Die Cortaillodzeitlichen Seeufersiedlungen in Sutz-Lattrigen Abfolge, Struktur Und Baugeschichte Der Siedlungen Zwischen 3827 Und 3566 V
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214 ARCHÄOLOGIE BERN / ARCHÉOLOGIE BERNOISE 2019 Die cortaillodzeitlichen Seeufersiedlungen in Sutz-Lattrigen Abfolge, Struktur und Baugeschichte der Siedlungen zwischen 3827 und 3566 v. Chr. REGINE STAPFER 1 in anderen Schriften aus dieser Zeit erwähnt. Lage und Forschungsgeschichte Offizielle Ausgrabungen haben damals keine stattgefunden, doch an mehreren Stellen kön- Sutz-Lattrigen liegt am Südufer des Bielersees, nen Spuren unkontrollierter Eingriffe durch welches dank des flachen Ufers zahlreiche güns- private Sammler beobachtet werden, die auch tige Siedlungslagen bietet (Abb. 1). In einem nicht dokumentiert worden sind.2 Eine frühe Uferabschnitt von lediglich drei Kilometern Sammeltätigkeit erfolgte durch Fischer, wel- sind aus der Jungsteinzeit bis in die Frühbronze- che den Seegrund im Auftrag der lokalen Ho- zeit rund 25 Phasen von Siedlungen nachgewie- noratioren Eduard Müller (1848–1919) und sen, die auf der Strandplatte leicht zueinander Friedrich Schwab (1803–1896) mit Zangen und verschoben angelegt worden sind. Dies im Ge- Schleppnetzen absuchten. Nach Absenkung gensatz zum steilen Nordufer, wo die Siedlun- des Seespiegels um rund zwei Meter als Folge gen aufgrund der wenigen geeigneten Plätze im- der 1. Jura gewässerkorrektion (1868–1891) la- mer an den gleichen Stellen übereinandergebaut gen zahlreiche Siedlungsreste trocken.3 Dies wurden und dadurch mächtige Stratigrafien bil- vereinfachte das Bergen prähistorischer Funde den, namentlich in Twann.1 Die prähistorischen Ufersiedlungen in der Bucht von Sutz-Lattrigen sind schon seit Mitte 1 Hafner et al. 2016, 116–118; Stapfer et al. (im Druck); Bolliger 2018, 49; Stöckli 2018, 35–72. des 19. Jahrhunderts bekannt und werden im 2 Hafner 2005a, 41. 1. Pfahlbaubericht von Ferdinand Keller sowie 3 Hafner/Suter 2000, 11; Hafner/Suter 2004, 7. 2 574 000 2 578 000 2 582 000 Abb. 1: Lage der bekann- ten Seeufersiedlungen um Biel-Vingelz den Bielersee. In der 1 220 000 Biel Bucht von Sutz-Lattrigen am flachen Südufer befin- Nidau den sich Reste zahlrei- cher prähistorischer Sied- Port lungen. Sutz- Lattrigen e 1 216 000 e Twann s r e l Mörigen e i B La Neuveville Täuffelen- Gerolfingen St. Petersinsel Le Landeron NE 1 212 000 0 4000 m Lüscherz Unesco-Welterbe, Vinelz eingeschriebene Fundstellen assoziierte Fundstellen DIE CORTAILLODZEITLICHEN SEEUFERSIEDLUNGEN IN SUTZLATTRIGEN AUFSÄTZE 215 450 500 550 600 650 Abb. 2: SutzLattrigen, Bielersee Hauptstation. Untersu chungen des Archäologi schen Dienstes zwischen 1986 und 2003. Nach der 0 50m 1400 Hauptstation Erfassung von Kultur aussen schichten in den Bohrrei hen wurden erste Son dierschitte angelegt (rot). Später wurden erodierte Pfahlfelder flächig ausge graben (gelb und grün) 1450 und Bereiche mit gut er haltenen organischen Schichten abgedeckt Sondierschnitt (grau). M. 1:2000. NO1/Hafen 1500 Hauptstation innen 1550 Sondiergrabungen 1988–1993 Ausgrabungen 1993–1997 Ausgrabungen 1999–2003 geschützte Fläche (Geotextil und Kies) Kulturschicht vorhanden Kulturschicht fraglich Strandboden keine Kulturschicht Pfahlfelder Siegfriedkarte 1877 Pfahlfelder Bendicht Moser 1921 und löste eine rege Sammeltätigkeit aus.4 Weil Uferbereich sowie weiter draussen im See wur- die Plünderungen überhandnahmen, erliess den Reste von Kulturschichten in den Bohrker- der Kanton Bern 1873 die «Verordnung wider nen erkannt. Zudem zeigte sich ein merklicher das Wegnehmen und Beschädigen alterthüm- Rückgang der Kulturschichten infolge der Ero- licher Fundsachen im Seeland», einen Vorläu- sion in den vergangenen 60 Jahren.7 Zur Abklä- fer des heutigen Denkmalpflegegesetzes.5 Durch rung des Erhaltungszustandes und zur Erfas- den Bau eines Wehrs kurz nach dem Ausfluss sung der Ausdehnung der Pfahlfelder wurden des Bielersees bei Port im Jahr 1939 und bei der die Siedlungsreste anschliessend zwischen 2. Juragewässerkorrektion zwischen 1962 und 1988 und 1993 mit zahlreichen Sondierschnit- 1973 wurde der Seespiegelel später wieder an- ten und ersten flächigen Rettungsgrabungen gehoben, wodurch die Siedlungsreste bis heute taucharchäologisch untersucht (Abb. 2, rot). wieder ganzjährig mit Wasser überdeckt sind.6 Dabei wurden Ausschnitte verschieden alter Siedlungen mit teilweise gut erhaltenen orga- 2 nischen Schichten (Kulturschichten) ausgegra- Systematische Ausgrabungen und ben und dokumentiert. Auch wurde die akute Schutz der Siedlungen Gefährdung der Siedlungsreste durch Erosion Im Rahmen einer ersten systematischen Inven- 4 Ischer 1928. tarisation der Fundstellen am Bielersee führte 5 Vortrag des Regierungsrates an den Grossen Rat zum der Archäologische Dienst des Kantons Bern Gesetz über die Denkmalpflege (Denkmalschutzgesetz [DPG]). Beilage zum Tagblatt des Grossen Rates 1999, 3–4. (ADB) in den Jahren 1984/85 Kernbohrun- 6 Hafner/Suter 2004, 7. gen in Sutz-Lattrigen, Hauptstation durch. Im 7 Winiger 1989, 72–73. 216 ARCHÄOLOGIE BERN / ARCHÉOLOGIE BERNOISE 2019 M. 1:1000 420 440 460 480 500 520 540 560 580 Sondier- schnitt NO1/ Hafen Hauptstation innen 1500 Feld 7 Feld 6 Feld 5 Feld 4 Feld 3 Feld 2 Feld 1 Schnitt 1 Hauptstation innen Feld 30 1520 1540 1560 Feld 29 1580 Feld 31 Pfähle 0 20m Kulturschicht Abb. 3: SutzLattrigen, im Flachwasserbereich aufgezeigt. Dies führte 3 Hauptstation innen. Lage zum Programm, die Fundstellen in der Bucht der Sondierschnitte und Ausdehnung und Erhaltung der Grabungsfelder. Sondier von Lattrigen zu schützen und die bereits stark cortaillodzeitlichen Siedlungen schnitt NO1/Hafen bildet erodierten Pfahlfelder vor ihrem endgültigen die nordöstliche Gra Verschwinden auszugraben und zu dokumen- Aufgrund der fortgeschrittenen Erosion sind mit bungsfläche. Schnitt 1/ tieren. Zwischen 1993 und 2003 wurde eine Flä- Ausnahme der in den Boden eingetieften Pfahl- Felder 1–7, 29–31 bilden che von rund 18 000 m2 ausgegraben und eine spitzen keine baulichen Strukturen in situ mehr den südwestlichen Gra bungsbereich. Insbeson weitere von rund 6000 m2 mit gut erhaltenen vorhanden. Lehmlinsen, also Reste von Herd- dere in diesem Bereich Kulturschichten durch Abdeckung geschützt stellen und Hausböden, wie sie am gegenüber- sind die Kulturschichten (Abb. 2, gelb, grün und grau). Dabei wurden liegenden Seeufer in den Siedlungen von Twann nur kleinräumig erhalten. 17 251 Pfähle und liegende Hölzer dokumentiert dokumentiert wurden,9 sind nicht erhalten. M. 1:1000. und beprobt.8 Rund ein Drittel davon, genauer Die Verteilung der Pfähle gibt die Ausdeh- 5940 Pfähle und 241 liegende Hölzer, stammen nung der Siedlungen gut wieder und lässt Zo- aus dem Bereich der cortaillodzeitlichen Sied- nen mit intensiver oder extensiver Bebauung lungen, von denen zwei aus dem 39. und 37. Jahr- erkennen, die zu mehreren horizontal leicht zu- hundert v. Chr. in Sondierschnitt NO1/Hafen einander verschobenen Siedlungen gehören. In und zwei aus den Jahren um 3600 und 3582– Bereichen wo sich verschieden alte Siedlungen 3566 v. Chr. in Schnitt 1/Felder 1–7 und 29–31 der überschneiden oder wenn die Häuser stark um- Hauptstation innen gefasst wurden (Abb. 3). Die gebaut wurden sind die baulichen Strukturen Untersuchung dieser Hölzer bildet die Grund- lage für die Rekonstruktion der Besiedlungs- 8 Hafner 2005a, 41–43; Hafner 2005b, 49. geschichte zwischen 3827 und 3566 v. Chr. 9 Stöckli 2018, 70–72, 75–85, Abb. 60 und 65. DIE CORTAILLODZEITLICHEN SEEUFERSIEDLUNGEN IN SUTZLATTRIGEN AUFSÄTZE 217 aufgrund der hohen Pfahldichte vielfach nicht Verteilung der Holzarten einfach zu erkennen. Die Kartierung der Pfähle nach verschiedenen Eigenschaften wie Holzar- Holzarten Schnitt NO1/Hafen Schnitt 1/Felder 1–7, 29–31 ten oder Fälldaten erleichtert die Identifikation 39./37. Jh. v. Chr. 37./36. Jh. v. Chr. zusammengehöriger Strukturen in diesen Zo- n % n % Eichen (quercus) 892 49 1803 43 nen (Kap. 4). Als Hauptquelle zur Rekonstruk- Erle (alnus) 234 13 226 5 tion der Siedlungsgeschichte dienen uns folglich Esche (fraxinus) 13 <1 76 2 die datierten Pfähle. Weisstanne (abies) – – 83 2 Das Fundmaterial liegt, insbesondere im Ahorn (acer) 23 1 46 1 westlichen Grabungsbereich Schnitt 1/Felder 1–7 Birke (betula) 46 3 312 7 und 29– 31, aufgrund der nur kleinräumig er- Buche (fagus) 89 5 388 9 haltenen Kulturschichten (Abb. 3) nur selten Linde (tilia) 2 <1 202 5 am Ablagerungsort. In erodierten Zonen ist es Pappel (populus) 457 25 810 19 teilweise vom See verlagert. Im Sondierschnitt Hasel (corylus) 36 2 86 2 NO1/Hafen sind die Kulturschichten grossflä- Weide (salix) 18 1 187 4 chiger erhalten, auch wenn diese stellenweise Obstbaumartige (pomidae) 4 <1 8 <1 unbestimmt 8 <1 9 <1 durch die Sammeltätigkeit im 19. Jahrhundert Total 1822 100 4236 100 gestört sind. Da die verschieden alten Siedlun- gen horizontal leicht zueinander verschoben an- Abb. 4: SutzLattrigen, Hauptstation innen. Verteilung der Holzarten aus den zwei gelegt wurden (Kap. 5) und sich die zugehörigen Grabungsbereichen Sondierschnitt NO1/Hafen und Schnitt 1/Felder 1–7, 29–31. Kulturschichten wenig überschneiden, kann dennoch der Grossteil der Funde – auch ohne 43 % aller beprobten Hölzer (Abb. 4). Andere Schichtzusammenhang – aufgrund der horizon- Harthölzer wie Erle, Esche und Ahorn sind mit talstratigrafischen Lage jeweils einer Siedlung unter 1 % bis maximal 13 % der Hölzer deutlich zugewiesen werden. Die Zuweisung der Kultur- seltener. Weisstannen wurden selten und vor al- schichten zu den verschieden alten Siedlungen lem in der jüngsten Siedlung aus dem 36. Jahr- konnte anhand der Wandstärken der Keramik- hundert v. Chr. verbaut.13 Bei den Weichhöl- scherben sowie über die Verteilung zusammen-