214 ARCHÄOLOGIE / ARCHÉOLOGIE BERNOISE 2019

Die cortaillodzeitlichen Seeufersiedlungen in Sutz-Lattrigen Abfolge, Struktur und Baugeschichte der Siedlungen zwischen 3827 und 3566 v. Chr.

REGINE STAPFER

1 in anderen Schriften aus dieser Zeit erwähnt. Lage und Forschungsgeschichte Offizielle Ausgrabungen haben damals keine stattgefunden, doch an mehreren Stellen kön- Sutz-Lattrigen liegt am Südufer des Bielersees, nen Spuren unkontrollierter Eingriffe durch welches dank des flachen Ufers zahlreiche güns- private Sammler beobachtet werden, die auch tige Siedlungslagen bietet (Abb. 1). In einem nicht dokumentiert worden sind.2 Eine frühe Uferabschnitt von lediglich drei Kilometern Sammeltätigkeit erfolgte durch Fischer, wel- sind aus der Jungsteinzeit bis in die Frühbronze­ che den Seegrund im Auftrag der lokalen Ho- zeit rund 25 Phasen von Siedlungen nachgewie- noratioren Eduard Müller (1848–1919) und sen, die auf der Strandplatte leicht zueinander Friedrich Schwab (1803–1896) mit Zangen und verschoben angelegt worden sind. Dies im Ge- Schleppnetzen absuchten. Nach Absenkung gensatz zum steilen Nordufer, wo die Siedlun- des Seespiegels um rund zwei Meter als Folge gen aufgrund der wenigen geeigneten Plätze im- der 1. Jura­gewässerkorrektion (1868–1891) la- mer an den gleichen Stellen übereinandergebaut gen zahlreiche Siedlungsreste trocken.3 Dies wurden und dadurch mächtige Stratigrafien bil- vereinfachte das Bergen prähistorischer Funde den, namentlich in Twann.1 Die prähistorischen Ufersiedlungen in der Bucht von Sutz-Lattrigen sind schon seit Mitte 1 Hafner et al. 2016, 116–118; Stapfer et al. (im Druck); Bolliger 2018, 49; Stöckli 2018, 35–72. des 19. Jahrhunderts bekannt und werden im 2 Hafner 2005a, 41. 1. Pfahlbaubericht von Ferdinand Keller sowie 3 Hafner/Suter 2000, 11; Hafner/Suter 2004, 7. 2 574 000 2 578 000 2 582 000 Abb. 1: Lage der bekann- ten Seeufersiedlungen um Biel-Vingelz den Bielersee. In der 1 220 000 Biel Bucht von Sutz-Lattrigen am flachen Südufer befin- Nidau den sich Reste zahlrei- cher prähistorischer Sied- Port lungen. Sutz- Lattrigen

e 1 216 000 e Twann s r e l Mörigen e i B Täuffelen- Gerolfingen St. Petersinsel Le Landeron NE 1 212 000 0 4000 m Lüscherz

Unesco-Welterbe, eingeschriebene Fundstellen assoziierte Fundstellen DIE CORTAILLODZEITLICHEN SEEUFERSIEDLUNGEN IN SUTZ-LATTRIGEN AUFSÄTZE 215

450 500 550 600 650 Abb. 2: Sutz-Lattrigen, Bielersee Hauptstation. Untersu­ chungen des Archäologi­ schen Dienstes zwischen 1986 und 2003. Nach der 0 50m 1400 Hauptstation Erfassung von Kultur­ aussen schichten in den Bohrrei­ hen wurden erste Son­ dierschitte angelegt (rot). Später wurden erodierte Pfahlfelder flächig ausge­ graben (gelb und grün) 1450 und Bereiche mit gut er­ haltenen organischen Schichten abgedeckt Sondierschnitt (grau). M. 1:2000. NO1/Hafen

1500 Hauptstation innen

1550 Sondiergrabungen 1988–1993 Ausgrabungen 1993–1997 Ausgrabungen 1999–2003 geschützte Fläche (Geotextil und Kies) Kulturschicht vorhanden Kulturschicht fraglich Strandboden keine Kulturschicht Pfahlfelder Siegfriedkarte 1877 Pfahlfelder Bendicht Moser 1921 und löste eine rege Sammeltätigkeit aus.4 Weil Uferbereich sowie weiter draussen im See wur- die Plünderungen überhandnahmen, erliess den Reste von Kulturschichten in den Bohrker- der Kanton Bern 1873 die «Verordnung wider nen erkannt. Zudem zeigte sich ein merklicher das Wegnehmen und Beschädigen alterthüm- Rückgang der Kulturschichten infolge der Ero- licher Fundsachen im », einen Vorläu- sion in den vergangenen 60 Jahren.7 Zur Abklä- fer des heutigen Denkmalpflegegesetzes.5 Durch rung des Erhaltungszustandes und zur Erfas- den Bau eines Wehrs kurz nach dem Ausfluss sung der Ausdehnung der Pfahlfelder wurden des Bielersees bei Port im Jahr 1939 und bei der die Siedlungsreste anschliessend zwischen 2. Juragewässerkorrektion zwischen 1962 und 1988 und 1993 mit zahlreichen Sondierschnit- 1973 wurde der Seespiegelel später wieder an- ten und ersten flächigen Rettungsgrabungen gehoben, wodurch die Siedlungsreste bis heute taucharchäologisch untersucht (Abb. 2, rot). wieder ganzjährig mit Wasser überdeckt sind.6 Dabei wurden Ausschnitte verschieden alter Siedlungen mit teilweise gut erhaltenen orga- 2 nischen Schichten (Kulturschichten) ausgegra- Systematische Ausgrabungen und ben und dokumentiert. Auch wurde die akute Schutz der Siedlungen Gefährdung der Siedlungsreste durch Erosion

Im Rahmen einer ersten systematischen Inven- 4 Ischer 1928. tarisation der Fundstellen am Bielersee führte 5 Vortrag des Regierungsrates an den Grossen Rat zum der Archäologische Dienst des Kantons Bern Gesetz über die Denkmalpflege (Denkmalschutzgesetz [DPG]). Beilage zum Tagblatt des Grossen Rates 1999, 3–4. (ADB) in den Jahren 1984/85 Kernbohrun- 6 Hafner/Suter 2004, 7. gen in Sutz-Lattrigen, Hauptstation durch. Im 7 Winiger 1989, 72–73. 216 ARCHÄOLOGIE BERN / ARCHÉOLOGIE BERNOISE 2019

M. 1:1000 420 440 460 480 500 520 540 560 580

Sondier- schnitt NO1/ Hafen Hauptstation innen

1500 Feld 7 Feld 6 Feld 5 Feld 4 Feld 3 Feld 2 Feld 1 Schnitt 1

Hauptstation innen Feld 30 1520

1540

1560 Feld 29

1580 Feld 31 Pfähle 0 20m Kulturschicht

Abb. 3: Sutz-Lattrigen, im Flachwasserbereich aufgezeigt. Dies führte 3 Hauptstation innen. Lage zum Programm, die Fundstellen in der Bucht der Sondierschnitte und Ausdehnung und Erhaltung der Grabungsfelder. Sondier­ von Lattrigen zu schützen und die bereits stark cortaillodzeitlichen Siedlungen schnitt NO1/Hafen bildet erodierten Pfahlfelder vor ihrem endgültigen die nordöstliche Gra­ Verschwinden auszugraben und zu dokumen- Aufgrund der fortgeschrittenen Erosion sind mit bungsfläche. Schnitt 1/ tieren. Zwischen 1993 und 2003 wurde eine Flä- Ausnahme der in den Boden eingetieften Pfahl- Felder 1–7, 29–31 bilden che von rund 18 000 m2 ausgegraben und eine spitzen keine baulichen Strukturen in situ mehr den südwestlichen Gra­ bungsbereich. Insbeson­ weitere von rund 6000 m2 mit gut erhaltenen vorhanden. Lehmlinsen, also Reste von Herd- dere in diesem Bereich Kulturschichten durch Abdeckung geschützt stellen und Hausböden, wie sie am gegenüber- sind die Kulturschichten (Abb. 2, gelb, grün und grau). Dabei wurden liegenden Seeufer in den Siedlungen von Twann nur kleinräumig erhalten. 17 251 Pfähle und liegende Hölzer dokumentiert dokumentiert wurden,9 sind nicht erhalten. M. 1:1000. und beprobt.8 Rund ein Drittel davon, genauer Die Verteilung der Pfähle gibt die Ausdeh- 5940 Pfähle und 241 liegende Hölzer, stammen nung der Siedlungen gut wieder und lässt Zo- aus dem Bereich der cortaillodzeitlichen Sied- nen mit intensiver oder extensiver Bebauung lungen, von denen zwei aus dem 39. und 37. Jahr- erkennen, die zu mehreren horizontal leicht zu- hundert v. Chr. in Sondierschnitt NO1/Hafen einander verschobenen Siedlungen gehören. In und zwei aus den Jahren um 3600 und 3582– Bereichen wo sich verschieden alte Siedlungen 3566 v. Chr. in Schnitt 1/Felder 1–7 und 29–31 der überschneiden oder wenn die Häuser stark um- Hauptstation innen gefasst wurden (Abb. 3). Die gebaut wurden sind die baulichen Strukturen Untersuchung dieser Hölzer bildet die Grund-

lage für die Rekonstruktion der Besiedlungs­ 8 Hafner 2005a, 41–43; Hafner 2005b, 49. geschichte zwischen 3827 und 3566 v. Chr. 9 Stöckli 2018, 70–72, 75–85, Abb. 60 und 65. DIE CORTAILLODZEITLICHEN SEEUFERSIEDLUNGEN IN SUTZ-LATTRIGEN AUFSÄTZE 217

aufgrund der hohen Pfahldichte vielfach nicht Verteilung der Holzarten einfach zu erkennen. Die Kartierung der Pfähle nach verschiedenen Eigenschaften wie Holzar- Holzarten Schnitt NO1/Hafen Schnitt 1/Felder 1–7, 29–31 ten oder Fälldaten erleichtert die Identifikation 39./37. Jh. v. Chr. 37./36. Jh. v. Chr. zusammengehöriger Strukturen in diesen Zo- n % n % Eichen (quercus) 892 49 1803 43 nen (Kap. 4). Als Hauptquelle zur Rekonstruk- Erle (alnus) 234 13 226 5 tion der Siedlungsgeschichte dienen uns folglich Esche (fraxinus) 13 <1 76 2 die datierten Pfähle. Weisstanne (abies) – – 83 2 Das Fundmaterial liegt, insbesondere im Ahorn (acer) 23 1 46 1 westlichen Grabungsbereich Schnitt 1/Felder 1–7 Birke (betula) 46 3 312 7 und 29– 31, aufgrund der nur kleinräumig er- Buche (fagus) 89 5 388 9 haltenen Kulturschichten (Abb. 3) nur selten Linde (tilia) 2 <1 202 5 am Ablagerungsort. In erodierten Zonen ist es Pappel (populus) 457 25 810 19 teilweise vom See verlagert. Im Sondierschnitt Hasel (corylus) 36 2 86 2 NO1/Hafen sind die Kulturschichten grossflä- Weide (salix) 18 1 187 4 chiger erhalten, auch wenn diese stellenweise Obstbaumartige (pomidae) 4 <1 8 <1 unbestimmt 8 <1 9 <1 durch die Sammeltätigkeit im 19. Jahrhundert Total 1822 100 4236 100 gestört sind. Da die verschieden alten Siedlun- gen horizontal leicht zueinander verschoben an- Abb. 4: Sutz-Lattrigen, Hauptstation innen. Verteilung der Holzarten aus den zwei gelegt wurden (Kap. 5) und sich die zugehörigen Grabungsbereichen Sondierschnitt NO1/Hafen und Schnitt 1/Felder 1–7, 29–31. Kulturschichten wenig überschneiden, kann dennoch der Grossteil der Funde – auch ohne 43 % aller beprobten Hölzer (Abb. 4). Andere Schichtzusammenhang – aufgrund der horizon- Harthölzer wie Erle, Esche und Ahorn sind mit talstratigrafischen Lage jeweils einer Siedlung unter 1 % bis maximal 13 % der Hölzer deutlich zugewiesen werden. Die Zuweisung der Kultur- seltener. Weisstannen wurden selten und vor al- schichten zu den verschieden alten Siedlungen lem in der jüngsten Siedlung aus dem 36. Jahr- konnte anhand der Wandstärken der Keramik- hundert v. Chr. verbaut.13 Bei den Weichhöl- scherben sowie über die Verteilung zusammen- zern dominieren mit grossem Abstand Pappeln, passender Scherben bestätigt werden.10 die 25 % respektive 19 % aller Hölzer ausma- chen. Seltener – und in den jüngeren Siedlun- 4 gen (Schnitt 1/Felder 1–7 und 29 – 31) mit 5 – 9 % Das Bauholz 10 Die Auswertung von Grabungsbefund und kerami- Aus den beiden Grabungsbereichen mit cor- schem Material der Siedlungen im Sondierschnitt NO1/Ha- taillodzeitlichen Siedlungsresten wurden 6058 fen bildet einen Teil der laufenden Dissertation der Auto- rin an der Universität Bern. Hölzer geborgen, davon 5819 Pfähle und 239 lie- 11 Die Bestimmung der Holzarten und die dendrochrono- gende Hölzer.11 Zwei Drittel oder 4236 Hölzer logischen Untersuchungen wurden im Dendrolabor des Ar- stammen aus dem westlichen Grabungsbereich chäologischen Dienstes des Kantons Bern (ADB) unter der Leitung von John Francuz durchgeführt und im April 2014 Schnitt 1/Felder 1–7 und 29–31 mit den zwei jün- abgeschlossen. Die Berichte zu den dendrochronologischen geren Siedlungen, knapp ein Drittel respektive Untersuchungen der Fundstellen Sutz-Lattrigen, Hauptsta- tion innen Schnitt 1/Felder 1–7, 29–31 und NO1/Hafen lie- 1822 Stück aus Sondierschnitt NO1/Hafen und gen im Gemeindearchiv des ADB. Sie bilden die Grundlage gehören zu den zwei älteren Siedlungen. Pfähle für die Auswertung dieser Grabungen. dominieren gegenüber liegenden Hölzern mit 12 Da nur ein Teil der Hölzer dendrochronologisch datier- bar ist und undatierte Hölzer so nicht eindeutig einer der 97 % im westlichen Grabungsbereich und mit Siedlungen zugewiesen werden können, sind die prozentu- 93 % im Sondierschnitt NO1/Hafen. alen Anteile und Verteilungen der Holzarten nur nach Gra- bungfläche (und nicht pro Siedlung) möglich. 13 78 % (65 Stück) aller Weisstannen wurden in den Jah- 4.1 ren zwischen 3593 und 3578 v. Chr. gefällt und gehören zur jüngsten Siedlung. 10 % (8 Stück) wurden zwischen 3598 Holzarten und 3595 v. Chr. gefällt und gehören zur Erweiterung der zweitjüngsten Siedlung um 3596/95 v. Chr. Die restlichen In beiden Grabungsbereichen Sondierschnitt 12 % konnten nicht datiert werden, stammen aber aus dem 12 westlichen Grabungsbereich Schnitt 1/Felder 1–7, 29–31 NO1/Hafen und Schnitt 1/Felder 1–7 und 29–31 und gehören so ebenfalls zu einer der zwei Siedlungen aus dominieren Eichen mit 49 % beziehungsweise dem 36. Jahrhundert v. Chr. 218 ARCHÄOLOGIE BERN / ARCHÉOLOGIE BERNOISE 2019

420 440 460 480 500 520 540 560 580

NO1/ Hafen

Hauptstation innen Schnitt 1/Felder 1–7, 29–31 1500

Hauptstation innen Feld 30 1520

1540

1560 Feld 29

Eiche (quercus) Erle (alnus) 1580 Esche (fraxinus) Ahorn (acer) 0 20m Weisstanne (abies)

Abb. 5: Sutz-Lattrigen, ­etwas häufiger als in den älteren (Sondierschnitt sen auf verschiedenartige Verwendungszwecke Hauptstation innen. Die NO1/Hafen) – wurden Hölzer von Buche, Birke hin: Während die Harthölzer mehrheitlich im räumliche Verteilung der Harthölzer (Eichen, und Linde verbaut, andere Holzarten wurden Dorfinneren zur Konstruktion der Häuser und Erlen, Eschen, Ahorn und nur ausnahmsweise verwendet (Abb. 4). für rechtwinklig zu den Häuserzeilen angelegte Weisstannen) weist auf Die räumliche Verteilung der Pfähle aus Konstruktionen (z. B. befestigte Wege, die die rechtwinklige Strukturen Hart- und Weichhölzern unterscheidet sich Häuserzeilen verbanden) genutzt wurden, deu- wie Häuser und Wege hin. stark (Abb. 5 und 6). Aufgrund der dichten Be- ten die in Bögen um den Siedlungskern ange- M. 1:1000. bauung sind die Harthölzer im schmalen Son- ordneten Weichholzreihen auf Palisaden oder dierschnitt NO1/Hafen regelmässig über drei Zäune. Obschon die wenigsten Weichhölzer da- Viertel der Grabungsfläche verteilt. Doch im tiert werden konnten, lassen sich Strukturen aus Bereich der jüngeren Siedlungen (Schnitt 1/Fel- diesen manchmal einer Siedlungsphase zuwei- der 1–7 und 29 – 31) konzentrieren sich die Hart- sen, beispielsweise anhand horizontalstratigrafi- hölzer, insbesondere die Eichen, auf mehrere scher Überschneidungen durch datierte Häuser. Streifen im Dorfzentrum, wo die Häuser stan- Einige Palisaden scheinen gut zur Ausdehnung den. Die Weichhölzer hingegen bilden eher li- einzelner Siedlungsphasen zu gehören, andere neare, häufig bogenartige Strukturen, welche werden von den später errichteten Häusern in vielen Fällen weit um die Konzentration der überbaut und müssen daher älter sein, auch Harthölzer herumführen. Im Sondierschnitt wenn sie nicht datiert werden können. Beson- NO1/Hafen dünnen die Weichhölzer ab der ders im nur 10 m breiten Sondierschnitt NO1/ Mitte des Schnittes gegen den See hin stark aus. Hafen ist die Situation unübersichtlich und die Die verschiedenen Muster, welche die Ver- vermuteten Palisaden scheinen nicht zu den re- teilung der Hart- und Weichhölzer bilden, wei- konstruierbaren Siedlungen zu passen. Die Pa- DIE CORTAILLODZEITLICHEN SEEUFERSIEDLUNGEN IN SUTZ-LATTRIGEN AUFSÄTZE 219

420 440 460 480 500 520 540 560 580

NO1/ Hafen

Hauptstation innen Schnitt 1/Felder 1–7, 29–31 1500

Hauptstation innen Feld 30 1520

1540

1560 Feld 29

Pappel (populus) Buche (fagus) Birke (betula) Hasel (corylus) 1580 Weide (salix) Linde (tilia) 0 20m Braunelle (prunella)

lisaden scheinen viel eher auf weitere, bisher aber unsicher» (Kategorie B/B+) datiert wer- Abb. 6: Sutz-Lattrigen, nicht erfasste Siedlungen oder Siedlungspha- den. Davon sind 366 (13 %) der Kategorie-A- Hauptstation innen. Die Pfähle der Weichhölzer sen hinzuweisen, die sich möglicherweise im und 190 (7 %) der Kategorie-B-datierten Hölzer (Pappeln, Buchen, Bir­ geschützten, nicht ausgegrabenen Bereich zwi- mit Waldkante auf das Fälljahr genau datiert. ken, Hasel, Weiden, Lin­ schen den Grabungsflächen befanden. Bei weiteren Hölzern lässt sich das ungefähre den und Braunellen) sind Schlagjahr anhand der vorhandenen Splintringe oft in linearen Strukturen angeordnet und weisen 4.2 abschätzen. Die untersuchten Hölzer wurden in auf Palisaden oder Zäune Schlagjahre und Datierung der Hölzer 39 Mittelkurven korreliert und die meisten Ka- hin. M. 1:1000. tegorie-A-datierten Proben konnten in die Mit- Aus den zwei Grabungsbereichen wurden 2874 telkurven 62102, 62103 und 6207615 integriert Hölzer dendrochronologisch untersucht, 889 werden. aus dem Sondierschnitt NO1/Hafen und 1985 Die Kategorie-A-datierten Hölzer für die aus Schnitt 1/Felder 1–7 und 29–31. Von den vier cortaillodzeitlichen Siedlungen wurden Holzproben wurden die Breiten der Jahrringe zwischen 3827 und 3820, 3638 und 3631, 3629 vermessen und die daraus erstellten Wachs- und 3595 sowie 3594 und 3566 v. Chr. geschla- tumskurven korreliert. Die überwiegende Mehr- gen (Abb. 7, dunkelblau). Dabei zeichnen sich heit der analysierten Hölzer stammt von Eichen immer wieder Jahre mit besonders intensivem (quercus), aus Schnitt 1/Felder 1–7, 29–31 wurden Holzschlag ab, beispielsweise um 3637, 3596/95, zudem 85 Weisstannen (abies), 78 Eschen (fraxi- nus) und 21 Hasel (corylus) untersucht. 14 Qualität/Sicherheit der Datierungen (Kategorie A und 557 (19 %) der Holzproben konnten «si- B) nach Francuz 1980, 197–210. cher» (Kategorie A)14 und 248 (9 %) «möglich, 15 Mittelkurven des Dendrolabors des ADB. 220 ARCHÄOLOGIE BERN / ARCHÉOLOGIE BERNOISE 2019

Abb. 7: Sutz-Lattrigen, 36. Jh. 3582–3580, 3578 und 3568–3566 v. Chr. In die- Hauptstation innen. Holz­ v. Chr. sen Jahren wurde für den Bau oder Ausbau schlagphasen zwischen 3570 3852 und 3566 v. Chr. der Siedlungen besonders viel Holz gefällt. In Die jahrgenau datierten den Jahren dazwischen, in welchen zeitweise Pfähle (dunkelblau: Kate­ keine neuen Gebäude errichtet, sondern ledig- gorie A mit WK; hellblau: lich die bestehenden repariert wurden (s. Kap. 5, Kategorie B mit WK) Abb. 13), war der Bedarf an Holz deutlich klei- zeigen Phasen mit inten­ 3580 sivem Holzschlag. ner. Die Kategorie-B-datierten Hölzer (Abb. 7, hellblau) ergänzen einige zusätzliche Schlag- jahre, verändern das Bild aber nicht gross.

3590 5 Siedlungsentwicklungen und Dorfstrukturen

3600 Aus der Zeit zwischen 3828 und 3566 v. Chr. 37. Jh. können aufgrund der datierten Pfähle vier Siedlungen rekonstruiert werden, die teilweise mehrfach ausgebaut wurden. Die Siedlungen wurden leicht horizontal zueinander verscho- 3610 ben angelegt und bestehen aus mehreren Häu- sern, die teilweise von bogenförmigen Reihen aus dünnen Pfählen – wohl Palisaden oder Zäunen – umgeben wurden. Anhand von Pali- 3620 saden können zudem mindestens zwei weitere nicht ausgegrabene Siedlungen vermutet wer- den, die im geschützten Bereich zwischen den Grabungsflächen lagen. Diese können anhand der Hölzer aus den Palisaden jedoch nicht da- 3630 tiert werden.

5.1

Siedlungsreste des 3640 39. Jahrhunderts v. Chr.

In der Mitte des Sondierschnittes NO 1/Hafen 3820 39. Jh. lässt sich aus den datierten Pfählen eine Häu- serzeile rekonstruieren, die mit der Schmal- seite zum See orientiert ist (Abb. 8). Zwei Häu- ser liegen vollständig in der Grabungsfläche und

3830 möglicherweise lässt sich auch die Südwestecke eines dritten Hauses fassen. Wie weit sich die Häuser nach Osten ausdehnten, ist nicht klar. Jedoch waren im benachbarten Grabungsfeld in einer Entfernung von 22 m keine Pfähle mehr 3840 vorhanden, weshalb nicht mit mehr als zwei weiteren Häusern gegen Osten gerechnet wer- den kann. Nach Westen scheinen die Häuser bis in die Grabungsfläche Feld 30 zu reichen. Drei 3850 um 3827 v. Chr. datierte Pfähle könnten zur Süd- v. Chr. westecke eines Hauses gehören, welches in der n 02550125 150 Flucht der Häuserzeile liegt. Dieses bildete ver- DIE CORTAILLODZEITLICHEN SEEUFERSIEDLUNGEN IN SUTZ-LATTRIGEN AUFSÄTZE 221

M. 1:500 530 540 550 560 570 580 590 Abb. 8: Sutz-Lattrigen, Hauptstation innen. Plan der Siedlung aus dem 39. Jahrhundert v. Chr. Sondierschnitt Anhand der datierten NO1/Hafen Pfähle aus dem Sondier­ 1490 39. Jh. v. Chr. schnitt NO1/Hafen und Feld 30 lässt sich eine einzeilige Häuserreihe re­ konstruieren. Eine Mühle, ein Läufer und ein Web­ 1500 gewicht liegen im Bereich der Häuser. M. 1:500.

1510

Hauptstation innen

4

Feld 30 1520 2 1 3

1530

1540

1550

1560 Häuser 3827/3825–3823 v. Chr. Mühle 0 10 m Läufer Webgewicht

mutlich den westlichen Abschluss der Häuser- um 3850 v. Chr. datieren, aus denen sich aber zeile dieser Siedlung, weshalb im nicht ausge- keine Hausgrundrisse rekonstruieren lassen. grabenen Bereich dazwischen fünf bis sechs Ob diese von einer fast vollständig erodierten Häuser ergänzt werden können. Insgesamt ist Vorgängersiedlung stammen oder sekundär als für diese Siedlung mit maximal zehn bis zwölf Altholz in den 3820er-Jahren verbaut wurden, Häusern zu rechnen. Eine zweite Häuserzeile ist bleibt unklar. nicht vorhanden oder wurde nicht erfasst. Da Die beiden vollständig erfassten Häuser das Pfahlfeld seeseitig schnell ausdünnt, sind wurden zwischen 3825 und 3823 v. Chr. gebaut. dort keine weiteren Bauten zu erwarten. Land- Es handelt sich um zweischiffige langrecht- seitig (zwischen Koordinate 1554 und 1562) eckige Bauten mit sechs Jochen, einer Länge kommen vereinzelt Pfähle vor, die in die Jahre von 8,1–9,5 m und einer Breite von 3,3– 4,5 m. 222 ARCHÄOLOGIE BERN / ARCHÉOLOGIE BERNOISE 2019

M. 1:500 Abb. 9: Sutz-Lattrigen, 570 580 590 Für den Bau des älteren Hauses 1 wurde ne- Hauptstation innen. Plan ben frisch geschlagenem Holz auch viel Altholz der Siedlung aus den 3630er-Jahren v. Chr. Aus aus den Jahren 3849–3828 v. Chr. verwendet. den datierten Pfählen las­ Dieses scheint aus einer bisher unbekannten Sondierschnitt sen sich sechs Häuser in Vorgängersiedlung aus der näheren Umgebung NO1/Hafen drei Häuserzeilen rekons­ 1490 37. Jh. v. Chr. zu stammen. Das drei Jahre später errichtete truieren. Mehrere Mühlen Haus 2 wurde überwiegend aus frischem Holz und Läufer sowie ein Web­ gewicht befinden sich im oder Holz aus den vorangehenden Jahren 3825– Bereich der landseitigen 3823 v. Chr. und nur zwei Althölzern von 3833 Häuser. M. 1:500. v. Chr. gebaut. In der gleichen Zeit wurden auch 1500 die Häuser 3 und 4 gebaut. Aufgrund der we- nigen Pfähle können diese aber nicht exakt da- tiert werden. Alle Häuser weisen Reparaturen auf, welche 1510 nur wenige Jahre nach dem Bau vorgenommen 4 3 wurden und zwischen 3824 und 3817 datieren. Da keine späteren Reparaturen erkennbar sind, ist anzunehmen, dass die Gebäude bald darauf,

1520 also in den letzten zwei Jahrzehnten des 39. Jahr- hunderts v. Chr., aufgegeben worden sind. Ob dies auch gleichbedeutend mit der Auflassung der gesamten Siedlung ist, lässt sich aufgrund des kleinen Ausschnittes nur vermuten. Jeden- 1530 falls wurde dieser Bereich danach knapp 200 Jahre lang nicht mehr bebaut.

5.2

1540 Neubesiedlung in den 3630er-Jahren v. Chr.

Von der Siedlung aus den 3630er-Jahren v. Chr. lassen sich im Sondierschnitt NO1/Hafen sechs 1550 Häuser rekonstruieren (Abb. 9). Wie die Häuser der älteren Siedlung des 39. Jahrhunderts v. Chr. 2 wurden sie mit der Schmalseite zum See und 1 0 10 m Nordenwest-Südost ausgerichtet gebaut. Die 1560 Häuser 1 und 3 liegen vollständig in der Gra-

Häuser 3638–3633 v. Chr. bungsfläche, von den Häusern 2 und 4 fehlen Mühlen die westlichen Seitenwände und von den zwei Läufer 6 Häusern 5 und 6 wurde in der Grabungsfläche Webgewicht 5 nur die nördliche Hälfte erfasst, weshalb ihre Grösse unklar ist. Die Häuser wurden in einem Abstand von Ihre Grundflächen von 28–40 m2 und ihre ein bis zwei Metern nebeneinander in drei Zei- Bauart sind mit den Häusern aus den nachfol- len angeordnet. Eine doppelte Häuserzeile be- genden Siedlungen vergleichbar. Aufgrund der fand sich im landseitigen Bereich und eine ein- Bauweise und der Dimensionen ist anzuneh- fache Häuserzeile etwa 30 m weiter seewärts. men, dass es sich um Wohnhäuser handelt. Pfähle von Wegen zwischen den Häusern, wie Das Grundgerüst der Häuser bestand aus sie aus jüngeren Siedlungen bekannt sind,16 las- Eichenpfählen, mehrheitlich aus Hälblingen, Vierteln oder Achteln von überwiegend alten Baumstämmen (Abb. 13). 16 Stapfer et al. (im Druck), 15; Hafner 1994, 32. DIE CORTAILLODZEITLICHEN SEEUFERSIEDLUNGEN IN SUTZ-LATTRIGEN AUFSÄTZE 223

sen sich aufgrund der hohen­ Pfahldichte der dünnen Pfählen werden als Ausbaustadien zwei übereinandergebauten Siedlungen nicht er- von Palisaden um die Siedlung interpretiert. kennen, könnten aber vorhanden gewesen sein. Diese bestanden vor allem aus undatierbaren Die Häuser sind ähnlich wie diejenigen in Weichhölzern und jungen jahrringarmen Ei- der früheren Siedlung gebaut, weisen Flächen chen. Die Palisaden 1 und 2 gehören zu älte- von 35–40 m2 auf und werden daher auch als ren, unbekannten Siedlungen weiter nördlich. Wohnhäuser interpretiert. Palisade 3, welche die Siedlung umschloss, be- Die Häuser 1 und 3–6 wurden 3638/37 stand überwiegend aus Pappeln, Linden, Bu- v. Chr. errichtet, Haus 2 vermutlich ein paar chen und Eichen und wurde stellenweise dop- Jahre später, um 3633 v. Chr. Alle Häuser wur- pelt geführt. Sie kann über rund 55 m verfolgt den aus frischem Holz gebaut, welches meist aus und auf 165 m Länge rekonstruiert werden. Da- dem Baujahr und maximal aus den drei voran- mit fasste sie vermutlich eine Siedlungsfläche gehenden Jahren stammte. Altholz wurde nicht von knapp 1900 m2 ein. Drei Eichenpfähle, wel- verwendet (Abb. 13). Obwohl die Häuser von che möglicherweise zur Palisade gehören, da- Grundriss und Grösse her sehr einheitlich aus- tieren um 3604 v. Chr. und fallen somit in die sehen, unterscheidet sich das verwendete Bau- Benutzungszeit der Siedlung. holz: Bei den Häusern 1 und 5 dominieren rund belassene Stämme junger Bäume. Die Häuser 3 5.3.2 und 4 bestanden zwar auch mehrheitlich aus Siedlungserweiterung runden Pfählen 20–30-jähriger Bäume, doch wurden zusätzlich viele 30–50-jährige Stämme Einige Jahre später wurde die Siedlung nach verwendet, die zur Herstellung der Pfähle oft Norden und Westen erweitert und es sind nun aufgespalten wurden. Das jüngste Haus 2 sowie eindeutige Gebäudegrundrisse erkennbar: Im vermutlich Haus 6 bestanden überwiegend aus Norden wurde 3596 v. Chr. ein kleines, zwei- Spältlingen von über 30-jährigen Bäumen. Be- schiffiges Gebäude 2 mit drei Jochen und 14 m2 reits wenige Jahre nach ihrer Errichtung wur- Grundfläche errichtet. Dieses wird, wegen sei- den Wände und First mehrerer Häuser repa- ner geringen Grösse und weil es abseits des riert. Nach 3633 v. Chr. sind keine Reparaturen Dorfkerns lag, als Ökonomiegebäude angese- mehr fassbar, weshalb anzunehmen ist, dass die hen. Im Folgejahr 3595 v. Chr. wurde am West- Siedlung wenig später verlegt wurde. rand der Siedlung Haus 1 gebaut. Dieses be- stand aus Eichen- und Weisstannenpfählen, die 5.3 3596/95 gefällt wurden. Das zweischiffige Haus Verlegung der Siedlung um 3600 v. Chr. wies vermutlich sechs Joche auf. Mit knapp 38 m2 besass es eine ähnlich grosse Grundflä- Nach einem erneuten Siedlungsunterbruch von che wie die Häuser der älteren Siedlungen. Es 20–30 Jahren wurde kurz vor 3600 v. Chr. etwas wird aufgrund von Grösse und Lage im Sied- nach Südwesten verschoben eine neue Siedlung lungskern als Wohnhaus interpretiert. Bei der gebaut (Abb. 10). Diese wurde nur partiell aus- Vergrösserung der Siedlung wurde auch eine gegraben, der grösste Teil liegt im nicht ausge- neue Palisade 4 errichtet, die überwiegend aus grabenen und geschützten Bereich zwischen Pappeln, Linden und Birken sowie wenigen Bu- den Grabungsflächen. Das Holz für den Bau chen, Eichen und Erlen bestand. Sie verläuft um und Ausbau dieser Siedlung wurde zwischen die Häuser und ist auf rund 80 m fassbar, war 3607 und 3595 v. Chr. gefällt. im Westen doppelt geführt und fasste mit ei- ner rekonstruierten Länge von fast 200 m eine 5.3.1 Siedlungsfläche von rund 2600 m2 ein. Diese Bau der Siedlung Palisade ist zwar nicht direkt datierbar. Da sie Haus 1 und Gebäude 2 umgab und von mehre- Gebäudegrundrisse der älteren Siedlungsphase ren Häusern aus den 3580er-Jahren der nach- (dunkelgrün) können nur erahnt werden: Die folgenden Siedlung überbaut wurde, muss sie Gebäude scheinen mit der Schmalseite zum zweifellos zu diesem Siedlungsausbau gehören. See hin orientiert und in mehreren Reihen an- Durch diese neue Palisade wurde die Siedlungs- geordnet gewesen zu sein. Dichte Reihen aus fläche um rund 40 % vergrössert. 224 ARCHÄOLOGIE BERN / ARCHÉOLOGIE BERNOISE 2019

Ab. 10: Sutz-Lattrigen, 480 490 500 510 520 530 540 Hauptstation innen. Frag­

mentarische Siedlungs­ 1500 spuren aus den Jahren Hauptstation innen 3607–3600 v. Chr. (dunkel­ Ende 37./36. Jh. v. Chr. grün) und Ausbau der Siedlung zwischen 3596 und 3595 v. Chr. (hellgrün). Die Palisaden 3 und 4 1510 scheinen die zwei Sied­ lungsphasen zu umgeben. Die Palisaden 1 und 2 sind Hauptstation innen nicht datierbar und weisen Feld 30 auf weitere, bisher unbe­ 1520 Palisade 4 kannte Siedlungen hin. Palisade 2 M. 1:500.

1530 Palisade 3 2 Palisade 1

1540

Profil 1550

1

1560 Feld 29

3607–3600 v. Chr. 0 10 m 3596/95 v. Chr. 1570

1580

Abb. 11: Sutz-Lattrigen, Hauptstation innen. Profil auf Achse 490, Ko­ M 1:20 ordinaten 1551–1548. Im Seegrund 1550 1549 Bereich der Überlappung Störung von Haus 1 (Baujahr 3595 Seekreide v. Chr.) und dem 13 Jahre jüngere Kulturschicht jüngeren Haus 4 (Bau- ältere Kulturschicht jahr 3582 v. Chr.) der jün­ Sand geren Siedlung sind zwei Hölzer Kulturschichten vorhan­ den. Diese sind durch lie­ gende Hölzer den zwei 428.00 Siedlungen zuweisbar und m ü. M. werden von einer sterilen Seekreideschicht getrennt. M. 1:20. DIE CORTAILLODZEITLICHEN SEEUFERSIEDLUNGEN IN SUTZ-LATTRIGEN AUFSÄTZE 225

5.3.3 den. Die Palisade ist auf rund 110 m verfolgbar Auflassung der Siedlung und im Westen und Norden über mindestens 60 m doppelt geführt. Mit einer rekonstruier- Im Profil aus dem Bereich der Überlagerung ten Länge von rund 230 m umgab sie eine Sied- von Haus 1 und Haus 4 aus der nachfolgenden lungsfläche von rund 3700 m2. Die neue Sied- Siedlung aus den 3580er-Jahren werden die an- lung war somit eineinhalbmal so gross wie ihre hand von datierten liegenden Hölzern eindeutig 13 Jahre ältere Vorgängersiedlung. den zwei Siedlungen zuweisbaren Kulturschich- Im ersten Baujahr 3582 v. Chr. wurden im ten durch eine Seekreideschicht voneinander Siedlungszentrum die Häuser 1 und 2 gebaut. getrennt (Abb. 11). Diese lässt den Schluss zu, Diese wurden in der Grabung nur peripher er- dass die Siedlung wegen Anstieg des Seespiegels fasst, weshalb ihre Grösse und Baugeschichte kurz nach 3595 v. Chr. aufgelassen wurde. In den nur beschränkt rekonstruierbar ist. 12 m land- Jahren danach hat sich eine Seekreideschicht einwärts wurde im gleichen Jahr ein kleineres von rund 5 cm Stärke abgelagert. 13 Jahre spä- Gebäude 7 mit vermutlich vier Jochen und min- ter, ab 3582 v. Chr., wurde dann an der gleichen destens 18 m2 Grundfläche gebaut. Aufgrund Stelle eine neue Siedlung errichtet. Die Sied- seiner geringen Grösse und der Lage abseits des lungsarchitektur lässt vermuten, dass die glei- Siedlungskerns wird es als Ökonomiegebäude che Siedlungsgemeinschaft nach Absinken des interpretiert. Seespiegels wieder an den Platz zurückgekehrt Im darauffolgenden Jahr 3581 v. Chr. wur- ist und nach erstaunlich ähnlichem Schema eine den die Häuser 3–6 gebaut. Diese schlossen neue Siedlung gebaut hat. nicht direkt an die bereits bestehenden Häuser an, sondern liessen eine Lücke von mindestens 5.4 der Breite eines Hauses frei. Haus 6 wurde so- Neubau der Siedlung in den gar in einem Abstand von zwei Häuserbreiten 3580er-Jahren v. Chr. am westlichen Rand der Siedlung errichtet und lag direkt an der Palisade. Die Häuser massen Die neue Siedlung wurde gegenüber der vorhe- 7–8,75 × 4 m und wiesen eine Fläche zwischen rigen leicht nach Südwesten verschoben ange- 28 und 35 m2 auf. legt (Abb. 12). Dabei wurde die Ruine von Haus 1 Als Bauholz wurde vor allem Eiche, selten der früheren Siedlung überbaut und innerhalb Weisstanne und manchmal auch Esche ver- von drei Jahren wurden mindestens 14 Ge- wendet. Einige Häuser bestanden überwiegend bäude errichtet. Die Siedlung bestand im Kern aus Holz von älteren Bäumen, andere aus Holz aus mindestens zehn Häusern, welche in zwei junger Bäume. Dies weist darauf hin, dass Bau- Reihen mit ihrer Schmalseite zum See hin an- holz für jedes Haus individuell gefällt wurde geordnet waren. Ihre Bauart mit zweischiffigem (Abb. 13). Das Wachstumsbild der verbauten Grundriss und vier bis sechs Jochen ist gleich Hölzer bestätigt diese Vermutung: Pfähle mit wie bei den älteren Siedlungen, die Grundflä- ähnlichen Wachstumsmustern, die vom glei- chen sind mit rund 20–30 m2 meist etwas klei- chen Baum oder zumindest vom selben Stand- ner. Etwa 12 m landeinwärts befanden sich vier ort stammen, wurden oft in einem oder be- deutlich kleinere Gebäude mit drei bis vier Jo- nachbarten Häusern verbaut (Abb. 16). chen und Grundflächen von 13–20 m2 (Häu- Im gleichen Jahr wurde in der Flucht des ser 7, 8, 13 und 14), welche aufgrund der gerin- bereits bestehenden Ökonomiegebäudes 7 ein gen Grösse und der Lage seitlich des Dorfkerns kleines Gebäude 8 mit nur drei Jochen errichtet. als Ökonomiegebäude interpretiert werden. Die Aufgrund seiner geringen Grösse von 14,5 m2 Siedlung wurde von einer Palisade umgeben, die wird auch dieses als Ökonomiegebäude inter- hauptsächlich aus Buchen und Pappeln sowie pretiert. Auch bei diesem Bau wurde zum be- Birken, Linden und Eichen bestand. Aufgrund reits bestehenden Gebäude 7 eine Lücke in der ihrer Lage um die Siedlung und da sie von Häu- Grösse von zwei Gebäuden frei gelassen. sern des zweiten Siedlungsausbaus um 3873/72 Ein Jahr später (3580 v. Chr.) wurde die v. Chr. überbaut wurde, kann die Palisade auch Siedlung um vier Häuser und zwei kleine Ge- ohne datierte Hölzer der ersten Siedlungsphase bäude erweitert: Die neuen Bauten (9–12 und aus den 3580er-Jahren v. Chr. zugewiesen wer- 13–14) wurden in die Lücken zwischen den 226 ARCHÄOLOGIE BERN / ARCHÉOLOGIE BERNOISE 2019

­bestehenden Häusern errichtet. Diese Häuser Drei Jahre danach wurden zwei weitere waren mit 23–28 m2 ungefähr gleich gross wie Häuser westlich an die Häuserzeile angefügt, die älteren. In den Häusern 10 und 11 wurde ne- wodurch die Palisade überbaut wurde. Eine ben Eichenpfählen relativ viel Holz von Weiss- neue Palisade ist nicht erkennbar. Haus 17 weist tannen verbaut. Das Bauholz stammt vor allem mehrere Pfähle mit Schlagjahr 3573 v. Chr. auf. aus dem Baujahr sowie aus den vorangehenden Die Pfähle von Haus 16 besitzen keine Wald- zwei Jahren. kante und können deshalb nicht jahrgenau da- Auch bei den landseitigen kleinen Gebäu- tiert werden. Da in den beiden Häusern aber den wurde die bestehende Lücke mit dem Bau Pfähle mit sehr ähnlichem Wachstumsbild ver- der Gebäude 13 und 14 geschlossen. Diese Ge- baut wurden, ist anzunehmen, dass die beiden bäude bestanden ausschliesslich aus Eichen- Häuser gleichzeitig oder nur kurz nacheinander pfählen und ihr Abschluss im Norden ist nicht errichtet wurden. Ihre Lage im Dorf unterstützt ganz klar. Sie wiesen zwischen drei und vier diese Annahme. Die Häuser waren mit Grund- Jochen auf und waren mit Grundflächen von flächen von 25 m2 etwas kleiner als das drei 13 bis max. 25 m2 ähnlich gross wie die benach- Jahre zuvor gebaute Haus 15, sie passen aber gut barten Gebäude. zu den kleineren Häusern der ersten Bauphase. Neben der Komplettierung der Siedlung im Etwa 12 m nordöstlich des Zentrums wurde uns bekannten Teil musste das erst einjährige 3572 v. Chr. ein deutlich kleineres Gebäude 18 Haus 4 im Bereich der Westwand und des Firs- mit drei Jochen und nur 10 m2 Grundfläche er- tes repariert werden. Dafür wurden rund belas- richtet. Neben dem Bau neuer Häuser wurden sene Stämme alter Weisstannen mit einem re- in der zweiten Bauphase zahlreiche Häuser der lativ grossen Durchmesser benutzt. Auch bei ersten Bauphase repariert. Ökonomiegebäude 8 wurde das Dach mit einem zusätzlichen Pfahl abgestützt. Damit war der 5.6 Siedlungsbau abgeschlossen. In den nächsten Zweiter Siedlungsausbau 3568/67 v. Chr. vier Jahren wurden keine neuen Häuser gebaut, und abrupte Aufgabe der Siedlung sondern lediglich Ausbesserungen an den beste- henden Gebäuden vorgenommen: 3578 v. Chr. Nach weiteren fünf Jahren wurde die Reihe wurden die Häuser 3 und 4 nahezu komplett re- der Ökonomiegebäude südlich des Siedlungs- noviert, indem zur Verstärkung der Wände und kerns durch die Gebäude 19, 20 und 21 ergänzt zur besseren Abstützung der Dachlast zwölf be- (Abb. 12). Diese schlossen westlich an das Ge- ziehungsweise zehn neue Pfähle eingefügt wur- bäude 8 an und lagen mit den bereits beste- den. Für die Reparaturen wurden Rundhölzer henden Gebäuden in einer Linie. Mit 13–16 m2 alter Weisstannen mit dickem Stammdurch- Grundfläche und drei bis vier Jochen waren sie messer verwendet. Bei Haus 5 wurde die West- deutlich kleiner als die Wohnhäuser. Für den wand verstärkt und bei Gebäude 8 das Dach er- Bau von Gebäude 19 wurde relativ viel Altholz neut abgestützt. mit Schlagjahren zwischen 3581 und 3571 v. Chr. verwendet, die Gebäude 20 und 21 bestanden 5.5 hingegen ausschliesslich aus Pfählen der Schlag- Erste Siedlungserweiterung jahre 3569/68 v. Chr. (Abb. 13). Zusätzlich zum um 3576–3572 v. Chr. Bau der neuen kleinen Gebäude wurden die be- stehenden Häuser ausgebessert. Sechs Jahre nach der Dorfgründung wurde um Zwei Jahre später wurden an die doppelte 3576 v. Chr. am Westrand des Dorfes ein neues Häuserzeile im Zentrum die Häuser 22, 23 und Gebäude 15 gebaut (Abb. 12). Das Haus war mit 24 im Westen angefügt. Haus 22 bestand vor- einer Grundfläche von 28 m2 gleich gross wie wiegend aus Eichenpfählen mit Schlagjahr die Häuser der ersten Bauphase, obschon es 3567/66 v. Chr. Im Grundgerüst von Haus 24 wohl nur vier Joche aufwies. Auch sonst fügte wurden neben Pfählen aus Eichen auch solche es sich gut in die bisherige Siedlung ein und be- aus Erle, Esche und Weide verbaut. Neben Höl- fand sich noch innerhalb der Palisade. Neben zern mit Schlagjahr 3567 v. Chr. wurden auch frischem Holz wurde darin Holz aus den zwei ein Pfahl aus dem Vorjahr und ein Altholz von vorangehenden Jahren 3578/77 v. Chr. verbaut. 3574 v. Chr. verwendet. Von Haus 23 lässt sich DIE CORTAILLODZEITLICHEN SEEUFERSIEDLUNGEN IN SUTZ-LATTRIGEN AUFSÄTZE 227

M. 1:500 480 490 500 510 520 530 540

1500 Hauptstation innen 36. Jh. v. Chr.

1510

Hauptstation innen Palisade Feld 30

1520

23 18 1530 22

16 15 5 3 9 1

1540

24 25 17 Profil 1550 6 12

11 4 10 2 3582/81 v. Chr. 1560 3580 v. Chr. Feld 29 3576 v. Chr. 3573/72 v. Chr. 3569/68 v. Chr. 3567/66 v. Chr. 1570 21 0 10 m 20 Mühlen und Läufer 19 8 14 13 7 1580

kein Pfahl jahrgenau datieren. Wie beim gegen- Im darauffolgenden Jahr 3566 v. Chr. wurde Abb. 12: Sutz-Lattrigen, überliegenden Haus 24 wurden aber neben Ei- in der Lücke zwischen den Häusern 17 und 24 Hauptstation innen. Sied­ lung aus dem 36. Jahrhun­ chenholz auch Erlen, Eschen und Weide ver- mit dem Bau von Haus 25 begonnen. Die Ost- dert v. Chr. mit mehreren baut, welche nur selten für den Bau der Häuser wand wurde aus Hölzern, die in den vorange- Ausbauphasen. Der benutzt wurden. Aufgrund der ähnlichen Hol- gangenen Jahren geschlagen worden waren, so- Grossteil der Mühlen und zauswahl sowie wegen seiner Lage an der Nord- wie aus drei Pfählen mit Schlagjahr 3566 v. Chr. Läufer befindet sich im Dorfzentrum. In den älte­ ostecke der Siedlung lässt sich Haus 23 dieser gebildet. Bevor das Haus jedoch fertiggestellt ren Phasen war das Dorf Bauphase zuweisen. Die drei neu gebauten werden konnte, muss die Siedlung überra- von einer Palisade umge­ Häuser waren mit 23–25 m2 etwa gleich gross schend aufgegeben worden sein und das be- ben. Diese wurde 3573/72 wie die kleineren Häuser der vorangehenden gonnene Haus wurde nie fertiggestellt. Jüngere v. Chr. bei der Erweiterung Bauphasen. Auch in diesem Jahr wurden ältere Pfähle, wie sie bei Reparaturen zu erwarten wä- der Siedlung nach Westen überbaut. M. 1:500. Häuser repariert. ren, kommen in der ganzen Siedlung keine vor. 228 ARCHÄOLOGIE BERN / ARCHÉOLOGIE BERNOISE 2019

Bauhölzer der rekonstruierten Häuser

Holzart der Pfähle Pfahlform Alter der Bäume Haus- Baugeschichte des Hauses grösse ) ) ) 2 ) ) ) ) abies ) ) populus fagus salix fraxinus corylus quercus alnus Esche ( Esche ( Hasel Erle ( Weide ( rund halb Viertel/Achtel < 20 Jahrringe 20–30 Jahrringe 30–50 Jahrringe > 50 Jahrringe Grundfläche (m Weisstanne ( Weisstanne Buche ( Siedlung Haus ( Eiche Pappel ( Grundbau: Altholz Grundbau: Grundbau: Frisch- holz Reparaturen 3849 3846 3844 3843 3835 3824 Haus 1 26 – – – – – – – 6 5 15 2 1 1 22 28 3828 3825 3823 40 3833 3825 3821 39. Jh. Haus 2 28 – – – – – – – 2 3 23 – – 3 25 40 3824 3823/22 3820 3825 3818 Haus 3 6 – – – – – – – – 2 4 – – 1 5 ? 3817 Haus 4 3 – – – – – – – – 1 2 – – – 3 3827 3640 3639 Haus 1 27 – – – – – – – 18 8 1 1 23 3 – 39 3638 3637 3634 Haus 2 18 – – – – – – – 3 3 12 2 4 4 8 35–40 3638 3634/33 3639 Haus 3 26 – – – – – – – 17 10 – 1 14 12 – 39 3638 3637 37. Jh. Haus 4 17 – – – – – – – 11 6 – – 11 6 – ca. 40 3637 3640 3635 Haus 5 10 – – – – – – – 7 2 1 2 7 1 – ? 3638 3637 3634 Haus 6 11 – – – – – – – 5 6 1 4 4 2 ? 3638 3635 3598 Haus 1 6 7 – – – – – – 10 2 1 2 6 5 – 38 3596 3595 37./

36. Jh. Gebäude 2 13 – – – – – – – 12 1 – – 3 7 1 14 3596 3594 3593 3589 3588 Haus 1 9 – – – – – – – 3 5 1 – 2 3 4 ca. 30 3587 3582 3591 Haus 2 4 2 – – – – – – 5 – 1 – – – 6 ca. 30 3583 3582 3578 3570 3590 3569 3588 3567 Haus 9 33 1 1 – – – – – 23 1 11 4 8 17 6 25 3582 3580 3566 3574

36. Jh. 3572 3568 3583 3567 Haus 10 16 7 – – – – – – 11 4 8 1 2 4 16 ? 3581 3580 3566 3578 3571 3582 und 3570 Haus 3 25 10 – – – – – – 21 10 4 3 12 19 1 28 3590 nach 3582 3567 DIE CORTAILLODZEITLICHEN SEEUFERSIEDLUNGEN IN SUTZ-LATTRIGEN AUFSÄTZE 229

Holzart der Pfähle Pfahlform Alter der Bäume Haus- Baugeschichte des Hauses grösse ) ) ) 2 ) ) ) ) abies ) ) populus fagus salix fraxinus corylus quercus alnus Esche ( Esche ( Hasel Erle ( Weide ( rund halb Viertel/Achtel < 20 Jahrringe 20–30 Jahrringe 30–50 Jahrringe > 50 Jahrringe Grundfläche (m Weisstanne ( Weisstanne Buche ( Pappel ( Siedlung Haus ( Eiche Grundbau: Altholz Grundbau: Grundbau: Frisch- holz Reparaturen 3580 3578 3584 2570 Haus 4 15 14 3 1 – – – – 27 6 – 2 7 21 3 35 3582 3581 3568 3579 3578 3576 3571 3593 3570 Haus 5 23 3 1 – – – – – 13 4 10 – 4 14 9 28 3582 3581 3569 3579 3578 3582 3570 Haus 11 19 14 – – – 1 – – 20 6 8 – 2 24 7 28 3581 3580 3568 3597 –3592 3569 Haus 12 15 2 – – – – – – 6 1 10 2 3 2 10 23 3582 3580 3568 Haus 6 20 3 – – – – – – 19 2 2 6 10 5 2 30 3582 3581 3568 Gebäude 7 11 – – – – – – – 6 4 1 * * * * 18 3582 Gebäude 13 12 – – – – – – – 10 2 – 3* 3* 2* * 15–25 3580 3582 3570 Gebäude 14 16 – – – – – – – 8 4 4 2* 3* 8* 3* 13–19 3581 3580 3568

36. Jh. 3580? 3576 –74 Gebäude 8 7 2 – – – – 1 – 7 2 1 5* 3* 1* – 14 3581 3568 Haus 15 21 – – – – – – – 12 2 7 4 2 13 2 28 3577 3576 3569 3568 Haus 16 19 – – – – – – – 4 2 13 1 3 8 7 24 ? nach 3579 3567/66? Haus 17 17 – – – 1 – – – 4 1 13 * 4* 10* 2* 24 3573 3568 3568 Haus 24 10 – 1 – – – 1 3 6 1 8 3* 2* 1* 5* 23 3583? 3574 3567 Gebäude 18 13 – – – – – – – 7 – 6 * * 3* 3* 10 3572 Haus 22 12 – – – – – – – 2 1 9 1 – 4 7 24 nach 3575 3567 3572– Haus 23 10 – 3 – – – 3 1 7 3 7 5* 4* 2* 1* 25 nach 3592 3567? 3581 3568 Gebäude 19 11 1 – – – – – – 5 4 3 2 3 3 4 15,5 3571 Gebäude 20 11 – 1 – – – – 2 12 – 2 4* 5* – 3* 13 3569 3568 Gebäude 21 18 – – – – – – – 15 3 – 7 11 – – 16 3569 3568 Ostwand 25 5 – – – – – – – – 2 3 – – 1 4 – 3572–3569? 3566

* Jahrringzahl nicht von allen Proben bestimmt

Abb. 13: Sutz-Lattrigen, Hauptstation innen. Bauhölzer der rekonstruierten Häuser der vier Siedlungen. Charakteristische Merkmale der Häuser sind verwendete Holzarten, Alter der gefällten Bäume, Form der Pfähle, Grundfläche der Häuser sowie die datierten Hölzer aus dem Grundbau. Anhand jüngerer Hölzer, die zusätzlich in den Grundbau eingefügt wurden, lassen sich Reparaturen fassen. 230 ARCHÄOLOGIE BERN / ARCHÉOLOGIE BERNOISE 2019

Abb. 14: Sutz-Lattrigen, Jahrringe (Alter) der Hölzer im 39. Jahrhundert 39. Jh. Hauptstation innen. Al­ n rund tersverteilung der datier­ halb ten Hölzer. Als Bauholz 4 Viertel/Achtel für die verschieden alten Siedlungen (a–d) wurden unterschiedlich alte 2 Bäume gefällt. Ältere Bäume mit dickem Stammdurchmesser wur­ 0 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100150 den für die Herstellung Anzahl Jahrringe der Pfähle oft aufgespal­ a ten (rot, grün), während die Stämme jüngerer Bäume rund belassen werden konnten (blau). Jahrringe (Alter) der Hölzer im 37. Jahrhundert 37. Jh. n 20 rund halb Viertel/Achtel

15

10

5

0 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100150 Anzahl Jahrringe b

Sowohl die Reparaturen aus den letzten Jah- 6 ren in denen die Siedlung bestanden hat als auch Alter der gefällten Bäume als der Baubeginn von Haus 25 im Jahr 3566 v. Chr. Hinweis auf Waldwirtschaft? legen nahe, dass die Aufgabe der Siedlung nicht geplant erfolgte. Möglicherweise setzte ein er- Mit der Datierung der Hölzer und der Rekon- neuter Anstieg des Seespiegels, wie er zwischen struktion von Hausgrundrissen und Siedlungs- 3594 und 3583 v. Chr. anhand der abgelagerten plänen ist das wissenschaftliche Potenzial der Seekreideschicht nachgewiesen ist, der Sied- prähistorischen Hölzer aber noch nicht aus- lung ein abruptes Ende. Aus den Jahrzehnten geschöpft: Aus den Jahrringmustern der Höl- danach ist keine Nachfolgesiedlung am Seeufer zer können weitere Informationen wie Stand- bekannt. ort- und Wachstumsbedingungen der Bäume DIE CORTAILLODZEITLICHEN SEEUFERSIEDLUNGEN IN SUTZ-LATTRIGEN AUFSÄTZE 231

Jahrringe (Alter) der Hölzer im 37./36. Jahrhundert37./36. Jh. n 8 rund halb 6 Viertel/Achtel

4

2

0 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100150 Anzahl Jahrringe c

Jahrringe (Alter) der Hölzer im 36. Jahrhundert 36. Jh. n 18 rund halb 16 Viertel/Achtel

14

12

10

8

6

4

2

0 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100150 Anzahl Jahrringe d und Waldbestände gelesen werden.17 Ebenso kann mit einem dendrotypologischen An- satz – dazu gehören zum Beispiel Vergleiche 17 Für die spannenden Diskussionen und wertvolle Anre- von Holzarten, Schlagdatenverteilung, Jahr- gungen bei der Interpretation zu Holzinventar und Den­ drochronologie sowie für das aufmerksame und gewinn- ringmuster und Altersklassenverteilung – ver- bringende Lektorat dieses Aufsatzes danke ich Matthias sucht werden, die Entwicklung eines Waldbe- Bolliger herzlich. standes über die Zeit zu rekonstruieren. Solche 18 Die dendrochronologische Untersuchung der Fundstelle Sutz-Lattrigen, Rütte ist noch nicht abgeschlossen. Schon Untersuchungen wurden für Siedlungen am jetzt weisen die bisherigen Resultate im Bereich Dendro- Zürichsee und Bodensee und am Bielersee an- chronologie und Dendrotypologie auf ein hohes Potenzial für eine künftige Auswertung. Neuste Untersuchungen: Su- hand der bisher datierten Hölzer aus der Sied- ter 2017 und Bolliger 2018. lung Sutz-Lattrigen, Rütte18 durchgeführt.19 19 Bolliger 2018, 48–53. 232 ARCHÄOLOGIE BERN / ARCHÉOLOGIE BERNOISE 2019

Zu Beginn der Besiedlung eines Uferabschnitts dass der Grossteil der bis 40-jährigen Stämme weisen die Bauholzinventare oft auf die Rodung ganz belassen und vor allem ältere Bäume hal- naturnaher oder regenerierter Baumbestände biert oder geviertelt wurden (Abb. 14c und d). hin. Die Nutzung potenzieller Stockausschläge Das Alter der gefällten Bäume scheint auf in jüngeren Siedlungsphasen kann als Folge ei- unterschiedlich verfügbare Ressourcen als auch ner nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder auf gezielte Auswahl und Waldwirtschaft hin- gedeutet werden. Eine (zu) intensive Nutzung zuweisen. Die Altersverteilungen der gefällten­ eines Waldbestandes kann in der Auslichtung Bäume in den vier Siedlungen zeigen, dass für und Übernutzung eines Waldbestandes gipfeln, den Bau der ältesten Siedlung aufgrund der was sich in der Verwendung von immer dicke- grossen Streuung der Altersklassen am ehesten ren Baumstämmen als Bauholz niederschlägt, ein naturnah gewachsener Wald als Ressource die für die Verwendung aufwendig aufgespal- diente, wohingegen das Holz für die drei Sied- ten werden müssen.20 lungen aus dem 37. und 36. Jahrhundert v. Chr. Die Altersverteilungen der Hölzer aus den eher aus bereits genutzten und möglicherweise cortaillodzeitlichen Siedlungen von Sutz-Latt- gezielt bewirtschafteten Waldstücken stammt. rigen weisen auf ähnliche Phänomene hin. Dies ist insbesondere für die Siedlung aus den Aufgrund der räumlichen Überschneidung 3630er-Jahren eher erstaunlich, da für diese der beiden Siedlungen aus den 3820er- und konkrete keine unmittelbaren Vorgängersied- 3640/30er-Jahren im Sondierschnitt NO1/Ha- lungen bekannt sind. Solche sind bei der hohen fen sowie der partiellen Überschneidung der Verfügbarkeit von jungen Bäumen jedoch anzu- Siedlungen um 3600 und 3582–3566 v. Chr. in nehmen. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass Schnitt 1/Felder 1–7, 29–31 können zur Untersu- sich in der Nähe (bisher nicht entdeckte) Sied- chung der Altersverteilungen nur die datierten lungen aus der ersten Hälfte des 37. Jahrhunderts und wahrscheinlich datierten Hölzer (Katego- befanden, für deren Bau die gleichen Waldab- rien A und B) verglichen werden. Somit stehen schnitte genutzt wurden. Wenn sich diese Sied- für diese Betrachtungen 805 datierte Hölzer mit lungen weiter landeinwärts befanden, blieb da- 12–181 Jahrringen zur Verfügung, die überwie- von möglicherweise nicht viel erhalten. Erst gend von Eichen stammen. eine gezielte dendrotypologische Analyse unter Die Altersverteilung des (datierten) Bau- Einbezug aller vorhandenen Parameter wird es holzes aus den zwei Siedlungen im Sondier- erlauben, das hier aufgezeigte Potenzial für Aus- schnitt NO1/Hafen unterscheidet sich stark sagen zur Waldwirtschaft und zur Entwicklung (Abb. 14a und b): Für die ältere Siedlung aus der Bauholznutzung voll auszuschöpfen. dem 39. Jahrhundert v. Chr. wurden grössten- teils ältere Bäume gefällt, von denen 87 % über 7 21 50-jährig sind. Zur Herstellung des Bauholzes Siedlungsstruktur und Siedlungs­ wurde ein Grossteil der dicken Stämme aufge- dynamik am Bielersee spalten oder geviertelt. Für die jüngere Siedlung aus den 3640/30er-Jahren wurden hingegen In der Bucht von Sutz-Lattrigen wurden zwi- vor allem junge, mehrheitlich unter 30-jäh- schen 3825 und 3566 v. Chr. leicht zueinander rige (83 %) und hauptsächlich zwischen 20- verschoben vier Siedlungen gebaut. Diese be- und 24-jährige (66 %) Bäume geschlagen und standen nach aktueller Erkenntnis aus einer bis nur ein Baum war über 50-jährig, als er gefällt vier Häuserzeilen. Die Schmalseiten der Häuser wurde. Die jungen Baumstämme wurden nach waren zum See hin orientiert. dem Fällen grösstenteils rund belassen. Die Häuser wurden über die ganze Zeit In der einige Jahrzehnte jüngeren Siedlung ähnlich gebaut: Die zweischiffigen Bauten wie- um 3600 v. Chr. in Schnitt 1/Felder 1–7, 29–31 sen vier bis sieben Joche auf und waren 20 bis wurden hingegen mehrheitlich 25–40-jährige Bäume verbaut (Abb. 14c) und in der nachfol- 20 Bolliger 2018, 48–53. genden Siedlung zwischen 3582 und 3566 v. Chr. 21 Daneben ist nicht auszuschliessen, dass einige jüngere ebenso vor allem 25–40-jährige sowie auch im- Bäume gefällt wurden. Denn in der Grabungsfläche Sondier- schnitt NO1/Hafen kommen auch jüngere Hölzer vor (38 % mer wieder über 50-jährige Bäume (Abb. 14d). der Eichen haben 4–19 Jahrringe), die jedoch nicht datiert Im Holzinventar beider Siedlungen zeigt sich, und somit keiner Siedlung zugewiesen werden konnten. DIE CORTAILLODZEITLICHEN SEEUFERSIEDLUNGEN IN SUTZ-LATTRIGEN AUFSÄTZE 233

knapp über 40 m2 gross, mit einem Schwer- punkt zwischen 20 und 30 m2. In keiner Sied- lung lassen sich Gebäude erkennen, die heraus- stechen, weshalb sich rein architektonisch in den Siedlungen keine Hierarchie ablesen lässt. Mehrere Siedlungen, insbesondere um und in den Jahrzehnten nach 3600 v. Chr., waren von Palisaden umgeben, welche aus locker ge- setzten Pfählen und möglicherweise Flechtwerk bestanden. Die so umschlossenen Siedlungs­ areale scheinen nach 3600 v. Chr. in den darauf- folgenden drei Jahrzehnten von rund 1900 m2 auf über 3700 m2 mehr als verdoppelt worden zu sein. Die Grösse der Siedlungen passt zu ande- ren Siedlungen aus dem Neolithikum.22 Abb. 15 zeigt eine Rekonstruktion, wie die Siedlung um 3576 v. Chr. ausgesehen haben könnte. Die meisten Dörfer wurden nur partiell er- fasst, weshalb ihre Häuserzahl nicht genau er- mittelt werden kann. Die jüngste Siedlung aus den Jahren 3582–3566 v. Chr. wies mindestens ses verwendet wurden. Dies ist in der Siedlung Abb. 15: Rekonstruktion 16 Häuser und acht kleinere Gebäude auf, ob- aus dem 36. Jahrhundert klar zu erkennen: Die der von einer Palisade umgebenen Siedlung aus wohl nur etwa die Hälfte des mutmasslichen aufgrund ihres Wachstumsbildes zu Mittelkur- dem 36. Jahrhundert v. Chr., Siedlungsareals ausgegraben worden ist. ven korrelierten Pfähle wurden meist in nur wie sie um 3576 v. Chr. Die verschieden alten Siedlungen zeigen einem Haus verbaut. Allenfalls wurden übrig ausgesehen haben könnte. mehrere Bau- und Ausbauphasen. Nach der gebliebene Pfähle noch im Nachbarhaus ver- Errichtung erster Häuser in der Mitte der Sied- wendet (Abb. 16). Mit längerfristigen und um- lungsareale wurden jeweils innerhalb weniger fangreichen Holzlagern ist daher nicht zu rech- Jahre zahlreiche neue Häuser gebaut. Im jüngs- nen, denn dort wären Pfähle aus den gleichen ten Dorf (36. Jahrhundert) scheinen zu diesem Stämmen vermischt worden. Vielmehr scheint Zweck zwischen den Häusern bewusst Lücken es, dass für den Bau von Häusern gezielt Holz gelassen worden zu sein, welche in den folgen- nach Bedarf gefällt wurde. den Jahren aufgefüllt wurden. Nach der ersten Neben den ein- beziehungsweise zweizei- Bauphase wurde diese Siedlung zweimal nach lig angeordneten Häusern weist die Siedlung Westen hin erweitert: Vier bis acht sowie elf bis aus dem 36. Jahrhundert seitlich des Siedlungs- vierzehn Jahre später wurden jeweils drei Häu- kerns errichtete Gebäude auf, die teilweise deut- ser der doppelten Häuserzeile angefügt sowie lich kleiner als die Häuser im Dorfkern sind. weitere Gebäude seitlich des Dorfkerns errich- Aufgrund von Lage und Grösse werden diese tet. Jeder grösseren Bauphase folgte eine Phase als Ökonomiegebäude oder Speicher angese- ohne Neubauten, in welcher lediglich Repara- hen. Die Fundarmut sowie das überwiegende turen vorgenommen wurden. Zahlreiche den­ Fehlen grosser Steinartefakte wie Mühlen und drochronologisch datierte Pfähle zeigen, dass Läufer in deren Bereich unterstützt diese Inter- die Häuser regelmässig und bereits wenige Jahre pretation (Abb. 12). Dass diese Gebäude viel sel- nach ihrem Bau ausgebessert werden mussten. tener repariert werden mussten als die grösse- Zum Bau der Häuser wurde meist frisch ren Wohnhäuser, könnte ein weiteres Indiz auf geschlagenes Holz verwendet, doch einige eine andersartige Nutzung sein. Häuser – oft die ersten einer Bauphase – wei- Mehrere Siedlungen bestanden nur kurze sen viel Altholz auf. Ähnliche Wachstumsbil- Zeit, und im Falle der Siedlung des 36. Jahrhun- der der in einem Haus verbauten Pfähle wei- derts wurde der Standort sogar während des sen darauf hin, dass Pfähle aus den gleichen Stämmen oder zumindest von Bäumen dessel- ben Standortes für den Bau jeweils eines Hau- 22 Stöckli 2016, 34, Tab. 4 und Anm. 114. 234 ARCHÄOLOGIE BERN / ARCHÉOLOGIE BERNOISE 2019

M. 1:500 470 480 490 500 –3680 –3660 –3640 –3620 –3600 –3580 Dnr. 1500 13753

13721

0 10 m 13703

1510 13833 Hauptstation innen 3582/81 v. Chr. 13870 36. Jh. v. Chr. 3580 v. Chr. 13839 3576 v. Chr. 3573/72 v. Chr. 1520 Palisade 13768 3569/68 v. Chr. 13809 3567/66 v. Chr. 13877

MK A145 1530 23 22

16 15 16453 5 3 16369 9 1 1540 16366

16385

16335 24 25 16365 1550 17 6 12 16324

11 16343 4 10 1560 2 16384

Feld 29 MK A194

MK 2076 1570 21 20 19 MK A145 8 14 MK A194 13 MK A186 7 MK A183 1580 MK A288

Abb. 16: Sutz-Lattrigen, Baus eines Hauses abrupt aufgegeben. Ob ein in die Baugeschichte einzelner Siedlungen als Hauptstation innen. Anstieg des Seespiegels Grund für die Siedlungs- auch in die Besiedlungsdynamik am Bielersee. Links: die Pfähle einer MK-Gruppe wurden oft im aufgabe war, lässt sich nur vermuten. Zumindest Das wiederholte Muster der zeilenweise, mit der gleichen Haus verbaut; für die Siedlung aus den Jahren um 3600 v. Chr. Schmalseite zum See hin angeordneten Häuser, rechts: Die Wachstums­ scheint sich ein Anstieg des Sees als Grund für die teilweise von kleineren Gebäuden flankiert kurven der Pfähle jeweils die Auflassung aufzudrängen, da die zur Sied- werden, kommt in verschiedenen Siedlungen einer MK-Gruppe ver­ lung gehörende Kulturschicht von einer Seekrei- aus der ersten Hälfte des 4. Jahrtausends v. Chr. laufen sehr ähnlich. Ab­ gebildet sind die Wuchs­ deschicht, die zwischen 3594 und 3583 v. Chr. vor und scheint einen charakteristischen Sied- bilder der Gruppen entstanden sein muss, überdeckt wird. lungstyp für die Zeit und Region darzustellen.23 MK A145 und MK A194. Die grossflächig ausgegrabenen und den- Der geplante Bau, die ständig notwendigen Aus- M. 1:500. drochronologisch analysierten Siedlungen aus besserungen und die Erweiterungen der Sied- der Bucht von Sutz-Lattrigen geben Einblicke lungen erforderten organisiertes Handeln der DIE CORTAILLODZEITLICHEN SEEUFERSIEDLUNGEN IN SUTZ-LATTRIGEN AUFSÄTZE 235 2 574 00 2 578 00 2 582 00 Abb. 17: Siedlungen um

1 220 000 0 0 0 den Bielersee zwischen 3900 und 3400 v. Chr. Es Nidau zeichnen sich mehrere 3405–3391 3410–3398 3563–3532 ca. 3850–3800 Port Siedlungskammern um 3596–3573 ca. 4250–4050 (2σ) den See ab, die in ähnli­ 3622–3607 ca. 4330–4260 (2σ) 3580–3560 3643–3631 chen Zeitabschnitten 3655–3638 3663–3658 3686–3680 bewohnt respektive nicht 3702–3688 3787–3768 Sutz- besiedelt waren. Das stei­ 3807–3804 Lattrigen lere Nordufer weist eine 3838–3834 3393–3388 1 216 000 3412 kontinuierlichere Sied­ 3582–3566 lungstätigkeit auf als das Twann 3607–3595 3638–3631 flache Südufer. Dendro­ Mörigen 3827–3820 chronologisch datierte 3856 St. Petersinsel Siedlungen sind mit einem Punkt, typologisch oder Täuffelen- C14-datierte Siedlungen Gerolfingen mit Kreisen markiert.

1 212 000

Lüscherz 3393 3403–3386 Vinelz 3583–3576 3591–? nach 3600 nach 3820

Siedlungsgemeinschaft. Der grosse Organisa- In den 3680er-Jahren v. Chr. gibt es in Port tionsbedarf könnte ein Indiz für eine hierar- Hinweise auf eine Besiedlung,30 und nach einem chische Gliederung der Gesellschaft sein, auch Unterbruch von fast 200 Jahren wurde das Süd- wenn sich eine solche in der Siedlungsarchitek- ufer des Sees in Sutz-Lattrigen um 3638 v. Chr. tur nicht niedergeschlagen hat. neu bebaut, worauf eine weitere Siedlung aus Bei der Betrachtung der prähistorischen den Jahren um 3600 v. Chr. folgte, die nur frag- Siedlungsreste rund um den Bielersee fällt auf, mentarisch freigelegt wurde. Aus dieser Zeit dass die Siedlungen immer aus ähnlichen Zeit- sind einzig Siedlungsspuren am Nordufer in abschnitten stammen beziehungsweise fehlen Twann bekannt. (Abb. 17). Die bisher ältesten Siedlungsspuren Im beginnenden 36. Jahrhundert v. Chr. stammen aus dem 43–40. Jahrhundert v. Chr. entstanden rund um den See neue Siedlungen: auf der Strandplatte von Nidau.24 Der älteste in Twann, Port, Sutz-Lattrigen, Lüscherz und Hausgrundriss stammt von einem Einzelhaus ­Vinelz. Die Siedlungen am Südufer lagen jeweils in Sutz, Solermatt von 3856 v. Chr. Die ältes- nur rund vier bis fünf Kilometer auseinander. ten Siedlungen am Nordufer in Twann weisen Hinweise für einen Siedlungsunterbruch auf der mögliche Schlagphasen zwischen 3838 und 3835 Strandplatte oder eine Verlagerung der Siedlung v. Chr. und sichere ab 3807–3804 v. Chr. auf,25 und aktuell wird in Biel eine Siedlung aus den Jahren um 3840 v. Chr. ausgegraben.26 Etwas 23 Anhand der Ausdehnung der Lehmlinsen werden auch jünger ist die Siedlung aus Sutz-Lattrigen um für die Dörfer 5 (E3: 3702–3688 v. Chr.) und 7 (E5: 3643– 3631 v. Chr.) von Twann Häuser mit der Schmalseite zum 3827–3823 v. Chr. und fast gleichzeitig sind auch See rekonstruiert. S. Stöckli 2018, 71, Abb. 50. Häuserzei- Siedlungsspuren aus Vinelz bekannt.27 Typolo- len, die von kleinen Gebäuden flankiert werden, sind um 3400 v. Chr. auch in Sutz-Lattrigen, Riedstation und Mur- gisch datierbares Fundmaterial gibt Hinweise ten, Pantschau vorhanden. S. Hafner et al. 2016, 116–118. auf drei weitere Siedlungsstandorte aus dieser 24 Fischer et al. 2017. Zeit rund um den Bielersee.28 25 Stöckli 2009, 28. 26 Grabung Biel Campus, s. Kurzbericht Othenin-Girard Danach bricht die Besiedlung am Südufer in diesem Band. ab und nur am Nordufer in Twann ist in der 27 Gross 1986, 25–26. 28 Hafner 1996, 9. ersten Hälfte des 4. Jahrtausends v. Chr. eine fast 29 Stöckli 2009, 28–31. durchgehende Siedlungstätigkeit feststellbar.29 30 Zwahlen 2003, 30–31. 236 ARCHÄOLOGIE BERN / ARCHÉOLOGIE BERNOISE 2019

ins Landesinnere nach 3590 v. Chr. sind nicht sich, dass jeweils die ersten Häuser der Siedlun- nur in Sutz-Lattrigen, sondern auch in Lüscherz gen in kurzer Zeit gebaut wurden. Einige Jahre vorhanden, wo die Schlagdaten 3591 v. Chr. ab- später, wurden die Siedlungen vergrössert, be- brechen und erst wieder – fast gleichzeitig wie vor sie nach weniger als zwei Jahrzehnten wie- in Sutz-Lattrigen – um 3583 v. Chr. beginnen.31 der aufgelassen wurden. Das Bauholz der Häu- Nach 3560 v. Chr. brechen die Siedlungen am ser weist auf gezielten Holzschlag für den Bau gesamten Südufer erneut ab und nur am Nor- der einzelnen Häuser hin. Zudem lässt das Bau- dufer in Twann ist eine Siedlung nachweisbar, holz unterschiedliche Baumbestände in den die mindestens noch bis 3532 v. Chr. bestand. Wäldern sowie gezielte Waldwirtschaft vermu- Die fast durchgehende Besiedlung am stei- ten. Der geplante Bau der Dörfer weist auf (hie- leren Nordufer bei Twann belegt Siedlungskon- rarchische) Organisation der Siedlungsgemein- tinuität in der Region. Das Fehlen von Siedlun- schaft. Ein Vergleich mit anderen Siedlungen gen in immer ähnlichen Zeitabschnitten rund der Region zeigt, dass die cortaillodzeitlichen um den See, aber vor allem am flachen Südu- Dörfer aus Sutz-Lattrigen einen für die Zeit und fer weist hingegen darauf hin, dass die Anlagen Region typischen Siedlungstyp repräsentieren. in Zeiten mit hohem Seespiegel und überflute- ter Strandplatte in höher gelegene Bereiche ver- Résumé schoben wurden, wo sie sich deutlich schlechter oder überhaupt nicht erhalten haben, weshalb Sur la rive sud du lac de Bienne, dans les eaux sie im archäologischen Niederschlag fehlen. peu profondes de Sutz-Lattrigen, de nombreux Wiederholte Bebauung der gleichen Areale so- habitats légèrement décalés les uns par rapport wie die gleichzeitige Existenz nur wenige Ki- aux autres ont été construits du Néolithique lometer nebeneinanderliegender Siedlungen jusqu’au début de l’Âge du Bronze. Entre 1986 weisen darauf hin, dass siedlungsgünstige Ufer- et 2003, le Service archéologique du canton de abschnitte sowie das dazugehörige Hinterland Berne a étudié leurs vestiges sur une vaste éten- zwischen Siedlungsgemeinschaften aufgeteilt due autour du site de Sutz-Lattrigen Hauptsta- waren und über Generationen von diesen ge- tion, grâce à des carottages et des fouilles de nutzt wurden. Eine direkte Auflassung und spä- sauvetage subaquatiques. La datation dendro- tere Neubebauung eines Siedlungsplatzes kann chronologique des pieux à l’année près a per- aber nur in Sutz-Lattrigen postuliert werden: mis de reconstituer les maisons de quatre habi- Dort deutet die fast identische Anlage zweier tats construits et réaménagés entre 3827 et 3566 Siedlungen innert 13 Jahren, deren Kulturschich- av. J.-C., et de retracer leur histoire. On constate ten von einer Seekreideschicht getrennt werden, que les premiers d’entre eux ont été bâtis en peu auf die Rückkehr einer Siedlungsgemeinschaft de temps. Après quelques années au cours des- an ihren alten Siedlungsplatz hin. quelles les maisons existantes ont fait l’objet de réparations, on peut attester des phases d’expan- sion dans deux habitats, avant que ces derniers Zusammenfassung ne soient abandonnés, après moins de deux dé- Im flachen Uferbereich von Sutz-Lattrigen am cennies. Le bois des maisons révèle des abattages Südufer des Bielersees wurden in der Jung- spécifiques à leur construction respective. Il sug- steinzeit bis in die Frühbronzezeit leicht zuei- gère également des peuplements forestiers divers nander verschoben zahlreiche Siedlungen an- et une gestion des forêts ciblée. La construction gelegt. Zwischen 1986 und 2003 untersuchte des maisons indique une organisation (hiérar- der Archäologische Dienst des Kantons Bern chique) de la communauté, même si aucun bâ- mit Kernbohrungen und taucharchäologischen timent ne se distingue sur le plan architectural. Rettungsgrabungen mehrere Siedlungen im Une comparaison avec d’autres habitats de la ré- Bereich der Hauptstation von Sutz-Lattrigen. gion montre que les villages du Cortaillod de Anhand der dendrochronologisch jahrgenau Sutz-Lattrigen représentent un type d’habitat ca- datierten Pfähle können die Häuser von vier ractéristique de cette époque et de cette région. Siedlungen, die zwischen 3827 und 3566 v. Chr. bestanden, rekonstruiert und ihre Siedlungsge- schichte nachgezeichnet werden. Dabei zeigte 31 Hafner/Suter 2005, 395. DIE CORTAILLODZEITLICHEN SEEUFERSIEDLUNGEN IN SUTZ-LATTRIGEN AUFSÄTZE 237

Literatur Hafner 1996 Stapfer et al. (im Druck) Albert Hafner, Aspekte der Siedlungsarchäologie Regine Stapfer, Albert Hafner und John Francuz, Bolliger 2018 des Jung- und Spätneolithikums am Bielersee. Stu- Struktur und Dynamik neolithischer Seeufersied- Matthias Bolliger, Dendrochronologie. Geschichte dien zum Siedlungswesen im Jungneolithikum. lungen. Beispiele aus Sutz-Lattrigen (Bielersee, und Anwendungsbereiche. In: Thomas Burri und Wilkau-Hasslau 1996. Kanton Bern, Schweiz) zwischen 3900 und 3400 v. Regine Stapfer (Red.), Naturwissenschaftliche Me- Chr. In: Siedlungsstrukturen im Neolithikum – Hafner 2005a thoden in der Archäologie. Mitteilungen der Na- Zwischen Regel und Ausnahme. Fokus Jungstein- Albert Hafner, Sutz-Lattrigen, Lattrigen Hauptsta- turforschenden Gesellschaft in Bern 75. Bern 2018, zeit 7. Schriften der AG Neolithikum. Kerpen- tion. Rettungsgrabungen 1988–2003: neolithische 40–59. Loogh (im Druck). Ufersiedlungen. In: Peter J. Suter und Marianne Fischer et al. 2017 Ramstein. Archäologie im Kanton Bern 6A. Bern Stöckli 2009 Jürgen Fischer, Albert Hafner, Regine Stapfer, An- 2005, 41–48. Werner E. Stöckli, Chronologie und Regionalität dreas Marti und Jehanne Affolter, Neolithische des jüngeren Neolithikums (4300–2400 v. Chr.) im Hafner 2005b Siedlungen in Nidau am Bielersee. Resultate der Schweizer Mittelland, in Süddeutschland und in Albert Hafner, Sutz-Lattrigen, Hauptstation. Ero- Untersuchungen 2010–2016 im Perimeter des Be- Ostfrankreich aufgrund der Keramik und der ab- sionsschutzmassnahmen 2000–2004: neolithische bauungsprojektes Agglolac. Archäologie Bern 2017. soluten Datierungen, ausgehend von den For- Ufersiedlungen. In: Peter J. Suter und Marianne Jahrbuch des Archäologischen Dienstes des Kan- schungen in den Feuchtbodensiedlungen der Ramstein. Archäologie im Kanton Bern 6A. Bern tons Bern 2017. Bern 2017, 126–155. Schweiz. Antiqua 45. Basel 2009. 2005, 49–52. Francuz 1980 Stöckli 2018 Hafner et al. 2016 John Francuz, Dendrochronologie. In: Alex R. Fur- Werner E. Stöckli, Die neolithischen Ufersiedlun- Albert Hafner, Regine Stapfer und John Francuz, ger (Hrsg.), Die Siedlungsreste der Horgener Kul- gen von Twann Band 21. Hefte zur Archäologie im Die Bucht von Sutz-Lattrigen. Vom Neolithikum tur. Die neolithischen Ufersiedlungen von Twann 7. Kanton Bern 3. Bern 2018. Bern 1980. bis in die Bronzezeit. In: 4000 Jahre Pfahlbauten. Begleitband zur Grossen Landesausstellung Baden Suter 2017 Francuz 1999 Württemberg, 16. April bis 19. Oktober 2016. Ost- Peter J. Suter, Um 2700 v. Chr. – Wandel und Kon- John Francuz, BE/Sutz-Lattrigen (VII) Innen. Den- fildern 2016, 116–118. tinuität in den Ufersiedlungen am Bielersee. Ufer- drochronologie 30. 6. 1999. Gemeindearchiv ADB, siedlungen am Bielersee 8. Hrsg. v. Archäologi- Hafner/Suter 2000 FP-Nr. 326.170.1993.01. schen Dienst des Kantons Bern. Bern 2017. Albert Hafner und Peter J. Suter, 3400 v. Chr. Die Francuz 2009 Entwicklung der Bauerngesellschaften im 4. Jahr- Winiger 1989 John Francuz, BE/Sutz-Lattrigen (VII) Innen Sta- tausend v. Chr. am Bielersee aufgrund der Ret- Josef Winiger, Bestandsaufnahme der Bielerseesta- tion: Felder 29–31. 2. 4. 2009. Gemeindearchiv tungsgrabungen von Nidau und Sutz-Lattrigen. tionen als Grundlage demographischer Theoriebil- ADB, FP-Nr. 326.170.1993.01. Ufersiedlungen am Bielersee 6. Bern 2000. dung. Ufersiedlungen am Bielersee 1. Bern 1989. Francuz 2014 Hafner/Suter 2004 Zwahlen 2003 John Francuz, BE/Sutz-Lattrigen (VII) Hafen. Be- Albert Hafner und Peter J. Suter, Aufgetaucht. Hanspeter Zwahlen, Die jungneolithische Siedlung richt zur dendrochronologischen Untersuchung. 1984–2004. Bern 2004. Port - Stüdeli. Ufersiedlungen am Bielersee 7. Bern 18. 12. 2014. Gemeindearchiv ADB, FP-Nr. 326.173. 2003. 1991.01/326.170.1993.01. Hafner/Suter 2005 Albert Hafner und Peter J. Suter, Lüscherz - innere Internetquellen Gross 1986 Dorfstation. Ausschnitte einer jungneolithischen Eduard Gross, Vinelz - Ländti Grabung 1979. Die Ufersiedlung. In: Peter J. Suter und Daniel Gut- Vortrag des Regierungsrates an den Grossen Rat neolithischen und spätbronzezeitlichen Ufersied- scher. Archäolgie im Kanton Bern 6B. Bern 2005, zum Gesetz über die Denkmalpflege (Denkmal- lungen. Bern 1986. 389–430. schutzgesetz, DPG). Beilage zum Tagblatt des Grossen Rates – 1999, 3–4. https://www.bve.be.ch/ Hafner 1994 Ischer 1928 bve/de/index/direktion/organisation/ra/baurecht- Albert Hafner, Sutz-Lattrigen, Lattrigen Riedsta- Theophil Ischer, Die Pfahlbauten des Bielersees. saenderungen/vortraege.assetref/dam/documents/ tion. Publikation 1993: Siedlungsplan und Bauge- Biel 1928. BVE/RA/de/Vorträge/BauG%20Änderung%20 schichte des neolithischen Dorfes VI. In: Daniel vom%208.9.1999%20%28Denkmalpflege%29.pdf Gutscher und Peter J. Suter, Archäologie im Kan- ton Bern 3A. Bern 1994, 33–36.