Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung Heft 1/2021

Kriegsgeburt Unterschätzte Rivalin »Braune Nostalgie«? Die Reichsgründung 1871 Die Entstehung der -Skandale in den Royal Australian Navy 1970er Jahren

Überfall auf die Sowjetunion Das Unternehmen »Barbarossa« 1941

ZMSBw Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Zeitschrift Militärgeschichte im Wandel

1987 1987 Heft 1/1991 Heft 2/1996 Heft 1/1999

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Heft 1/2013 Heft 2/2018 Heft 4/2020 Heft 1/2021 EDITORIAL

wie Ihnen vermutlich bereits beim ersten Blick auf die neue Ausgabe auf- gefallen sein wird, hat die Militärgeschichte ihr Gesicht gewandelt. Um die Zeitschrift für Sie noch abwechslungsreicher und interessanter zu gestalten, haben wir uns als Herausgeber und Redaktion dazu entschieden, der Militär- geschichte einen neuen Farbanstrich zu geben. Das Heft stellt sich nun fri- scher und moderner dar. Unser Fachbereich Publikationen unter der Leitung von Christian Adam hat diesen Prozess von der Auswahl potenzieller Grafik- büros bis hin zur professionellen Umsetzung des Layouts durch die Medien- gestalterinnen im ZMSBw begleitet. Mein besonderer Dank für den Entwurf des neuen Layouts gilt Anke Mitrenga, plettenberg design . Sie hat uns von den ersten Ideen bis zur Umsetzung ihres Gestaltungsrasters in diesem Heft kompetent unterstützt. Die Neuerungen beschränken sich allerdings nicht allein auf die optische Gestaltung. Es war unser Ziel, die Militärgeschichte auch inhaltlich weiter zu entwickeln. Der Darstellung einzelner Themen im Heft wollen wir mehr Raum geben: Die Rubrik »Im Blickpunkt« bietet künftig in einer Art »Fak- tencheck« zentrale Hintergrundinformationen zu einem wichtigen themati- schen Aspekt des Heftes. Der zunehmenden Bedeutung des Visuellen tragen wir ebenfalls Rechnung. Daher nimmt die Rubrik »Militärgeschichte im Bild« noch umfassender als bisher ein militärhistorisch wichtiges Bild in den Blick. Am Ende des Heftes präsentieren wir Ihnen von nun an regelmäßig eine Neu- erscheinung, die wir Ihnen besonders ans Herz legen möchten. Neben diesem

»besonderen Tipp« finden Sie auch künftig unsere etablierten Rubriken, etwa ZMSBw die Buchempfehlungen oder »Geschichte kompakt«. In den Großbeiträgen wird Ihnen weiterhin das gesamte Panorama der Militärgeschichte präsen- tiert: fundiert, anschaulich und informativ. Im Fokus der vor Ihnen liegenden Ausgabe stehen zwei Themen: die Grün- dung des Deutschen Kaiserreiches 1871 und das Unternehmen »Barbarossa« von 1941. Beide Ereignisse haben bis heute weitreichende Folgen für unser Land, aber auch für die Beziehungen zu unseren europäischen Partnerlän- dern. Besonders hervorheben möchte ich den Beitrag zum 150. Jahrestag der Reichsgründung, mit dem sich Professor Dr. Michael Epkenhans, der Leitende Wissenschaftler und Leiter der Abteilung Forschung des ZMSBw, von unse- ren Leserinnen und Lesern verabschiedet. Er ist am 31. März 2021 nach zwölf- jähriger Dienstzeit in den Ruhestand getreten. Im Namen von Herausgeber und Redaktion danke ich Michael Epkenhans für die gute Zusammenarbeit und seine vielfältigen Beiträge zur historischen Bildung in der Bundeswehr. Unseren Leserinnen und Lesern wünsche ich eine spannende Lektüre und ein besonderes Lesevergnügen mit dem neuen Layout der Zeitschrift Mili- tärgeschichte.

Dr. Frank Hagemann Oberst und Leiter der Abteilung Bildung

3 INHALT

Militärgeschichte | Zeitschrift für historische Bildung picture-alliance/RIA Nowosti|RIA Nowosti Nowosti|RIA picture-alliance/RIA

6 bpk/H. Schnaebeli 22

Deutsches Militär in Versailles. Mit- Im Einsatz. »Liquidatoren« Trad.Gem. Aufklärungsgeschwader 51 ten im Krieg gegen Frankreich wird riskieren 1986 ihr Leben in Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser Tschernobyl. ausgerufen.

Wehrmacht-Pilot Rudel umge- ben von Bundeswehrsoldaten. Der schwierige Umgang mit der NS-Vergangenheit in den 30 1970er Jahren. bpk/Arthur Grimm bpk/Arthur

16 24 United Archives/TopFoto/Süddeutsche Zeitung Photo Zu schonungsloser Kriegführung verpflichtet: Die in der Kokosinseln 1914: Der australische Leichte Kreuzer Sowjetunion. »Sydney« versenkt die deutsche »Emden«.

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Unternehmen »Barbarossa«: Mit dem Überfall auf die Sowjetunion 1941 entfesselte Hitler einen beispiellosen Vernichtungskrieg. Den Kampf um »Lebens- raum im Osten« hatte er bereits in »Mein Kampf« vorgezeichnet. Sowjetische Karika- tur »Metamorphose der deutschen Wehr- macht unter Hitler« von Kukryniksy, 1942. Mehr dazu lesen Sie auf Seite 14. bpk/Alinari Archives

Inhalt 1/2021

6 DEUTSCHES KAISERREICH 24 MILITÄRGESCHICHTE INTERNATIONAL Kriegsgeburt Unterschätzte Rivalin Die Gründung des Deutschen Reiches 1871 Die Entstehung der Royal Australian Navy

14 IM BLICKPUNKT 28 GESCHICHTE KOMPAKT Unternehmen »Barbarossa« Der Siebenjährige Krieg | 1756‑1763 Kräftevergleich, Planungen, »Lebensraum«-Begriff, Die Versenkung der »Bismarck« | 1941 NS-Propaganda | 1921‑1943

16 ZWEITER WELTKRIEG 30 BUNDESWEHRGESCHICHTE Überfall auf die Sowjetunion »Braune Nostalgie«? Das Unternehmen »Barbarossa« 1941 Die Skandale der 1970er Jahre und die historische Bildung in der Bundeswehr 22 MILITÄRGESCHICHTE IM BILD Unsichtbare Gefahr 34 SERVICE Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 Bücher | Medien Ausstellungen | Der besondere Tipp Impressum

5 DEUTSCHES KAISERREICH

Kriegsgeburt Die Gründung des Deutschen Reiches 1871

Die Gründung des einheitlichen deutschen Nationalstaats 1871 war das Ergebnis dreier Kriege, nicht einer friedlichen Fortentwicklung des Deutschen Bundes. Das Deutsche Reich war eine Reichsgründung von »oben« und nicht von »unten«. Was dies für die Entwicklung des Reiches, aber auch für den weiteren Verlauf der deutschen Geschichte ungeachtet vielfältiger Modernisierungsprozesse bedeutete, ist bis heute unter Historikerinnen und Historikern umstritten.

Von Michael Epkenhans Otto-von-Bismarck-Stiftung, Friedrichsruh Otto-von-Bismarck-Stiftung,

Drei Fassungen der Kaiserproklamation in Versailles am 18. Januar 1871 malte Anton von Werner. Nur das letzte, für Bismarck aus Anlass seines 70. Geburtstages geschaffene Gemälde (1885) existiert noch. Im Vordergrund stehen Wilhelm I., Reichskanzler Otto von Bismarck und Generalfeldmarschall Helmuth Graf von Moltke. Tatsächlich trug Bismarck während der Kaiserproklamation statt der weißen Kürassier- Uniform den blauen Waffenrock und er stand zwischen den Beteiligten und nicht wie hier dargestellt im Vordergrund.

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m Anfang war die »Emser De- pesche«. Der in Bad Ems zu Kur Aweilende preußische König Wil- helm I. traf am Morgen des 13. Juli 1870 bei seinem Morgenspaziergang auf der Brunnen-Promenade den französischen Boschafter in Berlin, Vincent Graf Be- nedetti. Diese zunächst höfliche, durch- aus übliche Unterredung sollte inner- halb weniger Stunden welthistorische Bedeutung erlangen. Warum? Das Treffen war kein Zufall; es war viel- mehr ein weiterer Schritt der Eskalation einer Krise, in der es im Kern um die spa- nische Thronnachfolge ging, die nach dem Sturz der spanischen Königin Isa- bella II. (1868) nicht nur in Spanien akg-images selbst, sondern auch vor allem zwischen Frankreich und Preußen umstritten war. Obwohl Frankreich mit dem schnellen Folgenschwere Begegnung: Wilhelm I. trifft den französischen Botschafter Vincent Verzicht des Erbprinzen Leopold von Benedetti in Bad Ems, 13. Juli 1870. Hohenzollern-Sigmaringen, einem Nef- fen Wilhelms I., auf die spanische Thronkandidatur am 12. Juli 1870 alles König, wie dieser noch am selben Tage Bismarcks »Kriegsschuld« ausmessen zu erreicht zu haben schien, gab sich die seiner Frau schrieb, »immer dringender können, müssen die tieferen Ursachen Regierung III. mit diesem Er- und fast impertinent« die Garantieerklä- für dessen Politik 1870 in den Blick ge- folg nicht zufrieden. Aus innenpoliti- rung »abzupressen« versuchte, lehnte nommen werden. schen Gründen glaubte der Kaiser, Preu- Wilhelm I. entschieden jede weitere Äu- ßen offen demütigen zu müssen, obwohl ßerung ab. Warum gab es Krieg? dessen Regierung eine offizielle Beteili- Vom König über diesen Vorfall unter- gung an der Kandidatur leugnete. Bereits richtet, berichtete der Geheime Legati- Bismarcks Politik hatte Österreich 1866 am 7. Juli hatte der französische Außen- onsrat Heinrich von Abeken aus Bad durch den Sieg in der Schlacht bei minister Antoine Herzog von Gramont Ems per Depesche Bismarck darüber Königgrätz aus dem Deutschen Bund gegenüber Benedetti erkennen lassen, und ermächtigte ihn im Auftrag des Kö- verdrängt und Norddeutschland unter welches Risiko er einzugehen gewillt nigs zugleich, die Öffentlichkeit zu in- preußischer Führung geeint. Eine Aus- war: »Wenn Sie von dem König errei- formieren. Bismarck, der nach dem Ver- dehnung des Norddeutschen Bundes chen, dass er die Annahme des Prinzen zicht des Sigmaringer Hohenzollern auf nach Süden hatte Bismarck aus Rück- von Hohenzollern widerruft, so wird das den Thron diplomatisch der »Verlierer« sicht auf süddeutsche Empfindlichkei- ein großer Erfolg sein [...], wenn nicht, gewesen war, kürzte den Wortlaut der ten wie auch auf Frankreich abgelehnt. der Krieg.« Die Möglichkeit dieses Krie- Depesche für die Pressemitteilung. Der Er setzte vielmehr darauf, die Einigung ges erregte daher zunehmend die Gemü- kategorische Charakter der Ablehnung der deutschen Länder ohne Österreich ter auf beiden Seiten des Rheins. der französischen Forderung wie auch im Laufe der Zeit mit Billigung der ande- Während des gemeinsamen Spazier- die Tatsache, dass der König das französi- ren Mächte vollenden zu können. Süd- gangs am Morgen des 13. Juli versuchte sche Verlangen als Zumutung empfun- deutsche Widerstände ließen ihn jedoch Benedetti vom preußischen König den hatte, traten nun im Text deutlicher bald erkennen, dass dieser Prozess länger schließlich diese von seiner Regierung hervor. Dass die französische Regierung dauern und schwieriger als erwartet sein geforderte grundsätzliche Verzichtser- die Nachricht in dieser Form als eine das würde. Im Februar 1869 hielt Bismarck klärung zu erhalten. Doch dazu war Wil- Nationalgefühl verletzende Herausfor- es für wahrscheinlich, dass »die deutsche helm I. nicht bereit. Ein Eingehen auf derung betrachten würde, war ebenso Einheit durch gewaltsame Ereignisse ge- die französischen Forderungen wider- absehbar und daher kalkuliert wie die fördert werden würde«, schränkte dieses sprach seinem Ehrgefühl. Zudem hatte Absicht, dadurch die eigenen Reihen zu martialische Bekenntnis aber gleich- der preußische Ministerpräsident Otto schließen. zeitig unter Hinweis auf die innerdeut- von Bismarck ihn eindringlich auf die Um den Stellenwert der »Emser Depe- schen Probleme wieder ein. politische Tragweite von Zugeständnis- sche« für den Deutsch-Französischen Die spanische Suche nach einem sen hingewiesen. Als Benedetti dem Krieg beurteilen und dementsprechend neuen Monarchen, die sich bald auf ganz

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Europa ausweitete, schien eine Möglich- Als die Thronkandidatur von Erbprinz Regierung war er sich aber darüber im keit zu bieten, Bewegung in die preußi- Leopold im Juli 1870 vorzeitig bekannt Klaren, dass ein Konflikt kaum mit der sche Politik zu bringen. Bismarck war wurde, schien sich die ersehnte Möglich- diplomatischen Niederlage einer Seite sich der darin liegenden Möglichkeiten keit zu bieten, Preußen in die Schranken enden, sondern angesichts des auf dem bewusst. »In unserem Interesse liegt es«, zu weisen. Am 6. Juli forderte der franzö- Spiel stehenden Prestiges in einem betonte er 1868, »dass die spanische sische Außenminister Gramont den Ver- Krieg münden würde. Diese Option mit- Frage als Friedens-Fontanelle offen zicht auf die Kandidatur im Parlament: denkend, taktierte er daher geschickt bleibe, und eine angenehme »Wenn es anders kommen sollte«, fügte und manövrierte die französische Regie- Lösung ist schwerlich die für uns nützli- er drohend hinzu, »werden wir, stark rung schließlich aus. Durch die Kam- che«. Er unterstützte daher die Kandida- durch Ihre Unterstützung, meine Her- mererklärung vom 6. Juli hatte diese ei- tur von Leopold von Hohenzollern-Sig- ren, und die der Nation, unsere Pflicht nen ungeheuren Erwartungsdruck in maringen, bemühte sich dabei aber stets, ohne Zaudern und ohne Schwäche zu Parlament und Öffentlichkeit erzeugt, die preußische Regierung offiziell nicht erfüllen wissen.« dem sie mit dem Kriegsentschluss vom in Erscheinung treten zu lassen. Der Verzicht des Erbprinzen, an dem 14. Juli und der Kriegserklärung an Preu- In gleicher Weise wie Bismarck be- auch König Wilhelm I. entgegen den ßen wenige Tage später nun glaubte trachtete die französische Regierung ei- Wünschen seines Ministers Bismarck Rechnung tragen zu müssen. Erst da- nen Konflikt als Möglichkeit, den eige- maßgeblich beteiligt war, war für Frank- durch wurde der Krieg tatsächlich un- nen Hegemonialanspruch gegenüber reich ein diplomatischer Triumph. Doch vermeidbar. Die »Emser Depesche«, die Preußen deutlich zu unterstreichen. damit wollte sich die französische Regie- beiden Seiten die Möglichkeit lieferte, »Rache für Sadowa« – die französische rung nicht begnügen und gab Bismarck ihre Politik zu rechtfertigen, war in die- Bezeichnung für die Schlacht von Kö- damit – ungewollt – die Möglichkeit sem Zusammenhang nur ein wichtiges, niggrätz von 1866, die das Kräfteverhält- zum Gegenstoß. nicht aber das entscheidende, kriegsaus- nis in Europa so entscheidend zum Man würde Bismarcks manipulatori- lösende Glied in einer langen Kette. Nachteil Frankreichs verändert hatte – sche Fähigkeiten überschätzen, wollte Mit der Kriegserklärung Frankreichs war eine gängige Forderung. Zudem war man ihm in dieser Angelegenheit einen an Preußen begann der Aufmarsch auf die Ableitung innenpolitischer Span- langfristigen Plan unterstellen. Er ver- beiden Seiten. Anders als Napoleon III. nungen nach außen ein Wesenselement folgte vielmehr lange Zeit mehrere Al- aufgrund der antipreußischen Ressenti- der Herrschaft Napoleons III. ternativen. Ähnlich wie die französische ments in Teilen Süddeutschlands er- akg-images

Bazeilles, 1. September 1870. Gemälde von Eugen Adam, 1877. Der Orts- und Häuserkampf von Bazeilles, südostwärts von Sedan, führte noch Jahre später zu Diskussionen über die Recht- und Verhältnismäßigkeit der Kriegführung.

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hofft hatte, kamen alle deutschen Staa- ten Preußen gemäß den geschlosse­nen Schutz- und Trutzvertr­ ägen (1866) zur Hilfe. Die anderen europäischen Staa- ten, insbe­sondere die Verlier­ er von 1864 und 1866, Dänemark und Österreich- Ungarn, oder Italien blieben hingegen neutral und fielen Preußen nicht in den Rücken. Zahlenmäßig waren Preußen und seine Verbündeten Frankreich überle- gen. Militärisch entscheidend war aber, dass der vom preußischen Generalstabs- chef Helmuth von Moltke geplante Auf- marsch schneller und koordinierter ver- lief als der französische. Vor allem verfolgte Moltke ein Ziel und hatte ei- nen Plan, um es zu erreichen: die Um- fassung der französischen Truppen durch drei Armeen im Rahmen einer großen Zangenbewegung und die an- schließende Eroberung der Hauptstadt bpk/Ottomar Anschütz bpk/Ottomar Paris. Auf französischer Seite hingegen gab es allenfalls vage Planungen; die Wilhelm I. bei der Grundsteinlegung für das Reichstagsgebäude, 9. Juni 1884. beiden Armeen operierten uneinheit- lich, da Napoleon III. sich deren Füh- rung vorbehielt, ohne seiner Aufgabe als um dann gemeinsam gegen Moltkes wohl es in anderen Teilen Frankreichs Oberbefehlshaber dann aber tatsächlich Armeen vorzugehen. Dieser Versuch noch Kämpfe mit regulären Truppen, gerecht zu werden. scheiterte in der Schlacht bei Sedan am aber auch irregulären Kämpfern – soge- 1. September 1870. Deutschen Truppen nannten Franctireurs – sowie teilweise Reichsgründung von oben gelang es, die Armee Mac-Mahons in langandauernde Belagerungen von Fes- Sedan einzukesseln. Nach anschließen- tungen gab, sollte die Beschießung von Nach ersten kleineren Scharmützeln dem heftigen Beschuss von den Höhen Paris die Entscheidung bringen. Diese im Grenzgebiet entlang von Rhein und auf die Stadt und die dort versammelten begann Ende Dezember 1870 nach inter- Mosel stießen die jeweiligen Armeen französischen Einheiten sowie dem nen Auseinandersetzungen zwischen im Elsass und in Lothringen in mehre- Scheitern mehrerer Durchbruchversu- Moltke, der die Stadt aufgrund der ren blutigen Schlachten aufeinander: che Mac-Mahons, gab sich die französi- Schwierigkeiten einer Beschießung lie- am 4. August 1870 bei Weißenburg, am sche Armee geschlagen. Unter den über ber aushungern wollte, und Bismarck, 6. bei Spichern und Wörth, am 14. bei 80 000 Gefangenen war auch der fran- der allein aus außenpolitischen Grün- Colombey-Noulliy, am 16. bei Mars- zösische Kaiser Napoleon III. den auf eine schnelle Entscheidung La Tour, am 18. bei Gravelotte und am Mit dessen Niederlage auf dem drängte und sich durchsetzte. 30. bei Beaumont. Auch im Oberelsass Schlachtfeld stürzte zugleich die franzö- Nach dem Scheitern mehrerer Aus- kam es zu heftigen Kämpfen, in deren sische Monarchie. Auf Druck der Massen bruchversuche und einer immer größe- Verlauf Straßburg belagert und erobert proklamierte die Deputiertenkammer in ren Hungersnot, aber auch weiteren wurde. Unter Inkaufnahme hoher Ver- Paris am 4. September 1870 die III. Re- schweren Niederlagen bei Kämpfen an luste drängten die deutschen Truppen publik. Unter Führung von General der Loire sowie im Osten und Norden die französischen Armeen immer weiter Louis Jules Trochu rief sie die Bevölke- erklärte sich die französische Regierung nach Lothringen zurück. Während die rung zu den Waffen, um wie in der Zeit zu Waffenstillstandsverhandlungen be- französische »Rheinarmee« unter Mar- der Französischen Revolution durch reit. Dieser Waffenstillstand wurde am schall Francois-Achilles Bazaine sich eine »Levée en masse« den Krieg fortzu- 28. Januar 1871, der anschließende Vor- nach schweren Niederlagen mit 180 000 setzen und siegreich zu beenden. frieden am 26. Februar unterzeichnetet. Mann in die Festung Metz zurückzog, Angesichts der Fortsetzung des Wider- Bereits am 18. Januar 1871 hatten die versuchte die von Marschall Patrice de standes drangen die deutschen Truppen deutschen Fürsten – soweit sie nach Ver- MacMahon geführte Armee diese nach weiter nach Paris vor. Sie belagerten die sailles geeilt waren – und ausgewählte einer Neuaufstellung zu entsetzen, Hauptstadt seit dem 19. September. Ob- Generale, Offiziere und Unteroffiziere in

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einer feierlichen Zeremonie im Schloss wurde, schürte die Hoffnung der alten damit endgültig und auf Dauer ent- des »Sonnenkönigs« Ludwig XIV. in Ver- Eliten in Preußen, diesem durch »Eisen schieden? sailles den preußischen König Wilhelm I. und Blut« entstandenen Reich ihren Das Deutsche Kaiserreich war ein zum Deutschen Kaiser proklamiert. An- Stempel aufdrücken zu können. Bund der »Fürsten und Freien Städte«. ton von Werner hat dieses Ereignis in Ob es Alternativen zu dieser Lösung So hieß es in der Präambel der Reichsver­ mehreren Gemälden festgehalten, der deutschen Frage gegeben hätte, ist fassung vom 16. April 1871. Diesem Leit­ wenngleich mit unterschiedlichen Ak- eine müßige Überlegung. Bereits der ge­dan­ken, dass das Reich das Ergeb­nis zentuierungen. Während die erste Fas- Deutsche Nationalverein, eine Organi- einer freiwilligen Einigung der deut- sung bewusst die süddeutschen Staaten sation, die nach einem deutschen Nati- schen Fürsten, nicht aber, wie es die ge- herausstellte und den preußischen An- onalstaat strebte, hatte bei seiner Grün- scheiterte Reichsverfassung von 1849 teil eher weniger deutlich machte, heroi- dung 1859 eine Einigung unter vorgesehen hatte, des souveränen Wil- sierte die einzig erhaltene »Friedrichsru- Preußens Führung für notwendig ge- lens der deutschen Bevölkerung war, her Fassung« 1885 den Anteil Preußens, halten. Nach den Ereignissen von 1864, spiegelte sich in der besonderen Funk- seiner Generale und vor allem Bismarcks. 1866/67 und schließlich 1870 hatten tion des Bundesr­ ates. Dieser war die Ver- auch viele Kritiker Bismarcks die Frage tretung der 25 Bundesstaaten. 58 Dele- Das Reich im Innern der Liberalen, ob ein Nationalstaat ohne gierte ver­traten dort die Interessen ihrer die notwendige »Freiheit« wünschens- Regierungen. Entsprechend ihrer Größe Der einheitliche Nationalstaat, den wert sei, pragmatisch beantwortet. »Die wie auch ihrer Macht verfügten die ein- viele seit Jahrzehnten herbeigesehnt Verfassung«, so einer ihrer Führer 1867 zelnen Bundesstaaten über unterschied- hatten, war mit der Kaiserproklamation im Hinblick auf die Verfassung des lich viele Stimmen (siehe Infokasten). in symbolischer Weise Wirklichkeit ge- Norddeutschen Bundes, die im Prinzip Formal schien diese Regelung sicher- worden. Nach längeren Verhandlungen auch die des Reiches sein sollte, »ist ein zustellen, dass das Reich nicht von Preu- waren die süddeutschen Staaten unter verbesserungsbedürftiges, aber auch ein ßen dominiert wurde. In der Praxis war Wahrung einiger Sonderrechte dem verbesserungsfähiges Werk«. Konkret es angesichts des politischen und wirt- 1867 gegründeten Norddeutschen Bund gemeint war damit das Übergewicht der schaftlichen (Über-)Gewichts Preußens beigetreten, der nun in Deutsches Reich Exekutive gegenüber der Legislative. ohnehin unwahrscheinlich, dass sich umbenannt wurde So sehr manche Der Versuch einer Einigung von unten, kleinere Bundesstaaten gegen die Hege- Fürsten oder auch Gegner Preußens im den eine Delegation des Reichstages des monialmacht stellen und damit einen Süden den Verlust der eigenen Unab- Norddeutschen Bundes im Dezember schwerwiegenden Konflikt auslösen hängigkeit beklagen sollten, war dieser 1870 durch das Angebot der Kaiserkrone würden. Schritt angesichts der dynamischen an Wilhelm I. unternommen hatte, war Im Gegensatz zum britischen House of Entwicklungen in den Monaten zuvor daher an dem Übergewicht der alten Lords oder zum heutigen Bundesrat war nur konsequent. Dass das Reich von »Gewalten« zunächst gescheitert. War der Bundesrat im Kaiserreich weder ein oben und nicht von unten gegründet die weitere Entwicklung des Reiches Oberhaus noch eine reine Vertretung Bayerisches Armeemuseum,

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der Länder. Letzteres hatte Bismarck aus Das Kaiserreich gilt gemeinhin als Sorge vor partikularistischen Tendenzen Stimmen im Bundesrat »Obrigkeitsstaat«. Umso erstaunlicher abgelehnt, ersteres barg seiner Meinung Preußen 17 ist daher, dass es über eines der moderns- nach die Gefahr der Herausbildung ei- Bayern 6 ten Wahlrechte seiner Zeit verfügte: Das nes parlamentarischen Systems wie in Sachsen 4 allgemeine, gleiche, direkte und geheime Großbritannien. Württemberg 4 Wahlrecht. Dieses galt zwar nur für Diese Überlegungen waren verant- Hessen 3 Männer über 25 Jahren. Im Vergleich zu wortlich für die eigentümliche Kon­ Baden 3 anderen Wahlrechten innerhalb und au- struk­tion des Bundesrates. Er war so- Elsass-Lothringen (seit 1911) 3 ßerhalb des Reiches war es aber ausge- Mecklenburg-Schwerin 2 wohl Träger der exekutiven Gewalt als sprochen fortschrittlich und demokra- Braunschweig 2 auch Teil der Legislative. Zusammen mit tisch. Klassenwahlrechte, nach denen die Alle anderen je 1 dem Reichstag beriet der Bundesrat über Bürger entsprechend ihrem Einkommen die Gesetze; wie der Reichstag konnte zumeist offen und indirekt wählten, wa- der Bundesrat Gesetzesvorschläge ein- formal starken Stellung war in der Praxis ren danach noch die Regel. Dies galt bringen. Gemeinsam mit dem Kaiser der Kanzler der Kern der Regierung. Da selbst für die »Mutter« der parlamentari- übte der Bundesrat zugleich das Präsi- es keine kollegiale Regierung mit einzel- schen Demokratie: England. dium des Bundes aus. Reichskanzler nen Fachministern gab, sondern ledig- Bismarck hat die Einführung des allge- und Staatssekretäre waren verfassungs- lich Staatssekretäre, die die Reichsämter meinen Wahlrechtes später bereut. rechtlich nicht mehr als Vertreter des leiteten und direkt dem Kanzler unter- Überlegungen, dieses mithilfe eines Bundesrates. Wie stark die Stellung des stellt waren, sprach man von einer Staatsstreiches abzuschaffen, erwiesen Bundesrates formal war, zeigt dessen Reichsleitung und nicht von einer sich als unrealistisch. Umso stärker ver- Recht, den Reichstag einzuberufen oder Reichsregierung. teidigten er und die Konservativen das auch aufzulösen. Umgekehrt aber hatte Der Reichstag stand Kanzler und Bun- Dreiklassenwahlrecht für das preußische der Reichstag keine Möglichkeit, den desrat als Vertretung des Volkes gegen- Abgeordnetenhaus als eine der letzten Bundesrat und die mit diesem verbün- über. Zu den wichtigsten Aufgaben der Bastionen des Obrigkeitsstaates. deten Regierungen zu kontrollieren und 397 Abgeordneten gehörte die Verab- Obwohl die Reichsgründung im Juni zur Rechenschaft zu ziehen. Um allen schiedung der Reichsverfassung. Auch 1871 in Berlin und anderen Orten über- Parlamentarisierungstendenzen Einhalt wenn diese keineswegs alle Wünsche schwänglich gefeiert wurde, zählt zu ih- zu gebieten, verbot die Reichsverfassung der Liberalen erfüllte, so war sie den- ren Schattenseiten, dass unmittelbar ausdrücklich, dass Angehörige des noch ein Fortschritt: Monarch und Re- nach dem Ende des Krieges gegen Reichstages Mitglieder des Bundesrates gierung waren an das Recht gebunden. Frankreich Konflikte mit sogenannten sein konnten. Auch Kriegserklärungen Ohne Zustimmung des Reichstages Reichsfeinden im Inneren ausbrachen. bedurften seiner Zustimmung, nicht konnten sie trotz des Weiterbestehens Zu diesen gehörten zunächst die Katho- aber der des Reichstages. Trotz dieser älterer Sonderrechte nicht regieren. liken. Endgültig ihrer einstigen Schutz-

Siegesparade auf der Ludwigstra- ße in München am 16. Juli 1871. Gemälde von Louis Braun. Neben dem bayerischen König Ludwig II., der die Parade als seinen ersten »Vasallenritt« empfand, reitet der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm, der 1870/71 bayerische Truppen befehligt hatte.

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macht Österreich beraubt, waren sie Sicht der Regierenden, aber auch vieler Krisen fatale Auswirkungen haben eine Minderheit im neuen, mehrheit- Konservativer und Bürger­licher die be- sollte. So beanspruchten die Militärs, in lich protestantischen Reich. Innerhalb stehende Ordnung. Das offene Bekennt- entscheidenden politischen Fragen ge- weniger Wochen brach über das auf nis der Sozialdemokraten zu diesen hört zu werden. Kaum weniger proble- dem Ersten Vatikanischen Konzil 1870 Prinzipien machte sie von Anfang an matisch war das Eindringen militäri- beschlossene Unfehlbarkeitsdogma des verdächtig, einen gesellschaftlichen scher Verhaltensweisen und Normen in Papstes und eine Petition, diesen im »Umsturz« anzustreben. Attentate ge- den Alltag: Die besondere Bedeutung Kampf mit dem Königreich Italien um gen Wilhelm I., mit denen die junge des Reserveoffizierpatentes für viele den Status des Kirchenstaates zu unter- Partei nichts zu tun hatte, waren 1878 Bürgerliche, der Vorrang des Militärs vor stützen, ein schon länger schwelender ein willkommener Anlass für das soge- Zivilisten bei öffentlichen Empfängen Grundsatzkonflikt zwischen Staat und nannte Sozialistengesetz, das die Mit- oder auch militärische Verhaltenswei- Kirche aus. Bismarck und die Liberalen glieder der Partei zum Opfer jahrzehnte- sen in Schulen und Betrieben sind dafür zogen dabei viele Jahre an einem Strang. langer weitreichender Verfolgungen nur einige Beispiele. Während Bismarck vor allem den Vor- machen sollte. Anders als bei den Ka- rang des Staates gegenüber anderen Au- tholiken machte die Reichsleitung auch »Das Kaiserreich: eine Erfolgsge- toritäten verteidigte, ging es den Libera- nach der Nichtverlängerung des »Sozia- schichte?« len in diesem »Kulturkampf«, so der listengesetzes« 1890 keinen Versuch, Berliner Virologe und führende Liberale die geschlagenen Wunden zu heilen. Als das Reich 1871 gegründet wurde, Rudolf von Virchow, darum, endgültig Auch die von ­Bismarck eingeführte mo- war es ein vormoderner Agrarstaat, trotz den Einfluss der Kirche in Staat und Ge- derne Sozialg­esetzgebung war ange- mancher »Inseln« in Sachsen, in Berlin sellschaft zurückzudrängen und den sä- sichts der fortdauernden Ausgrenzung oder im Ruhrgebiet, in denen die Indust- kularen Staat durchzusetzen. Mit einer der Ar­beiterbew­ egung kein Mittel der rialisierung und Modernisierung bereits Flut von Gesetzen griff der Staat seit Versöhnung. Dass die Arbeiter 1914 als sichtbar war. Eine Fülle von Gesetzen 1872 in den Alltag der Katholiken ein. das Reich aus ihrer Sicht in Gefahr war, schuf nach 1871 dann die Grundlagen Die Wunden, die das Einsperren von ohne Zögern zu den Waffen eilten, zeigt für eine sich zunehmend beschleuni- Bischöfen, das Verbot von Messen und ihre Bereitschaft, das Erreichte dennoch gende Entwicklung von Industrie und die Verdrängung der Kirchen aus dem gegen einen Angriff zu verteidigen. Handel, aber auch von Technik und Alltag mit polizeistaatlichen Mitteln Zu den Schattenseiten der Reichs- Wissenschaft. Nach der Jahrhundert- schlugen, sollten über Jahrzehnte nicht gründung gehört auch der Einfluss der wende war das Reich ein hochmoderner verheilen. »Halbgötter im Generalstab«, wie Bis- Industriestaat und global player, der Gleiches galt für die Sozialdemokra- marck die militärische Führung spöt- das Mutterland der Industrialisierung, ten. Deren Anspruch, Staat, Gesellschaft tisch nannte. Drei Siege hatten dem Mi- Großbritannien, in manchen Bereichen und Wirtschaft im Sinne der litär im Rahmen der bereits überholt hatte. Damit einher Ideen von Karl Marx und Reichseinigung ei- ging eine Verbesserung der Lebensver- Friedrich Engels grundle- nen Nimbus ver- hältnisse. gend zu verändern, schafft, der in Mit der Reichsgründung war ein untergrub aus manchen starker Staat in der Mitte Euro- pas entstanden. Frankreich stand dem neuen Reich unversöhnlich gegen- über, weil es den Frie- densvertrag mit Preußen im Mai 1871 als Demütigung empfand. Denn die französische Regie- rung musste in der Folge Elsass und Lothringen abtre- ten und eine Kriegsentschädi- gung in Höhe von

akg-images fünf Milliarden Franc zahlen. Bis- Kulturkampf: Bismarck und Papst Pius IX. Karikatur aus dem »Kladderadatsch«, 1875. marck war sich

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 25-Jahrfeier zur Gründung des Deutschen Reiches auf dem Tempelhofer Feld bei Berlin. Kriegervereine erwarten Kaiser Wilhelm II., 1. Juni 1896. ullstein Bild

über das stark belastete Verhältnis zu Zu den Schattenseiten zählen die Eta- Bundes 1867, Hermann Becker: »Dass Frankreich im Klaren. Allein deshalb war blierung obrigkeitsstaatlicher Tenden- Preußen die Machtstellung gewonnen eine vorsichtige Außenpolitik das Gebot zen und Verhaltensmuster, die den Weg hat, die es gewonnen hat, das ist ein der Stunde, die deutlich machte, dass das hin zu einer wirklichen Demokratisie- Glück für Deutschland, und ich hoffe Reich »saturiert« war. Mit einem Ge- rung von Staat und Gesellschaft deutlich auch für Europa.« flecht von Verträgen versuchte er, den verlängerten. Damit verknüpft ist der Dass die Geschichte einen anderen großen europäischen Krieg zu verhin- steinige Weg zur Herausbildung von po- Weg genommen hat, hat niemand vor- dern. Seine Nachfolger haben im Hoch- litischem Verantwortungsgefühl bei den aussehen können. Daher ist die Entste- gefühl der eigenen militärischen Stärke Parteien und anderen gesellschaftlichen hung des Kaiserreiches und dessen wei- geglaubt, offensiver vorgehen und mehr Akteuren. Opportunismus und Be- tere Entwicklung bei allen positiven riskieren zu können. 1914 mündete diese quemlichkeit haben im Kaiserreich auch Leistungen auch kritisch zu reflektieren Risikobereitschaft in den Ersten Welt- eine Scheu vor Verantwortung begüns- und daraus für die Gegenwart zu lernen. krieg. An dessen Ende standen nicht der tigt, die sich in entscheidenden Situatio- Schwarz-weiß-rote Fahnen zeigen, dass große Sieg und die Hegemonie in Eu- nen negativ auswirkte. Die Folgen zeig- diese Bereitschaft in manchen Kreisen ropa, sondern die Niederlage und der ten sich 1918/19 in den Wirren der nicht vorhanden ist. Umso wichtiger ist Verlust von Teilen des Reiches. Revolution und im weiteren Verlauf der es, einer Verklärung der Reichsgrün- Betrachtet man Reichsgründung und Weimarer Republik. Diese war keines- dung den Boden zu entziehen. Diese ist Kaiserreich aus der Rückschau, dann wegs von vornherein zum Untergang »nur« ein Ereignis, aus dem es für Ge- fällt die Bilanz gemischt, wenngleich verdammt. Das nationalsozialistische genwart und Zukunft zu lernen gilt. differenzierter als noch vor 50 Jahren Regime war insofern keineswegs eine beim einhundertsten Jahrestag aus. Der zwangsläufige Folge der Kaiserprokla- einheitliche Nationalstaat, der vielfäl- mation. An verschiedenen Stellen hät- Michael Epkenhans tige kulturelle Traditionen erhaltende ten die Hebel auch anders umgelegt war bis Ende März 2021 Leitender Wis- wie fördernde bundesstaatliche Charak- werden können, wenn die Verantwortli- senschaftler des ZMSBw. ter sowie die Entwicklung von Indust- chen dies gewollt hätten. Wie groß die rie, Handel und Wissenschaft gehören Hoffnungen und wie offen die Zukunft zum positiven Erbe, das auch heute in war, zeigen die enthusiastischen Zeilen Literaturtipp der Bundesrepublik sichtbar ist – ebenso eines linken Liberalen und Bismarck- Michael Epkenhans, Der Deutsch-Französi- die Grundlegung des modernen Sozial- gegners nach dem Sieg über Österreich sche Krieg 1870/71, Ditzingen 2020. staates. und der Gründung des Norddeutschen

13 IM BLICKPUNKT

Unternehmen »Barbarossa«

Kräfteüberblick Deutsches Reich und Verbündete Sowjetunion

3,7 Mio. 2,8 Mio.*

3 600 11 000

7 700 43 900 ullstein bild 2 900 9 900

* Nur die zunächst an der Westgrenze stationierten Truppen. Zahlen gerundet nach: David M. Glantz, Stumbling Colossus. The Red Army on the Eve of World War, Lawrence, KS 1998, S. 294 f.; Rolf-Dieter Müller, Hitlers Wehrmacht 1935‑1945, München 2012, S. 181.

»Barbarossa« – eine Chronik der Planungen

Im Sommer 1940 begannen im Oberkommando des Heeres (OKH) die Planungen für einen Krieg gegen die Sowjetunion.­ Neben den Ideen der Operationsabteilung legte Generalmajor Erich Marcks, Chef des Stabes der im Osten eingesetzten 18. Armee, im Auftrag des OKH Anfang August eine eigenständige Planungsstudie, den »Operationsentwurf Ost«, vor. Zugleich arbeitete im Wehrmachtführungsstab Oberstleutnant Bernhard von Loßberg bis Mitte September an einer »Operationsstudie Ost«, auch »Plan Fritz« genannt. In den folgenden Monaten koordinierte der neue Oberquartiermeister I im OKH, Generalleutnant Friedrich Paulus, die Weiterentwicklung der bisherigen operativen Ansätze. Am 5. Dezember stellte das OKH die Planung, die inzwischen den Decknamen »Otto« trug, dann Hitler vor. Zwei Wochen später, am 18. Dezember 1940, erließ Hitler schließlich seine Weisung Nr. 21 für den »Fall Barbarossa«. Die Gründe für den neuen Decknamen sind nicht hinreichend belegt. Loßberg bean- spruchte 1956 die Namensidee für sich. Möglicherweise war es auch ein persönlicher Wunsch Hitlers. Im Juli 1937 hatte dieser den deutschen Kaiser Friedrich I. »Barbarossa« als denjenigen hervorgehoben, »der als erster den germanischen Kulturgedanken ausgesprochen und als Bestand- teil seiner imperialen Mission nach außen getragen habe«. Ansonsten hatte sich Hitler jedoch kaum mit dem Staufer befasst. Die erste Aufmarsch­ anweisung des OKH vom 31. Januar 1941 erhielt ebenfalls den Namen »Barbarossa«. ch

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Lebensraum

»Lebensraum« ist ein zentraler Begriff Propagandaschrift, der NS-Ideologie zur Legitimation einer Berlin/Leipzig 1941. rassistisch begründeten gewaltsamen Expansion nach Osten. 1926 legte in seinem Buch »Mein Kampf« seine künftige Lebensraumpolitik detailliert Antibolschewistisches Plakat, dar: »Wir stoppen den ewigen Germa- 1943. nenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten.« Auch die Vision einer Besatzungspolitik war bereits in »Mein Kampf« vorskizziert. Nach Hitler konnte nur der Boden, aber niemals der Mensch »germanisiert« werden. Demnach gab es für ihn nur drei Handlungsoptionen im Umgang mit der Bevölkerung im neuen »Lebensraum«: Vertreibung, Versklavung, Vernichtung. Schon wenige Tage nach seiner Machtübernahme sprach er vor den Spitzen des Militärs von einer möglichen »Eroberung neuen Lebensraums im Osten DHM Berlin und dessen rücksichtsloser Germanisie- rung«. Im November 1937 machte Hitler noch einmal deutlich, dass die Raumfrage nur durch einen Krieg zu lösen sei. ch DHM Berlin

NS-Propaganda

Hass auf Juden und den »Bolschewismus«, erweitert zum gemeinsamen Kampf gegen den »jüdischen Bolschewismus«, waren die zentralen Leitbilder der NS-Propaganda. Der Bolschewismus galt hiernach als die große Gefahr aus dem Osten; er bringe Brutalität und Elend, und mit seiner Hilfe wolle »der Jude« die Welt versklaven. Dem entgegen stand in der Argumentation der Nationalsozialisten die kulturell wertvolle, »heile Welt« unter ihrer Führung, die sich gegen die drohende Vernichtung wehren müsse. So sollten der Angriffskrieg gegen die Sowjetunion in der Bevölkerung gerechtfertigt und der deutsche Sieg als Notwendigkeit zum Überle- ben dargestellt werden. ch DHM Berlin

Propagandakarte, 1943: »Das Großdeutschland in der Zukunft« mit »Reichsraum« (rot) und "Vorfeld" (orange).

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Überfall auf die Sowjetunion Das Unternehmen »Barbarossa« 1941

Mit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 entfachte Hitler seinen von Anfang an gewollten rasseideologischen Weltanschauungs-, Vernichtungs- und Eroberungskrieg. Der Krieg im Osten übertraf in vielerlei Hinsicht das bisher Bekannte: die Truppenstärken auf dem Schlachtfeld, die Zahl der Opfer und insbesondere der verbrecherische Charakter der Kriegführung.

Von Chris Helmecke Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo

Deutsche Panzer und Schützenpanzerwagen an der Ostfront, 21. Juli 1941.

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Sturmgeschütze gab es 1941 nur wenige. Stattdessen waren Pferde bei der Wehrmacht ein alltägliches Bild. 2,8 Mio. von ihnen kamen im Zweiten Weltkrieg auf deutscher Seite zum Einsatz. Sammlung Berliner Verlag/Archiv/Süddeutsche Zeitung Photo Verlag/Archiv/Süddeutsche Sammlung Berliner

m frühen Morgen des 22. Juni Der Krieg im Osten fußte eindeutig auf dersetzung der Kriegsparteien im Wes- 1941 überfiel das Deutsche Reich Hitlers Lebensraumprogramm. Doch ten ab. Freilich hatte Stalin auch selbst Adie Sowjetunion. Das Unterneh- wollte er sich so auch offensiv aus der weitreichende aggressive Ziele in Eu- men »Barbarossa« hatte begonnen – strategischen Misslage eines drohenden ropa. Aber 1941 wollte er vorerst noch und damit »Hitlers eigentlicher Krieg« Zweifrontenkrieges manövrieren, denn keinen großen Krieg. Im deutschen Ge- (Jürgen Förster). Die Eroberung von Großbritannien kämpfte unerwartet neralstab lagen zudem »keine Anzeichen »Lebensraum im Osten« war das Ziel, weiter und auch ein Kriegseintritt der für russische Aktivitäten uns gegenüber das Hitler schon in »Mein Kampf« for- USA drohte. Zugleich sollte der neue vor«. Das deutsche Militär fühlte sich muliert hatte und das er sofort nach sei- »Ostraum« dem Deutschen Reich die nicht von der Roten Armee bedroht. ner Machtübernahme 1933 seinen Spit- notwendige wirtschaftliche Unabhän- Umgekehrt ignorierte Stalin mehrere zenmilitärs mitteilte. gigkeit für einen endgültigen Kampf ge- Warnungen seines Geheimdienstes vor Der Krieg, den Hitler im September gen diese beiden Staaten verschaffen. einem deutschen Angriff. Somit gibt es 1939 mit dem Überfall auf Polen aus- kein Argument dafür, dass die Wehr- löste, begann also nicht zufällig im Os- Kein Präventivkrieg macht im Sommer 1941 einem drohen- ten. Die französischen und britischen den sowjetischen Angriff durch einen Kriegserklärungen zwangen den deut- Ohne Kriegserklärung und unter Bruch Präventivschlag zuvorgekommen sei. schen Diktator allerdings dazu, zunächst des deutsch-sowjetischen Nichtangriffs­ Im Osten erfolgte durch die Wehr- im Frühjahr 1940 eine Entscheidung im paktes vom August 1939 überfielen die macht, so verkündete es Hitler in seiner Westen herbeizuführen, um Rückenfrei- deutschen Truppen im Juni 1941 die Rundfunkansprache am 22. Juni, »ein heit für seinen Lebensraumkrieg im Os- Sowjetunion. Hitler ließ die Mär vom Aufmarsch, der in Ausdehnung und Um- ten zu haben. Mit dem etwa zeitgleichen notwendigen Präventivschlag propa- fang der größte ist, den die Welt bisher Überfall auf Dänemark und Norwegen gieren, wonach sich die Sowjetunion gesehen hat«: etwa 150 Divisionen mit sollte zudem die Nordflanke gesichert »gegen Deutschland gewandt« habe insgesamt über drei Millionen Mann. werden. Das Eintreten Italiens in den und »mit ihren gesamten Streitkräften Hinzu kamen noch mehr als 600 000 Krieg im Juni 1940 und dessen Misser- an der deutschen Grenze sprungbereit verbündete Soldaten vor allem aus Finn- folge bei seinen Annexionsbestrebungen aufmarschiert« sei. In der Tat war die land und Rumänien; ab dem Sommer auf dem Balkan verursachten allerdings Masse der sowjetischen Truppen an der 1941 schlossen sich noch Italien, Ungarn, für Hitler zusätzliche Komplikationen, Grenze versammelt. Aber das war Teil die Slowakei und Kroatien dem Angriff sodass zuerst noch im Balkanfeldzug im ihrer Doktrin der Vorwärtsverteidigung: des Deutschen Reiches an. Die Interes- Frühjahr 1941 die deutsche Südflanke Im Falle eines feindlichen Angriffs sollte sen der Verbündeten waren unterschied- gegen die Briten stabilisiert werden der Krieg auf das gegnerische Territo- lich. Vordergründig dominierten eine musste. Für die Wehrmacht ging so wert- rium getragen werden. antikommunistische Motivation und die volle Zeit verloren. Erst im Sommer 1941 Der sowjetische Diktator Josef Stalin Hoffnung auf ein politisches Mitspra- war die Ausgangslage geschaffen, die So- glaubte an den Nichtangriffspakt und cherecht in einem deutschdominierten wjetunion anzugreifen. wartete seitdem zunächst die Auseinan- Europa. Auch Freiwillige aus nord- und

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westeuropäischen Staaten standen im FINNLAND Ladoga- Åland Unternehmen »Barbarossa« Kampf gegen die Sowjetunion. Es blieb HELSINKI see Leningrad en aber Hitlers Krieg. Erst später, als die eerbus Wologda Hanko her M nisc Deutschen immer stärker auf die ver­ Fin 18. 16. Reval Narva Dagö Estland bündeten­ Kräfte angewiesen waren, Wolg Nowgorod a Ostsee Peipus- propagierte Hitler den gemeinsamen see Kampf im Osten als einen »Kreuzzug Ösel Ilmen- Pskow see Europas« gegen den Bolschewismus. Kalinin Lettland Dem gegenüber stand die Sowjet- Riga 9. Düna 3. union, ein riesiges Land, dessen Res- MOSKAU sourcen an Menschen und Material Dünaburg Wjasma 4. grenzenlos erschienen. Das galt auch Litauen Königs- 4. berg Witebsk Smolensk Tula für ihre Streitkraft: die Rote Armee. Sie 18. Kaunas Wilna war 1941 mit 5,3 Millionen Soldaten die 4. 2. größte Landstreitmacht der Welt. Etwa 16. Minsk 3. Orel die Hälfte davon war in den westlichen Brjansk Bialystok Militärbezirken stationiert. Zusätzlich 9. 2. Gomel Woronesch verfügte sie noch über eine Reserve Warschau Kursk W Pripjet-Sümpfe e Brest-Litowsk na von zwölf Millionen Männern und ic s h De se 4. Frauen. In den Jahren vor dem Krieg l Pripjet SOWJET- UNION General- 2. gegen das Deutsche Reich erlebten die gouvernement 6. Charkow Kiew sowjetischen Streitkräfte ein rapides 1. 6. D Wachstum und eine enorme materi- 17. Lemberg on Dnjepr ez

elle Aufrüstung. Allerdings war der Dnjestr Großteil des Offizierkorps während SLOWAKEI Uman Dneproprtrowsk 17.

Stalins »Säuberungen« Ende der 3. Rostow 1930er Jahre verschiedenen Repressio- Perwomajsk 1. UNGARN Mariupol 3. 11. nen ausgesetzt; etwa zwei Drittel der P 11. ru t Generalität wurde dabei liquidiert. h Asowsches 4. 4. Odessa Meer

»Blitzkrieg« Krim Krasnodar

11. u Belgrad RUMÄNIEN a Sewastopol Die drei Heeresgruppen des deutschen n o Schwarzes Meer Ostheeres (Nord, Mitte, Süd) stießen D Deutsches Reich, General- mit ihren Panzerspitzen auf Leningrad, gouvernement und annektierte Gebiete 3. Deutsche Panzergruppe Moskau und Kiew vor. Sie erzielten Verbündete des Deutschen Reiches 16. Deutsche Armee schnell Erfolge und waren innerhalb Vom Deutschen Reich und seinen Verbündeten im Zuge des Unternehmens »Barbarossa« besetzte Gebiete 4. Rumänische Armee einer Woche bereits bis zu 400 Kilo- Sowjetunion meter weit vorgedrungen. Die Heeres- Ungarisches Korps gruppe Mitte konnte in zwei großen Hauptangriffsrichtungen Eingekesselte sowjetische Truppen Stalin-Linie Kesselschlachten bei Bialystok und Front 5.12.1941 0 100 200 300 km ©ZMSBw Minsk bis zum 9. Juli vier sowjetische 09082-05 Armeen zerschlagen und über 320 000 Gefangene machen. Dies gelang vor al- lem, weil die Masse des Gegners an der er damit rechnete, dass die Wehrmacht Hindernis stellte diese aber für die Grenze und nicht in einem tief gestaffel- aufgrund des zähen Gegners und des Wehrmacht nicht dar. Es folgten weitere ten Verteidigungssystem stand. An den schier endlosen Raumes noch viele Wo- Erfolge: Im Mittelabschnitt der Front Flanken konnten die sowjetischen Ver- chen bis zur Beendigung der Kämpfe gingen nach der Kesselschlacht bei Smo- bände zunächst nur frontal zurückge- brauchen würde. lensk Ende Juli etwa 310 000 sowjeti- drängt werden. Dennoch zeigte sich die Mitte Juli standen die deutschen Sol- sche Soldaten in Gefangenschaft. Im deutsche militärische Führung optimis- daten bereits an der sogenannten Stalin- Süden zerschlug die Wehrmacht im Kes- tisch. Der Generalstabschef des Heeres, Linie, einer verstärkten Verteidigungsli- sel von Uman etwa 20 sowjetische Divi- Generaloberst Franz Halder, hielt den nie der Roten Armee, die nahe der alten sionen und brachte über 100 000 Gefan- Krieg im Osten bereits nach den ersten Grenze vom Finnischen Meerbusen bis gene ein. Das Konzept des »Blitzkrieges« zwei Wochen für gewonnen, auch wenn zum Schwarzen Meer reichte. Ein echtes schien aufzugehen.

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Im Laufe des Augusts zeigte sich aber, 11. August musste Halder sich eingeste- sammenziehen. Der deutsche Diktator dass der Krieg eben doch nicht so schnell hen, dass »der Koloss Russland [...] von verkündete, der Gegner sei »bereits ge- zu Ende sein würde wie ursprünglich uns unterschätzt worden ist«. brochen« und werde »sich nie mehr er- geplant. Der Kulminationspunkt des Zwischen der Heeresführung und Hit- heben«. Die Offensive war zunächst Angriffs schien überschritten zu sein. ler entstanden zudem Meinungs­ auch erfolgreich: Die Doppelschlacht Der operative »Blitzkrieg« brachte zwar verschiedenheiten über die weitere ope- von Wjasma und Brjansk brachte bis viele Einzelsiege, aber am Ende keine rative Schwerpunktsetzung. Halder zum 20. Oktober 673 000 Gefangene ein. strategische Entscheidung. Da die sow- plädierte für einen zentralen Vorstoß auf Inzwischen waren damit über drei Milli- jetischen Soldaten unerwartet heftigen Moskau, wo die Hauptkräfte der Sowjet- onen sowjetische Soldaten in deutscher Widerstand leisteten, waren die Durch- union geschlagen und die gegnerische Gefangenschaft. Die Schlammperiode bruchs- und Kesselschlachten für beide Verteidigung in zwei Operationsräume und der zu früh einsetzende Winter Seiten verlustreich. Die Wehrmacht be- getrennt werden sollte. Hitler hingegen bremsten allerdings den deutschen Vor- gann sich allmählich »müde zu siegen« zielte auf Rohstoffe und die sowjetische stoß. Bis Anfang Dezember gelangten (Christian Hartmann). Industrie ab. Er strebte deshalb nach ei- die deutschen Spitzen zwar noch bis auf Die taktischen und operativen Erfolge ner Entscheidung auf den beiden Flü- etwa 30 Kilometer an Moskau heran, hatten einen täuschenden Nebel über geln: Im Norden sollte Leningrad fallen, doch die immer schwächer werdende eine fehlende Gesamtkriegsstrategie eine wichtige Produktionsstätte für Pan- Offensive blieb schließlich liegen. und den Zustand des Ostheeres gelegt. zer. Zugleich konnte damit eine Land- Die Wehrmacht war keineswegs in jeder verbindung zu Finnland hergestellt wer- Winterkrise vor Moskau Hinsicht eine moderne Armee. Im den. Im Süden sollte in das ukrainische Grunde waren die deutschen Verbände Getreidegebiet sowie das Industrie- und Das Gros der sowjetischen Regierung durch den schnellen Aufwuchs seit 1935 Kohlerevier im Donezbecken vorgesto- war bereits aus Moskau evakuiert wor- meist improvisierte Kräfte. Sie verfügten ßen werden. Hitler setzte sich durch und den, doch Stalin verblieb mit einem daher über ein unterschiedliches Maß befahl, dass die Heeresgruppe Mitte zu- kleinen Stab in der Hauptstadt, um die an Professionalität und Ausrüstung. Die nächst zur Verteidigung überzugehen Ab­wehr­schlacht zu organisieren. Die Masse des Heeres bestand aus Infante- deutsche Feindaufklärung war unfä- riedivisionen, die unzureichend mit hig zu erkennen, dass der sowjetische schweren Waffen und Fahrzeugen aus- »Der Kommunist Diktator bis Ende November elf neue gestattet waren. Die bewegliche Krieg- ist vorher kein Armeen bereitgestellt hatte, darunter führung bestimmten nur wenige moto- winter­kampf­erprobte Truppen aus Sibi- risierte und gepanzerte Divisionen. Das Kamerad und nachher rien. Die Rote Armee begann schließlich deutsche Heer glich daher einer Lanze kein Kamerad.« in der Nacht zum 6. Dezember ihre lang mit einer nur kurzen stählernen Spitze vorbereitete strategische Gegenoffen- Hitler zur Führungsriege der und einem langen hölzernen Schaft sive. Die geschwächten deutschen Divi­ Wehrmacht am 30. März 1941 (Karl-Heinz Frieser). Doch diese Spitze sio­nen konnten dieser für sie überra- war bereits nach einem Monat stumpf schenden Wucht nicht standhalten und geworden, als die Stärken der Panzerdi- und mit stärkeren Kräften nach Süden wurden teilweise bis zu 250 Kilometer visionen auf etwa die Hälfte abgesunken abzudrehen habe. Nach einer Zangen- zurückgeworfen; das war viel mehr waren. Die deutschen Truppen konnten operation der beiden zuvor durch die als die von deutscher Seite dazu pro- ihre Verluste, die in fast jedem Monat Pripjet-Sümpfe getrennten Heeresgrup- pagierten »Frontbegradigungen«. Die diejenigen des gesamten Westfeldzuges pen Mitte und Süd konnten in der bis deut­sche Ostfront stand mehrmals kurz übertrafen, angesichts des zudem erheb- Ende September dauernden Kessel- vor dem Zusammenbruch, doch Stalin lichen materiellen Verschleißes nicht schlacht von Kiew 665 000 sowjetische machte einen gravierenden operativen durch Reserven auffangen. Soldaten gefangen genommen werden. Fehler: Anstatt seine Kräfte in einem Die Nachschubproblematik nahm we- Nach der Offensive im Süden wandte Ab­schnitt zusammenzufassen, ließ er gen der weiten Entfernungen und des sich Hitler wieder einem Angriff auf entlang der gesamten Front angreifen. miserablen Wetters stetig zu, sodass bald Moskau zu. Die zeitlichen Voraussetzun- Damit erzielte die Rote Armee viele mehr Fahrzeuge durch Umwelteinflüsse gen hatten sich nun allerdings erheblich Einbrüche, aber keinen entscheidenden und fehlende Ersatzteile als durch den verschlechtert, starke Regenfälle und die Durchbruch. Kampf verloren gingen. Währenddessen Schlammperiode standen kurz bevor. Das Misstrauen zwischen der Heeres- warf die Rote Armee immer wieder neue Erst Anfang Oktober, also fast zwei Mo- führung und Hitler hatte sich derweil Kräfte in den Kampf. Statt mit den an- nate später, begann das Unternehmen zunehmend verschärft. Am 19. Dezem- fangs von den Deutschen berechneten »Taifun«, der Vorstoß auf Moskau. Im ber übernahm der »Führer« selbst den 200 gegnerischen Divisionen hatte man Mittelabschnitt der Front ließ Hitler Oberbefehl über das Heer und entband es inzwischen mit 360 zu tun. Am dazu etwa zwei Millionen Soldaten zu- in den folgenden Tagen zwei Dutzend

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höherer Truppenführer ihres Komman- Die deutsche Besatzung in der Sowjet- »Verbrecherische Befehle« dos. Das Unternehmen »Barbarossa«, union war indes nicht homogen. Sie der avisierte »Blitzkrieg« im Osten, war hatte eine Spannweite, die von willkürli- Kriegsgerichtsbarkeitserlass endgültig gescheitert. Trotz der operati- cher Gewalt bis hin zur Zusammenar- Offiziell: Erlass über die Ausübung der ven Anfangserfolge schien ein strategi- beit mit der Bevölkerung reichte. Es gab Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet »Bar- scher Sieg im Osten nun in weite Ferne militärische Befehlshaber, die Hand- barossa« und über besondere Maß- gerückt. Die eigenen Verluste von einer lungsspielräume nutzten und so Wei- nahmen der Truppe. Der »Führererlass« Million Mann waren nicht mehr zu sungen anpassten oder gar ignorierten. vom 13. Mai 1941 verbot eine ordentliche gerichtliche Ahndung von Straftaten, die kompensieren, die Wehrmacht hatte ih- Die Gesamtschau der deutschen Besat- durch die sowjetische Zivilbevölkerung ren Leistungszenit überschritten. zungsherrschaft im Osten blieb für die begangen wurden. Stattdessen erhiel- sowjetische Bevölkerung allerdings ein ten die Offiziere die Genehmigung zum Vernichtungskrieg Unheil, gekennzeichnet durch Härte, standrechtlichen Erschießen bereits von Ausbeutung und Vernichtung. Tatverdächtigen. Außerdem existierte Der Krieg im Osten war nicht nur we- Eines der brutalsten Wesensmerkmale kein Verfolgungszwang gegenüber An- gen der enormen Truppenstärken auf des Ostkrieges war der Partisanenkrieg. gehörigen der Wehrmacht, die Verbre- dem Schlachtfeld einzigartig in seiner Bereits am 3. Juli 1941 rief Stalin dazu chen an der Zivilbevölkerung begingen. Dimension, sondern auch und gerade auf. Die Bedrohung im Hinterland wegen seiner Entgrenzung der Gewalt. wurde neben dem Kampf an der regulä- Richtlinien für das Verhalten der Er war mehr als nur ein militärisches ren Front zu einer zusätzlichen Belas- Truppe in Russland Vom Oberkommando der Wehrmacht Unternehmen – er war ein rasseideolo- tung für die deutschen Truppen. Per se (OKW) am 19. Mai 1941 erlassen. Sie gischer Vernichtungskrieg. Dieser fußte ist eine Bekämpfung irregulärer Kräfte forderten von den Soldaten ein »rück- auf verschiedenen Anordnungen, die nicht verbrecherisch. Allerdings liegt der sichtsloses und energisches Durch- in der Forschung als »verbrecherische Unterschied in der praktischen Umset- greifen gegen bolschewistische Hetzer, Befehle« zusammengefasst werden und zung. Beim Krieg im Osten ging es nicht Freischärler, Saboteure, Juden und mehrheitlich vor Beginn der Kampf- mehr ausschließlich um die legale Ab- restlose Beseitigung jedes aktiven oder handlungen erlassen worden sind. Sie wehr irregulärer Kräfte. Nach Hitler bot passiven Widerstandes«. führ­ten zu einer »Verr­echt­lichung« des der Partisanenkrieg »die Möglichkeit Un­rechts und machten die eroberten auszurotten, was sich gegen uns stellt«. Kommissarbefehl Gebiete quasi zu einem rechtsfreien Das Bedürfnis nach Sicherheit ver- Offiziell: Richtlinien für die Behandlung Raum für die deutschen Soldaten, der schwamm mit ideologischen Vorstel- politischer Kommissare. Vom OKW am 6. Juni 1941 erlassen. Demnach waren jeder Form von Willkür offene Türen lungen. Der Kampf im Hinterland Politoffiziere der Roten Armee nicht als bot. wurde somit Bestandteil des Vernich- Kriegsgefangene anerkannt, sondern Darunter litt vor allem die Zivilbevöl- tungskrieges. Auch »Partisanenverdäch- »nach durchgeführter Absonderung zu kerung in den besetzten Gebieten: zwi- tigen« drohte der Tod. Nach Ansicht des erledigen«. schen 55 und 65 Millionen Menschen, Chefs des Oberkommandos der Wehr- damals etwa ein Drittel der sowjetischen macht, Generalfeldmarschall Wilhelm Anordnungen für die Behandlung Gesamtbevölkerung. Besonders hart traf Keitel, sollten für jeden aus dem Hinter- sowjetischer Kriegsgefangener in sie die deutsche Hungerpolitik, bei der halt getöteten deutschen Soldaten als allen Kriegsgefangenenlagern kriegswirtschaftliche Notwendigkeiten Sühne 50 bis 100 Zivilisten hingerichtet Vom OKW am 8. September 1941 er- und ideologische Interessen zu einer werden. Die Truppe habe dafür stets lassen. Die Anordnungen sahen unter todbringenden Katastrophe verschmol- Geiseln in Bereitschaft zu halten. Ab anderem die »Aussonderung« jüdischer und politisch verdächtiger Soldaten zen. Die Wehrmacht sollte aus dem 1942 hatte sich die sowjetische Partisa- der Roten Armee vor. Einsatzkomman- Land ernährt werden. Dabei war der nenbewegung allmählich organisiert dos der SS durchkämmten die Lager, Hungertod von »zig Millionen Men- und wurde zentral von Moskau koordi- erschossen diese Gefangenen oder schen« bereits vor der Offensive billi- niert. Die deutschen Soldaten kämpften schickten sie in Konzentrationslager. gend in Kauf genommen worden. Eine nun gegen eine »zweite Front« im Rü- der gravierendsten Katastrophen war die cken. Durch Terror und sogenannte Sühnebefehl von September 1941 bis Ende Januar Großunternehmen sollten »bandenver- Offiziell: Erlass des Chefs des OKW vom 1944 – fast 900 Tage – andauernde Bela- seuchte« Regionen »gesäubert« werden. 16. September 1941 über die Bekämp- gerung von Leningrad. Hier verband Doch der Parti­sanenkrieg traf vor allem fung der kommunistischen Aufstands- sich die militärische Kriegführung mit die Zivilbev­ ölkerung. Schätzungsweise bewegung in den besetzten Gebieten. der Ideologie des systematischen Geno- nur ein Viertel der Todesopfer waren tat- Demnach seien für jeden aus dem Hin- terhalt getöteten deutschen Soldaten zids. Von den etwa 2,5 Millionen Ein- sächlich Partisanen. 50 bis 100 Zivilisten hinzurichten. wohnern fanden schätzungsweise eine Mit dem Krieg im Osten verschärfte Million den Tod. das NS-Regime auch die brutale Ver­

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folgung der Juden bis hin zum syste­ matischen Völkermord. Sogenannte Einsatzgruppen­ der SS folgten den Frontverbänden und mordeten im Hin- terland. Bereits in der ersten Woche des Ostkrieges wurden in Bialystok über 2000 Juden getötet, doch das war nur der Auftakt. Es folgten weitere unzählige Massenerschießungen. Das blutigste Massaker fand Ende September 1941 in Babi Jar, einer Schlucht bei Kiew, statt. Angehörige der Einsatzgruppe C ermor- deten dort unter Mithilfe der Wehr- macht fast 34 000 Juden. Die sowjetischen Juden bildeten die größte Opfergruppe bei den Verbrechen an der Zivilbevölkerung. Auch vor Frauen und Kindern wurde kein Halt gemacht. Schätzungsweise starben etwa

2,4 Millionen Juden unter der deutschen Bild 101I-212-0221-07 Bundesarchiv Besatzungsherrschaft in der Sowjet- union. Die Wehrmacht trug hier eine Erschießungskommando exekutiert sechs Männer, September 1941. institutionelle Verantwortung: Sie un- terstützte administrativ und logistisch diesen Völkermord. Nicht wenige Solda- erfolgten erst ab dem Frühjahr 1942, als auf taktischer und operativer Ebene kein ten waren auch direkt daran beteiligt. die Deutschen verstärkt auf die Kriegs- strategisches Konzept besaß. Das miss- Ein Widerstand höherer Militärs war gefangenen als Arbeitskräfte für die lungene Unternehmen »Barbarossa« kaum vorhanden. Ihr Verhalten reichte Kriegswirtschaft zurückgreifen mussten. leitete das unausweichliche Scheitern von einer Befürwortung bis zur resig- Ein ausdrücklicher Tötungsbefehl galt der deutschen Kriegführung im Zweiten nierten Hinnahme des Geschehens. für gefangen genommene jüdische Sol- Weltkrieg ein, denn das Deutsche Reich Das umfangreichste Verbrechen, des- daten sowie Politoffiziere, die sogenann- verfügte über keine ausreichenden Res- sen sich die Wehrmacht direkt schuldig ten Kommissare. Schätzungsweise bis zu sourcen für einen jahrelangen Welt- machte, war die Behandlung sowjeti- 10 000 Kommissare wurden erschossen. krieg. Die Verluste, die es bereits 1941 in scher Kriegsgefangener. Von 5,7 Millio- Der zugrundeliegende »Kommissarbe- der Sowjetunion erlitt, konnte es nicht nen kamen über drei Millionen im Ver- fehl« vom 6. Juni 1941 wurde von Teilen mehr ausgleichen. Von nun an arbeitete antwortungsbereich der Wehrmacht der Soldaten erbarmungslos umgesetzt, die Zeit für die Anti-Hitler-Koalition. ums Leben – sie wurden erschossen, andere wiederum äußerten ihren Wi- Der Krieg war strategisch verloren – dar- starben an Krankheiten, erfroren oder derspruch, vor allem weil die Politoffi- über konnten auch die wiederholten verhungerten. Das deutsche Kriegsge- ziere nur umso erbitterter kämpften, operativen Erfolge der Wehrmacht bis fangenenwesen bestand anfangs aus wenn sie keine Chance hatten, eine Ge- 1943 nicht mehr hinwegtäuschen. reiner Improvisation und erwies sich – fangennahme zu überleben. Derartige als der Krieg nicht wie geplant mit ei- Bedenken der Truppe waren stark ge- nem raschen Sieg endete – als völlig nug, um Hitler zu bewegen, den Befehl Chris Helmecke überfordert. Nachdem im Herbst 1941 im Mai 1942 versuchsweise aufzuheben. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im die Rationen der Gefangenen bereits er- Er setzte ihn später nicht mehr in Kraft. Forschungsbereich »Deutsche Militär­ heblich reduziert worden waren, ging Der Krieg im Osten war für Hitler von geschichte bis 1945« am ZMSBw. der Generalquartiermeister, Generalma- Anfang an ein ideologischer Kampf, das jor Eduard Wagner, Mitte November Militär ein notwendiges Mittel, um die noch einen Schritt weiter: Nichtarbei- Voraussetzungen für die Vernichtung zu Literaturtipps tende Kriegsgefangene hatten zu ver- schaffen. In der verbrecherischen Praxis Michael Epkenhans/John Zimmermann, hungern. Das war ein Todesurteil. So lag spiegelte sich die Unmenschlichkeit der Die Wehrmacht – Krieg und Verbrechen, die Todesrate der sowjetischen Kriegsge- NS-Ideologie wider. Militärisch zeigte Ditzingen 2019. fangenen im Winter 1941/42 bei etwa »Barbarossa« zudem deutlich die Gren- Christian Hartmann, Unternehmen Barba­ zwei Drittel aller Gefangenen. Ein Um- zen der deutschen Kriegführung auf, die rossa. Der deutsche Krieg im Osten 1941‑1945, denken und teilweise Verbesserungen trotz ihrer offenkundigen Überlegenheit München 2011.

21 MILITÄRGESCHICHTE IM BILD

akg-images/Sputnik 22 Militärgeschichte | 1/2021 Unsichtbare Gefahr Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986

Von Cornelia Juliane Grosse

26. April 1986, 01:23 Uhr: Tiefste Nacht umgibt die Stadt Pryp- Zu den Aufgaben der »Liquidatoren« zählten unter anderem jat in Norden der damals noch sowjetischen Ukraine und das unmittelbare Aufräumarbeiten, der Bau von Versorgungsstra- nahegelegene Atomkraftwerk von Tschernobyl, als eine heftige ßen, die Durchführung von Evakuierungsmaßnahmen und das Detonation der nächtlichen Ruhe und dem bisherigen Leben Arbeiten an der ersten Schutzhülle des Reaktors. Ausgestattet in der Stadt ein Ende bereitet. Während die Bewohner Prypjats waren sie in der Regel nur mit rudimentärer Schutzkleidung, aus dem Schlaf gerissen werden, springen im Kontrollraum teilweise schlicht mit den regulären Militäruniformen. Wie des vierten Blocks von Tschernobyl die Lämpchen, welche die gefährlich die Aufgabe war, ahnte kaum einer der Eingesetzten. Radioaktivitätslevel anzeigen, von Grün auf warnendes Rot. Eine der heikelsten Arbeiten bestand in den Aufräumarbei- Der Reaktorblock war soeben explodiert. ten auf dem Dach der dritten Reaktoreinheit. Teile des vierten Obwohl die Ursachen für die Explosion bis heute nicht voll- Reaktorkerns waren bei der Explosion hierher geschleudert ständig geklärt sind, wird eine Kombination aus technischen worden. Angesichts der exorbitant hohen Strahlungswerte ver- Mängeln des Reaktors und menschlichem Versagen für den sagte selbst die Technik hochentwickelter Mondroboter. So Unfall verantwortlich gemacht. Ein Sicherheitstest sollte zei- blieb letztlich nur der Einsatz von Menschen, die auch als »Bio- gen, ob der Reaktor im Fall einer geringen Leistung noch aus- roboter« bezeichnet wurden, für diese Arbeiten. Die »Liquida- reichend Energie produzieren würde. Als die Techniker wäh- toren« arbeiteten in Zweierteams. Lediglich etwa 90 Sekunden rend der Überprüfung die Wasserzufuhr zum Reaktor durften sie aufgrund der hohen Strahlung auf dem Dach ver- drosselten, fiel dessen Leistung jedoch zunächst sehr stark und bringen. Dies genügte zumeist nur, um eine einzige Schaufel stieg dann innerhalb von Sekunden schlagartig an – der Reak- radioaktiven Materials über den Dachvorsprung zu werfen. tor überhitzte. Eine Reihe unvorhergesehener Reaktionen 3828 Männer führten im Herbst 1986 über zwölf Tage diese führte in der Folge zum Unglück. gefährlichen Arbeiten aus Der explodierte Reaktorkern setzte Unmengen an Radioakti- Die Sowjetunion bemühte sich, das schwere Unglück so vität in die Umwelt frei. Die Katastrophe entfaltete ihr gesam- lange wie möglich vor der Öffentlichkeit geheim zu halten. tes Ausmaß jedoch erst in den folgenden Wochen und Mona- Auch diese Aussage steckt in dem Bild Igor Kostins, das als ei- ten, in denen Tschernobyl zum Sperrgebiet erklärt und nes der wenigen unmittelbaren bildlichen Zeugnisse die Kata- Zehntausende aus der Region evakuiert wurden. Ein Großteil strophe darstellt und die restriktive Bildpolitik der Sowjetunion der Schäden war dabei für das bloße Auge unsichtbar. Der Foto- deutlich werden lässt. Doch letztlich gelang es nicht, das Un- graf Igor Kostin war einer der wenigen, die das Geschehen un- glück von Tschernobyl zu verheimlichen. Die radioaktive mittelbar nach dem Unglück für die Außenwelt festhielten. Wolke verbreitete sich unaufhaltsam und zog bis nach Nord- Und doch zeigen seine Bilder des zerstörten Reaktors nur die und Mitteleuropa. In Schweden schlugen die Messstationen direkt sichtbare Dimension der Katastrophe. Die weit folgenrei- zuerst Alarm. In der Bundesrepublik Deutschland und welt- chere und langlebigere Gefahr ist auf den Bildern nur sekundär weit löste die Nachricht der sich ausbreitenden radioaktiven wahrnehmbar: die radioaktive Strahlung. Sie zeigt sich in Form Wolke »Atomangst« in der Bevölkerung aus. der in Schutzkleidung gehüllten Helfer, oder noch indirekter in Die sowjetische Führung unter Staats- und Parteichef Mi- der durch die Radioaktivität verursachten schlechten Qualität chael Gorbatschow geriet durch das Unglück von Tschernobyl des Bildmaterials. international massiv unter Druck. Obwohl sie sich zunächst in Bei der Beseitigung der Folgen der Katastrophe fiel dem Mili- üblicher Form bemühte, die Ereignisse herunterzuspielen und tär eine entscheidende Rolle zu. Aus allen Regionen der Sowje- zu vertuschen, trugen die Vorfälle um Tschernobyl letztlich zu tunion wurde militärisches Personal zusammengezogen, das einem Umdenken innerhalb der sowjetischen Führungsriege als Teil der »Liquidatoren« die entstandenen Schäden beseiti- und zur Durchsetzung der Politik von »Glasnost« (Transpa- gen (»liquidieren«) sollte. Insgesamt kamen in Tschernobyl renz) und »Perestroika« (Umgestaltung) bei. Damit kann zwischen 600 000 und 800 000 dieser »Liquidatoren« zum »Tschernobyl« auch als Teil des Ursachenkomplexes gewertet Einsatz. Während fast alle später schwer erkrankten, sind prä- werden, der letztlich zum Zerfall der Sowjetunion bis 1991 zise Angaben zu den Todesfällen bis heute umstritten. führte. 

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Unterschätzte Rivalin Die Entstehung der Royal Australian Navy

Die Fokussierung der Royal Navy auf die europäischen Gewässer Anfang des 20. Jahrhunderts führte zur Gründung der Royal Australian Navy, die nun anstrebte, den Südpazifik zu kontrollieren. Die deutsche Kaiserliche Marine unterschätzte diese neue Seestreitkraft und musste gegen sie zu Beginn des Ersten Weltkrieges eine Niederlage hinnehmen.

Von Tim Döbler

Kleiner Kreuzer »Emden« als Wrack am Strand bei den Kokosinseln nach dem Gefecht mit HMAS »Sydney«. Ein Kutter mit akg-images/picture-alliance/WZ-Bilddienst Matrosen rudert vom Wrack weg.

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m Morgen des 11. November der Funkstation zur Hilfe zu kommen. Teile des britischen Empires verlegt wer- 1914 berichtete der »Newcastle Vor Ort überraschte die »Sydney« die vor den. Dieser zusätzliche Verband sollte AMorning Herald and Miner's Ad- Anker liegende »Emden«. Es kam zu ei- nun an die australischen und neuseelän- vocate«: »Emden von H.M.A.S. Syd- nem Gefecht, in dem die »Sydney« die dischen Gewässer gebunden sein und ney zerstört«. Zwei Tage zuvor hatte der »Emden« kampfunfähig schoss. Für die nur unter der Zustimmung der Kolonial- deutsche Kleine Kreuzer SMS »Emden« noch junge Royal Australian Navy war regierungen verlegt werden dürfen. (SMS steht für: »Seiner Majestät Schiff«) dies ihre Feuertaufe und zugleich der Ein nächster Schritt auf dem Weg zur versucht, die Funkstation auf dem Ar- erste Erfolg in einem Seegefecht. eigenen Marine erfolgte am 1. März 1901, chipel der Kokosinseln zu zerstören, um als die Colonial Navies zu den Common- die Kommunikation zwischen Europa Australisches »Schutzbedürfnis« wealth Naval Forces zusammengefasst und Australien zu unterbrechen. Den wurden. Möglich wurde dies, da sich die britischen Funkern gelang es zuvor, eine Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts sechs britischen Kolonien auf dem aust- Notmeldung abzusetzen, welche der baute Großbritannien entlang der aus- ralischen Kontinent zwei Monate zuvor erste australische Truppenkonvoi, der tralischen Küste Sträflingskolonien auf, zu einem Dominion, einem halbsouve- in Richtung Europa unterwegs war, auf- um die eigenen Gefängnisse zu ent­las­ ränen Staat innerhalb des Empires, ge- fing. Der Leichte Kreuzer HMAS »Syd- ten. Die Bewohnerinnen und Bew­ oh­ nannt Commonwealth of Australia, zu- ney« (HMAS kennzeichnet australische ner dieser Kolonien mussten nun den sammengeschlossen hatten und sich Kriegsschiffe als »His Majesty’s Australi- klimatischen Bedingungen sowie der eine eigene Verfassung geben durften. an Ship«) wurde daraufhin entsandt, um Gewalt und der Korruption der Wach­ Der erste australische Verteidigungs- soldaten trotzen. Ab Mitte des 19. Jahr­ minister, John Forrest, war ein Verfech- hunderts herrschte aufgrund eines ter der Idee einer eigenen Marine, da er be­für­chteten französischen und russi- das Unterstützungsgeschwader der Aus- schen Vordringens in die Region eine tralia Station für inadäquat hielt. Auf allgemeine Invasionsangst. Diese Angst der 1902 in London tagenden Colonial vor feindlichen Angriffen führte zu Conference wurde die maritime Vertei- zwei parallelen Entwicklungen: Erstens digung des britischen Weltreiches wurde 1859 durch die britische Royal schließlich eingehend besprochen. Ihr Navy ein permanent vor Ort präsenter australischer Teilnehmer, Premierminis- Flottenverband, die Australia Station, ter Edmund Barton, warb bei der briti- aufgestellt, der die äußere Sicherheit schen Admiralität für eine eigenständige der britischen Kolonien in der Region australische Marine, allerdings ohne gewährleisten sollte. Zweitens wurde Erfolg. Die australische Zielsetzung, den Kolonien 1865 erlaubt, eigene See- künftig über eigene Seestreitkräfte zu streitkräfte aufzustellen. Diese heute als verfügen, wurde durch die britische Ad- Colonial Navies bezeichneten Verbände miralität nicht geteilt, da eine zeitnahe bestanden jedoch nur aus wenigen hun- Umsetzung nicht möglich schien. Auch dert Seeleuten, waren mit einigen Ka- Barton sah dies aufgrund der finan­ nonenbooten ausgestattet und durften ziellen Last ein und stimmte einer Er- lediglich zum Schutz der wichtigsten neuerung des Marineabkommens mit Häfen eingesetzt werden. Die Royal Großbritannien zu. In der australischen Navy behielt dabei weiterhin das Kom- Öffentlichkeit wurde diese Vereinba- mando über die Verteidigung. Die bri- rung als Niederlage empfunden und er- tische Admiralität nahm an, dass es zu fuhr deshalb großen Widerstand. diplomatischen Verwicklungen führen Die sicherheitspolitischen Entwick- könnte, wenn den Colonial Navies zu lungen der folgenden Jahre bestärkten viel Autonomie gewährt werden würde. die Gegner des Abkommens weiter, da Zusätzlich zu den bestehenden Vertei- die Vorherrschaft der Royal Navy auf den digungsmaßnahmen schloss die briti- Weltmeeren immer mehr durch andere sche Regierung 1887 mit den australi- Großmächte bedroht schien und die Fo- schen Kolonien ein Marineabkommen, kussierung der Royal Navy auf die Nord- durch das neben der regulären Australia see als Rückzug empfunden wurde. Ende Station ein Unterstützungsverband aus 1904 wurde der bisherige Kommandeur Einheiten der Royal Navy aufgestellt der Colonial Navy der ehemaligen Kolo- wurde. Die Einheiten der Australia Sta- nie Victoria, (Naval) Captain William tion konnten im Notfall auch in andere Creswell, zum Director of Naval Forces

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der Commonwealth Naval Forces er- Region präsent war. Der Erwerb des ­öffentliche Meinung in Australien be- nannt. Wie andere Politiker verfolgte Pachtgebietes Kiautschou 1897/98 und einflusst werden. Die maritimen Ent- auch er das Ziel einer eigenständigen der anschließende Ausbau Tsingtaus wicklungen in Australien wurden auf- Marine und versuchte daher, die Öffent- zum Flottenstützpunkt durch das Deut- merksam beobachtet. Auf deutscher lichkeit entsprechend zu sensibilisieren. sche Reich war unter anderem der Be- Seite wurde auf Spannungen zwischen Dabei standen die Commonwealth ­Naval deutung Chinas und des Pazifiks in den Großbritannien und Australien wegen Forces vor einer großen Herausforde- kolonialen Bestrebungen und strategi- ihrer verschiedenen Interessen gehofft, rung: Der Fokus der Verteidigungsan- schen Planungen fast jeder Kolonial- die für die eigenen Zwecke genutzt wer- strengungen lag auf den Lands­treitkr­ äf­ macht von besonderer Bedeutung. den konnten oder gar zum Zerbrechen ten, da australische Truppenkontingente Nachdem die Flottenstärke Japans auf- des britischen Empires führen würden. bereits in fast allen kolonialen Konflik- gewachsen war und der Einfluss der Die Kaiserliche Marine erfuhr schließ- ten der britischen Krone zum Einsatz USA im Pazifik erheblich zugenommen lich vom Aufbau einer australischen kamen. Hinzu kam das mangelnde Inte- hatte, war von deutscher Seite für den Fleet Unit, im Auswärtigen Amt wurde resse der britischen Admiralität, eine Fall eines Konfliktes mit einer oder meh- dem aber kaum Bedeutung beigemes- Australia Station mit modernen Schiffen reren Großmächten geplant, den Han- sen. Es wurde die Meinung vertreten, zu unterhalten. Das Jahr 1909 läutete die endgültige Wende für die Befürworter einer austra- lischen Marine ein. Angestoßen durch den First Sea Lord, Admiral Sir John ­Fisher, plante die Royal Navy den Aufbau von kleineren Verbänden, den soge- nannten Fleet Units, unter anderem in Kanada, Neuseeland und Australien. Sie sollten den Pazifik für Großbritannien sichern, zur Abschreckung der deut- schen Kaiserlichen Marine dienen und der Royal Navy gleichzeitig erlauben, alle weiteren Kräfte und Anstrengungen in United Archives/TopFoto/Süddeutsche Zeitung Photo Archives/TopFoto/Süddeutsche United Europa und der Nordsee zu konzentrie- ren. Die Fleet Units sollten aus je einem Schlachtkreuzer, drei Leichten Kreuzern und mehreren Zerstörern sowie U‑Boo- ten bestehen. Am Ende war es allein Australien, das dem Plan zustimmte und eine Fleet Unit erhielt. Am 10. Juli 1911, noch vor der Fertigstellung aller Einhei- Der Schlachtkreuzer HMAS »Australia« der Royal Australian Navy, 1914. ten, wurden die Commonwealth Naval Forces und die Fleet Unit aufgewertet und durch König Georg V. die Royal Aus- tralian Navy gegründet. Im Oktober 1913 delsschiffsverkehr im Pazifik mit Kreu- dass die zuvor im australischen Parla- liefen die australischen Einheiten mit zern zu stören. Zu diesem Zweck ment geführte Debatte mehr auf »Rheto- dem modernen Schlachtkreuzer HMAS benötigte die Kaiserliche Marine eigent- rik als auf Fachwissen beruhte.« »Australia« als Flaggschiff schließlich in lich Stützpunkte in Übersee, von denen Vizeadmiral Maximilian Reichsgraf den Hafen von Sydney ein. aus die Kreuzer operieren konnten. Al- von Spee, seit 1912 Kommandeur des Das Deutsche Reich war durch seine lerdings blieb Tsingtau der einzige be- Ostasiatischen Kreuzergeschwaders, kolonialen Besitzungen im Pazifik seit festigte deutsche Stützpunkt. ging in seinen Überlegungen davon aus, dem Ende des 19. Jahrhunderts ein di- Gleichzeitig blieben die Pläne der Kai- dass die Regierung in Melbourne ihre rekter Nachbar Australiens. Darüber hin- serlichen Marine zur Störung des Han- Schiffe nicht außerhalb der australi- aus besaß es mit Tsingtau, dem heutigen delsverkehrs jedoch bestehen und schen Gewässer operieren lassen würde. Qingdao, einer Hafenstadt im Norden schlossen Australien sowie die umge- Daher hielt zunächst auch er an den Pla- Chinas, einen Stützpunkt und mit dem benden Handelsrouten mit ein. Zum nungen fest, im Falle eines Konfliktes dort stationierten Ostasiatischen Kreu- ­einen sollte der Handel wichtiger Roh- einen Handelskrieg im Pazifik zu füh- zergeschwaders einen Verband der Kai- stoffe und Waren mit Großbritannien ren. Tatsächlich schien ihm die Ver- serlichen Marine, der permanent in der unterbunden und zum anderen die schiebung des Kräfteverhältnisses im

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Überlebende des Seegefechtes vom 9. November 1914. picture alliance/Photo12/Ann Ronan Picture Librar | Ronan Picture Librar picture alliance/Photo12/Ann

Südpazifik zu seinen Ungunsten durch horst« und SMS »Gneisenau«, in der Ostasiatischen Kreuzergeschwader in die HMAS »Australia« durchaus be- Bucht von Rabaul in Papua-Neuguinea Panzerung, Reichweite und Durch- wusst gewesen zu sein. Denn Erfolg er- vermutet. Als Patey dort im September schlagskraft überlegen war. Durch die wartete er für seinen Verband lediglich 1914 eintraf, fand er zwar kein deutsches Besetzung der deutschen Kolonien im für den Fall, dass er vollständig unent- Kriegsschiff, es gelang aber, die deutsche Pazifik und das Gefecht zwischen HMAS deckt operieren konnte. Mit den damals Kolonie einzunehmen. Als Vizeadmiral »Sydney« und SMS »Emden« konnte recht begrenzten Mitteln der Nachrich- von Spee die Nachricht vom australi- die Royal Australian Navy ihren Wert tenübermittlung und der Seeraumüber- schen Vorgehen erhielt, befand er sich innerhalb kürzester Zeit unter Beweis wachung schien dies zumindest für ei- mit seinen Einheiten auf See, auf dem stellen und erste Kampferfahrungen nen begrenzten Zeitraum möglich. Weg durch den Pazifik in den Atlantik, sammeln. Nach der Vernichtung des um von dort den Versuch zu unterneh- Ostasiatischen Kreuzergeschwaders Operationen men, in die Heimat zu gelangen. Die durch Einheiten der Royal Navy am 6. SMS »Emden« war bereits bei Kriegsbe- Dezember 1914 vor den Falklandinseln Vizeadmiral von Spees und die allge- ginn für unabhängige Operationen vom wurde es zudem möglich, die Schiffe der meine Haltung im Auswärtigen Amt Kreuzergeschwader entlassen worden. Royal Australian Navy mit neuen Auf- sollten sich allerdings als Fehleinschät- Der Grund für dieses Vorgehen seitens trägen zu betrauen. Im weiteren Verlauf zung erweisen. London und Melbourne Vizeadmiral von Spees ergab sich ver- des Krieges kamen ihre Einheiten auf vereinbarten, dass die Schiffe der Royal mutlich aus der strategischen Ausgangs- allen Kriegsschauplätzen zum Einsatz Australian Navy im Falle eines Krieges lage. Seit den ersten Augusttagen wusste und wurden erst nach Kriegsende wie- unter britisches Kommando gestellt er, dass sich das Deutsche Reich mit der in Australien zusammengezogen. werden würden. Dies geschah auch, Russland, Frankreich und Großbritan- als im August 1914 der Erste Weltkrieg nien im Krieg befand, und am 13. August ausbrach, doch die australischen Einhei- erfuhr er, dass Japan auf Seiten der En- Tim Döbler ten wurden zunächst nicht verlegt. Ihr tente in den Krieg eingetreten war. Da- ist Marineoffizier und Militärhistoriker. Flottenchef, Rear Admiral George Patey, durch schrumpfte der Operationsradius Er forscht im Schwerpunkt zu Themen zog in den ersten Augusttagen seine des Ostasiatischen Kreuzergeschwaders der Marinegeschichte. Einheiten nordöstlich des australischen massiv zusammen. Ob bewusst oder un- Festlandes zusammen, um das deutsche bewusst trug man mit dem Heimatkurs Ostasiatische Kreuzergeschwader auf- von deutscher Seite zum ersten Mal der Literaturtipp zuspüren. Nach letzten Informationen Tatsache Rechnung, dass die Royal Aust- Christian Jentzsch/Jann M. Witt, Der Seekrieg wurde ein Teil der deutschen Schiffe, da- ralian Navy mit HMAS »Australia« über 1914‑1918. Die Kaiserliche Marine im Ersten runter die Großen Kreuzer SMS »Scharn- ein Großkampfschiff verfügte, das dem Weltkrieg, Darmstadt 2016.

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Der Siebenjährige Krieg 1756‑1763

akg/North Wind Picture Archives

Übergabe von Louisbourg in Kanada an die Briten unter General Jeffrey Amherst, Holzstich, 19. Jahrhundert.

as haben die Romanfigu- preußischer Siege (Roßbach, Leuthen, bezeichnet als sogenannter French and ren Chingachgook, Häupt- Prag), die aber dem Gegner keine ent- Indian War, gerungen, sowie in Florida, Wling der Mohikaner, und scheidende Niederlage beibrachten und in der Karibik, in Afrika, auf den Philip- sein weißer Blutsbruder Falkenauge schon gar nicht die Koalition sprengten. pinen und in Indien, genannt 3. Karna- mit den realen Personen Friedrich der Die Koalition wiederum brachte Preu- tenkrieg, gekämpft. Große, Maria Theresia sowie Siraj-ud- ßen einige Verluste bei (Kolin, Hoch- Aus dieser Warte war Friedrichs Kampf Daula, dem Herrscher von Bengalen, kirch, Kunersdorf), nutzte militärische nur ein »Nebenkriegsschauplatz«, was gemeinsam? Sie alle sind in der Zeit des Vorteile aber oft nicht aus, war sich un- er nach britischem Willen auch bleiben Siebenjährigen Krieges (1756‑1763) zu eins und verpasste somit den Gesamt- sollte. Der König von Großbritannien, verorten. Die traditionelle deutsche Er- sieg. Der Tod der russischen Zarin preußischer Hauptkriegsfinanzier, war zählung blendete jedoch alle Personen ­Elisabeth 1762, deren Nachfolger Zar zugleich Kurfürst von Hannover und außer Friedrich und Maria Theresia aus ­Peter III. preußenbegeistert war, ließ wollte sein Festlandsterritorium schüt- und degradierte den globalen Siebenjäh- Russland schließlich aus der Koalition zen, was ihm 1759 beim Sieg über das rigen Krieg zum 3. Schlesischen Krieg. ausscheiden. französisch-sächsische Heer in der Preußen hatte bereits 1740 das zuvor ös- Global aber hatte der Konflikt schon Schlacht bei Minden auch gelang. terreichische Schlesien erobert und in seit 1754/55 an ganz anderer Stelle zwi- Der Friede von Paris 1763 beendete der Folgezeit in zwei Kriegen verteidigt. schen Franzosen und Briten sowie ihren schließlich den weltweiten Kampf und Seit Mai 1756 gab es eine neue Koali- indigenen Verbündeten im Ohiotal ge- schrieb britische Gewinne in Kanada, tion gegen Friedrich II.: Österreich, schwelt. Hier wurde bereits geschossen; Louisiana und Indien fest. Die briti- Sachsen, Frankreich, Russland, später die formale Kriegserklärung folgte am schen Zahlungen an Friedrich endeten, Schweden und das Heilige Römische 17. Mai 1756. Die Kämpfe Frankreichs alle waren kriegsmüde und schlossen Reich. Preußen, verbündet mit Großbri- und Spaniens gegen Großbritannien zu daher für Europa 1763 den Frieden zu tannien sowie Hannover, sah sich be- Land sowie zur See fanden weltweit Hubertusburg. droht und marschierte am 29. August in statt. Es wurde blutig um die Besitzun- Sachsen sein. Es folgten eine Reihe gen in Nordamerika inklusive Kanada, Harald Potempa

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1941 Die Versenkung der »Bismarck«

ährend der ersten Hälfte des nigen Schlachtschiffe ein, um die Kräfte Schlachtschiffe heran. Am 24. Mai 1941 Zweiten Weltkriegs führte der Royal Navy zu binden. Das moderns- kam es in der Dänemarkstraße zwischen Wdie sowohl ei- te und neueste deutsche Schlachtschiff Grönland und Island zum Gefecht. Die nen U-Boot- als auch Überwasserhan- war die 250 Meter lange und über 50 000 »Bismarck« versenkte zunächst den bri- delskrieg gegen Großbritannien. Seinen Tonnen schwere »Bismarck«. Auf dem tischen Schlachtkreuzer »Hood«. Nun Höhepunkt erreichte der ozeanische neuesten Stand der Technik war sie ih- setzte die Royal Navy alles daran, den Handelskrieg in Atlantik und Nordmeer ren britischen Gegnern ebenbürtig. Der deutschen Verband vollständig zu ver- im Frühjahr 1941. Neben den für diese erste Kampfeinsatz der »Bismarck« war senken. Nach einem Torpedotreffer Kampfweise gebauten Panzerschiffen das Unternehmen »Rheinübung« im durch ein Trägerflugzeug am 26. Mai war setzte die Seekriegsleitung auch ihre we- Mai 1941. Zusammen mit dem Schwe- die »Bismarck« fast manövrierunfähig. ren Kreuzer »Prinz Eugen« sollte sie in Überlegene britische Kräfte versenkten den Atlantik vorstoßen, um dort Han- schließlich am nächsten Tag das ange- delskrieg zu führen. Aufgrund einer schlagene Schlachtschiff etwa 400 See- schlechten Planung der Kriegsmarine meilen vor der französischen Küste. Von klärten die Briten die Operation aller- mehr als 2200 Mann Besatzung überleb- dings schon in der Ostsee auf. Die Royal ten nur 115. Nach diesem Verlust been- Navy war gewarnt und wollte den Ver- dete die Kriegsmarine ihre atlantische band abfangen. Überwasserhandelskriegführung. Britische Kreuzer spürten die deut- schen Schiffe auf und führten eigene Christian Jentzsch

IMAGNO/Votava/Süddeutsche Zeitung Photo

1921 1943 Sophie Scholl ‑

as wird Wellen schlagen«, soll lung und Verbreitung die Verhöre durch- Sophie Scholl kurz vor ihrer des fünften Flugblattes führte, hatten »bis in DHin­richtung am 22. Februar 1943 im Januar 1943 betei- höchsten Stellen Beun- gesagt haben. Die 21-jährige Studentin ligt. ruhigung und Aufse- und Widerstandskämpferin gegen das Das sechste und letzte hen hervorgerufen«. So NS-Regime hat Recht behalten. Dabei Flugblatt erschien kurz kam , war Sophie Scholl, wie auch ihr Bru- nach der Schlacht von der berüchtigte Präsi- der Hans, zunächst begeistert von dem Stalingrad. »Es gärt im dent des Volksgerichts- Gemeinschaftsideal in der NS-Gesell- deutschen Volk: Wollen hofs, persönlich nach schaft. 1934 trat sie den Jungmädeln bei wir weiter einem Dilet- München, um den und wurde bald Gruppenführerin. 1942 tanten das Schicksal »Prozess« zu leiten. folgte sie ihrem Bruder Hans zum Stu- unserer Armeen anver- Christoph Probst, So-

dium nach München. Dieser hatte dort trauen?«, hieß es darin. Geschwister-Scholl-Archiv/Süddeutsche Zeitung Photo phie und Hans Scholl einen Freundeskreis aufgebaut, der ähn- Bei der Verteilung des wurden wegen »lan- lich wie die liberal und christlich erzo- Flugblattes an der Universität am 18. Feb- desverräterischer Feindbegünstigung, genen Geschwister dachte und durch ruar 1943 wurden die Geschwister ent- Vorbereitung zum Hochverrat und die Ablehnung des NS-Regimes geeint deckt und verhaftet, zwei Tage später Wehrkraftzersetzung« zum Tode verur- war. Im Sommer 1942 erschien das ers- auch ihr Mitstreiter Christoph Probst. teilt. Das Urteil wurde noch am selben te Flugblatt der »Weißen Rose«. Sophie Die Flugblätter, so berichtete es später Tag per Fallbeil vollstreckt. Scholl war nachweislich an der Erstel- Gestapo-Kommissar Robert Mohr, der Friederike Höhn

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»Braune Nostalgie«? Die Skandale der 1970er Jahre und die historische Bildung in der Bundeswehr

Im Mai 2020 machen Ermittler auf dem Privatgrundstück eines Angehörigen der Bundeswehr ein Waffenlager ausfindig. Neben Sprengstoff und Munition findet sich auch NS-Literatur in dem Versteck. Eine Verbindung zu rechts­- extremistischen Kreisen ist nicht ausgeschlossen. Derartige Verdachtsfälle lösen immer wieder Empörung inner- wie außerhalb der Streitkräfte aus. Sie sind jedoch nicht erst ein Phänomen der Gegenwart.

Von Cornelia Juliane Grosse

n den 1970er Jahren führten ähnli- nun durch einen vollwertigen akademi- verantwortlichen Planer che Vorfälle zu einem nachhaltigen schen und zivilberuflich verwertbaren ignorierten weitestge­ IDiskurs über die Notwendigkeit von Abschluss ergänzt werden. Zu diesem hend, dass die historische historischer Bildung in der Gesellschaft Zweck gründete die Bundeswehr eige- Bildung eine ganz eigen­ und den Streitkräften. Ausgangspunkt ne Hochschulen in Hamburg und Mün- ständige Zielsetzung ver­ hierfür war die Zeit nach dem Regie- chen, die 1973 den Betrieb aufnahmen. folgt: die Förderung von rungswechsel am Ende der 1960er Jahre, Nur folgerichtig hatte diese Umstruk- Geschichtsbewusstsein als wesentliche die durch einen Mangel an historischem turierungsmaßnahme eine Reform der Voraussetzung für die Fähigkeit und Be­- Interesse und historischer Bildung ge- gesamten Offizierausbildung zur Folge. reitschaft des Einzelnen zur mündigen kennzeichnet war. In der 1969 geform- Teilnahme an der politischen Willens­- ten Koalition aus SPD und FDP unter Der Verlust der Geschichte bildung und zur engagierten Mitgestal­ Bundeskanzler Willy Brandt wurde der tung der Gesellschaft. Sozialdemokrat Helmut Schmidt Vertei- Zunächst erscheint es als ein Wider­ Die Ansicht, dass historische Bildung digungsminister. Schmidt begann seine spruch, dass ausgerechnet die histo­ri­sche entbehrlich sei, existierte zu dieser Zeit Amtszeit mit einem umfassenden Re- Bildung durch Schmidts Reform­­paket nicht nur in der Bundeswehr: Auch in formpaket. Eine der weitreichendsten in besonderer Weise in Mitleiden­ den Schulen wurden die Stunden für Maßnahmen war die Einführung eines schaft gezogen wurde. Denn diese war den Geschichtsunterricht drastisch re- Universitätsstudiums für Offiziere als zwar eigentlich fester Bestandteil der duziert und etablierte Historiker muss- regulärer Teil ihrer Ausbildung. Die von Offizierausbildung, ihre Anteile wurden ten sich Fragen wie »Wozu noch Ge- Schmidt berufene Bildungskommission im Zuge der Reformmaßnahmen jedoch schichte?« oder »Welchen Nutzen hat unter Vorsitz des Politikwissenschaftlers in allen Ausbildungsgängen entweder Geschichte?« stellen. Der Blick war nach Thomas Ellwein hatte die Integration ganz gestrichen oder massiv gekürzt vorn in die Zukunft gerichtet und da eines akademischen Studiums in der und zumeist ans Ende der Ausbildung schien es vielen für angebracht, sich Offizierausbildung empfohlen, auch um verbannt. Offensichtlich war man in noch weniger als zuvor schon mit der die Attraktivität des Offizierberufes zu weiten Kreisen der politischen und Vergangenheit, vor allem mit dem nega- erhöhen. Denn die Bundeswehr litt un- militärischen Führung der Ansicht, tiv aufgeladenen Nationalsozialismus zu ter Nachwuchssorgen. Die Ausbildungs- dass nun ein fachliches Studium für die befassen. Diese Geschichtsvergessenheit qualifikation zum Offizier sollte daher geistige Bildung der Offiziere genüge. Die der Gesellschaft sollte gerade vor dem

30 Militärgeschichte | 1/2021 picture-alliance/dpa|Roland Witschel

Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt (SPD) im Dialog mit Soldaten des Heeres, der und der Marine, 20. November 1970.

Hintergrund der deutschen Geschichte 1953 als Spitzenkandidat für die rechts- mussten ihren Posten räumen und auch nicht ohne Konsequenzen bleiben. extreme Deutsche Reichspartei. Ihn in der damalige Parlamentarische Staats- der Bundeswehr offiziell zu empfangen, sekretär im Verteidigungsministerium, Der »Fall Rudel« führte zunächst zu massiver Kritik in der Hermann Schmidt (SPD), der die Ver- Öffentlichkeit. Zum handfesten politi- anstaltung genehmigt hatte, trat nach Im Oktober 1976 lud das Aufklärungs- schen Skandal entwickelte sich der Vor- nur einem Jahr im Amt zurück. geschwader 51 »Immelmann« Hans-Ul- fall, als hochrangige militärische Per- rich Rudel als ehemaligen Kampfflieger sönlichkeiten Rudel in Schutz nahmen. Die antisemitischen Vorfälle an und Kommodore des vormaligen Stuka- So rechtfertigten die beiden Luftwaf- der Hochschule der Bundeswehr Geschwaders »Immelmann« zu einem fengenerale Walter Krupinski und Karl- München Traditionstreffen in den Fliegerhorst der Heinz Franke die Einladung Rudels und Bundeswehr im südbadischen Bremgar- verteidigten sie, indem die Generale die Die Bundeswehr kam nach dem Skandal ten ein. Dies warf Fragen auf: Rudel galt nationalsozialistische Belastung Rudels jedoch nicht zur Ruhe. Im Februar 1977, einerseits als erfolgreichster Kampfpilot mit der kommunistischen Vergangen- kein halbes Jahr nach der Rudel-Affäre, der Luftkriegsgeschichte. Andererseits heit Herbert Wehners gleichsetzten, traf es die erst wenige Jahre zuvor ein­ blieb er zeitlebens ein überzeugter Na- der damals als Fraktionsvorsitzender gerichtete Hochschule der Bundeswehr tionalsozialist und kandidierte unter der regierenden SPD im saß. in München. Erneut stand der Vorfall in anderem noch bei der Bundestagswahl Damit war das Maß voll. Beide Generale Zusammenhang mit der nationalsozia­

31 BUNDESWEHRGESCHICHTE picture-alliance/dpa|DB

Geschändeter jüdischer Friedhof in Hannover-Bothfeld, April 1977.

listischen Vergangenheit. Ein gemeinsa­ Georg Leber (SPD) entsandte daraufhin einer Seminararbeit an der Hochschule mer Abend jüngerer Offiziere artete aus. den Stellvertretenden Generalinspek- in München und judenfeindliche Äu­- Beim Verbrennen von Abfällen sangen teur, Generalleutnant Rüdiger von Rei- ßerungen unter anderem durch den die Anwesenden nationalsozialistische chert, zur Untersuchung der Vorgänge an damaligen Leutnant Michael Kühnen, Lieder; »Sieg Heil«-Rufe ertönten in der die Hochschule. Reichert stellte fest: Die der 1977 aufgrund von rechtsextremis­ Runde. Die Gruppe steigerte sich immer beteiligten Soldaten hätten NS-Symbole tischen Aussagen entlassen wurde. All weiter in ihr Verhalten und am Ende verwandt und damit nach seiner Bewer- dies verstärkte den Eindruck, dass es in entzündeten einige der beteiligten Offi­- tung den Eindruck erweckt, sie verherr- den Streitkräften demokratiefeindliche ziere sogar Papierreste sowie Kartonteile lichten nationalsozialistisches Gedan- Tendenzen gab. Was war nur in der und sprachen dabei von »Juden­ver­bren­- kengut. Damit verstießen sie gegen das Bundeswehr los? Sie war definitiv kein nung«. Andere Offiziere erkannten die Soldatengesetz. Obwohl Reichert zu gesellschaftlicher Sonderfall. Denn es Grenzüberschreitungen, beendeten das dem Schluss kam, dass den Handlungen schien sich in dieser Zeit eine Form unsägliche Treiben und meldeten den keine demokratiefeindliche Gesinnung der »braunen Nostalgie« breit zu machen, Vorfall. Versuche des damaligen Hoch- zugrunde gelegen habe, waren harte dis- die im In- und Ausland kritisch und be-­ schulpräsidenten, Horst von Engerth, ziplinarrechtliche Konsequenzen für die sorgt beobachtet wurde. Dies zeigte sich das Geschehen im eigenen Zuständig­ Beteiligten die Folge. Unter anderem etwa in der Schändung jüdischer Fried­ keits­bereich zu klären, scheiterten je­ wurden sechs Offiziere, die noch nicht höfe und in Umtrieben neonazistischer doch. länger als vier Jahre Soldat auf Zeit wa- Gruppen, die in der zweiten Hälfte der Im September 1977 titelte die »Frank- ren, fristlos entlassen. 1970er Jahre vermehrt auf sich aufmerk­ furter Rundschau«: »Dann lasst uns doch sam machten. Ausländische Medien Juden verbrennen«, als sie über den Vor- Auf dem Marsch nach rechts? schürten Ängste, die Bundesrepublik fall an der Hochschule berichtete. Ein befände sich insgesamt »auf dem Aufschrei ging durch Öffentlichkeit und Zu den Ereignissen um Rudel und an Marsch nach rechts«. Eine mangelnde Politik. Auch im Verteidigungsministe- der Hochschule in München gesellten Sensibilität mit dem Erbe der national­ rium war man über die Vorfälle nicht in- sich in dieser Zeit weitere Vorfälle, wie sozialistischen Vergangenheit war al­ formiert worden. Verteidigungsminister etwa Hakenkreuz-Schmierereien auf lent­halben spürbar.

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Ursächlich hierfür war nicht zuletzt Der Stellvertreter des FB Publikationen/ZMSBw das zunehmende Defizit an historischer Generalinspekteurs, Bildung. Die grassierende Geschichts- Generalleutnant Harald vergessenheit in Deutschland beförderte Wust (2. v.r.), verwies ein inakzeptables Verhalten, das sich in 1976 anlässlich der Einführung des neuen der Bundeswehr zu veritablen Krisen MGFA-Amtschefs, ausweitete. Für sie hatten die Vorfälle Oberst Othmar Hackl (r.), eine besondere Brisanz: Sie war zehn auf die Bedeutung der Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrie- historischen Bildung für ges gerade unter der Prämisse gegründet die Bundeswehr. und aufgebaut worden, dass »etwas grundlegend Neues« zu schaffen sei. Ein kritisches Geschichtsbewusstsein war eine der Grundvoraussetzungen für die Verwirklichung des diesem Zweck die- nenden Leitbildes des Staatsbürgers in Uniform. Doch die schon bis Ende der 1960er Jahre nur bruchstückhafte Befas- sung mit der deutschen Vergangenheit, des Generalinspekteurs sicherstellen. einandersetzung mit der deutschen Ge- verlor mit der zunehmenden Vernach- Diese forderte Wust an zentraler Stelle schichte zu fördern. Nur die Schaffung lässigung der Geschichte im Lauf der in der Weisung: »Die Vermittlung histo- eines gesellschaftlichen und geschichtli- 1970er Jahre weiter an Boden. Gegen- rischen Wissens in der Aus- und Weiter- chen Bewusstseins könne Rückfälle in maßnahmen waren erforderlich. bildung sowie die Pflege der Tradition »vergangenheitsbezogene Denkweisen« leiden unter dem Mangel, dass die Aus- verhindern, wie sie in den Vorfällen um Aus der Geschichte für die beute der allgemein- und militärge- Rudel und der Hochschule in München Demokratie lernen schichtlichen Forschung nicht in hinrei- deutlich geworden waren. Die Grundla- chendem Maße für den praktischen gen hierfür würden bereits in Schule In der Bundeswehr leiteten die militä- Gebrauch in der Truppe aufbereitet und und Elternhaus gelegt. In der Bundes- rische und politische Führung Schritte weitergegeben wird.« Um diesem Man- wehr könne dieser Prozess eben nur fort- ein, um diesem akuten »Geschichts- gel abzuhelfen, sollten im MGFA ver- geführt werden. Die Skandale in der verlust« entgegenzuwirken. Bundes- mehrt Lehrunterlagen und Materialien Bundeswehr legten somit auch ein ge- präsident Walter Scheel hielt auf der für Gedenktage und die politische und samtgesellschaftliches Defizit offen, 22. Kommandeurtagung im April 1978 historische Bildung erarbeitet werden. dem ab Ende der 1970er Jahre durch eine fest: »Auch die Bundeswehr ist Ergebnis Der Generalinspekteur nahm das MGFA Stärkung von historischer Bildung ent- eines historischen Prozesses.« Sie müsse erstmals in dieser Deutlichkeit in die gegengewirkt werden sollte. sich daher des historischen Ortes der Pflicht: »Dieser Auftrag hat gegenüber Das Zurückfahren historischer Bil- Streitkräfte bewusst werden, um den den bisherigen Schwerpunktaufgaben dungsmaßnahmen in den 1990er Jahren Wert der Demokratie zu begreifen. »Das Priorität.« Der historischen Bildung und die erneute Zunahme von Vorfällen heißt zunächst«, so Scheel weiter, »die wurde nach den Skandalen ein immens mit rechtsextremistischem Hintergrund Bundeswehr darf die Militärgeschichte gesteigerter Stellenwert zuteil. Dazu er- zeigen jedoch: Historische Bildung ist nicht isoliert betrachten.« Problemati- hielt das damals in Freiburg gelegene eine Daueraufgabe, welcher der notwen- sche und dunkle Epochen der deutschen For­schungsamt eine neue Abteilung dige Raum gegeben werden muss, um Geschichte dürfe man nicht verdrängen. »Ausbildun­ g, Information, Fachstu- eine in allen Bereichen geschichtsbe- Ein entscheidender Schritt war in der dien«, die entsprechend der hohen Prio- wusste Gesellschaft zu gestalten. Folge die »Weisung zur Verbesserung risierung durch den Generalinspekteur der historischen Bildung in der Bundes­ mit Personal ausgestattet wurde. wehr«, die Generalinspekteur Harald Die Skandale der 1970er Jahre führten Cornelia Juliane Grosse Wust im August 1978 herausgab. Im zu der Erkenntnis, dass historische Bil- ist wissenschaftlichere Mitarbeiterin Kern ging es darum, Themen der Zeit- dung wieder verstärkt werden müsse. in der Abteilung Bildung des ZMSBw. geschichte und des Nationalsozialismus Allerdings betonte der Parlamentarische der Truppe besser verfügbar zu machen. Staatssekretär im Verteidigungsministe- Eine stärkere Einbindung des bereits rium, Andreas von Bülow (SPD), bereits Literaturtipp 1957 gegründeten Militärgeschichtli- Ende 1977 im Kontext dieser Entwick- Martin Rink, Die Bundeswehr 1950/55–1989, chen Forschungsamtes (MGFA) in die lungen, dass es nicht allein Aufgabe der Berlin 2015. historische Bildung sollte das Anliegen Bundeswehr sei, eine angemessene Aus-

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Bücher

Reichseinigung Das deutsche Kaiserreich Das Jahr 1000

Wie das Zitat »Blut und Eisen« Otto Christoph Nonn hat mit diesem Buch Nach Valerie Hansen begann bereits von Bismarcks historisch eingeordnet eine inhaltlich ausgewogene, sprach- im Jahr 1000 die Globalisierung. Denn: werden muss, schildert Christoph Jahr lich flott und humorvoll gehaltene so- Ausgedehnten Handel zwischen den in seinem Buch über den Prozess der wie analytisch dicke Bretter bohrende Kontinenten Afrika, Europa, Asien und Reichseinigung zwischen 1864 und Studie zur Geschichte des Deutschen Amerika gab es damals schon. Auch der 1871. Lesenswert ist es vor allem, weil es Kaiserreiches verfasst. Dem Ziel, eine Waren-, Ideen-, Religions- und Pilger- nicht nur die Perspektiven der handeln- multiperspektivische Darstellung, eine verkehr auf den vier Erdteilen blühte. den Akteure aufzeigt, sondern auch die Art Kaleidoskop des Kaiserreiches zu China importierte etwa arabische Kera- Wahrnehmung der Kriege durch die Be- bieten, wird er gerecht. mik, da die qualitativ hochwertigeren völkerung beleuchtet. In zwölf Kapiteln erfahren die Leser eigenen Brennöfen schlicht zu kosten- Mit vielen Zitaten zeichnet er die unter- beispielsweise mehr zu den antisemiti- intensiv waren. Nicht zuletzt blühte schiedlichen Perspektiven von Nationa- schen »Ritualen der Demütigung« im der Handel mit Sklaven aus Afrika, aber listen über Liberale bis hin zu Pazifisten westpreußischen Konitz oder zur Tir- nicht nach Amerika, sondern zu den nach. Dadurch legt der Autor dar, dass pitzschen Flottenpolitik. Auch folgende Märkten in Basra, Bagdad, Kairo und es eben nicht nur in Preußen kriegstrei- Phänomene finden Platz in Nonns Oman. Hinzu kamen diejenigen aus bende Kräfte gab, sondern auch in Dä- Panorama: 1914 habe es nicht die eine (Ost-)Europa; die Worte Sklave und nemark, Österreich, Frankreich und in »Julikrise« gegeben, sondern jede Groß- Slave sind verwandt. den deutschen Mittelmächten. Gleich- macht habe ihre eigene Julikrise durch- Bemerkenswert ist der weltweite Blick zeitig wird deutlich, dass Bismarck die lebt. Ferner hätten deutsche Kinder den des Buches. Hansen weist darauf hin, lenkende Kraft während der Grün- Begriff »Engländer« während des Krie- dass es vielfältige Quellen in verschiede- dungsphase des Deutschen Kaiserreichs ges als Beleidigung genutzt. nen Sprachen neben darauf fußenden war. Neben dem historischen Abriss der Insgesamt ist dieser farbenprächtigen Studien zu dieser Thematik gibt. Das wichtigsten Ereignisse, wendet sich Jahr Darstellung eine breite Leserschaft zu Verdienst der Autorin ist deren Auswer- der Rezeptionsgeschichte dieser Ära, ih- wünschen. tung und Zusammenführung. rer späteren Instrumentalisierung und Glorifizierung, zu. Victor Marnetté Harald Potempa

Christian Jentzsch Christoph Nonn, 12 Tage und ein halbes Valerie Hansen, Das Jahr 1000. Als die Jahrhundert. Eine Geschichte des deut- Globalisierung begann, München 2020. Christoph Jahr, Blut und Eisen. Wie Preußen schen Kaiserreiches 1871–1918, München ISBN 978-3-406-75530-9, 393 S., Deutschland erzwang. 1864–1871, 2020. ISBN 978-3-406-75569-9, 687 S., 29,00 Euro München 2020. ISBN 978-3-406-75542-2, 34,00 Euro 368 S., 26,95 Euro

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Deutsche Krieger Spiel der Könige Waffen-SS in Italien

Gibt es eine spezifische Militärkultur, Die Plantagenets herrschten von 1154 Im Herbst 1944 töteten Soldaten der die sich seit dem Kaiserreich über alle bis 1399 über England sowie Teile Frank- Waffen-SS in und um das norditalie- Brüche hinweg in deutschen Armeen reichs. Der gelbe Ginster gab dem Kö- nische Dorf Marzabotto etwa 770 Zivi- etabliert hat? Oder gar einen »Kult deut- nigshaus nachträglich den Namen: latei- listen, darunter 213 Kinder. Es war das scher Krieger«, der auch die heutige nisch planta genista, französisch plante schlimmste Kriegsverbrechen in Italien Bundeswehr prägt? genêt. im Zweiten Weltkrieg. In sechs Hauptkapiteln spürt Sönke Die sieben Plantagenet-Könige führ- Daran beteiligt war auch Marcel Grob, Neitzel, vom Kaiserreich bis in die Berli- ten Neues ein: Englisch statt Latein als der sich dafür 2009 vor einem italieni- ner Republik, von den Reichseinigungs- Amtssprache, die Magna Charta und schen Gericht verantworten musste. kriegen bis hin zum -Einsatz die Anfänge des Parlamentarismus. Die Philippe Collin, Großneffe Grobs, er- der Bundeswehr, diesen Fragen nach berühmtesten Herrscher: Richard Lö- zählt die Geschichte des 1926 im Elsass und findet eine eindeutige Antwort: wenherz und sein Bruder Prinz John. In geborenen Mannes, der im Juni 1944 für Nicht die Zäsuren in der Geschichte prä- ihrem Umfeld sind die Geschichten um die Waffen-SS zwangsrekrutiert wurde. gen in erster Linie das deutsche Militär, Robin Hood angesiedelt. In der Graphic Novel erzählt Grob seine sondern spezifische »tribal cultures« der Die Geschichte der Plantagenets war Geschichte selbst, und zwar dem Unter- Truppengattungen, die den inneren Zu- ohne Zweifel ein »Spiel der Könige«, suchungsrichter. In den Rückschauen sammenhalt gewährleisten. aber eines, das für Gefolgsleute, Gegner existieren keine Farben. Die Panels sind Dieser These muss man nicht zustim- und Untertanen äußerst blutig war. Dan in Grau- und Sepiatönen gefasst. Rot men, doch man sollte sich mit ihr ausei- Jones arbeitet die grausamen Intrigen, leuchten sie im Angesicht der brennen- nandersetzen. Für dieses Buch kann für politischen Hochzeiten und Kriege he- den Kirche von Marzabotto, verstören jeden an Militärgeschichte Interessier- raus. Am Anfang standen viele kleine durch ihre Intensität und bleiben im ten nur gelten: Lesen und diskutieren – sich bekämpfende Adelshäuser. Am Gedächtnis hängen. das entspricht in jedem Fall der inneren Ende war daraus eine mächtige Krone Im Anhang gibt es ein Glossar des fran- Führungskultur der Bundeswehr! geworden, die die Anfänge des Parla- zösischen Historikers Christian Ingrao mentarismus sowie in Teilen des staat- zur Geschichte von SS und Waffen-SS. Cornelia Juliane Grosse lichen Gewaltmonopols schuf. Friederike Höhn Sönke Neitzel, Deutsche Krieger. Vom Harald Potempa Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Philippe Collin/Sébastien Goethals, Militärgeschichte, Berlin 2020. Dan Jones, Spiel der Könige. Das Haus Die Reise des Marcel Grob, Bielefeld 2019. ISBN 978-3-843-72370-1, 816 S., Plantagenet und der lange Kampf um ISBN 978-3-96219-320-1, 192 S., 35,00 Euro Englands Thron, München 2020. 29,80 Euro ISBN 978-3-406-75581-1, 686 S., 29,95 Euro

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Medien

Chernobyl aber auch Arglosigkeit der »Liquida- toren«, die in Zelten in der Sperrzone HBO/Sky, 2019, 5 Folgen, FSK 16. kampieren und in rauen Mengen Vodka Verfügbar als DVD/Blu-ray oder als trinken, um dadurch vermeintlich die Video On Demand Radioaktivität abzuwehren, sowie die kühle Distanziertheit der Politkader in üster, packend, nichts für einen Moskau, die am runden Tisch über das Doberflächlichen Unterhaltungs- Schicksal Tausender verhandeln. Im abend. So kann man die von HBO pro­ Kern ist die Serie eine Erzählung über duzier­ te­ Mini-Serie »Chernobyl« be­ das Unglück von Tschernobyl, aber sie schrei­ben. In fünf Episoden wird das geht weit darüber hinaus. »Chernobyl« Ge­schehen rund um das Reaktorun- thematisiert die inneren Mechanismen glück vom 26. April 1986 dargestellt. der häufig so undurchsichtig erschei- Nicht grundlos führte die Serie meh- nenden Sowjetunion, die Implikati- rere Monate die Seriencharts an, denn onen einer auch heute kontroversen Aber eigentlich verstehen sie nicht ein- eindrücklich und geradezu bedrückend Technik wie der Atomenergie und die mal, wofür sie kämpfen. Um die paar authentisch werden die Geschehnisse Auswirkungen des Umgangs mit einer Meter vor ihnen? Für jeden Meter ein der Katastrophe, das nachfolgende unsichtbaren Gefahr. In dieser Hinsicht Toter. Wie sollten sie es auch verstehen? Chaos sowie die Desorganisation beim ist Tschernobyl uns heute vermutlich Ihre Welt war bislang das Gymnasium, Versuch der Eindämmung und Vertu- näher, als dem einen oder der anderen jetzt ist es die Westfront. Eine verlorene schung dargestellt. Man spürt förmlich lieb sein wird. Jugend. die Verzweiflung der Techniker, die in Cornelia Juliane Grosse Regisseurin Christiane Ohaus inszeniert absoluter Dunkelheit durch radioaktiv das Hörspiel nach dem Klassiker von verseuchtes Wasser waten müssen, was Erich Maria Remarque fast ausschließ- das Tickern der Messgeräte geräuschvoll Im Westen Nichts Neues lich mit der Stimme von Patrick Gülden- anzeigt, die Wut und Hoffnungslosig- berg. Im Maschinengewehrstakkato keit der Experten, die sich bemühen, Erich Maria Remarque, feuert der Schauspieler Silben ab. Wie- den brennnenden Reaktor zu löschen Im Westen nichts Neues. Hörspiel, derholt. Verhallt. Die Eintönigkeit des und die Radioaktivität einzudämmen. Der Audio Verlag, Berlin 2020. Schützengrabens, die gleichbleibende Besorgt erkennt man die Unwissenheit ISBN 978-3-7424-1645-2, Kulisse aus Granateinschlägen, Geschrei 2 CDs, ca. 1 Std. 48 min, 15,00 Euro und Trommelfeuer, die unheimliche Stille, die Langeweile durch ewige Wie- immelstoß! Der berüchtigtste Un- derholung: Allein mit seiner Stimme Hteroffizier der deutschen Litera- überträgt Güldenberg die sich wan- turgeschichte fehlt selbstverständlich delnde Kriegswahrnehmung des jungen nicht in der gekürzten Hörspielfassung Soldaten Bäumer. des wohl bekanntesten Antikriegsro- Egal wie oft und in welchem Format mans. »Im Westen nichts Neues«: Paul man »Im Westen nichts Neues« zur Bäumers Weg vom Abiturienten zum Hand nimmt, regt die Geschichte immer desillusionierten Frontsoldaten im Ers- wieder zum Nachdenken an. Die ge- ten Weltkrieg gehört zu den meistge- kürzte Fassung ist aber ebenso zum Ein- lesenen Büchern weltweit. Mehr als 20 stieg geeignet für all jene, die das Buch Millionen Exemplare wurden seit der noch nicht gelesen haben – aber es im- Erstveröffentlichung 1928 verkauft. mer mal vorhatten. Kemmerich, Tjaden, Müller, Kropp, Bäu- mer – junge Männer, die »nichts wissen Friederike Höhn vom Leben«, ziehen 1914 in den Krieg.

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Ausstellungen

Aufgrund der Corona-Pandemie sind Besuche von Ausstellungen von Museen und anderen Einrichtungen derzeit nur eingeschränkt möglich. Bitte informieren Sie sich bei den einzelnen Veranstaltern, wann und in welchem Umfang die Ausstellungen geöffnet sind. Wir empfehlen Ihnen, das bereitgestellte mediale Angebot der einzelnen Einrichtungen zu nutzen.

Berlin Mai bis Oktober 2021 Friedrichsruh Fritz Bauer. täglich Otto von Bismarck Der Staatsanwalt. 10.00 bis 20.00 Uhr und seine Zeit NS-Verbrechen vor Gericht Eintritt frei Otto-von-Bismarck-Stiftung Stiftung Topographie Am Bahnhof 2 des Terrors Dresden 21521 Friedrichsruh Niederkirchnerstraße 8 Hitlers Elitetruppe? Tel.: 04 10 4 / 97 71 0 10963 Berlin Mythos Fallschirmjäger www.bismarck-stiftung.de Tel.: 0 30 / 25 45 09 0 Militärhistorisches Museum Daueraussstellung www.topographie.de der Bundeswehr Dienstag bis Sonntag April bis Oktober 2021 Olbrichtplatz 2 10.00 bis 18.00 Uhr täglich 01099 Dresden Eintritt frei 10.00 bis 20.00 Uhr Tel.: 03 51 / 82 32 80 3 Eintritt frei www.mhmbw.de Ingolstadt Potsdam Frühjahr 2021 bis Nord gegen Süd. Potsdamer Konferenz Postscriptum. Januar 2022 Der Deutsche Krieg 1866 1945 – Die Neuordnung »Ostarbeiter« im Donnerstag bis Dienstag Bayerisches Armeemuseum der Welt Deutschen Reich 10.00 bis 18.00 Uhr Neues Schloss Schloss Cecilienhof Freiluftausstellung. Eintritt: 5,00 Euro Paradeplatz 4 Im Neuen Garten 11 Dokumentationszentrum Ermäßigt: 3,00 Euro 85049 Ingolstadt 14469 Potsdam NS-Zwangsarbeit Freier Eintritt für Bundes- Tel.: 08 41 / 93 77 22 0 Tel.: 03 31 / 96 94 20 0 Britzer Straße 5 wehrangehörige www.armeemuseum.de www.spsg.de 12439 Berlin bis 12. September 2021 23. Juni 2020 bis Tel.: 0 30 / 63 90 28 80 Dienstag bis Freitag 31. Oktober 2021 www.ns-zwangsarbeit.de 9.00 bis 17.30 Uhr Dienstag bis Sonntag 15. Oktober 2020 bis Ende Samstag, Sonntag und 10.00 bis 17.30 Uhr April 2021 Feiertag Eintritt: 14,00 Euro täglich 10.00 bis 17.30 Uhr Ermäßigt: 10,00 Euro 24 h Eintritt: 3,50 Euro Eintritt frei Ermäßigt: 3,00 Euro Sonntag: 1,00 Euro Korrekturhinweis zu »Rotspanier«. Spanische Heft 3/2020, S. 23: Zwangsarbeiter im Neben dem im Artikel Zweiten Weltkrieg erwähnten Brigadegene- Dokumentationszentrum ral Gert Gawellek wurde NS-Zwangsarbeit 2017 mit Thomas Seifert Britzer Straße 5 ein weiterer Offizier 12439 Berlin mit NVA-Biografie in Tel.: 0 30 / 63 90 28 80 der Bundeswehr zum www.ns-zwangsarbeit.de Brigade­general befördert.

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Impressum

Herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) Der besondere Tipp durch Oberst Dr. Frank Hagemann (V.i.S.d.P.) Verantwortlich für akt. Ausgabe: Cornelia Juliane Grosse M.A. (cg) Oberstleutnant Chris Helmecke M.A. (ch)

Der Bruderkrieg – Deutsche und schen und französischen Historikern Redaktion: Franzosen 1870/71 und Historikerinnen das Bild eines mo- Cornelia Juliane Grosse M.A. (cg) dernen Krieges im Zeichen nationaler Oberstleutnant Chris Helmecke M.A. (ch) ie dreiteilige Dokumentation von Identitätsfindung zeichnen. Nach dem Fregattenkapitän Dr. Christian Jentzsch (cj) Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp) DZDF/ARTE arbeitet den nunmehr auf Frankreich zentrierten ersten Teil Oberstleutnant Dr. Klaus Storkmann (ks) 150 Jahre zurückliegenden Konflikt über widmet sich Teil zwei hauptsächlich den Henning de Vries M.A. (hv) die individuellen Erlebnisse eines fran- großen politischen Entwicklungslinien, Leiter Fachbereich Publikationen: zösischen, deutschen und britischen dem wachsenden Einfluss der Massen- Dr. Christian Adam Protagonisten auf, aus unterschiedlichs- medien und der Ausrufung des Deut- Bildredaktion: Esther Geiger ten Perspektiven: als Zivilist, Militär, schen Kaiserreiches, während der dritte Lektorat: Dr. Aleksandar-S. Vuletić, Björn Mielbrandt Journalist, Mann und Frau. Mithin ge- und letzte Teil den Blick zurück auf Karten/Grafiken: Dipl.-Ing. Bernd Nogli, Preußen wirft, die Frage der nationalen Frank Schemmerling, Yvonn Mechtel Layout: Carola Klinke akg-images Einheit Deutschlands und den Wandel des Kriegsbildes an der Schwelle zum Anschrift der Redaktion: modernen Massenkrieg thematisiert. Redaktion »Militärgeschichte« Vor dem Hintergrund der zwei Jahr- ZMSBw Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam hunderte dauernden Anstrengungen E-Mail: ZMSBwRedaktionMilGeschichte@ Frankreichs zur Ostverschiebung seiner bundeswehr.org Grenzen, von einem »Bruderkrieg« zu Homepage: www.zmsbw.de sprechen, wirkt jedoch befremdlich. © Titelbild: Sammlung Berliner Verlag/Archiv/ Diese Metapher mag wohl eher auf den Süddeutsche Zeitung Photo vorangegangenen preußisch-österrei- Manuskripte für die Militärgeschichte werden chischen Konflikt von 1866 zutreffen. an obige Anschrift erbeten. Für unverlangt Französische Sanitätskolonne 1870. Der Krieg 1870/71 indes ist zunächst in eingesandte Manuskripte wird nicht gehaftet. Die Redaktion­ behält sich Änderungen von den Kontext traditioneller Machtpolitik Beiträgen vor. Die Wiedergabe in Druckwerken lingt es den Autoren durch das geschick- der europäischen Großmächte einzu- oder Neuen Medien, auch auszugsweise, an- te Einflechten einer zusätzlichen Ebene, ordnen, auch wenn in dessen weiterem derweitige Vervielfältigung sowie Übersetzung die damals neuartige Multidimensio- Verlauf zunehmend das nationale Ele- sind nur nach vorheriger schriftlicher Zustim- mung erlaubt. Die Redaktion übernimmt keine nalität dieses Krieges deutlich zu ma- ment auf beiden Seiten die Überhand Verantwortung für die Inhalte von in dieser chen und um eine unbeteiligte britische gewinnt. Dessen ungeachtet präsentie- Zeitschrift genannten Webseiten und deren Sichtweise zu ergänzen. ren die Autoren eine tiefgründige Do­ Unterseiten. Während der erste Teil die Geschichte kumentation, die es anzuschauen lohnt Für das Jahresabonnement gilt aktuell ein des Krieges vor allem aus Sicht der Pari- und die den Blick auf einen Konflikt Preis von 15,00 Euro inklusive Versandkosten serin Geneviève Bréton erzählt, welche lenkt, der, wie der nordamerikanische (innerhalb Deutschlands). Die Hefte erscheinen in der Regel jeweils zum Ende eines Quartals. die Belagerung ihrer Stadt erlebt und de- Bürgerkrieg wenige Jahre zuvor, die Die Kündigungsfrist beträgt sechs Wochen ren Verlobter zur Verteidigung von Paris Schrecken des furchtbaren militärischen zum Ende des Bezugszeitraumes.

eingezogen wird, folgen die Teile zwei Ringens der europäischen Großmächte Ihre Bestellung richten Sie bitte an: und drei dem Stammvater aller Kriegs- 43 Jahre später bereits erahnen lässt. ZMSBw reporter, dem britischen Journalisten z.Hd. Frau Christine Mauersberger William Howard Russel, und einem Lars Zacharias Postfach 60 11 22, 14471 Potsdam Tel.: 0331/9714 599, Fax: 0331/9714 507 preußischen Generalstabsoffizier, dem Mail: [email protected] späteren Kriegsminister Paul Bronsart Der Bruderkrieg – Deutsche und Fran­- von Schellendorff. Alle drei führten zosen 1870/71, dreiteilige Doku­men­ © 2021 für alle Beiträge beim ZMSBw Tagebuch und hinterließen so umfang- tationsreihe von Hermann Pölking- Druck: Druckhaus Plagge GmbH reiche Selbstzeugnisse, die in Kombina- Eiken und Linn Sackarnd, ZDF/ARTE, An der Feuerwache 7, 49716 Meppen tion mit vielfältigen zeitgenössischen Looksfilm, 2020, verfügbar auf You- E-Mail: [email protected] Fotografien sowie Interviews mit deut- Tube ISSN 0940-4163

38 Die Regionalen Ausstellungen der Bundeswehr Stand: März 2021

Berlin Bundesministerium der Verteidigung Berlin MHM – Flugplatz Berlin-Gatow Eckernförde Dresden Militärhistorisches Museum (MHM) Potsdam Zentrum für Militärgeschichte und Kiel Sozialwissenschaften (ZMSBw) Plön

Schleswig-Holstein Laage Schwerin

Wittmund Mecklenburg-Vorpommern Schortens Bremen Leer Hamburg

Munster Brandenburg

Niedersachsen Havelberg Berlin

Hannover Burg Storkow Potsdam Magdeburg Münster Sachsen-Anhalt Blankenburg Nordrhein- Westfalen

Düsseldorf Dresden Erfurt Sachsen Frankenberg Bonn Thüringen Hessen

Mayen

Wiesbaden Hammelburg Rheinland-Pfalz Mainz

Saarland Saarbrücken

Bayern Calw Stuttgart Freyung

Baden- Württemberg

München

Bad Reichenhall

©ZMSBw Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung (AIN) Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen (IUD) Streitkräftebasis 09114-06 Munster Wehrwissenschaftliches Institut für Münster Bundeswehrdienstleistungszentrum Münster Bonn Kommando Streitkräftebasis Schutztechnologien - ABC-Schutz Hammelburg Bundeswehrdienstleistungszentrum Hammelburg Burg Logistikbataillon 171 „Sachsen-Anhalt“ Cyber- & Informationsraum (CIR) Luftwaffe Zentraler Sanitätsdienst der Bundeswehr Mayen Zentrum für Operative Kommunikation Laage Taktisches Luftwaffengeschwader 73 „Steinhoff“ Blankenburg Versorgungs- und Instandsetzungszentrum Sanitätsmaterial Storkow Informationstechnikbataillon 381 Schortens Objektschutzregiment der Luftwaffe „Friesland“ Leer Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst „Ostfriesland“ Heer Wittmund Taktisches Luftwaffengeschwader 71 „Richthofen“ Bad Reichenhall Gebirgsjägerbrigade 23 „Bayern“ Marine Calw Kommando Spezialkräfte Eckernförde Seebataillon Frankenberg Panzergrenadierbrigade 37 Kiel 3. Minensuchgeschwader Freyung Aufklärungsbataillon 8 Plön MarineunterofŸzierschule Havelberg Panzerpionierbataillon 803 Seit 2015 entstehen in Deutschland Orte, an denen sich die Bundeswehr in einem völlig neuen Format ihrer Nachbarschaft präsentiert: Regionale Ausstellungen. Was zunächst als Projekt der „Agenda Attraktivität“ einen Pilot-Charakter hatte, ist mittlerweile zum erfolgreichen und festen Bestandteil der historischen und politischen Bildung in der Bundeswehr geworden. Standortangehörige und zivile Gäste können sich in diesen kleinen lokalen „Schaufenstern“ einen Eindruck davon machen, welchen Auftrag die Bundeswehr hat – und wie und warum sie ihn erfüllt. Anschaulich und interaktiv können Aufgaben, Werte und Tradi- tionen der Truppenteile erkundet und erlebt werden. Multimediale Ausstellungskonzepte vermitteln Alltag, Einsatz und Geschichte(n) der Verbände – nach innen wie nach außen. Was sich bisher oft nur hinter dem Kasernenzaun abspielte, kann nun in bisher 20 erö neten Ausstellungen besichtigt werden. Über 25 000 Gäste haben das bereits getan. 39 www.zmsbw.de

Publikationen des ZMSBw

Einsatz ohne Krieg? Die Bundeswehr nach 1990 zwischen politischem Auftrag und militärischer Wirklichkeit. Hrsg. von Jochen Maurer und Martin Rink, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2020, 431 S., 45,00 Euro, ISBN: 978-3-525-33609-0

André Pecher Friedrich Oskar Ruge Lebenswelt, Rolle und Selbstverständnis eines Marineoffiziers von 1914 bis 1945, Berlin, Boston: De Gruyter 2021 (= Zeitalter der Weltkriege, 22), VIII + 508 S., 54,95 Euro, ISBN 978-3-11-063350-4

ZUGEHÖRT! Der Podcast des ZMSBw

Folge 19: Bevölkerungsbefragungen zur Bundeswehr Seit einigen Jahren erhebt das ZMSBw Daten zur Meinung der deutschen Bevölkerung über die Bundes- wehr. Hier wird erklärt, wie diese Befragungen ablaufen und welche Schlüsse daraus gezogen werden können. »ZUGEHÖRT! Der Podcast des ZMSBw« finden Sie auf allen Folge 20: Minensucher im Persischen Golf einschlägigen Platt- 1990/91 waren erstmals seit der Wiedervereinigung formen sowie unter Bundeswehrsoldaten im Auslandseinsatz: Deutsche https://bit.ly/3skVUE6 Boote suchten im Persischen Golf nach dem 2. Golfkrieg gegen den Irak nach Minen.