5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Archäologie

AUFGETAUCHT. 19 8 4 – 2 0 0 4 5000 Jahre. ABGETAUCHT Bielersee 1

AUFGETAUCHT. 1984 – 2004 Albert Hafner und Peter J. Suter

Geleitwort

Vor 150 Jahren erkannte der Historiker Ferdinand Keller in den Pfahlfeldern von Meilen am Zürichsee die Reste von prähistorischen Dörfern. Aufgrund von Illustrationen, die Reisende aus der Südsee mitbrachten, entstand damals das Bild der auf Plattformen im See errichteten Dörfer, die von «trutzigen Urschweizern» bewohnt waren. Heute – 150 Jahre nach ihrer Ent- deckung – haben die «Pfahlbauer» ihren nationalistisch geprägten Glanz verloren. Hingegen erlauben moderne Forschungsmethoden die Feststellung, dass die jungsteinzeitlichen und bronzezeitlichen Siedlungsüberreste an den Ufern unserer Seen zu den bedeutendsten Kulturgütern Europas gehören. Die «Pfahlbauten» haben also nichts von ihrer Faszination eingebüsst und geben uns zahlreiche Antworten auf kulturgeschichtlich relevante Fragen zu den frühen Bauerngesellschaften unseres Landes.

Die Taucharchäologie der letzten Jahre hat aufgezeigt, dass die prähistorischen Siedlungs- überreste an den Ufern unserer Mittellandseen durch die Seegrunderosion massiv bedroht sind. Die gesetzlich verankerte Aufgabe des Archäologischen Dienstes besteht deshalb darin, die wertvollen Fundstellen noch vor ihrer endgültigen Zerstörung zu dokumentieren oder mittels Schutzmassnahmen zu erhalten.

2004 feiern wir nicht nur 150 Jahre Pfahlbauforschung in der Schweiz, sondern auch 20 Jahre Taucharchäologie im Kanton . Mit der Ausstellung «5000 Jahre. Abgetaucht» sollen nun die Ergebnisse von 20 Jahren Unterwasser-Archäologie der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Sie bietet Einsichten in den Alltag vor 5000 Jahren. Der Blick zurück – in die eigene Vergangenheit – ermöglicht es uns aber vielleicht auch, die richtigen Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Der Kanton Bern trägt eine grosse Verantwortung gegenüber seinem Kulturerbe: Einerseits soll er die archäologischen Fundstellen schützen und künftigen Generationen überliefern. Andererseits müssen, wo dies nicht möglich ist, eine wissenschaftliche Doku- mentation erstellt und die daraus gewonnenen Erkenntnisse publik gemacht werden. Die Ausstellung «5000 Jahre. Abgetaucht» und die Begleitschrift «Aufgetaucht. 1984–2004» führen den letztgenannten Auftrag aus.

Regierungsrat M. Annoni 2 5000 Jahre. ABGETAUCHT An den Schweizer Seen 5000 Jahre. ABGETAUCHT 3

150 Jahre Unterwasserarchäologie

Schon im 19. Jahrhundert ver- suchen Taucher, an unter Wasser liegende Fundstellen zu gelangen, aber erst nach der Erfindung des Lungenautomaten durch Jacques Cousteau wird das «Abtauchen» in Neptuns Welt für alle möglich. In der Schweiz beginnt die Tauch- archäologie in den 1960er-Jahren. Viele der damals entwickelten Arbeitstechniken sind heute noch im Einsatz. 1 Abb. 1: Am 22. Mai 1854 startet der Ab 1984 gibt es beim Archäologi- Berner Geologe Alphonse Morlot eine schen Dienst des Kantons Bern Expedition zu den Pfahlbauten von Morges am Genfersee. Es handelt eine permanente Tauchequipe, sich um einen der ersten archäologi- schen Tauchgänge. die überwiegend im Bielersee tätig ist. Seit 1988 wird in Sutz- Lattrigen eine durch die Seegrund- erosion akut bedrohte neolithi-

Abb. 2: Im Jahr 1922 findet im Be- sche Siedlungskammer mit mehr reich des heutigen Yachthafens von als 20 Dörfern untersucht. Sipplingen am Bodensee eine gross- flächige Caissongrabung statt. 2

Im Winter 1854 interpretiert der Historiker Tauchpioniere Ferdinand Keller das in Meilen am Zürich- Am 22. Mai 1854 startet der Berner Geologe see entdeckte Pfahlfeld als Überrest einer Alphonse Morlot zusammen mit Frédéric prähistorischen Siedlung. Illustrationen, die Troyon und François-Alphonse Forel eine Weltreisende aus der Südsee mitgebracht Expedition an den Genfersee. Das Ziel der haben, inspirieren ihn und er erkennt in den kleinen Gruppe sind die bei Morges vermu- Pfählen die Substruktion einer Siedlungs- teten Pfahlbauten, und im Gepäck befindet plattform, die im offenen Wasser stand. sich eine primitive Taucherglocke. Es handelt Keller nennt diese Dorfruinen deshalb sich wahrscheinlich um den ersten archäolo- «Pfahlbauten». gischen Tauchgang überhaupt. Auch andere 2 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT An den Schweizer Seen 3

Abb. 3–4: Die Unterwasserausgra- bungen auf der Untiefe «Kleiner Hafner» in Zürich (1967–69) bringen die Überreste von über 6000 Jahre alten Dörfern zum Vorschein (links). Die spätere Feingrabung (1981–84) differenziert über 15 neolithische Dörfer zwischen etwa 4300 und 2700 v. Chr.

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Forscher, wie der Bieler Friedrich Schwab, Etwa zu diesem Zeitpunkt erfolgt auch die regen den Bau eines Tauchapparates an, der Gründung der Schweizerischen Gesellschaft jedoch nie realisiert wird. für Unterwasserarchäologie.

Aus dieser Not entsteht in den 1920er-Jahren Archäologen tauchen ab die Caisson-Methode, die dem Brückenbau 1967–69 findet in der Stadt Zürich – ausgelöst entlehnt ist. 1929 wendet Hans Reinerth durch die Erweiterung von Uferanlagen – die dieses Prinzip in Sipplingen am Bodensee erste richtige Unterwassergrabung statt: die an und stellt einen doppelwandigen Kasten ehemalige Inselsiedlung «Kleiner Hafner» mit Massen von 22 x 22 m auf. Trotz einer wird mit mehreren Sondierschnitten erkun- Wassertiefe von 2.5 m kann so eine Fläche det. Die Arbeiten werden wegen des klaren von fast 500 m2 untersucht werden. Es zeigt Wassers in den kalten Wintermonaten sich jedoch, dass diese Methode aufwändig durchgeführt. Die Verbesserung des Tauch- und unflexibel ist. materials, insbesondere das Aufkommen von Trockentauchanzügen, ist deshalb ein 1943 entwickelt Jacques Cousteau den im entscheidender Punkt. Die von Ulrich Ruoff Prinzip heute noch üblichen Lungenautoma- und seinem Team erarbeiteten Techniken ten. Erstmals steht der Gang unter Wasser werden später von zahlreichen anderen über- nicht mehr ausschliesslich Berufstauchern, nommen und im Laufe der Zeit verbessert. J. Winiger: Bestandesaufnahme sondern auch den von der Unterwasserwelt Wenige Jahre später tauchen Archäologen der Bielerseestationen. Ufersiedlungen am Bielersee, faszinierten Sporttauchern offen. auch in der Westschweiz. Sie konzentrieren Band 1. Bern 1989. sich vorerst auf die bronzezeitlichen Ufer- Unterwasserarchäologie im Kanton Zu Beginn der 1960er- Jahre kommt es siedlungen von Auvernier und Cortaillod am Bern: www.erz.be.ch/archaeologie/ auch in der Schweiz zu Kontakten zwi- Neuenburgersee. aufgaben/unterwasser.php schen Sporttauchern und Archäologen. In Gesellschaft für Schweizer Unter- wasserarchäologie: Zürich entsteht aus der Zusammenarbeit Am Bielersee beginnt die Unterwasserar- www.gsu.ch von Sporttauchern mit dem Zürcher Stadt- chäologie in den Jahren 1984–87 mit einer Rekonstruktion einer Tauchgrabung archäologen Ulrich Ruoff allmählich eine umfassenden Bestandsaufnahme. Seither im Museum Laténium in Hauterive am Neuenburgersee. professionelle archäologische Tauchequipe. gehört die Tauchequipe zum «festen Be- 4 5000 Jahre. ABGETAUCHT An den Schweizer Seen 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5

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stand» des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern und hat bereits zahlreiche Rettungsgrabungen durchgeführt.

Unterwasserarchäologie heute Ausgrabungen unter Wasser benötigen eine besondere Infrastruktur.Trockentauchanzüge und Vollgesichtsmasken sind Teil der per- sönlichen Tauchausrüstung. In der Tauch- basis sind Kompressoren für die Atemluft und Umkleideräume vorhanden. Die Taucher werden vom Land aus mit Atemluft versorgt, für Notfälle führen sie eine Reserveflasche Abb. 5: So arbeitet die Tauchequipe mit sich. Arbeitsboot und Tauchplattform er- im Bielersee. Zwei Taucher legen zusammen eine Fläche von 10 x 1 m möglichen ein professionelles Arbeiten. 6 frei. Nachdem deren Dokumentation abgeschlossen ist, rücken sie einen 7 Laufmeter vor. Pumpen und Strahl- rohre erzeugen eine künstliche Strö- mung und sorgen so für klare Sicht.

Abb. 6: Vollgesichtsmasken schützen vor kaltem Wasser. Lange Luftschläu- che versorgen die Taucher ab der Tauchbasis mit Frischluft und ein «Unterwassertelefon» dient der Kom- munikation mit der Tauchaufsicht.

Abb. 7–10: Das Arbeitsboot bringt die Taucher und ihre Arbeitsgeräte zur Tauchplattform. Diese steht in unmittelbarer Nähe des Unterwasser- Arbeitsplatzes. 4 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT An den Schweizer Seen 5

8 11 14

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Abb. 11–16: Das Freilegen und Doku- mentieren der Befunde und Funde erfolgt genauso exakt wie an Land. 6 5000 Jahre. ABGETAUCHT Archäologie am Bielersee 5000 Jahre. ABGETAUCHT 7

Von 1854 bis heute

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Internetseite des ADB: Die Ausgrabungen im 19. Jahrhundert sollen vor allem viele Funde www.erz.be.ch/archaeologie bringen. Erst ab etwa 1920 entwickelt die «Pfahlbauforschung» Schweizerische Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte: wissenschaftliche Fragestellungen und seit der zweiten Hälfte des www.sguf.ch Link zu den Kantonsarchäologien 20. Jahrhunderts auch die methodischen Voraussetzungen für echte der Schweiz: www.archaeologie.ch wissenschaftliche Ausgrabungen im heutigen Sinne. Zudem revolu- Archäologiemuseen am Bielersee: tionieren die Dendrochronologie und andere naturwissenschaftliche Museum Schwab in Biel Pfahlbaumuseum Sammlung Methoden die Archäologie in den 1980er-Jahren grundlegend. Hans Iseli in Lüscherz Musée d’Histoire in

Pfahlbau-Sammlung Carl Irlet 2 im Fraubrunnenhaus in Twann

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������� Abb. 1: 1874 ist das auf der Strand- ������������� platte gelegene Pfahlfeld von Sutz- Lattrigen - Hauptstation aufgrund ���������� der Seespiegelsenkung durch die ����������� 1. Juragewässerkorrektion fast �������������� trockenen Fusses zu erreichen. Heute sind die Pfahlfelder und ����������� Kulturschichten auf dem Seegrund �������� der Erosion ausgesetzt.

Abb. 2: Die neolithischen und bronze- ������ zeitlichen Ufersiedlungen am Bieler- see verteilen sich auf verschiedene Siedlungskammern. Die vom Archä- ologischen Dienst des Kantons Bern in den letzten 30 Jahren untersuchten Grabungen 1974 –1980 Grabungen und Sondierungen 1984–1987 Fundstellen sind farbig markiert. Grabungen 1988–2004 Schwerpunktprojekt 1988–1987 6 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Archäologie am Bielersee 7

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den letzten Jahren verschiedene, durch ist der Bielersee einer der Hauptschauplätze Bauvorhaben in Biel, Nidau und Lüscherz des «Pfahlbaufiebers». Nach der Juragewäs- ausgelöste Rettungsgrabungen durchge- serkorrektion sinkt der Seespiegel um über führt werden. Die Untersuchungen in der 2 m und gibt zahlreiche Siedlungsruinen frei. Bucht von Lattrigen sind ein Schwerpunkt- Weil die Plünderungen überhand nehmen, projekt von besonderer Bedeutung, denn erlässt der Kanton Bern 1873 das erste hier sind die grossflächigen Siedlungs- schweizerische Gesetz zum Schutz der reste bei Westwindstürmen der Erosion Siedlungsreste. Oberst Friedrich Schwab extrem ausgesetzt. aus Biel und der Notar Emanuel Müller aus Nidau bauen in dieser Zeit grosse private Sammlungen auf – in Biel entsteht das Museum Schwab.

1928 veröffentlicht der Berner Lehrer Theo- phil Ischer die erste Bestandsaufnahme der Fundstellen am Bielersee. Sie gelten fortan als weitgehend zerstört. In den folgenden Jahrzehnten sind deshalb kaum archäologi- sche Aktivitäten am See zu verzeichnen.

Rettungsgrabungen seit 1974 Die erste moderne Rettungsgrabung am Bielersee findet 1974–76 in Twann statt. Erstmals kann auch die noch in den Anfän- gen steckende Dendrochronologie genutzt werden. 4

Zwischen 1984 und 1987 unternimmt eine 5 Equipe des Archäologischen Dienstes mit- tels Kernbohrungen sowie einigen Tauch- 3 sondierungen eine erneute Bestandesauf- nahme aller Fundstellen entlang des Bieler- Abb. 3: Forscher des 19. Jahrhunderts: seeufers. Sie zeigt den dramatisch schlech- Ferdinand Keller, Emanuel Müller und Friedrich Schwab. ten Erhaltungszustand der prähistorischen

Abb. 4: Twann. Der Bau der Autobahn Siedlungsruinen im Flachwasserbereich. Es A5 löst die Grossgrabung der Jahre ist heute erwiesen, dass die fortschreitende 1974–76 aus. Sie markiert den Beginn Seegrunderosion in den nächsten Jahrzehn- der «modernen Archäologie» in den ten zur vollständigen Zerstörung der Ufer- Ufersiedlungen des Bielersees. siedlungen führen wird. Abb. 5: Die Bestandesaufnahme der Ufersiedlungen rund um den Bielersee in den Jahren 1984–87 Seit 1988 betreut deshalb die Aussen- zeigt sowohl den Reichtum als auch stelle Unterwasserarchäologie mit Sitz die akute Gefährdung der prähisto- rischen Siedlungsreste durch die in Sutz-Lattrigen die Fundstellen rund um Seegrunderosion. den Bielersee. Im Uferbereich mussten in 8 5000 Jahre. ABGETAUCHT 4300–800 vor Christus 5000 Jahre. ABGETAUCHT 9

Pfahlbauten oder Ufersiedlungen?

1854 entwirft Ferdinand Keller in Zürich die Vorstellung von Dörfern auf Plattformen im Wasser. Die romantische Idee der Pfahlbauten fas- ziniert weite Teile der Bevölkerung und verhilft der jungen Eidgenos- senschaft zu einer gemeinsamen Vergangenheit. Kellers Vorstellungen werden im Schulunterricht bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahr- hunderts weitergegeben und leben deshalb in vielen Köpfen bis heute fort. Die neuen Forschungen ergeben jedoch ein anderes Bild. Das Aussehen der Dörfer wandelte sich im Laufe der Zeit und war in den verschiedenen Regionen unterschiedlich. Die anfänglich postulierte Abb. 1: Schulwandbild um 1900. «Pfahlbaukultur» gab es nicht. Romantische Rekonstruktion eines Pfahlbaudorfes am Murtensee.

1 Am Bielersee sind schon vor 1854 Pfähle im See aufgefallen, aber erst die zündende Idee Ferdinand Kellers macht daraus «Pfahl- bauten». Er geht davon aus, dass es sich um Dörfer der keltischen Helvetier handelt. Von da an beginnt man sich in ganz Europa für die Fundstellen unter Wasser zu interessieren, und an zahlreichen Seen des Alpenvorlandes folgt Entdeckung auf Entdeckung.

Zwist um die Pfahlbauten Nachdem seit den 1920er-Jahren in Moo- ren, später auch an kleineren Seen eindeu- tig ebenerdig errichtete Häuser entdeckt werden, beginnt das von Keller sorgsam entworfene und lange gepflegte Bild der Pfahlbauten zu wanken. Die Forscher teilen sich in zwei Lager: die einen bleiben bei der Vorstellung von Häusern auf Plattformen im See, die anderen postulieren an Land und durchwegs ebenerdig errichtete Häuser. Zum 100 -jährigen Pfahlbaujubiläum im Jahr 1954 sieht sich der Zürcher Professor Emil 8 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT 4300–800 vor Christus 9

Abb. 2: West-Neuguinea, Doreh-Bai. Forschungsreisende des 19. Jahrhun- derts bringen Bilder von Pfahlbau- dörfern der Südsee nach Europa. Sie inspirieren ... 2

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Abb. 3: ... die Altertumsforscher, allen voran Ferdinand Keller, zu phantasie- vollen Vorstellungen über die Pfahl- bauten in unseren Voralpenseen. 10 5000 Jahre. ABGETAUCHT 4300–800 vor Christus 5000 Jahre. ABGETAUCHT 11

Abb. 4: Postkarte von Unteruhldingen aus dem Jahr 1922. Die Vorstellung von Häusern auf Plattformen über dem freien Wasser gilt heute als überholt.

Abb. 5: Moderne Rekonstruktionen, zum Beispiel diejenigen vom Lac Chalain (F), rechnen zwar mit abge- hobenen Häusern, diese stehen aber auf der normalerweise trocken liegenden Strandplatte.

Abb. 6: Heute stehen im Pfahlbau- museum von Unteruhldingen auch Häuser am Strand. Sie sind den Befunden von Hornstaad und Arbon nachgebaut und stehen in Kontrast zu den – zum Teil ebenfalls neuen – Häusern auf Plattformen.

Abb. 7: Heutige Pfahlbauten vom Lac de Nokoué in Benin.

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Rekonstruktionen von neolithischen und bronzezeitlichen Häusern können im Archäologiepark des Laténium in Hauterive bei Neuchâtel und am Südufer des Neuenburgersees bei Gletterens besucht werden. Im Pfahlbaumuseum von Unter- 6 7 uhldingen (D) am Bodensee werden seit 1922 rekonstruierte Pfahlbaudörfer gezeigt. Sie sind heute selbst Forschungs- Vogt veranlasst, einen Schlussstrich unter bruch der Dendrochronologie bringen der geschichte und Zeugen des den Pfahlbaustreit zu ziehen, indem er Par- Forschung neue Fortschritte. Jetzt können zeitweise heftig geführten «Pfahlbaustreits». tei ergreift: «Das Bauprinzip ist im Grunde ältere und jüngere Dorfanlagen auseinander- Pfahlbauten am Lac Chalain und genommen das des ebenerdigen Hauses.» gehalten und verlässliche Hausgrundrisse Clairvaux: Les hommes des lacs. Vivre à Chalain et à Clairvaux il und Dorfpläne rekonstruiert werden. y a 5000 ans: Ufersiedlungen mit ebenerdigen und ab- www.chalain.culture.gouv.fr gehobenen Böden Nach heutiger Meinung standen die Dörfer A.-M. Pétrequin et P. Pétrequin: Le Néolithique des Lacs. Erst die Erkenntnisse aus den Grossgrabun- meist auf dem flachen Strand. Nur verein- Préhistoire des lacs de Chalain gen der 1970/80er-Jahre, die Entwicklung zelt gibt es Hinweise, dass Häuser dauer- et de Clairvaux (4000–2000 av. J.-C.). Paris 1988. der Unterwasserarchäologie und der Durch- haft im Wasser errichtet wurden. 10 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT 4300–800 vor Christus 11

Abb. 8: Rekonstruktion und Schnitt durch ein Haus des Dorfes Sutz- Lattrigen - Riedstation, das zwischen 3393 und 3388 v. Chr. bewohnt war. Der Hausboden und der Vorplatz sind leicht vom Boden abgehoben. 8

Bei extremen Bedingungen wie Tauwetter sein. Dieser «Hochwasserschutz» verhin- oder bei einem Rückstau der Abflüsse derte aber nicht, dass die flache Strand- konnte die Strandplatte überschwemmt platte bei einem klimatisch bedingten, werden. Dort, wo diese Gefahr besonders dauerhaften Anstieg des Seespiegels oft gross war, dürften die Hausböden – in auch längerfristig überschwemmt wurde einigen Fällen auch Vorplätze und Wege – und die Bewohner ihre Dörfer weiter land- etwas vom Boden abgehoben worden einwärts neu errichten mussten. 12 5000 Jahre. ABGETAUCHT Datieren mit Holz 5000 Jahre. ABGETAUCHT 13

Dendrolabor Sutz-Lattrigen: www.erz.be.ch/archaeologie/ aufgaben/dendro.php 84808480 v.v.Chr Chr.. 40004000 3000 20002000 10001000 0 Dendrolabor der Stadt Zürich: www.dendrolabor.ch

Dendrochronologie

Unter Sauerstoffabschluss kann Holz Jahrtausende überdauern. Die Dendrochronologie ermöglicht es, das Fälldatum von Bau- hölzern jahrgenau zu bestimmen. Baubeginn 3393 v. Chr., Dorfbrand 2704 v. Chr.: (fast) kein Problem, denn der Jahrringkalender reicht heute 10484 Jahre zurück – also bis ins Jahr 8480 v. Chr.

Die Dendrochronologie basiert auf dem zu. In einem klimatisch guten Jahr mehr, in jahreszeitlich bedingten Wechsel von Vege- einem schlechten weniger. Im Herbst geht 1 tationsperiode und Ruhephase im Wachs- das Wachstum der Zellen ganz zurück, der tum eines Baumes. Sein jährliches Wachs- Jahreszyklus ist abgeschlossen. tum (Jahrringbreite) hängt sowohl von Nicht alle Baum- und Straucharten eignen (über)regionalen klimatischen Faktoren als sich für die Dendrochronologie. Die ring-

Abb. 1: Dendrochronologe John auch von lokalen Standortbedingungen ab. porigen Holzarten (Eiche, Esche) und Weiss- Francuz misst die Holzproben aus Die Jahrringe spiegeln die Lebensumstände tanne, also die am meisten verwendeten dem Bielersee. Die Breite jedes eines Baumes. Insbesondere im Frühjahr, Bauhölzer, eignen sich besonders gut. Die einzelnen Jahrrings wird unter dem Binokular ermittelt und direkt im wenn der Baum viele Nährstoffe und Wasser mitteleuropäische Referenzkurve der Eiche Computer festgehalten. für die Blätter benötigt, legt er kräftig Holz reicht heute bis 8480 v. Chr. zurück. 12 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Datieren mit Holz 13

0 500 10001000 15001500 20002000 n.n.Chr Chr..

2

Abb. 2: Im Überbrückungsverfahren ist eine europäische Eichenchrono- logie entstanden, die heute bis 8480 v. Chr. zurückreicht. An ihrem Ausgang stehen heutige Bäume. Sie Jahrgenaue Datierung Ist auch der jüngste, direkt unter der Rinde überschneiden sich mit Balken aus Das jährlich schwankende Klima hinterlässt gelegene Jahrring erhalten, die Waldkante, älteren Bauten, diese wiederum mit solchen aus mittelalterlichen seine Spuren im Querschnitt eines Baums. kann das Fälldatum jahrgenau bestimmt Dachstühlen, von römischen Unter- Das Muster seiner Jahrringe kann mit einem werden. pfählungen und schliesslich auch Strichcode oder einem Fingerabdruck vergli- Pfählen der Seeufersiedlungen. Um das Fälldatum eines Bauholzes zu chen werden. Es ist wenig wahrscheinlich, Dendrolabor Sutz-Lattrigen ermitteln, wird seine Individualkurve dass sich die charakteristische Abfolge guter Beim Archäologischen Dienst des Kantons elektronisch und optisch mit der und schlechter Wachstumsjahre im Laufe Bern besteht seit 1978 ein dendrochro- Referenz- oder regionalen Vergleichs- kurve verglichen. Wenn sich ihre der Jahrtausende genau gleich wiederholt. nologisches Labor. Es befindet sich in der Verläufe decken, kann das Endjahr Die Wachstumskurve eines Baumes kann Aussenstelle für Unterwasserarchäologie des Bauholzes abgelesen werden. deshalb – bei genügender Anzahl Jahrringe – in Sutz-Lattrigen. Seit 1984 sind im Dendro- Das jahrgenaue Fälldatum erhält man aber nur, wenn auch der letzte Jahr- mit optischen und statistischen Methoden labor mehr als 10'000 Hölzer untersucht und ring, die Waldkante, vorhanden ist. auf der Referenzkurve lokalisiert werden. datiert worden. 14 5000 Jahre. ABGETAUCHT Rettungsaktionen für 5000 Jahre. ABGETAUCHT 15 die Vergangenheit

Versunkene Dörfer in Sutz-Lattrigen

Die prähistorischen Siedlungsreste am Bielersee sind durch die ste- tige Erosion der Flachwasserzone massiv bedroht. Deshalb findet im Bereich der Gemeinde Sutz-Lattrigen seit 1988 ein Grossprojekt zu ihrer Dokumentation und Rettung statt. Die Dorfruinen stammen aus dem 4. und 3. vorchristlichen Jahrtausend. Bisher sind 30'000 m2 Seegrund systematisch untersucht worden. Die Hinterlassenschaften von etwa 20 Dörfern bieten noch nie dage- wesene Einblicke in 1200 Jahre Siedlungs- und Kulturgeschichte.

1

Lattrigen Sutz Kleine Station Hauptstation Riedstation Südwest Rütte

3114 – 3111 v.Chr. 3825–3822 v.Chr. 3202–3121 v.Chr. 3393–3388 v.Chr. 2918–2895 v.Chr. 2779–2752 v.Chr. 2845 v.Chr. 3638–3637 v.Chr. 3094–3089 v.Chr. 2726–2688 v.Chr. 2785–2782 v.Chr. 3596–3566 v.Chr. 3043–3036 v.Chr. 2646–2627 v.Chr. 2756–2754 v.Chr. 3412 v.Chr. 3015–3013 v.Chr.

Abb. 1: Rettungsgrabungen in Sutz- Lattrigen 1988–2004. Im westlichen Uferabschnitt dieser Gemeinde befinden sich die Überreste von über 20 neolithischen Dörfern aus dem Zeitraum zwischen 3825 und etwa 2600 v. Chr. Grabungsflächen und darin festgestellte Schlagdaten. 14 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Rettungsaktionen für 15 die Vergangenheit

Häuser/Palisaden

3596–3593 v. Chr.

3582–3580 v. Chr.

3578 v. Chr.

3574–3568 v. Chr.

undatiert

vermutet

2

200m Mit Hilfe der Dendrochronologie können das Erste Dorfanlagen Alter, die Baugeschichte und oft auch das Nach Ausweis der Dendrochronologie (und Datum des Untergangs der einzelnen Dörfer der C14 - Methode) entstanden die ältesten ermittelt werden. Viele Siedlungen fielen Bauerndörfer an den Seen des schweize- einer Brandkatastrophe zum Opfer, andere rischen Mittellandes um 4275 v. Chr. Die mussten aufgrund eines längerfristigen See- Strandplatten der Jurafussseen wurden hin-

Abb. 2: Sutz-Lattrigen - Hauptsta- spiegelanstiegs aufgegeben werden. gegen erst im 39. vorchristlichen Jahrhundert tion-innen SW. Die ältesten Pfähle besiedelt. Die bisher ältesten Dendrodaten datieren um 3600 v. Chr. Ab 3582 bis Auch wenn die Gestalt der Dörfer im Laufe vom Bielersee legen den Siedlungsbeginn in 3568 v. Chr. wurde das Dorf in mehreren Etappen vergrössert. Alte der Jahrtausende wechselte, waren die Twann auf das Jahr 3838 v. Chr. fest. Das äl- Dorfzäune wurden dabei überbaut. einzelnen Dorfanlagen jeweils über lange teste Dorf in der Siedlungskammer von Sutz- Ein etwas abseits stehendes, um 90° Zeiträume hinweg einer bestimmten Bau- Lattrigen liegt im östlichen Teil der inneren gedrehtes Gebäude liegt in der Ver- längerung der Dorfgasse zwischen tradition verpflichtet und einzelne Gebäude Hauptstation. Wir wissen wenig mehr, als den beiden seeseitigen Häuserreihen. wurden in der Regel gleich ausgerichtet. dass es 3825–3822 v. Chr. entstand. 16 5000 Jahre. ABGETAUCHT Rettungsaktionen für 5000 Jahre. ABGETAUCHT 17 die Vergangenheit

Häuser

3412 v. Chr.

3393 v. Chr.

3392 v. Chr.

3391 v. Chr. 3 3390 v. Chr.

3389 v. Chr.

200m

Abb. 3: Eine der wenigen vollstän- dig untersuchten neolithischen Noch ist unklar, wie viele Menschen zu dieser Die Schichtabfolge von Twann und die Dorf- Siedlungen der Schweiz ist das um Zeit am See wohnten. Die Zahl der Siedlun- ruine von Sutz-Lattrigen Hauptstation zeigen, 3400 v. Chr. errichtete Dorf Sutz-Latt- gen ist eher gering. Nicht auszuschliessen dass etwa alle 15 Jahre mit einem Um- oder rigen - Riedstation. Die 3412 v. Chr. erbauten Häuser wurden vermutlich ist jedoch, dass bisher unbekannte Dörfer Ausbau des Dorfes zu rechnen ist. Etwa gar nicht erst bezogen. Erst eine weiter landeinwärts lagen, wo sie kaum er- 3560 v. Chr. erreichte eines der Dörfer von Generation später, ab 3993 v. Chr., halten blieben. Sutz-Lattrigen seine grösste Ausdehnung. wurde das schliesslich 19 Häuser umfassende Dorf etwa 50 m östlich Es umfasste jetzt 30 – 40 Häuser, von denen davon innerhalb von fünf Jahren Reihenhäuser und Sonderbau gut die Hälfte ausgegraben und dokumen- errichtet und bewohnt. Aber schon Jedenfalls finden wir knapp 200 Jahre tiert ist. Das Dorf bestand aus zwei Reihen kurz danach musste es – vermutlich wegen eines erneuten Seespiegelan- später – ab etwa 3630 v. Chr. – eine ganze von Wohnhäusern, die see- und landseitig stiegs – wieder aufgegeben werden. Reihe von gleichzeitigen Dörfern rund um einer uferparallelen Dorfgasse angeordnet Die Wohnhäuser der landseitigen den Bielersee. waren. Etwa 20 m landeinwärts davon Häuserreihe waren durch Stege mit den seeseitigen Ökonomiegebäuden Zahlreiche Siedlungskammern des Süd- und wurden mehrere Kleingebäude errichtet. Da verbunden. des Nordufers sind jetzt besetzt. die Stallhaltung von Vieh damals noch nicht 16 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Rettungsaktionen für 17 die Vergangenheit

4

üblich war, handelte es sich kaum um Ställe, mutlich aus klimatischen Gründen – wieder sondern eher um Speicher. Sie waren über an, die flache Strandplatte wurde über- Bohlenwege mit den Wohnhäusern ver- schwemmt und die Häuser mussten weiter bunden. Ein einzelnes, abseits stehendes landeinwärts gebaut werden. Ihre Spuren Gebäude hob sich durch seine andersartige sind in der Regel so gering, dass wir die Orientierung ab. Zudem lag es genau in der Siedlungsstellen nicht kennen. Verlängerung der Dorfgasse. Wir messen Abb. 4: So dürfte das vor knapp ihm deshalb eine besondere Bedeutung Ein Dorf für 6 Jahre 5400 Jahren am Südufer des Bieler- zu. Vielleicht wohnte hier eine besonders Erst gegen 3400 v. Chr. wurden an verschie- sees gebaute Dorf Riedstation ausgesehen haben. Das Dorf (im wichtige Persönlichkeit oder es handelte denen Buchten des Bielerees wieder Dörfer Vordergrund) wurde auf der zurzeit sich um ein Gemeinschaftshaus. Hier errichtet. trockenen Strandplatte gebaut. Die könnten rituelle Handlungen oder andere Auch im östlichen Bereich der Hauptstation dazugehörigen Felder (Bildmitte) liegen in einer Rodungsinsel im kollektive Tätigkeiten stattgefunden haben. von Sutz-Lattrigen wurden 3412 v. Chr. zwei bewaldeten Hinterland. Nach 3550 v. Chr. stieg der Seespiegel – ver- Häuser gebaut. Pfähle von benachbarten 18 5000 Jahre. ABGETAUCHT Rettungsaktionen für 5000 Jahre. ABGETAUCHT 19 die Vergangenheit

Palisaden Häuser

3202–3182 v. Chr.

vermutet

3172–3153 v. Chr.

vermutet

3140–3138 v. Chr.

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Häusern oder von späteren Ausbesserun- später kam ein weiteres dazu. Erst im dritten gen fehlen. Vermutlich bezeugen die beiden und vierten Jahr nach der Dorfgründung, in Gebäude den Versuch, ein neues Dorf auf den Jahren 3391 und 3390 v. Chr., nahm das der Strandplatte zu errichten. Diese Situation Dorf Sutz-Lattrigen - Riedstation seine zu-

200m ist für die Pfahlbauforschung bisher einma- künftige Gestalt an. Im Jahr 3389 v. Chr. er- lig. Wir wissen nicht, was genau dahinter folgte der Bau des 19. und letzten Hauses. steckt. Am wahrscheinlichsten ist, dass Das Dorf bestand aus zwei gegenüberlie- der Seespiegel nochmals anstieg und die genden Häuserreihen. Ihr Abstand betrug Häuser sofort wieder aufgegeben wurden. 30 m. Die Abfälle des täglichen Lebens, Abb. 5: Die Dörfer des 32. Jahrhun- Erst knapp 20 Jahre später – etwa eine Haus- insbesondere auch die Keramikscherben derts v. Chr. waren anders gebaut. generation – wurde 50 m weiter nordöstlich und die Getreidemühlen, konzentrieren sich Die Ausrichtung der Gebäude änderte sich um 90° und die Häuser ein Dorf realisiert. auf die grösseren, landseitigen Gebäude. waren jetzt alle etwa gleich gross. Es handelte sich um Wohnhäuser, die etwa Das Dorf wuchs aus einem anfäng- Vielleicht aufgrund der negativen Erfahrun- 10–11 m in der Länge und 3.5 m in der lichen Kern (um 3200 v. Chr.) in alle Richtungen und umfasste um gen wurden im Jahr 3393 v. Chr. zunächst Breite massen. Ihr Boden und die Vorplätze 3140 v. Chr. wohl über 50 Häuser. wieder nur zwei Häuser errichtet. Ein Jahr wurden sicher vom feuchten Untergrund 18 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Rettungsaktionen für 19 die Vergangenheit

Häuser

3043–3036 v. Chr.

3015–3013 v. Chr.

vermutet

6

abgehoben gebaut. Auf dem Pfahlplan sind Bautätigkeit ab. Weil weitere Ausbesserun- zwischen den Gebäuden liegende Pfähle zu gen fehlen, nehmen wir ein abruptes Sied- erkennen, die zur Befestigung der dafür nö- lungsende an. Auch die gleichzeitigen Dörfer tigen Konstruktionen dienten. von Twann, Nidau und Lüscherz wurden auf-

200m Bei den seeseitigen Bauten fehlen Funde gelassen. Wir können davon ausgehen, dass weitgehend. Mit Massen von 6 x 3 m waren ein erneuter dauerhafter Seespiegelanstieg die Häuser auch bedeutend kleiner. Wir ver- zur Aufgabe der auf der Strandplatte gelege- muten deshalb, dass es sich um Speicher nen Dörfer zwang. oder Ähnliches handelte. Ihre Ausführung Abb. 6: Nach einem Siedlungsunter- war insgesamt deutlich weniger sorgfältig. Neue Dörfer am Ende des 4. vorchrist- bruch entstanden im 31. vorchristli- Zwischen den beiden Häuserreihen verlie- lichen Jahrtausends chen Jahrhundert neue Dörfer. Das Dorf mit Schlagdaten um 3040 v. Chr. fen Bohlenwege. Der Strand in der Bucht von Lattrigen liegt leicht gegen das Land verscho- Im Jahr 3388 v. Chr. folgten hier und dort war nach dem Untergang des Dorfes von ben, dasjenige um 3015 v. Chr. hinge- noch gezielte Ausbesserungen an den be- 3388 v. Chr. für fast 200 Jahre nicht be- gen an der nordöstlichen Peripherie des Pfahlfeldes Sutz-Lattrigen - stehenden Häusern, aber dann brach nach wohnbar. Erst um 3200 v. Chr. setzte die Hauptstation-aussen. den dendrochronologischen Analysen die Siedlungstätigkeit wieder ein – und zwar 20 5000 Jahre. ABGETAUCHT Rettungsaktionen für 5000 Jahre. ABGETAUCHT 21 die Vergangenheit

wiederum an verschiedenen Stellen des jene von La Neuveville und Twann. Kurz nach Bielersees. Etwa gleichzeitig mit den Häu- 3000 v. Chr. brechen die dendrochronologi- sern in der Bucht von Lattrigen entstanden schen Daten – und damit die Siedlungen auf Dörfer im gegenüberliegenden Twann und der Strandplatte – überall ab. Das bedeutet am Seeausfluss bei Nidau. Das neue Dorf aber nicht, dass die Gegend verlassen Sutz-Lattrigen Hauptstation lag etwa 100 m wurde. Viel wahrscheinlicher ist, dass die weiter seewärts. Auffallend ist die um 90° etwas höher gelegenen Gebiete um den andere Orientierung der 10–12 m langen und Bielersee weiterhin bewohnt waren. Gele- 3.5 m breiten Häuser: Ihre Längsseite lag gentliche Versuche, die Strandplatte wieder jetzt parallel zum Ufer, die Gebäude waren zu besiedeln, bestätigen dies. In den Jahren in uferparallelen Zeilen angeordnet. Die 2918–2895 v. Chr. entstand die Siedlung Dorfzäune bestanden in der Regel aus locker Sutz Südwest, die heute teilweise unter eingesteckten Pfahlreihen. Der Abstand zwi- jüngeren Aufschüttungen im Westpark des schen den einzelnen Pfählen betrug 50 bis von Rütte-Gutes liegt. Um 2840 v. Chr. da- 80 cm. Dazwischen können wir uns eine tieren Dörfer in Sutz-Lattrigen (Neue Station Flechtwand aus Zweigen und Ästen vorstel- und Kleine Station), Lüscherz (Binggeli und len. Möglicherweise waren die Dorfzäune Fluhstation), (Strandboden) und Biel- auch von Brombeerranken überwuchert. Vingelz (Hafen). In all diesen Siedlungskam- Ein unüberwindbares Hindernis – für Tiere mern entstanden im 28. Jahrhundert neue, oder feindliche Artgenossen – stellten diese lang bewohnte Dörfer und ... Palisaden kaum dar. Nicht jedes Dorf war von einer solchen Umfriedung umgeben. ... es wurde enger am See, denn um 2750 v. Chr. existierten Dörfer in Der zwischen 3202 und 3182 v. Chr. gebaute Sutz-Lattrigen (Rütte und Kleine Station), Dorfkern wurde im Laufe des 31. Jahrhun- Lüscherz (Dorfstation und Kleine Station), derts etappenweise vergrössert. In mehre- Vinelz (Strandboden) und Biel -Vingelz ren Schüben wurde in den Jahren 3168–66, (Hafen). Auffallend ist, dass in Sutz-Lattri- 3157– 55 und 3140–38 v. Chr. gebaut. Nach gen und Lüscherz erstmals «Doppeldörfer» 3120 v. Chr. nahm die Bautätigkeit in der zu beobachten sind. Steckt dahinter wirklich Hauptstation ab. Dafür kennen wir Anzei- ein Bevölkerungsanstieg, wie man im ersten chen für eine erneute Bautätigkeit in den Moment vermuten könnte, oder lagen die Jahren 3114 –11 v. Chr. in der etwa 250 m beiden Teildörfer ganz einfach näher bei den A. Hafner und P. J. Suter: «Das südwestlich gelegenen Kleinen Station. Feldern und Weiden im Hinterland der Sied- Neolithikum der Schweiz». Internetpublikation: lungen? Das westlichste Dorf von Sutz-Latt- www.jungsteinSite.de Erst in den Jahren 3043–36 v. Chr. entstand rigen, das in die Mitte des 28. vorchristlichen (Text, Abbildungen und Fundtafeln als pdf und C14- in der Hauptstation ein neues Dorf. Es lag Jahrhunderts datiert, ist in den letzten Jahren und Dendrodaten-Tabellen etwas näher zum Ufer hin. Das letzte Dorf vollständig untersucht worden. Auch wenn als xls zum downloaden und weiterbearbeiten). des 4. Jahrtausends wurde in den Jahren die Auswertung noch nicht abgeschlossen A. Hafner und P. J. Suter: 3015–13 v. Chr. an der nordöstlichen Periphe- ist, zeichnet sich bereits die Struktur des –3400 v. Chr. Die Bauerngesell- schaften am Bielersee im rie der ausgedehnten Hauptstation gebaut. Dorfes ab. Links und rechts einer senkrecht 4. Jahrtausend. Ufersiedlungen zum Ufer ausgerichteten Dorfgasse waren am Bielersee, Band 6. Bern 2002. (Buch mit CD). Für das 32. und 31. Jahrhundert kennen wir Gebäude angeordnet, wahrscheinlich nicht P. Pétrequin: Construire une rund um den Bielersee Ufersiedlungen. Am mehr als acht oder neun auf jeder Seite. maison, 3000 ans av. J.-C. dans Südufer liegen diejenigen von Nidau, Sutz- Bemerkenswert ist, dass die Hauptachse le lac de Chalain au Néolithique. Paris 1991. Lattrigen, Lüscherz und Vinelz, am Nordufer der Siedlung ziemlich genau auf einen etwa 20 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Rettungsaktionen für 21 die Vergangenheit

Häuser

2918–2910 v. Chr.

7 2909–2907 v. Chr.

undatierte und vermutete Häuser

200m

120 m vom Dorfende entfernten, grossen denen Etappen bis in das Jahr 2712 v. Chr. erratischen Block ausgerichtet war. Es han- Die ersten Gebäude wurden gut unterhal- delt sich dabei um einen Schalenstein. Ist er ten, wie sich an verschiedenen Reparaturen ein Hinweis auf kultische Handlungen in der zeigt und also eindeutig über längere Zeit Nähe des Dorfes? bewohnt. Die letzten Ausbesserungen an Häusern fanden noch im Jahr 2705 v. Chr. Dorfbrand im Jahr 2704 v. Chr. statt. Im Jahr 2704 v. Chr. wurden alle Abb. 7: Vom Dorf Sutz-Lattrigen - Obwohl die Siedlung Rütte nicht vollständig Häuser gleichzeitig neu gebaut und dabei Sutz Südwest ist nur der seeseitige ausgegraben ist, lässt sich ihre wechselvolle erst noch ihre Ausrichtung um 90° geän- Bereich untersucht. Die uferparallelen Häuser datieren zwischen 2918 und Geschichte rekonstruieren. dert. Was war geschehen? 2896 v. Chr. Diese Zeitepoche ist an Sicher ist, dass die Bewohner in den Jahren Eine Holzkohleschicht, verkohlte Getreide- den Jurafussseen bisher kaum be- um 2726/25 v. Chr. mehrere Häuser eines vorräte, sechzig verbrannte Webgewichte kannt und wir möchten gerne wissen, wie das dazugehörige Fundmaterial Dorfes bauten. Weitere Gebäude entlang von zwei Webstühlen und ein verkohltes aussieht. einer Dorfgasse entstanden in verschie- Fischernetz sind die Zeugen einer Brandka- 22 5000 Jahre. ABGETAUCHT Rettungsaktionen für 5000 Jahre. ABGETAUCHT 23 die Vergangenheit

Häuser

2756 –2754 v. Chr.

Häuser vermutet

8

Abb. 8: Das jüngste Dorf von Sutz- Lattrigen - Kleine Station entstand im 28. Jahrhundert v. Chr. Die seeseiti- gen, um 2756–2754 v. Chr. gebauten Häuser gehören zu einem Dorf, dessen Dorfgasse auf einen errati- schen Block am Ufer ausgerichtet ist. Er weist künstliche Vertiefungen auf und zählt deshalb zu den «Schalen- steinen». Obwohl vieles für eine Schalenstein kultische Funktion dieser Steine spricht, ist diese bisher nicht bewie- sen. Der gegen das Land hin gele- gene Teil des Pfahlfeldes ist dendro- chronologisch noch nicht untersucht. Hier erwarten wir auch Baureste von etwas älteren Dörfern. 200m 22 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Rettungsaktionen für 23 die Vergangenheit

Häuser

2726–2725 v. Chr.

Palisaden 2719–2717 v. Chr. 2704 v. Chr.

2779–2752 v. Chr. 2714–2713 v. Chr. 2704 v. Chr. 2688 v. Chr.

9

tastrophe. Ob dabei auch Menschen um- mitteln versorgten. Nur eines der elf Häuser

200m kamen, bleibt ungewiss. Aus einer Aus- wurde 16 Jahre später durch einen Neubau grabung des 19. Jahrhunderts stammen ersetzt. Das Dorf dürfte also mindestens auf jeden Fall auffällig viele Schädel, was solange bewohnt gewesen sein. Einzelne immer wieder zu Spekulationen führt. jüngere Dendrodaten aus der zweiten Hälfte Sicher aber überlebte ein Grossteil der des 27. Jahrhunderts v. Chr. liegen ausserhalb Bewohner die Katastrophe. Die überwie- der 1997/98 freigelegten Fläche. Das Dorf gende Mehrheit der neuen Bauhölzer dürfte sich also erneut verschoben haben. wurde im Spätherbst oder frühen Winter des Jahres 2704 v. Chr. geschlagen. Spätestens um 2600 v. Chr. brechen die Folgendes Szenario ist deshalb denkbar: Das Dendrodaten am Bielersee ab. Ob die Dorf ging irgendwann zwischen Sommer Strandplatten von Sutz und Vinelz tatsäch- und Herbst, jedenfalls nach dem Einbringen lich so früh wieder aufgegeben werden Abb. 9: Die Dörfer der Station Sutz- der Getreideernte, in Flammen auf. Vor dem mussten oder ob ab dem 25. Jahrhundert Lattrigen - Rütte beginnen nach drohenden Winter brauchte man wieder einfach andere Holzarten verbaut wurden, 2779 v. Chr. (Palisaden). Die inner- halb der Grabungsfläche gefassten ein Dach über dem Kopf. Dazu mussten im bleibt zur Zeit unklar. Nach 2450 v. Chr. bre- Häuser entstanden jedoch erst Herbst oder Frühwinter 2704 v. Chr. zahl- chen die dendrochronologischen Schlagda- ab 2726/25 v. Chr. Bis ins Jahr reiche Eichen gefällt und anschliessend die ten aber auch am Neuenburgersee allmäh- 2705 v. Chr. waren die Häuser ufer- parallel ausgerichtet. Nach dem neuen Häuser, mindestens elf an der Zahl, lich ab. Die Dörfer müssen für die nächsten Dorfbrand im Sommer oder Früh- errichtet werden: Wir stellen uns vor, dass Jahrhunderte, das heisst bis weit in die herbst 2704 v. Chr. wurden die neuen dabei auch Bewohner aus benachbarten Frühbronzezeit (2200 –1550 v. Chr.) hinein, Häuser um 90° gedreht. 2688 v. Chr. wurde ein einzelnes Haus vollständig Dörfern mithalfen und zudem die Opfer der definitiv im Hinterland der Jurafussseen ersetzt. Brandkatastrophe mit den nötigen Nahrungs- gesucht werden. 24 5000 Jahre. ABGETAUCHT Quellen zur Geschichte 5000 Jahre. ABGETAUCHT 25

Bedrohte Pfahlbauten

1

Die Ufersiedlungen des Bielersees zählen zu den bedeutendsten prä- historischen Fundstellen der Schweiz und Europas. Seit 150 Jahren werden sie durch Plünderungen, Ausbaggerungen und Erosion zer- stört. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre zeigen, dass die «Pfahl- bauten» ohne künstliche Schutzmassnahmen die nächsten Jahrzehnte nicht überleben werden.

2

«Pfahlbauten» – ein Fall für die UNESCO? Nach und nach werden Baustrukturen und Die Ufersiedlungen des Bielersees sind Fundobjekte der Uferdörfer am Seegrund eine der wichtigsten Quellen zur frühen freigelegt und aufgerieben. Es ist nur noch Geschichte der Menschheit. Zusammen eine Frage der Zeit, bis diese wertvollen mit den Fundstellen an anderen Seen des Zeugen unserer Vergangenheit vollständig Alpenvorlandes zählen sie aufgrund der verschwunden sind. besonderen Erhaltungsbedingungen zu den bedeutendsten prähistorischen Fundstellen Das im Jahr 2001 in Kraft getretene Denk- Abb. 1: Anlässlich des Seespiegel- tiefstandes von 1874 ragen die Pfähle Europas. In ihrem wissenschaftlichen Wert malpflegegesetz des Kantons Bern legt fest, auch in der Bucht von Mörigen weit sind sie archäologischen Denkmälern wie dass archäologische Fundstellen grundsätz- aus der trocken liegenden Stand- dem Steinkreis von Stonehenge oder den lich vor ihrer Zerstörung geschützt werden platte. Heute sind die wieder überflu- teten Pfahlfelder und Kulturschichten Höhlenmalereien von Lascaux durchaus sollen. Ist dies aus wichtigen Gründen nicht jedoch auch am Seegrund durch die ebenbürtig. Letztere sind seit langem als möglich, schreibt das Gesetz die vorherige Erosion akut bedroht. In wenigen UNESCO-Welterbe anerkannt – die «Pfahl- wissenschaftliche Untersuchung und Doku- Jahrzehnten werden sie weggespült bauten» hätten es ebenfalls verdient. mentation vor. Die stetige Erosion in der sein. Deshalb gilt es, in den nächsten Jahren zu retten, was noch zu retten Flachwasserzone des Bielersees bedingt ist. Problem Juragewässerkorrektion deshalb, ebenso wie jedes Bauvorhaben, Abb. 2: Wellen und Gischt sind Seit der deutlichen Tieferlegung des See- dass die kulturhistorischen Reste am Zeichen der enormen Erosionskräfte, spiegels anlässlich der 1. Juragewässerkor- Seegrund geschützt oder – falls dies nicht die bei Westwindstürmen auf die Siedlungsreste – hier bei der Station rektion (1868–74) nagt die Kraft der Wel- möglich ist – zumindest wissenschaftlich Sutz-Lattrigen - Rütte – einwirken. len an den prähistorischen Fundschichten. dokumentiert werden. 24 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Quellen zur Geschichte 25

Problem Erosion Der Archäologische Dienst des Kantons Bern verfolgt deshalb eine Doppelstrategie: – Erodierte und bereits weitgehend ge- schädigte Pfahlfelder werden, noch bevor sie endgültig verschwunden sind, grossflächig dokumentiert, die Funde aufgesammelt und die Bauhölzer be- probt und analysiert. – Noch gut erhaltene Siedlungsteile wer- 3 den nicht ausgegraben, sondern mit geeigneten Massnahmen geschützt. Abb. 3– 6: Erosionsschutzmass- nahmen in Sutz-Lattrigen. Mit Hilfe Die beschränkten finanziellen Ressour- des eigens für die Schutzmass- cen können so für die unumgänglichen nahmen entwickelten Katamarans Rettungsgrabungen eingesetzt werden. können schwere Geotextilmatten am Gleichzeitig werden Forschungsreserven Seegrund verlegt werden. Über den 4 Geotextilmatten wird anschliessend für die Zukunft geschaffen. eine dünne Kiesschicht ausgebracht. Dazu kann der Boden des mit Kies ge- füllten Katamarans wie eine Jalousie Am besten bewährt sich die Abdeckung geöffnet werden. Das System hat sich des Seegrundes mit einem Geotextil und gut bewährt und der ADB könnte ver- die anschliessende Überschüttung mit einer gleichbare Schutzmassnahmen auch in anderen Gewässern des schweize- dünnen Kiesauflage. Letztere stabilisiert rischen Mittellandes durchführen. und schützt vor zerstörendem UV-Licht. Der Archäologische Dienst des Kantons Bern besitzt ein speziell konzipiertes Schiff, mit dem die Schutzmassnahmen professionell und kostengünstig zu realisieren sind. Sie sollen mindestens 50 –100 Jahre halten.

Schutz des kulturellen Erbes unter Wasser 5 1996 wird die ICOMOS-Konvention zum 6 Schutz des Kulturellen Erbes unter Wasser beschlossen (Charta von Sofia). Im gleichen Jahr ratifiziert die Schweiz das 1992 abge- schlossene Europäische Übereinkommen zum Schutz des archäologischen Erbes ICOMOS, International Council (Malta-Abkommen), das die Rahmenbedin- on Monuments and Sites: www.icomos.ch und gungen für den Umgang mit archäologischen www.icomos.org Fundstellen festsetzt. Im November 2001 UNESCO, Organisation der UNO für Bildung, Wissenschaft beschliesst die UNESCO in Paris eine Kon- und Kultur mit Sitz in Paris, vention zum Schutz des archäologischen Liste des Weltkulturerbes: www.unesco.org Erbes unter Wasser. Damit unterstreicht Denkmalpflegegesetz des Kantons auch die Kulturorganisation der UNO die Be- Bern: deutung, die den Fundstellen unter Wasser www.erz.be.ch/archaeologie/ Grundlagen zukommt. 26 5000 Jahre. ABGETAUCHT Die «neolithische Revolution» 5000 Jahre. ABGETAUCHT 27

Wildbeuter werden Bauern

Der Beginn von Ackerbau und Viehhaltung liegt etwa 10'000 Jahre zurück. Im Vorderen Orient werden die ersten Wildgräser kultiviert und Wildtiere domestiziert. Die «neolithische Revolution» erreicht die Schweiz auf verschiedenen Wegen und relativ spät.

Ex oriente lux – Die sesshaften Bevölkerungen errichten Die Ursprünge von Ackerbau und Viehhal- dauerhafte Häuser. tung liegen auf der Zeitachse ungefähr – Für den Bau brauchen sie Werkzeuge 4000 Jahre weiter zurück als die ersten zum Fällen von Bäumen und zur Holz- Bauerndörfer auf der Strandplatte des Bieler- bearbeitung. sees. Der Anbau von Weizen und Gerste – Von den angebauten Pflanzen eignet sich 1 und die Domestikation von Schaf, Ziege, das Getreide gut zur Vorratshaltung. Schwein und Rind beginnt im Nahen Osten. – Der Fleischbedarf kann aus dem «leben- Das halbmondförmige Gebiet zwischen den Vorrat» gedeckt werden. Abb. 1: Weibliches Fruchtbarkeits- Palästina und dem Zweistromland (Euphrat – Die Ernährung ist weniger von saisona- Idol aus Ton von Nea Nikomedeia, Griechenland, 6500–5800 v. Chr. und Tigris) erhielt deshalb die Bezeichnung len Schwankungen und momentanem Höhe 18 cm. «fruchtbarer Halbmond». Jagdglück abhängig. – Nebst dem althergebrachten Braten ent- Aus dem fruchtbaren Halbmond stehen neue Formen der Speisezuberei- Auf verschiedenen Wegen gelangte die Idee, tung: Der Kochtopf aus Keramik ermög- Pflanzen anzubauen und Tiere zu halten vor licht das Kochen von Fleisch, Brei und rund 8000 Jahren bis nach Mitteleuropa. Suppen, der Eintopf und die Urform der Die neue Methode brachte entschiedene Bündner Gerstensuppe sind geboren. Vorteile gegenüber der seit nahezu 5 Mil- lionen Jahren praktizierten Jagd- und Sam- Neben dem Wohlstand bringt das «moderne melwirtschaft. Leben» aber auch neue Probleme mit sich: V. G. Childe: The Dawn of European Civilisation. London 1925. Heute wissen wir, dass die sogenannte die Umweltzerstörung durch den Menschen K. Mazurié de Keroulain: Modèle «neolithische Revolution» mehrere Jahrtau- beginnt! de frontière, modèle de la vague d'avance: acculturation et sende in Anspruch nahm: colonisation lors de la première – Ackerbau und Viehhaltung führen zu Ausbreitung von Ackerbau und Viehzucht néolithisation européenne. ConstellaSion - Hommage Sesshaftigkeit, längerfristig besserer Die neue Lebensweise – Ackerbau und Vieh- à Alain Gallay. Cahiers Nahrungsversorgung und grösseren haltung – gelangt über verschiedene Wege d'archéologie romande 95. Lausanne 2003, p. 89–113. Populationen. nach Mitteleuropa. Dafür ist eine lange 26 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Die «neolithische Revolution» 27

6000–5000 v. Chr.

7000–6000 v. Chr.

6500–5500 v. Chr. 7500 v. Chr.

8000 v. Chr.

2

Zeit notwendig. Die Ausbreitung erfolgt Neuland erschlossen werden. Deshalb ver - einerseits durch die aktive Landnahme der strich ein relativ langer Zeitraum von rund bäuerlichen Gesellschaften (Expansion). Da- 4000 Jahren, bis die ersten Bauern ihre bei kommen die Neuankömmlinge mit tra - Häuser am Nordrand der Schweiz bauten. ditionell lebenden Wildbeutergesellschaften Die Ausbreitung von Ackerbau und Vieh- in Kontakt. Diese nehmen die neue Art haltung erfolgte vom Zweistromland über der Nahrungsmittelproduktion früher oder Anatolien, den Balkan und entlang der später auf und werden selbst zu Acker- Donau bis nach Mitteleuropa. Über den Abb. 2. Die neue Lebensweise bauern und Viehhaltern (Akkulturation). Seeweg des Mittelmeeres, das Rhonetal (Ackerbau und Viehhaltung) erreichte das Gebiet der Schweiz über zwei Die Expansion kann nur erfolgreich sein, und die norditalienische Poebene erreichte verschiedene Ausbreitungszweige. wenn ein ständiger Kontakt mit dem Her - etwa gleichzeitig ein anderer Ausbreitungs - Einerseits über den Balkan und Mit - kunftsort möglich ist. Deshalb können wir zweig von Südwesten her das Gebiet der teleuropa und andererseits über das Mittelmeer, das Rhonetal und über uns kaum vorstellen, dass eine Auswan - heutigen Schweiz. Über die detaillierten kul- die Alpen. Die Symbole markieren derergruppe eine neue Siedlung bedeu - turhistorischen Vorgänge bei der Neolithisie- das heutige Vork ommen von Wild - tend weiter als 20 km von ihrem Ursprung rung des schweizerischen Mittellandes sind weizen (Emmer, Eink orn) und -gerste beziehungsweise von Wildziegen entfernt anlegt. In 100 Jahren können so wir mangels aussagekräftiger Fundstellen oder -schafen. auf dem Landweg vielleicht etwa 100 km immer noch schlecht orientiert. 28 5000 Jahre. ABGETAUCHT Vollkorn – Lamm – Bier 5000 Jahre. ABGETAUCHT 29

Jeden Tag Getreidebrei

Die Menschen der prähistorischen Ufersiedlungen am Bielersee waren in erster Linie Bauern. Sie bestritten ihren Lebensunterhalt hauptsäch- a lich mit dem Anbau von Getreide und der Haltung von Tieren. Mit Jagen, Sammeln und Fischen brachten sie aber Abwechslung in die ansonsten wohl eher eintönige Kost.

Der grösste Teil der zum Leben wichtigen Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen Kalorien stammte aus dem Getreideanbau. wurden als Nutztiere gehalten. Trotzdem b Die Kost der ersten Bauern bestand haupt- kam Fleisch wohl vergleichsweise selten auf sächlich aus pflanzlichen Nahrungsmitteln. den Tisch. Der Anteil von Milch und Käse an der Deckung des täglichen Kalorienbedarfs Getreide und Hülsenfrüchte dürfte noch geringer gewesen sein. Schon im Neolithikum waren mehrere Weidewiesen im heutigen Sinne waren um Weizen- und Gerstensorten üblich. Saat- 4000 v. Chr. noch unbekannt. Die Nutztiere weizen – ein Hartweizen, wie er heute für wurden auf die Waldweide getrieben. Eine Spaghetti gebraucht wird – sowie Emmer offenere Landschaft entstand erst gegen und Einkorn wurden schon seit 4300 v. Chr. Ende des Neolithikums, das heisst im 3. vor- in der Schweiz angebaut. Gerste wurde zu christlichen Jahrtausend. Vorher musste das c Brei und Eintöpfen verarbeitet. Vermutlich Vieh im Winter mit getrocknetem Laub von verstand man es schon früh, aus Gerste Eschen, Hainbuchen und anderen Bäumen Bier zu brauen. Auch die Erbse ist schon im durch den Winter gefüttert werden. Der Neolithikum nachgewiesen. enorme Aufwand und der geringe Nährwert In der Bronzezeit, das heisst erst nach der Blätter limitierten die Herdengrösse. 2000 v. Chr., kamen Dinkel, eine weitere Weizenart, Hirse, Linsen und Bohnen zu Jagen, sammeln und fischen den Nutzpflanzen hinzu. Mit Pfeil und Bogen konnte der Speisezet- tel abwechslungsreicher gestaltet werden. Viehhaltung Hirsch, Reh und Wildschwein waren die 1 d Das erste Haustier des Menschen, der häufigste Jagdbeute, aber auch andere Hund, ist schon im Mesolithikum belegt. Er Wildtiere wie Bären und Biber wurden ge- diente ihm als Jagdbegleiter und als Wach- jagt. Feldhasen kamen erst in den offenen Abb. 1: Nachgewiesene Sammel- pflanzen: a Erdbeere, b Schlehe, hund. Insbesondere in Notzeiten wurde sein Landschaften am Ende des Neolithikums c Brombeere, d Hagebutte. Fleisch aber auch gegessen. häufiger vor. 28 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Vollkorn – Lamm – Bier 29

Getreide Ölfrüchte Hülsenfrüchte

a v. Chr.

Weizen Emmer Einkorn Dinkel Gerste Hirse Lein Mohn Erbse Linse Bohne 800

2000 2500

3000

b 3500

4000

4500

häufig geläufig vorhanden belegt 2 c 3

Die archäobotanischen Untersuchungen Krisenmanagement zeigen, dass ein Teil der Nahrung mit dem Modellberechnungen zeigen auf, dass etwa Sammeln von Beeren, Nüssen und Wild- die Hälfte des täglichen Kalorienbedarfs der früchten gewonnen wurde. Schwieriger neolithischen Bevölkerung mit Getreide und nachzuweisen sind essbare Wurzeln, Pilze Hülsenfrüchten gedeckt wurde. Das konnte und Blattgemüse, die als Gemüse oder in Jahren mit schlechten Ernteerträgen zu Salat auf den Tisch kamen. Auch Honig, Nahrungsmittelengpässen führen, die es Abb. 2: Getreidearten des Neolithi- Vogeleier oder Kleintiere wie Frösche waren anderweitig zu decken galt. kums: a Einkorn, b Dinkel, c Emmer. sicher geschätzte Delikatessen. Abb. 3: Häufigkeit verschiedener Kul- Verschiedene Fischfanggeräte zeigen, dass In den Bauerndörfern des frühen 4. vor- turpflanzen im Neolithikum: Getreide, den Fischen mit Netzen, Reusen, verschie- christlichen Jahrtausends stammt etwa Öl- und Hülsenfrüchte. Dinkel, Hirse, Linse und Bohne sind erst in der denartigen Angeln und Harpunen nachge- ein Drittel der gefundenen Tierknochen Bronzezeit belegt. stellt wurde. von Wildtieren. Gegen 3600 v. Chr. steigt 30 5000 Jahre. ABGETAUCHT Vollkorn – Lamm – Bier 5000 Jahre. ABGETAUCHT 31

4a

4c 4b

5a 5b

Abb. 4: Erntemesser: a Lüscherz - Äussere Dorfstation (28./27. Jahr- hundert v. Chr.), b Sutz-Lattrigen - Hauptstation-aussen (32./31. Jahr- hundert v. Chr.), c Port - Stüdeli (37. Jahrhundert v. Chr.). M. 1:2.

Abb. 5: Angekohlte Getreideähre bzw. -körner: a Gerste, b Weizen.

Abb. 6: Angekohltes Brötchen von Twann (Durchmesser 7 cm) und nachgebackenes Exemplar.

Abb. 7: Das Vieh, insbesondere die Rinder, mussten im Winter mit Laub gefüttert werden. Dazu wurden die Laubbäume wie hier im Lötschental geschneitelt. 6 7

J. Schibler et al.: Ökonomie und Ökologie neolithischer und ihr Anteil rasch auf die Hälfte an. Dieses Da die Winterfütterung der Haustierherde bronzezeitlicher Ufersiedlungen Phänomen ist in allen Seeufersiedlun- eine Schwachstelle der neolithischen Ver- am Zürichsee. Monographien der Kantonsarchäologie Zürich, gen der Schweiz zu beobachten. sorgungsstrategie darstellte, konnten die Band 20. Zürich/ Egg 1997. Die Klimaforschung zeigt, dass in diesem Nutztierbestände nicht unbeschränkt erhöht S. Jacomet et al.: Archäobotanik am Zürichsee. Ackerbau, Zeitraum mit einer markanten Klimaver- werden. Deshalb mussten die Ertragsaus- Sammelwirtschaft und schlechterung zu rechnen ist. Diese äus- fälle durch vermehrtes Jagen, Fischen und Umwelt von neolithischen und bronzezeitlichen serte sich etwa in einem deutlichen Vorstoss Sammeln ausgeglichen werden. In der zwei- Seeufersiedlungen im Raum der Gletscher. Der erhöhte C14-Gehalt in ten Hälfte des 4. Jahrtausends v. Chr. konnte Zürich. Berichte der Zürcher Denkmalpflege, Monographien, organischem Material lässt auf eine er- mit der Haltung von alles fressenden und Band 7. Zürich1989. höhte Aktivität der Sonnenflecken schlies- sich schnell vermehrenden Schweinen der Landschaft, Ackerbau und Viehzucht im Neolithikum am Bielersee. sen. Vermutlich sorgten kühle Sommer mit Anteil der Haustiere im Nahrungsspektrum Archäologie der Schweiz 22/1, reichlich Niederschlag über mehrere Jahre erhöht werden. Vermutlich waren die robus- 1999, S. 13–17. oder Jahrzehnte hinweg für schlechte bis ten Schweine bei feuchtem Klima weniger Pro Specie Rara: www.psrara.org katastrophale Ernten. anfällig für Krankheiten als Rinder. 30 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Vollkorn – Lamm – Bier 31

9a 9c

9b 9d

8

10 Viehhaltung Jagd

v. Chr. Rind Schaf/Ziege Schwein 0% 100% 2500

Abb. 8: Ungarischer Hirtenhund. Aufgrund der Knochenfunde müssen 2750 wir uns den neolithischen Haushund etwa so vorstellen.

Abb. 9: Rekonstruktionszeichnungen neolithischer Haustiere: 3000 a Hausschwein, b Hausrind, c Schaf, d Wollschaf. Die Haustiere waren bedeutend kleiner als ihre Urformen. 3250 Abb. 10: Die Knochenabfälle geben Einblick in den Speisezettel. Mit Ausnahme der Krisenernten des 37./36. Jahrhunderts v. Chr. – als die Jagd verstärkt wurde – wurde 3500 der Fleischbedarf zu 60–90% aus den domestizierten Nutztierherden gedeckt. Der Anteil der Rinder, Schafe und Ziegen sowie Schweine variiert 3750 im Laufe der Zeit und von Seeregion zu Seeregion. Er ist abhängig von der unmittelbaren Umgebung der Sied- lung (steile Hänge am Nordufer, Auen 4000 am Seeausfluss und sanfthügeliges Hinterland am Südufer). 1 Tiersymbol = 10% der Nutztiere 32 5000 Jahre. ABGETAUCHT Vollkorn – Lamm – Bier 5000 Jahre. ABGETAUCHT 33

12

11

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Abb. 11: Pfeilfragmente mit Knochen- spitzen aus der Siedlung Lüscherz - Binggeli (32. Jahrhundert v. Chr.). Die Knochenspitzen sind mit Birkenteer- pech und Schnur auf dem hölzernen Schaft (Schneeball) fixiert. M. 2:3.

Abb. 12: Silexpfeilspitzen von Vinelz - Hafen und Sutz-Lattrigen - Rütte (28./27. Jahrhundert v. Chr.). M. 2:3.

Abb. 13: Dreieckige Knochen- pfeilspitzen von Twann und Sutz- Lattrigen - Hauptstation-innen (38.– 36. Jahrhundert v. Chr.). M. 2:3.

Abb. 14: Die im Becken eines Hirschs steckende Pfeilspitze belegt die Durchschlagskraft von Pfeilen mit einer Bewehrung aus zugespitzen Röhrenknochen (sog. Doppelspitzen). 14 Sutz-Lattrigen - Hauptstation-aussen, 32. Jahrhundert v. Chr.). M. 2:3. 32 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Vollkorn – Lamm – Bier 33

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Abb. 15: Diese Harpune von Sutz- Lattrigen - Kleine Station wurde zum Fischfang benutzt. M. 2:3.

Abb. 16: Die Netzschwimmer sind oft aus Pappelrinde gefertigt und weisen unterschiedliche Formen auf. Sie hielten die Oberkante des Netzes an der Seeoberfläche. M. 2:3.

Abb. 17: Das grosse Netzfragment von Sutz-Lattrigen - Rütte stammt aus den Ruinen des Dorfbrandes im Jahr 2704 v. Chr. Seine Maschenweite ist ideal für den Fang von Eglis. Breite 56 cm.

Abb. 18: Vermutlich wurden die Geweihnadeln mit seitlicher Öse, die sogenannten «Lüscherzernadeln», für die Anfertigung und Reparatur von Netzen verwendet. Vinelz - Hafen, 28. Jahrhundert v. Chr. M. 2:3.

Abb. 19: Flache Kiesel mit seitlichen Kerben dienten als Netzsenker. Diese sorgten dafür, dass das Netz gut im Wasser hing. M. 2:3. 19 34 5000 Jahre. ABGETAUCHT Vom Herd zum Mund 5000 Jahre. ABGETAUCHT 35

Töpfe – Schöpfer – Schalen

Keramikscherben sind die häufigsten archäologischen Funde aus den neolithischen Ufersiedlungen. Nur selten werden aber vollständige Gefässe gefunden, in der Regel müssen sie aufwändig restauriert werden. Es handelt sich oft um Kochtöpfe, seltener Schalen, Schüsseln und Flaschen. Zur Speisezubereitung und zum Geschirr gehörten aber auch Schöpfer und Schalen aus Holz und Rindengefässe. Derart fragile Behälter Abb. 1: Experimentelle Archäologie: konnten nur im immer feuchten Milieu der Ufersiedlungen «über- Neolithische und bronzezeitliche Keramik wurde in Gruben gebrannt. leben». Vermutlich war ursprünglich ein grosser Teil des Essgeschirrs Die Abbildung zeigt den Beginn und der Trinkgefässe aus Holz gefertigt. des Brandvorgangs nachgeformter Keramik.

1 Die Verwendung von schweren und vor allem zerbrechlichen Keramikgefässen zum Kochen wurde erst mit der Sesshaftigkeit der Bauern möglich.

Formen und Brennen Im Neolithikum und in der Bronzezeit wur- den die Gefässe ohne Töpferscheibe frei von Hand geformt und in Gruben gebrannt. Dafür war eine Temperatur von 550 –800 °C nötig. Je nach Brennverhältnissen erhielt die Keramik eine beige bis graue Farbe.

Keramikstile und Entwicklungen Obwohl primär der Bestimmungszweck des Gefässes massgebend für seine Form ist, können Kochtöpfe, Schalen oder Trinkbecher verschieden gestaltet und verziert werden. Deshalb ändern sich die typischen Gefäss- formen und -verzierungen von Gebiet zu Gebiet und innerhalb einer Region auch im 34 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Vom Herd zum Mund 35

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Abb. 2: Schöpfer aus Holz von Twann (vor 3600 v. Chr). Länge 23 cm. Laufe der Zeit. Archäologen fassen ähnliche 3850–3750 v. Chr. – mittleres Cortaillod Abb. 3: Holzschüssel von Vinelz - Keramikkomplexe zu einem Keramikstil Die ältesten Gefässe aus den Ufersiedlun- Hafen (28. Jahrhundert v. Chr.) Durch- zusammen. Namengebend sind jeweils gen der Jurafussseen sind den gleichzei- messer etwa 13 cm. Fundstellen aus der Region. Diese bezeich- tigen Keramikkomplexen Südostfrankreichs Abb. 4: Keramikset aus den frühen nen aber keine Völker, sondern dienen einzig und Oberitaliens ähnlich. Sie sind ein Indiz Cortaillod-Schichten von Twann (39./38. Jahrhundert v. Chr.). einer zeitlichen und regionalen Ordnung der dafür, dass das westliche und zentrale Höhe der Flasche 39 cm. Fundgegenstände. schweizerische Mittelland von Südwesten Abb. 5: Flachbodiges Becken aus her neolithisiert wurde. Typisch waren Koch- Port -Stüdeli (um 3700 v. Chr.). Ähn- Am Bielersee kann die schrittweise Kera- töpfe mit rundem oder abgeflachtem Boden liche Gefässe kennen wir aus Twann und aus dem Wallis (St. Léonard). mikentwicklung über nahezu 1500 Jahre und Knubbenverzierung, flache Schalen mit Höhe 22 cm. verfolgt werden. Ösen und Knickwandschüsseln. 36 5000 Jahre. ABGETAUCHT Vom Herd zum Mund 5000 Jahre. ABGETAUCHT 37

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3750–3550 v. Chr. – späteres Cortaillod 3420–3380 v. Chr. – frühes Lattrigen

Abb. 6: Keramikensembles vom Im Laufe des zweiten Viertels des 4. vor- Diese Entwicklung setzte sich fort. Es gab Bielersee. M. 1:10. christlichen Jahrtausends nahm die Formen- jetzt nur noch grosse Koch- und Vorrats- a Twann (39./ 38. Jh. v. Chr.) vielfalt deutlich ab. Nach etwa 3600 v. Chr. töpfe und kleine Becher. Sie wiesen einen b Twann (36. Jh. v. Chr.) c Nidau - BKW, Schicht 5 und Sutz- überwogen die Kochtöpfe mit vorwiegend flachen Standboden auf. Flachböden, stei- Lattrigen - Riedstation (um 3400 v. Chr.) abgeflachtem Boden. Schalen, Flaschen und lere Wände und die allmähliche Übernahme d Twann (32./31. Jh. v. Chr.) andere Formen wurden immer seltener. Im von Verzierungselementen wie Lochreihen e Vinelz - Hafen (28. Jh. v. Chr.) f Vinelz - Nordweststation Laufe der Zeit nahm die Wanddicke der weisen auf verstärkte Beziehungen zu den (27. Jh. v. Chr.). Kochtöpfe zu. östlichen Nachbarn hin. 36 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Vom Herd zum Mund 37

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3200–3000 v. Chr. – spätes Lattrigen schirr verwendet. Grosse Holzschalen und I. Bauer, S. Bollinger und J. Weiss: Der Stilwandel in der Keramik setzte sich Schöpfer wurden meist aus Maserknollen des Experimentelle Archäologie: Die Herstellung von spät- weiter fort. Jetzt gab es nur noch tonnen- Ahorns gefertigt, Rindengefässe aus einzel- bronzezeitlicher Keramik. Tugium 10, 1994, S. 129–140. förmige Vorrats- und Kochtöpfe. Versuche nen Birkenrindenbahnen zusammengenäht. J. Weiss: Erfahrungen beim zeigen, dass die grobe Gesteinsmagerung Herstellen und Brennen von dieser dickwandigen Keramik die Wärme 2900–2725 v. Chr. – Lüscherz prähistorischen Keramikkopien. Jahrbuch der Schweizerischen besser leitet und das Kochgut somit schneller Nach etwa 3000 v. Chr. nahmen die östlichen Gesellschaft für Ur- und gar wird. Andere Gefässformen verschwan- Einflüsse in der Keramikgestaltung wieder Frühgeschichte 77, 1994, S. 115 –122. den. Offenbar wurde jetzt vermehrt Holzge- ab. Es kam zu einer Renaissance westlicher 38 5000 Jahre. ABGETAUCHT Vom Herd zum Mund 5000 Jahre. ABGETAUCHT 39

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Traditionen. Die Töpfe erhielten immer häufi- Bierkult in der Steinzeit? ger wieder einen runden Boden und auch die Gegen 2400 v. Chr. brachen die Dörfer an Verzierung mit Grifflappen und umlaufenden den Seeufern des Mittellandes ab. Die Becher Leisten haben sie mit den benachbarten Re- aus den abseits der Ufer gelegenen Sied- gionen Ostfrankreichs gemein. lungen waren nun mit einem Fischgräten- muster verziert. Aufgrund ihrer Form werden 2725–2600 v. Chr. – Auvernier/Schnurkeramik sie als Glockenbecher bezeichnet. Kurz vor 2700 v. Chr. trat ein vollständig Die schnurverzierten Becher und die Glo- 8 neues Phänomen auf. Das auffälligste Merk- ckenbecher des Endneolithikums unter- Abb. 7: Keramikensemble aus den mal des neuen Keramikstils waren die mit schieden sich vom übrigen Koch- und Ess- Dörfern um 3400 v. Chr. (Nidau - BKW, Schicht 5 und Sutz-Lattrigen - Schnureindrücken verzierten Becher sowie geschirr – sie waren etwas Neues. Zudem Riedstation). Höhe des grössten die bauchigen Töpfe mit Wellenleistenver- kamen sie in ganz Mitteleuropa und darüber Topfes 45 cm. zierung. Im Gegensatz zur Zentral- und Ost- hinaus vor. Häufig stammen diese Becher Abb. 8: Steilwandige Kochtöpfe von schweiz wurden die neuen Keramikformen aus genormten Gräbern mit Hockerbestat- Sutz-Lattrigen - Hauptstation-aussen (32./ 31. Jahrhundert v. Chr.). und -verzierungen an den Jurafussseen nur tungen, die je nach Geschlecht unterschied- Höhe des grossen Gefässes 36 cm. langsam aufgenommen. lich orientiert sind. 38 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Vom Herd zum Mund 39

Abb. 9: Spät- und endneolithische Gefässe von Vinelz - Strandboden (Hafen und Nordweststation). Höhe grosser Topf 37 cm.

Abb. 10: Restaurierter Glocken- becher von Sutz-Lattrigen - Rütte. Höhe 15 cm.

9 Gersten-Linseneintopf mit Speck

2 Tassen gequetschte Gerste, 10 Tassen Wasser, 1 grosses Stück Speck, 1⁄2 Tasse Linsen, 3–4 Handvoll Bärlauch, Gänsefuss, Brennnesseln o. ä., Salz nach Belieben Den Speck in kleine Würfel schnei- den und mit der Gerste in einem 10 Topf aufkochen. Die Linsen zugeben. Angelsächsische Archäologen vermuten Auf kleiner Flamme mindestens als erste, dass nicht der Becher selbst, zwei Stunden köcheln lassen. 10 –15 Minuten vor dem Essen die gesam- sondern sein alkoholischer Inhalt – vermut- melten Gemüse ebenfalls zugeben. lich Bier – von besonderer Bedeutung war. Je nachdem, wie viel Wasser beige- Die Hypothese, dass die endneolithischen geben und wie lange gekocht wird, entsteht am Ende ein Brei oder eine Becher mit kultischen Handlungen in Verbin- Suppe. Werden Gerste und Linsen dung standen, macht Sinn. Man denke etwa eingeweicht, ist der Eintopf schneller an die Trankopfer der Griechen, Römer und gar, verliert aber an Schmackhaftig- keit. Germanen oder an das christliche Abend- Rezept aus : mahl. Zusammen mit den neuen Bestat- I. Bauer/ S. Karg/ R. Steinhauser: Kuli- tungsriten und ihrer weiten Verbreitung narische Reise in die Vergangenheit. Ein Kochbuch mit Rezepten von der könnten die verzierten Schnur- und Glocken- Steinzeit bis ins Mittelalter. Zug 1995. becher Indiz für eine neue «Religion» sein. 40 5000 Jahre. ABGETAUCHT Beile und Äxte 5000 Jahre. ABGETAUCHT 41

Bäume fällen – Häuser bauen

Steinbeile gelten als das typische Werkzeug der Jungsteinzeit. Beile und Dechseln dienten nicht nur zum Fällen und Bearbeiten der Bau- hölzer, sondern auch zum Roden der Wälder für Ackerflächen. Äxte mit durchbohrten Steinklingen waren wohl eher Statussymbole als funktionstüchtige Werkzeuge oder Waffen. Dank Funden von Holmen, Geweihfassungen und Klingen kann die komplexe Entwicklung der Beile und Äxte und damit ein Stück Technologiegeschichte rekonstruiert werden.

Ein Beil bestand aus mindestens zwei aber auch elastischem Hirschgeweih dämp- Teilen: Der Holm wurde in der Regel aus fte den Rückschlag und sorgte so für eine zähem Eschenholz, die Klinge meist aus längere Lebensdauer des Beils. Diese Inno- Stein, seltener aus Knochen oder Silex ge- vation führte zu einer geringeren Bruchgefahr fertigt. Die Steinklingen wurden aufwändig und zu kleineren und leichteren Steinklingen. auf Schleifsteinen geschliffen und poliert. Auch wenn nun zusätzlich eine Fassung ge- Bevorzugt wurden dafür harte Grün- und schnitzt werden musste, verringerte die Schwarzgesteine verwendet. neue Technologie den Arbeitsaufwand für die Die Wirkung von Steinbeilen ist gut – auch Herstellung und Reparatur der Arbeitsbeile. im Vergleich mit einer heutigen Stahlaxt: Ein Im Laufe der Zeit wurden verschiedene 1 bis zu 25 cm dicker Stamm kann von einer Typen von Beilen und Klingen entwickelt. Abb. 1: Experimentelle Archäologie: Arbeiten mit dem Steinbeil. geübten Person fast so schnell wie mit der Es entstanden regelrechte Werkzeugsätze. modernen Axt gefällt werden. Neben Beilen wurden auch Dechseln mit quergeschäfteter Klinge verwendet. Vorsprung durch Technik Erstaunlicherweise benutzten die Siedler Beim Arbeiten mit der Steinaxt bestand die an den Jurafussseen beziehungsweise am P. J. Suter: Holme, Hirschgeweih- fassungen und Steinbeilklingen. Gefahr, dass die harte Beilklinge durch den Zürich- und Bodensee lange Zeit unter- Jahrbuch der schweizerischen Gesellschaft für Ur- und Rückschlag in den weicheren Eschenholm schiedliche Beiltechnologien. Erst im 3. Jahr- Frühgeschichte 76, 1993, eindrang und diesen aufspaltete. Um diesem tausend setzten sich die Beile mit Zwischen- S. 27– 44. Phänomen zu begegnen, wurde ab etwa futter auch in der Ostschweiz durch und etwa P. Pétrequin et Ch. Jeunesse: La hache de pierre. Carrières 3750 v. Chr. eine Art «Dämpfer» erfunden. gleichzeitig übernahmen die Westschweizer vosgiennes et échanges de lame Die zwischen Beilklinge und Holm einge- für ihre Dechseln die bereits seit 500 Jahren polies pendant le Néolithique (5400–2100 av. J.-C.). Paris 1995. schobene Hirschgeweihfassung aus zähem, erprobten Knieholme mit Klemmschäftung. 40 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Beile und Äxte 41

Abb. 2: Zwei Fälläxte von Twann. Beim linken Exemplar ist die Stein- klinge direkt in den Eschenholm eingelassen; rechts steckte die (feh- lende) Beilklinge in einem Zwischen- futter, welches mithalf, den Rück- schlag zu dämpfen. Länge 70 cm.

Abb. 3: Zwischenfutter (Typ B) mit eingesteckter Klinge (alle Vinelz - Hafen). M. 1:3.

Abb. 4: Dechselholm von Vinelz - 2 Hafen. Auf dem abgewinkelten Teil des Knieholms steckte eine Tüllen- fassung (Typ C, Lüscherz - Binggeli, Sutz-Lattrigen - Hauptstation-aussen, Vinelz - Hafen). Die darin eingelas- sene kleine Klinge stand quer zur Holmachse und diente zu feineren Holzarbeiten. M. 1:3.

Abb. 5: Dechselholm von Lüscherz - 3 Äussere Dorfstation. Im 3. Jahrtau- send v. Chr. übernahm die West- schweiz einen neuen Dechseltyp. Die Klinge steckte nun in einer Klemm- fassung (Tyb E, beide Vinelz - Nord- weststation), die ihrerseits zwischen die beiden abgewinkelten Schienen des Knieholms geklemmt und fixiert war. M. 1:3.

4 5 42 5000 Jahre. ABGETAUCHT Beile und Äxte

Steinzeitluxus / Statussymbole Neben den Arbeitsbeilen finden sich in den Siedlungsresten gelegentlich auch Lochäxte. Ihre im Durchmesser etwa 2 cm messende Durchbohrung wurde mit grossem Aufwand mittels eines hohlen Holunderstabs, Sand und Wasser angefertigt. Oft machen diese Äxte nicht den Eindruck, dass sie besonders funktionstüchtig waren und zahlreiche bei 6 der Durchbohrung gebrochene Fragmente bestätigen diese Annahme. Die aufwändige Herstellung und der geringe praktische Nutzen sprechen dafür, dass es sich um Statussymbole oder allenfalls um (Jagd-) Waffen handelte. Für die Holzbearbeitung waren sie jedenfalls zu fragil.

Kupferbeile – Vorboten der Bronzezeit Am Bielersee tauchten ab etwa 2750 v. Chr. Beilklingen aus Kupfer auf. Sie waren Vor- 7 boten der Bronzemetallurgie der Frühen Bronzezeit. Die Legierung von Kupfer mit 5 –10% Zinn ergibt ein hartes, gut schmied- bares Metall – mit dieser Entdeckung be- gann eine neue Epoche der menschlichen Entwicklung, die Bronzezeit.

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Abb. 6: Doppelaxt mit Eschenschaft von Lüscherz - Kleine Station (28. Jahrhundert v. Chr.). Länge der Klinge 17 cm.

Abb. 7: Einfache Lochaxt von Twann (36. Jahrhundert v. Chr.). Länge der Klinge 15 cm.

Abb. 8: Kupferbeil von Vinelz (vermutlich 27. Jh. v. Chr.). M. 1:2.

Abb. 9: Geweihäxte mit Schaft- resten von Lüscherz - Binggeli (links, 32. Jahrhundert v. Chr.) und Nidau - BKW, Schicht 5 (rechts, um 3400 v.Chr.). M. 1:2,5. 9 5000 Jahre. ABGETAUCHT Zähne – Muschelschalen – 43 Kupferperlen

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Schmuckanhänger oder Amulette?

Aus den Ufersiedlungen des Bielersees stammt eine Reihe von Objekten, die wir als Schmuckanhänger betrachten. Es handelt sich um durchbohrte Zähne und Knochen, Perlen und Plättchen aus Stein, die entweder auf der Kleidung befestigt oder an Schnüren um den Hals getragen wurden. Wir wissen aber nicht, ob sie ihren Träger nur schmückten oder ihre Besitzerin auch als Amulett beschützen sollten. Ab etwa 3200 v. Chr. kamen die ersten Schmuckgegenstände aus Kupfer auf.

1 Aufgrund von Grabfunden wissen wir, dass zoologische Untersuchungen der Speiseab- Perlen und Anhänger als Ketten um den Hals fälle bezeugen nämlich, dass im gleichen getragen wurden. In den Siedlungsabfällen Zeitraum besonders viele Hunde im Koch- Abb. 1: Rütchenkamm von Vinelz - der Pfahlbauten treffen wir aber meist nur topf landeten. Trug man diese Amulette zur Nordweststation (27. Jh. v. Chr.). M. 1:1. einzelne Teile solcher Schmuckgehänge an. Versöhnung mit dem ältesten Wegbegleiter des Menschen, der ihm seit Jahrtausenden Abb. 2: Anhänger aus Schweineeck- zahnlamellen von Sutz-Lattrigen - Amulette aus Hundeknochen als Jagdgehilfe und Wächter diente? Hauptstation-innen (38.–36. Jahr- Die durchbohrten Mittelfussknochen des hundert v. Chr.) und Vinelz - Nord- Hundes wurden wohl um den Hals getra- Schmuckanhänger aus Tierzähnen weststation (27. Jh. v.Chr.). M. 2:3. gen. Vermutlich ist es kein Zufall, dass solche Schon die Bewohner der ältesten Ufersied- Abb. 3: Bärenzahnanhänger von Sutz-Lattrigen - Hauptstation-aussen Anhänger in der Krisenzeit des 36. vorchrist- lungen des Bielersees schmückten sich (32./ 31. Jahrhundert v. Chr.). M. 2:3. lichen Jahrhunderts häufiger waren. Archäo- mit Anhängern aus Tierzähnen. Besonders 44 5000 Jahre. ABGETAUCHT Zähne – Muschelschalen – 5000 Jahre. ABGETAUCHT 45 Kupferperlen

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beliebt waren aufgespaltene Eckzähne von Abb. 4: Anhänger von Vinelz - Wild- und Hausschweinen. Aber auch die Nordweststation aus dem Unter- Eckzähne von Hunden, Wölfen und Füchsen kiefer einer Wildkatze (27. Jahr- hundert v. Chr.). M. 2:3. wurden zu Anhängern verarbeitet. Später, ab

Abb. 5: Anhänger aus Hunde-Meta- etwa 3500 v. Chr., kamen vermehrt durch- podien (Mittelfussknochen) aus bohrte Bärenzähne in Mode. Twann. (37./36. Jh. v. Chr.). M. 2:3. Abb. 6: Anhänger aus Eckzähnen Symbole auf Geweihschmuck? verschiedener Tiere (Caniden) von Polierte Geweihanhänger weisen manchmal Sutz-Lattrigen - Hauptstation-aussen und Rütte (32.– 27. Jh. v.Chr.). M. 2:3. Verzierungen auf. Im Endneolithikum traten

Abb. 7: Anhänger aus Hirschgeweih auch Geweihknöpfe auf. Ob die mit Punkt- von Sutz-Lattrigen - Hauptstation- oder Ritzverzierungen versehenen Exem- innen (36. Jahrhundert v. Chr.). plare eine besondere Bedeutung hatten, Links aus Sprossenspitze, Mitte und rechts aus Stangenspänen. M. 2:3. werden wir wohl nie herausfinden.

Abb. 8: Endneolithische Geweih- nadeln von Sutz-Lattrigen - Rütte und Perlen und Colliers Vinelz - Nordweststation (vermutlich Bereits um 4000 v. Chr. wurden mit Silex- 27. Jahrhundert v. Chr.). M. 2:3. bohrern kleine Perlen aus Kalkstein gefer- Abb. 9: Kette aus Kalksteinperlen. tigt. Nach 3000 v. Chr. kamen diese wieder Die Perlen stammen alle von Vinelz - Hafen, wurden aber einzeln gefun- in Mode. Die jetzt neu auftretenden Flügel- den. M. 2:3. 7 perlen sind auch in Ostfrankreich häufig 44 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Zähne – Muschelschalen – 45 Kupferperlen

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belegt. Flache Steinanhänger aus grauen Schmuckobjekte aus Metall sind am Bieler- oder grünen Steinplättchen waren im aus- see aber erst ab etwa 3200 v. Chr. belegt. Abb. 10: Kupfernadel, Ahle und gehenden 4. und insbesondere im 3. Jahr- Aus der Hauptstation von Lattrigen stam- Ösenhalsband von Sutz-Lattrigen - Hauptstation-aussen (32./31. Jahr- tausend beliebt. men ein Ösenhalsband und die bisher hundert v. Chr.). M. 1:1. älteste bekannte Kupfernadel. Sie diente Abb. 11: Kupferperlen von Sutz- Kupferschmuck vermutlich dazu, einen weiten Umhang zu- Lattrigen - Rütte (28./27. Jh. v. Chr.). Der älteste Kupferfund vom Bodensee da- sammenzuhalten. M. 1:1. tiert um 3900 v. Chr. Ab etwa 3750 v. Chr. Aus den endneolithischen Stationen von Abb. 12: Anhänger aus flachen Stein- belegen Gusstiegel und Kupferfunde eine Sutz und Vinelz stammen – neben einigen plättchen von Vinelz - Hafen und Lüscherz - Äussere Dorfstation Frühphase der Metallurgie im schweizeri- Beil- und Dolchklingen – zahlreiche Kupfer- (28./27. Jahrhundert v. Chr.). M. 2:3. schen Mittelland. perlen. 46 5000 Jahre. ABGETAUCHT Spinnen und Weben 5000 Jahre. ABGETAUCHT 47

Kleider machen Leute

Textilien aus Bast und Leinen konnten nur im nassen Milieu der Ufer- siedlungen unter Abschluss von Luftsauerstoff mehrere tausend Jahre überleben. Sie zählen deshalb zu den «Highlights» der Unterwasser- archäologie. Hechelzähne aus Rippen, Spinnwirtel und Fadenspulen, Webgewichte und Stoffreste geben uns Auskunft über die Herstellung von Kleidung und anderen Utensilien.

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Zur Herstellung von Textilien dienten im Neo- aus gebranntem Ton oder flachen Kieseln lithikum Lein und Baumbaste (Eichen- und die Tätigkeit des Spinnens. In nur wenigen Abb. 1: Fragment eines Hechelkamms Linden-, seltener Weidenbast). Schafwolle Fällen wurden Spinnwirtel aus der Basis aus Rippenspitzen. Schnurreste und Filz aus Tierhaaren blieben leider – wie von Hirschgeweihen (Rose) hergestellt. Ge- zeugen von der ursprünglichen Umwicklung mit Bastschnur. Nidau - Horn und menschliche Haare oder Nägel – in legentlich werden auch ganze Fadenspulen BKW, Schicht 5 (um 3400 v. Chr.). den basischen Ufersedimenten in der Regel gefunden. Länge 22 cm. nicht erhalten. Weben Hechelkamm Aus unterschiedlich dicken Fäden wurden Bevor die pflanzlichen Fasern gesponnen verschiedene Stoffe gefertigt. An Textilres- werden konnten, mussten sie aufbereitet ten können verschiedene Web- und Flecht- werden. Dazu wurden die Fasern meist techniken erkannt werden.

Textiluntersuchungen: zuerst geröstet, das heisst gewässert, und Vermutlich entstanden auf den Gewichts- www.archeotex.ch dann gebrochen oder geklopft. Anschlies- webstühlen nicht nur feine Gewebe aus Museum zur Gletschermumie vom send wurden die holzigen Teile der Fasern Lein, sondern auch Kettenstoffe aus Eichen- Hauslabjoch (Ötzi): www.archaeologiemuseum.it durch Hecheln entfernt. Hechelzähne aus oder Lindenbast. Bei letzteren verbanden Textilmuseum Abbegg-Stiftung in Rippen von Rindern oder Hirschen zählen zu die Eintragsfäden in Zwirnbindung die Kett- Riggisberg: www.abegg-stiftung.ch den häufigen Funden in Ufersiedlungen. Be- fäden nur in Abständen von einigen Zenti- «Brächete» (Flachsbearbeitung): deutend seltener sind ganze Hechelkämme metern. Das grosse Fragment eines Ketten- jährliches Volksfest mit Vor- aus mehreren zusammengebundenen Rip- stoffs aus Lüscherz stammt vermutlich von führungen alter Flachsbear- beitungstechniken in Zäziwil: pen zu finden. einem Umhang. www.zaeziwil.ch/braechete/ braechete.html Neben Stoff- und Gewebefragmenten sind Der Comic «Le soleil des morts» Spinnwirtel und Fadenspulen auch die tönernen Webgewichte eindeutige von A. Houot behandelt die Bastfasern, Lein und Wolle wurden mit Belege für die Textilverarbeitung. Sie wiegen endneolithische Epoche im Wallis. Zeichner und Archäologe Hilfe einer Spindel zum Faden gesponnen. 400–1200 g und dienten dazu, die senkrech- (A. Gallay) stellen hier auch ihre Während der Holzstab meist nicht mehr er- ten Kettfäden des Webstuhls zu spannen. Vorstellungen zur damaligen Bekleidung dar. halten ist, bezeugen zahlreiche Spinnwirtel Bei Dorfbränden wurden die aus getrockne- 46 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Spinnen und Weben 47

ten Tonklumpen bestehenden Webgewichte unabsichtlich gebrannt. Aus der Brandkata- strophe des Jahres 2704 v. Chr. im Dorf Sutz- Lattrigen Rütte liegen aus wenigen Quadrat- metern über 60 Tongewichte von zwei ver- schiedenen Webstühlen vor.

Kleider machen Leute Aus den Ufersiedlungen der Schweizer Seen kennen wir bisher keine vollständigen Klei- dungsstücke, sondern nur Fragmente. Ein- blicke in die Mode vor 5000 Jahren geben die vor wenigen Jahren im italienisch-öster- reichischen Grenzgebiet gefundene Glet- 2 scherleiche vom Hauslabjoch und die anthro- pomorphen Stelen aus der endneolithischen Abb. 2: Spindel mit Faden aus Leinen von Twann (36. Jahrhundert v. Chr.). Nekropole von Sion - Petit Chasseur: Fadendurchmesser 0,5 mm, − Der «Mann im Eis» war mit einem Länge 8,7 cm. Umhang und Leggins bekleidet. Sein Abb. 3: Spinnwirtel aus gebranntem Pelzhut gleicht in der Form den Basthü- Ton (oben), flachen Kieseln (Mitte) ten, die wir vom Bielersee her kennen. und Geweih (unten). Diverse Fund- orte. M. 1:2. − Endneolithische Knöpfe aus Geweih-

Abb. 4: Fragment eines geflochtenen oder Knochenplättchen passen genau Korbes (echtes Geflecht) aus Linden- in die Öse an einem Leinengewebe aus baststreifen von Sutz-Lattrigen - der Grabung Zürich - KanSan. Es gehört Hauptstation-aussen (32./31. Jahr- zu einem feinen Hemd, wie sie vermut- hundert v. Chr.). M. 1:2,5. lich auf den Steinstelen von Sion - Petit- 3 Chasseur dargestellt sind.

Körbe und Netze Neben Kleidungsstücken wurden auch wei- tere Gebrauchsgegenstände aus pflanzli- chen Fasern hergestellt: – Matten und Körbe aus Bast und Gräsern wurden oft von einem Zentrum aus ge- flochten (Spiralwulstgeflecht/Wulsthalb- geflecht). − Das Fischernetz aus dem Dorfbrand von Sutz-Lattrigen - Rütte (2704 v. Chr.) hat eine Maschenweite, die für den Fang von Eglis geeignet ist. − Ausserdem sind aus dem Neolithikum Matten, Taschen, Siebe und Sandalen aus Eichen- und Lindenbast sowie ver- 4 schiedenen Gräsern belegt. 48 5000 Jahre. ABGETAUCHT Spinnen und Weben 5000 Jahre. ABGETAUCHT 49

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Abb. 5: Diese Felsgravierung aus dem Valcamonica (I) stellt einen Gewichts- webstuhl dar (vertikaler Webstuhl, bei dem die Kettfäden mit Gewichten gespannt sind).

Abb. 6: Rekonstruktion der Kleidung von «Ötzi»: Er trägt einen wasser- abstossenden Pelzhut und einen Umhang aus einem Kettenstoff.

Abb. 7: Fragment eines neolithischen Hutes von Port - Stüdeli (37./36. Jahr- hundert v. Chr.) aus Bast. Auf der Aussenseite ist in die Zwirnbindung Flor eingeflochten. M. 1:4.

Abb. 8: Das Textilfragment von Lüscherz - Dorfstation, ein sogenann- ter Kettenstoff, stammt vermutlich von einem Umhang, wie ihn «Ötzi» trug. M. 1:5.

Abb. 9: Webgewichte eines Web- stuhls, der 2704 v. Chr. beim Brand des Dorfes Sutz-Lattrigen - Rütte verbrannte. M. etwa 1:5. 9 48 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Spinnen und Weben 49

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Abb. 10: Feines Gewebefragment eines Hemdes aus Leinen von Zürich - KanSan. Der grosse, mit Punkten verzierte Knopf aus Hirsch- geweih von Sutz (Altfund) passt fast in die am Zürcher Hemdfragment beobachtete Öse. M. 1:1

Abb. 11: Stele aus der endneolithi- schen/frühbronzezeitlichen Nekro- pole von Sion - Petit Chasseur. Die Oberflächenbearbeitung stellt neben einem Pfeilbogen auch gemusterte Kleider – eventuell feine Leinenge- webe – dar. Höhe der Stele 155 cm.

Abb. 12: Geweberolle in Leinwand- bindung mit erhaltener Seitenkante von Twann (36. Jahrhundert v. Chr.). Breite 7 cm. 12 50 5000 Jahre. ABGETAUCHT Aus nah und fern 5000 Jahre. ABGETAUCHT 51

Mobilität

Archäologische Funde belegen, dass die Menschen bereits vor 5000 Jahren über nähere und weitere Distanzen Güter transportierten. Einbäume waren das erste Transportmittel der Welt. Kurz nach 3000 v. Chr. traten auch in der Schweiz erstmals Räder auf. Der Verkehr begann zu rollen ...

Vom Baum zum Boot Rad und Wagen Vor der Erfindung von Strasse und Eisen- Kurz nach 3000 v. Chr. wurden auch in der bahn stellten die Seen und Flüsse die ein- Schweiz die ersten Wagen gebaut, die in der fachsten Verkehrswege dar. Abseits davon Regel von Rindern gezogen wurden. mussten Warentransporte mit Fuhrwerken Der 1991 bei der St. Petersinsel oder auf dem Rücken von Tier und Mensch In Vinelz, am Südwestende des Bielersees, gefundene, bronzezeitliche Einbaum aus dem Bielersee ist erfolgen. Einbäume – ausgehöhlte Baum- wurde 1986 eines der ältesten Räder ge- heute im Verkehrshaus Luzern stämme – waren das erste Verkehrsmittel funden. Sein Durchmesser beträgt knapp zu besichtigen. Er ist dort das mit Abstand älteste Objekt der Welt. Die ältesten dieser Boote aus 50 cm. Es besteht aus zwei Ahornbrettern, der Ausstellung zur «nicht motorisierten» Schifffahrt. Mitteleuropa sind rund 9000 Jahre alt und die durch zwei Einschubleisten aus Esche Weitere Einbäume sind in den damit noch mesolithisch. Am zentralschwei- zusammengehalten werden. Ein Rest der Museen von Yverdon, Hauterive/ Neuchâtel (Laténium), Lausanne zerischen Aegerisee wurden für den Fisch- mitdrehenden Radachse (aus Esche) steckt und La Neuveville ausgestellt. fang noch bis ins frühe 20. Jahrhundert noch im quadratischen Achsloch. Das Rad P. Verhoeven, P. J. Suter und Einbäume gefertigt. wurde bei einem Brand angekohlt. Ver- J. Francuz: Erlach – Heidenweg 1992. Herstellung und Datierung mutlich gehörte es zu einem zweiräderigen des (früh)bronzezeitlichen Ein- baumes. Archäologie im Kanton Der 1991 beim Heidenweg, nordwestlich Gefährt. Bern, Band 3B, S. 313–329. der St. Petersinsel im Bielersee gefundene B. Arnold: Pirogues monoxyles Einbaum aus der Bronzezeit ist 8 m lang. Begehung und Querung der Alpen d’Europe centrale. Archéologie neuchâteloise, Bände 21+22. Er wurde nie ganz fertig gestellt. Gerade Der Fund der Gletscherleiche «Ötzi» vom Neuchâtel 1995. deshalb geben seine Bearbeitungsspuren Hauslabjoch ist ein eindrücklicher Beweis Das Rad in der Schweiz vom 3. Jt. v. Chr. bis um 1850. besonders gut Auskunft über die Herstel- für die frühe menschliche Präsenz im hoch- Ausstellungskatalog SLM. lungstechnik. Aufgrund seiner Masse hätte alpinen Raum. Die Begehung der Alpen- Zürich 1989. er mit etwa 400 kg Last beladen werden pässe belegen aber auch die frühbronzezeit- J. Affolter: Provenance des silex préhistoriques du Jura et können. Experimente zeigen, dass Ein- lichen Pfeilbogen vom Lötschenpass und des régions limitrophes. bäume aufgrund ihres abgeflachten Bodens zahlreiche werkstattgleiche Bronzeobjekte Archéologie neuchâteloise, Band 28. Neuchâtel 2002. erstaunlich stabil im Wasser liegen. beidseits des Alpenkamms. 50 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Aus nah und fern 51

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Abb. 1: Bronzezeitlicher Einbaum von Erlach - Heidenweg. Das Halbfabrikat ist 7,95 m lang und etwa 40 cm hoch erhalten.

Abb. 2: Einbaum von Erlach - Heiden- weg. Unterwasseraufnahmen sowie Bergung und Dokumentation im März 1992. 52 5000 Jahre. ABGETAUCHT Aus nah und fern 5000 Jahre. ABGETAUCHT 53

köcher aus Birkenrinde, der laut C14-Daten in die erste Hälfte des 3. vorchristlichen Jahr- tausends datiert.

Fernverkehr Die weitreichende Mobilität der Menschen vor 5000 Jahren kann auch an «Handels- objekten» aufgezeigt werden.

Das Rohmaterial für Schmuck aus Schalen und Gehäusen von Meeresmuscheln und -schnecken stammte aus dem über 450 km entfernten Mittelmeer oder sogar aus dem noch entfernteren Atlantik.

Silex oder Feuerstein ist ein hartes, spalt- bares Kieselsäuregestein. Es kommt in geo- logischen Formationen der Kreide- und Jura- zeit (vor 200–100 Millionen Jahren) vor und wurde bereits in der Altsteinzeit zu Werkzeu- gen verarbeitet. Sie konnten zum schneiden, schaben oder bohren verwendet werden. Im Neolithikum wurden Pfeilspitzen und Ernte- 3 messer hergestellt. Heute kann aufgrund der im Material eingeschlossenen Mikrofossilien die Herkunft der verschiedenen Rohmateri- alien genau bestimmt werden. Dabei zeigt sich, dass neben einheimischen Silexvarie- täten auch Rohmaterialien aus verschiede- nen, weit entfernt gelegenen Lagerstätten zu Werkzeugen verarbeitet wurden. Meist wies dieser Importsilex bedeutend bessere Eigenschaften auf als derjenige aus den re- gionalen Vorkommen. Bereits in der ersten Hälfte des 4. Jahrtausends v. Chr. wurde Silex aus dem Burgund, dem Pariser Becken Abb. 3: Scheibenrad von Vinelz - und der Provence importiert. Einzelstücke Nordweststation (vermutlich kamen aber auch aus den Niederlanden. 4 27. Jahrhundert v. Chr.). Die beiden Zahlreiche Fundstücke der Bielerseeregion Bretter des angekohlten Rades sind mit Einschubleisten zusammenge- stammen also aus über 400 km Entfernung. halten. Der Durchmesser des Rades Mit dem verstärkten Gletscherschwund der Nach 3200 v. Chr. brach die Versorgung mit betrug ursprünglich mehr als 48 cm. letzten Jahre ist es möglich, dass die Eis- Importsilex aus westlicher Richtung nahezu Abb. 4: Dieser einfache Karren in massen in Zukunft weitere prähistorische ab. Jetzt wurden überwiegend lokale oder Anatolien weist Scheibenräder auf, wie wir sie aus den Ufersiedlungen Funde auswerfen – wie etwa den im Herbst allenfalls vom Hoch- und Oberrhein stam- des 3. Jahrtausends v. Chr. kennen. 2003 im Berner Oberland gefundenen Pfeil- mende Silexvarietäten verarbeitet. 52 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Aus nah und fern 53

Wir bitten die Berggängerinnen und Berggänger mögliche «Gletscher- funde» umgehend der zuständigen Kantonsarchäologie zu melden. Im Kanton Bern melden Sie sich bitte beim Archäologischen Dienst des Kantons Bern: Telefon: 031 633 55 22, Fax: 031 633 55 20, E-mail: [email protected].

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Abb. 5: Pfeilköcher aus Birkenrinden- bahnen. Gletscherfund aus dem Berner Oberland (erste Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr.). M. etwa 1:3.

Abb. 6: Lange Dolchklingen aus Grand Pressigny-Silex von Sutz- Lattrigen - Rütte. (28./27. Jh. v. Chr.). Diese Silexvarietät stammt aus dem Pariser Becken. M. 1:2.

Abb. 7: Die Zeichnung eines Silex- dolches von Vinelz aus dem 19. Jahr- hundert zeigt auf, das solche Dolche mit einem Griff aus organischem Material versehen waren. M. 1:2. 6 7 54 5000 Jahre. ABGETAUCHT Aus nah und fern

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450 km 150 km 60 km

Abb. 8: Die am Schloss durchbohrte Glycimeris-Muschelschale von Sutz- Lattrigen(Altfund) wurde als Anhän- ger getragen. Sie stammt aus dem 9 Mittelmeer oder aus dem Atlantik. M. 1:1.

Abb. 9: Die Karte zeigt die Herkunft der analysierten Silexvarietäten aus den neolithischen Ufersiedlungen von Twann, Port - Stüdeli, Nidau - BKW und Sutz-Lattrigen (verschie- dene Stationen). Einige Abbaustät- ten liegen in über 400 km Luftlinie entfernt. Erst im 3. Jahrtausend v. Chr. zeigt auch der

Abb. 10: Diese spät- und endneo- Sileximport ein Wiedererstarken der Be- lithischen Silexklingen von Sutz- ziehungen Richtung Westen. Die augen- Lattrigen - Rütte und Vinelz - Hafen fälligsten Beispiele dafür sind die Dolche (28./27. Jahrhundert v. Chr.) sind aus importierten, qualitativ hochstehen- aus Grand Pressigny-Silex aus dem Pariser den Silexvarietäten gefertigt. M. 1:2. Becken. 10 5000 Jahre. ABGETAUCHT Glossar 55

Bielersee Zeitepochen und Wirtschaft

Glossar Juragewässerkorrektion (JGK): Erst durch das Siehe Zeittafel. Jahrhundertwerk der 1. Juragewässerkorrektion wird die Entwässerung und dauerhafte Neolithikum: siehe Jungsteinzeit. Bewirtschaftung des Grossen Mooses möglich. Mit dem Spatenstich am Nidau-Büren-Kanal Jungsteinzeit: Eine neolithische Gesellschaft betreibt nimmt im August 1868 die 1891 abgeschlossene Ackerbau und Viehhaltung, ist sesshaft (siehe 1. Juragewässerkorrektion ihren Anfang. Der Bau unten) und kocht ihre Speisen in keramischen des Hagneckkanals (Ableitung des Aarewassers Gefässen. In der Schweiz beginnt das Neolithikum von Aarberg in den Bielersee) wird im August um 6000 v. Chr. und geht um 2200 v. Chr. in die 1875 begonnen. Am 16. August 1878 fliesst das Bronzezeit über. Die ältesten dendrodatierten Wasser der Aare erstmals in den Bielersee und Ufersiedlungen des Mittellandes beginnen um via Nidau-Büren-Kanal Richtung Solothurn. 4275 v. Chr., diejenigen an den Jurafussseen nach 4000 v. Chr. Seegrunderosion: Im Zusammenhang mit der 1. JGK wird der Pegel des Bielersees um etwa 2 m Bronzezeit: Die Bronzezeit wird mit dem vermehrten gesenkt. Es ist ein Gesetz der Natur, dass die Auftauchen von Schmuck und Werkzeugen aus Wellen im Laufe der Zeit die Oberfläche der Kupferlegierungen definiert. Sie beginnt in der flachen Strandplatte wieder um 2 m abtragen Schweiz um etwa 2200 v. Chr., aber erst nach werden; erst nach Abschluss dieses Prozesses 2000 v. Chr. tauchen richtige Bronzeobjekte wird die Erosion abklingen. Es ist nun Ironie des (Legierung von Kupfer mit 5 –10% Zinn) auf. Das Schicksals, dass die JGK, die grosse Flächen Ende der Bronzezeit und der Seeufersiedlungen an Kulturland trocken legte, gleichzeitig die datiert um 800 v. Chr. Überreste der frühesten Bauerngesellschaften zerstört. Denn letztere sind genau in den 2 m Sesshaftigkeit: Ackerbau bedingt einen über mehrere dicken Sand- und Seekreideschichten der Jahre hin festen Standort der Felder und der Strandplatte eingelagert, die sich der See jetzt dazugehörigen Siedlung; im Gegensatz zum wieder zurückerobert. Nomadentum von Wildbeuter- und bestimmten Hirtengesellschaften, die ihren Wohnsitz im Laufe Strandplatte: Flachwasserzone zwischen Ufer und des Jahres den Wanderungen des Jagdwildes, Seehalde (= Abbruch zu der tieferen Seezone). den Reifezyklen der Sammelpflanzen oder den Weidegründen anpassen.

Ex oriente lux: «das Licht kommt aus Osten». Dendrochronologie / Jahrringmethode Domestikation: Zähmung und Züchtung von Siehe Kapitel Dendrochronologie (S. 12–13). Haustieren und Kulturpflanzen aus Wildtieren beziehungsweise Wildpflanzen. Schlagdatum: Fälljahr des Baumes. Die prähistorischen Nutztiere – Rind, Hausschwein sowie Schaf und Ziege – sind deutlich kleiner als Waldkante: letzter Jahrring unter der Rinde. ihre Wildformen – Auerochse /Ur, Wildschwein sowie Wildschaf und Wildziege. Splintholz: die Farbe der letzten 15– 25 Jahre eines prähistorischen Eichenholzes ist in der Regel Akkulturation: Übernahme fremder geistiger und/oder heller; dies ermöglicht ein Abschätzen des Schlag- materieller Kultur(güter) durch Einzelpersonen datums, auch wenn die Waldkante (siehe oben) oder ganze Gruppen. fehlt. Expansion: Erweiterung des Territoriums durch Landnahme an bisher nicht besiedelten Stellen.

Dorf / Dorfanlage

Siedlungskammer: Territorium einer Dorfgemein- Keramik schaft, in dem sich ihre Häuser und Felder im Laufe der Zeit immer wieder verschieben. Magerung: Um zu verhindern, dass beim Brennen der aus Ton geformten Gefässe Risse entstehen, Häuserreihe: Die Häuser eines Dorfes sind in der Regel wird der Ton mit Gesteinsmagerung (Granit, alle gleich ausgerichtet: die eine Schmalseite der Quarz, Gneiss), mit Schamotte (zerstossenes in Reihen angelegten Gebäude ist gegen den See Scherbenmaterial) oder organischen Materialien orientiert. (Stroh, Getreidekörner, kalzinierte Knochen) versetzt. Häuserzeile: Die Häuser eines Dorfes sind üblicher- weise alle gleich ausgerichtet: die eine Längsseite Grubenbrand: Der Brennvorgang findet in prähistori- der in Zeilen angeordneten Gebäude verläuft scher Zeit in einer Grube statt. Richtige Brennöfen parallel zum Ufer. gibt es erstmals in der späten Eisenzeit.

Bohlenweg: Leicht vom Untergrund abgehobener Brenntemperatur: Die Brenntemperatur neolithischer Gehweg aus Holz. Keramik beträgt 550–800 °C. 56 5000 Jahre. ABGETAUCHT Glossar

Beile Kalksteinperlen: kommen um 4000 v. Chr. ein erstes Mal «in Mode». Sie werden mit kleinen, feinen Holzbearbeitungswerkzeuge: Beile, Äxte und Dechsel Silexbohrern durchbohrt. Im 3. Jahrtausend v. Chr. bestehen aus mindestens zwei Teilen: der Holm tauchen auch neue Formen auf. besteht häufig aus Eschen- oder Eichenholz, die Klinge aus Stein oder Knochen. Dazwischen Kupferschmuck: Die spät- und endneolithischen geschobene Fassungen aus Hirschgeweih Schmuckstücke sind aus «reinem» Kupfer, das vermindern die Bruchgefahr. Wir unterscheiden: heisst, es werden nicht absichtlich andere Elemente wie Arsen (= Arsen-Kupfer) oder Zinn (= Bronze) Beile: die Schneide der Klinge verläuft parallel zum beigemischt. Holzschaft.

Dechsel: die Schneide der Klinge liegt quer zum Schaft. Textilien Äxte: die Klinge aus Stein oder Geweih ist durchbohrt, der Holzschaft wird durch das Loch gesteckt. Spindel: Holzstab zum Verdrillen der Fasern und zur Aufnahme des Garns.

Spinnwirtel: Das kleine runde Gewicht aus Ton, Stein Schmuck oder Geweih hält die Spindel in Schwung.

Amulett: Als Anhänger um den Hals getragener Bast: Rohmaterial (für Schnüre und Geflechte) aus den Gegenstand, dem besondere, Gefahren Fasern unter der Baumrinde: meist wird Eichen- abwehrende oder Glück bringende Kräfte oder Lindenbast verwendet, seltener belegt ist zugeschrieben werden. Weidenbast.

Metapodien = Mittelfussknochen: häufig sind Lein: Rohmaterial (für Faden und Gewebe) aus Fasern Anhänger aus Hunde-Metapodien oder aus der Leinpflanze. Mittelfussknochen ähnlich grosser Tiere.

Caniden = Kaniden: Sammelbezeichnung für Hunde und hundeartige Tiere (z.B. Wolf, Fuchs). Silex

Schweineeckzahnlamellen: Sowohl die oberen als auch Silex = Feuerstein: Knollen- oder plattenartige die unteren Eckzähne der Haus- und Wildschweine Ablagerungen in Kreide-Formationen, die bereits werden zu Anhängern verarbeitet. Entweder wird in der Altsteinzeit zu Werkzeugen (Faustkeile) der ganze Zahn oder nur eine Lamelle (Seite) des verarbeitet werden. In der Jungsteinzeit werden im Schnitt dreieckigen Zahns verwendet. aus Rohmaterielien unterschiedlicher Qualität Messerklingen, Schaber, Kratzer, Pfeilspitzen und Bäreneckzahn-Anhänger kommen in der zweiten Hälfte Bohrer hergestellt. des 4. Jahrtausends v. Chr. «in Mode». Grand Pressigny-Silex: Im Pariser Becken (F) gibt es Muschel- und Schneckenschalen: Verschiedene Silexlagerstätten mit qualitativ hochstehendem Anhänger aus Muschel- oder Schnecken- Rohmaterial, das die Herstellung von über 20 cm schalen(teilen) stammen aus dem Mittelmeer oder langen Klingen ermöglicht. Dieses gelangte in dem Atlantik. Dolchform in die Absatzgebiete.

Wir danken folgenden Personen und Institutionen für die Zuverfügungstellung von Bildmaterial: Amt für Städtebau der Stadt Zürich, Denkmalpflege und Archäologie – Bernisches Historisches Museum Bern – N. Haas – Institut für Prähistorische und Naturwissenschaftliche Archäologie der Universität Basel – Kantonales Museum für Urgeschichte Zug – Konservierungslabor Konstanz – Laboratoire de Chronoécologie de l’Université de Franche-Comté – M. Nadler – P. Nagy – Pfahlbaumuseum Unteruhldingen – A. Rast-Eicher. Übrige Fotos und Grafiken R. Buschor, B. Redha, A. Zwahlen und Tauchequipe. 5000 Jahre. ABGETAUCHT 5000 Jahre. ABGETAUCHT Chronologietabelle 57

n. Chr. 2000 eit

Eisenbahn Neuz Entdeckung Amerikas

Gründung der Eidgenossenschaft 1000 Mittelalter

Römisches Kaiserreich

0 Römer

eit Erste Parthenontempel Kelten Münzen in Athen

Gründung Roms Eisenz 1000

Löwentor von Mykene eit 90 % Kupfer

ez + 10 % Zinn

Bronz = 2000 Bronze

Pyramiden von Giseh

Rad von Vinelz 3000

Erste Schrift in Sumer

Erste Städte in 4000 Mesopotamien Seeufersiedlungen Neolithikum

Erstes Kupfer 5000 ersiedlungen

Ackerbau und Viehhatung Seeuf am Bielersee in der Schweiz

Erste Keramik 6000

Domestizierte Rinder

Domestizierte Schweine 7000 Mesolithikum

Chronologietabelle: wichtige Ereig- Ackerbau und Viehhaltung nisse in der Alten Welt (links) und im im fruchtbaren Halbmond 8000 schweizerischen Mittelland (rechts). v. Chr. 5000 Jahre. ABGETAUCHT Impressum/Inhalt 5000 Jahre. ABGETAUCHT

Herausgegeben vom Archäologischen Titelbild: Dienst des Kantons Bern René Buschor, Berg

Redaktion / Lektorat: Bezugsquelle: Peter J. Suter, Marianne Ramstein Archäologischer Dienst des Kantons Bern Eigerstrasse 73, CH-3011 Bern Layout / Umbruch: Tel. 031 / 633 55 22; Fax. 031 / 633 55 20 René Buschor / Peter J. Suter Email: [email protected]

Inhalt Seite Geleitwort von Regierungsrat M. Annoni 1 150 Jahre Unterwasserarchäologie 2 Von 1854 bis heute 6 Pfahlbauten oder Ufersiedlungen? 8 Dendrochronologie 12 Versunkene Dörfer in Sutz-Lattrigen 14 Bedrohte Pfahlbauten 24 Wildbeuter werden Bauern 26 Jeden Tag Getreidebrei 28 Töpfe – Schöpfer – Schalen 34 Bäume fällen – Häuser bauen 40 Schmuckanhänger oder Amulette? 43 Kleider machen Leute 46 Mobilität 50 Glossar 55 Chronologietabelle 57