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Otto Lenz (1903 bis 1957) Engagierter Demokrat und zum 100. Geburtstag begabter Kommunikator

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Im Juni 1956, ein Jahr vor der dritten gewonnen hatte. Das Aufkommen des Na- Bundestagswahl, erschien die erste Num- tionalsozialismus und die schließliche mer der Politischen Meinung. Sie solle, so „Machtergreifung Hitlers“ beruhten nach hieß es „in eigener Sache“, „Meinungen seiner Überzeugung nicht nur auf vermitteln“, „alle brennenden Fragen der der Unkenntnis und Akzeptanz des de- Zeit anpacken und sie über die Polemik mokratischen Systems, sondern auch auf und schnelle Bewertung des Tages hinaus der unzureichenden Öffentlichkeitsarbeit zu grundsätzlicher Analyse und Stellung- und politischen Aufklärung durch die Re- nahme heben“ und „dem Nerv der Ent- gierungen. Der Nationalsozialismus hätte wicklungen, Erscheinungen und Ereig- nicht so leicht an die Macht gelangen kön- nisse ständig auf der Spur sein“ – in der nen, „hätten sich die damaligen demokra- Innen-, Außen- und der Gesellschafts- tischen Regierungen um eine ausrei- politik. „Politisch denken heißt Stellung chende Unterrichtung der Bevölkerung nehmen, heißt einen Standpunkt haben.“ bemüht“. Die Schlussfolgerung für ihn So formulierten die Gründer Erich Peter lautete also, durch systematische Infor- Neumann und Otto Lenz, Staatssekretär mation und Bildung die Demokratie „für im Kanzleramt von 1951 bis 1953, Ziel und die breiten Massen populär“ zu machen, Auftrag der neuen Zeitschrift. Bundes- deren latente Distanz zur Politik zu über- kanzler Adenauer fand den Start „ganz winden und in der Öffentlichkeit ein ausgezeichnet“, wobei er im Gespräch mit Klima der Zustimmung und des Vertrau- Lenz am 22. Juni 1956 betonte, „dass aus ens zu schaffen. Dazu bot sich ihm die der Zeitschrift kein CDU-Organ gemacht Möglichkeit, nachdem werden dürfe, damit sie wirkliche Ver- ihn 1951 als Amtschef ins Zentrum der breitung finde“. Die Politische Meinung Macht, so der Titel seines veröffentlichten reihte sich ein in eine ganze Kette von Pub- Tagebuchs, berufen hatte. likationsorganen, die der umtriebige Lenz in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Zögerliche Berufung ins Leben gerufen hatte. Dazu zählten un- Der eigentliche Kandidat des Kanzlers, ter anderem die Deutsche Korrespondenz, , kam beim Aufbau des der Bonner Mittwochsdienst, die Politischen Amts zunächst nicht in Betracht, da er – so Informationen der Arbeitsgemeinschaft Adenauer – „an dem bekannten Kom- Demokratischer Kreise und so weiter. mentar mitgearbeitet hatte und wir bei Diese Publikationsinitiativen waren Teil der Ernennung von Staatssekretären einer intensiven Informations- und Bil- sorgsam darauf achten müssen, daß wir dungspolitik, die Lenz zur Festigung der nicht irgendwelchen Angriffen dadurch noch jungen Demokratie betrieb. Diese Material geben“. Die Wahl fiel zunächst Politik wurzelte in den Einsichten, die er auf den Bundestagsabgeordneten Franz- aus dem Scheitern der Weimarer Republik Josef Wuermeling, der von 1947 bis 1949

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als Staatssekretär im rheinland-pfälzi- innenpolitischen Auseinandersetzungen schen Innenministerium Verwaltungser- um die betriebliche Mitbestimmung in fahrungen gesammelt hatte. Im Oktober der Montanindustrie und die Frage der 1949 trat er ein nur kurz währendes Gast- Wiederbewaffnung. Auch hatte es schon spiel an; da ihm das parlamentarische massive Verluste der Unionsparteien bei Mandat wichtiger war, schied er bereits den Landtagswahlen in Schleswig-Hol- im Februar 1950 als Leiter des damals mit stein, Hessen, Württemberg-Baden und neunzehn Beamten des höheren Dienstes Bayern gegeben. Was der Kanzler in die- noch sehr kleinen Stabes wieder aus. Die ser Situation brauchte, war weniger ein Suche nach einem geeigneten Nachfolger Administrator als vielmehr ein kontakt- als Amtschef gestaltete sich schwierig. freudiger und umtriebiger Mann, der Globke schlug seinen alten Bekannten seine politischen Vorstellungen teilte und Lenz vor, was er ihm am 17. Februar 1950 in der Lage war, für die Arbeit und Ziele brieflich mitteilte: „Lieber Otto! Wie be- seiner Regierung erfolgreich zu werben. sprochen, habe ich die Frage bei A. zur Lenz schien aufgrund seines Werdegangs Sprache gebracht. Er erklärte mir, daß er in der Weimarer Republik dafür prädesti- bei aller Würdigung Deiner Fähigkeiten niert. Als er sein Amt antrat, machte Ade- instinktive Bedenken habe. Diese beweg- nauer ihm klar, dass der „wichtigste ten sich in der Richtung, daß Du eine selb- Punkt“ seines Aufgabenbereiches „die In- ständige Politik machen könntest.“ tensivierung der Presse und Propa- Globke und Lenz, beide Mitglied im ganda“, „die Schaffung einer zugkräftigen Cartellverband der katholischen deut- Propaganda“ sei. schen Studentenverbindungen (CV), kannten und schätzten sich seit den drei- Werdegang ßiger Jahren aus , wo sie der „Don- Lenz war zu diesem Zeitpunkt 47 Jahre alt. nerstagsgesellschaft“ angehört hatten, ei- Geboren wurde er am 6. Juli 1903 in Wetz- nem Kreis von ehemaligen Zentrumspoli- lar. Nach dem Abitur studierte er Jura in tikern, Zentrumsbeamten und -journalis- Freiburg. Sein Studium schloss er 1924 an ten sowie Funktionären katholischer Or- der Universität Marburg mit der Referen- ganisationen, die einander vertrauten und darprüfung und der Promotion (1925) ab. in ihrer grundsätzlichen Opposition zum Nach dem Assessorexamen trat er in den Nationalsozialismus verbunden waren. Justizverwaltungsdienst ein, in dem er zu- Es dauerte noch bis zum 30. Dezember nächst im preußischen Justizministerium 1950, bis Adenauer, dem sich kein geeig- tätig war. Hier übernahm er 1929 die Lei- neterer Kandidat anbot, trotz seiner Vor- tung der Pressestelle und verschaffte sich behalte bereit war, dem Vorschlag Glob- bei der deutschen Presse einen guten Na- kes zu entsprechen und Lenz zu bitten, „ab men. 1932 wurde er persönlicher Referent 15. Januar 1951 bis auf weiteres die Be- des Staatssekretärs Heinrich Hölscher, handlung der mit der innenpolitischen Or- nach der so genannten Machtergreifung ganisation der Bundesrepublik Deutsch- Hitlers dann Referent für Handelsrecht im land zusammenhängenden Fragen im Reichsjustizministerium. Im April 1934 Bundeskanzleramt zu übernehmen“. wurde er unter Protest des NS-Rechts- Seine politischen Bedenken hatte er zu- wahrerbundes zum Landgerichtsdirektor rückgestellt. Ausschlaggebend für seine befördert. Meinungsänderung war der bedenkliche 1938 lehnte er die Versetzung an ein Rückgang an Zustimmung zu seiner Poli- Gericht ab, weil er im NS-Staat nicht als tik (im April 1951 nur noch zwanzig Pro- Richter tätig werden wollte, und schied zent), verursacht durch die schweren unter Aufgabe seiner Pensionsansprüche

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aus dem Staatsdienst aus. In der Folgezeit war er als Rechtsanwalt am Kammerge- Otto Lenz, 1903–1957 richt in Berlin tätig; seine Zulassung hatte © ACDP er nur unter großen Schwierigkeiten er- reicht. Als Gegner des Regimes stand er in Verbindung mit führenden Persönlich- keiten der Widerstandsbewegung – so versteckte er den später hingerichteten Regierungspräsidenten Ernst von Har- nack in seiner Wohnung. Engen Kontakt hielt er zu dem ebenfalls nach dem 20. Juli 1944 hingerichteten Josef Wirmer, der ihn im November 1943 mit Carl Goerdeler zu- sammenbrachte. Auch Lenz wurde nach dem fehlgeschlagenen Attentatsversuch verhaftet und im Januar 1945 vor dem Volksgerichtshof angeklagt, weil er im Kreis um Goerdeler als Staatssekretär in der Reichskanzlei vorgesehen war. Ohne- hin war er längst ins Visier der geraten, verdächtig allein schon deshalb, weil er Juden anwaltlich vertreten hatte, deren Eigentum beschlagnahmt oder ent- eignet worden war. Vor allem machte ihn verdächtig, dass er 1944 Josef Müller, den „Ochsensepp“, vor dem Reichskriegsge- richt verteidigt hatte, der des Hochverrats wenigen Tagen aber wieder für einige angeklagt war. Müller, der nach Kriegs- Wochen in Haft genommen mit der Be- ende die CSU in München mitgründete, gründung „deine Papirre zu gutt, du gehörte der Abwehr von Admiral Canaris Spion“. an und war bereits 1943 verhaftet wor- den. Obwohl Lenz einen Freispruch Mitbegründer der CDU wegen erwiesener Unschuld erreichte, Unmittelbar nach seiner Freilassung grün- blieb Müller weiterhin in Haft, zunächst dete das frühere Zentrumsmitglied in Ber- im Gestapo-Gefängnis Berlin, dann in lin die CDU mit. Wie auch die übrigen verschiedenen Konzentrationslagern, bis Unterzeichner des Gründungsaufrufs der er am 4. Mai 1945 befreit wurde. Lenz neuen Partei war er der Überzeugung, selbst, dem nach dem 20. Juli 1944 das To- dass im Nachkriegsdeutschland nur eine desurteil drohte, verteidigte sich vor dem interkonfessionelle Partei Zukunft haben Volksgerichtshof so geschickt, dass er werde. Zahlreiche Reisen führten ihn in wegen Nichtanzeige von Hochverrat nur den kommenden Monaten und Jahren in zu vier Jahren Zuchthaus und vier Jahren die Westzonen, wo er für die neue Partei Ehrverlust verurteilt wurde. Möglicher- warb. Als Anhänger der Vorstellungen Ja- weise kam er so glimpflich davon, weil kob Kaisers wie auch Josef Müllers, die der Vorsitzende Roland Freisler ihn aus stark in traditionellen, dem Reichsgedan- gemeinsamer Zeit im Justizministerium ken verhafteten Kategorien dachten, war kannte. Am 28. April 1945 wurde Lenz Lenz mit seinen Aktivitäten Adenauer von sowjetischen Soldaten befreit, nach verdächtig, der die Ansprüche der Berli-

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ner CDU auf die Führung der neuen Par- Und dennoch: Trotz seiner inneren tei vehement ablehnte. Dies wird wohl Vorbehalte stürzte er sich mit Verve und 1950 mit ein Grund für das Zögern des politischer Leidenschaft in den folgenden Kanzlers gewesen sein, den Vorschlag Monaten in das tägliche Geschäft, in eine Globkes sofort zu akzeptieren und Lenz unablässige Abfolge von Telefongesprä- als seinen Staatssekretär zu berufen. Auch chen, Treffen mit Politikern, Kirchenver- Lenz war zunächst unsicher, ob er voll in tretern, Gewerkschaftern, Männern der die Politik einsteigen und sie zu seinem Wirtschaft, Lobbyisten, Diplomaten und Hauptberuf machen sollte, hatte er doch Journalisten. Er spielte eine wichtige seit Anfang 1946 zielstrebig seinen Be- Rolle bei den Verhandlungen über die rufswunsch verfolgt, als Rechtsanwalt in Montan-Mitbestimmung und das Be- München tätig zu werden. triebsverfassungsgesetz, die er mit unge- Die ursprünglich bei Adenauer wie wöhnlichem Geschick durch alle Klippen übrigens auch bei Lenz vorhandene hindurchsteuerte, bemühte sich um eine gegenseitige Reserve hatte seit Mitte bessere Abstimmung zwischen Finanz- 1947 einer gewissen Wertschätzung Platz und Wirtschaftsministerium, zwischen gemacht, als Lenz bei den „Genfer Ge- Fritz Schäffer und , deren sprächen“ christlich-demokratischer eu- Zusammenarbeit zu wünschen übrig ließ, ropäischer Politiker, an denen auch Ade- kümmerte sich um die Integration der nauer teilnahm, auf dessen europapoliti- Heimatvertriebenen und Flüchtlinge, be- sche Vorstellungen einschwenkte. In der teiligte sich an der Gestaltung medienpo- Entstehungsphase des Kalten Krieges litischer Fragen wie der Teilung des rückte Lenz von den Vorstellungen Jakob Nordwestdeutschen Rundfunks und der Kaisers ab und bekam einen anderen weltweiten Repräsentanz der Politik der Blick auf die Zukunftsorientierung des Bundesrepublik über die Langwelle, europapolitischen Konzeptes, das Ade- schaltete sich in die Preisgestaltung in der nauer gegen die nationalstaatlich gepräg- Montanindustrie, in Verhandlungen über ten Denktraditionen vieler Zeitgenossen den Aktienumtausch und über den Inter- vertrat. zonenhandel ein, wirkte bei personalpoli- So nahm Lenz schließlich am 15. Ja- tischen Entscheidungen in Ministerien, nuar 1951 seinen Dienst auf, doch blieb Bundesbehörden und Medienanstalten das Arbeitsverhältnis zunächst eine „Ehe mit, hatte eine Brückenfunktion zur auf Probe“ zwischen zwei von Tempera- CDU/CSU-Fraktion und war nicht zu- ment und Lebenseinstellung her höchst letzt mit der Auswahl von Funktionären gegensätzlichen Charakteren. Erst am 20. der CDU auf Bundes- und Länderebene März signalisierte er wachsende Bereit- befasst. Daneben war er durchaus auch schaft, den Posten zu übernehmen, aller- im außenpolitischen Feld aktiv, ein Ge- dings unter der Voraussetzung, „daß mir biet, für das im Amt die Zuständigkeit bei die Abwicklung meiner Praxis gestattet Herbert Blankenhorn und Walter Hall- wird“. Er schwankte also immer noch, zu- stein lag, denen der eigenständige Lenz in mal er sich „nach wie vor kein besonderes herzlicher Abneigung zugetan war. Bei Heil von meiner Tätigkeit“ versprach, einem der nicht seltenen heftigen Wort- wie er am 23. Mai bei der Übergabe der gefechte mit Adenauer meinte er: Wenn Bestallungsurkunde erklärte, die Bundes- es diesem „nicht passe, daß ich ihm ab präsident Heuss schon am 29. März und zu das sagen würde, was ich dächte, unterzeichnet hatte. Mit fliegenden Fah- dann soll er lieber Herrn Blankenhorn nen war er also dem Ruf Adenauers nicht nehmen, der die Fähigkeit habe, noch gefolgt. während er einen Satz ausspreche, ihn so

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zu wenden, wie er glaube, daß es ihm begleiten. Auf diesen Kreis soll nicht nur (dem Kanzler) recht sei“. Intensive Kon- die Entwicklung des Instituts für Demos- takte pflegte er auch auf Reisen nach kopie und die Gründung der „Arbeitsge- Frankreich, Großbritannien und in die meinschaft Demokratischer Kreise“, son- Vereinigten Staaten, wo es nicht nur um dern auch die Idee zu den Teegesprächen die Finanzierung seiner Werbekampag- Adenauers zurückgehen. Lenz war der nen für die Bundesregierung mit ameri- Erste, der Public-Relations-Methoden in kanischen Geldgebern ging. der Bundespolitik einführte und die Be- Für die administrative Leitung des deutung der Meinungsforschung als Kanzleramtes, die eigentliche Aufgabe ei- Mittel der Hintergrundinformation für nes Staatssekretärs, interessierte er sich die Regierung erkannte. Er intensivierte weniger. Diese lag bei Ministerialdirektor die Zusammenarbeit mit dem Institut für Hans Globke in sicheren Händen. Statt- Demoskopie in Allensbach und gab regel- dessen war er der Mann, der die politi- mäßig Umfragen in Auftrag, deren Er- sche Strategie erfolgreich mit den Mitteln gebnisse zwar meist geheim blieben, de- der politischen Taktik kombinierte und ren Auswertungen aber ihren Nieder- mit unglaublicher Geschäftigkeit Dinge schlag fanden in zahlreichen Publikatio- vorantrieb, Institutionen und Organisa- nen mit Kommentaren, Glossen, Karika- tionen initiierte, gründete und förderte. turen, Reportagen und Informationen. Um die Zustimmung zur Regierungs- Presse, Propaganda, Public Relations politik herauszufinden, verstärkte Lenz Als Propagandaexperte war Lenz benö- seine guten Beziehungen zu Erich Peter tigt und geholt worden, hier lag sein Neumann und seiner Frau Elisabeth wichtigstes Arbeitsfeld. Adenauer hatte Noelle, die ihn ständig auf dem Laufen- ihn schließlich genommen, weil er einen den hielten. Wenn ein Kabinettsmitglied Mann für die Image-Aufbesserung der vom Volk sprach, das angeblich dieses Bundesregierung brauchte. Unzufrieden oder jenes wünschte, konnte er so, sein mit den seiner Ansicht nach unzurei- Ohr ständig am Pulsschlag der öffent- chenden Leistungen des Bundespresse- lichen Meinung, mit konkreten Ergebnis- amts, wollte er in seiner Umgebung je- sen aus der Demoskopie sogleich entgeg- manden haben, der sich mehr und besser nen. um Presse und Rundfunk kümmerte. Mit Die Stärke von Lenz lag in der Organi- Felix von Eckardt fand der neue Staatsse- sierung einer indirekten Werbung, bei kretär, nachdem er nicht der man nicht sofort den Urheber er- hatte durchsetzen können, schließlich ei- kannte. Er setzte bei der Bearbeitung der nen sachkundigen Pressechef, mit dem er regionalen und vor allem der damals die „Experimentierphase der Adenauer- noch bedeutenderen lokalen Presse an, schen Informationspolitik“ (Hans-Peter die er durch ein Netz von Zeitungskor- Schwarz) mit all ihren Pannen und perso- respondenten mit Nachrichten bediente, nellen Fehlentscheidungen beendete und auf die es ihm ankam. das Amt, das ihm direkt unterstellt war, Entscheidende Bedeutung im Kampf zu einem effizienten Dienstleistungsbe- um die öffentliche Meinung, insbe- trieb entwickelte. Jede Woche traf sich ein sondere in der Frage der Wiederbewaff- kleiner Kreis in seinem Büro am Bonner nung, erlangte die von ihm gegründe- Hofgarten, zu dem unter anderen Erich te „Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Peter Neumann, Karl Willy Beer, Carl Kreise (ADK)“, die unter der Leitung des Helfrich und Franz Mai gehörten, um die späteren CDU-Abgeordneten Hans Ed- publizistische Politik der Regierung zu gar Jahn zum ersten Mal in Deutschland

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Öffentlichkeitsarbeit und Wahlkampf Seine Wirksamkeit war bald nach sei- nach amerikanischem Muster aufzog, nem Amtsantritt zu spüren, die Zustim- eben Public Relations betrieb und der mung zu Adenauer und seiner Politik „Westernisierung“ der Bundesrepublik sowie zu den Unionsparteien stieg stetig (Anselm Doering-Manteuffel) einen ent- an. Dies verschaffte ihm eine politische scheidenden Schub gab. Filmvorführun- Schlüsselstellung, in der er, als der Termin gen und eine effektive Plakatwerbung so- der Bundestagswahl 1953 näher rückte, wie tausende von Veranstaltungen, die seine parteipolitischen Aktivitäten für den unter der Bezeichnung „Staatsbürger- Wahlkampf verstärkte. Er selbst strebte kunde“ oder politische Bildung liefen, ein Mandat an, um damit die Vorausset- wurden von ihm initiiert. Mit zielgrup- zung für einen Eintritt in das Kabinett zu penorientierten Informationsprogram- schaffen, und kandidierte erfolgreich im men für Meinungsvermittler und mit Kreis Ahrweiler. Nach dem erdrutschar- „Events“ durch mobile Filmbühnen tigen Wahlsieg am 6. September 1953, den wirkte man bis in die kleinsten Orte hi- auch Allensbach in dieser Höhe nicht vor- nein. Die „Bundeszentrale für Heimat- hergesehen hatte (CDU und CSU erhiel- dienst“, die heute noch unter der Bezeich- ten 45,2 Prozent der Stimmen und die ab- nung „Bundeszentrale für politische Bil- solute Mandatszahl), fragte der Kanzler dung“ besteht, geht auf seine Anregung im Kabinett, „was eigentlich die öffentli- zurück. che Meinung beeinflusst hätte, da doch die Diese intensive Befassung mit In- ganze Presse und der Rundfunk gegen uns formationspolitik und öffentlicher Mei- gelegen hätten“. Lenz wies in seiner nung beruhte nicht nur auf dem Adenau- hintergründigen Antwort – sicher auch im erschen Auftrag, sich um „die Intensivie- Bewusstsein seiner eigenen Leistung – da- rung der Presse und Propaganda“ zu be- rauf hin, „daß die öffentliche Meinung mühen, sie entsprach auch seinem mo- eben nicht durch die Presse gemacht dernen Demokratieverständnis. In einer wird“. im Gefängnis festgehaltenen Tagebuch- notiz vom 11. Dezember 1944 forderte er Gescheiterte Vorhaben und für den Aufbau eines demokratischen falsche Etikettierung Nachkriegsdeutschlands und einer über- Seine Vorstellung, nach der Wahl ein In- konfessionellen, auf christlicher Grund- formationsministerium zu schaffen und lage zusammengehaltenen Bewegung: zu leiten, ließ sich nicht realisieren. Der „Es müssen Versammlungen abgehalten mit dem Kanzler abgestimmte Plan, der werden, die die Notwendigkeit gegensei- die Bündelung der Informationsarbeit tiger Hilfe betonen, die Presse muß in den des Kabinetts und der einzelnen Ressorts Dienst dieser Sache gestellt werden. in der Hand eines Ministers vorsah, war Sammlungen müssen veranstaltet wer- vorzeitig bekannt geworden und in den den.“ Auf dieser Überzeugung, auf sei- eigenen Reihen – auch bei Pressechef von nem ausgeprägten Sensorium für Mas- Eckardt – auf Widerstand gestoßen. Die senwirksamkeit und der darin gegründe- Presse stellte Assoziationen zum Pro- ten Macht sowie auf der Erkenntnis, „daß pagandaministerium im Dritten Reich es entweder eine richtige oder eine falsche her – die Erinnerungen an das Reichsmi- Politik gäbe und daß man die richtige Po- nisterium für Volksaufklärung und Pro- litik doch wohl dann unterstützen könne, paganda waren noch zu frisch – und wenn sie von der Regierung gemacht warnte mit der zwar spektakulären, werde“, basierte seine „quirlige Akti- nichtsdestoweniger aber abwegigen Eti- vität“. kettierung vor einem „neuen Goebbels“.

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Sofort distanzierte sich Adenauer von der von Joseph Goebbels gerückt, sodass die ganzen Sache und ließ Lenz abrupt fallen, Idee alsbald wieder in der Versenkung zumal auch die drei Hohen Kommissare verschwand. So war Adenauer mit seinen den Plan ablehnten. Es ist wahrschein- medienpolitischen Vorstellungen bereits lich, dass die Medienkampagne gegen zweimal gescheitert, als er einige Jahre den vom Volksgerichtshof abgeurteilten später – diesmal ohne Lenz – einen dritten Widerständler und überzeugten Demo- Anlauf unternahm, die Informationspoli- kraten, der meinte, Informationspolitik tik der Regierung zu bündeln. Nach der sei nun mal ein wesentlicher Bestandteil Bundestagswahl von 1957 hatte er er- der Regierungsarbeit, dessen Absichten kannt, dass die Zukunft dem Fernsehen also unverdächtig waren, dem Kanzler gehöre. So war er entschlossen, für die gerade recht kam. Denn sein Staatssekre- nächste anstehende Wahl im Jahr 1961 ein tär war ihm schon längst zu selbstständig Regierungsfernsehen zu etablieren. Aber und eigenmächtig geworden. In seinem auch hier stieß er auf unüberwindliche Dankschreiben anlässlich seines Aus- Schwierigkeiten, auf den Widerstand der scheidens führte der Kanzler aber aus, er Länder, aber auch auf das autonom ent- „würde es begrüßen, wenn Sie sich mir scheidende Bundesverfassungsgericht, auch in Zukunft zur Erfüllung von das mit seinem Urteil vom 28. Februar 1962 Sonderaufgaben zur Verfügung stellen die Adenauerschen Pläne zunichte würden“. machte. Gelegenheit ergab sich dazu schon Die Kritik, die sich 1953 im Infor- bald. Nach wenigen Monaten stellte sich mationsministerium und 1954 im Koor- nämlich heraus, dass die Fäden, die Lenz dinierungsausschuss vordergründig ge- gehalten hatte, dem Amt entglitten. Zu- gen Lenz richtete, zielte jeweils auf den dem sank Adenauers Popularität im Früh- Kanzler und dessen medienpolitische jahr 1954 rapide ab. Dies brachte den Kanz- Lenkungskonzepte, die im Spannungs- ler – sicher in enger Abstimmung mit sei- feld zwischen Informations- und Kom- nem ehemaligen Staatssekretär – am 2. munikationsfreiheit und staatlicher Auf- März auf die Idee, einen „Koordinie- gabenwahrnehmung zum Scheitern ver- rungsausschuss für Verlautbarungen der urteilt waren. Erst in der Zeit der sozialli- Bundesregierung“ ins Leben zu rufen und beralen Koalition wurden die Lenzschen dessen Vorsitz mit Schreiben vom 1. Juni Vorstellungen realisiert. Mit dem Organi- 1954 Otto Lenz anzuvertrauen. Der Wille, sationserlass des Kanzleramts vom 18. Ja- die informationspolitischen Aufgaben zu nuar 1977 erhielt das Bundespresseamt erledigen und Macht zu erhalten, brachte den Auftrag zur „Koordinierung der Ideen hervor, die durch die Vermischung presseübergreifenden Öffentlichkeitsar- von exekutiven und legislativen Elemen- beit des Amtes und der ressortbezogenen ten schwerlich mit der Staatsräson zu ver- Öffentlichkeitsarbeit der Bundesministe- einbaren waren. Als dieses Vorhaben be- rien bei Maßnahmen, die Angelegenhei- kannt wurde, das vorsah, das Bundes- ten von allgemeiner Bedeutung betref- presse- und Informationsamt, die drei- fen“. zehn Pressestellen der Bundesministerien und die „Bundeszentrale für Heimat- Außenpolitisches Engagement dienst“ den Richtlinien des Lenz-Aus- Lenz blieb zwar auf seine politische Arbeit schusses unterzuordnen, brach in Presse als Abgeordneter im be- und Rundfunk ein Sturm der Entrüstung schränkt, seine politischen Strategien ver- los. Wieder wurde der „Propagandist für folgte er jedoch unbeirrt weiter. Sein Ein- Adenauer“ und für die Union in die Nähe fluss in der Partei und der CDU/CSU-

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Fraktion, den er hinter den Kulissen aus- anstrengende Reise endete im vom Unab- übte, blieb beträchtlich. Er war stellver- hängigkeitskrieg geschüttelten Algerien. tretendes Mitglied des Bundestagsaus- Um mit vollen Kräften in den bevorste- schusses zum Schutz der Verfassung und henden Wahlkampf zu gehen, in dem er des Ausschusses für Fragen der Presse, des eine ähnlich aktive und erfolgreiche Rolle Rundfunks und des Films. Als Vorsitzen- zu spielen gedachte wie 1953, wollte er der des außenpolitischen Arbeitskreises auf Ischia etwas ausspannen, erkrankte seiner Fraktion wandte er sich mehr und aber an einem heimtückischen Fieber, das mehr außen- und europapolitischen The- er sich in den Tropen zugezogen hatte. men zu. Als Vorsitzender des Unteraus- Völlig unerwartet verstarb er am 2. Mai schusses Saar des Auswärtigen Aus- 1957 in Neapel. schusses des Bundestags wirkte er an der Lösung der Saarfrage, der „kleinen“ Späte Affäre und letzte Ehre Wiedervereinigung, mit. Anfang 1956 Noch einmal, fast zehn Jahre nach seinem übernahm er das Amt des Präsidenten der Tod, kam Lenz ins öffentliche Gerede, als neuen Deutschen Atlantischen Gesell- im Zusammenhang mit der Beschaffung schaft, deren Gründung er maßgeblich be- des Schützenpanzers HS-30 ein parla- trieb, nachdem er die seit 1954 bestehende mentarischer Untersuchungsausschuss französische Gesellschaft für die Atlantik- eingesetzt wurde. Da er – drei Monate vor gemeinschaft kennen gelernt hatte. Auch seinem Tod – im Namen der Firma His- eine Europäische Gesellschaft strebte er pano Suiza als Sozius einer Anwaltsge- an, um dem Gedanken der NATO im inter- meinschaft die Verträge geschlossen nationalen Rahmen mehr Wirkung zu ver- hatte, galt er als eine der Schlüsselfiguren schaffen und ihn im Bewusstsein der Be- der Affäre. Schon am 27. August 1957 war völkerung besser zu verankern. Neben sei- in der Frankfurter Rundschau der Verdacht ner atlantischen Orientierung lagen dem geäußert worden, Lenz habe bei diesem Befürworter der europäischen Integration Geschäft drei Millionen an Provisionen auch die Bemühungen um eine Verbesse- erhalten und ein bestimmter Teil der Auf- rung des deutsch-französischen Verhält- tragssumme sei in die Wahlkampfkassen nisses besonders am Herzen. 1955 wurde der CDU geflossen. Man munkelte sogar er Mitglied in der Beratenden Versamm- von nachrichtlichen Verbindungen nach lung des Europarates. Osten, wobei an seine mehrwöchige sow- Unmittelbar nach der Unterzeichnung jetische Haft, an Kontakte zu Oberst Tul- der Verträge zur Gründung der Europä- panow und zu anderen sowjetischen Of- ischen Wirtschaftsgemeinschaft am 25. fizieren und Funktionären in den Jahren März 1957 unternahm er zusammen mit 1945 bis 1947 (diese Kontakte waren für einigen Abgeordneten aus den sechs führende CDU-, ebenso wie SPD- oder Gründungsstaaten vom 6. bis 19. April LDP-Angehörige geradezu zwangsläu- 1957 eine Reise nach Französisch West- fig) ebenso wie an seine Freundschaft mit Afrika, die die Gruppe in den Senegal, dem 1953 verhafteten DDR-Außenminis- nach Mauretanien, Guinea, in die Elfen- ter Georg Dertinger erinnert wurde. beinküste, den Sudan, nach Obervolta, Diese Vorwürfe und Unterstellungen Dahomey und Niger führte. Die Parla- konnten weder erhärtet noch gar bewie- mentarier wollten Fragen eines Assozia- sen werden. Lenz geriet dennoch ins tionsvertrages und die Entwicklungs- Zwielicht. Sie sind kennzeichnend für das möglichkeiten des entstehenden „Ge- nachhaltige Misstrauen, das seine politi- meinsamen Marktes“ prüfen, zu dem schen und publizistischen Gegner gegen auch Afrika „dazugehören“ sollte. Die den erfolgreichen PR-Gestalter der Ade-

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nauerschen Politik und den bedeutends- wirklichung seiner – auch parteipoliti- ten Propagandisten seiner Partei auch schen – Auffassungen entfalteten Akti- lange nach seinem Tod noch hegten. vitäten wirkten die Methoden der Oppo- Seinem nachhaltigen Ruf und seinem sition traditionell, ja geradezu altbacken. Rang tat dies jedoch keinen Abbruch. Dies verschaffte ihm nicht nur Freunde, Lenz war ein Modernisierer, der die neu- sondern auch Neider und Gegner, zumal esten – aus den USA kommenden – Er- er für seine Aktivitäten beträchtliche fi- kenntnisse umsetzte und die Klaviatur nanzielle Ressourcen akquirierte und der „öffentlichen Meinungsmache“ unkonventionell einsetzte. Alljährlich (Walter Henkels) wie kaum ein anderer wurde heftig über die ihm zur Verfü- zu seiner Zeit beherrschte. Er betrachtete gung stehenden Reptilien-Fonds disku- die PR-Arbeit weniger als Hilfsmittel tiert. An dem großen Zugewinn seiner denn als Gestaltungs- und Produktions- Partei 1953 und an der Akzeptanz der mittel der Politik. Seine Überzeugung, Politik in den ersten Jahren der Ade- dass die Demokratie in Deutschland von nauer-Ära hatte er entscheidenden An- der Aufklärung über das Wesen des frei- teil. Für die junge Demokratie und für heitlichen Staates abhänge, verfolgte er ihren Kanzler war er der richtige Mann mit scharfer politischer Intelligenz, ein- zur richtigen Zeit. drucksvoller Arbeits- und Gestaltungs- Adenauer war sich dessen wohl be- kraft und einem untrüglichen Gespür für wusst und würdigte Lenz am 1. Juli 1957 Stimmungen und Nuancierungen der öf- vor dem CDU-Bundesvorstand: „Es ist fentlichen Meinung. Er war ein hervorra- [. . .] in unserer Partei ein Verlust eingetre- gender Kommunikator, der für sich und ten, der bis jetzt nicht ausgefüllt ist. Herr seine Vorstellungen einnehmen konnte, Lenz war ein sehr einfallsreicher und ein aber im politischen Geschäft auch nie sehr kluger Mann. [. . .] Er hat sich [. . .] der mit seiner Meinung hinterm Berg hielt, Arbeit für unsere Partei in einer Weise ge- sondern sie immer direkt und gerade- widmet, für die wir ihm über das Grab hi- heraus artikulierte. Gegen die zur Ver- naus von ganzem Herzen danken.“

Patriotismus und Wettbewerb „Wenn ich zwischen schlechten polnischen Schuhen und guten Schuhen aus Ös- terreich wählen kann, nehme ich letztere. Es ist doch wohl keine Lösung, mich des- halb als Verräter und schlechten Patrioten zu bezeichnen, wie es die Populisten tun. Die Polen müssen sich der Herausforderung stellen, und sie brauchen keine Angst zu haben. Sehen Sie diese Redaktion, die Redaktion der ,Gazeta Wyborcza’, die muss sich vor keiner der großen Zeitungen in Europa verstecken. Vor 14 Jahren ha- ben wir ohne einen Dollar angefangen, und alles, was Sie hier sehen, haben wir mit unserer Arbeit erschaffen. Bei der ,Gazeta Wyborcza’ haben wir keine Angst vor Konkurrenz. Wir überlegen sogar, eine deutsche Zeitung zu kaufen. Und dass die Deutschen vor unserer Konkurrenz Angst haben, macht mir, ehrlich gesagt, eine ge- wisse Freude.“ Adam Michnik, Chefredakteur der Gazeta Wyborcza (Warschau), am 28. Mai 2003 in Die Zeit.

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