantischen Skeptizismus kompensieren,welcheranunseremWissenumdiewahre Bedeutung dervon uns verwendetenBegriffezweifelt.DersemantischeSkeptikermeint,wirwüsstennicht einmal,obwirimStandesind,zusagen,wirseienGehirneinTanks,i.e.wirwissen nichteinmal,wasunsereWortebedeuten. 260 AusexternalistischerSichtwirddiesem Vorwurfallerdingsentgegengehalten,wirkönntennichtsinnvollbestreiten,dasssich derAusdruck„Katze“aufKatzenbezieht;alsokönnenwirauchnichtsinnvoll be- zweifeln ,dasswirunsdurchdasÄussernvon„Gehirn“aufGehirne beziehen. Wir könnenuns,soderExternalist,inderAnnahme,dasswirunsmittelsdesAusdrucks „Gehirn“aufGehirnebeziehen,nichttäuschen,dennindemSatz„DerAusdruck ‚Gehirn’beziehtsichaufGehirne“beziehtsichdas Wort „Gehirn“ auf dasjenige, woraufsichauchderAusdruck„das,woraufsichder Ausdruck ‚Gehirn’ bezieht“ bezieht.DasvomSkeptikerunterstellteUnwissendarüber,woraufwirwirklichBe zugnehmen,müsstealsoandersausgedrücktwerden. DieGrundideePutnamskannnachOlafL.Müllerauf„verblüffendeinfacheWei se“ 261 wiefolgtargumentativwiedergegebenwerden: (A)InmeinerSprachebezeichnetdasWort„Tiger“Tiger. (B)InderSpracheeinesewigenGehirnsimTankbezeichnetdas Wort„Tiger“ nicht Tiger.

258 Ebensowenigkönnteich,wäreicheinGehirnimTank,behaupten,ichsei kein GehirnimTank. 259 Putnam,BrainsinaVat,32. 260 ThomasNagelschreibtdazu:„’VielleichtkannichmirdieWahrheitüberdas,wasichbin,noch nichteinmaldenken,damirdienötigenBegriffenichtzurVerfügungstehenundesmirdieUmstände unmöglichmachen,siezuerwerben!’WenndaskeinSkeptizismusist,weissichnichtmehr,wassonst nocheinerseinkönnte“(Erkenntnis,74). 261 OlafL.Müller:„WenndasGehirninallemgetäuschtwürde...Oder: WarumdieWeltkeinetotale Computersimulationseinkann“,auf:„http://www.gehirnimtank.de/tank/wgiaB.pdf“,S.5.

73 (C)MeineSpracheistvonderSpracheeinesewigenGehirnsim Tankverschieden. (D)IchbinnichtseitjehereinGehirnimTank. IchmöchteimFolgendendievermeintlicheInfallibilitätundunhinterfragteGeltung derPrämisse(A)inZweifelziehenundzuzeigenversuchen,dasswirunserallfälliges UnwissenüberdieWahrheitvon(A)verständlichmachenkönnen.DasArgumentist m.E.ingewisserWeise zirkulär ,dadasWissenumdieWahrheitvon(A)einWissen umdieWahrheitvon(D)voraussetzt.EinunwissenderSprecher,dersichdurchdie mit einer Zeigehandlung verknüpfte Äusserung „Katze“ auf einen äusserlich von einerKatzeununterscheidbaren Roboter bezieht,würdevonsichselbst auch sagen,mit „Katze“bezieheersichaufKatzen.Wirwollenallerdingsannehmen,erhältes nicht fürmöglich,dasseinRobotereineKatzeseinkann.AlsokannerüberKatzennicht herausfinden ,dasssieRobotersind,sondernlediglichüberbestimmteObjekteerfah ren,dassdiesekeineKatzen,sondernRobotersind.Genausowürdenwirnichtak zeptieren,BäumeseieninWirklichkeitcomputergesteuerteImpulse(odereinbloss konstruiertes, einheitsstiftendes Bezugskonstrukt für Sinnesempfindungen). Wir würdenalso,jenachdem,waswirüberdiekausalenDeterminanten unserer Über zeugung herausfänden, die Falschheit unserer Überzeugungen einer ‚extensionalen Revolution’ vorziehen. Die ‚semantische Stabilität’ bzw. unsere semantisch stabile VerwendungsweisederBegriffe„Gehirn“und„Tank“verhindert, dass sich solche BegriffeaufgänzlichheterogeneBezugsgegenständebeziehenkönnen.Begriffedie ser Art sind m. E. keine semantisch instabilen Kennzeichnungen dessen, was meine TankundGehirnEmpfindungenverursacht. 262 Einehinreichendrevolutionäreem pirischeEntdeckung(„WaswirTigernannten,sindinWirklichkeittigerähnlicheMa schinen!“)könnteeinenSprecherzuderÄusserungveranlassen,dasWort„Tiger“ habeinseinerSprache–welchesichdurchdieEntdeckungzwar verändert habe,je dochkeine andere gewordensei–überlangeZeit keine Tigerbezeichnet.Selbstver ständlichsindBegriffewie„Tiger“semantischnichtabsolutstabil;schliesslichhaben diemeistenNaturforschereinoffenesOhrfürkenntniserweiterndeundfalsifizieren deNeuigkeiten.

262 Ein Beispiel einer solchen, durch völlig heterogene Entitäten erfüllbaren Kennzeichnung wäre „WasimmerauchmeineÜberzeugungenundWahrnehmungenzuGehirnenverursacht...“.

74 MeinEinwandhateinestrukturelleÄhnlichkeitmitdemrelativistischenEinwanddes ananthropomorphenbzw.ethnozentrischenGöttervorstellungen.Xe nophanesführtdiegriechischenGötterdadurch ad absurdum ,dasseralternativeund in‚barbarischen’AugengenausounhinterfragteGöttervorstellungenregistriert,über welchediemeistenGriechennurlachenkonnten. 263 WohernehmenwirdieBerech tigungzubehaupten, andere könnensichinpunctoReferenztäuschen, wir allerdings nicht? Ein hinters Licht geführter Urwaldbewohner in mitten von Hologrammen glaubtgerade nicht ,dassdasjenige,worüberersprechenmöchte(echteBäumeund Hasen),nichtexistiert.GenausowenigglaubtTruman (Jim Carrey) in The Truman Show ,dassseineganzeUmweltundseineMitmenschen unecht sind.Wennwirdiein analytischenKontextengängigeUnterscheidungzwischen Einstellungen de re (DR) und de dicto (DD)aufgreifen,könnenwirsagen:Trumanglaubt(DR)zwar von derje nigenPerson,welcheseineFrauspielt,sieseikeineSchauspielerin.Erglaubt(DD) allerdingsnicht,dassdieseineFrauspielendeSchauspielerinkeineSchauspielerinist, da er keineswegs meint, diejenige Person, welche er für seine Frau hält, sei eine Schauspielerin.PutnamsPrinzipdesVertrauensvorschusses( principle of the benefit of the doubt )besagtzwar,einSprecherwürde„vernünftigeModifikationenseinerBeschrei bungen“ 264 dessen,worübererspricht,akzeptieren.Auchwenn–someinEinwand– einSprecherjedoch,nachdemerdarüberaufgeklärtwurde,dasseinGrossteilseiner UmgebunglediglichausHologrammenbesteht,bereitwärezuzugeben,dasserper manentüberHologrammegesprochenhabe,soisterdochnichtwilligeinzugeste hen,erseiwährendderganzenZeitimBesitzwahrerMeinungenüberHologramme gewesen,habesichalsogarnichtgeirrtüberdieBeschaffenheitseinerUmgebung. DievonHologrammenUmgebenenwürdenalsodiemöglicheFalschheitihrerÜber zeugungeneinertotalensemantischenEntfremdungsmöglichkeitvorziehen.Siewür denihreÄusserungenzueinemZeitpunktvorderEntdeckungzwaralsÄusserungen überHologrammebegreifen,allerdingsals falsche (odersinnlose)Äusserungen,dasie damalsnochnichtwussten,dasssieüberHologrammesprachen.Siewürdeneine Aussagevonfrüher,wie„DieserBaumistetwazehnMeterhoch“,entwederalseine falscheoderalseinewederwahrenochfalsche,dareferenzlose,Aussagebegreifen. DieAussage„DadrübenstehteinBaum“wäreeindeutigfalschgewesen,dadamals

263 Diels/Kranz,FragmentederVorsokratiker,I,21[11],Frgm.15und16,S.132133. 264 Putnam,SpracheundWirklichkeit,56.

75 keinBaumdastand,sondernlediglicheinHologrammandieselbeStelleprojiziert wurde.

4.2 Radikale Interpretation: Donald Davidsons allwissender Interpret 265 Donald Davidson ist ein Anhänger des externalistischen Credos, welches besagt, „dassEreignisseundGegenstände,durchdieeineÜberzeugunghervorgerufenwird, zugleichdenInhaltdieserÜberzeugungbestimmen“ 266 .OhneeinmitdemSprecher kommunikativ interagierendes Wesen lässt sich nach Davidson allerdings nicht bestimmen, „auf welche Gegenstände oder Ereignisse ein Lebwesen reagiert“ 267 . NachDavidsonbestimmendieInterpreten,worübergeredet,wasgemeintundwas gewolltwird,da sie überdieUrsachenbeobachtungsnaherÄusserungen,sogenannter ‚Gelegenheitssätze’, entscheiden. Die Gegenstände und Ereignisse, die bestimmte ÜberzeugungenundWünscheverursachen,müssenalsoöffentlich(denInterpreten zugänglich)seinundalsetwasgelten,wasauchdieInterpretenzubasalenÄusserun genveranlassenkönnte.Da(i)WorteundGedankenindeneinfachstenFällenauf dasBezugnehmen,wodurchsiebewirktwurden,(ii) jedoch nur ein Interpret die UrsachenbasalerÄusserungenfestlegenkannund(iii)demInterpretennuröffentli cheEntitäten(solche,dieauchihnveranlassenkönnten,etwaszuglaubenoderzu sagen)zurAuswahlstehen,redenunddenkenwiralso notwendigerweise über öf fentlich zugängliche Entitäten. Davidson löst sich also von der empiristisch reduktionistischenTradition,welchedieBedeutungvonBegriffenaufprivateEntitä ten ( impressions ,Sinnesempfindungen)oderderenphysikalistischesKorrelat namens „Rezeptorenreizmuster“(Quine)zurückführt.UnsereprivatenEmpfindungen(Sin

265 Davidson hat infolge intensiver Auseinandersetzungen mit Vertretern des Kontextualismus und mitRichardRortydieeigenePositionbezüglichdesSkeptizismusmodifizertundvertratinspäteren AufsätzendieanRortyangelehnteAnsicht,dasssichderSkeptizismusnichtwiderlegenlasse.Dashier vorgestellteantiskeptischeArgumenthätteernachdenGesprächenmitRortynichtmehralseinen GegenbeweisgegendieDenkbarkeitradikalerZweifelverstandenwissenwollen.DasArgumentsoll dennochvorgestelltwerden,daeseinenbeträchtlichenEinflussaufdiegegenwärtigeSkeptizismusde batte ausgeübt hat. In einem Nachtrag zu „Eine Kohärenztheorie der Wahrheit und Erkenntnis“ schreibter:„[Mirwar]sehrdarangelegen,einealternativeHerangehensweiseandieBegriffeBedeu tungundErkenntniszubegründenundzuzeigen,dassderSkeptizismusgarnichtinGangkommen könnte,wenndieseAlternativerichtigwäre“(74) 266 Davidson,VoraussetzungenfürGedanken,8.Vgl.ebd.,MythosdesSubjektiven,94:„Freilichgibt eseineganzeMengeWörterundSätze,dienichtindieserWeisegelerntwerden;aberdieVerankerung derSpracheinderWeltwirddurchdiejenigenWörterundSätzezustandegebracht,dietatsächlichso gelerntwerden“. 267 Ebd.,13.

76 nesdaten)spielenfürDavidson„beiderBestimmungdesInhaltsunsererÜberzeu gungen“ 268 keineerkenntnistheoretischeRolle,daeinebefriedigendeBedeutungsthe orieletztlich„eineTheorieist,dieeineakzeptableErklärungdesSprachverhaltens undderSprachdispositionenliefert“ 269 .DerSkeptizismusbezüglichunsererSinneser fahrung, welcher sich auf „erkenntnistheoretische Vermittlungsinstanzen vom Typ der Sinnesdaten, Qualia oder unverarbeiteten Empfindungsgegebenheiten“ beruft, stelltfürDavidsonaufgrundderÖffentlichkeitderGegenständeunseresDiskurses also„keinenformulierbarenStandpunkt“dar. 270 DerSkeptikerkannm.E.,ohnesich damitaufdieExistenzsogenannter„Qualia“festzulegen,behaupten,diemeistender unszugeschriebenenÜberzeugungenkönntenfalschsein,i.e.dieWeltkönnteganz anderssein,alswirmeinen.ImFolgendenmöchteichzeigen,wiedasVorhabendes SkeptikersgelingenkannundwieDavidsondiesenskeptischenAngriffzuwiderlegen versucht: NachDavidsonundQuinefolgtjedeInterpretationeinerRegel(indeskriptivemund normativemSinne),derenUnerlässlichkeitundgeteilteAkzeptanzsieanSzenarien radikaler Interpretationen einsichtig zu machen versuchen. Diese hermeneutisch wohlwollendeLeitregel( principle of charity oder principle of rational accommodation )besagt: „Wennwirandereverstehenwollen,müssenwirihnenindenmeistenDingenrecht geben“ und also „hinsichtlich der Überzeugungen allgemeine Einigkeit vorausset zen“. 271 EinsolchesPrinzipistinradikalenInterpretationssituationenunerlässlich,da sichdieInformationenüberBedeutungenuninterpretierterAusdrückedenInforma tionenüberdieMeinungenundWünschedesSprechersverdankenundumgekehrt: WeissderInterpret,wasderSprechermeint,wennerdenLaut„Gavagai“vonsich gibt,soweisserauch,was„Gavagai“bedeutet.WasderwahrhaftigeSprechermit „Gavagai“meint,weissderInterpretjedocherstdann,wennerweiss,was„Gavagai“ bedeutet.DasPrinzipderNachsichtigkeit( principle of charity )durchbrichtdiesenZir kel,indemesdemInterpreteneinKriteriumfüreinegelungeneInterpretationandie Handgibt,dasnichtaufdieÜberzeugungendesSprechersBezugnimmt. DerSkeptikerwirdeinwenden:„KannsicheinInterpretmitBlickaufdieUrsachen sprachlicherReaktioneneinesAnderenabernichtebensotäuschen,wieersichüber

268 Davidson,DerMythosdesSubjektiven,97. 269 Davidson,DieUnerforschlichkeitderBezugnahme,335. 270 Ebd.,106.Vgl:„DiesemantischenMerkmalederSprachesindöffentlicheMerkmale.Wasniemand derGesamtheitderBelegeentnehmenkann,weilesaufgrundderNaturderSacheausgeschlossenist, daskannauchnichtmitzurBedeutunggehören“(UnerforschlichkeitderBezugnahme,332). 271 Davidson,WasisteigentlicheinBegriffsschema,279,280.

77 diewahrenAnlässeseinereigenenÄusserungentäuschen kann? Könnte ein Inter pret,obwohlermeint,demSprechergrösstenteils wahre Meinungenzuzuschreiben, sichnichttäuschenunddemSprecherinfolgedeseigenenIrrtumsgrösstenteils falsche Meinungen zuschreiben?“ Um einen infiniten Interpretationsregress fallibler Inter pretationenabzuwehren,greiftDavidsonaufdieAnnahmeeines allwissenden undsich amPrinzipderNachsichtigkeitorientierendenInterpretenzurück,welcheralsultima tiverInterpretgarantiert,dassdiemeistenunsererÜberzeugungen(sowieInterpreta tionenundSelbstinterpretationen)wahrsind. 272 ObwohlDavidsoninQuinescherManiernichtleugnet, dass jede unserer Überzeu gungenfalschseinkönnte,isteralsodennochnichtderMeinung, alle unsereÜber zeugungenkönntenfalschsein.DerillegitimeSchlussvondermöglichenFalschheit jeder einzelnenÜberzeugungaufdiemöglichesimultaneFalschheit aller Überzeugun genisteinTaschenspielertrickdesSkeptikers–denerallerdingsselbstnichtdurch schaut. MichaelWilliamsvertrittdiem.E.wohlbegründeteAnsicht,Davidson„möchteso wohldieKohärenzalsauchdieKorrespondenzausdemPrinzipderNachsichtigkeit ableiten“ 273 .DasProblematischeanDavidsonsAntiskepsisscheintmirdasFolgende zusein:Davidsonist–ganzderTraditionslinieseinesLehrersQuineverpflichtet– der Meinung, Kausalität spiele eine unentbehrliche Rolle bei der Bestimmung des InhaltsunsererÜberzeugungen. 274 WärenwirGehirneinTanksunterdengöttlichen AugeneinesallwissendenInterpreten,dannwürdenwirnichtüberStühleundKat zen,sondernüberdieunsereSinnesempfindungenund Gedanken verursachenden elektrischenImpulseoderüberComputerbefehlesprechen,daderallwissendeInter pretdenInhaltdermeistenunsererÜberzeugungenmitden Ursachen ebendieserÜ berzeugungenidentifizierenwürde.Williamsentgegnet„[...]Aberwassolltemichder Gedanketrösten,dassich,wennicheinGehirnimTank wäre, nicht grösstenteils falsche Überzeugungen über die Welt hätte, wie ich sie mir jetzt denke, sondern

272 Davidson,EineKohärenztheoriederWahrheitundderErkenntnis,65.FürDavidsonist,imGe gensatz zu Descartes, ein allwissendes Wesen keineswegs die ultima ratio gegen den Skeptiker: Er möchtenurzeigen,dassauchderSkeptikeraufdieIdeeeinesallwissendenInterpretenzurückgreifen muss,soferndieserdieMöglichkeiteinesglobalenIrrtumsverständlichmachenmöchte.JedeInter pretation–aucheinegöttliche–orientiertsichnachDavidsonallerdingsamPrinzipderNachsichtig keit,wodurchdieIdeeeinesglobalenIrrtumsunverständlichwerde. 273 Rorty,WaffengegendenSkeptizismus,313. 274 Davidson,EineKohärenztheoriederWahrheit,65.

78 grösstenteils wahre Überzeugungen über die Tankumgebung?“ 275 . Wer der Auffas sungist,wirwüsstenbesseralseinphysikalischallwissenderInterpret,worüberwir mitunserenBegriffeundSätzenreden,lässtsichnachDavidsonaufdieVorstellung ein,wirkönntendenInhaltunsererÜberzeugungenkennen,ohneüberderenUrsa chenBescheidzuwissen.DiesesinternalistischeBildseijedochgenaudasjenigedes SubjektObjektDualisten à la Descartes oder eines Anhängers des Kantischen SchemaInhaltDualismus,deraneinSelbstverständnisohneAnbindungankausale DeterminantenvonÜberzeugungenappelliertundineinemzweitenSchrittgezwun genist,sogenannte Dinge an sich anzunehmen,überwelcheesnichtmehrzusagen gibtalsüberGottausSichtdernegativenTheologie.MitNietzschesWortenhiesse das:„DerGegensatzderscheinbarenWeltundderwahrenWeltreduziertsichauf denGegensatz‚Welt’und‚Nichts’“ 276 . Die „Idee der Übereinstimmung“ ist für Davidson letztlich „eine Idee ohne Ge halt“ 277 ,daesnichtsgäbe,„wovonmannützlicherundverständlicherweise sagen könne, es entspreche einem Satz“ 278 . Die Unerklärlichkeit und intellektuelleUnan tastbarkeitdesBegriffsdessen,womitunserbegrifflichesSchema‚korrespondiert’– dasjenige,wasdurchunserDenkenauferklärungsbedürftigeWeisegeordnet,synthe tisiertundsystematisiertwird 279 –lässtdenentsprechendenrelationalenGegenbegriff „Begriffsschema“insemantischerDefizienzzurück. 280 DieIdeeeinesdieMannigfal tigkeit des Gegebenen ordnenden Begriffsschemas hängt mit der Vorstellung zu sammen, dass nicht nur sich gegenseitig ausschliessende, sondern auch ineinander unübersetzbare, da inkommensurable ,abergleichwohl wahre Begriffsschemata 281 mög

275 Williams,UnnaturalDoubts,314.AufS.316schreibtWilliams,das„skeptischeProblemderBe gründbarkeitvonÜberzeugungen“werde„nichtgelöst,sondernineinProblemverwandelt,dasdie UnerforschlichkeitderBezugnahme“betreffe. 276 Nietzsche,KSAXIII,371. 277 Davidson,TheStructureandContentofTruth,305. 278 Davidson,Nachtragzu:EineKohärenztheoriederWahrheitundErkenntnis,71. 279 Diessei,soDavidson,meistentweder objektiv ,i.e.„dieWelt“,„dasUniversum“oder subjektiv ,i.e. „dievorüberziehendeSchau“,„Sinnesdaten“oder„dasGegebene“(WasisteinBegriffschema,273). 280 BereitsdiepyrrhonischenSkeptikerkonstatiertennachSextusEmpiricuseineepistemische Interde- pendenz relationalerBegriffe,wennsiebehaupten,dassRelativanurmitunddurcheinandererkannt werden(PHI,117;125:„ τάγρπρςτιαλλλοιςσυνκαταλαβάνεται “).DarausziehendiePyrrhoneer erkenntnisskeptische Konsequenzen mit Blick auf das Verstehen relationaler Begriffe: Relationale Begriffekönnennichthinreichendverstandenwerden,dadasVerständnisdeseinenderbeidenrelati onalaufeinanderbezogenenBegriffedasVerständnisdesrelationalentgegengesetztenvoraussetztund umgekehrt. Jeder Versuch einer Erkenntnis von Relativa endet somit in einer Diallele bzw. einem Zirkel. 281 DieungewohnteRedeweise,welchebesagt,einBegriffsschemakönnealsganzes‚wahr’sein,meint lediglich,dassbisherkeinemitdemBegriffschemakonfligierendenErfahrungenvorgekommensind, dieeinesystematischeRevisionodergareineVerabschiedungdesSchemasnahelegenwürden.

79 lichsind.DieseVorstellungeinesordnendenBegriffschemas ist laut Davidson ein unverständliches,da widersprüchliches ,„drittesDogmadesEmpirismus“.Widersprüch lichistdieserSchemaInhaltDualismus,derdieMöglichkeitunübersetzbarerWirk lichkeitsstrukturierungeninErwägungzieht,deswegen,weilderWahrheitsbegriffmit demInterpretationsbzw.Übersetzungsbegriffuntrennbarverknüpftist.Einedefla tionistische Wahrheitstheorie ausgehend von Tarskis Konvention W sagt nämlich überWahrheitnichtmehraus,alsdasseinSatz„p“genaudannwahrist,wennp. Wenn„p“einSatzeinerfremdenSpracheist,somusserinunsereSpracheübersetzt werden,umzubestimmen,wasderFallist,wennerwahrist.Ist„p“unübersetzbar, sokannnichtsinnvollvonseinerWahrheitgesprochenwerden,dasichdieBedeu tungvon„...istwahr“indemBikonditionalW(„p“)↔perschöpft,welchesimFall derunübersetzbarenAussage„p“eineleereStelleenthaltenunddadurchunverständ lichwürde.Kurz:DieAussage„Seinalternatives,unübersetzbares,abergleichwohl wahresBegriffschema“istfürDavidsoneine contradictio in adjecto –alsoeineunver ständliche und nicht bloss unverifizierbare Aussage. 282 Es ist eine weitere Konse quenzdeswittgensteinschenPrinzipsdersignifikantenNegation,dassnichtnurnicht sinnvollvonverschiedenen,sondernauchnichtsinnvollvoneinemeinzigen(einund demselben)Begriffschemagesprochenwerdenkann. IchmöchtenuninkritischerAbsichtaufdiegöttlicheInterpretationderÄusserun gendesGehirnsimTankzurückkommen:ZeigtdasGedankenexperimentmitdem allwissendenInterpretendesGehirnsimTanknichtdieintuitiveAbsurditätdesun eingeschränkteGeltungbeanspruchenden,hermeneutischenPrinzipsderNachsich tigkeit?Ichmeine,ja.DieseLeitregeldeszwischenmenschlichenVerstehens,dieDa vidsonfüreinenotwendigeBedingungjederradikalenInterpretationhält,giltm.E. nämlichnurindenmeistenundvertrautestenFällen.InsolchenFällenistsieäquiva lentmitderGrundleitregelhermeneutischerPraxis,welcheverlangt,neueInformati onenmöglichstökonomischindasbestehende,kohärenteGeflechtvonMeinungen einzuweben.IchversuchediesenGedankenzuexemplifizieren: Angenommen, wir projiziereneinHasenhologrammvordieAugeneinesUrwaldmenschen,woraufdie

282 Der Skeptiker, welcher in Erwägung zieht, andere Menschen könnten ein genauso ‚passendes’ Weltbildhaben,welchesjedochradikalvonunseremabweiche,würdederArgumentationDavidsons einenVerifikationismusvorwerfen,welcherdie ordo gognoscendi andieStelleder ordo essendi setze.Der relativistischeSkeptikerkönntesagen:„DieTatsache,dasswirbestimmteÄusserungennichtüberset zenkönnen,sollteunsnichtzuderAnnahmeverleiten,beidiesenÄusserungenkämeWahrheitgar nichtinFrage.UnsereUnfähigkeit,dieÄusserungeninunsereSprachezuübersetzen,isteinAnzei chendafür,wievollständigwirinunserenegozentrischenAnschauungengefangensind“(Vgl.Rorty, DieglücklichabhandengekommeneWelt,33).

80 ser(aufdasHologrammzeigend)„Gavagai!“ruft.DasPrinzipderNachsichtigkeit besagtnun,„LassedenUrwaldmenschennichtalsUnwissendendastehenundüber setze ‚Gavagai’ mit ‚Hasenhologramm’ und nicht mit ‚Hase’!“. In einer derartigen SituationkannderInterpretaufgrundseinesMenschenbildesundseinerübrigenÜ berzeugungenjedochnichtsinnvollannehmen,derSprecher wisse ,woraufersich de facto bezieht. Den Ausruf „Gavagai!“ mit „Da, ein Hasenhologramm!“ wieder zugeben,würdeheissen,gefestigteMeinungenüberdiemenschlicheFallibilitätauf zugeben.Eshiesseweiterauch,alleBegründungenzuentwerten,welchefürdieintu itivplausibleAnnahmesprechen,eininmittenvonHologrammenundSchauspielern lebenderMensch–einMensch,derweiss,wasHologrammeundSchauspielersind, ausSichtdesInterpretenjedoch keine gutenGründehatanzunehmen,seineUmge bungbesteheausHologrammenundSchauspielern–täuschesichübersehrvieles, i.e.hatvielefalscheMeinungen.DieAbsurditäteneinesuneingeschränktgeltenden PrinzipsderNachsichtigkeit 283 zeigensichalso,wennwirimaginativeinenGrossteil der Umwelt des Urwaldmenschen durch Hologramme und Schauspieler ersetzen. DerUrwaldmenschhättenämlich,würdenwirunsalsInterpretenrigorosam principle of charity orientieren,immernochgrösstenteilswahreMeinungenüberseineUmwelt, jedochkeineAhnung,worübererspräche.VielleichtistdieAbsurditätdieserKonse quenzbereitsGrundgenug,dieschlichteOntologieeinesEmpiristenàlaQuinewie dermitIntensionenanzureichern,i.e.miteinemNetzvonÜberzeugungen,diege glaubtwerdenkönnen,auchwennsienichtderFallsind.Verpflichtenwirunsonto logisch( ontological comittment )allerdingsaufkausalentbundeneintermediäresemanti scheEntitätenwieFregesche„Sinne“oderIntensionen,übergebenwirdenBallwie derdemSkeptiker,derunsfragenwird,woherwirwüssten,dassunserenMeinungen ‚etwasinderWeltdraussen’entspricht.Wirscheinenunsalsoineinerdilemmati schen Mitte zwischen der Skylla des semantischen Skeptikers und derCharybdis des epistemischen bzw. ontischen Skeptikerszubefinden.Dereinebezweifelt,dasswirwissen können,waswirmeinenundbeabsichtigen,währendderanderedaranzweifelt,dass

283 EineweitereAbsurditätdesPrinzips„interpretiereso,dassdiemeistenÜberzeugungen wahr sind“ ergibtsichinRatefällen:JemandwirfteineMünzeundfragtdenUrwaldmenschen,welcheSeiteoben liegt(wieauchimmererdasfragenkann...).DieMünzezeigtKopf,derUrwaldmenschsagt„Jandula“. DasintuitiveZögern,„Jandula“mit„Kopf“zuübersetzen,ergibtsichdaher,dassderUrwaldmensch keineBegründung(nichts,waswiralsBegründunggeltenlassenwürden)fürseineÜberzeugungvor bringen kann. Er kann also gar nicht wissen , dass „Kopf“ oben liegt. Die Intuition scheint also ein Prinzipzubevorzugen,welchesdemInterpretantengrösstenteils Wissen zuschreibt,wodiesmöglich istundgeradekeineblossen wahren Meinungen.

81 wirwissenkönnen,obunsereMeinungenwahroderfalschsindbzw.obdieWelt wirklichsoist,wiewirglauben.

5. Skepsis und Pragmatismus: Richard Rorty RichardRortyversteht sich alsVertreter des Pragmatismus,desepistemologischen BehaviorismusundalsVerkündereinerbildenden 284 ( edifying )Philosophie.Diesene bulöse und vielschichtige Position Rortys behauptet, Rationalität und epistemische AutoritätseienjederzeitFunktioneneinergeltenden,sozialenPraxisundwürdenalso davonabhängen,„wasdieGesellschaftunssagenlässt“ 285 .Rortyschreibt:„FürSel larsistdieGewissheitvon‚IchhabeSchmerzen’ResultatdesUmstands,dassnie mandsichdieMühemacht,dieseAussageinFragezustellen,nichtetwaumgekehrt; ebensofürQuinedieGewissheitvon‚AlleMenschensindLebewesen’und‚Eshat einigeschwarzeHundegegeben’“ 286 .QuineundSellars–aberauchHegel 287 ,Nietz scheundvieleandere–habenschlagendeArgumentegegen‚dasAnalytische’und ‚dasGegebene’vorgebrachtunddadurchdieFundamentesowohldessen,wasPhilo sophen„Erkenntnis“nennen,alsauchdertraditionellenErkenntnistheorieinsWan kengebracht. RortylenktdievonQuineundSellarsvorgebrachten,euthyphronistischenEinwände ineinepragmatistischeRichtung,indemerdasHabenbestimmterWirklichkeitsauf fassungen als Konsequenz eines an Nützlichkeit und Einfachheit orientierten SprachspielsbegreiftundalsodieOntologievermenschlicht,indemerihreInteres sengebundenheitaufzeigt:„Genauso,wiedieUnterscheidungzwischenErscheinung undWirklichkeitdurchUnterscheidungenzwischenGradenderBeschreibungsnütz lichkeitersetztwird,sowirddieUnterscheidungzwischendemObjektivenunddem SubjektivendurchdieUnterscheidungzwischenGradenderMühelosigkeitbeider ErzielungübereinstimmenderMeinungenersetzt.“ 288 DurcheinevonKulturanthro pologengeführtesoziohistorischeUntersuchunglernenwirlautRortyalles,wases

284 Vgl.Rorty,DerSpiegelderNatur(SdN),396ff. 285 SdN,195. 286 Ebd. 287 Rorty,HoffnungstattErkenntnis,21:„DielogischenEmpiristen[Carnap,Popper]habenunter HeranziehungvonFregeundRussellallejenealtenkantianischenUnterscheidungensprachbezogen umformuliert,vondenenDeweygemeinthatte,sieseiendurchHegelsHilfeüberwundenworden.“ 288 42.

82 überdiemenschlicheErkenntnis,überWissen, Wahrheit, das Gute, das Gerechte unddasSchönezuwissengibt. 289 RortysNeopragmatismusgleichtindiesemPunkt dem Konventionalismus der pyrrhonischen Skepsis, insofern auch für diese nach RobertJ.Fogelingilt:„ThepointofPyrrhonianskepticismistorejectallsuchmoves thatattempstotranscend[...]ourcommonjustificatoryprocedures“ 290 . Die–analogdempyrrhonischenSkeptiker–allein reaktiv verfahrendePhilosophieà laRortyhatdiebescheidenklingendeAufgabe,„demGesprächneueWendungenzu geben“ 291 oderimSinneDeweys„dieSprachederVergangenheitmitdenBedürfnis senderZukunft“ 292 zuvermitteln.DieMaskederBescheidenheitwirddurchfolgen de, revolutionäre Klänge in Erinnerung rufende Phrase allerdings entledigt: „Die Philosophenhabenlangeversucht,Konzeptezuverstehen,eskommtaberdaraufan, siezuverändern,umsieunsdienstbarerzumachen“293 . Theorien, diskursleitende NormenundÜberzeugungensindindenAugeninstrumentalistischerPragmatisten wieWilliamJames Werkzeuge ,294 mitHilfedererwirdiePhänomeneundErfahrungen handhabbarmachen,indemwirsieeinteilen,ordnenundzueinanderinBeziehung setzen.DieWirklichkeitverhältsichso als ob dievonderTheoriepostuliertenEntitä tenexistiertenunddieTheoremedefactoderFallseien.

5.1. Wahrheit

RortymöchtemetaphysischüberladeneBegriffe,transzendenteIdeenundsogenann te„Grenzbegriffe“ineuthyphronistischemStile humanisieren undtrivialisieren.295 Die WahrheitfälltalsdasVorbildeinerdurchdiephilosophischeTraditionentmensch lichten Norm ebenso in den Aufgabenbereich des neopragmatistisch wittgensteinschen Projektes, das sich der Rückbindung philosophisch relevanter

289 SdN, 412: „Eine Kulturanthropologie (im weitesten Sinne, also einschliesslich einer Geistesge schichte)istalles,waswirbrauchen“. 290 Fogelin,PyrrhonianReflctions,89. 291 Rorty,SdN,410.Vgl.Rorty,Kontingenz,IronieundSolidarität(KIS),150:„Ironieistreaktiv[...] Ironikerbrauchenetwas,woransiezweifelnkönnen,demsieentfremdetsind“. 292 Rorty,PhilosophyandtheFuture,199. 293 Rorty,“SindAussagenuniverselleGeltungsansprüche?”,988. 294 James,Pragmatismus,6465:„ Auf diese Weise werden Theorien zu Werkzeugen und sind nicht länger Ant- worten auf Rätsel, Antworten, auf denen wir uns ausruhen könnten “. 295 RortyvertritteinePosition,„whichtrivializestheterm‚true’(bydetachingitfromwhatPutnam callsa‚God’seyeview’)butdoesnotrelativizeit(bydefiningitintermsofsomespecific‚conceptual sceme’)“(IsNaturalScienceaNaturalKind?,4974).

83 GrenzbegriffeandieSprachpraxisverpflichtet.InDer Spiegel der Natur schreibtRorty, derAusdruck„Wahrheit“sollnichtmehrundnichtwenigerbedeutenals„diebeste Idee,diewirgegenwärtigzurErklärungdessenhaben,wasumunsherumvorsich geht“ 296 .DasSetzeneinesGrenzbegriffsder‚idealenWahrheit’gleicheeinem„Ver fahren,unsselbstzuversichern,einnichtexistierenderGottwürde,wennerexistier te,mitunszufriedensein“ 297 .Rortymöchtenichtzeigen,dassdieseSelbstvergewis serungeinSelbstbetrugist,sondernwillunsweissmachen,dasswirkeinenTrost brauchen,dersichdurchdieVerpflichtunganeineübermenschlicheNormeinstellt. WennmitderVorstellungeinerRechtfertigungunteridealenBedingungenblosseine Idealisierung der aktuellen Rechtfertigungspraxen der jemeinigen, lokal begrenzten Diskursgemeinschaftgemeintist,gewinntdieIdeeeinerIdealitätanVerständlichkeit, währendsichihrtranszendenterbzw.transzendentalerCharmejedochverflüchtigt. IdealisierteAkzeptierbarkeitwürdeindieser‚relativistischen’DeutungmiteinerAk zeptierbarkeitfür uns ,wennwirinbesterVerfassungsind,zusammenfallen.Diesedie intellektuelle Endlichkeit des Menschen hervorkehrende Selbstbeschreibung strebt nichtnachSelbsttranszendenzundempfindetesalskeine„furchtbareBeschränkung, immeralsMenscherkennenzumüssen“ 298 . Rorty rezipiert verschiedene pragmatistische Umgangsformen mit dem Begriff der WahrheitundkommtzudemSchluss,dassPeirce,JamesundDeweyzwardierichti geIntuitionhatten,sichbedauerlicherweiseaberaufdenEssentialismusihrerGegner inSachenWahrheiteinliessenundmitdiesendenAnspruchteilten,die wirkliche Be deutungdesAusdrucks„Wahrheit“ausfindiggemachtundineinerDefinitionzum Ausdruckgebrachtzuhaben.ObdieWahrheitnunalsdasjenigedefiniertwird,was voneiner(idealen)ForschergruppeamKonvergenzpunktderWissenschaftfürwahr gehaltenwird(Peirce) 299 ,oderalsdasjenige,wasunsintellektuellundpraktischwei terbringtundsichbewährt(James),obmandieWahrheitals„berechtigteBehaupt barkeit“ konzipiert (Dewey) oder als „bewegliches Heer von Metaphern“ (Nietz sche), immer wird das Wahre vermenschlicht und verliert seinen transzendenten Charakter. Solche reduktionistischen Wahrheitsdefinitionen fallen allesamt dem

296 SdN,417. 297 SolidaritätoderObjektivität,23. 298 Nietzsche,KSAIX,139. 299 RortystelltsichwenigerindiepragmatistischeTraditionsliniePeircesalsindiejenigevonJames undDewey,weilPeirceausRortysSichtbedauerlicherweiseanderkantischenAuffassungfesthielt, dassPhilosophie„gaveusanallembracingahistoricalcontextinwhicheveryotherspeciesofdiscour secouldbeassigneditsproperplaceanrank“(Rorty,ConsequencesofPragmatism,161).

84 durchrealistischeIntuitionengestärktenVorwurfdesnaturalistischenFehlschlusses zumOpfer,welcherbehauptet,esseiimmermöglich,dasseineAussagedenvorge schlagenenKriteriengenüge,jedochnichtwahrsei. InPlatonsDialog Theaitetos findetsicheinePassage,inwelcherderplatonischeSok rates dem abwesenden Protagoras – dem sophistischen Meister des Relativismus (πντων χρητων τρον νθρωπος ) – Wortein den Mund legt, denen Rorty mit einem selbstbestätigenden Lächeln zustimmen würde: „Ich [Protagoras] nenne die einen[Meinungen]besser( βελτίω)alsdieanderen,wahrer( ληθστερα )aberkeines wegs“ 300 .AuchRortywürdewederseineeigenenAnschauungenalswahr,nochdie AuffassungenseinerKontrahentenals„falsch“bezeichnenwollen.Ermöchteviel mehrzeigen,dasswirMenschenunsnichtalsWesenbegreifensollten,diesichan derWahrheitausrichten–einemphilosophischdurchtränktenundumdeutungsbe dürftigenKonzept. DerWahrheitsbegriffhatnachRortykeinenerklärendenGebrauch,sonderndient der Zitattilgung, der Empfehlung 301 und der Warnung, wobei der warnende Gebrauch („deine Meinung ist zwar gerechtfertigt, aber Vorsicht, vielleicht ist sie trotzdemfalsch“)fürdieNormativitätdesWahrheitsbegriffsverantwortlichist.Die NormderWahrheitfälltnachRortymitderNormnachGerechtfertigtheitinsofern zusammen,alsdasBefolgenderWahrheitsNormdieselbenHandlungenvorschreibt, wiedasBefolgenderBegründungsNorm, obgleichdas Erreichen des einen Ziels (Gerechtfertigtheit) keine Garantie für das ErreichendesanderenZiels(Wahrheit) ist.WieskeptischdieneopragmatistischePositionRortysist,zeigtdieTatsache,dass dieWahrheitfürihnkeinverfolgbaresZieldarstellt,daniegewusstwerdenkann,ob dasZielerreichtist.DadiepraktischenKonsequenzendesVerfolgensbeiderNor menzusammenfallen,büsstdieUnterscheidungbeiderNormenanRelevanzein.

300 Theaitetos,167b.DerplatonischeSokrateswirftProtagorasvor,dieserwidersprechesichselbst, wennerdasWahrseinmitdemFürwahrGehaltenwerdenidentifiziere,dadasvondenGegnerndes Protagoras(nachSokratessinddiesdie οπολλοί)FürwahrGehalteneipsofactoauchvonProtagoras für wahr gehalten werden müsse (Theaitetos, 171ab). Für Sokrates ist der HomomensuraSatz selbstwidersprüchlich,daausderWahrheitdesSatzesseineFalschheitlogischfolge.M.E.versteht PlatondenprotagoerischenPragmatismusfalsch,welcherdiedemBereichderTheorieangehörenden KriterienderWahrundFalschheitinsgesamtaufsAbstellgleisschiebenunddagegennurnochprakti scheLeitbegriffewiediejenigendesNützlichenundBesserenverwendenmöchte(Ebd.,167b). 301 EineÄusserungwie(A)„Wasichsageistaberwahr!“dientderGlaubhaftmachungdesGesagten bzw.derVersicherung,essprächesehrvielesdafürundesseivonNutzen,sichinZukunftnachdem Gesagten zu richten und es zu einer Handlungsregel zu machen. Durch das Äussern von (A) ver pflichtetsichderSprechergenausowenigaufeineWahrheitodereineansichbestehendeundmitder Äusserung korrespondierende Wirklichkeit, wie sich jemand,der„GrüssGott“ sagt,damitaufdie ExistenzGottesfestlegt.

85 Rortyschlägtalsonichtvor,denAusdruckWahrheit umzudefinieren, sondern er hofftsich,dassPhilosophenzukünftig–saloppgesagt–wenigergeneigtseinwer den,zurWahrheitetwasWichtigessagenzuwollen. 5.2 Antirepräsentationalismus RortystelltsichindiepragmatistischeTraditionJohnDeweysundistbekennender Antirepräsentationalist. Nach dieser darwinistischnaturalistischen Position gibt es keinefalschenRepräsentationen,weilesgarkeineRepräsentationengibt.DiePrag matistensehenineinerKorrespondenztheoriederWahrheitdieselbenSchwierigkei tenwieGeorgeBerkeleyunddiedeutschenIdealisten,indemsieanderVerständ lichkeit der Vorstellung von nichtsprachlichen Wahrmachern ( truthmakers ) – einer Wirklichkeit tout court –zweifeln,seiendies„satzförmigeSachen“,„Dingeansich“ odereinuninterpretierterphänomenalerFlussvonSinnesempfindungen.Rortystellt sichaufdieSeitedesKohärenztheoretikers,dernachDavidsondieTheseverficht, dass„[d]aseinzige,wasalsGrundfürdasVertreteneinerÜberzeugunggeltenkann [...]eineweitereÜberzeugung“ 302 ist.Rechtfertigungkannsichaufkeinegleichsam durchsichselbstprivilegiertenBasisaussagengründen,dawir,mitdenWortenHa bermas’, „unsere Sätze mit nichts konfrontieren können, was nicht selbst schon sprachlichimprägniertist“ 303 .DieFrage,obEinsteinsPhysikoderdiejenigeNewtons dieWirklichkeitbesserabbildeistaufgrunddersprachlichenUngreifbarkeitdessen, womit die Theorien korrespondieren sollen, ins Unverständliche gestellt, wogegen dieFrage,obdieAussage„DieKatzeliegtaufderMatte“mitderRealitätüberein stimmt,klarundverständlichist.EineunphilosophischverstandeneKorrespondenz inletzteremSinnewürdeRortywohlgeltenlassen,solangedamitkeineKorrespon denz zwischen Sprachlichem und etwas völlig anderem gemeint ist. Die Idee einer beschreibungsunabhängigen Wirklichkeit,auf welche wir uns mittels Aussagen be ziehenundwodurchdieseimFalleeinerwieauchimmergeartetenKorrespondenz wahrwerden,istnachRortyundDavidsoneineunverständlicheundunnützeIdee desüberholtenrepräsentationalistischenParadigmas.DieKonzeptioneineruninter pretiertenundgänzlichunbestimmtenWirklichkeithinterunserenRepräsentationen

302 Davidson,EineKohärenztheoriederWahrheitundErkenntnis,51. 303 Habermas,WahrheitundRechtfertigung,246.

86 siehtsichvordieselbenProblemegestelltwiedieradikalenegativeTheologie,welche über einen dem menschlichen Denken und Sprechen unzugänglichen Gott sagen möchte,überihngäbeesnichtszusagenundgeradedurchdieKonstatierungeiner sprachlichenUnzugänglichkeit„Unaussprechlichkeit“prädiziert.DiezweiAussage formen,welcheimRahmenderBedenkendernegativenTheologiewenigerimVer dachtstehen,sichunbefugtensprachlichenZutrittingöttlicheSphärenzuverschaf fen,sindeinerseitsdie Ab schreibungjedwederPrädikate( via negationis )undanderer seits die Zuschreibung allein relationaler Prädikate, welche im Falle kontingent externerRelationenallerdingskeineessentiellenPrädikatesind. 304 Miteineruninter pretiertenWirklichkeit tout court verhältessichnichtanders:JedePrädikationistauf grundderOppositivitätvonBegriffeneineBestimmung,alsoistauchjedeAbschrei bungeinesPrädikatsundmithinauchdieAbschreibungdesPrädikatsderBestimmt heiteineBestimmungdesSoundnichtandersSeins.Rortyschliesstdaraus,dassdie VorstellungeineruninterpretiertenRealitätunverständlichist,daeinedeutungsfreie BezugnahmeaufWirklichkeitschlichtundenkbarsei. DurchdieUnverständlichkeitundObsoletheiteinermittelsRepräsentationenabzu bildendenWirklichkeit tout court verliertauchderBegriffdersoverstandenen Reprä- sentation an Verständlichkeit. Die Erfindung des Spiegels der Natur, des Welt und SubjekttrennendenSchleiers–diese‚Zwischenwelt’privater,unmittelbarzugängli cherEmpfindungenundSinnesdaten–wurdederphilosophischen Tradition zum Verhängnis. Der epistemische Rückzug aus der Welt zu einem vermeintlich bloss entdeckten und falsifikationssicheren Forschungsfeld der Bewusstseinsimmanenz gleicht der klugen Beratung Athenes, Perseus solle den schrecklichen Anblick der Medusa lediglich im eigenen Schild sich spiegelnlassen; nach Rorty brauchen wir jedochkeinespiegelndenSchilderanzunehmen,wenneswedereinekontemplative NaturdesMenschengibt,nocheinegorgonischeRealität intellektuell zu besiegen gilt. Nach pragmatistischer Sicht sollten wir den Menschen nicht mehr als „con templator universi“ 305 begreifen, dessen Aufgabe im Widerspiegeln (der göttlichen Schönheit)derWeltbesteht.DerMenschist–sodieargumentativalsDesillusion

304 DienegativeTheologiekenntnocheinendrittenWeg,überGottzureden:die via eminentiae als übersteigende Redeweise. Dabei unterliegen die dem Gott zugeschriebenen Prädikate einer Bedeu tungsveränderung. Menschen sind möglicherweise gut, während Gott gleichsam über-gut ist. Die via eminentia dernegativenTheologiehatineiner‚negativenOntologie’höchstensinsoferneinPendant, alsdieRedevon an sich bestehenden,uninterpretiertenObjektenalseineÜberhöhungderRedevon Objekten für uns verstandenwerdenkann. 305 PicodellaMirandola,Dehominisdignitate,7.

87 empfohleneSichtweisederPragmatisten–inersterLinieeinhandelndes,sichdurchs Leben‚wurstelndes’Wesen.DerRealistdagegenentkontingentisiertundnaturalisiert diesoziohistorische,gewachseneund–ausRortysphilosophiekritischerSichtleider auch–philosophischinfizierteRechtfertigungspraxis,wennerglaubt,derRealismus gehörezumWesendesMenschen,samtdemVerlangennach einer unperspektivi schen,überkontextuellenundausserhalbjeglichenSprachspielszuverortendenPer spektiveaufdieWirklichkeit(ThomasNagels view from nowhere oderBernardWilliams absolute conception ). 306 Auchwer–wieHabermas 307 –glaubt,derAnspruchaufObjek tivitätlägeimunhintergehbarenWesenmenschlicherKommunikationundseieine unaufgebbare regulative Idee 308 vonTheorieundPraxis,machtsicheinesenthistorisier endenEssentialismusverdächtig,derdenrealistischenImpetus( pursuit of objectivity 309 ) für eine unaufgebbare Voraussetzung kommunikativen Handelns hält. Für Rorty dagegensolltemiteinerAussagewie„DiebeidenGesprächspartnerorientierensich nur an der Wahrheit“ lediglich gemeint werden, dass jeder mit dem anderen so spricht,wieermitsichselbstsprechenwürde–nämlichwahrhaftig,möglichstvorur teilsfrei,ungezwungenundneugierig.DieThese,miteinerernstvorgetragenenBe hauptungseieindiegegenwärtigeDiskursgemeinschafttranszendierenderGeltungs anspruchverbunden,kannfürRortynurheissen,dassderSprecherbereitist,seine Behauptungauchvor anderem Publikumzubegründen.Eswäreallerdingstollkühn zubehaupten,erkönneseineThesevor allen möglichen Opponentenverteidigen,daer keineAhnunghat,welcherArtdiezukünftigen‚Angreifer’seinwerden. 310

306 Nagel,TheViewfromNowhere,274.Vgl.ebd.,275:„Skepticism[...]isaproblemonlybecauseof therealistclaimsofobjectivity“.InseinemAufsatz Erkenntnis siehtNagelimalltäglichenRealismus die MöglichkeitsbedingungskeptischerZweifel:„DieMöglichkeitdesSkeptizismuswohntallenunseren gewohntenGedankenvermögedesRealismus,densieautomatischannehmen,sowieihresAnspruchs inne,dieErfahrungzuüberschreiten“(74). 307 Vgl.Habermas,WahrheitundRechtfertigung,249:„DieUnterstellungeinerobjektiven,vonunse renBeschreibungenunabhängigenWelterfüllteinFunktionserfordernisunsererKooperationsund Verständigungsprozesse.OhnedieseUnterstellunggerieteeinePraxisausdenFugen,dieaufder(in besterWeise)platonischenUnterscheidungvonMeinenundvorbehaltlosemWissenberuht“.Haber mas ist also der Meinung, ein Aussagen innewohnendes „transzendierende[s] Moment allgemeiner Geltung“sprenge„alleProvinzialität“(DerphilosophischeDiskursderModerne,375). 308 AuchHegelundSchellingschreibeninihremSkeptizismusAufsatzim Kritischen Journal der Philoso- phie :„[W]erfestanderEitelkeit,dassesihmsoscheine,eressomeine,hängenbleibt,seineAussprü chedurchausfürkeinObjektivesdesDenkensunddesUrteilensausgegebenwissenwill,denmuss mandabeilassen,seineSubjektivitätgehtkeinenanderenMenschen,nochwenigerdiePhilosophie oderdiePhilosophiesieetwasan“(HegelWerke,II,249). 309 DeRose,Introduction:RespondingtoSkepticism,21. 310 DasebenerwähnteskeptischeArgument,welchesbehauptet,andereKulturenundspätereGenera tionen könnten klüger sein als wir und Gegenargumente von durchschlagender Kraft vorbringen, findetsichbereitsbeiSextus(PHI,34;II,40)undfördert,wasman„Vorläufigkeitsbewusstein“nen nenkönnte.

88 Nach Rortys radikal antiessentialistischer und antirepräsentationalistischer Auffas sunggibtesalleinkonversationaleZwänge:„[T]herearenoconstraintsderivedfrom thenatureofobjects,orofthemind,oroflanguage,butonlythoseretailconstraints providedbyremarks of ourfellowinquirers“ 311 .DieLoyalitätzuunserenMitmen schensolldieeinzigeOrientierungsgrundlagesein,„ouronlysourceofguidance“ 312 . Wasunsere„Überzeugungen,SätzeundTheorien‚wahrmacht’“,istnachRortyund Davidsonweder„dieWelt“nochirgendetwasNichtsprachliches,sondernweiterefür wahrgehalteneÜberzeugungenundSätze. 313 5.3 Theorie als Praxis NachpragmatistischemGutdünkensollder Praxis auchintheoretischenGefildenein rechtfertigender und begründender Status zugewiesen werden. Die Pragmatisten empfehlen uns, nutzenorientierte, ästhetische, ethische, denkökonomische und eu daimonistische–kurz,interessenundgeschmacksrelative–Begründungenfürdie BevorzugungphysikalischerTheorien,philosophischerDenkkunstwerkesowieWelt undMenschenbilderebensogeltenzulassen,wiefürdiebevorzugteFörderungeiner bestimmtenKunstrichtungoderfürdieuniversaleDurchsetzungderMenschenrech te.MitWilliamJames’Wortenhiessedas:„UnsereVerpflichtung,nachderWahrheit zu suchen, ist Teil unserer allgemeinen Verpflichtung, das zu tun, was sich aus zahlt“ 314 .DiesepragmatistischeRegelist–imSinnederAmbiguität des normativ und deskriptiv belegten Regelbegriffs – aus Sicht ihrer Verfechter nicht nur eine Norm, sondern beschreibt auch ein bestehendes Faktum, eine regelmässiges Vor kommnisunsererepistemischenPraxis.MathematischeundphysikalischeTheorien wurdeninVergangenheitundwerdenwohlauchinZukunft‚letztlich’aufgrundvon Einfachheitsüberlegungen und ästhetischen Kriterien bevorzugt. 315 Wenn über die

311 Rorty,ConsequencesofPragmatism,166. 312 Ebd. 313 Vgl.Abel,Interpretationswelten,493. 314 James,Pragmatismus,147. 315 Auchbei philosophischen Systemen,welcheàpremièrevuenichtimGeringstenpragmatischanmu ten – wie vielleicht dem Kantischen – finden sich pragmatistische Elemente. Kant macht darauf aufmerksam,dasswir, wenn wirForschungbetreiben,dieWelteinheitlichbeschreibenundeineEthik habenwollen,wirdieWirklichkeitsosehenmüssen, als ob sieeineaufeinτλοςhinangelegte,einheit lichstrukturierteundkontinuierlichvielgestaltigeGanzheitist, als ob wirMenschenfreie,unsterbliche Vernunftwesensindund als ob dieWelteinenUrheberhat,dergarantiert,dassdieGlückseligkeitder Glückswürdigkeit(Moralität)entspricht.Die Postulate undregulativen IdeenKantssindnichtsanderes

89 AdäquatheitundWahrheitvonÜberzeugungenimmerschonimLichtebestimmter Weltbilder,HintergrundüberzeugungenoderTheorienentschiedenwird,dannmüs sen–soscheintes–fürEntscheidungen zwischen TheorienundWeltauffassungen pragmatischeKriteriengenügen,möchtemansichnichtdemvonSeitendesSkepti kers geäusserten Verdacht der Voreingenommenheit und Zirkularität aussetzen. PragmatischeÜberlegungensindnachGiovanniPapiniineinemKorridorzwischen verschiedenen Zimmern zu verorten, in welchen unterschiedliche Theorien und Weltverständnisse verfochten werden ( teoria corridoio ): „alle müssen ihn passieren, wennsieeinengeeignetenWegsuchen,uminihreZimmerhineinzukommenoder umsiezuverlassen.“ 316 EsscheintmirallerdingsdieunkenntlichgemachteAbsicht diesesBildeszusein,demangehendenKonvertitenzumPragmatismuseinegewisse UnvoreingenommenheitundTheoriebefreitheitderpragmatischenPositionverkau fenzuwollen:„Er[derPragmatist]kennttatsächlichkeinerleiVorurteile,keinehin derlichenDogmen,keinenrigidenKanondessen,wasalsBeweisgeltensoll.Erist völlig aufgeschlossen. Er zeiht jede Hypothese in Erwägung, er schaut sich jeden Beweis an.“ 317 AlsobderPragmatistgleichsamundogmatischunddistanziert über verschiedenenWirklichkeitsverständnissenundWeltbildernschwebteund‚lediglich’ nach pragmatischen Gesichtspunkten seine Präferenzen ausbildet. Der Skeptiker könnte im Gewande des Hermeneutikers dem von jeglicher Theoriebefangenheit sichbefreitglaubendenPragmatistenvorwerfen,dieserbefindesich,ohneeszuwis sen,ineinemhermeneutischenZirkelundmachesichdesEthnozentrismusverdäch tig.AusradikalskeptischerSichthatsichderskizziertePragmatistnichtnurzuUn rechtmitdemagnostischen Dogma abgefunden,dasAnsichSeinderDingeseiwe dererkennbarnocherkennungsbedürftig,sondernerglaubtausSichtRortysauchzu

alsheuristischePrinzipien,alsonützlicheundsich „bewährende“ „Leitfäden“ der Naturforschung bzw. Annahmenfüreinengelingenden moralischenFortschritt.Freiheit,GottundUnsterblichkeit folgenzwarinbestimmtemSinneausdemFaktumderVernunft(demBewussteindesSittengesetzes) undderRegel„ichkann,weilichsoll“,dochdiesesFaktumbringtvielleichtnurdieAbneigungKants gegenübereinemradikalenethischenPragmatismuszumAusdruck,denerbesserhätteverfechten sollen,anstattsichmitderAnnahmeeinesunvermittelten Faktums demVorwurfdesDogmatismus auszusetzen.VielleichtwarKantaucheinreflektierter,unehrlicher,dapädagogischerPragmatist,der glaubte,dieMenschenwürdenderUnmoralverfallen, wennsiewüssten,dassdieeinzige ausder MoralskepsisAuswegbietendeAlternativederPragmatismuswäre.Daswürdeheissen,denPragma tismusauspragmatischenGründenabzulehnenundzumRealismusüberzugehen.Esbleibtfraglich, obeinpragmatischbegründeterRealismusnocheinRealismusist.DiepragmatischeLeitermüsste weggestossenwerden,nachdemmananihrhochgestiegenist.–Manmüsstevergessenkönnen. 316 James,Pragmatismus,65. 317 Ebd.,77.

90 Unrecht, seine Interessen seien in keiner Weise mitkonstituiert durch den „über kommenenHintergrund“seinerÜberzeugungen.

5.4 Entledigung der traditionellen Skepsis

RortyschreibtdemSkeptizismuseinetragendeRollefürdieabendländischePhilo sophiegeschichtezu 318 –einePhilosophie,dienachRortyeinergründlichenRevision bedarfunddieRolleeinerpragmatischenKulturkritikeinnehmensollte,dieanSo ziologieundLiteraturwissenschaftgrösseresInteressezeigtalsantraditionellenphi losophischenFragen. RortysUmgangmitdemSkeptikerorientiertsichandemamerikanischenPragma tistenJohnDewey,derschreibt: [I]nWirklichkeitgehtdergeistigeFortschrittnormalerweisedadurchvonstatten, dassFragensamtbeidenjeweilsunterstelltenAlternativeneinfachpreisgegeben werden;unddiesisteinePreisgabe,dieausderabnehmendenLebenskraftdie ser Fragen und einem Wandel der dringendenInteressen resultiert. Wir lösen dieFragenicht,sondernwirüberwindensie. 319 FürRortyheisstdas: DiePragmatistenhoffen,denSkeptikervonderFrageabzuhalten:‚Istunsere ErkenntnisderDingedemeigentlichenSoseinderDingeangemessen?’Diese traditionelleFragestellungersetzendiePragmatistendurchdie praktische Frage, obunsereBeschreibungsverfahrenderDingequalitativhöchstrangigsind,das heisst:VerfügenwirschonüberdiebestmöglichenVerfahren,dieDingederart zuanderenDingeninBeziehungzusetzen,dasswirdurchangemessenereEr füllungunsererBedürfnissebessermitihnenzuRandekommen?[...]Können wireineZukunftschaffen,diebesseristalsunsereGegenwart?“. 320 RortymöchtedenSkeptizismus–ganzimSinneWittgensteins–nichtwiderlegen, sonderneinepragmatistischeModifikationskeptischerFragenvorschlagen.Wasvon SeitendesSkeptikersbezweifeltwerdensollte,istnichtdie Wahrheit einerTheorie, sondern die Nützlichkeit eines bestimmten Vokabulars. Der Neopragmatist nimmt

318 DavidsonschreibtindemNachwortzuseinemAufsatz„EineKohärenztheoriederWahrheitund Erkenntnis“:„AusRortysSichtistdieGeschichtederabendländischenPhilosophieeinkonfuserund siegerloser Kampf zwischen einem unverständlichen Skeptizismus und klammen Versuchen, dem Skeptizismusetwasentgegenzuhalten“(75). 319 JohnDewey,TheInfluenceofDarwinismonPhilosophy,14.Vgl.James:„DiepragmatischeMe thodedientinersterLiniedazu,philosophischeAuseinandersetzungenbeizulegen,diesonstendlos wären“(Pragmatismus,61). 320 Rorty,HoffnungstattErkenntnis,68.

91 eineablehnendeHaltunggegenübereinerSkepsisein,dieaufphilosophischenVor aussetzungen,wiedemmetaphysischenRealismus,basiert.GleichzeitigistderNeo pragmatismusalsKonsequenzeinesradikaldurchgeführtenSkeptizismuszubetrach ten,ausdessenSichteskeineBevorzugungvonTheorienausAdäquatheitsgründen zugebenscheintundbestimmteAnschauungenletztlichnuraufgrundeineserwart barenNutzensvoranderenbevorzugtwerdenkönnen– ohne mit den utilitaristi schen Überlegungen einen Anspruch auf Objektivität oder Allgemeingültigkeit zu verbinden. Die pragmatistische Position gleicht insofern der pyrrhonischen Skepsis, als beide denEssentialismuszugunsteneinerreflektiertenVariantedesRelativismusaufgeben: „NachpragmatistischerAnschauunggibtessoetwaswieeinnichtrelationales Merkmal von x ebenso wenig wie dessen intrinsische Natur, also das Wesen von x.DemnachkannesauchkeineBeschreibunggeben,diedemeigentlichen Soseinvonxentspricht,alsoderBeschaffenheitvonxunabhängigvonseiner BeziehungzudenBedürfnissen,demBewusstseinoderderSprachedesMen schen.“ 321 „Wenn man darauf pocht, dass es einen Unterschied gebe zwischen einem nichtrelationalen ordo essendi undeinemrelationalen ordo cognoscendi ,gelangtman unweigerlichzueinerNeubildungdesKantischenDingansich.“ 322 AuchderpragmatistischenVariantedesRelativismusdrohtder‚Absolutist’mitdem PeritropeVorwurf:„Wieverhältessichnunmitder ebenals antiessentialistischer Lehrsatz [...] hingestellten Aussage [...]? Ist diese Aussage wahr?“. Rorty entkräftet Angriffsversuche dieser Art nicht durch ‚objektiv kräftigere’ Argumente, sondern entgegnetihneneinerseits–insokratischerManier–mitGegenfragenundanderer seits mit argumentativen Empfehlungen, Aussichten auf Besseres und therapeuti schenBeschwörungen,mitdemZiel,problembereitendeVokabularehintersichzu lassen.SoantworteteraufdenobenalsFrageformuliertenEinwand:„Nunja,sie [dieantiessentialistischeAussage]istindergleichenWeisewahr,inderauchdiea rithmetischenAxiomePeanoswahrsind.DieseAxiomeresümierendieKonsequen zen, die der Gebraucheines bestimmten Vokabulars nach sich zieht, nämlich der GebrauchdesVokabularsderZahlen“ 323 .RortyspieltmitoffenenKarten,indemer

321 Rorty,ErkenntnisstattHoffnung,41. 322 Ebd.,46. 323 Ebd.,5657.Vgl.SolidaritätoderObjektivität,21:„WerandererMeinungist,begehtdenkartesia nischenFehlschluss;ersiehtAxiome,wonichtsweiteristalsgemeinschaftlicheGewohnheiten,under deutetAussagen,diesolcheVerhaltenspraktikenresümieren,alsschildertensie Zwänge,diezusol chenPraktikennötigen“.

92 seineeigenePosition,seineMassstäbederBeurteilung,dasantiessentialistischeVo kabular und die konventionalistischen Ansichten als eine „würdevolle Verkleidung füreinekontingenteNeigung“ 324 begreift–eineSentenzdesPhilosophenJohnDe wey,dessenRückkehrinsphilosophischeGesprächwirzugrossenTeilenRortyzu verdankenhaben. RortysantiskeptischeStrategiegleichtalsowenigereinemWiderlegungsversuchals derEmpfehlung,skeptischeZweifelbeiSeitezulegen. 325 DieProblematikeinerPhi losophie, welche sich argumentativ gegen ein „vertrautes und altehrwürdiges“, aller dings„hemmendundärgerlich“gewordenesVokabularzuwehrenversucht,besteht nämlichdarin,dassdieArgumente„inebendemVokabularformuliertseinsollen, gegendassiesichwenden“ 326 .NachRortysind„PragmatistenindergleichenLage, indersichdieAtheisteningrösstenteilsreligiösenKulturenbefinden“ 327 .Deswegen kann der Pragmatist letztlich nur empfehlend dazu aufrufen, „wir sollten einfach wenigzudiesenThemen sagen undsehen,wieweitwirdamitkommen“ 328 .Überdie mittranszendenterEleganzversehenen‚ÜberBegriffe’ 329 desObjektiven,Absoluten, Wirklichen,WahrenundüberkontextuellRichtigenlässtsichgenausowenigsagen, wiesichnachWittgensteinüberdieprivatenEmpfindungen, die Sinnesdaten und dasgeistige‚Innenleben’desSubjektssagenlässt.330 ÜberdieWelt,wiesieansichist, liessesichberechtigterweisenichteinmalsagen,siesei„etwas“,genausowenigwie sich über meine Schmerzen,insofernkeinanderersiehabenundvonihnenwissen kann,sagenlässt,sieseiendochzumindest„etwas“. 331

324 Dewey,ErfahrungundNatur,397.SigmundFreudschreibtdazu,mansei„leiderseltenunpartei isch[...],woessichumdieletztenDinge,diegrossenProblemederWissenschafthandelt.Ichglaube, einjederwirddavoninnerlichtiefbegründetenVorliebenbeherrscht,denenermitseinerSpekulation unwissentlich in die Hände arbeitet“ (GW XIII, 38). Freuds Reflexivität geht so weit, dass er sich selbstverdächtigt,mitdereigenenKonzeptioneinesTodestriebseinetröstendeIllusionerschaffenzu haben,welchedeneigenenToddemZufallentreisstundeinerunbezähmbarenAnankeindieHände legt(GWXIII,47). 325 SdN,322:„InWirklichkeitkannderSkeptikerdurchnichtswiderlegtwerden[...]“. 326 IKS,30. 327 Rorty,IstWahrheiteinZielderForschung,244. 328 IKS,30.AuchHegelundSchellingpropagiereninihrem Skeptizismus-Aufsatz eineähnlicheStoss richtung:„WennalsoderSkeptizismus gegendieVernunft zuFeldezieht,so hatman sogleichdie Begriffe,dieermitbringt,abzuweisenundseineschlechten,zueinemAngriffuntauglichenWaffenzu verwerfen“(HegelWerke,II,247). 329 Vgl.Wittgenstein,PU,97. 330 Vgl.Rorty,„SindAussagenuniverselleGeltungsansprüche?“,983:„[W]irumdemokratischePolitik bemühtenPhilosophen“sollten„dieWahrheitausdemSpiellassenalseinerhabenundiskutierbares Thema“. 331 Der Verfechter der Existenz von Sinnesdaten und privaten Erlebnissen im Innenraum unseres BewussteinsdeutetnachWittgenstein„dieneueAuffassungalsdasSeheneinesneuenGegenstandes“. DieSinnesdatentheoretikerhebenentsprechenddenImpressionisteneine„neueMalweiseerfunden“,

93 EinmitagnostischenPositionensympathisierenderRealistkönntegegenRortyein wenden,imRahmenvonTheoriengäbeesimmerunthematisierte Annahmen, so genannte„blindeFlecken“,überdiesichnichtvielsagenlässt.Vielfachscheinendie sprachlichundkognitivunzugänglichen‚Anker’einerTheorieallerdings,auchwenn sie in verlegenes Schweigen gehüllt sind, begründungstheoretisch unerlässlich zu sein.ErkönnteaufdieamAnfangderPhilosophiegeschichtezufindendenplatoni schen Begriffe δα το γαθο, χρα und ξαφνης oder auf den aristotelischen κινητνκινονverweisen,derfürNietzschealsdasProdukteinerArtvon„logischer Nothzucht“ 332 zuverstehenist.BegriffesolchenTyps,zuwelchenauchKants Ding an sich zu zählen ist, übernehmen eine stützende Funktion für das Theorieganze, könnenimRahmenderjeweiligenTheoriejedochnichthinreichendexpliziertwer den.RortyistentgegendemOpponentenderMeinung,philosophischeAnkerder intellektuellen,sozialenundpolitischenPraxisseienwedernötignochnützlich.Soli daritätkönneohneObjektivitätsanspruchzumZielmenschlichenHandelnswerden, bedarfalsokeiner„metaphysischenStützung“ 333 .EinenBeweisdafürgibteskeinen –heutejedenfallsnochnicht.RortymöchteunsmittelsArgumentationundrhetori schemGeschickdazuanstiften,denBeweisderMöglichkeitundNützlichkeiteines pragmatischenSelbstverständnisses in praxi selbstaufzustellen. DerSkeptikeristnachRortydasProdukteinerder Metaphysik zu verdankenden Apotheosedes„Wahren“,„Wirklichen“und„Guten“.DiePhilosophengrubeneine unüberbrückbare Kluft zwischen Subjektivem und Objektivem, Klugheit und Sitt lichkeit, Transzendentalem und Empirischem und schliesslich zwischen Wahrheit und Rechtfertigung undwunderten sichanschliessend, dass sie skeptische Zweifel nichtwiderlegenkönnen.RortyistkeineswegsderMeinung,diemetaphysischund erkenntnistheoretisch durchtränkte Verwendungsweise philosophisch relevanter Begriffeseifalsch;philosophischeBegriffeerfüllenauspragmatistischerPerspektive lediglichnichtdieihnenvormalszugesprocheneFundierungsundFestigungsfunkti onunsererPraxis.Eshatsich,umeinenprovokativenAusdruckvonWilliamJames aufzugreifen, ein Crash des Barwerts ( practical cash value )334 metaphysischer Begriffe ereignet. Die letzten beiden Stadien in Friedrich Nietzsches protopragmatistisch

missdeutendiese„grammatischeBewegung“allerdingsals„quasiphysikalische“Entdeckung(PU401; BB111). 332 Nietzsche,JenseitsvonGutundBöse,21. 333 Rorty,SolidaritätoderObjektivität,29. 334 James,Pragmatismus,64.

94 klingendemAphorismus Wie die "wahre Welt" endlich zur Fabel wurde – Geschichte eines Irrthums nehmendiesenGedankenvorweg: „5.DiewahreWelt–eineIdee,diezuNichtsmehrnützist,nichteinmalmehr verpflichtend,–eineunnütz,eineüberflüssiggewordeneIdee,folglicheinewi derlegte Idee: schaffen wir sie ab! (Heller Tag; Frühstück; Rückkehr des bon sensundderHeiterkeit;SchamröthePlato's;TeufelslärmallerfreienGeister.) 6.DiewahreWelthabenwirabgeschafft:welcheWeltbliebübrig?diescheinba revielleicht?...Abernein!mitderwahrenWelthabenwirauchdiescheinbare abgeschafft! (Mittag; Augenblick des kürzesten Schattens; Ende des längsten Irrthums;HöhepunktderMenschheit;INCIPITZARATHUSTRA.)“ 335 AusrealistischerPerspektiveistdieWeltnichtnotwendigerweiseidentischmitunse rerWelt auffassung ,imGegenteil:DieWirklichkeitistunabhängigvonunserenMei nungen über sie soundso beschaffen. Wer die Meinung vertritt, eine realistische Wirklichkeitsauffassungseieine conditio sine qua non desSkeptizismus,würdedurch eine euthyphronistische Gleichsetzung des Wirklichen mit dem Fürwirklich Gehaltenen den Skeptizismus auszuschalten glauben. Nun sehen wir uns jedoch nichtdazuinderLage,ineinemdezisionistischenAktdieWirklichkeitmitdensich haltendenPlankenunseresintellektuellenSchiffesgleichzusetzen.Esmüsstegezeigt werden,dassmitderAussage(A)„diemeistenunsererMeinungenüberdieWirk lichkeitkönntenfalschsein“ kein klarerSinnverbundenist.Diessollallerdingsnicht dadurchgeschehen,dassimZugeeinerIdentifikationdesWirklichenmitdem,wo vonwir grosso modo überzeugtsind,dieAussage(A)zueiner analytisch falschenAussa ge(Kontradiktion)gemachtwird. 5.5 Rechtfertigung ohne Objektivität Wiebereitsgezeigt,gibtesfürRortykeineBeschreibungdes‚Wirklichen’,welche ausGründenderAdäquatheitvoranderenbevorzugtwerdensollte.Esgibtlediglich nützlichereundwenigernützlicheBeschreibungen:„DenndieFragenachderNütz lichkeit eines Vokabulars ist überhaupt nicht verschieden von der Frage, ob die betreffendenGegenständedievondendeskriptivenAusdrückendiesesVokabulars

335 Nietzsche,Götzendämmerung.

95 bezeichnetenEigenschaftenauchwirklichbesitzen“ 336 .Wasaberistnützlich?Fried richNietzsche,derprotopragmatistischeAutordesSatzes„Wahrheisst,‚ für die Exis- tenz des Menschen zweckmässig ’“ 337 ,verfichtnichtohneGrundeinenBiologismus,der behauptet,dassdienatürlicheundsoziokulturelleEvolutionalleinüberdieNütz lichkeit(Viabilität)einerVariation,einerIdeeodereinesVokabularsentscheide.Was nützlichseinwird,lässtsichnichtsagen.Allein,wasnützlichwar,lässtsichzeigen: „DawiraberdieExistenzbedingungendesMenschensehrungenaukennen,soist, strenggenommen,auchdieEntscheidungüberwahrundunwahrnuraufdenEr folgzugründen“ 338 .HinterdembiologistischenAuswegstecktdiePlattitüde:„Das Nützlichewirdsichdurchsetzen.Wirkönnennurahnen,welcheSelbstundWelt bildererfolgreichseinwerden“.

IneinenBiologismuskönnteauchRortygetriebenwerden,sofernerkeinalternati vesKriteriumderNützlichkeitbestimmterVokabularevorzuweisenhat.Rortywählt einen ethnozentristischen Ausweg aus dieserAporie, indem die eigene schicksalhafte VoreingenommenheitinFragenderNützlichkeiteingesteht.DerSkeptikerkönnte ihnaufdie Zirkularität vonNützlichkeitsundWirklichkeitsvorstellungenaufmerk sammachenundihmvorhalten,erergäbesichderWirkungsmachteinerdogmatisch unhinterfragtenAnnahme,welchedieeigenedomakratischliberaleKulturüberalle anderenLebensformenstelle.EinPragmatistàlaRortywürdejedochnichtzube hauptenwagen,diejenigeKultur,inwelcherersichheimischfühlt,sei objektiv gese hendiebesteGrundlageeinergelingendenLebensführung.Sofernjemandzwischen einer Gesellschaft wie der westeuropäischen und einer Gesellschaft mit anderen GewohnheitenundRechtenwählenmüsste,istRortyallerdingsderMeinung,„dass keiner,derbeideGesellschaftsformenerlebthat,dieletzterebevorzugenwürde“ 339 . Rortyistskeptischgenug,umauchmitBlickaufdieseEinschätzungeinenVorein genommenheitsverdachtansichselbstzuäussern:DasvonihmverwendeteVoka bularistnämlichdurchtränktvondenGewohnheitenundIdeendereigenen,libera lenGesellschaft.ErbetontdieUnhintergehbarkeitdesEthnozentrismus, wenner schreibt:„AberirgendeinVokabularmussmanjaschliesslich verwenden“ 340 . Was wiepragmatischeAntiskepsisklingt,istinWahrheitallerdingsnichtsanderesalseine

336 Rorty,BrandomübersozialePraktikenundRepräsentation,186. 337 Nietzsche,KSAIX,306. 338 Ebd. 339 Rorty,SolidaritätoderObjektivität,25. 340 Ebd.,25.

96 FacettederpyrrhonischenSkepsis,welche sich in praxi ebenfallseineeherkonserva tiveundethnozentrischeHaltungzuEigenmacht.RortyistsichmitdemPyrrhoni kerdarineinig,dasser,obwohlersichdefactoandergeltendenLebensformorien tiert,fürdieobjektiveVorzüglichkeitdeseigenen ethnos niemalsdieHändeinsFeuer legenwürde.

Die Ironikerin, wieRorty sie charakterisiert, „hegt [1] radikale und unaufhörliche ZweifelandemabschliessendenVokabular,dassiegeradebenutzt,weilsieschon durchandereVokabularebeeindrucktwar,dieMenschen oder Bücher, denen sie begegnetwar,fürendgültignahmen;(2)sieerkennt,dassArgumenteinihremau genblicklichenVokabulardieseZweifelwederbestätigennochausräumenkönnen; (3)wennsiephilosophischeÜberlegungenzuihrerLageanstellt,meintsienicht,ihr VokabularseiderRealitätnäheralsandereoderhabeKontaktzueinerMachtaus serhalbihrerselbst.“ 341 EineironischePersonlebt„immerimBewusstseinderKon tingenz und Hinfälligkeit ihrer abschliessenden Vokabulare“ 342 und „meint, nichts habeeineimmanenteNaturoderrealeEssenz“ 343 .DieserironischeLifestylegleicht der Lebenskunst ( γωγ)desPyrrhonikersinsofern,alssichbeiderelativistisches GedankengutzuEigenmachenundihrSelbstbildwesentlichdadurchbestimmtist, dasssieihrevertrautestenAnsichtennuralsgleichwertigePositioneneinesunauf lösbarscheinendenDissensesbegreifen.IneinemGesprächmitHelmutMayerund WolfgangUllrichantwortetRortyaufdieFrage,inwieweitderpyrrhonischeSkep tiker, der weder gewisse Beschreibungen des Wirklichen vor anderen privilegiert nochirgendwelcheDogmenzuvertretenvorgibt,mitder liberalen Ironikerin à la Rortyverglichenwerdenkann:

DerUnterschiedzwischendenAltenundunsbestehtdarin,dasswir,abgesehen vondenen,diesichzumZenBuddhismushingezogenfühlen,nichtaufRuhe undAtaraxieaussind.UnsgehtesumSelbsterschaffung.DieAltenwarender Meinung,dieMännerundFrauenderZukunftwürdensichvondenen,diesie kannten,nichtwesentlichunterscheiden.Wirhingegenhoffen,dasssichunsere fernenNachkommensehrstarkvonunsunterscheiden.HansBlumenberghat meinerMeinungnachvollkommenRecht,wennersagt,dasswirModernenei neHaltungzurZukunfteinnehmen,dieinfrüherenZeitenunmöglichgewesen wäre.MankannsichdiePyrrhonischenSkeptikeralsProtoPragmatistenden ken:Philosophen,dieerklärten,allesmüssealseinMittelzumGlückderMen

341 Rorty,KIS,127. 342 Ebd.,128. 343 Ebd.,129.

97 schen betrachtet werden. [...] Allerdings haben wir Visionen von möglichen FormenmenschlichenGlücks,diesienichthatten. 344 BeidePositionen,derrortyschePragmatismussowiediepyrrhonischeSkepsis,ver zichten zugunsten einergelingendenPraxisaufObjektivität–wobeiichThomasNagel zustimmenmöchte,wennermeint,dass„derSkeptizismusnurinfolgederspezifisch realistischenAnsprüchederObjektivitätüberhauptein Problem“ 345 darstellt. Rorty schreibtinPhilosophy and the Mirror of Nature :„objectivityshouldbeseenasconfor mitytothenormsofjustification(forassertionsandactions)wefindaboutus.Such conformitybecomesdubiousandselfdeceptiveonlywhenseenassomethingmore thanthis–namely,asawayofobtainingaccesstosomethingwhich‘grounds’cur rent practices of justification in something else” 346 . Ich würde mich gegen Nagel, HabermasundCo.aufdieSeiteRortysundSextus’schlageninderFrage,obObjek tivitätsansprüche realistischer Art für unser Selbst und Weltbild unerlässlich sind. Ichglaubealsonicht,dasswireineregulativeIdeeeinerdenmenschlichenHorizont transzendierendenObjektivitätbrauchen,umgutmiteinanderlebenzukönnenund wissenschaftlicheFortschrittezuerzielen.DieentscheidendeFrageistallerdings,ob einalleinaufSolidaritäthinangelegtesSelbstverständnisVorbehaltegegenüberder AdäquatheiteinerTheorieoderIdeenichteinfachinProblemederBestimmungder NützlichkeitdieserIdeetransformiert.DieEinsicht,dasssichdieBestimmungdes NutzenseinerbestimmtenWeltanschauungimmerschoninnerhalbeinergewissen Weltauslegungbewegt,hatRortydazubewogen,einenskeptischenEthnozentrismus zuvertreten.Ichbezweifleindes,dassdermitimperialistischenAnsprüchenauftre tendeEthnozentrismusRortysderkulturellvermittelndenPraxiseinenAuswegzei genkann,denwirnichtschonkennen.„AnihrenFrüchtensolltihrsieerkennen“ 347 –dieAufforderung,abzuwarten,odereindurchdaseigeneWeltbildimmerschon korrumpiertesExtrapolationsgeschäftdesFuturologen?RortyistkeinFuturologe,er isteinHoffender.EsbleibtdieFrage,wiebegründetseineHoffnungaufeineweni gergewaltsame,interessantereundsignifikantandersartigeZukunftist. 348

344 Rorty,PhilosophieunddieZukunft,180. 345 Nagel,Erkenntnis,71. 346 Rorty,MirrorofNature,361. 347 Bibel,Matthäus7,16f. 348 Vgl.Hiley,PhilosophyinQuestion,172f.DiePlausibilitätderAuffassung,dassdiescheinbare NützlichkeiteinerSachekeinGarantistfürderentatsächlicheNützlichkeit,istfürPlatonderrealisti scheAnkergegeneinenaufdieNormderWahrheitgänzlichverzichtendenprotagoreischenPragma

98 6. Schlussbemerkungen

DiepyrrhonischeSkepsisgiltzuRechtalsdieradikalsteskeptischePositionderPhi losophiegeschichte.AusSichtzahlreicherInterpretenwirdihrallerdingsdieeigene RadikalitätzumVerhängnis:diepyrrhonischeSkepsisseieineblosseScheinposition, die in praxi wedergelebtnochimRahmeneinerTheoriekonsistentvertretenwerden könne.BeideEinwände,derApraxiesowiederAphrasievorwurf,lassensichm.E. abwehren: Unter Rückgriff auf dasjenige, was ihm hier und jetzt der Fall zu sein scheint( φαινενα ),entgehtderPyrrhonikerdemVorwurf,erkönneaufgrundseiner epistemischenZurückhaltungkeineHandlungsoptionbevorzugen.OhneWahrheits ansprüchezuerheben,orientiertersichlediglichandem,wasihmjeweilsplausibel undnützlich scheint .AuchmitBlickaufAphrasievorwürfeweisssichderPyrrhoniker zurWehrzusetzen:ErentgegnettranszendentalsemantischenArgumenten,indem erdiebedeutungstheoretischenHintergrundannahmenseinerGegnerinFragestellt. Lässt sich der dogmatische Kontrahent von einer bestimmten Bedeutungstheorie nichtabbringen,dannwirdderPyrrhonikerzuzeigenversuchen,dassKommunika tionundDenkenauchmöglichsind,ohnesichdamitaufBedeutungenodergarauf Wahrheitzuverpflichten.DerPyrrhonikeristgeneigt,dietheoretischeEinstellung alsGanzezuüberwindenundauffesteMeinungenzuverzichten,zuGunsteneiner gelingendenLebensführung. 349 DieseantitheoretischeHaltungverbindetihnmitdem Pragmatismus. Auch der Neopragmatismus Richard Rortys, eine postwittgensteini scheVariantedesPragmatismus,verzichtetaufObjektivitätundverpflichtetsich,aus reinpragmatischenGründen,alleinderSolidarität–lässtalsodieWeltglücklichab handenkommen 350 zugunsteneinestoleranter,unproblematischerundinteressanter scheinendenSelbstverständnisses.RortysympathisiertmitderpyrrhonischenSkep sis,dadieseuns,ohnesichaufeinePositionfestzulegen, eine untheoretische Le benshaltungempfiehlt,relativistischesGedankengutkultiviertunddieSchwierigkei tendesRepräsentationalismusvorAugenführt.Dereinzige,aberbezeichnendeUn

tismus,dersichausplatonischerSichtebensowenigmitdemblossnützlichScheinendenzufrieden gebenkann. 349 DieKriteriendesGelingenssolltendabei–diesscheint mirallerdings hinreichendschwierig– möglichst‚theoriefrei’sein. 350 Vgl.Rorty,DieglücklichabhandengekommeneWelt(TheWorldWellLost).

99 terschied,denRortyzwischenseinereigenenHaltungundderpyrrhonischenSkepsis sieht,istdieungleicheEinstellungbezüglichderZukunft,dieunterschiedlichen„Vi sionenvonmöglichenFormenmenschlichenGlücks“ 351 .WährendderPyrrhoniker sichSeelenruhe( ταραξα)erhofft,sehntsichderNeopragmatistnachSelbsterschaf fungundAndersheit.DieserUnterschiedfolgtjedochnichtausderVerschiedenheit beiderPositionen,sondernistdieKonsequenzeinerKulturbedingtheitvonIdealbil derndessen,waswirMenschenerreichenkönnen. DiepyrrhonischeHaltungRortysverhindertnicht,dasserargeBedenkengegenüber einem methodisch und unmotiviert bleibenden Aussenweltskeptizismus descartes scherPrägunghegt.Zweifelandersogenannten„Aussenwelt“lassensichzwarnicht widerlegen,sindnachRortyjedochzuüberwinden,da sie aufeiner Epistemologie basieren,anderenStelleeinalternativesVokabularüberunserenGeistundunsere Sprachegestelltwerdensollte–einVokabular,dasmitnaturalistischenundexterna listischenPositionenkompatibelist. Für ein antirepräsentationalistisches, pragmatistischesSelbstverständnissprichtsich auchWittgensteinaus,indessenSpätwerkjedeFormdersystematischenTheoriebil dungvergeblichgesuchtwird.WittgensteinsSpätphilosophiegleichtaufgrundkon textualistischerundantifundamentalistischerZügeeinerseitsderpyrrhonischenHal tung.AndererseitssprichtWittgensteinin Über Gewissheit sprachphilosophische Be denkenamtraditionellenSkeptizismusausundfordertdenSkeptikerauf,seinebe rechtigtenZweifelineinersprachphilosophischreflektiertenFormausdrücken.Die ausgehendvoneinerkonventionalistischenOntologiekonzeption formulierten anti skeptischenEinwändeWittgensteinsgehörenm.E.zudenschlagkräftigstenArgu mentengegentraditionelleFormendesSkeptizismus.DietranszendentalenWiderle gungsversuche externalistischer Positionen (Putnam,Davidson)scheitern,daderen basaleAnnahmenwederinallenFällenintuitivplausibelsind,nochgegeninterna listischeEinwändeargumentativverteidigtwerdenkönnen.Wennderepistemische Skeptiker ohne Rückgriff auf internalistischrepräsentationalistische Intuitionen ge gendenExternalisteninsFeldziehenmöchte,dannkannersichdieWaffendesse mantischenSkeptikerszuEigenmachen–einSkeptiker,derselbstanunseremWis senüberdieBedeutungensprachlicherAusdrückezweifelt.

351 Rorty,PhilosophieunddieZukunft,180.

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