Bull. angew. Geol. Vol. 10/1 Juli 2005 S. 33-47

Der Flimser Bergsturz als Staudamm Andreas von Poschinger1

Keywords: Graubünden, Flims, Ilanz, Rock slide dam, dam break, flood sediments, chronology Stichworte: Graubünden, Flims, Ilanz, Bergsturzsee, Dammbruch, Flutsedimente, Chronologie

Zusammenfassung Abstract Vor ca. 8’200 Jahren wurde der durch The Flims rock slide blocked at about 8’200 yr BP die Flimser Bergsturzmassen aufgestaut, was zur the Vorderrhein river and so gave rise to the Paleo- Entstehung des Ilanzer Sees führte. Bereits wenig Lake of Ilanz. Shortly after the filling of the lake a später erfolgte ein Dammbruch, der grosse Was- severe flood event happened. The lake emptied not sermassen freisetzte und erhebliche Sediment- totally, but remained at a lower level for a long mengen transportierte. Der See, der eine maxima- time. After important and perhaps even complete le Höhe von weniger als 936 m ü.M. hatte, wurde filling of the remaining basin with sediments the allerdings nicht vollständig entleert, sondern blieb incision in the dam restarted and progressed in auf einem Niveau von ca. 820 m noch lange Zeit several smaller steps. Based on the detailed field erhalten. Erst als das Becken zu einem erheb- works, the following sequence of the events can be lichen Teil mit Sedimenten gefüllt war, begann ein envisioned: The Tamins rock slide occurred first, erneutes Einschneiden in den natürlichen Stau- damming Lake Bonaduz; the Flims slide came damm. Die weitere Entleerung des Sees erfolgte down soon after and probably entered in this lake; langsam und in kleinen Schritten. Die Geländeauf- at the same time the alluvium was mobilized and nahmen erlauben auch Schlüsse über den chrono- resedimented as Bonaduz gravel; Lake Ilanz was logischen Ablauf der Ereignisse um die Bergstürze dammed to a level between 820 and 936 m for very von Flims und Tamins. short time only; the dam broke partly and a flood happened; the remaining lake survived for a long time and was filled up by sediments; the Vorder- rhein river eroded the floodplain down to the actual level.

1. Einleitung

Der Flimser Bergsturz in der Graubündener Bedeutung eine sehr lange Erforschungsge- Surselva (Schweiz) (Fig. 1) gilt als der grös- schichte, die vom Autor bereits früher ste in den Alpen und als einer der weltweit (2005) zusammengefasst worden ist. Die rie- bedeutendsten. Sein Volumen wird vom sigen Dimensionen der Ablagerung erschwe- Autor auf ca. 8–9 km3 geschätzt. Die Oberflä- ren eine Erforschung erheblich, führen sogar che der Sturzmassen bedeckt eine Fläche zu Verwirrungen und schrecken zunächst von 52 km2. Heim (1883) hatte das Volumen von seiner Bearbeitung ab. Andererseits hat noch auf 15 km3 veranschlagt und diese das tiefe Einschneiden des Rheins und sei- Angabe wurde nachfolgend von vielen Auto- ner Nebenflüsse in die Sturzmasse zu sehr ren übernommen, Pollet (2004) geht bei guten und zugänglichen Aufschlüssen ge- einer jüngsten Schätzung von 11 km3 aus. führt, so dass hier eines der besten Studien- Der Flimser Sturz hat aufgrund seiner objekte für grosse Bergstürze vorliegt. Wesentlich ist auch, dass die Oberfläche der Sturzmassen nahezu keine weitere Überprä- gung erfahren hat. Weder die früher einmal 1) Bayerisches Geologisches Landesamt, angenommene Eisüberfahrung eines Vorder- Hess-Str. 128, D-80797 München rheingletschers des «Churer Stadiums»

33 34

C

L:

H (Staub 1938) oder des lokalen Segnesglet- das bis dahin als spätglazial eingestuft wor- schers (Jordi 1986), noch starke Erosions- den war. Dem Autor (1997) gelang eine Datie- vorgänge haben stattgefunden. Blumenthal rung auf einen Zeitraum von etwa (1911, S. 66) hatte dies bereits hervorgeho- 8’200–8’300 Jahre vor heute. Die altersmässi- ben: «Die Oberflächenformen sind reine ge Einengung des Ereignisses ist vom Autor Akkumulationsformen, die weder durch 2005 näher beschrieben worden. Ein kali- Gletscherarbeit, noch durch Flusserosion briertes Alter ist nur eingeschränkt anzuge- wesentlich verändert wurden». Nur entlang ben, da verschiedene Methoden verwendet der Rheinschlucht und der Zuflüsse erfolgte wurden und Lebensalter der Bäume mit ein- eine starke lineare Erosion. Im übrigen gerechnet werden müssen. Es kann nur grob sehen wir heute noch etwa die Oberfläche, mit 7300–7400 v.Chr. angegeben werden. Die- wie sie sich direkt nach dem Ereignis prä- ses Alter wurde inzwischen von verschiede- sentierte. Die zwangsläufige Setzung der nen Seiten und mit unterschiedlichen frisch abgelagerten Masse dürfte sich auf- Methoden bestätigt. Der Bergsturz fand so- grund der kompakten Internstruktur auf mit in einer Zeit mit bereits deutlich warm- wenige Meter beschränkt haben. Diese her- zeitlichem Klima statt. Jegliche in früheren vorragende Erhaltung der ursprünglichen Studien angenommenen Einflüsse einer Eis- Oberflächengestalt erlaubt zahlreiche Ablei- überfahrung oder des Abschmelzens des tungen auf die Genese der Bergsturzland- Eises als direktem Auslöser müssen somit schaft. klar abgelehnt werden. In jüngster Zeit wurde die Aktivität zur Un- tersuchung des Flimser Bergsturzes neu belebt. Teilweise waren hierfür die Vorunter- suchungen für den Umfahrungstunnel Flims und dessen Bau verantwortlich. Unabhängig davon haben sich auch mehrere Arbeits- gruppen aus der Schweiz, aus Frankreich und aus Bayern erneut mit dem Flimser Bergsturz befasst. Ein ganz wesentliches Ergebnis war die inzwischen weitgehend akzeptierte Neudatierung des Ereignisses,

Felsuntergrund Kegel und Deltas Anbruchkanten Bergsturzhügel (Tomas) Malm (M), Dogger (D), Trias (T), Verrucano (V) Schuttkegel in Tomahügeln Alluvionen Sturzmassen von Tamins Bonaduzer Kiese Sturzmassen von Flims Seesedimente

Fig. 1: Lageskizze (gegenüberliegende Seite) der Bergstürze von Flims und Tamins, basierend auf der Kar- te in Nabholz (1975). Folgende Lokalitäten sind durch Buchstaben gekennzeichnet: Ca = Carnifels; Hü = Hüschera; Pa = Parstogn; Ra = Ransun; Sch = Schiedberg; Uh = Unterhof; Vh = Vorderhof; Za = Zault. Die Seen: LM = Lag Mulin; LP = Lag Plaun; LPP = Lag Prau Pulté; LPT = Lag Prau Tuleritg; LS = Lag Segnes Sut.

35 2. Der Bergsturz und seine Seen funden haben. Da diese quer zur Bewe- gungsrichtung einige Stufen von jeweils 2.1 Das Bergsturzereignis mehreren Zehnermetern Höhe aufweist, dürfte hier eine weitere Zerlegung erfolgt Es muss angenommen werden, dass entspre- sein. Es ist allerdings davon auszugehen, chend einer frühen Annahme Heims (1883, S. dass die wesentliche Zerscherung beim 301) der Bergsturz «in einem Schlage» erfolg- Anprall der Massen an den Gegenhang te. Im Anrissgebiet am Flimserstein liegen erfolgt ist. Da durch die Geometrie des die Kalke des Jura und der Kreide in teil- Gegenhanges eine spezifische Deformation weise ausgeprägter Bankung vor, wobei die der Sturzmasse erfolgen musste, sind lokal Schichtung mit ca. 25–35° hangparallel nach sehr unterschiedliche Scherprozesse aufge- Süden einfällt. Das gesamte Schichtpaket hat treten. Die daraus resultierende Gebirgsfa- eine leichte Metamorphose erfahren. Es han- zies der Sturzmasse ist somit sehr inhomo- delt sich am Flimserstein nach den Aufnah- gen. Die von Pollet (2004) postulierten idea- men von Oberholzer (1933) nicht um eine lisierten klaren Verteilungen der verschiede- kontinuierliche Sedimentabfolge, sondern nen Faziestypen konnten nur selten um ein Paket von mehreren Falten und tek- nachvollzogen werden. tonischen Schuppen, die jedoch infolge der In vielen Bereichen ist eine Bruchstruktur starken Scherung nahezu parallele Struktu- entstanden, die als «dreidimensionale ren aufweisen. Zwischen den Kalkbänken Puzzle-Struktur» zu bezeichnen ist. Der zeigen sich insbesondere in der Nähe der ursprüngliche Gebirgsverband ist dabei Gleitbahn dünne mergelige Zwischenlagen. noch weitgehend erhalten geblieben, aber Da die Reibung entlang dieser Lagen redu- vollkommen zerbrochen (Fig. 2). Diese ziert ist, dürfte ihnen eine wesentliche Rolle Struktur wird von verschiedenen Trennflä- beim Anbruch und beim Transport zuge- chenscharen durchzogen. Entlang der be- kommen sein. vorzugten Scherbahnen ist das Gebirge zu Beim Abgang hat sich die Sturzmasse weit- feinstem Gesteinsmehl zerschert. Teilweise gehend als ein kompakter Block verhalten verlaufen diese Bahnen, wie unter anderem und sich nicht wesentlich seitwärts ausge- von Pollet (2004) beschrieben, entlang der breitet. Der teilweise in letzter Zeit auch ver- ursprünglichen Schichtflächen. Sehr häufig wendete Begriff «Sturzstrom» (Schmitter-Voi- treten aber auch rampenartige Scherbahnen rin 2000, Pollet & Schneider 2004, Wassmer auf, die mittelsteil nach Nord einfallen und et al. 2004, Schneider et al. 2004) trifft des- die ehemalige Schichtung schneiden. halb hier keineswegs zu. Er würde entspre- Nur die obersten Bereiche der Sturzmasse chend Heim (1934) in Analogie zum Berg- zeigen die typische Fazies eines Bergsturzes: sturz von Elm eine deutliche Fliessstruktur Grobe Blöcke in lockerer, chaotischer Lage- beinhalten. Leider wurde der deutsche rung, die von einer feinkörnigeren Matrix Begriff «Bergsturz» mit seiner ganzen Bedeu- umgeben sind. Ihre Entstehung ist auf das tungsbreite durch Hsü (1975) unzutreffend Fehlen einer vertikalen Einspannung in die- ins Englische als «sturzstrom» übersetzt. sen obersten Partien und der somit erleich- Aufgrund des Transportes «en bloc» konnte terten Zerlegung zurückzuführen. Zudem die ursprüngliche Struktur der Sturzmassen kann ein Entspannungseffekt als Ergebnis in erheblichem Masse erhalten bleiben. Die einer vorausgegangenen Druckwelle ange- Kalke sind jedoch sehr intensiv und in sehr nommen werden. Die Mächtigkeit dieser unterschiedlichem Masse zerbrochen. Ein chaotischen lockeren Überlagerung über- erstes Zerbrechen der rigiden Gleitmasse steigt selten 10–20 Meter. dürfte bereits während der Bewegung ent- Diese Fazies ist deutlich von der wesentlich lang der leicht gewellten Gleitfläche stattge- dichteren Fazies der Hauptmasse zu unter-

36 scheiden. Hier treten zwei Typen auf: Einer- deutlich reduzierte Durchlässigkeiten. Als seits eine chaotische aber sehr dicht gela- weitere Besonderheit ist die spezifische gerte Fazies, andererseits die bereits ange- Puzzle Struktur zu sehen, bei der die Körner sprochene «dreidimensionale Puzzle Struk- einen sehr engen Kontakt haben und die Korn- tur» mit Erhalt der ehemaligen Struktur. Zwi- grenzen häufig einen Passsitz aufweisen. Die schen beiden Typen treten alle möglichen Kornzwischenräume sind somit stark redu- Übergänge auf. ziert. Dennoch ist bei entsprechend hohem Die lockere Überlagerung weist eine hohe Wasserdruck insgesamt von einer erheblichen Durchlässigkeit auf und ist aufgrund des Durchlässigkeit auszugehen. Wesentlich ist hohen Anteiles an lockerem Feinkorn leicht zu aber, dass eine interne Erosion innerhalb die- erodieren. Dies trifft sowohl für Oberflächen- ser Fazies, wie unter anderem von Davies & erosion, als auch für Subrosion zu. Wesentlich McSaveney (2004) ausgeführt, erheblich schwerer ist das Verhalten der Puzzle-Struk- erschwert ist. Insbesondere ein Transport tur abzuschätzen. In jedem Stadium der Zerle- von Feststoffen innerhalb des Gebirges ist gung ist sie mit einem dichten Netz von Klüf- nahezu unmöglich, was zu einer insgesamt ten durchzogen. Die Durchlässigkeit kann deutlich erhöhten Erosionsresisistenz führt. aber durch zwei Phänomene reduziert wer- den. Es treten immer wieder Scherzonen und -bahnen auf, die von sehr feinkörnigem Gesteinsmehl aufgebaut werden. Sie zeigen

Fig. 2: Bergsturzmaterial im Versamer Tobel in «dreidimensionaler Puzzle Struktur». Die Bewegungsrich- tung ist von rechts nach links. Am rechten Rand ist eine subhorizontale Schichtung zu erkennen (parallel weisser Pfeil). Bedeutende Bewegungen sind an nordfallenden, rampenartigen Scherbah- nen erfolgt (parallel weisse Linie).

37 2.2 Die Bergsturzseen kurzzeitig bestanden und dass ein Damm- bruch bereits frühzeitig nach dem Bergsturz- 2.2.1 Der Ilanzer See ereignis stattgefunden hat. Wahrscheinlich ist er mit einem ersten Überfliessen der Der Flimser Bergsturz hat zwei grosse Seen Dammkrone in Verbindung zu bringen. Die und mehrere kleinere aufgestaut. Der weit- Zeit für den Anstieg des Seespiegels bis zum aus grösste war derjenige, in dessen ehema- Niveau von 820 m ü.M. kann unter Ansatz ligem Becken sich später die Stadt Ilanz ent- des aktuellen durchschnittlichen Abflusses wickelt hat. Er wird deshalb als Ilanzer See im Vorderrhein auf etwa 13 Monate berech- bezeichnet. Seine Ausdehnung und insbe- net werden (Poschinger et al., 2005). Ein wei- sondere der maximale Seespiegel sind in terer Anstieg bis auf 870 oder sogar 920 m letzter Zeit sehr kontrovers diskutiert wor- ü.M. würde ca. 2–4 Jahre beansprucht den (Schmitter-Voirin, 2003). Ein Seespiegel haben, wenn eine Versickerung und eine von ca. 820 m ü.M. ist durch zahlreiche Phä- Durchströmung der Sturzmassen nicht nomene nachgewiesen. Dies sind morpholo- berücksichtigt werden. Die tatsächliche Fül- gische Spuren, Deltasedimente und feinkör- lung kann demnach auch noch etwas länger nige Seesedimente. Sie bezeugen, dass der gedauert haben. See auf diesem Niveau längere Zeit bestan- Die Ausmasse des Ilanzer Sees für die ver- den hat. Allerdings reichen östlich der ehe- schiedenen Seespiegel können bisher nur maligen Bergsturzbarriere auch die Aus- sehr grob abgeschätzt werden. Für den See- bruchsedimente eines Dammbruches fast spiegel von 820 m ü.M. ergibt sich eine Länge bis in diese Höhe. Der Dammbruch muss bis etwa Darvella östlich von Trun von ca. 23 somit ein noch höheres Seeniveau betroffen km und ein Volumen von ca. 1,5 km3. Nimmt haben, denn die Ausbruchsedimente zeugen man einen Seespiegel von 870 m ü.M. an, davon, dass sich der Seespiegel beim Aus- beträgt die Länge 25 km. Bei 920 m ü.M. bruch bis auf dieses Niveau reduziert hat. reichte der See bis westlich von Rabius (sie- Heute sind keine klaren Spuren für diesen he Fig. 1) und hatte eine Länge von ca. 29 km, höheren Wasserstand mehr erkennbar. Er sein Volumen belief sich dann auf ca. 3 km3. kann bei ca. 870 oder sogar 920 m ü.M. gele- Die Oberfläche des Sees schwankt entspre- gen haben, mit Sicherheit aber nicht über chend zwischen ca. 24 und 33 km2. Diese 936 m. In dieser Höhe befindet sich rechts- sehr groben Zahlen sollen in näherer Zukunft seitig des Vorderrheins an der Versamer mit Hilfe eines digitalen Geländemodells prä- Strasse der kleine Pass von Carnifels/Erla- zisiert werden. cresta (Fig. 1 und 3). Die Morphologie mit In der bisherigen Literatur gab es wider- der ausgeprägten abflusslosen Senke von sprüchliche Angaben über die Lebensdauer Chessi zeigt eindeutig, dass dort nie ein des Ilanzer Sees und besonders über seinen bedeutender Abfluss stattgefunden hat, der Ausbruch. Beim Bau der Deponie von Rueun, Pass also nicht überströmt wurde. etwa 5 km westlich von Ilanz, wurden die Im Höhenbereich zwischen 820 und 936 m typischen geschichteten Seesedimente auf- ü.M. finden sich an den Talflanken nur sehr geschlossen. Sie erreichen im Zentrum des unklare Hinweise auf einen ehemaligen See. ehemaligen Seebeckens unter dem derzeiti- Diese können auch jeweils nicht eindeutig gen Rheinniveau eine erbohrte Mächtigkeit dem Ilanzer See zugeordnet werden, denn von über 20 m. Aber auch an den Talflanken sie können ebenso auf spätglaziale Prozesse finden sich bis in 760 bis 780 m ü.M. bedeu- zurückzuführen sein. Das Fehlen von klaren tende Aufschlüsse von Seesedimenten. Bei- morphologischen Hinweisen oder von Sedi- spielsweise sind der Ruine Schiedberg menten oberhalb von 820 m ü.M. weist dar- bei Sagogn 18 m sehr gut geschichtete Fein- auf hin, dass ein höherer Seespiegel nur sehr sande und Silte aufgeschlossen (Fig. 1, 3 und

38 Fig. 3: Schematischer Längsschnitt des Ilanzer Sees. Die Darstellung des anstehenden Fels unter den Allu- vionen ist reine Annahme. Der maximale Seespiegel kann den kleinen Pass von Carnifels/Erlacresta mit 936 m Höhe nicht überstiegen haben und lag wohl nur bei 870 bis 920 m ü.M.. Eine Zuordnung des ausgeprägten Deltas von Zignau zum Ilanzer See ist nicht gesichert.

4). Die Schichtung ist nahezu horizontal und bei Schiedberg beziehen und nicht auf die zeigt an, dass diese Ablagerung nicht nur Füllung des gesamten Sees mit über 100 m randliche Überreste einer teilweisen Füllung Mächtigkeit. Eine Lebensdauer von ca. 1’000 sind, sondern, dass das Becken zumindest Jahren erscheint somit durchaus realistisch. bis auf deren Niveau in ca. 760 m ü.M. – mög- Es muss hier nochmals verdeutlicht werden, licherweise aber auch noch weiter – mit See- dass sich diese Lebenszeit auf den Seespie- ablagerungen gefüllt war. gel von 820 m bezieht. Ein kurzfristig höhe- Dies zeigt an, dass der See in dieser Ausdeh- rer Seespiegel, der zu einem katastrophalen nung für viele Jahre bestanden haben muss. Dammbruch führte, wird nachfolgend noch Die Ursache der sehr gleichmässigen, war- angesprochen. venähnlichen Schichtung ist nicht eindeutig. Sie kann auf jährliche klimatische Schwan- 2.2.2 Versamer See kungen zurückzuführen sein, so dass jede Lage ein Jahr repräsentieren würde. Sie kann Der Versamer und der Ilanzer See wurden aber auch durch mehrmals jährlich wieder- beide durch das selbe Bergsturzereignis auf- holten Sedimenteintrag anlässlich von Stark- gestaut, wurden aber unabhängig voneinan- regenereignissen im Einzugsgebiet bedingt der aufgefüllt und geleert. Der kleinere Ver- gewesen sein. Die Durchschnittsmächtigkeit samer See wurde bis zu einem Niveau von jeder einzelnen Schicht von ca. 2 cm ergibt ca. 870 m ü.M. aufgestaut und hatte eine Län- bei einer Mächtigkeit von 18 m eine Gesamt- ge von ca. 5 km (Fig. 5). Wegen des starken anzahl von ca. 900 Schichten. Dies könnte im Gefälles der Rabiusa und wegen der Steilheit Falle von Jahreswarven eine Dauer von bis der Talflanken war das Becken relativ klein. zu 900 Jahren anzeigen. Geht man jedoch Eine Angabe über das Volumen ist heute von wiederholten Sedimenteinträgen durch nicht mehr möglich, da die Rabiusa in dieses Starkregenereignisse aus, ergibt sich immer Becken sehr stark eingeschnitten und die noch eine Dauer von mehreren 100 Jahren. frühere Füllung sowie Teile von deren Um- Wesentlich ist, dass sich diese groben Zah- rahmung weitgehend entfernt hat. len nur auf den 18 m hohen Sedimentstapel Seesedimente findet man nahe /Unter-

39 Fig. 4: Sedimente des Ilanzer Sees bei der Ruine Schiedberg. Die horizontal gelagerten und gut geschichte- ten Feinsande und Schluffe weisen auf eine Auffüllung des Seebeckens bis auf dieses Niveau hin.

hof (siehe Fig. 1) auf einer Höhe von ca. 860 gefüllt war, bevor die Rabiusa sich einge- und bei Parstong auf ca. 870 m ü.M. Rechts- schnitten und schliesslich zur Ausbildung seitig des Tales zeichnet sich zudem eine der heutigen imposanten Schlucht geführt von Parstogn ausgehende Schulter im Gelän- hat. de ab, die flussaufwärts bis Vorderhof auf eine Höhe von ca. 900 m ü.M. ansteigt. Diese 2.2.3 Die kleinen Seen Schulter kann aufgrund der dort anstehen- den Kiese als früheres Deltaniveau interpre- Mehrere kleine Seen wurden durch eine seit- tiert werden. Nördlich von Parstong finden liche Abschnürung durch die Bergsturzmas- sich am Fussweg zur Rabiusabrücke bei 850 sen gebildet (Fig. 1). Der Lag Grond und der m ü.M. auch typische, gut geschichtete, san- bereits weitgehend verlandete Lag digl digschluffige Seesedimente. Auch für den Oberst bei Laax bestehen noch heute, der Versamer See ergibt sich ein Maximalniveau, Lag Plaun, der Lag Segnas Sut und der Lag das nicht überschritten wurde. So hat die Mulin sind verlandet. Das Becken von Rabiusa den morphologischen Sattel beim Hüschera bei Versam wurde durch die Ort Versam in Höhe von 908 m ü.M. nicht durchlässige Bergsturzmasse drainiert und überflossen. Die Morphologie zeigt, dass hat nach dem Bergsturz zunächst keinen See von hier in Richtung der Senke von gebildet. Erst später erfolgte von der südsei- Hüschera (siehe Fig. 1) kein nennenswerter tigen Talflanke, die von Bündnerschiefern Abfluss stattgefunden hat. Die Kies- und aufgebaut wird, ein Eintrag von Feinmaterial Sandschichten auf der Ebene von Parstong durch Muren. Dieses Feinmaterial hat das weisen darauf hin, dass der Versamer See Becken abgedichtet, so dass zeitweise ein bis auf diese Höhe vollständig mit Sediment See entstanden ist (Poschinger et al. 2005).

40 Fig. 5: Schematischer Längsschnitt durch den ehemaligen Versamer See.

Auch auf der Sturzmasse selbst haben sich Neigung von 2–2,5° (4%), die sich erst öst- mehrere Seen gebildet (siehe Fig. 1). Lag lich von Reichenau leicht reduziert. Nur der Prau Pulta, Lag Prau Tuleritg, Lag La Cauma oberste Teil bei Ransun ist etwas flacher, und Lag La Cresta sind Gewässer mit jeweils was darauf hinweist, dass hier vorwiegend sehr komplizierter Hydrologie (Bonanomi et Erosion des Dammmaterials stattgefunden al. 1994). Vorläufige Ergebnisse von Untersu- hat. Die Flutsedimente haben sich seitlich chungen der Sedimente in diesen Seen über mehr als einen Kilometer ausgebreitet. durch Deplaces & Anselmetti (mündliche Ihr Volumen ist nur schwer abzuschätzen, Mitteilung) deuten ein junges Alter an, das da ihre Mächtigkeit nur an wenigen Punkten den bisherigen Datierungen des Bergsturz- bekannt ist. Sehr grob kann es mit 30–50 × ereignisses nicht entgegensteht. 106 m3 geschätzt werden. In mehreren Anschnitten entlang des Vorderrheins ist der Aufbau der Flutablage- 2.3 Ablauf der Ereignisse rungen gut aufgeschlossen (Fig. 7 und 8). Im Aufschluss nordwestlich Zault zeigt sich bei- 2.3.1 Der Ausbruch des Ilanzer Sees spielsweise, dass dort die eigentliche Sturz- masse von Kiessedimenten bedeckt ist, die Von verschiedenen Autoren (u.a. Abele offensichtlich mit den Sturzmassen trans- 1974) ist angenommen worden, dass sich portiert oder durch diese ausgequetscht der Ilanzer See nach einem katastrophalen worden sind. Dementsprechend sind sie Dammbruch vollständig entleerte. Alle Bear- noch dem Sturzereignis zuzurechnen. Sie beiter beziehen sich auf eine ausgedehnte formen gemeinsam mit den eigentlichen geneigte Ebene, die von Flutablagerungen Sturzablagerungen eine stark reliefierte aufgebaut wird und die sich über 6 km von Oberfläche. Dieses Relief wurde später Ransun bis Zault erstreckt (Fig. 6). Sie setzt durch die Flutsedimente aufgefüllt. Die Sedi- sich dann weiter nach Reichenau fort, um mentation der Seeausbruchssedimente be- schliesslich bei Domat/Ems unter jüngeren gann mit typischen Murablagerungen, die Alluvionen des Rheins abzutauchen. Die durch grobe und leicht angerundete Blöcke Oberfläche hat eine erstaunlich konstante charakterisiert sind (Fig. 7). Diese Blöcke

41 Ransun

Zault

Dabi

Fig. 6: Blick von Trin nach Südwesten über die Bergsturzablagerungen (bewaldete Hügel) auf die Flutebene (Pfeile) von Ransun, Zault und Dabi (siehe Fig. 1).

sind in verschiedenen undeutlichen Lagen trated flow» handeln könnte. Die beim See- angereichert und werden durch Material bis ausbruch anzunehmende enorme Flutwelle in Grobkiesfraktion voneinander getrennt. könnte durchaus für eine solche spezielle Diese grobe Murschüttung erreicht ca. 15 m Form des Transportes verantwortlich gewe- Mächtigkeit. Nach oben zu werden die Sedi- sen sein. Die Ablagerung der geschichteten mente feiner. Die dann vorherrschende Sedimente repräsentiert die letzte Phase des Mittelkiesfraktion zeichnet eine deutliche Seeausbruches. Sie formte die geneigte Schichtung nach (Fig. 8). Die Mächtigkeit der Oberfläche der Ausbruchssedimente. Später geschichteten Kiese erreicht ca. 10 m, jede fand nur noch eine Eintiefung in diesen Sedi- einzelne Schicht ist 5–15 cm mächtig. Die menten durch fluviale Erosion statt. Komponenten bestehen durchwegs aus Wie bereits dargelegt wurde, finden sich kei- eckigen Bergsturzkomponenten. Einzelne ne klaren morphologischen Hinweise für Lagen enthalten nur Sand oder sogar nur fei- einen Seespiegel oberhalb von 820 m ü.M. nen Silt. Auf den ersten Blick kann dieses Der grössere Ilanzer See, der für den Aus- Sediment als eine Ablagerung in einem bruch verantwortlich war, bestand deshalb Milieu mit geringer Energie gedeutet wer- wohl nur für sehr kurze Zeit. Wahrscheinlich den. Dem widersprechen allerdings einzelne hat bereits das erste Überströmen, mögli- sehr grosse Blöcke innerhalb dieser Schich- cherweise auch im Zusammenhang mit einer ten (Fig. 8). Es steht somit auch zur Debatte, Durchsickerung, zum Dammbruch geführt. ob es sich im Sinne von Pierson & Costa Dies könnte auch die Beobachtungen von (1987) um Ablagerung eines «hyperconcen- Wessels (1998) in den Bodenseesedimenten,

42 80 km flussabwärts von Flims, erklären. Er lich ist, sollten auch noch andere Entste- fand zwei bedeutende Anomalien in den hungsursachen berücksichtigt werden. So sehr regelmässigen Schichtungen der Sedi- sind subaquatische Rutschungen, z.B. durch mente, die durch wenige Lagen von norma- Erdbeben ausgelöst, als Ursache nicht voll- ler Sedimentation getrennt sind. Schneider ständig auszuschliessen. et al. (2004) ordnen diese Anomalien jeweils Erhebliche Unsicherheit besteht auch noch dem Ausbruch eines Tamins/Bonaduzer über die interne Struktur des früheren Berg- Sees (erste Anomalie) sowie des Ilanzer Sees sturzdammes. Wahrscheinlich begann der (zweite Anomalie) zu. Nach den oben darge- Dammbruch in der lockeren Überlagerung. legten Geländebefunden erscheint es wahr- Hier kann auch Subrosion infolge von star- scheinlicher, dass die erste Anomalie direkt ker Durchströmung eine erhebliche Rolle dem Flimser Bergsturzereignis und der gespielt haben. Der Hauptteil des Dammes Mobilisierung der Bonaduzer Kiese zuzuord- wurde jedoch von der dichteren Fazies und nen wäre. Die zweite Anomalie würde dann vor allem von der sogenannten Puzzlestruk- dem Ausbruch des Ilanzer Sees entspre- tur aufgebaut, die erheblich erosionsresi- chen. So lange allerdings noch keine eindeu- stenter ist. Beim Dammbruch wurde auch tige Zuordnung der Anomalien zu den Berg- diese Fazies angeschnitten. Mit der Eintie- sturzereignissen bei Flims und Tamins mög- fung verlängerte sich die durchströmte Län-

Fig. 7: Murartige Sedimente des Ausbruchs des Ilanzer Sees. Die Grobblöcke sind in undeutlichen Lagen angereichert und zeigen eine leichte Anrundung. Sie repräsentieren die ersten Ablagerungen wäh- rend des Ausbruches.

43 ge der Bresche zunehmend. Zudem reduzier- le (1974) hat noch drei unterschiedliche te sich der Abfluss mit der sich reduzieren- Niveaus von Terrassen ausgeschieden. Nach den Seeoberfläche. Dies muss schliesslich eigenen Untersuchungen können minde- dazu geführt haben, dass die Erosion bei stens fünf solcher Niveaus auskartiert wer- einem Niveau von ca. 820 m ü.M. zum Still- den. stand kam. Offensichtlich blieb der restliche Damm so lange stabil, bis das verbliebene 2.3.2 Das Verhältnis zwischen dem Flimser Seebecken zumindest in erheblichem Masse und dem Taminser Bergsturz mit Sedimenten gefüllt werden konnte. Erst dann schnitt sich der Rhein vom Niveau auf Der Flimser Bergsturz ist sehr eng mit seinem 820 m ü.M. zum aktuellen Flussbett auf ca. unmittelbaren Nachbarn, dem Taminser 610 m ü.M., also weitere 210 m tief ein. Hier- Bergsturz, verbunden. Dessen Volumen bei wurden keine nennenswerten Flutsedi- beträgt nach Abele (1974) «nur» ca. 1–1,6 mente mehr erzeugt. Das weist daraufhin, km3, weshalb er immer im Schatten seines dass dieses Einschneiden langsam erfolgte. grossen Bruders, des Flimser Bergsturzes, Die beobachteten Erosionsterrassen sowie stand. Eine Interpretation der Abfolge der mehrere Deltaniveaus zeigen, dass das Ein- Ereignisse von Flims und Tamins ist für das schneiden in mehreren Stufen erfolgte. Abe- Verständnis der jeweiligen Mechanismen

Fig. 8: Ablagerungen der Flut beim Ausbruch des Ilanzer Sees mit klarer Schichtung. Um den grossen Block weist die Schichtung keinerlei Störung auf. Die Komponenten bestehen ausschliesslich aus umgela- gertem Sturzmaterial. Dieses Material wurde zum Ende des Ausbruchs abgelagert.

44 von Bedeutung. Leider gibt es für den Tamin- mobilisiert worden und gegen den bereits ser Bergsturz bisher keine exakten Datierun- bestehenden Riegel der Taminser Ablage- gen. Jüngste vorläufige Ergebnisse von Ober- rungen angebrandet sind. flächenexpositionsalter-Analysen mit 36Cl, b) Die Bonaduzer Kiese werden fast aus- die von Ivy-Ochs (mündliche Mitteilung) schliesslich stromaufwärts des Riegels durchgeführt wurden, zeigen ein Alter, das von Tamins und dort bis weit in das dem von Flims sehr ähnlich ist. Die Abwei- Hinterrheintal gefunden (siehe Fig. 1). chung liegt vorbehaltlich weiterer Untersu- Wären sie durch den Taminser Sturz her- chungen bei weniger als ± 1’000 Jahre. vorgerufen worden, sollten Sie auch Mehrere Beobachtungen sprechen für die stromabwärts zu finden sein. Im Falle Annahme, dass der Taminser Bergsturz älter einer Generierung durch den Flimser Sturz als der Flimser ist (Fig. 9). jedoch bildete ein bereits bestehender a) Die Bonaduzer Kiese, ein ganz spezielles Riegel von Tamins eine ideale Barriere, die Sediment, von dem anzunehmen ist, dass für eine Ableitung in das Hinterrheintal es durch Fluidisierung als Folge des Auf- sorgen konnte (Fig. 9/3). treffens der Flimser Sturzmasse auf die c) Die Flutsedimente des Seeausbruchs des Alluvionen entstanden ist (Abele 1991, Ilanzer Sees sind in die horizontale Ober- Poschinger et al. 2005), weisen einen fläche der Bonaduzer Kiese eingeschnit- scharfen Kontakt zu den Taminser Ablage- ten (Fig. 9/5). Dementsprechend muss das rungen auf. Die Oberfläche der Taminser Flutereignis jünger als die Genese der Sturzmassen ist in einer Mächtigkeit von 5 Bonaduzer Kiese sein. bis 20 cm mit Karbonat imprägniert und d) Die erstaunlich gleichmässig geneigte somit mit einer harten Kruste überzogen Rampe der Flutablagerungen des Aus- bzw. zu einer Breccie verkittet. Die Genese bruchs des Ilanzer Sees setzt sich durch dieser Kruste, in die auch Kieskomponen- die Bresche im Bergsturzriegel von ten fest mit eingebacken sind, ist noch völ- Tamins ohne jegliche Störung der gleich- lig ungeklärt. Diese Kruste ist geglättet, mässigen Oberfläche fort. Das weist dar- poliert sowie tief gestriemt und gekritzt. auf hin, dass nicht nur der Bergsturzriegel Sie ähnelt damit erheblich einer glazial von Tamins während des Ausbruchs des polierten Oberfläche und wurde auch von Ilanzer Sees bereits bestanden hat, son- mehreren Autoren so interpretiert (z.B. dern auch die Bresche in diesem Damm. Abele 1974, Zimmermann 1971). Die Rich- Der Bonaduzer See, der durch den Riegel tungen der Striemung sind jedoch mit von Tamins aufgestaut worden war, muss einem glazialen Ursprung schwer in Ver- also bereits durch diese Lücke entwässert bindung zu bringen. Zudem ist kein ande- worden sein. Überreste von sehr bedeu- rer eindeutig glazialer Einfluss erkennbar. tenden Flutsedimenten finden sich in Es ist aber einer späteren Annahme Abe- einer Erosionsterrasse bei Felsberg Alt- les (Abele 1991) folgend, durchaus auch dorf (Fig. 9/3). Sie liegen in einer deutlich möglich, dass die Striemungen durch die höheren Position als die Flimser Flutsedi- fluidisierten Bonaduzer Kiese während mente und weisen oberhalb des Riegels deren Transport erzeugt wurden. von Tamins keine Verlängerung auf. Sie Der Kontakt zwischen den Flimser Ablage- werden somit dem Ausbruch des Bonadu- rungen und den Bonaduzer Kiesen ist zer Sees zugeordnet. nicht scharf. In vielen Aufschlüssen kann Alle diese Beobachtungen können als Hin- festgestellt werden, dass die Flimser Sturz- weis darauf gedeutet werden, dass die Berg- massen und die Bonaduzer Kiese verzahnt sturzschwelle von Tamins bereits bestanden sind. Dies deutet daraufhin, dass die Bona- haben muss, als der Flimser Bergsturz abge- duzer Kiese durch die Flimser Massen gangen ist.

45 Fig. 9: Skizzenhafte Darstellung des Ablaufs der Ereignisse um den Flimser Bergsturz. 1. Ursprünglicher Zustand mit Rheinalluvionen; 2. Ablagerung des Taminser Bergsturzes und Aufstau des Bonaduzer Sees; 3. Ablagerung des Flimser Bergsturzes und Mobilisierung der Alluvionen (= Bonaduzer Kiese), Ausbruch des Bonaduzer Sees mit Bildung von Flutsedimenten bei Felsberg und Erosion der Taminser Schwelle; 4. Anstau des Ilanzer Sees, weitere Erosion der Schwelle von Reichenau sowie der Kiese von Bonaduz; 5. Bruch des Flimser Bergsturzdamms und Erosion der Schwelle auf das Niveau von ca. 820 m, Ablagerung der Flutsedimente in der Bresche von Reichenau; 6. Weitgehende Füllung des Beckens von Ilanz mit Sedimenten, nachfolgend schrittweises Einschneiden bis zum heutigen Vorderrheinniveau.

3. Schlussfolgerungen

Auch wenn zahlreiche der oben gemachten tur. Nichtsdestoweniger folgte dem Berg- Beobachtungen noch durch weitere Untersu- sturzereignis ein sehr bedeutendes Flutereig- chungen abgesichert werden müssen, sind nis. Wahrscheinlich hat sich der Seespiegel einige generelle Schlussfolgerungen bereits zwar nur um weniger als 100 m erniedrigt möglich. Der Flimser Damm hatte grundsätz- und somit nur ca. 20–30% seiner Gesamthö- lich günstige Voraussetzungen für eine lang- he verloren, doch kann das freigesetzte Was- fristige Stabilität. Hierzu zählt sowohl die ser auf mehr als 1 km3 geschätzt werden. Es Dammlänge als auch die dichte Internstruk- war für eine katastrophale Flutwelle verant-

46 wortlich, die offensichtlich bis in den 80 km Nabholz, W. 1975: Geologischer Überblick über die entfernten Bodensee gelangt ist. Schiefersackung des mittleren Lugnez und über das Bergsturzgebiet Ilanz-Flims-Reichenau- Das Beispiel des Flimser Bergsturzes zeigt, Domleschg. Bull Ver. Schweiz. Petroleum-Geol. dass nicht nur der vollständige Bruch eines u. Ing. 42, 38–54. Bergsturzdammes für katastrophale Flut- Jordi, U. 1986: Glazialmorphologische und glet- schergeschichtliche Untersuchungen im Tami- ereignisse verantwortlich ist. Auch bei ande- natal und im Rheintalabschnitt zwischen Flims ren Bergsturzablagerungen in den Alpen und Feldkirch. Geogr. Bernensia, G 27, 168 S. scheint es verbreitet zu sein, dass zunächst Oberholzer, J. 1933: Geologie der Glarneralpen. Beitr. z. Geol. Karte der Schweiz. 28. ein oberer Teil des Dammes gebrochen ist Pavoni, N. 1968: Über die Entstehung der Kiesmas- und zu einem Flutereignis geführt hat, wäh- sen im Bergsturzgebiet von Bonaduz-Reichenau rend zunächst ein Restdamm erhalten blieb. (Graubünden). Ecl. Geol. Helv. 61/2, 494–500. Ein Beispiel dürfte der See von Längenfeld Pierson, T.C. & Costa, J.E. 1987: A rheological clas- sification of subaerial sedimentwater flows. hinter dem Köfelser Bergsturz im Ötztal sein. Geol. Soc. America, Rev. Eng. Geol. 7, 1–12. Abele (1974) nennt zahlreiche weitere Bei- Pollet, N. 2004 : Mouvements gravitaires rapides de spiele. Es ist nur trivial und jeder Talsperren- grandes masses rocheuses : Apport des obser- vations de terrain à la compréhension des pro- und Dammingenieur ist sich der Tatsache cessus de propagation et dépôt. Application aux bewusst, dass die oft exponentiell ansteigen- cas de La Madeleine (Savoie, France), Flims (Gri- de Oberfläche des Sees auf den obersten sons, Suisse) et Köfels (Tyrol, Autriche). Thèse, École Nationale des Ponts et Chaussées. Paris. Metern eines Staubeckens das grösste Pollet, N. & Schneider, J.-L. 2004: Dynamic disinte- hydrologische und somit auch wirtschaftli- gration processes accompanying transport of the che Potential hat. Ebenso hat sie im Falle des Holocene Flims sturzstrom (Swiss Alps). Earth and Planetary Science Letters. 221, 433–448. Bruchs eines natürlichen Dammes aber auch Poschinger, A.v. & Haas, U. 1997: Der Flimser das grösste Zerstörungspotential. Bergsturz, doch ein warmzeitliches Ereignis? Bull. angew. Geol. 2, 35–46. Poschinger, A.v., Wassmer, P. & Maisch, M. 2005: The Flims Rock slide; History of Interpretation and New Insights. In: Evans, S.G., Scarascia- Mugnozza, G., Strom, A. & Hermanns, R.L. (eds.), Massive Rock Slope Failure. Kluwer Academic Publishers, 341–369, Dordrecht. Im Druck. Literatur Schmitter-Voirin, C. 2000 : Sturzstroms et risques hydrologiques associés en milieu montagnard : Abele, G. 1974: Bergstürze in den Alpen. Wiss. Le sturzstrom de Flims et le lac de barrage Alpenvereinshefte. 25, 1–230. d’Ilanz.- Mémoire de DEA, Univ. de Strasbourg, Abele, G. 1991: Durch Bergstürze mobilisierte 75 p., Strasbourg. Muren und durch Muren transportierte Berg- Schneider, J.-L., Pollet, N., Chapron, E., Wessels, sturzmassen. Österr. Geogr. Ges., Jahresber. M. & Wassmer, P. 2004: Signature of Valley 1989/90, 33–39. sturzstrom dam failures in Holocene sediments Blumenthal, M. 1911: Geologie der Ringel-Segnes- of , Germany. Sedimentary Geo- gruppe. Beiträge zur Geologischen Karte der logy. 169, 75–91. Schweiz. NF 33, 1–71. Staub, R., 1938: Altes und Neues vom Flimser Berg- Bonanomi, Y.P., Müller, E.R., Nabholz, W.K. & Schei- sturz. Verh. Schweizer Naturf. Ges. Chur, 60–85. willer, H. 1994: Zur Hydrogeologie des Bergsturz- Wassmer, P., Schneider, J.-L., Pollet, N. & Schmit- gebietes im Raum Flims. Landeshydrologie und ter-Voirin, C. 2004: Effects of the internal struc- -geologie, Geologische Berichte, 17, 37 S. ture of a rock-avalanche dam on the drainage Davies, T.R. & McSaveney, M.J. 2004: Dynamic mechanism of its impoundment, Flims sturz- fragmentation in Landslides: Application to strom and Ilanz paleo-lake, Swiss Alps. Geomor- Natural Dam Stability. NATO-ARW Bishkek, Kyr- phology. Im Druck. gyzstan. Extended Abstracts Volume. 28–34. Wessels, M. 1998: Late-Glacial and postglacial Heim, A. 1883: Der alte Bergsturz von Flims. Jb. d. sediments in Lake Constance (Germany) and Schweizer Alpenclubs. 18, 295–309. their paleolimnological implications. Arch. Heim, A. 1934: Bergsturz und Menschenleben. Hydrobiol. Spec. issues advanc. limnol. 53, Vjschr. D. Naturforsch. Ges. Zürich. 1–218. 411–449. Hsü, K.J. 1975: Catastrophic debris streams (sturz- Zimmermann, H,W. 1971: Zur spätglazialen Mor- stroms) generated by rockfalls. Geol. Soc. of phogenese der Emser Tomalandschaft. Geogr. America Bull. 86, 129–140. Helv., 26/3, 163–171.

47