BM.I stätte Mauthausen als Erinnerungsort, Museum undFriedhof Museum auseinandersetzen.stätte alsErinnerungsort, Mauthausen 2007 undversteht sichalsForum fürOrganisationen undPersonen, diesichmitderGedenk Aktivitäten und Veranstaltungen imvergangenen Jahr. erscheint DasJahrbuch seitdemJahr historische Zeitdokumente über kommentiert Mauthausen, undinformiert gebnisse zumKZ ihrem veröffentlichtIn Jahrbuch neueste Mauthausen Forschungser dieKZ-Gedenkstätte agieren undreagieren? in rechtsextremen Ideologien undPraktiken? Wie schließlich könnenKZ-Gedenkstätten Welche undGedenkstätten (undinsbesondere KZ-Gedenkstätten) spielenDenkmäler Rolle einander. Welche neuenFacetten ausmachen? lassensichamBeginn des21.Jahrhunderts ausverschiedenentorInnen Bereichen mitdem Themenkomplex „Rechtsextremismus“ aus- Im „Forschungsteil“ 2014setzen Mauthausen sichAu derKZ-Gedenkstätte desJahrbuchs - wurden, einanti-muslimischer Rassismus. sen beschmiert kommtRevisionismen indenParolen,- Mauthau derKZ-Gedenkstätte mitdenendieMauern Formen Zuhalte der Rechtenkruden zuerweitern. desAntisemitismus undaltbekannten einer neonazistischenParole Gleichzeitig- scheinensichdieideologischen In beschmiert. sen nicht Haltgemacht hat. Siewurde 2014bereits imMai großflächig zumdritten Mal mit reren österreichischen Städten zubeobachten, derauchvor- Mauthau derKZ-Gedenkstätte denvergangenenIn Jahren war einallgemeinerAnstieg rechtsextremer Straftaten inmeh- Erscheinungsdatum: 04.05.2015 ISBN 978-3-7003-1923-8 Forschung –Dokumentation –Information Memorial. |Mauthausen Mauthausen Jahrbuch 2014derKZ-Gedenkstätte unddieneuenGesichter desRechtsextremismusKZ-Gedenkstätten Bundesministerium fürInneres, Andreas Kranebitter (Hrsg): REPUBLIK ÖSTERREICH BUNDESMINISTERIUM FÜRINNERES

€ 5.00 - -

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2014 2014 KZ-GEDENKSTÄTTE MAUTHAUSEN MAUTHAUSEN MEMORIAL 2014 KZ-Gedenkstätten und die neuen Gesichter des Rechtsextremismus. KZ-Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial 2014

Impressum

HERAUSGEBER: Bundesministerium für Inneres

MITHERAUSGEBER, REDAKTION: Andreas Kranebitter

GESAMTLEITUNG: Barbara Glück

WISSENSCHAFTLICHE BETREUUNG: Bertrand Perz

AUTORiNNEN: Nina Aichberger, Christian Angerer, Christa Bauer, Ute Bauer-Wassermann, Ines Brachmann, Julian Bruns, Katharina Czachor, Christian Dürr, Robert Eiter, Friedrich Forsthuber, Kathrin Glösel, Gerhard Hörmann, Gregor Holzinger, Matthias Kaltenbrunner, Ralf Lechner, Willi Mernyi, Bernhard Mühleder, Andreas Peham, Florian Penzendorfer, Christine Schindler, Natascha Strobl

Namentlich gekennzeichnete Texte geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Herausgebers wieder. Für den Inhalt der Texte sind die jeweiligen AutorInnen verantwortlich.

www.mauthausen-memorial.at

LEKTORAT: Martin Wedl

LAYOUT/GRAFIK: Grafik-Design Eva Schwingenschlögl

DRUCK: Druckerei Jentzsch & Co GmbH

ISBN: 978-3-7003-1923-8

VERLAG: Im Vertrieb von new academic press 2015, Wien – www.newacademicpress.at

2 Jahrbuch 2014 Inhalt

Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG

Geleitwort Seite 7

Vorwort Seite 9

Editorial Seite 10

KAPITEL 01 | FORSCHUNG

Christa Bauer/Robert Eiter/Willi Mernyi Gesichter des Rechtsextremismus Seite 17

Andreas Peham Alte Rechte im neuen Kleid Seite 29

Nina Aichberger BesucherInnen-Graffiti und Gedenkorte Seite 41

Julian Bruns/Kathrin Glösel/Natascha Strobl Die Identitären Seite 57

KAPITEL 02 | DOKUMENTATION

Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Wien Das Landesgericht für Strafsachen Wien. NS-Zeit – Gedenkstätte – Volksgerichte Seite 71

Gregor Holzinger Das letzte Urteil Seite 73

KAPITEL 03

Seite 3 KZ-Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial 2014

4 Jahrbuch 2014 Inhalt

KAPITEL 03 | INFORMATION

Katharina Czachor Jahresrückblick 2014 Seite 109

Gerhard Hörmann/Florian Penzendorfer BesucherInnenstatistiken 2014 Seite 115

Christa Bauer/Willi Mernyi Wert des Lebens. Gedenk- und Befreiungsfeiern 2014 Seite 118

Ralf Lechner Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Rückblick 2014 Seite 127

Christian Angerer Opfer, Täter, Umfeld. Das pädagogische Konzept und seine Umsetzung Seite 131

Christine Schindler Das Internationale Forum Mauthausen zur Beratung der Bundesministerin für Inneres 2014 Seite 139

Katharina Czachor 6. Dialogforum Mauthausen Seite 141

Ines Brachmann/Bernhard Mühleder Bereichernder Austausch: Das 10. Seminar für freie MitarbeiterInnen an Gedenkstätten Seite 145

Zur Diskussion um die Stollenanlage „Bergkristall“ in St. Georgen an der Gusen. Positionspapier des Bundesministeriums für Inneres Seite 148

Nachruf auf Roman Mytrofanovycˇ Bul'kacˇ Seite 157

Nachruf auf Mario Limentani Seite 158

Nachruf auf Ennio Odino Seite 158

Nachruf auf Othmar Wundsam Seite 159

Kontakt Seite 160

Seite 5 KZ-Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial 2014

6 Jahrbuch 2014 Einleitung

Geleitwort

n Geleitwörtern wie diesem wird oft von der wichtigen Bedeutung des „Niemals wieder!“ geschrieben. Die Republik I Österreich trägt in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen Verantwortung dafür, mit Aufklärung über historische Ereignisse Wissen um die Hintergründe des Nationalsozialismus zu vermitteln. Es geht an Orten wie diesen also vorrangig darum, die Vergangenheit zu thematisieren.

In der Gegenwart tauchen Relikte dieser Vergangenheit nicht selten unvermittelt auf – und unfreiwillig wird auch die Ge­ denkstätte mit ihr konfrontiert. Die rechtsextremen Schmierereien der letzten Jahre sind Beispiele dafür: Die Gedenkstät­ te hat sich nicht „ausgesucht“, den Rechtsextremismus zu thematisieren – sie muss dies angesichts der zunehmenden rechtsextrem motivierten Straftaten tun.

Das vorliegende Jahrbuch der KZ-Gedenkstätte Mauthausen sucht mit dem Schwerpunkt KZ-Gedenkstätten und die neuen Gesichter des Rechtsextremismus die Debatte. Zahlreiche AutorInnen diskutieren hier darüber, was das „Neue“ an diesem Rechtsextremismus ist und wie eine Institution wie unsere damit umgehen kann. Die Debatte ist mit diesem Jahrbuch mit Sicherheit nicht abgeschlossen – das Heft ist aber zweifellos ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Besonders hervorheben möchte ich an diesem Jahrbuch auch die gelungene Kooperation mit dem Landesgericht für Strafsachen Wien, dessen Präsident den diesjährigen Dokumentationsteil einleitet. Diese Kooperation zeigt, dass Institu­ tionen wie das Landesgericht und das Bundesministerium für Inneres an der kritischen Aufarbeitung eines schrecklichen Kapitels der österreichischen Geschichte nicht nur beteiligt sind, sondern diese Aufarbeitung maßgeblich vorantreiben.

Es freut mich, dass das Jahrbuch der KZ-Gedenkstätte Mauthausen verstärkt aktuelle Themen aufgreift, die durchaus kontrovers diskutiert werden und kontrovers diskutiert werden müssen – also mit Sicherheit keine „einfachen“ Themen sind. Ich wünsche der Publikation eine große Leserschaft!

Johanna Mikl-Leitner Bundesministerin für Inneres

Seite 7 KZ-Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial 2014

8 Jahrbuch 2014 Einleitung

Vorwort Heute ist Gestern und Gestern ist Heute

uch im Jahr 2014 waren wir bei unserer Arbeit an der Gedenkstätte nicht nur mit der Vergangenheit konfrontiert, A sondern auch mit der Gegenwart samt ihren komplexen sozio-politischen Zusammenhängen und den damit in Verbindung stehenden gesellschaftlichen Konflikten.

Lassen Sie mich Ihnen an dieser Stelle nur eine Besonderheit dieses Orts schildern: Durch jede/n einzelne/n BesucherIn dringt unweigerlich die Realität – das „Hier und Jetzt“ – in die Gedenkstätte ein, und sie alle hinterlassen Spuren, genau­ so wie die Gedenkstätte Spuren bei ihnen hinterlässt. Das deute ich als positives Signal dafür, dass dieser Ort, der sich gleichermaßen als Lernort, Museum und Friedhof versteht, Resonanzen in den Menschen erzeugt.

Leider muss ich in diesem Zusammenhang auch an die rechtsextremen Beschmierungen denken, welche zwei Tage vor den 69. Befreiungsfeiern an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen angebracht wurden. Sie verdeutlichen, dass Gedenkstät­ ten wiederholt von neonazistischen Gruppierungen als Projektions- und „Werbefläche“ missbraucht werden. Verhindern lässt sich derartiges nicht – es macht aber auch unseren Stellenwert in der Gesellschaft deutlich, und gerade im pädago­ gischen Bereich der Geschichtsvermittlung sind wir mit diesen komplexen Herausforderungen konfrontiert.

Geschichtsvermittlung kann auch über Bewusstseinsbildung geschehen. Die BesucherInnen sollen sich durchaus die Frage stellen: „Was hat das Ganze mit mir und meiner Lebensrealität zu tun?“. Über die Konfrontation mit der eigenen Identität eine differenzierte Reflexion des Gesehenen zu fördern, ist uns ein Anliegen, und wir wollen die BesucherInnen bei diesem Prozess begleiten. Um solch eigenständige Überlegungen noch mehr zu verstärken, entwarf das pädago­ gische Team dieses Jahr neue Materialien für den Rundgang mit Vor- und Nachgespräch.

Mit dem diesjährigen Themenschwerpunkt KZ-Gedenkstätten und die neuen Gesichter des Rechtsextremismus un­ seres Jahresbuchs möchten wir auch einen Beitrag zum besseren Verständnis aktueller rechtsextremer, nicht nur an­ tisemitischer Tendenzen in der heutigen Gesellschaft leisten und unseren Bezug zur Gegenwart betonen. Neben der pädagogischen Arbeit stellten wir uns in den letzten Jahren auch bei der Neugestaltung der Gedenkstätte der kritischen Auseinandersetzung mit dem Spannungsverhältnis von Vergangenheit und Gegenwart. Auf dieser „Reise“ wurden wir über vier Jahre hinweg filmisch begleitet, und ich freue mich über die doppelte Auszeichnung des Dokumentarfilms Neugestaltung Mauthausen – Eine KZ-Gedenkstätte stellt sich der Zeit bei den Cannes Corporate Media & TV Awards im Oktober 2014.

Ich bedanke mich ganz herzlich bei meinem Team für die hervorragende Arbeit!

Barbara Glück KZ-Gedenkstätte Mauthausen

Seite 9 KZ-Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial 2014

Editorial KZ-Gedenkstätten und die neuen Gesichter des Rechtsextremismus.

n der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 2014 wurde die finden, während der Rechtsextremismus im Unter­ I KZ-Gedenkstätte Mauthausen bereits zum wieder­ grund verharmlost wird. holten Mal großflächig mit einer neonazistischen Pa­ Genau dieses Spannungsfeld zwischen unbewuss­ role beschmiert. Rechtsextreme Aktionen wie diese ter Unter- und vorschneller Überreaktion bildete den häufen sich nicht nur in Mauthausen, sondern in vielen Ausgangspunkt der Überlegungen zum Schwerpunkt­ österreichischen Städten. Ob in Form von Schmieratta­ thema dieses Jahrbuchs: Macht es in Zeiten wie diesen cken gegen Stolpersteine und Denkmäler in Salzburg, tatsächlich Sinn, den Blick auf den rechten Rand zu rich­ Aufmärschen sogenannter Identitärer in Wien, Drohge­ ten und damit selbsternannten Bewegungen eine Platt­ bärden gegen TeilnehmerInnen von KZ-Befreiungsfei­ form zu bieten, die sie nicht verdienen? Oder verstellt erlichkeiten in Ebensee oder eben Schändungen der die Sorge um andere Phänomene umgekehrt den Blick KZ-Gedenkstätte Mauthausen: Eine Steigerung dieser auf Veränderungen in der rechtsextremen Szene und Aktionen in den letzten Jahren ist in Österreich nicht läuft damit Gefahr, eine neue Bedrohung zu übersehen nur wahrnehmbar, sondern in den jährlichen Verfas­ oder zu spät zu erkennen? Erhöht man im ersten Fall so sungsschutzberichten auch offiziell dokumentiert. manche Gruppierung nicht vorschnell zur Massenbe­ Ein Interview in der österreichischen Tageszeitung wegung? Tauchen im zweiten Fall nicht umgekehrt ter­ Der Standard, das sich der Faszination von Jugend­ roristische Vereinigungen wie der Nationalsozialistische lichen für den Islamismus widmete, begann kürzlich Untergrund unterhalb des gesellschaftlichen Radars? mit der Feststellung: „Die Zeichen für Radikalisierung Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen hat sich diese bei rechtsextremen Jugendlichen sind weitgehend be­ Fragen nicht zuletzt in Zusammenhang mit den er­ kannt. Jeder weiß, wie etwa ein Skinhead aussieht.“1 Die wähnten Beschmierungen gestellt. Unmittelbar vor sogenannten Identitären ähneln allerdings kaum den den Befreiungsfeierlichkeiten im Mai 2014 angebracht, rechtsextremen Skinhead-Schlägertrupps der 1980er­ bestand ihr Zweck offensichtlich genau darin, diese Jahre. Die Zunahme rechtsextremer Straftaten geht Feierlichkeiten zu stören. Kurzfristig wurde damals die vielmehr mit einem veränderten Erscheinungsbild der Entscheidung getroffen, auf diese Provokation nicht sogenannten Neuen Rechten einher, das nur bedingt zu reagieren und die Beschmierung mit Plastikpla­ altbekannten Mustern zu entsprechen scheint. Das nen zu verhängen – um den Preis medialer Kritik, in wird nicht selten übersehen. Gleichzeitig stellt sich die der dieses Verhängen als Vertuschung missverstanden berechtigte Frage, ob dieses Übersehen – aus einer wurde. Letztlich stellen allerdings beide Varianten – anderen Perspektive betrachtet – angesichts anderer Verhängung wie Veröffentlichung – offensichtlich kei­ besorgniserregender Entwicklungen, etwa der massiv ne optimalen Lösungen dar. Reaktionsmöglichkeiten zunehmenden Gewalt im Rahmen kriegerischer Ausei­ zwischen den beiden Extremen des Alarmismus auf nandersetzungen oder den Auswüchsen humanitärer der einen, der Ignoranz auf der anderen Seite, liegen Krisen in zahlreichen Ländern Europas, nicht vielleicht ganz einfach nicht auf der Hand. Von Schändungen be­ sogar gerechtfertigt ist. Es hat jedenfalls den Anschein, troffene Institutionen wie die KZ-Gedenkstätte Maut­ als würde der aus der Mitte der Gesellschaft kommen­ hausen können und dürfen diese gegen sie selbst, die de Rechtsextremismus ausufernde mediale Beachtung Ermordeten und die Überlebenden der Konzentrati­

10 Jahrbuch 2014 Einleitung

onslager sowie die breite Öffentlichkeit gerichteten Öffentlichkeit präsentiert wurde, diesen klassischen Taten nicht ignorieren. Sie können und dürfen gleich­ Revisionismus in Bezug auf das KZ Mauthausen.4 zeitig allerdings nicht in einen Alarmismus verfallen, Im Falle der „neuen Gesichter“ des Rechtsextre­ der rechtsextremen Provokationen die von ihnen ge­ mismus stellt sich allerdings die Frage, ob man es wünschte Öffentlichkeit bietet. neben neuen Erscheinungsformen auch mit neuen Bevor allerdings an der richtigen „Therapie“ gear­ Inhalten der selbsternannten Neuen Rechten zu tun beitet werden kann, ist eine nüchterne Diagnose des hat, die aus Sicht einer KZ-Gedenkstätte zu anderen Problems notwendig. Mit dem Themenschwerpunkt Reaktionen oder eben auch Aktionen zwingen. Die KZ-Gedenkstätten und die neuen Gesichter des Rechts­ ideologischen Inhalte der Rechten scheinen sich re­ extremismus hat die KZ-Gedenkstätte Mauthausen die lativ offensichtlich zu erweitern – zu kruden Formen breite Debatte gesucht und will gemeinsame Diskus­ des Antisemitismus und altbekannten Revisionismen sionen darüber lancieren, mit welchen Formen des kommt ein anti-muslimischer Rassismus, wie er sich Rechtsextremismus man es im 21. Jahrhundert eigent­ nicht zuletzt in den Formeln „Türk und Jud, giftig’s lich zu tun hat. Der moralische und politische Auftrag Blut“, „Türken-Rass ab ins Gas“ und „Was unseren Vä­ zur Diskussion ist ein gesellschaftlicher und liegt nicht tern der Jud, ist uns die Moslembrut“ ausdrückt, mit nur im Verantwortungsbereich der KZ-Gedenkstätte denen die Mauern der KZ-Gedenkstätte Mauthausen oder des Verfassungsschutzes. Die Öffnung der Debat­ beschmiert wurden. Doch wie verhalten sich jene te ist angesichts der Tatsache, dass das Auftreten der neuen Inhalte zu alten, wie gut „vertragen“ sich An­ Rechtsextremen im öffentlichen Raum, sei es an Uni­ tisemitismus und antimuslimischer Rassismus? Wie versitäten, auf Internetseiten oder öffentlichen Plätzen, homogen oder widersprüchlich sind die Inhalte der immer aggressiver, offener und selbstbewusster wird, Neuen Rechten – „homogenisieren“ wir erst in der während breite Teile der Gesellschaft indifferent blei­ Betrachtung das Schreckensgespenst einer nicht- ben, auch eine Aufforderung zur Diskussion. Nichts existierenden Neuen Rechten oder unterschätzen wir ist schlimmer, so der Mauthausen- und Gunskirchen- die Integrationskraft neuer rechter Milieus? Überlebende Yitzhak Livnat im letztjährigen Jahrbuch, In unserem Call for Papers haben wir daher fol­ als Indifferenz.2 gende Fragen gestellt: Wie können KZ-Gedenkstätten Mit dem Fokus auf die „neuen“ Gesichter des in Bezug auf die oben beschriebenen Ereignisse agie­ Rechtsextremismus soll keineswegs behauptet wer­ ren bzw. auf sie reagieren? Wie können sie als Institu­ den, dass „klassische“ Varianten der Holocaust-Leug­ tionen, die im 20. Jahrhundert im Gedenken an die nung und des Revisionismus keine aktuelle Brisanz Opfer des Nationalsozialismus errichtet wurden, auf hätten. Im Gegenteil – doch werden hier in der For­ angemessene Weise mit dem sich wandelnden Rechts­ schung3, in pädagogischen Angeboten und nicht zu­ extremismus des 21. Jahrhunderts umgehen? Welche letzt in Ausstellungen seit mittlerweile Jahrzehnten neuen Facetten des Rechtsextremismus lassen sich am Antworten formuliert. Nicht zuletzt thematisiert die im Beginn dieses 21. Jahrhunderts ausmachen? Welche Mai 2013 eröffnete Ausstellung Der Tatort Mauthausen Rolle spielt der historische Nationalsozialismus, welche – Eine Spurensuche, deren Katalog im Herbst 2014 der Rolle spielt die Leugnung des Holocaust heute? Wel­

Seite 11 KZ-Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial 2014

che Bedeutung haben Denkmäler und Gedenkstätten und Hetz-Visionen geprägt ist. Das Neue an der Neuen (und insbesondere KZ-Gedenkstätten wie die Gedenk­ Rechten wären insofern vor allem ihre grafischen und stätte Mauthausen) in rechtsextremen Ideologien und medialen Modernisierungsversuche, während sich auf Praktiken? ideologischer Ebene starke Kontinuitäten in Bezug auf Aus einer Vielzahl an eingereichten Artikelvorschlä­ die Muster verschwörungstheoretischer Argumentati­ gen haben Brigitte Bailer (Dokumentationsarchiv des onen und dichotomisierenden Wir-Ihr-Denkens fest­ österreichischen Widerstandes), Bertrand Perz (Univer­ stellen lassen. sität Wien), Barbara Glück (KZ-Gedenkstätte Mauthau­ Nina Aichberger, Vermittlerin an der KZ-Gedenk­ sen) und Andreas Kranebitter (KZ-Gedenkstätte Maut­ stätte Mauthausen, stellt die erwähnten Schmierereien hausen) die hier im FORSCHUNGS-Teil des diesjährigen an der Mauer der Gedenkstätte in den Kontext einer Jahrbuchs versammelten Beiträge ausgewählt. Die kulturwissenschaftlichen Betrachtung des Phänomens erfreulich große Zahl an Vorschlägen – für die wir uns Graffiti an emotional aufgeladenen Orten. Sie stellt fest, hiermit bei allen Einreichenden bedanken dürfen! – in­ dass sich die Verschiebung der BesucherInnenstruktur terpretieren wir als Zeichen für ein großes Interesse an auch auf den Wänden der Gebäude der Gedenkstät­ der Thematik und als Auftrag, diese Debatte auch in te abbildet. Aichberger plädiert abschließend dafür, anderen Formen weiterzuführen. einem allgemeinen Bedürfnis danach, Botschaften zu Christa Bauer, Robert Eiter und Willi Mernyi (Maut­ hinterlassen, an der Gedenkstätte analog zu internatio­ hausen Komitee Österreich) dokumentieren in ihrem nalen Beispielen anderer Institutionen Raum zu geben. Beitrag die Vielzahl an rechtsextremen Straftaten in Ös­ Julian Bruns, Kathrin Glösel und Natascha Strobl terreich in den letzten Jahren und die verschiedenen gehen in ihrem Beitrag schließlich auf die sogenannte Facetten rechtsextremer Milieus – von der NS-Wieder­ Identitäre Bewegung Österreich ein. Aus ihrer Analyse betätigung auf einschlägigen neonazistischen Web­ der Selbstpräsentation der Identitären schließen sie, sites bis zu Delikten wie Waffenhandel oder Körper­ dass deren selbstgewählter Slogan „100% identitär, 0% verletzung des vermeintlichen Jugendclubs Objekt 21 Rassismus“ wenig glaubhaft ist – die AutorInnen ma­ in Desselbrunn bei Schwanenstadt. Ihr Beitrag macht chen deutlich, dass die Kategorie „rechtsextrem“ keine nicht zuletzt deutlich, dass die Beschmierungen der der subjektiven (Selbst-)Wahrnehmung ist, sondern eine Gedenkstätte nicht als isolierte Akte des Vandalismus der politikwissenschaftlichen Analyse. Kern der Ideolo­ betrachtet werden können, sondern in einen breiteren gie dieser Neuen Rechten sei schließlich ein substanziel­ Kontext einzuordnen sind. les Verständnis von einem kulturell oder biologistisch Andreas Peham (Dokumentationsarchiv des öster­ definierten Wir, das den Aufruf zum aktiven Ausschluss reichischen Widerstandes) formuliert in „Alte Rechte alles „Fremden“ einbezieht und somit nicht anders denn in neuem Kleid“ die These, dass es sich bei den Neu­ als rassistisch und rechtsextrem einzustufen sei.5 en Rechten tendenziell um altbekannte Phänomene Der diesjährige DOKUMENTATIONS-Teil widmet in neuem Gewand handelt, deren Inhalte – wie ihr sich – nicht allzu weit von einer spezifischen Seite antimuslimischer Rassismus – von einem taktischen des Schwerpunktthemas entfernt – den Strafverfah­ Verhältnis zu mehr oder weniger austauschbaren Hass- ren gegen Johann Vinzenz Gogl, die für lange Zeit die

12 Jahrbuch 2014 Einleitung

letzten Prozesse im Kontext der Verfolgung von NS- des österreichischen Widerstandes und dem Mauthau­ Verbrechen bleiben sollten. Gogl, über Jahre hinweg sen Komitee Österreich. Martin Wedl danken wir für Kommando- und Blockführer in den Lagern Mauthau­ das verlässliche Lektorat, Eva Schwingenschlögl für das sen, Loibl-Pass und Ebensee, wurde in zwei Verfahren ansprechende Layout, und schließlich new academic in Linz – zur lautstarken Freude der im Gerichtssaal press für die gute Zusammenarbeit. anwesenden ehemaligen SS-Angehörigen – und Wien in allen Anklagepunkten freigesprochen. Eingeleitet Andreas Kranebitter wird der DOKUMENTATIONS-Teil durch ein Geleitwort Mitherausgeber/Redaktion von Friedrich Forsthuber, den Präsidenten des Lan­ desgerichts für Strafsachen Wien; Gregor Holzinger rekonstruiert anschließend die Hintergründe der Pro­ zesse und präsentiert eine Auswahl von Schlüsseldo­ kumenten aus dem Verfahren. 1 „Sie werden zu heroischen Kriegern hochstilisiert“. Der Kampf von Gut Der INFORMATIONS-Teil enthält wie gewohnt Rück­ gegen Böse und das Versprechen von Abenteuer: Die SoziologInnen blicke auf die Aktivitäten und Veranstaltungen in der Michaela Glaser und Maruta Herding über die jugendliche Faszina­ KZ-Gedenkstätte Mauthausen im vergangenen Jahr. tion für den radikalen Islamismus. In: Der Standard vom 28. Jänner 2015, S. 3. Es soll hier nicht darum gehen, die Formulierung der Frage Neben einem Jahresrückblick (Katharina Czachor) in diesem willkürlich gewählten Interview zu kritisieren; es dient hier und den BesucherInnenstatistiken für 2014 (Gerhard lediglich der Verdeutlichung der These des Spannungsfelds zwischen Hörmann/Florian Penzendorfer), dem Rückblick des Über- und Unterreaktion. Mauthausen Komitees Österreich auf die Befreiungs­ 2 Yitzhak Livnat: Keine Meinung zu haben, ist die falsche Meinung. In: feierlichkeiten, Texten zu Archiv (Ralf Lechner), Päda­ Bundesministerium für Inneres (Hg.): KZ-Gedenkstätte Mauthausen | gogik (Christian Angerer), Dialogforum (Czachor) und Mauthausen Memorial 2013. Forschung, Dokumentation, Informati­ on (Wien 2014), S. 85-90. Einer der bekanntesten Aufrufe zum Kampf Internationalem Forum Mauthausen (Christine Schind­ gegen die Indifferenz stammt von dem 2013 verstorbenen Buchen­ ler) finden sich hier ein Rückblick auf das 10. Semi­ wald-Überlebenden Stéphane Hessel: Empört Euch! (Berlin 2010). nar für freie MitarbeiterInnen an Gedenkstätten (Ines 3 Vgl. zur Forschung zu Revisionismus im Zusammenhang mit der Brachmann und Bernhard Mühleder) und die offizielle Geschichte der Konzentrationslager und zu KZ-Gedenkstätten im All­ Stellungnahme des Bundesministeriums für Inneres zu gemeinen Brigitte Bailer-Galanda/Wolfgang Benz/Wolfgang Neuge­ bauer (Hg.): Wahrheit und „‚Auschwitzlüge“. Zur Bekämpfung „revisi­ den medialen Aufregungen um die NS-Stollenanlage onistischer“ Propaganda (Wien 1995) sowie Günter Morsch/Bertrand „Bergkristall“ in Gusen. Perz (Hg.): Neue Studien zu nationalsozialistischen Massentötungen Unser Dank gilt abschließend allen am Zustande­ durch Giftgas. Historische Bedeutung, technische Entwicklung, revisi­ kommen des Jahrbuchs beteiligten Personen – in er­ onistische Leugnung. Unter Mitarbeit von Astrid Ley (Berlin 2011). ster Linie den AutorInnen der Texte und den Fotogra­ 4 Verein für Gedenken und Geschichtsforschung in österreichischen KZ- fInnen der Abbildungen, ebenso allen Institutionen, Gedenkstätten (Hg.): Der Tatort Mauthausen – Eine Spurensuche. Kata­ log zur Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen (Wien 2014). die uns die Abdruckgenehmigung für einzelne Abbil­ 5 Vgl. weiterführend auch Julian Bruns/Kathrin Glösel/Natascha Stro­ dungen erteilt haben, hier vor allem dem Landesge­ bl: Die Identitären: Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rech­ richt für Strafsachen Wien, dem Dokumentationsarchiv ten in Europa (Münster 2014).

Seite 13 01

KAPITEL 01 FORSCHUNG KZ-Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial 2014 01

KAPITEL 01 FORSCHUNG

Christa Bauer/Robert Eiter/Willi Mernyi Gesichter des Rechtsextremismus

Andreas Peham Alte Rechte im neuen Kleid

Nina Aichberger BesucherInnen-Graffiti und Gedenkorte

Julian Bruns/Kathrin Glösel/Natascha Strobl Die Identitären KAPITEL 01 | FORSCHUNG FORSCHUNG 01

Christa Bauer/Robert Eiter/Willi Mernyi

Gesichter des Rechtsextremismus

undesweit stiegen rechtsextreme und rassistische breitenwirksam gegen Rechtsextremismus. In der Re­ B Straftaten in den acht Jahren von 2005 bis 2013 gel handeln rechtsextreme Gruppen und Organisati­ um 175 Prozent, haben sich also fast verdreifacht. Von onen gegen Menschen, die sie aufgrund verschiedener 2012 auf 2013 nahmen diese Delikte beispielsweise Merkmale wie der Hautfarbe, des Körperbaus, der eth­ um rund zehn Prozent zu: 2012 wurden 519 Delikte nischen Herkunft oder der weltanschaulichen, religi­ begangen, 2013 waren es 574. Immer öfter wird in Ös­ ösen oder sexuellen Orientierung definieren – gegen terreich wegen Verhetzung angezeigt, doch klagen die Menschen, die von einer behaupteten „Standardnorm“ Staatsanwaltschaften nur selten an. Verurteilt wurde abweichen und die von Rechtsextremisten als Minder­ 2013 in elf Fällen, was 3,2 Prozent der erledigten Ver­ heit ausgegrenzt werden, um sie zu verfolgen. Gleich­ fahren entspricht. Bei der Internet-Meldestelle für NS- zeitig versuchen Rechtsextremisten jene Organisati­ Wiederbetätigung gingen 2013 rund 1 900 Hinweise onen, Institutionen und AktivistInnen zu schwächen ein – gegenüber 2012 mehr als doppelt so viele.1 oder auszuschalten, die für umfassende Integration, Rechtsextreme und rassistische Straftaten nehmen für die Schaffung von mehr Möglichkeiten demokra­ aber nicht nur immer stärker zu, sie werden auch im­ tischer Partizipation und für gesellschaftspolitische mer gewalttätiger: Zu den begangenen Delikten ge­ Emanzipation aller Menschen eintreten. Im Folgenden hören unter anderem Brandstiftung, Körperverletzung wird ein Überblick über rechtsextreme, rassistische und Gedenkstättenschändung. Das Mauthausen Komi­ und neonazistische Umtriebe mit Schwerpunkt auf Ös­ tee Österreich (MKÖ) engagiert sich seit vielen Jahren terreich gegeben.

Rechtsextreme Organisationen

NVP und Die Bunten Bild links: Schändung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen im Jahr 2009 (sämtliche Abbildungen dieses Beitrags Mauthausen Komitee Österreich). Im April und Mai 2009 will die Nationale Volkspar­ tei (NVP), deren Parteiprogramm zum Teil wortwörtlich Bild unten: Schändung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen im Jahr 2010. aus einem Schulungstext der SS stammt, zwei Auf­ märsche in Braunau und Linz durchführen, die nach breiten Protesten verboten werden. Die NVP sowie die Welser Bürgerliste Die Bunten wollen im selben Jahr auch zu Wahlen antreten. Beide Parteien werden – ebenfalls nach breiten Protesten – von den zuständi­ gen Wahlbehörden nicht zugelassen und wegen NS- Wiederbetätigung angezeigt. Im Dezember 2009 wird die Wahlanfechtung der NVP vom Verfassungsgerichts­ hof abgewiesen.

Seite 17 01 KZ-Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial 2014

Im Februar 2010 wird bekannt, dass die NVP für den weil der Gutachter Eckhard Jesse im Programm keine 8. Mai – den Jahrestag der bedingungslosen Kapitula­ nationalsozialistischen Inhalte erkennen konnte. Aller­ tion Hitler-Deutschlands – einen „Trauermarsch“ durch dings ist dieser Gutachter, wie verschiedene Medien die Linzer Innenstadt plant. Dieser „Trauermarsch“ wird berichtet haben, schon mehrfach durch die „Verharm­ nach breitem Widerstand abgesagt, stattdessen nimmt losung rechtsextremer Umtriebe“ aufgefallen.2 Der Ge­ die Partei an einer rechtsextremen Kundgebung in richtssprecher beteuert, die Justiz habe von den Vor­ München teil. Ebenfalls im Februar 2010 werden Fotos würfen gegen Jesse „nichts gewusst“. von Kandidaten der Bunten mit neonazistischen T- Shirts und Hitlergruß veröffentlicht. Ein Teil dieser Fotos Verein Witikobund wurde in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen aufgenom­ Der Verein Witikobund wird 1950 in Stuttgart ge­ men. Einen Monat später wird die Wahlanfechtung der gründet und hat seinen Sitz in München. Er stellt Bunten vom Verfassungsgerichtshof abgewiesen. Im sich als „nationale Gesinnungsgemeinschaft der Su­ April des Jahres zeigt die SPÖ Oberösterreich die NVP detendeutschen“ dar. Der Witikobund strebt ein Groß­ und die Bunten wegen NS-Wiederbetätigung an und deutschland unter Einschluss Österreichs an, will also übermittelt die Anzeigen auch an die damalige Justiz­ Österreich als selbständigen Staat beseitigen. In den ministerin Claudia Bandion-Ortner. Im Juni führt der Jahrzehnten nach der Gründung befinden sich un­ Verfassungsschutz bei zwei führenden Funktionären ter den Funktionären viele ehemalige Mitglieder der der NVP Hausdurchsuchungen durch und beschlag­ NSDAP. nahmt einschlägige Materialien. Bis Jänner 2013 wirkt der frühere Linzer FPÖ-Ge­ Im Februar 2011 wird Kritik von Parteien und Insti­ meinderat Robert Hauer als Obmann des österreichi­ tutionen laut, da die Anzeigen der Wahlbehörden ge­ schen Witikobunds.3 2009 kandidiert Hauer noch bei gen die NVP und Die Bunten bereits eineinhalb Jahre der Gemeinderatswahl. 2013 wird er an der Schweizer zurückliegen, aber die Staatsanwaltschaften Linz und Grenze wegen illegalen Waffenhandels verhaftet. Bei Wels noch immer keine strafrechtlichen Konsequenzen einer Hausdurchsuchung beschlagnahmt die Polizei gezogen haben. Im März 2011 wird bekannt, dass ein zahlreiche Waffen, darunter Maschinenpistolen und führender Funktionär der NVP deutschen Gesinnungs­ Handgranaten. Einige Tage nach seiner Verhaftung tritt genossen empfohlen hat, Grundstücke von Moscheen Hauer als Vereinsobmann des österreichischen Witiko­ durch Schweinekadaver zu schänden. bunds zurück. Er wird vom Landesgericht Linz wegen Ein Jahr später, im März 2012, werden vom Landes­ illegalen Waffenhandels und versuchter Nötigung zu gericht Linz zwei führende Aktivisten der NVP wegen einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten verurteilt, NS-Wiederbetätigung zu bedingten Freiheitsstrafen davon fünf Monate unbedingt. Stellvertretender Ob­ von jeweils 18 Monaten verurteilt. Seit der Anzeige der mann des österreichischen Witikobunds ist der ober­ Wahlbehörde gegen die NVP sind zweieinhalb Jahre österreichische FPÖ-Landesobmann und -Landesrat vergangen. Gegen die Urteile werden Rechtsmittel ein­ Manfred Haimbuchner. gebracht. Das Oberlandesgericht Linz verhängt später bedingte Freiheitsstrafen von jeweils 20 Monaten, die Objekt 21 rechtskräftig werden. In den Monaten Mai und Juni 2010 berichten meh­ Im Frühjahr 2014 sprechen die Geschworenen bei rere Medien über den rechtsextremen Jugendclub Ob­ einem Prozess in Wiener Neustadt den Verfasser des jekt 21 in Desselbrunn bei Schwanenstadt. Im August Programms der NVP vom Vorwurf der NS-Wiederbetä­ 2010 wird erneut berichtet, dass der rechtsextreme Ju­ tigung im Zweifel – mit vier gegen vier Stimmen – frei, gendclub Objekt 21 seine Umtriebe fortsetzt und sogar

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einen Internet-Versand betreibt. Im Jänner 2011 wird Objekt 21 schließlich nach monatelangen Medienbe­ richten und breiten Protesten von der Sicherheitsdi­ rektion Oberösterreich rechtskräftig aufgelöst. Im März des Jahres erstatten die Grünen bei der Staatsanwalt­ schaft Wels Anzeige gegen den rechtsextremen Inter­ net-Versand Nordic Squad (NS), der in Desselbrunn bei Schwanenstadt von Aktivisten des behördlich aufge­ lösten Jugendclubs Objekt 21 betrieben wird. Mehr als ein Jahr später, im August 2012, wird im Landesgericht Gebäude des rechtsextremen Jugendclubs Objekt 21 in Desselbrunn Wels ein Rechtsextremist aus Desselbrunn bei Schwa­ bei Schwanenstadt. nenstadt wegen jahrelangen Handels mit NS-Waren zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Er war Aktivist des behördlich aufgelösten Jugendclubs Objekt 21. Zwei Jahre nach der behördlichen Auflösung von Bernd H. und Alexander M. Im Oktober 2013 findet Objekt 21, im Jänner 2013, nimmt die Polizei 24 Objekt vor dem Landesgericht Wels der Geschworenenpro­ 21-AktivistInnen in Desselbrunn bei Schwanenstadt zess gegen sieben Mitglieder von Objekt 21 statt: Sie fest. Zehn dieser AktivistInnen kommen in Untersu­ müssen sich wegen Wiederbetätigung verantworten. chungshaft.4 Wie bekannt wird, war Objekt 21 ein kri­ Offenbar sollen trotz bis zu 200 Beteiligten am Objekt minelles Neonazi-Netzwerk, dem bis zu 200 Personen 21 nur eine Handvoll Personen die jahrelangen NS- angehörten und das neben NS-Wiederbetätigung Aktivitäten betrieben haben. Einer der Verteidiger, Mit­ auch zahlreiche andere schwere Straftaten verübte, da­ glied der vom DÖW als rechtsextrem eingestuften Bur­ runter illegalen Waffenhandel, Drogenhandel, Zuhälte­ schenschaft Olympia, versucht während des Prozesses rei, Brandanschläge, Körperverletzungen, Einbrüche sämtliche Anklagepunkte zu leugnen, zu verharmlosen und Raubüberfälle. Mehrere Schusswaffen und zehn oder ins Lächerliche zu ziehen. Er bezeichnet in diesem Kilogramm Sprengstoff wurden beschlagnahmt. Der Prozess laut Berichten sogar das Verbotsgesetz als „his­ durch Objekt 21 verursachte Gesamtschaden soll rund torisch begründet und überholt“.7 Anfang November dreieinhalb Millionen Euro betragen. Es folgt Kritik an 2013 werden die Urteile gegen die sieben Angeklag­ den Sicherheitsbehörden, weil diese die rechtsextreme ten verkündet. Die Geschworenen befinden sie alle der Szene verharmlost und Objekt 21 erst nach zweiein­ nationalsozialistischen Wiederbetätigung für schuldig halb Jahre ausgeschaltet haben. Das Medienecho und verhängen Freiheitsstrafen von 18 Monaten be­ ist groß. Berichtet wird auch über Vorwürfe, wonach dingt bis zu sechs Jahren unbedingt. Verfassungsschutzbeamte selbst weit rechts stehen Im März 2014 werden die Strafprozesse gegen Mit­ und Polizisten die Neonazis von Objekt 21 mehrfach glieder von Objekt 21 fortgesetzt. Dabei geht es nicht gewarnt haben sollen. Im September 2013 schreibt mehr um NS-Wiederbetätigung, sondern um Brand­ die Tageszeitung Kurier, dass die FPÖ-Funktionäre stiftung, Einbrüche und andere Delikte. Der Deutsche Stefan H. und Franz S. via Facebook mit führenden Steffen M. wird wegen versuchter Brandstiftung, meh­ Aktivisten von Objekt 21 befreundet waren.5 Konkret reren Einbrüchen und Mitgliedschaft in einer krimi­ handelt es sich bei diesen Neonazis um Manuel S. nellen Vereinigung zu einer unbedingten Haftstrafe (zum Zeitpunkt der Abfassung des Artikels in Haft6), von drei Jahren verurteilt. Im August 2014 verurteilt

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fand im Oktober 2010 im Gasthaus Lauber in Offen- hausen eine „Politische Akademie“ statt, an der rund 70 RechtsextremistInnen aus Österreich und Deutsch­ land teilnahmen – darunter auch Szenegrößen wie Udo Pastörs, Fraktionsvorsitzender der NPD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Im Oktober 2014 fand die „Politische Akademie“ wieder im Gasthaus Lauber in Offenhausen statt. Zu diesem Treffen war ein Referent der griechischen „Goldenen Morgenröte“ angekündigt, einer neona­ Aufkleber der Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik (AFP), deren Schwerpunkt auf der ideologisch-kulturellen Arbeit mit ausge­ zistischen Partei, deren Spitze unter dem Verdacht sprochen rechtsextremen Tendenzen liegt. schwerster Verbrechen in Untersuchungshaft sitzt. Der angesehene österreichische Verfassungsrechtsexperte Heinz Mayer stellt schon 2005 in einem Rechtsgutach­ ten fest, dass die von der AFP zu verantwortenden Pu­ blikationen seit Jahrzehnten massiv gegen die Bestim­ das Landesgericht Wels zwei weitere Rädelsführer von mungen des NS-Verbotsgesetzes verstoßen. In einem Objekt 21 wegen zahlreicher nicht-politischer Verbre­ Rechtsgutachten, das den Behörden vorliegt, heißt es chen. Jürgen W. erhält eine unbedingte Haftstrafe von zur Propaganda der AFP zusammenfassend: „Offen­ sechs Jahren und neun Monaten, Manuel S. eine unbe­ kundige und verbrämte Verherrlichung nationalsozia­ dingte Haftstrafe von vier Jahren und acht Monaten. Da listischer Ideen und Maßnahmen, zynische Leugnung die Strafen für die beiden mehrfach Verurteilten nicht von nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen, eine höher ausfallen als für ErsttäterInnen, sind die Urteile hetzerische Sprache mit deutlich aggressivem Ton durchaus als mild zu bezeichnen. Diese Einschätzung gegen Ausländer, Juden und ‚Volksfremde‘ sowie eine teilt offenbar auch der Verteidiger, der sich lobend äu­ Darstellung ‚des Deutschen‘ als Opfer sind typische ßert und auf Rechtsmittel verzichtet. und stets wiederkehrende Signale.“9 Der mit der AFP eng verbundene Verein Dichterstein Offenhausen wird AFP von den Behörden jahrzehntelang geduldet, bis sie ihn Die Arbeitsgemeinschaft für demokratische Poli­ 1998 nach einem Offenen Brief zahlreicher bekannter tik (AFP) wird im Jahr 1963 gegründet. Sie ist formal Persönlichkeiten und einem Rechtsgutachten von Ma­ gesehen eine politische Partei, deren Schwergewicht yer wegen NS-Wiederbetätigung auflösen. auf ideologisch-kultureller Arbeit mit ausgesprochen rechtsextremer Tendenz liegt. In ihren Zeitschriften Die Identitären finden sich immer wieder Beiträge mit neonazis­ Der Ursprung der Identitären Bewegung liegt in tischen und revisionistischen Inhalten. Unter anderem Frankreich und bezieht sich auf die in den 1960er­ wird auch für Publikationen geworben, in denen die Jahren gegründete französische Neue Rechte. Nach Existenz von Gaskammern zur Ermordung von Men­ dem Verbot der neonazistischen Gruppierung Unité schen in nationalsozialistischen Konzentrations- und radicale im Jahr 2012 gründet sich die Identitäre Be­ Vernichtungslagern geleugnet wird.8 Seit 1966 findet wegung in Frankreich. Mittlerweile existiert und agiert die „Politische Akademie“ der AFP statt, bei der sich sie europaweit. verschiedene deutschnationale, rechtsextreme und 2012 treten Identitäre beim „Tag der Toleranz“ der neonazistische Persönlichkeiten treffen. Beispielweise Caritas erstmals in Österreich auf. Im März 2013 wird

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aus zwei Gruppen der Identitären ein gemeinsamer über einen US-amerikanischen Server betrieben. Die österreichischer Verein gegründet. Die Identitären in­ zeitgeistig gestaltete Seite spiegelt den Generatio­ szenieren sich als neue Jugendbewegung, die nichts nenwechsel wider, der innerhalb der rechtsextremen mit Rechtsextremismus zu tun hat. Sie verstecken ih­ Szene stattgefunden hat. Mittels Aktualitätsanspruch, ren Rassismus hinter Formulierungen wie „kulturelle moderner Ästhetik und einer „rebellischen“ Pose wird Identität“. Dahinter steht die Überordnung des eige­ Neonazismus in Jugendkulturen verankert, zugleich nen „Volks“, die ebenso für den klassischen Rechtsex­ Demokratie als „Ursache des Übels“ dargestellt. Rassis­ tremismus zutrifft. Feindbilder sind unter anderem die mus, Antisemitismus und menschenverachtende Het­ „Islamisierung Europas“ und der „Multikulturalismus“. ze bis hin zu Drohungen gegenüber antifaschistischen Laut Dokumentationsarchiv des österreichischen Wi­ AktivistInnen sind weitere Elemente der Seite. Dane­ derstandes (DÖW) stammen einige Wiener Mitglieder ben bietet sie eine Plattform zum Austausch von Neo­ der Identitären aus dem organisierten Neonazismus. nazis auch über Österreich und Deutschland hinaus. Im Auch mehrere jüngere Burschenschafter sind beteiligt. April 2011 geht alpen-donau.info nach der Verhaftung Ein wichtiges Medium der Identitären wie auch der Neonazis Gottfried Küssel, Felix Budin und Christian vieler anderer rechtsextremer Strömungen ist das In­ Wilhelm Anderle vom Netz. Alle drei sind mittlerweile ternet. Die Facebook-Seite der Identitären ist ein Tum­ rechtskräftig zu mehrjährigen unbedingten Haftstrafen melplatz für Rechtsextreme. verurteilt. Der Auftritt der Identitären ist jugendgerecht und Im September 2011 erscheint die rechtsextreme spricht immer wieder aktuelle Probleme der Jugend­ Website „stolzundfrei.info“ im Internet. Die Seite wird lichen an. Nach Flashmobs und einer Besetzung der von der ostösterreichischen Neonazi-Szene betrieben Votivkirche fand im Mai 2014 in Wien ein Aufmarsch und ist teilweise als Nachfolgemedium für alpen-do­ der Identitären statt. Ziel war der Protest gegen die EU. nau.info zu sehen. Auch Ähnlichkeiten zur Website der Rund 100 Leute nahmen daran teil, darunter auch der AFP sind zu erkennen. Nach den Verhaftungen bei Ob­ bekannte Welser Rechtsextremist Ludwig R. Der Wie­ jekt 21 im Jänner 2013 geht die Seite in Wartung und ner Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) fordert das Ver­ ist mittlerweile nicht mehr abrufbar. bot der Identitären, die er „neofaschistisch“ nennt. Der alpen-donau.info ist dagegen seit 2014 wieder deutsche Verfassungsschutz und das DÖW stufen die online; betrieben wird sie vom Grazer Burschen­ Identitären als rechtsextrem ein. schafter und früheren FPÖ-Jugendfunktionär Richard Pfingstl.10 Er verbreitet nun Texte, die vorsichtiger for­ Rechtsextremismus im Internet muliert sind als die früher anonym geschriebenen. Via alpen-donau.info prangert er das NS-Verbotsgesetz Die rechtsextreme Szene entdeckt das Medium im Allgemeinen sowie das „Schandurteil“ gegen seine Internet schon früh. Seither nutzt sie es intensiv für nun inhaftierten „Kameraden“ an. Die Seite sorgt auch Kommunikation und Propaganda. Das neonazistische für mediales Aufsehen, weil Daten von Menschen, die Thule-Netz entsteht 1992/93. Die besondere Gefahr bei der NS-Wiederbetätigungsstelle Anzeige erstattet der Verbreitung rechtsextremer Ideologie durch das haben, dort veröffentlicht werden. Seit September Internet liegt darin, dass auf diese Weise viele Jugend­ 2014 wird alpen-donau.info nicht mehr aktualisiert. liche erreicht werden. Auch im Bereich der Social Media ist die rechtsex­ Im März 2009 wird in Österreich die neonazistische treme Szene höchst aktiv und erweitert dadurch ihre Website alpen-donau.info gegründet. Die Website „Zielgruppe“ erheblich. Beispielsweise wurde 2011 die geht aus alten Strukturen der Volkstreuen Außerpar­ Facebook-Grupppe Nationaler Widerstand Österreich lamentarischen Opposition (VAPO) hervor und wird eingerichtet, die für „nationale Interessen“ eintritt.

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-betreiberInnen oder -standinhaberInnen, die ange­ zeigt werden, argumentieren damit, dass ihnen die Rechtslage nicht bekannt gewesen sei. Deswegen hat das MKÖ eine Informationsbroschüre herausgebracht, um diese Wissenslücke zu schließen.11 Der Handel mit NS-Devotionalien ist auch im Inter­ net sehr umfangreich, für Original-Devotionalien wer­ den teils hohe Preise geboten. Häufig geschieht dies auf Plattformen, deren Sitz sich in Ländern befindet, die den Verkauf von NS-Devotionalien nicht verbieten – wie beispielsweise die USA. Bei österreichischen oder deutschen Seiten, die an die jeweiligen Gesetze der Länder gebunden sind, ist dies nicht der Fall. Mittlerweile werden via Internet wesentlich mehr NS-Devotionalien verkauft als auf Flohmärkten, kann online das Verbot doch viel leichter umgangen werden.

Auf einem Flohmarkt-Stand angebotene NS-Devotionalien. Burschenschaften und pennale Verbindungen

Burschenschaften sind deutschnationale Studen­ tInnenverbindungen, die auf den Beginn des 19. Jahr­ NS-Devotionalien hunderts zurückgehen.12 Das ursprünglich vorwiegend liberale Gedankengut wurde nach der gescheiterten NS-Devotionalien und NS-Schriften werden auf Revolution von 1848 – besonders in Österreich – im­ heimischen Flohmärkten immer wieder zum Kauf an­ mer mehr durch extremen Deutschnationalismus und geboten – manchmal sogar in großen Mengen. Dieses Antisemitismus ersetzt. Heute sind die Burschenschaf­ Angebot reicht von Hitler-Büsten über SS-Dolche bis ten ein Hort demokratiefeindlichen Gedankenguts. zu hakenkreuzgeschmücktem Essbesteck, von Mein Viele Burschenschaften in Deutschland und die mei­ Kampf über den Völkischen Beobachter bis zur „Ausch- sten in Österreich gehören dem Dachverband Deut­ witz-Lüge“. Dass manche FlohmarktveranstalterInnen, sche Burschenschaft an. Neben den Burschenschaf­ -betreiberInnen oder -standinhaberInnen so handeln, ten gibt es auch sogenannte pennale Verbindungen hat in den meisten Fällen nichts mit politischen Mo­ an Mittelschulen. Nicht verwechselt werden dürfen tiven ihrerseits zu tun. Einerseits hängt dieses Vorge­ die Burschenschaften und pennalen Verbindungen hen oft mit mangelnden Kenntnissen der Rechtslage mit den katholischen StudentInnen- und Mittelschü­ zusammen. Andererseits bringt der Verkauf von NS-De­ lerInnenverbindungen, die ihnen im Erscheinungsbild votionalien und NS-Schriften beachtlichen Profit: Kun­ ähnlich sind. Die katholischen Verbindungen lehnen dInnen, die der rechtsextremen Szene angehören oder Deutschnationalismus und Rechtsextremismus ab. nahestehen, zahlen oft „Liebhaberpreise“. NS-Orden Die Wiener akademische Burschenschaft Olympia werden sogar billig nachproduziert und dann um ein hebt das Bekenntnis zur „deutschen Volks- und Kultur­ Vielfaches verkauft. Viele FlohmarktveranstalterInnen, gemeinschaft“ besonders hervor. Das DÖW stuft die

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Olympia denn auch als rechtsextrem ein. 1961 muss Zusammenschluss von aktuell 21 deutschnationalen sich die Burschenschaft auflösen, da mehrere Mitglie­ Verbindungen bzw. laut Eigendefinition die „Arbeits­ der in Bombenanschläge in Südtirol verwickelt sind gemeinschaft der farbentragenden Wiener Hochschul­ und durch Spenden für ein in Italien verhaftetes Mit­ korporationen“.16 Der WKR ist nicht per se rechtsextrem, glied der „satzungsmäßige Wirkungskreis“ überschrit­ wird aber von als rechtsextrem eingestuften Burschen­ ten wurde. Viele der Mitglieder setzen ihre Tätigkeit schaften dominiert.17 Bekanntes Beispiel: die Olympia. in der Burschenschaft Vandalia fort und kehren 1973 Zu den Gästen des Balls zählten in den vergangenen wieder zur neu konstituierten Olympia zurück. Zu den Jahren immer wieder hohe Funktionäre rechtsextre­ bekanntesten Mitgliedern zählen der ehemalige Drit­ mer Parteien und Organisationen. Der Ball gilt als eines te Nationalratspräsident Martin Graf sowie der bereits der etabliertesten gesellschaftlichen Ereignisse der ex­ verstorbene Gründer der verbotenen Nationaldemo­ tremen Rechten in Europa. Trotz zahlreicher Proteste kratischen Partei (NDP), Norbert Burger. fand auch im Jänner 2014 der Wiener Akademikerball Die oberösterreichische Burschenschaft Arminia wieder in der Wiener Hofburg statt. Czernowitz führt im April 2010 in Linz eine Veranstal­ Im Juni 2014 wird von mehreren rechtsextremen tung mit dem rechtsextremen Publizisten Richard Me­ Burschenschaften das „Fest der Freiheit“ in Wien ver­ lisch13 durch. Beworben wird die Veranstaltung durch anstaltet, als Versuch, die bürgerlich-demokratische ein Plakat mit einem nur geringfügig veränderten Revolution von 1848 zu vereinnahmen. Statt des groß NSDAP-Motiv. Der Linzer FPÖ-Obmann Detlef W. wird angekündigten Marsches in der Wiener Innenstadt von verschiedenen Seiten scharf kritisiert: Er ist Vor­ kommen rund 90 „Schlagende“ in das Palais Palffy, zeigemitglied der Burschenschaft Arminia Czernowitz. um einem einschlägigen Vortrag zu lauschen. Vor den Im Frühjahr 2013 tauchen Fotos von einem Besuch der Toren des Palais protestieren rund 2 000 Antifaschis­ Identitären Bewegung Salzburg bei der Identitären Be­ tInnen gegen die Geschichtsfälschungen der Ewig­ wegung Linz auf, und zwar in den Räumlichkeiten der gestrigen. Parteien, Organisationen, Bündnisse und Burschenschaft Arminia Czernowitz. GeschichtswissenschaftlerInnen verurteilen öffentlich Dem Corps Alemannia Wien zu Linz gehören so­ den Versuch „rechtsradikaler Splittergruppen“, die „ge­ wohl der oberösterreichische FPÖ-Landesobmann und samteuropäische Revolution von 1848“ für ihre Zwecke -Landesrat Manfred Haimbuchner als auch sein Frak­ zu missbrauchen. tionsobmann Günter Steinkellner an.14 Einst war auch NSDAP-Idol Horst Wessel (1907–1930) Mitglied dieser Drohungen und Anschläge gegen Verbindung. antifaschistische Personen und In einer Presseaussendung hat die Betreiberfirma Organisationen des Kongresszentrums in der Wiener Hofburg be­ kanntgegeben, dass ihre Räumlichkeiten „aufgrund Im November 2008 erhalten engagierte Antifa­ der aktuellen politischen und medialen Dimension, schistInnen – darunter der Welser Bürgermeister Peter welche die Abhaltung des WKR-Balles in den letzten Koits und der Landtagsabgeordnete Gunther Trübs­ Jahren angenommen hat, nach der Ballsaison 2012 wasser – Morddrohungen. nicht mehr als Veranstaltungsstätte“15 zur Verfügung Im März 2011 erhält der Linzer Datenforensiker Uwe stünden. Am 1. Februar 2013 fand in der Hofburg dafür Sailer, der in der neonazistischen Szene recherchiert, der 1. Wiener Akademikerball statt. Ein Ball, der diesel­ per Post einen Strick mit Henkersknoten zugeschickt. be Funktion inne hat wie der zuvor veranstaltete WKR- Im Juli 2011 prügeln mehrere Rechtsextremisten Ball. Der Wiener Korporationsring (WKR) selbst ist ein in der Welser Innenstadt auf PassantInnen ein. Drei

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Schwerverletzte müssen ins Krankenhaus gebracht Ebenfalls im Oktober überfallen 30 rechtsextreme werden. Hooligans der Wiener Austria-Fangruppe Unsterblich Im Oktober 2011 werden vom Oberlandesgericht Wien die Räumlichkeiten des MigrantInnenvereins Linz zwei Rechtsextremisten wegen falscher Beweis­ ATIGF im Ernst-Kirchweger-Haus (EKH) in Wien-Favo­ aussage und Verleumdung zu bedingten Freiheitsstra­ riten. Sie prügeln und verletzen ein Vorstandsmitglied fen von zehn Wochen und fünf Monaten verurteilt. Sie der AK-Fraktion Kommunistische Gewerkschaftsini­ haben im Oktober 2010 einen jungen Antifaschisten zu tiative-International (KOMintern). Dann werden sie Unrecht beschuldigt, er habe einen von ihnen im Um­ von ATIGF-Mitgliedern aus dem Haus gedrängt. Die feld eines rechtsextremen Treffens in Offenhausen mit herbeigerufene Polizei nimmt neun Angreifer fest. Ob­ dem Auto angefahren. wohl gegen diese Rechtsextremisten schon Anzeigen Im Februar 2012 werden in Wels Brandanschläge wegen Gewaltdelikten und Wiederbetätigung vorlie­ auf ein Gebäude der Volkshilfe, die ein Integrationsbüro gen, wird keine Untersuchungshaft verhängt. Alle am betreibt, sowie auf ein von türkischen EinwanderInnen Überfall beteiligten Hooligans werden angezeigt. Die bewohntes Haus verübt. Acht Menschen erleiden Wiener Austria hat sich von den braunen Hooligans Rauchgasvergiftungen. Außerdem wird ein Mahnmal, klar und glaubwürdig distanziert: Der Status als of­ das an einen neonazistischen Brandanschlag im Jahr fizieller Fanklub sei Unsterblich Wien im Jänner 2014 1997 erinnert, mit einem „Hitler-Gesicht“ beschmiert. aberkannt worden, es gebe zahlreiche Stadion- und Im Mai 2012 werden vom Landesgericht Linz vier Hausverbote. Jugendliche, die in Freistadt NS-Parolen gerufen und mit einem Gewehr auf ein islamisches Gebetshaus Internationale Vorfälle geschossen haben, zu bedingten Freiheitsstrafen zwi­ schen drei und dreizehn Monaten verurteilt. In Griechenland ersticht ein Aktivist der neonazis­ Im Februar 2013 werden vom Landesgericht Ried tischen Partei Goldene Morgenröte (Chrysi Avgi) im im Innkreis drei junge Rechtsextremisten wegen NS- Herbst 2013 den antifaschistischen Künstler Pavlos Wiederbetätigung zu bedingten Freiheitsstrafen von Fyssas. Bereits in den beiden Jahren davor werden jeweils sechs Monaten verurteilt. Sie haben unter an­ zahlreiche rechtsextreme Überfälle auf Einwanderer derem mit einem Bombenanschlag gedroht und am und Linke verübt. Sie haben vier Tote und rund 400 Ende einer antifaschistischen Demonstration in Brau­ Verletzte zur Folge. Doch erst die Ermordung von Fys­ nau eine Rauchgranate geworfen. Vor Gericht stehen sas führt zu großen Demonstrationen im ganzen Land. sie zu ihrer Gesinnung. Auch international gibt es breite Proteste, was endlich Im Oktober 2013 bedroht die Userin „Irena S“ in der zu einem Durchgreifen des Staats gegen die Goldene rassistischen Facebook-Gruppe „I mog Wels nimma!“, in Morgenröte führt: Der Parteivorsitzende Nikolaos der auch der bekannte Rechtsextremist Ludwig R. als Ad­ Michaloliakos, sein Stellvertreter Christos Pappas, der ministrator aktiv ist, den Welser Bürgermeister Peter Koits Parteisprecher Illias Kasidiaris sowie siebzehn weitere mit einer Bombe. Das Titelbild der Facebook-Seite wird Abgeordnete und Funktionäre werden von einer Anti­ mit den Worten „Linksradikaler Ausländer-Bürgermeister“ terroreinheit verhaftet. Der Vorwurf lautet auf Bildung geziert. „Irena S“ trägt auf Fotos T-Shirts von Neonazi- einer kriminellen Vereinigung. 2014 wird gegen sämt­ Organisationen wie Blood & Honour oder Arische Bru­ liche Abgeordnete der neonazistischen Partei wegen derschaft. Der Linzer Datenforensiker Uwe Sailer erstat­ Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ermit­ tet Anzeige wegen gefährlicher Drohung und schwerer telt. Acht Abgeordnete sitzen in Untersuchungshaft. Nötigung. Die Facebook-Seite ist bis heute aktiv. Die Prozesse dürften 2015 stattfinden. Parteivorsitzen­

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der Nikos Michaloliakos, der die Goldene Morgenröte Dezember 2010 werden drei der Täter zu bedingten in den 1980er-Jahren gegründet hat, macht aus seiner Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten verurteilt. Gegen Bewunderung für Adolf Hitler keinen Hehl. Bei der EU- diese Urteile werden Rechtsmittel eingebracht. Ein Wahl Ende Mai 2014 durften die Neonazis trotzdem vierter Jugendlicher wird im Zweifel freigesprochen. antreten: Sie kamen auf 9,3 Prozent der Stimmen, was Im Juni 2011 werden vom Oberlandesgericht Linz die drei Sitzen im neuen EU-Parlament entspricht. bedingten Freiheitsstrafen für die drei Täter bestätigt. In Deutschland hat die 2011 aufgeflogene Terror­ In Polen wird im Dezember 2009 in der KZ-Gedenk­ zelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) mögli­ stätte Auschwitz-Birkenau der Schriftzug „Arbeit macht cherweise mehr Morde begangen als die zehn bisher frei“ gestohlen. Zwei Jahr später wird der Auftraggeber bekannten. Im Juli 2014 überprüfen die Sicherheits­ des Diebstahls zu zwei Jahren und acht Monaten Haft behörden rund 700 Tötungsdelikte auf rechtsextreme verurteilt. Motive. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berich­ Im Mai 2010 wird in Ansfelden eine Gedenktafel, die tet, dass Spuren von den 1995 in Sachsen ermordeten an den Todesmarsch der ungarischen JüdInnen erin­ Brüdern Sven und Michael Silbermann zum NSU-Killer nerte, zerstört. Bereits davor wurde in Ansfelden eine Uwe Mundlos führen.18 Sven Silbermann war Neonazi- Kapelle verwüstet und mit rechtsextremen Parolen Skinhead, galt in der Szene aber als Verräter, weil er beschmiert. aussteigen wollte. Er könnte deswegen getötet wor­ Im Herbst 2013 werden in der Stadt Salzburg neun den sein; sein Bruder, weil er die Täter erkannt hatte. „Stolpersteine“, die an Opfer des Nationalsozialismus In Deutschland kommt es im Oktober 2014 zu einer erinnern, mit Teer beschmiert. Das Personenkomitee brutalen Straßenschlacht von Rechtsextremisten mit Stolpersteine erstattet Anzeige wegen Wiederbetäti­ der Polizei: Rund 4 000 gewaltbereite Hooligans ran­ gung. Ein 20-jähriger Arbeitsloser gesteht, 31 „Stolper­ dalieren bei einer Demonstration gegen Islamismus in steine“ beschmiert zu haben. Mehrere Jugendliche im der Kölner Innenstadt. Sie verletzen 44 Polizisten, einen Alter von 16 bis 20 Jahren dürften ihm dabei geholfen davon schwer. haben. Der Haupttäter ist im Vorjahr bereits verurteilt worden, weil er auf Facebook Parolen wie „Bringt alle Rechtsextremismus in Verbindung mit Türken um“ gepostet hatte. Er wird wegen Wiederbe­ KZ-Gedenkstätten, Denkmälern und tätigung angezeigt. Allerdings kommt es in der Folge Mahnmalen immer wieder zu rechtsextremen Schmieraktionen. Deshalb sollen „Stolpersteine“ in der Stadt Salzburg Im Februar 2009 wird die KZ-Gedenkstätte Mauthau­ mit einem harten, glasartigen Überzug geschützt wer­ sen mit einer sowohl juden- als auch islamfeindlichen den. Obwohl in Salzburg wegen der vielfachen Schän­ Parole beschmiert. Die gleiche rechtsextreme Parole dung von „Stolpersteinen“ zwei Rechtsextremisten wird im Juni desselben Jahres auf einem Linzer Kinder­ verhaftet und drei weitere auf freiem Fuß angezeigt garten entdeckt. Ein Jahr später, im März 2010, wird die worden sind, kommt es im Dezember 2013 zu einer KZ-Gedenkstätte Mauthausen neuerlich mit einer rassis­ neuerlichen Schmieraktion: Das Ehrenmal für NS-Opfer tischen und antisemitischen Parole beschmiert. auf dem Salzburger Kommunalfriedhof wird mit dem Im Mai 2009 attackieren jugendliche Täter bei ei­ Namen des SA-Führers Horst Wessel verunstaltet. Das ner Gedenkfeier in Ebensee KZ-Überlebende. Ein Jahr Doppel-S ist bezeichnenderweise in Runenschrift aus­ später kritisiert das Mauthausen Komitee Österreich, geführt. Vermutet wird eine zweite TäterInnengruppe, dass die Staatsanwaltschaft Wels noch immer keine weil sich die Vorgangsweise von der Schändung der strafrechtlichen Konsequenzen gezogen hat. Erst im „Stolpersteine“ deutlich unterscheidet. Die neonazis­

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tische Anschlagserie in Salzburg wird im Jänner 2014 barer Grausamkeit und Systematik entwürdigte und fortgesetzt: Unbekannte Täter beschmieren den David­ vernichtete.“ So setzt die Pfarre ein Zeichen der Soli­ stern vor der Synagoge mit gelber Farbe. Im Februar darität mit den Angehörigen des verstorbenen Kinds. findet deshalb vor der Synagoge eine antifaschistische In Deutschland wird Anfang November 2014 die Mahnwache statt, an der auch der Präsident der Isra­ historische Eingangstür der KZ-Gedenkstätte Dach­ elitischen Kultusgemeinde Salzburg, Marko Feingold au mit dem Schriftzug „Arbeit macht frei“ gestohlen. teilnimmt. Der Verfassungsschutz ermittelt. Doch die Dieser Diebstahl sorgt für Entsetzen über die Grenzen Serie rechtsextremer Anschläge in der Stadt Salzburg Deutschlands hinaus. Die KZ-Gedenkstätte Dachau reißt nicht ab. Nicht zufällig in der Nacht von 9. auf 10. schreibt eine Belohnung von 3 000,– EUR aus, um die November 2014 wird das Denkmal für NS-Opfer auf DiebInnen ausfindig zu machen. Außerdem wird eine dem Salzburger Kommunalfriedhof erneut geschän­ Videoüberwachung in der Nacht überlegt. Dabei stellt det. Die Fahndungserfolge der Sicherheitsbehörden sich die Frage, wie angebracht eine solche Überwa­ sind bisher gering. Gegen zwei mutmaßliche Straftäter chung an einem Gedenkort ist. wird Anklage erhoben, doch die braune Szene zeigt Rechtsextreme Schmierereien, Diebstähle in KZ- sich davon unbeeindruckt. Gedenkstätten, RechtsextremistInnen, die sich vor KZ- Im Mai 2014, vier Jahre nach der letzten rechtsex­ Gedenkstätten mit dem Hitlergruß und einschlägigen tremen Schmiererei, wird die KZ-Gedenkstätte Maut­ T-Shirts fotografieren lassen, Angriffe auf Überlebende hausen neuerlich geschändet: Nur wenige Tage vor der sowie Schändungen von Gedenksteinen und Denkmä­ Internationalen Befreiungsfeier taucht auf den Mauern lern sind nur ein Teil der oben erwähnten vielfältigen der KZ-Gedenkstätte eine rechtsextreme Parole auf. Erscheinungsformen des Rechtsextremismus. Nach der neuerlichen Schändung der KZ-Gedenkstätte verstärken SPÖ und Grüne ihre Anstrengungen, um die Ziele und Funktionen Landespolitik und die Sicherheitsbehörden endlich zu von KZ-Gedenkstätten wirksamen Maßnahmen gegen den Rechtsextremis­ mus zu bewegen: Die SPÖ fordert im Verfassungsaus­ Die Ziele und Funktionen der Gedenkstätten zur schuss des Landtags einen Rechtsextremismus-Gipfel, Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus ha­ an dem auch antifaschistische Organisationen und ben sich wie die Erinnerungskultur seit dem Zweiten ExpertInnen teilnehmen sollen, die zügige Strafverfol­ Weltkrieg verändert. KZ-Gedenkstätten haben mehrere gung einschlägiger TäterInnen sowie einen besseren Funktionen: Einerseits sind sie ein Ort des Gedenkens, Schutz von Gedenkstätten und Mahnmalen. Zusätzlich ein Ort des Trauerns für Angehörige und Überleben­ wird eine Belohnung von 10 000,– EUR zur Findung der de, anderseits haben sie die aufgrund der aktuellen TäterInnen ausgeschrieben. In diesem Monat wurde Tendenzen immer wichtiger werdende Aufgabe der jedoch nicht nur die KZ-Gedenkstätte Mauthausen historischen Wissensvermittlung als Lernort, der einen mit einer Neonazi-Parole, sondern auch der Grabstein ständigen Bezug zur Gegenwart herstellt. Dies bedeu­ eines türkischen Mädchens auf dem Friedhof von tet nicht nur die Leiden der Opfer, sondern auch die Mauthausen mit einem Hakenkreuz beschmiert. Die Motive der TäterInnen, die Strukturen und Methoden Pfarre Mauthausen verhüllt daraufhin das in der Mit­ der Herrschaftssysteme, die gesellschaftlichen Zusam­ te des Friedhofs befindliche große Kreuz und bringt menhänge sowie Vor- und Nachgeschichte der Ver­ folgende Aufschrift an: „Dieser Ort des Friedens wurde brechensorte darzustellen. Die Auseinandersetzung mit einem Hakenkreuz geschändet, mit dem Symbol mit dem Vergangenen soll zu einer Sensibilisierung für eines Regimes, das Menschen und Leben in unfass­ Gefährdungen der Menschenrechte in der Gegenwart

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und zum Engagement für die Grundwerte der Demo­ militärisch hätte wehren sollen. 42 Prozent sagen, dass kratie beitragen. In jedem Fall ist es notwendig, Me­ unter Hitler nicht alles schlecht war. 54 Prozent glau­ chanismen gesellschaftlicher Stigmatisierung und Aus­ ben, dass die NSDAP durchaus Chancen hätte, wenn grenzung auch in Bezug auf faschistische Verbrechen sie in Österreich bei Wahlen antreten könnte. in anderen Ländern und bis in die Gegenwart zu the­ matisieren. Unabdingbar ist hier für Jugendliche eine Antifaschistische Aktionen umfassende Vor- und Nachbereitung. Als konsequente Fortsetzung eines individualisierten Geschichtsver­ Bei den angeführten Streiflichtern auf rechtsex­ ständnisses und als wichtiges Mittel gegen menschen­ treme Vorfälle und Handlungsbereiche sind auch im­ feindliche Tendenzen ist die persönliche „Zivilcourage“ mer wieder antifaschistische Aktionen sichtbar, die anzusehen. Das ist auch die einzige annähernd kon­ einen Teil der Handlungsmöglichkeiten gegen Rechts­ krete „Lehre“, die gerade junge Menschen aus der öf­ extremismus aufzeigen. Es beginnt mit einzelnen zivil- fentlich vermittelten Erinnerung mitnehmen können. couragierten Handlungen, wie die des Domprobstes Die Wirkungsweise totalitärer Regime auf die Ebe­ von Regensburg, Wilhelm Gegenfurtner, der eine NPD- ne der Zivilcourage Einzelner herabzubrechen ist aber Kundgebung durch ein Dauerläuten der Domglocken eine unzulässige Verkürzung. Das Einbinden einer auflöste. system- und ideologiekritischen Perspektive (etwa im Ein wesentlicher Teil des Widerstands ist der vielfäl­ Hinblick auf Antisemitismus und rassistisches Gedan­ tige zivilgesellschaftliche Protest, der sich in Netzwer­ kengut) in die Arbeit von KZ-Gedenkstätten erscheint ken, Organisationen, Bündnissen und Aktionen von notwendig. Die Beschäftigung mit sozioökonomischen AntifaschistInnen ausdrückt. Im November 2014 funk­ Rahmenbedingungen und ideellen Traditionen, die tionieren AntifaschistInnen einen „Trauermarsch“ von den Aufstieg rechtsextremer Bewegungen begünstigt Neonazis in der bayerischen Stadt Wunsiedel zu einem haben und begünstigen, ist dafür Voraussetzung. In unfreiwilligen Spendenlauf um: Für jeden Meter, den der Gedenkstättenarbeit muss neben der Auseinan­ die rund 200 Rechtsextremisten gehen, spenden Un­ dersetzung mit der Geschichte der Opfer auch die ternehmen und Privatleute aus der Region zehn Euro Auseinandersetzung mit den Mechanismen, die zu an „Exit“ – eine Organisation, die beim Ausstieg aus der den Konzentrationslagern sowie zur TäterInnen- und braunen Szene hilft. 10 000,– Euro kommen zusam­ MittäterInnenschaft so vieler geführt haben, erfolgen. men. Die „Laufstrecke“ ist mit satirischen Transparenten Dazu gehört ebenfalls eine intensive Auseinander­ wie „Wenn das der Führer wüsste …“ und „Endspurt setzung mit der aktuellen rechtsextremen Szene. Die statt Endsieg“ gesäumt. Die Neonazis erhalten sogar MitarbeiterInnen von KZ-Gedenkstätten müssen über „Marschverpflegung“: Bananen mit der Aufschrift diese Szene und ihre Entwicklungen permanent infor­ „Mein Mampf“. miert werden. Das Ergebnis der Umfrage des Linzer Market Insti­ Beratungsstellen und Ausstiegshilfe tuts – im Auftrag des Standard zum 75. Jahrestag des „Anschlusses“ Österreichs an Hitler-Deutschland durch­ Diese Aktion macht auch deutlich, was in Öster­ geführt – zeigt deutlich, wie wichtig auch diesbezüg­ reich fehlt: Beratungsstellen gegen Rechtsextremis­ lich die Arbeit der KZ-Gedenkstätten als Lernort ist: mus und eine Hilfsorganisation für den Ausstieg aus 61 Prozent der Befragten wünschen sich einen „starken der rechtsextremen Szene. Mann“ an der Spitze Österreichs. Nur 15 Prozent mei­ Bisherige Beratungsstellen wurden von zivilgesell­ nen, dass sich Österreich 1938 gegen den „Anschluss“ schaftlichen Organisationen initiiert und aus eigenen

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Mitteln finanziert. Eine Unterstützung auf Bundesebe­ rechts/archiv/maerz-2014/freispruch-fuer-nvp-programmschreiber. ne blieb bisher aus. Genauso wenig wird auf die For­ 3 Zu den vertretungsbefugten VertreterInnen des Witikobunds vgl. die Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Karl Öllinger, Kolleginnen und derung nach einem Programm für Aussteiger aus der Kollegen an die Bundesministerin für Inneres betreffend rechtsex­ rechtsextremen Szene reagiert. Dabei zeigt sich des­ tremen „Witikobund“, XXIV. GP (http://www.parlament.gv.at/PAKT/ sen Notwendigkeit dem Mauthausen Komitee Öster­ VHG/XXIV/J/J_07741/imfname_207117.pdf ) und die entsprechende reich durch wiederkehrende Anrufe von Ausstiegswil­ Anfragebeantwortung durch die Bundesministerin für Inneres ligen aus der rechtsextremen Szene. Gemeinsam mit vom April 2011 (http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/AB/ AB_07647/fname_215002.pdf ). StreetworkerInnen und durch die Unterstützung von 4 Im Fall des Neonazi-Netzwerks Objekt 21 wurden schon mehrere, teil­ Exit Deutschland konnte trotzdem geholfen werden. weise bereits rechtskräftige Urteile gefällt, in denen über eine Reihe Eine Antwort des zuständigen Innenministeriums zu von AktivistInnen des Netzwerks teilweise hohe Freiheitsstrafen we­ diesem Thema ist ausständig. Darüber hinaus stellen gen zahlreicher Verbrechen verhängt wurden. auch politische Parteien in Österreich immer wieder 5 Vgl. http://kurier.at/chronik/oberoesterreich/desselbrunn-fpoe-face­ Forderungen, wie beispielsweise nach einer inten­ book-freundschaft-mit-fuehrungsriege-von-objekt-21/25.587.499. 6 Vgl. http://www.doew.at/erkennenrechtsextremismus/neues-von-ganz- siveren grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der rechts/archiv/november-2013/urteile-im-objekt-21-prozess#manuel Sicherheitsbehörden in Deutschland und Österreich. spindler. Die Verflechtung der rechtsextremen Szene in beiden 7 http://derstandard.at/1381370733881/Urteile-im-Objekt-21-Neo­ Ländern ist klar ersichtlich, die europaweite Vernet­ nazi-Prozess. Zu Werner Tomanek vgl. weiters http://www.profil.at/ zung zeigt sich nicht zuletzt jedes Jahr beim Akademi­ articles/0923/560/243718/der-oesterreicher-die-seiten-nationalrat­ spraesidenten-graf sowie http://derstandard.at/1381369461646/ kerball in der Wiener Hofburg. n Objekt-21-Wiederbetaetigung-im-Bauernhof-vor-Gericht. 8 Eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik erfolgt auch in: Günter Morsch/Bertrand Perz (Hg.): Neue Studien zu nationalsozialistischen Massentötungen durch Giftgas. Historische Bedeutung, technische Entwicklung, revisionistische Leugnung. Unter Mitarbeit von Astrid Ley (Berlin 2011). 9 Rechtsgutachten von o. Univ. Prof. DDr. Heinz Mayer über die „Ar­ beitsgemeinschaft für demokratische Politik“ (AFP) und den „Bund freier Jugend“ (BfJ) (Wien 2005), S. 14, http://www.doew.at/cms/ download/edpm0/gutachten_afp.pdf. 10 http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/3850125/Alpen­ 1 Zur Zahl der rechtsextremen Tathandlungen vgl. die österreichischen Donau_Schutz-fur-Tippgeber. Verfassungsschutzberichte der Jahre 2006 bis 2014 (http://www. 11 Diese Broschüre steht auf der Website des Mauthausen Komitee Ös­ bmi.gv.at/cms/bmi_verfassungsschutz); zur Verhetzung vgl. http:// terreich www.mkoe.at zum kostenlosen Download zur Verfügung. derstandard.at/2000002311484/Nur-wenige-Verhetzungsverfahren­ 12 Siehe dazu nun allgemein Bernhard Weidinger: „Im nationalen Ab­ landen-vor-Gericht (Zugriff auf sämtliche Websites, falls nicht anders wehrkampf der Grenzlanddeutschen“. Akademische Burschenschaf­ angegeben, am 23.1.2015). Zur Zahl der Hinweise bei der Internet- ten in Österreich nach 1945 (Wien 2015). Meldestelle für NS-Wiederbetätigung vgl. http://kurier.at/chronik/ 13 Richard Melisch ist u. a. Autor der antisemitischen Agitationsschrift oesterreich/oesterreichs-gotteskrieger-im-visier-der-staatsschuet­ „Krisengebiet Nahost“. zer/71.817.779. 14 http://kurier.at/chronik/oberoesterreich/manfred-haimbuchner­ 2 Heribert Prantl: Bundesverfassungsgericht macht Bock zum Gärt­ horst-wessel-ist-bei-uns-schon-lange-kein-mitglied-mehr/3.834.279. ner (http://www.sueddeutsche.de/politik/npd-verbot-bundesver­ 15 http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20111201_OTS0283/wie­ fassungsgericht-macht-bock-zum-gaertner-1.423365). Zu Eckhard ner-korporationsball-2012-zum-letzten-mal-in-der-hofburg-vienna. Jesse vgl. weiters http://antinazi.files.wordpress.com/2009/12/otto­ 16 http://www.wkr.at/info.php (Zugriff am 14.6.2011). kohler-das-war-jesses-geschos.pdf; http://www.ots.at/presseaus­ 17 Andreas Peham (DÖW), zit. nach http://derstandard.at/1295571016860/ sendung/OTS_20140320_OTS0079/mauthausen-komitee-und­ Rechtes-Fest-Fuenf-Fragen-und-Antworten-zum-WKR-Ball (Zugriff am antifa-netzwerk-scharfe-kritik-an-skandalurteil-in-wiener-neustadt; 14.6.2011). http://www.doew.at/erkennen/rechtsextremismus/neues-von-ganz- 18 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-127396609.html.

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Andreas Peham

Alte Rechte im neuen Kleid Zu den aktuellen Modernisierungsversuchen des organisierten Rassismus

Identitäre: zeitgeistig-jugendkulturkompatibler Rechtsextremismus (sämtliche Abbildungen dieses Beitrags Dokumentationsarchiv des österrei­ chischen Widerstandes).

echtsextremismus als politisches Syndrom ist chen Ländern – behördliche Verbote neofaschistischer R bei allen Kontinuitäten weit davon entfernt, ein und neonazistischer Artikulationsformen reagierten statisches Phänomen zu sein. Vielmehr wird er per­ extreme Rechte in Westeuropa ab den späten 1960er­ manent inhaltlich wie formal an die politischen und Jahren mit (mehr oder minder glaubwürdigen) Distan­ hegemonialen Bedingungen angepasst, jedoch ohne zierungen gegenüber ihren unmittelbaren Vorläufern. dass dabei sein ideologischer Kern, das antiliberal-völ­ Diese zuerst in Frankreich einsetzenden Versuche von kische Primat1, aufgeweicht würde. Auf die wachsende „Gegen-Intellektuellen“2 , faschistisches Gedanken­ Ablehnung, das Scheitern bei Wahlen und – in man­ gut „von Hitler zu befreien“3, werden gemeinhin als

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mus nicht als Ausdruck demokratischer Gesinnung genommen, zumal diese Abgrenzung doch vor allem strategisch und bloß durch Differenzen hinsichtlich der politischen Strategie („Marsch durch die Institutionen“ statt „Systemüberwindung“) und der Zielgruppe (intel­ lektuelle Eliten statt „kleine Leute“) motiviert ist.

Neue Rechte in Österreich

Lange bevor die Identitären 2012 die politische Bühne betraten5, versuchten Rechtsextreme (mit Ver­ gangenheit im Neonazismus) bereits, ihrer Szene ein moderneres Outfit zu verpassen. Bezeichnenderweise liefen diese Versuche ebenfalls unter dem Label „Iden­ tität“ – so nannte sich eine Jugendzeitschrift im Aula- Verlag zu Beginn der 1990er-Jahre. Es war maßgeblich Jürgen Hatzenbichler, der damals „neurechte“ Theorien aus Frankreich importierte und für das völkisch-kor­ porierte Milieu publizistisch aufbereitete. Der pennale Burschenschafter Hatzenbichler musste sich jedoch Burschenschafter im Aufbruch von rechts. schon Mitte der 1990er-Jahre sein Scheitern eingeste­ hen: Nach jahrelanger vergeblicher Missionierungstä­ tigkeit beklagte er resignierend, dass die „Positionen der Alten Rechten […] leider auch im Bereich der Kor­ porationen vielfach noch heruntergeleiert werden.“6 „neurechts“ bezeichnet. Gegen die unkritische Über­ Tatsächlich ist der alte oder herkömmliche (parteiför­ nahme dieser Selbstbezeichnung wandte Willibald I. mige wie subkulturelle) Rechtsextremismus in Öster­ Holzer ein, dass sich so „manche vorschnell als solche reich zu erfolgreich, als dass er einer neuen Strategie entdeckte programmatische Innovation moderner wie des metapolitischen Kampfs um die kulturelle He­ Gruppierungen […] sehr rasch als oft nur geringfügig gemonie bedürfte. Auch fehlt im Falle Österreichs ein modifizierte Aktualisierung faschistischer oder vorfa­ zentrales Gründungsmoment der Neuen Rechten – die schistischer Ausprägungen rechtsextremer Ideologie ideologische Vorherrschaft der Linken und Liberalen. [erweisen]“4 . Tatsächlich sieht die sogenannte Neue Weil, wie ein deutscher Antiliberaler es einmal voller Rechte zumeist sehr alt aus, wenn man ihre Positionen Neid auf den Punkt brachte, „die weltweite Kulturre­ einer genaueren Analyse unterzieht. Gerade in Öster­ volution von 1968 in Österreich keine nennenswerten reich handelt es sich bei dieser Selbstbezeichnung von Flurschäden angerichtet“7 und es hierzulande „keine Rechtsextremen um einen Begriff, der mehr für neue Umerziehung“8 gegeben habe, hat die Selbststilisie­ Strategien und Formen als für neue Inhalte steht. Wenn rung neurechter österreichischer Kulturkämpfer als Ta­ im Folgenden dennoch von Neuer Rechte die Rede bubrecher so viel Operettenhaftes. Anstelle der Realität sein wird, dann bedeutet dies nicht, die im Begriff ent­ setzen sie einen Popanz aus politischer Korrektheit und haltene Behauptung einer Innovation zu akzeptieren. angeblichen Denkverboten, um sich als widerständig Auch wird die neurechte Abgrenzung vom Neonazis­ und oppositionell inszenieren zu können. Gerade am

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Beispiel des Rassismus lässt sich zeigen, dass im Ge­ dieser schon in den 1980er-Jahren vom biologischen gensatz zu rechtsextremen Behauptungen es nicht zu zum kulturellen (Antiimmigrations-)Rassismus, so er­ einer Verengung des Sagbarkeitsraumes gekommen fuhr er nach der Jahrtausendwende schließlich seine ist. Vielmehr ist von einer Normalisierung rassistischer antimuslimische Aufladung. In ihrem Kampf gegen Is­ Diskurse auszugehen.9 lamisierung und für den Erhalt von kultureller Identität Dass es dennoch auch in Österreich jüngst zu einem kommen Rechtsextreme heute um vieles weiter, als sie neuerlichen Aufflackern neurechter Politikkonzepti­ das einst in ihrem Kampf gegen Umvolkung oder Über­ onen (in Form der Identitären) gekommen ist, scheint fremdung sich erträumten. Etwas zeitverzögert spran­ mehr der zunehmenden europäischen Vernetzung gen auch Neonazis auf den Zug der Modifizierung auf, extremer Rechter als den konkreten hegemonialen wobei in ihrem Fall die Kontinuität zum alten Antise­ Verhältnissen im Land geschuldet zu sein. Daneben mitismus und Rassismus aber noch offensichtlicher sind dafür der erhöhte Repressionsdruck auf die ne­ ist: „Was unseren Vätern der Jud, ist uns die Moslem­ onazistische Szene seit Ende 2010 und massive Re­ brut. Seid auf der Hut! 3. Weltkrieg – 8. Kreuzzug“, „Türk’ krutierungsschwierigkeiten vieler deutsch-völkischer und Jud’, giftig’s Blut“, „Türkenrass ab ins Gas. Sieg Heil“ Studentenverbindungen verantwortlich zu machen. schmierten etwa bis heute nicht gefasste Neonazis seit Schließlich decken die auf außerparlamentarischen 2009 auf die Mauern der KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Aktionismus und popkulturelle Inszenierungen spezi­ Am Anfang dieser Modifizierung stand bloße se­ alisierten Identitären im Gegensatz zu herkömmlichen mantische Verwirrtaktik, oder wie Neonazis zu Beginn rechtsextremen Gruppen eine gestiegene Nachfrage der 1970er-Jahre die neue Strategie auf den Punkt von Seiten erlebnisorientierter Jugendlicher ab. Was so brachten: „Wir müssen unsere Aussagen so gestalten, mancher Alter Herr als Anpassung an den linken Zeit­ dass sie nicht mehr ins Klischee der ‚Ewig-Gestrigen‘ geist und die amerikanisierte Massenkultur verdammen passen. […] In der Fremdarbeiter-Frage etwa erntet mag, stellt in Wahrheit eine notwendige Voraussetzung man mit der Argumentation ‚Die sollen doch heimge­ für die Hegemoniefähigkeit unter Jugendlichen dar. hen‘ nur verständnisloses Grinsen. Aber welcher Lin­ Gleiches gilt für die Distanzierung vom Nationalsozialis­ ke würde nicht zustimmen, wenn man fordert: ‚Dem mus und von allen Versuchen, diesen in neuen Formen Großkapital muss verboten werden, nur um des Profits wieder massenwirksam zu machen. Die von Neuen willen ganze Völkerscharen in Europa zu verschieben. Rechten erstrebte „Salonfähigkeit durch Selbstverleug­ Der Mensch soll nicht zur Arbeit, sondern die Arbeit nung“10 wird von den Identitären auf die Spitze getrie­ zum Menschen gebracht werden.‘ Der Sinn bleibt der ben: Nun will man nicht nur nicht länger rassistisch, gleiche: ‚Fremdarbeiter Raus!‘ Die Reaktion der Zuhörer sondern auch nicht einmal mehr rechts sein. wird aber grundverschieden sein.“11 Zunächst handelte es sich bei der Modernisierung Neuer Rassismus: Kulturalismus des Rassismus um Codierung: Belastete Begriffe wie Rasse wurden durch scheinbar unverdächtige wie Am Beispiel des Rassismus, einem integralen Be­ Kultur ersetzt. Adorno wies schon früh auf diese Be­ standteil des rechtsextremen Syndroms, sollen im deutungsverschiebung hin: „Anstelle der ‚weißen Ras­ Folgenden die Brüche und Kontinuitäten zwischen se’ setzt der Sprecher […] die ‚abendländische Kultur’. Neuem und Altem herausgearbeitet werden. Wäh­ Nicht selten verwandelt sich der faschistische Natio­ rend in Süd-Osteuropa die alten Feindbilder (Juden, nalismus in einen gesamteuropäischen Chauvinismus „Zigeuner“ usw.) weiter kultiviert werden, sind wir in […]. Das vornehme Wort Kultur tritt an Stelle des ver­ Westeuropa seit geraumer Zeit mit nachhaltigen Modi­ pönten Ausdrucks Rasse […].“12 Daneben zielt der neue fizierungen des Rassismus konfrontiert. Wandelte sich Rassismus anstelle der „biologische[n] Vererbung“ auf

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die „Unaufhebbarkeit der kulturellen Differenzen“13. terschieden zu erhaltenden Kulturen zu kennen. Nun Es wird nicht länger „die Überlegenheit bestimmter ist diese Strategie der Verleugnung nicht neu, schon Gruppen oder Völker über andere postuliert, sondern lange behaupten RassistInnen, die Rechte anderer […] die Schädlichkeit jeder Grenzverwischung und „Völker“ zu achten.20 Mit dem alten Rassismus hat der Unvereinbarkeit der Lebensweisen und Traditionen“14 neue daneben die neurotische Angst vor der Vermi­ behauptet. Neben diesen Verschiebungen (von Ras­ schung gemeinsam. Wie im (biologischen) Rassismus se zu Kultur und von Ungleichheit zu Unterschieden) wird auch im Kulturalismus „das Individuum […] da­ kennzeichnet den Neorassismus eine weitere – von der rauf reduziert“, eine „Totalität zu repräsentieren.“21 Heterophobie zur Heterophilie.15 Mit der Behauptung, Beide konstruieren klar voneinander abgrenzbares im Namen der anderen für den Erhalt auch von deren Eigenes und Fremdes, das weiterhin getrennt zu blei­ kultureller Identität zu kämpfen, knüpft er „in fürsorg­ ben habe. So beinhaltet der Ethnopluralismus eine lich-unverdächtiger Sprachgewandung“16 unmittelbar „aggressive Segregationsempfehlung, die in praxi auf an multikulturalistische Diskurse an. globale Apartheid hinausliefe“22 Zum Aufgehen der neorassistischen Strategie trug maßgeblich die Tatsache bei, dass der differentialis­ Antimuslimische Modifizierungen tische Antirassismus17 wie sein Gegenüber in festen Gruppen oder kulturellen Kollektiven denkt. Diesen Nach „dem ethnopluralistischen Modernisierungs­ wird hier wie dort eine schützenswerte Identität zuge­ schub der 1980er-Jahre versuchen Teile des Rechtsex­ schrieben. Der Siegeszug dieses harmonsierenden Be­ tremismus, über die Umpolung des Feindbildes, eine griffes wurde begünstigt durch eine Linke, die an die neue, diesmal antiislamische ‚Modernisierungswelle’ Stelle der subalternen (sozialen) Klassen homogene einzuleiten.“23 Der antimuslimische Rassismus dient (kulturelle) Gemeinschaften setzte. „Identität“ wurde zu vor allem als Vehikel in den Mainstream-Diskurs: Rassis­ einer weit verbreiteten „Worthülse, in die Bedürfnisse tische Inhalte finden leichter und mehr Gehör, wenn nach Anspruch auf Unversehrtheit, Einheit und Sinn sie im kultur-christlichen24 oder vermeintlich aufge­ sich projizieren lassen. ‚Identität‘ simuliert Identität klärten Gewand daherkommen. Die sich zuletzt in der von Einzelnem und Allgemeinem, in der das Besonde­ „Sarrazin-Debatte“25 artikulierende Normalität bis He­ re verschwindet.“18 Angesichts der Konjunktur dieses gemonie des Feindbildes Moslems oder Islam macht Begriffs erscheint es nicht überraschend, dass viele dieses zum idealen Instrument, um aus der Extremis­ Rechtsextreme sich heute Identitäre nennen. Wie der mus-Ecke zu kommen.26 Identitäts-Diskurs bot auch ein auf kulturelle (anstatt Die Fixierung auf das neue Feindbild war zumin­ soziale) Differenzen fixierter Multikulturalismus eine dest im deutsch-österreichischen Rechtsextremismus diskursive Steilvorlage für die Neue Rechte, die ihn nur anfänglich umstritten. Neonazis begannen angesichts mehr auf eine globale Ebene zu heben und ethnoplu­ dieses Bruches mit pro-muslimischen Traditionen zu ralistisch aufzuladen brauchte. murren und hinter der nun einsetzenden antimusli­ Neue Rechte nehmen für sich in Anspruch, nicht mischen Hetze gar „zionistische Interessen“ am Werk zu oder sogar anti-rassistisch zu sein. Als rassistisch mar­ sehen. Mit den provokanten Angriffen auf „den Islam“ kieren sie ausschließlich den Universalismus, der jede werde „den Juden in die Hände“ gespielt, hieß es etwa kulturelle Identität oder Differenz auslösche.19 Ihm in einem Neonazi-Forum, nachdem die steirische FPÖ- gegenüber stellen sie den partikularistischen Ethno­ Spitzenpolitikerin Susanne Winter Anfang 2008 den pluralismus, der für sich in Anspruch nimmt, keine Religionsgründer Mohammed mit sexuellem Kindes­ Wertungen oder Hierarchisierungen der in ihren Un­ missbrauch in Zusammenhang gebracht hatte. In den

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Alter Wein in neuen Schläuchen: Rechtsextremes Feindbild Islam zu Beginn der 1990er-Jahre.

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Reaktionen von Neonazis zeigte sich einmal mehr das so viel Unbehagen wie die fremdartigen Moslems“ er­ ideologische Primat des Antisemitismus im deutsch­ zeuge, sei der „Kampf gegen die Islamisierung [...] der österreichischen Rechtsextremismus. Ein anonymer Türöffner für weitergehende ausländerpolitische For­ Poster: „Sie [Winter – A.P.] hetzt nur wieder gegen den derungen der nationalen Opposition.“ Die NPD wäre Islam auf, damit sich die lachenden Dritten in Tel Aviv „wahltaktisch gut beraten, die Ausländerfrage auf die und den USA eines lachen können, sie wollen uns Moslemfrage zuzuspitzen [...] und die Moslems als Pro­ Schritt für Schritt gegen den Islam aufhetzen, damit jektionsfläche für all das anzubieten, was den Durch­ wir ihre Kriege gegen islamische Länder rechtfertigen schnittsdeutschen an Ausländern stört. Die populäre beziehungsweise das Vorgehen gegen die Palästinen­ Moslemkritik kann so zum Türöffner für die viel wei­ ser. [...] Sie wollen ja einen dritten Weltkrieg gegen den tergehende Ausländerkritik der nationalen Opposition Islam. Frau Winter macht sich hier unfreiwillig zum werden.“ Von rechtspopulistischer und antiislamischer Shabes goy.“27 Während diese KritikerInnen von rechts Agitation Marke Geert Wilders oder „Politically Incor­ noch kurzerhand als „Narrensaum des Dritten Lagers“ rect“ will sich die NPD aber abgrenzen, etwa durch „die (Andreas Mölzer) abgetan werden konnten, kam dem Achtung vor dem Islam dort, wo er historisch beheima­ (antisemitischen) Verdikt von Otto Scrinzi, dem Doyen tet ist und die Lebensordnung der Menschen prägt“. dieses Lagers, schon mehr Bedeutung zu: „Nicht der Die „innenpolitische Gegnerschaft zum Islam“ würde Islam ist zu prügeln, sondern jene, die 20 Millionen sei­ vor allem „nicht die außenpolitische Würdigung der ner Bekenner ins Land gerufen haben [...]. Nicht den islamischen Welt als letztes Bollwerk gegen die Durch­ Islam als Religion gilt es zu bekämpfen oder seinen kapitalisierung und Durchamerikanisierung der Welt“30 Gründer zu schmähen, sondern die anzuprangern, wel­ ausschließen. che im Dienste des Mammons ihm den Weg in unseren Lebens- und Kulturraum geöffnet haben.“28 Antisemitische Kontinuitäten Aber weil die Übernahme des antimuslimischen Feindbildes vor allem strategisch motiviert war, ver­ Der in den oben zitierten Pejorativen wie „Mam­ stummte die Kritik rasch wieder. Selbst dem einfäl­ mon“ bereits angedeutete Antisemitismus stellt eine tigsten Neonazi begann es langsam zu dämmern, dass weitere Kontinuität zwischen alter und Neuer Rechter sich das als „Kritik“ ausgebende Ressentiment gegen dar. Gleiches gilt für den kulturellen Antiamerikanis­ gläubige Muslime/as wie kaum ein anderes Motiv zur mus, einer aktuellen Ausformung des völkischen An­ Brücke in den Mainstream eignet. Auch in der neona­ tiliberalismus. Bei Filip Dewinter, Führungskader des zistischen Nationaldemokratischen Partei Deutsch­ belgischen Vlaams Belang, begegnet uns der ewige lands (NPD) begann ein Umdenkprozess: 2009 warb Jude heute in der Maske der verhassten linken „Mul­ man mit dem FPÖ-Kampfruf vom „Abendland“, das in tikulturalisten“: Diese „fühlen sich als Weltbürger und „Christenhand“ gehöre29, und Ende 2010 wurde die glauben nicht an Heimat, Grenzen und die unverwech­ neue Parole „Mit Islam-Kritik zum Erfolg!“ ausgegeben. selbare Eigenart eines Volkes oder die kulturelle Iden­ Weil Studien belegen würden, dass „mit der Funda­ tität. Sie sind Befürworter des ‚Schmelztiegels’, in dem mentalkritik an der Islamisierung Wahlen zu gewin­ die Welt jedermanns Dorf ist, ohne Gegensätze, ohne nen sind“, müsste auch die NPD auf diese setzen. Die Unterschiede, ohne Grenzen. Rassen, Völker, Sprachen Bedingungen dafür seien nach der „Sarrazin-Debatte“, sind für sie auswechselbar. Völker sollen verschwinden, „die das Denken und Reden der Leute so viel freier Kosmopolitismus ist die Parole.“31 Die „kulturelle Wehr­ und inländerfreundlicher werden ließ“, besser denn je. haftigkeit der europäischen Völker“ würden die „Mul­ Weil keine „Ausländergruppe [...] bei den Deutschen tikulturalisten“ durch das Kultivieren von „Schuldkom­

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plexen“ wie „Ausländerfeindlichkeit“, „Judenhass“ oder Auch wenn er heute nicht mehr offen als solcher „Sklaverei“32 zu schwächen versuchen. benannt wird, hat der Jude zugunsten des Moslems In rechtsextremen Diskursen ist das christliche als Feindbild im Rechtsextremismus bei weitem nicht Abendland auch und vor allem in seiner Reproduktions­ ausgedient.37 Der Antisemitismus war und ist nämlich kraft bedroht. Aus dem einstigen „Kampf der Wiegen“ nicht einfach ein Vorurteil (unter vielen), sondern eine (Irenäus Eibl-Eibesfeldt) wurde der Geburtendjihad, mit Leidenschaft gelebte Weltanschauung, die es er­ den die Moslems mit ihrer gefährlichsten Waffe, der Ge­ laubt, die ganze (soziale) Misere aus einem einzigen bärmutter, führen: „Auch haben türkische Familien im Punkt heraus zu begreifen und ursächlich auf einen Normalfall drei bis fünf Kinder. Im Gegensatz dazu sinkt Schuldigen zurückzuführen. Als eine antimoderne die Geburtenrate der alten europäischen Kulturvölker Reaktionsbildung auf die Moderne beklagt er die Zer­ ständig, sodass man sich mit ein wenig Phantasie und störung und der angeblich harmonischen etwas Mathematik leicht ausrechnen kann, wann den Gemeinschaft. Dabei betreibt der Antisemitismus eine Europäern das Schicksal der Indianer blüht.“33 Schuld systematische Personifizierung von undurchschauter an diesem drohenden Verdrängen der „Kulturvölker“ in und darum als Verschwörung wahrgenommener Herr­ Reservate seien PolitikerInnen, die – oft im geheimen schaft: „Die Juden werden persönlich haftbar gemacht Auftrag finsterer Hintergrundmächte – mit „Gender- für unpersönliche, anonyme gesellschaftliche Mäch­ Mainstreaming [...] die Absicht“ verfolgen würden, te.“ 38 Als derartige „Alltagsreligion“39, die keine Fragen „die Geburtenrate [...] der deutschen Bevölkerung zu offen lässt und Sinn stiftet, wo kein Sinn ist, kommt senken. Durch Zerstörung der gesunden Familien und dem Antisemitismus anhaltende Relevanz zu. Förderung von Homosexualität will man dieses Ziel er­ Die Halluzination von der jüdischen Weltverschwö­ reichen. Es ist also nichts anderes als die Fortsetzung rung hat demnach auch und vor allem im Rechtsex­ des Zweiten Weltkriegs mit effektiveren Waffen.“34 tremismus noch lange nicht ausgedient. Gerade in Die Behauptung einer systematischen Überfrem­ Krisenzeiten wird das Ressentiment gegen die – wie es dung oder Umvolkung zum Zwecke der leichteren im FPÖ-Programm bis vor kurzem hieß – „internationa­ Beherrschbarkeit der in lauter Individuen zerfallenden len Spekulanten“40 geschürt. Im autoritär-rebellischen Gemeinschaft ist fixer Bestandteil antisemitischer Scheinaufstand werden nicht die Verhältnisse für die Diskurse. Weil die nationale (kulturelle) Identität den Malaise verantwortlich gemacht, sondern fremde und (geheimen) Welteinheitsplänen im Weg stehe, werde oft verklausuliert als Juden identifizierte Personen und versucht, das „ethnische Antlitz Europas unwiderruf­ deren moralische Verkommenheit. Der damalige FPÖ­ lich“ zu verändern. In Zukunft sollen „nicht mehr die MEP (Member of European Parliament) Andreas Mölzer historisch gewachsenen Völker [...] Europa prägen, sah etwa die Schuld der jüngsten Bankenkrise bei der sondern eine amorphe Masse wie in den USA“35. Der „Profitgier des internationalen Spekulantentums“, den Wiener FPÖ-Klubobmann und mittlerweile zum stell­ „Spekulanten an der New Yorker Wall Street“ und bei vertretenden Bundesparteivorsitzenden aufgestiegene der „internationalen Hochfinanz“.41 Johann Gudenus betonte 2006 in einer Sonnwendfeu­ Im Fall der FPÖ wird der Antisemitismus zudem errede, dass er eine „Zukunft für unsere Deutsche Hei­ determiniert durch seinen inneren oder notwendigen mat“ und „keine globale Einheitswelt“ möchte. Diese Zusammenhang mit (deutsch-)völkischer Gemein­ „Einheitswelt“ werde durch „eine bewusst gesteuerte schaftsideologie.42 Der Volksgemeinschaftsdünkel, wie Ethnomorphose“, welche die „Volksgemeinschaft zur er in der FPÖ seit 2005 wieder offen kultiviert wird, ist herz- und identitätslosen Multi-Kulti-Gesellschaft de­ ohne Antisemitismus nicht zu haben, keine Verheißung gradiert“36, geschaffen. idealer oder homogener Gemeinschaft ohne Hass auf

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Gemeinschaftsfremde. Der moderne Antisemitismus in einem Inserat gegen den angeblich unmittelbar kann mit Sartre auch bestimmt werden als „ein ver­ drohenden EU-Beitritt der Türkei und Israels agitierte, zweifelter Versuch [...], gegen die Schichtung der Ge­ bewies sie eindrucksvoll, dass das christliche Abendland sellschaft in Klassen eine nationale Union zu verwirk­ immer noch vor Juden und Moslems gleichermaßen lichen“43. Und insofern bleibt die FPÖ eine (implizit) beschützt werden muss. antisemitische Partei, solange sie sich zur (deutschen) Volksgemeinschaft bekennt, wie sie das nach ihrem Identitärer Antisemitismus letzten Rechtsruck 2005 nun auch wieder in ihrer Pro­ grammatik tut.44 Auch die Identitären beklagen den angeblich von Auch im antimuslimischen Rassismus setzen sich interessierter Seite geförderten „Zerfall aller orga­ bei allen Brüchen und Differenzen antisemitische Tra­ nischen Gemeinschaften“46. Sie stellen sich „gegen ditionen fort, eine Kontinuität besteht vor allem in einen abstrakten, weltfremden Menschenbegriff, der der Gegensatzpaarbildung Wir (ChristInnen, Europäe­ ihn nur als degenerierte kultur- und geschlechtslose, rInnen) gegen Die (Muslime/as), wobei die Eigengrup­ internationale Ware, als Humankapital betrachtet, an­ pe projektiv als Opfer der Fremdgruppe aufgefasst wird. statt ihn in seiner Ganzheit, als Erbe und Träger einer Aus Menschen mit anderer Religion werden (kulturelle) bestimmten Identität zu betrachten.“47 Schließlich wol­ Fremde und im nächsten Schritt FeindInnen, denen len die Identitären die „Deutschen“, zu denen sie sich die Weltbeherrschung und der Hass auf das Christen­ als mehrheitlich deutsch-völkisch Korporierte selbst tum religiös vorgeschrieben sei. Dieser Mythos ist so zählen, nicht weiter als „ewiges Tätervolk“ gelten las­ alt wie das Christentum, und darum schlägt er insbe­ sen. Denn dann wäre es den Herrschenden nicht län­ sondere bei seinen wehrhaftesten VerteidigerInnen ger möglich, „mit der Nazikeule […] jede Kritik am herr­ immer wieder durch. Etwa bei Filip Dewinter, der den schenden liberalistischen Zeitgeist“48 zu verhindern. antijüdischen Ursprung dieser Beschuldigung gar nicht Zumindest als strukturell antisemitisch ist auch die verbirgt: „Auch das Alte Testament [...] enthält [...] eini­ Abrechnung der Identitären mit der rechtspopulis­ ge Passagen, die man als wenig friedliebend einstufen tischen und liberalen „Islamkritik“ zu bezeichnen. Wäh­ kann, zum Beispiel, wenn es um die jüdischen Kriegs­ rend es „liberalen Islamkritikern“ um die Verteidigung handlungen gegen andere Völker geht. Doch nimmt „westlicher Werte“ gehe, wollen Identitäre „die gegen­ sich kein Christ vor, solche Passagen zu befolgen und wärtige Dekadenz hin zu einem neuen goldenen Zeit­ zum Anlass für Hass gegen Nichtchristen zu nehmen.“45 alter überwinden“. Im Gegensatz zu den rechtspopu­ Der antimuslimische Rassismus knüpft gerade in listischen IslamfeindInnen würden die Identitären „den Österreich an antisemitische Traditionen an. Dies zeigte Islam in seinem angestammten Raum – etwa dem sich schon in der Kampagne gegen das Schächten, mit arabischen – als eine fremde Kultur [akzeptieren].“49 welcher vielerorts antijüdische Blutphantasien fortge­ Eine Ursache für das „drohende Ende der europäischen schrieben wurden. Auch die FPÖ-Forderungen, das Völker“ sehen sie darin, „dass der Liberalismus den Religionsbekenntnis wieder im Reisepass zu vermer­ Selbsterhaltungstrieb der europäischen Völker der­ ken und die religiösen Zeremonien nur auf Deutsch art ausgehebelt hat […]. Eine solche Gesellschaft hat abhalten zu dürfen, verweist auf diese Verwandtschaft. keine Zukunft! Sie degeneriert zwangsläufig und wird Gleiches gilt für die Unterstellung oder den General­ dekadent.“ Anstatt von den „Moslems“ zu verlangen, verdacht, Muslime/as würden sich nicht loyal verhalten dass sie sich in diese Gesellschaft integrieren, wollen und stattdessen einen Staat im Staat (Parallel- und Ge­ die Identitären ihr „Volk wieder bekehren – weg vom gengesellschaft) aufbauen. Als die FPÖ schließlich 2009 Gift des Liberalismus […].“50

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Beim rechtsintellektuellen „Zwischentag“ in Ber­ Intervention der Angloamerikaner ins Freiheitspara­ lin kam es 2012 dann zum Showdown zwischen dies von Demokratie und Grundgesetz gebombt wer­ rechtspopulistischen Islamfeinden und rechtsextre­ den musste.“ Insbesondere echauffiert sich Lichtmesz men Antiwestlern: Martin Lichtmesz, ein Vertreter letz­ über „Stürzenbergers krasse Blindheit gegenüber den terer, bestand darauf, „dass die Völker am ‚Liberalismus’ Destruktionen der im Westen herrschenden Ideologie, zugrunde gingen und nicht am Islam.“ Womit er in verbunden mit einer entsprechend überproportio­ den Augen Michael Stürzenbergers, einem Wortführer nalen Dämonisierung des Islams.“ Der identitäre Vor­ ersterer, „einen Blick“ frei gegeben hätte „auf eine völ­ denker weiter: „‚Am Liberalismus gehen die Völker zu­ kisch-ewiggestrige Weltanschauung, deren geistige grunde’, formulierte schon Moeller van den Bruck […]. Heimat man wohl eher auf dem Nürnberger Zeppelin­ Die ‚Islamisierung’ ist nur die Sekundärinfektion eines feld des vergangenen Jahrhunderts verorten würde.“ Systems, das seine eigenen Grundlagen aushöhlt und Umgekehrt nannte Lichtmesz Stürzenberger einen zerstört. Berauscht vom Luxus seiner utopischen Ziele „Prototyp[en] des naiven, affektiven Umerziehungs­ hat es vergessen, dass […] niemand für rein funktional deutschen, der zeigen will, dass er der Klassenbeste ist: ausgelegte, abstrakte ‚Werte’ […] kämpft und stirbt, wie er in der Schule gelernt hat, entstammt ja auch er und dass die Daueremanzipation transzendenzloser einem Barbarenvolk, das erst durch die humanistische Individuen nur geschichts- und gesichtslose Konsum­

Identitären-Chef unter Gleichgesinnten bei der „Trauerfeier“ am 8. Mai, dem „Tag der totalen Niederlage“ (Burschenschaft Olympia).

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amerikanoiden erzeugt. Und nicht anders ist es von versus Täter, Gemeinschaft versus Gesellschaft, Identi­ jenen gewünscht, die heute die Regierungen der Welt tät versus Nicht-Identität“60. Entsprechend der antise­ kontrollieren und vor sich hertreiben.“51 Solche Ver­ mitischen Figur des jenseits der nationalen Antagonis­ schwörungsmythen bleiben auch dann (strukturell) men stehenden Dritten und alle Identität auflösenden antisemitisch, wenn sie auf die Kennzeichnung des Nicht-Identischen61, wird Juden und den von diesen heimtückischen Feindes als jüdisch verzichten. angeblich dominierten USA unterstellt, alle Völker be­ Als „Popstar der Identitären“52 gilt der russische herrschen zu wollen. Ex-Faschist Alexander Dugin53, 2009 Gast beim Ball des Wiener Korporationsrings (WKR) in der Hofburg Fazit und zuletzt im Juni 2014 Teilnehmer an einem inter­ nationalen Obskurantentreffen im Andenken an den In der kritischen Auseinandersetzung mit aktu­ „Wiener Kongress“54. Dugins „vierte politische Theorie ellem Rechtsextremismus wären zuerst die Kontinu­ zur Überwindung des im Kampf um die Ideen feind- itäten zwischen altem und neuem Rassismus und – los gewordenen Liberalismus“ und dessen „visionäre bei aller grundlegenden Differenz – die Ähnlichkeiten Vorstellung […] eine[r] multipolare[n] Welt, in der die zwischen Antisemitismus und antimuslimischem Ras­ verschiedenen Daseinsformen der Zivilisationen, Kul­ sismus herauszuarbeiten. Denn auch wenn sich weite turkreise und Völker verschieden und dennoch gleich­ Teile der extremen Rechten Westeuropas heute als wertig ihre Lebensberechtigung haben“55, ist ganz frei von Antisemitismus darstellen und diesen statt­ nach dem Geschmack auch von (deutschen) Neonazis. dessen nur mehr bei den Moslems sehen wollen, sind Die identitäre Begeisterung für den zwischen Natio­ sie seinem grundlegenden dichotomischen oder du­ nalbolschewismus, Monarchismus und Faschismus hin alen Muster62 und seiner verschwörungsmythischen und her pendelnden Dugin und dessen „fanatischen Weltsicht weitgehend treu geblieben. Und so reihen Hass auf Amerika und den Westen und seine imperia­ sich auch die Identitären ein in die Traditionslinien listisch-kollektivistischen Wahnvorstellungen von einer des völkischen (antiliberalen) Antisemitismus, der eurasischen Front, die […] Demokratie und Freiheit ad sich gegenwärtig vor allem als kultureller Antiameri­ acta“56 lege, wird im neurechten Milieu jedoch man­ kanismus artikuliert. n cherorts kritisiert. In seiner Abwehr dieser Kritik denun­ ziert Alexander Markovics, Olympia-Burschenschafter und Führungskader der Wiener Identitären, den Autor Robin Classen als einen „transatlantisch denkende[n] Universalist[en]“57. Auf der Gegenseite verorten sich die Identitären mit ihrer Forderung nach einer „Befrei­ ung der unterjochten Völker von der herrschenden Ideologie des Liberalismus und dem kapitalistischen

Wirtschaftssystem“ und mit ihrer klaren Feindbestim­ 1 Im Zentrum rechtsextremer Weltanschauung steht das Denken und mung: „Das System, welches alle Identitäten zerstören Handeln in Völkern, in natürlichen oder organischen Gemeinschaf­ will, ist der von den USA angeführte politische Westen ten, die mit einer unveränderlichen (kulturellen) Eigenart (Identität) […]. Die USA sind der Feind Europas und aller Kul­ ausgestattet werden und dem Individuum als Träger von Rechten turen.“58 übergeordnet sind. Vgl. Willibald I. Holzer: Rechtsextremismus – Kon­ turen, Definitionsmerkmale und Erklärungsansätze. In: Stiftung Do­ Der Antiamerikanismus schreibt als „Zwillingsbru­ kumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Hand­ 59 der“ des Antisemitismus diesen fort. Beide sind be­ buch des österreichischen Rechtsextremismus (Wien 1993), S. 11-96, herrscht von den primären Gegensatzpaaren „Opfer hier S. 35-38.

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2 Hauke Brunkhorst: Der Intellektuelle im Land der Mandarine (Frank- schätzung oder Minderbewertung anderer Völker […]. Er führt damit furt/Main 1987), S. 13. zwangsläufig zu einer natürlichen Respektierung des Lebens und des 3 Margret Feit: Die „Neue Rechte“ in der Bundesrepublik. Organisation Wesens anderer Völker.“ (Die Rede des Führers Adolf Hitler am 30. Ja­ – Ideologie – Strategie (Frankfurt/Main/New York 1987), S. 83. nuar 1934 im Deutschen Reichstag [Leipzig 1934], S. 16.) 4 Holzer: Rechtsextremismus, S. 12. 21 Taguieff: Die ideologischen Metamorphosen des Rassismus, S. 239. 5 Vgl. Kathrin Glösel/Natascha Strobl/Julian Bruns: Die Identitären. 22 Holzer: Rechtsextremismus, S. 40. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa (Müns­ 23 Karin Priester: Fließende Grenzen zwischen Rechtsextremismus und ter 2014). Rechtspopulismus in Europa? http://www.bpb.de/apuz/32423/ 6 Jürgen Hatzenbichler: Korporation, Tradition und Neue Rechte. In: fliessende-grenzen-zwischen-rechtsextremismus-und-rechtspopu­ Andreas Mölzer (Hg.): Pro Patria. Das deutsche Korporations-Studen­ lismus-in-europa?p=all (Zugriff am 28.11.2014). tentum – Randgruppe oder Elite? (Graz 1994), S. 251-284, hier S. 262f. 24 Der positive Bezug auf das Christentum ist kein religiöser oder theo­ Zu den Burschenschaften, ihrer Weltanschauung und Relevanz in Ös­ logischer, sondern bloß ein kultureller (und daher missbräuchlicher). terreich nach 1945 vgl. Bernhard Weidinger: „Im nationalen Abwehr­ Die Freiheitlichen tragen dieser Tatsache insofern Rechnung, als kampf der Grenzlanddeutschen“. Akademische Burschenschaften in sie sich in ihrem neuen Parteiprogramm nur mehr auf ein „Kultur- Österreich nach 1945 (Wien 2015). Christentum“ beziehen. Vgl. Parteiprogramm der Freiheitlichen Partei 7 Peter Maier-Bergfeld: Deutschland und Österreich. Über das Hissen Österreichs, http://www.fpoe.at/dafuer-stehen-wir/partei-programm der schwarz-rot-goldenen Flagge in Wien. In: Heim Schwilk/Ulrich (Zugriff am 28.11.2014). Schacht (Hg.): Die selbstbewußte Nation. „Anschwellender Bockge­ 25 Vgl. Deutschlandstiftung Integration (Hg.): Sarrazin. Eine deutsche sang“ und weitere Beiträge zu einer deutschen Debatte. 3., erw. Aufl. Debatte (München 2010). Klaus J. Bade: Kritik und Gewalt. Sarrazin- (Frankfurt/Main/Berlin 1995), S. 195-226, hier S. 214f. Debatte, „Islamkritik“ und Terror in der Einwanderungsgesellschaft 8 Ebd., S. 211. (Schwalbach/Taunus 2013). Sebastian Friedrich (Hg.): Rassismus in 9 Vgl. Heribert Schiedel: Der rechte Rand. Extremistische Gesinnungen der Leistungsgesellschaft. Analysen und kritische Perspektiven zu in unserer Gesellschaft (Wien 2007), S. 15f. den rassistischen Normalisierungsprozessen der „Sarrazindebatte“ 10 Thomas Assheuer/Hans Sarkowicz: Rechtsradikale in Deutschland. (Münster 2011). Naika Foroutan (Hg.): Sarrazins Thesen auf dem Die alte und die neue Rechte (München 221992), S. 168. Prüfstand. Ein empirischer Gegenentwurf zu Thilo Sarrazins Thesen 11 Zit. n. Wolfgang Purtscheller: Aufbruch der Völkischen. Das braune zu Muslimen in Deutschland, http://www.heymat.hu-berlin.de/sar­ Netzwerk (Wien 1993), S. 116. razin2010 (Zugriff am 28.11.2014). 12 Theodor W. Adorno: Schuld und Abwehr. Eine qualitative Analyse 26 Vgl. Heribert Schiedel: Extreme Rechte in Europa (Wien 2011), S. 34-41. zum Gruppenexperiment. In: Ders.: Soziologische Schriften II.2 27 „Neonazis über Winter-Provokationen“, http://www.doew.at/erken­ (Frankfurt/Main 1975), S. 121-324, hier S. 276f. nen/rechtsextremismus/neues-von-ganz-rechts/archiv/jaenner-2008/ 13 Etienne Balibar: Gibt es einen „Neo-Rassismus“? In: Ders./Immanuel neonazis-ueber-winter-provokationen (Zugriff am 28.11.2014). Wallerstein: Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten (Ham­ 28 Die Aula 2/2008, S. 6. burg/Berlin), S. 23-38, hier S. 28. 29 Ruth O. Mosser: „Abendland in Christenhand“. Zur antimuslimischen 14 Ebd. Wahlkampf-Rhetorik der FPÖ unter Heinz-Christian Strache. In: Wolf­ 15 Pierre-André Taguieff: Die Macht des Vorurteils. Der Rassismus und gang Benz (Hg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung 19 (Berlin sein Double (Hamburg 2010), S. 21. 2010), S. 297-318, hier S. 297. 16 Holzer: Rechtsextremismus, S. 40. 30 „Niemals deutsches Land in Moslem-Hand!“, http://npd-sachsen.de/ 17 Vgl. Pierre-André Taguieff: Die ideologischen Metamorphosen des niemals-deutsches-land-in-moslem-hand (Zugriff am 28.11.2014). Rassismus und die Krise des Antirassismus. In: Uli Bielefeld (Hg.): Das 31 Filip Dewinter: Inch’Allah? Die Islamisierung Europas (Graz 2011), Eigene und das Fremde. Neuer Rassismus in der alten Welt? (Ham­ S. 106f. burg 1991), S. 221-268. 32 Ebd., S. 108. 18 Detlev Claussen: Globale Gleichzeitigkeit – Gesellschaftliche Diffe­ 33 Helge Morgengrauen: Moderne Leminge. Droht den Europäern das renz. In: Ders./Oskar Negt/Michael Werz (Hg.): Veränderte Weltbilder. Schicksal der Indianer? In: Zur Zeit 10–11/2011, S. 17. Hannoversche Schriften 6 (Frankfurt/Main 2005), S. 9-29, hier S. 16. 34 So die Amstettener FPÖ-Politikerin Brigitte Kashofer, zit. nach http:// 19 Zur von rechten wie linken KulturrelativistInnen unbegriffenen Dia­ derstandard.at/1304552850373/Geschichtsbild-Amstettens-rechte- lektik von Universalismus und Partikularismus vgl. Etienne Balibar: Regungen (Zugriff am 28.11.2014). Der Rassismus: auch noch ein Universalismus. In: Bielefeld (Hg.): Das 35 „Mölzer: ‚Blue Card’ bedeutet Aufgabe der historisch gewachsenen Völ­ Eigene und das Fremde, S. 175-188. ker Europas!“, http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20081118_ 20 So auch Hitler: „Der nationalsozialistische Rassegedanke und die OTS0096/moelzer-blue-card-bedeutet-aufgabe-der-historisch-ge­ ihm zugrunde liegende Rassenerkenntnis führt nicht zu einer Gering­ wachsenen-voelker-europas (Zugriff am 28.11.2014).

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36 Zit. n. „ÖLM-/WKR-Sonnwendfeier am Cobenzl“, http://www.doew.at/ 45 Dewinter: Inch’Allah, S. 43f. erkennen/rechtsextremismus/neues-von-ganz-rechts/archiv/juni­ 46 „Unser Weg führt nach Europa“, http://iboesterreich.at/landpage/ 2007/oelm-wkr-sonnwendfeier-am-cobenzl (Zugriff am 28.11.2014). ?page_id=521 (Zugriff am 28.11.2014). 37 Vgl. Andreas Peham: Feindbild und Welterklärung. Zur aktuellen 47 „100% Identität – 0% Rassismus“, http://iboesterreich.at/landpage/ Relevanz des Antisemitismus. In: Dokumentationsarchiv des österrei­ ?page_id=505 (Zugriff am 28.11.2014). chischen Widerstandes (Hg.): Forschungen zum Nationalsozialismus 48 „Unser Weg ist demokratisch“, http://iboesterreich.at/landpage/ und dessen Nachwirkungen in Österreich. Festschrift für Brigitte Bai­ ?page_id=529 (Zugriff am 28.11.2014). ler (Wien 2012), S. 353-368. 49 Patrik Lenart: Identitäre vs. liberale Islamkritiker, http://www.iden­ 38 Detlev Claussen: Grenzen der Aufklärung. Die gesellschaftliche Gene­ titaere-generation.info/identitare-vs-liberale-islamkritiker (Zugriff se des modernen Antisemitismus (Frankfurt/Main 1994), S. 45. am 28.11.2014). 39 Ders.: Die antisemitische Alltagsreligion. Hinweise für eine psychoa­ 50 „Wider die liberale Islamkritik“, http://www.identitaere-generation. nalytisch aufgeklärte Gesellschaftskritik. In: Werner Bohleber/John S. info/wider-die-liberale-islamkritik (Zugriff am 28.11.2014). Kafka (Hg.): Antisemitismus (Bielefeld 1992), S. 163-170. 51 „Wie schräg tickt Martin Lichtmesz?“, http://www.pi-news.net/2012 40 Das Parteiprogramm der Freiheitlichen Partei Österreichs. Mit Be­ /10/wie-schrag-tickt-martin-lichtmesz (Zugriff am 28.11.2014). rücksichtigung der beschlossenen Änderungen vom 27. Ordentlichen 52 Robin Classen: Die Moskau-Connection, http://www.blauenarzisse. Bundesparteitag der FPÖ am 23. April 2005 in Salzburg, http://www. de/index.php/anstoss/item/4408-die-moskau-connection (Zugriff fpoe-parlamentsklub.at/fileadmin/Contentpool/Parlament/PDF/ am 28.11.2014). FP_Parteiprogramm_Neu.pdf (Zugriff am 28.11.2014). 53 Vgl. Alexander Umland: Faschismus à la Dugin. In: Blätter für deut­ 41 „Mölzer: EU muss sich in Davos Verbündete für Neuordnung des sche und internationale Politik 12/2007, S. 1432-1435, http://www. internationalen Finanzsystems suchen“, http://www.ots.at/pres­ blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2007/dezember/faschismus-a-la­ seaussendung/OTS_20090129_OTS0145/moelzer-eu-muss-sich-in­ dugin (Zugriff am 28.11.2014). davos-verbuendete-fuer-neuordnung-des-internationalen-finanzsy­ 54 Vgl. Bernhard Odenahl: Gipfeltreffen mit Putins fünfter Kolonne, stems-suchen. „Mölzer: USA dürfen sich bei Weltfinanzgipfel nicht aus http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/Gipfeltreffen-mit­ der Verantwortung stehlen!“ http://www.ots.at/presseaussendung/ Putins-fuenfter-Kolonne/story/30542701 (Zugriff am 28.11.2014). OTS_20081114_OTS0125/moelzer-usa-duerfen-sich-bei-weltfinanz­ 55 Martin Friedrich: Stockholm ruft. JN-Delegation bei der Konferenz gipfel-nicht-aus-der-verantwortung-stehlen. „Mölzer: Europäische „Identitarian Ideas“ in Schweden, http://www.jn-buvo.de/index. Steuerzahler dürfen nicht für die Sünden der internationalen Hochfi­ php/deutschland/38-aktuelles/1864-stockholm-ruft (Zugriff am nanz büßen“, http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20081021_ 7.8.2012). OTS0086/moelzer-europaeische-steuerzahler-duerfen-nicht-fuer­ 56 Classen: Die Moskau-Connection. suenden-der-internationalen-hochfinanz-buessen (alle Zugriff am 57 Alexander Markovics: Multipolare Strategie statt unipolares De­ 28.11.2014). bakel – eine Replik auf Robin Classens „Die Moskau Connection“, 42 Vgl. Andreas Peham: Die zwei Seiten des Gemeinschaftsdünkels. http://www.identitaere-generation.info/multipolare-strategie-statt­ Zum antisemitischen Gehalt freiheitlicher Identitätspolitik im Wan­ unipolares-debakel-eine-replik-auf-robin-classens-die-moskau­ del. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 4/2010, S. connection (Zugriff am 28.11.2014). 467-481, http://www.oezp.at/pdfs/2010-4-6-Peham.pdf (Zugriff am 58 Ebd. 28.11.2014). 59 Andre S. Markovits: Amerika, dich haßt sich’s besser. Antiamerikanis­ 43 Jean-Paul Sartre: Betrachtungen zur Judenfrage. In: Ders.: Drei mus und Antisemitismus in Westeuropa (Hamburg 2004), S. 173. Essays (Frankfurt/Main 1975), S. 108-190, hier S. 187. 60 Klaus Holz: Nationaler Antisemitismus. Wissenssoziologie einer Welt­ 44 Das Bekenntnis zur deutschen Volksgemeinschaft, einem integralen anschauung (Hamburg 2001), S. 24. Bestandteil des Rechtsextremismus, stellt heute wieder einen der 61 Ebd., S. 542f. „Grundsätze freiheitlicher Politik“ dar. Vgl. Freiheitliche Partei Ös­ 62 Vgl. Christard Hoffmann: Nationalismus und Ausgrenzung der Juden. terreichs: Handbuch freiheitlicher Politik, http://www.fpoe.at/file­ Kontinuitätslinien des Antisemitismus in Deutschland. In: Günter admin/Content/portal/PDFs/2009/Handbuch_FPOE_webok.pdf. Im Morsch/Susanne Nieden (Hg.): Jüdische Häftlinge im Konzentrati­ neuen Parteiprogramm wird die „überwiegende Mehrheit der Ös­ onslager Sachsenhausen 1936 bis 1945 (Berlin 2004), S. 41-63. terreicher“ der „deutschen Volks-, Sprach- und Kulturgemeinschaft“ zugeschlagen: Parteiprogramm der Freiheitlichen Partei Österreichs, http://www.fpoe.at/dafuer-stehen-wir/partei-programm (beide Zu­ griff am 28.11.2014).

40 Jahrbuch 2014 FORSCHUNG 01

Nina Aichberger

BesucherInnen-Graffiti und Gedenkorte Eine Annäherung an die Inschriften der KZ-Gedenkstätte Mauthausen

Durchgestrichenes Hakenkreuz – Wäschereikeller (sämtliche Fotos dieses Beitrags, wenn nicht anders ausgewiesen, von Nina Aichberger).

er vorliegende Beitrag beruht auf Forschungen schließlich analysiert. Der folgende Text soll nun – nach D zu meiner Bachelorarbeit am Institut für Europä­ der nochmaligen Beschmierung der Außenmauer der ische Ethnologie an der Universität Wien. Im Rahmen Gedenkstätte – an einen Teil meiner damaligen Über­ dieser Arbeit wurden im Frühjahr und Sommer 2012 legungen anknüpfen. Er besteht aus fünf Abschnitten: Inschriften von BesucherInnen der KZ-Gedenkstätte auf eine thematische Einleitung und die Herleitung Mauthausen betrachtet, in die kulturwissenschaft­ des Begriffs und Phänomens Graffito in Verbindung liche Graffitiforschung eingeordnet, kategorisiert und mit den Inschriften am Memorial folgt eine Katego­

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und Phrasen enthält. An den Wänden der historischen Räumlichkeiten findet man so manche Hinterlassen­ schaften von BesucherInnen, die – teilweise entfernt – stehengelassen oder vielleicht auch einfach überse­ hen werden. Man kann davon ausgehen, dass manche Jahrzehnte alt sind und die Gedenkstätte seit ihrer Er­ öffnung bis in die Gegenwart immer schon begleitet haben. Am Memorial selbst scheint es keine klaren Regelungen zu geben, wie damit verfahren werden sollte, was damit zu tun haben kann, dass es für alle Beteiligten doch ein schwieriges Thema ist.

Begriffsklärung und Verortung an der KZ-Gedenkstätte

Das Phänomen Graffiti wird im trivialen Sprachge­ brauch als eine Form der Wandbeschriftung verstan­ den. Meist verbindet man damit „american graffiti“4 oder „Subwaygraffiti“5, bunte, künstlerische, häufig Pinnwand im Berliner Anne Frank Zentrum (Fotos: Florian Gradnitzer, großflächig gesprayte Schriftzüge, die man vor allem Anne Frank Zentrum). in urbanen Lebensräumen findet.6 In der Umgangssprache benutzt man das Wort „Graffiti“ als Singular, bei einer Mehrzahl verwendet man die Bezeichnung „Graffitis“. Im kulturwissenschaft­ lichen Bereich spricht man hingegen von einem „Graf­ risierung der vorgefundenen Graffiti und ein Versuch fito“ (Singular) und mehreren „Graffiti“ (Plural). Diese der Annäherung an ihre VerfasserInnen. Schlussend­ Begriffe leiten sich ursprünglich vom griechischen lich soll vorgeschlagen werden, eine andere Perspek­ Wort „graphein“ (schreiben) oder von den italienischen tive auf das Problem einzunehmen: Die Nutzung der Wörtern „graffiare“ (kratzen) und „sgraffiere“ (einritzen) Graffiti als Spiegelbild der Gedankenwelt der Besuche­ ab, welche man früher synonym für eine in Deutsch­ rInnen. Der letzte Abschnitt fasst alle Ergebnisse und land und der Toskana angewandte Kratzputztechnik an Überlegungen zusammen. Fassaden von Häusern verwendet hatte.7 An der KZ-Gedenkstätte Mauthausen wurde im Mai Den Begriff Graffito zu beschreiben oder einzugren­ dieses Jahres nun zum dritten Mal eine großflächige zen ist schwierig, man kann ihn aber umgekehrt vor rassistische Inschrift angebracht. Unbekannte hatten allem als Abgrenzungsbegriff definieren. Was Graffiti „Türkenrass ab ins Gas“1, „Sieg heil“2 und ein Haken­ zum Beispiel von offiziellen Anbringungen – etwa in kreuz auf eine Fläche von zwei mal zwanzig Metern auf Form der Gedenktafeln an Verstorbene im Bereich des die Außenmauer geschmiert.3 ehemaligen Krematoriums in der KZ-Gedenkstätte Doch war und ist dies nicht das einzige Graffito am Mauthausen – unterscheidet, ist, dass sie im Normal­ Gemäuer des Memorials, welches neonazistische bzw. fall nicht durch einen offiziellen oder privaten Auftrag generell nationalistische und rassistische Symbole entstanden sind.8 Es handelt sich außerdem um ein

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Abgedeckte Beschmierung an der Außenmauer, Mai 2014.

„unzensurierbare[s] Medium“9, um „anonyme Inschrif­ Wand weiß, in den Desinfektionsräumlichkeiten grau. ten, Zeichen und Bilder, die mit zeitgenössischen Hilfs­ Der untere Bereich des Gemäuers wurde in der Dusche mitteln im öffentlichen und halböffentlichen Raum gelb, im Vorraum und in den restlichen Bereichen dun­ angebracht werden. Sie kommen in den unterschied­ kelgrün gestrichen. Das Arrestgebäude besteht aus lichsten Formen und Mischformen von Zeichen, Text einem Vorraum, drei für BesucherInnen begehbaren, und Bildern vor.“10 teils sehr verwinkelten und gelb ausgemalten Räumen Man findet Graffiti in fast jedem historischen Gebäu­ und zwei gegenwärtig durch Gitterstäbe den Besu­ de der Gedenkstätte, vorausgesetzt, dieses ist oder war cherInnen verschlossenen Trakten mit Gefängniszellen BesucherInnen zugänglich, ausgenommen die Toilet­ auf beiden Seiten. Im letzten und größten Zimmer ist ten. Besonders „betroffen“ sind der Keller der Wäsche­ die höchste Anzahl von Graffiti zu finden. Beide Räum­ rei und das Arrestgebäude. Ersterer besteht aus vier lichkeiten sind während der Öffnungszeiten für alle Räumlichkeiten – einem Vorraum, dem ehemaligen BesucherInnen begehbar, der Wäschereikeller ist meist Duschraum und zwei Räumen, die durch ein Desinfek­ ein Bestandteil der Rundgänge der VermittlerInnen, tionsgerät verbunden sind. Es ist ein dunkler feuchter das Arrestgebäude nicht. Bei diesem kann man davon Keller mit hohen Wänden und einzelnen eckigen Säu­ ausgehen, dass es vermehrt individuell, das heißt von len. Im Vor- und im Duschraum ist die obere Hälfte der EinzelbesucherInnen aufgesucht wird, jedoch ist es

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„Das Volk Israel lebt!!“ – Wäschereikeller. Mit Lippenstift aufgemaltes Herz – Arrestgebäude.

auch für die TeilnehmerInnen eines Rundgangs mög­ den sich auch längere Passagen, sogar ganze Gedichte, lich, davor, danach oder während der Besichtigung der in schöner Schrift. Dass beispielsweise in den Pietäts­ Exekutionsstätten dort zu graffitieren. Denn während bereichen weniger Graffiti zu finden sind, kann damit der Begehung passiert man den Hinterhof, in welchem zusammenhängen, dass vielleicht von den Graffitie­ sich der Eingang zum Arrestgebäude befindet. Aus renden diese als historisch zu aufgeladen wahrgenom­ diesem Grund ist es daher nicht möglich festzustellen, men werden, oder dass man hier teilweise Inschriften in welchem Kontext die Anbringungen passieren. Ein entfernt. Der Kontext der VerfasserInnen bleibt uns ver­ größerer Teil der BesucherInnen sind SchülerInnen, schlossen, doch können wir ihre Hinterlassenschaften doch stehen diese mehr unter Aufsicht als Einzelbesu­ in Kategorien einteilen und so versuchen, uns ihnen cherInnen, obwohl sich auch in diesen Fällen Möglich­ anzunähern. keiten bieten, ein Graffito zu hinterlassen – man findet auch Verweise auf Schulklassen am Gemäuer. BesucherInnen-Graffiti-Kategorien Die beiden stark betroffenen Räume eignen sich jedenfalls gut dafür: Sie sind verwinkelt und von au­ Um die Graffiti unterscheiden und analysieren zu ßen nicht einsehbar, was für die Schreibenden eine ge­ können, ist es notwendig, sie in verschiedene Kate­ wisse Sicherheit suggerieren mag, nicht „erwischt“ zu gorien und Untergruppierungen einzuteilen. So muss werden. So ist der am meisten betroffene Raum im Ge­ zuallererst zwischen Form und Inhalt differenziert wer­ fängnis auch am wenigsten einsehbar. In diesem fin­ den.11

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Wand übersät mit Inschriften in den Desinfektionsräumlichkeiten – „FUCK HITLER“, durchgestrichen – Gefängnis/Arrestgebäude. Wäschereikeller.

Man kann zwischen aufgemalten, geritzten, ge­ T-Shirt-Aufdrucke oder auch Dinge, die auf die Stirn klebten und mobilen Hinterlassenschaften unterschei­ geschrieben werden, etwa von Fußballfans.12 In der den. Bei aufgemalten Graffiti konnten Werkzeuge wie Gedenkstätte hinterlassen BesucherInnen ihre Inschrif­ Bleistift, Kugelschreiber, Filzstift, Lackstift und Kosmeti­ ten nicht nur am Gemäuer, sondern auch auf Steinen, ka identifiziert werden. Zetteln, Kerzen oder auch Flaggen, die sie beispiels­ Im Keller der Wäscherei sind hauptsächlich Ritz- weise im Krematorium positionieren. Graffiti und im Arrestgebäude gemalte Inschriften zu Der Inhalt der Hinterlassenschaften ist breit ge­ finden, was aller Wahrscheinlichkeit nach mit der Be­ fächert. Zur Analyse wurden diese in drei Kategorien schaffenheit der Wände zu tun hat. Der Großteil wurde eingeteilt: Symbol-Graffiti, Wort-Graffiti und dekorative dort mit Filz- oder Lackstift angebracht, jedoch waren Graffiti. auch Kugelschreiber und Kosmetika wie Lippenstift Für die erste Gruppe wurde die Bezeichnung und Kajal zu finden. Im Arrestgebäude wurde außer­ Symbol-Graffiti geschaffen. Es handelt sich um poli­ dem ein Acryl-Sticker hinterlassen. tische, religiöse oder sonstige Zeichen. Unter den po­ Eine spezielle Kategorie sind die mobilen Graffiti, litischen Symbolen finden sich vermehrt Hammer und zu denen auch mancher Sticker zählt. Diese werden Sichel, das eingekreiste „A“ als Anarchismus-Symbol, nicht direkt auf Wände aufgetragen, sondern auf Ge­ nazistische Symbole wie zum Beispiel Hakenkreuze, genstände, die man vor Ort platziert. In der Graffitifor­ außerdem Peace-Zeichen oder das oft so genannte schung zählen dazu außerdem Protesttransparente, „serbische Kreuz“, das wohl am häufigsten auftaucht.

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Beschädigte Gedenktafel in der Gaskammer. „Perché alcune volte il silenzio vale di 1000 parole“ (Italienisch – „Weil die Stille manchmal mehr wert ist als 1000 Worte“) – Arrestgebäude.

Religiös oder auch politisch könnte man die vielen matland oder ihren Wohnsitz unter dem Graffito ver­ Davidsterne nennen, die sich fast in jedem Gebäude merken. Die dritthäufigste Sprache, die man an den befinden. Weitere religiöse Malereien oder Ritzereien Wänden findet, ist Italienisch. sind Kreuze. Ansonsten sind viele Herzen und einzelne Der Volkskundler und Graffitiforscher Thomas Fragezeichen zu finden. Northoff beschreibt Wort-Graffiti als „Ausdruck sozi­ Wort-Graffiti bilden die größte Gruppe der Inschrif­ okulturellen Lebens.“15 Sie „sind Artefakte einer kom­ ten in der Gedenkstätte. Sie werden wiederum einge­ munikativen Praktik, nämlich des Schreibens.“16 „Wer teilt in Gedenk-Graffiti, „Nie-Wieder“-Graffiti, Hass-Graf­ WortGraffiti schreibt, schreibt für die Öffentlichkeit und fiti, politische Graffiti, „Warum“-Graffiti und „Tags“13 wie erhofft sich Mitgestaltung der öffentlichen Meinung.“17 einzelne Namen, auch ausführlichere „Ich-war-hier“­ Gedenk-Graffiti findet man nahezu überall. Graffiti14 und sonstige, nicht unmittelbar nachvollzieh­ Manchmal wurden das einfache Kürzel „R.I.P“ (Latein bare Inschriften. Sie existieren in den unterschiedlichs­ – „Requiescat in pace“ bzw. Englisch – „Rest in Peace“), ten Sprachen: Deutsch, Hebräisch, Spanisch, Arabisch, manchmal auch zusätzlich Namen hinterlassen mit Niederländisch, Englisch, etc. Die Mehrzahl der In­ vermeintlichen Geburts-, Einlieferungs- oder Ster­ schriften wurde in Deutsch und Englisch verfasst, oft bedaten von Häftlingen oder mit dem Befreiungs­ auch von Menschen aus Ländern, die eigentlich eine datum des Konzentrationslagers Mauthausen, aber andere Muttersprache haben, was daran erkenntlich auch ausführlichere emotionale Sätze, wie „PER NON ist, dass einige VerfasserInnen ihr vermeintliches Hei­ DIMENTICARE MAI L’ORRORE CHE COLORO HANNO

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Wand mit Graffiti – Arrestgebäude. Durchgestrichenes Hakenkreuz – Pietätsräumlichkeiten.

VISSUTO“ (Italienisch – „Damit der Schrecken, den sie schrieben. Sonstige politische Graffiti beschäftigen erlebt haben, niemals vergessen wird“) oder „In Ge­ sich unter anderem mit Geschehnissen und Debatten -am Israel chai!“ (He„ – “ לארשיח םע !„ denken an alle die hier Leiden [sic] mussten.“ Einige weltweit, wie ein BesucherInnen hinterließen einen schlichten Appell bräisch – „Das Volk Israel lebt!“) an einer der Säulen im wie „NEVER AGAIN!“ (Englisch – „Nie wieder!“) oder Wäschereikeller bekräftigt. Sätze wie „Sempre la pace, basta soffrire!“ (Italienisch Am häufigsten jedoch wurden „Tags“ gesichtet. – „Immer Frieden, es wurde genug gelitten!“). Der Be­ Manche VerfasserInnen scheinen schlicht mit ihrem griff Hass-Graffiti wurde für Inschriften geschaffen, Namen an der Wand unterschrieben zu haben, eini­ die eindeutig hasserfüllt beispielsweise entweder auf ge führten ihre Schule oder Klasse und Kontaktdaten ­nekama!“ – (Hebräisch – „Rache!“) appellie- an. Andere fügten ein schlichtes „Ich/wir-war/en„ – “המקנ !„ ren oder Beschimpfungen wie die Folgende enthal­ hier“ oder etwas Bedeutungsähnliches hinzu, wie die ten: „Solo un popolo di bastardi“ (Italienisch – „Nur ein „Crew von MGF“, die „checkte das KZ“ am 13. März 2003 Volk von Schweinen“). schrieb. Durch das Anbringen der Inschriften mit sol­ Bei Graffiti mit politischen Aussagen macht es chen Inhalten „wird generell die Möglichkeit genutzt, Sinn, sie in antifaschistische und faschistische In­ die eigene Identität vor der Gesellschaft auszubrei­ schriften einzuordnen, denn neben antifaschisti­ ten“18, so der Graffitiforscher Jakob F. Dittmar. schen Sätzen wie „Scheiß Nazis!“ findet man ebenfalls Ein weiteres, häufig gesehenes Wort-Graffito ist je­ ein „Heil Hitler“ an einer Wand im Arrestgebäude ge­ nes, das nach dem „Warum“ fragt. In unterschiedlichs­

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Durchgestrichenes Hakenkreuz – Wäschereikeller. Durchgestrichenes Hakenkreuz und Symbol für Anarchismus – Wäschereikeller.

ten Sprachen, vor allem Deutsch, Italienisch und Eng­ So kann man von Kommunikation untereinander lisch findet man es samt Fragezeichen groß oder klein sprechen, die zeitlich versetzt passiert. Eine relativ häu­ geschrieben, auch länger ausformuliert, an die Wand fige Veränderung durch andere AutorInnen bemerkt gemalt oder geritzt. man bei Hakenkreuzen oder politischen Parolen, be­ Manche Wort-Graffiti kann man keiner der eben sonders bei politischen Graffiti mit nazistischem bzw. angeführten Kategorien zuordnen. Es sind einzelne faschistischem Inhalt. Statements oder Symbole, wel­ oder mehrere Worte, die nicht mit der Gedenkstätte in che die NS-Zeit verherrlichen, werden nicht selten von Verbindung gebracht werden können. Bei der letzten anderen BesucherInnen durchgestrichen oder kom­ Kategorie handelt es sich um dekorative Graffiti, kleine mentiert. Zeichnungen, die an die Wand gemalt wurden, aber Beispielsweise findet man am Gemäuer des Dusch­ auf keine bestimmt Aussage hindeuten. raums Hakenkreuze, über die mit Kugelschreiber drei Nun ist es jedoch nicht so, dass jedes Graffito einzeln, Vornamen und ein Nachname sowie eine Jahreszahl unberührt von anderen einen Platz an der Wand findet. geschrieben wurde „ILSE TAUBI CHAVI, LEFKOVITZ An manchen Orten, wie zum Beispiel in den Desinfekti­ 1945“. Hier könnte man interpretieren, dass Angehöri­ onsräumen, ist es gar nicht mehr möglich, eine Inschrift ge bzw. Bekannte von InsassInnen oder Überlebende zu hinterlassen, die nicht eine andere verdecken oder in selbst deren Namen über die nazistischen Symbole diese hineinragen würde. Andere werden gezielt über­ notiert hatten. Im Arrestgebäude hatten umgekehrt malt, abgekratzt, kommentiert oder ergänzt. BesucherInnen „FUCK HITLER“ an die Wand gemalt,

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Durchgestrichenes Hakenkreuz – Arrestgebäude. Übermaltes Hakenkreuz.

und jemand anders entschied sich dafür, dies durch­ oder der Verfasserin und der Situation nicht ermittelt zustreichen. werden kann, ist ein genaues objektives Eruieren ihrer Am selben Ort befindet sich ein Graffito, das „STOPT Botschaft nahezu unmöglich. DEN KRIEG GEGEN KURDEN IN DER TÜRKEI!“ lautet. Zu Beginn meiner Forschungen war das Wort „Türkei“ Die VerfasserInnen bereits nahezu weggekratzt, gegen Ende der Analyse, als noch einmal die Graffiti per Kamera dokumentiert Dennoch stellt sich die Frage, warum Besuche­ wurden, hatte jemand den Begriff noch stärker un­ rInnen der Gedenkstätte Inschriften an den Wänden kenntlich gemacht, ebenso das Wort „Kurden“. der historischen Gebäude hinterlassen. Nach einer Die Graffiti stehen in Verbindung zueinander, aber Antwort kann unter Rückgriff auf die Fachliteratur zu­ auch zu Gedenk- und Infotafeln. So hatte man von ei­ mindest gesucht werden. ner Gedenktafel in der Gaskammer beispielsweise ein „Graffitieren ist eine geschwinde Verrichtung, die Foto abgekratzt und auf die entstandene freie Fläche geht ssst – wie eine Notdurft.“19 Der Graffitiforscher ein Hakenkreuz eingeritzt. Klaus D. Appun vergleicht das Bedürfnis, sich im öf­ Man kann bei den oben angeführten Kategorien fentlichen Raum zu verewigen, mit dem Bedürfnis, nicht auf den Produzenten oder die Produzentin rück­ sein „Geschäfterl zu verrichten“20, die Notdurft zu ver­ schließen. Die Einteilung erfolgt nach dem ablesbaren richten und das vorzugsweise dort, wo sich schon je­ Inhalt. Nachdem der soziale Kontext des Verfassers mand anderer verewigt hat, an einem „Genius loci“.21

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Hakenkreuz – Arrestgebäude. „Hope“ und Gedicht – Arrestgebäude.

Der Mensch verinnerlicht den Drang, „sich durch bestimmt mit einer Überforderung durch den Ort inschriftliche Botschaft mitzuteilen oder einfach zu zusammen. Thomas Northoff ist der Meinung, Graf­ verewigen“22 insbesondere, wenn es gut sichtbar für fiti tauchen besonders in „krisenhaften Situationen andere Mitglieder der Gesellschaft ist. Dieses Motiv auf“25, zu welchen es bei einer Begehung einer Ge­ dient ebenfalls als ein „Zeichen einer Art weiter leben­ denkstätte kommen kann. „Sprayen und Kritzeln sind der Abwesenheit“23, einer Verewigung, die auch in der nie Aktionen, sondern immer Reaktionen“26 – und Gedenkstätte praktiziert wird. Diese gilt neben einem damit vielleicht auch Reaktionen auf die historischen traumatischen Ort auch als Lernort, als öffentlicher Ort Verbrechen, die in jenen Räumlichkeiten des ehe­ – inklusive denkmalgeschützter Gebäude –, den viele maligen Konzentrationslagers stattgefunden haben? Schulklassen besuchen. So könnte hier das Bedürfnis, Diese können einen traumatischen Ort produzieren. sich der Disziplin zu entziehen, eine Rolle spielen, oder Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen kann man – je aber auch „ein Widerstand gegen die Verregelung der nach Perspektive – sowohl als Gedenk- bzw. Erinne­ Umwelt“24. Das „Ich-war-hier“ könnte somit aus dem rungsort, als auch als traumatischen Ort bezeichnen, Bedürfnis des Verewigens, des Heraustretens aus der hält man sich an die von der Kulturwissenschaftlerin Anonymität, oder aber auch aus dem Verlangen des Aleida Assmann definierten Unterscheidungen. An Brechens der Regeln entstehen. Gedenkorten wurde demnach entweder Tugend­ Ein weiterer Grund für das Hinterlassen von Graf­ haftes geleistet, oder beispielhaft gelitten, denn Tod fiti an der Gedenkstätte Mauthausen hängt sehr und Verfolgung sind im nationalen und geschicht­

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Mobiles Graffito „José“ – Krematorium/Gedenkraum. „Perché?“ (Italienisch – „Warum?“) – Wäschereikeller.

lichen Gedächtnis von hohem Wert. Traumatische betrachtet werden, für Holocaust-LeugnerInnen als Orte erlauben keine positive Wertung des Leidens. ein künstlicher Ort des Betrugs. Im Gegensatz zum Erinnerungsort kann man die Ge­ Einige BesucherInnen gelangen durch das Memori­ schichte des Traumatischen nicht wiedergeben, nicht al in traumatische Situationen, in denen sie wohl den aussprechen – und zwar deshalb, weil Tabus und Drang verspüren, ihren Gefühlen Ausdruck zu verlei­ psychischer Druck dies verhindern. Er fixiert die histo­ hen, das für sie Unerzählbare, das Unaussprechliche rischen Ereignisse und lässt somit die Vergangenheit an die Wand zu bannen.28 Dies könnte auf die vielen nicht vorübergehen.27 „Warum“-Graffiti zutreffen oder aber auch auf Gedenk- Für die Mehrheit der Besuchenden wird wohl zu­ Graffiti. An den Gemäuern der Gedenkstätte werden treffen, dass das ehemalige Konzentrationslager jener weiter schriftliche Konflikte ausgetragen, welche mit traumatische Ort ist. Blickt man jedoch in den soge­ gegenwärtigen politischen Handlungen in Verbindung nannten Denkmalhain, so kann man vor allem bei stehen. So spiegelt die Wand das weltweite politische den Denkmälern einen Gedenkort erkennen, denn Geschehen der Gegenwart wider, wie den Konflikt zwi­ viele der Monumente zeugen vom Sieg über den Tod, schen Türken und Kurden. Auch der hebräische Ruf dem Sieg gegen den Nationalsozialismus. Das Leiden nach Rache könnte einerseits von emotionaler Über­ sollte nicht umsonst gewesen sein. Für Menschen mit wältigung zeugen, andererseits aber auch politischer nationalsozialistischem Gedankengut könnte ande­ Natur sein, beispielsweise von den Krisen in und rund rerseits die Gedenkstätte als ein Ort des Triumphes um Israel zeugen.

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„Rache!“ (Hebräisch) – Duschraum/Wäschereikeller. „RIP HANS FRANK †1942“ – Pietätsräumlichkeiten.

Dennoch wurde fast nie ein/e Graffiti-VerfasserIn chen den Drang, sich am Gemäuer zu verewigen. Auch bei seinem/ihrem Werken in der Gedenkstätte gesich­ wenn uns der direkte Zugang zu den VerfasserInnen tet. Man kann durch die Lektüre von anderen Graffiti­ verwehrt bleibt, kann man durch ihre Hinterlassen­ forschungen darüber mutmaßen, welches Motiv die schaften Dinge über ihre Bedürfnisse und Gedanken jeweilige Person hatte, eine Inschrift auf einer Wand erfahren und vor allem, wie und als was sie diesen Ort der Gedenkstätte zu hinterlassen, aber das nicht voll­ wahrnehmen. zogene „Heraustreten [...] aus der Anonymität“29 lässt Klar geht beispielsweise hervor, dass sich einige sich auch dadurch nicht lösen. Alle Graffiti sind, wie BesucherInnen an der Gedenkstätte mit dem aktuellen auch andere Objekte in der Sachkulturforschung, in ih­ politischen Geschehen auseinandersetzen. Weiters rer Bedeutung und Funktion vom Kontext abhängig.30 scheint einigen Menschen, die den Ort besuchen, ihre Nationalität und Herkunft sehr wichtig zu sein, da sie Spiegel der Gesellschaft und Zugang diese immer wieder an den Gemäuern bekräftigen. zur Gedankenwelt der BesucherInnen Im Fall rassistischer/politischer Hass-Graffiti kann man nicht automatisch davon ausgehen, dass diese Die Graffiti an der Gedenkstätte Mauthausen sind von BesucherInnen hinterlassen wurden, die sich die­ der Schlüssel zur Gedankenwelt der BesucherInnen ser Ideologie zurechnen. Wenn man annehmen würde, und somit auch der Schlüssel zur Beziehung, in der vierzehnjährige SchülerInnen hätten ein Hakenkreuz die BesucherInnen zum Ort stehen. Diese verinnerli­ an die Wand der Gedenkstätte gemalt, so könnte das

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„scheis israel!“ – Wäschereibaracke. SS Runen – Arrestgebäude.

nicht nur geschehen sein, weil sie nazistisches Gedan­ interessant ist er in wissenschaftlicher und politischer kengut verbreiten und verherrlichen wollten, sondern Hinsicht. Er spiegelt eindeutig wider, dass dieses Ge­ vielleicht, um schlicht einen Regelbruch zu begehen, dankengut nach wie vor existiert und dass manche welcher, wie bereits erwähnt, bei dem Phänomen Graf­ Menschen die Gedenkstätte nicht als Gedenk- oder fiti einen wichtigen Faktor darstellt. Einerseits ist er/sie traumatischen Ort begreifen. Insofern unterstreicht er mit der Schulklasse in der Gedenkstätte (man will aus die Notwendigkeit der Existenz eines solchen Memo­ dieser doppelten Verregelung ausbrechen), anderer­ rials und vor allem der pädagogischen Arbeit, die hier seits handelt es sich bei der Zeichnung eines Haken­ passiert. Gedenk-Graffiti schildern uns den Wunsch, kreuzes in diesem Kontext um eine Straftat, verstärkt sich für das Gedenken, vielleicht auch für Verwandte durch das bemalte Objekt, ein öffentliches, denkmal­ auszusprechen, wie auch bei den „Ich-war-hier“-Graffiti geschütztes Gebäude. einen Teil von sich an diesem Ort zu lassen und manch­ Bei den großen Schriften an der Außenmauer mal auch aus der Anonymität herauszutreten, sich öf­ kann man aufgrund der Umstände durchaus von ei­ fentlich zu etwas zu bekennen, der Gesellschaft etwas ner Handlung ausgehen, die Rassismus und Faschis­ mitteilen zu wollen oder an verwandte ehemalige In­ mus verherrlichen soll. Dass dies auch auf manche sassInnen zu erinnern. Hakenkreuze und andere Symbole im Inneren des ehemaligen Schutzhaftlagers zutrifft, scheint ebenso klar. So traurig und verletzend dieser Akt für uns ist, so

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„STOPT DEN KRIEG GEGEN DIE KURDEN IN DER TÜRKEI“ – Arrestgebäude. Graffiti – Duschraum/Wäschereikeller.

Lösungsvorschläge oder Neuengamme. Dort werden die Nachrichten an­ und Forschungsausblick schließend archiviert. Im Anne Frank Zentrum Berlin steht eine sehr einfach gehaltene Pinnwand, auf die Im Großen und Ganzen kann das Bedürfnis der Be­ BesucherInnen kleine Zettel mit aufgedruckten, hellen sucherInnen herausgelesen werden: Sich an diesem Ort Kastanienblättern – eine Hommage an den Kastani­ der Gedenkstätte öffentlich (wozu auch immer) und enbaum, den „Anne-Frank-Baum“, den Anne Frank aus nachhaltig zu äußern. Hierfür scheint das BesucherIn­ ihrem Versteck gesehen und im Tagebuch beschrieben nenbuch nicht immer das geeignete Format zu sein. hat – mit Nachrichten an die Einrichtung, an Anne Zwar wird man das Phänomen Graffiti nie komplett Frank oder mit Zeichnungen hinterlassen. Verbote­ verhindern können, besonders nicht, wenn es sich um ne Inschriften wie faschistische Nachrichten werden die Motivation des Regelbruchs handelt. Dennoch ist sowohl dort, als auch an anderen Orten wie der KZ- es Gedenkstätten möglich, eine Alternative zu bieten, Gedenkstätte Neuengamme entfernt. um zumindest einen Teil der historischen Gemäuer zu Auch die Perspektive der BesucherInnen oder Mit­ verschonen: Eine eigens errichtete Mauer oder Pinn­ arbeiterInnen, die diese Inschriften bewerten, ist von wand, an welcher sich Menschen, die den Ort besu­ Interesse. Zwar kennt man den Kontext der Verfasse­ chen, öffentlich und legal verewigen können. Solche rInnen nicht, doch kennt man jenen der Menschen, Vorrichtungen gibt es auch an anderen Memorials, die die Graffiti betrachten und sich dazu äußern. Durch wie zum Beispiel den KZ-Gedenkstätten Flossenbürg diese Bewertungen kann ebenfalls die Beziehung zum

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Graffiti – Wäschereikeller. „Alkofen grüßt“ – Wäschereikeller.

Ort herausgelesen werden. Eine empirische Befragung sogenannte „Tags“ wie einzelne Namen, darunter und Analyse der Ansichten der RezipientInnen oder „Ich-war-hier“-Graffiti eingeteilt werden. Bei den po­ auch des Mediendiskurses im Fall der Außenmauer-Be­ litischen Graffiti werden neben anderen noch antifa­ schmierungen kann somit auch einen wichtigen Input schistische von Botschaften unterschieden, die das für die Arbeit an der Gedenkstätte leisten. NS-Regime verherrlichen. Auch im Inneren des ehe­ maligen Schutzhaftlagers finden sich nicht wenige Zusammenfassung Hakenkreuze oder sonstige, NS-Gedankengut verherr­ lichende Sätze und Symbole, sowie Zeichen nationa­ An der KZ-Gedenkstätte Mauthausen findet sich, listischer Natur. Inschriften wie „Ich-war-hier“-Graffiti im wahrsten Sinne des Wortes, eine unzählbare An­ bezeugen lediglich, dass die VerfasserInnen „hier sammlung von BesucherInnen-Graffiti am historischen waren“, manche Graffiti fragen nach dem „Warum?“ Gemäuer. Besonders der Keller der Wäscherei-Baracke („Warum“-Graffiti) und Gedenk-Graffiti gedenken der und das Gefängnis sind von eingeritzten, aufgemal­ Opfer und der Gräueltaten, manche politischen Graf­ ten oder aufgeklebten Anbringungen betroffen. Man fiti, die keinen Bezug zum Nationalsozialismus haben, unterscheidet beim Inhalt zwischen Symbol-, Wort- möchten auf eine andere, als vermeintlich ungerecht und dekorativen Graffiti. Die Kategorie Wort-Graffiti empfundene politische Situation aufmerksam machen kann weiter in Gedenk-Graffiti, „Nie-Wieder“-Graffiti, und Hass-Graffiti (be)schimpfen (über) bestimmte Hass-Graffiti, politische Graffiti, „Warum“-Graffiti und Umstände oder Personen.

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Wir können nur grobe Unterscheidungen nach 1 Die Presse: Erneut Schmieraktion in KZ-Gedenkstätte Mauthausen, Inhalten treffen, da der Kontext und Kontakt zu den http://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/3803667/Erneut­ Schmieraktion-in-KZGedenkstaette-Mauthausen (Zugriff am 29.11.2014). VerfasserInnen fehlt. Deshalb ist der vorliegende Bei­ 2 Ebd. trag vom Konjunktiv dominiert, den ich an dieser Stel­ 3 Ebd. le beiseite lege und mich klar für die Beschäftigung 4 Thomas Northoff: Graffiti. Die Sprache an den Wänden (Wien 2005), mit den Inschriften ausspreche. Sie sind ein Spiegel­ S. 121. bild dessen, was die BesucherInnen in den burgähn­ 5 Ebd. lichen Gemäuern sehen und was ihre Anwesenheit 6 Norbert Siegl: Kommunikation am Klo. Graffiti von Frauen und Män­ nern (Wien 1993), S. 14. und Tätigkeit an diesem Ort und der Ort selbst für sie 7 Ebd., S. 12. Weiters: Jakob F. Dittmar: Im Vorbeigehen. Graffiti, Tattoo, bedeutet. Sie machen uns die Bedürfnisse und Emp­ Tragetaschen: En-Passant-Medien (Berlin 2009), S. 95. findungen der BesucherInnen zugänglich. Besonders 8 Ebd., S. 118. die Häufigkeit der Graffiti mit faschistischem Inhalt ist 9 Ebd., S. 122. ein Beweis dafür, dass das so oft unsichtbare national­ 10 Ebd., S. 120. 11 Ebd., S. 109. sozialistische Gedankengut nach wie vor in unserer 12 Northoff: Graffiti, S. 10. Gesellschaft existiert oder dass es zumindest an Auf­ 13 Als „Tag“ bezeichnet man eigentlich die Namenskürzel von Graffiti- klärung mangelt. Diese Inschriften legitimieren nicht KünstlerInnen. In diesem Kontext verwende ich „Tag“ als Bezeichnung nur die Existenz von KZ-Gedenkstätten, sie verdeutli­ für Kürzel oder einfache Namen, die auf den Wänden hinterlassen chen den Stellenwert, den eine solche Gedenkstätte werden. Vgl. Paolo Bianchi (Hg.): Graffiti. Wandkunst und wilde Bilder in Österreich haben sollte und die Dringlichkeit von (Basel 1984), S. 86. 14 Northoff: Graffiti, S. 31. Aufklärung und Aufarbeitung. 15 Ebd., S. 125. Solche und andere Inschriften inspirieren zum Um­ 16 Ebd., S. 124. gang mit BesucherInnen, beispielsweise zeigen sie, 17 Ebd., S. 107. dass Konflikte der Gegenwart auch zu einem Teil des 18 Dittmar: Im Vorbeigehen, S. 139. Gedenkstättenbesuchs werden können. Eine Archivie­ 19 Klaus D. Appun: Graffiti. Kunst auf Mauern (Stuttgart 1997), S. 174. 20 Ebd. rung und damit verbundene Analyse der Inschriften 21 Ebd., S. 175. sowie deren Rezeption können für die Gedenkstät­ 22 Northoff: Graffiti, S. 15. tenarbeit wichtige Erkenntnisse liefern. Weiters sollte 23 Ebd., S. 24. die Frage gestellt werden, ob man den BesucherInnen 24 Ebd. die Möglichkeit geben kann, sich auf einer Fläche zu 25 Ebd., S. 18. verewigen, die keine Veränderung der historischen Ge­ 26 Zit. nach Paolo Bianchi (Hg.): Graffiti. Wandkunst und wilde Bilder (Basel 1984), S. 12. mäuer zur Folge hat. So könnte zumindest ein Teil der 27 Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des Graffiti in eine Form gebracht werden, die der Anlage kulturellen Gedächtnisses (München 1999), S. 328f.; Aleida Assmann/ keinen Schaden zufügt und die Archivierung sowie die Frank Hiddeman/Eckhard Schwarzenberger (Hg.): Firma Topf & Söh­ Zensur von Rassismen und dergleichen erleichtert. n ne – Hersteller der Öfen für Auschwitz. Ein Fabriksgelände als Erinne­ rungsort? (Frankfurt am Main 2002), S. 197-206. 28 Assmann: Erinnerungsräume, S. 328f. 29 Northoff: Graffiti, S. 111. 30 Gottfried Korff: Einleitung. Notizen zur Dingbedeutsamkeit. In: 13 Dinge. Form, Funktion, Bedeutung. Katalog zur gleichnamigen Aus­ stellung im Museum für Volkskultur in Württemberg, Waldenbuch Schloß vom 3. Oktober 1992–28. Februar 1993 (Stuttgart 1992), S. 8.

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Julian Bruns/Kathrin Glösel/Natascha Strobl

Die Identitären Rechtsextreme Ideologie der Neuen Rechten und modernisierter Rassismus einer Jugendbewegung

Aufmarsch der Identitären Bewegung Österreich vor dem Westbahnhof in Wien (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes). Die in diesem Ar­ tikel beschriebenen Abbildungen können aus rechtlichen Gründen hier nicht abgedruckt werden. Für entsprechende Abbildungen verweisen wir einerseits auf die Monographie der AutorInnen, die diesem Artikel zugrunde liegt, andererseits auf die visuelle Selbstdarstellung der Identitären in diversen sozialen Medien.

eit Herbst 2012 organisieren sich junge Erwachsene Neuen Rechten, die sich zwar vom Nationalsozialismus Sin Europa als AktivistInnen sogenannter identitärer abwendet, jedoch auf alternative rechtsextreme Deu­ Gruppen. Ihren Ursprung haben diese in Frankreich, wo tungsmuster zurückgreift. Die Identitären setzen in sich die Génération Identitaire als Jugendorganisation ihrer Praxis auf rassistische Diskurse, die in den west­ der Wahlpartei Bloc Identitaire gründete. Ein Vorbild lichen Gesellschaften bereits verbreitet sind und sind dieser noch jungen rechtsextremen Gruppen, deren dadurch anschlussfähig. Indem sie ihre Themen mit Ableger sich auch in Deutschland und Österreich fin­ Hilfe von Populärkultur und neurechter Rhetorik ver­ den, ist unter anderem CasaPound in Italien. Die Identi­ breiten, schaffen sie sich ein junges, scheinbar softes tären1 sind Teil einer jungen Generation innerhalb der Äußeres, das insbesondere auf die vermeintlich brave,

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demokratisch-bürgerliche Mitte ansprechend wirkt. Der BI wiederum ging aus der Partei Unité Radicale Mit Aktionen, Videos und „hippen“ Sujets forcieren sie (UR) hervor. Die UR zeichnete sich durch einen viru­ dabei eine Popularisierung rechtsextremer Ideologie. lenten Antisemitismus aus, von dem sich der BI seit Ethnopluralismus als Konzept stellt seit den 1970er­ einer Tagung im Herbst 2009 formell distanziert.4 Im Jahren ein Gegenmodell zum klassischen Rassismus Herbst 2012 fand eine rechtsextreme Konferenz in und dessen innewohnendem Rasse-Begriff dar. Ethno­ Orange statt, die vom BI organisiert wurde. Statt der pluralismus verabschiedet sich formal von offensicht­ angekündigten 800 Gäste kamen jedoch nur 500, was lichen Abwertungen von Personen/gruppen, die als auf den Druck des Front National zurückzuführen war, fremd oder anders klassifiziert werden, seine Vertrete­ der dafür sorgte, dass vor allem VertreterInnen etab­ rInnen halten jedoch an der Vorstellung von Anders­ lierter Parteien aus dem europäischen Ausland nicht artigkeit fest. Dahingehend dienen Kultur und Volk erschienen. Einzig die italienische Lega Nord ließ sich als Ersatz für den alten Rasse-Begriff, Annahmen von blicken. Mario Borghezio, EU-Parlamentarier, gab den Homogenität ganzer Bevölkerungsgruppen, Rheto­ rassistischen Grundtenor der Konferenz vor: „Ein Volk, riken der Entindividualisierung sowie Annahmen über das ist das Blut, die Ethnie, die Traditionen und unsere Zugehörigkeiten, historische Gewachsenheit und eine Vorfahren! Es leben die Weißen in Europa! Es lebe un­ Ausblendung von Sub- und Gegenkulturen stellen je­ sere Rasse!“5 Der Ton blieb durchaus offen rassistisch, doch Kontinuitäten rassistischen Denkens dar. Dieser und auch der große Konsens von Europas Rechten, der Beitrag argumentiert, dass und wie Ethnopluralismus „Abwehrkampf gegen den Islam“, wurde beschworen.6 die Merkmale rassistischer Praxis erfüllt. Als Beispiel zie­ Der GI gelang es mit ihrer Aktions- und Medienof­ hen wir textliche und visuelle Publikationen der Iden­ fensive ein europaweites Lauffeuer zu entzünden, für titären Bewegung heran. Darüber hinaus wird auch das die ProtagonistInnen der Neuen Rechten bereits gezeigt, wie sich Ethnopluralismus dazu eignet, mittels seit Jahren den Zündstoff angesammelt hatten. Damit akzeptabel scheinender Begriffe und Menschenbilder wurde innerhalb der Neuen Rechten ein aktionistischer, Rassismus für das als wünschenswert gedachte Spek­ durch Jugend bestimmter und auf sie ausgerichte­ trum der bürgerlichen Mitte aufzubereiten. ter Arm geschaffen – ein Novum für dieses politische Spektrum. Neben Aktionismus und der Jugendlichkeit Die Identitären – Jugendbewegung der sind noch Corporate Identity und populärkulturelle Neuen Rechten in Europa Bezüge die Merkmale, die die Identitäre Bewegung innerhalb der Neuen Rechten auszeichnen.7 Ähnlich Die sogenannte Identitäre Bewegung hat ihren einem Franchise-Unternehmen haben die Identitären Ursprung im Frankreich des Herbstes 2012. Unter der bestimmte optische Marker, die ihre Gruppen als Er­ Bezeichnung Génération Identitaire (GI) besetzte eine kennungsmerkmale benutzen. Das Lambda-Symbol Gruppe von jungen Menschen im Oktober das Dach sowie die schwarzgelbe Farbgebung finden sich so­ einer sich im Bau befindenden Moschee in Poitiers. Auf wohl bei Landesorganisationen als auch bei regionalen dem Dach präsentierten die AktivistInnen ein Banner Gruppen. Bezüge auf Popkultur wie beispielsweise mit der Zahl 7322 und dem Logo der Identitären Be­ Hollywood-Filme oder Fernsehserien wie South Park wegung, das Lambda-Symbol. Das Video der Aktion sind in den Sujets der Identitären Selbstverständlich­ verbreitete sich rasch und führte, neben dem Video keiten und heben sich von der oftmals nostalgisch­ Déclaration de Guerre, zum Entstehen identitärer Grup­ deutschtümelnden oder revisionistischen Bildsprache pierungen in vielen Ländern Europas.3 der Alten Rechten ab. Der Aspekt der Jugend ist für Die Génération Identitaire ist die Jugendorgani­ die Neue Rechte insofern bemerkenswert, als die be­ sation der rechtsextremen Partei Bloc Identitaire (BI). kannten Köpfe bisher vor allem ältere, auf Seriosität be­

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dachte männliche Akademiker waren.8 Die neurechte mokratie anschrieben und versuchten, den Sozialis­ metapolitische Ausrichtung wurde bis dato vor allem musbegriff umzudeuten.15 publizistisch oder durch Vernetzungsarbeit in Think Der Rückgriff auf die Ideen der Konservativen Revo­ Tanks umgesetzt, Aktionismus war bis auf Versuche lution ist gerade unter strategischen Punkten bedeut­ wie die Konservativ-Subversive Aktion (KSA) um Götz sam. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren alle klar als Kubitschek kein Teil neurechter Arbeit. Die KSA führte nationalsozialistisch oder faschistisch zu erkennenden von 2008 bis 2009 fünf Aktionen durch, die sie auf einer positiven Bezüge verpönt. Innerhalb der Konservativen eigens dazu eingerichteten Website dokumentierte.9 Revolution fanden sich dagegen sogar Widerstands­ Trotz der geringen Resonanz in der Öffentlichkeit und kämpfer oder Protagonisten wie Edgar Julius Jung, der neurechten Szene kann die KSA als eines der Vor­ die von den Nationalsozialisten ermordet worden wa­ bilder der Identitären Bewegung gelten.10 ren, auch wenn es zugleich begeisterte Unterstützer wie Carl Schmitt gegeben hatte. Diese entlastende Die Identitäre Bewegung Funktion sollte nebst neuen Konzepten wie Ethno­ als Teil der Neuen Rechten pluralismus und neuen Strategien den Rechtsextre­ mismus wieder salonfähig machen. Teil dieser neuen Wir definieren die Identitäre Bewegung als Teil der Strategie ist das Konzept der sogenannten Metapolitik, Neuen Rechten, da sie deren ideologische und stra­ was Bernhard Schmid mit „jenseits des Politischen ste­ tegische Grundausrichtung vollständig übernimmt. hend“ übersetzt.16 Metapolitik bedeutet, dass man den Was verstehen wir unter dem Begriff Neue Rechte? Hi­ Kampf um Ideen auf einer Ebene führe, die den Belan­ storisch geht der Begriff auf die französische Nouvelle gen der Alltagspolitik und den Auseinandersetzungen Droite zurück, die sich unter dieser Selbstbezeich­ zwischen den Parteien oder Bewegungen entzogen nung Ende der 1960er-Jahre als modernisierte Strö­ und übergeordnet ist.17 Es geht der Neuen Rechten mung des Rechtsextremismus an den französischen also um eine Diskursverschiebung nach rechts, um das Universitäten begründete.11 In Deutschland wurde Erlangen von Hegemonie und eine Kulturrevolution der Begriff ab den 1980er-Jahren für ein Konglomerat von rechts18, die nicht auf Parteienebene geführt wird. an Publikationen und Diskussionszirkeln verwendet, Basal waren und sind nach wie vor Ideologeme wie die seit Ende der 1960er-Jahre existierten. Diese hat­ Nation und Volksgemeinschaft sowie ein aggressiver ten mit der französischen Bewegung gemein, eine antimuslimischer Rassismus, die allesamt auch in kon­ Modernisierung der alten rechtsextremen Ideologie servativen Kreisen verbreitet sind. So lässt sich Rainer und neue Strategien der Popularisierung voranzu­ Benthins Vorschlag nachvollziehen, die Neue Rechte treiben.12 Die Neue Rechte lässt sich auch „als eine nicht als starren Zustand, sondern als Prozess einerseits Gruppe von Meinungsführern bzw. Bewegungsunter­ der Radikalisierung des konservativen Spektrums und nehmern [, die] in einem rechten Gegendiskurs von andererseits der Modernisierung des rechtsextremen den ‚Ideen von 1968‘ [stehen]“, bezeichnen.13 Ideo­ Spektrums zu begreifen.19 Die Neue Rechte ist darüber logischer Referenzpunkt der Neuen Rechten ist die hinaus als Gebilde zu verstehen, das nicht im Sinne der sogenannte Konservative Revolution. 14 Dieser Begriff Extremismustheorie an einem äußersten Rand der de­ lässt sich folgendermaßen definieren: Die Konserva­ mokratischen Gesellschaft zu verorten ist. Stattdessen tive Revolution mit bekannten Vertretern wie Ernst ist sie eine Grauzone oder ein Mischspektrum aus kon­ Jünger, Oswald Spengler, Carl Schmitt, Edgar Julius servativen und rechtsextremen AkteurInnen. Jung und Arthur Moeller van den Bruck war ein Netz­ Die Neue Rechte arbeitet mit ausgefeilten Strategien. werk rechtsextremer Intellektueller in der Weimarer Das ergibt sich aus dem eigenen Selbstverständnis: Der Republik, die gegen diese und damit gegen die De­ Neuen Rechten geht es um die Erringung der kulturel­

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len Hegemonie. Als erstes wurde dieses Konzept in Fran­ laut de Benoist die Vielgestaltigkeit der verschiedenen kreich von der Nouvelle Droite und GRECE (Groupement Rassen oder Ethnien im Vordergrund stehen. Diese de Recherche et d'Études pour la Civilisation Européen­ seien zwar unterschiedlich, aber einander gleichwer­ ne) entwickelt, die es vollmundig „Gramscianismus von tig. De Benoist erklärt diese Differenz für natürlich und rechts“ nannten.20 Ziel ist es, die eigenen Deutungszu­ hinterfragt sie nicht weiter: „Da feststeht, daß jede Ras­ sammenhänge anschlussfähig zu vermitteln21 und in se ihre Stärken und ihre Schwächen hat, dürften solche letzter Konsequenz die Demokratie nach dem Vorbild Unterschiede nicht überraschen.“27 Gleichzeitig betont der Konservativen Revolution zu demontieren.22 Für er, dass der wahre Antirassismus die Wahrung dieses dieses Ziel schöpft die Neue Rechte aus einem Arsenal zu erhaltenden Zustands sei. De Benoists Ethnoplura­ an modernen Kommunikationsstrategien.23 lismus hat eine klar biologistische Komponente, die er auch offen so artikuliert.28 Gleichzeitig betont er, dass Ethnopluralismus als modernisierter die Alte Rechte sich zu sehr im Biologismus verfangen Rassismus der Neuen Rechten und die Prägung des Umfelds, also die soziologische und der Identitären Komponente, außer Acht gelassen habe. Der „kultu­ rellen“ Komponente gibt er auch den Vorrang vor der Beim Ethnopluralismus handelt es sich um eines biologischen, ohne letztere zu leugnen.29 der wenigen ideologischen Elemente, das originär der Die Neue Rechte versucht mithilfe des Ethnoplura­ Neuen Rechten zuzuschreiben ist. Ethnopluralismus lismus, die Begriffe Rassismus und Antirassismus neu ist dadurch gekennzeichnet, dass die postulierte Un­ zu besetzen. Rassistisch sei es, Menschen zur Assimila­ gleichheit der Völker als ahistorisches und natürliches tion und überhaupt zum Verlassen ihrer Heimatländer Ereignis gesehen wird und nicht als historischer Pro­ zu zwingen. Antirassistisch sei es, sie wieder zurück in zess, der durch Kräfteverhältnisse, Ressourcenvertei­ ihre Herkunftsländer zu bringen, wo sie ihre Kultur le­ lung und Imperialismus bestimmt ist.24 Außerdem ist ben könnten.30 Der französische neurechte Think Tank Ethnopluralismus der Versuch der Neuen Rechten, GRECE geht noch immer von natürlichen Rassen aus, ein antiegalitäres Gesellschaftskonzept einzufordern, wehrt sich aber gegen eine Ungleichwertigkeit und dabei jedoch biologistische Argumentationen wei­ propagiert die natürliche Entfaltung jeder Rasse nach testmöglich auszusparen.25 Man nimmt also Abstand eigenen Gesichtspunkten.31 Gefährdet wird diese Ent­ davon, von Äußerlichkeiten auf Fähigkeiten, Eigen­ faltung durch Vermischung und Eingriffe in die kulturel­ schaften und Moralvorstellungen zu schließen. Die len, wirtschaftlichen und politischen Zusammenhänge Einteilung in ungleiche Völker behält die Neue Rechte anderer Völker, es findet sich im Ethnopluralismus- bei, doch kommt es in den 1980er-Jahren zu einer Mo­ Konzept also die Implikation einer sozialdarwinis­ dernisierung: Demnach sieht die Neue Rechte Völker tischen Selbstregulierung. Hilfe und Zusammenarbeit zwar als gleichwertig, aber nicht gleichartig an und sind damit störend und überflüssig.32 Diese Ansicht weicht damit von der Hierarchisierung der Völker der teilte für manche PolitikwissenschafterInnen auch Sa­ Alten Rechten ab.26 Maßgeblich wurde das Konzept muel Huntington, der die Wurzel aller Konflikte dem von Henning Eichberg und Alain de Benoist geprägt. Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen und nicht Dabei rekurrieren beide auf Carl Schmitt, der schon in etwa machtpolitischen, imperialistischen oder kapi­ den 1920er-Jahren ein Pluriversum als ideale Weltord­ talistischen Interessen geschuldet sah.33 Das Warum nung ansah. Vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs für diese Konflikte zwischen den Kulturen klären die verwiesen sowohl Eichberg als auch de Benoist auf TheoretikerInnen der Neuen Rechten nicht, da es für eine eigenständige europäische Identität, die sich kei­ ihre diskursive Strategie nicht notwendig ist.34 Die po­ nem der beiden Blöcke anschließen sollte. Dabei solle stulierte Natürlichkeit muss nicht weiter erläutert wer­

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den, das pessimistische Menschenbild wird mit dem pas dargestellt, das seit tausenden Jahren bestünde.39 Verweis auf bestimmte historische Begebenheiten Kultur hingegen sei ein Begriff, der keiner Erklärung begründet wie Kriege oder andere Zivilisationsbrüche. bedürfe. Die Ausführungen in seinem Vlog legen aber Zudem sehen sie im Scheitern egalitärer Utopien de­ einen eindimensionalen Kulturbegriff offen, der sich ren Unbrauchbarkeit bestätigt. Die Neue Rechte lehnt über Kunst, Bräuche und Religion definiert.40 Für ihn die Menschenrechte und den Universalismus als Gan­ hat der Begriff ethnokulturelle Identität sowohl eine zes ab. Menschen werden in ihrer Zugehörigkeit zu „kulturelle“ als auch eine „biologische“ Seite.41 Die drei Völkern definiert und nicht als Individuen wahrgenom­ Ebenen des Ethnopluralismus seien die Region, die Na­ men. Das Volk steht über dem Individuum, folglich sind tion und Europa. Auf andere ethnopluralistische Räume die vermeintlichen Bedürfnisse des großen Ganzen für geht er nicht ein. Der Begriff Ethnopluralismus wird Rechte relevanter als Rechte und Freiheiten des einzel­ dementsprechend auch zu Gunsten des Begriffs ethno­ nen Menschen. Kultur und Nation werden als ethnisch kulturelle Identität aufgegeben.42 Damit unterscheidet homogene Einheit verstanden, die es zu schützen gilt. er sich von de Benoist einerseits dadurch, dass der bio­ Verhaltensweise und Fähigkeiten sind nicht nur sozial logistische Part des Ethnopluralismus nur sehr zögerlich erlernt, sondern biologisch und damit unveränderbar zugegeben wird, während de Benoist diesen klar arti­ angeboren.35 kuliert. Andererseits nimmt de Benoist auf Kulturen wie „Ethnopluralistisch bezeichnet somit politische Kon­ die jüdische sowie auf Spezifika von Kulturen außerhalb zepte der Neuen Rechten, die die Einhaltung der na­ Europas vermeintlich positiv Bezug.43 Die Identitären türlichen Distanzen und ein geordnetes Nebeneinander und Martin Sellner als einer ihrer führenden Köpfe hin­ der Völker gewährleisten, um eine Entwicklung nach gegen führen eine klare Abwertung eines vermeintlich Maßgabe der jeweiligen ethnischen Besonderheit zu er­ geschlossenen ethnokulturell begründeten und isla­ möglichen.“36 misch geprägten Kulturraums durch. Als Vordenker bricht Alain de Benoist nach wie vor Ethnopluralismus ist also ein biologistisch sowie Tabus innerhalb der Neuen Rechten. So wird im Mani­ kulturell begründetes Konzept, das sich gegen einen fest La Nouvelle Droite de l’an 2000 (1999) zum ersten Vorrang der biologischen Komponente vor der sozi­ Mal nicht primär die Rückkehr von MigrantInnen in ihre ologischen oder kulturellen wehrt, wie es im alten, Ursprungsländer, sondern ein Nebeneinander gefor­ rein biologistisch geprägten Rassismus der Fall ist. dert. Wichtig dabei ist die Betonung, gegen eine „Ver­ Ethnopluralismus legt aber den Biologismus nicht mischung“, also Assimiliation, der Kulturen zu sein.37 vollständig ab, sondern sieht weiterhin genetische Wie später zu sehen sein wird, bemühen sich die Iden­ Unterschiede zwischen verschiedenen Völkern. Kultur titären, die sich explizit auf Benoist berufen38, nicht um ist ein statischer, homogener und in sich geschlos­ diese Differenzierung. sener Begriff, ethnische Abstammungslinien sind für Die Identitären, die stark von de Benoists Konzep­ Zuschreibungen und definierte Zugehörigkeiten bzw. tion beeinflusst sind, machen widersprüchliche Anga­ Ausschlüsse. Dynamiken innerhalb einer Kultur werden ben zum biologistischen Gehalt ihrer Begrifflichkeiten. begrüßt, die Existenz von Sub- oder Milieukulturen Martin Sellner von den Wiener Identitären versucht auf aber geleugnet. Die Bevölkerung eines Staats wird als seinem Videoblog Vlog identitär den Begriff „ethnokul­ monolithischer Block Volk gesehen, der keine inneren turelle Identität“ zu klären. Sellner stellt zwei Seiten und Kämpfe oder Unterscheidungen zulässt. Klasse, Ge­ drei Ebenen eines ethnopluralistischen Weltbilds fest. schlecht und Sexualität sind dementsprechend impli­ Zum einen unterscheidet er Ethnie und Kultur. Ethnie zit genauso natürlich wie die Zugehörigkeit zu einem wird als quasi metaphysisches Verwandtschaftsver­ Volk, das die einzige Unterscheidungsgrundlage zwi­ hältnis zwischen den verschiedenen Menschen Euro­ schen Menschen darstellt.

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Um zu verstehen, weshalb auch Ethnopluralismus das niedrigste Mitglied der eigenen Gruppe“ über dem als Konzept und seine VerteidigerInnen wie Alain de „ranghöchsten Mitglied der diskriminierten Gruppe“ Benoist oder Henning Eichberg nichts anderes tun, als steht.48 Rassismus produziert und reproduziert also so­ Einzelpersonen und Kollektive mittels rassistischer De­ ziale Ungleichheit, weist Individuen einen Platz inner­ finitionen zu kategorisieren, sollte man sich auf einen halb oder außerhalb jener Gruppe zu, die hinsichtlich breiteren Rassismus-Begriff einlassen. Hierzu gehört ihrer Zuschreibungen über Privilegien verfügt. Rassis­ auch, die Mechanismen des Zuschreibens und Abwer­ mus sucht also „für gesellschaftliche Unterschiede eine tens und die Wirkung von Ein- und Ausschluss, die mit naturbedingte Rechtfertigung“.49 Trotz vermeintlicher Rassismen einhergehen, zu verstehen. Wirft man einen Integrationsangebote für Fremde bleibt deren Inklu­ Blick auf die Begriffsgeschichte, fällt auf, dass der Begriff sion immer prekär und kann jederzeit aufgekündigt der Rasse wesentlich jünger ist als rassistische Praxis, werden – sei es über unmittelbare Abhängigkeitsver­ die an Menschen verübt wurde. Muster der Abwertung hältnisse gegenüber Personen, ArbeitgeberInnen oder und Diskriminierung sind nicht erst Erscheinungen der formale Gesetzgebungsprozesse.50 Was sich als Inte­ Moderne, sondern finden sich historisch zuhauf. Rassis­ gration darstellt, meint häufig ein Einfordern von Assi­ mus definierte und definiert dahingehend stets „unter­ milation an jene Werte, Normen und Verhaltensweisen, schiedliche Grade des Menschseins“ und operiert mit die als dem Eigenen charakteristisch gelten. Zygmunt dualistischen Kategorien, denen Menschengruppen Bauman sieht in diesem Einfordern eine „Kriegserklä­ zugeordnet werden.44 Frühe Differenzkategorien sind rung an fremde Substanzen und Qualitäten“51, als de­ dabei kultiviert/barbarisch, rein/unrein, zivilisiert/wild, ren Alternative sich lediglich die Segregation – eine Weiß/Schwarz oder auch wertvoll/minderwertig.45 maximale Form des Ausschlusses – anbietet. Basierend auf begriffsgeschichtlichen Analysen und Die Rassismusforscherin Anja Weiß deutet Rassen- historischer Rassismusforschung fasst der deutsche Zugehörigkeit in Anlehnung an Pierre Bourdieu als Soziologe Wulf Hund zusammen, wie Rasse als Kate­ so etwas wie ein symbolisches Kapital, da es die Ver­ gorie wirkt und welche Schwierigkeiten sich dahinge­ ortung von Individuen in einer Gesellschaft je nach hend auftun, sie nicht nur als Begriff, sondern auch als Zuschreibung bestimmt, Inklusion ermöglicht oder jene Kategorie zu überwinden. Hilfreich ist, Rassismus Exklusion determiniert.52 Das Gestalten und Beibehal­ als „soziales Verhältnis“ zu verstehen, das mit Vorstel­ ten unsicherer Existenzverhältnisse, seien es rechtliche lungen von Zusammengehörigkeit einhergeht.46 Per­ Einschränkungen bis hin zu Androhungen von Außer­ sonen werden als Angehörige homogener Kollektive Landes-Bringung oder das Ausüben von Gewaltformen gedacht, für das Herausbilden einer Identität reichen sind Beispiele dafür, wo und wie Exklusion funktioniert. dabei jedoch Inklusionsangebote nicht aus, stattdes­ Nach Hund basiert Rassismus auf Entmenschli­ sen brauche es Exklusionsmechanismen, die klar defi­ chung und Ungleichbehandlung. Diese funktioniert nieren, wann jemand nicht Teil des „eigenen“ Kollektivs mittels Entfremdung, also dem Fremdmachen, dem ist.47 Da sich innerhalb der eigenen Gruppe auch Hie­ Als-Anders-Markieren ausgewählter Gruppen, die dem­ rarchien bilden – beispielsweise über die ungleiche entsprechend Desozialisation ausgesetzt sind.53 Diese Verteilung von ökonomischem, sozialem, kulturellem, Entfremdung geschieht nicht wert- und machtneutral, geschlechtlichem, sexuellem oder gesundheitlichem ein als Anders-Markieren (Othering) vollzieht sich über Kapital, – bedarf es einer Schlechterstellung all jener, verschiedene Stränge, sei es über Sprache, zugeschrie­ die nicht Teil dieser eigenen Gruppe sind, um trotz bene Lebensweisen, Verhalten im Alltag oder vermeint­ ungleicher Macht- und Kapitalverhältnisse eine Auf­ liche Un/Fähigkeiten.54 Es findet also auch in diesen wertung des dazugehörenden Individuums zu ermög­ Markierungen eine Differenzierung statt, die in letzter lichen. Dabei entsteht eine Rangordnung, in der „noch Konsequenz eine rassistische Inferiorisierung der an­

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deren Gruppen vorantreibt.55 Einen Höhepunkt können oder Sujets zu verbreiten. Der Islam wird bei Aktionen diese Zuschreibungen laut Hund in unmittelbarer Stig­ und Sujets von den Identitären immer als das feindliche matisierung finden, die einerseits von einer sinnlich er­ Andere dargestellt, als Störfaktor im christlichen Europa. fassbaren und an körperlich ablesbarer Andersartigkeit Somit wird von den Identitären das ethnopluralistische ausgehen.56 Rassismus argumentiert naturalisierend Konzept nicht konsequent umgesetzt, da die vollstän­ und beharrt auf Andersartigkeit, sei diese kulturell oder dige Ablehnung des Islam offenkundig bleibt. biologisch bestimmt, daher sei es laut Hund schwierig, Weitaus mehr Aufsehen als simple Sujets erlangen die Konstruiertheit offenzulegen und ein Denken ab­ Identitäre mit Aktionen, so in Wien auf dem Stephans- seits dieser Kategorisierungen zu ermöglichen. platz am 14. September 2014. AktivistInnen stellten als IS-Kämpfer verkleidet eine Hinrichtung nach, um an­ Antimuslimischer Rassismus schließend die PassantInnen mit Flyern vor der Islami­ sierung Europas zu warnen.59 Das allgemeine Entsetzen Seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 über die Verbrechen des Islamischen Staats (IS) in Syrien ist antimuslimischer Rassismus eines der wichtigsten und im Irak machen sich die Identitären zunutze, um Diskursfelder der Neuen Rechten. Die neue Qualität an pauschalisierend den gesamten Islam – und somit auch Furcht und Ressentiments gegenüber allem, was mit Flüchtlinge, die vor dem Terror geflohen sind – als töd­ dem Islam in Verbindung zu stehen scheint, hat der liche Bedrohung für das christliche Europa darzustellen. Neuen Rechten zu neuem Schwung verholfen, der sich Antimuslimischen Rassismus praktiziert die Identi­ auch in vielen Neugründungen von Organisationen täre Bewegung aber auch ohne den Verweis auf Terror rund um die Jahrtausendwende niedergeschlagen und Religion. So verbreitete die Identitäre Bewegung hat.57 Der Neuen Rechten kommt zugute, dass es ver­ Deutschland auf Facebook ein Wahlplakat der Kandi­ hältnismäßig einfach ist, mit vermeintlicher Religions­ datInnen für Integrationswahlen, welche vor allem kritik am Islam anti-egalitäre, völkisch-nationalistische türkischen Migrationshintergrund zu haben scheinen. und letztendlich rassistische Narrative zu transpor­ Das kommentierten die Identitären so: „Ohne Worte: tieren. Auch wenn sich die AkteurInnen der Neuen Bürgerinitiative in Duisburg... Wie war das nochmal? Rechten für gewöhnlich nicht als glühende Vorkämp­ Ein Bevölkerungsaustausch findet nicht statt?“ Hier ferInnen um die Gleichberechtigung von Frauen her­ wird nicht die vermeintlich fremde Kultur oder der vortun, werden sie nicht müde, gerade die Unterdrü­ Islam zum Problem erklärt, sondern die optische An­ ckung von Frauen etwa durch Salafisten zu betonen. dersartigkeit, sprich die nicht-deutsche Ethnie der Es geht ihnen dabei auch weniger um die Frauen, als KandidatInnen. Mit dem Verweis auf das Plakat soll das um ein Argument, das möglichst breite Zustimmung Narrativ des „Bevölkerungsaustauschs“ oder der „Um­ findet. Der nächste Schritt ist die Gleichsetzung des Sa­ volkung“ bestätigt werden, wobei hier von den Identi­ lafismus mit dem Islam und mit Kleidungsmerkmalen tären ignoriert wird, dass es selbstverständlich ist, dass beziehungsweise bestimmten Ethnien. für Integrationswahlen vor allem Menschen mit Migra­ Obwohl das Konzept des Ethnopluralismus vorge­ tionshintergrund kandidieren.60 gebene Gleichschätzung aller Kulturen als Kernpunkt nennt, gibt es durchaus Hierarchisierungen, gerade Sekundärer Antisemitismus was das Verhältnis der abendländisch-christlichen Kul­ tur zur arabisch-islamischen betrifft.58 Die Neue Rechte verfolgt nicht mehr die Strategie Als Teil der Neuen Rechten bemühen sich die Iden­ der Leugnung der Verbrechen des Nationalsozialis­ titären, die Narrative des antimuslimischen Rassismus mus, insbesondere der Shoah, sondern versucht, diese nicht nur mit Texten, sondern auch in Form von Aktionen zu relativieren. Sie sieht die Shoah als Ursprung einer

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vermeintlichen Zensur und konstruiert damit das Tabu, nicht zu wiederholen‘. Das ist ein destruktives Schuld­ Israel zu kritisieren, das vor allem für Deutsche und ideal der Negation, das zu einem Ethnomasochismus ÖsterreicherInnen gelte. Ihren als Tabubruch insze­ (ethnischer Selbsthass) führt, der unsere eigene Kultur nierten Antisemitismus stellen sie so als Heldentat der und Geschichte unter Generalverdacht stellt.“67 Meinungsfreiheit dar.61 Somit wird Gedenkkultur und Vergangenheitsbewältigung als Strategie zur Selbst­ Populärkultureller Rassismus geißelung verunglimpft, die von den Siegesmächten bei den Identitären von 1945 oktroyiert worden sei.62 Das Verdrängen bzw. Kleinhalten von NS-Verbre­ Wenn Identitäre Ethnopluralismus veranschauli­ chen und insbesondere der Shoah fällt in die Kategorie chen wollen, benutzen sie meistens Bilder, die Per­ sekundärer Antisemitismus. Es ist also Antisemitismus sonen in traditioneller Bekleidung und in einer dis­ mit einem Motiv der „Erinnerungsabwehr“.63 Um sich tinguierten Umgebung zeigen, wobei es sich nahezu frei von Widersprüchen mit dem „nationalen Kollektiv“ immer um ländliche Gebiete handelt. Die von ihnen identifizieren zu können, fordert die Neue Rechte, end­ selbst betonten regionalen Besonderheiten werden lich einen „Schlussstrich“ ziehen zu können und nicht dabei oft vernachlässigt. mehr mit diesem historischen Abschnitt und der Fra­ Die Bedrohung resultiert aus der Vermischung, die ge nach der Täterschaft konfrontiert zu werden.64 Die wiederum in Einwanderung von fremden Kulturen und Identitären distanzieren sich routinemäßig von neo/ US-amerikanischem Kulturimperialismus gesehen wird. nazistischem Gedankengut, wollen mit rechten Schlä­ Im Islam sehen die Identitären die größte Bedrohung gern, mit antisemitischen Einstellungen nichts zu tun für das, was sie als christlich-abendländische Kultur haben. Ein Problem für sie ist jedoch, dass ihnen bei­ bezeichnen. Um dieses Ideologem zu verbreiten, be­ spielweise im Bestreben, ein positives, patriotisches nutzen sie auch häufig popkulturelle Anspielungen Bild vom Deutschsein oder Österreichischsein zu zeich­ und bedienen sich dafür beispielsweise gerne bei be­ nen, die allgemein anerkannte Historiographie im Weg kannten Filmen. steht.65 Für Identitäre ist der Verweis auf die faschis­ Deutlich tritt der antimuslimische Rassismus der tischen Regime in Deutschland und Österreich bloß Identitären zutage, wenn er mit vermeintlichen Frauen­ eine „Vergangenheit, die nicht vergehen will“.66 rechtsforderungen einhergeht, wobei zumeist das The­ Ein Beispiel aus einem Blog-Artikel: ma Kopftuch/Burka in den Vordergrund gestellt wird. „Wenn man mich fragt, was heute einen ‚echten Ös­ So zeigt ein Sujet eine nackte junge Frau mit of­ terreicher‘ ausmacht, antworte ich oft etwas pointiert fenen blonden Haaren, die ihre Brüste verdecken. Sie und makaber: ‚dass er sich für den Holocaust schuldig blickt in die Kamera, der Titel des Sujets lautet „Zu fühlt‘. Ohne diese historischen Verbrechen irgendwie schön für einen Schleier“. Es ist das Aussehen der Frau, verharmlosen zu wollen (im Gegenteil wollen wir Iden­ das zugänglich bleiben soll. Eine kulturrassistische titäre eine echte Verarbeitung und Überwindung der Form von Islamkritik wird mit sexistischen Wertvorstel­ Vergangenheit) kann jeder, der mit freiem Auge sieht, lungen, blonden Haaren und nackter Haut verbunden, erkennen, dass sich im deutschen Sprachraum eine Zi­ die Frauen die Rolle zuweist, schön für jene zu sein, die vilreligion des Selbsthasses und Schuldkults etabliert sie betrachten wollen. Mit emanzipativer oder gar fe­ hat. [...] Die Shoa[h] ersetzt als eine Art dunkle ‚Anti- ministischer Politik hat das nichts zu tun. Offenbarung‘ alle Metaphysik, jeden Gott und jede Interessant ist, dass die Idenitären in Deutschland historische Orientierung. Statt konstruktiv auf einem und Österreich in einem Stickersujet die Figur Eric positiven Ideal aufzubauen, ist die Staatsräson der Cartman aus der Fernsehserie South Park zum Vertreter Staaten mit ‚Gründungsmythos Auschwitz‘[,] den ‚NS der „Respect my identity!“-Forderung auswählen. Denn

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seine Identität, die hier geschützt oder r espektiertner notwendigen Verteidigung des Eigenen gegen die werden soll, ist jene eines offen antisemitischen, im­ AggressorInnen von außen. Damit betreiben Identitäre migrantInnenfeindlichen, homophoben, machoiden, Retorsion, eine Umkehr von TäterInnen und Opfern, sie sexistischen und antimarxistischen Achtjährigen, der stellen sich als bedrohte Minderheit dar und wollen stets auf seinen Vorteil bedacht handelt. Bewusst hat sich darüber legitimieren. man sich bei der Figurenwahl also nicht für die Figur Die popkulturellen Referenzen tragen dazu bei, der emanzipierten Wendy oder des nachdenklichen dass die Identitäre Bewegung als softer wahrgenom­ Stan, des klugen und gleichzeitig jüdischen Kyle oder men wird als andere rechtsextreme Bewegungen. des tollpatschigen Butters entschieden. Damit popularisieren sie rechtsextremes Gedanken­ Die Vermengung von Ethnopluralismus mit einer gut. Der rassistische Kern entpuppt sich erst nach eindeutig negativen Sicht auf den Islam zeigt ein Sujet genauerer Betrachtung, zumal die Behauptung eines des Webshops Phalanx Europa, welches sich eines Mo­ Bildes „100% identitär, 0% Rassismus“ zunächst irritiert. tivs aus dem ersten Teil der Herr-der-Ringe-Film-Trilogie Die Konsequenzen der Bemühungen der Identitären bedient. Dass es sich dabei um eine Hollywood-Dar­ um eine Diskursverschiebung enden letztlich wieder stellung handelt, ist für die Identitären, wie so häufig, in Repression und Gewalt gegenüber jenen, die nicht zu vernachlässigen, es zählt allein das hohe Identifika­ dieselben Zuschreibungen aufweisen, die von Identi­ tionspotential von popkulturellen Anspielungen. Der tären und anderen RassistInnen verlangt werden, um dazugehörige Text setzt sich aus Blut-und-Boden-Ide­ Teil der Volksgemeinschaft zu sein. ologie sowie Rassismus zusammen: Fazit NO WAY YOU WILL NOT MAKE EUROPE YOUR HOME Die Identitären beharren darauf, ImmigrantInnen We have been living here und darunter in erster Linie MuslimInnen auf ihre ver­ for thousands of years. meintliche Andersartigkeit zu reduzieren. Das angeb­ Stay back where you belong, liche Gleichwertigkeitspostulat im Sinne des Ethno­ or you will be shipped back. pluralismus kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie alle anderen Kulturen homogenisieren und in eine Zusätzlich wurden durchgestrichene arabische ungleiche Position verweisen. Darüber hinaus werden Schriftzeichen im Sujet integriert, die wohl auf die Ter­ diese anderen als FeindInnen dargestellt. rororganisation Islamischer Staat anspielen. Das Sujet Das konstruierte soziale Verhältnis fußt von Seiten soll letztlich die Bereitschaft der autochthonen europä­ der Identitären auf einem Abwehrkampf. Identitäre ischen Bevölkerung zu Widerstand und Wehrhaftigkeit bauen also eine Konkurrenzsituation auf, in der sich gegen eine islamische Invasion symbolisieren. – in dualistischen Kategorie-Paaren – Eigenes und Das nächste Beispiel für identitären Ethnopluralis­ Fremdes, Vertrautes und scheinbar Bedrohliches sowie mus im popkulturellen Gewand evoziert ebenfalls eine Wünschenswertes und zu Bekämpfendes gegenüber­ Invasion durch fremde Mächte. Das Sujet zeigt eine stehen. Um den vermeintlichen Abwehrkampf um Figur aus dem Film Avatar (2009), in welchem es um ethnische Vorherrschaft zu gewinnen, bedarf es einer den Widerstand einer naturverbundenen Kultur gegen klaren Schlechterstellung und Prekarisierung jener, die habgierige Eroberer geht – ein Inhalt, mit dem sich nicht zur eigenen Gruppe gehören. Identitäre sehr gut identifizieren können. Suggeriert Identitäre und Neue Rechte profitieren in der Ge­ wird mit dem Verweis auf den Film, dass der Ethnoplu­ genwartsgesellschaft nicht nur von der ungleichen ralismus aus einer defensiven Haltung wurzelt, aus ei­ Verteilung von Privilegien basierend auf rassistischer

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Durchstrukturierung der Gesellschaft, sondern sie legi­ blikationen auskommen. Dieser Rassismus findet seine timieren sie, fordern sie aktiv ein. Ausprägung in antimuslimischem Rassismus als auch Rassismus funktioniert immer kulturalistisch: „Sein sekundärem Antisemitismus und wird in Textform, gra­ zentrales Argument besteht nicht darin, dass Menschen phischer Gestaltung, Slogans und Aktionen umgesetzt. sich aufgrund körperlicher Merkmale in Rassen einteilen n ließen. Vielmehr behauptet er, in den Rassen endlich den sichtbaren Beweis für die Verbindung klassifizierbarer 1 In diesem Aufsatz werden Begriffe wie Rasse, Volk, Kultur, Nation, Ei­ erblicher biologischer Besonderheiten mit Unterschie­ genes/Fremdes und Islamisierung verwendet. Es handelt sich dabei den des kulturellen Vermögens gefunden zu haben.“68 um Kategorien und Begriffe, die von rechtsextremer Rhetorik geprägt Rassismus ist eine homogenisierende Grundlage, sind. Wir möchten die Begriffe nicht als neutral oder selbstverständ­ ohne die er nicht auskommt. Biologismen wie das lich für den Sprachgebrauch verstanden wissen, haben allerdings aus Gründen einfacherer Lesbarkeit diese Begriffe nur bei ihrer ersten Argumentieren mit Vererbung, Phänotypen oder Ge­ Nennung im Text kursiv gesetzt. LeserInnen sollen sich aber bewusst netik sind dabei lediglich Zusätze, die – auch begriffs­ machen, dass diese Begriffe, so sie angeführt sind, aus einem poli­ geschichtlich – Rasse-Vorstellungen geprägt haben. tischen und oft abwertenden Sprachgebrauch stammen. Da es hier Doch Rassismus als gesellschaftsstrukturierendes Phä­ jedoch auch darum geht, rechtsextreme Ideologie und Rhetorik zu nomen kommt auch ohne diese Biologismen aus69: veranschaulichen, um sie zu verstehen, werden sie im Text verwendet. „Die rassistisch konstruierte Differenz ist eben nicht 2 Im Jahr 732 schlug Karl Martell in der Schlacht von Poitiers die ihm gegenüberstehenden maurischen Soldaten zurück. Dabei handelte in erster Linie als biologische, körperliche Differenz zu es sich um Soldaten, die aus Gebieten Nordafrikas stammten, die fassen, sondern als soziokulturelle Ungleichheit, die heute den Ländern Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Maureta­ sich zwar ‚tendenziell in körperlichen Merkmalen aus­ nien, Mali und dem Niger entsprechen. Sie waren muslimisch und drücken‘ soll, aber nicht notwendigerweise an deren versuchten, ähnlich wie im Mittelalter die Kreuzzüge, auf Erobe­ Signifikation geknüpft ist.“70 rungsfeldzügen politische Macht auszubauen, wobei Religion eine wichtige Säule darstellte. Kultur dient Rassismus als nützliches Instrument, 3 Julian Bruns/Kathrin Glösel/Natascha Strobl: Die Identitären. Hand­ welches erlaubt, „den ihr unterworfenen Anderen ei­ buch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa (Münster nerseits immer erneut Anstrengungen zur Assimilati­ 2014), S. 62f. on abzuverlangen und dabei gleichzeitig andererseits 4 Margarete Schlüter: Die „Identitären“ – eine Bewegung? In: der rechte deren Maßstab flexibel halten und immer wieder ver­ rand, Nr. 140 (2013), S. 21. schieben zu können“.71 5 Bernhard Schmid: Auf Identitätssuche, http://jungle-world.com/arti­ kel/2012/45/46543.html (Zugriff am 20.12.2013). Diese Beschaffenheit und Wirkung von Rassismus 6 Ebd. macht auch deutlich, weshalb Ethnopluralismus als Ras­ 7 Bruns/Glösel/Strobl: Die Identitären, S. 56. sismus funktioniert, der versucht, krude wirkende bio­ 8 Als Beispiele sei auf Alain de Benoist, Armin Mohler, Ernst Nolte, Guil­ logische Zuweisungen abzuschütteln. Dennoch forciert laume Faye oder Henning Eichberg verwiesen. er, „Individuen auf Erscheinungsformen (Repräsentati­ 9 Bruns/Glösel/Strobl: Die Identitären, S. 149. 10 Ebd., S. 151. onen) ihrer wesensmäßigen ‚Zugehörigkeit’“ zu redu­ 11 Iris Weber: Nation, Staat und Elite: Die Ideologie der Neuen Rechten 72 zieren. Ethnopluralismus erhält in der sozialen Realität (Köln 1997), S. 14. dualistische und wertungleiche Kategorienpaare auf­ 12 Ines Aftenberger: Die Neue Rechte und der Neorassismus (Graz 2007), recht, die Menschen hierarchisieren und unterschiedlich S. 37. mit Privilegien und Unsicherheiten ausstatten. 13 Michael Minkenberg: Die neue radikale Rechte im Vergleich. USA, Ethnopluralismus als Ideologie und seine Aus­ Frankreich, Deutschland (Opladen 1998), S. 141. 14 Rainer Benthin: Auf dem Weg in die Mitte. Öffentlichkeitsstrategien formung bei den Identitären erfüllen demnach die der Neuen Rechten (Frankfurt/Main/New York 2004), S. 44. Voraussetzungen, als Rassismus gewertet zu werden, 15 Roger Woods: Nation ohne Selbstbewußtsein. Von der Konservativen auch wenn sie ohne den gängigen Rasse-Begriff in Pu­ Revolution zur Neuen Rechten (Baden-Baden 2001), S. 8.

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16 Bernhard Schmid: Die Neue Rechte in Frankreich (Münster 2009), S. 8. klopädie Philosophie. 2. Aufl., Bd. 3 (Hamburg 2010), S. 2191-2200, 17 Vgl. ebd. hier S. 2191. 18 Alain de Benoist: Kulturrevolution von rechts: Gramsci und die Nou­ 48 Hund: Vor, mit, nach und ohne Rassen. velle Droite (Krefeld 1985). 49 Christian Delacampagne: Die Geschichte des Rassismus (Düsseldorf 19 Vgl. Benthin: Auf dem Weg in die Mitte, S. 232. 2005), S. 60. 20 Schmid: Die Neue Rechte in Frankreich, S. 27. 50 Hund: Rassismus [2007], S. 83. 21 Vgl. Benthin: Auf dem Weg in die Mitte, S. 193. 51 Zygmunt Baumann: Moderne und Ambivalenz. In: Ulrich Bielfeld 22 Gabriele Kämper: Die männliche Nation. Politische Rhetorik der neu­ (Hg.): Das Eigene und das Fremde. Neuer Rassismus in der Alten Welt en intellektuellen Rechten (Köln/Weimar/Wien 2005), S. 23. (Hamburg 1998), S. 23-49, hier S. 38. 23 Diese können hier aus Platzgründen nicht erläutert werden. Eine aus­ 52 Anja Weiß: Rassismus als symbolisch vermittelte Dimension sozialer führliche Darstellung findet sich in Bruns/Glösel/Strobl: Die Identitären. Ungleichheit. In: Dies. [u. a.] (Hg.): Klasse und Klassifikation (Opladen 24 Aftenberger: Die Neue Rechte und der Neorassismus, S. 103. 2001), S. 79-108, hier S. 88. 25 Weber: Nation, Staat und Elite, S. 33. 53 Hund: Rassismus [2007], S. 83. 26 Ebd., S. 44. 54 Fanny Müller-Uri: Antimuslimischer Rassismus (Wien 2014), S. 67f. 27 De Benoist: Kulturrevolution von rechts, S. 63. 55 Hund: Rassismus [2007], S. 91-99. 28 Ebd., S. 53. 56 Ebd., S. 99-109. 29 Ebd., S. 62. 57 Einige Beispiele: Institut für Staatspolitik (2000), CasaPound (2003), 30 Aftenberger: Die Neue Rechte und der Neorassismus, S. 156. Achse des Guten (2004), Blaue Narzisse (2004). 31 Schmid: Die Neue Rechte in Frankreich, S. 19. 58 Heribert Schiedel: Extreme Rechte in Europa (Wien 2011), S. 23. 32 Thomas Assheuer/Hans Sarkowicz: Rechtsradikale in Deutschland: 59 Hanna Herbst: IS, Islam und Identitäre, http://www.vice.com/alps/ Die alte und die neue Rechte (München 1992), S. 181. read/IS-Identitaere-Wien-808 (Zugriff am 15.9.2014). 33 Roland Eckert: Kulturelle Homogenität und aggressive Intoleranz: 60 Identitäre Bewegung Deutschland: Ohne Worte: Bürgerinitiative in Eine Kritik der Neuen Rechten. In: Aus Politik und Zeitgeschichte Duisburg…, https://www.facebook.com/identitaere/photos/a.5832 Nr. 44 (2010), S. 26-33, vgl. auch http://www.bpb.de/publikationen/ 69085024488.1073741828.581482171869846/866386580046069/?t W8K05D,0,Kulturelle_Homogenit%E4t_und_aggressive_Intoleranz_ ype=1 (Zugriff am 30.10.2014). Eine_Kritik_der_Neuen_Rechten.html (Zugriff am 21.12.2011), S. 29. 61 Aftenberger: Die Neue Rechte und der Neorassismus, 68. 34 Margret Jäger/Siegfried Jäger: Gefährliche Erbschaften: Die schlei­ 62 Weber: Nation, Staat und Elite, S. 70. chende Restauration rechten Denkens (Berlin 1999), S. 86. 63 Philipp Gessler: Sekundärer Antisemitismus. Argumentationsmuster 35 Vgl. Armin Pfahl-Traughber: Konservative Revolution und Neue Rech­ im rechtsextremistischen Antisemitismus, http://www.bpb.de/poli­ te: Rechtsextremistische Intellektuelle gegen den demokratischen tik/extremismus/antisemitismus/37962/sekundaerer-antisemitimus Verfassungsstaat (Opladen 1998), S. 140f. (Zugriff am 5.12.2014). 36 Aftenberger: Die Neue Rechte und der Neorassismus, S.159. Hervor­ 64 Ebd. hebungen im Original. 65 Bruns/Glösel/Strobl: Die Identitären, S. 202. 37 Schmid: Die Neue Rechte in Frankreich, S. 52. 66 Dabei handelt es sich um den bekannten Aufsatz von Ernst Nolte, der 38 Identitäre Bewegung Deutschland: Wir gratulieren Alain de Benoist 1986 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) publiziert wurde zu seinem 70. Geburtstag!, https://www.facebook.com/identitaere/ und dessen apologetische Tendenzen (sowie die Texte von Michael posts/709854965699232 (Zugriff am 30.10.2014). Stürmer und Andreas Hillgruber) Jürgen Habermas kurz darauf in der 39 Martin Sellner: Vlog 27 – die ethnokulturelle Identität, http://www. Wochenzeitung Die Zeit scharf kritisierte. Habermas lehnte Noltes youtube.com/watch?v=BCFKIP0kwaM (Zugriff am 4.11.2014), Versuch ab, die Einzigartigkeit der NS-Verbrechen zu bestreiten und Min. 10.50-11.32. sie nur als politische Reaktion auf externe Bedrohungsszenarien dar­ 40 Ebd. Min. 07.58-08.22. zustellen. Die Debatte ist bekannt geworden unter der Bezeichnung 41 Ebd. Min. 54.15-54.20. Historikerstreit. 42 Ebd. Min. 54.00. 67 IB-Medienteam: Integration und Selbsthass (Teil 2), http://www.iden­ 43 De Benoist: Kulturrevolution von rechts, S. 68. titaere-generation.info/integration-und-selbsthass-2 (Zugriff am 44 Wulf Hund: Rassismus [2007] (Bielefeld 2007), S. 12. 8.2.2015). 45 Vgl. ebd. 68 Hund: Rassismus [2007], S. 15. 46 Vgl. Wulf Hund: Vor, mit, nach und ohne Rassen. Für ein neues Para­ 69 Müller-Uri: Antimuslimischer Rassismus, S. 61 und 69. digma der Rassismusanalyse. Vortrag am Institut für Politikwissen­ 70 Ebd., S. 69. schaft der Universität Wien, 3. Juni 2014. 71 Hund: Rassismus [2007], S. 110. 47 Wulf Hund: Rassismus [2010]. In: Hans Jörg Sandkühler (Hg.): Enzy­ 72 Müller-Uri: Antimuslimischer Rassismus, S. 74.

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KAPITEL 02 DOKUMENTATION KZ-Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial 2014 02

KAPITEL 02 DOKUMENTATION

Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Wien Das Landesgericht für Strafsachen Wien NS-Zeit – Gedenkstätte – Volksgerichte

Gregor Holzinger Das letzte Urteil Die beiden Prozesse gegen Johann Vinzenz Gogl 02 KAPITEL 02 | DOKUMENTATION

70 Jahrbuch 2014 DOKUMENTATION 02

Friedrich Forsthuber, Präsident des Landesgerichts für Strafsachen Wien

Das Landesgericht für Strafsachen Wien NS-Zeit – Gedenkstätte – Volksgerichte1

ie Entwicklung der Strafgerichtsbarkeit, die sich das Urteil jetzt vollstreckt werde“. Die Anzahl der Hin­ D im historischen Gebäude des zwischen 1831 und richtungen nahm mit negativem Kriegsverlauf zu (im 1839 errichteten (jetzigen) Landesgerichts für Strafsa­ Landgericht Wien über 1 000 ab Sommer 1942). An chen Wien widerspiegelt, war in den letzten 175 Jahren manchen Tagen wurden mehr als 30 Hinrichtungen im eine äußerst wechselhafte. Zwischen März 1938 und 3-Minutentakt vollstreckt. April/Mai 1945 wurde sie durch Diktatur und Unrechts­ Nach der Hinrichtung wurden viele Hingerichtete justiz des NS-Regimes geprägt. in das Anatomische Institut gebracht; von dort gab man dann Särge mit Leichenteilen an den Zentralfried­ NS-Zeit hof ab. Einige Widerstandskämpfer wurden auch direkt in den Schachtgräbern der Gruppe 40 am Wiener Zen­ Zwischen 1938 und 1945 wurden Todesurteile vom tralfriedhof formlos vergraben. Die Gruppe 40 ist seit Volksgerichtshof, vom Oberlandesgericht Wien, vom 2014 eine nationale Gedenkstätte. oder einem Sondergericht ausge­ sprochen und im Erdgeschoss des Landgerichts Wien Gedenkstätte (so die Bezeichnung während der NS-Zeit) vollzogen. Die erste Hinrichtung durch das Fallbeil im neu ge­ Nach Intervention durch Angehörige und Opfer­ schaffenen Hinrichtungsraum fand am 6. Dezember verbände wurde der Hinrichtungsraum, der teilweise 1938 statt. noch im Original erhalten ist, als Gedenkstätte ein­ Insgesamt wurden in der NS-Zeit 1 210 Personen gerichtet. Diese wurde am 2. November 1951 unter hingerichtet, die meisten von ihnen verurteilt auf­ Beteiligung der Religionsgemeinschaften eingeweiht grund nationalsozialistischer Gesetzgebung sowie und anschließend in die Obhut des Landesgerichts für wegen politischen Widerstands (insbesondere durch Strafsachen Wien übergeben. Am 8. Mai 1967 luden die den Volksgerichtshof wegen Hoch- oder Landesverrats Opferverbände zur Einweihung der neu gestalteten bzw. Wehrkraftzersetzung). Gedenkstätte. Festredner waren Bundeskanzler Josef Unmittelbar vor der Hinrichtung wurde dem Ver­ Klaus und die Abgeordnete Rosa Jochmann. urteilten in einem Vorraum des Hinrichtungsraums An den Wänden sind Tafeln mit den Namen von 619 mitgeteilt, dass „keine Begnadigung erfolgt sei und dem politischen Widerstand zuordenbaren Personen angebracht, die von der Arbeitsgemeinschaft der Op­ ferverbände (Kuratorium der ÖVP-Kameradschaft der politisch Verfolgten, Bund sozialistischer Freiheitskämp­ fer, Bundesverband österreichischer Widerstandskämp­

Bild links: Von Hans Gogl angefertigte Zeichnung aus dessen gerichts­ fer und Opfer des Faschismus/KZ-Verband) gestiftet medizinischem Gutachten von 1971 (LG Wien 20 Vr 36/75, Bd. 7). und von Archtiekt Wilhelm Schütte gestaltet wurden.

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im Mai und Juni 1945 erlassenen Gesetzen, dem NS- Verbotsgesetz und dem Kriegsverbrechergesetz, aber auch nach Paragraphen des allgemeinen Strafgesetzes. Das größte der vier Volksgerichte, vor dem fast die Hälfte aller Anklagen verhandelt wurde, bestand am Landesgericht für Strafsachen Wien. Insgesamt wur­ den zwischen 1945 und 1955 in 136 829 Fällen Vorer­ hebungen und gerichtliche Voruntersuchungen ein­ geleitet. 23 477 Urteile wurden gefällt, davon 11 230 in Wien. 6 701 der 13 607 Schuldsprüche fällte das Volksgericht Wien. Die Anzahl der wegen NS-Gewalt­ verbrechen verurteilten Personen liegt bei rund 2 000 Personen. Bis 1948 verhängten die Volksgerichte auch Todes­ urteile. 43 Angeklagte wurden zum Tode, 29 Ange­ Die Broschüre Zeittafeln – Justizgeschichte sowie der Ausstellungska­ klagte zu lebenslangem Kerker und 269 Angeklagte talog Die Geschichte des Grauen Hauses und der österreichischen Straf­ gerichtsbarkeit können im Internet unter http://www.justiz.gv.at/ zu Kerkerstrafen zwischen zehn und zwanzig Jahren web2013/html/default/2c94848540b9d489014203d96eca28e0.de.html verurteilt. Von den 30 vollstreckten Todesurteilen ent­ abgerufen werden (Landesgericht für Strafsachen, unter Verwendung fielen 25 auf Wien. der Zeichnung Magistratisches Kriminalgericht von Eduard Gurk, 1839). Die im Jänner 2015 an der Fassade des Landes­ gerichts angebrachten zehn Zeittafeln bieten die Möglichkeit, einerseits der im Gerichtsgebäude hin­ gerichteten Opfer der NS-Unrechtsjustiz und der Wi­ derstandskämpfer zu gedenken (im April 2015 wird Johann Certov entwarf eine Gedenktafel für 13 slo­ vor dem Landesgericht auch das Mahnmal 369 Wo­ wenische Opfer aus Kärnten, die am 29. April 1993 in chen der Künstlerin Eva Schlegel eingeweiht), anderer­ Anwesenheit des damaligen Justizministers Nikolaus seits aber auch auf die Errungenschaften des demo­ Michalek und des Obmanns des Österreichischen kratischen Rechtsstaats und des modernen Strafrechts Volksgruppenzentrums Karel Smolle enthüllt wurde. hinzuweisen. n Die Gedenkstätte im Landesgericht für Strafsachen Wien kann jeden ersten Dienstag im Monat um 15 Uhr im Rahmen einer Führung besucht werden (Treffpunkt: Wien 8, Landesgerichtsstraße 11).

Volksgerichte 1 Dieser Beitrag ist auszugsweise der aktuellen Broschüre Zeittafeln – Justizgeschichte entnommen, die sich mit der Geschichte des 1945 führte die Provisorische Regierung eine eige­ Grauen Hauses und der österreichischen Strafgerichtsbarkeit aus­ ne Gerichtsbarkeit zur Ahndung von NS-Verbrechen einandersetzt. Die Kapitel „NS-Zeit“ und „Gedenkstätte“ wurden von Ursula Schwarz (Dokumentationsarchiv des österreichischen Wider­ und Verstößen gegen das NS-Verbotsgesetz ein, die so­ standes), das Kapitel „Volksgerichte“ von Winfried Garscha (Zentrale genannten Volksgerichte, bestehend aus zwei Berufs­ österreichische Forschungsstelle Nachkriegsjustiz im Dokumentati­ richtern und drei Schöffen. Angeklagt wurde nach zwei onsarchiv des österreichischen Widerstandes) verfasst.

72 Jahrbuch 2014 DOKUMENTATION 02

Gregor Holzinger

Das letzte Urteil Die beiden Prozesse gegen Johann Vinzenz Gogl

Johann Gogl vor dem Landesgericht Linz während seines Prozesses im Jahr 1972 (Österreichischer Rundfunk).

ogl wurde freigesprochen – Verdacht bleibt“1 Johann Vinzenz Gogl, geboren am 27. November „G betitelte der Kurier am 3. Dezember 1975 den 19233 in Gossensaß (Colle Isarco) in Südtirol, war im Freispruch des ehemaligen SS-Angehörigen Johann Jahr 1939 im Zuge des Hitler-Mussolini Abkommens Vinzenz Gogl. Dieser Freispruch bleibt bis heute das zur Umsiedlung der deutschsprachigen Bevölkerung letzte in Österreich gefällte Urteil wegen NS-Gewalt­ in Südtirol mit seiner Familie nach Innsbruck abge­ verbrechen. wandert, wo er bei der Umsiedlungsstelle für Südtiro­ Es folgen ein einleitender Kommentar und eine ler als Bote arbeitete. Seinen eigenen Angaben zufol­ Analyse der beiden Prozesse gegen Johann Gogl, aus ge wollte er sich 1940 mit 16 Jahren bei der denen Auszüge präsentiert werden.2 melden, wurde jedoch aufgrund seines Alters nicht

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genommen. Daraufhin meldete er sich im Frühjahr Der erste Augenzeuge, der Gogl beschuldigte, war 1940 bei der SS-Ergänzungsstelle in Innsbruck freiwil­ Richard Dietl, einziger Überlebender einer Gruppe von lig zur Waffen-SS.4 Nach einer rund sechsmonatigen 43 oberösterreichischen Antifaschisten, die am 28. April Ausbildung in der SS-Kaserne Graz-Wetzelsdorf kam er 1945 im KZ Mauthausen ermordet worden waren. Nur – aufgrund eines Nierenleidens als „frontuntauglich“ fünf Tage nach der Befreiung des Konzentrationslagers eingestuft – im Herbst 1940 17-jährig in das Konzen­ Mauthausen, am 10. Mai 1945, sagte Dietl aus, Gogl trationslager Mauthausen, wo er zunächst als Schrei­ habe sich an den brutalen Misshandlungen der Ange­ ber für den Kommandanturstab arbeitete. Er habe hörigen der sogenannten „Welser Gruppe“ beteiligt.13 sich „dann freiwillig herausgemeldet“, so Gogl: „Ich In einem weiteren Protokoll des „Taylor-Report“ bin Tiroler, ich bin ein Naturmensch, ich muß in die sagte der ehemalige deutsche Häftling Carl Helfrich am frische Luft und ich habe das nicht ausgehalten im­ 15. Mai 1945 aus, Gogl wäre an der als Massenausbruch mer drinnen in der Schreibstube zu sitzen. Ich wurde getarnten Ermordung von 47 alliierten Fallschirmsprin­ dann im Kommandanturstab im Jourdienst verwendet gern am 6. und 7. September 1944 im Steinbruch des und hatte dadurch Gelegenheit hinauszukommen.“5 KZ Mauthausen beteiligt gewesen.14 Am 1. September 1941 wurde er vom SS-Sturmmann Der ehemalige erste Lagerschreiber Kurt Pany be­ zum SS-Rottenführer befördert.6 Ab 1942 war er als stätigte am selben Tag die Aussage Helfrichs und fügte Kommandoführer im Steinbruch „Wiener Graben“ tä­ hinzu, Gogl habe ihm als Kommandoführer die Todes­ tig – eine Aufgabe, die laut Gogl „nicht nennenswert“ meldung diktiert.15 war, „also nur schauen, daß jeder Häftling Arbeit hat.“7 Auch der deutsche Häftling Karl Fitting bestätigte, 1943 wurde er in das Außenlager Loibl-Pass versetzt, dass Gogl gemeinsam mit dem SS-Angehörigen Josef wo er als Rapportführer Dienst versah und zum SS- Kisch „in einem Blutrausch“16 die Häftlinge mit Stöcken Unterscharführer befördert wurde.8 Im Sommer 1944 in Richtung des Drahtzauns zur Lagergrenze getrieben war er dann wieder für einige Monate als Block- und hatte, wo sie dann vorgeblich „auf der Flucht“ erschos­ Kommandoführer im KZ Mauthausen und ab Septem­ sen wurden.17 ber 1944 bis kurz vor der Befreiung Blockführer im KZ Am 17. Mai 1945 sagte der polnische Überlebende Ebensee.9 Jan Szubinski aus, ein gewisser SS-Unterscharführer Im Mai 1945 gelangte er bei St. Florian in US-Kriegs­ „Kogel“ hätte eines Nachts in betrunkenem Zustand gefangenschaft, war in diversen Internierungslagern in einen Häftling vor einer Baracke mit einem Messer Österreich und Deutschland und zuletzt im SS-Lager in erstochen.18 Hallein interniert, von wo er im Sommer 1946 aus der Als nach Abschluss der Voruntersuchungen am Kriegsgefangenschaft entlassen wurde.10 Kurz danach 29. März 1946 der erste der im ehemaligen KZ Dach­ begann Gogl eine Lehre als Uhrmacher, schloss 1953 au stattfindenden US-Prozesse wegen im KZ-Komplex die Meisterprüfung ab und ließ sich in der Gemeinde Mauthausen verübter Kriegsverbrechen begann, be­ Ottnang im Hausruck in Oberösterreich nieder, wo er fand sich Johann Gogl nicht unter den Angeklagten, über ein Jahrzehnt unbehelligt lebte.11 da offenbar entweder die US-Ermittler den obigen Unmittelbar nach der Befreiung des Konzentrations­ Aussagen nicht weiter nachgegangen waren oder lagers Mauthausen begann eine Untersuchungskom­ Gogl nicht aufgefunden werden konnte. Laut dessen mission der US Army im Zuge der Voruntersuchungen eigener Aussage befand er sich zu diesem Zeitpunkt in für die angestrebten Kriegsverbrecherprozesse Aussa­ einem Kriegsgefangenenlager und war „vom CIC über gen mit ehemaligen Häftlingen aufzunehmen, die als alles was ich über das Kazett [sic] Mauthausen wusste „Taylor Report“ bekannt wurden.12 schon vernommen worden. Damals wurden die Ereig­

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nisse in den Konzentrationslagern Dachau und Maut­ hausen von [sic] CIC untersucht und man hat mich anstandslos entlassen, weil man offenbar bei diesen gründlichen Untersuchungen keinerlei Straftaten fest­ gestellt hat, die mir anzulasten gewesen wären.“19 Vor allem die Ermordung der 47 alliierten Fallschirm­ springer wurde bei den Dachauer Mauthausen-Prozes­ sen breit verhandelt, da sich unter ihnen auch ein US- Bürger, Gerard John van Hemert, befunden hatte. Im Prozess 000-50-5-13 (United States vs. Johann Haider et al.) mussten sich die drei SS-Angehörigen Martin Steinmetz, Daniel Stöckel und Stefan Uschare­ witz vor Gericht verantworten, da ihre Namen im soge­ nannten Verzeichnis über „unnatürliche Todesfälle“ bei der Massenerschießung der als Schutzhäftlinge im KZ Mauthausen internierten Fallschirmspringer angeführt waren. Das Verzeichnis über „unnatürliche Todesfälle“, das für den Zeitraum zwischen 1. Oktober 1942 und Johann Gogl in den 1950er-Jahren. Nach seiner Entlassung aus ame­ 6. April 1945 erhalten ist, war nicht nur eines der zen­ rikanischer Kriegsgefangenschaft arbeitete Gogl seit 1953 unbehelligt tralen Beweismittel bei den Dachauer Mauthausenpro­ als Uhrmachermeister in Ottnang im Hausruck (Landesgericht Wien 20 zessen, sondern stellt auch eine der wichtigsten Quel­ Vr 3625/75, Bd. 3). len für die als „Erschießung auf der Flucht“ getarnten Ermordungen dar. So sind neben den Namen und Ka­ tegorien der verstorbenen Häftlinge auch die Todesart sowie die Namen und Ränge der Schützen aufgelistet. männer im Vorfeld von einer geplanten Tötungsaktion Insgesamt sind von 1 023 umgekommenen Häftlingen wussten, konnte jedoch nicht erbracht werden. Bei ei­ 529 Fälle von vorgeblich „auf der Flucht“ Erschossenen ner Befragung am 3. April 1947 gab Stefan Uscharewitz verzeichnet, davon werden in 482 Fällen die Schützen an, dass die Häftlinge von Blockführer Josef Kisch in den genannt.20 Draht getrieben worden waren – über Johann Gogl ver­ Laut Eintrag in diesem Verzeichnis erschossen die lor er allerdings kein Wort.23 drei Angeklagten Steinmetz, Stöckel und Uscharewitz Kisch stritt vor Gericht erwartungsgemäß ab, die am 6. September 1944 19 der alliierten Häftlinge, da­ Häftlinge in den Draht getrieben zu haben und gab an, von 16 niederländische und drei englische Schutzhäft­ dass diese versucht hatten, zu fliehen; er erklärte zwar, linge.21 Am nächsten Tag wurden weitere 29 Häftlinge dass er für das aus den allliierten Schutzhäftlingen be­ erschossen – bis auf drei Briten und einen US-Bürger, stehende Steineträgerkommando „verantwortlich“24 nämlich jenen Gerard John van Hemert, erneut nieder­ gewesen war, berichtete jedoch auch, dass Gogl der ländische Schutzhäftlinge –, jedoch wurden hier keine eigentliche Kommandoführer gewesen war. Schützen vermerkt.22 Das Gericht verurteilte die drei als Schützen Ange­ Im Zuge der Vorbereitungen für den Prozess wurden klagten Steinmetz, Stöckel und Uscharewitz ursprüng­ die Angeklagten Steinmetz, Stöckel und Uscharewitz lich zu je sieben Jahren Haft, reduzierte jedoch in der mehrfach verhört; ein Nachweis, dass die drei Wach- Folge das Strafausmaß mit der Begründung, es sei

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nicht zufriedenstellend erwiesen, dass die Angeklag­ die drei Todesschützen Steinmetz, Stöckel und Uscha­ ten von einem Plan wussten, der der Massenerschie­ rewitz. Karl Fitting, der Gogl bereits unmittelbar nach ßung der Häftlinge vorangegangen war, und sie die­ dem Krieg schwer belastet hatte, sagte am 8. Dezem­ se vorsätzlich getötet hatten.25 Josef Kisch hingegen ber 1959 aus, er habe die Ermordung der 47 alliierten wurde wegen seiner vorsätzlichen Mitwirkung an der Häftlinge „mit eigenen Augen gesehen. Kommando­ Ermordung der 47 alliierten Fallschirmspringer sowie führer war ein SS-Unterführer namens Googel [sic]. G., der Misshandlung und Ermordung weiterer Häftlinge der wegen seiner Grausamkeit bekannt war, hat auch zum Tode verurteilt und am 12. November 1948 hin­ mich bei früheren Gelegenheiten auf das schwerste gerichtet.26 mißhandelt. Die Fallschirmjäger wurden zum Teil zu Im Zuge der Ermittlungen gegen den Leiter der Tode geprügelt und zum Teil in die Postenkette gejagt Politischen Abteilung im KZ Mauthausen Karl Schulz und dann erschossen. Wie erwähnt, weiß ich nicht, ob und Anton Streitwieser, u. a. Lagerführer in verschie­ Schulz den Befehl zur Ermordung dieser Häftlinge gab. denen Außenlagern, die ab Ende der 1950er-Jahre Fest steht, daß Googel als Kommandoführer der Ver­ durchgeführt worden waren, wurde der Fall der 47 antwortliche war.“27 ermordeten Fallschirmspringer erneut behandelt und Anfang der 1960er-Jahre wurde Gogl in Ottnang am man befragte erneut Zeugen zum Tathergang, so auch Hausruck ausgeforscht und ein eigener Akt mit dem

Johann Gogl bei einem Lokalaugenschein auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Mauthausen im Zuge seines Prozesses vor dem Landesgericht Linz im Jahr 1972 (Österreichischer Rundfunk).

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Betreff „Überprüfung Hans Gogl“ angelegt.28 Nachdem Lehrdivision“ gekommen, wo er auch „das Ende der der Leiter der Zentralstelle im Lande Nordrhein-West­ Kriegshandlungen und den Rückzug mitmachte.“30 falen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Es folgten noch mehrere Vernehmungen von Massenverbrechen in Konzentrationslagern bei dem Gogl, in denen er nach und nach zugab, doch einige Leitenden Oberstaatsanwalt in Köln sich mit dem ös­ Kommandos im KZ Mauthausen geführt zu haben terreichischen Bundesministerium für Inneres in Ver­ und im KZ Ebensee „hin und wieder auch zu Bewa­ bindung gesetzt hatte, wurde die Akte Gogl an die ös­ chungsaufgaben eingeteilt“31 worden zu sein, jedoch terreichischen Behörden übergeben. Am 5. März 1964 dementierte er, Häftlinge misshandelt zu haben – er stellte daraufhin die Staatsanwaltschaft Linz – da Gogl behauptete, lediglich einmal habe er einen Häftling in Oberösterreich wohnhaft war – einen Antrag auf geohrfeigt, weshalb er von Lagerkommandant Ziereis Voruntersuchungen gegen Gogl und die drei bereits persönlich mit drei Tagen Haft bestraft worden wäre.32 bei den Dachauer Mauthausenprozessen verurteilten Es folgten nun auch erste Zeugengegenüberstel­ Todesschützen Steinmetz, Stöckel und Uscharewitz.29 lungen, von denen jedoch nicht alle wie geplant ver­ Am 8. Juni 1964 wurde Gogl erstmals im Bezirks­ liefen. Nach einem Lokalaugenschein auf dem Gelände gericht Schwanenstadt vernommen. Seine Taktik war der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, bei dem Zeugenaus­ bei dieser Vernehmung, vorerst grundsätzlich alles sagen mit ehemaligen Häftlingen aufgenommen wur­ zu leugnen, was ihn mit den im KZ Mauthausen ver­ den, widersetzte sich der ehemalige zweite Lagerschrei­ übten Verbrechen in Verbindung bringen und ihn so ber Hans Maršálek einer Gegenüberstellung mit Gogl: später belasten könnte. Er gab an, er habe bis zum „Ich weigere mich, mich mit dem Besch.[uldigten Frühjahr 1942 als gemeiner Soldat ohne Dienstrang – G.H.] confrontieren zu lassen, weil mich das Gesicht in der Schreibstube des KZ Mauthausen gearbeitet: des Besch. im höchsten Masse aufregt, und weil mir „Ich gehörte, wenn ich auch im Hinterland geblieben nicht zumutbar ist, eine[m] solchen Massenmörder ge­ war, nach wie vor zur Kampftruppe und hatte mit den genübergestellt [zu] werden.“33 eigentlichen Lageragenden, Verwaltung, Bewachung Nachdem weitere Zeugen vernommen worden wa­ usw. nichts zu tun und wollte auch mit diesen Agen­ ren, die Gogl noch andere Taten zur Last legten, wurde den und jenen, die sie ausführten, nichts zu tun ha­ schließlich am 13. April 1971 – 7 Jahre nach seiner er­ ben, weil ich als Angehöriger der Waffen-SS mich als sten Vernehmung – vom Landesgericht Linz ein Haft­ Angehöriger der Kampftruppe und nicht der ‚Toten­ befehl gegen ihn erlassen.34 kopfverbände‘ betrachtete.“ Nach einem Jahr, in dem er aufgrund seines Nierenleidens im Lazarett gewesen Die am 10. Mai 1971 ausgearbeitete Anklageschrift sein will, sei er dann vom KZ Mauthausen zum Au­ legte ihm folgende Taten zur Last:35 ßenlager Loibl-Pass versetzt worden, wo er mit einem „Spähtrupp die Sicherung gegen Partisanen über“ hat­ „I. im Konzentrationslager Mauthausen te. Danach war er in Ebensee, wo er wiederum nicht im Lager selbst Dienst getan habe wollte, sondern die Ver­ a) Ermordung von Angehörigen eines aus alliierten pflegungstransporte von Mauthausen nach Ebensee Fallschirmspringern gebildeten Steineträgerkommandos begleitet hätte. Andere Aufgaben habe er zu keinem am 6.9.1944 Zeitpunkt übernommen: „Ich habe natürlich das Lager b) Ermordung von Angehörigen eines aus der so ge­ Mauthausen gekannt. Ich habe aber dort niemals als nannten ‚Welser Gruppe’ gebildeten Steineträgerkom­ Bewacher fungiert.“ Ab Jänner 1945, so behauptete er, mandos am 18. und 19.9.1944 wäre er dann „nach Stuhl-Weissenburg zur 3. Panzer- c) Ermordung zahlreicher Häftlinge durch Erschlagen,

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Erschießen, Treiben in den Drahtzaun, Hetzen von Hunden Zu den weiteren Anklagepunkten beharrte Gogl – auf sie und Jagen über den Abgrund des Steinbruchs in wie bereits seit seinen ersten Vernehmungen – auf ei­ der Zeit zwischen 28.11.1943 und Ende September 1944 ner Verwechslung mit dem SS-Unterscharführer Hans Bühner, der 1950 durch ein französisches Gericht in II. im Konzentrationslager Ebensee Rastatt zum Tode verurteilt und hingerichtet worden war: „Dieser Hans Bühner gehörte ebenso wie ich zum a) Ermordung des französischen Häftlings Leon Personal des Konzentrationslagers Mauthausen und Saliemonas in der Nacht von 16. auf 17.11.194436 befand sich nicht nur ungefähr im gleichen Alter, son­ b) Ermordung des deutschen Häftlings Hermann Kelch­ dern sah mir auch zum Verwechseln ähnlich. Er hatte ner ebenfalls in der Nacht vom 16. auf 17.11.194437 nicht nur die selbe Statur wie ich, sondern auch ähn­ c) Ermordung eines namentlich unbekannten rus­ liche Gesichtszüge und gleich schwarze Haare, sodaß sischen Häftlings im Frühjahr 1945“ er besonders in Uniform kaum von mir zu unterschei­ den war. Tatsächlich ist er im Lager öfters mit mir ver­ Die 103 Seiten umfassende Anklageschrift war – wechselt worden.“40 wie auch ihre Pendants in der BRD – sehr detailliert Als einige Häftlinge aussagten, von Gogl misshan­ ausgearbeitet: auf den ersten 50 Seiten wurde die Ge­ delt worden zu sein, redete er sich immer wieder auf schichte von NSDAP und SS, von Konzentrationslagern eine Verwechslung mit Bühner aus. Da Bühner eben­ allgemein sowie der KZ Mauthausen und Ebensee im falls in Ebensee gewesen war, wandte er dieses Argu­ Speziellen abgehandelt, danach wurde auf die Biogra­ ment auch in der Folge konsequent für die ihm dort phie des Angeklagten eingegangen; im Anschluss da­ zur Last gelegten Taten an. ran wurden auf über 30 Seiten die Taten, die Gogl zur Nach 21 Prozesstagen wurde schließlich das Ur­ Last gelegt wurden, beschrieben. teil gegen Gogl verlesen: obwohl ihn fast alle Zeugen Am 4. April 1972 begann dann das Verfahren gegen schwer belastet und teilweise detaillierte Schilde­ Johann Gogl vor dem Landesgericht Linz. Er bekannte rungen der Morde geliefert hatten, wurde Johann Gogl sich in allen Punkten nicht schuldig. in allen Anklagepunkten freigesprochen – die acht Ge­ Zum ersten Anklagepunkt, der Ermordung der alli­ schworenen hatten alle Haupt- und Eventualfragen ierten Soldaten, gab Gogl an, er wäre zwar mit ihnen im einstimmig mit „nein“ beantwortet.41 Steinbruch gewesen, als sich diese jedoch weigerten, Bei der Verkündung des Urteils gab es lautstarke Steine die sogenannte Todesstiege hinaufzutragen – Proteste im Gerichtsaal. „Lauter als die Empörung ehe­ mit der Begründung, sie würden nicht für Deutschland maliger Häftlinge klangen jedoch die ‚Bravo‘-Rufe der arbeiten –, habe er das Kommando niedergelegt. Mit ehemaligen SS-Männer“42, erinnert sich Simon Wie­ der Ermordung, die ihm zufolge erst später erfolgte, senthal. Der Staatsanwalt meldete umgehend Nichtig­ habe er nichts zu tun gehabt.38 keitsbeschwerde an, die er 14 Tage später einbrachte.43 Auch im Fall der sogenannten „Welser Gruppe“ – Die Folge dieses Freispruchs waren nicht nur em­ 43 oberösterreichische Antifaschisten, Kommunisten pörte Medienberichte, sondern auch internationale und Sozialisten – gab Gogl zu, mit den Opfern im Proteste: in Washington stürmten etwa Mitglieder der Steinbruch gewesen zu sein. Er behauptete, gewusst Jewish Defense League die österreichische Botschaft, zu haben, dass sie liquidiert werden sollten, und habe wo sie eine Hakenkreuzflagge und ein Schild mit dem sie deshalb beschützt – das sei dann auch der Grund Text „Don’t visit Nazi Austria“ anbrachten.44 für seine sofortige Versetzung nach Ebensee gewesen, Zu dem ohnehin fragwürdigen Urteil kam auch weshalb er auch vom weiteren Schicksal der „Welser noch ein weiterer bitterer Beigeschmack, als publik Gruppe“ nichts wisse.39 wurde, dass einige der Geschworenen ehemalige

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Zeitungsartikel zur Kritik am Freispruch Gogls vor dem Landesgericht Linz durch Vizekanzler und Sozialminister Rudolf Häuser (Kurier, 15. Mai 1972).

NSDAP-Mitglieder waren. Die Volksstimme, die auch Weil sich viele der Zeugen, die beim ersten Prozess während des Prozesses regelmäßig berichtet hatte, gegen Gogl ausgesagt hatten, weigerten, erneut zu schrieb daraufhin: „Wo noch in der Welt ist es mög­ kommen, weil sie die – wohl begründete – Vermutung lich, dass ehemalige engagierte NS-Mitglieder über hatten, dass es wieder umsonst sein könnte, dauerte Kriegsverbrecher zu Gericht sitzen?“45 das zweite Verfahren wesentlich kürzer als das erste. Nachdem sogar ein Mitglied der Bundesregierung, Gogl änderte in diesem Prozess seine Taktik, trat Vizekanzler und Sozialminister Rudolf Häuser, das Urteil emotionaler auf – er brach immer wieder in Tränen bei den jährlichen Befreiungsfeiern in der Gedenkstät­ aus, sodass das Verfahren mehrmals kurzzeitig unter­ te Mauthausen kritisiert und die Frage aufgeworfen brochen werden musste, bis er sich wieder beruhigt hatte, ob „Einflüsse neofaschistischer Kräfte“46 für das hatte – und gab sich, wie es ein Kurier-Artikel mit dem Urteil verantwortlich waren, wurde schließlich am 15. bezeichnendem Titel „Jetzt weint ehemaliger SS-Mann Juni 1973 das Urteil vom Obersten Gerichtshof aufge­ Gogl über die Morde im KZ-Lager“ formulierte, als hoben und dem Landesgericht Wien zugewiesen, wo „Menschenfreund“47. der Fall dann erneut verhandelt werden sollte. So sagte er etwa zum Thema der 47 ermordeten Mehr als zwei Jahre nach der Aufhebung des Lin­ alliierten Soldaten aus, er habe es krachen gehört, da zer Urteils begann das zweite Verfahren gegen Johann wäre er hingelaufen, weil er geglaubt habe, er könne Gogl am 17. November 1975 im Wiener Landesgericht. vielleicht etwas verhindern.48 In seiner Zeit als Ange­

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Pressebericht über den zweiten Prozess gegen Johann Gogl vor dem Landesgericht Wien (Arbeiter-Zeitung, 18. November 1975).

höriger der Mauthausener Lager-SS habe er zwar öfter Diejenigen ehemaligen Häftlinge, die sich bereit er­ Schüsse gehört, aber er habe nie gewusst, was sie zu klärt hatten, erneut gegen Gogl auszusagen und aus bedeuten hatten. Österreich, Deutschland, Luxemburg, Frankreich und Dass er den einen Häftling geschlagen hatte, tue sogar aus der Sowjetunion angereist waren, belasteten ihm heute noch leid.49 Misshandlungen durch ande­ Gogl nach wie vor schwer. Der ehemalige Lagerälteste re SS-Angehörige oder Kapos habe er, so gut es ging, des KZ Ebensee, Magnus Keller, der zuvor Gogl noch verhindert. Auch den Tod der Mitglieder der „Welser schwer belastet hatte, hatte hingegen plötzlich alle sei­ Gruppe“ habe er verhindern wollen, es sei ihm jedoch ne Aussagen zurückgenommen. Als der Richter Gogl nicht gelungen.50 daraufhin auf das Gerücht ansprach, er sei mit seiner Was die ihm angelasteten Taten in Ebensee betraf, Frau nach München zu Keller gefahren und habe ihm verfolgte er weiterhin die Strategie, er sei mit Hans Schmuck gebracht, um ihn so zu bestechen, stritt Gogl Bühner verwechselt worden. dies vehement ab.51

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Bevor sich die Geschworenen zur Beratung zurück­ zogen, versicherte Gogl noch einmal: „Mutwillig ist nie geschlagen worden. In meiner Anwesenheit wurde nie geschlagen. Höchstens wurden die Häftlinge etwas gestoßen. Sie mussten in 5-er Reihen gehen und wenn die Leute müde waren haben wir sie gestoßen. […] Schlagen in dem Sinn mit dem Ochsenziemer hat es nicht gegeben, aber Watschen hat man hin und wieder verteilt. Auch ich habe Watschen verteilt, beim lang­ samen Einrücken, wenn es nicht schnell genug gegan­ gen ist“52. Aber mehr als „Watschen“ habe es in seiner Anwesenheit nie gegeben. Am 2. Dezember 1975, dem zwölften Verhand­ lungstag, kam es zur Urteilsverkündung: Erneut wurde Gogl in allen Punkten freigesprochen.53 Für die Volksstimme, die bereits beim ersten Pro­ zess gegen Gogl am Ausführlichsten berichtet hat­ te54, war der erneute Freispruch Gogls bezeichnend für Österreichs Aufarbeitung der eigenen Geschichte: „Dieser Freispruch eines SS-Wächters, den nicht ein­ mal eindeutige Zeugenaussagen verhindern konnten, ist symptomatisch für Österreich, ein Land, in dem sich die beiden Großparteien vor jeder Wahl aufs äu­ ßerste anstrengen, die ‚braune Vergangenheit‘ an sich zu binden.“55 An anderer Stelle heißt es: „Und wenn in einem Prozess gegen einen SS-Mann aus Maut­ Pressebericht über den zweiten Freispruch Gogls (Kurier, 3. Dezember hausen noch so viele Zeugen über sein Wüten und 1975). seine Grausamkeiten aussagen, so nützt das nichts, er wird freigesprochen; von fürchterlicher Blutschuld freigesprochen; ja er wird von gewissen Leuten sogar gefeiert.“56 durch den ersten Freispruch im Jahr 1972 schwer be­ Die Staatsanwaltschaft meldete zwar erneut Nich­ schädigt worden war, zu verbessern. tigkeitsbeschwerde an, zog sie jedoch im Jänner 1976 Simon Wiesenthal widmete Johann Gogl ein Kapitel zurück.57 in seinen Memoiren. Die letzten Sätze dieses Kapitels Obwohl das Urteil vermutlich ohnehin nur symbo­ mit der bezeichnenden Überschrift „Der Tierfreund“ lischen Charakter gehabt hätte – laut dem vom Gericht lauten wie folgt: „Johann Vinzenz Gogl ist bis heute in Auftrag gegebenen medizinischen Gutachten wäre eines der sozial wertvollsten Mitglieder der Gemeinde Gogl wohl aller Wahrscheinlichkeit nach ohnehin nicht Ottnang im Hausruck: Er hat zwei Kinder, ist ein her­ haftfähig gewesen58 –, war es verabsäumt worden, ein vorragender Uhrmacher, und seine ganze Liebe gehört diesbezügliches Exempel zu statuieren und auf diese den Tieren. Besucher konnten in seinem Haus vierzehn Weise nicht nur den Opfern gerecht zu werden, son­ Wellensittiche, einige Katzen und einen Hund aus dem dern auch das internationale Ansehen Österreichs, das Tierschutzasyl bewundern.“59 n

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1 „SS-Prozess: Vier Geschworene bejahten Mord. Gogl wurde freige­ 17 Zur Praxis von Erschießungen auf der Flucht vgl. Gregor Holzinger: sprochen – Verdacht bleibt“. In: Kurier vom 3. Dezember 1975, S. 6. „…da mordqualifizierende Umstände nicht hinreichend sicher 2 Grundlage für diesen Artikel bildet ein Vortrag, der am 16. Okto­ nachgewiesen werden können…“ Die juristische Verfolgung von ber 2014 im Landesgericht für Strafsachen Wien bei einem von der Angehörigen der SS-Wachmannschaft des Konzentrationslagers „Forschungsstelle Nachkriegsjustiz“ organisierten Symposium zum Mauthausen wegen „Erschießungen auf der Flucht“. In: Dokumenta­ Thema „Strafrechtliche Ahndung von NS-Gewaltverbrechen: Haupt­ tionsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.): Täter. Österrei­ verhandlungen im Großen Schwurgerichtssaal“ gehalten wurde. chische Akteure im Nationalsozialismus. Jahrbuch 2014 (Wien 2014), 3 Auf Gogls SS-Gebührniskarte sowie dem in der Akte enthaltenen S. 135–163. Karteikartenindex ist als Geburtsdatum fälschlich der 23. November 18 Vgl. Aussage von Jan Szubinski vom 17.5.1945, NARA RG 549, US 1923 angegeben. Vgl. Bundesarchiv Berlin (fortan BArch) SM Gogl, Army Europe, Cases tried, Case 000-50-5 (Mauthausen), Box 334, Fol­ Hans, 23.11.1923. der No. 5, Prosecution exhibit No. 8. 4 Vgl. Anklageschrift gegen Johann Gogl, S. 50 f., Landesgericht Wien 19 Vernehmung von Johann Gogl vom 8.6.1964, LG Wien 20 Vr 3625/75, (fortan LG Wien) 20 Vr 3625/75, Bd. 7. Das Verfahren wurde in Linz Bd. 1. unter der Geschäftszahl LG Linz 18Vr485/64 begonnen. 20 Verzeichnis „Unat. [sic] Todesfälle“ des KZ Mauthausen vom 5 Hauptverhandlungsprotokoll S. 20, LG Wien 20 Vr 3625/75, Bd. 9. 1.10.1942 bis 6.4.1945, NARA RG 549, US Army Europe, Cases tried, 6 Liste der Beförderungen innerhalb des Kommandanturstabs vom Case 000-50-5 (Mauthausen), Box 343, Folder No. 4, Prosecution ex­ 2.9.1941, Amicale de Mauthausen, Paris. hibit No. 22. 7 Hauptverhandlungsprotokoll S. 22, LG Wien 20 Vr 3625/75, Bd. 9. 21 Ebd., Bl. 93f., Einträge 601-619. 8 Vgl. BArch SM Gogl, Hans, 23.11.1923. 22 Ebd., Bl. 94f., Einträge 620-648. 9 Vgl. Anklageschrift S. 51, LG Wien 20 Vr 3625/75, Bd. 7; ebd., Bd. 9, 23 Aussage von Stefan Uscharewitz vom 3.4.1947, NARA RG 549, US Hauptverhandlungsprotokoll S. 24. Army Europe, Cases tried, 000-50-5-13, Box 379, Folder No. 7. 10 Laut einem von Gogl selbst verfassten Lebenslauf am 6. Juli 1946 24 „I once was in charge of a detail. The detail leader of that detail was (ebd., Bd. 7, Gerichtsmedizinisches Gutachten) im Hauptverhand­ SS-Sgt. Gogel [sic].“ Ebd., Folder No. 6, Direct Examination Josef Kisch. lungsprotokoll gibt er als Entlassungsdatum den 7. August 1946 an. 25 Review and recommendations, Martin Steinmetz, Daniel Stöckel and Vgl. ebd., Bd. 9, Hauptverhandlungsprotokoll S. 25. Stefan Uscharewitz, NARA RG 549, US Army Europe, Cases tried, 000­ 11 Vgl. ebd., Bd. 7, Gerichtsmedizinisches Gutachten S. 17. 50-5-13, Box 380, Folder No. 1. 12 Für eine kommentierte Veröffentlichung des „Taylor Report“ vgl. 26 Ebd., Folder No. 2, Report of War Crimes Board. Florian Freund/Bertrand Perz/Karl Stuhlpfarrer: Der Bericht des US- 27 Vernehmung von Karl Fitting vom 8.12.1959, S. 8f., Landesgericht Geheimagenten Jack H. Taylor über das Konzentrationslager Maut­ Köln (fortan LG Köln) 24 Js 1599/58 (Z), Bd. 31. hausen. In: Zeitgeschichte 22 (1995), Heft 9/10, S. 318-341; zu den 28 LG Köln 24 AR 10/64 (Z). Ermittlungen und den Dachauer Mauthausen-Prozessen vgl. Florian 29 Antrags- und Verfügungsbogen Strafsache gegen a) Hans Gogl b) Freund: Der Mauthausen-Prozeß. Zum amerikanischen Militärge­ Martin Steinmetz c) Daniel Stöckel d) Stefan Uscharewitz wegen richtsprozeß in Dachau im Frühjahr 1946. In: Dachauer Hefte 13 § 212 RStGB. Erster Antrag der Staatsanwaltschaft, LG Wien 20 Vr (1997), S. 99-118; weiters Bertrand Perz: Prozesse zum KZ Mauthau­ 3625/75, Bd. 1. sen. In: Ludwig Eiber/Robert Sigl (Hg.): Dachauer Prozesse. NS-Ver­ 30 Ebd., Vernehmung von Johann Gogl vom 8.6.1964. brechen vor amerikanischen Militärgerichten in Dachau 1945–1948 31 Ebd., Vernehmung von Johann Gogl vom 16.4.1971. (Göttingen 2007), S. 174-191 sowie Tomaz Jardim: The Mauthausen 32 Ebd., Vernehmung von Johann Gogl vom 6.7.1964. Trial. American in Germany (Cambridge 2012). 33 Ebd., Vernehmung von Johann Gogl, Walter Kehraus und Hans 13 Vgl. Bericht von Richard Dietl o. D., Report by Lt. Jack H. Taylor, Docu­ Maršálek. ment 3, National Archives and Records Administration (fortan NARA) 34 Ebd., Bd. 7, Haftbefehl gegen Johann Gogl vom 13.4.1971. RG 226, Records of the Office of Strategic Services, Box 4, Entry 110, 35 Ebd., Anklageschrift gegen Johann Gogl. deutsche Übersetzung mit Datum, Archiv der KZ-Gedenkstätte Maut­ 36 Der als französischer Schutzhäftling registrierte Chaimas Leiba Sale­ hausen (fortan AMM) V/3/43. monas, geboren am 17. Februar 1908 in Marijampolė (Litauen), kam 14 Vgl. ebd., Protokoll mit Karl [sic] Helfrich vom 15.5.1945. am 18. April 1943 ins KZ Mauthausen. Am 17. November 1944 wurde 15 Vgl. Protokoll mit Kurt Pany vom 15.5.1945, AMM V/3/10. er im Außenlager Ebensee ermordet. Als offizielle Todesursache ist 16 Aussage von Karl Fitting vom 24.5.1945, NARA RG 549, US Army Eu­ „Freitod durch Erhängen“ angegeben. Vgl.: META-Datenbank, AMM. rope, Cases tried, Case 000-50-5 (Mauthausen), Box 334, Folder No. 5, 37 Hermann Kelchner, geboren am 7. März 1907 in Ludwigshafen, wur­ Prosecution exhibit No. 211. de am 11.März 1944 aus dem KZ Flossenbürg ins KZ Mauthausen

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überstellt. Sein Tod im Außenlager Ebensee wurde im Totenbuch leidens und anderer Gebrechen nur bedingt verhandlungsfähig sei des SS-Standortarzts am 17. November 1944 mit der Todesursache („grundsätzlich verhandlungsfähig, allerdings unter starken Ein­ „(Stichverletzung des Herzens;) und Verletzung grosser Lungenge­ schränkungen“). Auch aus der Untersuchungshaft im Jahr 1971/72 fäße mit innerer Verblutung“ vermerkt. Vgl.: META-Datenbank, AMM. war Gogl aus gesundheitlichen Gründen am 13. Jänner 1972 frühzei­ 38 Vgl. LG Wien 20 Vr 3625/75, Bd. 9, Hauptverhandlungsprotokoll tig entlassen worden. 5.4.1972, S. 81-88. 59 Wiesenthal: Recht, nicht Rache, S. 379. 39 Vgl. ebd., Hauptverhandlungsprotokoll 6.4.1972, S. 104-113. 40 Ebd., Bd. 1, Vernehmung von Johann Gogl vom 20.4.1971. 41 Vgl. ebd., Bd. 9, Urteil gegen Johann Gogl vom 4.5.1972. 42 Simon Wiesenthal: Recht, nicht Rache. Erinnerungen (Berlin 1995), S. 376. 43 Vgl. Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Geschwornenge­ richtes am Sitze des Landesgerichts Linz vom 4.5.1972, LG Wien 20 Vr 3625/75, Bd. 10. 44 Vgl. „Austrians Fight J.D.L. at Embassy“. In: Chicago Tribune vom 9. Mai 1972, Section 1A, S. 1. 45 „Proteste gegen Gogl-Freispruch“. In: Volksstimme vom 6. Mai 1972, S. 2. 46 „Häuser: Kritik an Freispruch für Gogl“. In: Kurier vom 15. Mai 1972, S. 2. 47 „Jetzt weint ehemaliger SS-Mann Gogl über die Morde im KZ-Lager“. In: Kurier, 19. November 1975. S. 8. 48 Vgl. Hauptverhandlungsprotokoll 18.11.1975, S. 238, LG Wien 20 Vr 3625/75, Bd. 11. 49 Vgl. ebd., Hauptverhandlungsprotokoll 17.11.1975, S. 229. 50 Vgl. ebd., Hauptverhandlungsprotokoll 18.11.1975, S. 242-245. 51 „Herr Gogl, es gibt ein Gerücht, daß Sie Schmuck nach München gebracht hätten?“ Ebd., Hauptverhandlungsprotokoll 28.11.1975, S. 369f. 52 Ebd., S. 371. 53 Vgl. ebd., Urteil gegen Johann Gogl vom 2.12.1975. 54 Zur Berichterstattung zu den Gogl-Prozessen vgl. Petra Undesser: „…diese Zeugen lügen alle“. Die Berichterstattung über die beiden NS-Prozesse gegen Johann Vinzenz Gogl 1972 und 1975. Eine inhalts­ analytische Untersuchung ausgewählter österreichischer Tageszei­ tungen. Diplomarbeit (Wien 2009). 55 „Apropos Gogl-Freispruch“. In: Volksstimme vom 3. Dezember 1975, S. 2. 56 „Die politische Moral in Österreich“. In: Volksstimme vom 5. Dezember 1975, S. 2. 57 Peter Eigelsberger (mit Vorarbeiten von Irene Leitner): „Mauthausen vor Gericht“. Die österreichischen Prozesse wegen Tötungsdelikten im KZ Mauthausen und seinen Außenlagern. In: Thomas Albrich/Win­ fried R. Garscha/Martin F. Polaschek (Hg.): Holocaust und Kriegsver­ brechen vor Gericht. Der Fall Österreich (Innsbruck 2006), S. 198-228, hier S. 225. 58 Siehe Gerichtsmedizinisches Gutachten über den Gesundheitszu­ stand des Johann Gogl, 30.12.1975, LG Wien 20 Vr 3625/75, Bd. 11. Das Gutachten hatte ergeben, dass Gogl aufgrund seines Nieren­

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Haftanzeige gegen Johann Gogl vom 15. April 1971 (Landesgericht Wien 20 Vr 3625/75, Bd. 7).

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Haftbefehl gegen Johann Gogl, ausgestellt am 13. April 1971 (Landesgericht Wien 20 Vr 3625/75, Bd. 7).

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Haftbefehl gegen Johann Gogl, ausgestellt am 13. April 1971, Seite 2.

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Haftbefehl gegen Johann Gogl, ausgestellt am 13. April 1971, Seite 3.

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Erste Vernehmung von Johann Gogl vom 8. Juni 1964 (Landesgericht Wien 20 Vr 3625/75, Bd. 1). Der Verfasser der Anmerkungen ist unbekannt.

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Erste Vernehmung von Johann Gogl vom 8. Juni 1964, Seite 2.

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Erste Vernehmung von Johann Gogl vom 8. Juni 1964, Seite 3.

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Erste Vernehmung von Johann Gogl vom 8. Juni 1964, Seite 4.

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Handgeschriebener, von Johann Gogl selbst verfasster Lebenslauf aus 1971 (Landesgericht Wien 20 Vr 3625/75, Bd. 7).

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Handgeschriebener, von Johann Gogl selbst verfasster Lebenslauf aus 1971, Seite 2.

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Zeugenvernehmung von Hans Maršálek vom 18. August 1966 (Landesgericht Wien 20 Vr 3625/75, Bd. 2). Der Verfasser der Anmerkungen ist unbekannt.

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Zeugenvernehmung von Hans Maršálek vom 18. August 1966, Seite 2.

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Zeugenvernehmung von Hans Maršálek vom 18. August 1966, Seite 3.

96 Jahrbuch 2014 DOKUMENTATION | Das letzte Urteil 02

Zeugenvernehmung von Hans Maršálek vom 18. August 1966, Seite 4.

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Zeugenvernehmung von Hans Maršálek vom 18. August 1966, Seite 5.

98 Jahrbuch 2014 DOKUMENTATION | Das letzte Urteil 02

Zeugenvernehmung von Hans Maršálek vom 18. August 1966, Seite 6.

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Abschrift des Urteils gegen Johann Im Namen der Republik Gogl vom 12. Dezember 1975

(Landesgericht Wien 20 Vr 3625/75, Bd. 11). Die Tran­ Das Geschwornengericht beim Landesgericht für Straf­ skription des Originaldokuments erfolgte quellengetreu, sachen Wien hat über die von der Staatsanwaltschaft orthografische und Satz-Fehler wurden mit „[sic]“ ge­ gegen kennzeichnet, Durchstreichungen nicht übernommen. Johann Vinzenz G o g l wegen § 75 StGB. erhobene Anklage am 17.11., 18.11., 19.11., 20.11., 21.11., 24.11., 25.11., 26.11., 27.11., 28.11., 1.12., 2.12., unter dem Vorsitze von OLGR. Dr. Josef S.1, in Gegenwart von OLGR. Dr. Wilhelm A. und OLGR. Franz Leopold L. als Mitglieder des Schwurgerichtshofes, der Geschwornen Ernestine F., Günther F., Emma G., Gilbert H., Franz H., Olga L., Hertha M., Mathilde P., Ersatzgeschworne Leo­ poldine T. und Ingeborg P., in Anwesenheit des Staats­ anwaltes Dr. Gottfried S., des Angeklagten Johann Vin­ zenz Gogl und seines Verteidigers Dr. Johann M., des Schriftführers VB. Eva N. verhandelt.

Die Geschwornen haben die an sie gerichteten Fragen wie folgt beantwortet:

1.) Hauptfrage:

Ist Johann Vinzenz Gogl schuldig am 6.9.1944 im KL- Mauthausen als Kommandoführer eines aus alliierten Fallschirmspringern gebildeten Steinträgerkommandos andere aus Mordlust oder sonst aus niedrigen Beweg­ gründen heimtückisch oder grausam dadurch getötet zu haben, daß er eine unbekannte Anzahl von Ange­ hörigen dieser Arbeitsgruppe gemeinsam mit anderen SS-Angehörigen und Kapos durch Versetzen von Schlä­ gen und Stössen [sic] durch eine Öffnung im Lagerzaun

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trieb, wodurch sie in den Schußbereich der großen Po­ Kopf und durch Versetzen von Fußtritten in den Bauch stenkette gerieten und durch Schüsse aus Gewehren getötet zu haben? und Maschinenpistolen getötet wurden? 8 Nein 8 Nein 4.) Eventualfrage: 2.) Eventualfrage: Ist Johann Vinzenz Gogl schuldig am 6.9.1944 im KL- Ist Johann Vinzenz Gogl schuldig am 6.9.1944 im KL- Mauthausen als Kommandoführer eines aus alliierten Mauthausen als Kommandoführer eines aus alliierten Fallschirmspringern gebildeten Steinträgerkomman­ Fallschirmspringern gebildeten Steinträgerkomman­ dos, ohne aus Mordlust oder sonst aus niedrigen Be­ dos, ohne aus Mordlust oder sonst aus niedrigen Be­ weggründen tätig geworden oder heimtückisch oder weggründen tätig geworden oder heimtückisch oder grausam gewesen zu sein, Menschen, nämlich eine grausam gewesen zu sein, Menschen dadurch vorsätz­ unbekannte Anzahl von Angehörigen dieser Arbeits­ lich getötet zu haben, daß er eine unbekannte Anzahl gruppe durch Versetzen von Schlägen gegen denKopf von Angehörigen dieser Arbeitsgruppe gemeinsam mit [sic] und durch Versetzen von Fußtritten in den Bauch anderen SS-Angehörigen und Kapos durch Versetzen vorsätzlich getötet zu haben? von Schlägen undStößen [sic] durch eine Öffnung im Lagerzaun trieb, wodurch sie in den Schußbereich der 8 Nein großen Postenkette gerieten und durch Schüsse aus Gewehren und Maschinenpistolen getötet wurden? 5.) Hauptfrage:

3 ja, 5 Nein Ist Johann Vinzenz Gogl schuldig am 18.9.1944 im KL- Mauthausen als Kommandoführer eines aus Angehö­ 3.) Hauptfrage: rigen der sogenannten „WeIser Gruppe“ gebildeten Steinträgerkommandos andere aus Mordlust oder Ist Johann Vinzenz Gogl schuldig am 6.9.1944 im KL- sonst aus niedrigen Beweggründen heimtückisch oder Mauthausen als Kommandoführer eines aus alliierten grausam dadurch getötet zu haben, daß er eine unbe­ Fallschirmspringern gebildeten Steinträgerkomman­ kannte Anzahl von Angehörigen dieser Arbeitsgruppe dos, andere aus Mordlust oder sonst aus niedrigen gemeinsam mit anderen SS-Angehörigen und Ka­ Beweggründen heimtückisch oder grausam, nämlich pos durch Versetzen von Schlägen und Stößen durch eine unbekannte Anzahl von Angehörigen dieser Ar­ eine Öffnung im Lagerzaun trieb, wodurch sie in den beitsgruppe durch Versetzen von Schlägen gegen den Schußbereich der großen Postenkette gerieten und

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durch Schüsse aus Gewehren und Maschinenpistolen sam mit anderen SS-Angehörigen und Kapos durch Ver­ getötet wurden? setzen von Schlägen und Stößen durch eine Öffnung im Lagerzaun trieb, wodurch sie in den Schußbereich 8 Nein. der großen Postenkette gerieten und durch Schüsse aus Gewehren und Maschinenpistolen getötet wurden? 6.) Eventualfrage: 8 Nein. Ist Johann Vinzenz Gogl schuldig am 18.9.1944 im KL- Mauthausen als Kommandoführer eines aus Angehö­ 9.) Eventualfrage: rigen der sogenannten „WeIser Gruppe“ gebildeten Steinträgerkommandos, ohne aus Mordlust oder sonst Ist Johann Vinzenz Gogl schuldig am 19.9.1944 im KL- aus niedrigen Beweggründen tätig geworden oder Mauthausen als Kommandoführer eines aus Angehö­ heimtückisch oder grausam gewesen zu sein, Men­ rigen der sogenannten „Welser Gruppe“ gebildeten schen dadurch vorsätzlich getötet zu haben, daß er Steinträgerkommandos ohne aus Mordlust oder sonst eine unbekannte Anzahl von Angehörigen dieser Ar­ aus niedrigen Beweggründen tätig geworden oder beitsgruppe gemeinsam mit anderen SS-Angehörigen heimtückisch oder grausam gewesen zu sein, Men­ und Kapos durch Versetzen von Schlägen und Stößen schen dadurch vorsätzlich getötet zu haben, daß er durch eine Öffnung im Lagerzaun trieb, wodurch sie in eine unbekannte Anzahl von Angehörigen dieser Ar­ den Schußbereich der großen Postenkette gerieten und beitsgruppe gemeinsam mit anderen SS-Angehörigen durch Schüsse aus Gewehren und Maschinenpistolen und Kapos durch Versetzen von Stößen und Schlägen getötet wurden? durch eine Öffnung im Lagerzaun trieb, wodurch sie in den Schußbereich der großen Postenkette gerieten und 4 ja, 4 nein durch Schüsse aus Gewehren und Maschinenpistolen getötet wurden? 8.) Hauptfrage: 8 Nein. Ist Johann Vinzenz Gogl schuldig am 19.9.1944 im KL- Mauthausen als Kommandoführer eines aus Angehö­ 11.) Hauptfrage: rigen der sogenannten „Welser Gruppe“ gebildeten Steinträgerkommandos andere aus Mordlust oder sonst Ist Johann Vinzenz Gogl schuldig am 18. oder 19.9.1944 aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grau­ im KL-Mauthausen als Kommandoführer eines aus der sam dadurch getötet zu haben, daß er eine unbekannte sogenannten „Welser Gruppe“ gebildeten Steinträ­ Anzahl von Angehörigen dieser Arbeitsgruppe gemein­ gerkommandos einen anderen, nämlich einen Ange­

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hörigen dieser Gruppe, aus Mordlust oder sonst aus 15.) Eventualfrage: niedrigen Beweggründen heimtückisch oder grausam durch Versetzen von Fußtritten gegen den Körper ge­ Ist Johann Vinzenz Gogl schuldig im Sommer 1944 im KL- tötet zu haben? Mauthausen als SS-Unterscharführer ohne aus Mordlust oder sonst aus niedrigen Beweggründen tätig geworden 8 Nein. oder heimtückisch oder grausam gewesen zu sein, einen Menschen, nämlich einen unbekannten Angehörigen 12.) Eventualfrage: eines aus Häftlingen gebildeten Steinträgerkommandos durch Versetzen eines Schlages gegen den Körper mit Ist Johann Vinzenz Gogl schuldig am 18. oder 19.9.1944 einem Schlaginstrument vorsätzlich getötet zu haben? im KL-Mauthausen als Kommandoführer eines aus der sogenannten „Welser Gruppe“ gebildeten Steinträger­ 8 Nein. kommandos, ohne aus Mordlust oder sonst aus nied­ rigen Beweggründen tätig gewesen oder heimtückisch 17.) Hauptfrage: oder grausam gewesen zu sein, einen Menschen, näm­ lich einen Angehörigen dieser Arbeitsgruppe, durch Ist Johann Vinzenz Gogl schuldig in der Nacht vom Versetzen von Fußtritten gegen den Körper vorsätzlich 16.11 auf den 17.11.1944 im KL-Ebensee als SS-Unter­ getötet zu haben? scharführer einen anderen, nämlich den französischen Häftling Leon Saliemonas aus Mordlust oder sonst 8 Nein. niedrigen Beweggründen heimtückisch oder grausam dadurch getötet zu haben, daß er ihn im bewußten Zu­ 14.) Hauptfrage: sammenwirken mit dem SS-Unterscharführer Max Krä­ mer erhängte? Ist Johann Vinzenz Gogl schuldig im Sommer 1944 im KL-Mauthausen als SS-Unterscharführer einen anderen 8 Nein. aus Morlust [sic] oder sonswt [sic] aus niedrigen Beweg­ gründen, heimtückisch oder grausam, nämlich einen 18.) Eventualfrage: unbekannten Angehörigen eines aus Häftlingen ge­ bildeten STeinträgerkommandos [sic] durch Versetzen Ist Johann Vinzenz Gogl schuldig in der Nacht vom eines Schlages gegen den Körper mit einem Schlagin­ 16.11. auf den 17.11.1944 im KL-Ebensee als SS-Unter­ strument getötet zu haben? scharführer ohne aus Mordlust oder sonst aus niedrigen Beweggründen tätig geworden oder heimtückisch oder 8 Nein. grausam gewesen zu sein, einen Menschen, nämlich den französischen Häftling Leon Salieomonas [sic], da­

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durch, daß er ihm [sic] im bewußten Zusammenwirken einen unbekannten russischen Häftling aus Mordlust mit dem SS-Unterscharführer Max Krämer erhängte, oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch vorsätzlich getötet zu haben? oder grausam durch einen wuchtigen Schlag mit einer gefüllten Flasche auf den Kopf getötet zu haben? 8 Nein. 8 Nein. 20.) Hauptfrage: 24.) Eventualfrage: Ist Johann Vinzenz Gogl schuldig in der Nacht vom 16. auf den 17.11.1944 im KL-Ebensee als SS-Unterscharfü­ Ist Johann Vinzenz Gogl schuldig im Frühjahr 1945 im her [sic] einen anderen, nämlich den deutschen Häftling KL-Ebensee als SS-Unterscharführer, ohne aus Mord­ Hermann Kelchner aus Mordlust oder sonst aus nied­ lust oder aus sonst niedrigen Beweggr+nden [sic] tätig rigen Beweggründen heimtückisch oder grausam durch geworden oder heimtückisch oder grausam gewesen mehrere Dolchstiche in den Brustkorb getötet zu haben? zu sein, einen Menschen, nämlich einen unbekannten russischen Häftling durch einen wuchtigen Schlag mit 8 Nein. einer gefüllten Flasche auf dem [sic] Kopf vorsätzlich getötet zu haben? 21.) Eventualfrage: 8 Nein. Ist Johann Vinzenz Gogl schuldig in der Nacht vom 16. auf den 17.11.1944 im KL-Ebensee als SS-Unter­ Das Geschwornengericht hat hierauf zu Recht erkannt: scharführer ohne aus Mordlust oder sonst aus niedrigen Beweggründen tätig geworden, oder heimtückisch Der Angeklagte Johann Vinzenz Gogl wird von der wider oder grausam gewesen zu sein, einen Menschen, näm­ ihn erhobenen Anklage zu den nachangeführten Zeiten lich den deutschen Häftling Hermann Kelchner durch und an den nachgenannten Orten in Österreich als SS- mehrere Dolchstiche in den Brustkorb vorsätzlich getö­ Unterscharführer andere getötet zu haben, daß er: tet zu haben? I.) Im Konzentrationslager Mauthausen: 3 ja, 5 Nein. 1.) am 6.9.1944 als Kommandoführer eines aus alliierten Fallschirmspringern gebildeten Steinträgerkommandos 23.) Hauptfrage: a.) eine unbekannte Anzahl von Häftlingen dieser Ar­ beitsgruppe teils allein, teils im bewußten und gewollten Ist Johann Vinzenz Gogl schuldig im Frühjahr 1945 im KL- Zusammenwirken mit bisher unbekannt gebliebenen, Ebensee als SS-Unterscharführer einen anderen, nämlich bzw. abgesondert verfolgten Angehörigen der SS-Be­

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wachungsmannschaften und mit Kapos durch Versetzen eines Schlages gegen den Körper mit einem Schlagin­ von Schlägen und Stößen durch einen, den Weg zwi­ strument. schen Lagerstraße und Abstieg zum Steinbruch „Wiener Graben“ angrenzenden Drahtzaun trieb, wodurch sie in II.) im Nebenlager Ebensee: den Schußbereich der dort auf Posten stehenden Ange­ hörigen der SS-Bewachungsmannschaften gerieten und 1.) in der Nacht vom 16. auf den 17.11.1944 im bewuß­ durch gezielte Schüsse und Feuerstöße aus Schußwaffen ten und gewollten Zusammenwirken mit dem abge­ dieser Posten erschossen wurden; sondert verfolgten Max Kremer [sic] den französischen Häftling Leon Salieomonas [sic] erhängte. b.) allein eine bisher unbekannte Anzahl von Angehö­ rigen dieser Arbeitsgruppe durch Versetzen von Schlä­ 2.) in der Nacht vom 16. auf den 17.11.1944 den [sic] gen gegen den Kopf und durch Versetzen von Fußtrit­ deutschen Häftling Hermann Kelchner mehrere Dolch­ ten in den Bauch; stiche in die Brust versetzte ;

2.) am 18.9.1944 und 19.9.1944 als Kommandofüher 3.) im Frühjahr 1945 einem namentlich unbekannten [sic] eines aus Angehörigen der sogenannten „Welser russischen Häftling einen wuchtigen Schlag mit einer Gruppe“ gebildeten Steineträgerkommandos gefüllten Flasche auf den Kopf versetzte, a.) eine unbekannte Anzahl von Häftlingen dieser gemäß § 336 StPO. Arbeitsgruppe teils allein, teils im bewußten und ge­ wollten Zusammenwirken mit bisher unbekannt ge­ freigesprochen. bliebenen, bzw. abgesondert verfolgten Angehörigen der SS-Bewachungsmannschaften durch die unter I.) 1.) Begründung a.) beschriebenen Handlungen durch den unter I.) 1.) a.) genannten Drahtzaun trieb, wodurch sie auf unter I.) 1.) Der Freispruch begründet sich auf den Wahrspruch der a.) beschriebene Weise erschossen wurden; Geschwornen. b.) allein einen bisher unbekannten Angehörigen der Landesgericht für Strafsachen Wien unter lit. a genannten Arbeitsgruppe durch Versetzen Abt. 3b, am 2.12.1975 von Fußtritten gegen den Kopf. DER VORSITZENDE: DER SCHRIFTFÜHRER: 3.) im Sommer 1944 auf der Stiege zum Steinbruch

„Wiener Graben“ einen bisher unbekannten Angehö­ 1 Die Namen der Geschworenen und der BehördenvertreterInnen wur­ rigen eines Steineträgerkommandos durch Versetzen den aus Gründen des Personenschutzes anonymisiert.

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KAPITEL 03 INFORMATION KZ-Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial 2014 03

KAPITEL 03 INFORMATION

Katharina Czachor Jahresrückblick 2014

Gerhard Hörmann/Florian Penzendorfer BesucherInnenstatistiken 2014

Christa Bauer/Willi Mernyi Wert des Lebens. Gedenk- und Befreiungsfeiern 2014

Ralf Lechner Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen Rückblick 2014

Christian Angerer Opfer, Täter, Umfeld Das pädagogische Konzept und seine Umsetzung

Christine Schindler Das Internationale Forum Mauthausen zur Beratung der Bundesministerin für Inneres 2014

Katharina Czachor 6. Dialogforum Mauthausen

Ines Brachmann/Bernhard Mühleder Bereichernder Austausch: Das 10. Seminar für freie MitarbeiterInnen an Gedenkstätten

Zur Diskussion um die Stollenanlage „Bergkristall“ in St. Georgen an der Gusen. Positionspapier des Bundesministeriums für Inneres

Nachruf auf Roman Mytrofanovycˇ Bul'kacˇ

Nachruf auf Mario Limentani

Nachruf auf Ennio Odino

Nachruf auf Othmar Wundsam KAPITEL 03 | INFORMATION

Foto: Bundesministerium für Inneres/Stephan Matyus INFORMATION 03

Katharina Czachor

Jahresrückblick 2014

28. Jänner 2014 11. März 2014

Präsentation von studentischen Diplomatenbesuch in der KZ-Gedenk­ Entwürfen für eine mögliche Neuge­ stätte Mauthausen staltung des Außenbereichs der KZ- Gedenkstätte Mauthausen Auf Einladung von Bundesministerin Johanna Mikl- Leitner fand am 11. März zum ersten Mal eine gemein­ Im Wintersemester 2013/14 befassten sich der Fach­ same Exkursion von in Wien akkreditierten Diploma­ bereich für Örtliche Raumplanung und das Institut für tInnen zur KZ-Gedenkstätte Mauthausen statt, um das Kunst und Gestaltung 1 an der Fakultät für Architek­ neu gestaltete Museum und die neuen Dauerausstel­ tur und Raumplanung der TU Wien im Rahmen einer lungen sowie den Raum der Namen zu besichtigen. Lehrveranstaltung mit der Neugestaltung der Außen­ Mehr als 20 teilnehmende BotschafterInnen sowie bereiche der KZ-Gedenkstätte Mauthausen sowie de­ hochrangige VertreterInnen des diplomatischen Corps ren Einbindung in die Region. Am 28. Jänner präsen­ hatten die Gelegenheit, vor Ort Führungen in deut­ tierten Studierende im Bundesministerium für Inneres scher und englischer Sprache zu besuchen. schließlich ihre Entwürfe für eine Außengestaltung vor einem ausgewählten Fachpublikum und Menschen 11. Mai 2014 aus der Region. Gedenk- und Befreiungsfeiern 2014

Die 69. Befreiungsfeiern an der KZ-Gedenkstätte Maut­ hausen wurden von neonazistischen Beschmierungen Im Jänner präsentierten StudentInnen der TU Wien im Bundesministe­ überschattet, die man zwei Tage zuvor an der Außen­ rium für Inneres Vorschläge zur Außengestaltung der KZ-Gedenkstätte mauer des ehemaligen KZ Mauthausen entdeckt hat­ Mauthausen (sämtliche Fotos dieses Beitrags, wenn nicht anders ausge­ wiesen, von Bundesministerium für Inneres/Stephan Matyus). te. Trotz dieser negativen Ereignisse zeigten die aus 60 Ländern angereisten rund 8 000 BesucherInnen der diesjährigen Befreiungsfeier an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, wie wichtig das Hochhalten einer ak­ tiven Erinnerungskultur ist, und setzten damit ein öffentliches Zeichen gegen Rassismus und Ausgren­ zung. Die unter dem Themenschwerpunkt Wert des Lebens stehende Befreiungsfeier wurde wie jedes Jahr vom Mauthausen Komitee Österreich in enger Zusam­ menarbeit mit der Österreichischen Lagergemein­ schaft Mauthausen und dem Comité International de Mauthausen sowie mit Unterstützung des Bundesmi­

Seite 109 03 KZ-Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial 2014

Sprache erhältliches Buch in deutscher, tschechischer und holländischer Übersetzung vor. Auschwitz, Ausch­ witz ... Ich kann dich nicht vergessen, solange ich am Le­ ben bleibe ist die Geschichte von Max Garcia, seiner Familie, seinem Überleben und seiner bemerkens­ werten Biographie. Max Garcia wurde 1924 in Amster­ dam geboren. Als Holland im Mai 1940 von den Natio­ nalsozialisten besetzt wurde, tauchte er unter, wurde jedoch im Juni 1943 verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Als die Sowjetarmee näher rückte, wur­ de Max Garcia auf einem Todesmarsch nach Maut­ hausen, dann nach Melk und Ebensee geschickt. Am 6. Mai 1945 wurde er in Ebensee von der US Army be­ freit. Max emigrierte 1948 in die USA, wurde erfolg­ reicher Architekt in San Francisco und gründete eine Familie. Das Buch ist ab sofort im Bookshop der KZ- Gedenkstätte Mauthausen erhältlich.

Bild oben: Am 11. Mai fanden die Gedenk- und Befreiungsfeiern 2014 in 13. Juni 2014 Mauthausen statt, am Samstag davor gedachte man an vielen Orten ehe­ maliger Außenlager wie Gusen oder Melk. Unterzeichnung eines Kooperations­ abkommens mit der Vereinigung der Bild unten: Max Rodriguez Garcia, 90-jähriger Überlebender der Konzen­ trationslager Auschwitz und Mauthausen, präsentierte am 2. Juni sein ehemaligen Häftlinge des Konzentra­ Buch Auschwitz, Auschwitz ... Ich kann dich nicht vergessen, solange ich tionslagers Mauthausen in Serbien am Leben bleibe in der KZ- Gedenkstätte Mauthausen (Foto: Bundesmi­ nisterium für Inneres). Ljubomir Zečević unterzeichnete am 13. Juni in Belgrad ein Kooperationsabkommen zwischen der KZ-Gedenk­ stätte Mauthausen und der Udruženje zatočenika kon­ nisteriums für Inneres und der Bundesländer organi­ centracionog logora Mauthauzen Srbije (Vereinigung siert. Zahlreiche Gedenk- und Befreiungsfeiern fanden der ehemaligen Häftlinge des Konzentrationslagers an diesem Wochenende auch an den Stätten ehema­ Mauthausen in Serbien), deren Präsident er seit 1988 ist. liger Außenlager statt. Bei der Unterzeichnung des Kooperationsabkommens übergaben Andreas Kranebitter und Ralf Lechner dem 2. Juni 2014 Verband die serbischsprachigen Zeitzeugeninterviews aus der Sammlung des Archivs der KZ-Gedenkstätte Besuch von Max Rodriguez Garcia in Mauthausen. Mit diesem Schritt sollen die Interviews der KZ-Gedenkstätte Mauthausen auch in Serbien zugänglich gemacht werden und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Max Rodriguez Garcia, 90-jähriger Überlebender der Thema gefördert werden. Im Gegenzug soll das Archiv Konzentrationslager Auschwitz, Mauthausen, Melk der KZ-Gedenkstätte Interviewtranskriptionen und die und Ebensee, besuchte am 2. Juni die KZ-Gedenkstät­ Ergebnisse wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit te Mauthausen und stellte sein bereits in englischer diesem Bestand erhalten.

110 Jahrbuch 2014 INFORMATION | Jahresrückblick 2014 03

30. Juni bis 30. September 2014

Wanderausstellung Der Holocaust in Europa in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen

Die Wanderausstellung Der Holocaust in Europa gas­ tierte in der Zeit vom 30. Juni bis 30. September im Wechselausstellungsbereich des Museums der KZ-Ge­ denkstätte Mauthausen. Der vom renommierten Mé­ morial de la Shoah in Paris zusammengestellte Teil der Ausstellung vermittelte die Geschichte der Vernichtung des europäischen Judentums von den Anfängen des rassistischen Antisemitismus bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Ergänzend dazu wurde von österreichischen HistorikerInnen im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Frauen eine ausführliche Darstellung die­ ser Entwicklungen in Österreich erarbeitet. Auf diese

Weise wurden Zusammenhänge, Unterschiede und Bild oben: Am 13. Juni unterzeichneten Ralf Lechner und Ljubomir Parallelen der österreichischen mit der gesamteuropä­ Zečević, seit 1988 Präsident der Udruženje zatočenika koncentracionog ischen Geschichte der Shoah verdeutlicht. logora Mauthauzen Srbije (Vereinigung der ehemaligen Häftlinge des Konzentrationslagers Mauthausen in Serbien), in Belgrad ein Koope­ rationsabkommen zwischen der Vereinigung und der KZ-Gedenkstätte 20. bis 23. August 2014 Mauthausen (Foto: Bundesministerium für Inneres).

Filmretrospektive in der KZ-Gedenk­ Bild unten: Die von Frank Stern kuratierte zehnte Filmretrospektive war dem Thema Verlorene Kindheit. Rassismus, Deportation – Weiterleben für stätte Mauthausen Wenige gewidmet.

Die Filmretrospektive im Besucherzentrum der KZ-Ge­ denkstätte Mauthausen, die bereits zum zehnten Mal 20. September 2014 über 400 interessierte BesucherInnen anzog, beschäf­ tigte sich mit dem Thema Verlorene Kindheit. Rassismus, Gedenken an die Opfer Deportation – Weiterleben für Wenige und zeigte Filme, des Warschauer Aufstands 1944 die in verschiedenen europäischen Ländern produziert wurden und beispielhaft die Geschichten und Erfah­ Am 20. September besuchte Minister Andrzej Krzysz­ rungen der verfolgten Kinder unter dem NS-Regime tof Kunert, Präsident des Rats zur Bewahrung des Ge­ visualisieren. Gesichter und Stimmen konfrontieren uns denkens an Kampf und Martyrium, mit S.E. Botschafter mit der Frage, woran wir uns erinnern und was wir be­ Artur Lorkowski und polnischen Überlebenden die KZ- reits vergessen haben. Zugleich geht es auch um die Si­ Gedenkstätte Gusen. Anlass waren die Feierlichkeiten tuation der wenigen Kinder und Jugendlichen, die den am 19. und 20. September in St. Johann bei Wolfsberg, NS-Terror überlebten und nach der Befreiung sehr oft Ebensee und Gusen zu Ehren der polnischen Soldaten um ihre Identität kämpften, meist ohne zu wissen, ob der Heimatarmee, die nach der Niederlage des War­ noch Familienangehörige am Leben waren. schauer Aufstands dorthin verschleppt worden waren.

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Im Rahmen der Abendveranstaltung beim 6. Dialogforum in Linz wurde Innenministerin Johanna Mikl-Leitner präsentierte am 29. September in den TeilnehmerInnen der neu erschienene Katalog Der Tatort Mauthau- Wien den im Verlag new academic press erschienenen Katalog Der Tatort sen – Eine Spurensuche präsentiert. Mauthausen – Eine Spurensuche (Foto: Bundesministerium für Inneres).

22. bis 23. September 2014 29. September 2014

6. Dialogforum Mauthausen Katalogpräsentation Der Tatort Mauthausen – Eine Das diesjährige Dialogforum Mauthausen widmete sich Spurensuche unter dem Themenschwerpunkt „Spuren des National­ sozialismus“ den Fragen nach der Suche, der Sichtbar­ Innenministerin Johanna Mikl-Leitner präsentierte am machung, dem Umgang und der Vermittlung von Spu­ 29. September in Wien den Katalog Der Tatort Maut­ ren des Nationalsozialismus. Viele dieser Spuren wurden hausen – Eine Spurensuche (Kuratierung: Christian durch jahrzehntelange bewusste Verdrängung unkennt­ Dürr, Ralf Lechner, Niko Wahl, Johanna Wensch; Kata­ lich gemacht oder ins Alltagsleben integriert, und das logredaktion: Gregor Holzinger, Andreas Kranebitter; Wissen um ihre ursprüngliche Bedeutung ist oft verloren Verlag: new academic press). Er bildet die im Mai 2013 gegangen. In den letzten Jahren entwickelte sich jedoch in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen eröffnete gleich­ zusehends ein ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein: namige Dauerausstellung im Untergeschoss des Re­ zahlreiche Initiativen kämpfen gegen das Vergessen an, viergebäudes vollständig ab. Das Werk thematisiert durch archäologische Grabungen kommen verborgene die Orte des Massensterbens und der Massenmorde Relikte zutage, Gedenkstätten und Denkmäler werden im KZ Mauthausen und seinen Außenlagern. Die NS- geschaffen. Doch wie geht man mit derartigen Frag­ Verbrechen werden detailliert dokumentiert – an der menten aus der Vergangenheit in weiterer Folge um? Auf Lagergrenze, im Steinbruch, in der Gaskammer und welche Weise soll eine Sichtbarmachung erfolgen? Wie an den Stätten alltäglicher Gewalt. Der Katalog wurde wichtig ist ein authentischer Ort für BesucherInnen? Was vom Verein für Gedenken und Geschichtsforschung kann hier vermittelt werden? Diese Fragen wurden am an österreichischen Gedenkstätten herausgegeben 6. Dialogforum im Rahmen von Vorträgen, Diskussionen und vom Innenministerium sowie vom Zukunftsfonds und Rundgängen diskutiert und behandelt. finanziert.

112 Jahrbuch 2014 INFORMATION | Jahresrückblick 2014 03

Oktober 2014 bis Jänner 2015

Kooperationsprojekt mit dem Institut für Translationswissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz: Übersetzung von Interviews mit Über­ lebenden des KZ-Systems Mauthausen aus dem Bestand des MSDP

Im Wintersemester 2014/15 bot das Institut für Transla­ tionswissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz in Der Film Neugestaltung Mauthausen – Eine KZ-Gedenkstätte stellt sich der einem sprachübergreifenden Projekt 20 unterschied­ Zeit gewann bei den Cannes Corporate Media & TV Awards zwei goldene Delphine (Videostill: WEST4MEDIA). liche Lehrveranstaltungen an, in denen Studierende unter Anleitung der LehrveranstaltungsleiterInnen In­ terviews aus dem Bestand des Mauthausen Survivors Documentation Project transkribierten und übersetzten.

2. Oktober 2014 16. Oktober 2014

Zweimal Gold in Cannes für Symposium zum Thema die Dokumentation Neugestaltung Strafrechtliche Ahndung von Mauthausen – Eine KZ-Gedenkstätte NS-Gewaltverbrechen: stellt sich der Zeit Hauptverhandlungen im Großen Schwurgerichtssaal Die österreichische Filmproduktionsfirma WEST4MEDIA gewann bei den Cannes Corporate Media & TV Awards Am 16. Oktober fand im Landesgericht für Strafsa­ mit der Dokumentation Neugestaltung Mauthausen chen Wien ein Symposium zum Thema Strafrechtliche – Eine KZ-Gedenkstätte stellt sich der Zeit in den Kate­ Ahndung von NS-Gewaltverbrechen: Hauptverhand­ gorien Wissenschaft und Geschichte je einen der be­ lungen im Großen Schwurgerichtssaal statt. Gregor gehrten goldenen Delphine. Am 5. Mai 2013, dem 68. Holzinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Archivs Befreiungstag, wurden unter Anwesenheit von zahl­ der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, hielt einen Vortrag reichen Überlebenden des Konzentrationslagers Maut­ über das letzte in Österreich ergangene Urteil wegen hausen und internationalen Staatsgästen die ersten Er­ NS-Verbrechen: gebnisse der mehrjährigen Arbeit an der Neugestaltung Im Dezember 1975 war Johann Vinzenz Gogl als ehe­ der KZ-Gedenkstätte Mauthausen präsentiert. Um die­ maliger Angehöriger der Mauthausener Lager-SS sen Neugestaltungsprozess auch einer breiten Öffent­ nach zwei aufsehenerregenden Prozessen in Linz und lichkeit zugänglich zu machen, wurde die Arbeit des Wien vom Vorwurf der Tötung und Misshandlung von Teams der KZ-Gedenkstätte Mauthausen an den zwei Häftlingen in den Konzentrationslagern Mauthausen neuen Ausstellungen und dem Gedenkraum im Auftrag und Ebensee freigesprochen worden. des BM.I durch das Filmproduktionsunternehmen WEST­ 4MEDIA über mehrere Jahre hinweg filmisch begleitet.

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1. bis 2. Dezember 2014 in der Welt gesprochen hatte, besuchte sie gemein­ sam mit ihrem Ehemann und weiteren Gästen am 4. Polnisch-österreichische wissen­ Dezember die KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Im Mit­ schaftliche Tagung Auschwitz im Kon­ telpunkt des Besuchs standen eine Gedenkfeier mit text. Die ehemaligen Konzentrations­ Kranzniederlegung und ein Kaddisch, das jüdische lager im gegenwärtigen europäischen Totengebet, beim Denkmal für die französischen De­ Gedächtnis portierten. Im Anschluss daran wurde die Gruppe von einem Vermittler durch die Gedenkstätte begleitet. Das Wissenschaftliche Zentrum der Polnischen Aka­ Auch die neue Dauerausstellung wurde besichtigt. Der demie der Wissenschaften in Wien organisierte ge­ Besuch wurde im „Goldenen Buch“ der Gedenkstätte meinsam mit zahlreichen weiteren wissenschaftlichen festgehalten. Institutionen bereits 2010 und 2012 wissenschaftliche Beate und Serge Klarsfeld haben wie Simon Wie­ Konferenzen. Leitthema der diesjährigen Konferenz senthal fast ihr ganzes Leben der strafrechtlichen war der Stellenwert, den Auschwitz als pars pro toto Verfolgung ehemaliger Nationalsozialisten gewid­ der nationalsozialistischen Konzentrations- und Ver­ met. Weltweite Beachtung erlangten sie durch das nichtungslager im umfassenderen Diskurs über den Aufspüren des früheren Gestapo-Chefs in Lyon, Klaus Zweiten Weltkrieg bzw. die europäische Geschichte im Barbie, Anfang der 1970er-Jahre in Bolivien. Barbie 20. Jahrhundert einnimmt. wurde 1983 nach Frankreich ausgeliefert und 1987 Am Beginn des 21. Jahrhunderts werden zudem die zu lebenslanger Haft in Frankreich verurteilt. Wegen Vermittlung der Geschichte der Konzentrationslager ihres Engagements für die Aufarbeitung von natio­ sowie die Weitergabe des Gedenkens an die kommen­ nalsozialistischen Verbrechen nominierte DIE LINKE den Generationen zu einer zentralen Herausforderung. Beate Klarsfeld 2012 als Kandidatin für das deutsche Vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden zweifa­ BundespräsidentInnenenamt. chen Generationenwechsels – des absehbaren Endes der ZeitzeugInnenschaft und des Ausscheidens der Ersten der Generation von Gedächtnis-AktivistInnen aus ihren aktiven beruflichen Funktionen – ist die Frage, auf welche Weise in Zukunft des nationalsozialistischen Tötens gedacht werden soll, von zentraler Bedeutung. Im Dezember besuchten Beate und Serge Klarsfeld die KZ-Gedenkstätte Mauthausen (Foto: Thomas Zaglmair).

4. Dezember 2014

Beate und Serge Klarsfeld besuchen die KZ-Gedenkstätte Mauthausen

Die ehemalige deutsche Bundespräsidentschaftskan­ didatin Beate Klarsfeld und ihr Ehemann Serge Klars­ feld besuchten am 4. Dezember die KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Nachdem Beate Klarsfeld am Vorabend im „Wissens­ turm“ in Linz über ihren Kampf für die Gerechtigkeit

114 Jahrbuch 2014 INFORMATION 03

Gerhard Hörmann/Florian Penzendorfer BesucherInnenstatistiken 2014

BESUCHERi NNEN 2014

Anzahl der BesucherInnen der Gedenkstätte im Jahr 2014. Die Mehrheit der insgesamt 174 194 BesucherInnen waren mit 84 637 Personen SchülerInnen aus dem In- und Ausland. Insgesamt wurden 3 451 Führungen und 1 913 Filmvorführungen durchgeführt.

Erwachsene 38 962

Kinder/Senioren 12 548

Familien 10 432

SchülerInnen Inland 48 144

SchülerInnen Ausland 37 657

Bundespolizei 48

Bundesheer 0

Delegationen 13 993

Nicht zahlende BesucherInnen (bis Sept. 2014) 18 680

BesucherInnen gesamt: 180 464 0 10 000 20 000 30 000 40 000 50 000 60 000

n Zahlende BesucherInnen Anzahl der Führungen 3 451 n Nicht zahlende BesucherInnen Anzahl der Filmvorführungen 1 913 n VeranstaltungsteilnehmerInnen Ausgabe Audioguides (Mauthausen und Gusen) 16 925

ENTWICKLUNG DER BESUCHERi NNENZAHLEN (2004–2014)

Entwicklung der Gesamtzahl der BesucherInnen der Gedenkstätte von 2004 bis 2014. Die hohe Zahl im Jahr 2005 ist auf das 60. Jubiläum der Befreiung des KZ Mauthausen zurückzuführen.

2014 180 464

2013 174 194 2012 179 504

2011 166 082 2010 184 194 2009 187 146 2008 189 021 2007 192 478 2006 206 600 2005 233 594 2004 210 364

0 50 000 100 000 150 000 200 000 250 000

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BESUCHERi NNEN NACH MONATEN

Anzahl der BesucherInnen nach Monaten im Jahr 2014 (nach gelösten Tickets). Die Zahl der gelösten Tickets liegt aufgrund der „Einfachzählung“ von Familientickets unter der realen Gesamtzahl der BesucherInnen. Gesamt (Tickets): 172 640.

35 000

30 000 28 517

25 000 21 574 21 295 20 408 19 029 20 000 17 597

15 000 9 261 9 281 10 000 8 734 7 509

4 886 5 000 4 549

0

Jänner 2014 Februar 2014 März 2014 April 2014 Mai 2014 Juni 2014 Juli 2014 August 2014 September 2014Oktober 2014 November 2014Dezember 2014

VERGLEICH DER SCHÜLERi NNENZAHLEN INLAND/AUSLAND

Insgesamt wurde die Gedenkstätte 2014 von 48 144 SchülerInnen aus österreichischen und 37 657 SchülerInnen aus ausländischen Schulen besucht.

16 000 n SchülerInnen Ausland n SchülerInnen Inland 14 000

12 000 10 371 8 641 2 456 4 065 9 511 10 000 7 897 9 012 7 358 8 000 4 811 6 000 2 838 1 145 3 930 4 000 1 326 2 074 581 2 235 2 366 527 1 426 573 1 705 2 000 138 783 32 0 Jänner 2014 Februar 2014 März 2014 April 2014 Mai 2014 Juni 2014 Juli 2014 August 2014 September 2014Oktober 2014 November 2014Dezember 2014

116 Jahrbuch 2014 INFORMATION | BesucherInnenstatistiken 2014 03

SCHÜLERi NNEN (INLAND) NACH SCHULTyP

Anzahl der SchülerInnen österreichischer Schulen, die 2014 die Gedenkstätte besucht haben, nach Schultyp.

Allgemeinbildende Höhere Schulen 13 130

Allgemeine Sonderschulen 126

Berufsbildende Höhere Schulen 6 838

Berufsschulen 2 093

Hauptschulen 23 679

Polytechnische Lehrgänge 998

Universitäten und Hochschulen 1 280

0 5 000 10 000 15 000 20 000 25 000 30 000

SCHÜLERi NNEN (INLAND) NACH BUNDESLAND

Anzahl der SchülerInnen österreichischer Schulen nach Bundesland.

Burgenland 1 507

Kärnten 2 270

Niederösterreich 9 513

Oberösterreich 11 803

Salzburg 3 603

Steiermark 5 010

Tirol 2 850

Vorarlberg 2 094

Wien 9 494

0 2 500 5 000 7 500 10 000 12 500 15 000

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Christa Bauer/Willi Mernyi

"Wert des Lebens" Gedenk- und Befreiungsfeiern 2014

SchülerInnen aus der Neuen Mittelschule Mauthausen trugen zum ersten Mal den „Häftlingswinkel“ und begleiteten die Vertreter des Comité Interna­ tional de Mauthausen (sämtliche Fotos dieses Beitrags von Mauthausen Komitee Österreich).

n Erinnerung an die Befreiung der Häftlinge aus dem und zahlreicher Bundesländer veranstaltet wird. Über I Konzentrationslager Mauthausen am 5. Mai 1945 8 000 BesucherInnen aus mehr als 60 Ländern nahmen wurde am 11. Mai 2014 diesem Ereignis in der alljähr­ trotz Regen am Gedenkzug über den ehemaligen Ap­ lichen Internationalen Gedenk- und Befreiungsfeier pellplatz teil. Besonders hervorzuheben ist wie jedes gedacht, die vom Mauthausen Komitee Österreich Jahr die Teilnahme der Überlebenden des KZ Mauthau­ (MKÖ) in enger Zusammenarbeit mit der Österreichi­ sen sowie der Mitglieder des Comité International de schen Lagergemeinschaft Mauthausen (ÖLM) und Mauthausen. Der nur wenige Tage davor neu gewählte dem Comité International de Mauthausen (CIM) sowie Präsident des Comité, Guy Dockendorf (Luxemburg), mit Unterstützung des Bundesministeriums für Inneres sowie der ehemalige Präsident und neue Ehrenprä­

118 Jahrbuch 2014 INFORMATION | Wert des Lebens. Gedenk- und Befreiungsfeiern 2014 03

Präsident Guy Dockendorf, Ehrenpräsident Dušan Stefančič, Vasilii Kononen­ ko und Stanisław Leszczyński vom Comité International de Mauthausen.

sident Dušan Stefančič aus Slowenien eröffneten ge­ meinsam mit Jugendlichen den Gedenkzug. Als sichtbares Zeichen dafür, dass das Vermächtnis der ehemaligen Häftlinge weitergereicht wird, trugen zum ersten Mal SchülerInnen aus der Mittelschule Mauthausen, die seit Jahrzehnten ein fixer Bestandteil Im Gedenken und in Anerkennung für den im vergangenen Jahr verstor­ der Internationalen Befreiungsfeier sind, den „Häftlings­ benen Zeitzeugen Pepi Klat, der über Jahrzehnte den „Häftlingswinkel“ getragen hatte, trugen die SchülerInnen aus der Neuen Mittelschule winkel“ und begleiteten gleichzeitig die Vertreter des Mauthausen sein Bild bei der Gedenk- und Befreiungsfeier 2014. Comité International de Mauthausen. Bis 2013 wurde

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Zu den Ehrengästen zählten neben Botschafte­ rInnen aus 50 Ländern die am 2. August 2014 ver­ storbene Erste Präsidentin des Nationalrats Barbara Prammer, Bundeskanzler Werner Faymann, der zweite Präsident des Nationalrats Karlheinz Kopf, Bundes­ ministerin für Inneres Johanna Mikl-Leitner, Bundes­ minister für Gesundheit Alois Stöger sowie weitere VertreterInnen des Österreichischen Parlaments, des Nationalrats, des Bunds, der Kirchen- und Religionsge­ meinschaften sowie VertreterInnen der Bundesländer und Gemeinden. Die Internationale Befreiungfeier in der KZ-Gedenk­ stätte Mauthausen startete wie auch in den vergan­ genen Jahren mit einem ökumenischen Wortgottes­ dienst und einer Vielzahl an Kundgebungen bei den nationalen Denkmälern und bei Gedenktafeln an der „Klagemauer“ und im „Bunkerhof“. Moderiert wurde der Gedenkzug über den ehe­ maligen Appellplatz, der um 11:00 Uhr beim ehema­ ligen Lagertor begann, von Konstanze Breitebner, die traditionellerweise nahezu jede Delegation in ihrer Landessprache begrüßte. Die mehr als 8 000 Teilneh­ merInnen, darunter eine Vielzahl an Jugendlichen aus Europa und anderen Staaten, wurden beim Gedenken Ehrengäste bei der Gedenk- und Befreiungsfeier. V. l. n. r.: Zweiter Präsi­ an die Opfer des KZ Mauthausen zusätzlich zur ein­ dent des Nationalrats Karlheinz Kopf, Bundeskanzler Werner Faymann, Erste Präsidentin des Nationalrats Barbara Prammer (†), Bundesministerin fühlsamen Moderation von Konstanze Breitebner mit für Inneres Johanna Mikl-Leitner, Bundesminister für Gesundheit Alois musikalischen Beiträgen der Militärmusik sowie der Stöger, Landeshauptmann-Stellvertreter Franz Hiesl, Landeshauptmann- Jugendband „Chill‘en‘joy“ begleitet. Stellvertreter Reinhold Entholzer. Die Internationale Jugendgedenkkundgebung be­ Stefan Sot, Präsident Guy Dockendorf, Ehrenpräsident Dušan Stefančič, gann um 10:30 Uhr im Steinbruch, von wo sich der Ge­ Vasilii Kononenko, Stanisław Leszczyński vom Comité International de denkzug mit mehr als 650 jungen Menschen über die Mauthausen. Todesstiege zum Jugenddenkmal in Bewegung setzte.

Jahresthema 2014: der Winkel über Jahrzehnte hinweg vom Überlebenden Wert des Lebens Pepi Klat getragen, der jedoch im selben Jahr verstor­ ben ist. Im Gedenken und in Anerkennung wurde ein Seit 2006 widmen sich die Gedenk- und Befrei­ Bild von Pepi Klat von Kindern aus Mauthausen an der ungsfeiern jedes Jahr einem speziellen Thema, das Spitze des Gedenkzugs zum Sarkophag getragen. Wie zur Geschichte des KZ-Mauthausen bzw. zur NS-Ver­ Pepi Klat jedes Jahr während der gesamten Befeiungs­ gangenheit Österreichs in Beziehung steht. Die Ge­ feier und bei jedem Wetter am Sarkophag stand, wurde denk- und Befreiungsfeiern 2014 hatten den Wert des 2014 während der Feier sein Bild dort aufgestellt. Lebens zum Thema.

120 Jahrbuch 2014 INFORMATION | Wert des Lebens. Gedenk- und Befreiungsfeiern 2014 03

In der Zeit des Nationalsozialismus bestimmten eu­ bis zur Erschöpfung ausgenützt. Durch regelmäßige genische und ethnische Merkmale darüber, welchen Selektionen entschied die SS, welches Menschenleben Menschen der „Wert“ des Lebens zuerkannt wurde und noch wirtschaftlichen Nutzen brachte und welches zu welchen nicht. Neben der rassistischen Kategorisierung vernichten war. der Nationalsozialisten wurde der „Wert“ eines Lebens „Auch heute nimmt die Bewertung eines Menschen auch wirtschaftlich gemessen, somit verloren arbeitsun­ nach seiner ökonomischen Verwertbarkeit bzw. seiner fähige Menschen sehr bald ihr Anrecht auf Leben. Gewinnträchtigkeit einen immer größer werdenden „Das KZ-System der Nationalsozialisten zeigt die Platz ein, woran gerade die schwachen Gruppen be­ Verbindung zwischen Arbeitsfähigkeit und Lebens­ sonders leiden. In ganz Europa sind derartige Entwick­ recht sehr deutlich. Sobald die Arbeitskraft von Men­ lungen und zusätzlich immer mehr werdende anti­ schen ausgeschöpft war, hatte dieses Menschenleben semitische und rassistische Übergriffe festzustellen. auch keinen Wert mehr“, so der Vorsitzende des Maut­ Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus wer­ hausen Komitee Österreich, Willi Mernyi. den immer salonfähiger. Diese Entwicklung ist sehr be­ Schon bei der Ankunft wurde zwischen arbeitsfähig sorgniserregend“, appellierte Willi Mernyi. „Hier ist Zi­ und arbeitsunfähig und somit über Leben und Tod ent­ vilcourage gefordert. Jeder noch so kleine Widerstand schieden. Die Arbeitskraft der inhaftierten Menschen hilft, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten.“ wurde in den Konzentrationslagern, so auch im Kon­ Die Tatsache, dass die KZ-Gedenkstätte Mauthausen zentrationslager Mauthausen und seinen Außenlagern, nur wenige Tage vor der Internationalen Befreiungsfei­

BesucherInnen bei der Gedenk- und Befreiungsfeier.

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Stanisław Leszczyński vom Comité International de Mauthausen.

er zum dritten Mal großflächig mit rechtsextremen Pa­ Auszüge aus den Wortbeiträgen rolen beschmiert wurde und rechtsextreme und rassis­ tische Straftaten in den acht Jahren von 2005 bis 2013 Vlastislav Janìk, Tschechien um 175 Prozent gestiegen sind, spricht für sich. „Häftlinge, die das Tor des KZ Mauthausen passie­ „Die neuerliche Schändung durch rechtsextreme ren mussten, haben für mich einen besonderen Erin­ Schmierereien der KZ-Gedenkstätte Mauthausen zeit­ nerungswert und einen festen Platz in meinem Her­ nah zur Internationalen Befreiungsfeier macht uns tief zen – Häftlinge wie Alois Holub und Miroslav Maruška, betroffen“, so Mernyi. „Das ist ein trauriger, weiterer Míťa Čeřenský, Jiří Zavřel, Walter Beck oder Josef Klat Beweis für eine aktive rechtsextreme Szene, die trotz und weitere, die ich persönlich kannte und die in der intensiver Polizeiüberwachung im Herzen der KZ-Ge­ letzten Zeit verstorben sind. Sie waren Menschen, die denkstätte zugeschlagen hat.“ bereit waren, die Werte zu teilen, die in ihrem Leben Auf das Jahresthema Wert des Lebens gingen auch wichtig waren. Alle waren sich immer darüber einig, die RednerInnen der drei Opfernationen Niederlande, dass man hier in Mauthausen alleine keine Chance Spanien und Tschechien ein. Diese kurzen Gedenkre­ hatte zu überleben. Nur gegenseitige Unterstützung, den in den Muttersprachen der ausländischen Redne­ Vertrauen und Einigkeit gab diesen Männern mit den rInnen sind seit Jahren ein fester Bestandteil der Feier roten Dreiecken und einer Nummer auf der Brust die und sollen vor allem der Internationalität des Lagers Hoffnung, dass sie bis zum nächsten Tag und womög­ ein Andenken bewahren. lich sogar bis zur Befreiung überleben würden. Der

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Wert des Lebens bestand für sie darin, dass nur der setzt sich fort, wenn wir die Arbeitsbedingungen be­ Mensch dem Menschen helfen kann und dass nur die trachten, mit denen westliche Unternehmen tausen­ gegenseitige Unterstützung alle Schmerzen heilt.“ de Menschen in verschiedenen Ländern ausbeuten, oder wenn die Schwächsten, die Benachteiligten, die Mirjam Ohringer, Niederlande Armen in unseren westlichen Gesellschaften über­ „[…] Sie wurden nach Mauthausen deportiert. Im gangen werden. Sommer 1941 wurde jede Woche eine Liste mit Na­ Wir möchten, dass die Lehre der Geschichte, an men von Verstorbenen bekannt, welche an ‚irgendei­ die uns Mauthausen noch erinnert, uns die Wach­ ner‘ Krankheit in diesem Lager verstorben waren. In samkeit und Verbundenheit im Kampf für die Würde Amsterdam wurde bald nicht mehr von Mauthausen der Menschen bewahrt. Wir fordern den Respekt von sondern von Mordhausen gesprochen. Im September Menschenrechten als unabdingbare Voraussetzung, des gleichen Jahres wurden an der deutschen Grenze um eine gerechtere, würdigere und ethischere Gesell­ weitere 114 Männer aus Enschede deportiert als Ver­ schaft zu bauen.“ geltung für das Durchschneiden eines Telefonkabels. Hans Maršálek erzählte mir, dass von den rund 800 jü­ Gedenk- und Befreiungsfeiern an dischen Männern, die im Jahr 1941 aus den Niederlan­ Orten ehemaliger Außenlager und den nach Mauthausen kamen, am 30. Dezember dieses anderen Orten des NS-Terrors Jahres nur noch acht am Leben waren. […] Die Ereignisse in der Welt zwingen uns, weiter zu ma­ Neben der europaweit größten und internationa­ chen mit dem Gedenken und Erinnern und so vielen Ju­ len Befreiungsfeier in Mauthausen gibt es eine Vielzahl gendlichen wie möglich deutlich zu machen, dass was an Gedenkveranstaltungen an Orten ehemaliger Au­ hier passiert ist, sich nie wiederholen darf. Wir müssen ßenlager des KZ-Mauthausen. In Summe werden die sie permanent auf die gefährlichen Tendenzen in der vom Mauthausen Komitee organisierten Gedenk- und heutigen Gesellschaft, welche hier und da auftauchen, Befreiungsfeiern von über 20 000 Menschen besucht. hinweisen, weil diese eine große Gefahr für das Zusam­ Gerade mit den mehr als 60 Veranstaltungen an den menleben in unserer Welt bedeuten können. Orten ehemaliger Außenlager und anderen Orten des Deshalb: Bleiben Sie wachsam.“ NS-Terrors wird ein beeindruckendes Zeichen für ein „Niemals wieder“ gesetzt. Der Großteil dieser Veran­ Josep San Martín, Spanien staltungen wird von lokalen Vereinen und Initiativen „Der Nationalsozialismus bedeutete die Ausbeu­ in enger Zusammenarbeit mit dem Mauthausen Ko­ tung des menschlichen Lebens im höchsten Grad und mitee Österreich organisiert, die von vielen Menschen mit höchster Verachtung für die Würde des Lebens je­ aus der Region, aber auch aus vielen Ländern Europas des Menschen. Er benutzte den wirtschaftlichen Wert besucht werden. Im Folgenden ein kleiner Auszug aus des Lebens zugunsten der Industrieproduktion, der der Vielzahl dieser Veranstaltungen. medizinischen Experimente, der politischen Ideen der Nazi-Größen, die die Gesellschaft beherrschten. Gedenkfeier für alle Opfer des Südostwallbaus Und das Ergebnis war die Verschlechterung der Le­ Die jährliche Gedenkfeier von RE.F.U.G.I.U.S. beim bensverhältnisse und der Massenmord an Millionen Kreuzstadl in Rechnitz am 23. März 2014 war trotz von Menschen. Aber der Samen der Ausbeutung des Schlechtwetters gut besucht. Rund 150 Anwesende Menschen durch den Menschen hat leider heutzuta­ zeigten sich von den Reden Paul Guldas und Peter ge immer noch unter uns überdauert. Dieser Samen Menasses beeindruckt. Die Konfessionen waren durch

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Internationale Jugendgedenkkundgebung: Gedenkzug vom Steinbruch über die „Todesstiege“ zum Jugenddenkmal.

Internationale Jugendgedenkkundgebung beim Jugenddenkmal.

Altbischof Iby, Superintendent Koch und Oberkantor der ungarischen JüdInnen. „Denn das Vergessen des Barzilai vertreten. Am Mahnmal Kreuzstadl wurde im Bösen ist die Erlaubnis seiner Wiederholung“ war eine Rahmen der Feier auch eine Tafel der IKG Szombathely der Überschriften der Gedenkfeier. Bei den Todesmär­ enthüllt, um ihrer Toten mit dem hebräischen „Tzahor!“ schen von Mauthausen nach Gunskirchen in den April­ – „Erinnere Dich!“ zu gedenken. tagen 1945 überlebten die meisten der rund 15 000 Am Vortag fand die RE.F.U.G.I.U.S.-Tagung Die Macht JüdInnen den rund 60 Kilometer langen Marsch nicht. der Mythen statt. Besonders eindrucksvoll war die Beteiligung vieler jun­ ger Menschen bei der diesjährigen Feier. Kulturstadt­ Gedenkfeier zum Thema „Schubladendenken“ rätin Renate Heitz betonte die Wichtigkeit dieser kon­ Die Plattform „Wider das Vergessen – Ansfelden“ lud tinuierlichen Erinnerungsarbeit in der Stadtgemeinde am 23. April 2014 zum Gedenken an die Todesmärsche Ansfelden.

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Gedenkfeier Hinschauen – Wegschauen Krankenpflege Steyr. Sie berichteten von der Geschich­ Hinschauen – Wegschauen war der Schwerpunkt te der Pflege – insbesondere während der Nazizeit – in der Feier für das ehemalige Außenlager Linz II des KZ- der Region um Steyr. Mauthausen am 7. Mai 2014. Achtsam bleiben, zum Hinschauen sensibilisieren, vor dem Wegschauen be­ Enthüllung der Gedenktafel für die Opfer des ehe­ wahren: Das war die Botschaft, die die 4. Klassen der maligen Kinderheims Adalbert-Stifter Praxisschule vermitteln wollten. In Bei­ Am 10. Mai 2014 wurde die Gedenktafel für die Op­ trägen unterschiedlichster Art haben die SchülerInnen fer des ehemaligen Kinderheims, das in der NS-Zeit in Geschichte und Gegenwart miteinander verknüpft. Er­ Spital am Pyhrn bestand, enthüllt. Die Gedenkreden mutigende Begriffe, die den Jugendlichen bei der Be­ hielten u. a. Landeshauptmann Josef Pühringer sowie schäftigung mit dem Thema Hinschauen – Wegschau­ eine Vertretung der polnischen Botschaft. en wichtig geworden sind, haben die SchülerInnen sprichwörtlich „an die Fahnen geheftet“ und diese vor Befreiungsfeier Gusen der Kapelle platziert. Sie sollten die Gäste der Gedenk­ Ehrengäste und diplomatische VertreterInnen aus feier auf dem Nachhauseweg begleiten. vielen Nationen nahmen auch 2014 an der Befreiungs­ feier am 10. Mai in Gusen/Langenstein teil. Unter den Gedenkstunde für die Opfer von Krieg und Ehrengästen waren der neue Präsident des Comité Inter­ Nationalsozialismus national de Mauthausen Guy Dockendorf und sein Vor­ Zum Gedenken an die Opfer der dunkelsten Zeit gänger Dušan Stefančič sowie Bischof a. D. Maximilian in der Geschichte unseres Landes veranstalteten die Aichern anwesend. Der Gusen-Überlebende Stanisław Stadtgemeinde Braunau am Inn, der Verein für Zeit­ Leszczyński aus Polen erzählte seine Geschichte und geschichte und das Mauthausen Komitee Österreich wie er mit Hilfe von Freunden überlebte. Unter den Red­ am 9. Mai 2014 die bereits traditionelle Gedenkstunde nerInnen waren auch Nationalratsabgeordnete Helene beim Mahnstein für die Opfer von Krieg und National­ Jammer und Florian Schwanninger vom Lern- und Ge­ sozialismus. Der Gedenkstein wurde vor 25 Jahren von denkort Schloss Hartheim. Zum ersten Mal sprach auch Bürgermeister a. D. Gerhard Skiba vor dem Geburts­ ein Vertreter der spanischen Delegation. haus von Adolf Hitler in der Salzburger Vorstadt 15 aufgestellt. Gedenkfeier Wiener Neustadt Das Mauthausen Komitee Wiener Neustadt und Gedenkfeier Weyer-Dipoldsau der Verein Alltag Verlag versammelten auch 2014 viele Am 9. Mai 2014 fand die Gedenkfeier auf der Di­ Interessierte, um am 23. Mai beim Denkmal bei der poldsau bei Weyer statt. Die Gedenkfeier stand unter Serbenhalle der Opfern des Nationalsozialismus zu ge­ dem allgemeinen Jahresmotto Der Wert des Lebens. denken. Festredner war der neue Leiter des Dokumen­ Die künstlerische Ausgestaltung der Gedenkstätte, der tationsarchivs des österreichischen Widerstandes Ger­ „Vorhang des Grauens“ stammte von einer Klasse der hard Baumgartner. Die Feier wurde von SchülerInnen Hauptschule und ihrer Geschichte-Lehrerinnen Gertru­ des BORG 2700 gemeinsam mit Reinhard Pilz gestaltet. de Neidhart und Brigitte Hofer. Dazu trug Moritz Kat­ zensteiner Texte vor, die an den Besuch im KZ Maut­ Gedenkfeier Loibl Nord – Loibl Süd hausen erinnerten. Ein besonderer Beitrag kam von Zum 20. Mal fand am 14. Juni 2014 die Internationa­ Stefan Hagauer, Maria Ahrer und Manuela Schlögel­ le Gedenkveranstaltung in Erinnerung an das KZ Loibl hofer von der Schule für allgemeine Gesundheits- und Nord auf der Kärntner Seite des Loibltunnels am ehe­

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maligen Appellplatz statt. Gedenkreden, Grußworte, Gedenkfeier Bretstein Stimmen von ZeitzeugInnen, Kranzniederlegungen so­ Trotz Schlechtwetters nahmen am 12. Juli 2014 wie der Besuch der Gedenkstätte KZ Loibl Süd prägten mehr als 200 Personen an der Gedenkfeier bei der KZ- das Programm. Peter Gstettner und Sieglinde Tran­ Gedenkstätte Bretstein teil, darunter Bundespräsident nacher (Mauthausen Komitee Kärnten / Koroška) konn­ Heinz Fischer, José María Valdemoro, Geschäftsträger ten zahlreiche Delegationen aus dem Ausland und aus der Spanischen Botschaft, sowie Willi Mernyi vom Österreich begrüßen. Seitens des Landes nahmen an Mauthausen Komitee Österreich. Höhepunkte der der Veranstaltung Landeshauptmann Peter Kaiser, Lan­ Gedenkfeier waren die Rede des Bundespräsidenten desrat Rolf Holub, die Landtagsabgeordneten Zalka sowie die Kranzniederlegung. Für die musikalische Kuchling, Sabina Schautzer, Martin Rutter und Markus Umrahmung zeichnete das Bläserensemble der Musik­ Malle sowie Bundesrätin Ana Blatnik teil. Mit ihren Wor­ schule Zeltweg verantwortlich. ten appellierten der Landeshauptmann Peter Kaiser, Präsident der Amicale de Mauthausen Daniel Simon, Neben den MitarbeiterInnen, die eine Vielzahl an Ehrenpräsident des Comité International de Mauthau­ ehrenamtlichen Arbeitsstunden für die Organisation sen Dušan Stefančič sowie der stellvertretende Vorsit­ dieser Feiern geleistet haben, bedanken wir uns für die zende der Lagergemeinschaft Dachau Ernst Grube an finanzielle Unterstützung beim Bundesministerium für die BesucherInnen gegen das Vergessen und für mehr Inneres, bei den Ländern Oberösterreich, Wien, Steier­ Zivilcourage. mark, Kärnten, Vorarlberg und Tirol, beim Bundeskanz­ leramt sowie bei einer Vielzahl privater SpenderInnen. Gedenken an die NS-Opfer von Bachmanning Die Gemeinde Bachmanning und die Gedenk­ Rückfragehinweis: initiative Bachmanning veranstalteten am 26. Juni Mauthausen Komitee Österreich 2014 für die lokalen NS-Opfer eine Gedenkfeier mit Obere Donaustr. 97-99/4/5 Redebeiträgen von Bürgermeister Franz Brenneis, 1020 Wien Schriftsteller Ludwig Laher und Robert Eiter vom Tel. +43 (1) 2128333 Mauthausen Komitee Österreich. Die NS-Opfer, an die E-Mail: [email protected] erinnert wird, sind die Häftlinge des KZ-Nebenlagers Weitere Informationen und Bilder: www.mkoe.at und Bachmanning (meist republikanische Spanier), die www.facebook.com/mauthausenkomitee Sinti-Familie Rosenfels-Jungwirth, der kommunis­ tische Widerstandskämpfer Alois Steiner sowie die Säuglinge Paul und Wladimir, Kinder von Zwangs­ arbeiterinnen, die im Ort geboren wurden und im „Fremdvölkischen Kinderheim“ Schloss Etzelsdorf in Pichl bei Wels ums Leben kamen. Die 2009 gegrün­ dete Gedenkinitiative Bachmanning hat – unterstützt vom Mauthausen Komitee Österreich, der Welser Initiative gegen Faschismus (Antifa) u. v. a. – die Ge­ schichte der lokalen NS-Opfer erforscht und eine Ge­ denktafel am Gemeindeamt angebracht.

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Ralf Lechner

Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen Rückblick 2014

Zahlen als Zeugen. Soziologische Analysen zur Häftlingsgesellschaft des KZ Mauthausen von Andreas Kranebitter (Foto: Bundesministerium für Inneres/Karl Schober).

m Mai 2013 wurden die beiden neuen Daueraus­ ber 2014 fertiggestellt. Die Ausstellung thematisiert I stellungen an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen öf­ den gezielten Mord an Häftlingen im KZ Mauthausen fentlich präsentiert. Noch im selben Jahr konnte der und seinen Außenlagern, die Orte des Massensterbens Katalog zur Ausstellung Das Konzentrationslager Maut­ und der Massenmorde, zugleich aber auch die Suche hausen 1938–1945 realisiert werden, der Katalog zur nach den von den Tätern meist vertuschten oder be­ zweiten Ausstellung mit dem Titel Der Tatort Mauthau­ seitigten Spuren dieser Verbrechen. Der zweisprachige sen – Eine Spurensuche wurde schließlich im Septem­ Katalog bildet die Dauerausstellung vollständig ab, er

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Auch bei diesem Katalog wurde in inzwischen be­ währter Weise mit dem Verlag new acadamic press und dem Verein für Gedenken und Geschichtsforschung in österreichischen KZ-Gedenkstätten kooperiert. 2014 ist der mittlerweile neunte Band der Schrif­ tenreihe der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, „Mauthau­ sen-Studien“ erschienen. Dieser Band ist der erste der Schriftenreihe, der bei new acadamic press verlegt wurde. Es ist zugleich auch der erste Band, der aus der Feder eines Mitarbeiters des Archivs stammt. Zahlen als Zeugen. Soziologische Analysen zur Häftlingsgesellschaft des KZ Mauthausen basiert auf der Diplomarbeit von Andreas Kranebitter, für die er mit dem Herbert-Stei­ ner-Förderpreis des Dokumentationsarchivs des öster­ reichischen Widerstandes und dem Preis der Österrei­ chischen Gesellschaft für Soziologie für herausragende Abschlussarbeiten ausgezeichnet wurde.

Katalog zur Ausstellung Der Tatort Mauthausen – Eine Spurensuche Das Buch geht von den bisher publizierten qua­ (Cover: Verlag new academic press). litativen Analysen der „Häftlingsgesellschaft“ in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern aus und liefert fundierte statistische Analysen der Daten zu den namentlich bekannten Häftlingen des KZ Maut­ hausen, die seit mehr als zehn Jahren im Archiv der Gedenkstätte erstellt und zusammengetragen wurden. Die Ergebnisse und Interpretationen der statistischen Berechnungen führen zu aufschlussreichen Aussagen über die Konstituierung der „sozialen Ordnung“ der enthält sowohl sämtliche Ausstellungstexte und -ex­ Häftlingsgesellschaft. ponate, als auch die beeindruckenden Großfotografien 2014 wurden auch zwei Kooperationen vereinbart, von Tal Adler. Die Ausstellungsinhalte werden ergänzt die eine weitere Erschließung des umfangreichen Be­ von Textbeiträgen der wissenschaftlichen Leitung der stands an Oral-History-Interviews im Archiv zum Ziel Neugestaltung, Bertrand Perz und Jörg Skriebeleit; die hatten. Aufgrund der großen Vielfalt an Interviewspra­ KuratorInnen Christian Dürr, Ralf Lechner, Niko Wahl chen des Mauthausen Survivors Documentation Pro­ und Johanna Wensch erläutern in einem Aufsatz die ject (MSDP) und der hohen Kosten für Übersetzungen Ausstellungskonzeption; Paul Mitchell liefert zudem ist bisher erst ein kleiner Teil der Interviews aus diesem einen Beitrag über die Bauarchäologie an der KZ- Bestand auf Deutsch oder Englisch zugänglich. Gedenkstätte, Robert Vorberg einen Beitrag über die Zunächst wurde im Juni in Belgrad ein Koope­ Nutzungsgeschichte des Reviergebäudes; schließlich rationsabkommen zwischen der KZ-Gedenkstätte kommt auch noch Manuel Schilcher von den Ausstel­ Mauthausen und der Udruženje zatočenika koncen­ lungsgestaltern argeMarie zu Wort. tracionog logora Mauthauzen Srbije (Vereinigung der

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ehemaligen Häftlinge des Konzentrationslagers Maut­ Erinnerungsorte in Bewegung, bei der Bertrand Perz, hausen in Serbien) durch deren Präsident Ljubomir Christian Dürr, Claudia Theune-Vogt, Erwin K. Bauer, Zečević unterzeichnet. Dem Überlebendenverband Suzana Milevska, Ulrich Schwarz, Brigitta Busch, Jörg wurden die serbischsprachigen ZeitzeugInneninter­ Skriebeleit und AW Faust vortrugen. views aus der Sammlung des Archivs übergeben. Mit Die Ergebnisse der studentischen Arbeiten wurden diesem Schritt sollen die Interviews auch in Serbien im Jänner im Bundesministerium für Inneres in Wien zugänglich gemacht und die wissenschaftliche Ausei­ öffentlich präsentiert, die Professorin für Visuelle Kultur nandersetzung mit diesem Thema gefördert werden. am Goldsmith College in London, Irit Rogoff, hielt zu Im Gegenzug wird das Archiv der KZ-Gedenkstätte diesem Anlass den Abschlussvortrag, der sich mit dem Interviewtranskriptionen und die Ergebnisse wissen­ Thema „Zugänge“ zu traumatischen Orten auseinan­ schaftlicher Forschung an diesem Interviewbestand dersetzte. erhalten. Die Dokumentensammlung erfuhr im Herbst eine Bei der anderen Kooperation handelt es sich um ein bedeutende Erweiterung: Vom Internationalen Such­ Projekt mit dem Institut für Translationswissenschaft dienst in Bad Arolsen erhielt das Archiv digitale Ko­ der Karl-Franzens-Universität Graz. Gegenstand ist pien des Bestands „Mauthausen (1.1.26.)“. In mehr oder ebenfalls die Sammlung von Interviews aus dem MSDP. minder zufälliger Auswahl fanden sich Auszüge dieses In mehreren Lehrveranstaltungen werden ausgewähl­ Bestands schon seit langer Zeit im Archiv, nun liegt die te Interviews in bosnischer/kroatischer/serbischer, vollständige Dokumentensammlung in Wien auf, die englischer, französischer, italienischer, russischer, nicht weniger als 500 000 Dateien umfasst. Darin sind slowenischer, spanischer und ungarischer Sprache unzählige Namenslisten und personenbezogene Do­ transkribiert und übersetzt. Begleitet von Rahmenver­ kumente zu männlichen und weiblichen KZ-Häftlingen anstaltungen und unter Anleitung der Lehrveranstal­ enthalten, aber auch Sachdokumente aus den alliier­ tungsleiterInnen ermöglicht die Kooperation den Stu­ ten „War Crimes Investigations“. Der Bestand wurde be­ dierenden, praxisorientiert zu arbeiten und sich mit der reits vom United States Holocaust Memorial Museum Geschichte des KZ Mauthausen auseinanderzusetzen. (USHMM) erschlossen und kann unter der International Im Wintersemester 2013/14 kam es zur Zusam­ Tracing Service Inventory Search auf www.ushmm.org menarbeit mit der Fakultät für Architektur und Raum­ durchsucht werden. planung der Technischen Universität Wien. Der Fach­ Vor mittlerweile fünf Jahren wurde von Mitarbei­ bereich für Örtliche Raumplanung (Rudolf Scheuvens, terInnen des Archivs gemeinsam mit Martin Gilly und Daniela Allmeier) und das Institut für Kunst und Gestal­ Peter Korbl von der Firma metamagix das Grundkon­ tung 1 (Peter Mörtenböck, Inge Manka) befassten sich zept für eine Zentrale Archivdatenbank (ZADB) erstellt. im Rahmen einer Lehrveranstaltung mit theoretischen Ziel der ZADB ist ein einfacher Zugang zu den Daten­ und praktischen Fragestellungen zur Neugestaltung banken des Archivs über Internet. Bisher waren die der Außenbereiche der KZ-Gedenkstätte Mauthausen. Datenbanken über wenig userfreundliche MS Access- Gemeinsam mit den LehrveranstaltungsleiterInnen Frontends erschlossen und nur vor Ort zugänglich. Da boten Christian Dürr, Ralf Lechner und Robert Vorberg die Entwicklung der ZADB vor allem wegen der Arbei­ den Studierenden im Rahmen eines Workshops an der ten an den neuen Dauerausstellungen hintangestellt KZ-Gedenkstätte die Möglichkeit, sich intensiv mit dem werden hatte müssen, konnte sie nun soweit weiter­ Ort auseinanderzusetzen. Begleitet wurde die Lehrver­ entwickelt werden, dass sie unter der URL http://zadb. anstaltung auch von einer Vortragsreihe mit dem Titel mauthausen-memorial.at zugänglich gemacht wer­

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den konnte. WissenschafterInnen und Interessierte Czachor arbeitet seit Jahresende 2014 nicht mehr für können nach Registrierung unter dieser Webadresse die KZ-Gedenkstätte. Wir danken ihr hiermit für die nach Dokumenten, Namenslisten, Fotografien und gute Zusammenarbeit und wünschen ihr alles Gute biographischen Grunddaten zu ehemaligen KZ-Gefan­ auf ihrem weiteren Weg! genen recherchieren. Auch die Bibliotheksdatenbank Ein wenig tröstet uns aber ein Neuzugang über des Archivs kann hier durchsucht werden. Die ZADB den Abschied hinweg: Peter Egger hat die Agenden soll schrittweise um weitere Datenbankmodule er­ der bisher von Katharina Czachor betreuten Bibliothek weitert werden. Als nächstes Modul ist ein Zugriff auf übernommen. Er war bereits seit Jahresbeginn 2014 die Datenbank zur Oral History-Sammlung des Archiv mit der Beantwortung von Personensuchanfragen be­ geplant. traut. n Zu guter Letzt müssen wir auch noch über perso­ nelle Veränderungen im Archiv berichten: Unsere glei­ chermaßen verdiente wie beliebte Kollegin Katharina

Screenshot der Zentralen Archivdatenbank (ZADB) des Archivs der KZ-Gedenkstätte Mauthausen (http://zadb.mauthausen-memorial.at).

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Christian Angerer

Opfer, Täter, Umfeld Das pädagogische Konzept und seine Umsetzung

Zeichnung Les Duches des Überlebenden Daniel Piquée-Audrain, gezeichnet zwischen 1945 und 1947 (aus: Daniel Piquée-Audrain: Plus jamais ça [Paris 1966]).

Die Ziele des pädagogischen Konzepts historischen Ereignisse begreifen und eine Verbindung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen zu sich selbst herstellen können. Das pädagogische Kon­ zept der KZ-Gedenkstätte Mauthausen steht unter der Die Gedenkstättenpädagogik steht vor der Heraus­ Überschrift „Was hat es mit mir zu tun?“ Es setzt sich im forderung, an einem Ort, der zugleich Tatort und ein Sinn der historisch-politischen Bildung zwei große Ziele vom kollektiven Gedächtnis überformter Gedenkort ist, für die begleiteten zweistündigen Standard-Rundgänge: eine lange zurückliegende Geschichte von extremer Das erste Ziel ist es, die Geschichte des KZ Maut­ Gewalt so zu vermitteln, dass die BesucherInnen die hausen als Geschichte von Menschen zu erzählen,

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Vermittlung zu bieten, in der sie sich nicht belehrt, sondern mit ihren mitgebrachten Bildern im Kopf, mit ihren Gedanken und Fragen ernst genommen fühlen. Autonomie und Partizipation, zwei zentrale Prinzipien der politischen Bildung, liegen auch dem ICH pädagogischen Konzept der KZ-Gedenkstätte Maut­ hausen zu Grunde. Wenn sich Menschen an der Er­ zählung produktiv beteiligen können, entwickeln sie eine größere Bereitschaft, die Geschichte als „ihre Geschichte“ anzunehmen. Umgekehrt erlaubt es nur ORT GESCHICHTE der Austausch mit der Gruppe, von den Menschen zu erfahren, was sie wahrnehmen und denken. Des­ halb besitzt der Rundgang an der KZ-Gedenkstätte interaktiven Charakter. Die eigenständigen Stimmen der BesucherInnen werden nicht bloß miteinbezo­ gen, sondern vielmehr eingefordert. Auch hier, im Gespräch über die Bedeutung der rekonstruierten Visualisierung des pädagogischen Grundkonzepts (Grafik: Eva Schwin­ genschlögl). historischen Perspektiven für uns heute, entwickelt sich Multiperspektivität. Die Gedenkstättenpädago­ gik macht dabei den Schritt vom Moralisieren, d. h. vom Gestus der moralischen Ermahnung, der nur den Überlebenden der Lager zusteht, zur kontrover­ sen Diskussion von moralischen Fragen. Neben mo­ die in verschiedenen Positionen und Rollen beteiligt ralischen Problemen berühren diese Gespräche wäh­ oder zusammen waren, die Entscheidungen getrof­ rend des Rundgangs auch (sozial)psychologische fen, gehandelt und gelitten haben. Perspektiven von Mechanismen, denen Menschen damals wie heute Opfern, von TäterInnen und Personen aus dem ge­ unterworfen sind und die es sich bewusst zu machen sellschaftlichen Umfeld werden rekonstruiert und be­ gilt. Gesellschaftspolitische Themen wie die Rolle von sprochen. Die BesucherInnen sollen in ihrer Vorstel­ Ideologien oder die Auffassungen von Gleichheit und lung historische Perspektiven nachvollziehen. Ebenso Ungleichheit der Menschen werden angeschnitten. wichtig wie das Sich-Hineinversetzen ist aber auch, Im begleiteten Rundgang an der Gedenkstätte geht diese Perspektiven wieder zu verlassen, um über die es darum, die Geschichte des Konzentrationslagers Voraussetzungen und Spielräume der historischen mithilfe der Topografie, der Relikte, der Erzählungen Akteure nachzudenken. Der Wechsel der Perspekti­ und der Diskussionen zu verstehen – doch unsere ven zwischen Opfern, TäterInnen und Umfeld fördert Fragen an die Geschichte sind so angelegt, dass sie das Bewusstsein, dass es sich um eine von Menschen die BesucherInnen mit ihren Wahrnehmungen und gemachte Geschichte handelt. Erst durch diesen Per­ Gedanken in den Mittelpunkt stellen. spektivenwechsel werden Komplexität und Aktualität Im Kern strebt das pädagogische Konzept eine dy­ der Geschichte begreifbar. namische Verbindung zwischen drei Eckpunkten an: Das zweite Ziel für die begleiteten Rundgänge zwischen dem Ort, der Geschichte und dem Ich der besteht darin, den BesucherInnen eine Form der BesucherInnen.

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Die Methodik beim Rundgang an der Umfeld-Perspektive, die vielfältigen Beziehungen zwi­ KZ-Gedenkstätte Mauthausen schen Konzentrationslager und Gesellschaft in den Mittelpunkt. Im zweiten Abschnitt, auf dem Gelände Beim begleiteten zweistündigen Rundgang wer­ des ehemaligen SS-Lagers, das heute mit Denkmälern den die BesucherInnen mit einer historischen Erzäh­ bebaut ist, werden die Täter aus den Reihen der SS lung konfrontiert. Den roten Faden der Erzählung thematisiert. Der dritte Teil des Rundgangs führt in bildet, offen formuliert oder im Hintergrund, die das Innere des Lagers und widmet sich dem Leben Leitfrage: Wie war es möglich, dass inmitten der Ge­ und Sterben der Häftlinge. Auch wenn die genannten sellschaft beinahe 100 000 Menschen ermordet wur­ historischen Perspektiven im jeweiligen Abschnitt im den? Zur Annäherung an Antworten auf diese Frage Fokus stehen, so sind sie doch während des ganzen braucht es den historischen Perspektivenwechsel – Rundgangs immer miteinander verknüpft. Opfer, Täter, Umfeld – und das vielstimmige Gespräch Der am Ich der BesucherInnen orientierte Rund­ in der BesucherInnengruppe. Die Erzählung folgt, in gang erfordert eine Balance zwischen Erzählung und enger Beziehung zur Topografie der Gedenkstätte, Interaktion. Während knappe und präzise historische drei perspektivischen Schwerpunkten. Der erste Ab­ Informationen als Basis für Interaktion nötig sind, kann schnitt des Rundgangs im Außenbereich rückt die erst durch das Gespräch eine Verständigung über Deu-

Karte, die den etwa zweistündigen Rundgang über das Gelände der KZ-Gedenkstätte Mauthausen zeigt (Grafik: Ralf Lechner).

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tung und Bedeutung der Geschichte stattfinden. Drei einbringen. Die besten Fragen sind jene, die mehrere methodische Werkzeuge helfen uns, dieses Gespräch Ansätze und Positionen zulassen oder mit denen die in Gang zu bringen. VermittlerInnen selbst noch nicht zu Ende gekommen Da ist zunächst die Wahrnehmung des Orts. Wir sind. Solche Fragen könnten z. B. im Denkmalpark lau­ fordern die BesucherInnen auf, am jeweiligen Standort ten: Wie ist es erklärbar, dass die Einrichtungen des Relikte, Denkmäler oder Umgebung genau zu betrach­ ehemaligen SS-Lagers entfernt und durch Denkmäler ten, auf sich wirken zu lassen und zu kommentieren. ersetzt wurden? Und wie beurteilen die BesucherInnen So bildet z. B. die Beobachtung, dass das KZ Mauthau­ aus heutiger Sicht diese Entscheidung? sen als festungsartiges Gefängnis weithin sichtbar auf einem Hügel errichtet wurde, den Ausgangspunkt für Drei Beispiele für Stationen eine Diskussion über mögliche Wirkungen des Kon­ des Rundgangs zentrationslagers nach außen: von der Erfüllung eines Sicherheitsbedürfnisses in der Bevölkerung über Ein­ Der begleitete zweistündige Rundgang macht kurz schüchterung bis hin zur Identifikation mit der in der nach Beginn Station auf der Lagerstraße oberhalb des KZ-Architektur demonstrierten Macht. ehemaligen Sanitätslagers. Im ersten Abschnitt des Ein zweites wesentliches methodisches Element Rundgangs steht die Umfeld-Perspektive im Mittel­ sind Texte und Fotos, die der Gruppe so ausgehändigt punkt, jedoch gerade an dieser Station in enger Ver­ werden, dass jeweils drei bis vier Personen ein Exem­ bindung mit Opfer- und Täterperspektiven. Der Blick plar betrachten und an Hand einer gestellten Aufgabe fällt auf eine große Wiese mit Baumreihen. Hier befand besprechen können. Die ausgeteilten Materialien sol­ sich ab 1943 das Sanitätslager, ein isolierter Lagerteil len nicht bloß ein illustratives, sondern ein provozie­ für kranke und nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge. Sie rendes, irritierendes Potential besitzen, das zur Diskus­ wurden praktisch ohne medizinische Pflege ihrem sion über ein zentrales Thema anregt. Ein Beispiel wäre Schicksal überlassen – ein Sterbeort für Tausende. eine Zeichnung des französischen Häftlings Daniel Etwa 20 Meter vom Sanitätslager entfernt, nur durch Piquée-Audrain, die neu angekommene Häftlinge und einen Zaun getrennt, befand sich im KZ Mauthausen Funktionshäftlinge in einer Szene beim Haareschnei­ der Fußballplatz der SS. Die SS-Fußballmannschaft trug den im Duschraum zeigt. Die Zeichnung eignet sich 1944 auf diesem Platz ihre Heimspiele in der oberöster­ gut dazu, das System der Funktionshäftlinge und Häft­ reichischen Meisterschaft aus. Mannschaften aus der lingsperspektiven bei der Prozedur der Entindividuali­ Region waren regelmäßig zu Gast auf dem Platz neben sierung nach der Ankunft im Lager zu besprechen. dem Sterbelager – und Publikum war dabei. Männer, Als drittes methodisches Instrument setzen wir Fra­ Frauen, Jugendliche aus der Umgebung besuchten die gen an die Gruppe ein, die an Wahrnehmungen oder Fußballspiele im KZ und sahen dabei auch das benach­ Materialien geknüpft sind. Die Fragen spielen eine barte Sanitätslager mit Sterbenden und Toten. Eine der Schlüsselrolle bei der Interpretation der Geschichte Fragen, die uns beschäftigt und die wir der Gruppe sowie der Partizipation der BesucherInnen. Je ge­ stellen, ist, warum ZuschauerInnen zu Fußballspie­ schlossener die Fragen, je mehr die Fragen auf eine len ins KZ kamen, wissend, dass nebenan Menschen bestimmte Antwort abzielen, die richtig oder falsch starben. Die Überlegungen dazu in der Gruppe führen ist, desto weniger fördern sie das Gespräch und des­ zu sozialpsychologischen Grundlagen menschlichen to stärker etablieren sich Hierarchien in der Gruppe. Verhaltens, zu moralischen Fragen und oft auch zur Je offener die Fragen, desto besser können sich die Selbstreflexion in der Rolle der ZuschauerInnen in der Gruppenmitglieder gleichberechtigt ins Gespräch Gesellschaft heute.

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Das zweite Beispiel: Beim ehemaligen Komman­ danturgebäude lässt sich, mit Unterstützung durch einen Text oder ein Foto, die Täter-Perspektive the­ matisieren. Ein Foto z. B. zeigt eine Gruppe von SS-Of­ fizieren anlässlich der Geburtstagsfeier des Komman­ danten Franz Ziereis im August 1943. Im Gespräch mit der Gruppe können die Rollen resümiert werden, in denen bisher im Rundgang SS-Männer vorgekommen sind: als Wachmänner, als Schläger und Todesschützen im Steinbruch, als Fußballspieler. In welcher Situation werden sie auf dem Foto gezeigt? Wie wirken sie in die­ ser Situation? Was macht sie so stark und überlegen, wie sie hier scheinen? Solche Fragen bringen Faktoren wie ideologisch begründetes Elitedenken, Selbstbe­ wusstsein durch Uniform, Eröffnung von Karrierechan­ cen und Zusammenhalt durch Kameradschafts- und Gruppengefühl ins Gespräch. Durch die Erklärung der Funktionen einiger der abgebildeten SS-Männer – es handelt sich, außer beim Kommandanten, um medizi­ nisches Personal – wird die arbeitsteilige Organisation der gemeinschaftlich begangenen Verbrechen deut­ lich. So sorgte z. B. der abgebildete SS-Apotheker Erich Wassitzky, ein Österreicher, für die Anlieferung des Zyklon B, das dann andere in die Gaskammer leiteten. Diese Rollenvergabe teilte vielleicht auch die mora­ lische Verantwortung auf, und die Teamarbeit bei den Verbrechen mochte beim Einzelnen die Überzeugung verstärken, das Richtige zu tun. Der private Zweck des Fotos lenkt die Aufmerksamkeit auf die unscheinbar bürgerliche Kehrseite dieser Menschen, die mit ihren Familien in Siedlungshäusern nahe dem KZ lebten und meist gut in die Dorfgesellschaft integriert waren. Viele SS-Angehörige kamen aus der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft und kehrten nach 1945 wieder dorthin zu­ rück. Das dritte Beispiel bezieht sich auf die sogenann­ te „Mühlviertler Hasenjagd“ Anfang Februar 1945. 500 Luftaufnahme der Royal Air Force vom 2. April 1945. Der SS-Sportplatz sowjetische Offiziere, die dem Tod geweiht waren, un­ und das direkt angrenzende Sanitätslager sind deutlich zu erkennen ternahmen einen Massenausbruch aus dem Block 20 (Quelle: Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen / Luftbilddatenbank Dr. Carls, TARA, Flug 106G-5150 vom 2.4.1945 13:30 OZ, Bild 3095). des KZ Mauthausen. In der folgenden Menschenhatz wurden fast alle von SS-Männern oder von Menschen Blick auf den ehemaligen Fußballplatz und das Sanitätslager in ihrem aus der Umgebung ermordet. Nur acht Überlebende heutigen Zustand (Foto: Maria Ecker).

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Franz Ziereis (Mitte) mit einer Gruppe von SS-Offizieren im August 1943. Ganz links: der SS-Apotheker Erich Wasitzky (Quelle: United States Holo­ caust Memorial Museum, courtesy of Eugene S. Cohen, Photograph 06440).

sind namentlich bekannt, einige Fälle blieben unge­ dem Gang durch das scheinbar abgeschlossene Innere klärt. Diese Geschichte zeigt, dass der Begriff „TäterIn“ der Gedenkstätte die Verbindung mit der Gesellschaft nicht auf die SS beschränkt werden darf. Viele schlos­ wiederhergestellt, ohne die das KZ nicht möglich ge­ sen sich der Jagd an und wurden zu TäterInnen oder wesen wäre. Als Standort bietet sich der Zaun nahe MittäterInnen; andere hielten sich als ZuschauerInnen dem Block 20 mit Blick auf die umliegenden Felder an. oder Wegschauende heraus; manche entschieden sich Nach einer kurzen Erzählung des Massenausbruchs dafür, zu helfen, und einige wenige wurden zu Rette­ und der Hatz bekommen die BesucherInnen z. B. einen rInnen, indem sie Geflüchtete bei sich zu Hause ver­ Bericht der Bäuerin Theresia Mascherbauer in die Hand. steckten. Der Text führt eine der Entscheidungssituationen vor Das Thema der „Mühlviertler Hasenjagd“ eignet sich Augen, vor denen Menschen während der Jagd auf die besonders gut als Abschluss des Rundgangs, weil darin Häftlinge standen: Opfer-, TäterInnen- und Umfeld-Perspektiven wieder „Als er zum Haus kommt, sehe ich, dass er eine miteinander verknüpft werden. Außerdem wird nach Sträflingsuniform anhat. Er kam herzu, ganz veräng­

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stigt, eine gefrorene Rübe unter dem Arm. Er bat um Zündhölzer. Wir sagten ihm, er solle warten, wir geben ihm etwas zu essen. Er ging aber gleich wieder weg. Ich richtete einen Korb mit Essen her und wir gingen der Spur in den Wald nach. Dort kniete er unter einem kleinen Nadelbaum, dort hatte er einen Fetzen, den er auflegte, wir legten ihm das Essen darauf und gingen gleich wieder weg. Wir mussten ja aufpassen.“ „Wie würdet ihr das Verhalten der Bauersleute be­ schreiben?“ So könnte die Einstiegsfrage an die Grup­ pe lauten. In der Diskussion kann herausgearbeitet werden, dass es sich um eine Entscheidung zur Hilfe handelt, die zweimal getroffen wird. Johann und The­ resia Mascherbauer entscheiden sich dann sogar ein drittes Mal zur Hilfe und verbergen den Geflüchteten bis zum Kriegsende. Auch denkbare Gründe für die­ ses Verhalten, das, wie der letzte Satz andeutet, nicht ungefährlich war, lassen sich erörtern. Vor allem aber ist es wichtig festzuhalten, dass es die Möglichkeit einer Entscheidung gab – entgegen den Mythen der Nachkriegszeit, dass alle starr vor Angst keine Wahl hatten und mitlaufen mussten. Viele entschieden sich mit voller Absicht dafür, den Nationalsozialismus zu Gelände des ehemaligen KZ Mauthausen nahe dem Block 20 mit Blick unterstützen. Die Geschichte der „Mühlviertler Hasen­ Richtung Norden (Foto: Christian Angerer). jagd“ kann am Ende des Rundgangs noch einmal das Bewusstsein schärfen, dass die Entscheidungen der vielen einzelnen Menschen für die Geschichte zählen – damals wie heute. über den Verein _erinnern.at_ mit internationalen Jahresrückblick 2014 KooperationspartnerInnen an der KZ-Gedenkstätte durchführte, wurde 2014 abgeschlossen. An der Pro­ Im Jahr 2014 betreute die Pädagogik an der KZ-Ge­ jektpräsentation im Mai nahmen VertreterInnen der denkstätte Mauthausen 3 056 zweistündige Standard­ Europäischen Kommission, der EU Agency for Funda­ rundgänge und 334 dreieinhalbstündige Rundgänge mental Rights sowie von _erinnern.at_ teil. Die Bro­ mit Vor- und Nachgespräch. Insgesamt nahmen an die­ schüre The Challenges of Interaction sowie die Website sen pädagogischen Angeboten etwa 70 000 Besuche­ www.edums.eu, auf der auch die Broschüre als Download rInnen teil, vor allem Jugendliche. 66 VermittlerInnen zur Verfügung steht, dokumentieren die anregenden Pro­ waren 2014 aktiv. Die Rückmeldungen der Gruppen zesse und Ergebnisse, die das EU-Projekt zur Weiterent­ spiegeln eine sehr breite positive Resonanz wider. wicklung der pädagogischen Arbeit erbracht hat. Das eineinhalb Jahre laufende EU-Projekt „Develo­ Von November 2014 bis Februar 2015 organisierte ping Education at Memorial Sites“, das die Pädagogik die Pädagogik Workshops, in denen das pädagogische

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Team sowie VermittlerInnen, die am EU-Projekt betei­ Nach eineinhalb Jahren der interimistischen Lei­ ligt waren, Impulse aus dem Projekt dem gesamten Ver­ tung wurde 2014 in einem Bewerbungsverfahren Gu­ mittlerInnenpool zugänglich machten. 2015 beginnt drun Blohberger zur pädagogischen Leiterin an der KZ- die nächste Ausbildung für VermittlerInnen, die 2016 Gedenkstätte Mauthausen bestellt. Sie trat ihre Stelle abgeschlossen sein wird. im Jänner 2015 an. n Die inhaltliche Weiterentwicklung des Konzepts fand zum weitaus überwiegenden Teil im Rahmen des EU-Projekts statt. Daneben entwarf das pädagogische Team 2014 neue Materialien für den Rundgang mit Vor- und Nachgespräch, die eigenständige Überle­ gungen in der Gruppe noch stärker fördern sollen. Für die Bediensteten der KZ-Gedenkstätte und für den VermittlerInnenpool wurde ein Pilotversuch zur Supervision gestartet, aus dem 2015 ein regelmäßiges Angebot an Supervision hervorgehen soll.

Abschluss des EU-Projekts „Developing Education at Memorial Sites“ (Foto: Thomas Zaglmaier).

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Christine Schindler

Das Internationale Forum Mauthausen zur Beratung der Bundesministerin für Inneres 2014

Das Internationale Forum Mauthausen tagte 2014 zweimal und diskutierte unter anderem die geplante rechtliche Reorganisation der KZ-Gedenkstätte Mauthausen (Foto: Bundesministerium für Inneres/Stephan Matyus).

014 trafen die Mitglieder des Internationalen Fo­ Kultusgemeinde Wien, über den aktuellen, auch in 2 rums Mauthausen zur Beratung der Bundesminis­ Europa sich radikal verschärfenden Antisemitismus. terin für Inneres in grundsätzlichen Angelegenheiten Die Terroranschläge auf das laizistisch orientierte der KZ-Gedenkstätte Mauthausen (IFM) am 13. Jänner und kritische Satire-Magazin Charlie Hebdo und auf in der Landespolizeidirektion Wien und am 18. No­ jüdische BürgerInnen in Frankreich, aber auch in an­ vember im Bundesministerium für Inneres in zwei deren europäischen Ländern, belegen diese Warnung ordentlichen Sitzungen unter dem Vorsitz von Prä­ einmal mehr in erschütternder Weise. Mitglieder des sident Kurt Scholz zusammen. In der Januarsitzung IFM haben an den Gedenkveranstaltungen für die Er­ referierte Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen mordeten und an den Mahnwachen gegen den Ter­

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ror, gegen Rassismus, Antisemitismus, Unterdrückung durch das Bundesdenkmalamt, noch eine Einigung und für die universell geltenden Menschenrechte, mit dem Eigentümer, einer arabischen Firma, gelun­ für Meinungsfreiheit, Pluralismus, Demokratie und gen. Das IFM wird sich 2015 gezielt „problematischen“ sozialen Frieden teilgenommen. Das IFM legt ganz Außenlagern von Mauthausen widmen – Hinterbrühl, besonderes Augenmerk auf die demokratiepolitische Redl-Zipf, Gusen, Serbenhalle – und dabei auch die Er­ Sensibilisierung der Jugend, um sie gegen Antisemi­ fahrungen des Mauthausen Komitees Österreich und tismus, Antiziganismus, alle Spielarten von Rassismus, der Initiativen vor Ort nutzen. Eine von IFM-Mitglie­ Intoleranz und Demokratiefeindlichkeit zu stärken, dern aufgebrachte Thematik betrifft die Außenlager wenngleich die Sicherung der sozialen Verhältnisse, von Dachau auf österreichischem Boden, die nicht in Zukunftsperspektiven, Ausbildung und Arbeitsplätze der Verantwortung der Gedenkstätte Dachau stehen Aufgabe der ganzen Gesellschaft sind. Es war eine können, allerdings formal auch nicht zur Gedenkstätte besondere Freude, die neue pädagogische Leiterin Mauthausen ressortieren. der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, Gudrun Blohber­ Das IFM diskutierte auch die vielen Projekte, über ger, bei der Sitzung am 18. November 2014 begrü­ die die MitarbeiterInnen der KZ-Gedenkstätte Maut­ ßen zu dürfen. Die gebürtige Oberösterreicherin und hausen berichteten, so z. B. die Übersetzung ausge­ ausgebildete Museumspädagogin hatte sich in den wählter Interviews aus dem Oral-History-Archiv oder vergangenen Jahren mit der Betreuung der Gedenk­ die Außengestaltung der Gedenkstätte. Die jüngsten stätte Peršmanhof in Bad Eisenkappel / Železna Kapla Publikationen wurden dem IFM ebenso zur Kenntnis (Kärnten) einen Namen gemacht und mit 15. Januar gebracht, wie auch Mitglieder an den Präsentationen 2015 die pädagogische Leitung in Mauthausen über­ teilnahmen. Das betrifft nach dem Katalog zur Über­ nommen. Sie wird daher in den kommenden Jahren blicksausstellung Das Konzentrationslager Mauthausen das IFM über die Vorhaben und Fortschritte in diesem 1938–1945 den Katalog Der Tatort Mauthausen – Eine wesentlichen Bereich auf dem Laufenden halten. Spurensuche. Zuletzt nahmen IFM-Mitglieder an der Neu im IFM ist auch Gerhard Baumgartner, der 2014 Präsentation von Andreas Kranebitters Zahlen als Zeu­ Brigitte Bailer als wissenschaftlicher Leiter des Doku­ gen. Soziologische Analysen zur Häftlingsgesellschaft des mentationsarchivs des österreichischen Widerstandes KZ Mauthausen teil, das der neunte Band der Reihe der nachfolgte. Mauthausen-Studien ist. 2015 erscheint das Gedenk­ Der Fokus der Beratung durch das IFM liegt in den buch für die Verstorbenen des KZ Mauthausen und seiner nächsten Jahren zweifellos auf der geplanten und Außenlager, das sowohl gedruckt als auch im Internet seit vielen Jahren geforderten Reorganisation der der 81 000 namentlich bekannten Todesopfer von KZ-Gedenkstätte Mauthausen, die Abteilungsleiterin Mauthausen und seinen Außenlagern gedenken wird Barbara Glück in der November-Sitzung skizzierte. Im und auch viele Biographien enthalten soll. Mittelpunkt steht dabei die Ausgliederung der Ge­ Auch organisatorische Änderungen in Bezug auf denkstätte aus dem ministeriellen Zusammenhang; Eintrittsgelder und Begleitungen durch das ehema­ die sinnvollste Struktur muss in den kommenden Mo­ lige Lager – der Eintritt soll generell kostenfrei, die naten ausverhandelt werden. Inanspruchnahme von Führungen und Audioguides Nach wie vor ist die Zukunft des ehemaligen KZ kostenpflichtig sein – wurden von den ExpertInnen in der Serbenhalle in Wiener Neustadt ungesichert. des IFM kommentiert, Vor- und Nachteile dargestellt Obwohl viele engagierte BürgerInnen und Initiativen, und verschiedene Erfahrungen aus anderen, insbe­ darunter die Amicale de Mauthausen, sich darum be­ sondere vergleichbaren deutschen Gedenkstätten mühen, ist bislang weder eine Unterschutzstellung eingebracht. n

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Katharina Czachor

6. Dialogforum Mauthausen

Der Auschwitz- und Mauthausen-Überlebende Martin Weiss eröffnete das 6. Dialogforum mit einer beeindruckenden Erzählung seiner Lebensgeschich­ te (Foto: Bundesministerium für Inneres/Stephan Matyus).

as Dialogforum Mauthausen stand 2014 unter sind vielfältig – von Orten, an denen der NS-Terror aus­ D dem Motto „Spuren des Nationalsozialismus“. geübt wurde, Bauwerken und Straßennamen bis hin zu Zahlreiche DiskutandInnen widmeten sich den Fragen unsichtbaren Spuren an Plätzen, wo Menschen Gewalt nach der Suche, der Sichtbarmachung, dem Umgang und Leid erfuhren. und der Vermittlung von Spuren des Nationalsozia­ Nachdem viele dieser Spuren durch jahrzehntelan­ lismus. Fast 70 Jahre nach der Befreiung des Konzen­ ge bewusste Verdrängung beseitigt oder ins alltäg­ trationslagers Mauthausen sind noch immer zahllose liche Leben integriert wurden und das Wissen um ihre Spuren des Nationalsozialismus zu finden. Ihre Formen ursprüngliche Bedeutung oft verloren gegangen ist,

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In der gewohnten Mischung aus Plenarvorträgen, Panels und Rundgängen diskutierten zahlreiche TeilnehmerInnen über den Umgang mit Orten, an denen Spuren aus der NS-Zeit zu finden sind (Foto: Bundesministerium für Inneres/Stephan Matyus).

lässt sich in den letzten Jahren zusehends ein geän­ Barbara Glück, die Leiterin der Gedenkstätte, eröff­ dertes Geschichtsbewusstsein feststellen. Zahlreiche nete die Veranstaltung und stellte anhand der Panelfra­ Initiativen kämpfen gegen das Vergessen an, durch gen die Arbeiten an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen archäologische Grabungen kommen verlorene Arte­ vor. Auf die Eröffnung folgte Martin Weiss, Überleben­ fakte zu Tage, Gedenkstätten und Denkmäler werden der der KZ Auschwitz und Mauthausen, mit einer per­ neu gestaltet oder neu geschaffen. Doch wie geht sönlichen Erzählung seiner Lebensgeschichte. man mit diesen Fragmenten aus der Vergangenheit Martin Weiss wurde am 28. Januar 1929 in Polana um? Wie sollen sie sichtbar gemacht werden? Ist ein in der ehemaligen Tschechoslowakei geboren, die im authentischer Ort für BesucherInnen wichtig? Was Jahr 1939 von NS-Deutschland besetzt wurde. Auf­ kann hier vermittelt werden? Im Rahmen von Vorträ­ grund der Implementierung der Nürnberger Gesetze gen, Diskussionen und Rundgängen wurden diese verloren JüdInnen sukzessive alle ihre Rechte; tau­ Fragen diskutiert. sende von jüdischen Männern, darunter zwei Brüder

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von Martin Weiss, wurden in Zwangsarbeitsbataillone kamen die gestalterischen Grenzen bei der Verwen­ eingezogen und an die russische Front geschickt. Im dung von Ausgrabungsstätten bzw. historischen Bau­ April 1944 wurden Hunderttausende ungarische Jü­ werken bei Kunstprojekten zur Sprache. dInnen, unter ihnen auch die Familie Weiss, verhaftet Die Sichtbarmachung von NS-Relikten im Rahmen und in das Ghetto Munkacs deportiert. Man setzte eines Leitsystems und die Anforderungen von Besu­ sie dort zur Zwangsarbeit in einer Ziegelei ein. Von cherInnen an ein Orientierungssystem beschäftigten Mai bis Juli 1944 wurden fast 440 000 JüdInnen aus im zweiten Panel die DiskussionsteilnehmerInnen Ungarn nach Auschwitz-Birkenau deportiert, darunter Barbara Glück (KZ-Gedenkstätte Mauthausen), An­ Martin und seine Familie. Martin, sein Bruder Moshe, drea Ugolini (Fondazione Fossoli), Andrzej Kacorzyk seine Schwester Cilia, sein Vater Jakob und zwei Onkel und Pawel Sawicki (beide Gedenkstätte und Museum mussten Zwangsarbeit verrichten. Auschwitz-Birkenau) und Inge Manka (Technische Später wurden Martin und sein Vater nach Melk, Universität Wien). ein Außenlager des Konzentrationslagers Mauthau­ In Panel 3 befassten sich Wolfgang Quatember sen, transportiert. In Melk wurden die Häftlinge ge­ (KZ-Gedenkstätte Ebensee), Bertrand Perz (Institut für zwungen, einen Tunnel zu bauen – Martins Vater starb Zeitgeschichte an der Universität Wien), Brigitte Halb­ an Erschöpfung und Hunger. Als die Alliierten im Früh­ mayr (Institut für Konfliktforschung und Projektmana­ jahr 1945 in Deutschland einmarschierten, deportierte gerin der Bewusstseinsregion Mauthausen – Gusen man Martin und andere Inhaftierte auf einem Todes­ – St. Georgen) und Engelbert Kenyeri (Bürgermeister marsch nach Gunskirchen, wo er von der US Army am der Gemeinde Rechnitz) mit der Frage des unter­ 5. Mai 1945 befreit wurde. Er kehrte in die Tschecho­ schiedlichen Umgangs mit Orten, an denen Spuren slowakei zurück, wo er auf seine ältere Schwester Ci­ des Nationalsozialismus zu finden sind. Wie gehen die lia und seinen ältesten Bruder Mendl traf. Zusammen Menschen vor Ort damit um, wie wurde das Wissen emigrierten sie 1946 in die Vereinigten Staaten, wo er über die Vergangenheit weitergegeben? Wie gestaltet nun auch seine Schwester Ellen wiedertraf. Im Jahr sich die Aufarbeitung der Vergangenheit in diesen Re­ 1957 heiratete er Joan Merlis. Sie haben zwei Kinder gionen? Welche Rolle nehmen regionale Initiativen in und vier Enkelkinder. diesem Zusammenhang ein? Anschließend an die Erzählung von Martin Weiss Fragen der Vermittlung im Zusammenhang mit wurde in vier verschiedenen Panels über Fragen nach NS-Relikten sowie Erwartungen und Vorstellungen der Suche, der Sichtbarmachung, dem Umgang und seitens unterschiedlicher BesucherInnengruppen der Vermittlung von Spuren des Nationalsozialismus wurden in Panel 4 thematisiert. Yariv Lapid (Center diskutiert. Im ersten Panel standen die Fragen nach for Humanistic Education), Wolfgang Schmutz und der Suche nach NS-Relikten im Vordergrund. Unter Ines Brachmann (beide Pädagogisches Team der KZ- der Moderation von Claudia Theune (Institut für Ur- Gedenkstätte Mauthausen) stellten im Rahmen des und Frühgeschichte der Universität Wien) diskutier­ Panels das EU-Projekt „Developing Education at Me­ ten Bauarchäologe Paul Mitchell, Paul Mahringer vom morial Sites“ vor, das die Pädagogik der KZ-Gedenk­ Bundesdenkmalamt und die Künstlerin Catrin Bolt stätte Mauthausen von Jänner 2013 bis Oktober 2014 über die Anwendung archäologischer Methoden bei durchgeführt hat. Ziel des Projekts war sowohl die der Suche nach NS-Relikten, gesetzliche Grundlagen Verhandlung pädagogischer Arbeit an Gedenkstätten, bei der Freilegung, Unterschutzstellung und Verän­ als auch die damit zusammenhängende Entwicklung derung von historischen Bauwerken sowie über den theoretischer Konzepte und praktischer Methoden. Umgang mit Bauwerken und Fundobjekten. Zudem Eine Gruppe externer bildete gemeinsam mit internen

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ExpertInnenen – den VermittlerInnen und Mitgliedern Ausstellung Stollen der Erinnerung gezeigt wird, die des pädagogischen Teams – den Think Tank dieses die Geschichte Steyrs zur Zeit des Nationalsozialismus, Projekts. Dieser traf sich zu fünf Workshops, bei denen das zerstörerische Zusammenspiel zwischen natio­ die ExpertInnen die Ideen der VermittlerInnen und nalsozialistischer Eroberungspolitik, Rüstungsindu­ das generelle Konzept kommentierten. Außerdem of­ strie, Zwangsarbeit und systematischer Vernichtung ferierten sie ihre Expertise in Form von Präsentationen menschlichen Lebens abbildet. und Workshops, die ins Programm der Think-Tank-Tref­ Wir danken den TeilnehmerInnen am 6. Dialog­ fen integriert waren. Die Ergebnisse des Projekts sollen forum Mauthausen für ihr Interesse und dafür, dass in Form neuer gedenkstättenpädagogischer Modelle durch ihre Diskussionsbeiträge die Veranstaltung ein vorliegen, die in die Arbeit an der Gedenkstätte Maut­ Forum für produktiven Austausch von Erfahrungen hausen implementiert werden. und Kritik sowie für die Vernetzung von unterschied­ Den Auftakt des zweiten Tags der Konferenz bil­ lichen wissenschaftlichen Institutionen und Forschen­ dete die Präsentation der Panel-Ergebnisse durch den sein konnte. n Paul Mitchell, Bernhard Mühleder, Barbara Glück und Werner Dreier. Darauf folgte die Präsentation des TU- Projekts „‚geDENKSTÄTTE MAUTHAUSEN‘. ein erinne­ rungsort in bewegung“ durch Daniela Allmeier und Inge Manka (beide Technische Universität Wien). Im Wintersemester 2013/14 befassten sich der Fachbe­ reich für Örtliche Raumplanung und das Institut für Kunst und Gestaltung 1 an der Fakultät für Architek­ tur und Raumplanung der TU Wien im Rahmen einer Lehrveranstaltung mit der Neugestaltung der Außen­ bereiche der KZ-Gedenkstätte Mauthausen sowie de­ ren Einbindung in die Region. Die Studierenden der Architektur und der Raumplanung erarbeiteten inter­ disziplinär entlang von Fragen zu (Un)Sichtbarkeiten, Grenzen, Zugängen, Bewegungen und Verbindungen im Bereich einer zeitgenössischen, öffentlichen Erin­ nerungskultur eigene geschichts- und erinnerungs­ politische Haltungen, aufgrund derer die weiteren gestalterischen Entscheidungen getroffen wurden. Exemplarisch wurden drei Projekte der StudentInnen den TeilnehmerInnen des Dialogforums präsentiert. Den Abschluss der Tagung markierten vier Rund­ gänge – zum einen durch die Außenbereiche und die Ausstellung Der Tatort Mauthausen – Eine Spurensuche in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, zum anderen in der Umgebung des ehemaligen Zwillingslagers Gusen und des „Bergkristall“-Stollens sowie in einem ehemaligen Luftschutzbunker in Steyr, in dem die

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Ines Brachmann/Bernhard Mühleder

Bereichernder Austausch: Das 10. Seminar für freie MitarbeiterInnen an Gedenkstätten

Mehr als 30 TeilnehmerInnen aus 11 Gedenkstätten aus Deutschland und Österreich nahmen am 10. Seminar für freie MitarbeiterInnen teil, das von 14. bis 16. November 2014 in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen stattfand (Foto: Bernhard Mühleder).

as Seminar für freie MitarbeiterInnen an Gedenk­ 2014 ermöglichte die finanzielle Unterstützung D stätten, das 2014 zum 10. Mal stattfand, wird aus­ durch das BM.I und das Land Oberösterreich, das Semi­ gehend von der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald nar vom 14. bis 16. November erstmals an der Gedenk­ und Mittelbau-Dora von Brita Heinrichs und Zsuzsanna stätte Mauthausen abzuhalten. Mehr als 30 Teilneh­ Berger-Nagy veranstaltet. In den vergangenen zehn merInnen von 11 Gedenkstätten aus Deutschland und Jahren fand es mehrmals an der Gedenkstätte Mittel­ Österreich reisten an, um die Gedenkstätte Mauthau­ bau-Dora, aber auch immer wieder an verschiedenen sen kennenzulernen, interessante Workshops und Vor­ Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland statt. träge zu besuchen, aber auch, um sich mit KollegInnen

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aus anderen Gedenkstätten auszutauschen – gerade reist und sprach einleitende Worte. Ines Brachmann für freie MitarbeiterInnen eine eher seltene, aber umso und Bernhard Mühleder gaben einen Überblick über wichtigere Erfahrung. das Programm des Seminars. Am Freitagmittag wurden für die auswärtigen Bei der anschließenden Podiumsdiskussion zur Be­ TeilnehmerInnen Rundgänge auf dem Gelände der wusstseinsregion Mauthausen – St. Georgen – Gusen Gedenkstätte Mauthausen und auf jenem der Gedenk­ brachten vier ReferentInnen ihre unterschiedlichen stätte Gusen angeboten. Dies ermöglichte ihnen zum Perspektiven ein: Paul Mahringer als Vertreter des einen, den Ort und seine Geschichte genauer kennen­ Bundesdenkmalamts erläuterte den Ausgangspunkt zulernen, zum anderen aber auch, das pädagogische für das Projekt: den Plan, noch vorhandene Gebäude Konzept der Gedenkstätte Mauthausen-Gusen nicht des KZ Gusen unter Denkmalschutz zu stellen. Brigitte nur theoretisch, sondern ganz praktisch bei der Um­ Halbmayr referierte zur Entstehung und zum Ablauf setzung während eines Rundgangs zu erleben. des Projekts selbst, Birgit Pichler berichtete von ihren Zum offiziellen Programmbeginn begrüßten Bri­ Erfahrungen als Bewohnerin der Region, als Vermittle­ ta Heinrichs und Zsuzsanna Berger-Nagy alle Anwe­ rin und als Teilnehmerin am Projekt. Thomas Punken­ senden und stellten kurz die Entstehung und die Ziele hofer sprach u. a. zum Umgang des Orts Mauthausen der Seminarreihe vor. Brabara Glück, die Leiterin der mit der Geschichte. Anschließend fanden sich die KZ-Gedenkstätte Mauthausen, war ebenfalls zur Be­ SeminarteilnehmerInnen in vier Kleingruppen zusam­ grüßung der internationalen TeilnehmerInnen ange­ men und konnten sich zu den eigenen Erfahrungen

Neben Workshops und Vorträgen ist das Hauptziel des Seminars der Austausch zwischen KollegInnen aus verschiedenen Gedenkstätten (Foto: Bernhard Mühleder).

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bezüglich der Beziehungen zwischen Gedenkstätten Leichter Sprache an. Anschließend an die allgemeine und der sie umgebenden Regionen und deren Bevöl­ Einführung in das Thema hatten die TeilnehmerInnen kerung austauschen. die Möglichkeit, sich selbst an einer Übersetzung eines Am Vormittag des zweiten Seminartags stellte An­ Texts in Leichte Sprache zu versuchen. dreas Mischok die Arbeit des Historikerlabors aus Berlin Nach einer gemeinsamen Feedbackrunde zu den vor, das inzwischen an dem dritten Teil der Dokumen­ verschiedenen Bestandteilen des Seminars bot ein tartheatertrilogie Über die Erfindung und Vernichtung letztes gemeinsames Mittagessen noch einmal die Mög­ des Untermenschen: Der organisierte Mord an Juden, lichkeit zum Austausch, bevor sich die TeilnehmerInnen Slawen, Sinti und Roma durch NS-Deutschland arbeitet. auf die teilweise sehr lange Heimreise begaben. Die ersten beiden Teile, Die Wannsee-Konferenz – Die Wir danken allen TeilnehmerInnen für ihr Interesse Verfolgung und Vernichtung der Juden Europas sowie und dafür, dass durch ihre Anwesenheit das Seminar Die Hungerplan-Konferenz – Die Neuordnung Europas zu einem Ort des Austauschs und der Vernetzung, der und der Vernichtungskrieg waren sehr erfolgreich und kritischen und konstruktiven Diskussion wurde. n wurden in diesem Winter zum wiederholten Male in Berlin aufgeführt. Am Nachmittag führten Axel Schacht und Ines Brachmann durch den Workshop „Kollision der Narra­ tive“. Ausgehend von der These, dass die mitgebrach­ ten Bilder, Vorstellungen und Erklärungsmuster der BesucherInnen die pädagogische Arbeit an Gedenk­ stätten wesentlich beeinflussen, bot Axel Schacht einen kurzen Impulsvortrag zum österreichischen Narrativ des „Opfermythos“. In der darauffolgenden Kleingruppenphase sammelten die Seminarteilneh­ merInnen zentrale Begriffe zu den Narrativen bezüg­ lich Holocaust und Nationalsozialismus, die ihnen in ihrer praktischen Arbeit begegnen. Daran anschlie­ ßend wurden Möglichkeiten und Modelle überlegt, wie VermittlerInnen an Gedenkstätten in ihrer Arbeit mit BesucherInnen damit umgehen können. Am Sonntagvormittag gaben Martin Hagmayr und Christina Müller vom Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim einen Einblick in die Herausforderungen der Leichten Sprache. Viel zu häufig wird Barrierefrei­ heit nur im Hinblick auf die räumliche Zugänglich­ keit für z. B. Menschen, die einen Rollstuhl benutzen, verstanden. Wichtig ist aber auch Barrierefreiheit für Menschen mit Seh- oder Hörbeeinträchtigungen oder auch Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen. Der Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim bietet ab sofort einen großen Teil der Informationen auf der Website in

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Zur Diskussion um die Stollenanlage „Bergkristall“ in St. Georgen an der Gusen. Positionspapier des Bundesministeriums für Inneres

m Jahr 1997 wurde die Verantwortung für die Erhal­ konnte auf einen beachtlichen Bestand im Archiv der I tung und Betreuung des Memorial Gusen offiziell KZ-Gedenkstätte Mauthausen selbst, auf den Bestand dem Bundesministerium für Inneres übertragen. Ab des Mauthausen Survivors Documentation Project so­ diesem Zeitpunkt begann die Intensivierung der Be­ wie auf unterschiedliche Interviewsammlungen etwa mühungen hinsichtlich der wissenschaftlichen Erfor­ der USC Shoah Foundation und andere zurückgegrif­ schung der Geschichte des KZ Gusen als Zweiglager fen werden. des KZ Mauthausen. Sichtbaren Niederschlag fand die­ Die Ergebnisse dieser mehrjährigen Forschungen se Forschungstätigkeit vor allem in der im Jahr 2005 in spiegeln sich nicht nur in der Ausstellung in Gusen und ihrer endgültigen Version eröffneten Dauerausstellung den dazugehörigen Begleitmaterialien, sondern auch in im neu errichteten Besucherzentrum in Gusen (siehe mehreren publizierten Artikeln und vor allem in einer auch: www.gusen-memorial.at). gründlich überarbeiteten und auf Basis des aktuellen Für diese Ausstellung wurden verschiedenste Quel­ Forschungsstands ausführlich kommentierten Überset­ lenbestände systematisch ausgewertet und zu großen zung des polnischen Standardwerks Vernichtungslager Teilen auch in Kopie in das Archiv der KZ-Gedenkstätte Gusen von Stanisław Dobosiewicz, das als fünfter Band Mauthausen gebracht. Die ausgewerteten Quellen der Reihe Mauthausen-Studien 2007 erschien. umfassen Namenslisten der Lagerverwaltung – wie Im Zuge dieser mehrjährigen Sammlung und Erfor­ Zugangslisten und -bücher, Überstellungslisten, Verän­ schung von Quellenbeständen kam nicht eine einzige derungsmeldungen, Totenbücher, Sterbemeldungen Quelle zutage, die auf ein weiteres Stollensystem oder etc. –, schriftliche und audiovisuelle Berichte von Über­ gar auf eine Atomforschung in St. Georgen hinweisen lebenden des Lagers, Bestände der zentralen Reichsbe­ bzw. dies auch nur plausibel erscheinen lassen würde. hörden, der unterschiedlichen Wirtschaftsbetriebe, der Die Quellen, die der Filmemacher Andreas Sulzer alliierten Aufklärungsdienste und vieles andere mehr. am 5. November 2014 der ExpertInnenrunde zur Be­ Das gesichtete und ausgewertete Quellenmaterial weisführung vorlegte, sind zum Großteil bekannt. So stammt aus verschiedensten internationalen Archiven stellte Sulzer etwa die Sammlung Goudsmit aus dem wie etwa den National Archives and Records Admi­ USHMM, welche mehrere Originalpläne und andere nistration (NARA) und dem United States Holocaust Dokumente aus dem Ingenieurbüro Fiebinger umfasst, Memorial Museum (USHMM) in den USA, dem Instytut als „neu entdeckten Quellenbestand“ vor. Dieser Be­ Pamięci Narodowej in Polen, dem deutschen Bundes­ stand ist seit vielen Jahren im USHMM mikroverfilmt1 , archiv oder den französischen Archives Nationales, um teilweise über Internet frei zugänglich2 und befindet nur einige zu nennen. Für Erinnerungsberichte von sich seit dem Jahr 2003 als Mikrofilmkopie auszugswei­ Überlebenden in schriftlicher oder audiovisueller Form se auch im Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen.

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Andere Bestände, wie etwa die Akten der Baufirma Archivs der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, diese Do­ Grün und Bilfinger, die Sulzer zur Unterstützung sei­ kumente zusammenzutragen, über Datenbanken zu ner Thesen zitiert, belegen bei genauerer Betrachtung erschließen und zu einem historischen Gesamtbild zu­ vielmehr das genaue Gegenteil. Dieser Bestand enthält sammenzufügen.3 Bereits Hans Maršálek hat in seinem detailgenaue Baufortschrittspläne der Tunnelanlagen Standardwerk Die Geschichte des Konzentrationslagers in St. Georgen, von denen kein einziger die Existenz Mauthausen (Erstausgabe: Wien/Linz 1974) auf Basis ei­ eines weiteren Tunnelsystems neben dem bekannten niger dieser Quellen einen detaillierten Überblick über auch nur andeuten würde. Für eine ausführliche und die Entwicklung der Häftlingszahlen in den Jahren detaillierte Kritik der von Sulzer vorgelegten Doku­ 1938 bis 1945 gegeben.4 Übereinstimmend mit den mente und der von ihm daraus gezogenen Schlüsse wichtigsten Quellen weist er den absoluten Häftlings­ möchten wir an dieser Stelle auf die schriftliche Stel­ höchststand für 7. März 1945 – den Tag des Eintreffens lungnahme von Bertrand Perz vom Institut für Zeitge­ eines großen Häftlingstransports aus dem Frauen-KZ schichte der Universität Wien verweisen. Ravensbrück – mit 84 472 Gefangenen im Haupt- und In seinen zuletzt öffentlich vorgebrachten und von allen Außenlagern aus.5 Bis zum 30. April 1945 wurde den Medien weltweit aufgenommenen und weiter­ diese Gesamtzahl aufgrund der enorm angestiegenen verbreiteten Statements brachte Andreas Sulzer eine Todeszahlen in Haupt- und Außenlagern sowie auf den neue Hypothese ins Spiel: In den Stollenanlagen lägen Todesmärschen auf insgesamt 64 637 reduziert.6 Die heute vermutlich die Leichen mehrerer Zehntausender letzte bekannte Häftlingszahl vor der Befreiung ist der Häftlinge des KZ Mauthauen/Gusen begraben (siehe Stand vom 3. Mai 1945 abends, also zwei Tage davor: Daily Mirror, Online-Ausgabe vom 16. Jänner 2015). 64 800. Von diesen Gefangenen befanden sich 20 491 Freilich wird auch diese Hypothese von ihm ohne in Gusen, 17 232 in Mauthausen und die übrigen in jeglichen Beleg und ohne stichhaltige Argumentati­ den noch bestehenden Außenlagern.7 An diesem Tag on vorgebracht. In dem erwähnten Artikel des Daily hatte die SS bereits die Lager Mauthausen und Gusen Mirror wird unter Berufung auf Sulzer behauptet, „SS- verlassen und die Bewachung an Einheiten der Wiener Dokumente“ würden zeigen, dass kurz vor der Befrei­ Feuerwehr übergeben. ung des KZ Mauthausen/Gusen dort 90 000 Häftlinge Es kann also zu keiner Zeit von einer Gesamtzahl inhaftiert waren. Dagegen wären am 5. Mai 1945 nur von 90 000 Häftlingen die Rede sein, wobei zusätzlich 40 000 tatsächlich von der US Army befreit worden. berücksichtigt werden muss, dass solche Gesamt­ Damit soll suggeriert werden, 50 000 Häftlinge wären zahlen immer auf den Gesamtkomplex bezogen sind, vermutlich ermordet und in den Stollen begraben also auch die Häftlinge aller KZ-Außenlager mit ein­ worden. Die Zahlen, mit denen hier argumentiert wird, rechnen. Ebenso weist auch nichts darauf hin, dass entbehren jedoch jeglicher Grundlage. Von welchen bei Eintreffen der US Army nur mehr 40 000 Häftlinge „SS-Dokumenten“ die Rede sein soll, wird nicht ge­ am Leben gewesen wären. Die Diskrepanz, die sich sagt. Tatsache ist, dass die SS über die Entwicklung des zwischen dem tatsächlichen höchsten Häftlingsstand Häftlingsstands in Mauthausen und dem gesamten von 84 472 und dem Stand am 3. Mai 1945 mit 64 800 Außenlager-System detailliert Buch führte. Zu einem ergibt, kann dagegen schlicht mit der in dieser Zeit wesentlichen Teil sind diese Dokumente über unzäh­ enormen Sterblichkeit erklärt werden. Dazu ist zu sagen, lige Archive weltweit verstreut erhalten geblieben. dass die Toten keineswegs geheim „entsorgt“ wurden, Seit vielen Jahren ist es eine der Hauptaufgaben des sondern dass die SS auch über den Tod von Häftlin­

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gen detailgenau Buch führte, bevor sie die Leichen in – bekannt, welche die Annahmen von Sulzer unterstüt­ den lagereigenen Krematorien verbrannte oder – in zen würde. Die einzige Aussage eines Überlebenden manchen Fällen – im Massengrab bei der „Marbacher – Dušan Stefančič –, welche Sulzer zur Unterstützung Linde“ verscharrte.8 In der Häftlingsdatenbank der KZ- seiner Thesen zitiert, wurde völlig aus dem Kontext ge­ Gedenkstätte Mauthausen, die unter anderen Quellen rissen und in ihrer potenziellen Vieldeutigkeit äußerst auch auf den diversen in Mauthausen und Gusen ge­ manipulativ eingesetzt. führten Totenbüchern beruht, sind für den Zeitraum Die KZ-Gedenkstätte Mauthausen fühlt sich an al­ vom 7. März 1945 bis zum 5. Mai 1945 insgesamt lererster Stelle den Opfern verpflichtet. Dazu gehört 20 326 Todesfälle registriert. Diese Zahl entspricht fast ein sorgsamer Umgang mit den Quellen ebenso sehr, genau jener Diskrepanz, die sich zwischen dem Häft­ wie die Aussagen der Überlebenden ernstzunehmen. lingsstand am 7. März und jenem am 3. Mai 1945 er­ gibt. Von „fehlenden Toten“ kann also bei genauerer Dr. Christian Dürr Betrachtung der erhaltenen SS-Dokumente keines­ Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen wegs die Rede sein. Wien, 20. Jänner 2015 Abschließend muss zu diesem Thema gesagt werden, dass von einer Gesamtzahl von etwa 71 000 Häftlingen auszugehen ist, die zwischen 1939 und 1945 im Lager Gusen inhaftiert waren.9 Von diesen 1 United States Holocaust Memorial Museum, Samuel and Irene sind laut aktuellem Stand der Häftlingsdatenbank der Goudsmit Collection, RG-10.228. 2 http://nazitunnels.org/archive (Zugriff am 22.2.2015). KZ-Gedenkstätte Mauthausen knapp 34 000 in Gusen 3 Über die dazu im Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen laufenden verstorben und zum Großteil im lagereigenen Krema­ Forschungsarbeiten und deren Resultate gibt der zuletzt erschienene torium verbrannt worden. Weitere knapp 2 000 wurden Band 9 der Schriftenreihe Mauthausen-Studien Auskunft: Andreas von Gusen aus direkt zur Ermordung durch Giftgas in Kranebitter: Zahlen als Zeugen. Soziologische Analysen zur Häft­ die Vernichtungsanstalt Hartheim transportiert und lingsgesellschaft des KZ Mauthausen (Wien 2014). 4 Hans Maršálek: Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthau­ sind somit auch unter die Opfer des Lagers Gusen zu sen (Wien 31995) S. 123-127. zählen. Da es im Fall des KZ Gusen keine Hinweise 5 Vgl. dazu auch Archiv der KZ-Gedenkstätte Mauthausen (fortan auf größere Häftlingsgruppen gibt, die in den SS-Do­ AMM) E/6/11: Rapportbuch. kumenten nicht erfasst worden wären10, ist von einer 6 Vgl. dazu auch ebd.: Wochenrapporte der Lagerschreibstube. Gesamtzahl von 35 000 bis 36 000 im Lager Gusen ge­ 7 Vgl. dazu auch AMM E/6/12: Häftlingsstands-Büchlein der Lager­ töteten Häftlingen auszugehen. schreibstube. 8 Zum Thema des Umgangs mit den sterblichen Überresten getöteter Schließlich soll auch noch auf das mehrfach von Häftlinge vgl. Bertrand Perz/Christian Dürr/Ralf Lechner/Robert Vor­ Andreas Sulzer und anderen Personen aus seinem berg: Die Krematorien von Mauthausen. Katalog zur Ausstellung in Umfeld vorgebrachte Argument eingegangen wer­ der KZ-Gedenkstätte Mauthausen (Wien 2008). den, man sei eine Aufarbeitung der Geschichte von 9 Dies ist das Ergebnis der für die Ausstellung im Besucherzentrum „Bergkristall“ „den Opfern schuldig“. Von jenen Über­ Gusen durchgeführten Forschungsarbeiten; vgl. Christian Dürr: Kon­ zentrationslager Gusen. Ehemaliges Zweiglager des KZ Mauthausen lebenden des Lagers Gusen, die Zwangsarbeit im Bau und erinnerungspolitisches Konfliktfeld. In: Bundesministerium für des Tunnelsystems bzw. in der Rüstungsfertigung in Inneres (Hg.): KZ-Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial „Bergkristall“ leisten mussten, ist keine einzige Äuße­ 2007 (Wien 2008), S. 36-41. rung – weder in schriftlicher noch in mündlicher Form 10 Vgl. Kranebitter: Zahlen als Zeugen, S. 157-173.

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Informationspapier der Bezirkshauptmannschaft Perg zum Bericht der interdisziplinären ExpertInnengruppe, der am 26. Jänner 2015 der Öffentlichkeit präsen­ tiert wurde. Die Langversion des Berichts steht unter http://www.mauthausen-memorial.at/db/admin/de/show_article.php?&fromlist=1&carticle=1189 zum Donwload zur Verfügung.

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Informationspapier der Bezirkshauptmannschaft Perg, Seite 2.

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Informationspapier der Bezirkshauptmannschaft Perg, Seite 3.

Seite 153 03 KZ-Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial 2014

Informationspapier der Bezirkshauptmannschaft Perg, Seite 4.

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Informationspapier der Bezirkshauptmannschaft Perg, Seite 5.

Seite 155 03 KZ-Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial 2014

Informationspapier der Bezirkshauptmannschaft Perg, Seite 6.

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Nachruf auf Roman Mytrofanovycˇ Bul'kacˇ

oman Mytrofanovyč Bul'kač kam am 1. Dezember R 1923 im Dorf Trytuzne, einem Vorort der Indus­ triestadt Dniprodzeržyns'k in der heutigen Ukraine zur Welt. Im März 1942 wurde er als Zwangsarbeiter nach Nürnberg deportiert, wo er jedoch bereits im Mai von seinem Arbeitsplatz flüchtete. Wegen seines Flucht­ versuchs deportierte man ihn am 3. Juni 1942 ins KZ Mauthausen, von wo aus er nach einem Monat ins Au­ ßenlager Gusen I weiterüberstellt wurde. Dort musste er im Steinbruch und später im sogenannten „Steyr- Kommando“ arbeiten. Dass er überlebte, verdankte er nach eigenen Aussagen der Hilfe spanischer Häftlinge. Nach seiner Befreiung musste er zwei Monate in amerikanischen Roman Mytrofanovyč Bul'kač (Foto: Stephan Matyus). Lazaretten verbringen, ehe er in die Sowjetunion repa­ triiert werden konnte. Seine Familie hatte den Krieg fast unbeschadet überlebt, lediglich der Vater hatte durch eine Bombe ein Bein verloren. Nach seiner Heimkehr studierte er Geologie und Wirtschaftswissenschaften und arbeitete bis zu seiner Pensionierung 1983 an ge­ ologischen Instituten in der Ukraine und in Moldawien. Bereits 1965 war er in verschiedenen Organisati­ onen ehemaliger Häftlinge aktiv, seit 1999 fungierte er zudem als Vertreter der Ukraine im Internationalen Mauthausen-Komitee und reiste fast jedes Jahr zur Be­ freiungsfeier an – zuletzt im Mai 2013 zur Präsentation der neuen Ausstellungen. Bul'kač, der die letzten Jahre seines Lebens verwit­ wet war, hatte zwei Söhne (einer davon bereits verstor­ ben) sowie mehrere Enkel- und Urenkelkinder. Roman Mytrofanovyč Bul'kač starb am 18. Februar 2014 im Alter von 90 Jahren in Kiew.

Matthias Kaltenbrunner

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Nachruf auf Mario Limentani

ario Limentani, italienischer Überlebender des gannen. Im Dezember wurde er aber dann doch am M KZ Mauthausen, ist am 27. September 2014 im Bahnhof Rom-Termini von Nationalsozialisten und ita­ Alter von 91 Jahren gestorben. Limentani, der den lienischen Faschisten festgenommen. Ein Jahr später Spitznamen „Der Venezianer“ getragen hatte, ist in ei­ deportierte man ihn in das Konzentrationslager Maut­ ner von der jüdischen Gemeinde in Rom organisierten hausen. Auf seine Befreiung aus dem Lager im Mai Zeremonie zur letzten Ruhe gebettet worden. Mario 1945 folgten 69 Jahre, in denen der Verstorbene zahl­ Limentani hatte sein Leben dem immerwährenden Er­ reichen Nachgeborenen von seinen schmerzvollen Er­ innern an den Holocaust gewidmet. fahrungen berichtete. Er war von Venedig kommend 1938, ein Jahr, bevor In ihrem Buch The Death Escalator: Mario Limentani die anti-jüdischen Rassengesetze Mussolinis in Kraft from Venice to Rome through Mauthausen beschrieb traten, in Rom eingetroffen. Es gelang ihm, selbst dann Grazia di Veroli die außergewöhnliche Geschichte in der italienischen Hauptstadt unentdeckt zu bleiben, eines außergewöhnlichen Mannes. als die Deportationen der Juden im Oktober 1943 be-

Nachruf auf Ennio Odino

m 13. Dezember 2014 starb der italienische Maut­ akte gegen die deutsche Rüstungsproduktion durch. A hausen-Überlebende Ennio Odino im Alter von 90 Nach seiner Befreiung am 5. Mai 1945 kehrte er Jahren in Brüssel. nach Italien zurück, wo er sich unter anderem seiner Ennio Odino stammte aus einer antifaschistischen großen Leidenschaft, dem Radfahren, widmete. Er Familie. Er betätigte sich schon in jungen Jahren im nahm an mehreren großen Rundfahrten teil. Im Jahr Widerstand, kämpfte in Partisaneneinheiten und wur­ 1958 heiratete er seine belgische Frau Suzanne Mercier de stellvertretender Kommandeur der III. Garibaldi-Bri­ und folgte ihr nach Brüssel, wo er für die Europäische gade Ligurien. Im April 1944 wurde er bei einer Razzia Union arbeitete. Sein antifaschistisches und soziales verhaftet und entkam nur knapp einem Massaker der Engagement setzte Ennio Odino auch nach dem Krieg Deutschen . Nach einem misslungenen in zahlreichen Projekten und Organisationen fort. Fluchtversuch deportierte man ihn in das Konzentra­ Im Jahr 2008 erschienen seine Lebenserinnerungen tionslager Gusen. Dort musste er Zwangsarbeit für die unter dem Titel La mia corsa a tappe (N°63783 a Maut­ Messerschmitt-Werke leisten. Als Mitglied des Häft­ hausen). Wir trauern um Ennio Odino. lingswiderstands führte er systematische Sabotage­

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Nachruf auf Othmar Wundsam

m 27. Dezember 2014 verstarb der Künstler und A Mauthausen-Überlebende Othmar Wundsam im Alter von 93 Jahren. Othmar Wundsam, der sich schon jung im Wider­ stand gegen den Nationalsozialismus engagierte, trat im Alter von 17 Jahren der KPÖ bei. Beim Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich 1938 verteilte er Flugzettel gegen das nationalsozialistische Regime. 1939 fand die Gestapo Flugzettel mit „kommunisti­ schen Parolen“ in seiner Wohnung und nahm ihn ge­ meinsam mit seiner Schwester Hilde monatelang ohne Anklage in Haft. Nach Ende seiner Lehrzeit wurde er zur Wehrmacht eingezogen. An der russischen Front fertigte er erste Zeichnungen vom Schrecken des Kriegs an. 1944 wurde Othmar Wundsam gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Schwester erneut von der Gestapo verhaftet. Die beiden Frauen wurden ins KZ Othmar Wundsam (Foto: Stephan Matyus). Ravensbrück deportiert, er selbst ins KZ Buchenwald. Gegen Kriegsende gelangte Wundsam nach einem Evakuierungstransport in das KZ Mauthausen. Schwer krank und abgemagert wurde er schließlich am 5. Mai 1945 im Außenlager Steyr-Münichholz befreit. Nach Kriegsende studierte Wundsam Malerei an der Akademie der bildenden Künste in Wien, danach war er bei den Österreichischen Bundesbahnen be­ rufstätig. In seinen ausdrucksstarken Zeichnungen und Bildern hielt er die Gräuel der KZ-Haft fest, um die Er­ innerung an diese Verbrechen wachzuhalten. Zuletzt wurden seine Werke anlässlich seines 90. Geburtstags in Wien-Donaustadt gezeigt. Wir trauern um Othmar Wundsam und sprechen der Familie unser aufrichtiges Beileid aus. Die Trauerfeier für Othmar Wundsam fand am 15. Jänner 2015 um 13 Uhr in der Feuerhalle am Zen­ tralfriedhof Wien-Simmering statt.

Ute Bauer-Wassmann

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Kontaktinformationen

Organisatorische Leitung Ansprechpersonen:

DDr. Barbara Glück Dr. Christian Dürr Bundesministerium für Inneres E-Mail: [email protected] Abteilung IV/7 Dr. Gregor Holzinger Minoritenplatz 9 E-Mail: [email protected] A - 1014 Wien Ralf Lechner Tel +43 1 53126 3039 E-Mail: [email protected] Fax +43 1 53126 3386 E-Mail: [email protected] MMag. Andreas Kranebitter E-Mail: [email protected]

Lokale Verwaltung und Besucherzentrum Mag. Robert Vorberg E-Mail: [email protected] MinRat. Harald Hutterberger, MAS, M.Sc., M.A Mag. Doris Warlitsch Erinnerungsstraße 1 E-Mail: [email protected] A - 4310 Mauthausen Tel +43 7238 2269 0 Fotoarchiv Fax + 43 7238 2269 40 E-Mail: [email protected] Mag. Stephan Matyus E-Mail: [email protected] Tel.: +43 1 53126 3854 Bookshop und BesucherInneninformation DI Ute Bauer-Wassmann E-Mail: Bmi-IV-7-Mauthausen-Information-und­ E-Mail: [email protected] [email protected] Tel.: +43 1 53126 3705 Tel +43 7238 2269 13 Pädagogik und Vermittlung Archiv, Fotoarchiv, Bibliothek Dr. Christian Angerer E-Mail: [email protected] Das Archiv und die Bibliothek der KZ-Gedenkstätte Tel.: +43 7238 2269 34 Mauthausen befinden sich in Wien im Bundesministerium für Inneres. Um die vorherige Anmeldung eines Besuchs Petra Bachleitner (Buchungen) wird gebeten an [email protected] E-Mail: [email protected] oder unter +43 1 53126 3832. Tel.: +43 7238 2269 22

Bundesministerium für Inneres Mag. Gudrun Blohberger (Leitung) Abteilung IV/7 E-Mail: [email protected] Minoritenplatz 9 Tel.: +43 7238 2269 36 A - 1014 Wien Mag. Teres Stockinger (Buchungen) E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected] Tel.: +43 1 53126 3832 Tel.: +43 7238 2269 35 Fax: +43 1 53126 3386 Thomas Zaglmaier Telefonzeiten: Montag - Freitag: 9:00 – 12:00 Uhr E-Mail: [email protected] und 13:00 – 15:00 Uhr Tel.: +43 7238 2269 22

160 Jahrbuch 2014 Bundesministerium für Inneres, Andreas Kranebitter (Hrsg): FORSCHUNG | DOKUMENTATION | INFORMATION KZ- Gedenkstätten und die neuen Gesichter des Rechtsextremismus Jahrbuch 2014 der KZ- Gedenkstätte Mauthausen | Mauthausen Memorial. Forschung – Dokumentation – Information ISBN 978-3-7003-1923-8 JAHRBUCH MAUTHAUSEN Erscheinungsdatum: 04.05.2015 KZ-GEDENKSTÄTTE MAUTHAUSEN | MAUTHAUSEN MEMORIAL

JAHRBUCH 2014 2014

In den vergangenen Jahren war ein allgemeiner Anstieg rechtsextremer Straftaten in meh­ KZ-Gedenkstätten und die neuen reren österreichischen Städten zu beobachten, der auch vor der KZ-Gedenkstätte Mauthau­ sen nicht Halt gemacht hat. Sie wurde im Mai 2014 bereits zum dritten Mal großflächig mit Gesichter des Rechtsextremismus einer neonazistischen Parole beschmiert. Gleichzeitig scheinen sich die ideologischen In­ halte der Rechten zu erweitern. Zu kruden Formen des Antisemitismus und altbekannten Revisionismen kommt in den Parolen, mit denen die Mauern der KZ-Gedenkstätte Mauthau­ sen beschmiert wurden, ein anti-muslimischer Rassismus. Im „Forschungsteil“ des Jahrbuchs der KZ-Gedenkstätte Mauthausen 2014 setzen sich Au­ torInnen aus verschiedenen Bereichen mit dem Themenkomplex „Rechtsextremismus“ aus­ einander. Welche neuen Facetten lassen sich am Beginn des 21. Jahrhunderts ausmachen? Welche Rolle spielen Denkmäler und Gedenkstätten (und insbesondere KZ-Gedenkstätten) in rechtsextremen Ideologien und Praktiken? Wie können KZ-Gedenkstätten schließlich agieren und reagieren? In ihrem Jahrbuch veröffentlicht die KZ-Gedenkstätte Mauthausen neueste Forschungser­ gebnisse zum KZ Mauthausen, kommentiert historische Zeitdokumente und informiert über Aktivitäten und Veranstaltungen im vergangenen Jahr. Das Jahrbuch erscheint seit dem Jahr 2007 und versteht sich als Forum für Organisationen und Personen, die sich mit der Gedenk­ stätte Mauthausen als Erinnerungsort, Museum und Friedhof auseinandersetzen. KZ-GEDENKSTÄTTE MAUTHAUSEN KZ-GEDENKSTÄTTE | MAUTHAUSEN MEMORIAL

REPUBLIK ÖSTERREICH BUNDESMINISTERIUM FÜR INNERES BM.I € 5.00