Geologi 1.05
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Bull. angew. Geol. Vol. 10/1 Juli 2005 S. 33-47 Der Flimser Bergsturz als Staudamm Andreas von Poschinger1 Keywords: Graubünden, Flims, Ilanz, Rock slide dam, dam break, flood sediments, chronology Stichworte: Graubünden, Flims, Ilanz, Bergsturzsee, Dammbruch, Flutsedimente, Chronologie Zusammenfassung Abstract Vor ca. 8’200 Jahren wurde der Vorderrhein durch The Flims rock slide blocked at about 8’200 yr BP die Flimser Bergsturzmassen aufgestaut, was zur the Vorderrhein river and so gave rise to the Paleo- Entstehung des Ilanzer Sees führte. Bereits wenig Lake of Ilanz. Shortly after the filling of the lake a später erfolgte ein Dammbruch, der grosse Was- severe flood event happened. The lake emptied not sermassen freisetzte und erhebliche Sediment- totally, but remained at a lower level for a long mengen transportierte. Der See, der eine maxima- time. After important and perhaps even complete le Höhe von weniger als 936 m ü.M. hatte, wurde filling of the remaining basin with sediments the allerdings nicht vollständig entleert, sondern blieb incision in the dam restarted and progressed in auf einem Niveau von ca. 820 m noch lange Zeit several smaller steps. Based on the detailed field erhalten. Erst als das Becken zu einem erheb- works, the following sequence of the events can be lichen Teil mit Sedimenten gefüllt war, begann ein envisioned: The Tamins rock slide occurred first, erneutes Einschneiden in den natürlichen Stau- damming Lake Bonaduz; the Flims slide came damm. Die weitere Entleerung des Sees erfolgte down soon after and probably entered in this lake; langsam und in kleinen Schritten. Die Geländeauf- at the same time the alluvium was mobilized and nahmen erlauben auch Schlüsse über den chrono- resedimented as Bonaduz gravel; Lake Ilanz was logischen Ablauf der Ereignisse um die Bergstürze dammed to a level between 820 and 936 m for very von Flims und Tamins. short time only; the dam broke partly and a flood happened; the remaining lake survived for a long time and was filled up by sediments; the Vorder- rhein river eroded the floodplain down to the actual level. 1. Einleitung Der Flimser Bergsturz in der Graubündener Bedeutung eine sehr lange Erforschungsge- Surselva (Schweiz) (Fig. 1) gilt als der grös- schichte, die vom Autor bereits früher ste in den Alpen und als einer der weltweit (2005) zusammengefasst worden ist. Die rie- bedeutendsten. Sein Volumen wird vom sigen Dimensionen der Ablagerung erschwe- Autor auf ca. 8–9 km3 geschätzt. Die Oberflä- ren eine Erforschung erheblich, führen sogar che der Sturzmassen bedeckt eine Fläche zu Verwirrungen und schrecken zunächst von 52 km2. Heim (1883) hatte das Volumen von seiner Bearbeitung ab. Andererseits hat noch auf 15 km3 veranschlagt und diese das tiefe Einschneiden des Rheins und sei- Angabe wurde nachfolgend von vielen Auto- ner Nebenflüsse in die Sturzmasse zu sehr ren übernommen, Pollet (2004) geht bei guten und zugänglichen Aufschlüssen ge- einer jüngsten Schätzung von 11 km3 aus. führt, so dass hier eines der besten Studien- Der Flimser Sturz hat aufgrund seiner objekte für grosse Bergstürze vorliegt. Wesentlich ist auch, dass die Oberfläche der Sturzmassen nahezu keine weitere Überprä- gung erfahren hat. Weder die früher einmal 1) Bayerisches Geologisches Landesamt, angenommene Eisüberfahrung eines Vorder- Hess-Str. 128, D-80797 München rheingletschers des «Churer Stadiums» 33 34 C L: H (Staub 1938) oder des lokalen Segnesglet- das bis dahin als spätglazial eingestuft wor- schers (Jordi 1986), noch starke Erosions- den war. Dem Autor (1997) gelang eine Datie- vorgänge haben stattgefunden. Blumenthal rung auf einen Zeitraum von etwa (1911, S. 66) hatte dies bereits hervorgeho- 8’200–8’300 Jahre vor heute. Die altersmässi- ben: «Die Oberflächenformen sind reine ge Einengung des Ereignisses ist vom Autor Akkumulationsformen, die weder durch 2005 näher beschrieben worden. Ein kali- Gletscherarbeit, noch durch Flusserosion briertes Alter ist nur eingeschränkt anzuge- wesentlich verändert wurden». Nur entlang ben, da verschiedene Methoden verwendet der Rheinschlucht und der Zuflüsse erfolgte wurden und Lebensalter der Bäume mit ein- eine starke lineare Erosion. Im übrigen gerechnet werden müssen. Es kann nur grob sehen wir heute noch etwa die Oberfläche, mit 7300–7400 v.Chr. angegeben werden. Die- wie sie sich direkt nach dem Ereignis prä- ses Alter wurde inzwischen von verschiede- sentierte. Die zwangsläufige Setzung der nen Seiten und mit unterschiedlichen frisch abgelagerten Masse dürfte sich auf- Methoden bestätigt. Der Bergsturz fand so- grund der kompakten Internstruktur auf mit in einer Zeit mit bereits deutlich warm- wenige Meter beschränkt haben. Diese her- zeitlichem Klima statt. Jegliche in früheren vorragende Erhaltung der ursprünglichen Studien angenommenen Einflüsse einer Eis- Oberflächengestalt erlaubt zahlreiche Ablei- überfahrung oder des Abschmelzens des tungen auf die Genese der Bergsturzland- Eises als direktem Auslöser müssen somit schaft. klar abgelehnt werden. In jüngster Zeit wurde die Aktivität zur Un- tersuchung des Flimser Bergsturzes neu belebt. Teilweise waren hierfür die Vorunter- suchungen für den Umfahrungstunnel Flims und dessen Bau verantwortlich. Unabhängig davon haben sich auch mehrere Arbeits- gruppen aus der Schweiz, aus Frankreich und aus Bayern erneut mit dem Flimser Bergsturz befasst. Ein ganz wesentliches Ergebnis war die inzwischen weitgehend akzeptierte Neudatierung des Ereignisses, Felsuntergrund Kegel und Deltas Anbruchkanten Bergsturzhügel (Tomas) Malm (M), Dogger (D), Trias (T), Verrucano (V) Schuttkegel in Tomahügeln Alluvionen Sturzmassen von Tamins Bonaduzer Kiese Sturzmassen von Flims Seesedimente Fig. 1: Lageskizze (gegenüberliegende Seite) der Bergstürze von Flims und Tamins, basierend auf der Kar- te in Nabholz (1975). Folgende Lokalitäten sind durch Buchstaben gekennzeichnet: Ca = Carnifels; Hü = Hüschera; Pa = Parstogn; Ra = Ransun; Sch = Schiedberg; Uh = Unterhof; Vh = Vorderhof; Za = Zault. Die Seen: LM = Lag Mulin; LP = Lag Plaun; LPP = Lag Prau Pulté; LPT = Lag Prau Tuleritg; LS = Lag Segnes Sut. 35 2. Der Bergsturz und seine Seen funden haben. Da diese quer zur Bewe- gungsrichtung einige Stufen von jeweils 2.1 Das Bergsturzereignis mehreren Zehnermetern Höhe aufweist, dürfte hier eine weitere Zerlegung erfolgt Es muss angenommen werden, dass entspre- sein. Es ist allerdings davon auszugehen, chend einer frühen Annahme Heims (1883, S. dass die wesentliche Zerscherung beim 301) der Bergsturz «in einem Schlage» erfolg- Anprall der Massen an den Gegenhang te. Im Anrissgebiet am Flimserstein liegen erfolgt ist. Da durch die Geometrie des die Kalke des Jura und der Kreide in teil- Gegenhanges eine spezifische Deformation weise ausgeprägter Bankung vor, wobei die der Sturzmasse erfolgen musste, sind lokal Schichtung mit ca. 25–35° hangparallel nach sehr unterschiedliche Scherprozesse aufge- Süden einfällt. Das gesamte Schichtpaket hat treten. Die daraus resultierende Gebirgsfa- eine leichte Metamorphose erfahren. Es han- zies der Sturzmasse ist somit sehr inhomo- delt sich am Flimserstein nach den Aufnah- gen. Die von Pollet (2004) postulierten idea- men von Oberholzer (1933) nicht um eine lisierten klaren Verteilungen der verschiede- kontinuierliche Sedimentabfolge, sondern nen Faziestypen konnten nur selten um ein Paket von mehreren Falten und tek- nachvollzogen werden. tonischen Schuppen, die jedoch infolge der In vielen Bereichen ist eine Bruchstruktur starken Scherung nahezu parallele Struktu- entstanden, die als «dreidimensionale ren aufweisen. Zwischen den Kalkbänken Puzzle-Struktur» zu bezeichnen ist. Der zeigen sich insbesondere in der Nähe der ursprüngliche Gebirgsverband ist dabei Gleitbahn dünne mergelige Zwischenlagen. noch weitgehend erhalten geblieben, aber Da die Reibung entlang dieser Lagen redu- vollkommen zerbrochen (Fig. 2). Diese ziert ist, dürfte ihnen eine wesentliche Rolle Struktur wird von verschiedenen Trennflä- beim Anbruch und beim Transport zuge- chenscharen durchzogen. Entlang der be- kommen sein. vorzugten Scherbahnen ist das Gebirge zu Beim Abgang hat sich die Sturzmasse weit- feinstem Gesteinsmehl zerschert. Teilweise gehend als ein kompakter Block verhalten verlaufen diese Bahnen, wie unter anderem und sich nicht wesentlich seitwärts ausge- von Pollet (2004) beschrieben, entlang der breitet. Der teilweise in letzter Zeit auch ver- ursprünglichen Schichtflächen. Sehr häufig wendete Begriff «Sturzstrom» (Schmitter-Voi- treten aber auch rampenartige Scherbahnen rin 2000, Pollet & Schneider 2004, Wassmer auf, die mittelsteil nach Nord einfallen und et al. 2004, Schneider et al. 2004) trifft des- die ehemalige Schichtung schneiden. halb hier keineswegs zu. Er würde entspre- Nur die obersten Bereiche der Sturzmasse chend Heim (1934) in Analogie zum Berg- zeigen die typische Fazies eines Bergsturzes: sturz von Elm eine deutliche Fliessstruktur Grobe Blöcke in lockerer, chaotischer Lage- beinhalten. Leider wurde der deutsche rung, die von einer feinkörnigeren Matrix Begriff «Bergsturz» mit seiner ganzen Bedeu- umgeben sind. Ihre Entstehung ist auf das tungsbreite durch Hsü (1975) unzutreffend Fehlen einer vertikalen Einspannung in die- ins Englische als «sturzstrom» übersetzt. sen obersten Partien und der somit erleich- Aufgrund des Transportes «en bloc» konnte terten Zerlegung zurückzuführen. Zudem die ursprüngliche Struktur der Sturzmassen kann ein Entspannungseffekt als Ergebnis in erheblichem Masse erhalten bleiben. Die einer vorausgegangenen Druckwelle ange- Kalke sind