1923 - 1918

Kriegsende, Revolution und Räterepublik, die Ermordung Kurt Eisners, der Bürgerkrieg um München und die Putschversuche gegen die junge Demokratie: 1918-1923 war Bayern ein Brennpunkt der deutschen Geschichte. Die Ausstellung im Bayerischen Armeemuseum dokumentiert mit einer Fülle von Objekten, ayern

Fotografien und Zeugnissen die Geschichte der Gewalt in den Jahren nach dem Krieg. Dahinter steht die bren- B nende Frage, wie nach dem verlorenen Krieg ein wirklicher Frieden nach außen und innen zu gewinnen war. Friedensbeginn

ISBN 978-3-8062-3900-3

9 783806 239003 Friedensbeginn? Bayern 1918-1923 Friedensbeginn? Bayern 1918-1923

Herausgegeben von Dieter Storz und Frank Wernitz Kataloge des Bayerischen Armeemuseums Band 18

Herausgegeben von Ansgar Reiß

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Umschlag: Die Umschlagabbildung basiert auf einer Fotografie aus dem Jahr 1918, Inv.-Nr. 0517-2018.1 (siehe S. 224) Umschlaggestaltung: malyma.Werbung Neumarkt

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ISBN 978-3-8062-3900-3 7 Inhalt

Grußwort ...... 9 Katalog

Vorwort ...... 10 1: Bayerns Armee ...... 167

Impressum ...... 13 2: Bayerisches Armeemuseum ...... 179

Dieter Storz/Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition des bayerischen Heeres ...... 15 3: Weltkrieg ...... 189

Dieter Storz: Die bayerische Armee im Ersten Weltkrieg ...... 37 4: Revolution? ...... 209

Bernhard Grau: Revolution und Räterepublik – Vom Sturz der Monarchie bis zur 5: Bürgerkrieg? ...... 223 Rückeroberung Münchens durch die „weißen“ Truppen ...... 49 6: Vorläufige Reichswehr ...... 239 Niels Ungruhe: Revolutionäre Kadertruppe oder Söldner mit „ehrloser Gesinnung“? Zur Sozialgeschichte der „Roten Armee“ von München 1919 ...... 63 7: Die Dinge spitzen sich zu ...... 255

Rüdiger Bergien: Gründungsgewalt und Sicherheitskonsens – Die Geburt der 8: Kampf um München ...... 273 Weimarer Republik aus einer Politik der »eisernen Faust« ...... 73 9: Roter und weißer Terror ...... 287 Peter Keller: Freikorps, Volkswehren, Sicherheitstruppen… Die Regierungstruppen von 1918/19 und die Entstehung des Freikorpsmythos ...... 87 10: Das Freikorps Epp und der Aufbau der Reichswehr in Bayern ...... 305

Frank Wernitz: Die „bayerische“ Reichswehr 1919-1920 11: Der Frieden von Versailles und die endgültige Formation der Betrachtungen zu Uniform und Identität ...... 101 Reichswehr ...... 321

Dieter Storz: Einwohnerwehr Bayern ...... 117 12: Eine neue Sicherheitsarchitektur für Bayern ...... 339

Dieter Storz: Der Mord an den Mitgliedern des katholischen 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch ...... 355 Gesellenvereins St. Joseph am 8. Mai 1919 ...... 133 14: Tradition nach dem Weltkrieg ...... 383 Frank Henseleit: Der „Gefallene Soldat“ im Münchener Kriegerdenkmal ...... 147 15: Der „Gefallene Soldat“ im zu München ...... 399 9 Grußwort

1918 endete der Erste Weltkrieg. Bayern wurde ein Freistaat. Aber die Anfänge waren schwierig. Frieden herrschte im Innern nicht. Revolution, Räterepublik, Freikorps, Hyperinflation und Hitler- Putsch sind die historischen Stichworte für die folgenden Jahre. Die außenpolitischen und wirtschaftlichen Folgen des Versailler Friedensvertrages belasteten Deutschland. Eng damit verschränkt verlief das Ende der traditionsreichen bayerischen Armee, die Auflösung der gewaltigen Militärma- schinerie des Krieges, die Eingliederung der entlassenen Soldaten in das zivile Leben und die Bildung der Reichswehr als erste einheitliche deutsche Armee.

Das Bayerische Armeemuseum in Ingol- stadt zeigt die dramatischen Vorgänge jener Jahre in einer großen Ausstellung. Viele der Ereignisse jener Zeit, aber auch die Erzählungen und Mythen, die damals entstanden sind, haben die wei- tere Geschichte unseres Landes geprägt. Umso wertvoller ist es, wenn das Armee- museum mit gewohnter Fachkompetenz und Gründlichkeit einen museumspäda- gogisch gelungenen Einblick in jene Epo- che gewährt. Es ermöglicht eine lehrreiche geistige Auseinandersetzung mit ihr und leistet damit einen wesentlichen Beitrag zum Jubiläumsjahr 2018.

Dr. Markus Söder Der Bayerische Ministerpräsident 11 Vorwort

Vor 100 Jahren endete der Erste Welt- munismus“ schien sich ausgerechnet in Zuverlässigkeit und Lenkbarkeit höchst gekennzeichnet durch eine Konfusion von krieg. Die gewaltige Maschinerie des Tö- München zu materialisieren. Die fernen zweifelhaft waren. Zum anderen waren innerem Krieg und äußerer Einflussnah- tens kam mit dem Waffenstillstand vom Erinnerungen an die Pariser Kommune weder die Heeresleitung noch erst recht me. Und der Versuch, die für eine inne- 11. November 1918 zum Halten. Die Er- des Jahres 1871 mögen eine Rolle gespielt die einzelnen Verbände angesichts eines re Befriedung wesentliche Klärung von eignisse überstürzten sich. Mit der For- haben, die Nachrichten vom bolschewisti- sich verschärfenden politischen Konflikts Schuldfragen durch einen internationalen derung nach Frieden verband sich die schen Umsturz in Russland taten ein üb- neutral. Eine solche Neutralität hätte ja ei- Strafgerichtshof gewissermaßen zu neu- nach der Herrschaft des Volkes. Die große riges, jedenfalls provozierte der Umsturz nen gefestigten Staat schon vorausgesetzt. tralisieren, tritt auf der Stelle. Demonstration gegen die Fortdauer des in München eine Welle exzessiver, rechter Beides zusammengenommen führte zu Die Ausstellung „Friedensbeginn?“ stellt Krieges auf der Münchner Theresienwie- Gewalt. Dass diese vom jungen Weimarer den angesprochenen Exzessen der Ge- sich der bayerischen Geschichte der Jah- se am 7. November 1918 mündete noch in Staat disziplinarrechtlich und juristisch walt und zu Vorstellungen und Versu- re 1918 bis 1923, als der brodelnde Bür- der gleichen Nacht in der Ausrufung des praktisch nicht verfolgt wurde, ist eine der chen, der Gesellschaft durch Gewalt eine gerkrieg mit der Niederschlagung des Freistaates durch Kurt Eisner. Bayern setz- großen Schattenlinien der deutschen Ge- Ordnung aufzuzwingen. Die alte föderale Hitlerputsches einen Höhepunkt und ein te ein Fanal für das ganze Deutsche Reich. schichte. Gliederung spielte dabei immer weniger nur vorläufiges Ende fand. So bekannt Schon vor dem Waffenstillstand fand also Die Ausstellung wählt als Leitfaden die eine Rolle. Seit 1919 wurde eine neue, ein- die großen Linien der Geschichte sind, so die alte politische Ordnung in Deutsch- Geschichte der bewaffneten Macht in heitliche „Reichswehr“ gegründet und erschütternd ist es oft, diese im Detail zu land ein Ende. Die Monarchen nahmen Bayern. Die Fragen des politischen, ge- allmählich ausgebaut, die sich zumindest verfolgen. Dank der konzentrierten Arbeit reißaus: Ludwig III. flüchtete sich aufs sellschaftlichen, geistigen und kulturellen äußerlich der entstehenden Republik un- des Kurators Dieter Storz und des Mitar- Land, schließlich nach Österreich. Umbruchs sind mit dieser Geschichte ver- terordnete. Gleichzeitig entwickelten sich beiters Frank Wernitz, der ihn nachhaltig Aber nicht etwa Einigkeit war die Folge woben und spiegeln sich in ihr. Die Erzäh- wilde Triebe einer rechts-nationalistischen unterstützte, ist es gelungen, eine Fülle des Ruhens der Waffen, sondern sofort lung beginnt mit dem sorgfältig gepfleg- Gewaltbereitschaft, die den Umsturz hin neuer und wiederentdeckter Objekte und taten sich neue Gräben auf. Die Welt ins- ten Stolz des alten Heeres auf die Siege zu einem wie auch immer gearteten au- Bilder zu dieser Geschichte hinzuzufügen. gesamt teilte sich in Sieger und Verlierer. in Frankreich 1870/71. Die fortbestehende tokratischen, nationalen Regime planten Ausstellung und Katalog zeigen Bayern Und auf der Seite der Verlierer gab es bayerische Eigenstaatlichkeit drückte sich und versuchten. als einen Brennpunkt deutscher Geschich- begreiflicher Weise wenig zu feiern. Die insbesondere in der Monarchie und im Die Ausstellung endet mit Zeugnissen der te und tragen zu einer dichten Erinnerung überall grassierende Not ließ sich hier bayerischen Heer aus; ein Symbol dafür Erinnerung an den Krieg. Auch sie blieb an die Geburtsstunde des modernen Euro- kaum übertünchen. Vor allem aber fühl- war das 1879 gegründete Armeemuseum. umstritten: Auch in der Trauer um das un- pa nach dem Ersten Weltkrieg bei. ten sich fast alle belogen und betrogen. Wie eine Grenzscheide zum modernen ermessliche Leid, das der Krieg verursacht Militärische Kreise sahen sich um den Sieg Europa wirken demgegenüber die Bilder hatte, gab es keine Einigkeit. Und doch betrogen: die Politik und der Rückhalt an aus dem Großen Krieg. Danach war kaum war sie nicht einfach Teil der heftigen, oft der Heimatfront schienen ihnen versagt mehr etwas wie vorher. Mit dem Heer und blutigen Auseinandersetzungen, sondern Ansgar Reiß zu haben. Die Anwälte des Friedens und der Monarchie zerbrachen die Macht, die stand ihnen auch gegenüber. Nach Jahr- Museumsdirektor des Umsturzes andererseits klagten das politische Ordnung und die föderale Glie- zehnten im Verborgenen kann die beinahe Militär und das politische Establishment derung des Reiches. Die neuen Regierun- vergessene, originale Skulptur des toten Ingolstadt, im September 2018 an, sie hätten das Volk systematisch und gen versuchten im Bündnis mit der alten Soldaten vom Münchner Hofgarten im wissentlich über die in Wahrheit schon Heeresleitung den Schutz des Reiches zu letzten Raum der Ausstellung wieder be- längst aussichtslose Lage belogen. organisieren und Ordnung und Stabilität trachtet werden. In Bayern nahmen die Auseinanderset- zu schaffen. Dabei gerieten sie in einen Die Frage, wie Krieg beendet und Frieden zungen ungeahnt scharfe Formen an. Der doppelten Konflikt. Zum einen waren die nicht nur nach außen, sondern auch im Mord an Kurt Eisner am 21. Februar 1919 regulären Truppen in Auflösung begriffen, Inneren einer Gesellschaft hergestellt wer- ließ die Situation endgültig eskalieren. so dass mit angeworbenen Soldaten ein den kann, ist heute so aktuell wie je. Viele Das von Karl Marx Anfang des Jahres bunter Strauß irregulärer Verbände aufge- der laufenden Kriege, etwa im Jemen, in 1848 beschworene „Gespenst des Kom- stellt wurde, deren Ausbildung, Disziplin, Syrien oder in der östlichen Ukraine sind 13 Ausstellung Katalog

Veranstalter Kataloge des Bayerischen Bayerisches Armeemuseum Armeemuseums Bd. 18 herausgegeben von Ansgar Reiß Gesamtleitung Dr. Ansgar Reiß © 2018 Bayerisches Armeemuseum, Ingolstadt Idee und Grundkonzept und wbg (Wissenschaftliche Buchgesell- Dr. Dieter Storz, Dr. Frank Wernitz, schaft), Darmstadt Dr. Ansgar Reiß Herausgeber Kuratoren Dieter Storz und Frank Wernitz Dr. Dieter Storz, Dr. Frank Wernitz Redaktionsleitung Wissenschaftliche Mitarbeit Dr. Tobias Schönauer Dr. Ansgar Reiß, Dr. Tobias Schönauer, Daniel Hohrath M.A., Dr. Frank Wernitz Redaktion und Gestaltung Dr. Tobias Schönauer, Dr. Dieter Storz, Plakat Dr. Frank Wernitz, Daniel Hohrath M.A. malyma.Werbung Neumarkt Katalogtexte Werkstätten und Depots Dr. Dieter Storz, Dr. Frank Wernitz Leitung: Heinz Weininger Tobias Baur, Matthias Gabler M.A., Umschlaggestaltung Roland Hopp, Klaudia Hutter, Kornelia malyma.Werbung Neumarkt Koch, Rudolf Pemsl, Anja Pilz, Franz Prummer, Hans-Peter Roth, Melita Satz Schluttenhofer, Jakob Schwaiger Dr. Tobias Schönauer

Haustechnik Fotos Konrad Mayer, Christina Thurn Christian Stoye (Bay. Armeemuseum) Andreas Schmidt (S. 168 f., 170, 186, 200, Leihgeber 202, 211, 214, 227, 235, 244-248, 250 f., 269, Rudolf Ritter von Waechter 276, 310, 317, 329, 332, 333-335, 338, 340, Dr. Frank Wernitz 343, 345 f., 348-353, 358 f., 371, 375, 381, 387, 395)

Druck und Verarbeitung wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt 15

Dieter Storz/Daniel Hohrath Geschichte und Tradition des bayerischen Heeres

Als die königlich bayerische Armee zu Das galt auch, und vielleicht in besonde- bestehen aufhörte, bedeutete dies für ihre rem Maße, für das Militär. In der Traditi- Angehörigen, jedenfalls für Berufssoldaten onsbildung der bayerischen Armee spielte und Offiziere, mehr als die Auflösung ei- das Jahr 1682 eine zentrale Rolle, denn in ner normalen staatlichen Institution oder diesem Jahr datierte man den Beginn ei- den Verlust ihres Arbeitgebers. Das baye- ner nie mehr abgerissenen Geschichte des rische Heer blickte auf eine Geschichte von „Bayerischen Heeres“. Es war allgemeine fast zweieinhalb Jahrhunderten zurück, in Praxis, wie in der Genealogie einer Fami- denen es als zentrales Machtinstrument lie vom ältesten Ahnen auszugehen und der Wittelsbacher Dynastie eine entschei- seine Blutlinie zu verfolgen, also von dem dende Funktion für die Entstehung des frühesten fassbaren Datum auszugehen, modernen Staates „Bayern“ ausgeübt hat- an dem Regimenter errichtet und danach te. Dieser Staat hatte am Ende einer langen nicht mehr vollständig aufgelöst wurden Kriegsepoche im Jahre 1815 seine dau- bzw. sich gewissermaßen fortpflanzten. erhafte Gestalt erhalten; er war, wie die Diese Regimenter bildeten den Nukleus meisten europäischen Staaten, das keines- eines „stehenden Heeres“, auf dessen in- wegs zwangsläufige Ergebnis einer lan- stitutionelle Kontinuität sich die Tradition gen Folge politischer Verwicklungen, die beziehen konnte. oftmals weit über den Handlungsrahmen Dies war im Detail manchmal eine recht seiner Herrscher hinausreichten, zahlrei- bemühte Konstruktion, denn gerade in cher dynastischer Zufälle und riskanter der an Krisen reichen bayerischen Ge- Entscheidungen. schichte des 17. und 18. Jahrhunderts Die Rolle der Armee als der bewaffneten schwankten die Truppenstärken enorm, Macht, die heute gelegentlich unterschätzt wurden laufend Einheiten umbenannt, wird, stand nicht nur für die Angehöri- zusammengelegt oder als Grundstock gen des Militärs damals außer Frage. Die in neuerrichtete Truppenteile überführt. Geschichte dieses Heeres als Ganzes und Außerdem war das Königreich Bayern in vor allem seiner Regimenter, aus denen es seinen 1815 festgelegten Grenzen ein viel entstanden war, war im 19. Jahrhundert größerer Staat als das alte Kurfürstentum. als Tradition verankert worden und präg- Es bestand zum guten Teil aus Territorien te seine Identität. Die Hinwendung zur mit einer eigenen Geschichte, und dem- Geschichte als Gegenstand wissenschaftli- entsprechend galt das auch für die Armee, cher Forschung und Sinnstiftung zugleich in der die Regimenter des Kurpfälzischen war eine der grundlegenden geistigen Heeres, aber auch das Militär vieler klei- Entwicklungen des 19. Jahrhunderts. nerer und kleinster Staaten des Alten Rei- 16 | Dieter Storz/Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition Dieter Storz: /Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition | 17 ches aufgegangen waren, von den Mark- zahlen konnte (was natürlich oft ein Bayern in die erste Reihe der deutschen an das aggressiv gegenreformatorische grafschaften Ansbach und Bayreuth über Problem war), standen ihm diese Truppen Fürstenstaaten vorschob. Auch wenn die Kurbayern geradezu undenkbar. die Reichsstadt Nürnberg bis zum Fürst- uneingeschränkt zur Verfügung, gegen Pfälzer Wittelsbacher im Frieden von 1648 Nach dem Westfälischen Frieden von bistum Würzburg. Von all diesen „Vor- innere wie äußere Gegner. Das war das mit einer neuen achten Kurwürde ent- 1648 kam es zu keinem derartig zerstö- gängereinheiten“ tragfähige Traditionsli- Entscheidende. Zum anderen die Orga- schädigt wurden, war der Kurfürst von rerischen und unkontrollierbar weiter- nien in die königlich Bayerische Armee zu nisationsform: Die im 17. Jahrhundert Bayern nunmehr der ranghöchste welt- wütenden Krieg mehr, doch friedlich ziehen, war nicht immer einfach. entwickelten Kompanien und Regimenter liche Kurfürst im Heiligen Römischen waren die folgenden Jahrzehnte nicht. Die Geschichte der bayerischen Armee als und die Ranghierarchien von Offizieren, Reich. Europa wurde dauerhaft erschüttert von Institution im 17. Jahrhundert beginnen Unteroffizieren und Soldaten sind bis Der Dreißigjährige Krieg brachte durch dem großen Machtkampf zwischen den zu lassen, war aber trotzdem ein in sich heute die strukturierenden Einheiten der seine schiere Dauer für Kurbayern auch französischen Königen aus dem Hause schlüssiger Ansatz, denn ein absoluter Armeen weltweit. schon eine erste Annäherung an ein ste- Bourbon und den Habsburgern, deren Anfangspunkt für bayerische Militärge- hendes, also nicht nur für einen Feldzug eine Linie die Könige von Spanien stellte, schichte wird sich nicht finden lassen. Die Der Dreißigjährige Krieg angeworbenes Heer. Auf der Höhe dieses während die andere mit Österreich und Anwendung organisierter militärischer Krieges, 1630/31, zählte das bayerische Böhmen über einen mitteleuropäischen Gewalt auf dem Gebiet des heutigen Bay- Als wesentlicher Schritt auf dem Weg Heer 22.000 Fußsoldaten, mehr als 3.000 Länderkomplex herrschte, der dem Hause ern lässt sich bereits in der Antike nach- zu einem militärisch handlungsfähigen Kavalleristen und 86 Geschütze. Obwohl Habsburg zugleich die Kaiserwürde des weisen, aber da gab es noch kein Bay- „Staat Bayern“ ließ sich die lange Re- der Kurfürst von Bayern einer der politi- Heiligen Römischen Reiches Deutscher ern, und auch von dem mittelalterlichen gierungszeit des wohl tatkräftigsten und schen Gewinner des verheerenden Krieges Nation sicherte. Zu dieser Rivalität kam Kriegswesen der feudalen Aufgebote in erfolgreichsten bayerischen Fürsten ver- war, erzwang Geldmangel nach dem die Expansion des Osmanischen Reiches, Süddeutschland ergeben sich keine Kon- stehen: Herzog Maximilian I. trat 1597 an Friedensschluss die Auflösung des gesam- das im Mittelmeerraum und vor allem in tinuitäten, auch wenn es natürlich künst- die Spitze des Herzogtums Bayern und ten kurbayerischen Heeres bis auf wenige Südosteuropa vorrückte. lerische und historisch-literarische Projek- regierte es bis 1651. Maximilian hatte von hundert Mann. Nur einige Leibgarden Das Kurfürstentum Bayern sah sich schon tionen des „bayerischen Kriegsmannes in seinem Vater eine finanziell angeschlage- und die Stadtwachen von München und von seiner geographischen Lage her zwi- früheren Zeiten“ gab. ne Herrschaft übernommen, die er in we- Ingolstadt blieben bestehen. schen dem französischen und dem ös- Erst das Kriegswesen der Frühen Neuzeit nigen Jahren in ein Musterterritorium mit Das Kurfürstentum Bayern war nun einer terreichischen Machtbereich eingekeilt. gab eine Grundlage für eine kontinuierli- wohlgefüllten Kassen verwandelte. Sein der mittelgroßen Staaten im Flickentep- Diese Lage sollte bis 1815 die bayerische che Entwicklungslinie, paradoxerweise, zeittypisches Projekt der Landesdefension, pich des „Heiligen Römischen Reiches Außen- und Militärpolitik bestimmen. weil es „jenseits des Staates“ entstand und also eines Landesverteidigungswesens, Deutscher Nation“, dabei mit einem ver- Ein Staatswesen mittlerer Größe mit ei- auf frei angeworbene Söldner und damit das sich nicht auf Söldner, sondern auf gleichsweise geschlossenen Territorium. ner ehrgeizigen alten Dynastie wie den auf ein von anderen Bindungen unabhängi- die Verpflichtung der Untertanen zum Gleichwohl umfasste es nur etwa die Wittelsbachern in Kurbayern musste Stär- ges, zeitlich bestimmtes Vertragsverhältnis Kriegsdienst stützte, konnte er nicht ver- Hälfte der Fläche des heutigen Freistaats ke zeigen und auch militärisch mitspielen gegründet war. Der Söldner leistete seinen wirklichen, denn es erwies sich als un- und noch weniger des Königreichs von können, wollte es nicht unter die Räder Dienst nicht aufgrund einer persönlichen möglich, auf diese Weise ein militärisch 1816-1918. Den Rest nahmen zahlrei- kommen. Verpflichtung, sondern gegen Bezahlung. schlagkräftiges Heer aufzubauen. Aber che unabhängige „Reichsstände“ ein, Ab den sechziger Jahren, unter Kurfürst Soldaten wurden in Kompanien und er schuf eine außergewöhnlich gute Territorialstaaten wie die geistlichen Ferdinand Maria (1651-1679), kam es wie- Regimentern zusammengeschlossen, die Verwaltung und verfügte damit über Fürstentümer Kempten, Passau, der zum Aufbau eines größeren kurbayeri- von privaten Kriegsunternehmern aufge- reichlich Geld zum Unterhalt zuverlässi- und Würzburg, die Markgrafschaften schen Heeres. Bayerische Truppen kämpf- stellt und an fürstliche Kriegsherren ver- ger Söldnertruppen. Ansbach und Bayreuth, Reichsstädte wie ten zur Unterstützung des Kaisers in vier mietet wurden. Söldnerheere waren teuer, In den großen Verwerfungen des Dreißig- Augsburg Nürnberg mit eigenem gro- verlustreichen Feldzügen von 1661 bis und so wurden Truppen zumeist nur für jährigen Krieges (1618-1648) gelang es ßem Territorium und noch viele kleine- 1664 in Ungarn und Siebenbürgen gegen einige Kriegsmonate angeworben und da- Maximilian, zu einem der wichtigsten re Herrschaften. Dass sie alle einmal zu die Osmanen, und 1669 wurde ein bayeri- nach wieder aufgelöst. Dann stellten die kriegerischen Akteure zu werden. Er „Bayern“ kommen sollten, war keines- sches Regiment von der Republik Venedig Söldner oft ein Problem für die öffentliche konnte sein Herrschaftsgebiet deutlich wegs absehbar. Für die protestantischen bei der Verteidigung Candias auf der Insel Sicherheit dar, denn sie lebten vom Krieg. vergrößern. Als Führer der katholischen Bürger von Reichsstädten und fürstli- Kreta gegen die Türken eingesetzt. Nach Was sich aber durchsetzte, war zum einen Liga unterstützte er den Kaiser und ge- chen Territorien namentlich in Franken einer Abrüstungsphase beteiligten sich das Prinzip der eindeutigen Bindung an wann dafür die Kurwürde seines ge- und Schwaben war eine Annäherung kurbayerische Regimenter 1672 bis 1674 den Kriegsherrn: Solange ein Kriegsherr ächteten pfälzischen Vetters, womit sich als Hilfstruppen für das Kurfürstentum 18 | Dieter Storz/Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition Dieter Storz: /Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition | 19

Köln (der Kurfürst und Erzbischof war (1679-1726) 1680 volljährig geworden war Im Neunjährigen Krieg (1688-1697 auch Belgien) zurück, in denen der Krieg wei- ein Vetter des bayerischen Kurfürsten, und die Herrschaft angetreten hatte, än- als „Pfälzischer Erbfolgekrieg“ bekannt) terging. Diese übriggebliebenen kur- Maximilian Heinrich von Bayern) am derte sich das. Max Emanuel wollte gro- kämpften bayerische Truppen gegen die bayerischen Regimenter waren an zahl- Angriffskrieg Frankreichs gegen die Re- ße Politik machen und seine Stellung im französische Armee Ludwigs XIV. am reichen Schlachten und Belagerungen publik der Vereinigten Niederlande. Ein Reich und in Europa erhöhen. Dafür wagte Rhein, in Oberitalien, Flandern und sogar beteiligt, konnten dabei aber natürlich Regiment wurde zur Unterstützung für er jeden Einsatz und höchstes Risiko. Am in Katalonien. keine bestimmende Rolle spielen. Derweil den Herzog von Savoyen in den Kampf Beginn dieser neuen Phase stand eine gro- Nach nur drei Friedensjahren brach der kämpften kurpfälzische Regimenter, gegen die Republik Genua geschickt. ße Heerschau, das „Lager von Schwabing“ Spanische Erbfolgekrieg aus. Da es mit die ja später die zweite Säule der bayeri- Die meisten dieser Einsätze geschahen im Jahr 1682. Bei dieser manöverartigen der spanischen Thronfolge um das Erbe schen Heerestradition bilden sollten, in gegen die Zahlung von Hilfsgeldern, den Versammlung wurde die neu aufgestell- des Spanischen Weltreichs ging, waren diesem Krieg auf der gegnerischen Seite: sogenannten Subsidien, die es erleichter- te Armee in sieben Infanterie- und vier alle Mächte Europas auf diesen Krieg Sie standen im Dienst von Kaiser und ten oder erst ermöglichten, ein Heer zu Reiterregimenter formiert. vorbereitet. Der Habsburger Kaiser ver- Seemächten, ebenso wie etwa Würzburger unterhalten. Dies war gerade für kleinere Je zwei der damals errichteten kurbay- bündete sich mit den „Seemächten“, den und Bayreuther Regimenter und die Kreis- und mittlere Reichsstände bis in die zwei- erischen Infanterie- und Kavallerie-Re- Vereinigten Niederlanden und England, Kontingente der kleineren fränkischen te Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein nicht gimenter blieben bis zum Ende des Ersten um einen Machtzuwachs der französi- und schwäbischen Reichsstände. ungewöhnlich. Eine klare Linie zwischen Weltkrieges bestehen. Zumindest war es schen Bourbonen zu verhindern. Max Emanuels Hoffnung, aus der spani- der politisch begründeten militärischen mit den Mitteln der Geschichtsschreibung Max Emanuel aber wechselte die Seiten, schen Erbmasse mit einer Königskrone Unterstützung von Bündnispartnern und möglich, eine solche genealogische Linie da ihm das komplizierte Netz dynasti- und den Niederlanden entschädigt zu dem später als „Soldatenhandel“ verur- zu ziehen. Das Jahr 1682 galt somit der scher Erbansprüche große Chancen zu werden, blieb unerfüllt. In den Frie- teilten Vermieten der eigenen Soldaten an Armee im Rückblick als das Geburtsjahr, eröffnen schien: Auf der Seite Frankreichs densverhandlungen 1714 konnte immer- fremde Mächte lässt sich kaum ziehen. So mit dem die eigentliche Geschichte des hoffte er, eine souveräne Königskrone hin der Vorkriegszustand erreicht wer- konnte ein Fürst offiziell politisch neutral bayerischen Heeres begann. Freilich soll- zu erringen und damit wie der Kurfürst den, so dass Max Emanuel wieder in seine sein und trotzdem „Hilfstruppen“ für den ten in den nächsten hundertdreißig Jahren von Sachsen (König von Polen 1698) und Kurwürde eingesetzt wurde und sein altes Einsatz im Dienste einer Großmacht zur noch einige schwere Krisen folgen, in der Kurfürst von Brandenburg (König in bayerisches Territorium, das er so gerne Verfügung stellen. Die Vorteile für die denen der Fortbestand des bayerischen Preußen 1701) einen weiteren Aufstieg für gegen die habsburgischen Niederlande Fürsten lagen auf der Hand: Sie konnten Staates mehrmals in Frage stand und auch das Haus Wittelsbach zu erreichen. 1701 eingetauscht hätte, zurückbekam. ein größeres Heer aufstellen, als sie allei- seine bewaffnete Macht zu einem Torso begannen neue Rüstungen, und im nächs- 1715 in seine bayerischen Stammlande ne finanzieren konnten, demonstrierten schrumpfte. Erst nach der Mitte des 19. ten Jahr stand die Armee wieder kriegs- heimgekehrt, waren keine politischen so ihren Rang und ihre Stärke nach in- Jahrhunderts sollten jene historistischen fertig da. Max Emanuels Kriegspolitik Abenteuer mehr möglich. Die Türken- nen und außen und waren für die großen Konstruktionen sich durchsetzen, die den scheiterte schnell und katastrophal: 56.000 kriege gingen indessen weiter, und Max Mächte attraktive Verbündete, was ihre Regimentern ihre über Jahrhunderte ge- Bayern und Franzosen unterlagen am Emanuel entsandte 1717 und 1718 wieder politischen Spielräume vergrößerte. wachsene Identität verliehen. 13. August 1704 bei Höchstädt einer etwas Hilfskorps auf diesen Kriegsschauplatz. Die neue Armee Max Emanuels rückte kleineren Streitmacht der Verbündeten, Das geschah weniger aus neuer Treue 1682 – Max Emanuel „gründet“ die 1683 erstmals ins Feld, und zwar an der die vom Herzog von Marlborough und zum Haus Habsburg, sondern weil ihn der bayerische Armee Seite Österreichs gegen die Osmanen. dem Prinzen Eugen geführt wurden. Das gegen die Osmanen erklärte Reichskrieg Das tat sie fortan jährlich, wobei die Territorium Kurbayerns wurde von den sonst 172.700 Gulden gekostet hätte, die er Ferdinand Marias Politik war erfolg- Eroberung Belgrads 1688 den Höhepunkt Österreichern besetzt und ausgebeutet, nicht hatte. So löste er seine Schulden eben reich darin, dem eigenen Territorium den dieses als besonders ruhmreich erinner- alle dort verbliebenen kurbayerischen durch ein Truppenkontingent ab. Nach Frieden zu sichern, um die ungeheuren ten Teils der bayerischen Kriegsgeschichte Truppenteile wurden aufgelöst. Gegen dessen Rückkehr kam es zu einer erheb- Schäden des Dreißigjährigen Krieges aus- bildete. Hierzu trug besonders bei, dass Max Emanuel (und seinen ebenfalls auf lichen Herabsetzung der Heeresstärke, die zugleichen. Trotz großer Finanzprobleme Max Emanuel selbst als begabter und die französische Seite getretenen Bruder schon mit Rücksicht auf die Finanzlage des behielt das Heer eine Stärke von etwa persönlich überaus tapferer Feldherr an Joseph Clemens als Kurfürsten von Köln) Staates nicht zu vermeiden war. Die Armee 15.000 Mann. Nach seinem Tode wurde der Spitze seiner Truppen auftrat; sein wurde die Reichsacht verhängt. Die baye- zählte beim Tod des Kurfürsten zwar fünf die kurbayerische Armee erneut radi- Beiname „blauer König“ soll ihm von den rische Kurwürde wurde auf die Kurpfalz Infanterie- und vier Kavallerieregimenter, kal verkleinert, die Regimenter zuguns- Türken gegeben worden sein. Auch im zurückübertragen. Max Emanuel zog aber nur noch etwas mehr als 4.000 Mann, ten einiger kleinerer Einheiten aufgelöst. Dauerkonflikt mit Frankreich hielt sich sich mit dem Rest seiner Truppen in die war also eher als Kadertruppe anzuspre- Nachdem sein Nachfolger Max Emanuel Max Emanuel an der Seite des Kaisers: Spanischen Niederlande (das heutige chen, die im Kriegsfall erst durch um- 20 | Dieter Storz/Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition Dieter Storz: /Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition | 21 fangreiche Werbungen auf Kriegsstärke Gulden Schulden, aber auch seinen star- großen Teil der militärischen Ressourcen und Karl Albrechts, die noch dazu die gebracht werden musste. ken Ehrgeiz. Österreichs. Immerhin brachte Bayern Staatsfinanzen zerrüttet hatte. Um über- Einen wichtigen politischen Erfolg konn- Zu Lebzeiten Karls VI. handelte Karl schon wieder 8.000 Mann regulärer Trup- haupt noch Truppen unterhalten zu kön- te Max Emanuel gegen Ende seiner Albrecht offiziell kaisertreu. Seine stän- pen auf die Beine. Durch die Besetzung nen, musste sie der Kurfürst verleihen. Regierungszeit aber noch verbuchen: Die digen Geldverlegenheiten veranlassten Passaus, eines selbständigen Fürstbistums, Von 1746 bis 1748 kämpfte ein ca. 5.000 Wittelsbacher Hausunion von 1724. Schon den Kurfürsten dazu, dem Kaiser 1738 begann Karl Albrecht im Sommer 1741 Mann starkes Hilfskorps für Österreich in 1329 hatte sich das Haus Wittelsbach in für den Türkenkrieg ein Hilfskorps von mit einer französisch-bayerischen Armee den Niederlanden gegen Frankreich. mehrere Linien geteilt, die teilweise mit- 8.000 Mann, also den Kern seiner Armee, den Krieg. Rasch wurden große Teile Max III. Joseph war eine der seltenen einander konkurrierten. Die Hausunion zur Verfügung zu stellen. Dafür zahlte Österreichs und Böhmens besetzt. Am 25. Persönlichkeiten der Geschichte, die verband nun alle katholischen weltlichen ihm der Kaiser 36 Gulden pro Mann. 1739 Januar 1742 erreichte Karl Albrecht sein Schulden nicht machten, sondern zurück- und geistlichen Fürstentümer unter den folgten diesen als Verstärkung bzw. zur stolzes Ziel: Die Kurfürsten wählten ihn zahlten. Das sichert ihm bis heute freund- Wittelsbachern. Zu diesem Zeitpunkt Ergänzung von Verlusten weitere 3.500. in am Main als Karl VII. zum liche Urteile bayerischer Historiker. Die waren dies nicht nur Kurbayern und die Weniger als ein Drittel von ihnen kehrten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Armee aber litt unter den unvermeidli- Kurpfalz und der Erbprinz von Pfalz- im Sommer 1740 in die Heimat zurück. Die Zwei Tage später aber zogen die chen Sparmaßnahmen besonders. Auch Sulzbach. Viele wittelsbachische Prinzen meisten hatten auf dem Kriegsschauplatz Österreicher in München ein, was ihnen äußerlich kam das Militär herunter. In beider Linien regierten als gewählte den Tod durch die Pest und sonstige gelang, weil sich Preußen vorübergehend Ingolstadt konnte ein Teil der Offiziere Fürstbischöfe geistliche Territorien, da- Seuchen gefunden. aus dem Krieg zurückgezogen hatte. Karl und Mannschaften nicht mehr auf Wache runter die Kurfürstentümer Köln (unter Karl Albrecht strebte nun nicht nur nach VII. war jetzt ein Herrscher ohne Land. ziehen, weil es an Schuhwerk fehlte. Um Max Emanuels Sohn Clemens August) der Kaiserkrone, sondern auch nach Die Kämpfe zogen sich mit wechselndem die Pensionslast nicht zu vermehren, wur- und Trier. Vier der Vertragsschließenden der Herrschaft über die habsburgischen Glück noch über Jahre hin. Die bayerische den gebrechliche Offiziere jahrelang im waren also Kurfürsten, was das Gewicht Erblande, auf die er namens seiner Ehefrau, Armee war viel zu schwach, um eine be- aktiven Stand belassen. 1747 verschied der Dynastie im Reich und bei der nächs- einer Tochter von Karls älterem Bruder und stimmende Rolle zu spielen. Wichtiger wa- ein Rittmeister von Mercy nach sieb- ten Kaiserwahl erhöhte. Für den Kriegsfall Vorgänger Kaiser Josephs I. Anspruch er- ren die Truppen der Franzosen, vor allem zigjähriger [!] Dienstzeit. Landstreicher wurde die Aufstellung eines Heeres von hob (Das gleiche tat übrigens der Kurfürst aber das wiederholte Eingreifen Preußens. und Verbrecher, sofern sie noch nicht 30.000 Mann beschlossen. Damit war im von Sachsen, der ihre Schwester geheiratet Fast auf den Tag genau drei Jahre nach der Scharfrichter berührt hatte, wurden Reich ein neuer und nicht unerheblicher hatte). Demgegenüber hatte Karl VI. seine seiner Kaiserkrönung starb Karl VII. Für zwangsweise in die Armee gesteckt. So Machtfaktor entstanden. Tochter Maria Theresia zur Erbin einge- seinen Sohn Max III. Joseph (1745-1777) erhielt man gewiss billige, aber sicher kei- setzt und dies diplomatisch abzusichern konnte es nur noch darum gehen, diesen ne guten Soldaten. Für das Ansehen der Karl Albrecht – letzter Anlauf zur gesucht. Nach dem Tod Karls VI. erwie- Krieg abzuwickeln und seine Herrschaft Truppen bedeuteten sie eine Belastung. Großmacht sen sich die mit viel Diplomatie und Geld zu retten. Er verzichtete auf alle Ansprüche An dem nächsten großen europäischen errungenen Garantien freilich als wertlos: auf österreichisches Gebiet und erkannte Konflikt, dem Siebenjährigen Krieg (1756- Hintergrund dieses Bündnisses war der Der daraus entstandene Österreichische die Erbrechte Maria Theresias, der Tochter 1763), in dem sich erstmals Österreich mit wittelsbachische Traum von der Kai- Erbfolgekrieg war von 1740 bis 1748 der Karls VI., an. Dafür erhielt er Bayern zu- seinem bisherigen „Erbfeind“ Frankreich serkrone, denn der gegenwärtige Kaiser nächste schwere Konflikt in Europa. Das rück. Wie schon 1714, glückte nochmals gegen Preußen verbündet hatte, beteiligte aus dem Hause Habsburg, Karl VI., besaß Geschahen war allerdings reichlich kom- die Wiederherstellung des Status Quo und sich Kurbayern, das schon aus geografi- keinen männlichen Nachkommen. Zur pliziert und verwirrend, so dass hier nur damit des Kurfürstentums Bayern. schen Gründen keine andere Chance hat- Durchsetzung eines solchen Anspruchs, von dem Kurbayern betreffenden Teil zu te, mit Truppen auf deren Seite, ohne sich zu dem sich das Haus Wittelsbach als reden ist. Als der ersehnte Erbfall durch Ohne machtpolitische Ambitionen: aber politisch dem Bündnis anzuschlie- eine den Habsburgern gleichrangige den Tod Kaiser Karls VI. im Oktober 1740 Max III. Joseph ßen. Das militärische Engagement blieb Dynastie seit jeher berechtigt sah, bedurf- eintrat, fehlte Bayern jedenfalls das, was es aber alles in allem zurückhaltend. te es aber nicht nur der nötigen Zahl von in solcher Lage zur Durchsetzung seiner Die Wittelsbacher mussten nun jede Nachdem der Kurfürst 1757 und 1758 Kurstimmen, sondern auch finanzieller Ansprüche am dringendsten gebraucht Hoffnung aufgeben, jemals unter die eu- noch ein bayerisches Hilfscorps von 6.800 und militärischer Macht. An beidem fehlte hätte: eine starke Armee. Eine Allianz ropäischen Großmächte aufzurücken. Mann in französischem Sold ins Feld ge- es dem durch die Politik Max Emanuels mit Frankreich und Preußen musste den Bayern war und blieb ein Mittelstaat, stellt hatte, dessen Regimenter 1757 an der verarmten Kurbayern. Seinem Nachfolger Ausgleich schaffen. und zwar ein in seiner Bedeutung stark spektakulären Niederlage der österreichi- hinterließ der „blaue Kurfürst“ ein unor- Der Einfall des Preußenkönigs nach Schle- geminderter. Dies war Folge der aben- schen Armee in der Schlacht von Leuthen dentlich verwaltetes Land, 20 Millionen sien band seit dem Winter 1740 einen teuerlichen Außenpolitik Max Emanuels beteiligt waren, stieg er 1759 aus. Das 22 | Dieter Storz/Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition Dieter Storz: /Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition | 23

„Auxiliarkorps“ hatte insgesamt Verluste wahrlich um die Zukunft Bayerns ging, ein bayerischer Minister einen Obersten, der Landstände hervorrief, verloren sie von 4.936 Mann erlitten, hauptsäch- waren weder kurbayerische noch kur- der Reformen anmahnte: „Was braucht damit doch eine bequeme Möglichkeit, lich durch Krankheiten und Desertion, pfälzische Truppen beteiligt. Als Ergebnis der Kurfürst Soldaten? Zum Ernst sind solche Leute loszuwerden). Als typischer aber nur 96 nachweislich im Kampf blieb das kurbayerische Territorium un- sie doch zu wenig und zum Spaß zu viel, Vertreter der rationalistischen Aufklärung Gefallene. Gewonnen hatte man nichts. ter Wittelsbacher Herrschaft erhalten, wir werden keinen Krieg anfangen.“1 war Rumford gleichzeitig auf allen mög- Ansonsten beschränkte Kurbayern sich man gab aber Joseph II. die Gelegenheit, Die Kriege des 18. Jahrhunderts hatten lichen Gebieten reformerisch tätig, wo- auf die Erfüllung seiner reichsrechtlichen sein Gesicht zu wahren, und so brachte gezeigt, dass kleinere und auch mittlere bei die Armee allerdings eine zentrale Verpflichtungen, indem nur die erforder- er mit dem Innviertel ein schönes Stück deutsche Staaten nur noch als Anhängsel Rolle als staatliche Musterinstitution lichen Soldaten zu einem Kreisregiment Altbayern an Österreich. der Großmächte Österreich und Preußen spielen sollte: Neben der Gründung ei- gestellt wurden. Das erleichterte später Nachdem ihm der Tausch Bayerns ge- agieren konnten, deren Armeen mit je- ner Militärakademie für Offiziere und die Anbahnung guter Beziehungen zu gen Vorderösterreich (südliche Teile des weils über 200.000 Mann mindestens die andere künftige Staatsdiener kümmerte Preußen. Von den Kriegsereignissen be- heutigen Baden-Württemberg) verwehrt zehnfache Stärke aufwiesen. er sich um Ausrüstung, Bewaffnung und troffen waren die alten kurbayerischen war, hoffte Karl Theodor noch auf einen Gleichwohl bemühte man sich auch in Ernährungsfragen. Das Hauptproblem Gebiete praktisch nicht. Ländertausch gegen die österreichischen Pfalz-Bayern um eine zeitgemäße Reform war nur, dass die neue Armee nicht mehr Max III. verstarb 1777 kinderlos. Dies war Niederlande (Belgien), und damit so- der Armee, wie dies zu jener Zeit auch Geld kosten durfte als die alte und somit schon länger absehbar, und der Kurfürst gar ein eigenes mittel- und niederrheini- in vielen anderen kleineren und grö- der Sparzwang alles dominierte: Vieles hatte die Erbfolge durch den anderen sches Königreich Burgund, doch verhin- ßeren Staaten diskutiert und betrieben war mehr gut gemeint als gut verwirklicht, Hauptzweig des Hauses Wittelsbach vor- derte die preußische Politik eine solche wurde. Die bayerische Variante dieser so kamen die neu entworfenen Uniformen bereitet. Bayern fiel so an den Kurfürsten Machtverschiebung 1785 auf diplomati- Reformversuche im Zeichen der „militär- bei den Soldaten gar nicht gut an, die deren Karl Theodor von der Pfalz. Seit der schem Wege. wissenschaftlichen Aufklärung“ verbindet knappen Schnitt, ihre Schmucklosigkeit 1329 erfolgten Aufteilung waren beide sich mit dem Namen von Sir Benjamin und nicht zuletzt die an die Österreicher Länder wieder vereint, wenn auch räum- Größer, aber nicht stärker: Thompson, Grafen von Rumford (1753- erinnernde weiße Grundfarbe ablehn- lich getrennt. Karl Theodor brachte in die Kurpfalz-Bayern 1814). Eine schillernde und hochbe- ten. An einem der Hauptübel des alten Verbindung auch noch die am Niederrhein gabte Persönlichkeit, war Thompson in Systems, den niedrigen Präsenzstärken gelegenen Herzogtümer Jülich und Berg Die kurpfälzischen und kurbayerischen Massachusetts als Sohn eines Farmers der Truppen, konnte er nichts ändern. mit ein, so dass das Land jetzt aus drei Truppen wurden 1778 organisatorisch geboren worden, kämpfte während des Während in Pfalz-Bayern und in anderen Gebietskomplexen bestand. zur „Kurpfalz-Bayerischen Armee“ zu- amerikanischen Unabhängigkeitskrieges Territorien zwar ambitioniert, aber auf Indessen spielte der Kaiser in Wien, sammengeschlossen, wobei die pfälzi- in verschiedenen militärischen Verwen- gleichzeitig schwerfällige und oft unpo- Joseph II., jetzt das Spiel, welches Karl sche Seite etwa 12.000, die bayerische dungen auf Seiten der Engländer und puläre Weise herumreformiert wurde, Albrecht 1741 versucht hatte: Er erhob 8.000 Mann einbrachte. Auch wenn diese verließ Amerika nach dem Ende des traten mit der französischen Revolution umfangreiche Erbansprüche auf bay- Heeresgröße schon weit unter den früher Krieges. In München gewann er das Ver- im größten Staat des Kontinents radikale erisches Gebiet. Bei Karl Theodor, der von Kurbayern und der Kurpfalz je für trauen Karl Theodors und wurde mit der Veränderungen ein, die in wenigen Jahren persönlich keine Beziehung zu den bay- sich auf die Beine gestellten Truppen lag, Reorganisation des Militärwesens beauf- das alte Europa völlig durcheinander wir- erischen Landen im Südosten verspür- waren dies aber nur nominelle Stärken, tragt. beln sollten. Mit begrenzten Anpassungen te, fand er gegen die Zusage territorialer denn durch zahlreiche Beurlaubungen Geleitet vom Geist der Aufklärung, war er auf der Grundlage des alten Systems war Kompensationen an anderer Stelle und brachten die Truppen nur einen Bruchteil bestrebt, die inneren Strukturen der Armee fortan ganz buchstäblich kein Staat mehr finanzieller Unterstützung ein offenes davon zusammen, so dass eine effekti- auf eine moderne Grundlage zu stellen zu machen. Ohr. Eine solche Kräftigung Österreichs ve Ausbildung unmöglich war, obwohl und sie auf neue Weise in ein den gan- wollte aber Preußen nicht dulden. Im man ein „stehendes“ Heer hatte. Obwohl zen Staat umfassendes Reformprogramm Die Französische Revolution, Bayerischen Erbfolgekrieg 1778/79 rück- der nunmehr entstandene pfalz-bayeri- zu integrieren. Eine bessere Behandlung und ein neues Bayern ten Preußen und Sachsen gegen Österreich sche Kurstaat immerhin den drittgrößten der Soldaten stand dabei im Mittelpunkt: ins Feld und manövrierten gegeneinan- Länderkomplex des Reiches darstell- Soldaten sollten sich verheiraten und in Das revolutionäre Frankreich entwickelte der in Böhmen, ohne dass es zu größeren te, bildete sich das nicht in militärischer den Garnisonen sesshaft werden, Schulen eine neuartige ideologische und militä- Gefechten oder gar Schlachten kam. Sein Potenz ab. Es herrschte eine gewiss nicht für Soldatenkinder sollten eingerichtet rische Dynamik, die sowohl die Gesell- Beiname „Kartoffelkrieg“ zeigt schon, dass unberechtigte Skepsis darüber, was mit werden; dafür sollte die Armee nicht mehr schaftsordnung der alten Monarchien als man allem mit Versorgungsproblemen den pfälzisch-bayerischen Mitteln über- zur Verwahrung von Landstreichern und auch das Mächtegleichgewicht in Europa kämpfte. Obwohl es in diesem Krieg haupt zu leisten sei. So beschied damals Verbrechern dienen (was den Widerstand in Frage stellte. Die neue Kriegführung, zu 24 | Dieter Storz/Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition Dieter Storz: /Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition | 25 der die französischen Heere in der Lage Die linksrheinische Pfalz hielten die Fran- hinaus fest. Das hieß nun aber auch, dass und stolze Geschichte und waren nicht waren, beruhte auf einem neuen Solda- zosen besetzt, das altbayerische Gebiet die Bayern Frankreichs Kriege mitmachen begeistert, Bayern werden zu müssen. tenbild, bei dem die Dienstpflicht auf der „verbündeten“ Österreicher, und die ver- musste. Seinen Feldzug gegen Österreich Unter den Neubayern befanden sich auch Gleichheit aller Staatsbürger beruhte. Das suchten, die Nachfolge Max Josephs zu beschloss Napoleon im Dezember 1805 viele Protestanten, so dass der Staat seinen hob nicht nur das soziale Ansehen der Ar- hintertreiben. Die 15.000 Mann zählende mit dem glänzenden Sieg von Austerlitz. überkommenen geschlossen-katholischen mee, sondern erlaubte dem Staat zugleich bayerische Armee war unter die viel grö- Bayern hatte sich an diesem Feldzug mit Charakter aufgeben musste, um nicht so- einen viel weiter gehenden Zugriff auf die ßere österreichische Streitmacht aufgeteilt annähernd 30.000 Mann beteiligt. Zu den gleich wieder durch innere Konflikte aus- Ressource Mensch, als sie im alten System und nicht handlungsfähig. Unter diesen politischen Folgen des Krieges gehörten einanderzubrechen. Die Vergrößerung des je möglich gewesen wäre. Die Heere der Umständen hatte Bayern gar keine andere weitere umwälzende Veränderungen in Landes war also ohne einen Umbau seiner französischen Republik waren also nicht Wahl als die, im Krieg gegen Frankreich Deutschland. Bayern vermochte seinen inneren Strukturen nicht zu haben. nur besser motiviert, sondern auch zah- zu verbleiben, zumal sich das Kriegs- Besitz abzurunden und zu vergrößern. Auf Auch die Armee veränderte sich in diesen lenmäßig stärker als die Heere alter Art. glück gelegentlich auch den Österreichern Kosten Österreichs erhielt es Tirol, musste wenigen Jahren grundlegend. Die Trup- Soldaten konnten leichter und schneller günstig zeigte. Zusammen mit diesen er- dafür aber das 1803 gewonnene ehemalige pen der neu hinzugekommenen Länder ersetzt werden; die Kriegführung wurde litten die bayerischen Truppen jedoch am Fürstbistum Würzburg wieder abgeben, wurden nicht entlassen, sondern in die aggressiver und blutiger. 3. Dezember 1800 bei Hohenlinden östlich das an einen Habsburger ging. bayerische Armee integriert. Dadurch Eine führende Rolle beim Kampf gegen von München eine entscheidende Nieder- Am 1. Januar 1806 erfolgte die Ausrufung leistete sie auch einen wichtigen Beitrag diese aggressive Großmacht spielte wie- lage, die den Ausgang des Krieges ent- Bayerns zum Königreich. Aus dem Kur- zur inneren Einigung des Landes. 1805 der einmal Österreich, und wieder ent- schied. fürsten Max IV. Joseph wurde König Max I. wurde das sogenannte Kanton-Reglement schied Bayerns Lage zwischen den beiden Jetzt wurden die Karten neu gemischt. Für Bayern war die Krone nicht nur ein erlassen, also eine Wehrpflicht eingeführt. großen Antagonisten über das Schicksal Im Frieden von Lunéville vom 9. Februar schönes, neues Attribut des Fürsten, son- Das Gesetz kannte noch zahlreiche Aus- des Wittelsbacherstaates. Pfalzbayern 1801 erzwang Frankreich von Kaiser und dern auch ein Symbol des neuen Bayern, nahmen für die privilegierten Volksteile, konnte sich zunächst neutral halten; als Reich die Anerkennung des Rheins als eine wichtige Klammer für den noch un- so dass nur etwa die Hälfte der formal Frankreich aber 1792 Österreich und französischer Ostgrenze. Es begann eine fertigen Staat. Die Zone neu zugeschnit- Dienstpflichtigen tatsächlich eingezogen Preußen den Krieg erklärte und schnell Zeit großer Umwälzungen. Die deutschen tener deutscher Staaten schloss Napole- wurde. Neu aber war, dass die Auslän- überraschende militärische Erfolge er- Fürsten, die links des Rheins Gebiete ver- on 1806 im Rheinbund zusammen. Auch derwerbung aufhörte und ein bayerisches zielte und französische Truppen weit ins loren hatten, sollten rechts des Rheins Bayern gehörte diesem Bündnis an und Nationalheer entstand. Die Notwendig- Gebiet des Reiches eindrangen, war es da- entschädigt werden. Als Umverteilungs- musste sich verpflichten, im Kriegsfall ein keit, dem werdenden Mittelstaat Bayern mit bald vorbei. 1793 erreichte der Kaiser masse standen die kirchlichen Territorien Kontingent von 30.000 Soldaten zu stellen. die zu seiner Behauptung notwendige die Erklärung des Reichskrieges gegen und die Reichsstädte zur Verfügung. Bei Im gleichen Jahr wurde in der Armee die Machtbasis zu verschaffen, hatte diesen Frankreich, und Kurpfalzbayern musste dieser ersten großen Flurbereinigung ver- weiß-blaue Kokarde als Nationalabzei- Schritt, dem das französische Vorbild zu- seinen Beitrag zum Reichsheer mobilisie- lor Pfalzbayern linksrheinisch etwa 10.000 chen eingeführt und der Max-Josephs-Or- grunde lag, erzwungen. ren. Der Versuch, sich trotzdem halbwegs km² und 600.000 Menschen, gewann da- den als höchste Tapferkeitsauszeichnung Dienstpflichtige, die nicht in den Linien- herauszuhalten, führte nur dazu, dass für aber rechtsrheinisch 14.000 km² und für Offiziere gestiftet. Im Herbst 1806 truppen dienten, wurden einer National- die vom Krieg betroffenen pfälzischen 850.000 Menschen hinzu. musste die neue Armee abermals ausmar- garde zugewiesen, die in mehrere Klas- Lande von den Österreichern ebenso Damit aber begann zugleich die Annä- schieren. Preußen, das 1805 noch in stolzer sen unterteilt war. Die Konstitution des rücksichtslos behandelt wurden wie von herung Bayerns an Frankreich, das mehr Neutralität verharrt hatte, forderte Napo- Jahres 1808, also die neue Verfassung für den Franzosen. Nach einigen Kriegsjahren und mehr zum bestimmenden Faktor in leon heraus und erlitt eine katastrophale das Königreich, bestimmte, dass das Heer zeichnete sich seit 1797 ein dauernder Deutschland wurde. Der neue Kurfürst Niederlage. Bayerische Truppen gelang- fortan „durch den Weg der allgemeinen Verlust der linksrheinischen Gebiete musste Entscheidungen von größter Trag- ten bis nach Schlesien. Militär-Konskription ergänzt“ werden ab, was für den gerade erst vor zwanzig weite treffen. Österreich und Russland Bayerns territoriale Vergrößerung ging sollte. Durch das Konskriptionsgesetz des Jahren vergrößerten Kurstaat schwere rüsteten 1805 zu einem neuen Krieg ge- weiter, indem es die zuletzt unter preu- Jahres 1812 wurde diese Bestimmung tat- Einbußen bedeutete. gen Frankreich, und beide Seiten wollten ßischer Herrschaft gestandenen Gebiete sächliches Recht. Es gab immer noch zahl- Als Karl Theodor 1799 kinderlos starb, das strategisch wichtige Bayern auf ihre von Ansbach und Bayreuth übernahm. reiche Gründe für die Befreiung von der erbte nochmals eine Nebenlinie: Pfalz- Seite ziehen. Der wichtigste Berater des Das Königreich hatte nach wenigen Jah- Dienstpflicht. Die Dienstpflichtigen muss- Zweibrücken. Die Lage, in der Max IV. Kurfürsten, Graf Montgelas, setzte das ren eine große Masse neuer Einwohner ten losen, wobei nur die mit den niedrigen Joseph den pfalzbayerischen Länderkom- französische Bündnis durch und legte da- gewonnen, meist Franken und Schwaben. Nummern tatsächlich in die Regimenter plex übernahm, war äußerst schwierig. mit die bayerische Außenpolitik auf Jahre Sie besaßen vielfach eine eigene, lange eingestellt wurden. Die mit den höheren 26 | Dieter Storz/Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition Dieter Storz: /Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition | 27

Nummern kamen zur Reserve. Und es ein Drittel waren Nationalfranzosen, den ein wichtiges Reservoir zum Wiederauf- zu dieser Regelung zu erleichtern, erhielt gab das Recht der Stellvertretung. Wohl- Rest stellten die „Verbündeten“ des be- bau des Heeres. es von Österreich eine jährliche „Kontigu- habende konnten sich freikaufen, indem herrschten Europa, darunter auch 27.500 Ende Oktober 1813 versuchten bei Hanau itätsentschädigung“ von 100.000 Gulden, sie einen „Einsteher“ bezahlten. Der Mili- Bayern, denen später noch etwa 5.000 bayerische und österreichische Truppen die bis zum Ende der Monarchie gezahlt tärdienst traf also weiterhin nur die wirt- Mann an Verstärkungen nachgeschickt unter dem Befehl des bayerischen Gene- wurde! schaftlich Schwachen. Dieses System blieb wurden. Dieses riesige Heer, das seinen rals Wrede, den sich zurückziehenden Immerhin stand das rechtsrheinische bis 1868 in Kraft und wurde zunehmend Namen Grande Armée zurecht trug, ging Franzosen noch den Weg zu verlegen, Bayern nach den Kriegen als kompakter, als anstößig empfunden. in den Weiten Russlands an Hunger und wurden aber geschlagen. Politisch war geschlossener Körper da, und das Herr- In diesen Jahren entstand auch eine staat- Krankheiten zugrunde. Vielleicht einer die Schlacht aber ein Erfolg, denn Bayern scherhaus durfte sich mit der Königskro- liche bayerische Rüstungsindustrie. 1801 von zehn Bayern hat sein Heimatland wie- hatte seinen Willen gezeigt, ernsthaft auf ne schmücken. Als Mittelstaat hatte sich wurde in Amberg die Gewehrfabrik ge- dergesehen. der Seite seiner neuen Verbündeten mit- das Königreich Bayern konsolidiert. Eine gründet und 1806/7 in Augsburg das 1813 war der Russlandfeldzug zu Ende, zutun. Auch an den Kämpfen des Jahres scheinbar paradoxe, aber sicher erfreu- Gieß- und Bohrhaus zur Erzeugung von nicht aber der Krieg. Preußen sagte sich 1814 nahmen bayerische Truppen teil und liche Folge dieser Kriegsperiode war es, Geschützrohren. von Frankreich los und verbündete sich spielten in den Schlachten von Brienne dass der bayerisch-österreichische Kon- Herrschaft über Europa war mit Russland. Napoleon stampfte ein neu- und Arcis-sur-Aube sogar eine entschei- flikt, nachdem er noch einmal mächtig weiterhin nicht ungefährdet: Österreich es Heer aus dem Boden und richtete ent- dende Rolle. 1815, als Napoleon aus Elba aufgeflammt war, damit auch definitiv an wagte 1809 den Entscheidungskampf mit sprechende Aufforderungen an Bayern. zurückgekehrt war, zogen gar 57.000 Bay- sein Ende gelangte. Fortan respektierten Napoleon, den es, ein Novum in seiner Ge- An der Notwendigkeit erneut zu rüsten, ern nach Frankreich, kamen aber nicht beide Seiten die damals festgelegten Gren- schichte, als nationalen Befreiungskampf führte allerdings kein Weg vorbei. Die be- mehr zum Einsatz, weil die Schlacht von zen und entwickelten im weiteren Verlauf führte. Die Tiroler, provoziert von einer herrschende Frage des Sommers 1813 war Waterloo bereits über das Schicksal des des 19. Jahrhunderts ein freundschaftli- unsensiblen bayerischen Verwaltung, vor in München die, wie sich das Land ori- Korsen entschieden hatte. ches Verhältnis. Als der Wiener Hof 1917 allem aber von dem Zwang, in der bayeri- entieren sollte. Es konnte Frankreich treu Die Verluste der bayerischen Armee zwi- München besuchte, geriet der Oberbür- schen Armee dienen zu müssen, erhoben bleiben, aber auch zu der sich bildenden schen 1789 und 1814/15 sind nie in ihrer germeister der bayerischen Haupt- und sich und verjagten die Besatzer. Nachdem russisch-preußisch-österreichischen Koa- Gesamtheit festgestellt wurden. Sie waren Residenzstadt geradezu ins Schwärmen: das bayerische Heer mit französischer Hil- lition übertreten. Wichtig war Bayern für jedenfalls weit höher als die 30.000, die „Bayern und Österreich, ein Stamm, ein fe die in Bayern eingefallenen regulären beide Seiten. Bei einem Anschluss an die allein der Russlandfeldzug verschlungen Blut, ein Herz.“ Wer hätte das 1809 für österreichischen Truppen wieder zurück- unterliegende Partei mussten die Folgen hatte. Es wurden die Kriege jener Jahre möglich gehalten? gedrängt hatte und die Franzosen den Ös- allerdings drastisch sein. aber nicht zur Erhöhung und Vergröße- terreichern nachsetzten, wandte sich die Nach langem Zögern paktierte Bayern rung Bayerns geführt, sondern weil dem Bayern im Deutschen Bund bayerische Armee nach Tirol. Dort gelang am 8. Oktober mit Österreich, das dem Staat, wenn er erhalten bleiben wollte, es nur unter größten Anstrengungen und kleineren Partner Entschädigungen für et- aufgrund seiner prekären geographischen Die Anstrengungen der Kriegsjahre hatten mit Hilfe französischer und italienischer waige Gebietsabtretungen zusagte, denn Lage in jenem allgemeinen europäischen die bayerischen Staatsfinanzen vollkom- Truppen, den Aufstand niederzuwer- dass Österreich Bayern im Besitz von Ti- Krieg gar keine andere Wahl blieb als die, men zerrüttet, so dass es zu drastischen fen. Bayern hatte in diesem Jahr mehr als rol lassen würde, war ausgeschlossen. selbst zu rüsten und zu kämpfen. Sparmaßnahmen keine Alternative gab. 60.000 Mann aufgeboten. Glücklich gewählt erwies sich der Tag des Am Ende der Epoche stand nochmals ein Nachdem die Armee der mit Abstand Napoleon schien nun der Herr Europas Seitenwechsels, weil er noch vor der Völ- großer Länderschacher. Bayern verlor na- wichtigste Ausgabenposten war, musste zu sein. Zwei Kräfte aber widersetzten kerschlacht von Leipzig (16.-19. Oktober türlich Tirol, bekam dafür aber Würzburg sie davon auch in erster Linie betroffen sich seinem Willen: In Spanien tobte ein 1813) erfolgte, welche Napoleons Stellung zurück, das es schon von 1803 bis 1805 sein. Von 1815 bis 1818 wurden überhaupt von britischen Truppen unterstützter in Deutschland unhaltbar machen soll- besessen hatte. Auch die pfälzischen Be- keine Rekruten eingezogen. Der organisa- Aufstand, und Russland war nicht bereit, te. Wäre Bayern (wie Sachsen) zu diesem sitzungen links des Rheins wurden fortan torische Rahmen der Armee wurde ver- sich in das System der Kontinentalsperre Zeitpunkt noch im französischen Bündnis wieder von München aus regiert, weshalb kleinert und die Präsenzstärke drastisch einzufügen, das die europäischen Häfen gewesen, hätte dies gravierende Folgen man seitdem von einem links- und einem herabgesetzt. Sehr viel Geld floss aller- dem englischen Handel verschließen soll- für seine Position gegenüber den siegrei- rechtsrheinischen Bayern sprach. Max I. dings in den 1828 begonnenen Wiederauf- te. Um den Willen des Zaren zu brechen, chen Alliierten gehabt. Bayerns Feldarmee hätte sich natürlich eine territoriale Ver- bau der im Jahr 1800 von den Franzosen marschierte Napoleon 1812 mit einer für zählte zu diesem Zeitpunkt schon wieder bindung zwischen beiden Landesteilen geschleiften Landesfestung Ingolstadt, die damalige Verhältnisse ungeheuren Armee 28.000 Mann. Die Nationalgarde bildete gewünscht, konnte sich damit aber nicht sich zur größten Baustelle Bayerns ent- von 500.000 Mann in Russland ein. Etwa durchsetzen. Um Bayern die Zustimmung wickelte. Die enormen Summen, die dort 28 | Dieter Storz/Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition Dieter Storz: /Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition | 29 verbaut wurden, fehlten natürlich der Nach dem siegreichen Unabhängigkeits- diesem Weg war in Bayern die Einführung Die besonderen Rechte, die sich Bayern Feldarmee. krieg Griechenlands gegen das Osmani- der allgemeinen Dienstpflicht mit dreijäh- 1870 gesichert hat, fasst man unter dem Als Ersatz für das 1806 endgültig unterge- sche Reich erhielt der neue Staat Otto, einen riger Präsenzzeit und ohne Stellvertretung Begriff der „Reservatrechte“ zusammen. gangene Heilige Römische Reich wurde Sohn des bayerischen Königs Ludwig I., im Jahr 1868. Die von Preußen angebotene Von diesen Rechten war die in diesen Sät- 1815 der Deutsche Bund geschaffen. Er bil- zum König. Otto reiste 1832 mit 3.600 Unterstützung durch Militärberater lehnte zen formulierte Militärhoheit des bayeri- dete ein System kollektiver Sicherheit, das bayerischen Soldaten in sein neues Reich, man in München aber konsequent ab. Von schen Königs im Frieden das wichtigste. nur der Verteidigung dienen sollte. Die denen mehrere tausend geworbene Frei- der Leistungsfähigkeit der preußischen Der bayerische Militäreid begrenzte die Mitglieder verpflichteten sich, ein Heer willige folgen sollten. Die Revolution des Militäreinrichtungen war man zwar voll- Gehorsamspflicht bayerischer Soldaten von einem Prozent ihrer Bevölkerungs- Jahres 1848 und die Konflikte der Folge- kommen überzeugt, wollte diese aber in gegenüber dem deutschen Kaiser aus- zahl im Frieden marsch- und schlagfertig zeit forderten weniger die Kampfkraft der eigener Regie umsetzen, um Herr im eige- drücklich auf den Kriegsfall. zu erhalten. 1855 wurde diese Quote um Armee heraus als ihren inneren Zusam- nen Haus zu bleiben. Es war nicht nationaler Enthusiasmus, der ein Sechstel erhöht. Im Kriegsfall hätte der menhalt. Bayern ins Reich eintreten ließ, sondern Bund ein Heer von zehn Armeekorps for- Ernst wurde es dagegen 1866, als Bayern Die bayerische Armee im Kaiser- Einsicht ins Unvermeidliche. Als zweit- miert. Die bayerische Armee hätte darin in den Konflikt zwischen Österreich und reich größter Bundesstaat beanspruchte das das Korps mit der Nummer VII gebildet. Preußen hineingezogen wurde. Die baye- Land im neuen Reich gewisse Sonderrech- In Zahlen konnte das so aussehen: 1857 rische Armee trat als VII. Bundes-Armee- In der bayerischen Öffentlichkeit waren te, und Bismarck war klug genug, diesen hatte Bayern ca. 4,6 Millionen Einwoh- korps auf. Der Versuch, die westdeutschen Preußen und das, wofür es stand, ins- Wünschen entgegenzukommen. ner. Der Deutsche Bund verlangte also Verbündeten – Hannoveraner, Württem- besondere der Militarismus, höchst un- Die anderen Bundesstaaten regelten ihr ein Kontingent von 46.000 Mann. Tatsäch- berger, Badener, Hessen-Darmstädter und populär. Der Krieg mit Frankreich schuf Militärverhältnis zu Preußen in Form so- lich betrug die Stärke rund 73.000 Mann. Hessen-Kasseler – zu sammeln, misslang. eine neue Lage. Durch die französische genannter Militärkonventionen. Das war Die Großmächte Österreich und Preußen In mehreren Gefechten in Nordbayern un- Kriegserklärung trat der Bündnisfall ein. der übliche Weg, stand aber protokolla- übertrafen die Vorgaben des Bundes bei terlagen die Süddeutschen den Preußen, Bayern beteiligte sich an diesem Krieg mit risch nicht ganz auf der Höhe des baye- weitem, und auch Bayern rüstete, um sei- die in jeder Hinsicht eine enorme Überle- zwei Armeekorps, die nach preußischem rischen Bündnisvertrages. Alle drei klei- ner politischen Geltung willen, stärker, als genheit zeigten. Es waren nicht nur verlo- Vorbild aus den vier bayerischen Divisio- neren Königreiche – Bayern, Sachsen und es verlangt war. Jedenfalls auf dem Papier. rene Gefechte. Vielmehr hatten die Militär- nen gebildet worden waren. Der Sieg über Württemberg – besaßen weiterhin formal Von diesen 73.000 Mann waren nämlich ca. einrichtungen des Südens, die sich recht Frankreich machte den Weg zur Bildung eine eigene Armee mit eigener Verwaltung 43.000 Mann „beurlaubt“, was dem Staat ähnlich waren, ihre vollkommene Unzu- eines deutschen Nationalstaats nicht bloß und eigenem Kriegsministerium, aber nur viel Geld für Unterkunft und Verpflegung länglichkeit erwiesen. frei, sondern ließ für Bayern einen ande- der bayerische König besaß die „Militär- sparte. Das Konskriptionsgesetz sah eine Entscheidend für den Kriegsausgang wa- ren Weg gar nicht mehr offen. Die Moda- hoheit im Frieden“. Der sächsische und aktive Dienstzeit von sechs Jahren vor, die ren natürlich die Kämpfe in Böhmen, die litäten des Zusammenschlusses wurden württembergische Militäreid verpflich- aber nicht wirklich durchgedient wurde. in der Schlacht von Königgrätz gipfelten in einem „Bündnisvertrag“ geregelt, den tete die Soldaten bereits im Frieden zum Nach einer mehrmonatigen Grundausbil- und den preußischen Sieg besiegelten. Der Bayern und Preußen am 23. November Gehorsam gegenüber dem Kaiser. Ein dung wurden die Männer beurlaubt und Deutsche Bund wurde aufgelöst, wodurch 1870 in Versailles schlossen. Der entschei- „Reichskriegsministerium“ gab es nicht. rückten innerhalb dieser sechs Jahre all- Bayern seine sicherheitspolitische Einbin- dende Passus lautete: Diese Aufgabe nahm stellvertretend das jährlich zu einer Übung wieder ein. Die dung verlor. „Schutz- und Trutzbündnis- „Das Bayerische Heer bildet einen in sich preußische Kriegsministerium wahr. Nettodienstzeit eines Infanteristen moch- se“ der süddeutschen Staaten mit Preußen geschlossenen Bestandteil des Deutschen Auf die Ernennung bayerischer Offiziere te etwa eineinhalb Jahre betragen haben. schlossen die Lücke und ließen bereits die Bundesheeres mit selbständiger Verwal- hatte der Kaiser keinerlei Einfluss. Das Nach außen hin beanspruchte man indes, Verbindung zu einem deutschen National- tung unter der Militärhoheit Seiner Ma- war ausschließlich Angelegenheit des bay- mit Reserven usw. ein Heer ein Heer von staat ahnen. Um überhaupt bündnisfähig jestät des Königs von Bayern, im Kriege erischen Königs und blieb auch im Krieg ca. 185.000 Mann aufbieten zu können. zu werden, mussten die süddeutschen Ar- – und zwar mit Beginn der Mobilisierung so. Auch nach 1870 kam es zu keinem Of- Mit der Wirklichkeit hatte das nichts zu meen grundlegend reformiert und moder- – unter dem Befehle des Bundesfeldherrn. fiziersaustausch zwischen der bayerischen tun. Als 1866 der Krieg ausbrach, plante nisiert werden. Auch wenn in der politi- In Bezug auf Organisation, Formation, Armee und der preußischen. Bei der säch- man, eine mobile Armee von 59.000 Mann schen Öffentlichkeit Süddeutschlands gro- Ausbildung und Gebühren, dann hin- sischen und württembergischen Armee ins Feld zu stellen, erreichte aber nicht ein- ße Sympathien für das Schweizer Miliz- sichtlich der Mobilmachung wird Bayern waren solche gelegentlichen Kommandie- mal diese Zahl. modell herrschten, führte doch kein Weg volle Übereinstimmung mit den für das rungen zur Dienstleistung üblich. Einige In dem halben Jahrhundert nach 1815 sah daran vorbei, sich am preußischen System Bundesheer bestehenden Normen herstel- bayerische Offiziere wurden im Großen die Armee nur wenig ernsthafte Einsätze. zu orientieren. Ein wichtiger Schritt auf len.“2 Generalstab in verwendet, und 30 | Dieter Storz/Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition Dieter Storz: /Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition | 31

Artilleristen besuchten die Artillerieschu- die Sendungen mussten an die Truppen- hatten, die der mittleren Reife entsprach. wurden der Infanterie zugewiesen. Eine len im preußischen Jüterbog, weil Bayern teile adressiert werden. Feldpostnummern Sie konnten sich den Truppenteil, bei dem weitere Qualifikation konnte dann zum keine eigenen Artillerieschulen unterhielt. gab es noch keine. sie dienen wollten, selbst aussuchen. Die Reserve-Unteroffizier führen. Preußische Offiziere taten nie Dienst in Nach dem Reichsmilitärgesetz vom Beschränkung auf Jäger und Schützen aus Nach dem Deutsch-Französischen Krieg bayerischen Militäreinrichtungen. Noch 2. Mai 1874 war der Militärpflichtige „in dem Jahr 1814 war der besonderen Situ- stieg das Ansehen der Armee in der deut- am Vorabend des Weltkriegs galt die bay- dem Aushebungsbezirke, in welchem er ation dieses Jahres geschuldet. Während schen Gesellschaft enorm an. Davon pro- erische Armee deshalb vielfach als „terra seinen dauernden Aufenthaltsort oder, in ihrer Dienstzeit sollten die „Einjährigen“ fitierten vor allem die Offiziere, und das incognita für den Preußen“.3 Ermangelung eines solchen, seinen fes- außerhalb der gewöhnlichen Truppenun- nicht nur in Preußen, sondern auch in Bay- Nach Gliederung, Ausrüstung und Ausbil- ten Wohnsitz hat, gestellungspflichtig“.4 terkünfte wohnen, mussten diese Unter- ern. Der hervorgehobene Status, den Offi- dung waren jedoch alle deutschen Trup- Wehrpflichtige wurden dort erfasst, wo bringung aber ebenso wie ihre Verpfle- ziere in Preußen seit dem 18. Jahrhundert penteile völlig gleich. Die preußischen sie wohnten. Männer, die außerhalb ih- gung und Bekleidung selbst bezahlen. genossen, war auch für ihre bayerischen Vorschriften galten auch in Bayern, wur- res Bundesstaats Arbeit gefunden hatten, Berittenen stellte der Staat ein königliches Kollegen attraktiv, wie man überhaupt den aber in München gedruckt. Während wurden also in die Armee eingezogen, in Dienstpferd zur Verfügung, für dessen Be- sagen muss, dass sich die Mentalität der preußische Vorschriften mit dem Geneh- deren Bereich sie wohnten. So konnten nutzung sie ebenfalls bezahlen mussten. bayerischen Armee weniger an ihrer eige- migungsvermerk des Königs versehen Bayern in die sächsische oder preußische Der „Berechtigungsschein“ zum Einjäh- nen Vergangenheit als vielmehr am preu- waren, war dies im bayerischen Fall der Armee geraten. Das betraf vor allem Söh- rig-freiwilligen Dienst, den die Schulen ßischen Modell orientierte. Man würde ei- Kriegsminister, der sich dabei auf die „Al- ne der ärmeren Gegenden des Landes, die ausstellten, wurde für das Bürgertum des ner Illusion aufsitzen, nähme man an, dass lerhöchste Entschließung“ seines Königs dort kaum berufliche Perspektiven hatten. Kaiserreichs und darin natürlich auch der Militarismus in Bayern sozusagen eine bzw. des Prinzregenten berief. In Bayern Bis 1893 betrug die aktive Dienstzeit drei für das des Königreichs Bayern zu einem gemütliche Form besessen habe. war der Kriegsminister Vorgesetzter aller Jahre und wurde dann bei den Fußtrup- wichtigen Dokument der sozialen Gel- Der Anspruch, mit der zweitgrößten Ar- Soldaten, also auch der Kommandieren- pen auf zwei Jahre verkürzt. Bei den berit- tung. Für den, der militärischen Ehrgeiz mee eine „geschlossene und selbständige den Generale der Armeekorps und des tenen Truppen – Kavallerie und reitende besaß, führte der Weg von der einjährigen Streitmacht“ zu stellen, hatte buchstäblich Generalstabs, während diese in Preußen Feldartillerie – blieb es bei drei Jahren. Dienstzeit über weitere Übungen zum Re- seinen Preis. So unterhielt Bayern einen unmittelbar dem König unterstanden. Das Außerdem gab es das Privileg des „Ein- serveoffizier, einer wichtigen sozialen Fi- eigenen Generalstab, für den eigentlich waren Verfassungsunterschiede, die auch jährig-freiwilligen Dienstes“. Das war eine gur jener Zeit, die nicht nur in der Armee, keine militärische Notwendigkeit vorlag, nach der Gründung des Reichs Geltung preußische Erfindung aus dem Jahr 1814, sondern auch in der bürgerlichen Gesell- da die militärischen Planungsarbeiten im behielten. Es gehört zu den schönen Seiten die sich nach 1866 nicht nur in Deutsch- schaft eine wichtige Rolle spielte. In jener Großen Generalstab in Berlin geleistet dieses Reichs, dass es solche gewachse- land, sondern auch international ver- Zeit der großen, personalintensiven Mas- wurden. Auch der moderne Ausbau der nen historischen Unterschiede ertrug und breitete: „Junge Leute aus den gebilde- senheere, die im Mobilmachungsfall auf „Landesfestung“ Ingolstadt in den 1870er nicht einplanierte. Das galt natürlich nicht ten Ständen, die sich selbst kleiden und ein Mehrfaches vergrößert wurden, hatte Jahren war kaum sicherheitspolitisch not- nur für die Armee. bewaffnen können, sollen die Erlaubnis die Armee einen enormen Bedarf an mo- wendig, diente aber dem Prestige des Lan- Während sächsische und württembergi- bekommen, sich in die Jäger- und Schüt- bilisierbaren Führungskräften. Durch die des. sche Truppenteile mit den preußischen zenkorps aufnehmen zu lassen. Nach einer Einjährig-Freiwilligen schuf er sich diese Alle deutschen Armeen mit eigener Mili- durchgezählt wurden, so dass sie eine einjährigen Dienstzeit können sie zur Fort- Personalreserve zu geringen Kosten. tärverwaltung waren in der Beschaffung Doppelbezeichnung führten – z.B. Gre- setzung ihres Berufs, auf ihr Verlangen, Volksschullehrer bzw. die Familien, aus ihres Militärmaterials unabhängig, wenn nadier-Regiment Königin Olga (1. Würt- beurlaubt werden.“5 Dieses preußische denen sie hervorgingen, waren im all- auch nicht in der Modellauswahl. Bayern tembergisches) Nr. 119 –, hatten die bay- Gesetz unterwarf jedermann der Militär- gemeinen wenig bemittelt und konnten allerdings hatte sich im Vertrag vom No- erischen Truppen eine eigene, in jeder pflicht, also auch das wohlhabende und sich die Selbstversorgung während eines vember 1870 hinsichtlich „der Bewaffnung Waffengattung mit „1“ beginnende Num- gebildete Bürgertum, dem die Vorstellung Dienstjahres nicht leisten. Weil dieser Per- und Ausrüstung sowie der Gradabzeichen merierung. Diese Nummern gab es in der widerwärtig war, seine Kinder der rohen sonenkreis aber staatstragend war, dies […] die Herstellung der vollen Überein- Armee dann doppelt, und man musste zur Welt der Armee auszuliefern. Das Privileg schon aufgrund seiner wirtschaftlichen stimmung mit dem Bundesheere“ vor- Unterscheidung das Kontingent hinzufü- des Einjährig-freiwilligen Dienstes sollte Abhängigkeit, kamen sie in den Genuss behalten.6 Dieser Vorbehalt hatte seinen gen. Das „KB 5. Infanterieregiment“ war diese Klasse mit der allgemeinen Wehr- einer abgeschwächten Form dieser Ver- Grund vor allem im Werdergewehr, das also eine königlich-bayerische Einheit. Im pflicht versöhnen. Zu dieser Bestimmung günstigung: Auch ihre Dienstzeit wurde damals in der bayerischen Armee gerade Frieden war das unproblematisch, es sorg- entstand im Lauf der Zeit ein detailliertes auf ein Jahr verkürzt, wobei der Staat für eingeführt wurde und beträchtlich leis- te aber im Feldpostverkehr während des Verordnungswerk. „Gebildet“ waren jun- ihren Unterhalt aufkam. In der Wahl ihres tungsfähiger war als das damals bereits Krieges immer wieder für Probleme, denn ge Leute, die eine Schulbildung erreicht Truppenteils waren sie nicht frei, sondern veraltete preußische Zündnadelgewehr. 32 | Dieter Storz/Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition Dieter Storz: /Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition | 33

Seit 1876 beschaffte aber auch Bayern das art, dass ein Auslangen trotz aller bisher erischen Armeemuseums steht dafür, die Deutschland seine nationale Einigung mi- inzwischen im übrigen Reich eingeführte geübten kleinen Kniffe, namentlich der Entwicklung einer methodisch-kritischen litärisch hatte erstreiten müssen. Durch Gewehr M/71. Seine Anfertigung erfolgte Massenbeurlaubungen nicht mehr mög- Geschichtsschreibung, aber auch eine den Seitenwechsel des Jahres 1813 war aber in der staatseigenen Gewehrfabrik lich ist.“7 weitverbreitete Bereitschaft, Traditionen Bayern immerhin noch in der Phase des Amberg. Überhaupt erzeugte dieser Be- Die neuen technischen Waffengattungen nicht nur zu finden, sondern sie notfalls Krieges auf die Siegerseite getreten, die trieb bis 1918 fast alle bayerischen Militär- ließen sich nicht ohne weiteres auf Achtel- auch neu zu erfinden („Invention of Tra- sich als nationaler Befreiungskampf dar- gewehre, zwar in vorzüglicher Qualität, basis in der bayerischen Armee einführen. dition“). Man suchte nach den alten Sagen stellen ließ. Auf dem Karolinenplatz in aber zu höheren Preisen als die preußi- Max Graf Montgelas, von 1906 bis 1908 und Liedern des „Volkes“, rekonstruierte München ließ König Ludwig I. einen schen „Institute“, wie man die Militärbe- Kommandeur des Infanterie-Leibregi- bäuerliche Trachten und baute Ritterbur- Obelisk errichten, der an die 30.000 bay- triebe nannte. 49,93 Mark kostete ein in ments, spottete deshalb: „Wenn Preußen gen nach. erischen Soldaten erinnern sollte, die aus der Amberg gefertigtes Gewehr 98 im Jahr ein Luftschiff einführt, so führt Bayern Mit dem Historismus wurde es auch für Napoleons Russlandfeldzug nicht zurück- 1912. Ein in Spandau produziertes war 6,39 bald danach gewiß ein Sechstel-Luftschiff die Offiziere der Armee zum Bedürfnis, gekehrt waren. Die Inschrift stellte diese Mark billiger. Amberg produzierte damals ein.“8 Bis 1914, soweit es möglich war, sich einer, natürlich möglichst ruhmvol- Tragödie in einen Zusammenhang, der nur 50 Gewehre am Tag, die Gewehrfab- sogar bis 1918, versuchte die bayerische len, historischen Identität zu versichern. weniger der Situation der Jahre 1812/13 rik Spandau, ebenfalls ein Staatsbetrieb, Staats- und Armeeführung allerdings, den So wurden die zwischenzeitlich verges- entsprach als vielmehr den Bedürfnissen aber 165, was zu niedrigeren Stückkosten 1870 erlangten Status zu erhalten und zu senen historischen Wurzeln mit großem des Jahres 1833, in dem das Denkmal voll- führte. Die Amberger Fertigung war die befestigen, auch wenn das Geld kostete. Eifer gesucht und (re)konstruiert. Auch endet worden war: „Auch sie starben für Untergrenze dessen, was den Betrieb ei- wenn die abenteuerliche Politik des Kur- des Vaterlandes Befreyung“. ner eigenen Gewehrfabrik noch möglich Tradition fürsten Max Emanuel Bayern in eine gro- Im Krieg des Jahres 1866 hatte Bayern nati- machte. Sachsen und Württemberg muss- ße Krise gestürzt hatte, konnte die Armee onalpolitisch wieder auf der falschen Seite ten bereits darauf verzichten, was in Sach- Nachdem die neue bayerische Armee am ihn trotzdem als positive Figur feiern, da gestanden, jedenfalls vom Standpunkt sen schmerzlich empfunden wurde. In Anfang des 19. Jahrhunderts nach franzö- er sie nicht nur 1682 begründet, sondern des Kaiserreichs aus gesehen. Zudem war Württemberg sorgte die vornehmlich für sischem Vorbild organisiert worden war als einer von wenigen regierenden Fürs- die bayerische Armee nicht bloß in allen den Export arbeitende Waffenfabrik Mau- und die Regimenter im Geiste des Rati- ten auch einen Ruf als Feldherr gewonnen Gefechten unterlegen, sondern hatte sich ser für einen emotionalen Ausgleich. Das onalismus unabhängig von ihrem Alter hatte. überhaupt in schlechter Verfassung ge- war zwar ein Privatunternehmen, aber durchnummeriert wurden, kam um die Angesichts der wenig spektakulären zeigt. All das wurde aber überstrahlt von eben ein genuin schwäbisches. Revolver, Mitte des Jahrhunderts ein Umschwung: Auftritte im 18. Jahrhundert musste der dem siegreichen Feldzug gegen Frankreich später Pistolen und Maschinengewehre Tradition und Geschichte wurden als we- Schwerpunkt aber bei der jüngeren Ver- 1870/71, in dem zum ersten Mal überhaupt bezog Bayern aus dem „Ausland“, also sentliche Elemente einer „Regimentskul- gangenheit liegen, in der die neue Armee Soldaten aller deutschen Stämme vereint von preußischen Staats- und Privatbetrie- tur“ empfunden, um eine eigene Identität ja auch entstanden war. Die größte und gekämpft hatten. Dass Österreich zu die- ben, weil der relativ geringe bayerische und einen darauf basierenden Korpsgeist längste Kriegsperiode der neueren baye- sem Deutschland nicht mehr gehörte und Bedarf keine wirtschaftliche Selbstanferti- zu entwickeln. rischen Geschichte war mit der Dynamik dass diese Trennung ebenfalls eine Folge gung mehr zuließ. In dieser Zeit wurden sich die Europäer verflochten, die von der französischen der Kriege Bismarcks war, trat nun ganz in Dem preußischen Gesandten in München, ihrer Geschichtlichkeit auf neue Weise be- Revolution ausgelöst worden war. Bayern den Hintergrund. Der Enthusiasmus für dem Grafen Monts, war das bayerisch- wusst. Die Vorstellung des Historismus, hatte diese Feldzüge erstmals mit einer na- dieses neue Deutsche Reich war gewiss wittelsbachische Sonderbewusstsein ein dass die Gegenwart der vorläufige End- tionalen, fast nur aus Landeskindern be- nicht in allen Teilen dieses Reiches gleich Dorn im Auge. Er hoffte, dass die Geld- punkt einer langen und letztlich zielgerich- stehenden Armee durchgefochten. Diese groß, und auch in Bayern selbst gab es da verlegenheiten dazu führen würden, die teten Entwicklung aus einer Vergangen- Armee hatte einen beachtlichen Umfang Unterschiede zwischen der Pfalz und den bayerische Armee näher an die preußische heit heraus sei, die identitätsstiftend und und befand sich durchaus auf der Höhe protestantischen Gebieten Frankens auf heranzuführen: verpflichtend wirkte, prägte das Bewusst- ihrer Zeit. der einen Seite und dem katholischen, „Bayern ist jetzt da, wohin es finanziell mit sein der Menschen. Eine blühende histo- Nach der Gründung des Deutschen Rei- zurückhaltenderen Altbayern. Insgesamt seiner militärischen Absonderung kom- rische Forschung, eine literarische und ches 1871 ließ sie sich allerdings nur be- aber besaß die Idee des geeinten Deutsch- men musste, d.h. die für alle Partikular- künstlerische Produktion von Bildern ei- dingt in die Traditionslinie einordnen, land eine enorme Prägekraft, so dass es einrichtungen, Generalstab, Kriegsakade- ner großen Vergangenheit, die Sammlung die der Bismarck‘sche Reichspatriotismus von nahezu allen Deutschen als natürli- mie, Equitation, Adjutantur p.p., nötigen und Bewahrung ihrer Zeugnisse wurden erzeugte, hatte Bayern doch zwischen ches und sinnvolles Gehäuse ihres poli- Gelder belasten die für die Kopfzahl aus zum verbreiteten Motiv. Die Gründung 1805 und 1813 als Alliierter Frankreichs tischen, kulturellen und eben nationalen der Reichskasse gewährten Summen der- vieler Museen und nicht zuletzt des Bay- gekämpft, des „Erbfeindes“, gegen den Daseins empfunden wurde. Davon profi- 34 | Dieter Storz/Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition Dieter Storz: /Daniel Hohrath: Geschichte und Tradition | 35 tierte vor allem die Armee – eigentlich wa- gen Einheit. Sie waren in der Regel keine ren es ja verschiedene Armeen –, die es in ausgebildeten Historiker, schufen aber blutigen Schlachten erkämpft hatte. äußerst detaillierte, materialreiche Dar- 1 Oskar Bezzel, Geschichte des Kurpfalzbayeri- schen Heeres von 1778 bis 1802, München 1930 Das Traditionsgefühl der Militärs entfal- stellungen, denen heute für manche mi- (= Geschichte des Bayerischen Heeres Bd. 5), S. 15. tete sich auf drei Ebenen: Die oberste, ab- litärgeschichtliche, heereskundliche und 2 Auszugsweise abgedruckt in: Der Weltkrieg strakteste, war die des gesamten deutschen personengeschichtliche Fragen Quellen- 1914 bis 1918, bearbeitet im Reichsarchiv. Kriegs- Reichsheeres, das zwar preußisch geformt charakter zukommt. Besonders breiten rüstung und Kriegswirtschaft, Bd. 1, Anlagen, Berlin 1930, S. 8 f.; Gesamttext des „Vertrages, be- war, aber viele verschiedene Wurzeln be- Raum beanspruchte naturgemäß die treffend den Beitritt Bayerns zur Verfassung des saß. Konkreter war schon die Geschichte Teilnahme am Feldzug gegen Frankreich Deutschen Bundes“ im Reichsgesetzblatt 1871, der Kontingente, aus denen sich dieses 1870/71, aber auch die ältere Geschichte S. 9-26. Heer zusammensetzte, also der preußi- wurde teilweise sehr ausführlich behan- 3 Franz von Lenski, Lern- und Lehrjahre in Front und Generalstab, Berlin 1939, S. 4. schen, bayerischen, sächsischen, würt- delt. In dem relativ kurzen Zeitraum bis 4 § 12, in: Der Weltkrieg 1914 bis 1918, Anlagen, tembergischen Armee. Am greifbarsten, 1914 erschienen oft mehrere Auflagen, Berlin 1930, S. 14. intensiv gepflegt wurde aber die Tradition Neufassungen und Ergänzungsbände für 5 Gesetz über die Verpflichtung zum Kriegs- der Truppenkörper, aus denen sich diese die jeweils jüngste Zeit, in denen auch das dienste vom 3. September 1814, in: Eugen von Frauenholz, Das Heerwesen des XIX. Jahrhun- Armeen zusammensetzten, also der Regi- Friedensdasein der Einheiten mit dem derts, München 1941 (= Entwicklungsgeschichte menter. Die Geschichte der ältesten Infan- Gang des Ausbildungsjahres, Manövern, des deutschen Heerwesens. Unter Mitwirkung terie- und Kavallerieregimenter ließ sich Festen, Veränderungen in Bewaffnung von Walter Elze und Paul Schmitthenner hrsg. bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen und Ausrüstung sowie Personalverände- von Eugen von Frauenholz, Bd. 5), S. 181 f. 6 Wie Anm. 2. und steigerte das Selbstbewusstsein dieser rungen geschildert wurden. Manche Ein- 7 Brief vom 1.12.1898 an Friedrich von Hol- Formationen. „Ehrentage“ – meist waren heiten veröffentlichten neben der großen, stein, in: Karl Friedrich Nowak, Friedrich Thim- das Schlachten, in denen die Einheiten offiziellen Darstellung ihrer Geschichte me (Hrsg.), Erinnerungen und Gedanken des hohe Verluste erlitten hatten – spielten im noch eine volkstümliche Kurzfassung, die Botschafters Anton Graf Monts, Berlin 1932, S. 379. Jahreskalender eine wichtige Rolle. Runde sich an Unteroffiziere und Mannschafts- 8 Wie Anm. 4, S. 275. Geburtstage wurden aufwendig gefeiert. soldaten richtete. Auch wenn die tatsäch- Man bildete Soldatengruppen, die Uni- liche Breiten- und Tiefenwirkung dieser formen aus wichtigen Abschnitten der Re- reichhaltigen Geschichtskultur unter den gimentsgeschichte trugen. Mehrere bay- Angehörigen der Regimenter schwer zu erische Regimenter waren während der beurteilen ist, so war diese Traditionspfle- napoleonischen Kriege errichtet worden. ge doch auf jeden Fall präsent und wirk- Sie konnten in den Jahren vor dem Ersten mächtig. Weltkrieg ihr hundertjähriges Bestehen feiern. Nach vereinzelten Veröffentlichungen Literatur zur Historie bayerischer Truppenteile in Geschichte des Bayerischen Heeres, hrsg. vom der ersten Jahrhunderthälfte kam es in Bayerischen Kriegsarchiv, 8 Bde., München 1901- den 1880er Jahren zu einem regelrechten 1933. Geschichts-Boom: Jedes Regiment wollte seine eigene „Geschichte“ in Buchform Friedrich Münich, Geschichte und Entwicklung der bayerischen Armee seit zwei Jahrhunderten, haben. In vielen Fällen erschienen mehr- München 1864 [Ndr. Osnabrück 1984]. bändige Arbeiten, die über die Vergangen- heit und die Taten der Einheit und ihrer Rainer Braun u.a., Bayern und seine Armee. Eine „Stammtruppen“ seit ihrer Errichtung Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs aus den Beständen des Kriegsarchivs, München Auskunft gaben. Diese „Regimentsge- 1987. schichten“ bilden eine eigene Gattung mi- litärgeschichtlichen Schrifttums. Verfasser Achim Fuchs, Einführung in die Geschichte der waren in der Regel Offiziere der jeweili- Bayerischen Armee, München 2014. 37

Dieter Storz Die bayerische Armee im Ersten Weltkrieg

Der Krieg von 1866 hatte gezeigt, dass al- Verbände und Einrichtungen, deren eine lein Preußen über eine Heeresorganisation geschlossene und selbständige Streit- verfügte, die modernen Ansprüchen ge- macht bedarf. Sie bildete etwa den achten nügte. Nach ihrer Niederlage leiteten die Teil des Deutschen Heeres und konnte süddeutschen Staaten militärische Refor- den Anspruch erheben, in dessen Rahmen men ein, die am preußischen Modell ori- als das Kriegswerkzeug des zweitgrößten entiert waren. Den Krieg von 1870 führten Bundestaates eine entsprechende Rolle zu sie gewissermaßen in einem Übergangs- spielen.“1 stadium von der alten zur neuen Form. Der „Bundesfeldherr“, also der preußi- Die Leistungsfähigkeit der bayerischen sche König und (seit 1871) deutsche Kai- Truppen stand jener der preußischen Ver- ser, hatte sich im Bündnisvertrag mit Bay- bände zwar noch merklich nach, lag aber ern das Recht ausbedungen, „sich durch bereits auf einem deutlich höheren Niveau Inspektionen von der Übereinstimmung als 1866. Nach 1870 wurde die bayerische in Organisation, Formation und Ausbil- Armee vollkommen den preußischen Nor- dung sowie von der Vollzähligkeit und men angeglichen. Kriegstüchtigkeit des Bayerischen Kon- tingents Überzeugung zu verschaffen“.2 Die Bayerische Armee als Teil des Solche Inspektionen waren für das ganze Reichsheeres Reichsheer vorgesehen. Jeweils mehrere Armeekorpsbezirke waren zu einer Ar- Was die Größenverhältnisse angeht, war meeinspektion zusammengefasst, an de- die bayerische Armee nach der preußi- ren Spitze ein Generalinspekteur stand. schen die größte im Reich. Von den 25 Für Bayern war die IV. Armeeinspektion Friedenskorps, welche die deutsche Ar- zuständig. Zum ersten Inspekteur wurde mee 1914 umfasste, waren drei bayerisch, der preußische Kronprinz Friedrich Wil- zwei waren sächsisch, eines württember- helm bestimmt, was Preußen scheinheilig gisch. Damit machte die bayerische Armee als besonderes Zugeständnis an Bayern ca. ein Achtel des deutschen Reichsheeres ausgab, da dieser wohl angenehmer sei aus, womit sie eine gewisse kritische Grö- als irgendein General. Dass ein Preuße ße erreichte. Karl Deuringer, ehemaliger über die Ausbildung der bayerischen Ar- bayerischer Major im Generalstab und mee wachte, war in München allerdings nach dem Weltkrieg Staatsoberarchivar im grundsätzlich unerwünscht, zumal die Bayerischen Kriegsarchiv, beschrieb die Einteilung der Inspektion, die außer den „Friedensgestalt“ der Armee bei Kriegs- bayerischen Armeekorps auch noch das ausbruch so: württembergische und zwei preußische „Die Bayerische Armee verfügte [...] über Armeekorps umfasste, dazu geeignet war, alle Waffengattungen, Befehlsbehörden, den Charakter der bayerischen Armee als 38 | Dieter Storz: Die bayerische Armee im Ersten Weltkrieg Dieter Storz: Die bayerische Armee im Ersten Weltkrieg | 39

„geschlossenen Bestandteil des Deutschen 16.918 Dienstpferde. 86.500 Mann waren Flügel nicht in Frage, denn dazu hätte man Die Preußen wollten dem bayerischen Bundesheeres“, wie es im Bündnisvertrag also Soldaten im eigentlichen Sinn.5 Das sie quer durch Deutschland transportieren Oberbefehlshaber ursprünglich einen hieß, auszuhöhlen. mobilgemachte Feldheer war dann fast müssen. Die Bayern marschierten also im preußischen General als Chef des Stabes 1892 gelang es, die IV. Armeeinspektion 300.000 Mann stark und verfügte über Süden auf. beigeben. Der dafür vorgesehene General in bayerische Hand zu bekommen. Neuer rund 82.000 Pferde. Das „Besatzungsheer“, Insgesamt formierte Deutschland damals stand aber dem preußischen Kronprinzen Generalinspekteur wurde Prinz Leopold, das sich vor allem aus den Ersatztruppen acht Armeen. Die 8. Armee stand in Ost- Wilhelm nahe, der an die Spitze der 5. Ar- ein Sohn des Prinzregenten Luitpold. Leo- zusammensetzte, die ebenfalls bei der Mo- preußen, während die anderen die West- mee gestellt wurde. Krafft hatte ursprüng- pold bekleidete damals den Rang eines bilmachung gebildet wurden und in den front bildeten, von Norden nach Süden lich sein Stabschef werden sollen, aber Generals der Kavallerie. Der Sitz der In- Heimatgarnisonen verblieben, zählte ca. von 1 bis 7 durchnummeriert. Das bayeri- Wilhelm reklamierte den preußischen Ge- spektion wurde von Berlin nach München 116.000 Mann.6 sche Heer war in der 6. Armee zusammen- neral für sich, so dass Krafft für Rupprecht verlegt. Sie blieb aber eine preußische Nach der Mobilmachung befanden sich gefasst. Die August- und Septemberkämp- frei wurde. Dienststelle. Dem bayerischen General auch in Bayern selbst also mehr Solda- fe des Jahres 1914 nehmen in der bayeri- Die 6. Armee war besonders stark aus- war ein preußischer Stabsoffizier an die ten als im Frieden! Dieser Dualismus von schen Militärgeschichte insofern einen be- gestattet. Sie umfasste nahezu alle bay- Seite gestellt. Das war der einzige preußi- Feldheer und Besatzungsheer blieb bis sonderen Platz ein, als hier die bayerische erischen Truppenkörper und zusätzlich sche Offizier, der in Bayern Dienst tat, aber zum Kriegsende bestehen. Die Ersatz- Armee zum letzten Mal als geschlossener noch das preußische XXI. Armeekorps, nicht in der bayerischen Armee! 1913 lös- truppen nahmen neu eingezogene mili- Körper zum Einsatz kam. Oberbefehlsha- das bereits im Frieden in Lothringen sta- te Prinz Rupprecht, der bayerische Kron- tärpflichtige Männer, Rekruten und gene- ber der 6. Armee war der bayerische Kron- tioniert war. Den Raum bis zur Schweizer prinz, seinen Onkel Leopold als General- sene und genesende Verwundete auf, die prinz Rupprecht im Rang eines General- Grenze nahm die 7. Armee ein. Um die inspekteur der IV. Armeeinspektion ab. mehr oder weniger rasch zum Ausgleich obersten der Infanterie. Einheitlichkeit der Operationen in den von Verlusten an die Front geschickt wor- Im deutschen Führungssystem gehörte zu Reichslanden zu sichern, unterstellte man Kriegsbeginn 1914: Schlacht in den. Der Personalbedarf der bayerischen jedem höheren Kommando auch ein Ge- ihr Oberkommando der 6. Armee. Oberbe- Lothringen Armee wurde in Bayern eingezogen. Das neralstab mit einem Chef des Generalstabs fehlshaber dieser 7. Armee war der preu- konnte also auch Angehörige anderer an der Spitze, kurz als „Chef“ bezeichnet. ßische General Josias von Heeringen, von Die Inspekteure galten inzwischen als de- deutscher Staaten betreffen, die dort leb- Der „Chef“ einer Armee war also nicht 1909 bis 1913 preußischer Kriegsminister. signierte Armee-Oberbefehlshaber für den ten. Umgekehrt gerieten außerhalb ihres deren Oberbefehlshaber, sondern dessen Die Zusammenarbeit der beiden Armee- Kriegsfall. Dieser Fall trat 1914 ein. Die Landes wohnhafte Bayern in preußische, wichtigster Berater, der für Führungs- Oberkommandos erwies sich als schwie- Mobilisierungsorder für das bayerische württembergische und sächsische Trup- entschlüsse mitverantwortlich war. Das rig, weil sich der Preuße von einem Bayern Heer trug die Unterschrift des bayerischen penteile. Die weit überwiegende Mas- monarchische System in Deutschland ver- nichts sagen lassen wollte. Königs. Er war aber nicht frei, sie zu ver- se der Soldaten der bayerischen Armee langte, dass nach Möglichkeit Angehörige Der rechte deutsche Heeresflügel hatte weigern, denn der Bündnisvertrag ver- waren allerdings gebürtige Bayern. 1905 der regierenden Häuser hohe Kommando- einen klaren Auftrag: angreifen und den langte von ihm, die Kriegsbereitschaft des betrug die Bevölkerung Bayerns mit der posten erhielten. Da sie diese Position eher Krieg gewinnen. Weniger klar war die bayerischen Heeres „auf Veranlassung des Pfalz 6,9 Millionen Menschen. ihrem dynastischen Rang als ihren militä- Aufmarschanweisung für den Südflügel. Bundesfeldherrn“ anzuordnen.3 Damit Der deutsche Kriegsplan sah bekanntlich rischen Kenntnissen zu verdanken hatten, Er sollte zumindest dafür sorgen, dass die begann auch die Verpflichtung der baye- vor, den Krieg mit einer buchstäblich um- kam diesen „Chefs“ eine besondere Be- Franzosen dort keine Truppen abziehen rischen Truppen, „den Befehlen des Bun- fassenden Westoffensive zu beginnen. Ein deutung zu. Im Fall des bayerischen Kron- und nach Norden werfen konnten, wo die desfeldherrn unbedingt Folge zu leisten.“4 starker rechter Flügel sollte über Belgien prinzen muss man allerdings sagen, dass Entscheidung erstrebt wurde. Aber wie Fortan unterstand die bayerische Armee, in Nordfrankreich eindringen, das fran- er nicht nur Thronfolger, sondern auch ein war das zu erreichen? Verlockend war na- soweit sie im Feld stand, den Befehlen der zösische Heer überflügeln und schlagen. kompetenter Soldat mit sicherem Urteils- türlich der Gedanke, die Franzosen, die Obersten Heeresleitung (OHL), also dem Natürlich musste dabei auch der Südab- vermögen war und keineswegs bloß eine sich mit dem Verlust Elsass-Lothringens auf Kriegsfuß gestellten preußischen Gro- schnitt der Front, wo das Deutsche Reich repräsentative Figur des monarchischen nie abgefunden hatten, zu einer Offensive ßen Generalstab. und Frankreich im Elsass und in Loth- Prinzips. zu ermutigen und sie in einen „Sack“ hin- Die Friedenssollstärke der bayerischen Ar- ringen eine gemeinsame Grenze besaßen, Sein „Chef“ wurde der Generalmajor einlaufen zu lassen, um dann konzentrisch mee belief sich zuletzt auf 3.375 Offiziere, gesichert werden. Bei der Mobilmachung Konrad Krafft von Dellmensingen, der über die Eindringlinge herzufallen und sie 289 Ärzte, 102 Tierärzte, 1.015 obere und und dem anschließenden Aufmarsch kam Friedenschef des bayerischen General- zu vernichten. Auf diese französische Of- mittlere Beamte, 560 untere Beamte, 11.830 alles auf Geschwindigkeit an. Die in Süd- stabs. Diese Lösung der Chef-Frage bei ei- fensive richteten sich also die Hoffnungen Unteroffiziere, 71.295 Mannschaftssol- deutschland dislozierte bayerische Armee nem bayerischen Armee-Oberkommando der Deutschen, und eine solche Angriffs- daten – ohne Einjährig-Freiwillige – und kam somit für einen Einsatz am rechten (AOK) erscheint logisch, war es aber nicht. bewegung schien sich auch abzuzeichnen, 40 | Dieter Storz: Die bayerische Armee im Ersten Weltkrieg Dieter Storz: Die bayerische Armee im Ersten Weltkrieg | 41 woraufhin sich die Deutschen zurückzo- so intensiv ausgebaut war wie in späteren Offensive und damit deren Scheitern tra- wurde, endete der letzte Einsatz der baye- gen, um ihren Feind in den „Sack“ zu lo- Kriegsjahren. ge. Zwischen dem AOK 6 und der OHL, rischen Armee, in der sie als geschlossener cken. Diese Gefahr sah natürlich auch die Was den Sommerschlachten in Lothrin- die inzwischen in Luxemburg saß, wurde operativer Körper eingesetzt worden war. französische Heeresleitung. Der französi- gen ihren besonderen Charakter gab und nun der schwarze Peter hin und her ge- Für das bloße Halten der Front standen schen Offensive fehlte jedenfalls der Nach- wodurch sie sich fundamental von sons- schoben. Schließlich waren es Krafft und nun viel zu starke Kräfte im Elsass und in druck, und so kamen auf deutscher Seite tigen Kämpfen im ersten Kriegsjahr un- Rupprecht, die zu dem Entschluss fanden, Lothringen, wo die Franzosen ihrerseits Befürchtungen auf, es handle sich nur um terschieden, war die ungeheure Wucht den Angriff einzustellen. alle Angriffsabsichten aufgegeben hatten: einen Scheinangriff mit schwachen Kräf- des Artillerieeinsatzes, insbesondere auch Die Kämpfe hatten fast drei Wochen ge- Sie brauchten jetzt jeden Mann, um die ten, vor dem man unnötigerweise davon- der schweren Kaliber. Das lag an den gro- dauert und enorme Verluste gefordert. Deutschen in Nordfrankreich aufzuhal- laufe. ßen Festungen in diesem Grenzraum: auf Ihre genaue Höhe ist nie ermittelt worden. ten und nach Möglichkeit wieder aus dem Alle Vorkriegsarmeen und auch die deut- deutscher Seite Metz-Diedenhofen, Straß- Aufgrund von Stichproben hat man an- Land zu vertreiben. Und dies galt umge- sche waren dazu erzogen, Gefechtsent- burg und der bayerische „Brückenkopf“ genommen, dass die Infanterie, also die kehrt für die deutsche Seite: Von den vier scheidungen angriffsweise herbeizufüh- Germersheim, auf französischer Seite Waffengattung, die der feindlichen Waf- bayerischen Korps blieben nur das III. Ar- ren. Anders ging es ja nicht: In der passi- Toul-Nancy und Epinal. Moderne Panzer- fenwirkung am stärksten ausgesetzt war, meekorps sowie die Landwehrverbände ven Verteidigung, gar im Rückzug schlägt forts umgaben diese Festungen. Entschei- etwa 60 % ihres Bestandes eingebüßt hat. in Lothringen. Der Raum von Noyon bis man seinen Gegner nicht. Das Festhalten dend aber war, dass in diesen weitläufigen Quantitativ konnte man sie noch rasch zur Küste, ca. 150 Kilometer, war noch frei starker französischer Kräfte in Lothringen befestigten Zonen gewaltige Mengen von ausgleichen, weil das „Menschenmateri- von Freund und Feind. Dorthin wurden war so jedenfalls nicht zu gewährleisten. schwerer Artillerie und Munition aufge- al“ noch reichlich zur Verfügung stand. die im Süden frei gewordenen und frisch Dafür musste man sie „fesseln“, also unter stapelt waren. Diese waren zwar nicht für Vor dem Krieg war man in der deutschen „aufgefüllten“ bayerischen Korps verlegt. Druck setzen. Das ging nur durch den An- den Feldeinsatz vorgesehen, ihr Einsatz Armee auf die Führungsleistung des Ge- Das AOK 6 installierte sich zunächst in griff. Rupprecht und Krafft entschlossen war aber möglich und die Wege in die neralstabs besonders stolz und glaubte St. Quentin und dann in Cambrai und kon- sich also zur Offensive und setzten diesen Feldschlacht hinaus waren relativ kurz. sich darin unerreicht. Gerade da hatte die trollierte den sich rasch nach Norden aus- Wunsch gegen den Willen der Obersten Eine Entwicklung, die sich an den übri- Lothringer Operation aber schwere Män- dehnenden rechten Flügel des deutschen Heeresleitung (OHL) durch, die in Kob- gen Fronten über mehrere Monate hinzog, gel offenbart. Die OHL und das AOK 6 Heeres. In St. Quentin wurde es vom AOK 2 lenz saß, ihren Willen aber nicht als Befehl vollzog sich in Lothringen in wenigen Wo- hatten nie zu einer klaren Sprache ge- abgelöst, einem preußischen AOK. Das I. ausdrückte. Diese Zurückhaltung hing chen: vom Bewegungskrieg über den Stel- funden. Das hing auch mit dem Kontin- und II. bayerische Armeekorps lagen in auch damit zusammen, dass die OHL lungskrieg zur Materialschlacht. gentcharakter der Armee zusammen. Der seinem Abschnitt. einen Armeebefehlshaber, der zugleich Wie sehr die deutsche Offensive die fran- Generaloberst Kronprinz Rupprecht war Im Bereich des AOK 6 befand sich als ein- Thronfolger des zweitgrößten Bundes- zösische Seite in eine Krise stürzte, wur- nicht nur militärisch, sondern auch po- ziger bayerischer Großverband nur noch staates war, delikater behandelte als ei- de auf deutscher Seite nicht erkannt. Dort litisch eine starke Figur. Das Misstrauen das I. bayerische Reservekorps. Dafür un- nen gewöhnlichen General. Umgekehrt blickte man auf die Stärke des französi- zwischen Preußen und Bayern, scheinbar terstanden ihm auch sächsische Truppen, steigerte Rupprechts dynastische Position schen Widerstands, die enormen eigenen längst überwunden im Bismarckschen das württembergische XIII. Armeekorps, auch sein Selbstbewusstsein gegenüber Verluste und das Schwinden der Muniti- Reichspatriotismus, flammte sofort wieder das badische XIV. Armeekorps und zwei der „preußischen“ OHL. onsvorräte. Das Stagnieren der Offensive auf, als die Dinge nicht nach Plan liefen. preußische Armeekorps, eins davon das Dieser deutsche Gegenstoß wurde mit führte zu einem Konflikt zwischen der Der bayerische Militärbevollmächtigte bei Gardekorps, also der preußische Elitever- größter Wucht geführt und überraschte die Obersten Heeresleitung und dem AOK 6: der OHL, Generalmajor Karl Wenninger, band schlechthin. Das in Lothringen zu- Franzosen vollkommen, die sich ihrerseits Bei der OHL verstand man nicht, warum musste erleben, wie der Misserfolg der rückgelassene III. bayerische Armeekorps zurückzogen. Damit hatte man allerdings die Bayern trotz der enormen Muniti- Bayern in Lothringen für das Scheitern an gehörte zur Armee-Abteilung Strantz, nur einen „ordinären“ Sieg errungen, aber onsmengen, die ihre Artillerie verschoss, der Marne verantwortlich gemacht wur- einer preußischen Befehlsstelle. Die Un- nichts entschieden. Zur neuerlichen Über- nicht vorankamen, und man misstrau- de. Erbittert notierte er in sein Tagebuch, terstellungsverhältnisse hatten sich also raschung der Deutschen verstärkte sich te ihren militärischen Fähigkeiten. Beim dass die Personen bei der OHL, welche völlig von den Kontingentgrenzen gelöst. der französische Widerstand binnen weni- AOK 6 wiederum beklagte man sich, dass den Feldzug faktisch geleitet hätten, ein Die Korps wurden nach Verfügbarkeit als ger Tage und stellte die deutsche Seite vor die OHL die Schwierigkeit der Situation Preuße, ein Sachse und ein Württember- operativ gleichwertige Bestandteile in die ein schwieriges Problem: den Durchbruch in Lothringen nicht begreife. Auf dem Hö- ger gewesen seien. immer länger werdende Front eingebaut. durch eine fortlaufende Stellungsfront, hepunkt der Krise ging es diesen beiden Mit dem Abbruch der „Schlacht in Loth- Im Oktober tauchte rechts von der 6. Ar- auch wenn diese noch nicht annähernd Konfliktparteien bloß noch darum, wer ringen und in den Vogesen“, wie sie im mee eine neu gebildete 4. Armee auf, wel- die Verantwortung für den Abbruch der bayerischen Generalstabswerk genannt che die Lücke bis zur Küste schloss. Damit 42 | Dieter Storz: Die bayerische Armee im Ersten Weltkrieg Dieter Storz: Die bayerische Armee im Ersten Weltkrieg | 43 hatte die Westfront jene Gestalt gewonnen, das „Deutsche Alpenkorps“. Diese Einheit Zur Verfügung der OHL entstanden acht Bayerische Heerführer und die sich bis 1918 nur wenig ändern sollte. wurde vom bayerischen Kriegsministeri- „Bombengeschwader der Obersten Hee- Offiziere um aufgestellt, enthielt aber auch nicht- resleitung“, die im strategischen Luftkrieg Heeresausbau bayerische Formationen, darunter mehre- zum Einsatz kamen und von denen eines Wir wollen hier einige bayerische Solda- re preußische Jägerbataillone. Überhaupt – „BOGOHL 8“ – bayerisch war. ten des Weltkriegs vorstellen, die damals Im Sommer 1914 stellte Bayern insgesamt wurden die meisten dieser Divisionen aus Die bayerischen Divisionen verblieben zu- über die Grenzen ihrer Armee hinaus be- 11 Divisionen ins Feld, zu denen noch vier bereits bestehenden Truppen gebildet. nächst im Bereich ihrer Korps. Im Lauf des kannt wurden oder eine ungewöhnliche „gemischte Landwehrbrigaden“ kamen, Diese Vermehrung der operativen Körper Jahres 1916 wurde es aber üblich, die Di- Rolle während des Krieges spielten. Von die man sich als Kleindivisionen mit rela- gelang, weil man die neuen Infanteriedivi- visionen nach „Verbrauch“ auszuwechseln den Generälen unterhalb der Obersten tiv geringer Kampfkraft vorstellen kann. sionen seit dem Frühjahr 1915 nicht mehr und sie den Korps unabhängig von der Heeresleitung wurde damals in den Zei- Das Deutsche Reich hatte sein Heer vor wie bisher aus vier, sondern drei Infan- Kontingentszugehörigkeit zuzuweisen. tungen keiner häufiger genannt als der 1914 längst nicht so stark ausgebaut, wie terieregimentern bildete. Die Regimenter Aus den Befehlsstellen der Korps – den bayerische Kronprinz. Sein AOK 6 blieb in es nach seiner wirtschaftlichen und de- für die neuen Divisionen gewann man „Generalkommandos“ – wurden Kampf- Nordfrankreich. Soviel Entscheidungsfrei- mographischen Stärke möglich gewesen also durch Verkleinerung der bereits be- gruppenleitungen, die nach ihrem Ein- heit wie in Lothringen hatte Rupprecht, wäre, was nach dem Krieg natürlich hef- stehenden Divisionen. Komplett aus neu satzraum benannt wurden. Als „Gruppe dessen Armee hier einfach einen bestimm- tig kritisiert wurde. 1913, im letzten Vor- errichteten Regimentern bestanden nur Vimy“ firmierten 1917 und 1918 abwech- ten Abschnitt in einer langen Front ein- kriegsjahr, waren in Bayern nur 62,1 % des die 1916 aufgestellte 12. und die zu Beginn selnd mehrere bayerische Generalkom- nahm, nicht mehr. Man könnte die Aufga- Jahrgangs eingezogen worden, während des Jahres 1917 formierte 15. bayerische mandos. be eines solchen Armee-Oberkommandos es in Frankreich 80 % gewesen waren.7 In Infanteriedivision. Auf dem Höhepunkt Es würde weit über den Rahmen dieses als „Frontverwaltung“ oder, in heißen Bayern wie im ganzen Deutschen Reich ihrer Entwicklung, im Jahr 1917, standen kurzen Abrisses hinausführen, wollte man Phasen, als „Großkampfmanagement“ be- stand also noch ein großes Reservoir an 25 bayerische Divisionen an der Front. Im auch nur einen ungefähren Überblick ge- zeichnen. Alle Armeen der OHL unmit- „Menschenmaterial“ für die Kriegsfüh- letzten Kriegsjahr war das Land allerdings ben, wo bayerische Truppen während des telbar zu unterstellen, war unzweckmä- rung zur Verfügung. Ein großer Teil floss nicht mehr in der Lage, alle diese Divisi- Ersten Weltkrieges eingesetzt waren. Man ßig, denn diese war nicht in der Lage, über die Ersatztruppenteile der Front zu. onen mit „Ersatz“ zum Ausgleich der un- findet sie an allen Fronten dieses Krieges. den langen Fronten überall und stets die Darüber hinaus machte sich die Militär- geheuren Verluste zu versorgen. Deshalb Sogar im Irak und an der Kaukasusfront notwendige Aufmerksamkeit zu widmen. verwaltung energisch daran, das Heer zu wurden im letzten Kriegsjahr vier Divisi- ist eine bayerische Batterie schwerer Feld- Deshalb kam es zur Zusammenfassung vergrößern. Gleich bei Kriegsausbruch onen aufgelöst. haubitzen aufgetreten. mehrerer Armeen in „Heeresgruppen“, begann die Aufstellung von vier zusätzli- Der Heeresausbau beschränkte sich natür- Äußerlich erkannte man bayerische Solda- die sich zwischen die Armee-Oberkom- chen Reservekorps über den ursprünglich lich nicht auf die Schaffung neuer Groß- ten an der Löwenprägung ihrer Uniform- mandos und die OHL schoben. Im August vorgesehenen Mobilmachungsumfang hi- formationen, sondern erstreckte sich auch knöpfe. 1915 wurden in Preußen neue 1916 wurde Rupprecht zum bayerischen naus. Ihre acht Divisionen entstanden im- auf zahlreiche kleinere Truppenkörper, Uniformjacken und Mäntel eingeführt. Feldmarschall ernannt und kurz darauf an provisiert, ohne dass man auf planmäßig die in die größeren integriert wurden oder Sie besaßen, wie dort üblich, Knöpfe mit die Spitze der neuen „Heeresgruppe Kron- vorbereitete Bekleidungs- und Waffen- als Armee- und Heerestruppen eingesetzt aufgeprägten Kronen. Bayern übernahm prinz Rupprecht von Bayern“ gestellt, die vorräte zurückgreifen konnte. Eine dieser wurden. Das deutsche Heer insgesamt diese Kleidungsstücke, und zwar mit die- den rechten Flügel der deutschen West- acht Divisionen war eine bayerische, und und somit auch die bayerische Armee sen Kronenknöpfen. Der bayerische Kö- front befehligte. In ihren Abschnitt fiel die mit einem ihrer vier Regimenter – dem besaßen schon bei Kriegsbeginn eine un- nig wollte aber, dass seine Soldaten wei- „Schlacht an der Somme“. Dort tobten die bayerischen Reserve-Infanterieregiment gewöhnlich starke schwere Artillerie, die, terhin ein Uniformattribut besäßen, das Flandernschlachten des Jahres 1917, und 16 – rückte der junge als den Bedürfnissen des Stellungs- und Ma- sie äußerlich von den übrigen deutschen auch an den Frühjahrsoffensiven des Jah- Kriegsfreiwilliger ins Feld. Das waren fast terialkriegs entsprechend, weiter ausge- Kontingenten unterschied. Deshalb wur- res 1918 war Rupprechts Heeresgruppe reine Rekrutenformationen, die fürch- baut wurde. Das galt auch für technische de 1916 eine umlaufende Kragenborte mit beteiligt. Rupprecht wurde zu einem der terliche Verluste erlitten. Dass es sich bei Truppen wie Pioniere, Nachrichten- und weißblauem Rautenmuster eingeführt. bekanntesten Heerführer des Weltkrie- diesen Einheiten überwiegend um Frei- Kraftfahrformationen und natürlich für 1917 zwang der Mangel an Spinnstoffen ges. Wie er seinem Vater schrieb, wäre es willige, insbesondere um die akademische die Fliegertruppe, die auf ein Vielfaches ih- dazu, diese Borte zu verkürzen. Sie wurde ihm indes lieber gewesen, wenn er an der Jugend Deutschlands gehandelt habe, ist rer Stärke bei Kriegsbeginn anwuchs und fortan nur noch auf die vordere Kragen- Spitze der 6. Armee verblieben wäre und eine Legende. einen ganz anderen, modernen Charakter kante aufgenäht. in dieser wieder alle bayerischen Truppen Insgesamt stellte Bayern bis Anfang 1917 annahm. 1912 zählte diese „Truppe“ ganze vereint worden wären. Sein sorgfältig ge- 15 zusätzliche Divisionen auf, darunter 14 Mann, bei Kriegsende waren es 16.000! führtes Kriegstagebuch wurde 1929 veröf- 44 | Dieter Storz: Die bayerische Armee im Ersten Weltkrieg Dieter Storz: Die bayerische Armee im Ersten Weltkrieg | 45 fentlicht und ist eine wichtige Quelle zur über. 1917 und 1918 leitete Kreß die türki- Jahr wie Remarques „Im Westen nichts führt, war das ironischerweise gerade die, Geschichte des Ersten Weltkrieges.8 sche Verteidigung in Palästina. 1938 veröf- Neues“.11 Im Unterschied zu Remarques mit der sich Schneider an die gewandelten Im April 1915 wurde Rupprechts Onkel fentlichte er ein Buch über seine Tätigkeit Werk ist Freys Text autobiografisch. Frey Verhältnisse anzupassen versucht hatte. Leopold, den er 1913 als Armee-Inspektor im osmanischen Heer.9 Kreß trat nach dem war Sanitäter beim Stab des Regiments, Von ganz anderer Art war der Nürnber- abgelöst hatte, reaktiviert und als Ober- Krieg in die Reichswehr ein und führte also dort, wo auch Hitler als Meldegänger ger Hans Zöberlein, ein gelernter Maurer, befehlshaber an die Spitze der 9. Armee von 1924 bis 1927 die 7. (bayerische) Divi- eingesetzt war. Es fällt auf, dass er diesen der sich nach dem Krieg zum Architekten an der Ostfront gestellt. Im August 1916 sion der Reichswehr. Während des Hitler- 1929 bereits prominenten Kriegskamera- weiterbildete. Er hatte es im Krieg bei der wurde er zum preußischen [!] Feldmar- putsches stand er auf der Seite der Reichs- den nie erwähnt, obwohl er ihm häufig be- Infanterie bis zum Vizefeldwebel gebracht schall ernannt. In diesem Monat löste der wehrführung gegen die Putschisten. gegnet sein muss. Hitlers Versuche, Frey und wurde mit der Goldenen Tapferkeits- bisherige Oberbefehlshaber Ost, Paul von Eine der abenteuerlichsten Episoden des für seine Bewegung zu gewinnen, lehnte medaille ausgezeichnet, dem höchsten Hindenburg, Erich von Falkenhayn als ganzen Krieges war die Afghanistanexpe- dieser ab. 1933 rettete sich Frey ins öster- bayerischen Orden für Unteroffiziere und Chef der OHL ab, und an seine Stelle als dition der Jahre 1915/16. Der bayerische reichische Exil, 1938 dann in die Schweiz. Mannschaften. Nach dem Krieg schloss OB Ost trat Leopold von Bayern. Damit Oberleutnant Oskar von Niedermayer lei- Der Kaufmann Wilhelm Michael Schnei- er sich der NSDAP an. 1931 schilderte er hatten zwei Wittelsbacher herausragende tete sie zusammen mit dem preußischen der stammte aus einer pfälzischen Klein- seine Kriegserlebnisse in einem Buch mit Kommandoposten des Weltkriegs inne, Diplomaten Werner Otto von Hentig. Ziel industriellenfamilie. Er wurde im Oktober dem Titel „Der Glaube an Deutschland“.13 und beide waren, im Unterschied zum der Expedition war es, die Afghanen zum 1914 eingezogen. Schneider machte den Das Buch muss als Gegendarstellung zu preußischen Kronprinzen, der seit 1915 Aufstand gegen die Engländer anzusta- Krieg bis zum Ende als Infanterist mit und Remarques „Im Westen nichts Neues“ eine Heeresgruppe an der Westfront führ- cheln. Die Expedition erreichte Kabul und brachte es bis zum Leutnant der Reserve. verstanden werden. Es erschien im Franz- te, kompetente Militärs, die ihrer Stellung hielt sich dort mehrere Monate auf, durch- Seine Kriegserlebnisse publizierte er 1929 Eher-Verlag und erreichte hohe Auflagen. auch fachlich gewachsen waren. Das bay- aus zur Beunruhigung der Engländer und in romanhafter Form unter dem Titel „In- Antiquarisch ist es noch häufig und zu erische Königshaus war insofern besser Russen. Als klar wurde, dass fantrist Perhobstler“. Als Autor verwen- niedrigen Preisen zu finden. 1934 wurde aufgestellt als die Berliner Hohenzollern. seine Politik der Neutralität nicht verlas- dete er ein Pseudonym, das er aus seinen das Buch unter dem Titel „Stoßtrupp 1917“ Rupprechts erster Chef des Stabes, der Ge- sen würde, löste sich die Expedition auf. Vornamen gebildet hatte. Seine Beschrei- verfilmt. Nach 1933 machte Zöberlein eine neral Krafft von Dellmensingen, brachte es Niedermayer gelang es, auf dem Landweg bungen waren aber so genau, dass die gewisse Karriere im Kulturbetrieb und als Kommandeur des Alpenkorps zu einer wieder türkisches Gebiet zu erreichen. tatsächliche Identität des Verfassers rasch brachte es bis 1943 zum SA-Brigadeführer. gewissen Prominenz. Im September 1917 Seine Erlebnisse publizierte er 1925.10 bekannt wurde. Schneider ist der einzige Als Leiter eines Werwolfkommandos war wurde er zum „Chef“ des neu aufgestell- Nach dem Krieg trat Niedermayer in die Autor solcher Bücher, der sich explizit auf er im April 1945 für die Ermordung meh- ten Armee-Oberkommandos 14 ernannt. Reichswehr ein und beteiligte sich an der die bayerische Armee bezog, wie aus dem rerer Penzberger Bürger verantwortlich, Diese Armee war ein gemischter deutsch/ geheimen militärischen Zusammenarbeit Untertitel hervorgeht: „Mit bayerischen die sich an einer Widerstandsaktion betei- österreichisch-ungarischer Verband mit mit der Sowjetunion. Divisionen im Weltkrieg“.12 Nach der ligt hatten. der Aufgabe, die italienische Armee am Lektüre wird der Leser nicht die Empfin- Eine besondere Literaturgattung bilden Isonzo anzugreifen. Diese Offensive, die Literatur dung haben, dass die Verhältnisse in der Truppengeschichten. In der Regel sind es 12. Isonzoschlacht, entwickelte sich zu ei- bayerischen Armee freundlicher waren Darstellungen, die sich auf ein Regiment nem der größten operativen Erfolge des Nach dem Ersten Weltkrieg beschrieben als etwa in der preußischen. Gerade das, beziehen. Ihre erste Blütezeit hatten diese Krieges, und Krafft hatte daran bestim- viele Kriegsteilnehmer den Krieg bzw. was nach 1918 „innere Heeresmißstände“ Bücher nach dem Krieg von 1870/71, als menden Anteil. ihre eigenen Erlebnisse in romanhafter genannt wurde, spielt in Schneiders Buch diese Einheiten noch bestanden. Ganz an- Friedrich Kreß von Kressenstein war ein Form, darunter auch ehemalige Angehöri- eine wichtige Rolle. Nach 1933 entsprach ders stellte sich die Lage nach dem Ende bayerischer Feldartillerie-Offizier mit Ge- ge der bayerischen Armee. ein solcher Text natürlich nicht mehr den des Weltkriegs dar. Jetzt waren die Ein- neralstabsausbildung. 1914 ging er, als Der Münchner Schriftsteller Alexander neu etablierten Standards politischer Kor- heiten selbst verschwunden, doch lebten bayerischer Major, zur deutschen Militär- Moritz Frey machte den Weltkrieg als Sa- rektheit. 1934 publizierte der Verlag da- noch viele Männer, die in ihnen den Krieg mission im Osmanischen Reich, wo er den nitätssoldat im bayerischen Reserve-In- her eine entschärfte Version, die vor den mitgemacht hatten. Viele von ihnen, ins- Rang eines osmanischen Oberstleutnants fanterieregiment 16 mit, also jener Einheit, neuen Herren aber auch nicht bestehen besondere die Offiziere, empfanden ein erhielt. 1915 und 1916 führte er zwei türki- der auch Adolf Hitler angehörte. Im Un- konnte. In der „Liste des schädlichen und Bedürfnis, ihre Taten und Leiden zu do- sche Vorstöße durch die Sinaiwüste zum terschied zu seinem Regimentskameraden unerwünschten Schrifttums“ aus dem Jahr kumentieren und für die Nachwelt festzu- Suezkanal, die ihr Ziel, die Sperrung des entwickelte sich Frey aber zum Pazifisten. 1939 findet sich auch Schneiders Kriegs- halten. Es kam jetzt zu einer zweiten und Kanals, allerdings nicht erreichten. Die Sein Buch „Die Pflasterkästen. Ein Feldsa- buch, und zwar in allen Ausgaben. Nach- natürlich letzten Welle von Regimentsge- Engländer gingen nun selbst zum Angriff nitätsroman“ erschien 1929, also im selben dem die Liste stets die letzte Ausgabe auf- schichten, die sich fast ausschließlich mit 46 | Dieter Storz: Die bayerische Armee im Ersten Weltkrieg Dieter Storz: Die bayerische Armee im Ersten Weltkrieg | 47 dem Weltkrieg beschäftigten. Nur wenige durch einen alliierten Luftangriff zusam- 2014 (= Veröffentlichungen des Bayerischen Einheiten blieben unbeschrieben. men mit dieser Stadt vernichtet worden. Armeemuseums, Bd. 14). Daher stützen sich viele Untersuchungen 13 Hans Zöberlein, Der Glaube an Deutschland. Ein Kriegserleben von Verdun bis zum Umsturz, Ein Fazit zum Ersten Weltkrieg auf bayerische Do- München 1931. kumente. Die bayerische Armee fand und Zu Beginn des Jahres 1918 zählte das bay- findet daher in weit höherem Maß, als es erische Feldheer – also ohne das Besat- ihrem Anteil an der Alten Armee entsprä- zungsheer – 550.000 Mann. Das waren 8 % che, die Aufmerksamkeit der Historiker. der bayerischen Bevölkerung. Man hat ge- schätzt, dass während des ganzen Krieges Literatur 15-20 % der Bevölkerung, Frauen, Kinder, Greise und Untaugliche mitgerechnet, Die Bayern im Großen Kriege 1914-1918. Auf durch das Feldheer gegangen sind. In den Grund der Kriegsakten dargestellt. Herausge- früheren Kriegen Bayerns waren es maxi- geben vom Bayerischen Kriegsarchiv, München mal 3 % gewesen. Etwa 200.000 bayerische 1923. Soldaten haben im Ersten Weltkrieg den Das Bayernbuch vom Weltkriege 1914-1918, be- Tod gefunden. arb. von Konrad Krafft von Dellmensingen und Die Novemberrevolution des Jahres 1918 Friedrichfranz Feeser, 2 Bde., Stuttgart 1930. hatte der Monarchie ein Ende gemacht, Hermann Cron, Geschichte des Deutschen Heeres während die Armee weiter bestand, auch im Weltkriege 1914-1918, Berlin 1937. wenn die aus dem Feld zurückgekehr- ten Truppen sich weitgehend auflösten. In den Kasernen verblieben noch matte Reste des mächtigen Kriegsheeres, die 1 Karl Deuringer, Die Schlacht in Lothringen keinen Gefechtswert mehr hatten. Gesi- und in den Vogesen. Die Feuertaufe der Bayeri- cherte Unterkunft und Verpflegung waren schen Armee, hrsg. vom Bayerischen Kriegsar- die Hauptmotive für diese in der Regel chiv, Bd. 1, München 1929, S. 29. schlecht disziplinierten Soldaten, weiter- 2 Abschnitt III, § 5, Abs. III des Bündnisvertrags vom 23.11.1870, in: Der Weltkrieg 1914 bis 1918, hin die Uniform zu tragen. Versuche der bearbeitet im Reichsarchiv. Kriegsrüstung und bayerischen Regierung, auch in der Mili- Kriegswirtschaft, Bd. 1, Anlagen, Berlin 1930, S. 9. tärstruktur der Republik ein bayerisches 3 Ebd. Heer zu verankern, scheiterten. Die Wei- 4 Ebd., Abs. IV. 5 Deuringer, Schlacht (wie Anm. 1), S. 3. marer Verfassung hielt nicht viel vom Fö- 6 Ebd., S. 30 f. deralismus. Am 20. August 1919 wurde 7 Ebd., S. 6 f. die bayerische Armee von Reichskanzler 8 Kronprinz Rupprecht von Bayern. Mein Friedrich Ebert und Reichswehrminister Kriegstagebuch, hrsg. von Eugen von Frauenholz, 3 Bde., Berlin, München 1929 Gustav Noske in München förmlich und 9 Friedrich Kreß von Kressenstein, Mit den offiziell ins Reich übernommen, wenn es Türken zum Suezkanal, Berlin 1938. auch noch einige Jahre dauerte, bis man 10 Oskar von Niedermayer, Unter der Glutsonne sich in Bayern in diese neuen Verhältnisse Irans. Kriegserlebnisse der deutschen Expedition nach Persien und Afganistan, Dachau 1925. wirklich hineingefunden hatte. 11 Alexander Moritz Frey, Die Pflasterkästen. Der Aktennachlass der bayerischen Ar- Ein Feldsanitätsroman, Berlin 1929. mee hat sich in der Abteilung IV des 12 Wilhelm Michael Schneider, Infantrist Bayerischen Hauptstaatsarchivs, dem Perhobstler. Mit bayerischen Divisionen im Weltkrieg. Neu herausgegeben, mit sogenannten Kriegsarchiv, erhalten. Die Anmerkungen, Bilddokumenten und ei- Akten der preußischen Armee, die in Pots- nem Nachwort von Dieter Storz, Wien dam lagerten, sind dagegen im April 1945 49

Bernhard Grau Revolution und Räterepublik Vom Sturz der Monarchie bis zur Rückeroberung Münchens durch die „weißen“ Truppen

Die Revolution in München und die Stadt zum Friedensengel, sondern ihre Ursachen verließen die Theresienwiese nordwärts, wo sich Kasernen der in München statio- Für den 7. November 1918 hatten Mehr- nierten Truppen befanden. Innerhalb kür- heitssozialdemokratie (MSPD), Unab- zester Zeit gelang es den Revolutionären, hängige Sozialdemokratie (USPD) und die Soldaten auf ihre Seite zu ziehen, im Gewerkschaften zu einer gemeinsamen Mathäser-Bierpalast einen Arbeiter- und Antikriegskundgebung auf der Münchner einen Soldatenrat zu konstituieren und im Theresienwiese aufgerufen.1 Schätzungs- Bayerischen Landtag in der Prannerstraße weise 50.000 Teilnehmer folgten diesem die konstituierende Sitzung des Provisori- Appell und demonstrierten für eine so- schen Nationalrats abzuhalten. Von hier fortige Beendigung der kriegerischen aus proklamierte Eisner in den Nachtstun- Auseinandersetzungen. Diese Hoffnung den vom 7. auf den 8. November das Ende hegten allerdings nicht nur die Anhänger der Monarchie und die Errichtung des der organisierten Arbeiterschaft, sondern „Freistaats Bayern“. Alle Versuche, zuver- auch große Teile der ausgebrannten und lässige Militäreinheiten von außen nach durch die absehbare Niederlage desillusi- München zu führen, um dem Umsturz ein onierten Bevölkerung.2 Doch selbst einen Ende zu bereiten, scheiterten. Damit war Monat nach Einleitung von Waffenstill- die konstitutionelle Monarchie in Bayern, standsverhandlungen schien ein Ende die im Mai 1918 einhundert Jahre alt ge- des Krieges nicht in Sicht. Ja, es bestand worden war, endgültig Geschichte. In den die Gefahr, dass nach der Kapitulation Folgetagen entstanden in nahezu allen des Habsburgerreichs eine neue Front an größeren Städten des Landes Arbeiter- den bayerischen Außengrenzen entstehen und Soldatenräte. Mit etwas Verzögerung würde.3 wurden – als bayerische Besonderheit – in Diese Ausgangslage nutzten Kurt Eisner, den ländlichen Gebieten Bauernräte gebil- der führende Kopf der Münchner USPD, det.5 und seine engsten Mitstreiter für ihre Für die breite Öffentlichkeit kamen diese revolutionäre Aktion.4 Nach Ende der Ereignisse unerwartet; unvorbereitet ka- Kundgebung zogen sie nicht – wie verein- men sie aber nicht. Der bei Kriegsbeginn bart – mit den übrigen Teilnehmern durch ausgerufene „Burgfriede“ war längst 50 | Bernhard Grau: Revolution und Räterepublik Bernhard Grau: Revolution und Räterepublik | 51 brüchig geworden. Mit zunehmender heitsbedingten Rückzug des langjährigen Eisners revolutionäre Aktion zielte aller- kriegsbedingten Zerwürfnisse kam es so Kriegsdauer hatten sich die Kritiker der bayerischen SPD-Vorsitzenden Georg von dings nicht nur auf die Beendigung des zur Bildung einer gemeinsamen Regie- deutschen Kriegs-, insbesondere aber der Vollmar zu tun. Die dadurch erforderlich Krieges, den Sturz der Monarchie und rung aus MSPD und USPD, an der aller- deutschen Kriegszielpolitik im Reichstag gewordenen Reichstags-Nachwahlen hat- die Etablierung einer demokratischen dings deutlich zu erkennen war, welche immer deutlicher zu Wort gemeldet. Auch ten zur Folge, dass Eisner, der von seiner Staatsordnung. Seine ersten Aufrufe und Kompromisse sie beiden Seiten abverlang- außerhalb des Parlaments hatten sich Tei- Partei als Kandidat für die Nachwahl zum Erklärungen lassen vielmehr klar erken- te.10 le der organisierten Arbeiterbewegung, Deutschen Reichstag aufgestellt worden nen, dass es ihm zugleich darum ging, die Die MSPD musste akzeptieren, dass Kurt bürgerliche Pazifisten sowie Anarchisten war, aus der Haft entlassen wurde und deutsche Bevölkerung über die wahren Eisner für sich das Amt des Außenminis- zu einer Antikriegsbewegung formiert, seine Agitation für die Beendigung des Ursachen des Krieges aufzuklären und die ters und die Stellung des Ministerratsvor- auch wenn diese wegen der restriktiven Krieges und die Demokratisierung von Verantwortlichen zur Rechenschaft zu zie- sitzenden reklamierte. Außerdem konnte Bestimmungen des Kriegszustandsrechts Staat und Gesellschaft fortsetzen konnte. hen. Damit hoffte er zugleich, die alliier- Eisner durchsetzen, dass mit Hans Unter- öffentlich nur wenig wahrgenommen Der Wahlkampf verschaffte ihm dabei be- ten Kriegsgegner von der Ernsthaftigkeit leitner, dem Minister für soziale Fürsorge, wurde.6 Kurt Eisner, der sich bei Kriegs- vorzugte Auftrittsmöglichkeiten und eine des demokratischen Neuanfangs zu über- ein weiterer Unabhängiger in den Minis- ausbruch in der Annahme, es handle sich verstärkte Aufmerksamkeit. So setzte die zeugen und sie dazu zu bewegen, dem terrat einzog. Nicht verhindern konnte um einen russischen Angriffskrieg, noch revolutionäre Entwicklung in München Deutschen Reich erträgliche Friedensbe- er hingegen, dass mit Erhard Auer einer für die Bewilligung der Kriegskredite aus- bereits zu einem Zeitpunkt ein, als von der dingungen zu gewähren. Da er als Haupt- seiner erbittertsten Gegenspieler aus der gesprochen hatte, hatte sich spätestens im Meuterei der Nordseeflotte noch nichts zu schuldige den deutschen Kaiser und die Zeit von Januarstreik und Revolution das Frühjahr 1915 zum militanten Kriegsgeg- spüren war. Schon vor Bekanntwerden Regierungsstellen in Berlin, allen voran in der Umbruchsphase besonders bedeut- ner gewandelt. Sein Aufklärungsfeldzug der Matrosenunruhen erfuhr Eisners Be- das Auswärtige Amt ausgemacht hatte, same Innenministerium übernahm.11 Mit wurde nicht nur von der amtlichen Zensur wegung so einen immer größeren Zulauf, ging damit der Anspruch einher, eine ei- Johannes Hoffmann (Kultus), Albert Roß- behindert, sondern auch durch den Wi- und ihre Zielsetzungen radikalisierten genständige Außenpolitik zu betreiben, haupter (militärische Angelegenheiten) derstand des bayerischen SPD-Vorstands, sich rasch.9 ja damit zum Nutzen ganz Deutschlands und Johannes Timm (Justiz) stammten der bis zum Ende des Krieges eisern an Die Revolution des Jahres 1918 war damit voranzugehen. drei weitere Minister aus den Reihen der der Burgfriedenspolitik festhielt.7 ein Produkt der Niederlage des Deutschen Mehrheitssozialdemokratie. Der neuen Folge dieser Entwicklung war auch die Reichs im Ersten Weltkrieg. Sie zielte da- Die Bildung der Regierung Eisner Regierung gehörte mit Heinrich von Frau- Spaltung der Sozialdemokratie und die rauf ab, einen baldigen Friedensschluss und die Neukonstituierung der endorfer, dem Verkehrsminister, auch ein Gründung einer Unabhängigen Sozialde- herbeizuführen und das sinnlos gewor- politischen Parteien Linksliberaler an. Professor Edgar Jaffé, mokratischen Partei Deutschlands (USPD) dene Sterben an den Fronten zu beenden. den Finanzminister, wird man hingegen im Frühjahr 1917. Ihr schloss sich in Bayern Mit der Revolution verband sich aber auch Mit der Revolution hatte die Antikriegsbe- als parteilosen Fachminister ansehen müs- auch Kurt Eisner an, der aufgrund seiner die Hoffnung auf eine rasche Verbesse- wegung ihr vorrangiges Ziel, die Beendi- sen, auch wenn er im Januar 1919 für die Beziehungen zu den bürgerlichen Pazi- rung der katastrophalen Versorgungslage gung des Krieges, erreicht. Auch die von USPD zum bayerischen Landtag kandi- fisten – aber auch zu den Anarchisten – und auf eine Rückkehr zur Normalität. Eisner schon im Januar 1918 geforderte dierte. Im Kabinett besaß die MSPD damit mehr und mehr zur Integrationsfigur der Der Autoritätsverfall der Monarchie resul- Demokratisierung von Staat und Gesell- ein klares Übergewicht. Durch Einbezie- Münchner Antikriegsbewegung wurde. tierte dabei nicht zuletzt aus der Tatsache, schaft war eingeleitet worden. Damit ge- hung der Liberalen sollte der demokrati- Der von der USPD initiierte Januarstreik dass der Kaiser und die Landesfürsten wannen die divergierenden Auffassun- sche Neuanfang auf eine möglichst breite des Jahres 1918 machte dann erstmals in ihrer Eigenschaft als Oberbefehlsha- gen unter den Kriegsgegnern wieder an Grundlage gestellt werden. auch in Bayern deutlich, dass die Kriegs- ber zumindest formal die Verantwortung Gewicht. Eisner war sich dieser Proble- Die Regierungsbildung blieb aber nicht gegner inzwischen eine Massenbasis ge- für den Krieg und die Niederlage trugen. matik bewusst und erkannte, dass er sei- das einzige Ereignis, das die politischen wonnen hatten.8 Durch die rigorose Ver- Dass die Beseitigung der Monarchie und nen auf die Revolution gestützten Herr- Kräfteverhältnisse auf eine neue Grund- haftung der Münchner Streikführer war die Demokratisierung von Staat und Ge- schafts- und Gestaltungsanspruch ohne lage stellte. Auch das bürgerliche Lager es den Ordnungskräften allerdings noch sellschaft vielen Zeitgenossen unvermeid- die Unterstützung der MSPD nur schwer meldete sich nun rasch wieder zu Wort.12 einmal gelungen, die Oppositionsbewe- lich erschienen, hatte aber auch damit zu realisieren konnte. Umgekehrt musste die Schon am 12. November wurde in Regens- gung in die Schranken zu weisen und ihre tun, dass der amerikanische Präsident, MSPD-Führung daran interessiert sein, burg in bewusster Abkehr vom Zentrum Aktionsfähigkeit rigoros zu beschneiden. Woodrow Wilson, in seinen außenpoliti- sich an der neuen Regierung zu beteiligen, die Bayerische Volkspartei (BVP) als po- Dass ausgerechnet Bayern in der Revoluti- schen Noten angekündigt hatte, mit Ver- wollte sie nicht riskieren, ihren Einfluss litische Vertretung der katholischen Be- on des Jahres 1918 eine führende Rolle zu- tretern des alten Systems keine Friedens- auf die Ausgestaltung des demokratischen völkerung gegründet. Die Linksliberalen kam, hatte in erster Linie mit dem krank- verhandlungen führen zu wollen. Neubeginns zu verlieren. Ungeachtet der (DVP/DDP) folgten am 17. November. 52 | Bernhard Grau: Revolution und Räterepublik Bernhard Grau: Revolution und Räterepublik | 53

Eine Woche später konstituierte sich die teln und einer „Diktatur der Arbeiterklas- vor den Wahlen zur deutschen National- sich dieses Thema auch als Argument im Bayerische Mittelpartei, die sich 1920 der se“ von Anfang an eine klare Absage. Wie versammlung. Kampf um die bayerische Wählerschaft. Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) im Reich und in den anderen deutschen Streit gab es auch um die Stellung und anschließen sollte. Gänzlich neu formierte Ländern begnügten sich die beiden sozi- Zukunft der Räte.15 Dabei hatte Eisner Die Wahlen zur bayerischen Natio- sich die äußerste Linke. Sie besaß zunächst aldemokratischen Parteien also im We- zur Beruhigung seiner Koalitionspartner nalversammlung vor allem in dem in der Revolutionsnacht sentlichen mit der Verwirklichung einer mehrfach erklärt, dass er die Räte keines- gebildeten Revolutionären Arbeiterrat liberaldemokratischen Staats- und Gesell- wegs als Parlamentsersatz verstand. Auch Am 12. Januar 1919 entschieden die Wäh- einen Referenzpunkt, ehe sich an der schaftsordnung. Mit einer solchen Politik beabsichtigte er nicht, den Räten exekuti- ler über die Zusammensetzung des neuen Jahreswende von 1918 auf 1919 der Spar- hatten die meisten Zeitgenossen, die die ve Befugnisse oder Aufsichtsrechte gegen- bayerischen Landtags. Diese Wahl wurde takusbund und andere linke Gruppierun- Sozialdemokratie nur aus der Berichter- über den staatlichen Behörden zu übertra- allgemein als entscheidende Weichenstel- gen zur Kommunistischen Partei (KPD) stattung der konservativen Medien kann- gen. Ebensowenig zog er allerdings den lung für die Zukunft von Staat und Ver- zusammenschlossen.13 Unmittelbare Fol- ten, nicht gerechnet. Dies trug sicher dazu vollständigen Verzicht auf die Räte in Er- fassung in Bayern verstanden. Es ist daher ge dieser Neuformierung der politischen bei, dass die neue Regierung zunächst viel wägung. Angesichts des fehlenden Rück- nicht verwunderlich, dass die politischen Parteien war eine rasch zunehmende Pola- Zustimmung erntete. halts an einer fest etablierten Parteiorga- Auseinandersetzungen im Vorfeld erheb- risierung der politischen Auseinanderset- Insgesamt belegen die Ergebnisse der Re- nisation stellten die Räte für Eisner den lich zunahmen. Auch die revolutionäre zungen, in deren Folge die neue Regierung gierungsarbeit eine große programmati- eigentlichen politischen Rückhalt dar, den Linke machte nun verstärkt mobil, obwohl sowohl von rechts als auch von links unter sche Nähe der beiden an der Regierung ganz aufzugeben seine eigene Position er- die KPD selbst die Wahl zur bayerischen Druck gesetzt wurde. beteiligten sozialdemokratischen Parteien. heblich geschwächt hätte. Die Negativer- Nationalversammlung boykottiert hat- Entgegen der Auffassung vieler Anhänger fahrungen, die er in den Kriegsjahren mit te. Ihr Fokus lag auf der Fortsetzung des Staats- und verfassungsrechtliche waren mit dem Ende des Krieges die Ge- der SPD und ihren Funktionären gesam- revolutionären Prozesses. Da sie dafür in Weichenstellungen gensätze zwischen den beiden Lagern aber melt hatte, bestärkten ihn ebenfalls darin, den von der Mehrheitssozialdemokratie nicht beendet und auch die persönlichen die Arbeiterräte als Gegengewicht gegen dominierten Räten wenig Rückhalt fand, Der Regierung Eisner gelang es in kurzer Gegensätze der führenden Parteivertreter den übermächtigen Partei- und Gewerk- blieb ihr nur der Druck der Straße. Als Zeit, wichtige Weichenstellungen vorzu- nicht ausgeräumt worden. Dies zeigte sich schaftsapparat zu betrachten. Darüber Hebel boten sich ihr dabei die durch die nehmen und Bayern in eine parlamentari- nicht nur am Streit um den Termin für die hinaus sah Eisner in den Räten Orte der Demobilisierung zusätzlich angefachten sche Demokratie nach westlichem Vorbild Landtagswahlen, sondern mehr noch an Meinungsbildung, Schulen der Demokra- sozialen Missstände, öffentlich erkennbar zu verwandeln.14 Errungenschaften der den Debatten über die Zukunft der Räte. tie und Pflanzstätten für die Rekrutierung an den Anfang Januar einsetzenden De- Revolution waren das allgemeine, glei- des politischen Nachwuchses. monstrationen der Kriegsbeschädigten che, direkte und geheime Verhältniswahl- Die Verschärfung der politischen Eisners sehr spezielle Rätevorstellungen und Arbeitslosen.16 recht, das erstmals auch die Frauen mit Auseinandersetzungen und die stießen nicht nur bei der MSPD, sondern Der Ernst der Lage wurde deutlich, als eine einschloss. Der auf diese Weise gewählte Zukunft der Räte auch in der Öffentlichkeit auf wenig Ver- Arbeitslosendemonstration am 7. Januar Landtag bestand nur noch aus einer Kam- ständnis. In der medialen Auseinanderset- in einer Schießerei endete, die drei Tote mer, kannte also kein ständisch verfasstes Die Festlegung des Zeitpunkts für die zung wurden die Räte vielmehr mit den und acht Verletzte forderte, und die Re- Gegenstück nach der Art der Kammer der Landtagswahlen wurde zum ersten ech- russischen Sowjets gleichgesetzt und als publikanische Schutztruppe in der Nacht Reichsräte mehr. Verwirklicht wurde fer- ten Belastungstest der neuen Regierung. Instanzen einer proletarischen Diktatur vom 10. auf den 11. Januar bewaffnet ge- ner die Trennung von Staat und Kirche, Während Eisner für einen späten Wahlter- angesehen. Den antirevolutionären Kräf- gen Linkssozialisten vorging. Die Eskala- was unter anderem die Beseitigung der min eintrat, plädierten die Mehrheitssozi- ten fiel es daher leicht, die Angst vor bol- tion der Gewalt veranlasste die Regierung kirchlichen Schulaufsicht zur Folge hatte. aldemokraten für den frühestmöglichen schewistischen Experimenten zu nutzen, Eisner, die Verhaftung einer Reihe führen- Weitere wichtige Errungenschaften der Zeitpunkt. Auch in der Presse wurde diese um die Regierung unter Druck zu setzen der Linksradikaler wie Erich Mühsam, Jo- Revolution waren die Meinungs- und die Frage heiß diskutiert und meist zugunsten und die Auseinandersetzung um die Räte sef Sontheimer und Max Levien anzuord- Pressefreiheit, die Koalitionsfreiheit und eines raschen Wahlgangs beantwortet. Mit auf den Gegensatz ‚Räte oder Parlament’ nen, eine Maßnahme, die sie wegen des der Acht-Stundentag, alles Anliegen, die Unterstützung Heinrich von Frauendor- zuzuspitzen. Selbst von Kabinettsmitglie- Drucks der Straße aber sogleich wieder die organisierte Arbeiterbewegung seit fers konnte sich im Kabinett letztlich die dern wurde Eisner Bolschewismus vor- rückgängig machen musste. langem verfochten hatte. Mehrheitssozialdemokratie durchsetzen, geworfen und unterstellt, er verstehe die In dieser aufgeheizten Stimmung fanden Überraschenderweise erteilten Mehrheits- so dass der Wahltermin auf den 12. Januar Räte als Gegengewicht zum Landtag. Spe- die Landtagswahlen statt.17 Sie endeten sozialdemokratie und Unabhängige der 1919 festgelegt wurde, exakt eine Woche ziell für die bürgerlichen Parteien eignete mit einem Sieg der Bayerischen Volkspar- Vergesellschaftung von Produktionsmit- tei, die 35 Prozent der Stimmen gewann 54 | Bernhard Grau: Revolution und Räterepublik Bernhard Grau: Revolution und Räterepublik | 55 und damit an die Vorkriegsergebnisse des Das Verhältnis zwischen Reich und Die Kriegsschuldfrage Die Ermordung Kurt Eisners und bayerischen Zentrums anknüpfen konnte. Ländern die Schüsse im Landtagsgebäude Die Mehrheitssozialdemokratie blieb mit Trotz seiner isolierten Stellung im Ka- 33 Prozent der Stimmen knapp dahinter, In die Phase zwischen der Wahl und dem binett hielt Eisner an seinen politischen Der Mord an Eisner am 21. Februar 1919 doch lag ihr Ergebnis deutlich über den Zusammentritt des Landtags fiel die Be- Überzeugungen fest. Dies galt insbeson- durch Anton Graf Arco auf Valley war die Resultaten, die die Vorkriegssozialdemo- kanntgabe des Entwurfs für die neue dere für seine Bemühungen um eine Auf- tragische Konsequenz der aufgeheizten kratie erzielt hatte. Eisners USPD erhielt Reichsverfassung, die der liberale Verfas- arbeitung der wahren Kriegsursachen und politischen Atmosphäre.21 Die Tat ereig- dagegen landesweit nur 2,5 Prozent der sungsrechtler Hugo Preuß ausgearbeitet um die Aussöhnung mit Deutschlands nete sich ausgerechnet am Tag der konsti- Stimmen beziehungsweise drei Abgeord- hatte und die stark unitarische Züge trug. Kriegsgegnern.20 Schon Ende November tuierenden Sitzung des bayerischen Land- netenmandate. Aus dem revolutionären In Bayern stieß der Verfassungsentwurf 1918 hatte er Dokumente aus den Akten tags, die mit dem Rücktritt der Regierung Erfolg konnte die Partei also kein Kapital daher auf einhellige Ablehnung. Zur der bayerischen Gesandtschaft in Berlin Eisner den Übergang zu einer regulären schlagen. Die Tatsache, dass sie in Mün- Wahrung der Eigenständigkeit der Län- veröffentlicht, um seine Auffassung zu Parlamentsherrschaft markieren sollte. chen etwa doppelt so viele Prozentpunk- der suchte die bayerische Regierung den untermauern, dass das Deutsche Reich die Stattdessen führte der Anschlag zu einer te erreichte wie auf Landesebene, machte Schulterschluss mit Baden, Württemberg, Verantwortung für den Kriegsausbruch weiteren Verschärfung der politischen immerhin offenkundig, dass die Revolu- Hessen und Sachsen.19 Zur Überraschung trage. Auf diese Weise hoffte er, die Welt- Lage. Rasch kursierten Verschwörungs- tion ein haupt- bzw. großstädtisches Phä- der Öffentlichkeit vertrat Eisner in diesen öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass theorien über die Hintermänner der Tat. nomen war und offenbarte damit einen Verhandlungen einen besonders radika- in Deutschland, speziell aber in Bayern Sie veranlassten den Schankkellner Alo- deutlichen Stadt-Land-Gegensatz. Zusam- len Standpunkt. Nach seiner Auffassung ein echter Bruch mit dem System der Ver- is Lindner, Mitglied der USPD und des men erreichten die beiden sozialdemokra- war das Deutsche Reich in der Revolution gangenheit erfolgt war. Davon versprach Revolutionären Arbeiterrates, bewaffnet tischen Parteien bei einer herausragend ersatzlos untergegangen. Ihm schwebte er sich einen Neustart der diplomatischen in die laufende Sitzung im Bayerischen hohen Wahlbeteiligung von 86,3 Prozent daher der Abschluss eines neuen Staats- Beziehungen und erträglichere Friedens- Landtag einzudringen, um dort den Füh- mehr als ein Drittel aller abgegebenen vertrags zur Errichtung der „Vereinigten bedingungen. Seine Aktivitäten richteten rer der Mehrheitssozialdemokraten, Er- Stimmen. Mit DDP (14,0 Prozent der Staaten von Deutschland“ unter Ein- sich allerdings auch nach innen, war es für hard Auer, zu töten, den er für den Mord Stimmen) und Bauernbund (9,1 Prozent) schluss Deutsch-Österreichs vor. Dem einen glaubhaften demokratischen Neu- verantwortlich machte. Bei der von ihm kamen die Parteien des demokratischen Reich sollten dabei nur diejenigen Kompe- anfang aus seiner Sicht doch unverzicht- ausgelösten Schießerei kamen auch der Neuanfangs in Bayern sogar auf eine ab- tenzen übertragen werden, die zwingend bar, die Deutschen über die wahren Ursa- Pasinger BVP-Abgeordnete Heinrich Osel solute Stimmenmehrheit. gemeinsam zu erledigen waren. chen des Ersten Weltkriegs aufzuklären. und Major Paul von Jahreiß, ein Referent Dennoch stellte der Ausgang der Wah- Die bayerische Mehrheitssozialdemokra- In dieser Absicht ließ sich Eisner nicht ein- des Staatsministeriums für militärische len die Legitimation der revolutionären tie lehnte einen zentralistischen Staatsauf- mal durch die Berichterstattung der Medi- Angelegenheiten, ums Leben. Regierung und ihre Handlungsoptionen bau zwar ebenfalls ab, plädierte im Gegen- en bremsen, die ihm Nestbeschmutzung Der offene, politisch motivierte Mord war massiv in Frage und weckte Erwartungen satz zu Eisner aber dafür, das bestehende und Vaterlandsverrat vorwarfen. Deutlich in der Münchner Revolution etwas Neues auf eine baldige Einberufung des Land- Verhältnis von Reich und Ländern fortzu- wurde dies Anfang Februar 1919, als er und hievte die revolutionäre Entwicklung tags und die Bildung einer neuen Regie- schreiben. Ähnlich sahen das die Regie- zum Internationalen Sozialistenkongress auf ein neues Niveau. Die Landtagssit- rung. Wenn dennoch mit einer längeren rungen der übrigen süddeutschen Länder. in Bern fuhr, um seine Sicht der Kriegs- zung endete abrupt, ohne Wahl einer neu- Übergangsphase zu rechnen war, lag dies In der Öffentlichkeit wurden Eisner sogar schuldfrage auch auf internationaler Büh- en Regierung und ohne Termin für eine vor allem an der Pfalz. Da die Wahlvorbe- separatistische Absichten unterstellt. So ne zu propagieren. Politisch hat ihm sein Folgesitzung. Ohne ihren Ministerpräsi- reitungen dort von der französischen Be- wurde letztlich eine Verhandlungslösung Auftritt in Bern ohne Zweifel erheblich denten und Außenminister sowie ohne satzungsmacht behindert worden waren, mit der Regierung der Volksbeauftragten geschadet. Die deutsche Presse reagierte den Innenminister war die bestehende konnte in diesem Regierungsbezirk erst in Berlin gesucht. Dabei gelang es zumin- erneut verständnislos, wenn nicht sogar Regierung nur noch ein Torso und kaum am 2. Februar gewählt werden. So wurde dest, den Verfassungsentwurf zu entschär- offen feindselig. An der Universität Mün- noch handlungsfähig, zumal auch der der Termin für die konstituierende Sit- fen und zu verhindern, dass die Länder zu chen kursierten Flugblätter, die kaum ver- Militärminister, Albert Roßhaupter, aus zung des bayerischen Landtags schließlich reinen Selbstverwaltungskörperschaften klausuliert zum Mord an Eisner aufriefen. Angst vor weiteren Attentaten untertauch- auf den 21. Februar festgelegt.18 herabsanken. In kürzester Zeit entstand so eine Pogrom- te.22 USPD und Gewerkschaften nahmen stimmung, die die seit Januar spürbare den Mord an Eisner hingegen zum Anlass, Gewaltbereitschaft weiter anheizte. den Generalstreik auszurufen, um so für den Erhalt der revolutionären Errungen- schaften zu demonstrieren. 56 | Bernhard Grau: Revolution und Räterepublik Bernhard Grau: Revolution und Räterepublik | 57

Parlamentarische Demokratie oder ten aus. Hoffmann selbst übernahm dabei Die Mehrheitssozialdemokratie hingegen sare daher auf Südbayern und hier vor Räteherrschaft? nicht nur das Amt des Ministerpräsiden- hatte – auch auf Anraten aus Berlin – eine allem auf München und Augsburg sowie ten und das des Außenministers, sondern Beteiligung abgelehnt und beschlossen, deren näheres Einzugsgebiet. Der Mord an Eisner und der Anschlag auf behielt auch das Kultusministerium bei. die Regierung Hoffmann zu unterstützen. Die Minister der Regierung Hoffmann Auer hinterließen ein machtpolitisches Außerdem besetzte die MSPD das Innen- Dies hinderte zwar einzelne Parteimitglie- und die Abgeordneten der Nationalver- Vakuum, das umgehend von den Arbei- (Martin Segitz), das Justiz- (Fritz End- der nicht daran, sich der Räterepublik an- sammlung hatten die Landeshauptstadt ter-, Bauern- und Soldatenräten ausgefüllt res), und das Militärministerium (Ernst zuschließen, schmälerte deren politische verlassen und in Bamberg Zuflucht ge- wurde.23 Noch am 21. Februar bildeten sich Schneppenhorst). Heinrich von Frauen- Basis aber ganz erheblich. Dass die Räte- sucht. Von dort aus suchte die Regierung ein Zentralrat und ein Aktionsausschuss, dorfer blieb Verkehrs-, Hans Unterleit- republik von Anfang an auf schwachen die „Befreiung“ Münchens zu organisie- die dafür sorgten, dass der Kongress der ner Sozialminister. Das neu eingerichtete Beinen stand, hatte auch damit zu tun, ren, zunächst indem sie über der Landes- Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte, der Landwirtschaftsministerium ging an den dass die Kommunisten eine Mitwirkung hauptstadt Flugblätter abwerfen ließ, um sich am 20. Februar aufgelöst hatte, für Bauernbündler Martin Steiner, Handel, wegen fehlender politischer Klarheit und den Herrschaftsanspruch der Räterepub- den 25. Februar erneut einberufen wur- Industrie und Gewerbe an Josef Simon begrenzten Erfolgsaussichten ebenfalls lik zu bestreiten. Gleichzeitig wurde die de. Weitere Sofortmaßnahmen waren die von der USPD. Finanzminister wurde der ablehnten. Bevölkerung zur Bildung von Freiwilli- Ausrufung des Belagerungszustandes, parteilose Beamte Karl Neumeier.24 So kamen die am 7. April eingesetzten genverbänden aufgerufen. Die Bemühun- die Verhängung der Vorzensur über die Die Bildung der Regierung Hoffmann Volkskommissare überwiegend aus den gen um eine innerbayerische Lösung des bürgerliche Presse und die Verhaftung vermochte das Machtvakuum allerdings Reihen der USPD (5) und des Bauern- Konflikts verfehlten aber ihre Wirkung, von Geiseln. Der wieder einberufene Räte- nicht zu beseitigen, da die Räte ihren An- bunds (3). Volkskommissar für das Äu- da der Versuch der Republikanischen kongress übernahm dagegen die Rolle des spruch auf Mitbestimmung nicht aufga- ßere wurde Franz Lipp, Volkskommis- Schutztruppe, am 13. April die Münch- zersprengten Landtags.24 Die von ihm ini- ben. Auch erwies sich die neue Regierung sar für das Innere Fritz Soldmann. Der ner Räteherrschaft von innen zu stürzen, tiierte Neukonstituierung des Aktionsaus- ohne Rückendeckung durch den Landtag USPD gehörten außerdem August Hage- kläglich scheiterte.28 Zwar gelang es, eine schusses und des Zentralrats führte einen als wenig durchsetzungsstark. Das führte meister (Volkswohlfahrt), Gustav Pau- Reihe führender Räterepublikaner, dar- spürbaren Linksrutsch herbei. Während zu einem unproduktiven Nebeneinander lukum (Verkehr) sowie Arnold Wadler unter Erich Mühsam, Fritz Soldmann und die MSPD sichtlich an Einfluss verlor, ge- von Regierung und Räten, das bis Anfang (Wohnungswesen) an. Der Bauernbund Arnold Wadler zu verhaften und aus der wann die USPD an Gewicht. Der Einfluss April andauerte. Der latente Gegensatz übernahm dagegen die Justiz (Konrad Stadt zu schaffen, einige Volkskommissa- der KPD und des Revolutionären Arbei- wandelte sich in offene Konfrontation, als Kübler), die Landwirtschaft (Martin Stei- re wie Gustav Landauer und Ernst Toller terrates blieb allerdings begrenzt, so dass Hoffmann am 3. April 1919 die neuerliche ner) und das Ernährungswesen (Johann konnten sich dem Zugriff aber entziehen. eine Rückkehr zu geordneten politischen Einberufung des Landtags ankündigte. Wutzlhofer). Die Volksaufklärung ging Auch hatten die Putschisten offenbar nicht Verhältnissen nach wie vor im Bereich des Dieser Vorstoß alarmierte die Räte und an Gustav Landauer, die Verantwortung damit gerechnet, dass es zu Protesten und Möglichen lag. setzte eine fatale Entwicklung in Gang, die für das Finanzwesen an den Begründer zu bewaffnetem Widerstand kommen Dass im Rätekongress die gemäßigten am 7. April in die Ausrufung der Rätere- der Freiwirtschaftslehre Silvio Gesell. würde und dass die Kommunisten ihre Kräfte weiterhin die Mehrheit besaßen, publik in München einmündete.26 Die Sozialisierung wurde dem Leiter des bis dahin gewahrte Zurückhaltung auf- wurde nicht nur dadurch deutlich, dass Zentralwirtschaftsamtes, dem parteilosen geben würden. Die von ihnen kurzfristig die vom Revolutionären Arbeiterrat be- Die Räterepublik der Unabhängi- österreichischen Nationalökonomen Otto aufgebotenen Arbeiterwehren zwangen antragte Ausrufung der sozialistischen gen und Anarchisten Neurath anvertraut. die Republikanische Schutztruppe, sich in Räterepublik mit großer Mehrheit abge- Der Zentralrat der Arbeiter-, Bauern- und den Münchner Hauptbahnhof zurückzu- lehnt wurde. Als die vom Kongress ange- An der Sitzung im Wittelsbacherpalais, auf Soldatenräte und die von ihm eingesetz- ziehen und schließlich sogar per Bahn aus stoßene Bildung einer neuen Regierung der die Ausrufung der Räterepublik be- ten Volkskommissare nahmen für sich in München zu fliehen. am Widerstand der MSPD zu scheitern schlossen wurde, nahmen neben dem Zen- Anspruch, ganz Bayern zu repräsentieren. drohte, vertagte sich der Kongress sogar tralratsvorsitzenden Ernst Niekisch unter Von diesem Anspruch war die „Baierische Die zweite Räterepublik auf unbestimmte Zeit und machte so den anderem auch die Münchner Anarchisten Räterepublik“ allerdings weit entfernt. Weg für eine neuerliche Sitzung des bay- Gustav Landauer und Erich Mühsam so- Zwar schlossen sich in den nächsten Tagen Mit dem „Palmsonntagsputsch“ fand die erischen Landtags frei. Sie fand am 17. wie Ernst Toller von der USPD teil.27 Die eine ganze Reihe bayerischer Großstädte Räteherrschaft der Unabhängigen und und 18. März 1919 statt, bestimmte eine USPD war dabei die einzige Partei, die die der Räterepublik an, doch erwiesen sich Anarchisten ihr Ende, da nunmehr die neue Regierung unter dem Mehrheitsso- Räterepublik vorbehaltlos befürwortete. diese Räterepubliken meist als schwach Kommunisten das Heft des Handelns an zialdemokraten Johannes Hoffmann und Unterstützt wurde sie außerdem vom lin- und kurzlebig. Letztlich beschränkte sich sich rissen und die Herrschaft des Zen- stattete sie mit weitreichenden Vollmach- ken Flügel des Bayerischen Bauernbunds. der Einfluss der Münchner Volkskommis- tralrats beendeten. Die starken Männer 58 | Bernhard Grau: Revolution und Räterepublik Bernhard Grau: Revolution und Räterepublik | 59 hießen nun Eugen Leviné, Max Levien gener militärischer Technik und unglaub- tion,_1918/1919> (17.6.2018); Michael Appel, Die Sonja Rabinowitz von Cornelia Naumann, Lich/ und Willi Budich. Erste Maßnahmen der licher Brutalität vor. Als Vorwand diente letzte Nacht der Monarchie. Wie die Revolution Hessen 2018. 9 Zur Entstehung der Revolution in Bayern Kommunisten waren die Ausrufung des ihnen dabei die Erschießung von Geiseln und Räterepublik in München Adolf Hitler her- vorbrachten, München 2018. siehe Bernhard Grau, Revolution in Bayern. Kurt Generalstreiks, der neun Tage andauerte, im Münchner Luitpoldgymnasium, die 2 Siehe hierzu etwa Eberhard Kolb/Dirk Schu- Eisner und das Ende der Monarchie in Bayern, in: sowie die Inhaftierung von Mitgliedern Rudolf Egelhofer nach dem Bekanntwer- mann, Die Weimarer Republik (= Oldenbourg Günther Kronenbitter/Markus Pöhlmann (Ko- der gegenrevolutionären Thule-Gesell- den erster Greuelnachrichten angeordnet Grundriss der Geschichte, Bd. 16), München 2013, ord.), Bayern und der Erste Weltkrieg, o.O. [Mün- chen], o.J. [2017], S. 202-216. 33 S. 2-5. schaft. Die Kommunisten begannen auch hatte. Die weißen Truppen reagierten auf 3 Siehe etwa Zorn (wie Anm. 1), S. 120-122. 10 Zur Regierungsbildung siehe Franz J. Bauer, sofort mit dem Aufbau einer Roten Ar- diese Tat mit Gegenterror, der nicht nur 4 Zu Kurt Eisner siehe Freya Eisner, Kurt Eis- Einleitung, in: Ders. (Bearb.), Die Regierung Eis- mee, deren Truppenstärke auf etwa 10.000 Angehörige der Roten Armee traf, son- ner: Die Politik des libertären Sozialismus, Frank- ner 1918/19. Ministerratsprotokolle und Doku- 29 furt a.M. 1979; Bernhard Grau, Kurt Eisner 1867- mente (= Quellen zur Geschichte des Parlamenta- Mann geschätzt wird. Sie war schon zwei dern viele Sympathisanten und Unbetei- 1919. Eine Biographie, München 2001 rismus und der politischen Parteien, Erste Reihe, Tage nach dem Putsch, am 15. April, in ligte das Leben kostete. (Neuauflage 2017); Albert Earle Gurganus, Kurt Bd. 10), Düsseldorf 1987, S. IX-LXXV, hier S. XX- der Lage, die auf die Stadt vorrückenden Die gewaltsame Befreiung Münchens Eisner. A modern Life, Rochester/New York 2018. XXIX. 11 Zu Erhard Auer und der Rolle der bayeri- Regierungstruppen bei Schleißheim und hinterließ eine tief gespaltene Stadtgesell- 5 Zu Entstehung und Entwicklung der zentra- len Rätegremien siehe Georg Köglmeier, Die schen Mehrheitssozialdemokratie siehe Markus Dachau zurückzuwerfen. Zu einer ein- schaft. Die von der BVP tolerierte Minder- zentralen Rätegremien in Bayern 1918/19. Legiti- Schmalzl, Erhard Auer. Wegbereiter der parla- drucksvollen Demonstration der Stärke heitsregierung unter Johannes Hoffmann mation – Organisation – Funktion (= Schriftenrei- mentarischen Demokratie in Bayern (= Münche- und des Selbstbehauptungswillens wurde hatte nicht nur im Bürgertum, sondern he zur bayerischen Landesgeschichte, Bd. 135), ner Historische Studien, Abteilung Bayerische München 2001. Zur Entwicklung der Räte außer- Geschichte, Bd. XX), Kallmünz/OPf. 2013. die große Truppenschau, die die Rote Ar- mehr noch auf der Linken, die über den halb Münchens siehe Martin Müller-Aenis, Sozi- 12 Wolfgang Ehberger, Bayerns Weg zur parla- mee am 22. April in München abhielt.30 Ereignissen endgültig in einander feind- aldemokratie und Rätebewegung in der Provinz. mentarischen Demokratie. Die Entstehung der Auf der Gegenseite war die Initiative in- lich gegenüberstehende Lager zerbrach, Schwaben und Mittelfranken in der bayerischen Bamberger Verfassung vom 14. August 1919 (= Revolution 1918-1919, München 1986. Schriften zur bayerischen Verfassungs- und Sozi- zwischen ganz auf das Reich übergegan- massiv an Zustimmung eingebüßt. Ihr 6 Siehe dazu etwa Susanne Miller, Burgfrieden algeschichte, Bd. XXIX), München 2013, S. 64-77; gen, das nunmehr Militäreinheiten im Um- haftete zudem das Odium an, Reichs- und Klassenkampf. Die deutsche Sozialdemokra- Winfried Becker, Bayerische Volkspartei (BVP), fang von schätzungsweise 20.000 Soldaten wehreinheiten nach Bayern gebracht und tie im Ersten Weltkrieg (= Beiträge zur Geschichte 1918-1933, publiziert am 11.04.2016, in: Histori- des Parlamentarismus und der politischen Partei- sches Lexikon Bayerns, URL: (17.6.2018). Petrus den regulären Reichswehreinheiten han- Ritter von Epp ein bayerischer Offizier pretation des sozialdemokratischen Burgfriedens- Müller, Deutsche Demokratische Partei in Bayern (DDP), 1918-1930, publiziert am 08.01.2007, in: delte es sich dabei vor allem um Freiwil- zum Befreier Münchens stilisiert, der schlusses 1914/15, Essen 1993; Gerhard Hirsch- feld/Gerd Krumeich, Deutschland im Ersten Historisches Lexikon Bayerns, URL: (17.6.2018). Elina Kiskinen, Bayerische 7 Zur Entstehung einer Antikriegsbewegung in Mittelpartei (BMP) - Deutschnationale Volkspar- sich nicht zuletzt durch ihren unverhohlen Bayern siehe etwa: Karl-Ludwig Ay, Die Entste- tei (DNVP), 1918-1932/33, publiziert am zur Schau getragenen Antibolschewismus hung einer Revolution. Die Volksstimmung in 28.08.2006, in: Historisches Lexikon Bayerns, auszeichneten.32 Bayern während des Ersten Weltkrieges (= Beiträ- URL: (17.6.2018). nommen wurde, schloss sich der Belage- he etwa Allan Mitchell, Revolution in Bayern Münchner USP zwischen 1917 und 1920, masch. 13 Zur KPD siehe Hartmut Mehringer, Die KPD in Bayern 1919-1945. Vorgeschichte, Verfolgung rungsring um München erst in den letzten 1918/19, München 1967; Wolfgang Zorn, Bayerns Magisterarbeit, München 1989, S. 17-72; Grau, Eisner (wie Anm. 4), S. 296-342. und Widerstand, in: Martin Broszat/Hartmut Apriltagen. Die Einschnürung hatte zur Geschichte im 20. Jahrhundert. Von der Monar- chie zum Bundesland, München 1986, S. 145-209; 8 Zum Januarstreik in Bayern siehe Werner Mehringer (Hrsg.), Bayern in der NS-Zeit, Bd. V, Die Parteien KPD, SPD, BVP in Verfolgung und Folge, dass die Macht nunmehr fast voll- Martin H. Geyer, Verkehrte Welt. Revolution, Boldt, Der Januarstreik 1918 in Bayern mit beson- Widerstand, München 1983, S. 1-286, hier S. 5-12; Inflation und Moderne: München 1914-1924 (= derer Berücksichtigung Nürnbergs, in: Jahrbuch ständig auf die Rote Armee unter Füh- Friedbert Mühldorfer, Kommunistische Partei Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, für fränkische Landesforschung, Bd. 25 (1965), S. rung Rudolf Egelhofers überging und der 5-42; Bernhard Grau, Der Januarstreik 1918 in Deutschlands (KPD), 1919-1933/1945-1956, publi- Bd. 128), Göttingen 1998; Ralf Höllerer, Der An- militärischen Verteidigung alles andere München, in: Georg Jenal (Hrsg.), Gegenwart in ziert am 11.07.2007, in: Historisches Lexikon fang, der ein Ende war. Die Revolution in Bayern Vergangenheit. Beiträge zur Kultur und Ge- Bayerns, URL: und nahmen bürgerkriegsartige Züge an. Handbuch der Bayerischen Geschichte, Bd. IV/1, chen 1993, S. 277-300; Günther Gerstenberg, Der (17.6.2018). Gegen die Rote Armee, die punktuell er- München 2003, S. 439-470; Bernhard Grau, Re- kurze Traum vom Frieden. Ein Beitrag zur Vorge- 14 Zur Entstehung und zum Inhalt der Verfas- volution, 1918/1919, publiziert am 09.05.2008; in: schichte des Umsturzes in München 1918 mit sung von 1919 siehe Werner Wagenhöfer/Robert bitterten Widerstand leistete, gingen die Historisches Lexikon Bayerns, URL:

Demokratie. Die Bamberger Verfassung 1919, reihe der Georg-von-Vollmar-Akademie, Bd. 3), Bamberg 1999; Ehberger (wie Anm. 12); Christian S. 195-217; Ehberger/Merz (wie Anm. 22), S. 6*- Georg Ruf, Die Bayerische Verfassung vom 14. 21*. August 1919 (= Schriften zum Landesverfassungs- 26 Zur Ausrufung der Räterepublik siehe etwa recht, Bd. 4), Münster 2014. Höllerer (wie Anm. 1), S. 180-192. 15 Zur Diskussion um die Räte siehe Bernhard 27 Zur ersten Räterepublik siehe insbesondere: Grau, Die halbe Macht den Räten? Kurt Eisners Michael Seligmann, Aufstand der Räte. Die erste staatsrechtliche Vorstellungen, in: Wagenhöfer/ bayerische Räterepublik vom 7. April 1919, 2 Zink (wie Anm. 14), S. 87-113; Köglmeier (wie Bde., Grafenau 1989. Anm. 5), S. 72-84; Ehberger (wie Anm. 12), 28 Zum so genannten Palmsonntagsputsch siehe S. 52-77. Ebd., S. 509-534; Florian Sepp, Palmsonntags- 16 Zorn (wie Anm. 1), S. 164f.; Bauer (wie Anm. putsch, 13. April 1919, publiziert am 11.05.2006, 10), S. 258f. (auch Anm. 3 und 4) sowie S. 281-283 in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: (17.6.2018). 1988, S. 100-102. 29 Walter Roos, Die Rote Armee der bayerischen 17 Zu den Wahlen in Bayern im Januar 1918 Räterepublik in München 1919, Heidelberg 1998. siehe Grau, Studien (wie Anm. 7), S. 86-101. 30 Zur Truppenschau vom 22. April 1919 siehe 18 Siehe das Ministerratsprotokoll vom 21. Janu- Herz/Halfbrod (wie Anm. 16), S. 135-146. ar 1919, abgedruckt bei Bauer (wie Anm. 10), 31 Zur Niederschlagung der Räterepublik siehe S. 322-327, hier S. 326. ebd., S. 155-182. 19 Siehe Bauer (wie Anm. 10), S. 339-344. Siehe 32 Siehe etwa Peter Keller, „Die Wehrmacht der ferner Wolfgang Benz, Süddeutschland in der Deutschen Republik ist die Reichswehr“. Die Weimarer Republik. Ein Beitrag zur deutschen deutsche Armee 1918-1921 (=Krieg in der Ge- Innenpolitik 1919-1923, Berlin 1970 (= Beiträge zu schichte, Bd. 82), Paderborn 2014, S. 125-136. einer historischen Strukturanalyse Bayerns im 33 Zur Geiselerschießung siehe ebd., S. 183-192. Industriezeitalter, Bd. 4), S. 51-113; Grau (wie 34 Zu Franz Xaver Epp siehe ebd., S. 231-236; Anm. 4), S. 405-421. Katja Maria Wächter, Die Macht der Ohnmacht. 20 Siehe insbesondere Pius Dirr (Hrsg.), Bayeri- Leben und Politik des Franz Xaver Ritter von Epp sche Dokumente zum Kriegsausbruch und zum (1868-1946), Frankfurt a.M. 1999; Bernhard Grau, Versailler Schuldspruch, München/Berlin (2. Steigbügelhalter des NS-Staates – Franz Xaver Aufl.) 1924; Gerhard A. Ritter (Hrsg.), Die II. -In Ritter von Epp und die Zeit des `Dritten Reiches´, ternationale 1918/1919. Protokolle Memoranden, in: Marita Krauss (Hrsg.), Rechte Karrieren in Berichte und Korrespondenzen, Bd. I, Berlin/ München. Von der Weimarer Zeit bis in die Nach- Bonn 1980; Grau (wie Anm. 4), S. 385-405. kriegsjahre, München 2010, S. 29-51. 21 Zur Ermordung Eisners siehe Ulrike Claudia Hofmann, Politische Morde (Weimarer Republik), publiziert am 11.05.2006, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: (17.6.2018). 22 Wolfgang Ehberger/Johannes Merz (Bearb.), Das Kabinett Hoffmann I. 17. März - 31. Mai 1919 (= Die Protokolle des bayerischen Ministerrats 1919 - 1945), München 2010, S. 10*. 23 Zur zweiten Revolution in Bayern siehe Kögl- meier (wie Anm. 5), S. 288-315; Markus Schmalzl, Zweite Revolution, 1919, publiziert am 08.06.2009, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: (17.6.2018). 24 Stenographischer Bericht über die Verhand- lungen des Kongresses der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte vom 25. Februar bis 8. März, Mün- chen 1919. 25 Zur Regierungsbildung siehe Diethard Hen- nig, Johannes Hoffmann, Sozialdemokrat und Bayerischer Ministerpräsident. Biographie, Mün- chen/London/New York/ 1990 (= Schriften- 63

Niels Ungruhe Revolutionäre Kadertruppe oder Söldner mit „ehrloser Gesinnung“? Zur Sozialgeschichte der „Roten Armee“ von München 1919

Der Begriff „Rote Armee“ weckt zahlrei- pen sollten die neue politische Ordnung che Assoziationen, wie zum Beispiel die durchgesetzt und mögliche konterrevolu- einer Arbeiter- und Bauernarmee oder tionäre Angriffe abgewehrt werden. einer „sowjetrussischen“ Erfindung; er Bei der Betrachtung der Radikalisierungs- weist auf Bürgerkrieg, Revolution, Ge- phase der Münchener Räterepublik ab walt, Klassenkampf, politische Ideologie dem 14. April 1919 wird dabei schnell oder Kommunismus. klar, wie wichtig die Bedeutung von mi- Bei genauerem Hinsehen wird jedoch litärischem „Know-How“ war. Von den deutlich, dass diese pauschalen Begrif- höheren Funktionären der Räterepublik fe unzureichend sind, um ein genaues verfügten lediglich Ernst Toller, Erich Bild zu zeichnen. In der reichhaltigen Wollenberg, Rudolf Egelhofer, Gustav geschichtswissenschaftlichen Forschung Klingelhöfer sowie Max Levien über mili- über die Zeit der Münchener Räterepublik tärische Erfahrungen. Umso wichtiger war 1919 spielt das wichtige Thema der Mün- es, für die Durchsetzung und Stützung chener „Roten Armee“ bisher meist eine der revolutionären Bestrebungen weite- untergeordnete Rolle. res kriegserfahrenes und mit der Beherr- Häufig wurde in der Forschung eine an- schung des militärischen „Handwerks- dere, stärker politische Perspektive auf die zeugs“ vertrautes Personal zu gewinnen, Ereignisse gewählt, bei der die Ereignisse das auch ideologisch verlässlich sein soll- von April bis Mai 1919 aus der Sichtweise te. Wie sich herausstellen sollte, war das politischer und intellektueller Führungs- schwierig. personen betrachtet werden.1 Gerade dieser militärischen „Mikroebe- Die Anführer der Räterepublik konnten ne“ im München des Jahres 1919 wurde ihre Ziele nicht auf dem Weg von Refor- in der Forschung häufig zu wenig Auf- men erreichen. Um in Bayern an die Macht merksamkeit geschenkt. Mikroperspekti- zu gelangen, setzten sie auf eine starke be- ven können helfen, den wenig konkreten waffnete Basis und revolutionäre Gewalt. Begriff „Rote Armee“ näher zu beleuchten Nach dem Vorbild der Bolschewiki riefen und ihm ein individuelles Gesicht zu ge- sie eine sogenannte „Rote Armee“ bzw. ben. Mit den Fragen, wer die Mitglieder „Rote Garde“ ins Leben. Mit diesen Trup- der „Roten Armee“ waren und warum sie 64 | Niels Ungruhe: „Rote Armee“ Niels Ungruhe: „Rote Armee“ | 65 gekämpft haben, können aufschlussreiche Personen, die gegenüber der Räterepub- wendigen Dokumente, wie z.B. Zeugen- fene Zeit ansahen, gaben sie ideologisch Erkenntnisse zu den Trägern dieser para- lik positiv bis neutral eingestellt waren, aussagen, Beweismittel, Verhörprotokolle, dem revolutionären Umbruch den Vorzug militärischen Gruppe erlangt werden. stehen kaum zur Verfügung.5 Schließlich Verhandlungsprotokolle und Urteilsbe- vor parlamentarischen Wahlen. Besonders existierte die „Rote Armee“ nur kurze gründungen. Wegen der erheblichen An- in München herrschte daher für heim- Die Quellenlage Zeit. Zwischen Aufbau und Zerfall der zahl der 1919 beteiligten Personen kam kehrende Soldaten und die Bevölkerung roten Truppen lagen gerade einmal drei es jedoch auch vor, dass Sammelprozesse gleichermaßen eine politisch äußerst un- Eine sozialgeschichtliche Untersuchung bis vier Wochen. Trotz großer Bemühun- geführt wurden. Das bedeutet, dass es bei übersichtliche Lage. Vor allem wurde die der Münchner „Roten Armee“ steht vor gen, eine professionelle Verwaltung für unter einer Aktennummer gesammelten chaotische Situation nach dem Zusam- einer schwierigen Quellenlage. Viele Pu- die „Rote Armee“ aufzubauen, reichte die juristischen Vorgängen manchmal um menbruch zentraler Strukturen des ehe- blikationen zu diesem Thema sind erst in Zeit dafür nicht aus. Eine nur rudimentär mehrere Beschuldigte ging bzw. Sammel- maligen Obrigkeitsstaates zunehmend als großem zeitlichem Abstand entstanden. funktionierende Militärverwaltung er- urteile vorliegen können. Bedrohung für die öffentliche Sicherheit Manche Darstellungen haben Romancha- zeugte bei unklaren Zuständigkeiten nur Die genauen Umstände und Abläufe der wahrgenommen. rakter oder eine offensichtliche politische geringe Mengen der für Armeen typischen Prozesse und der tatsächliche Umgang In diesem Machtvakuum versuchten sehr Tendenz. Unter den bekannten Autoren Akten. Ohne einen funktionierenden bü- mit den Beschuldigten können heute nicht bald viele Gruppen, lokale Ordnungs- vertraten etwa Georg Escherich und Josef rokratischen Apparat war die Verwaltung mehr nachvollzogen werden. Klar ist, dass strukturen zu etablieren. Neben dem in Hofmiller politisch konservative bis reak- der „Roten Armee“ zur Improvisation ge- solche Prozesse nicht nach den heute zu München am 8. November 1918 einge- tionäre Meinungen, bieten kontextualisiert zwungen. erwartenden rechtsstaatlichen Prinzipien richteten Arbeiter-, Bauern- und Solda- aber wichtige Einblicke als Zeitzeugen.2 Außerdem wird Geschichte bekanntlich abliefen. Außerdem sagen Beschuldigte tenrat bildeten sich Betriebsräte und unter Auch bedeutende Quelleneditionen legen in erster Linie von Siegern geschrieben. vor Gericht schon aus Gründen des Selbst- den Truppen der Münchener Garnison ihr Augenmerk vornehmlich auf politische Bei der „Roten Armee“ handelt es sich um schutzes nicht immer die Wahrheit. Den- autonome Kasernenräte. Selbst als am Vorgänge. Dort abgedruckte zeitgenössi- eine unterlegene und letztlich vollständig noch erhielt jeder Beschuldigte der „Roten 17. März 1919 der neue Bayerische Land- sche Flugblätter, Plakate oder politische besiegte paramilitärische Gruppierung. Armee“ die Möglichkeit, Stellung zu be- tag Johannes Hoffmann zum Ministerprä- Erlasse stellen zwar durchaus wichtige Viele Unterlagen wurden aus Angst vor ziehen. sidenten wählte, blieben die Soldatenräte Zeitdokumente dar, sind aber unzurei- Strafverfolgung, politischer Repression Die Untersuchungen geschahen kurz nach als wichtige Kasernenvorstände bestehen. chend, um Gewaltsituationen oder Sozial- oder Racheakten vernichtet oder versteckt. den Ereignissen, sodass die Quellen in der Der de facto existierende Dualismus zwi- strukturen zu verstehen.3 Flugblätter und Unmittelbar nach der Niederschlagung Regel aus der Zeit von Mai bis Juli 1919 schen Räten und Parlament gipfelte am Plakate wurden außerdem so inflationär der Aufstandsbewegung wurden viele stammen. Die Gerichtsbarkeit lag dabei 7. April 1919 in der Ausrufung der Räte- gedruckt, dass sie von vielen Zeitgenossen Rotarmisten sowie Unbeteiligte Opfer von nicht bei Angehörigen der Armee, sondern republik in Augsburg und München und kaum noch ernst genommen wurden. Aus- Misshandlungen und Morden durch die bei ausgebildeten Juristen. Auch wenn si- dem Beschluss zur Neuschaffung einer sagen konnten sich dabei widersprechen in München einmarschierenden Freikorps cherlich bürgerlich-konservative Ressenti- offiziellen „Roten Armee“. Die Aufstel- oder wurden bereits nach sehr kurzer Zeit und Regierungstruppen.6 ments der Richter zu beachten sind, wäre lung dieser Armee ging jedoch zunächst durch neue Bekanntmachungen ersetzt. es falsch, die Prozesse lediglich als forma- nur schleppend voran. Eine ernstzuneh- Besonders zum Ende der Räterepublik Gerichtliche Strafprozessakten lisierte Rechtfertigungen anzusehen, um mende Armee bildete sich erst nach dem zweifelten Zeitgenossen immer stärker an vorab feststehende Urteile zu begründen. Palmsonntagsputsch am 13. April. Der ge- der Wirkkraft dieser Veröffentlichungen. Eine gute Möglichkeit bei der sozialge- scheiterte Putschversuch der „Republika- Schriftliche Selbstzeugnisse von Angehö- schichtlichen Quellensuche bieten Straf- Die Rahmenbedingungen und der nischen Schutztruppe“ führte zu weiterer rigen der „Roten Armee“ sind schon des- prozessakten. Die in diesem Beitrag zu- Verlauf politischer Radikalisierung. Viele Män- halb rar, weil diese Männer in der Regel sammengetragenen Merkmale der „Roten ner, besonders aus dem Münchner Arbei- keinen bürgerlichen Bildungshintergrund Armee“ beruhen zum großen Teil auf ei- In Bayern brachen nach dem Waffenstill- termilieu und der Soldatenschaft, traten besaßen. Viele jugendliche „Rotarmisten“ nem zufälligen Querschnitt mit 100 Akten- stand am 11. November 1918 innerhalb nunmehr der „Roten Garde“ oder „Roten hatten nur eine sehr geringe Schulbildung. nummern. der politischen Linken heftige Konflik- Armee“ bei. Im Gegensatz zu einem langen Konflikt Dabei handelt es sich um die Akten der te über die Gestaltung des neuen „Frei- Die Unterscheidung zwischen diesen an entfernten Fronten wie dem Ersten Standgerichte und außerordentlichen Ge- staats“ Bayern aus. Den weit links ste- beiden bewaffneten Gruppierungen fiel Weltkrieg entstand keine Feldpost, und es richte aus dem Jahr 1919, die im Staats- henden Gruppierungen wie der KPD und bereits Zeitgenossen häufig schwer. Da- wurde nur wenig fotografiert.4 Auch ande- archiv München zu finden sind.7 Diese Teilen der USPD gingen die Umwälzun- her wurden die Begriffe oft synonym ver- re schriftliche Quellen, Tagebücher oder Aktensammlungen enthalten meistens die gen der Novemberrevolution nicht weit wendet und die Grenzen zwischen beiden Erlebnisberichte von Rotarmisten oder nach damaliger Strafprozessordnung not- genug. In dem, was sie als handlungsof- Gruppen erscheinen fließend. Das Prin- 66 | Niels Ungruhe: „Rote Armee“ Niels Ungruhe: „Rote Armee“ | 67 zip einer „Roten Garde“ hatte seinen Ur- gen ihrer militärischen Erfahrungen be- räte gewählt, wenn sie das Vertrauen der wurden in Bayern die Offiziere der ehe- sprung in der russischen Revolution 1917. sonders umworben. Der Oberbefehlsha- Mannschaften besaßen. Es war sehr er- maligen bayerischen Armee, die der „Ro- Die „Rote Garde“ sollte als Polizeieinheit ber der „Roten Armee“, Rudolf Egelhofer, wünscht, sie für die Sache der „Roten Ar- ten Armee“ beitraten, nicht unter strenge im Inneren verwendet werden und als hatte den Ersten Weltkrieg als Marinein- mee“ zu gewinnen. ideologische Aufsicht von politischen paramilitärisches Reservekontingent für fanterist mitgemacht. In den Quellen wird Da Befehle der neuen Räteregierung nicht Kommissaren gestellt. Kampfhandlungen zur Verfügung stehen. er oft als kompromissloser, gewaltbereiter immer in gewohntem soldatischem Ge- Während der ab dem 13. April beginnen- Hardliner beschrieben.9 Zuverlässige Zah- horsam ausgeführt wurden und die Solda- Arbeiter, Arbeitslose und auslän- den Phase der relativen militärischen Stär- lenangaben zur „Roten Armee“ fehlen. ten unsicher waren, wer denn nun die po- dische Kämpfer ke der „Roten Armee“ konnte man sich Der Chef des Generalstabs der „Roten Ar- litische Autorität in legitimer Weise besaß, zunächst erfolgreich gegen anrückende mee“, Erich Wollenberg, schätzte den pro- war häufig eine mühselige und individu- Da, wie wir gesehen haben, ein großer Freikorpseinheiten behaupten und Mün- zentualen Anteil der ehemaligen Soldaten elle Überzeugungsarbeit durch politische Teil der „Roten Armee“ sich aus Soldaten chens agrarisches Umland kontrollieren, des Heeres und der Marine an der „Roten Agitatoren der Räteherrschaft nötig. der Münchner Garnison zusammensetzte, um die Versorgung mit Lebensmitteln zu Armee“ auf 90 Prozent.10 Da Rotarmisten Im Hinblick auf ehemalige Offiziere sah darf man ihre zeitgenössische Wahrneh- gewährleisten. aber auch aus unterschiedlichen zivilen es hingegen ganz anders aus. In der No- mung als einer Arbeiterwehr anzweifeln. Bereits gegen Ende April verschärfte sich Milieus rekrutiert wurden, sind gegen- vemberrevolution kulminierte oft ein lan- Die Rolle von Arbeitern muss jedenfalls mit dem Fall des kommunistisch kont- über diesem hohen Anteil an Militärperso- ge zuvor gegen sie angestauter Hass, denn differenziert betrachtet werden. rollierten Augsburg jedoch die Situation nal Zweifel angebracht. Bei der hier vor- sie galten als die Repräsentanten der alten Die Ausgangslage für eine rein proletari- für die räterepublikanischen Truppen genommenen empirischen Untersuchung Ordnung. Ihnen schlug tiefes Misstrauen sche „Rote Armee“, wie sie sich z.B. Levi- und ihre politische Führung. Die ab dem polizeilicher Protokolle und Gerichtsak- entgegen, weshalb sie bei Beginn der Rä- né vorstellte, schien dabei eigentlich güns- 27. April unternommenen Verhandlungs- ten war der Anteil von Beschuldigten, die terepublik bereits aus den Kasernen ver- tig. Der Erste Weltkrieg hatte eine große versuche wurden von der Reichswehr über militärische Erfahrungen verfügten, trieben worden waren oder sich selbst ab- Anzahl von Industriearbeitern mobilisiert, und der Regierung Hoffmann konsequent sei es als Wehrpflichtige oder als Berufs- gesetzt hatten. Die Antipathien gegenüber um den Bedarf an industriell hergestell- abgelehnt. Am 30. April begannen die soldaten, allerdings tatsächlich besonders Offizieren wurden durch politische Agita- ten Rüstungsgütern zu decken. München Kämpfe um die bayerische Landeshaupt- hoch. toren gezielt genutzt, um Soldaten für die war zwar keine Stadt der Schwerindus- stadt, und sie endeten am 3. Mai mit der Die Gesamtstärke der „Roten Armee“ ist „Rote Armee“ zu gewinnen. Wenn Offizie- trie, dennoch gab es einige bedeutsame vollständigen Auflösung der „Roten Ar- noch schwerer abzuschätzen. Das histori- re auf den Straßen Münchens als ehema- Großunternehmen, wie die Firmen J.A. mee“.8 sche Lexikon Bayerns erwähnt zeitgenös- lige Vorgesetzte erkannt wurden, kam es Maffei oder Krauß. Im Norden war wäh- sische Schätzungen von bis zu 60.000 An- mitunter zu Anfeindungen oder Angriffen rend des Krieges die Pulver- und Muniti- Wer waren die Kämpfer der „Roten gehörigen dieser Truppe, hält aber Zahlen durch Rotarmisten, wie die Gerichtsakten onsfabrik Dachau errichtet worden, in der Armee“? von 9.000 bis 10.000 Mann eher für rea- belegen. bei Kriegsende 6.000 Arbeiter beschäftigt listisch.11 Aufgrund der allgegenwärtigen Doch auch hier gab es Sonderfälle. So gewesen sein sollen.13 Durch den Wegfall Die „Rote Armee“ sollte eine politische Improvisation wurden allerdings nicht waren einige sehr junge Reserveoffiziere, der Rüstungsaufträge kam es zu Massen- Truppe werden. Ganz im Sinne des Mar- alle Kleingruppen, die sich „Rote Garde“ vornehmlich Leutnants, in den Reihen entlassungen. Viele Arbeitslose fanden xismus sollte eine sendungsbewusste, pro- oder „Rotarmisten“ nannten, zentral er- der „Roten Armee“ zu finden. Ihrem Aus- daher ihren Weg in die „Rote Armee“. letarische Klassenarmee aufgestellt wer- fasst und geführt. bildungsgang entsprechend brachten sie Unter den Arbeitern Münchens herrschte den. Soweit jedenfalls die zeitgenössische Insbesondere fehlte es an militärisch qua- andere militärische Kenntnisse und Fähig- zwar ein allgemeiner Enthusiasmus und Theorie, denn eine solche revolutionäre lifiziertem Führungspersonal. Die Unter- keiten mit als Mannschaften und Unterof- Widerstandswille, zur bewaffneten Aus- Streitmacht sollte Wunschdenken blei- offiziere der alten Armee stammten meist fiziere. Vereinzelt zeigten sie Interesse an einandersetzung mit Regierungstruppen ben. Bei genauerer sozialgeschichtlicher nicht aus typisch proletarischen Verhält- marxistischer Theorie. Der deutsche Vor- waren jedoch nur wenige bereit. Ihre Zahl Betrachtung der Rotarmisten kommt viel- nissen und hatten keine ausgeprägte po- kriegsmilitarismus hatte sie nicht mehr wird auf lediglich 1.000 bis 2.000 Personen mehr ein komplexes Bild zum Vorschein. litische Affinität zur Arbeiterbewegung. geprägt. Ein prominentes Beispiel hier- geschätzt.14 Aus der Sicht der KPD-Kader eigneten sie für war Erich Wollenberg. Er hatte es im Darüber hinaus legen die Akten der Hoch- Die Münchener Garnison sich daher nicht für den Aufbau einer als Krieg bei der Infanterie zum Leutnant der verratsprozesse nahe, dass die Arbeiter- Klassenarmee geplanten Volkswehr wie Reserve gebracht, war mehrfach verwun- wehren mitunter eigene Kontingente pa- Ein erheblicher Teil der „Roten Armee“ der „Roten Armee“.12 In München wurden det und ausgezeichnet worden. Der „Ro- rallel zur „Roten Armee“ stellten. Selbst bzw. „Roten Garde“ waren Soldaten aus nach dem Ersten Weltkrieg aber häufig ten Armee“ diente er als Infanterieführer. die unterschiedlichen zeitgenössischen der Münchener Garnison. Sie waren we- solche erfahrenen Soldaten als Kasernen- Anders als in der russischen Revolution Aussagen wirken unsicher und verwirrt, 68 | Niels Ungruhe: „Rote Armee“ Niels Ungruhe: „Rote Armee“ | 69 wenn es um eine Beschreibung oder Be- Laborant, Bahnbeamter, Friseur, Metzger- Posten“ hätten ihn an die Straßenjungen vorhanden war. Fest steht, dass sie die zeichnung der Gruppen bewaffneter gehilfe, Schneidermeister, Schneider, Ho- erinnert, wenn sie Indianer spielten.16 Möglichkeit hatten, schnell und unkompli- Kämpfer im April 1919 geht. Fest steht, teldiener oder Zigarrengeschäftsinhaber. Eng in Verbindung mit der Jugendlich- ziert an Geld zu kommen. Josef Hofmiller dass Arbeiterwehren deutlich vor der „Ro- Das Handwerk war also stark vertreten. keit steht der Familienstatus. Hier gab die schrieb in sein Tagebuch, bei der „Roten ten Armee“ gegründet wurden, um lokal Auch Angestellten oder Selbstständigen überwiegende Mehrheit zu Protokoll, le- Armee“ sei es normal gewesen, möglichst bewaffnete Ordnungsfunktionen wahrzu- kommt eine bedeutende Rolle zu. In den dig zu sein. In ihrer ungebundenen Lage viel Geld für Untätigkeit einzustecken. nehmen. Verhörprotokollen finden sich gelegent- und in der Mehrzahl der Fälle ohne Kin- Von den Soldaten der Münchener Garni- Neben Soldaten und Arbeitern muss noch lich Studenten sowie ab und zu Berufe mit der, hatten sie keine Familie zu versorgen, son hatte er allerdings ein noch schlechte- auf eine weitere Gruppe hingewiesen wer- höherer Ausbildung wie z.B. Ingenieur. was ihre Risikobereitschaft wohl erhöhte. res Bild. Er schrieb: „Wenn ihnen die Mon- den, die besonders die zeitgenössische Die Berufsstruktur der „Roten Armee“ archie drei Mark mehr gibt, stellen sie sich Wahrnehmung der Truppe beeinflusste. verweist also auf soziale Verschiebungen geschlossen hinter die Monarchie.“18 Die Rede ist von russischen Kriegsgefan- im Mittelstand, was in der älteren For- Welche Gründe und Motivation für Die Zahlstellen der „Roten Armee“ wa- genen, die als Kämpfer rekrutiert wurden. schung schon angeklungen ist.15 Bereits den bewaffneten Kampf gab es? ren dabei lokal und dezentral organisiert. Auf die Zeitgenossen wirkten sie stark po- während des Ersten Weltkrieges setzte Die Löhnungsgelder wurden bereits nach larisierend. Auch wenn es sich allem An- eine Verarmung und Proletarisierung des Warum wurde bei diesen Bedingungen wenigen Tagen Dienst pro Regiment oder schein nach um eine kleine Gruppe han- unteren Mittelstandes ein. Das führte zu freiwillig auf scheinbar verlorenem Posten Bataillon ausgezahlt. Das belegen un- delte, spielten sie trotzdem eine besondere Radikalisierungstendenzen und erhöhte für eine Rätedemokratie gekämpft, lautet terschiedliche und stark improvisierte Rolle als Projektionsfläche für eine ganze den Zulauf von Männern aus nicht klas- die legitime Frage. Besoldungslisten, die sich in den Akten Reihe von Ängsten, Klischees und Ressen- sisch proletarischen Milieus als Kämpfer Schnell wird anhand zahlreicher Aussagen finden. Aus ihnen geht auch hervor, dass timents, wie sie bei den Gegnern der „Ro- oder Unterstützer zur „Roten Armee“. in den Strafprozessakten deutlich, dass bei Bedarf Unterkunft und Kleidung ge- ten Armee“ bestanden. Politik und Ideologie die Bereitschaft, in stellt oder in Geld abgelöst wurden. Ein Das Alter der „Roten Armee“ zu kämpfen, nur teil- typisches Gehalt kann so ausgesehen ha- Mikroperspektiven in zwei Beispiel- weise erklären. ben: Sechs Mark täglicher Verdienst, eine kategorien – Beruf und Alter Bei rund der Hälfte der untersuchten Fälle Der Hauptgrund für viele Männer, in die optionale Treueprämie von einer Mark, lag das Alter der Beschuldigten zwischen „Rote Armee“ einzutreten, war wohl die ein Zuschlag für Unterkunft und Verpfle- Nachdem zuvor auf die Soldaten und Ar- 19 und 23 Jahren. Ein Viertel der Personen Sicherung des Lebensunterhalts in einer gung von fünf Mark und ein sogenannter beiter Münchens als große Rekrutierungs- war zwischen 17 und 18 und ein Viertel wirtschaftlichen, sozialen und politischen „Teuerungszuschlag“ von zwei Mark und milieus der „Roten Armee“ eingegangen zwischen 34 und 59 Jahre alt. Viele, die Krisensituation. Lebensmittelknappheit, fünfzig, um steigenden Preisen entgegen- wurde, soll an dieser Stelle exemplarisch sich als ehemalige Soldaten freiwillig mel- Kohlemangel und Teuerung bestimmten zuwirken. Repräsentativ waren solche und individuell mit Mikrodaten gearbei- deten, waren Anfang 20. Auch in den Füh- den Alltag, und die Räteregierung räumte Tarife aber nicht, da die Bezahlung nicht tet werden. Selbstverständlich lassen sich rungspositionen war eine junge Besetzung der „Roten Armee“ klar die Priorität in der einheitlich gehandhabt wurde und kurz- die Kategorien beliebig erweitern, z.B. typisch. Der Leiter des Funk-und Fern- Versorgung Münchens ein. Viele Betriebe fristige Änderungen vorkamen. Die Buch- wenn man die Rolle von Frauen oder von sprechwesens war 23 Jahre alt, der Leiter hatten ihre Arbeiter entlassen und zugleich führung war wenig gewissenhaft. Man Religion in der Roten Armee untersuchen des Kraftfahrzeugwesens 23 und Tollers suchten viele Kriegsheimkehrer nach Be- muss zusätzlich mit undokumentierten möchte. Adjutant 26. Insgesamt ergibt sich ein ex- schäftigung, was eine erhebliche Angst Auszahlungen rechnen. Jedenfalls war trem junges Durchschnittsalter. vor sozialem Abstieg in unterschiedlichen dem Unterschleif Tür und Tor geöffnet. In Die Berufe Auch in zahlreichen anderen Quellen Teilen der Bevölkerung hervorrief. den Quellen finden sich unterschiedliche wird die Jugendlichkeit thematisiert. Der Anhand der Prozessakten wird deutlich, Tarife. Außerdem konnten bei Kampfein- Wie zu erwarten, tauchen viele klassi- politisch eher rechts stehende Gymnasi- dass eine große Mehrheit der Rotarmisten sätzen mit besonders hohem Risiko so- sche Arbeiterberufe auf. Auffällig ist je- allehrer und Schriftsteller Josef Hofmiller ihre Armee als Arbeitgeber sah und sich genannte „Sturmprämien“ von ungefähr doch, dass sich auch viele Personen aus schrieb in seinem Tagebuch von „tyranni- aus finanziellen Gründen in ihre Dienste 150 Mark gezahlt werden. Oft findet man klassisch kleinbürgerlichen Milieus der schen grünen Jungen“ und von einem von stellte. handschriftliche Quittungenü ber die Aus- „Roten Armee“ angeschlossen hatten: „Soldaten, Matrosen, jungen Burschen und Heinrich Hillmayr sprach sogar von zahlung namhafter Summen ohne hinrei- Schreiner, Käser, Bäcker, Bäckergehilfe, leichten Frauenzimmern“ dominierten „Landsknechtstum“.17 Dieser Begriff er- chende Begründung. Dabei konnte es vor- Gärtner, Messungsgehilfe, Buchdrucker, Stadtbild. Weiter heißt es, die mit Hand- weckt allerdings andere Vorstellungen kommen, dass selbst sechsstellige Beträge Möbelschreiner, Modellschreiner, Sattler, granaten bewaffneten, „stolz stelzenden von militärischer Professionalität, als sie mit pauschalen Begründungen, wie „Kos- Schumacher, Malermeister, Kaufmann, bei den Angehörigen der „Roten Armee“ ten des Zentralrats“, „Propagandazwe- 70 | Niels Ungruhe: „Rote Armee“ Niels Ungruhe: „Rote Armee“ | 71 cke“ oder als „zur freien Verfügung des Ehemaligen Soldaten mit bitteren Erin- Literatur 6 Vgl. Heinrich Hillmayr, Roter und Weißer Aktionsausschusses“ gelistet wurden.19 nerungen an ihre Dienstzeit in der alten Terror in Bayern nach 1918: Ursachen, Erschei- Um die Werbung anzukurbeln, wurde die Armee mit ihrer Klassenstruktur bot die Richard Grunberger, Red Rising in , Lon- nungsformen und Folgen der Gewalttätigkeiten don 1973. im Verlauf der revolutionären Ereignisse nach Besoldung bisweilen für zehn Tage im Vo- „Rote Armee“ eine Möglichkeit, den Spieß dem Ende des Ersten Weltkrieges, München 1974. raus ausgezahlt. Die gerichtlichen Unter- umzudrehen. Die Propaganda der „Roten Walter Roos, Die Rote Armee der bayerischen 7 Diese waren bereits Gegenstand ausführlicher suchungen und die Urteilsbegründungen Armee“ verstärkte gezielt die Ressenti- Räterepublik in München 1919: Gab es diese wissenschaftlicher Untersuchung in meiner Ma- bestätigen die Bedeutung, die das Geld ments gegen das Offizierskorps und be- Armee wirklich? ... und wie war deren Stärke?, gisterarbeit. Einsehbar im Bayerischen Armeemu- Heidelberg 1998. seum Ingolstadt, unter der Signatur: 0451-2018. für viele ehemalige Rotarmisten hatte. stritt die Erzählung von einer erhabenen Zitierweise der Akten: Staatsarchiv München, Auch viele Kriminelle benutzten die „Rote Frontgemeinschaft zwischen Offizieren Simon Schaupp, Der kurze Frühling der Rätere- (zitiert StAM) Bestand Staatsanwaltschaft Mün- Armee“, um an Geld zu kommen. Dazu und Mannschaftssoldaten in den Schüt- publik: Ein Tagebuch der bayerischen Revolution, chen 1, Signaturen: StAM, Nr. kam die Möglichkeit, sich durch Dieb- zengräben des Ersten Weltkrieges. Münster 2017. 8 Für weitere Informationen zum Kontext vgl. Allan Mitchell, Revolution in Bayern 1918/1919: stahl zu bereichern. Vor Gericht wurden Michael Seligmann, Aufstand der Räte: Die erste Die Eisner-Regierung und die Räterepublik, Mün- die häufig erfolgten Plünderungen natür- Ein Fazit bayerische Räterepublik vom 7. April 1919, Gra- chen 1967; Karl Ludwig Ay, Volksstimmung und lich nie zugegeben, denn sie wurden als fenau 1989. Volksmeinung als Voraussetzung der Münchener Zeichen für eine sogenannte „ehrlose Ge- Pauschale Antworten auf die zu Beginn Revolution 1918, in: Karl Bosl (Hrsg.), Bayern im Umbruch, München 1969, S. 345-381. sinnung“ der beschuldigten Rotarmisten gestellte Frage, ob es sich bei der „Roten Volker Weidermann, Träumer: Als die Dichter die Macht übernahmen, Köln 2017. 9 Vgl. Hillmayr, Terror (wie Anm. 6), S. 112. gewertet. Diese sehr subjektive Kategorie Armee“ um eine revolutionäre Kadertrup- Ebenso Gerstl, Münchener Räterepublik (wie der Gesinnungsmerkmale diente als Be- pe oder Söldner mit „ehrloser Gesinnung“ Anm. 2), S. 119. Ebenso vgl. StAM, 2040, Verneh- gründung dafür, das Strafmaß erheblich handelte, sind kaum möglich. Fest steht mungsprotokoll vom 23.5.1919. 10 Vgl. Heinrich Hillmayr, Rätezeit und „Rote zu erhöhen. Neben Plünderung wurden vielmehr, dass es sich um eine kurzlebige Armee“ in Dachau, in: Amperland 5 (1969), zusätzlich Praktiken wie Geiselnahme, die und stark improvisierte paramilitärische 1 Vgl. Michaela Karl, Die Münchener Räterepu- S.74-80, 90-95, hier S. 79. Misshandlung von Gefangenen, Sabotage, Gruppierung handelte. blik: Portraits einer Revolution, Düsseldorf 2008; 11 Historisches Lexikon Bayerns Online: https:// Simon Schaupp, Der kurze Frühling der Rätere- Mord oder Anstiftung zu Gewalt als Beleg Die „Rote Armee“ in München erweist www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/ publik: Ein Tagebuch der bayerischen Revolution, Rote_Armee,_1919. Ebenso Karl, Räterepublik für eine gesellschaftsgefährdende „ehrlose sich somit als komplexes historisches Ge- Münster 2017; Ralf Höller, Das Wintermärchen: (wie Anm. 1), S. 235. Gesinnung“ gewertet. bilde mit vielen unterschiedlichen, auch Schriftsteller erzählen die Bayerische Revolution 12 Zum zeitgenössischen Konzept der „Volks- Abseits der materiellen Motive gab es aber widersprüchlichen Facetten, was zu wei- und die Münchner Räterepublik 1918/1919, Berlin wehr“ vgl. Karl Grünberg, Die sozialistische 2017. auch ideelle. So herrschte in der Münch- teren Fragen führt: Kann man überhaupt Volkswehr, Berlin 1919. 2 Vgl. Josef Hofmiller, Revolutionstagebuch 13 Vgl. Paul Hoser, Dachau in der Münchener ner Arbeiterschaft die Furcht vor exzes- von einer „Armee“ sprechen? Wie sahen 1918/1919: Aus den Tagen der Münchener Revolu- Revolution und Räterepublik von 1919/1918, in: siver Gewaltanwendung durch „weiße“, Gewalt- und Kampfpraktiken aus? Wie tion, Leipzig 1938; Georg Escherich, Der Kommu- Amperland 41 (2005), S.147-171, hier S. 148 f. preußische Truppen. Das Engagement in ist die Münchener „Rote Armee“ im na- nismus in München: Auf Grund amtlichen bisher 14 Vgl. Hillmayr, Terror (wie Anm. 6), S. 50 f. unveröffentlichten Materials bearbeitet von einem der „Roten Armee“ signalisierte insofern tionalen Vergleich mit anderen ähnlichen 15 Vgl. Ay, Volksstimmung (wie Anm. 8), S. 363. in der Eisnerzeit an höherer Stelle tätigen Manne, 16 Hofmiller, Revolutionstagebuch (wie die Bereitschaft, sich an der kollektiven Gruppen zu sehen, etwa im Ruhrgebiet Bd. 1-7, München 1921; Max Gerstl, Die Münche- Anm. 2), S. 196f. Notwehr des Münchner Proletariats zu oder in Thüringen? ner Räte-Republik, München 1919; Victor Klem- 17 Vgl. Hillmayr, Rätezeit (wie Anm. 10), S. 79. beteiligen. Es waren wohl weniger nachhaltige politi- perer, Man möchte immer weinen und lachen in 18 Hofmiller, Revolutionstagebuch (wie einem: Revolutionstagebuch 1919, Berlin 2015. Ein wichtiger individueller Grund für den sche Überzeugungen als vielmehr soziale Anm. 2), S. 204. 3 Vgl. Gerhard Schmolze und Eberhard Kolb 19 Vgl. StAM, 2151. Eintritt in die „Rote Armee“, gerade für und wirtschaftliche Gründe, welche zum (Hrsg.), Revolution und Räterepublik in München 20 Vgl. Hillmayr, Rätezeit (wie Anm. 10), S. 79. junge Menschen, war auch der Statusge- Eintritt in die „Rote Armee“ führten. Die 1918/19 in Augenzeugenberichten, Düsseldorf winn. Als Angehörigen der bewaffneten „Rote Armee“ setzte sich vor allem aus 1969; Tankred Dorst (Hrsg.), Die Münchener Rä- terepublik: Zeugnisse und Kommentar, Frankfurt Macht wuchs ihnen persönliche Macht jungen Soldaten der Münchner Garnison a. M. 1967. zu. Der Übergang zu dem, was Hillmayr sowie jungen Leuten aus dem Arbeiter- 4 Rudolf Herz, Dirk Halfbrodt, Revolution und als „jugendliches Rowdytum“ bezeichnet und Kleinbürgermilieu zusammen. Prä- Fotografie. München 1918/19, Berlin 1988. 5 Vgl. Erich Wollenberg, , Als Rotarmist vor hat,20 war dabei sicher fließend. gende Erfahrungen waren der Krieg, die München: Reportage aus der Münchener Rätere- In den Prozessakten finden sich auch Be- wirtschaftliche und soziale Krise der un- publik, Berlin 1929; Paul Frölich, Die Bayerische lege, dass einige Männer Freude an einem mittelbaren Nachkriegszeit und die damit Räterepublik: Tatsachen und Kritik, Leipzig 1920; aufregenden Leben fanden. Gruppen- verknüpften Ängste und Zukunftserwar- Michael Smilg-Benario, Drei Wochen Münchener Räterepublik, Berlin 1919. zwang oder Gruppenzugehörigkeitsge- tungen. fühle spielten ebenfalls eine Rolle. 73

Rüdiger Bergien Gründungsgewalt und Sicherheitskonsens Die Geburt der Weimarer Republik aus einer Politik der »eisernen Faust«

Man hätte glauben können, sie hätten alten militärischen Eliten gestützt.3 Die doch gesiegt: Als am 10. Dezember 1918 Bestrebungen der Arbeiter- und Solda- etwa 7.000 deutsche Soldaten durch die tenräte, mit dem Militarismus zu brechen, Mitte paradierten, glichen diese al- seien von den Führern der Mehrheitssozi- lem, aber nicht den Verlierern des Ersten aldemokratie nicht nur ignoriert worden. Weltkriegs. Fotografien zeigen die Solda- Ebert und Genossen hätten jene linken ten mit heiteren Mienen, singend, sicht- Protestbewegungen, die an den Zielen bar auf den Beifall und die Hochrufe der der Revolution festhalten wollten, auch zehntausenden Zuschauer reagierend, die noch durch rechtsradikale Freikorps nie- ihren Weg durch das Brandenburger Tor derschießen lassen und so die Revolution und entlang des Boulevards Unter den „verraten“.4 Linden säumten. Ein vielfach abgedruck- Offen scheint allenfalls, ob sich die Mehr- tes Foto dieses Einmarschs zeigt den Vor- heitssozialdemokraten von den Militärs sitzenden des Rats der Volksbeauftragen, aufgrund eigener Schwäche bzw. Naivi- Friedrich Ebert, der auf einer Tribüne auf tät überspielen ließen. Eine alternative dem Pariser Platz stehend den Hut vor den Deutung hat kürzlich der Historiker Mark Soldaten zieht. In gewisser Weise korres- Jones in einer vielbeachteten Arbeit vor- pondiert dieses Foto mit der Ansprache, geschlagen. Diesem zufolge hätten Ebert die Ebert zu Beginn des Einmarsches ge- und Genossen die „Gründungsgewalt“ halten hatte, vor allem mit ihrem zentralen der Weimarer Republik aktiv angestrebt, Satz: „Kein Feind hat Euchü berwunden.“1 um auf nationaler und internationale Ebe- Dieser Satz und das Bild des den Hut vor ne politische Handlungsfähigkeit zu de- den Soldaten ziehenden Ebert illustrieren monstrieren.5 Folgt man Jones’ Deutung, aus der Sicht eines Teils der historischen dass es sich bei der Sicherheitspolitik der Forschung eine der zentralen Belastungen jungen Republik in erster Linie um sym- der jungen Weimarer Republik: Die zu bolische „Gewaltpolitik“ gehandelt habe, große Nähe zwischen der Revolutions- dann wird man womöglich auch seine regierung unter Ebert und dem Militär.2 noch weitergehende Behauptung plau- Anstatt eine republikanische Militär- und sibel finden: Dass Deutschland bereits Sicherheitspolitik zu formulieren, hätten 1918/19 auf den Kurs eingeschwenkt sei, sich Ebert und Genossen ohne Not auf die „der später in die Horror-Exzesse des 74 | Rüdiger Bergien: Gründungsgewalt Rüdiger Bergien: Gründungsgewalt | 75

Dritten Reichs und des Zweiten Welt- Paul von Hindenburg mit der „Rückkehr unter einem als solchen wahrgenomme- reits am 7. November ausgebrochenen Re- kriegs mündete“.6 In den letzten Jahrzehn- der Fronttruppen“ nach Berlin den Plan nen Handlungsdruck, bei einem Mangel volution in Bayern die Straßen und Plätze ten hatte sich ein differenzierteres Bild verknüpft, die Hauptstadt militärisch zu an Informationen und einer Überflutung Münchens füllten, schrieb eine Zeitzeugin, von der Weimarer Republik entwickelt, besetzen und „die Ordnung wiederher- durch Gerüchte. dass es „fast wie ein Faschingsrummel das etwa auf ihre sozialpolitischen Leis- zustellen“. Stattdessen zogen an diesem Gerüchte waren in Deutschland im No- [wirkte], ohne Ernst dahinter“.15 Oberst- tungen und ihre Rolle als kulturelles Ex- 10. Dezember, durch Arbeiterabordnun- vember 1918 – wie in vielen analogen leutnant van den Bergh schrieb zwei Wo- perimentierfeld abhob.7 Demgegenüber gen begleitet, in der Reichshauptstadt erst- Umsturzsituationen – das tragende kom- chen später über seine Frau und seinen reduzieren Deutungen wie die von Jones mals Truppen an einem republikanischen munikative Ferment der revolutionären Sohn, dass „Grete und Erhard [...] heute die erste deutsche Demokratie wieder auf Staatsoberhaupt vorbei – ein Bild, dessen Veränderungen. Ohne einen Blick auf die mit in die Stadt [fuhren.] Sie wollten doch jenen Platz in der deutschen Geschichte, Symbolgehalt zumindest den Militärs sei- kursierenden Gerüchte lassen sich viele auch etwas von der Revolution sehen.“16 den sie im Grunde seit 1933 innehatte: nerzeit klar vor Augen stand. Sie hatten Entscheidungen der Akteure schwer erklä- Doch war die öffentliche Kommunikati- auf den eines „failed state“, eines bloßen Ebert nur widerwillig Truppen für diesen ren. So erfuhr van den Bergh im weiteren on zunehmend durch Angstgerüchte ge- Übergangs zwischen „Kaiser und Führer“. Zweck zur Verfügung gestellt.8 Verlauf des 9. November etwa von einem prägt, in deren Zentrum der Sozialist Karl Im Folgenden werden Ebert und seine Marsch von 30.000 Arbeitern aus den Ber- Liebknecht stand. In völliger Überschät- wichtigsten Mitstreiter von der MSPD, Furcht vor „russischen Verhältnis- liner Vorstädten Richtung Stadtmitte (der zung seines Einflussesü berschlug sich die Philipp Scheidemann und Gustav Nos- sen“ nie stattfand), von dem Widerstand des bürgerliche Presse mit Schreckensmel- ke, jedoch weder als „schwache“ Akteure Kaisers gegen eine Abdankung, von revo- dungen: Liebknecht verfüge bereits über noch als frühe Wegbereiter der Gewalt- Am Vormittag des 9. November 1918 be- lutionären Unruhen auch in Frankreich.10 eine Geheimarmee, werde aus „Russland“ politik der 1930er Jahre dargestellt. Zwar gleitete Oberstleutnant Ernst van den Zu den Gerüchten kam eine „verkehrte bezahlt, er werde „russische Verhältnis- kooperierten die Führer der Mehrheitsso- Bergh den preußischen Kriegsminister Welt“11 auf den Straßen und im öffentli- se“ nach Deutschland bringen und ein zialdemokratie vom 9. November an sehr Heinrich Scheüch in das Berliner Reichs- chen Raum: Am Spätnachmittag beobach- bolschewistisches Regime errichten.17 weitgehend mit dem Militär und fanden kanzlerpalais. Dort wurde er Zeuge chao- tete der Diplomat Harry Graf Kessler, wie „Unter Liebknechts Fahne“, so notierte mit diesem zu einem erstaunlich tragfähi- tischer Szenen: Im „Telefonzimmer“, so auf der Berliner Magistrale „Unter den sich ein anderer Offizier Ende November gen Sicherheitskonsens zusammen. Aber van den Bergh, war „große Aufregung“; Linden“ „fortwährend [...] Dutzende, rat- 1918, sammle sich „ein übles Gesindel sie verfolgten hierbei jedoch eine eigene auf mehreren Leitungen gleichzeitig wur- ternde rotbeflaggte Last Autos [sic] dicht von Verbrechern und Fahnenflüchtigen“18, Agenda: Die Etablierung einer republika- de mit dem „Großen Hauptquartier“ im mit Bewaffneten besetzt, vorüber[fegten]; und selbst der Leipziger Romanist Victor nischen Ordnung, welche aus ihrer Sicht belgischen Spa telefoniert, wo die kai- ziellos, wie es schien, aus bloßer Freude an Klemperer notierte Anfang Dezember, einen starken Staat zur Voraussetzung serliche Entourage nicht glauben wollte, der Bewegung hin- und herrasend“.12 Bei dass das Chaos überall zunehme und hatte. dass Berliner Garnisonstruppen Befehle einem Besuch im Reichstag stellte Oberst- dass es „wahrscheinlich [sei], dass wir in Dass aus ihrer Kooperation mit dem Mi- verweigerten.9 Kriegsminister Scheüch, leutnant van den Bergh einige Tage später kurzem Bürgerkrieg und alle möglichen litär eine „Politik der eisernen Faust“ „durch alles nun doch recht nervös ge- fest, dass dort „bis zu 500 zusammen- Gräuel hier wie in ganz Deutschland ha- wurde, war hingegen nicht von vornher- worden“, wollte persönlich mit Spa tele- gelaufene Soldaten“ „biwakierten“, von ben werden“.19 ein ausgemacht. Diese Entwicklung war fonieren, konnte sich aber „bei dem all- „der Restauration [des Reichstags] gut In dem Maße, indem Angst- und Mobi- Ergebnis der dynamischen politischen gemeinen Lärm [im Telefonzimmer] nicht verpflegt“, die sich die Zeit damit vertrie- lisierungsgerüchte kombiniert wurden, Entwicklung und einer sich polarisieren- verständigen“ – er versuchte es dennoch, ben, in kleinen Trupps hinauszuziehen, setzte in der politischen Sprache – auf Pla- den öffentlichen Kommunikation, welche bis er zu den Verhandlungen des bisheri- scheinbar willkürlich Straßen zu sperren katen, in Presseartikeln, öffentlichen Re- durch Angst- und Mobilisierungsgerüch- gen Reichskanzlers, Prinz Max von Baden, und in die Luft zu schießen.13 den – jene Entmenschlichung des Gegners te befeuert wurde. Doch auch unter dem mit dem neuen Regierungschef, Friedrich Zumindest anfänglich trugen derartige ein, die der Gewalt vorausgeht:20 Die Spar- immensen Handlungs- und Entschei- Ebert, gerufen wurde. Hier sagte er Ebert Aktivitäten auch karnevaleske Züge – takisten wurden zu Feinden und Schäd- dungsdruck des Winters 1918/19 vertra- spontan zu, vorläufig im Amt bleiben zu wie jede Revolution immer auch von der lingen, umgekehrt der Berliner Stadtkom- ten die Mehrheitssozialdemokraten den wollen, womit er der Revolutionsregie- Inszenierung einer „verkehrten“, einer mandant Otto Wels (MSPD) und Friedrich Anspruch eines Primats der Politik über rung einstweilen das Überleben sicherte, Gegen-Welt lebt, die auf die Verspottung Ebert zu „Bluthunden“. Aus den karne- das Militär, was bei genauerem Hinsehen da ihr mit dem Kriegsminister nun auch der alten Ordnung zielt.14 Tatsächlich war valesken Schießereien der ersten Revolu- auch durch die Szene des seinen Hut vor die gesamte Militärbürokratie zur Verfü- für viele Deutsche die Revolution in den tionstage wurden immer häufiger blutige den Frontsoldaten ziehenden Friedrich gung stand. Dies verweist auf einen wich- ersten Wochen genau das: etwas Außer- Zwischenfälle – so wie am 6. Dezember Ebert illustriert wird: Tatsächlich hatte tigen Aspekt des revolutionären Gesche- gewöhnliches, Unterhaltsames. Über die in Berlin-Mitte, als Regierungssoldaten die Oberste Heeresleitung (OHL) unter hens: Viele Entscheidungen fielen situativ, Menschenaufläufe, die während der be- an der Kreuzung Chausseestraße–Invali- 76 | Rüdiger Bergien: Gründungsgewalt Rüdiger Bergien: Gründungsgewalt | 77 denstraße ohne ersichtlichen Grund das an, das in der Turbulenz der folgenden tischen Kurs gegenüber der Regierung der wirklich guten Eindruck, direkt ganz sol- Feuer eröffneten und nach zwei Minuten Wochen freilich nicht zum Tragen kam Volksbeauftragten. Er stützte sich hierbei datisch“,32 während Ebert verbreitet als zwölf Unbeteiligte tot am Boden lagen. und vom preußischen Kriegsministerium auf den Rat des Generalquartiermisters „anständig“ galt und selbst von dem na- Gerüchte über einen nun unmittelbar wohl auch dilatorisch behandelt wurde.25 der OHL, Wilhelm Groener; zudem war tionalistischen Seeoffizier von Selchow als bevorstehenden Putsch Liebknechts lie- Doch unabhängig von diesen Plänen lag selbst ihm klar, dass die Machtstellung „ruhig und würdig“ geschildert wird (frei- fen um, am 6. Dezember notierte der im Mitte Dezember auf der Hand, dass ein des Militärs und damit seine persönliche lich in einem Kontrast zu den von Selchow Reichsmarineamt in Berlin Dienst tuende starker Staat kurzfristig nur in Koopera- Macht nun von den MSPD-Volksbeauf- verhassten USPD-Volksbeauftragten).33 Marineoffizier Bogislav von Selchow, dass tion mit den alten militärischen Eliten zu tragten abhing. Am 20. November 1918 Auch derartige Wahrnehmungen und „heute Nacht [...] ein Spartakusputsch schaffen war. Spätestens an diesem Punkt forderte beispielsweise in einer Kabinetts- Eindrücke waren Faktoren des Weima- gegen die Offiziere beabsichtigt“ sei, und wird die Geschichte der „deutschen Revo- sitzung der USPD-Volksbeauftragte Emil rer Sicherheitskonsenses. Hinzu kam ein am nächsten Tag überlegte er mit Kame- lution“ 1918/19 zur Geschichte ihrer staat- Barth Hindenburgs Entlassung, scheiterte weiterer Aspekt: Die Militärs betrachteten raden, „was zu tun sei, wenn die Sparta- lichen Einhegung.26 allerdings an Eberts Widerstand.29 den letzten Krieg zwar als verloren, aber kisten wie in [St.] Petersburg die Offiziere Die bisherige Forschung zur Rolle des nicht als beendet. In den Worten Wilhelm einzeln aus den Wohnungen holen.“21 Am Krieg nach dem Krieg Militärs in der Revolution 1918/19 hat be- Groeners, geäußert in einer Besprechung Abend des 7. Dezember trafen Oberst- tont, wie schnell die militärische Elite aus von Generalen und Generalstabsoffizie- leutnant van den Bergh und seine Frau Die Voraussetzung dafür, die Repu- einem Schockzustand wieder in die Rolle ren am 26. Dezember 1918 in Berlin: „Es Vorbereitungen, um nach einem Umsturz blik auf der Basis eines starken Staates eines politischen Akteurs gewechselt sei ist meine innere Überzeugung, dass wir durch Liebknecht schnell aus Berlin flüch- zu etablieren, war freilich, dass die mili- und eine Gegenrevolution und die Wie- in einem Jahr noch oder wieder im Krieg ten zu können22 – während Friedrich Ebert tärischen Eliten überhaupt bereit waren, dererlangung einer Großmachtstellung stehen“.34 in der Reichskanzlei angeblich bereits im mit Sozialdemokraten zusammenzuar- angestrebt habe. Zutreffend ist, dass viele Noch war kein Friedensvertrag abgeschlos- November eine Reihe von Leitern hatte beiten. Angesichts der mentalen und ha- Offiziere Ebert nur für das kleinere Übel sen worden, eine Wiederaufnahme der anbringen lassen, die ihm im Ernstfall die bituellen Dispositionen des preußisch- hielten – man müsse ihn stützen, schrieb Kampfhandlungen theoretisch jederzeit Flucht über die Dächer hätten ermögli- deutschen Offizierskorps war dies keine etwa Wilhelm Groener seiner Frau am möglich. Eine ganze Reihe von Offizieren chen sollen.23 Selbstverständlichkeit. Selbst der bald als 17. November 1918, „damit der Karren vertraten die Idee, dass man bereits durch Man kann davon ausgehen, dass Ebert „Vernunftrepublikaner“ geltende Oberst nicht noch weiter nach links rutscht“.30 die Drohung mit einem „Endkampf“ – der und seine MSPD-Genossen im Dezember Walter Reinhardt brach in Tränen aus, Analog notierte sich Oberst Walter Rein- Bereitschaft, vormarschierenden alliierten 1918 das Scheitern des republikanischen als ihn die Nachricht von der Abdankung hardt, dass „wir“ die MSPD „unterstützen Armeen auch im Reichsinnern noch erbit- Experiments unmittelbar vor Augen hat- des Kaisers erreichte, und noch im Rah- müssen“, da diese die einzige Kraft sei, die terten Widerstand entgegenzusetzen – die ten. Dies galt umso mehr, als ihr Verhält- men seiner Ernennung zum preußischen noch für Ordnung stehe.31 Doch das Bild, Verhandlungen über einen Friedensver- nis zu den der USPD angehörenden Volks- Kriegsminister am 28. Dezember 1918 er- dass die Militärs vom Zeitpunkt der Nie- trag positiv würde beeinflussen können. beauftragten zerrüttet war und sie immer klärte Reinhardt den Volksbeauftragen, derlage an einen „großen Plan“ verfolgt Freilich gab es eine Schnittfläche zwischen wieder den Druck von „der Straße“ zu dass er ein überzeugter Monarchist sei.27 hätten, der über die noch gar nicht beste- dem Ziel der MSPD-Spitze, die Republik spüren bekamen – etwa am 8. Dezember, Entscheidend dafür, dass dennoch nahezu hende Weimarer Republik hinaus führen auf einen starken Staat zu stützen und der als Liebknecht-Anhänger versuchten, den alle Truppenführer auf ihren Posten blie- und in die Kriegspolitik der 1930er Jahre Erwartung eines Nachkriegs-Krieges: Die- Rat der Volksbeauftragten zu verhaften. ben und viele Generale und Generalstabs- münden sollte, unterschlägt, dass auch se lag in dem Erfordernis, einsatzfähige Hinzu kam, dass alle Akteure am Ende ih- offiziere in den Dienst der jungen Republik Hindenburg, Groener und Reinhard im Truppen zu mobilisieren. Hier gelang es rer Kräfte waren, zählten ihre Arbeitstage traten, war ein Erlass des OHL-Chefs Paul November und Dezember 1918 sozusagen der OHL, aber mehr noch regionalen und doch 18 Stunden und mehr.24 Vor diesem von Hindenburg vom 10. November 1918: „auf Sicht fahren“ mussten. Sie hatten es lokalen Befehlshabern, die schwindsüch- Hintergrund ist es wenig erstaunlich, dass In diesem hielt er alle Offiziere an, „ihre mit einer rapiden Revolutionierung von tige Alte Armee mit Hilfe von Freiwilli- Ebert und Scheidemann die Rekonstrukti- mit Recht bestehenden Gewissensbeden- Teilen der Armee sowie mit der Aufga- genformationen in ein Übergangsheer on von Staatlichkeit zur Prämisse für den ken“ zurückzustellen und „ihre Pflicht zu be zu tun, das Westheer binnen 15 Tagen umzuwandeln,35 das zu einer Lebensver- Aufbau der Republik machten. Erstaun- tun zur Rettung der deutschen Lande aus hinter die deutschen Grenzen zurückzie- sicherung der MSPD-Regierung wurde. lich ist vielmehr, dass sie trotz allem dazu größter Gefahr“.28 In einem Kontrast zu hen zu müssen. Hinzu kam, dass einige Die Formationen dieses Übergangsheeres ansetzten, ein republikanisches Militär der ihm später von der nationalistischen der führenden MSPD-Männer durchaus waren in aller Regel rechtsstehend, wenn aufzubauen: So nahm der Rat der Volks- Rechten zugetragenen Rolle als Gralshü- Respekt bei den Militärs genossen: Auf nicht rechtsradikal. Sie wurden aber nicht beauftragten am 6. Dezember ein „Gesetz ter von Monarchie und Nation verfolgte Hindenburg etwa machte der spätere oder zumindest nicht vorwiegend mittels zur Bildung einer freiwilligen Volkswehr“ von Hindenburg einen durchaus pragma- Reichswehrminister Gustav Noske „einen antispartakistischer Feindbilder als Bür- 78 | Rüdiger Bergien: Gründungsgewalt Rüdiger Bergien: Gründungsgewalt | 79 gerkriegstruppen mobilisiert, sondern ter diesen etwa 240.000 Mann im Grenz- und 24. Dezember waren – wie bereits Dass Noske dieses Mandat umsetzte und auch und vor allem mit Blick auf die Ge- schutz,39 dann war dies vor allem ein Er- am 8. Dezember – revolutionäre Matro- den „Aufstand“ – der eher improvisiert fahren, die aus der Expansion des jungen gebnis dieser Mobilisierung gegen Polen. sen in die Reichskanzlei eingedrungen, als geplant ausbrach – niederschlagen polnischen Nationalstaats erwuchsen. Aus Sicht des Militärs aber war ein ande- um den Rat der Volksbeauftragen zu in- ließ, verstärkte den Rückhalt, den die In mehrfacher Hinsicht war die militäri- rer Aspekt vielleicht noch wichtiger: Die haftieren, was freilich fehlschlug. Erfolg- MSPD-Spitze im bürgerlichen und selbst sche Eskalation, zu der es mit dem pol- OHL war Dank des im Winter und Früh- reich hingegen war ein weiterer Angriff im konservativen Lager besaß, erheblich. nischen Aufstand in der Provinz Posen jahr 1919 geführten Grenzschutzkriegs auf die Berliner Stadtkommandantur, wo „Die Regierung wird wirklich energisch“, am 26. Dezember 1918 kam, das Ferment gegen Polen – der partisanenkriegsähnli- der Stadtkommandant Otto Wels diesmal schrieb der nationalistische Fregattenkapi- des Sicherheitskonsenses zwischen der che Züge trug, zuweilen aber in intensi- gekidnappt und in das von Matrosen be- tän von Selchow am 10. Januar 1919 in sein MSPD-Spitze und den Militärs. Die ex- ve Kämpfe ausartete – wieder eine mili- setzte Stadtschloss gebracht werden konn- Tagebuch. Endlich fänden sich auch „wie- pansiven Bestrebungen der polnischen tärische Kommandobehörde, die diesen te. Ebert erteilte General Arnold Lequis der Truppen, die kämpfen und nicht bloß Seite waren bereits seit November 1918 Namen verdiente: Noch im Dezember die Anordnung, mit der Gardedivision plündern wollen“.46 augenscheinlich gewesen. Dennoch hatten 1918 schien ihr angesichts des sich selbst – die am 10. Dezember an Ebert vorbei Doch dieses „energische Vorgehen“, das die Regierenden in Berlin ebenso wie die auflösenden Heeres die Existenzberech- durch das Brandenburger Tor marschiert von Selchow und seine Kameraden in OHL einstweilen Zurückhaltung zum Ge- tigung abhanden zu kommen. Dank der war – gegen die Meuterer vorzugehen. Hochstimmung versetzte und das zumin- bot der Stunde erklärt – um die polnische Lage im Osten und eines antipolnischen So begann der Heiligabend in Berlin „mit dest nicht verhinderte, dass die MSPD in Seite nicht zu provozieren und den Alli- Wehrkonsenses jedoch konnte sie wieder einem Artilleriegefecht am Schloss“, wo den Wahlen zur Nationalversammlung ierten keinen Grund für ein Eingreifen zu Verbände aufstellen und Operationen die Regierungstruppen versuchten, „die am 19. Januar 1919 ihr bestes Ergebnis in geben. Doch der Aufstand in Posen, „der planen.40 Der erwartete Nachkriegs-Krieg Matrosen aus Schloss und Marstall“ he- der Geschichte der Weimarer Republik er- die deutschen Positionen beiseite fegte, als schien eingetreten – und musste im März/ rauszuschießen.43 Ein anschließender zielte, hatte eine Schattenseite, die in der hätten sie nie bestanden“36, machte auf ei- April 1919 doch noch einmal auf unbe- Sturmangriff scheiterte indes, so dass die historischen Forschung lange eher beiläu- nen Schlag den gesamten deutschen Osten stimmte Zeit verschoben werden. Die Matrosen das Feld behaupteten – für die fig zur Kenntnis genommen worden ist:47 zu einer militärischen Unsicherheitszone. bereits auf Hochtouren laufenden Vor- Regierung Ebert ein worst-case-Szenario, Die Politik der „eisernen Faust“ führte Anfang Januar 1919 erklärten es die Land- bereitungen für eine Zangenoperation, in den Worten Harry Graf Kesslers: „So punktuell zu extremer Gewalt. räte in den gemischtsprachigen Gebieten in deren Verlauf zwei deutsche Armeen schimpflich ist kaum je eine Regierung Die Ermordung Karl Liebknechts und Oberschlesiens zu einer Frage von Tagen, von Bromberg-Thorn bzw. Oberschlesien schwach gewesen.“44 Rosa Luxemburgs durch Soldaten der zu bis „polnische Banden“ auch bei ihnen aus Posen zurückerobern sollten, wurden Am 29. Dezember 1918 traten die Unab- den „Regierungstruppen“48 zählenden einfallen würden.37 abgebrochen, als Grenzschutz-Einheiten hängigen Sozialdemokraten aus dem Rat Garde-Kavallerie-Schützen-Division49 ist Erneut beförderten Angstgerüchte – dies- Richtung München in Marsch gesetzt wer- der Volksbeauftragten aus und wurden hier nur die Spitze des Eisbergs. Weniger mal über plündernde und deutsche Gü- den mussten.41 Der Primat der Politik über durch zwei weitere Mehrheitssozialde- bekannt, aber nicht untypisch für die Art ter in Brand steckende polnische „Insur- das Militär zeigte sich auch hier: Die Plä- mokraten ersetzt, einer von diesen war und Weise, wie einige der eingesetzten genten“ – politische, militärische und ne der Militärs, über „kleine Kriege“ etwa Gustav Noske als „Volksbeauftragter für Einheiten „Ordnung schafften“, ist die Er- gesellschaftliche Prozesse: Im preußischen gegen Polen oder, ab Mai 1919, im Balti- Heer und Marine“.45 Einige Tage später, mordung der Parlamentäre der Besetzer Osten warben selbst die Volks- und Sol- kum, die strategische Lage des Reiches zu am 4. Januar 1919, entließ der preußische des „Vorwärts“-Gebäudes am 11. Januar: datenräte mit antislawischen Stereotypen verbessern, scheiterten auch daran, dass Innenminister den der USPD-angehören- Nach Augenzeugen-Berichten waren die um Freiwillige für den Grenzschutz („die die MSPD-Volksbeauftragten der Nieder- den Berliner Polizeipräsidenten Emil Eich- unbewaffneten sieben Männer, die über Polen“, so hieß es etwa in einem Aufruf schlagung von Aufständen und Putschen horn. Die Antwort der radikalen Linken die Kapitulation verhandeln wollten, von des Breslauer Volksrats, steckten nun wie- im Innern durchgängig höheres Gewicht waren Massendemonstrationen, die Be- Regierungssoldaten in die Garde-Dra- der „in fanatischer Machtgier ihre Finger beimaßen. setzung des „Vorwärts“-Verlagsgebäudes goner-Kaserne getrieben und nach Miss- nach reichsdeutschen Landen aus“38). Und und schließlich der Aufruf zum Sturz der handlungen und unter Beschimpfungen am 7. Januar 1919 erließ der Berliner Rat „Gründungsmassaker“ Regierung Ebert–Scheidemann durch die wie „Russenschweine“ niedergeschossen der Volksbeauftragten einen neuen Auf- Spitze der gerade gegründeten KPD um worden.50 ruf zur Aufstellung von Freiwilligenver- Der Übergang der MSPD-Volksbeauf- Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Sechs Wochen später, während der im bänden für den Grenzschutz. Wenn die tragten von einer eher zurückhaltenden Die MSPD-Spitze erteilte in dieser Situa- Vergleich zum „Januaraufstand“ noch OHL trotz der immer noch verbreiteten zu einer handgreiflichen Politik der in- tion Gustav Noske das Mandat, alle Mit- erheblich blutigeren „Märzkämpfe“ in Antikriegsstimmung im Mai 1919 etwa neren Sicherheit hatte sich während der tel einzusetzen und „endlich“ Schluss zu Berlin, führte besonders der von Gustav 500.000 Mann unter Waffen hatte, un- Weihnachtstage 1918 vollzogen.42 Am 23. machen „mit diesem Terror der Straße“. Noske erlassene „Schießbefehl“ zu Eskala- 80 | Rüdiger Bergien: Gründungsgewalt Rüdiger Bergien: Gründungsgewalt | 81 tionen der Gewalt: Diesem Befehl zufolge in der Terminologie der soziologischen fessoren den Mörder Arco zum patrioti- zeichneten die Stimmungen in der Räte- war jede mit der Waffe in der Hand gegen Gewaltforschung als „violent few“ be- schen Helden stilisierten“.55 regierung als verzweifelt: „Plünderungen die Regierungstruppen kämpfende Per- zeichnen lassen, als Gewalttäter, die ihre In den folgenden Wochen konkurrierten [..] in den Bauerndörfern der Umgegend son „sofort zu erschießen“, was als Frei- Kameraden anstachelten und mitrissen. In die Münchner Räte mit dem gewählten mehr[t]en sich“,58 und am 27. April trat brief für willkürliche Exekutionen genutzt Kombination mit einer gewissen Gewöh- Landtag um das Recht, eine Regierung die kommunistische Räteregierung wie- wurde und mindestens 177 Menschen das nung an die Bürgerkriegsgewalt und vor bilden zu können. Am 17. März wählten der zurück. Die roten Garden aber waren Leben kostete.51 Fragwürdig erscheint in- dem Hintergrund anhaltender Gerüchte die Landtagsabgeordneten Johannes Hoff- entschlossen, einen „Endkampf“ für die des, Ebert, Scheidemann und Noske zu über den bolschewistischen Terror ist es mann, MSPD, zum Ministerpräsidenten Räterepublik zu führen. unterstellen, sie hätten die Eskalation der wenig erstaunlich, dass die Niederschla- und verabschiedeten eine Notverfassung. Dass das Maß der Gewalt in den Ende April Gewalt nicht nur hingenommen, sondern gung der Räterepublik in München An- Doch im Zuge weiterer politischer Radi- einsetzenden Kämpfen zwischen „Roten“ geradezu angestrebt.52 fang Mai 1919 zu einer Art Fanal der staat- kalisierung, begünstigt durch Lebensmit- und „Weißen“ – den Regierungstruppen Es steht außer Frage, dass die Regierung lichen Einhegung der Revolution wurde. telknappheit, Arbeitslosigkeit und unter und Freikorps – noch einmal eskalierte, lag mit ihrer Politik der „eisernen Faust“ die dem Eindruck des Siegs der „Gegenrevo- einerseits zweifellos in der Verantwortung Ermöglichungsräume für derartige Ex- Räterepublik lution“ in anderen Teilen des Reichs, pro- der Regierenden: Noske und der bayeri- zesse schuf. Ebenso unstrittig ist, dass die klamierten in der Nacht vom 6. auf den sche Ministerpräsident Hoffmann wollten Befehlshaber vor Ort die Weisungen der In Bayern hatten noch im Januar 1919 7. April 1919 USPD-Vertreter eine erste den Aufstand so schnell wie möglich been- politischen und militärischen Führung alle Zeichen in Richtung eines friedlichen Räterepublik. Auf diese folgte, auch unter den, wohlwissend, dass jeder Tag, an dem oftmals verschärften. Zudem teilten die Übergangs zu einer gemäßigten parla- dem äußeren Druck – die nach Bamberg in einer deutschen Großstadt Rote Garden eingesetzten Soldaten antisemitische und mentarischen Republik gestanden: Die ausgewichene Regierung Hoffmann hat- das Bürgertum terrorisierten und „Revo- antikommunistische Feindbilder, von ersten Wahlen hatten hier am 12. Januar te München die Lebensmittelzufuhr ge- lutionstribunale“ tagten, ihre eigene Posi- denen ausgehend die lokal begrenzten einen deutlichen Sieg für die konservative sperrt und die Reichsregierung um Hilfe tion schwächten. Entscheidenden Anteil Aufstände als existenzielle Bedrohungen Bayerische Volkspartei sowie die MSPD gebeten – am 13. April eine zweite, nun hatten aber wiederum die situativen Eska- wirken konnten. Doch all dies sind vorge- gebracht, die jeweils über 30 Prozent der durch die KPD geführte, ungleich radi- lationsmechanismen: Am 30. April ermor- lagerte Faktoren, die die situativen Dyna- Stimmen erhielten. Die USPD, die Partei kalere Räteregierung. Diese versetzte, so deten Angehörige der Roten Garden zehn miken, die in den „Gewalträumen“53 des des Ministerpräsidenten Kurt Eisner, wur- Klaus Mann im Rückblick, das Bürgertum bürgerliche Geiseln, die einige Tage zuvor punktuellen Bürgerkriegs handlungslei- de demgegenüber mit 2,5 Prozent mar- durch „Revolutionstribunale“ und Haus- als Mitglieder der Thule-Gesellschaft ver- tend sein konnten, nur zum Teil erklären. ginalisiert. Doch am 21. Februar wurde durchsuchungen in „hysterische Panik“. haftet worden waren59 – möglicherweise Denn festzuhalten ist auch, dass es im Eisner von einem jungen Studenten und Eines musste man aber dieser KPD-Räte- in Reaktion auf Meldungen über stand- Zuge der Kämpfe in Berlin und im Ruhr- Leutnant, Anton Graf von Arco auf Valley, regierung, so Victor Klemperer am 17. Ap- rechtliche Erschießungen von „Spartakis- gebiet zwischen Januar und März nicht zu erschossen. Der Ministerpräsident war ril, „bewundernd zugestehen: sie gibt der ten“, die Regierungstruppen während des einem Flächenbrand totaler Gewalt kam. auf dem Weg zur konstituierenden Sit- Stadt ein überaus kriegerisches Gepräge. Vormarschs auf München vorgenommen So schwer jedes einzelne Opfer wiegt: Die zung des neuen Landtags gewesen, wo er Überall spazierten bewaffnete Zivilisten, hatten. Die Meldung über diesen „Geisel- Gewaltorgien des russischen Bürgerkriegs seinen Rücktritt hatte einreichen wollen. Matrosen, Infanteristen durcheinander mord“ – unter den Erschossenen war auch hatten eine andere Dimension als die Vor- Victor Klemperer, der nun an der Ludwig- [...] im Gürtel trägt man drei, vier langge- eine Frau gewesen, die Gräfin Heila von gänge in Berlin, an der Ruhr und schließ- Maximilians-Universität lehrte, erinnert stielte Handgranaten, um den Arm breite Westarp – und Berichte, dass die „Roten“ lich in München. sich, dass unmittelbar nach dem Mord die rote Binden. Es sieht mehr wildwestlich bis zu 2.000 weitere Geiseln in ihren Hän- Tatsächlich agierten die von der Regierung Universität geschlossen wurde, dass das als münchnerisch aus [...]“.56 den hatten,60 dienten den Regierungstrup- eingesetzten Einheiten sehr unterschied- „Aussehen der Stadt [...] schnell bedrohli- Freilich vollzog sich unter dieser bellizisti- pen als Freibriefe für ihre überbordende lich, so dass wiederum situativen Fakto- cher“ wurde, als überall „Lastautomobile schen Schauseite der Räterepublik ein ra- Gewalt. ren wie Gerüchten – etwa Meldungen über auftauchten, überflattert mit roten Fahnen pider Zerfallsprozess: Garnisonstruppen Der Widerstand der „Roten Armee“ war angebliche Gräueltaten der anderen Seite, und gestopft voll mit stehenden Soldaten.“ wie das 2. Infanterie-Regiment, in dem Anfang Mai gebrochen, doch die Jagd aber auch Angst und Stress – eine wichti- Zudem seien Flugblätter aufgetaucht, die zu diesem Zeitpunkt auch der Gefreite nach den Anhängern der Räteregierung ge Rolle beigemessen werden muss. Fest „zur Unterdrückung der bürgerlichen Adolf Hitler diente, beantworteten die ging noch tagelang weiter. Während der steht freilich auch: In den monatelangen Presse“ und zum Generalstreik aufforder- Aufforderung der Kommunisten, in die „rote Terror“, wie später selbst die Po- Aufstandsbekämpfungen profilierten sich ten.54 Nicht minder bedenklich schien es Rote Armee einzutreten, mit einer Streik- lizeidirektion München zugestand, vor besonders in den Freikorps und anderen ihm freilich, dass in seinem universitären drohung.57 Informanten der auf München allem eine Drohgebärde gewesen war,61 Freiwilligenformationen Akteure, die sich Umfeld „nicht wenige Studenten und Pro- vorrückenden Regierungstruppen be- erschossen die „Weißen“ mehrere Hun- 82 | Rüdiger Bergien: Gründungsgewalt Rüdiger Bergien: Gründungsgewalt | 83 dert Menschen, wobei die Ermordung von Zeitpunkt nicht oder nicht in vollem Um- Reich abgetrennten „Oststaats“ reichten.66 Literatur 21 Mitgliedern eines Katholischen Gesel- fang absehbar. Aus Sicht von Ebert, Schei- Doch in einer Besprechung der Befehls- Ewald Frie: 100 Jahre 1918/19: Offene Zukünfte, lenvereins am 6. Mai zum Symbol einer demann und Noske hatte ihre Politik der haber mit Gustav Noske am 19. Juni traf in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Con- entfesselten Soldateska wurde. Mit der Rä- „eisernen Faust“ der Republik überhaupt General Wilhelm Groener den Punkt, der temporary History 15 (2018), URL: http://www. teregierung hatten die Gesellen nichts zu erst eine Chance gegeben, und es ist in der davor warnte, sich „falsche Hoffnungen“ zeithistorische-forschungen.de/1-2018/id=5561, tun gehabt. Sie waren aufgrund falscher Tat nicht leicht zu sehen, wie eine Alter- zu machen, „wie wir sie uns im ganzen Druckausgabe: S. 98-114. 67 Beschuldigungen in die Hände siegestrun- native zu ihrer handgreiflichen Politik der Kriege gemacht haben“. Im Falle einer Alexander Gallus (Hg.), Die vergessene Revoluti- kener Freikorps-Angehöriger geraten, die inneren Sicherheit hätte aussehen können. Wiederaufnahme der Kampfhandlun- on von 1918/19, Göttingen 2010. ihre Opfer auch noch öffentlich gedemü- Dies gilt umso mehr, als sich die Mehr- gen würden die Alliierten binnen weni- tigt und misshandelt hatten, bevor es zu heitssozialdemokraten keine Sorgen über ger Wochen an der Elbe stehen. Groener, Mark Jones, Am Anfang war Gewalt. Die deut- sche Revolution 1918/19 und der Beginn der Wei- den Erschießungen im Prinz-Georg-Palais das Militär machen mussten, dessen Füh- Hindenburg und weitere Spitzenmilitärs marer Republik, Berlin 2017. kam. Bezeichnenderweise erhob sich erst rung in einer im November 1918 kaum zu empfahlen letztlich die Annahme des als jetzt öffentlicher Protest gegen die Gewalt erwartenden Loyalität ihre Befehle ausge- überaus hart und als nationale Schmach Walter Mühlhausen, Friedrich Ebert: 1871–1925; der „Befreier“, denen bis dahin, so Victor führt und von eigenen Putsch- und Um- empfundenen Friedensvertrags, während Reichspräsident der Weimarer Republik, Bonn: Dietz 2006. Klemperer am 2. Mai 1919, „neun Zehntel sturzplänen (die unter nationalistischen andere Spitzenoffiziere „der Republik“ die von München [...] zujubelte“ („und die- und monarchistischen Offizieren zuhauf Unterzeichnung des „Schmachvertrags“ Wolfram Wette, Gustav Noske. Eine politische ses Zujubeln ist keine Zeitungsphrase [...] kursierten) Abstand genommen hatte. nie verziehen. Zumindest für Teile der mi- Biographie, Düsseldorf 1987. ich kann es nach hundert Beobachtungen Tatsächlich musste auch die Bilanz der mi- litärischen Elite hatte damit auch der „Si- beschwören“.)62 Doch ungeachtet dessen litärischen Führung nach sechs Monaten cherheitskonsens“ des Winters 1918/19 auf trugen die vornehmlich auf den Gerüch- Unterstellung unter eine republikanische einer Illusion beruht – der Illusion, über ten von einem „roten Terror“ fußenden Regierung, gemessen an der katastro- die Kooperation mit der MSPD die totale 1 Walter Mühlhausen, Friedrich Ebert: 1871– Traumatisierungen des Münchner Bürger- phalen Ausgangslage, positiv ausfallen: Niederlage irgendwie abwenden oder mil- 1925: Reichspräsident der Weimarer Republik, Bonn 2006, S. 136; Mark Jones, Am Anfang war tums wesentlich dazu bei, dass Bayern in Die eigene Kommandogewalt war unbe- dern zu können. Doch diese Illusion eröff- Gewalt. Die deutsche Revolution 1918/19 und der den folgenden Jahren die rechtskonserva- stritten und man verfügte über mehrere nete der ersten deutschen Demokratie, der Beginn der Weimarer Republik, Berlin 2017, tive „Ordnungszelle“ der Weimarer Repu- hunderttausend Mann mehr oder minder Weimarer Republik, überhaupt erst eine S. 111 f. blik wurde. Zugleich wurden Bayern und einsatzfähiger Truppen: In einer Bespre- Chance. Dass diese ein gutes Jahrzehnt 2 Zur Historiographie: Mühlhausen, Friedrich Ebert (wie Anm. 1), S. 153. München zu einem der Ausgangspunkt chung mit Noske im Juni 1919 prahlte der später verspielt werden sollte, lag nicht in 3 Siehe bes. Susanne Miller, Die Bürde der jenes rechtsradikalen Terrors, der die Wei- damalige Chef des Generalstabs des Ober- der Verantwortung derjenigen, die diesen Macht. Die deutsche Sozialdemokratie 1918-1920, marer Republik in den frühen 1920 Jahren kommandos Nord, Wilhelm Heye, dass Konsens getragen hatten. Düsseldorf 1978; Wolfram Wette, Gustav Noske. noch einmal an den Rand ihrer Existenz man „das ganze polnische Heer zu Mus Eine politische Biographie, Düsseldorf 1987. 63 64 4 Sebastian Haffner, Die verratene Revolution. brachte. [sic] schlagen könnte“. Deutschland 1918/1919, Bern u.a. 1969. Im Juni 1919 wurde den Militärs dann frei- 5 Jones, Am Anfang (wie Anm. 1). Fazit lich klargemacht, dass ihre Hoffnungen, 6 Ebd., S. 10. nach der Niederlage im „großen“ Krieg 7 Siehe besonders Peter Fritzsche, Did Wei- mar Fail?, in: The Journal of Modern History, Anfang Mai 1919 war die Serie von Auf- durch „kleine“ Kriege gegen Polen oder 68 (1996), S. 629–656. ständen und Putschen, die in der Literatur gar durch die Drohung mit einem „End- 8 Michael Geyer, Zwischen Krieg und Nach- als „deutsche Revolution von 1918/19“ be- kampf“ die Lage des Reichs verbessern krieg. Die deutsche Revolution 1918/19 im Zei- chen blockierter Transnationalität, in: Die ver- zeichnet wird, beendet. Die Schockwellen zu können, Illusionen gewesen waren. gessene Revolution, hrsg. von Alexander Gallus, der extremen Gewaltanwendung sollten Als der alliierte Entwurf für den Friedens- Göttingen 2010, S. 202. die Republik bis zu ihrem Ende außer- vertrag übergeben war und die Frage nur 9 Wolfram Wette (Hrsg.), Aus den Geburtsstun- den der Weimarer Republik. Das Tagebuch des ordentlich belasten – durch den Aufstieg noch „annehmen oder ablehnen“ laute- Obersten Ernst van den Bergh, Düsseldorf 1991 eines radikalnationalistischen Terroris- te,65 entwickelten einzelne Befehlshaber (= Quellen zur Militärgeschichte, 1), S. 38. mus etwa in Gestalt der „Organisation wie General Walther von Lüttwitz (der im 10 Harry Kessler, Das Tagebuch 1880–1937, Consul“, vor allem aber dadurch, dass darauffolgenden März zum Putschisten Bd. 6: 1916–1918, hrsg. von Günter Riederer un- ter Mitarb. von Christoph Hilse, Stuttgart 2006, Teile der Arbeiterschaft dieser Repub- gegen die Reichsregierung werden sollte) S. 624. lik dauerhaft entfremdet blieben. Für die zwar radikale Pläne, die von einer „leveé 11 Martin H. Geyer, Verkehrte Welt. Revolution, politischen Akteure war dies zu diesem en masse“ bis zur Gründung eines vom Inflation und Moderne, München 1914–1924, Göt- 84 | Rüdiger Bergien: Gründungsgewalt Rüdiger Bergien: Gründungsgewalt | 85 tingen 1998 (= Kritische Studien zur Geschichts- 36 Hagen Schulze, Der Oststaat-Plan, in: Viertel- 59 Jones, Am Anfang war Gewalt (wie Anm. 1); wissenschaft, 128). jahrshefte für Zeitgeschichte, 18 (1970), S. 129. S. 299–307. 12 Kessler, Das Tagebuch (wie Anm. 10), S. 625. 37 Alfred von Baerensprung (Landratsamt in 60 Plöckinger, Unter Soldaten und Agitatoren 13 Wette, Aus den Geburtsstunden (wie Anm. 9), Kreuzburg) an Regierung in Breslau, betr. Der (wie Anm. 57), S. 61. S. 43. Landrat in Kreuzburg an den Regierungspräsi- 61 Ebd., S. 68. 14 Padraic Kenney, Carnival of Revolution. denten in Breslau, betr. Sicherung des Kreises 62 Klemperer, Man möchte immer weinen (wie Central 1989, Princeton, NJ 2002. gegen einen Einfall von Posen, abschriftl. an das Anm. 54), S. 168. 15 Rahel Straus, Wir lebten in Deutschland. Generalkommando VI. A.K. in Breslau, 4.1.1919, 63 Bruno Thoß, Der Ludendorff-Kreis 1919–1923. Erinnerungen einer deutschen Jüdin, 1880–1933, AP Wroclaw, Zentraler Volksrat in Breslau, 1918– München als Zentrum der mitteleuropäischen Stuttgart 1961, S. 223 f. 1920, Nr. 12, Bl. 113–116, hier Bl. 114. Gegenrevolution zwischen Revolution u. Hitler- 16 Wette (Hrsg.), Aus den Geburtsstunden, S. 41. 38 Rüdiger Bergien, Die bellizistische Repub- Putsch, München 1978 (= Miscellanea Bavarica 17 Jones, Am Anfang (wie Anm. 1), S. 86–94. lik. Wehrkonsens und „Wehrhaftmachung“ in Monacensia, 78). 18 Heinz Hürten /Georg Meyer (Hrsg.), Adjutant Deutschland 1918–1933, München 2012 (= Ord- 64 Wette, Aus den Geburtsstunden (wie Anm. 9), im Preußischen Kriegsministerium Juni 1918 bis nungssysteme, 35). S. 98. Oktober 1919. Aufzeichnungen des Hauptmanns 39 Schulze, Der Oststaat-Plan (wie Anm. 36), 65 Siehe hierzu: Horst Mühleisen, Annehmen Gustav Böhm, Stuttgart 1977 (= Beiträge zur Mili- S. 129. oder ablehnen? Das Kabinett Scheidemann, die tär- und Kriegsgeschichte, 19), S. 84. 40 Hier folge ich Keller, Die Wehrmacht (wie Oberste Heeresleitung und der Vertrag von Ver- 19 Zit. n. Jones, Am Anfang (wie Anm. 1), Anm. 35). sailles im Juni 1919, in: Vierteljahrshefte für Zeit- S. 90 f. 41 Schulze, Der Oststaat-Plan (wie Anm. 36), geschichte, 35 (1987), S. 419-481. 20 Jörg Baberowski, Einleitung. Ermöglichungs- S. 136. 66 Schulze, Der Oststaat-Plan (wie Anm. 36). räume exzessiver Gewalt, in: Gewalträume. Sozi- 42 Zum Folgenden siehe Jones, Am Anfang war 67 Wette, Aus den Geburtsstunden (wie Anm. 9), ale Ordnungen im Ausnahmezustand, hrsg. von Gewalt (wie Anm. 1), S. 118-123. S. 99. Jörg Baberowski/Gabriele Metzler, Frankfurt a.M. 43 Kessler, Das Tagebuch (wie Anm. 6), S. 704. 2012, S. 15. 44 Ebd., S. 709. 21 Michael Epkenhans, „Wir als deutsches Volk 45 Pyta, Hindenburg (wie Anm. 28). sind doch nicht klein zu kriegen ...“. Aus den 46 Epkenhans, Wir als deutsches Volk (wie Tagebüchern des Fregattenkapitäns Bogislav von Anm. 21), S. 223. Selchow, 1918/19, in: Militärgeschichtliche Mittei- 47 So der zutreffende Ausgangspunkt von Jones, lungen 55 (1996), S. 203. Am Anfang war Gewalt (wie Anm. 1). 22 Wette, Aus den Geburtsstunden (wie Anm. 9), 48 In der Verwendung des Begriffs „Regierungs- S. 54 f. truppen“ als Oberbegriff für die Vielzahl der 23 Mühlhausen, Friedrich Ebert (wie Anm. 2), regulären und Freiwilligen-Verbände, die dem S. 159. Kommando der MSPD-Regierung unterstanden, 24 Ebd., S. 157. folge ich Keller, Die Wehrmacht (wie Anm. 35). 25 Wette, Gustav Noske (wie Anm. 3), S. 268 f. 49 Klaus Gietinger, Der Konterrevolutionär. 26 Geyer, Zwischen Krieg und Nachkrieg (wie Waldemar Pabst – eine deutsche Karriere, Ham- Anm. 8), S. 195. burg 2009. 27 William Mulligan, The Creation of the Mo- 50 Ebd., S. 194. dern German Army. General Walther Reinhardt 51 Jones, Am Anfang (wie Anm. 1), S. 254. and the Weimar Republic, 1914–1930, New York, 52 So das zentrale Argument von ebd.; ähnlich NY 2005 (= Monographs in German history, 12), Gietinger, Der Konterrevolutionär (wie Anm. 49); S. 35. differenzierter: Wette, Gustav Noske (wie 28 Zit. n. Wolfram Pyta, Hindenburg. Herrschaft Anm. 3). zwischen Hohenzollern und Hitler, München 53 Vgl. Jörg Baberowski, Räume der Gewalt, 2009, S. 384. Frankfurt a.M. 2015; siehe auch Michael Wildt, 29 Ebd., S. 966, Anm. 20. Timothy Snyder Bloodlands, in: Kritika, 14 (2013), 30 Zit. n. Mühlhausen, Friedrich Ebert (wie 1, S. 205 f. Anm. 2), S. 131. 54 Victor Klemperer, Man möchte immer weinen 31 Mulligan, The Creation (wie Anm. 27), S. 36 und lachen in einem. Revolutionstagebuch 1919, 32 Pyta, Hindenburg (wie Anm. 28), S. 387. Bonn 2016 (= Bundeszentrale für Politische Bil- 33 Epkenhans, Wir als deutsches Volk (wie dung: Schriftenreihe, 1590), S. 84. Anm. 21), S. 209. 55 Wolfram Wette, Die deutsche Revolution von 34 Zit. n. Geyer, Zwischen Krieg und Nachkrieg 1918/19. Ein historischer Essay, in: Klemperer, (wie Anm. 8), S. 199, dessen Deutung ich hier Man möchte immer weinen (wie Anm. 54), S. 209. auch im Weiteren folge. 56 Klemperer, Man möchte immer weinen (wie 35 Diesen Umbauprozess beschreibt grundle- Anm. 54), S. 121. gend Peter Keller, „Die Wehrmacht der Deut- 57 Othmar Plöckinger, Unter Soldaten und schen Republik ist die Reichswehr“. Die deutsche Agitatoren. Hitlers prägende Jahre im deutschen Armee 1918–1921, Paderborn 2014 (= Krieg in der Militär 1918–1920, Paderborn 2013, S. 53. Geschichte, 82). 58 Ebd., S. 51. 87

Peter Keller Freikorps, Volkswehren, Sicherheitstruppen… Die Regierungstruppen von 1918/19 und die Entstehung des Freikorpsmythos*

Wer kennt heute noch Cordt von Brandis? auch die Angehörigen der Rätebewegung, Mehr als hundert Jahre nach der Schlacht die immer mehr Soldaten mit ihrem um- von Verdun ist der Name des „Stürmers stürzlerischen Gedankengut anzustecken vom Douaumont“ vermutlich nicht ein- versuchen. mal mehr jedem Militärhistoriker ein Be- Entsprechend konfliktreich gestaltet sich griff. In Schulbüchern jedenfalls ist von der Rückmarsch. Mehrfach gerät Brandis Brandis nichts mehr zu lesen, Lexika mit seinem Bataillons-Soldatenrat anein- führen ihn nicht als Stichwort, und die ander. Doch auch in der Heimat reißen die Stammtische, an denen noch über Brandis Probleme nicht ab. Als die Frontsoldaten gesprochen wird, dürften an einer Hand nach wochenlangem Fußmarsch endlich abzuzählen sein. Kurzum: Der Ruhm des in ihrem Neuruppiner Friedensstandort „Stürmers vom Douaumont“ ist verblasst, eintreffen, müssen sie erschreckt feststel- er selber in Vergessenheit geraten. len, dass dort die liederlichsten Sitten Ein- Brandis’ ehemaligem Bestseller „Baltiku- zug gehalten haben: Überall wimmelt es mer“1 geht es kaum anders. Die Handlung von arbeitsscheuen, großsprecherischen des autobiographischen Romans ist schnell Soldatenräten, und verwahrloste Ersatz- skizziert: Man schreibt den November truppen lungern in heruntergekommenen 1918, der Weltkrieg ist verloren, der Kai- Quartieren herum. ser gestürzt, und die über die Westfront Disziplin, Gehorsam, Pflichterfüllung und verteilten deutschen Truppen räumen ihre ähnliche militärische Tugenden scheinen Stellungen, um sich auf den Weg in die im revolutionären Deutschland also kei- Heimat zu machen. In der endlosen Ko- nen Platz mehr zu haben. Umso leichter lonne, die sich gen Rhein bewegt, befindet fällt es Brandis’ Männern, der Armee den sich auch das Bataillon des Hauptmanns Rücken zu kehren. Kaum haben sie ihre von Brandis, der das Geschehen aus der Entlassungspapiere erhalten, zerstreut Ich-Perspektive schildert. Ein Blatt nimmt sich das Bataillon also in alle Winde. Ihr er dabei nicht vor den Mund: Schon auf Hauptmanm bleibt allein zurück; schließ- den ersten Seiten gibt er unumwunden zu lich kann er als Berufssoldat nicht einfach erkennen, dass er drei Dinge ganz beson- den Dienst quittieren. Aber natürlich wi- ders hasst: die Sozialdemokratie, die von dert auch ihn das Kasernenleben an. Als ihr verursachte Revolution und natürlich ihm eines Tages zu Ohren kommt, dass 88 | Peter Keller: Freikorps Peter Keller: Freikorps | 89 die OHL Freiwillige sucht, die bereit sind, on angeekelt, sehnt sich nach der altver- die zivilen Behörden den Einsatz des Mili- mene deutsche Revolution nach russi- in das Baltikum zu gehen, um dort gegen trauten militärischen Geborgenheit und tärs anfordern, um nötigenfalls bewaffnet schem Vorbild weiterzutreiben. Während die russischen Bolschewiki zu kämpfen, stellt kurz darauf im Alleingang ein auf gegen die aufsässige Bevölkerung vorzu- der Umwälzung waren aus militärischen weiß er darum sofort, was er zu tun hat: einer obskuren Mischung aus Kamera- gehen. Depots außerdem vielfach Waffen ent- eine Truppe aufstellen, mit der er gegen derie und Kadavergehorsam beruhendes In der historischen Forschung besteht heu- wendet worden, die nun unkontrolliert den Kommunismus kämpfen kann. Freikorps auf, um gegen den Kommunis- te weitgehend Konsens darüber, dass die durch unbefugte, auch kriminelle Hände Um zu vermeiden, dass sein neuer Ver- mus zu kämpfen: Hat man das alles nicht zweite der gerade genannten beiden zirkulierten. Die Furcht vor Marodeuren band von denselben Krankheiten an- schon einmal irgendwo gehört? Erstaun- Grundfunktionen in ihrer Bedeutung weit griff um sich. Gebietsstreitigkeiten mit gesteckt wird, an denen die eigentliche lich wäre es jedenfalls nicht. Schließlich hinter die erste zurückfiel. Anders als vor den neuentstandenen Nachbarstaaten Po- Armee in seinen Augen zur Genüge lei- deckt sich der gerade geschilderte Plot mit allem in der Geschichtsschreibung der len und der Tschechoslowakei schienen det, steht für Brandis fest, dass die Neu- fast allen Klischees, die bis heute über die 1970er Jahre verschiedentlich gemutmaßt schlussendlich die territoriale Integrität gründung nur außerhalb des regulären Truppen des Nachkriegs von 1918/19 im wurde,2 war das Militär nicht vorrangig der preußischen Ostprovinzen zu bedro- Heeres, in Form eines Freikorps erfolgen Umlauf sind. für den Einsatz im Innern oder gar für den hen. kann. Diese Entscheidung hat jedoch zur Entsprechen Stereotype wie diese aber tat- Bürgerkrieg aufgestellt und ausgerüstet Die Polizei war kaum in der Lage, diese Folge, dass Brandis sich bald darauf Miss- sächlich der Wahrheit? War die Art und worden. Je weiter die Integration der Ar- Sicherheitslücke zu schließen. Hier wirkte gunst und Widerständen von zwei ganz Weise, wie Brandis’ Truppe sich zusam- beiterschaft in den wilhelminischen Natio- nach, dass ihr Ausbau im Kaiserreich stets unterschiedlichen Seiten ausgesetzt sieht: menfand, wirklich so repräsentativ, wie nalstaat voranschritt, desto stärker wurde vernachlässigt worden war. Für den Ein- Die Rätedeputierten versuchen, die Auf- man im ersten Augenblick meinen möch- im reformorientierten Flügel der Sozialde- satz im Grenzschutz oder andere primär stellung des Freikorps zu hintertreiben, te? Oder handelt es sich bei Geschichten mokratie sogar das Bestreben deutlich, militärische Aufgaben kam sie ohnehin weil sie in ihr eine konterrevolutionäre wie diesen nicht doch eher um einen mo- sich konstruktiv in die Wehrpolitik einzu- nicht in Frage. Andererseits lag auf der Eingreiftruppe wittern. Die Kommando- dernen Mythos? Auf den folgenden Seiten bringen.3 Auch die Bedeutung des staatli- Hand, dass sich die dringend benötigten behörden wiederum sperren sich gegen wird darzulegen sein, dass Entstehung chen Gewaltmonopols oder, fast mehr Schutzorgane in der notwendigen Zahl Brandis’ Pläne, weil diese sich nicht mit und Entwicklung, überhaupt die gesamte noch, das Recht zur Landesverteidigung und Geschwindigkeit nicht einfach aus den hergebrachten militärischen Ord- Geschichte der Freikorps, für die passen- galten am Vorabend des Ersten Weltkriegs dem Nichts erschaffen ließen. Hierzu nungsvorstellungen in Einklang bringen derweise der später noch zu erläuternde bis weit in die Arbeiterschaft als konsens- musste zwingend auf die vorhandene, gut lassen. Der Hauptmann lässt sich davon Begriff „Regierungstruppen“ verwendet fähig.4 eingespielte und immer noch verhältnis- allerdings nicht schrecken. Im festen Ver- werden sollte, deutlich komplexer war, All das sollte im Hinterkopf behalten wer- mäßig leistungsfähige militärische Infra- trauen auf seinen Ruhm als „Stürmer vom als simple Romane wie die „Baltikumer“ den, wenn nun ein Blick auf die Umstände struktur zurückgegriffen werden. Douaumont“ beginnt er auf eigene Faust glauben machen wollen. geworfen wird, die zur Entstehung der so- Schon in den ersten Revolutionstagen – für die neue Truppe zu werben. Hauptad- genannten Freikorps von 1918/19 führten. und nicht selten sogar schon vor dem Ab- ressaten sind die ehemaligen Soldaten sei- I. Die Krise der alten Armee und die Die grobe Rahmenhandlung ist weithin schluss des berühmt-berüchtigten „Ebert- nes Bataillons. Und der Erfolg gibt Brandis Entstehung der Regierungstruppen bekannt: Am Ende des verlorenen Ersten Groener-Paktes“ vom 10. November 1918 Recht: Aufgrund seines Namens gelingt es Weltkriegs hatte der kleine Funke der Kie- – kam es in vielen Teilen Deutschlands ihm innerhalb weniger Wochen so viele Die alte Armee des Kaiserreichs war eine ler Matrosenmeuterei einen politischen daher zur Fühlungnahme von lokalen po- seiner alten Untergebenen zusammenzu- Einrichtung mit vielen Aufgaben: Sie war Flächenbrand entfacht, dem die scheinbar litischen Entscheidungsträgern und mili- trommeln, dass er über ein voll einsatz- nicht nur für den Schutz der Reichsgren- so festgefügte monarchische Ordnung tärischen Befehlsbehörden. Denn so unter- fähiges Freikorps verfügt, mit dem er gen zen und die Durchsetzung außenpoliti- nichts mehr entgegenzusetzen hatte. schiedlich beide Seiten sonst auch sein Osten aufbrechen kann. scher Interessen verantwortlich, sondern Deutschland war Republik geworden. mochten, so einig waren sie sich doch dar- Soweit die ersten Kapitel der „Baltiku- bildete, zumindest auf dem Papier, auch Doch Ruhe und Frieden waren damit nicht in, dass nun alle Differenzen hinter dem mer“. Wie gesagt: Gemeinsam mit Brandis den Eckpfeiler der inneren Sicherheitsar- eingekehrt. In Stadt und Land herrschte Ziel der Aufrechterhaltung der inneren ist auch sein literarisches Werk in Verges- chitektur. Immer dann, wenn die nur vielmehr ein großes Gefühl der Unsicher- und äußeren Sicherheit zurückzustehen senheit geraten. Umso auffälliger also, schwach ausgebaute, überwiegend noch heit. Armut und Hunger waren nach vier hätten. Eine gewisse Bekanntheit hat in dass die Handlung des Romans merk- kommunal organisierte Polizei nicht mehr entbehrungsreichen Kriegsjahren groß, diesem Zusammenhang das Beispiel des würdig vertraut klingt: Ein offensichtlich in der Lage schien, vermeintlichen oder die soziale Stimmung angespannt. Groß Stuttgarter Stadtkommandanten Christof stockreaktionärer Frontoffizier kehrt nach tatsächlichen Bedrohungen wie Massen- schien die Gefahr, dass radikale politische von Ebbinghaus erlangt, der der württem- dem verlorenen Weltkrieg in die Heimat streiks, Arbeiterrevolten oder anderen in- Agitatoren die Gunst der Stunde nutzen bergischen Revolutionsregierung um Mi- zurück, fühlt sich dort von der Revoluti- neren Unruhen Herr zu werden, konnten könnten, um die vermeintlich unvollkom- nisterpräsident Wilhelm Blos bereits am 90 | Peter Keller: Freikorps Peter Keller: Freikorps | 91

9. November seine Bereitschaft zur Zu- Freiwilligen eilends aufgefrischt worden noch funktionsfähig eingeschätzte Trup- se die 1. Garde-Division, die Garde- sammenarbeit versichert hatte. Ebbing- waren. Hervorzuheben ist im Übrigen, penteile bestimmter Verbände auf dem Kavallerie-Schützen-Division und die haus hatte sein Angebot damit begründet, dass die genannten Formationen nicht im Befehlsweg in sogenannte Freiwilligen- 1. Infanterie-Division, aber auch das dass er sich unbeschadet seiner persönli- Alleingang von den lokalen Befehlsbehör- Detachements ausgegliedert, um sie so Freikorps Schlesien (9. Infanterie-Divi- chen Überzeugungen für verpflichtet hal- den oder gar ihren späteren Truppenfüh- von ihren indolenten Stammformationen sion) und die Deutsche Schutzdivision te, seine Kräfte auch weiterhin in den rern, sondern mindestens mit Billigung, zu trennen, und mal wurden einzelne Of- (31. Infanterie-Division). Dienst von „Ruhe und Ordnung“ zu stel- oft sogar mit aktiver Unterstützung der fiziere von ihren vorgesetzten Komman- len.5 lokalen Arbeiter- und Soldatenräte aufge- dobehörden damit beauftragt, unter weid- 4. Nicht-aufgelöste Kriegsformationen, Schutzversprechen wie das von Ebbing- stellt worden sind. licher Nutzung der noch vorhandenen also zumeist Verbände der Reserve und haus reichten allein aber nicht aus. Sie Es ist nicht möglich, die teilweise recht militärischen Infrastruktur gänzlich neue der Landwehr, die nach Kriegsende mussten im Ernstfall auch mit Leben er- komplexe Entstehungsgeschichte der Einheiten aufzustellen. Näherungsweise nicht direkt in ihre Demobilmachungs- füllt werden können. Doch hieran haperte Nachkriegstruppen in diesem kurzen Bei- lassen sich bis zu elf verschiedene Forma- standorte überführt wurden, sondern es. Die Umwälzung hatte zumal im Hei- trag en détail nachzuzeichnen. Aber das tionstypen voneinander unterscheiden:6 weiterhin mobil blieben und nach matgebiet stark an der Einsatzfähigkeit ist auch gar nicht notwendig. Denn der be- und nach durch Freiwillige verstärkt der Truppe genagt. Viele kriegsmüde reits skizzierte Gedanke, wonach das Mili- 1. Grenzschutztruppen und Sicherheits- wurden. Vertreten wird diese Gruppe Wehrpflichtige hatten die Wirren der Re- tär sich gezwungen sah, die eigene Orga- formationen, die bereits vor der Heim- unter anderem durch die 1. Garde-Re- volutionstage genutzt, um sich selbst aus nisationsstruktur anzupassen, um dem kehr des Feldheeres von den lokalen serve-Division, die 9. Reserve-Division der Armee zu entlassen. Bei nicht wenigen Sicherheitsversprechen, das man den re- Kommandobehörden meist aus Trup- und die 45. Reserve-Division. anderen Soldaten bestand kaum mehr Be- publikanischen Entscheidungsträgern im penteilen des Ersatzheeres aufgestellt reitschaft, noch militärischen Dienst zu November 1918 gegeben hatte, überhaupt und durch Freiwillige ergänzt wurden. 5. Freiwilligen-Detachements, die sich tun und etwaigen Einsatzbefehlen Folge nachkommen zu können, greift auch hier. Neben der Brigade z.b.V. 5 und der auf Anweisung verschiedener Kom- zu leisten. Die Militärs standen also vor Es existierte vor allem also kein zentraler Freiwilligen Grenzschutz-Maschinen- mandostellen „aus Feldverbänden“ einem Dilemma: Sie hatten eine Schutzzu- Befehl, der eines Tages die Bildung der so- gewehr-Kompanie Roßbach fallen hie- bildeten „und sich im Wesentlichen sage abgegeben, faktisch fehlte es ihnen genannten Freikorps verbindlich und viel- runter beispielsweise auch die Repub- immer wieder aus denselben Verbän- aber an der Möglichkeit, für diese auch leicht sogar nach einheitlichem Muster likanische Schutzwache aus München, den ergänzten“, aber nicht genuin für einzustehen. Die Lösung lag indessen auf vorgeschrieben hätte. Auch gab es im en- die Kieler Eiserne Brigade oder das den Grenzschutz im Osten vorgesehen der Hand: Wenn die vorhandenen Trup- geren Sinne keine Freikorpsbewegung, die Berliner Unteroffiziersbataillon Suppe. waren. Das aus der 214. Infanterie- pen in ihrer bisherigen Form nicht mehr in aus sich heraus und womöglich an den ei- Division hervorgegangene Freiwillige der Lage waren, den Aufgaben nachzu- gentlichen militärischen Entscheidungsin- 2. Freiwilligenformationen für den Be- Landesjägerkorps und das der 231. In- kommen, für die sie vorgesehen waren, stanzen vorbei die Aufstellung der Nach- reich des Oberbefehlshabers Ost, die fanterie-Division entstammende Frei- dann mussten sie umorganisiert und ge- kriegstruppen in die Wege geleitet hätte. seit dem 15.11.1918 aus Freiwilligen korps Hülsen sind in dieser Kategorie gebenenfalls durch Freiwillige ergänzt Die Entstehung der besagten Formationen der abziehenden Truppen, Stäbe und vertreten. werden. war vielmehr das Ergebnis eines vielge- Etappenformationen und seit dem Die ersten Truppen, die später unter dem staltigen und dezentralen Transformati- 15.12.1918 zusätzlich durch Werbung 6. Freiwilligenformationen, die sich auf Oberbegriff „Freikorps“ zusammenge- onsprozesses, der vor Ort in die Wege ge- und Zuführung aus der Heimat aufge- Anweisung verschiedener Komman- fasst werden sollten, entstanden genau auf leitet wurde, um die überlastete Armee stellt wurden. Die Stämme der Eiser- dostellen „durch freie Werbung ge- diese Art und Weise. Besonders gut ist notdürftig wieder instand zu setzen, und nen Division sind in dieser Kategorie bildet hatten und sich auch weiter in dies für einige in den deutschen Ostgebie- der von vielen verschiedenen zivilen und zu finden, ebenso die Schutztruppe dieser Weise ergänzten“, und ebenfalls ten gelegene Garnisonsstädte dokumen- militärischen Akteuren gemeinsam beein- Bug oder das Düna-Freikorps. nicht genuin für den Grenzschutz vor- tiert. Schon in den ersten Tagen nach dem flusst wurde. gesehen waren. Die Freikorps Licht- 9. November 1918 wurden in Städten wie Entsprechend mannigfaltig war die Art 3. Nicht-demobilisierte Verbände des schlag, Lützow und Severin gehören in Beuthen, Graudenz, Kattowitz oder Lau- und Weise, wie die Umformung der alten Friedensheeres, das heißt aktive For- diese Gruppe. ban erste provisorische Grenzschutzver- Armee vonstatten ging. Mal wurden – wie mationen der alten Armee, die auch bände aufgestellt. Den Grundstock dieser eben schon beschrieben – noch vorhande- nach ihrer Rückkehr in die Heimat 7. Freiwilligenformationen, die auf Formationen bildeten in allen Fällen die ne Truppenteile der alten Armee durch mobil gehalten wurden und später Grundlage des Volkswehrgesetzes noch vorhandenen Überreste der örtlichen Freiwillige aufgefüllt, um sie so wieder allmählich durch Freiwillige verstärkt vom 12.12.1918 aufgestellt wurden. In Ersatztruppen, die durch Anwerbung von einsatzbereit zu machen, mal wurden als wurden. Hierzu zählen beispielswei- 92 | Peter Keller: Freikorps Peter Keller: Freikorps | 93

dieser Gruppe ist beispielsweise das nie zur Bekämpfung innerer Unruhen, Insbesondere Berufssoldaten und Kapitu- und zu welchem Zweck sie entstanden in Berlin dislozierte Freischützenkorps und lösten sich nach Beendigung ih- lanten konnten auch auf dem Befehlsweg waren. Auch in Aufbau und Organisation Meyn zu finden. res bewaffneten Einsatzes meist rasch zum Dienst in den Regierungstruppen glichen sie einander nur selten. Umge- wieder auf. Bekannte Vertreter dieser verpflichtet werden. widmete Frontdivisionen beispielsweise 8. Freiwilligenformationen für den Gruppe sind die Freiwillige Wachab- Der gängige Freikorpsbegriff taugt also hatten in vielen Fällen ihre konventionelle Grenzschutz Ost, die auf Grundlage teilung Bahrenfeld, die Akademische wenig, um die verschiedenen Formatio- Kriegsgliederung beibehalten und verfüg- des Reichsmilitärgesetzes von 1874 Volkswehr Münster sowie die meisten nen zu erfassen, die 1918/19 aus der alten ten nicht selten über damals modernste und des Aufrufs der Reichsregierung bayerischen Freikorps. Armee hervorgingen. Entsprechend wur- Waffensysteme wie Tanks, Panzerautos, vom Januar 1919 zum Schutz der deut- de er im zeitgenössischen Sprachgebrauch Flieger- oder Luftschiffabteilungen.9 An- schen Ostprovinzen aufgestellt wur- Es hat sich bekanntermaßen eingebürgert, nur sehr zurückhaltend und keinesfalls dere Formationen konnten von einer der- den. Neben dem Bayerischen Freikorps die oben aufgezählten Formationen pars als Oberbegriff für alle oben aufgeführ- art üppigen Ausstattung mit Kriegs- und für den Grenzschutz Ost zählen hierzu pro toto als Freikorps zu bezeichnen. Die- ten Verbände verwendet. Das preußische anderem Gerät nur träumen. Hier führte beispielsweise auch die Württember- se Benennung zielt letztendlich jedoch am Kriegsministerium beispielsweise unter- die reine Not mitunter zur Aufstellung gische Freiwilligenabteilung Haas, Kern der Sache vorbei. Das zeigt schon ein schied im Dezember 1918 zwar säuberlich eher kurioser Einheiten wie „Kavallerie- das Freikorps Hindenburg und das kurzer Blick in die Sprachgeschichte: His- zwischen „Sicherheitstruppen“, „Frei- Maschinengewehr-Regimentern“10 oder Ostpreußische Freiwilligenkorps. torisch handelt es sich bei den Freikorps willigen-Grenzschutz-Formationen“ und „bespannten Bootskanonen-Batterien“.11 um eine recht alte Einrichtung. Im deut- „bestehengebliebenen Feldformationen“, Auch die Größenunterschiede waren im- 9. Freiwilligenformationen für den schen Sprachraum sind die ersten Frei- kannte aber keine Gattung namens „Frei- mens: Während einige Großverbände, wie Grenzschutz West, die mit Einver- korps für das 18. Jahrhundert, vor allem korps“.7 Ebenso legte man in Bayern noch etwa die im Baltikum eingesetzte Eiserne ständnis der Entente und auf Grundla- für die Zeit des Siebenjährigen Krieges im Frühjahr 1919 größten Wert darauf, Division, tausende Soldaten zählten und ge einer Verordnung des preußischen nachgewiesen. Es waren Formationen, die dass „Freikorps“ und „Volkswehren“ zwei entsprechend gut ausgebaute rückwärtige Kriegsministeriums vom 15.12.1918 sich ausschließlich aus Freiwilligen rekru- völlig unterschiedliche Wehrkörper seien, Dienste besaßen, verfügten beispielsweise aus den abziehenden Regimentern des tierten, außerhalb der regulären Armee die keinesfalls miteinander verwechselt die meisten der im April 1919 aufgestell- Westheeres gebildet und zusätzlich aufgestellt worden waren, trotzdem aber werden dürften.8 ten bayerischen Freikorps nur über Soll- durch Werbung aus dem Reichsgebiet unter militärischen Oberbefehl standen. Dort, wo damals dennoch ein Sammel- stärken von einigen Dutzend bis hundert ergänzt wurden, wie etwa das Grenz- Dieselben drei Grundmerkmale, also Frei- ausdruck benötigt wurde, wurde von den Mann. schutz-Pionier-Bataillon 115. willigkeit der Angehörigen, Organisation Zeitgenossen in Regel der Terminus der Neben den vielen Unterschieden bestand außerhalb der regulären Armee und Ein- „Regierungstruppen“ verwendet. Um zwischen den Regierungstruppen aber 10. Sicherheitsformationen der außer- satz unter militärischem Oberbefehl, tra- unnötige Irritationen zu vermeiden und auch eine große Gemeinsamkeit. Sie alle preußischen Kontingents-Staaten fen einige Jahrzehnte später auch auf die den Blick für die Vielschichtigkeit des mi- hatten einen mehr oder minder großen Bayern, Sachsen und Württemberg, die Freikorps der Befreiungskriege zu. litärischen Transformationsprozesses von Anteil an Freiwilligen in ihren Reihen. nur zum Einsatz innerhalb der Gren- Die vermeintlichen Freikorps von 1918/19 1918/19 zu schärfen, bietet es sich an, diese Insbesondere auf der Ebene der Mann- zen ihrer Bundesstaaten verpflichtet erfüllen diese Kriterien nur bedingt. Zwar Begrifflichkeit wiederzubeleben, ohne da- schaften waren die Formationen auf Ver- waren und sich formal außerhalb der unterstanden sie alle einem militärischen mit eine moralische oder politische Wer- stärkung durch freiwillig dienende Sol- Befehlsgewalt der OHL befanden. Ty- Oberbefehl, doch waren sie nicht sämtlich tung zu verbinden. Regierungstruppen daten angewiesen. Diese zu bekommen, pische Vertreter dieser Kategorie sind außerhalb des regulären Heeres organi- waren all die Truppen, die im Auftrag der war allerdings leichter gesagt als getan: die Württembergischen und die Säch- siert. Formationen wie etwa die Garde-Ka- zivilen Exekutive als militärisches Macht- Nach über vier Jahren Krieg herrschte in sischen Sicherheitstruppen sowie die vallerie-Schützen-Division mutierten 1918/ mittel eingesetzt wurden. Es handelte sich der Bevölkerung große Militärmüdig- bayerischen Volksheimatschutz- und 1919 nicht einfach zu „Freikorps“. Juris- nicht notwendigerweise um regierungs- keit. Heeresmissstände, Revolution und Volkswehreinheiten. tisch betrachtet blieben sie bis zu ihrer treue Truppen. Niederlage hatten zusätzlich am Image Auflösung vielmehr das, was sie schon der Streitkräfte genagt. Auch in den soge- 11. Zeitfreiwilligenformationen, also Ein- vorher gewesen waren: ein Teil der alten II. Aufbau, Organisation und nannten „erwünschten Kreisen“ von Bür- heiten, die zwar unter militärischem Armee. Ein noch größeres Fragezeichen soziale Zusammensetzung der gertum und Landvolk, aus denen die alte Kommando standen, ihre Aufstellung muss hinter das Kriterium der Freiwillig- Regierungstruppen Armee ihren Ersatz bevorzugt rekrutiert aber häufig privater Initiative verdank- keit gesetzt werden. Denn bei weitem nicht hatte, war die Bereitschaft zum Dienst an ten. Verbände dieser Art existierten in alle Angehörigen der Regierungstruppen Die Regierungstruppen unterschieden der Waffe gering geworden. der Regel nur punktuell, in erster Li- hatten sich aus eigenem Antrieb gemeldet. sich nicht nur in der Art und Weise, wie 94 | Peter Keller: Freikorps Peter Keller: Freikorps | 95

Um dennoch an die benötigten Soldaten geregelt waren, nichts mehr im Wege. Bei machten und nur zeitweilig und zwischen fristig auf eine politische Indoktrinierung zu gelangen, musste von den Regierungs- den so geschlossenen Kontrakten handel- den genannten Stichdaten in den Regie- der Soldaten hinaus. Unterminiert wurde truppen ein gewaltiger Werbeaufwand te es sich stets um befristete Verträge mit rungstruppen dienten. seine Wirksamkeit freilich durch die hohe betrieben werden. Ein gängiger Weg dazu einer Laufzeit von wenigen Wochen oder Die Art und Weise, wie die Freiwilligen personelle Fluktuation in den Reihen der waren seit den ersten Tagen der Regie- Monaten, die sich automatisch verlänger- rekrutiert wurden, hatte naheliegender- Mannschaften, die politisch bearbeitet rungstruppen Zeitungsannoncen oder ten, sofern ein Freiwilliger nicht rechtzei- weise große Folgen auf die soziale Zu- werden sollten. Plakate, auf denen in mal mehr, mal we- tig von seinem ebenfalls verbrieften Kün- sammensetzung der Regierungstruppen. niger martialischer Form dazu aufgerufen digungsrecht Gebrauch machte. In den meisten Formationen dominierten III. Das Ende der Regierungstrup- wurde, sich dem Militär anzuschließen. Neben den gerade beschriebenen legalen Erwerbslose beziehungsweise wenig ge- pen und die Entstehung des Frei- Besonders hervorgehoben wurden dabei Formen der Freiwilligenwerbung existier- bildete Angehörige unterer gesellschaftli- korpsmythos oft die großzügigen Vergütungssätze.12 te allerdings auch ein nicht allzu kleines cher Schichten. Gang und gäbe war unter Nicht wenige Werbespezialisten hegten al- Repertoire an zumindest zweifelhaften bis den Truppenführern daher die Klage, dass Im Frühjahr 1919 herrschte im deutschen lerdings Zweifel am Nutzen der papiernen gänzlich illegalen Methoden. Manche Wer- sich die meisten ihrer Untergebenen nur Militär ein lange nicht gekanntes Durchei- Propaganda. Nach über vier Jahren Krieg beoffiziere hatten sich etwa darauf spezia- für Geld interessierten beziehungsweise nander: Freikorps, Freiwilligen-Detache- hatten sich gedruckte Parolen und Motive lisiert, ihren Ersatz nicht auf dem Weg der ihre Zeit beim Militär nur als Zwischen- ments, Volkswehren, Grenzschutzverbän- weitgehend abgenutzt. Speziell Plakate freien Werbung, sondern durch gezielte station auf dem Weg zurück in die zivile de, Sicherheitstruppen und viele weitere fielen in der Masse derü brigen Aushänge, Abheuerung bei anderen Formationen Erwerbstätigkeit betrachten würden. Ei- als Notbehelfe geschaffene Formationen beispielsweise den Aufrufen zur Wahl der zu gewinnen. Nicht minder fragwürdiges gentliches Interesse an der Armee, vor al- existierten in Reich und Bundesstaaten Nationalversammlung, kaum mehr auf Terrain betraten solche Werber, die in Ge- lem aber Verständnis für den militärischen ungeordnet nebeneinander her und kon- oder wurden einfach heruntergerissen. genden mit hoher Arbeitslosigkeit auf die Auftrag konnte man bei solchen Freiwilli- kurrierten um Ausrüstung, Gelder und Als bei weitem effektivste Rekrutierungs- Kommunen zutraten und diese dazu zu gen hingegen nicht zwingend vorausset- Freiwillige.14 methode galt daher die persönliche An- überreden versuchten, den Erwerbslosen zen.13 Ein derart dysfunktionaler Zustand konn- werbung vor Ort. Nahezu jeder Verband von vornherein mit der Entziehung der Aus Sicht der Kommandobehörden war te keine Dauerlösung sein. Bereits um die verfügte zu diesem Zweck über eigens Wohlfahrtshilfe zu drohen, wenn diese sich dieser Zustand in mehrfacher Hinsicht Jahreswende 1918/19 nahmen im politi- abgestellte Werbeoffiziere, die über das weigerten, „freiwillig“ in das Militär ein- ein Unding. Einerseits war zu befürchten, schen Berlin deswegen Überlegungen Ge- Land reisten, in Städten und Gemeinden zutreten. Gänzlich außerhalb des Ge-set- dass Soldaten, die nicht wussten, wofür stalt an, wieder Ordnung in die zerrütte- Vorträge hielten, ihre Zuhörer dabei ins- zes schließlich bewegten sich solche Wer- sie eigentlich eingesetzt werden sollten, ten Streitkräfte zu bringen. Zu diesem besondere über die materiellen Vorzüge ber, die unter Vorspiegelung falscher Tat- weniger Kampfbereitschaft zeigen wür- Zweck wurde im Januar 1919 mit Billi- des Militärdienstes und die großzügigen sachen behaupteten, dass der Dienst in den den. Andererseits glaubte man annehmen gung des Rats der Volksbeauftragten der Kündigungsregeln aufklärten und mitun- Regierungstruppen nicht auf Freiwillig- zu müssen, dass politisch indifferente Reichswehr-Ausschuss beim preußischen ter auch erste Voranmeldungen entgegen- keit beruhe, sondern gesetzliche Pflicht sei. Soldaten leicht zum Opfer der gegneri- Kriegsministerium eingerichtet. Haupt- nahmen. Um noch mehr Publikum anzu- Leider fällt es schwer, belastbare Schät- schen, meist kommunistischen Propagan- aufgabe des Gremiums war es, eine neue locken, wurde nicht selten versucht, die zungen über die Stärke der Regierungs- da werden könnten. Regelrechte Unter- Heeresstruktur zu konzipieren, in welche Werbevorträge durch öffentlichkeitswirk- truppen abzugeben. Mit hinreichender wanderungsängste machten sich breit. die Regierungstruppen sobald wie mög- same Attraktionen wie Schießwettbewerbe Sicherheit lässt sich nur sagen, dass die Um Abhilfe zu schaffen, wurde in immer lich überführt werden sollten. Konkret be- mit Militärgewehren zusätzlich interessant Zahl der Soldaten, die insgesamt in den mehr Formationen eine Art Aufklärungs- inhaltete das vor allem, die gesetzliche zu machen. Die Männer, die ihr Interesse jeweiligen Formationen dienten, im März unterricht abgehalten, dessen Ziel es sein Grundlage für die neu zu schaffende am Eintritt in die Streitkräfte signalisier- 1919 deutlich über 220.000, Ende April bei sollte, die Freiwilligen mit den wichtigs- Übergangsarmee zu entwerfen. Das ge- ten, erhielten von den Werbeoffizieren knapp 300.000 und im Frühsommer des- ten politischen Grundbegriffen vertraut schah mit dem „Gesetz über die Bildung sodann meist die Anweisung, sich zu ei- selben Jahres schließlich bei rund 400.000 zu machen und ihnen darzulegen, wofür einer vorläufigen Reichswehr“, das von nem bestimmten Termin bei der jeweils Mann lag. Für alle anderen Monate fehlt sie im Ernstfall kämpfen sollten. Es han- der Reichsregierung am 27. Februar 1919 nächstgelegenen Freiwilligensammelstel- es an aussagekräftigem Material. Anzu- delte sich um die Vorläufer jener berüch- erfolgreich in die Nationalversammlung le einzufinden, wo ihre gesundheitliche merken ist außerdem, dass es sich bei den tigten Reichswehr-Kurse, die später durch eingebracht wurde und eine Woche später Eignung geprüft wurde. Bestanden sie obigen Angaben um reine Momentauf- die Tatsache, dass ein Adolf Hitler dort in Kraft trat. Die Vorlage ermächtigte die Musterung, stand der Unterzeichnung nahmen handelt. Nicht erfasst ist die gro- ebenfalls als Redner tätig war, zu trauri- Reichspräsident Friedrich Ebert, „das be- eines förmlichen Dienstvertrags, in dem ße Dunkelziffer all derjenigen Soldaten, ger Berühmtheit gelangen sollten. In der stehende Heer aufzulösen und eine vor- Rechte und Pflichten des neuen Soldaten die von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch Tat lief der Aufklärungsunterricht mittel- läufige Reichswehr zu bilden, die bis zur 96 | Peter Keller: Freikorps Peter Keller: Freikorps | 97

Schaffung der neuen reichsgesetzlich zu organisierten Landespolizeien boten vie- ge aus dem allgemeinen Gedenken ver- sie 1919/20 zwar aufgelöst worden, doch ordnenden Wehrmacht die Reichsgrenzen len der Soldaten, die nicht in die Armee drängten Weltkrieg über Deutschland hin- bereits 1923 hätten sich ihre Angehörigen schützt, den Anordnungen der Reichsre- übernommen werden konnten, Aussicht weg. Es war beileibe kein Zufall, dass dennoch an der „Organisation und Durch- gierung Geltung verschafft und die Ruhe auf Unterkommen. Autoren wie Erich Maria Remarque, Edlef führung des aktiven Ruhrwiderstandes und Ordnung im Innern aufrechterhält.“15 Leider ist es kaum möglich, auch nur hin- Köppen oder Arnold Zweig ausgerechnet beteiligt“. Von ihrer Umwelt dafür „ver- Damit neigte sich die Zeit der Regierungs- reichend zuverlässige Schätzungen zur in dieser Zeit ihre berühmten Antikriegs- achtet, verleumdet und verfolgt“ seien sie truppen dem Ende zu. Letztendlich besa- Größe der gerade beschriebenen Gruppen romane vorlegten. Vor dem Hintergrund schließlich „den Weg des Nationalsozialis- ßen sie nur noch so lange eine Existenzbe- abzugeben. Das vorhandene Material der heraufziehenden Krise der späten mus“ gegangen, um in „den nat[ional]- rechtigung, wie die nunmehr in der reicht hierzu einfach nicht aus. Für die Weimarer Republik erfreute sich aller- soz[ialistischen] Sturmabteilungen und in Aufstellung begriffene vorläufige Reichs- vorläufige Reichswehr war für das Früh- dings auch die unmittelbare Nachkriegs- der “ weiterzukämpfen.17 wehr noch nicht einsatzfähig war. Für die jahr 1920 eine Zielgröße von 200.000 Mann zeit des wachsenden Interesses der Öffent- Der vormalige militärische Gattungsbe- rund 400.000 Regierungssoldaten bedeu- ausgegeben worden, also nur die Hälfte lichkeit. Theodor Pliviers große Revo- griff „Freikorps“ war im „Dritten Reich“ tete das, dass sie sich allmählich Gedan- der Stärke der vorhandenen Regierungs- lutionserzählung „Der Kaiser ging, die also zur Chiffre für eine paramilitärisch- ken über die eigene Zukunft machten truppen vom Frühsommer 1919. Trotz- Generäle blieben“ aus dem Jahr 1930 bei- voluntaristische Bewegung mutiert, die mussten. Den Freiwilligen, die ohnehin dem musste jene einen ähnlich hohen spielsweise war eine kaum verschleierte angeblich seit jeher auf das Regime Adolf nur aus materiellen Gründen zur Truppe Werbeaufwand wie diese betreiben. Daher Anklage gegen die damaligen Regierungs- Hitlers hingearbeitet hatte. Den National- gegangen waren, sich aber nicht dauerhaft liegt der Gedanke nahe, dass bei weitem politiker um Friedrich Ebert, die angeblich sozialisten selbst gab die Umdeutung der an das Militär binden wollten, dürfte das nicht jeder Freiwillige danach strebte, in durch fahrlässiges und kurzsichtiges Han- „Freikorps“ Gelegenheit, sich in einem nicht allzu schwer gefallen sein. Die Kon- die neue Armee übernommen zu werden. deln eine wirklich durchgreifende, demo- größeren, für sie schmeichelhaften histori- trakte, die sie mit ihren Einheiten ge- Viel eher ist davon auszugehen, dass die kratische Erneuerung Deutschlands ver- schen Kontext zu verorten. Störende Ele- schlossen hatten, waren durch das Reichs- Zahl der Männer, die bewusst in das bür- spielt hatten. Immer häufiger wurde die mente wie die, dass zumal republikani- wehrgesetz nicht plötzlich ungültig gerliche Leben zurückkehren wollten, nahe Vergangenheit zur Folie für die Deu- sche Kräfte nicht selten an der Entstehung geworden, sondern galten übergangswei- mindestens in den hohen Zehntausender-, tung der Gegenwart. der „Freikorps“ aktiv mitgewirkt hatten se weiter. Sie hatten also noch etwas Zeit, vielleicht sogar in den niedrigen Hundert- Diese Entwicklung machte auch vor dem und dass die Freikorpskämpfer materiel- um ihren Wiedereinstieg in die zivile Er- tausenderbereich gegangen sein dürfte. Bereich des Militärischen nicht Halt: Lang- len Werten tatsächlich alles andere abge- werbstätigkeit vorzubereiten. Das Wieder- Die allermeisten der Soldaten, die einmal sam aber sicher begann sich der Inhalt des neigt gewesen waren, wurden einfach aus- anspringen der Konjunktur, das ab Som- den Regierungstruppen gedient hatten, Freikorpsbegriffs zu wandeln. Anerkannte geblendet. mer 1919 in vielen Teilen Deutschlands zu verschwanden nach 1919/20 also von der Nachschlagewerke, die noch zur Mitte der Weidlich bedient und gefördert wurde der beobachten war, kam den potenziellen historischen Bildfläche, ohne dass sie da- 1920er Jahre unter den Freikorps aus- nationalsozialistische Freikorpsmythos Rückkehrern dabei zusätzlich entgegen. nach jemals wieder uniformiert in Erschei- schließlich die Freiwilligenformationen durch eine wachsende Anzahl von Roma- Neben der Fraktion derjenigen Männer, nung getreten wären. Woher rührt dann des 18. und 19. Jahrhunderts gefasst hat- nen und anderen, meist belletristischen die das Militär ohnedies hinter sich lassen aber das bis heute gängige Bild der Frei- ten, gingen nun dazu über, auch die Nach- Darstellungen, in denen alle mittlerweile wollte, gab es natürlich auch Soldaten, die korpskämpfer als „Landsknechte auf dem kriegstruppen von 1918/19 unter diesem geläufigen Vorstellungen zu den „Frei- ihren Dienst gerne fortsetzen wollten. Weg ins Dritte Reich“, wie der Historiker Eintrag zu fassen. Eine allmähliche Bedeu- korps“ durchexerziert wurden. Brandis’ Auch ihnen kam das Gesetz vom 6. März Matthias Sprenger es einmal sehr präg- tungsverschiebung hatte eingesetzt, deren „Baltikumer“ waren nur ein Beispiel von 1919 entgegen. Denn dort war festgelegt nant zusammengefasst hat?16 Oder anders Ziel indessen erst nach der „Machtergrei- vielen. Neben ihm brachten nun auch vie- worden, dass die Reichswehr prinzipiell gefragt: Wenn in absoluten Zahlen gese- fung“ der Nationalsozialisten 1933 offen- le andere ehemalige „Freikorps“-Kämpfer „unter Zusammenfassung bereits beste- hen die meisten Freiwilligen entweder in bar werden sollte. „Freikorps“, so die nun wie Walter von Medem, Peter von Heyde- hender Freiwilligenverbände“ aufgestellt das zivile Leben, zur Reichswehr oder verbreitete Definition, seien durch „tat- breck und Herbert Volck ihre Erinnerun- werden, mithin also die Regierungstrup- eben zur Polizei gingen, warum bestim- kräftige Offiziere […] oft gegen den Willen gen zu Papier. Generalleutnant Rüdiger pen den Grundstock der neuen Armee bil- men dann nicht diese die gängige Mei- der politischen Machthaber“ aufgestellt von der Goltz, seinerzeit Oberbefehlsha- den sollten. Soldaten, die sich in solchen nung über die sogenannten Freikorps? worden. Sie seien „antirepublikanisch aus ber der im Baltikum eingesetzten Regie- Formationen befanden, die zur Übernah- Die Antwort auf diese Fragen führt unmit- dem Zwange des politischen Geschehens“ rungstruppen, brachte es sogar fertig, sich me in die Reichswehr vorgesehen waren, telbar in die späten 1920er und frühen gewesen, hätten das „materielle Moment“ selbst zu revidieren: Hatte er 1920 in sei- besaßen realistische Chancen, endgültig 1930er Jahre. Damals, rund ein Jahrzehnt verabscheut und allein „für die Rettung nem Erstling „Meine Mission in Finnland übernommen zu werden. Auch die in der nach den Ereignissen von 1918, rollte die des Vaterlandes“ gekämpft. „[U]nter dem und im Baltikum“ noch recht moderat Entstehung begriffenen, oft militärähnlich erste große Erinnerungswelle an den lan- Druck der damaligen Machthaber“ seien über die damalige Reichsregierung geur- 98 | Peter Keller: Freikorps Peter Keller: Freikorps | 99 teilt und dafür gewisse Zweifel an der Zu- Literatur 11 Vgl. Darstellungen, Bd. 6 (wie Anm. 9), S. 199. verlässigkeit seiner Untergebenen durch- 12 Schon in einem der frühesten ermittelten Bergien, Rüdiger: Die bellizistische Republik. Freiwilligenaufrufe ist davon die Rede, dass scheinen lassen, schlug er in der 1936 Wehrkonsens und „Wehrhaftmachung“ in den potenziellen Rekruten „im Hinblick auf die unter dem Titel „Als politischer General Deutschland 1918–1933 (= Ordnungssysteme, gegenwärtige Lage des Arbeitsmarktes und der im Osten“ erschienenen Neuauflage sei- Band 35), München 2012. sonstigen Verhältnisse in Deutschland […] nicht nes Werkes gänzlich andere Töne an. Sei- wenig für den freiwilligen Eintritt geboten“ wür- Keller, Peter: „Die Wehrmacht der Deutschen Re- de, nämlich Unterkunft, ausreichende Verpfle- ne Soldaten stilisierte er nun zu glaubens- publik ist die Reichswehr.“ Die deutsche Armee gung und großzügige Bezahlung; Aufruf der festen Protofaschisten, sich selbst zum 1918–1921 (= Krieg in der Geschichte, Band 82), 10. Armee, November/Dezember 1918, General- verratenen Helden, der im Baltikum heim- Paderborn u.a. 2014. landesarchiv Karlsruhe [GLAK], 456 F 134/135, Nr. 181. lich daran gearbeitet habe, einen Mili- Sprenger, Matthias: Landsknechte auf dem Weg 13 Im Nachrichtenblatt Nr. 75 des XIV. Armee- täraufstand gegen die verhasste Republik ins Dritte Reich? Zu Genese und Wandel des korps war hierzu im Juni 1919 zu lesen: „Es steht zu initiieren. Freikorpsmythos, Paderborn u.a. 2008. ohne Zweifel, dass der überwiegende Teil der Offiziere und Mannschaften den Dienst in den Wie populär das Freikorpsgenre in Freiwilligen-Verbänden lediglich als eine reine Deutschland zeitweilig war, zeigt sich Versorgungsfrage betrachten. Aus idealen Beweg- nicht zuletzt auch daran, dass Schriftstel- gründen geht wohl nur ein verschwindend klei- 1 * Der vorliegende Beitrag baut im Wesentli- ner Teil mit, während die grosse Mehrheit auch ler wie Edwin Erich Dwinger, Hanns jeder anderen Regierung dienen würde, sofern sie chen auf der Studie des Verfassers: „Die Wehr- Heinz Ewers oder Gertrude von Brock- die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Leute befrie- macht der Deutschen Republik ist die Reichs- digt.“ GLAK, 456 F 5, Nr. 460, Bl. 156 f. dorff, die aus verschiedenen Gründen wehr.“ Die deutsche Armee 1918–1921 (= Krieg in selbst nie in einem „Freikorps“ gedient 14 Vgl. hierzu die Denkschrift: Entwick[e]lung der Geschichte, Band 82), Paderborn u.a. 2014 auf. und derzeitige Gestaltung der Reichswehr (nach hatten, auf den fahrenden Zug aufspran- Cordt von Brandis, Baltikumer. Schicksal eines dem Stande vom 15.6.1919)“; BayHStA-KA, gen und eigene Romane vorlegten, in de- Freikorps, Berlin 1939. Reichswehr-Brigade 22, Bd. 2. 2 Vgl. Bernd F. Schulte, Die deutsche Armee nen nahezu alle einschlägigen Klischees 15 Reichsgesetzblatt 1919, S. 295. 1900–1914. Zwischen Beharren und Verändern, 16 Matthias Sprenger, Landsknechte auf dem bedient wurden. Der politische Mythos, Düsseldorf 1977. Weg ins Dritte Reich? Zu Genese und Wandel des der sich um die „Freikorps“ gebildet hatte, 3 Vgl. Bernhard Neff, „Wir wollen keine Pa- Freikorpsmythos, Paderborn u.a. 2008. radetruppe, wir wollen eine Kriegstruppe…“. war mittlerweile offensichtlich stark ge- 17 Art. „Freikorps“, in: Meyers Lexikon, 8. Aufl., Die reformorientierte Militärkritik der SPD unter Bd. 4, Leipzig 1938, Sp. 658 f. Zur Umdeutung des nug, um sich selbständig fortzupflanzen. Wilhelm II. 1890-1913, Köln 2004. Freikorpsbegriffs vgl. außerdem Sprenger (wie Umso weniger kann es verwundern, dass 4 Vgl. Rüdiger Bergien, Die bellizistische Re- Anm. 16), S. 55-61 u. S. 119-125. publik. Wehrkonsens und „Wehrhaftmachung“ 18 Vgl. Sprenger (wie Anm. 16), S. 28 f. die Zahl der nach der „Machtergreifung“ in Deutschland 1918–1933 (= Ordnungssysteme, erschienenen Darstellungen zu den Frei- 19 Hagen Schulze, Freikorps und Republik Band 35), München 2012, v.a. S. 47–59. 1918–1920 (= Wehrwissenschaftliche Forschun- korps die Menge der zwischen 1919 und 5 Vgl. Christof von Ebbinghaus, Die Memoiren gen, Band 8), Boppard/Rhein 1969. 1933 vorgelegten Titel schon bald bei wei- des Generals von Ebbinghaus, Stuttgart 1928, 20 Hannsjoachim W. Koch, Der deutsche Bür- S. 45–47. tem überstieg.18 gerkrieg. Eine Geschichte der deutschen und 6 Die nachfolgende Aufstellung ist entnommen österreichischen Freikorps 1918–1923, Berlin u.a. Die damals entstandene Erinnerungslite- aus: Keller, Wehrmacht (wie Anm. 1), S. 85 f. 1978. ratur prägt unser Bild der Regierungs- 7 Vgl. Armee-Verordnungsblatt 1918, S. 948. 8 Vgl. Bayerisches Kriegsministerium an Ge- truppen bis heute: Hagen Schulzes noch neralkommandos des II. und III. bayerischen immer vielgelesene Studie „Freikorps und Armeekorps, 18. April 1919; Bayerisches Haupt- Republik“19 von 1967 stützt sich, ähnlich staatsarchiv. Abteilung IV: Kriegsarchiv [BayHStA-KA], Freikorps, Bd. 51/I. wie Hannsjoachim W. Kochs Monogra- 9 Vgl. exemplarisch die Gliederung der Garde- phie „Der Deutsche Bürgerkrieg“20 aus Kavallerie-Schützen-Division, der Deutschen dem Jahr 1978, in erster Linie auf Frei- Schutzdivision und des Freikorps Hülsen, in: Dar- stellungen aus den Nachkriegskämpfen deutscher korpsromane. Nicht nur unterschwellig Truppen und Freikorps, Bd. 6: Die Wirren in der wurden dadurch belletristische Klischees Reichshauptstadt und im nördlichen Deutschland in die wissenschaftliche Literatur übertra- 1918–1920, hrsg. v. der Kriegsgeschichtlichen gen. Hundert Jahre nach Kriegsende sollte Forschungsanstalt des Heeres, Berlin 1940, S. 197–206. es an der Zeit sein, sich von liebgewonne- 10 Vgl. Geschichte des Detachements Lierau nen Vorstellungen zu trennen. Die For- 1918/19, o.D.; Bundesarchiv-Militärarchiv, PH 26, schung ad fontes in den Archiven ruft! Nr. 12, Bl. 5. 101

Frank Wernitz Die „bayerische“ Reichswehr 1919-1920 Betrachtungen zu Uniform und Identität

Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges Feldgrau in Krieg und Frieden nahm die Uniform des deutschen Solda- ten eine weitgehend repräsentative Rolle Zu Beginn des Krieges trat an die Stelle ein, die in einem eigentümlichen Kontrast des „bunten Rockes“, mit dem das Militär zum industriellen Zeitalter des ausgehen- vor 1914 seine physische und kulturelle den 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts Präsenz in der Öffentlichkeit unterstri- stand. Deren leuchtende Farben und auf- chen hatte, ein einförmiges Feldgrau. Es fällige Abzeichen hatten ursprünglich den war die Antwort auf das seit Ende des Effekt, die Truppen auch bei erschwerten 19. Jahrhunderts veränderte Gefechtsfeld. Sichtverhältnissen durch Nebel, Rauch Weitreichende Waffensysteme und rauch- und Staub auf dem Schlachtfeld erkennen armes Pulver hatten in Bezug auf das und sogar nach Waffengattungen unter- militärische Bekleidungswesen ein Um- scheiden zu können. In der Friedenszeit denken eingeleitet, da es im Gegensatz zu zwischen 1871 und 1914 entwickelte sich früheren Zeiten nunmehr darauf ankam, die Uniform in Verbindung mit den un- die eigenen Kräfte durch gedeckte Uni- terschiedlichsten Farbkombinationen und formfarben möglichst lange dem feindli- Schmuckelementen aber nach und nach chen Blickfeld zu entziehen. Ungeachtet zu einem Kennzeichen der landsmann- dessen stieß die unter militärischen Ge- schaftlichen Zugehörigkeit und des Tradi- sichtspunkten erforderliche Abschaffung tionswertes der einzelnen Regimenter und des blauen Waffenrocks für den Feldge- Bataillone. Sie war ein bildhafter Ausdruck brauch in konservativen Armeekreisen, der historischen, gesellschaftlichen und vor allem im Umfeld Kaiser Wilhelms kulturellen Überlieferungen im deutschen II. (1859-1941) vorerst noch auf hartnä- Kontingentsheer. „In der ungebrochenen ckigen Widerstand.2 Aber bereits nach Farbigkeit und traditionsgebundenen wenigen Kriegsmonaten war „Feldgrau“ Note dieser Uniformen kamen der Über- an der Front wie auch in der Heimat „zu lieferungsstolz der Armeen und der Nati- einem festen Begriff, ja zur Symbolfarbe onalstolz dieser Epoche zum Ausdruck.“1 des deutschen Heeres überhaupt gewor- den.“3 In der öffentlichen Wahrnehmung wurden damit nicht nur das „soldatische Leben im Schützengraben“,4 sondern auch „große militärische Leistungen und hoher Opfermut“5 in einem technisch-indust- 102 | Frank Wernitz: Der Weg zu einer neuen Uniform Frank Wernitz: Der Weg zu einer neuen Uniform | 103 riellen Massenkrieg verbunden. Die mo- trotz des Waffenstillstandes vom 11. No- des Schützengrabens“ in der Nachkriegs- heiten als Nachfolgebehörde des bayeri- derne Kriegstechnologie und die Taktik vember 1918 sollte der Krieg für einen Teil zeit.13 Im Gegensatz zu der im Jahre 1915 schen Kriegsministeriums trotz aller poli- des Stellungskrieges machten jedoch die der „Feldgrauen“ noch nicht beendet sein. projektierten, schmucken feldgrauen Frie- tischen Gegensätze Bekleidungsrichtlinien tradierten Vorstellungen des soldatischen Die Auseinandersetzungen um die Nach- densuniform14 sollte die Bekleidung der für die immer noch bestehende bayerische Individuums schnell obsolet. „Als sein kriegsordnung auf nationaler und interna- künftigen Reichswehr aber „schmucklos“ Armee erlassen, die sich im Wesentlichen eigentliches Subjekt erwies sich nicht der tionaler Ebene ließen das gesellschaftliche und „den bitteren Tagen der Not und der an den von der Reichsregierung erlas- feldgraue Held, sondern die große Ma- und staatliche Leben in Deutschland als schleichenden Fremdherrschaft angemes- senen „Vorläufigen Bestimmungen über schinerie.“6 Politik, Militär und Medien einen einzigen Gewaltzusammenhang be- sen“ sein.15 Doch eingedenk dessen, dass Bekleidung und Anzug im Friedensheer“ als gesellschaftliche Deutungseliten nah- greifen. Feldgrau zum Symbol eines ganzen Welt- vom 19. Januar 1919 orientierten.20 Beide men daher Einfluss auf den öffentlichen Die „unruhigen“ Jahre 1918 bis 1920 ber- geschehens geworden war, konnte die Verordnungen waren Sinnbilder des po- Diskurs, um die grausame Realität des gen im Hinblick auf die deutschen Streit- Identifikationsbereitschaft des einzelnen litischen Umsturzes, da sie grundlegende Massenkrieges mit dem Ideal des solda- kräfte noch eine weitere Problematik in mit der Organisation erhalten werden: Eingriffe in Organisation und Struktur des tischen Heroismus zu versöhnen. Der sich. Parallel zur Demobilisierung einer „Auch der Soldat des Reichsheers trägt es, bisherigen Wehrkörpers vornahmen und „Feldgraue“ wurde folglich zum Syno- Armee von mehreren Millionen Soldaten so schmuck- und anspruchslos es ist, vol- so „das Ende einer hierarchischen Bezie- nym für alle Angehörigen des deutschen vollzog sich in zwei Stufen der Aufbau ler Stolz. Denn es ist ja die Farbe, unter der hung und die Negation eines aufgezwun- Heeres und leistete damit einer nachhal- eines neuen Heeres, das nach dem Willen seine Väter und Brüder bluteten und star- genen Ideals“ markierten.21 tigen Glorifizierung des Frontkämpfers der Siegermächte lediglich einen Umfang ben.“16 Insbesondere die Offiziere standen in po- Vorschub.7 1916 war die feldgraue Uni- von 100.000 Mann haben durfte. Zwischen Am 6. März 1919 hatte die verfassungsge- litischer Hinsicht „vor den Trümmern form neben dem Eisernen Kreuz und dem der Auflösung der alten und der defini- bende Nationalversammlung als oberstes ihres traditionellen Selbstverständnisses im selben Jahr eingeführten tiven Errichtung der neuen bewaffneten Staatsorgan des Reiches das Gesetz über als treueste Paladine der Monarchie.“22 fester Bestandteil eines vestimentären Zei- Macht füllten neu gebildete Freiwilligen- die Bildung einer vorläufigen Reichswehr Sie erfuhren zusammen mit dem Unter- chensystems8 im deutschen Heer, da „in formationen und lokale Sicherheitsweh- verabschiedet und den Reichspräsidenten offizierkorps den tiefsten Einschnitt im dem neuen Rock die Söhne ebenso hel- ren diese Lücke. Um diese Einheiten auf ermächtigt, das noch bestehende Heer äußeren Erscheinungsbild, da sie ihre denmütig zu siegen und auch zu sterben die nötige Stärke zu bringen, wurden den aufzulösen und die Grundlagen für die Schulterstücke und Tressen gegen „be- verstehen, wie es einst die Väter in dem Freiwilligen kurze Verpflichtungszeiten Errichtung einer modernen gesamtdeut- helfsmäßige“ Abzeichen eintauschen alten getan haben.“9 Diese so nicht erwar- zugestanden. Nicht nur ehemalige Solda- schen Armee zu schaffen.17 Mit Blick auf mussten. Die Dienstgrade der Offiziere tete Akzeptanz einer ursprünglich nur für ten, sondern auch viele junge, ungediente die seit 1871 bestehende Militärhoheit und Unteroffiziere sollten nunmehr durch Manöver- und Kriegszwecke eingeführten Leute meldeten sich, oft um Phasen der Ar- und in Opposition zum Berliner „Zen- hellblaue Tuchstreifen, die am linken Är- Tarnuniform entkräfteten die letzten noch beitslosigkeit zu überbrücken. Auch wenn tralismus“ sprach sich die bayerische mel von Rock, Bluse und Mantel aufge- in der Tradition behafteten Bedenken des die Werbeaufrufe den Grenzschutz im Os- Regierung jedoch gegen das Gesetz aus, näht waren, kenntlich gemacht werden.23 Monarchen. Am 27. September 1915 wur- ten betonten, waren die neuen Verbände um nicht den Eindruck zu erwecken, sie Für den als Reichsregierung amtierenden de für die künftige Friedensuniform an aus der Siucht der Reichsregierung vor „hätte sich vollständig der Reichswehr, Rat der Volksbeauftragen wie auch für die Stelle des durch den Weltkrieg überholten allem dazu da, ihre Autorität im Reichs- und damit in den Augen vieler Bayern bayerische Landesregierung war die Ab- „Preußischblau“ eine feldgraue Grund- innern gegen revolutionäre Unruhen Preußen, unterworfen.“18 Vielmehr hatte kehr von den traditionellen militärischen farbe festgelegt. Obgleich sie weitgehend und kommunistische Umsturzversuche sie am 13. Februar 1919 eine Verordnung Insignien in erster Linie ein politisches die farbigen Elemente wie Kragen, Ärmel- durchzusetzen.11 Das militärische Gefüge in Kraft treten lassen, die „alle wehrfähi- Zugeständnis an den Reichskongress der aufschläge und Schulterklappen sowie in Deutschland und in Bayern war des- gen Männer des Volksstaates Bayern“ auf- Arbeiter- und Soldatenräte, die im Rah- individuelle Schmuckelemente bzw. Sti- halb bis 1920 durch ständig wechselnde rief „sich zum freiwilligen Eintritt in den men der sogenannten „Hamburger Punk- ckereien der alten Friedensuniform über- Bezeichnungen und Zuordnungen sowie Volksheimatschutz“ zu melden. Die als te“ vom 18. Dezember 1918 die Forderung nommen hatte, war man sich einig darin, Auflösungen und Neuerrichtungen auf Gegenstück zur „vorläufigen Reichswehr“ erhoben hatten, Rangabzeichen und das „daß der feldgraue Rock sich immerdar allen Ebenen gekennzeichnet.12 Feldgrau gedachten Verbände sollten zusammen außerdienstliche Waffentragen abzuschaf- als ein ebensolches Sieges- und Ehrenkleid bestimmte auch das äußere Erscheinungs- mit „bereits bestehenden Friedenstrup- fen, um so der Zertrümmerung des Milita- erweisen wird, wie es der alte blaue getan bild der nach 1918 entstandenen Formati- penteilen […] als Stämme für die spätere rismus und der Abschaffung des Kadaver- hat.“10 onen und Truppenteile und symbolisierte Aufstellung der von der Volksvertretung gehorsams einen sichtbaren Ausdruck zu Der Weg zum Siegeskleid wurde der feld- damit nicht nur die entbehrungsreichen zu beschließenden Heeresorganisation“ verleihen.24 Diese „Degradierung“ wurde grauen Uniform durch den militärischen Kriegsjahre, sondern stand auch für eine dienen.19 Zwei Wochen zuvor hatte das vom Offizierskorps als eine öffentliche Zusammenbruch zwar verwehrt, doch dauerhafte Verankerung der „Uniform Ministerium für militärische Angelegen- Entehrung aufgefasst, d.h. durch den Ver- 104 | Frank Wernitz: Der Weg zu einer neuen Uniform Frank Wernitz: Der Weg zu einer neuen Uniform | 105 lust der Rangabzeichen als Insignien der Der Kampf um die Schulterstücke wurde vom Oberkommando Möhl31 da- diese dann auch für die bayerischen Trup- Autorität hatte sich die Offiziersehre als mit begründet, dass sie es deshalb nicht pen einzuführen, „damit die Unterschiede eine verletzliche erwiesen. „Denn Ehre Für die militärischen Eliten stellten der könnten, „weil ihre eigenen Leute darin in den Abzeichen verschwinden.“34 galt den Offizieren als Substrat ihrer sozi- Verlust der Schulterstücke zusammen eine Nachgiebigkeit erblicken würden.“ Da die Münchner Aprilereignisse des Jah- alen Identität (innere Ehre), die wiederum mit der zum gleichen Zeitpunkt erfolgten Zugleich wurde mit Blick auf die Verhält- res 1919 die militärische Handlungsunfä- eng an äußere Zeichen und Symbole (äu- Aufhebung der bisherigen Grußpflicht nisse außerhalb Bayerns festgestellt: „In higkeit deutlich zu Tage treten ließen und ßere Ehre) gebunden war.“25 Das traf na- wie auch das Verbot des außerdienstli- Norddeutschland hat der Offizier ohne das Vorhaben, reichsunabhängige Trup- türlich auch für die Offiziere der Freikorps chen Waffentragens27 ehrenrührige Anma- Achselstücke mindere Geltung.“32 Die- pen aufzustellen, sich als unrealistisch he- zu. Die Niederwerfung der Münchner ßungen dar, die sie als eine „Umkehrung se Ungleichbehandlung war zwar den rausstellte, entschloss sich die bayerische Räterepublik steigerte das Selbstbewusst- des traditionellen Verhältnisses zwischen Führern anderer Freikorps ein Dorn im Landesregierung im Juli 1919, die eigenen sein der daran beteiligten Formationen. befehlenden Offizieren und gehorchenden Auge, da „der Umstand, dass die dem Truppenteile in die Reichswehr zu über- Einige ihrer Kommandeure schwangen Mannschaften“ begriffen.28 Offiziere und Korps Epp angehörenden Offiziere und führen und so der Einheit des deutschen sich zu Interessenvertretern des gesamten Unteroffiziere fühlten sich dadurch aus Unteroffiziere Achselstücke und Tressen Heeres nicht mehr im Weg zu stehen.35 Mit bayerisch/deutschen Offizierskorps auf. der im Umbruch begriffenen Gesellschaft tragen, […] vielfach zu Missstimmung“ der Verabschiedung der Weimarer Verfas- So legte der Führer des Freikorps Görlitz ausgeschlossen und gerieten „in einen führe, doch in der Frage der alten Rangab- sung am 11. August 1919 ging die bayeri- gegen die Aberkennung der alten Rang- prekären Zustand der Statusunsicherheit zeichen war man sich einig: „Der Verlust sche Wehrhoheit endgültig in die Kompe- abzeichen gleich direkt Beschwerde beim und der Absonderung von [ihrem] ange- der alten Abzeichen musste von den Offi- tenz des Reiches über. Am 10. Juni 1919 Berliner Kriegsministerium ein: „Dass es stammten Platz in der Gesellschaft“, da sie zieren und Unteroffizieren der Verbände, war bereits das Reichsgesetz über die Bil- sich bei der Abschaffung der Achselstücke sich nicht mehr auf die äußeren Symbole bei denen sie bisher getragen wurden, als dung einer vorläufigen Reichswehr für und Tressen ganz ausschließlich um eine ihrer Autorität berufen konnten.29 Auf der schwere Kränkung und Schädigung ihres Bayern – allerding noch in Verbindung mit Frage der Ehre und nicht der Zweckmä- anderen Seite repräsentierten die traditio- Ansehens empfunden werden.“ Aus die- den Regelungen des Bündnisvertrages ßigkeit handelt, unterliegt […] nicht dem nellen Rangabzeichen für die Wortführer sem Grund wurde die Forderung erho- vom 23. November 1870 – übernommen leisesten Zweifel. […]. Die als einer der be- der Revolution die Ehre eines nationalen ben, den Verbänden, die in die Reichswehr und die Verfügung vom 5. Mai 1919 „Be- kannten sieben Punkte im Dezember 1918 Kollektivs, mit dem sie sich nicht länger überführt werden würden, Achselstücke stimmungen über die Bekleidung und aufgestellte Forderung auf Abschaffung zu identifizieren bereit waren „Die Ach- und Tressen wiederzugeben. „Geschiehe Ausrüstung der vorläufigen Reichswehr“ der Achselstücke und Tressen muß jetzt selstücke sind das Kaiserliche Hoheits- dies nicht, so entständen dem Gefühl der auch für die bayerischen Truppen zur Gel- als durch die Ereignisse längst überholt abzeichen der Offiziere, das sie getragen davon Betroffenen und der Ansicht der tung gebracht worden. Letztgenannte war angesehen werden. […] Jeder unserer Leu- haben und mit dem sie einen Einfluss Aussenstehenden nach gewissermassen für alle Verbände maßgebend, die in die te hat das durchaus richtige Empfinden, ausübten. […] daß [ist] mit ein Grund […], Offiziere und Unteroffiziere II. Klasse.“ vorläufige Reichswehr überführt werden dass das Entfernen der Achselstücke und daß die Soldaten sich voll den Offizieren Es werde deshalb erwartet, „den Offizie- sollten, aber auch für die noch bestehen- Tressen in letzter Linie weiter nichts ist, als unterwerfen müssen. […] Es ist selbstver- ren und Unteroffizieren, die trotz aller den Rumpfverbände der alten Armee. Al- ein Nachgeben gegenüber denselben Ele- ständlich, daß neue Abzeichen geschaffen erfahrenen Kränkungen, Zurücksetzun- lerdings hatten die zur Übernahme vorge- menten, von denen wir uns im Kampf für werden müssen, denn diese Hoheitsabzei- gen und Anfeindungen treu auf ihrem sehenen Teile „gemeinsame“ Abzeichen die Regierung Bluthunde und Noskegar- chen kann es nicht mehr geben. […] Wir Posten ausgehalten und sich rückhaltlos anzulegen, sprich mattgraue Doppellitzen de beschimpfen lassen müssen. Es ist ein können nicht darauf Rücksicht nehmen, in den Dienst des Vaterlandes und der am Kragen und einen Eichenlaubkranz Unding von einer Truppe zu verlangen, daß die einzelnen Offiziere sich gekränkt Regierung gestellt haben, eine Wiedergut- am Mützenbund, der die Reichskokarde dass sie einerseits die regierungsfeindli- fühlen […] Der Offizier, der die Achselstü- machung durch die Zubilligung des Tra- umschloss.36 Damit wollte die an neuen chen Elemente mit der Waffe in der Hand cke nicht ablegt, ist eben ein Anhänger der gens der alten Abzeichen zuteil“ werden Symbolen arme Republik bei ihren Adres- bekämpfen soll, während sie andererseits Gegenrevolution.“30 zu lassen.33 Das Gruppenkommando 4 in saten ein Kollektiv- oder Gruppengefühl sehen muß, daß aus Furcht vor diesen So nahm der Kampf um die Wiederherstel- München, das seinerseits einen offiziellen erzeugen, rief aber bei den nicht für die selben Elementen ihren Offizieren und lung ihrer verletzten Ehre für die militäri- „Antrag auf Wiedereinführung der alten vorläufige Reichswehr vorgesehenen bay- Unteroffizieren die bisherigen Abzeichen schen Eliten oberste Priorität ein. Befeuert Abzeichen als aussichtslos betrachtete“, erischen Truppenteilen so große Empö- genommen werden.“26 wurde diese Frage noch dadurch, dass die sah keine andere Möglichkeit, als alle Be- rung hervor37, dass sich das Berliner Offiziere des bayerischen Freikorps Epp schwerdeführer auf die in Berlin kurz vor Kriegsministerium zu einer Rechtferti- von ihrer vorgesetzten Dienststelle „noch dem Abschluss stehenden Bekleidungs- gung veranlasst sah. „Um aber den durch keine Weisung erhalten“ hatten, die neu- vorschriften für das Reichsheer und auf die Auflösung des alten Heeres, die Bil- en Dienstgradabzeichen anzulegen. Dies die internen Bestrebungen zu verweisen, dung von Freiwilligen-Formationen und 106 | Frank Wernitz: Der Weg zu einer neuen Uniform Frank Wernitz: Der Weg zu einer neuen Uniform | 107 schließlich der Reichswehr hervorgerufe- ihm unterstellen Dienststellen zu richten meistens gern erweisen würden, sehr zu- man sich zwar bewusst, dass die Reichs- nen völlig verworrenen Zuständen auf und bei allem Verständnis für ihre Anlie- rückhaltend sind.“ Daraus ergebe sich die wehr keine unbedingt zuverlässige repub- dem Gebiet der Rang- und Uniformabzei- gen folgendes klarzustellen: „Ich kann es Forderung, dass es im „Interesse der Dis- likanische Einrichtung war, aber sie „übte chen ein Ende zu machen und innerhalb im Interesse der Ruhe und Sicherheit im ziplin und Manneszucht“ angebracht einfach durch ihre Existenz, dank der kon- des deutschen Heeres Einheitlichkeit und Reiche aber nicht verantworten, die end- wäre, „wenn diese den militärischen servativen Haltung ihrer Führung, Schutz- Geschlossenheit der Verbände auch nach lich wiederhergestellte Einheitlichkeit und Gruss hindernden Umstände“ durch die funktionen […] aus“44 und war insofern außen hin wiederherzustellen, war es un- Geschlossenheit im deutschen Heere, de- Wiedereinführung der alten Dienstgrad- ein Bollwerk gegen Putschversuche und bedingt nötig, die Uniform nur auf Ange- ren äußeres Zeichen die gemeinsame abzeichen abgestellt werden und somit Aufstände linker wie rechter Extremisten. hörige der vorläufigen Reichswehr zu be- Reichswehruniform ist, durch die Erfül- zur „Wiederherstellung einer einwand- Dies mag wohl ein Grund gewesen sein, schränken.“ Für die nicht zur Reichswehr lung derartiger Wünsche wieder zu ge- freien Strassendisziplin“ beitragen wür- warum mit der Bekleidungsvorschrift gehörenden Offiziere und Unteroffiziere, fährden und hoffe, daß in der Armee hier- den.42 vom 22. Dezember 1920, die die Unifor- so das Ministerium, war hinsichtlich der für volles Verständnis herrscht. Kokarden, Auch außerhalb Bayerns wurde in diesem mierung der Reichswehr endgültig fest- Gradabzeichen und Schulterschnüre eine Portepee und Schulterschnüre tragen dem Sinne argumentiert. So beschwerte sich legte, das Reichswehrministerium dem Gleichstellung mit der Reichswehr herbei- Ehrenstandpunkte, die Ärmelabzeichen der Befehlshaber im Wehrkreis VI, Gene- Drängen der Truppe nachgegeben und geführt und dem Ehrenstandpunkt der überdies dem praktischen Bedürfnis der ralleutnant Oskar von Watter (1861-1939), wieder auf die traditionellen und bewähr- Offiziere durch Kokarde und Portepee nötigen Unterscheidung Rechnung.“ Ab- beim Reichswehrgruppen-Kommando 2 ten Dienstgradabzeichen zurückgriffen Rechnung getragen worden.38 schließend appellierte der Minister noch in Kassel, dass sich die „neuen Abzeichen hatte. Die Rückkehr der Achselstücke und Die neue Bekleidungsvorschrift rief aber an die Gehorsamspflicht seiner Offiziere: […] in keiner Weise bewährt […] haben.“ Tressen begründete Reichswehrminister auch bei den Offizieren und Unteroffizie- „Da Anerkennung der Regierungsverord- Die Anbringung am Ärmel sei viel zu un- Otto Geßler (1875-1955) lapidar mit „prak- ren der bayerischen Truppenteile, die in nungen Vorbedingung für die Zugehörig- auffällig, zudem aus minderen Material tischen Erwägungen“. So würden sich die die Reichswehr übernommen werden soll- keit zur Reichswehr ist und bleiben muß, hergestellt, das „nach kurzer Zeit verblasst Ärmelabzeichen leichter abnutzen und ten, größten Unmut hervor. Nach wie vor ersuche ich alle Dienststellen daran mitzu- und kaum von einer Strassenseite zur an- seien deshalb teurer.45 waren sie nur durch unscheinbare Schul- wirken, daß die Regierungsverordnung deren gesehen wird.“ Ein Vorgesetzter terschnüre aus Drahtgespinst und mattsil- vom 5.5.19 unabhängig von der persönli- könne folglich von Untergebenen nicht er- Erinnerungsabzeichen gleich berne, 1 cm breite Tressen an beiden Är- chen Auffassung des Einzelnen nach Mög- kannt und entsprechend gegrüßt werden. Landsmannschaftliche Abzeichen meln gekennzeichnet. Noch kurz vor die- lichkeit rasch durchgeführt wird.“ Zudem Darüber hinaus sei auch die Unterschei- und umgekehrt ser Entscheidung hatten wiederum Frei- verbat er sämtlichen Kommandobehörden dung zwischen Offizier und Unteroffizier korpsführer versucht, durch eine konzer- „etwaige Anträge der unterstellten Ver- durch den blanken bzw. matten Schieber Obwohl sich die vorläufige Reichswehr tierte Aktion aller Freikorps einen Para- bände auf Beibehaltung der bisherigen an den Schulterschnüren „nach 8 Tagen staatsrechtlich ausschließlich als eine digmenwechsel in Berlin herbeizuführen: Rangabzeichen“ erneut vorzulegen, for- Tragezeit nicht mehr zu erkennen, da das Reichseinrichtung verstand und alle Trup- „Nach telegrafischer Mitteilung Oberst- derte vielmehr „die Verbände anzuwei- blanke Metall stumpf“ geworden sei. Vor pen und Verbände erstmals in der deut- leutnant Faupel steht Frage der Achselstü- sen, künftig die unmittelbare Absendung diesem Hintergrund sehe man sich mit ei- schen Heeresgeschichte die gleiche Uni- cke und Tressen dicht vor endgültiger derartiger Protestkundgebungen an mich ner „Schädigung der Strassen und Ge- form trugen, sollte doch ihrer geschicht- Entscheidung. Erfolg ist nur zu erwarten, oder den Herrn Kriegsminister zu unter- fechtsdisziplin“ konfrontiert. Auf völliges lichen Entwicklung aus den Kontingents- wenn beschleunigt energische Eingaben lassen […].“41 Neben dem Topos „soziale Unverständnis stoße auch die Tatsache, heeren der deutschen Einzelstaaten durch aller Freikorps gemacht werden. In Berlin Ehre“ wurde von den bayerischen Trup- „dass die nichtmilitärische Sicherheitspo- eine weitgehende Berücksichtigung der ist man über Stimmung der Truppe falsch pen auch Klage über die Unzweckmäßig- lizei Achselstücke trägt, die bei Offizieren landsmannschaftlichen Eigenarten Rech- unterrichtet.“39 Es verwundert also nicht, keit der neuen Rangabzeichen geführt. bereits das Aussehen der im Frieden bei nung getragen werden. Dies wurde zum dass nach Inkrafttreten der neuen Beklei- Primärer Kritikpunkt war, „dass es gerade der Armee üblichen eingenommen haben einen durch die gemäß Bekleidungsvor- dungsrichtlinien die Enttäuschung unter unter den heutigen Zuständen schwer ist, […].“ Watter forderte deshalb das Grup- schrift vom 10. Mai 1919 verbindlich vor- den Offizieren und Unteroffizieren groß den Offizier einwandfrei als solchen zu er- penkommando auf, „die Wiedereinfüh- geschriebene Landeskokarde an Dienst- war und aus allen Teilen des Reichs Anträ- kennen. Mannschaften tragen Offiziersko- rung der alten Abzeichen zu erwägen und und Feldmützen gewährleistet. Daneben ge auf Wiedereinführung der alten Schul- karden wie Uniformen, andererseits Offi- alle Truppen zu dieser Frage zu hören.“43 bot die besagte Vorschrift, die bekannter- terstücke und Tressen gestellt wurden.40 ziere ohne jegliche Gradabzeichen sicht- Der ungebrochene Widerstand des Offi- maßen seit dem 10. Juni 1919 auch für die Der Reichswehrminister Gustav Noske bar sind. So ist es den Unteroffizieren und zier- und Unteroffizierkorps gegen die bayerische Reichswehr galt, die Möglich- (1868-1946) sah deshalb keine andere Mannschaften nicht zu verdenken, wenn neuen Dienstgradabzeichen zeigte Wir- keit, weitere landsmannschaftliche Abzei- Möglichkeit, als ein Rundschreiben an die sie mit dem militärischen Gruss, den sie kung. In Berliner Regierungskreisen war chen an der Uniform zu tragen. Hierunter 108 | Frank Wernitz: Der Weg zu einer neuen Uniform Frank Wernitz: Der Weg zu einer neuen Uniform | 109 waren konkret die Abzeichen von in der eine institutionalisierte Form der Ehrung 4 im Auftrag des Reichswehrministeri- Reichswehrministerium das Tragen von bayerischen Reichswehr aufgegangenen darstellten, ausgezeichnet. Diese Abzei- ums54 am 3. April 1920 an die unterstellten Freiwilligen- oder Landsmannschaftsab- Freiwilligenverbänden zu verstehen.46 chen waren eine mediale Inszenierung des Brigaden 21, 23 und 24 mit der Bitte wand- zeichen genehmigt worden ist.“55 Hierauf Angesichts der seit Ende Februar 1919 um Sieges gegen die Räterepublik und führten te, eine Liste der Truppenteile vorzulegen, zeigten die Reichswehr-Schützenbrigade sich greifenden revolutionären Bewegung zur Manifestation einer speziellen Erinne- „denen durch die Reichswehrbefehlsstelle 21 und 24 folgende in der Truppe getrage- in Südbayern, die die Autorität der Reichs- rungskultur, die auch der Selbstvergewis- Bayern, das Gruppenkommando oder das nen Sonderabzeichen an:56 regierung in Frage stellte und der gleich- serung als einer militärischen Elite diente. zeitig zu Tage getretenen Unfähigkeit der Mit der kollektiven Ehrung der „Befreier amtierenden Landesregierung, die Rätere- Münchens“ sollte nicht nur deren politi- Reichswehr-Schützenbrigade 21 publik zu bekämpfen, hatte sich Berlin für sche Loyalität gesichert werden, sie war Bayerisches Gebirgs-Jäger Bataillon (III. Weißes Edelweiß auf grüner Raute am 57 eine militärische Intervention entschieden. auch als Reverenz an die soldatische Ehre Bataillon) des Reichswehr-Infanterie- linken Oberarm In dieser Zwangslage rief der bayerische gedacht. Deren Kampf- und Opferbereit- Regiments 42 Ministerpräsident Johannes Hoffmann schaft hatte Vorbild für Kameraden und 4. Batterie des Bayerischen Reichswehr- (1867-1930) dazu auf, eigene Freikorps Bevölkerung zu sein. Doch nur jene, die Artillerie-Regiments 21 aufzustellen, da er die „Befreiung vom ein auf dieses Ereignis bezogenes Abzei- Alle übrigen Truppen der Reichswehr- Plakette mit Löwenkopf auf schwarzer Kommunismus nicht nur den Preußen chen trugen, waren in der Lage, aus der Schützenbrigade 21 Raute am linken Oberarm verdanken“ wollte.47 Zwischen Mitte April Anonymität herauszutreten und als „Va- Reichswehr-Brigade 23 Keine Freiwilligenabzeichen und Anfang Mai 1919 waren so weit mehr terlandsverteidiger“ gegenüber Zivilisten Reichswehr-Brigade 24 als 20 Freikorps unterschiedlicher Stärke und Kameraden aufzutreten. So gestat- 1. Batterie des Bayerischen Reichswehr- 2 gelbe Eichenlaubzweige am linken auf bayerischem Boden entstanden. tete man den Freikorpsangehörigen, „die Artillerie-Regiments 24 Oberarm unter dem Armspiegel Nach der „Befreiung“ Münchens rekla- sich bei einem Freiw.[illigen] Verbande 2. Batterie des Bayerischen Reichswehr- Silberner Tannenzweig am linken mierten diese Verbände, die sich seit Auf- besondere Verdienst erworben haben“ Artillerie-Regiments 24 Oberarm stellung als genuin bayerische Einheiten und die nicht in die Reichswehr übernom- 4. Batterie des Bayerischen Reichswehr- Gelber stehender Löwe im Kreis verstanden bzw. deren Angehörige fast men werden konnten, „das Abzeichen Artillerie-Regiments 24 mit Buchstaben „BZ“ auf schwarzer ausnahmslos Landeskinder waren und ih- dieses Verbandes zu ihrem Zivilanzug“ Samtraute am linken Oberarm rer Auffassung nach so in einem besonde- weiterzutragen.49 Die Trageberechtigung Leichte Munitionskolonne des Silbernes Eichenlaub am linken Oberarm ren Gefolgschafts- und Treuverhältnis zur war sogar „von den Truppenteilen in die Bayerischen Reichswehr-Artillerie- Regierung standen, für sich die gebühren- Entlassungspapiere einzutragen […].50 Regiments 24 de soziale Anerkennung. Eine entschei- Alle ehemaligen Angehörigen „von in Stab III. Abteilung des Bayerischen Silberner Tannenzweig am linken dende Rolle bei der Zuerkennung von die Reichswehr überführten Freiwilligen- Reichswehr-Artillerie-Regiments 24 Oberarm Ehre, Prestige und Ansehen spielte dabei verbänden“ besaßen die Genehmigung, I. Bataillon des Bayerischen Reichswehr- Gekreuzte gelbe Eichenlaubzweige am der „bayerische Oberbefehlshaber“ bei der deren Abzeichen an ihren Uniformen zu Infanterie-Regiments 47 linken Oberarm unter dem Armspiegel Operation gegen München. Generalmajor tragen „zur Erinnerung an die […] mit- Bayerisches Reiter-Regiment 17 von Möhl (1867-1944) wirkte dabei zwar gemachten Kämpfe zur Befreiung Mün- 2. Schwadron Silberne Plakette mit Tschapka am linken nur als „Durchgangsbefehlsstelle“ zwi- chens.“51 Die daraufhin von den Verbän- Oberarm schen dem eigentlichen Befehlshaber, dem den zahlreich eingereichten Anträge auf 3. Schwadron Silberne Plakette mit Georgi-Ritter am preußischen Generalleutnant von Oven, Tragen der Sonderabzeichen, die gleich- linken Oberarm und den bayerischen Truppen. Nach zeitig den Rang von landsmannschaftli- 4. und 6. Schwadron Bronzene Plakette mit Löwenkopf auf der Besetzung Münchens trat er aber am chen Abzeichen besaßen,52 wurden in der schwarzer Raute = Freiwilligenabzeichen 11. Mai 1919 an die Spitze des Bayerischen Regel von den vorgesetzten Dienststellen des bayerischen Schützenkorps Reichwehrgruppenkommandos 4 und da- genehmigt.53 Doch durch die permanente mit der höchsten Reichswehrbefehlsstelle Auflösung, Umstrukturierung, Neuzuord- in Bayern. 13 bayerische Freikorps wurden nung und Umbenennung der bayerischen Für die Trageerlaubnis der o.g. Sonder- die Genehmigung des Ministeriums für in die vorläufige Reichswehrü bernommen Einheiten und Verbände – gelegentlich in- bzw. landsmannschaftlichen Abzeichen militärische Angelegenheiten“ wie auch und nur 11 im Laufe des Jahres aufgelöst.48 nerhalb weniger Wochen – war ein so un- war zuvor über den Kommandeur des des Reichswehrministeriums eingeholt Ehemalige bayerische Freikorpskämpfer übersichtliches Gemenge entstanden, dass Reichswehrgruppenkommandos Nr. 4, worden. Sie galten somit als offiziell ge- wurden durch tragbare Abzeichen, die sich das Reichswehrgruppen-Kommando der zugleich Landeskommandant war, nehmigt. Da Ende des Jahres 1920 die 110 | Frank Wernitz: Der Weg zu einer neuen Uniform Frank Wernitz: Der Weg zu einer neuen Uniform | 111 endgültigen Bekleidungsrichtlinien für ebene ein: „Scheinbar nebensächliche Lanzenflaggen zeigen und bei Beibehal- Troddeln für Unteroffiziere und Kapitu- das „fertig gebildete“ Reichsheer heraus- Dinge wie besondere äußere Abzeichen tung der die Truppen und Waffengattun- lanten sowie die Beibehaltung der bayeri- gegeben werden sollten, wandte sich das sind Faktoren, die den Stolz des einzelnen gen unterscheidenden Armspiegel diese schen Märsche.63 Reichswehrministerium am 29. Oktober Mannes und damit die Einwirkungsmög- die Farben und Nummern der Truppen- Wenn die Bekleidungsrichtlinien vom 1920 erneut an die jeweiligen Landes- lichkeit auf Ehrgeiz und Leistung fördern. teile, deren Tradition von den einzelnen 10. Mai 1919 davon sprachen, dass die Be- kommandanten und bat unter Berufung Ein Sonderabzeichen eines Bataillons Reichsheerverbänden gepflegt würde. Ob- kleidung für alle Angehörigen der Reichs- auf die „Weimarer Vereinbarung und den wirkt intensiver wie ein Sonderabzeichen wohl Artikel 3 der Weimarer Verfassung wehr im Schnitt und in der Ausstattung Entwurf zum Reichswehrgesetz“, die den eines größeren Verbandes.“60 Der Infante- seit dem 11. November 1919 die Reichsfar- gleich und aus feldgrauem Grundtuch „Landeskommandanten mit Zustimmung rieführer, dem die taktische Führung aller ben „Schwarz-Rot-Gold“ vorschrieb, for- sei, so traf das für das bayerischen Reichs- des Reichswehrministeriums und der Infanterie-Regimenter der 7. Bayerischen derte Möhl für das bayerische Kontingent wehrkontingent seit Anfang November Länderregierungen“ das Recht einräum- Division oblag, teilte diese Auffassung die „Beibehaltung der schwarz-weiß-roten 1920 nur noch bedingt zu. Bayern war es te, die landsmannschaftlichen Abzeichen nicht, sondern favorisierte die Divisions- Kokarde […] als Erinnerungszeichen an gelungen, eine Anzahl von äußeren Kenn- zu bestimmen“, Vorschläge einzureichen. ebene: „M.[eines] E.[rachtens] haben die die unter dieser Kokarde im Verein mit zeichen durchzusetzen, um so rein op- Nach Auffassung des Ministeriums wäre Freikorpsabzeichen für kleinere Verbän- anderen deutschen Truppen durchfochte- tisch seine Truppen von denen der ande- es wünschenswert, wenn als einziges de nach Schaffung einer ständigen Armee nen Kämpfe des Weltkrieges.“ Zudem bat ren Kontingente abzuheben. Damit hatte landsmannschaftliches Abzeichen „an ihre Berechtigung verloren. Lediglich ein er, „daß entsprechend den Wünschen der sich – Zufall oder nicht – eine Parallele zu der Dienstmütze über der Reichskokarde Zeichen, das die Landsmannschaftliche Truppen und der alten Regimentsverei- den Jahren 1915/16 ergeben, in denen im und an der Feldmütze am Besatzstreifen Zusammengehörigkeit betont, ist von nigungen“ für das bayerische Kontingent Rahmen der Neuuniformierung des alten eine Kokarde in den Farben der Lands- Bedeutung. Hierfür ist aber das Eppzei- die alten Parademärsche und das Führen Reichsheeres Bayern seine letzten charak- mannschaft, der der Truppenteil ange- chen das gegebene. Sollte es nicht auf das der monarchischen „Fahnen und Standar- teristischen Uniformkennzeichen fallen hört“ getragen werden würde. Da man in ganze bayerische Kontingent ausgedehnt ten bei festlichen Gelegenheiten durch die lassen musste. König Ludwig III. (1845- Bayern den plötzlichen Übergang „vom werden, […] so umfasst es doch die bay- Kompagnien u.s.w., denen die Pflege der 1921) hatte daraufhin auf die Einführung selbständigen bayerischen Heer mit ei- erischen Kernlande (Ober- Niederbayern, Überlieferung der alten Armeetruppen- eines besonderen Hoheitsabzeichens (der gener Heeresverwaltung zu der in Berlin Schwaben und einen Teil der Pfalz).“61 Das teile übertragen ist“ genehmigt werde. Er weiß-blauen Kragenborte) gedrängt, „das zentralisierten Heereseinheit“58 noch nicht Gruppenkommando hingegen hegte Plä- säumte nicht hinzufügen, „dass auch die- die bayerischen Truppen aus den übrigen so recht verarbeitet hatte, eine völlige ne, bei denen nicht mehr die Erinnerung sen beiden Anträgen […] die Bayer. Lan- Verbänden des Reiches heraushob und Rückkehr zur aufgehobenen bayerischen an die Freikorps, sondern an die alte baye- desregierung zugestimmt [hat].”62 auch in der vereinfachten feldgrauen Uni- Militärhoheit aber nicht mehr in Betracht rische Armee im Zentrum stand. Nach Prüfung durch das Reichswehrmi- form das bayerische Kontingent leicht er- kam, wollte man zumindest im Rahmen Der bayerische Landeskommandant Ge- nisterium konnte das bayerische Wehr- kennbar machte.“64 der Uniformen die landsmannschaftliche neralleutnant Arnold Ritter von Möhl leg- kreiskommando am 8. November 1920 Geschlossenheit der 7. bayerischen Reichs- te deshalb mit Zustimmung der Landesre- zufrieden feststellen, dass folgende lands- Schwarz-Weiß-Rot anstelle wehrdivision herausstellen, die sich „als gierung dem Reichswehrministerium eine mannschaftliche Abzeichen von Ber- Schwarz-Rot-Gold Erbe der alten bayerischen Armee“59 ver- Liste vor, die folgende Anträge für das lin abgenickt wurden und somit für die stand. bayerische Kontingent im Reichsheer be- 7. Bayerische Division in Frage kamen. Hoheitszeichen stellen im Allgemeinen Wie kein anderes Symbol boten sich Son- inhaltete: Neben der bayerischen Kokar- Ein kleines weiß-blaues Wappenschild auf äußere Sinnbilder der staatlichen Gewalt derabzeichen als Ausdruck einer gruppen- de an der Feld- und Dienstmütze sollten der linken Seite des , die Lan- dar und zeigen an, dass der Träger im spezifischen Kollektivehre an, mit denen das bayerische Offiziersportepee und die deskokarde über der Reichskokarde, die hoheitlichen Auftrag tätig ist. Über ihre eine Beziehung zwischen materiellem bayerische Unteroffiziers- und Kapitulan- weiterhin die Farben Schwarz-Weiß-Rot Gestaltung und die Trageberechtigten ent- Signifikant und der symbolischen Bedeu- tentroddel wieder eingeführt werden, der zeigen durfte, das Führen der Säbel nach scheiden die Staatsoberhäupter und Regie- tung, dem Signifikat, hergestellt werden Stahlhelm auf der linken Seite ein weiß- bayerischem Muster, soweit Tragen des rungen. Solche Symbole dienen aber auch konnte. Im Rahmen der Anhörung ent- blaues Wappen tragen und – sofern im langen Säbels überhaupt in Frage kam, die der Selbstdarstellung eines Staates, da mit brannte in der bayerischen Division eine Reichsheer das Tragen von Säbeln gestat- Wiedereinführung der alten Lanzenflag- ihnen eine Integrationswirkung gegen- lebhafte Diskussion um die Frage, bis zu tet sei – wieder die Säbel nach bayerischem gen beim Reiter-Regiment 17, das Tragen über den heterogenen und oftmals ausei- welcher Ebene Sonderabzeichen getragen Muster verwendet werden dürfen. Des von Armspiegeln in den Farben und mit nanderstrebenden Gesellschaftsschichten werden sollten. Ein Bataillonskomman- Weiteren sollten die Lanzen der Unterof- den Nummern der alten Truppenteile, die eines Gemeinwesens verbunden wird und deur des bayerischen Schützen-Regiments fiziere und Mannschaften des Bayerischen Beibehaltung des bayerischen Offizier- sie somit für die Einheit des Volkes stehen. 42 setzte sich für seine Verantwortungs- Reiter-Regiments 17 die alten bayerischen Portepees einschließlich der speziellen Wie bereits dargelegt, legte Artikel 3 der 112 | Frank Wernitz: Der Weg zu einer neuen Uniform Frank Wernitz: Der Weg zu einer neuen Uniform | 113

Reichsverfassung vom 11. August 1919 ren, „wofür man jahrelang gekämpft hatte bayerischen Reichswehr von Anfang an 8 Winkle, Ralph: Der Dank des Vaterlandes. fest, dass die Reichsfarben Schwarz-Rot- – und zu kämpfen nicht mehr bereit gewe- vorhandenen restaurativen Tendenzen Eine Symbolgeschichte des Eisernen Kreuzes 1914 Gold seien, und seit dem 29. September sen war.“66 Was Wunder, wenn sich um- ganz besonders an der Entwicklung der bis 1918, Essen 2007, S. 27. 9 Freiherr v.d. Osten-Sacken u.v. Rhein, [..].: 1919 sollte dieses republikanische Staats- gekehrt der konservative Militärapparat Uniform abzulesen waren, mit der die al- Deutschlands Armee in feldgrauer Kriegs- und symbol als Emblem des Reiches auch die einhellig gegen die neue Reichskokarde ten Legitimitäts- und Loyalitätsstrukturen Friedens-Uniform. Mit den amtlichen Bestim- Dienstmützen aller Reichswehrangehöri- aussprach, da ihr das Odium des „Dolch- wiederhergestellt werden sollten. mungen und einen erläuternden Text. Berlin 1916, gen zieren. Umso erstaunlicher ist es, dass stoßes“ und der militärischen Niederlage S. 5. 10 Ebd. Berlin – offensichtlich davon unbeein- anhing. Der Wunsch nach Beibehaltung 11 Zu den Freikorps vergl. Hagen Schulze, druckt – Ende Oktober, Anfang November der am 22. März 1897 im deutschen Reichs- Freikorps und Republik, Boppard a. R. 1969 (= 1920 dem Antrag des bayerischen Grup- heer erstmals eingeführten schwarz-weiß- Militärgeschichtliche Studien. Bd. 8); Harold J. penkommandos 4 auf Beibehaltung der roten Kokarde muss deshalb als eine Ne- 1 Jürgen Kraus (Bearb.) Vom bunten Rock Gordon jr., München, Böhmen und die bayerische zum Kampfanzug. Uniformentwicklung vom Freikorpsbewegung. In: Zeitschrift für bayerische schwarz-weiß-roten Kokarde zugestimmt gierung der Weimarer Republik betrachtet Dreißigjährigen Krieg bis zur Gegenwart. Ingol- Landesgeschichte 38 (1975), S. 749-759 sowie mit hat. werden, die sich eben auch in der Farb- stadt 1987 (= Veröffentlichungen des Bayerischen Blick auf Europa Robert Gerwarth, John Horne Die Weimarer Verfassung hatte es nicht kombination Schwarz-Rot-Gold wieder- Armeemuseums, Bd. 9), S. 61. Zur Farbenpracht (Hrsg.), Krieg im Frieden. Paramilitärische Ge- vermocht, zur allgemein akzeptierten Ge- spiegelte. Die bayerische 7. Division hatte und Formenvielfalt der deutschen Armeen vor walt nach dem Ersten Weltkrieg, Göttingen 2013; dem Ersten Weltkrieg vergl. exemplarisch die zu den Selbstschutzverbänden. „Ausführungs- stalt deutscher Staatlichkeit zu werden, damit ihre Bindung an das Alte und ih- Bildbände von Ulrich Herr / Jens Nguyen, Die bestimmungen zur Bildung einer Volkswehr“, sondern galt selbst in alles andere als revo- ren Protest gegen das Neue sinnbildlich deutsche Kavallerie von 1871 bis 1914. Unifor- 14. April 1919. BayHStA Abt IV Kriegsarchiv, lutionär gesinnten Kreisen als Notlösung. formuliert.67 Der Großteil ihrer Offiziere, mierung und Ausrüstung, Wien 2006 (= Kataloge Freiwilligen-Verbände Nr. 575; Kai-Uwe Tapken, Eben dieser Charakter der Notlösung, aber auch die Unteroffiziere und Mann- des Bayerischen Armeemuseums Ingolstadt, Bd. Die Reichswehr in Bayern von 1919 bis 1924, 5) und Dies., Die deutsche Infanterie von 1871 Hamburg 2002 (= Studien zur Zeitgeschichte. Bd. des Provisorischen, Vorübergehenden schaften empfanden die Abschaffung der bis 1914. Uniformierung und Ausrüstung, Wien 26), S. 134-164 und David Clay Large, The Poli- gab Raum für Auseinandersetzungen um alten Reichsfarben einmütig als einen 2008 (= Kataloge des Bayerischen Armeemuseums tics of Law and Order: A History of the Bavarian die politische Grundstruktur des Reiches. „unglücklichen, dem Volksempfinden zu Ingolstadt. Bd. 6). Einwohnerwehr 1918-1921, Transactions of the Die Anhänglichkeit an das Alte war noch wenig Rechnung tragenden Beschluß […], 2 Jürgen Kraus, Die feldgraue Uniformierung American Philosophical Society 70.2 (1980), des deutschen Heeres 1907 bis 1918. Hrsg. v. d. S. 1-87. weit verbreitet. Die neuen Reichsfarben der einen Mangel an nationalem Taktge- Deutschen Gesellschaft für Heereskunde e.V. aus 12 Othmar Plöckinger, Unter Soldaten und Schwarz-Rot-Gold, oft als Schwarz-Rot- fühl, um nicht zu sagen an Nationalgefühl Anlass ihres 100jährigen Bestehens (1898-1998), Agitatoren. Hitlers prägende Jahre im deutschen Senf verspottet, blieben nicht nur in der überhaupt, bekundet.“68 Erst am 1. Feb- Bd. 1, Osnabrück 1999, S. 22 f. Militär 1918-1920, Paderborn, München, Wien, Truppe ungeliebt, während die Farben ruar 1921 wurde die neue Reichskokarde 3 Kraus, Uniformierung (wie Anm. 2), S. 43. Zürich 2013, S. 21f. Grundlegend hierzu immer 4 Christoph Raichle, Hitler als Symbolpolitiker. noch Georg Tessin, Deutsche Verbände und Trup- Schwarz-Weiß-Rot auch nach dem Un- in den Farben Schwarz-Rot-Gold für die Stuttgart 2014, S. 96. pen 1918-1939. Altes Heer, Freiwilligenverbände, tergang der Monarchie noch einen hohen bayerischen Reichswehrtruppen obliga- 5 Kraus, Uniformierung (wie Anm. 2), S. 43. Reichswehr, Heer, Luftwaffe, Landespolizei. Be- Stellenwert besaßen. Unter diesen Farben torisch. Auch das Ringen der Offiziere 6 Hildegard Hogen, Die Modernisierung des arb. auf Grund d. Unterlagen d. Bundesarchivs- hatte die Armee vier Jahre lang gekämpft, und Unteroffiziere um die Wiedereinfüh- Ich. Individualitätskonzepte bei Siegfried Kra- Militärarchivs; hrsg. m. Unterstützung d. Bun- cauer, Robert Musil und Elias Canetti, Würzburg desarchivs u. d. Arbeitskreises f. Wehrforschung. sie bedeckten die Bahren der Gefallenen rung der Achselstücke und Tressen muss 2000, (= Epistemata. Reihe Literaturwissenschaft. Osnabrück 1974. und wehte auf untergehenden Schiffen. als eine der nicht zu unterschätzenden Bd. 323), S. 58. 13 Patrick Oliver Heinemann, Rechtsgeschichte „Die Entente konnte zu einem billigen Folgewirkungen des verlorenen Krieges 7 Nach Kriegsende betrieben zahlreiche rechts- der Reichswehr 1918-1933, Leiden, Boston, Singa- Triumph kommen: Das Schuldbekenntnis betrachtet werden. Der symbolpolitische konservative Organisationen und Verbände einen pore, Paderborn 2018 (= Krieg in der Geschichte, regelrechten Kult „um die toten Helden“ sowie Bd. 105), S. 164. hatten sie uns abgepreßt; aber unsere Flag- Kampf um die Dienstgradabzeichen hatte die nachhaltige Glorifizierung des Frontkämp- 14 Siehe hierzu den Bildband von Jürgen Kraus, 65 ge haben wir freiwillig gestrichen.“ sich zu einer weiteren Kraftprobe für die fers. Die Stilisierung und Überzeichnung des Die deutsche Armee im Ersten Weltkrieg. Unifor- Obwohl der Bildersturm auf die Hoheits- junge Republik ausgewachsen, bei der einfachen „feldgrauen“ Weltkriegssoldaten hin mierung und Ausrüstung – 1914 bis 1918, Wien zeichen der Monarchie lediglich ein Ne- sie nicht obsiegen konnte. Mit derartigen zu einem heroischen Vorbild für die Jugend der 2004 (= Kataloge des Bayerischen Armeemuseums Weimarer Republik war weit verbreitet – bis hin- Ingolstadt, Bd. 2), S. 158-161. benkriegsschauplatz auf dem Schlachtfeld Widerständen aus der eigentlich „unpoli- ein in das republiktreue Lager. Vergl. u.a. Gudrun 15 Der preußische Kriegsminister Reinhardt der revolutionären Ereignisse war, hatten tischen“ Reichswehr konfrontiert, sah sich Brockhaus, Attraktion der NS-Bewegung, Essen gegenüber der Nationalversammlung. Zit. nach sie für die direkt involvierten Akteure eine das Reichswehrministerium gezwungen, 2014; Nils Werber / Stefan Kaufmann / Lars Koch Heinemann, Rechtsgeschichte (wie Anm. 13), einschneidende Bedeutung. Zu deutlich zumindest temporär bestimmten baye- (Hrsg.): Erster Weltkrieg. Kulturwissenschaftli- S. 165. ches Handbuch. Stuttgart, Weimar 2014, S. 400; 16 Die Reichswehr. Sammelbilderalbum. Hrsg. stand noch vielen das Bild von den revol- rischen Forderungen zur Gestaltung der Benjamin Ziemann, Gewalt im Ersten Weltkrieg. vom Haus Neuerburg, Waldorf-Astoria u. Eck- tierenden Matrosen und Soldaten vor den Reichswehruniform nachzugeben. Allein Töten. Überleben. Verweigern, Essen 2013 und stein-Halpaus. [] 1933. Augen, die ihre Kokarden von den Mützen die in diesem Beitrag ausgewählten Bei- Raichle, Hitler (wie Anm. 4). 17 Vergl. Reichsgesetzblatt Nr. 57 (1919), S. 295. rissen, weil sie das Sinnbild all dessen wa- spiele unterstreichen aber, dass die in der 18 Tapken, Reichswehr (wie Anm. 11), S. 83. 114 | Frank Wernitz: Der Weg zu einer neuen Uniform Frank Wernitz: Der Weg zu einer neuen Uniform | 115

19 Vergl. Ministerium für militärische Angele- 31 Am 11. Mai 1919 wurde das zur Befreiung 46 Vergl. Ministerium für militärische Angele- 63 Vermerk des Wehrkreiskommandos VII, genheiten. Verordnungs-Blatt Nr. 10 (1919), S. 177 Münchens von der Räteherrschaft gebildete genheiten. Verordnungs-Blatt 31 (1919), S. 720, 8. November 1920. BayHStA Abt IV Kriegsarchiv, und Tapken, Reichswehr (wie Anm. 11), S. 82. „Oberkommando von Möhl“ in das „Bayerische Nr. 27. RWGrKdo 4, Nr. 86/1. 20 Diese waren bereits seit dem 28. Januar 1919 Reichswehrgruppenkommando 4“ umgewandelt, 47 Schulze, Freikorps (wie Anm. 11), S. 95. 64 Jürgen Kraus, Die Entwicklung der bayeri- für die bayerische Armee verbindlich. Siehe dem alle in Bayern stationierten Einheiten des in 48 Vergl. hierzu Tapken, Reichswehr (wie Anm. schen Auszeichnungsborte 1916. In: Zeitschrift für Ministerium für militärische Angelegenheiten. der Aufbauphase befindlichen Reichsheeres -un 11), S. 121-125. Heereskunde Nr. 260/261 (1975), S. 172-175, hier Verordnungs-Blatt Nr. 7 (1919), S. 114ff. terstellt waren. 49 Bayerisches Gruppenkommando Nr. 4 an die S. 172. 32 Oberkommando Möhl an das Militär-Ministe- 21 Winkle, Dank (wie Anm. 8), S. 214. Reichswehrbrigaden 21-24 und die Stadtkom- 65 Thorsten Eitz, Isabelle Engelhardt, Diskurs- rium, 6. Mai 1919. BayHStA Abt. IV Kriegsarchiv, 22 Peter Keller, Epochenende. Die bayerische Ar- mandantur München, 14. August 1919. BayHStA geschichte der Weimarer Republik. Bd. 1, Hildes- RWGrKdo 4, Nr. 20. mee und der militärische Umbruch von 1919/19. Abt. IV Kriegsarchiv, RWGrKdo 4. Nr. 20. heim, Zürich, New York 2015, S. 93. 33 Gruppe Denk an das Gruppenkommando 4 50 Reichswehrminister Noske an alle militäri- 66 Heinemann, Rechtsgeschichte (wie Anm. 13), in: Günther Kronenbitter / Markus Pöhlmann Möhl, 16. Mai 1919. BayHStA Abt. IV Kriegsar- (Koord.), Bayern und der Erste Weltkrieg, hrsg. schen Dienststellen, 19. August 1919. BayHStA S. 167. chiv, RWGrKdo 4, Nr. 20. Abt. IV Kriegsarchiv, RWGrKdo 4, Nr. 86/1. 67 Vergl. Tapken, Reichswehr (wie Anm. 11), von der Bayerischen Landeszentrale für politische 34 Oberkommando Möhl an das Militär-Minis- Bildungsarbeit, München 2017, S. 219-229, hier 51 Reichswehrbefehlsstelle Bayern, 28. August S. 239 f. terium, 6. Mai 1919 und Generalmajor Möhl an 1919. BayHStA, Abt. IV. Kriegsarchiv, RWGrKdo 68 Wohlfeil / Dollinger, Reichswehr (wie Anm. S. 219. die Gruppe Denk, 17. Mai 1919. BayHStA Abt. IV 4, Nr. 86/1. 24), S. 97 23 Ministerium für militärische Angelegenhei- Kriegsarchiv, RWGrKdo 4, Nr. 20. 52 Reichswehrministerium, Chef der Heereslei- ten. Verordnungs-Blatt Nr. 7 (1919), S. 114f. 35 Vergl. hierzu Tapken, Reichswehr (wie Anm. tung an das Reichswehrgruppen-Kommando 4, 24 Die „Hamburger Punkte“ abgedruckt bei 11), S. 165-179. 14. Januar 1920. BayHStA Abt. IV Kriegsarchiv, Rainer Wohlfeil / Hans Dollinger, Die Deutsche 36 Vergl. Ministerium für militärische Angele- RWGrpKdo 4 Nr. 86/1. Reichswehr. Bilder. Dokumente. Texte. Zur Ge- genheiten. Verordnungs-Blatt Nr. 31 (1919), 53 Siehe hierzu die Anträge I. Bataillon, Reichs- schichte des Hunderttausend-Mann-Heeres 1919- S. 713 f. wehr-Infanterie-Regiment Nr. 47, 4. (Gebirgs) 1933. Wiesbaden 1977, S. 20. 37 Generalkommando I. A.K., Chef des Gene- Batterie des bayerischen Leichten Artillerie-Re- 25 Winkle, Dank (wie Anm. 8), S. 230. ralstabes an das Ministerium für militärische giments 21, Schützenbrigade 21 und bayerisches 26 Oberstleutnant Faupel an das Kriegsministe- Angelegenheiten, 27.6.1919. BayHStA Abt. IV Reiter-Regiment Nr. 17. BayHStA Abt. IV Kriegs- rium Berlin, 11. Mai 1919. BayHStA Abt. IV RWGrKdo 4, Nr. 86/1. archiv, RWGrKdo 4, Nr. 86/1. Kriegsarchiv, RWGrKdo, Nr. 20. 38 Kriegsministerium Berlin an das Ministerium 54 Reichswehrministerium, Heeresleitung an 27 Bestand vor dieser Bestimmung eine Gruß- für militärische Angelegenheiten, 5. August 1919. die Gruppenkommandos 1 und 2 und Wehrkreis- pflicht Untergebener gegenüber allen Ranghöhe- BayHStA Abt IV Kriegsarchiv, RWGrKdo 4, Nr. kommandos I – VII, 27. März 1920. BayHStA Abt. ren, welche allgemein Vorgesetzte waren, sollte 86/1. IV Kriegsarchiv, RWGrKdo 4, Nr. 86/1. sich diese Pflicht während des Dienstes nur noch 39 Oberstleutnant Faupel [Führer Freikorps 55 Reichswehrgruppen-Kommando 4 an die Görlitz] an Freikorps Denk, 11. Mai 1919 und auf die unmittelbaren Vorgesetzten beschränken. Brigaden 21, 23 und 24, 3. April 1920. BayHStA Freikorps Görlitz an Freikorps Denk, 14. Mai Außer Dienst wurde die Grußpflicht aufgehoben. Abt. IV Kriegsarchiv, RWGrKdo 4, Nr. 86/1. 1919. Bay. HStA Abt. IV Kriegsarchiv, RWGrKdo Siehe Ministerium für militärische Angelegenhei- 56 „Übersicht über die vom Reichswehrministe- 4, Nr. 20. rium für die (bayerische) Reichswehr genehmig- ten. Verordnungs-Blatt Nr. 7 (1919), S. 115 (Verbot 40 Der Befehlshaber des Wehrkreises VI an das des außerdienstlichen Waffentragens) und 116f. ten Freiwilligen-Abzeichen“. BayHStA Abt. IV Reichswehrgruppen-Kommando 2 in Kassel, 10. Kriegsarchiv, RWGrKdo 4, Nr. 86/1. (Grußpflicht). Hierzu ausführlich auch Heine- November 1920. BayHStA Abt. IV Kriegsarchiv, mann, Rechtsgeschichte (wie Anm. 13), S. 169-172. 57 Offensichtlich fand das Edelweiß als Ärmel- RWGrKdo 4, Nr. 86/1. abzeichen entgegen der bisherigen Auffassung 28 Winkle, Dank (wie Anm. 8), S. 217. 41 Noske an die Reichswehrgruppenkomman- doch Eingang in die Reichswehr. Vergl. hierzu 29 Winkle, Dank (wie Anm. 8), S. 229f. dos I und II, Armee-Oberkommando Nord und Kurt-Gerhard Klietmann, Das Edelweißabzeichen 30 Gerhard Obuch (1884-1960), Sozialist und Süd, Kommandostelle Kolberg, Generalkom- für Hochgebirgstruppenteile des Heeres. In: Die Rechtsanwalt, anlässlich einer Sitzung des Voll- mandos VII, VIII, IX, X, XI, XIV, XV und XVIII, deutsche Wehrmacht 15: Heer 163,1, Berlin [1960]. zugsrates am 9. Dezember 1918. Abgedr. in: Ministerium für militärische Angelegenheiten 58 Tapken, Reichswehr (wie Anm. 11), S. 176. Gerhard Engel / Bärbel Holtz / Ingo Materna München, Ministerium für Militärwesen Dresden, 59 Tapken, Reichswehr (wie Anm. 11), S. 11. (Hrsg.): Groß-Berliner Arbeiter- und Soldaten- Württembergisches Kriegsministerium Stuttgart, 60 Kommandeur III. Bataillon, Schützen-Regi- räte in der Revolution 1918/19: Dokumente der 26. August 1919. BayHStA Abt. IV Kriegsarchiv, ment 42 an das Regiment, 15. Juli 1920. BayHStA Vollversammlungen und des Vollzugsrates. Vom RWGrKdo 4, Nr. 86/1. Abt. IV Kriegsarchiv, RWGrKdo 4, Nr. 86/1. Ausbruch der Revolution bis zum 1. Reichsrä- 42 Gruppe Hierl an das bayerische Reichswehr- 61 Bayerischer Infanterieführer 21 an die Schüt- tekongreß, Berlin 1993, S. 680. Auch für einen gruppenkommando 4, 2. Juni 1919. BayHStA Abt. zenbrigade 21, 22. Juli 1920. BayHStA Abt. IV Großteil der Bevölkerung scheinen die traditio- IV Kriegsarchiv, RWGrKdo 4, Nr. 20. Kriegsarchiv, RWGrKdo 4, Nr. 86/1. nellen Achselstücke und Tressen Stein des An- 43 Der Befehlshaber des Wehrkreises VI an das 62 Generalleutnant Möhl an das Reichswehr- stoßes gewesen zu sein. Vergl. Oberkommando Reichswehrgruppen-Kommando 2 in Kassel, 10. ministerium, 29. Oktober 1920. BayHStA Abt IV Möhl an das Militär-Ministerium, 6. Mai 1919. November 1920. BayHStA Abt. IV Kriegsarchiv, Kriegsarchiv, RWGrKdo 4, Nr. 86/1. So hatte sich BayHStA Abt. IV Kriegsarchiv, RWGrKdo 4, Nr. RWGrKdo 4, Nr. 86/1. zuvor das bayerische Reiter-Regiment 17 im Sep- 44 Wohlfeil / Dollinger, Reichswehr (wie Anm. 20 und Reichswehrbefehlsstelle Bayern an das tember 1920 ausnahmslos für eine Beibehaltung 24), S. 97. Reichswehrgruppen-Kommando Nr. 4, 11.9.1919. der alten Kokarde ausgesprochen, eine Forde- 45 Zit. nach Heinemann, Rechtsgeschichte (wie BayHStA Abt IV Kriegsarchiv, RWGrKdo 4, Nr. rung, die von den anderen bayerischen Reichs- Anm. 13), S. 167. 86/1. wehrbrigaden einmütig geteilt wurde. Vergl. Tapken, Reichswehr (wie Anm. 11), S. 240. 117

Dieter Storz Einwohnerwehr Bayern

Der Romanist Victor Klemperer lebte Das zurückgekehrte Feldheer zerstreute während der Rätezeit in München. Mit sich bis auf geringe Reste. Die wenigen den Eigenarten der Stadt und ihrer Be- Männer, die in den Kasernen blieben, ta- wohner konnte er wenig anfangen. Ihm ten das nicht aus Liebe zum Dienst, son- missfiel sowohl der Eifer der Revolutionä- dern weil sie zunächst keine Perspektive re wie auch die Passivität des Münchner in einem Zivilberuf sahen. In dieser Lage Bürgertums, das die Dinge treiben ließ. schritt die Reichsregierung zur Aufstel- Sein eigener Standpunkt war bürgerlich, lung von Freiwilligenverbänden, denn und er begrüßte das Ende der Räterepu- nur so bekam sie für den Einsatz im In- blik, wenn auch nicht unbedingt die For- nern ein schlagkräftiges Machtmittel in men, in denen es sich abspielte. Die Gefahr die Hand. Und geschlagen wurde seit eines kommunistischen Putsches schien dem Januar 1919 reichlich, aber immer nur ihm damit aber keineswegs gebannt. Eine in kleinen Räumen, da, wo der „Bolsche- Volksbewaffnung sollte seine Wiederkehr wismus“ oder das, was man dafür hielt, verhindern, wie er am 4. Mai 1919 seinem „sein Haupt erhob“. Die Freikorps waren Tagebuch anvertraute: „Und doch ist die aber weder in der Lage noch geeignet, die Bürgerwehr jetzt das Wichtigste hier. Ent- weiten Gebiete des Landes dauerhaft zu weder man stellt sie eiligst auf, oder wir sichern. spielen nächstens, nach dem Abzug der Truppen, wieder einen Akt Sowjetrepub- Kanzler und Escherich – die bayeri- lik. Es gibt ja noch so viele fähige Köpfe in sche Einwohnerwehr entsteht Schwabing, und rote Armbinden sind so schnell wiedergefunden.“1 Dass die Schaffung lokaler Selbstschutz- Die Aufrechterhaltung der öffentlichen organisationen den Berliner Segen hatte, Ordnung hatte im Kaiserreich auf einer war für Bayern nicht entscheidend, auch ebenso einfachen wie leistungsfähigen Si- wenn es sich als hilfreich erweisen sollte. cherheitsarchitektur beruht: Polizei bzw. Seit der Novemberrevolution vollzog sich Gendarmerie waren relativ schwach, aber die Entwicklung in dem neuen Freistaat hinter ihnen standen zahlreiche übers gan- weitgehend unabhängig vom Reich. Im ze Land verteilte Militärgarnisonen. Der Dezember 1918 war in München ein erster Einsatz von Militär bei inneren Unruhen Versuch, eine „Bürgerwehr“ aufzustellen, war international üblich, geschah aber in am Widerstand von Ministerrat, Solda- Deutschland seltener als in allen anderen tenrat und sozialistischen Parteigremien Großstaaten der Zeit vor 1914. gescheitert. Die Wiege der bayerischen Mit der Niederlage löste sich dieser Si- Einwohnerwehr stand im Raum Isen – cherheitsapparat auf: Die Polizei hatte ihre Rosenheim – Wasserburg am Inn, also im jüngsten und leistungsfähigsten Beamten östlichen Oberbayern. Es waren zwei ent- bereits während des Krieges an die Armee schlossene Männer, die dort die Grundla- verloren und war nicht annähernd in der gen für den Aufbau einer schließlich das Lage, die Entwicklung zu kontrollieren. ganze Land umfassenden Massenorgani- 118 | Dieter Storz: Einwohnerwehr Bayern Dieter Storz: Einwohnerwehr Bayern | 119 sation schufen. Ihr Begriff von „Ruhe und Miesbach, Ebersberg, Traunstein.“2 Diese Süden und Südosten ausbreitete. Kanzler Mitglieder müssen mindestens 20 Jahre Ordnung“ war an der Monarchie orien- Vollmacht besaß für Kanzler unschätzba- gewann unterdessen Raum nach Norden. alt sein. Um Mißdeutungen zu vermeiden, tiert. Die Revolution lehnten sie ab, und ren Wert, denn fortan handelte er im Re- Mit den Truppen, welche zur „Nieder- empfiehlt sich die Bezeichnung ‚Einwoh- doch erfuhren sie von der SPD-geführten gierungsauftrag. Damit öffneten sich für werfung der Räteherrschaft“ in München nerwehren‘. Regierung Hoffmann seit dem April 1919 ihn die Waffendepots der Armee. Zur glei- eingezogen waren, gelangte dorthin auch 3. Die Einwohnerwehren sind rein örtli- eine Förderung, die für ihren Erfolg ent- chen Zeit, als die Regierungstruppen in ein Offizier im unauffälligen Rang eines che, nicht militärische Schutzverbände. scheidend werden sollte. München einrückten, setzte sich Kanzler Hauptmanns, der es verstand, sich rasch Die sie betreffenden Fragen grundsätzli- Rudolf Kanzler (1873-1919) leitete bei mit einigen der gerade erst aus dem Bo- großen Einfluss zu verschaffen: der gebür- cher Natur entscheidet das Ministerium Kriegsende das Vermessungsamt Rosen- den gestampften Freikorps wieder in den tige Münchner Ernst Röhm, wie Esche- des Innern, soweit Mitwirkung der Mi- heim und saß für das Zentrum als Abge- Besitz von Rosenheim und Kolbermoor. rich und Kanzler ein Organisationsgenie. litärbehörden in Betracht kommt, nach ordneter im bayerischen Landtag. Die Re- Um das Erreichte zu sichern, machte er Röhm war Adjutant des Stadtkomman- Einvernehmen mit dem Ministerium für volution vermochte sein politisches Welt- sich an den Aufbau einer Einwohnerwehr danten mit Sitz im Armeemuseum. In ei- militärische Angelegenheiten. Die Bildung bild nicht zu erschüttern. Vielmehr fühlte im Chiemgau. ner Denkschrift vom 13. Mai setzte auch der Einwohnerwehren ist Sache der Zivil- er sich berufen, selbst aktiv ins Geschehen Der andere Gründungsvater der Einwoh- er sich für die Schaffung einer Einwohner- behörden. Zur Unterstützung in Fragen einzugreifen, und zwar im bürgerlich- nerwehr war Georg Escherisch (1870- wehr ein: „Rücken heute die Reichstrup- militärischer Organisation erhalten die konservativen Sinn. Er begann, Gleichge- 1941), ein Forstwissenschaftler. Während pen ab, so wird das das Signal zum Beginn Kreisregierungen für die Dauer von drei sinnte und Waffen für einen „Stoßtrupp“ des Krieges hatte er an der Ostfront den der Wühlarbeit unter den wenig selbstän- Monaten einen Offizier als ‚Wehrkommis- zu sammeln, mit dem er zunächst Waffen- riesigen Wald von Bialowies (heute Ostpo- digen, leicht beeinflussbaren bayerischen sar‘ zugeteilt. […] lager in Rosenheim und Umgebung die len) verwaltet, die Wilderei bekämpft und Truppen sein, vorausgesetzt, dass die 6. Waffen und Munition sind durch die Hand bekommen wollte, um eine größere dort sein Organisationstalent bewiesen bayerischen Regierungstruppen bis dahin Bezirksämter nach Prüfung der Anträge Streitmacht zum Vorgehen gegen Mün- sowie wertvolle Beziehungen geknüpft. überhaupt einen nennenswerten Grad der beim Ministerium für militärische Angele- chen ausrüsten zu können. Zunächst aber Escherich war also ein Mann des Estab- Brauchbarkeit erreicht haben, von dem genheiten anzufordern.“6 scheiterte der Versuch, das in Rosenheim lishments, dessen soziale Kontakte sehr sie zur Zeit allerdings noch weit entfernt Damit hatte die Regierung der Einwoh- herrschende Räteregime zu stürzen. viel höher hinauf reichten als die Kanz- sind.“5 Schon wenige Tage später, am nerwehr den Schutz des Staates übertra- Kanzler floh zur Regierung in Bamberg, lers. Persönlich scheint er ein angenehmer 17. Mai, erging eine „Bekanntmachung be- gen. Kanzler notierte in seiner Geschichte die sich ihrerseits dorthin vor der in Mün- Mensch gewesen zu sein. Victor Klemperer treffend Einwohnerwehren“ der Staatsmi- der Einwohnerwehren, „daß die damalige chen etablierten Räteregierung in Sicher- lernte ihn auf einer Bahnfahrt kennen und nisterien des Innern und für militärische rein sozialistische Regierung Hoffmann heit gebracht hatte. Das Hauptproblem bemerkte an ihm ein „gutmütig zutunli- Angelegenheiten: und insbesondere der damalige Innenmi- der Regierung war die Rückgewinnung ches Wesen“. Über Eisner sprach er „ohne „1. Zweck der Einwohnerwehren ist, die nister Endres dem ganzen Aufbau der Ein- der eigenen Hauptstadt. Auch wenn das Haß, nicht einmal verächtlich, eher etwas öffentliche Sicherheit im eigenen Wohn- wohnerwehr durchaus verständnisvoll, nur mit Reichshilfe möglich war, versuch- mitleidig“.3 In dieser Zeit schrieb Esche- bezirk zu gewährleisten und Polizei- und freundlich und fördernd gegenüberstand. te man doch, einen eigenen bayerischen rich an mehrere führende Persönlichkei- Regierungstruppen in ihrer schweren Auf- Es war dies umso mehr anzuerkennen, Beitrag zu leisten, um nicht ganz von Ber- ten des konservativen Lagers einen Brief, gabe – Kampf gegen Diebstahl, Plünde- als ja wohl die erdrückende Mehrzahl der lins und dem mächtigen Noske abhängig in dem er sein Ziel formulierte: „Neben rungen und Aufruhr – zu unterstützen. Wehrmänner, insbesondere in den kampf- zu werden. Jetzt hieß es „Freiwillige vor! der Reichswehr und den Freikorps muß 2. Zusammensetzung der Einwohner- kräftigen ländlichen Gauen, sowie fast alle Eilet zu den Waffen!“ Am 14. April rief eine feste Organisation bewaffneter guter wehren – ihrer Aufgabe entsprechend – maßgebenden Führer Angehörige bürger- das Gesamtministerium zur Bildung einer Elemente das ganze Land überziehen. Sie grundsätzlich unpolitisch aus allen Krei- licher Parteien waren.“7 Ein Kompliment „Volkswehr“ auf, von der es ausdrücklich muß so mächtig sein, daß die Tatsache ih- sen der regierungstreuen Bevölkerung in an das politische Urteilsvermögen dieser hieß, sie solle „keine ‚Weiße Garde‘“ sein. res Bestehens allein schon alle unsauberen enger Fühlungnahme mit den örtlichen Regierung war das allerdings nicht. Ver- Aber man hatte keine Wahl mehr und Elemente in Schach hält.“4 Führern der politischen Parteien. Weh- ständlich wird ihr Verhalten nur, wenn musste nehmen, was kam. Das war ein wichtiger Gedanke: Die Ein- ren, die sich als reine Bürger-, Studenten-, man die anhaltende Furcht vor einem Das war unter anderem der Obergeometer wohnerwehr sollte nicht schießen. Viel- Arbeiter- oder Bauernwehren bilden und neuen Anlauf der extremen Linken zur Er- Kanzler, der am 17. April die Vollmacht mehr sollte ihre schiere Präsenz genügen, ausdrücklich die Aufnahme anderer regie- langung der Macht in Bayern in Rechnung erhielt, „gemeinsam mit anderen Män- die Ordnung im bürgerlichen Sinn zu ga- rungstreuer Ortseinwohner, die sich zur stellt. Sie erfüllte nicht nur das bürgerli- nern sofort ein Freikorps im Auftrag des rantieren. Solch eine Organisation baute Aufrechterhaltung polizeilicher Ordnung che, christlich-konservative Lager um die Militärministeriums zu bilden in den Be- Escherich zunächst in seiner Heimat Isen bereit erklären, ablehnen, werden nicht Bayerische Volkspartei, sondern auch die zirken Rosenheim, Wasserburg, Aibling, auf, von wo aus sie sich rasch in Richtung anerkannt. Sozialdemokratie. 120 | Dieter Storz: Einwohnerwehr Bayern Dieter Storz: Einwohnerwehr Bayern | 121

Ausbau und Organisation der ber 1919 wurde der Landesverband der Weichen für die nächsten 13 Jahre. Von im Juli 1920 erreicht, als sich ihr die „Orga- Einwohnerwehr Einwohnerwehren Bayerns gegründet, der ursprünglich verordneten „Überpar- nisation Kanzler“ anschloss. womit der organisatorische Zusammen- teilichkeit“ blieb fortan nicht einmal mehr Auch Kanzler griff über die Grenzen Bay- Mit diesem staatlichen Segen trieb Esche- schluss der Ortswehren vollzogen wurde. der Schein. Rudolf Kanzler nannte seine erns hinaus. Im Mai 1920 entstand die nach rich den Ausbau der Einwohnerwehren Seit November 1919 gab die Landeslei- 1931 erschiene Geschichte der Einwohner- ihm benannte Organisation, abgekürzt energisch voran und genoss dabei ins- tung zur Kennzeichnung der Wehrmän- wehr „Bayerns Kampf gegen den Bolsche- „Orka“. In ihr unterstellten sich die öster- besondere die Unterstützung des Regie- ner weißblaue Armbinden aus, die den wismus“. – Bolschewismus, das war fort- reichischen Heimwehren der bayerischen rungspräsidenten von Oberbayern, Gus- Armbinden der Landwehr von 1813 nach- an nicht mehr bloß die extreme Linke, die Leitung. Die bayerische Einwohnerwehr tav von Kahr. Am 21. Juni 1919 fand im gebildet waren und zur Autorisierung ei- sich an Lenins Sowjetrepublik orientierte, hatte einen erheblichen Entwicklungs- Regierungsgebäude der oberbayerischen nen Stempel der Landesleitung erhielten. sondern bereits die SPD und die freien vorsprung vor den österreichischen Ver- Regierung eine Besprechung statt, in der Viele Gaue schufen sich eigene Abzeichen Gewerkschaften, die im Kapp-Putsch ihre bänden, und der (klein-)österreichische die Grundlagen der Organisation festge- in Form von Plaketten, die auf der Arm- Stärke gezeigt hatten. Bayern wurde jetzt Staat besaß keine gefestigte Identität. Die legt wurden: Mehrere Ortswehren sollten binde angebracht wurden. zur „Ordnungszelle“ mit dem Anspruch, Sozialdemokratie war dort ein stärkerer einen „Gau“ bilden, mehrere Gaue einen Im Dezember 1919 wurde Escherich zum ein Modell für ganz Deutschland darzu- Gegner als in Deutschland, denn sie hatte „Kreis“, jeweils mit einem Gau- bzw. „Landeshauptmann“ der bayerischen Ein- stellen. ihre Einheit bewahrt und besaß mit dem Kreishauptmann an der Spitze. Die Orga- wohnerwehren gewählt und Kanzler zu „roten Wien“ ein mächtiges Bollwerk. nisation erstreckte sich schließlich auf das seinem Stellvertreter. Die Organisation Orgesch und Orka Kanzler selbst begründete die Unterstüt- ganze rechtsrheinische Bayern. Sie glie- gab sich die juristische Form eines einge- zung für die Österreicher damit, dass auch derte sich in 10 Kreise mit 112 Gauen und tragenen Vereins. Am 4. März 1920 erfolg- Die norddeutschen Einwohnerwehren dort der „Bolschewismus“ sein Haupt zu 30 Bezirken (Kreis München).8 te der Eintrag in das Vereinsregister Mün- hatten nie die Bedeutung der bayerischen erheben drohte und das Land deshalb Hil- Am 2. Juli fand eine weitere Besprechung chens als „Landesverband der Einwohner- erlangt. Ihre Ortsverbände unterstanden fe von außen brauchte. Um die leidige An- statt, zu der auch Kanzler geladen war. wehren Bayerns e. V.“ stets den örtlichen Verwaltungsbehörden, schlussfrage aus dem Spiel zu halten, habe Dieser und Escherich lernten sich dabei Seit dem Sommer 1919 schwoll die Ein- was in Bayern eben nicht der Fall war. Ihre man diese Schutzaktion nicht von Berlin, erstmals kennen. Rasch waren sie sich da- wohnerwehr in Bayern rasch zu einer Haltung im Kapp-Putsch hatte die preu- sondern von Bayern aus gestartet.12 Natür- rüber einig, dass sich ihre Organisation Massenorganisation an. 260.000 Mann ßische Regierung enttäuscht, die zudem lich wollte Kanzler die Berliner gar nicht zwar von staatlichen bzw. militärischen waren es schon am Ende dieses Jahres, unter dem Druck der Entente stand, die dabei haben und das bayerische Vorfeld Stellen fördern lassen wollte, sie aber an- ein Jahr später 340.000 und zuletzt, im Juli Einwohnerwehren aufzulösen, was sie am von Bayern aus gestalten. Geografisch, sonsten ganz unabhängig von äußerem 1921, 360.000 Wehrmänner.10 Der stärkste 9. April 1920 auch tat. Deswegen waren kulturell und ideologisch lag die Zusam- Einfluss sein sollte. Insbesondere lehnten Kreis war stets Oberbayern. Eine solcher die preußischen Einwohnerwehren aber menarbeit nahe. 1920/21 spielte die baye- sie die Beteiligung der örtlichen politi- Verband musste professionell geführt nicht gleich verschwunden. Die im Mai rische Unterstützung, die sich vor allem in schen Parteiführer ab, was die Bekanntma- werden. Die Landesleitung entwickelte 1920 gegründete „Organisation Esche- der Lieferung von Waffen und Munition chung vom 17. Mai vorgesehen hatte. So, sich zu einer Großbehörde mit 164 Mit- rich“ – „Orgesch“ – sollte als Dachverband manifestierte, für die Konsolidierung der wie die Dinge lagen, richtete sich das ge- arbeitern,11 die seit Juli 1920 ihren Sitz im aller deutschen Selbstschutzformationen österreichischen Heimwehrbewegung gen die SPD. Ein Erlass des Staatsministe- Ringhotel am Sendlinger Torplatz in Mün- fungieren, angelehnt an die mächtige bay- eine wichtige Rolle. riums des Innern vom 10. September 1919 chen hatte. erische Einwohnerwehr, über welche die enthielt diesen Satz: „Die Behörden der In jenem Sommer stand die Einwohner- bayerische Regierung nach wie vor ihre Leistungsfähigkeit und Wesen der inneren Verwaltung stehen der Einwoh- wehr auf der Höhe ihres Ansehens. Im Hand hielt. Escherich wurde „Reichs- Einwohnerwehr nerwehr nicht leitend, sondern beratend März 1920 hatte sie bei der putschartigen hauptmann“. Auch die Orgesch wurde und fördernd gegenüber“. Damit war, wie Ablösung des sozialdemokratischen Mi- rechtlich als „Verein“ aufgezogen. Die Ein- Die Bewaffnungsfrage war beim Auf- Escherich und Kanzler es interpretierten, nisterpräsidenten Hoffmann neben der tragung ins Münchner Vereinsregister er- bau der bayerischen Einwohnerwehr von die Loslösung der Einwohnerwehr vom BVP und der Reichswehr eine wichtige folgte am 8. August 1920. Die Erosion der größter Bedeutung: „Die Ausrüstung der staatlichen Verwaltungsapparat vollzo- Rolle gespielt. Das Amt des Ministerprä- norddeutschen Einwohnerwehren konnte Einwohnerwehr bestand im allgemeinen gen.9 Diese Staatsferne war eine politische sidenten fiel an Gustav von Kahr, den sie aber nicht aufhalten. In Preußen wurde darin, daß jeder Wehrmann ein Gewehr Option, gerichtet gegen die sozialdemo- bewährten Förderer der Einwohnerwehr. die Orgesch im November 1920 verboten, 98 mit etwa 50 Patronen in Händen hatte. kratische Regierung. Am gleichen Tag ge- Die damals vollzogene und im Juni 1920 was ihrer Wirksamkeit ein Ende machte. Jede Ortswehr hatte außerdem bei Bedarf nehmigte die Regierung einen Antrag auf durch Wahlen bestätigte konservative Ihre größte Ausdehnung hatte die Orgesch ein M.G. sowie eine Reserve von 2.000 Pa- Gewährung staatlicher Mittel. Im Septem- Wende der bayerischen Politik stellte die tronen. In Südbayern waren in jedem Gau 122 | Dieter Storz: Einwohnerwehr Bayern Dieter Storz: Einwohnerwehr Bayern | 123 ein bis zwei Batterien in gefechtsbrauch- Jener pensionierte General, der einen Ka- lers beteiligt, worauf dieser natürlich be- Die Einwohnerwehren präsentierten sich barem Zustand und Ausrüstung unter- rabiner statt eines Gewehres haben wollte, sonders stolz war.18 juristisch als eingetragener Verein und gebracht.“13 Wenn das stimmt, dann be- weil ihm dieses bei seinem Alter „wegen Eine Sonderstellung besaßen die „Land- wiesen den Vorwurf, sie seien Teil des deutet das, dass die ca. 50 südbayerischen des Vordergewichts zum freihändigen fahnen der Landesleitung“ („L.L.L.“), de- deutschen Wehrpotentials nach außen, Gaue über rund 200 Feldgeschütze verfüg- Schießen zu schwer“ war, blieb sicher hin- ren Angehörige als Einzelpersonen in die weit von sich. Vielmehr sei es allein ihr ten! Das entsprach zwei Dritteln der Aus- ter der körperlichen Leistungsfähigkeit örtlichen Einwohnerwehren integriert wa- Zweck, das Wiederaufflammen des Bol- stattung, die nach dem Versailler Vertrag der meisten Wehrleute zurück, symboli- ren. Dabei handelte es sich um ehemalige schewismus zu unterdrücken, und nur sie für die ganze Reichswehr zugelassen war. siert aber doch die begrenzte militärische studentische Zeitfreiwillige (4.690 Mann) seien in der Lage, dies wirksam zu verhin- Der wichtigste Mann zur Versorgung der Schlagkraft der Organisation.16 sowie das ehemalige Freikorps „Ober- dern, insbesondere angesichts der beson- Einwohnerwehren mit Waffen war Ernst Allerdings gab es auch einen besonders ak- land“ (9.600 Mann), das wie eine Infante- deren Verhältnisse in Bayern. Ganz aus- Röhm, inzwischen Epps Adjutant bei der tiven Teil, die „Landfahnen“. Das war ein riedivision gegliedert war.19 „Oberland“ sichtslos war eine solche Politik nicht, da Reichswehrbrigade 21, die aus Epps Frei- historischer Begriff. Herzog, seit 1623 Kur- allein war schon so stark wie die bayeri- es in Paris immer die Option gab, Bayern korps hervorgegangen war: Diese Brigade fürst Maximilian I. hatte vor dem Dreißig- sche Landespolizei. „Zeitfreiwillige“ wa- vom Reich zu trennen. So weit wollte man war die Schleuse, durch welche die Ein- jährigen Krieg viel Mühe und Geld darauf ren Soldaten auf Abruf, die sich zur Ver- in Bayern aber doch nicht gehen, was man wohnerwehr bewaffnet und ausgerüstet verwendet, neben den damals üblichen stärkung von Reichswehr und Freikorps auch in Frankreich erkannte. wurde. „Ob das Verfahren legal war oder Soldtruppen auch die Untertanen zum bereithielten. Studenten und Oberschüler nicht, bekümmerte die Beteiligten damals Waffendienst zu verpflichten, mit wenig der höheren Klassen waren unter ihnen Auflösung der Einwohnerwehren wenig“, schrieb Kanzler später.14 Röhm Erfolg. Seit damals existierte der Begriff in zahlreich vertreten. Die „L.L.L.“ sollten selbst schwieg sich in seinen Erinnerun- Bayern für ein Volksaufgebot neben dem auch für Einsätze außerhalb Bayerns bereit Je mächtiger die bayerische Einwohner- gen über seine damaligen Aktivitäten viel- regulären Militär. Die Landfahnen der sein, so dass man sie auch „Reichsfahnen“ wehr wurde, desto mehr zog sie die Auf- sagend aus: „Die Geschichte des Arbeits- Einwohnerwehr verpflichteten sich auch nannte. Landfahnen und „L.L.L.“ machten merksamkeit des Auslandes, also insbe- gebietes, das ich als Generalstabsoffizier außerhalb ihres Gaues, wenn auch inner- zusammen nur ca. 10 % der bayerischen sondere Frankreichs, auf sich. Die biede- des Obersten Epp aufbaute und leitete, halb Bayerns, eingesetzt zu werden. Im Organisation aus, aber auch ihren aktiven, ren Erläuterungen, es gehe den Einwoh- erschöpfend zu schildern, ist heute [1934] Mai 1921, kurz vor Auflösung der bayeri- potentiell gefährlichen Teil. nerwehren nur um die Erhaltung von noch nicht an der Zeit.“15 schen Einwohnerwehren, gehörten ihnen Dass die Einwohnerwehren ihren zivilen Ruhe und Ordnung, verfingen immer Den Elan und die Einsetzbarkeit einer rund 18.000 sogenannte „Landesschüt- Charakter nach außen so stark betonten, weniger, und sie waren auch innerlich richtigen Armee konnte man von der Ein- zen“ an. Von ihnen entfielen wieder 9.000 hing mit dem Versailler Vertrag zusam- unwahr. Kanzler gab das in seiner Dar- wohnerwehr trotz ihrer starken Bewaff- allein auf Oberbayern, das sich auch hier men. Im Artikel 177 hatte die Entente ge- stellung später auch zu, als er schrieb, nung nicht erwarten. Der Horizont des als Herz der Einwohnerwehrbewegung rade solche Organisationen zu verhindern als Endziel habe ihm so etwas wie die durchschnittlichen Wehrmannes war re- erwies. Von den 21 Landfahnen dieses gesucht, wie sie die Einwohnerwehren ob- Schweizer Miliz vorgeschwebt.20 Die Ad- gional, ja lokal begrenzt. Natürlich haper- Kreises, der 18 Gaue umfasste, stellte al- jektiv darstellten: resse für französische Beschwerden war te es auch mit dem Gehorchen: Die Bau- lein der Chiemgau, der von Kanzler selbst „Unterrichtsanstalten, Hochschulen, Krie- die Reichsregierung. Im März 1920 traf ern und Kleinstädter, aus denen sich die eingerichtete Musterverband, deren sechs. gervereine, Schützengilden, Sport- oder in Berlin eine Note der Entente ein, wel- Einwohnerwehren vor allem zusammen- Der Chiemgau war sozusagen das Herz Wandervereine, überhaupt Vereinigungen che die Auflösung der Einwohnerwehren setzten, hassten zwar die Kommunisten, des Herzens.17 jeder Art, ohne Rücksicht auf das Alter ih- verlangte. Die preußische Regierung kam, wohl auch die Sozialdemokraten – also Einmal kamen diese Landfahnen zum Ein- rer Mitglieder, dürfen sich nicht mit mili- wie eben erwähnt, dieser Aufforderung alle „Bolschewisten“ –, von denen sie die satz: Im Zusammenhang mit dem Kapp- tärischen Dingen befassen. nach. Im April 1920 verlangte der Reichs- Wegnahme ihres Privateigentums und da- Putsch bildete sich in Hof ein von der Es ist ihnen namentlich untersagt, ihre innenminister von Bayern die Auflösung mit die Vernichtung ihrer wirtschaftlichen USPD geführter „Vollzugsrat“. Die Lage Mitglieder im Waffenhandwerk oder im der dortigen Einwohnerwehren. Dort aber Existenz fürchteten; nicht weniger ver- erschien bedrohlich, zumal sich im nahen Gebrauch von Kriegswaffen auszubilden sträubte man sich mit Händen und Füßen hasst war aber so kurz nach dem Krieg die Vogtland gerade eine „Rote Armee“ gebil- oder zu üben oder ausbilden oder üben zu gegen diese Zumutung. Lieber wolle man harte Disziplin der alten Armee mit ihrer det hatte. Also wurde die Reichswehr ge- lassen. den Friedensvertrag in die Brüche gehen Vorgesetztenwillkür. Überhaupt fällt bei gen Hof in Marsch gesetzt. An dieser Akti- Diese Vereine, Gesellschaften, Unter- lassen als die Einwohnerwehr aufzuge- der Betrachtung von Gruppenfotos von on war die „1. Landfahne Chiemgau“ mit richtsanstalten und Hochschulen dürfen ben. Nach Ernst Müller-Meiningen, dem Wehrmännern auf, dass sich die jünge- 700 Mann und Artillerie – Haubitzbatterie, in keinerlei Verbindung mit dem Kriegs- Justizminister, war sie für Bayern sogar ren Jahrgänge, die den Krieg mitgemacht Kanonenzug und Minenwerfer-Abteilung ministerium oder irgendeiner anderen mi- wertvoller als die Reichswehr. Ein Ein- hatten, auffällig zurückzuhalten schienen. – unter der persönlichen Führung Kanz- litärischen Behörde stehen.“ marsch der Franzosen, so Kahr und Esche- 124 | Dieter Storz: Einwohnerwehr Bayern Dieter Storz: Einwohnerwehr Bayern | 125 rich, sei leichter zu ertragen als die innere tum vom Mai 1921 setzte die Entente ihren Auch die niedrigere Zahl ist erstaunlich den waren. Trotzdem besteht kein Zwei- Wehrlosmachung gegenüber der Linken.21 Willen durch. Im Juni 1921 gab Escherich hoch, insbesondere, wenn man sie in Be- fel, dass die weitaus größte Zahl moderner Noch fühlte man sich in Bayern sehr stark. nach und trat als Landeshauptmann der ziehung zu den Waffenmengen setzt, die deutscher Waffen tatsächlich zerstört wur- Die Drohungen der Entente glaubte man bayerischen Einwohnerwehr zurück, die Deutschland allenfalls haben durfte. Der de. Es blieben aber trotzdem weit mehr ignorieren zu können, weil man ihr den nunmehr aufgelöst werden konnte. Als Versailler Vertrag verbot dem Deutschen von ihnen erhalten als jene 200.000, die es Willen zu einem militärischen Eingreifen Auffangorganisation entstand der „Bund Reich nicht nur den Besitz von modernen legal höchstens hätten sein dürfen. nicht mehr zutraute. Eigentlich war die Si- Bayern und Reich“ unter der Leitung von Waffen wie schwerer Artillerie, Tanks und Die Waffen der Einwohnerwehr Bayern tuation aussichtslos, aber, wohl berauscht Otto Pittinger, der aber nie eine vergleich- Flugzeugen, sondern begrenzte auch den kamen vor allem aus Beständen der bay- von der mächtigen Stellung im eigenen bare Bedeutung erlangte. Den jüngeren Besitz von Handfeuerwaffen drastisch. erischen Armee. Im August 1918 verfügte Land, wollte man das nicht wahrhaben. Je- und aktiven Mitgliedern der aufgelösten Kriege führen konnte man mit Geweh- sie im Heimatgebiet über 405.425 (287.372) denfalls hätte die Einwohnerwehr gut dar- Einwohnerwehr bot sich in den Verbänden ren allein nicht, aber ohne sie konnte man Gewehre 98 und 43.867 (8.661) Karabiner an getan, sich so unscheinbar wie möglich der völkischen Rechten eine neue Heimat. kein modernes Massenheer bilden. Die 98. Die Zahlen in Klammern waren Lager- darzustellen. Indes geschah genau das Ge- deutsche Armee durfte daher nur noch bestände und sind in der vorstehenden genteil. Anlässlich des Oktoberfestes 1920 Waffen 84.000 Gewehre und 18.000 Karabiner be- größeren Zahl enthalten, Folge der Über- lud man zum „Ersten Landesschießen der sitzen. Die Stärke der Schutzpolizei legten produktion an Gewehren in der zweiten E.W. Bayerns“. Das Schießwesen, in dem Die wichtigste Einzelmaßnahme im Rah- die Sieger mit 150.000 Mann fest. Einer Kriegshälfte. Diese Waffen befanden sich sich Schützengeselligkeit und paramili- men der Auflösung der bayerischen Ein- von drei Beamten durfte einen Karabiner in den Artilleriedepots, wie die zentralen tärisches Training verbanden, spielte in wohnerwehren war der Einzug sowie die haben. Um die Ausstattung anderer Per- Großlager für Waffen und Munition ge- der Einwohnerwehr von Anfang an eine Vernichtung ihrer Waffen. Franz Schober, sonenkreise, die eventuell Anspruch auf nannt wurden. Für diese Waffen waren wichtige Rolle. Das große Münchner Wett- ehemaliger königlich-bayerischer Major eine Langwaffe haben konnten – Forstper- im letzten Kriegsjahr keine Soldaten mehr schießen begann am 25. September 1920. und Mitglied der Landesleitung der Ein- sonal, Bahnschutz, Gefängnisaufseher – aufzubringen, die sie hätten zum Einsatz Am Tag darauf versammelten sich 40.000 wohnerwehr, verfasste deren Geschichte, entspannen sich zähe und für die deutsche bringen können. Wehrmänner auf dem Königsplatz und die als Manuskript im Bayerischen Haupt- Seite demütigende Auseinandersetzungen Dazu kamen noch ca. 55.000 Gewehre und leisteten dort mit erhobenem Gewehr den staatsarchiv, Abteilung IV, Kriegsarchiv, mit der IMKK. Als Obergrenze für den Karabiner der Modellfamilie 88, die auch Rütlischwur. Der bedauernswerte Reichs- aufbewahrt wird. Darin schreibt er, dass Bestand an (Militär)-Gewehren und Ka- noch immer als moderne Militärgewehre außenminister musste dieses Spektakel als letzte Bestände 217.000 Handfeuerwaf- rabinern, die Deutschland nach Vollzug gelten konnten. Diese Waffen befanden der interalliierten Militär-Kontrollkom- fen gemeldet waren, die auch zur Abliefe- des Friedensvertrages noch haben durfte, sich ganz überwiegend in den Depots.26 mission (IMKK) gegenüber als „Wieder- rung gelangten.23 Die Reichstreuhandge- kann man etwa 200.000 Stück annehmen. Zum 15. November 1918 meldete die Feld- aufnahme des seit mehr als 100 Jahren bis sellschaft (RTG), die mit der Zerstörung Alles, was darüber hinaus ging, musste zeugmeisterei gar einen Lagerbestand von zum Krieg in München üblich gewesenen des Kriegsmaterials beauftragt war, das vernichtet werden. Das war Aufgabe der 321.051 Gewehren 98.27 Die Gewehrhalde Landesschützenfestes“ rechtfertigen.22 Deutschland nicht mehr besitzen durfte, RTG. Bis Ende 1926 meldete Deutschland war also noch größer geworden. Das sind Der Zorn der Siegermächte war mit meldete allerdings nur 169.800 in Bayern 6 Millionen vernichteter Gewehre, von an sich schon gewaltige Mengen, in denen solchen Ausflüchten nicht mehr zu be- abgegebene Gewehre und Karabiner.24 denen die meisten bis 1921 zerstört wor- die Waffen des Feldheeres, das nach dem schwichtigen. Der Druck auf Berlin nahm Das ist immerhin ein Unterschied von fast den waren. Die IMKK erkannte in einem Waffenstillstand in die Heimat zurück- zu, und von dort wurde er nach München 50.000 Waffen, der nicht dadurch erklärt Bericht vom Mai 1925 an, dass unter ihrer kehrte, noch gar nicht enthalten sind. Aus weitergegeben. Kahr ging mit seinem Wi- werden kann, dass die größere Zahl auch Aufsicht immerhin 4,5 Millionen Gewehre den heimatlichen Lagerbeständen kam ein derstand gegen die Auflösungsforderung Maschinengewehre einschloss. Von denen zerstört worden waren. Der Unterschied sehr großer Teil der Waffen der Einwoh- bis an die Grenze des Bruchs mit dem besaß die Einwohnerwehr laut Schober mag sich daraus erklären, dass ein Teil des nerwehr. Reich, aber eben nur bis an diese Gren- im Oktober 1920 nur ca. 1.500 Stück – je- Zerstörungswerks schon getan war, bevor Innerhalb eines Jahres verminderten sich ze. In der Einwohnerwehr selbst wurden denfalls offiziell, denn diese Zahl wurde die IMKK ihre Tätigkeit aufnahm. In bei- die Bestände an Militärwaffen in Bayern verschiedene Modelle diskutiert. Man ver- damals der Entente mitgeteilt. Die Menge den Zahlen sind die Waffen, welche die drastisch. Zum 1. September 1919 waren suchte, die Auflösungsfrage von der Ent- der Gewehre wurde damals wie folgt an- Einwohnerwehr Bayern abgegeben hatte, noch vorhanden: 118.494 brauchbare und waffnung zu trennen, erwog, ob man die gegeben:25 schon enthalten. instandsetzungsbedürftige Gewehre 98. Ortswehren und damit die Waffen retten Gewehre 98 187.786 Die Angaben über vernichtete Gewehre Die Zahl der Karabiner 98 war dagegen könne, wenn man die zentrale Organisa- Karabiner 98 1.554 unterscheiden nicht nach Modellen. Sie auf erstaunliche 40.789 angestiegen.28 tion aufgeben würde, usw. Doch es half Gewehre 88 1.627 enthalten zweifellos auch ältere und Beu- Wahrscheinlich stammten diese Waffen alles nichts. Mit dem Londoner Ultima- tewaffen, die in sehr großer Zahl vorhan- von zurückgekehrten Truppen des Feld- 126 | Dieter Storz: Einwohnerwehr Bayern Dieter Storz: Einwohnerwehr Bayern | 127 heeres und aus später Kriegsfertigung. wohnerwehren reichlich mit Waffen und fen, die man dort loswerden wollte. Die Bei leichter Aufrundung ergibt sich für Karabiner waren in der letzten Kriegspha- Munition ausgestattet: Man beabsichtigte, Einwohnerwehr übernahm sie gerne und die Einwohnerwehr Bayern also ein nach- se noch sehr gefragt, weshalb deren Pro- dieses Material aus den Heeresbeständen half dafür beim Verstecken von schweren weisbarer Mindestbesitz von ca. 350.000 duktion bis zum Schluss auf Hochtouren ausscheiden zu lassen, „um auch bei der Geschützen.32 Schußwaffen 98. Wenn Nußers Zahlen zu- lief. In dieser Liste gibt es auch eine Zeile bevorstehenden wesentlichen Herabset- Der Waffenhunger der Einwohnerwehr treffen, sind es schon annähernd 400.000. „Nicht der Reichswehr angegliederte Ein- zung der Reichswehr einen ausreichenden war damit bei weitem noch nicht gestillt. Darin sind die schwarzen Lieferungen wohnerwehren u.s.w.“ Diese Zahlen wür- Schutz gegen die bolschewistischen Be- Kanzler schrieb später, dass sich im Ok- der Reichswehr, die beträchtlichen Um- den uns sehr interessieren. An ihrer Stelle strebungen gewährleisten zu können. Ob tober 1919 Waffenmangel einstellte. Zwar fang hatten, ebensowenig enthalten wie finden wir aber diesen Eintrag: „wurden diese Absicht ausführbar sein wird, wird seien die Gaue im Süden vollständig aus- Waffen, die nach dem Kriegsende aus den verkauft, daher nicht mehr Eigentum im wesentlichen von dem Vorgehen der gerüstet, die Bewaffnung Nordbayerns sei Kasernen verschwunden und direkt oder der Heeresverwaltung.“ Dieser Vermerk alliierten und assoziierten Mächte bei der aber über Anfänge noch nicht hinausge- auf Umwegen über die Bevölkerung oder diente zweifellos dazu, diese Waffen „ver- Waffenabgabe abhängen“.29 kommen. Die bayerischen Bestände wa- durch die Entwaffnung des politischen schwinden“ zu lassen. So machte man es Im Oktober 1919 meldeten die bayerischen ren inzwischen erschöpft. Dies zumindest Gegners in die Hände der Einwohnerweh- auch im Norden, wie eine Mitteilung des Artilleriedepots bzw. ihre Abwicklungs- erscheint angesichts der vorangegange- ren gelangt waren. Dass es eine halbe Mil- preußischen Militärministeriums vom Au- stellen allerdings, welche Waffen sie an nen Abgaben glaubwürdig. Jetzt wandte lion Gewehre oder mehr waren, ist nicht gust 1919 zeigte. Auch dort wurden Ein- die Einwohnerwehren abgegeben hatten:30 man sich ans Reich, denn dort hoffte man, nachweisbar, aber auch nicht unplausibel. noch etwas holen zu können. Noske ent- Die Angabe einer Obergrenze für die Waf- schied die Sache zwischen Tür und Angel, fenmengen, die sich im Besitz der Ein- Art.-Depot Gew. 98 Kar. 98 Gew. 88 MG 08 MG 08/15 Pistolen wie Kanzler anekdotenreif erzählt: „Die wohnerwehr befunden haben können, Besprechung mit Noske fand im Reichs- ist unmöglich. Diejenigen, die Bescheid Lechfeld 30 12 61 9 2 tagsgebäude statt, wo der Minister von wussten, schwiegen nach Auflösung und München 46.982 900 175 239 männlichen und weiblichen Abgeordne- „Entwaffnung“ der Einwohnerwehren ten umringt hinter den Regierungstischen mit gutem Grund. Die Darstellung der Fürth 26.743 63 150 103 im Gang auf und abging. Nachdem ihm Geschichte der Einwohnerwehr durch Bamberg 10.074 100 6 71 63 erklärt worden war, um was es sich hand- Franz Schober gab nur die Bestände zah- le, meinte er schließlich, ‚ja, was wollt ihr lenmäßig an, die offiziell gemeldet wa- Amberg 8.920 bayerischen Reaktionäre denn mit den ren. Escherich selbst behauptete später, Grafenwöhr 5 vielen Gewehren?‘, worauf er aber keine dass zweieinhalb Millionen Infanteriege- Antwort erwartete, sondern die Angele- wehre nach Bayern geflossen seien.37 Diese Neu-Ulm 28.881 130 34 41 genheit seinem Adjutanten übergab mit Zahl, fast 50 Prozent aller bei Kriegsende Ingolstadt 89.301 103 175 der Weisung, die Sache in Ordnung zu vorhandenen Schußwaffen 98 des deut- bringen.“33 Bis zum März 1920 kamen aus schen Heeres, ist aber grotesk übertrie- Augsburg 13.222 298 110 214 334 Norddeutschland etwa 61.000 Gewehre ben. Keine noch so rührige Organisation Würzburg 19.200 1.107 24 8 248 98 nach Bayern. Weitere 22.000 waren avi- konnte, selbst bei den besten Beziehun- siert, gelangten aber nicht mehr zur Aus- gen, solche Massen herbeischaffen, wenn 243.353 1.647 961 524 905 746 lieferung:34 Das Reichswehrministerium sie auf einen verhältnismäßig kleinen Teil untersagte im Mai, also nach dem Kapp- des Reichsgebietes beschränkt war, wie Putsch, jede Abgabe von Waffen, Muniti- es bei der Einwohnerwehr Bayern ja der Daraus geht hervor, dass der Schwund in nicht alle Waffen, welche an die Einwoh- on und Gerät an Einwohnerwehren und Fall gewesen ist. Vielleicht hat damals nie- den Lagerbeständen der bayerischen Ar- nerwehr gingen. Im März/April 1919 hatte ähnliche Organisationen.35 Höhere Zahlen mand energischer Waffen gesammelt als tilleriedepots zwischen November 1918 die Gewehrfabrik Amberg 30.000 Geweh- für die Lieferungen aus Norddeutschland die Männer um Escherich, aber sie waren und September 1919 ganz überwiegend re an Truppen abgegeben, die zur Nie- nennt Nußer, der allerdings die Neigung nicht die einzigen. Doch mit Sicherheit auf Abgaben an die Einwohnerwehren derwerfung der Räterepublik bestimmt hat, möglichst große Zahlen anzunehmen. gingen mindestens 200.000 Gewehre mehr zurückzuführen ist. Schon jetzt sieht man, waren. Die Masse dieser Waffen landete Danach wurden 100.000 Gewehre, annä- durch die Hände der Einwohnerwehr, als dass diese Zahlen weit höher liegen als die später bei den Einwohnerwehren.31 Bei hernd 200 Millionen Patronen und 2.100 sie 1921 abgegeben hat. im Oktober 1920 an die IMKK gemeldeten. den Reichswehrtruppenteilen lagerten Maschinengewehre nach Bayern gelie- Die großen Mengen von Waffen und sons- Diese Aufstellung enthält aber noch längst umfangreiche Schwarzbestände an Waf- fert.36 tigen Ausrüstungsgegenständen, die den 128 | Dieter Storz: Einwohnerwehr Bayern Dieter Storz: Einwohnerwehr Bayern | 129

Einwohnerwehren zugeflossen waren, erwiesen. Die kürzeste Entfernungsein- der Weimarer Republik und die zentrali- die Macht, seinen Willen mit militärischer mussten dagegen gesichert werden, un- stellung betrug 400 Meter. Bei den vielfach sierende Tendenz ihrer Verfassung lehnte Gewalt bzw. der Drohung damit durchzu- erlaubterweise wieder abzufließen. Dazu kurzen Schussentfernungen im Stellungs- sie ab. Die 1920 mit Hilfe der Einwohner- setzen. sollte der Eigentumsanspruch der Orga- krieg ergab das einen Hochschuss, den wehr eingeleitete konservative Wende der Ein günstigeres Schicksal hatten die ös- nisation auf den Stücken selbst dokumen- der Schütze nach Gefühl durch Tieferhal- bayerischen Nachkriegspolitik konnte sie terreichischen Heimwehren, denen die tiert werden. Am 10. März 1920 erließ die ten korrigieren musste. Deshalb erhielten sich als bleibenden Erfolg zurechnen. Sie Bayern 1920/21 Entwicklungshilfe geleis- Landesleitung der Einwohnerwehr die die Gewehre in den zwanziger Jahren bestimmte die Richtung der bayerischen tet hatten. Die in Österreich maßgebende Anweisung, Waffen und Ausrüstungs- neue Visiere mit einer kürzesten Entfer- Politik bis 1933, als die Nationalsozialisten Siegermacht Italien verfuhr weitherziger gegenstände mit dem Stempel „E.W.B.“ nungseinstellung von 100 Metern. Wahr- ein Regime errichteten, das neben vielem als Paris, so dass es den Heimwehren dort zu markieren. Zu diesem Zweck wurden scheinlich wurde das damals auch mit anderen auch die letzten föderalen Ele- gelang, sich dauerhaft als wichtiger Faktor 1.000 solcher Stempel angeschafft. Bei vielen „schwarzen“ Gewehren gemacht, mente des Weimarer Staats beseitigte. der österreichischen Innenpolitik zu etab- Ausrüstungsteilen aus Leder diente er als aber sicher nicht mit allen. Das änderte Den durchschnittlichen Einwohnerwehr- lieren. Schlagstempel, für Stoff wurde er mit Öl- sich nach 1933. Bis 1937 lieferte die Firma mann auf dem Land können wir uns als farbe zum Farbstempel, und Gewehrschäf- Mauser 693.000 Visiere neuer Art an die braven Menschen vorstellen, dem es vor ten drückte man ihn, glühend gemacht, als Reichswehr bzw. Wehrmacht. Jedem die- allem um das ging, was er für „Ruhe und Brandstempel auf. Bis zum Herbst wur- ser Visiere entsprach ein Gewehr mit al- Ordnung“ hielt. Allerdings bot die Ein- Literatur de das „Brennen“ der Waffen allgemein tem Weltkriegsvisier, das im Zug der Wie- wohnerwehr vorübergehend auch eine Rudolf Kanzler, Bayerns Kampf gegen den Bol- 38 durchgeführt. Viele dieser Gewehre sind derbewaffnung aus dem Versteck geholt Heimat für Leute, die dem völkischen schewismus, München 1931. erhalten geblieben und tauchen regelmä- wurde. Rund ein Drittel, vielleicht aber Lager zuzurechnen waren, in dessen Or- ßig im Fachhandel und immer noch auf ein noch größerer Anteil dieser Gewehre ganisationen sie nach Auflösung der Ein- Horst Nußer, Konservative Wehrverbände in alten Dachböden auf. verdankte sein Überleben den Aktivitäten wohnerwehren Aufnahme finden konn- Bayern, Preußen und Österreich 1918-1933, Mün- chen 1973. Im Rahmen der Orka versorgte die Ein- der Leute um den Forstrat Escherich. ten. Menschen aus sozialen Milieus, die wohnerwehr auch die im Aufbau begrif- der Sozialdemokratie nahestanden, waren Ludger Rape, Die österreichischen Heimwehren fenen österreichischen Heimwehren mit Fazit entgegen den Absichten, welche die Re- und die bayerische Rechte 1920-1923, Wien 1977. Waffen. Nußer hat vermutet, dass der gierung Hoffmann mit der Unterstützung Hans-Joachim Mauch, Nationalistische Wehror- Umfang dieser Lieferungen die Zahl von Richtet man den Blick auf die bayeri- von Einwohnerwehren verfolgte, syste- ganisationen in der Weimarer Republik. Zur Ent- 80.000 Gewehren erreicht haben kann.39 sche Einwohnerwehr als Organisation, matisch ausgegrenzt worden. wicklung und Ideologie des „Paramilitarismus“, Diese Zahl ist aber viel zu hoch. Deutsche so scheint sie einem Kometen zu glei- Kontakte zur Reichswehr, die es offiziell Frankfurt a. Main 1982. Gewehre haben in den österreichischen chen: 1919 erscheint sie aus dem Nichts, nicht geben durfte, bestanden nichtsdes- https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Le- Heimwehren nachweislich keine nen- entwickelt sich in wenigen Monaten zu toweniger. Ehemalige Offiziere spielten xikon/Einwohnerwehren,_1919-1921 nenswerte Rolle gespielt. Aus den Akten einer mächtigen, das ganze Land, jeden in der Landesleitung eine wichtige Rolle der Orka konnte Ludger Rape nachwei- Landkreis, jede Ortschaft erfassenden und sorgten dort für die Wahrung der mi- sen, dass nur etwas mehr als 9.000 Ge- Massenorganisation mit festen bürokrati- litärischen Interessen. Der Waffenhunger 40 1 Victor Klemperer, Man möchte immer weinen wehre nach Österreich gelangt sind. schen Strukturen, und kurze Zeit danach der Einwohnerwehr ging weit über das und lachen in einem. Revolutionstagebuch 1919, Die „schwarzen“ Gewehre der Einwoh- verschwindet sie schon wieder. Was blieb, hinaus, was zur Niederhaltung des „Bol- Berlin 2016, S. 173. nerwehr sind also ganz überwiegend in war der „Geist“, wie es auf dem Erinne- schewismus“ nötig war und diente zur 2 Abgedruckt in: Rudolf Kanzler, Bayerns Deutschland geblieben. Wieviele es wa- rungsblatt für ehemalige Angehörige Bewahrung von Waffenreserven für eine Kampf gegen den Bolschewismus, München 1931, S. 206. ren, wird man nie wissen. heißt: „Die Form ist zerschlagen – der eventuelle spätere Heeresvergrößerung. 3 Ebd., S. 53. Die meisten der damals der Zerstörung Geist lebt fort!“ Das stimmte wohl in ge- Dieses Ziel wurde bis zu einem gewissen 4 Zit nach Horst Nußer, Konservative Wehrver- entzogenen Gewehre sind allerdings nach wisser Weise: Dieser Geist setzte sich aus Grad erreicht. bände in Bayern, Preußen und Österreich 1918- 1933 aus ihren Verstecken geholt und wie- verschiedenen Elementen zusammen. De- Zweifellos besaß die Einwohnerwehr Ei- 1933, München 1973, S. 93. 5 Zit nach Ernst Röhm, Die Geschichte eines der der Armee zugeführt worden. Es gibt ren stärkstes war ein christlich-konserva- genschaften einer Wehrersatzorganisati- Hochverräters, Mänchen 1934, S. 106. einen recht guten Anhaltspunkt dafür, wie tives, an der Monarchie orientiertes Welt- on, wie sie der Versailler Vertrag verbot. 6 Kanzler (wie Anm. 2), S. 210 viele Gewehre 98 im Deutschen Reich ins- bild. Die Einwohnerwehr war bayerisch- Wahrscheinlich hätte sie auch nicht über- 7 Ebd., S. 44. gesamt der Zerstörung entzogen wurden: föderalistisch, aber nicht separatistisch. lebt, wenn sie weniger provozierend auf- 8 Zum äußeren Aufbau der Einwohnerwehr vgl. Ebd., S. 131-160. Die Visierung der Gewehre 98 hatte sich Sie wollte ein Modell für Deutschland und getreten wäre. Frankreich hatte ein schar- 9 Ebd., S. 49. während des Weltkriegs als unzulänglich Österreich sein. Die demokratische Form fes Auge auf Deutschland, und es besaß 130 | Dieter Storz: Einwohnerwehr Bayern

10 Ebd., S. 161 f. 40 Ludger Rape, Die österreichischen Heimweh- 11 Nusser (wie Anm. 4), S. 177. ren und die bayerische Rechte 1920-1923, Wien 12 Kanzler (wie Anm. 2), S. 86. 1977, S. 112 f. 13 Ebd., S. 176. 14 Ebd., S. 174. 15 Röhm (wie Anm. 5), S. 127. 16 Antrag vom 10.9.1919, Bayer. Hauptstaats- archiv, Abt. IV, Kriegsarchiv [fortan Bayer. KA], FZM 2901. 17 Kanzler (wie Anm. 2), S. 170 f. 18 Wolfgang Zorn, Bayerns Geschichte im 20. Jahrhundert, München 1986, 231; Kanzler (wie Anm. 2), S.62-68. 19 Ebd., S. 171 f. 20 Ebd., S. 51. 21 Zorn (wie Anm. 18), S. 235, 239. 22 Note vom 9.12.1920, Bundesarchiv Berlin, R 2201, 3552. 23 Franz Schober, Geschichte des Landesverban- des der Einwohnerwehren Bayerns und seiner Landesleitung, Abschnitt C, Abwicklung und Geschichtsschreibung, S. 75, Bayer. KA, HS 924. 24 Trennung des der RTG angefallenen Kriegs- geräts nach den verschiedenen Organisationen, welche die Ablieferung bewirkt haben, Stand 1.10.21, Bundesarchiv-Berlin, R 2201, 4308. 25 Franz Schober, Geschichte des Landesverban- des der Einwohnerwehren Bayerns und seiner Landesleitung, Abschnitt B X, Entente und E.W., Abwicklung und Geschichtsschreibung, S. 30, Bayer. KA, HS 923. 26 Nachweisung über den Bestand an Waffen bei den Ersatzformationen und Rekrutendepots bei den einzelnen stellvertretenden Generalkomman- dos nach dem Stande vom 15.8.1918, Bayer. KA, FZM 2894. 27 Nachweisung über den Bestand an Waffen bei der Feldzeugmeisterei nach dem Stande vom 15.11.1918, Bayer. KA, MKr. 13565. 28 Nachweisung über die am 1.9.1919 vorhande- nen Handwaffen im Geschäftsbereich der Reichs- wehrbefehlsstelle Bayern, Ebd. 29 Mitteilung des Truppen-Departements vom 6.8.1919, Bayer. KA, FZM 2899. 30 Bayer. KA, FZM 2902, Prod. 1076. 31 Schober (wie Anm. 25), Abschnitt B XI, Be- waffnung, S. 3, Bayer. KA, HS 923. 32 Ebd., S. 9. 33 Kanzler (wie Anm. 2), S. 175 f. 34 Schober (wie Anm. 25), Abschnitt B XI, Be- waffnung, S. 37-39. 35 Mitteilung des Reichswehrgruppenkomandos 4, Bayer. KA, FZM 2905. 36 Nußer (wie Anm. 4), S. 135. 37 Ebd., S. 131. 38 Schober (wie Anm. 25), Abschnitt B XI, Be- waffnung, S. 49 ff. 39 Nußer (wie Anm. 4), S. 170. 133

Dieter Storz Der Mord an den Mitglie- dern des katholischen Gesellenvereins St. Joseph am 8. Mai 1919

Victor Klemperer schrieb im Rückblick, war der berüchtigte „Geiselmord“ im dass ihn das blutige Ende der Rätezeit in Luitpoldgymnasium am 30. April 1919. München überrascht habe: „Lächerlich- Diesem Massaker fielen zehn Menschen keit war eines der Hauptmerkmale, das zum Opfer, darunter sieben Mitglieder für mich der Räterepublik anhaftete, kläg- der Thulegesellschaft. Der Begriff „Gei- liche und so starke Lächerlichkeit, daß selmord“ führt aber bereits in die Irre. Bei ich die längste Zeit einen wahrhaft bluti- den Opfern handelte es sich um Gefange- gen Ausgang der jämmerlichen Affäre für ne. Die Thuleleute hatten im Hotel „Vier ganz unwahrscheinlich hielt.“1 Jahreszeiten“ eine Widerstandszelle ein- Das von Klemperer erwartete friedliche gerichtet. Dort wurden Ausweise der Rä- Entschlafen der Münchner Kommunis- terepublik gefälscht, mit denen Freiwillige tenherrschaft war vielleicht nicht wirklich München verlassen konnten, um sich den wahrscheinlich; trotzdem ist man vom Regierungstruppen anzuschließen. Wer Ausmaß der Gewalt überrascht, zumal sich unter den Bedingungen eines Bür- die Kommunisten bereits dabei waren, gerkriegs auf solche Aktivitäten einließ, die Kontrolle über die bayerische Landes- musste wissen, dass er mit seinem Leben hauptstadt zu verlieren, als sich der Ring spielte. der Regierungstruppen zu schließen be- Dem französischen Außenminister Talley- gann. rand wird die Äußerung zugeschrieben, Die Forschung spricht seit langem von die von Napoleon angeordnete Erschie- „rotem“ und „weißem“ Terror, und es ßung des Herzogs von Enghien sei etwas herrscht Einigkeit darüber, dass der weiße Schlimmeres gewesen als ein Verbrechen, den roten schon rein mengenmäßig um ein nämlich ein Fehler. Das könnte man auch Vielfaches übertraf.2 Dass der allgemeine von dem „Geiselmord“ sagen, denn er Eindruck jahrzehntelang ein anderer war, hielt dem weißen Terror in der öffentli- lag an der überaus erfolgreichen Erinne- chen Wahrnehmung für viele Jahre zu- rungspolitik der Sieger, denen es gelang, mindest das Gegengewicht.4 die öffentliche Bühne so auszuleuchten, Vom 7. November 1918 bis zum 30. April dass die eigenen Untaten im Dunkeln blie- 1919 sind in München bei inneren Unru- ben. „Rotmord über München“ – so hieß hen 46 Menschen zu Tode gekommen. ein 1934 publiziertes Werk,3 dessen Titel Wirklich verlässliche Zahlen zu den Op- dieses Arrangement auf eine griffige For- fern des „weißen“ Terrors im Mai 1919 mel brachte. Herzstück jener Erzählung gibt es nicht. Hillmayr, der die Dinge ge- 134 | Dieter Storz: Der Gesellenmord Dieter Storz: Der Gesellenmord | 135 nau untersucht hat, schätzt, dass von den nicht verstanden hatte.6 Dem musste man Persönlichkeit und den Zweck unserer angesammelt die die durch eine Patrouille Umgekommenen mindestens 400 als völ- nachgehen. Einzuflechten wäre hier, dass Versammlung Aufklärung erteilen, insbe- des Regt. Alexander verhafteten Civilisten lig unschuldig gelten müssen.5 die Einheiten mit solch großen Namen nur sondere wollte dies der ermordete Stadler. umstanden, Verwünschungen ausstießen, noch ein Schatten der mächtigen Regimen- Es wurde ihm aber gleich von einem Sol- wie schlagt die Bande tot usw. Es wurde Die Verhaftung ter der Alten Armee waren, die 1914 ins daten der Revolver vors Gesicht gehalten von den Mannschaften der verschiedens- Feld gerückt waren. Alt-Stutterheims -Re und ihm, sowie uns allen befohlen ruhig ten Truppenteile auf die Civilisten einge- Eine besondere Bedeutung kommt der Er- giment, nach seinem Beinamen durchweg zu sein.“7 schlagen.“9 Die Situation stand kurz da- mordung von 21 Mitgliedern des katholi- als „Alexander“ bezeichnet, setzte sich aus Der Feldwebel Paul Priebe, der das Unter- vor, außer Kontrolle zu geraten. Alt- schen Gesellenvereins St. Joseph am ganzen zwei Kompanien zusammen. Das nehmen leitete, bestritt das bei einer zwei Stutterheim sorgte mit gezogener Pistole Abend des 6. Mai 1919 zu. Zum einen war „Regiment“ gehörte zur 2. Garde-Infante- Tage später durchgeführten militärge- für leidliche Ordnung und verteilte die es ganz offenkundig, dass die Opfer schon rie-Division, einem von drei taktischen richtlichen Befragung glatt: „Bei der Ver- Wachmannschaften auf beide Seiten der wegen ihrer religiösen Ausrichtung kei- Körpern der „Gruppe Friedeburg“. Die haftung hat keiner von den Mitgliedern „Civilisten“. Mit Müh und Not brachte er nerlei Verbindung zum Räteregime haben Division zählte ganze 1.000 Mann. Viele nach dem Grunde seiner Verhaftung ge- die Gefangenen zum Prinz-Georg-Palais, konnten. Zum anderen sind wir über die von ihnen waren junge Burschen, die den fragt, auch wurde nicht erklärt, daß es sich froh, die Verantwortung dem dortigen Umstände dieser Untat sehr gut infor- Krieg noch nicht mitgemacht haben konn- um einen kath. Gesellenverein handle.“8 Wachpersonal überlassen zu können. miert, weil sie gerichtlich untersucht wur- ten. Überhaupt spielt sich die Affäre, von Das war schlicht gelogen. Unterwegs hatte sich dem Zug der Vize- de. Das geschah, weil die Getöteten aus- der hier zu berichten ist, ganz vorwiegend Die Gefangenen wurden in den „Sparta- feldwebel Konstantin Makowski ange- nahmslos Mitglieder der Bayerischen unter jungen Leuten ab. Auch Alt-Stutter- kistenkeller“ gebracht, den Keller des schlossen. Der 29-Jährige gehörte auch Volkspartei, also der wählerstärksten Par- heim zählte erst 29 Jahre. Prinz-Georg-Palais am Karolinenplatz, der zum Alexander-Regiment, hatte aber mit tei in Bayern waren. Und diese mächtige Er ließ das vermeintliche Spartakistennest als Arrestlokal für Gefangene des Alexan- der Festnahme dienstlich gar nichts zu Kraft verlangte nach Aufklärung. durch zwei Feldwebel aufklären, die sich der-Regiments vorgesehen war. Der kurze tun. Josef Acher berichtete später: „Auf Die Gesellen, von denen viele den Krieg dazu als einfache Soldaten verkleideten. Weg von einem Kilometer wurde für die der Straße wurden wir heftig mißhandelt, mitgemacht hatten, versammelten sich am Als sie sich dem Objekt näherten, sahen Gesellen zum Spießrutenlauf. Die Gegend insbesondere der preuß. Vizefeldwebel Abend des 6. Mai im sogenannten Max- sie einen Mann im Haus verschwinden, war voller Soldaten, für die „Spartakisten“ Macovski hat uns grauenhaft geschla- Kasino in einem Hintergebäude des Hau- und dann ging auch noch das Licht aus. das Schlimmste waren, was es auf der gen.“10 Der später ermordete Franz Adler ses Augustenstraße 41. Es war ein Diens- Bei dieser Beleuchtung handelte es sich Welt gab. Und jetzt wurden 26 von ihnen verlor dabei ein Auge. tag, und sie wollten eine für den Samstag um einen „Drei-Minuten-Brenner“, also leibhaftig durch die Stadt geführt. Die Ge- Versuche, die Lage aufzuklären, wurden geplante Theateraufführung besprechen. um eine Zeituhr. Solche Einrichtungen des fangenen wurden beschimpft und brutal weiterhin unterdrückt: „In der Brienner- Unter einem Kasino verstand man damals feineren städtischen Lebens dürften da- misshandelt. Die Begleitmannschaften straße versuchte ich nochmals mich zu le- eine Art Klub, also keine öffentliche Wirt- mals den meisten Deutschen noch unbe- waren überwiegend sehr jung: Mehrere gitimieren. Ein Soldat, über den ich nähere schaft für jedermann, sondern ein Lokal kannt gewesen sein. Jedenfalls sahen sich 18-Jährige, sogar 17-Jährige waren dabei. Angaben nicht machen kann, schlug mir für geschlossene Gesellschaften. Das Ge- die Beobachter in ihrem Verdacht bestä- Der Typ, den man bei Freikorps nach her- dann den Gewehrkolben über den Kopf bäude wurde im Zweiten Weltkrieg durch tigt, dass es da nicht mit rechten Dingen kömmlicher Vorstellung erwarten würde und sagte dabei in bayerischer Mundart: Bomben zerstört und in veränderter Form zugehe. Sie holten eine in der Nähe bereit- – altgediente Weltkriegssoldaten –, war ‚Halt Dein Maul, Du Hund‘.“11 Die wiedererrichtet. gehaltene Patrouille herbei und hoben die- unter den einfachen Mannschaften selten „Mundart“ spielt in den Zeugenaussagen Als die katholischen Gesellen zu ihrem ses „Nest“ aus. Alle Anwesenden wurden zu finden, eher schon bei den höheren Un- jener Nacht eine wichtige Rolle. Sie war, Versammlungsraum gingen, hatte sich das festgenommen und abgeführt. Man möch- teroffizierschargen. Der Mannschaftsbe- mehr noch als die Uniform, das Kriterium, Unheil schon über ihren Köpfen zusam- te meinen, dass sich solch ein Missver- stand der Armee war nach dem Krieg also Bayern und Preußen zu unterscheiden, mengezogen. Wenige Tage zuvor war bei ständnis leicht hätte aufklären lassen. In- weitgehend ausgetauscht worden. was den Beteiligten wichtig war. Die jun- Hauptmann Kurt von Alt-Stutterheim, des, jeder Versuch der Arretierten, sich zu Der Zug passierte das Quartier Alt-Stut- gen Begleitleute waren ihrer Aufgabe je- Kompaniechef im preußischen Kaiser- legitimieren, wurde gewaltsam unterbun- terheims in der Briennerstraße 42. Der denfalls nicht gewachsen. Der Grenadier Alexander-Garde-Grenadier-Regiment den. Josef Acher, einer der wenigen Über- Hauptmann wurde kurz vor 9 Uhr abends Walter Kursawe, 19 Jahre alt, sah sich in Nr. 1, eine Denunziation eingelaufen: Im lebenden, sagte bei seiner Vernehmung durch Schießen und Gebrüll auf der Straße der Briennerstraße von Bayern, „hünen- Max-Kasino würden sich Spartakisten vor dem Amtsgericht München einige aufgeschreckt. Er begab sich „darauf um- haften Kerls“, bedroht, deren Gewalttätig- treffen. Die Nachricht hatte ein Feldwebel Wochen später aus: geschnallt und mit Mütze auf die Straße. keit „wir wenigen Wach-Mannschaften zu von Alt-Stutterheims Einheit von einem „Wir wollten schon bei unserer Verhaf- Dort hatten sich wohl über 100 Mann- verhindern nicht in der Lage waren. Die Oberleutnant erhalten, dessen Namen er tung im Gesellenvereinslokal über unsere schaften der verschiedenen Truppenteile Bayern haben uns mit Fäusten und Revol- 136 | Dieter Storz: Der Gesellenmord Dieter Storz: Der Gesellenmord | 137 vern bedroht, wenn wir sie zurückhalten Dienstmädchen bei der Verlegersgattin hatten an diesem Abend unerlaubterweise Müller war ungewöhnlich kräftig. wollten. Es fielen von den Bayern Redens- Aloisia Bruckmann, die im zweiten Stock ihr Quartier, das Wittelsbacherpalais, ver- Der 24-Jährige Ausgeher Georg Samberger arten wie: ‚Wir wissen schon, was wir mit des Hauses wohnte, wurde Zeugin des lassen, um noch Lokale aufzusuchen. Un- überlebte schwer verletzt: denen zu tun haben‘ usw.“12 Geschehens: terwegs hörten sie den Radau am Karoli- „Im Keller wollten wir mit einem preuß. Kurz vor dem Aufenthalt bei Alt-Stutter- „Am 7. [!] Mai 19 gegen 9 Uhr abends hör- nenplatz und begaben sich dorthin. Müller Soldaten verhandeln, es stürmten dann heim hatte sich etwas ereignet, das die te ich in unserem Hofraum von unserem war mit einer Pistole und zwei Magazinen die bayer. Soldaten, die wir an der Sprache Lage der Gefangenen schicksalhaft ver- Küchenbalkon aus heftiges Schreien wie: mit zusammen 16 Patronen bewaffnet. erkannten, herein, wir mussten uns dann schlechtern sollte: Ein Sanitätssoldat war ‚Wir sind unschuldig!‘ Auch hörte ich Klat- Sein erstes Opfer hatte er noch auf dem auf den Boden legen und dann ging die durch einen Schuss getötet worden. Josef schen wie von Schlägen in das Gesicht her- Hof erschossen. Im Keller ging ihm bald Schießerei los. Ich erhielt einen Schuß ins Acher, dessen Zeugenaussagen eine gute rührend. Bald darauf fielen dann Schüsse die Munition aus: linke Schulterblatt. Ich hörte wiederholt Qualität besitzen, war kurz davor von die- u. verstummte allmählich das Schreien. „Als Müller keine Kugel mehr im Revol- sagen, da lebt noch einer, stich ihn nieder; sem Mann mit der Pistole ins Gesicht ge- Ich sah dann später 7 oder 8 Leichen am ver hatte, zog er sein Seitengewehr und dann kamen zwei Soldaten auch zu mir, schlagen worden: „Wie er den Revolver Boden liegen, welche von 2 Soldaten mit stach in rasender Wut auf die Civilisten einer von ihnen sagte: ‚Der lebt auch noch, zurückzog, hörte ich in meiner unmittel- einer Taschenlaterne beleuchtet wurden. los. Wenn diese noch nicht tot waren, stich ihn nieder, eine Kugel ist zu gut für baren Nähe einen Schuß und sah diesen Inzwischen hörte ich heftiges Schreien, kniete er sich auf sie, fasste das Seitenge- ihn‘. Der Sprache nach sagte dies ein Bay- Sanitäter neben mir niederfallen; ich ver- welches vom Keller heraus drang, auch wehr mit beiden Händen und schlug auf er. Ob mehrere geschoßen [!] haben, weiss mute, dass der Revolver sich entladen fielen von dort aus Schüsse.“14 sie ein.“16 Er stach mit solcher Wucht zu, ich nicht. Ich bekam zwei Bajonett [!] im hat.“13 Es war sicher kein Revolver, son- Für die Schläge war Vizefeldwebel Ma- dass sich die massive, aus hochwertigem Kopf am Ohr und einen oben am Kopf dern eine Selbstladepistole. Solche Pisto- kowski zuständig. Er stellte sich an der Stahl gefertigte Klinge verbog. Daraufhin und wurde dann bewußtlos. Wie ich wie- len haben Sicherungen. Als Schlagwerk- Treppe auf, die zum Keller führte und ergriff er das Seitengewehr eines Kame- der zu mir kam, sah ich einen Soldaten, zeuge sind diese Waffen aber nicht schlug und trat jeden Gefangenen, der raden und wütete weiter. Müller wurde der an mir herummachte und mir meine konstruiert. Zu diesem Zweck wird man dort hinunter musste. Gegenüber dem von vielen Zeugen beschrieben, sowohl Schuhe und dann das Geld aus der Tasche sie anders anfassen als beim Schießen, und Feldwebel Ernst Poller, der ebenfalls in von militärischen wie von Überlebenden nahm, sowie sonstige Kleinigkeiten.“18 dabei mag es vorkommen, dass der Siche- diesem Haus wohnte und später als Zeu- des Massakers. Otto Grabasch, Angehöri- Beim Leichenraub tat sich besonders der rungsflügel unbeabsichtigt umgelegt ge aussagte, brüstete sich Makowski da- ger des bayerischen Schützenregiments 1, preußische Husar Stefan Latosi hervor. wird. Vielleicht war die Waffe auch unge- mit, „dass ihm vor lauter Zuschlagen sein gab einem von Müllers Opfern den Gna- Dieser war von Beruf herrschaftlicher sichert und der Finger des Sanitäters ge- Arm weh tut.“15 Verglichen mit dem, was denschuss, wie ein Kamerad beobachte- Kutscher und diente als Pferdepfleger bei riet an den Abzug. Für solche subtilen sich im Keller abspielen sollte, hatten die te: „Wie ich hinunter kam, war die Sache einem Hauptmann Brinkmann, der im Überlegungen war aber in dem Lynchmob Erschossenen auf dem Hof noch ein gnä- bereits vorbei. Ich sah nur noch, daß ein dritten Stock des Anwesens einquartiert jener Mainacht kein Raum. Jetzt wusste diges Schicksal gehabt. dicker bayrischer Chevauleger einem Zi- war. Nach übereinstimmenden Zeugen- man es mit Bestimmtheit: Es waren heim- Der Kellerraum war schlecht beleuchtet vilisten mit einem Seitengewehr 3 scharfe aussagen befanden sich nicht nur Bayern, tückische Spartakisten, die man in der und mit Holzwolle ausgelegt. Er war ja für schwere Hiebe auf den Kopf versetzte. Der sondern auch Preußen im Keller. Einige, Hand hatte. die Unterbringung von Arrestanten vorge- Zivilist ist umgefallen u. ich habe genau die unbeteiligt blieben, gehörten zum sehen. Außer den noch lebenden 19 Gesel- gesehen, daß ihm der Schädel gespalten Regiment „Alexander“. Es gehört zu den Das Massaker len sollen sich dort 20 bis 30 Soldaten auf- war u. daß das Gehirn herausdrang. Ich abgründigen Begleiterscheinungen jenes gehalten haben. Von etwa 15 konnte später bin überzeugt, daß der Zivilist keine hal- Abends, dass diese Männer so schwer be- Sollten die Gefangenen gehofft haben, sie noch die Identität festgestellt werden. Ei- be Stunde mehr gelebt hätte. Da nahm trunken waren, dass sie nicht einmal von wären im Prinz-Georg-Palais zwar an ei- ner von ihnen war wieder Makowski, der Grabasch, der vielleicht 3 Schritte von mir dem ungeheuren Lärm des Massakers nem Ort, an dem sie nicht zu sein wünsch- dort unten der ranghöchste Dienstgrad entfernt stand, seine Pistole, sagte, den geweckt wurden. Jedenfalls hatten die ten, der ihnen aber doch die relative Si- war. Er befahl den Gefangenen, die alle wolle er nicht mehr länger leiden lassen, Soldaten, die sich im Keller zusammen- cherheit eines Gefängnisses gewähren bereits bluteten, sich hinzulegen, mit dem und gab auf seinen Kopf einen Schuß ab. fanden, wenig miteinander zu tun. Das würde, sahen sie sich aufs Entsetzlichste Gesicht nach unten. Danach begannen die Daraufhin war der Mann offenbar tot.“17 bayerische Schützenregiment 1 war aus enttäuscht. Dieses Palais war kein abge- Erschießungen. Dabei kamen Pistolen und Abgesehen von seinen Handlungen fiel dem Freikorps Epp hervorgegangen, das grenzter Sicherheitsbereich. Jeder, der Gewehre zum Einsatz. Besonders tat sich Müller dadurch auf, dass er einen Chevau- bereits seit einigen Monaten bestand. Es wollte bzw. eine Uniform trug, konnte da dabei der Schütze Jakob Müller hervor, ein leger-Waffenrock trug. „Dick“ bedeutete entwickelte sich bereits zu einer regulären hinein. Auf dem Hof des Palais begann das 22 Jahre alter Angehöriger des Freikorps im ausgehungerten Deutschland des Jah- Formation. eigentliche Massaker. Josefine Forstner, Bayreuth. Er und drei seiner Kameraden res 1919 natürlich etwas anderes als heute: 138 | Dieter Storz: Der Gesellenmord Dieter Storz: Der Gesellenmord | 139

Das Freikorps Bayreuth bestand dagegen verfasste er noch am selben Abend einen der Besetzung Münchens vorgegangen für seinen „Gnadenschuss“ verantworten erst seit etwa zwei Wochen und konnte ausführlichen Bericht.20 Danach ließ er waren, sah man wohl die Gefahr, dass sich und wurde zu einem Jahr Gefängnis ver- noch nicht als gefestigte Einheit angese- den Keller räumen und die Personalien aufs neue revolutionäre Energien auf- und urteilt. Das Urteil erging im Oktober 1919. hen werden. Zeugen beschrieben auch der Beteiligten aufnehmen. Er besaß da- sodann entladen könnten. Da Grabasch seit dem 7. Mai 1919 in Un- Männer mit einem Edelweißabzeichen am bei die Geistesgegenwart, die Täterschaft Darüber, dass sich im Prinz-Georg-Palais tersuchungshaft saß, wurde er freigelas- Kragen. Sie gehörten demnach zu dem von vornherein auf bayerische Soldaten Ungeheuerliches ereignet hatte und dass sen. Für den Rest der Strafe gewährte ihm ebenfalls noch ganz jungen Freikorps zu begrenzen: „Auf Grund meiner un- sich das auch nicht würde vertuschen das Gericht eine Bewährungsfrist.26 Oberland. Preußische Husaren bildeten mittelbar nach der Tat selbst gemachten lassen, herrschte sofort Klarheit. Die Ver- Die Hauptangeklagten, Konstantin Ma- die Wache des Palais. Makowski war vom Feststellungen, ist kein Zweifel darüber nehmungen durch den Kriegsgerichtsrat kowski und Jakob Müller, wurden zu Alexander-Regiment und hatte sich aus möglich, dass die Tat nur von bayrischen Kux begannen gleich am nächsten Tag. Zuchthausstrafen von je 14 Jahren verur- eigener Initiative hinzugedrängt. Es sind Soldaten ausgeführt worden ist.“21 Der Be- An diesem Tag erging auch ein Korpsbe- teilt, womit das Gericht nur knapp unter aber auch Leute der ursprünglichen Be- richt enthält die Namen von vier Soldaten fehl des Generals von Oven, der die Be- der möglichen Höchststrafe von 15 Jahren gleitmannschaft in den Keller eingedrun- aus dem „Bayerischen Schützenregiment“ stimmungen über den Waffengebrauch in blieb. Diesen kleinen Nachlass begründete gen, obwohl ihre Aufgabe mit der Einlie- und ebenfalls vier Mann des Freikorps einschränkender Weise erläuterte und die das Gericht mit der „makellose[n] Vergan- ferung der Gefangenen im Palais beendet „Bayreuth“. Wenige Tage später sagte der Wachen ausdrücklich für die Sicherheit genheit der beiden, die im Feld gestanden war. Oberst aus, dass einer von ihnen, in Ula- von Gefangenen verantwortlich machte. waren und sich „dem Vaterlande zur Be- Es steht fest, dass Makowski die Dinge ent- nenuniform, auffallend stark schwitzte. Gleich in der ersten Zeile bezog sich der kämpfung der kommunistischen Unru- scheidend vorangetrieben hat und Müller, Das bezog sich zweifellos auf den Chevau- Befehl auf das „ruchlose Verbrechen“ der hen neuerdings“ zur Verfügung gestellt auf diese Weise von der Leine gelassen, leger Müller, dessen (einer preußischen vergangenen Nacht, begangen von „bay- hätten. Auch deutete das Gericht an, dass mit Abstand am schlimmsten gewütet hat. „Ulanka“ ähnelnde) Uniformjacke Kundt er. Soldaten“.24 Da hatte Kundts Bericht „vielleicht nicht von allen Befehlshabern Einige Soldaten behielten allerdings die nicht richtig erkannte. Angesichts des un- seine Wirkung getan. der Regierungstruppen auf die unnach- Fassung und stellten sich schützend vor geheuren Aufwands an Körperkraft, mit sichtliche und strengste Einhaltung der Gefangene, denen so das Leben erhalten der Müller seine Waffen geführt hatte, ist Der Prozess Vorschrift gedrungen wurde, dass gefan- blieb. sein Schwitzen nicht weiter erstaunlich. gen genommene Spartakisten nur dann Dem preußischen Oberst Hans Kundt, Nach der Aussage des Hans Schneider In diesem Fall war eine gerichtliche Ah- sofort und ohne Verhör erschossen wer- Führer der 3. Garde-Infanterie-Brigade, vom Schützenregiment 1 hatte Kundt aber nung des Verbrechens unvermeidlich. Die den durften, wenn sie im Kampfe festge- wurde gemeldet, dass eine spartakisti- von vornherein die Absicht, nur die Na- Frage war nun, welches Gericht dafür zu- nommen worden waren.“27 sche Versammlung aufgehoben worden men der Bayern notieren zu lassen: Als ständig sein würde, also die Militärjustiz Aus Anlass des 80. Geburtstages des sei und dass es bei der Einlieferung in das sie aus dem Keller herauskamen, habe oder ein bürgerliches Gericht. In Bayern Reichspräsidenten Paul von Hindenburg Arrestlokal zu Erschießungen gekommen der Oberst befohlen „Die Bayern alle her war in der Ära Eisner in Form der „Volks- erging acht Jahre später eine Amnestie, sei. Kundt begab sich daraufhin sofort zu zu mir“.22 Die Preußen jedenfalls machten gerichte“ eine Sonderjustiz für den Fall so dass Müller und Makowski bereits am dem Gebäude. Zwei bayerische Offiziere sich aus dem Staub. Auch Makowski ließ innerer Unruhen eingerichtet worden. Sie 1. Oktober 1927 wieder freikamen. warnten ihn, den Keller zu betreten, weil man laufen. Ein Bericht der Reichswehr- hatten also eine ähnliche Funktion wie Stefan Latosi, der Pferdewärter des ihre Leute völlig unzurechnungsfähig Brigade 15 vom Oktober motiviert diese militärische Standgerichte,25 sollten also Hauptmanns Brinkmann, stand von An- seien. Das wirft ein trübes Licht auf die- Unterlassung damit, dass man zu diesem rasch urteilen, wobei die Möglichkeit der fang an im Verdacht, einer der Haupttäter se Männer, denen es nach ihrem Dienst- Zeitpunkt annehmen konnte, Makowski Revision von vornherein ausgeschlossen gewesen zu sein. Er wurde lange Zeit ver- grad nicht nur möglich gewesen wäre, das sei nur wegen Körperverletzung zu be- war. Der Fall gelangte schließlich vor das geblich gesucht. Erst im November 1921 Massaker zu verhindern oder jedenfalls langen. Dann aber liefert der Bericht noch Volksgericht I in München. Der Vorwurf konnte er vom Volksgericht München I aufzuhalten, sondern deren Pflicht es ge- eine politische Begründung: „Ueberdies lautete, juristisch wohl korrekt, nicht auf verurteilt werden. Das Gericht konnte sich wesen wäre, dies zu tun. Kundt jedenfalls hätte eine Verhaftung des Makowski we- Mord, sondern auf Totschlag. Einer der auf Grund der Beweisaufnahme nicht mit ließ sich nicht abschrecken und betrat den gen der unrichtigen Gerüchte die sich an vier Angeklagten, Fritz Kreiner, wurde Sicherheit davon überzeugen, dass Latosi Keller. Dort bot sich ihm ein furchtbares die Verhaftung voraussichtlich knüpfen freigesprochen, weil die Zeugenangaben an den Tötungen selbst beteiligt war, wohl Bild: „Er habe im Kriege viel Schweres würden zu unvoraussehbaren Folgen unsicher waren, Kreiner sich nachweislich aber wurde festgestellt, dass er die Leichen erlebt und gesehen, aber der Anblick, der gegenüber den Angehörigen der preuss. schützend vor Gefangene gestellt hatte beraubt hatte; er wurde deshalb von der sich im Keller geboten habe, sei wohl der Garde seitens der Münchner Arbeiterbe- und sein Seitengewehr, wie die anschlie- Anklage des Verbrechens des Totschlags eindrucksvollste gewesen“, sagte er später völkerung geführt.“23 Angesichts der Bru- ßende Revision gezeigt hatte, nicht benutzt freigesprochen, dagegen wegen eines Ver- vor Gericht aus.19 Über seine Handlungen talität, mit der die Regierungstruppen seit worden war. Otto Grabasch musste sich brechens des schweren Diebstahls zu einer 140 | Dieter Storz: Der Gesellenmord Dieter Storz: Der Gesellenmord | 141

Zuchthausstrafe von 10 Jahren und zu 10 die Opfer einer politisch einflussreichen zwischen erster und dritter Person. Seine beitslos und trat, als die Regierung nach Jahren Ehrverlust verurteilt.28 Gruppe angehörten. Der Münchner Natio- Schwierigkeiten, sich in deutscher Sprache Freiwilligen rief, ins Freikorps Bayreuth Dass Täter der „weißen“ Seite überhaupt nalökonom Emil Julius Gumbel publizier- korrekt auszudrücken, hingen vielleicht ein.33 Auffällig war neben seiner Körper- zu ernsthaften Freiheitsstrafen verurteilt te 1921 eine statistische Auswertung der mit seiner Herkunft aus der deutsch-pol- kraft ein „schiefes Auge“. wurden, gehörte in der unmittelbaren juristischen Ahndung von politisch moti- nischen Mischzone Schlesiens zusammen. Eine Rückkehr in ein geordnetes bürgerli- Nachkriegszeit zu den absoluten Ausnah- vierten Gewalttaten seit dem Kriegsende, Offensichtlich besaß er nur eine rudimen- ches Leben gelang ihm nach seiner Haft- men. Es war auch nur geschehen, weil deren Ergebnis eindeutig war:29 täre Schulbildung. Als Tag vor dem 1. Mai entlassung wohl nicht mehr. Müller kam nennt er den 31. April. Davon, dass er vor erneut mit dem Gesetz in Konflikt und seinem Eintritt in die Armee einen regu- wurde zu einer fünfjährigen Zuchthaus- Täter rechtsstehend Täter linksstehend lären Beruf ausgeübt hätte, teilen die Ge- strafe verurteilt, die er seit 1935 im Straf- Todesurteil 8 richtsakten, die das sonst stets tun, nichts gefangenenlager II, Aschendorfermoor, schwere Freiheitsstrafe 3 20 mit. Auffällig an seinen Aussagen ist das verbüßte, einem der berüchtigten Ems- konsequente Ableugnen jeder Schuld. So landlager.34 leichte Freiheitsstrafe (bis 2 Jahre) 5 11 bestritt er trotz der Aussagen ziviler wie Verfahren schwebt 3 1 militärischer Zeugen jede Beteiligung an Warum Täter entkommen 3 den Misshandlungen. Vor Gericht be- Verfahren eingestellt 12 2 hauptete Makowski sogar, er habe die Was am Abend des 6. Mai 1918 im Prinz- Verhafteten vor den anderen Soldaten zu Georg-Palais geschehen ist, verblüfft nicht kein Verfahren 212 beschützen versucht, was ihm aber „nicht nur durch seine ungeheure, schier aus Täter freigesprochen 23 recht moeglich“ gewesen sei.31 dem Nichts entstandene Brutalität. Vor Nach seiner Haftentlassung begab sich allem begreift man nicht, wieso es den im- Makowski nach Eilenburg in Sachsen, wo merhin 26 Mitgliedern des katholischen sich seine Spur verliert. Gesellenvereins nicht gelang, die auf sie Die Haupttäter Müller wurde 1897 in einem kleinen Ort im einstürmende Soldateska von ihrer Identi- damaligen Bezirksamt Berneck als unehe- tät zu überzeugen, für die sie sogar schrift- Über die Persönlichkeiten der beiden Juli wollte er in seine Heimat zurückkeh- liches Kind in ein protestantisches Milieu liche Dokumente besaßen. Man sprach Haupttäter wissen wir wenig. Makow- ren, erfuhr aber, dass dieses Gebiet – Tar- geboren. Seine Kindheit war wohl nicht schließlich die gleiche Sprache, wenn nicht ski wurde am 11. März 1890 in Beuthen nowitz – inzwischen polnisch besetzt war. einfach. Er erlernte das Metzgerhandwerk sogar den gleichen Dialekt. Immerhin las- in Oberschlesien geboren, das nach dem Daraufhin trat er beim Freikorps Görlitz und übte diesen Beruf in Preußen aus, sen sich einige spezifische Voraussetzun- Ersten Weltkrieg mit knapper Not bei ein. Auch diese Einheit hatte an der Ope- denn als er im August 1917 eingezogen gen nennen, die eine Eskalation der Ge- Deutschland verbleiben konnte. Makows- ration gegen München teilgenommen. wurde, gelangte er zum Ersatzbataillon des walt begünstigten. Da wäre zunächst das ki war offensichtlich Berufssoldat. Er rück- Vielleicht hatte Makowski damals Kon- preußischen Infanterie-Regiments Nr. 48 Feindbild „Spartakist“, das seit einigen te bereits am zweiten Mobilmachungstag takte zu ihr geknüpft. Inzwischen war er in Küstrin. Dort blieb er ungewöhnlich Monaten fest etabliert war. ins Feld, hatte also den ganzen Krieg mit- aber durch die Vernehmungen in Mün- lange, denn eine Halsentzündung ver- Spezifisch bayerisch war die beschämen- gemacht und wurde mit dem Eisernen chen schwer belastet worden, so dass man schaffte ihm einen Lazarettaufenthalt vom de Lage einer Regierung, die ihre eigene Kreuz I. und II. Klasse ausgezeichnet. Ins- seine Verhaftung eingeleitet hatte. Am September 1917 bis zum Februar 1918. Hauptstadt verloren hatte und über kei- besondere die I. Klasse wurde an Nicht- 8. August 1919 wurde er in seiner neuen Danach wurde er zum Ersatzbataillon des ne ausreichenden Machtmittel zu deren offiziere nur selten verliehen. Wir dürfen Einheit arretiert und später nach Mün- 7. bayerischen Infanterie-Regiments in Rückgewinnung besaß. Mit dem Aufbau uns Makowski also als tapferen Infanterie- chen überstellt. Vorübergehend saß er in Bayreuth transferiert. Erst im Juni 1918, eigener bayerischer Streitkräfte hatte man soldaten vorstellen, der im Krieg extreme Berlin im Militärgewahrsam ein. „Da er also etwa zehn Monate nach seiner Einbe- zu lange gezögert und sich darauf be- Gewalterfahrungen machen musste. Zeu- sich keinen Schuld bewust ist“, richtete er rufung, schickte man ihn an die Front, wo schränkt, die in Berlin ersonnene Lösung gen beschreiben ihn als großgewachsen. an den „Herrn Ober Kriegs-Gerichtsrat“ er am 17. Juli verschüttet wurde, was ihm für Bayern zurückzuweisen. Schließlich Makowski blieb nach der Tat zunächst un- ein Gesuch mit der Bitte um Entlassung.30 einen fünfwöchigen Erholungsaufenthalt blieb nichts anderes übrig, als den robus- behelligt und konnte München mit seiner Dieses Gesuch hat er handschriftlich ver- in einer Krankenanstalt im Etappengebiet ten Noske um Hilfe zu bitten. Um das Feld Einheit verlassen. Bei der 26. Reichswehr- fasst. Es weist erhebliche orthografische einbrachte.32 aber nicht ganz preußischen Truppen zu Brigade wurde er allerdings wegen ande- und auch grammatische Fehler auf. Wenn Nach dem Krieg kehrte er in seine alte überlassen, rief man in zwölfter Stunde rer militärischer Vergehen entlassen. Im Makowski von sich spricht, wechselt er Heimat zurück. Im April 1919 war er ar- verzweifelt zur Bildung eigener, bayeri- 142 | Dieter Storz: Der Gesellenmord Dieter Storz: Der Gesellenmord | 143 scher Freikorps auf. Um möglichst viele einzelne Soldat musste immer noch damit gesetzte Familienväter. Dem 29-jährigen na. Das Gericht gestand Müller die „Ein- Freiwillige zum Eintritt in die neuen Ver- rechnen, ohne Vorwarnung von einer Ku- Vizefeldwebel Makowski, großgewach- wirkung eines leichten Rauschzustandes“ bände zu gewinnen, schlugen die Aufrufe gel niedergestreckt zu werden. Und genau sen, kriegserfahren und befehlsgewohnt, zu, aber keine Einschränkung seiner Ur- der Regierung Hoffmann einen unmäßig das schien auf dem Weg vom Max-Kasino wuchs in einem solchen Umfeld erhebli- teilsfähigkeit. Unverständlich bleibt, wie scharfen Ton an: „Bayern! Landsleute! In zum Prinz-Karl-Palais passiert zu sein: Ein che Autorität zu, und es gab keine andere aus dem mehrfach in den Vernehmungen München rast der russische Terror, ent- Sanitäter wurde erschossen. Wer konnte Vorgesetztenperson, die ihm diese Auto- erwähnten Weißwein im Urteil ein Liter fesselt von landfremden Elementen. Diese das denn gewesen sein? Natürlich nur die rität streitig machte. Eine besonders schä- starken Rotweins werden konnte.42 Schmach Bayerns darf keinen Tag, keine gefährlichen „Spartakisten“, die man so- bige Rolle spielten die beiden bayerischen Stunde weiter bestehen.“35 eben ausgehoben hatte. Da stand für den Offiziere, die wussten, was im Keller vor Das Ende Müller berief sich vor dem Volksgericht Mob fest. Für ruhige Überlegung war kein sich ging und es vorzogen, sich aus der auf die aufputschenden Reden seiner Vor- Platz. Sache herauszuhalten, sei es, weil sie das Der 6. Mai 1919 gilt als das Ende des „wei- gesetzten: Dazu passte gut eine andere vermeintliche ganz in Ordnung fanden oder einfach aus ßen Terrors“ in München, und das hängt „Von unseren Vorgesetzten wurde uns ge- Gewissheit. Der Lärm hatte den Schützen Feigheit. ursächlich mit dem Gesellenmord zusam- sagt, wir sollen keine Rücksicht nehmen, Alois Denk und einige Kameraden vom Ein verhängnisvoller Zufall war es, dass men. Am Tag danach erließ das General- wenn wir Spartakisten erwischen, es sei Schützenregiment 1 auf den Hof des Palais eine Person wie Jakob Müller auf den Ka- kommando von Oven einen Korpsbefehl, dies meist auslaendisches Gesindel, Rus- gelockt: „Wir fragten, was los sei, da sagte rolinenplatz geraten war. Die Fähigigkeit der den wilden Erschießungen ein Ende sen, Ungarn und dergleichen. Diese Leute mir ein Soldat, der sicher ein Preuße war, zu zügelloser, explosiver Gewalttätigkeit machen sollte. Formal gab sich der Befehl seien vom auslaendischen Kapital bezahlt. was an seiner Sprache kenntlich war, es war wohl in ihm angelegt. Die Siche- als Einschärfung der bereits geltenden Be- Es wurde auch gesagt, wir sollten keinen seien da Spartakisten, die eine Versamm- rung, die es in ihm gegeben haben mag, stimmungen. Der Befehl bezog sich aus- Spartakisten schonen, diese würden von lung abgehalten u. auf den Kopf eines je- versagte in der besonderen, aufgeheizten drücklich auf das Massaker am Vorabend, uns auch keinen schonen, wenn sie einen den Mannes der weißen Garde 300 Mark Atmosphäre im Prinz-Georg-Palais. Wäre doch kann man annehmen, dass die aus- erwischen.“36 ausgesetzt hätten.“37 Diese 300 Mark wur- er an jenem Maiabend vorschriftsmäßig in ufernde Gewalt der letzten Tage nicht im Natürlich wollte sich Müller damit teil- den in den Vernehmungen immer wieder seinem Quartier geblieben, hätte nicht nur Sinn der höheren militärischen Führung weise entlasten, es wirkt aber nicht un- erwähnt. Einer der Leute vom Alexander- das Leben seiner Opfer, sondern auch sein gewesen war. Schließlich gefährdete sie plausibel und passt in die Stimmung, die Regiment soll sogar erzählt haben, er eigenes einen anderen Verlauf genommen. den politischen Erfolg der Operation und in jenen Wochen in Bayern herrschte oder selbst habe dieser Versammlung in Zivil- Bei Müller stellte sich die Frage, ob seine die Disziplin der Truppe. Dass es von erzeugt wurde. Die Truppe, mit deren kleidung beigewohnt und dort von dieser Raserei eine Folge übermäßigen Alkohol- Oven ernst war, zeigte der Schlussabsatz: Kampfkraft es angesichts der fehlenden Prämie Kenntnis erlangt.38 genusses gewesen sei. Gleich in seiner ers- „Dieser Befehl ist unverzüglich beim Ap- Verbandsausbildung nicht weit her sein Uns fehlt die Kompetenz, das Massaker ten Vernehmung am 7. Mai hatte Müller pell allen Mannschaften bekanntzugeben. konnte, sollte wenigstens „heiß“ gemacht auf gruppendynamische Prozesse hin zu behauptet, er sei vollkommen betrunken Es ist Sorge zu tragen, dass ihn auch Ab- werden. In den wenigen Tagen ihres Be- analysieren. Was indes ins Auge springt, gewesen und erinnere sich an nichts.39 kommandierte, Neuhinzutretende unver- stehens war es nicht bloß unmöglich, die ist, dass sich der Mob aus Angehörigen Diese Behauptung hielt er nicht aufrecht. züglich erfahren.“43 Truppen fürs Gefecht auszubilden, son- verschiedener Formationen zusammen- In der Gerichtsverhandlung sagte er aus, Dass das Massaker an den Männern des dern auch ausgeschlossen, sie wie eine setzte, von denen noch keine in sich gefes- er sei nicht betrunken, aber etwas ange- katholischen Gesellenvereins St. Josef eine reguläre Militäreinheit zu disziplinieren. tigt war. Die Gruppe besaß also von vorn- heitert gewesen.40 Die Zeugenaussagen gerichtliche Ahndung erfuhr, lag daran, Was man in zwei Wochen zusammenbe- herein nur eine geringe Kohärenz, was zu Müllers Alkoholisiertheit waren wi- dass sich die Soldaten an den Mitgliedern kam, waren nur bewaffnete Horden. ihre Beeinflussbarkeit erhöhte. Fast alle dersprüchlich. Fest stand, dass an die einer politisch einflussreichen Gruppe ver- In München herrschte nach der Besetzung Männer, die als Tatverdächtige oder Zeu- Angehörigen des Freikorps Bayreuth an griffen hatten. Die Untersuchungsakten die Angst. Und zwar nicht nur bei vielen gen in die Untersuchungen einbezogen diesem Tag je ein Liter Weißwein ausgege- gestatten eine recht genaue Rekonstrukti- Münchnern, sondern auch bei den Solda- wurden, waren Mannschaftssoldaten, und ben worden war. Ein starkes Getränk war on des Tatverlaufs. Das ist ungewöhnlich, ten. Der organisierte Widerstand der Ro- sie waren sehr jung. Die meisten Soldaten das nicht. Der Schütze Rodler nannte es wenn nicht einzigartig für die Jahre nach ten Armee war von der weißen Übermacht der Patrouille, welche die katholischen sauer und hielt es für Apfelwein.41 Später dem Weltkrieg. Die Tat war das Werk ei- rasch gebrochen worden. Was den Unter- Gesellen verhaftet und zum Prinz-Georg- besuchte man noch das Lokal „Zur Stadt nes losen Gemenges von schlecht diszipli- legenen noch blieb, war der Krieg aus dem Palais schlecht und recht eskortiert hatte, Straßburg“ und trank dort ein Glas Bier. nierten Soldaten, die sich in einen Lynch- Hinterhalt, also das, was man heute asym- waren noch keine 20 Jahre alt. Solche Män- Bier war damals so schwach, dass es un- mob verwandelten. Die Massentötung metrische Kriegführung nennen würde. ner, eher noch Jugendliche, waren durch möglich war, davon betrunken zu werden, wäre natürlich auch dann verbrecherisch Die Armee beherrschte München, aber der Vorbild und Befehl leichter lenkbar als selbst bei Genuss größtmöglicher Volumi- gewesen, wenn es sich bei den Opfern tat- 144 | Dieter Storz: Der Gesellenmord Dieter Storz: Der Gesellenmord | 145

15 Aussage Pollers vor dem Amtsgericht Mün- 39 Vernehmung vor dem Kriegsgericht am sächlich um Spartakisten gehandelt hätte. chen am 23.6.1919, St.A.Obb., Staatsanwaltschaft, 7.5.1919, St.A.Obb., Staatsanwaltschaft, 169 N Dass alle Versuche der Verhafteten, ihre 169 N 2766/2, Bl. 102. 2766/1, Bl. 9. Identität zu erläutern, ignoriert wurden, 16 Aussage des Schützen Fritz Greiner (kommt 40 Wie Anm. 31. 41 Vernehmung des Schützen Rodler vor dem zeigt die extreme emotionale Aufgela- auch als „Kreiner“ vor), ebenfalls Freikorps Bayreuth, vor dem Kriegsgericht am 7.5.1919, Kriegsgericht am 7.5.1919, wie Anm. 39. denheit der Soldaten beim Kampf gegen St.A.Obb., Staatsanwaltschaft, 169 N 2766/1, 42 Wie Anm. 26, Bl. 299. „Spartakus“. Bl. 11. 43 Wie Anm. 24. Das Freikorps Bayreuth, das ursprünglich 17 Aussage des Schützen Hans Schneider, eben- 44 Kai Uwe Tapken, Die Reichswehr in Bayern von 1919 bis 1924, Hamburg 2002, S. 197. zur Übernahme in die Reichswehr vorge- falls Schützenregiment 1, vor dem Gericht der Reichswehr-Gruppe 4 am 23.5.1919, St.A.Obb., sehen war, wurde stattdessen aufgelöst. Staatsanwaltschaft, 169 N 2766/1, Bl. 58/59. Als Grund gilt der Gesellenmord, der die 18 Aussage vor dem Amtsgericht München am Disziplinlosigkeit der Einheit aufgezeigt 21.6.1919, St.A.Obb., Staatsanwaltschaft, 169 N hatte.44 2766/2, Bl. 92. 19 Aus dem Urteil des Volksgerichts München I, St.A.Obb., Staatsanwaltschaft, 169 N 2766/2, Bl. 296 f. Literatur 20 St.A.Obb., Staatsanwaltschaft, 169 N 2766/1, Bl. 1 ff. Emil Julius Gumbel, Zwei Jahre Mord, Berlin 1921. 21 Ebd. 22 Wie Anm. 17. Heinrich Hillmayr, Roter und Weißer Terror in 23 Bericht der 15. Reichswehr-Brigade, Bayern nach 1918, München 1974. 20.10.1919, St.A.Obb., Staatsanwaltschaft, 169 N 2766/1, Bl. 8. 24 Korpsbefehl vom 7.5.1919, St.A.Obb., Staats- anwaltschaft, 169 N 2766/1, Bl. 21. 25 https://www.historisches-lexikon-bayerns. 1 Victor Klemperer, Man möchte immer weinen de/Lexikon/Volksgerichte,_1918-1924#Literatur, und lachen in einem. Revolutionstagebuch 1919, aufgerufen am 20.7.2018. Berlin 2016. 26 Urteil vom 25.10.1919, in St.A.Obb., Staatsan- 2 Heinrich Hillmayr, Roter und Weißer Terror waltschaft, 169 N 2766/2, Bl. 286-306. 27 Ebd., Bl. 302. in Bayern nach 1918, München 1974. 28 Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Nachlass 3 Rudolf Schricker, Rotmord über München, Ehard 91. Berlin o.J. [1934]. 29 Emil Julius Gumbel, Zwei Jahre Mord, Berlin 4 Hillmayr (wie Anm. 2), S. 161 f. 1921, S. 51. 5 Ebd., S. 150. 30 St.A.Obb., Staatsanwaltschaft, 169 N 2766/2, 6 Aussage Alt-Stutterheims vor dem Gericht Bl. 137. der 2. Garde-Division, 10.5.1919, Staatsarchiv 31 Protokoll geführt in öffentlicher Sitzung des von Oberbayern (fortan St.A.Obb.), Staatsanwalt- Volksgerichts für den Landgerichtsbezirk Mün- schaft, 169 N 2766/1. chen I, Verhandlung am 21.10.1919, St.A.Obb., 7 Aussage vom 21.6.1919, St.A.Obb., Staatsan- Staatsanwaltschaft, 169 N 2766/2, Bl. 272 ff. waltschaft, 169 N 2766/2, Bl. 91. 32 Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt. IV, 8 Aussage vom 8.5.1919, St.A.Obb., Staatsan- Kriegsarchiv, Kriegsstammrolle Nr. 3288. waltschaft, 169 N 2766/1, Bl. 30. 33 Wie Anm. 31. 9 Wie Anm. 6. 34 Mitteilung der Lagerleitung vom 17.3.1937, 10 Wie Anm. 7. St.A.Obb., Staatsanwaltschaft, 169 N 2766/2. 11 Aussage des Georg Samberger vom 21.6.1919, 35 Abwurfflugblatt der Regierung Hoffmann, ebd. Bayerisches Armeemuseum, Inv. Nr. 0959-1990b, 3. 12 Aussage vor dem Kriegsgericht der 26. 36 Wie Anm. 31. Reichswehrbrigade in Fürstenwalde, 28.8.1919, 37 Aussage Denks vor dem Gericht der Reichs- St.A.Obb., Staatsanwaltschaft, 169 N 2766/2, wehr-Gruppe 4 am 23.5.1919, St.A.Obb., Staatsan- Bl. 176. waltschaft, 169 N 2766/1, Bl. 58/59. 13 Wie Anm. 7. 38 Aussage des Schützen Wilhelm Rothenhöfer 14 Zeugenaussage vom 7. 7.1919, St.A.Obb., vor dem Gericht des bayerischen Schützenre- giments am 23.6.1919, St.A.Obb., Staatsanwalt- Staatsanwaltschaft, 169 N 2766/2, Bl. 131. schaft, 169 N 2766/2, Bl. 110. 147

Frank Henseleit Der „Gefallene Soldat“ im Münchener Krieger- denkmal

Die hier in Ingolstadt präsentierte Figur, Soldaten in den Schlachten um Przemysl die sich bis 1972 im Kriegerdenkmal im erinnern sollte, übertragen. Zum Vortrag Münchener Hofgarten befand, stammt über diese Planungen wurde er höchstper- von dem damals weithin bekannten Bild- sönlich zu König Ludwig III. von Bayern hauer Bernhard Bleeker (1881-1968)1, der, befohlen. geboren in Münster, seit dem Jahre 1900 Der „Gefallene Soldat“ im Münchener in München lebte und im Jahre 1922 Pro- Hofgarten – seit 1972 durch eine Bronze- fessor für Bildhauerei an der Akademie replik ersetzt – liegt im Zentrum einer gro- der Bildenden Künste in München wurde. ßen Anlage: Über Treppen gelangt man in Bereits in den Jahren vor seiner Berufung einen Innenhof, dessen Umfassungsmau- hatte er sich durch öffentliche und private ern bis in die Vierziger Jahre die Namen Aufträge sowie durch Mitgliedschaften in der 13.000 Münchener Gefallenen des verschiedenen Kommissionen einen Na- Ersten Weltkrieges trugen. Die Nord- und men gemacht. Südmauer zeigten je ein Relief mit ins Feld Bleekers Schaffen stand in der Tradition ausziehenden Soldaten und ein Gräber- naturalistischer und neoklassizistischer feld. In der Mitte des Hofes befindet sich Ausdrucksweise. Er war – wie viele Bild- eine wuchtige, einem Hünengrab ähneln- hauer seiner Generation – geprägt vom de Anlage aus Travertin. Acht gewaltige Stilerbe Adolf von Hildebrands, der durch Blöcke, die mit reliefierten Grabwächter- die klare und ruhige Formgebung unter Engeln dekoriert sind, stützen eine mäch- Verzicht auf überflüssige Details bzw. Re- tige Deckplatte. Auf ihrer Ostseite ist die duktion der Darstellung seine Bildwerke Inschrift zu lesen: „Unseren Gefallenen“, in idealisierter Weise zu gestalten ver- auf der Westseite: „Sie werden auferste- mochte. hen“. Zwischen den Trageblöcken gelangt Ab dem 29. März 1915 nahm Bleeker am man über weitere Treppen zur eigentli- Ersten Weltkrieg teil2 und war seit 1. Fe- chen Krypta, in der Bleekers „Gefallener bruar 1917 künstlerischer Beirat bei der Soldat“ aufgebahrt ist. „Deutschen Kriegsgräber-Abteilung des Der Krieger erinnert formal an einen mit- k. u. k. Militär-Kommandos Przemysl“. telalterlichen Gisant, d. h. eine skulptu- Während seiner dortigen Stationierung rale oder plastische Liegefigur auf einem wurde dem Künstler die Beratung über Sarkophag, einer Tumba oder einem Ke- die Ausschmückung sämtlicher bayeri- notaph. Der Soldat ist überaus schlicht scher Heldenfriedhöfe in Galizien sowie gehalten. Auf heroische Beigaben wie die Ausführung eines „Bayern-Denk- Fahnen oder Trophäen wurde verzichtet. mals“, das an die gefallenen bayerischen Sanft ruht er auf einem niedrigen Sockel 148 | Frank Henseleit: Münchener Kriegerdenkmal Frank Henseleit: Münchener Kriegerdenkmal | 149 aus Rotmarmor wie auf einer Bahre. Die wig-Maximilians-Universität München nisterialrat Heinrich Ullmann. Bleeker, Meinung, an einem Bau Ludwigs I. dürfe Gewandung der überlebensgroßen ideali- (1920-22, zusammen mit dem Architekten Richard Knecht, Georg Römer u. a. waren nichts geändert werden. sierten Figur ist ohne aufwendige Details Theodor Kollmann und dem Bildhauer Stellvertreter. Etwa gleichzeitig mit diesem Wettbewerb in einfacher Form gestaltet. Der lange Feld- Georg Römer), der Pfalz-Denkstein in den Im Juli 1920 wurden die Entwürfe präsen- wurde ein weiterer ausgeschrieben für ein mantel verläuft in geraden, regelmäßigen Maximiliansanlagen (1922-24) und die tiert, der Wettbewerb führte jedoch zu kei- Ehrenmal zum Gedenken an die Münch- Falten, die großen kräftigen Hände halten Kriegerfiguren im zerstörten „Reichseh- nem Ergebnis. Von den 171 eingereichten ner Gefallenen. Hierzu trat der „Bayeri- ein Gewehr, das auf dem Körper liegt und renmal Tannenberg“ (1935). Sowohl die Beiträgen wurden 15 prämiert, allerdings sche Kriegerbund für München (Stadt)“ bis zu den Stiefelspitzen reicht. Das mit ei- Köpfe des Denkmals für die Universität wurde keine Arbeit zur Ausführung be- an den „Bayerischen Landesverein für nem Stahlhelm bedeckte Haupt ist leicht München als auch die Soldaten für Tan- stimmt. Heimatschutz“ heran, mit dem Gesuch zur Seite geneigt und ruht auf einem Tor- nenberg wurden schlicht, einfach und zu- Ein zweiter Wettbewerb kam wegen der um „Durchführung eines Ideenwettbe- nister, Augen und Mund sind geschlossen. rückhaltend gestaltet, ähnlich dem Toten misslichen wirtschaftlichen Lage nicht werbes zur Lösung der Platzfrage für ein Der jung und unschuldig erscheinende Krieger im Hofgarten. zustande, so dass ein aus drei Sachver- Kriegerdenkmal in München“.13 Soldat trägt entindividualisierte, ruhige Möglicherweise verarbeitete Bleeker bei ständigen bestehender Gutachterrat einen Auf Grund der Bedeutung des Projektes und entspannte Gesichtszüge und weist der Konzeption der Skulptur eigene Er- bayerischen Künstler mit der Gestaltung wurden 15 anerkannte Persönlichkeiten, keinerlei Spuren eines gewaltsamen Todes fahrungen des Ersten Weltkrieges. Er war des Denkmals betrauen sollte. Dies hatte darunter die Bildhauer Georg Römer und auf. selbst zwar nicht in direkte Kampfhand- zur Folge, dass Bernhard Bleeker 1921 den Josef Wackerle, die Maler Fritz Erler und Die Skulptur ist so konzipiert, dass die lungen geraten, aber als künstlerischer Auftrag erhielt, da er als Mitglied der Jury Karl Caspar und die Architekten Theodor Grausamkeiten der Kriegsrealität negiert Beirat in einer Kriegsgräberkommission einen tiefen Einblick in das Verfahren hatte. Fischer und Karl Hocheder zu Preisrich- werden und die Hinterbliebenen beim Be- durch Planung von Soldatenfriedhöfen Nach der Begutachtung durch ein Denk- tern gewählt, ferner Bauräte, Vertreter des trachten der Figur Trost finden konnten. auf andere Weise mit dem Krieg konfron- malkomitee wurde der in der Kuppelhalle Bayerischen Kriegerbundes und der Stadt Bleekers Figur, gleichsam „ästhetische tiert worden, ohne das wirkliche Grauen des Armeemuseums aufgestellte Gips- München. Bernhard Bleeker fungierte, ne- Verkörperung eines idealisierten Hel- des Krieges kennen gelernt zu haben. So- entwurf des Soldaten Ende August 1922 ben anderen, wiederum als Stellvertreter. den“,3 war somit in der Lage, den „Ge- mit gestaltete der Künstler eine würdige, durch Paul von Hindenburg eingeweiht.7 Nachdem die etwa 150 Entwürfe im März gensatz von Leben und Tod [zu]ü berblen- unversehrte Figur, die der Realität der Am 22. November 1922 kam der Vertrag 1922 von der Jury begutachtet wurden und den“.4 Durch die Positionierung der Figur Schlachten mit ihren entstellten Leibern mit Bleeker zum Abschluss. Als Honorar nicht zufriedenstellend ausgefallen waren, im Zentrum einer „Krypta“, abgetrennt und Kadavern konträr gegenüberstand. erhielt er 103.000 Mark und erwarb dar- kam es in der ersten Hälfte des Jahres 1923 vom alltäglichen Leben, war es möglich, Gerade solch eine Konzeption konnte je- aufhin von den Ruhpoldinger Marmor- zu einem weiteren Wettbewerb, nun mit dem Betrachter „eine innere Einkehr und doch eine tröstende Funktion für die Hin- werken einen drei Tonnen schweren Mar- der Vorgabe des Standortes, dem Platz vor somit die individuelle Reflexion über den terbliebenen zum Ausdruck bringen; sie morblock,8 der von geringer Qualität, aber dem Bayerischen Armeemuseum. Als Sie- Kriegstod“5 zu gestatten. Gleichzeitig aber war Gegenstand einer intensiven Beschäf- für eine Aufstellung in einem Innenraum ger gingen die Architekten Thomas Wechs war es auch möglich, die gesamte Anlage tigung mit diesem Werk von den Zwanzi- geeignet war.9 Die Witterungsanfälligkeit und Eberhard Finsterwalder in Zusam- des Kriegerehrenmales mit den Namen der ger Jahren bis 1945, wobei Heroisierung des Steins sollte nach dem Zweiten Welt- menarbeit mit dem Bildhauer Karl Knap- 13.000 Münchener Gefallenen an den Um- und Sakralisierung des Soldaten im Vor- krieg die Diskussion um eine Verlegung pe hervor.14 fassungsmauern, Weihe-Inschriften, Gruft dergrund der Betrachtungen standen. des Soldaten schüren. Die Bauarbeiten des Denkmals, dessen und Soldatenfigur im Sinne einer kollekti- Nach Fertigstellung der Figur, das ge- Steine in Cannstatt bei Stuttgart gebrochen ven Trauer zu deuten und sich damit der Die Entstehung des Münchener naue Datum ist nicht bekannt,10 zeigte sich wurden, übernahm die Philipp Holzmann Hoffnung auf Wiederherstellung eines Kriegerehrenmals ein optisches Missverhältnis zwischen AG. Da die Kosten der Anlage sehr hoch neuen, starken Deutschland nach der Nie- der Kriegerskulptur und dem geplanten waren, beantragten die Vorsitzenden des derlage im Ersten Weltkrieg hinzugeben. Im März des Jahres 1920 hatte das Hee- Aufstellungsort, der Kuppelhalle des Ar- Denkmalausschusses bei der Stadt Mün- Seit Kriegsbeginn gab es zahlreiche Kon- resabwicklungsamt einen Wettbewerb meemuseums, weshalb der Künstler sich chen eine finanzielle Zuwendung, die in zepte, Ideenwettbewerbe und tatsäch- für ein Bayerisches Kriegerdenkmal aus- weigerte, die Figur abzuliefern,11 obgleich Höhe von 30.000 Goldmark gewährt wur- lich ausgeführte Gefallenendenkmäler in geschrieben, das für die Kuppelhalle des in der Kuppelhalle bereits der Sockel für de.15 München. Bleeker schuf im Laufe seiner Bayerischen Armeemuseums in München das Denkmal errichtet war. Als Alternati- Die Grundsteinlegung des Kriegerdenk- Karriere mehrere Kriegerehrenmäler. Ex- bestimmt war.6 Dem Preisgericht gehörten ve schlug Bleeker vor, den Soldaten in der mals fand am 4. November 1923 statt, die emplarisch genannt seien hier die vier namhafte Architekten und Bildhauer an, Feldherrnhalle aufzustellen,12 doch das Enthüllung am 14. Dezember 1924.16 Köpfe toter Soldaten an dem Gefallenen- u. a. Theodor Fischer, Paul Ludwig Troost, Bayerische Kultusministerium war der Bernhard Bleekers Soldatenfigur, die – wie denkmal für die Angehörigen der Lud- Hermann Hahn, Josef Wackerle und Mi- bereits erwähnt – für die Kuppelhalle des 150 | Frank Henseleit: Münchener Kriegerdenkmal Frank Henseleit: Münchener Kriegerdenkmal | 151

Armeemuseums gedacht war, wurde nun sam als Katalysator für verschiedene Emp- mungston, den das Denkmal leicht be- nur Wasser auf die Mühlen der „Völki- kurz vor der Einweihung in dieses Krie- findungen und Emotionen fungieren. kommen kann“. Der Krieger sei „eine Sa- schen“ und rechtsextremen Gruppierun- gerehrenmal integriert, da das Bauwerk Bereits die Enthüllungsfeierlichkeiten im che für sich, ein Werk von hoher Schönheit, gen sein. bis dahin kahl und leer wirkte.17 Dezember 1924 führten zu Verärgerungen schlicht und groß gesehen“.24 Ernst „Putzi“ Hanfstaengl, damals Ver- Die Anlage war bei ihrer Enthüllung im sowohl im linken wie auch im rechten La- Karl Badberger lobt Bleekers Soldaten trauter Adolf Hitlers, späterer Auslands- Dezember 1924 jedoch noch nicht vollen- ger: Die politische Linke fühlte sich ausge- überschwänglich: „Als ein noch Schule pressechef der NSDAP, im Zweiten Welt- det. Der Platz für die Namen der 13.000 grenzt, da ihre Organisation, das „Reichs- machendes Meisterwerk schlechthin muss krieg als Emigrant auf amerikanischer gefallenen Münchner Soldaten, die in der banner Schwarz-Rot-Gold“, nicht an der der schlafende Krieger bezeichnet wer- Seite Berater für die psychologische Krypta angebracht werden sollten, erwies Feier teilnehmen durfte.19 Da Kronprinz den, dem das Denkmal Ruhestätte ist. Bis- Kriegsführung gegen das Dritte Reich, be- sich als zu klein. So wurden neue Wand- Rupprecht und andere Vertreter des Hau- her hat man wohl kaum je modernere Ge- richtete von Plänen der Nationalsozialis- flächen für die Anbringung der Namen ses Wittelsbach eingeladen waren, sei die wandung plastisch so gut überwunden ten, am Tag der Grundsteinlegung des benötigt. Das Problem konnte durch den Feier zu einer Sache geworden, „an der die und dabei doch realistisch dargestellt ge- Kriegerehrenmales29 einen Putschversuch Bau eines Vorhofes mit Umfassungsmau- Allgemeinheit keinerlei Interesse hat, eine funden, als hier. Trotz aller Attribute der zu unternehmen: So kam Hanfstaengl An- ern, die das eigentliche Ehrenmal um- höfische Feier, veranstaltet von einem ein- Gegenwart muss dieses Denkmal doch als fang November 1923 in die Redaktions- gaben, gelöst werden. An den Wänden zelnen Verein [dem Bayerischen Krieger- zeitlos bezeichnet werden und das ist stets räume des „Völkischen Beobachters“. Der wurden die Namen der Gefallenen an- bund], der sich allerdings anmaßt, allein das Kennzeichen einer ganz reifen Kunst, Redakteur Hermann Esser habe ihm er- gebracht. Die Einweihung dieses zwei- das Recht zu haben, das Andenken von die in geistiger Durchdringung ihre Wur- zählt: „Stellen Sie sich vor, was Scheubner- ten Bauteils erfolgte im November 1925. 13.000 Gefallenen einer Großstadt zu eh- zel hat“.25 Richter, Rosenberg und vermutlich auch Karl Knappe dekorierte 1928 die südliche ren“.20 Dagegen drückte die politische Die Skulptur wurde als das „schönste in Ludendorff für kommenden Sonntag zur Schmalseite des Hofes mit dem Relief ei- Rechte ihre Verärgerung dahingehend Deutschland ... ein Werk, das Bleekers Grundsteinlegung von Bernhard Bleekers nes Gräberfeldes, die nördliche mit einem aus, dass – im Gegensatz zur Grundstein- Name in die weite Welt trug“,26 gerühmt. Gefallenendenkmal im Hofgarten ausge- Relief marschierender Soldaten. Nach Be- legung, bei der zahlreiche völkische Ver- Mit der Figur habe der Künstler eine der heckt haben. Mitten in der Feier sollen die schädigungen im Zweiten Weltkrieg wur- treter zugegen waren – nur „ein Heer von „schönsten Verdichtungen des Weltkriegs- SA und andere zuverlässige Kampfbund- den die Namen der 13.000 Toten entfernt, Zylindern rings im Geviert, spärliche soldaten“27 geschaffen, sie sei „in Form Einheiten über die Regierung samt Kahr Knappes Reliefs in verkleinerter Form Reichswehr: Eine Ehrenkompanie und und Gehalt von tiefem Ernst und schlich- und Kronprinz Rupprecht herfallen, viel- wiederhergestellt,18 die übrige Gestalt des eine Fahnenkompanie“ vertreten waren.21 tem Adel, ganz verinnerlicht und still, das leicht auch noch über die Generalität, und Denkmals blieb erhalten. Nachdem das Denkmal enthüllt war, gab schönste deutsche Soldatenmal“.28 alle festsetzen, worauf Hitler und Luden- es reichlich negative Beurteilungen hin- Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg dorff die nationale Revolution ausrufen Die Rezeption des „Gefallenen Sol- sichtlich seiner künstlerischen Gestaltung. war die politische Stimmung im „völki- wollen“.30 Zwar kam es an diesem 4. No- daten“ von den Zwanziger Jahren Der „Völkische Beobachter“ nannte das schen“ und deutsch-nationalen Lager vember 1923 noch nicht zu diesem Vorha- bis zum Dritten Reich Werk ein „Backsteinkäse-Denkmal“.22 Die stark revanchistisch geprägt. Die Bedin- ben, jedoch nur 5 Tage später; am 9. No- „Bayerische Staatszeitung“ berichtete von gungen des Versailler Friedensvertrages vember wurden die Pläne mit dem Zeitungsartikel, Untersuchungen aus den Reaktionen der Bevölkerung: „... die- schürten dieses Feuer ebenso wie die „Marsch auf die Feldherrnhalle“ blutige künstlerischer oder ideologischer Wahr- ses Denkmal ist so eigenartig in seiner Schmach und der damit verbundene „Ehr- Realität, auch wenn der Putschversuch nehmung, lyrische und prosaische Be- Form und Ausführung und so radikal ab- verlust“ durch die Niederlage. Das einst scheiterte. trachtungen in den Jahren zwischen Ein- weichend von dem Normaltyp eines Krie- so starke Reich, die ehemals so gewaltige Der geplante Umsturzversuch vom 4. No- weihung des Denkmals 1924 und der Zeit gerdenkmals, dass der Großteil der Bevöl- Militärmacht Deutschland lag nunmehr vember 1923 zeigt, welcher Symbolcha- des Nationalsozialismus zeigen die Wert- kerung ihm hilf- und ratlos, zum Teil auch geschlagen am Boden. Auch die sich durch rakter dem Kriegerdenkmal beigemessen schätzung bzw. Indienstnahme, die die unfreundlich und ablehnend gegenüber- die gesamte Weimarer Zeit fortsetzende wurde, wenngleich die Aufständischen si- Denkmalanlage und insbesondere die Sol- steht und nicht weiß, wie es sich mit ihm Debatte über die Kriegsschuld trug dazu cherlich auch von rein praktischen Beweg- datenfigur in individueller, ästhetischer, abfinden soll“.23 bei, dass nationalistische Kräfte an Boden gründen ausgingen, nämlich auf einen gesellschaftlicher und nationalpolitischer Die positiven Kritiken bezogen sich in be- gewannen. Es herrschte die Auffassung, Schlag die gesamte Regierung und maß- Hinsicht erfuhren. sonderem Maße auf Bernhard Bleekers die „Kriegsschuldlüge“ stelle die Grund- gebliche Persönlichkeiten beseitigen zu Das Ehrenmal war im Bewusstsein der Soldatenfigur, die bis heute als ein Haupt- lage des Versailler Vertrages dar. können. Zeit tief verankert, somit konnte der „Ge- werk des Künstlers gilt: Die Grundsteinlegung und Enthüllung ei- Die offiziellen Vertreter der Stadt Mün- fallene Krieger“, der von Anfang an im So schreibt Hans Kiener, die Figur halte nes so bedeutenden Kriegerdenkmales chen demonstrierten in ihren Reden an- Zentrum der Betrachtung stand, gleich- „großen Abstand zu diesem harten Stim- konnte mit Blick auf diese Geisteshaltung lässlich der feierlichen Enthüllung der 152 | Frank Henseleit: Münchener Kriegerdenkmal Frank Henseleit: Münchener Kriegerdenkmal | 153

Denkmalanlage am 12. Dezember 1924 sentiments gegenüber den ehemaligen Der bereits angedeutete „germanische Re- nes Gräberfeldes sind. Knappe stellt durch eine zeittypisch nationalistische Gesin- Kriegsgegnern, namentlich Frankreich: vanchismus“ ist an der sonst so toleranten die Gegenüberstellung der beiden Reliefs nung: Das Ehrenmal wird hier als „nationales Denkmalkritik Karl Badbergers abzule- die logischen Folgen des Krieges dar: Der So übergab der Generaldirektor des Ar- Heiligtum“ bezeichnet,34 Begriffe wie „na- sen, wenn er die Konzentration des Denk- Auszug der Soldaten in die Gräber auf meemuseums, Halm, den „Gefallenen Sol- tionale Ehre und Stolz auf Deutsche Front- malgedankens auf Bleekers Soldaten dem Schlachtfeld. Die wie „zerhackt“ ge- daten“ dem bayerischen Volk mit den leistung“, „Versailler Schanddiktat“, „un- lenkt: „Dieses Verlegen des Schwerge- stalteten Soldaten Knappes, die keine In- Worten: „Der Schlafende Krieger […] soll erhörte Beschimpfung des deutschen wichts nach Innen sowie die Symbolik der dividualität zuließen, schienen dem den Opfermut der bayerischen Truppen, Heeres und des ganzen Volkes“ und Ehrung durch den Genius loci kommt Künstler geeignet für seine Vorstellung aber auch den schlummernden Helden- „wehrfeindliche Propaganda“ sind zu le- doch zweifellos germanischem Empfin- eines entindividualisierten, anonymen To- geist versinnbildlichen, der einst seine sen, Forderungen nach einer unverzügli- den näher als der Hurrakitsch, den wir des im Krieg.40 Dieser ursprüngliche Sinn Auferstehung feiern wird“.31 chen Entfernung des Kranzes werden laut. beispielsweise in romanischen Ländern wurde dahingehend umgekehrt, dass man Münchens zweiter Bürgermeister, Hans Die Konzeption der Figur als „Gisant“ in antreffen und der uns als überwundener die Reliefs bald als aus ihren Gräbern auf- Küfner, bekundete in seiner Ansprache einer Gruft legte auch Vergleiche zur mit- Standpunkt gilt.“38 erstehende Soldaten deutete, die erneut eine weitere nationale Bestärkung: „Es sei telalterlichen Kaiseridee nahe, einer He- Die oben genannten Ausführungen haben bereitwillig in einen Krieg ziehen würden. und bleibe ein geistiger Sammelpunkt für roisierung im germanischen Sinne mit gezeigt, wie stark das Kriegerehrenmal Bleekers Soldatenfigur konnte aber auch alle, denen, wie den Gefallenen, das Vater- deutscher Gesinnung und Heldenmut: mit Bleekers Soldaten für revisionistische als Verkörperung eines Individuums fun- land über allem steht. Das Denkmal wird „Und dennoch, wenn man die Figur in Zwecke – auch im Sinne einer kollektiven gieren und somit als gedankliches Zent- so zum Grundstein und Ausgangspunkt dem tiefgelegten, relativ niedrigen Raum Nationaltrauer und deren Überwindung rum eines persönlichen Verlustes. für unsere feste Hoffnung auf eine glückli- aus sich wirken lässt, so taucht doch der – vereinnahmt werden konnte. Der mit dem Künstler befreundete Schrift- chere Zukunft unseres geliebten Vaterlan- Eindruck einer Krypta auf, wie er durch Die Konzeption der Gesamtanlage ver- steller Hans Carossa schildert in seinem des, dass es in nicht zu ferner Zeit wieder Dutzende von mittelalterlichen Kirchen in stand der am Entwurf beteiligte Bildhauer Werk „Der Arzt Gion“41 auf mehreren Sei- groß und mächtig werde wie ehedem“.32 uns erweckt wurde. … Man mag […] Mys- Karl Knappe folgendermaßen: „Das Mün- ten die Gefühle und Stimmungen, die das Ein Kommentar in der „Augsburger Post- tik und Sage – die Barbarossas im Kyff- chener Kriegerdenkmal ist geworden aus Denkmal und die Soldatenfigur auf den zeitung“ verdeutlicht ebenso den nationa- häuser legt sich ja angesichts des ‚schla- dem Gefühl heraus, etwas entstehen zu Protagonisten, den Arzt Gion, und die Be- len Geist: „Tausende von trauernden Müt- fenden‘ deutschen Jünglings im Innern so lassen, was zunächst nicht gewohnte Au- sucher machten. Carossa hat deren Reakti- tern wurden mir gegenwärtig und doch nahe – heranführen“.35 So schreibt auch genweide für Vorübergehende, sondern onen offensichtlich selbst erlebt: formte sich von dieser Gestalt aus ein sieg- Hans Weigert 1942: „Man zögert, die Na- vor allem Aufenthalt schaffen soll für all „Gion aber ging auf das niedrige Qua- reiches Wissen, dass sie, um die die Mütter men der Künstler, des Bildhauer-Archi- diejenigen, die sich dem Gedenken an den derngebäude zu, das die Mitte der Anlage und Gattinnen trauern, dennoch leben, tekten Karl Knappe und des Bildhauers Krieg und den vielen Toten auch wirklich bildet. Längst war er die Befremdung los, und dass auch das, wofür sie sterben, das Bernhard Bleeker, zu nennen, weil ihr hingeben wollen. […] Hier soll der Mensch die beim ersten Anblick des ungewöhnli- deutsche Vaterland, leben wird“.33 Werk, den heiligen Skulpturen des Mittel- selbst mittun und es soll ein Ort der Be- chen Gefüges die meisten überkommt; Ehrenmal und Soldatenfigur erweckten alters gleich, nicht mehr ihr, sondern des gegnung sein, sei es mit den Toten, sei es sieht es doch aus, als hätten spielende Ky- somit ein Gefühl nationalen Stolzes und Volkes geistiger Besitz ist.“36 mit sich selbst im Zusammenhang mit klopenkinder ihre kolossalen Baukasten- damit tröstliche Emotionen, so dass die Die leicht als revanchistisch deutbaren In- dem, was geschehen, was hinter uns liegt steine neben- und übereinander gelegt. Hoffnung auf ein Weiterleben bzw. ein schriften am Münchner Kriegerdenkmal: und doch mit uns lebt“.39 Noch einmal, zwischen je zwei Würfeln, Wiederauferstehen Deutschlands in seiner „Unseren Gefallenen“ und: „Sie werden Diese Ausführungen zeigen, dass das En- führen Stufen abwärts; man glaubt in eine alten Größe wachgerufen werden konnte. auferstehen“ sind zu lesen als eine Hoff- semble als Stätte eines persönlichen Trau- Krypta zu treten, und etwas Ähnliches ist Die Inschriften auf der Deckplatte: „Unse- nung, die sich fünfzehn Jahre nach der ererlebnisses und einer individuellen Me- es auch; denn am Boden hingestreckt, aus ren Gefallenen“ und: „Sie werden aufer- Enthüllung als blutige Realität erfüllen morialfunktion konzipiert war. rötlichbraunem Stein gehauen, liegt hier stehen“ konnten in diesem Sinne interpre- sollte. Der Schrifttyp – Karl Badberger Dass der ursprüngliche Gesamtentwurf der tote Soldat, ein Gedächtnisbild aller tiert werden. setzt ihn in die Nähe der gotischen Anti- des Kriegerehrenmales nicht im Sinne ei- Gefallenen. Überlebensgroß ist die Ge- In dieser stark revisionistisch aufgelade- qua37 – entspricht jedoch nicht einer spezi- ner Kriegsverherrlichung gedacht war, stalt; noch im Tode bewahrt sie eine Art nen Phase der Weimarer Republik ver- fisch germanisch-völkischen Prägung, die zeigen besonders die 1928 fertig gestellten von dienstlicher Haltung; das Gesicht, fast deutlicht die Reaktion des „Völkischen man wohl mit der Fraktur am genauesten „kubistischen“ Reliefs von Karl Knappe knabenhaft unter dem riesigen Sturm- Beobachters“ auf die Kranzniederlegung getroffen hätte. Dies war auch einer der an der Nord- und Südseite der Umfas- helm, spricht letzte Ergebung aus. Auf alle einer französischen Friedensgesellschaft Kritikpunkte an dem Denkmal, dem da- sungsmauern, die Darstellungen einer verfeinernden Züge hatte der Künstler am Kriegerdenkmal im Jahre 1927 die Res- durch „deutsche Elemente“ fehlen würden. marschierenden Soldatenkolonne und ei- verzichtet, und es war ihm geglückt, ein 154 | Frank Henseleit: Münchener Kriegerdenkmal Frank Henseleit: Münchener Kriegerdenkmal | 155 jugendliches Antlitz von allgemeiner Gül- glückliche Operation wieder sehend ge- männlicher Kraft, die sich der Ruhe an- nen des Ersten Weltkrieges: „[…] in den tigkeit zu schaffen, das eben so gut an ei- worden. Auch ihr Bruder ist unter den heimgegeben hat. Der Ruhe, nicht dem Schützengräben dieses Krieges wurde die nen Arbeiter erinnerte wie an einen Bau- Dreizehntausend, und nun möchte sie den Tode, der Alles endet. Denn wer sähe Weltanschauung geboren, die sich mit ern, so gut an einen Fürsten wie an einen steinernen Soldaten sehen, in dem alle ent- nicht, dass in den Zügen, so verschlossen Hunderten von Opfern den Sieg errang Gelehrten“. halten sind ...“.42 und entrückt sie sind, noch ein Leben le- und die endliche Einheit und Freiheit un- Ein älterer Sanitätsrat steigt in die Krypta Der letzte Halbsatz entsprach der Interpre- bendig ist, das sich mit dem Leben des in seres Volkes verwirklichte, die unser heu- hinab und spricht „jetzt mit übertriebenen tation des Soldaten als Verkörperung einer die Krypta einfallenden Lichts auf ge- tiges Reich schuf und die täglich im klei- Gesten den steinernen Soldaten wie einen ganzen Armee, die gefallen ist und in der heimnisvolle Weise alltäglich verbindet nen und großen von heroischer Gesinnung Lebendigen“ an: „Endlich bin ich wieder der Einzelne nichts gilt, die Gesamtheit und das nur des Anrufs, dem solche Macht getragen wird“. einmal da, mein Lieber! Unsere ersten Kir- aber alles, „der Eine, der alle vertritt“, wie gegeben ist, zu bedürfen scheint, um aus Dieses Heldentum komme am besten bei schen bringe ich dir; Maria selbst hat sie Hubert Schrade 1934 schreiben wird.43 seinem Geheimnis wieder ins Dasein zu- den Darstellungen von Soldaten, die als für dich gepflückt. Alles ist noch beim al- Diese Aussage wird durch die Präsentati- rückzukehren. ‚Sie werden auferstehen‘, Kriegerehrenmäler bestimmt sind, zum ten; sei froh, dass du hier wohnst in dei- on der Namen der Gefallenen auf den ist draußen auf den Block geschrieben, der Ausdruck, „weil damit ein direkter Ein- nem kühlen Haus; glaube ja nicht, dass du Umfassungswänden des Kriegerehren- die Krypta überdacht“. klang zwischen dem heldischen Geist und viel versäumst! Schön liegst du da in dei- mals noch unterstrichen. Der Besucher muss aber, um zu diesem dem Inhalt gegeben ist“. Bleekers Soldat nem langen Mantel, ohne Bahrtuch und Repräsentanten der Gefallenen zu gelan- sei so ein Beispiel: „In dem Ruhen des Sarg; jeder kann zu dir kommen, doch dei- Der „Gefallene Soldat“ in der Re- gen, erst den „Raum der Gemeinschaft“ schlafenden Kriegers von Bernhard Blee- nen Schlaf stört keiner ... Freue dich, mein zeption des Dritten Reiches durchschreiten, „an dessen Wänden die ker liegt so viel gestaltete innere Kraft, Sohn, dass keine Schallwelle mehr zu dir Namenkolonnen der Opfer und Forderer dass man ein Erheben sich vorbereiten zu dringt! Wenn du lebtest, – in welche Unru- Hubert Schrades Abhandlung über Blee- neuer Volksgemeinschaft stehen“. Schra- sehen meint; die Ruhe der Formen, die he, in welchen Zorn der Ohnmacht wür- kers Soldaten in seinem Werk „Das deut- de interpretiert somit den Soldaten in Ver- über der Waffe gestalteten Hände, die dest du hineingerissen! Wie müsstest du sche Nationaldenkmal“44 ist aus einer bindung mit dem gesamten Denkmal als leichte Wendung des Kopfes sind von er- dich zurücksehnen zum Abhang von Lo- stark „völkisch“ geprägten Sicht geschrie- Symbol der Aufopferung, die dem Entste- greifender Monumentalität“. retto unter die Kanonen...“. ben, in der der Einzelne nichts, das Volk hen und Weiterleben der Nation dient. Rittichs Indienstnahme des Toten Solda- „Barhäuptig, bleich, ein schwarzes Tuch alles zählt. Der Einzelne hat sich dem gro- „Daher fühlen wir die Sinngestalt auch je ten für Heldentum und „heroische Gesin- um die Schultern“ betritt eine Frau das ßen Ganzen zu opfern, um in ihm weiter- und je als Person ... in dem ursprünglichen nung“ ist symptomatisch für die national- Kriegerdenkmal. Sie war bemüht, „außer zuleben. Schrade schlüsselt die einzelnen Sinne, der dem Begriffe eignet. Persona sozialistische Kunstideologie. Bleekers der Steingestalt nichts wahrzunehmen Formen des Denkmals auf: kommt von personare und das heißt Krieger, obwohl schon zwischen 1921 und [und] … öffnete eine abgenutzte Handta- Der Besucher steigt in den Vorhof hinab durchtönen. Durch den Einen tönt das 1924 entstanden, eignete sich durch Form sche, zog ein weißes Christbaumkerzchen und betrachtet die 13.000 Namen der Ge- Ganze, durch das er gewesen und um des- und Verinnerlichung in hohem Maße für hervor, zündete es an, klebte es mit Wachs- fallenen. Bereits hier spürt er allerdings, sentwillen er gefallen ist: sein Volk“.45 revanchistische Wiedererweckungshoff- tropfen am Sockel fest und begann auf dass angesichts der Unzahl von Namen Die Vereinnahmung der Kriegerfigur nungen im Sinne des NS-Regimes. Zwar eine Art zu beten, die wir sonst nur in süd- die Konzentration auf einen einzigen Ge- diente Schrade dazu, die Ideologie des schloss die Gestaltung der Figur solche lichen Ländern finden. Sie führte die rech- fallenen nicht möglich ist: „Es sind der auf neuen „Dritten Reiches“ zu propagieren, Zuversicht nicht aus, doch zeigt das Ver- te Hand an den Mund und senkte sie dann gleiche Weise Verzeichneten zu viele. Der indem er die Volksgemeinschaft be- halten der amerikanischen Militärregie- in feierlichem Bogen sehr langsam nach einzelne Name verliert an individueller schwor, innerhalb derer das Individuum rung nach dem Zweiten Weltkrieg – sie dem Herzen der Statue. Hierauf stand sie Erinnerungskraft“. In der Krypta, unter nichts gelten sollte, das Volk aber alles. gab die Erlaubnis zur Restaurierung und mit halb ausgebreiteten Armen eine Weile dem „Altar-Grab-Block“, Zeichen des Op- In Werner Rittichs Aufsatz „Heroische Re-Positionierung an seinen altherge- still, wobei sie viel größer aussah, als sie fertodes, befindet sich die Gestalt, „in der Plastik“ in der Zeitschrift „Die Kunst im brachten Platz –, dass diese die ursprüngli- wirklich war, und wiederholte schließlich sich das Schicksal der Vielen, die Eines ge- Dritten Reich“46 aus dem Jahre 1937 wird che Gesamtkonzeption, nun ausgeweitet ihre erste Gebärde. Endlich drückte sie das worden sind, gleichnishaft verkörpert“: deutlich, wie sehr das deutsche Kunst- auf die Gefallenen des Zweiten Weltkrie- Licht mit zwei Fingern aus, verwahrte die Bleekers Soldat sei das „gesuchte Bild des schaffen nun unter dem Aspekt der Heroi- ges, anerkannt hatte.47 Kerze ... und eilte ... hinaus“. Einen, der Alle vertritt“. sierung betrachtet wurde. Rittich zufolge Aufopferung – dieser Leitgedanke zieht Eine schwarz gekleidete Dame mit ihrer Hier wird nun erneut die revanchistische war in Deutschland niemals die „heroi- sich auch durch den Kommentar Kurt-Lo- Enkelin kommt herein: „Lassen Sie meine Wiedererweckungshoffnung offenbar, sche Gesinnung so alle bewegend, so alle thar Tanks48 zu Bleekers Soldat. Tanks Enkelin hinein! ... sie ist als Kind erblindet wenn Schrade fortfährt: „Das Haupt [des erfassend“ wie damals. Dieser Heroismus Buch, das verhältnismäßig spät, 1942, pu- und erst vor einigen Wochen durch eine Soldaten] ist reiner Ausdruck jugendlich- resultiere aus dem Opfergang der Gefalle- bliziert wurde, war der Versuch, diejeni- 156 | Frank Henseleit: Münchener Kriegerdenkmal Frank Henseleit: Münchener Kriegerdenkmal | 157 gen Bildhauer in einem Werk zu vereinen, die Aufopferungsbereitschaft nicht nur Ehrenmal in Hohensyburg (Dortmund) ei- zu restaurieren. Allerdings war Bleeker als die von offizieller Seite des Dritten Reiches des Soldaten, sondern auch seiner Hinter- nen liegenden Soldaten, der dem Bleeker- politisch belasteter Professor bereits 1945 Zustimmung fanden. Herausgegeben bliebenen, also des Volkes, beschwört. So schen sehr ähnlich ist. Auch der Münchner seines Lehramtes an der Akademie der wurde es von Wilfried Bade, dem leiten- erschließt sich einer trauernden Mutter Bildhauer Friedrich Lommel gestaltete Bildenden Künste enthoben worden,53 so den Ministerialrat der Presseabteilung der der „Sinn seines [des Soldaten] und ihres zwischen 1928 und 1930 für die Kirche dass die Figur nicht lange dort verbleiben Reichsregierung, das Geleitwort verfasste Opfers“. „Unserer lieben Frau“ in Bremen einen konnte und nun in sein stark zerstörtes Albert Speer. Somit waren das Werk und Indem der Soldat für das Vaterland fällt, liegenden Krieger. So schufen Berthold Haus verbracht wurde. 1947 beauftrag- die in ihm vertretenen Bildhauer von bewirkt sein Opfer eine Kraft, die im Volk Müller auf dem Tönsberg bei Örlinghau- te die amerikanische Militärregierung höchst offizieller Stelle abgesegnet. Tank, wirksam wird. „Auf seinem [des Soldaten] sen (Westfalen), Karl Stock in Bad Hom- schließlich den Künstler mit der Restau- der im November 1941 zum Hauptschrift- Antlitz lesen wir: unser Opfer wird das burg, der Bildhauer J. Örtel in Lindau am rierung der Figur54 und ließ ihm hierfür leiter des „Zeitschriften-Dienstes / Deut- deutsche Schicksal wenden!“ Tanks Buch Bodensee, Joachim Enseling in Coesfeld ein Honorar anweisen.55 Das beschädigte scher Wochendienst“ ernannt wurde,49 erschien zu einer Zeit, in der nicht mehr (Westfalen) und Wilhelm Fraß in Wien Kriegerdenkmal wurde ebenfalls wieder- teilte die 17 in seiner Publikation vertrete- der Revanchismusgedanke gefordert war, und Professor Hans Sautter, der Direktor hergestellt, jetzt aber ohne die Namen der nen Künstler in verschiedene hierarchisch wohl aber der Appell an das Durchhalte- der Kunstgewerbeschule Kassel, jeweils 13.000 Gefallenen und mit den verklei- gegliederte Kategorien ein: Die „unterste“ vermögen der Bevölkerung. In diesem ein Gefallenendenkmal, das sich auf den nerten Reliefs Knappes an der Nord- und Stufe war bezeichnet mit „Tradition und Sinne ist auch seine Interpretation zu ver- Toten Soldaten Bernhard Bleekers bezog. Südseite des Vorhofes.56 Gegenwart“, in dem die Bildhauer stehen, der Soldat liege „stark und unbe- Hans Osel fertigte 1934 in der Bäckerstra- Bleekers Soldat kehrte am „Gedenktag der Klimsch, Kolbe, Scheibe, Bleeker und Albi- siegt“ da und spreche „beschwörend und ße in München einen stehenden Soldaten. Toten“57 im Oktober 1948 wieder in die ker vertreten waren, Künstler also, die be- mahnend, tröstend und rettend zu uns“. Der Bildhauer Bernhard Graf Plettenberg „Krypta“ am Hofgarten zurück. reits kurz nach dem Ersten Weltkrieg An- Bernhard Bleekers Soldatenfigur erfuhr modellierte in der Schlosskapelle zu Hove- Da sich jedoch das Steinmaterial, aus dem sehen genossen. Die nächst höhere Stufe vor allem im Dritten Reich eine Uminter- stadt (Kreis Soest) einen toten Soldaten, die Figur bestand, als minderwertig er- trug den Namen „Das Ringen um die neue pretierung, die das Kriegerdenkmal als der seinen gefallenen Bruder darstellte. wies, setzten die Witterungseinflüsse in Form“, in dem die Schüler der oben Ge- Symbol der revanchistischen Rachegelüste Noch zu Beginn der Siebziger Jahre, zwi- der von allen Seiten offenen Krypta dem nannten vertreten waren: Harth, Grauel, F. für die ‚Schmach’ der Niederlage im Ers- schen 1971 und 1973, schuf Hans Wimmer Soldaten stark zu, so dass alsbald über Liebermann, Koelle und Knecht. In der ten Weltkrieg vereinnahmte und den Op- für die Festung Ehrenbreitstein (Koblenz) eine Verlegung der Figur nachgedacht „obersten“ Stufe beschritten Wamper, ferwillen des deutschen Volkes beschwor, ein „Ehrenmal des Deutschen Heeres“, werden musste. Wie bereits im Jahre 1923 Meller, Schmid-Ehmen, Waldschmidt und der mit der Glorifizierung der ‚Heldenta- für das er auch die Figur eines toten Krie- wurde erneut über eine Verlegung des Wackerle den „Weg zur deutschen Monu- ten’ einherging, welche die „Volksgemein- gers fertigte. Wimmer orientierte sich an Soldaten in die Feldherrnhalle diskutiert. mentalplastik“. An dessen Ende ‚thronten’ schaft“ zusammenschweißen sollten. Die- der Figur seines Lehrers Bleeker, deren Drei verschiedene Möglichkeiten wurden Thorak und Breker im Kapitel „Auftrag se allesamt sehr pathetischen Appelle sind „Überführung in das Ingolstädter Armee- in Erwägung gezogen:58 und Erfüllung“. Zeichen der politischen Vereinnahmung museum er zum selben Zeitpunkt veran- 1. An der Rückseite der Feldherrnhalle Wie an den einzelnen Kapitelüberschrif- der Kunst zur Zeit des Nationalsozialis- lasst hatte“.50 Hatte Bleeker seinen Krieger sollte eine Halle angebaut und der Soldat ten abzulesen ist, wurde hier eine Ent- mus. Selbstverständlich wurde der Blee- entindividualisiert dargestellt, so ist Wim- darin aufgebahrt werden. Bernhard Blee- wicklung aufgezeigt, die den Weg zur kersche Soldat auch vom Künstlerischen mers Figur in Anlehnung an das Jugend- ker plädierte für diesen Vorschlag, der propagierten nationalsozialistischen her gewürdigt, doch konnte gerade über portrait des eigenen Sohnes gestaltet. So- Plan scheiterte jedoch an den Ausmaßen Kunstauffassung vollzogen habe. Gleich- diese schöngeistige Annäherung die Be- mit bleibt bei Wimmer die Individualität der Feldherrnhalle, da das dahinter ste- zeitig wurden die einzelnen Künstler auch schwörung der „höheren“, „schicksalhaf- gewahrt.51 hende Preysing-Palais in Mitleidenschaft nach ihrer Nähe zur und ihrer Bedeutung ten“ Ideale konstruiert werden. gezogen worden wäre. für die NS-Bewegung definiert. Die Zeit nach Kriegsende 2. Die Rückwand des Mittelteils der Feld- Tank sieht den Soldaten nicht als tot an. Künstlerische Nachwirkungen herrnhalle sollte zu einer rechteckigen Ni- „Man hat ihn mit Recht einen Schlafenden Bei einem Bombenangriff auf München sche ausgebaut und das (noch heute) dort oder Ruhenden genannt, denn tot ist die- Nicht nur in der Kunstkritik der damali- wurde das Kriegerdenkmal beschädigt befindliche „Denkmal für die bayerische ser gefallene Held des Weltkrieges nicht, gen Zeit stand der Tote Soldat im Mittel- und mit ihm auch Bleekers Soldat. „Mit Armee“ von Ferdinand von Miller ent- tot ist nur, wer keine Kraft mehr ausstrahlt, punkt des Interesses; auch auf Künstler- Flaschenzügen und Winden holte er [Blee- fernt werden. In die Schmalseiten der neu keine Wandlung im Reiche der Lebenden kollegen machte die Figur bereits in den ker] den verstümmelten Sarkophag unter erbauten Nische sollten die Zugänge zu auszulösen vermag“. Tank benutzt das Zwanziger Jahren Eindruck. So fertigten den Trümmern hervor und schaffte ihn in einer Krypta kommen. In der Gruft hätte Adjektiv „schlafend“ in einem Sinne, der Fritz Bagdons und Carl Fink 1925 für ein den Keller der Akademie“,52 um ihn dort die Kriegerfigur auf einem Sarkophag lie- 158 | Frank Henseleit: Münchener Kriegerdenkmal Frank Henseleit: Münchener Kriegerdenkmal | 159 gen sollen, in dem eventuell die Gebeine und durch das politische Theater am Ode- Feldherrnhalle ist einer der „politisch- Uta Kuhl, Hans Wimmer. Das plastische Werk, eines unbekannten Soldaten des Ersten onsplatz in der Zeit des Dritten Reiches sten“ Orte Münchens. Hier fand Hitlers Diss. Göttingen 1999. Weltkrieges ruhen sollten. Am Kopfende entweiht“.63 Putschversuch statt, und hier befand sich des Sarkophages sollten zwei Kandelaber, Zahlreiche Gutachten wurden eingebracht das „Denkmal der Bewegung“ (das im München und seine Bauten nach 1912, hrsg. v. an den Wänden Haken für Kränze ange- über den Zustand der Figur, ihre Restau- Übrigen von dem Bleeker-Schüler Kurt Bayerischen Architekten- und Ingenieur-Verband bracht werden. Die teilweise noch vor- rierung und ihre Verlegung an einen wit- Schmid-Ehmen stammte). Die Aufbah- e. V., München 1984. handenen Tafeln mit den Namen der Ge- terungsgeschützten Ort, wobei wiederholt rung des Soldaten dort hätte wohl eine fallenen hätten sich in den Gewölben zu die Feldherrnhalle vorgeschlagen wurde.64 Aufwertung der Feldherrnhalle bewirkt, Michaela Stoffels, Kriegerdenkmale als Kultur- beiden Seiten der Gruft anbringen lassen. Karl Knappe hingegen plädierte für eine die nun wiederum zum Symbol eines – objekte. Trauer- und Nationalkonzepte in Monu- Da das Gewölbe allerdings von dem an- Rückverlegung in das Kriegerdenkmal, wenn auch verkappten – Militarismus ge- menten der Weimarer Republik, Köln, Weimar, grenzenden Restaurant als Weinkeller be- nachdem die Figur in einem haltbaren worden wäre. Die Hoffnung des greisen Wien 2011. nutzt wurde, kam auch diese Lösung nicht Material wiederhergestellt worden sei.65 Kronprinzen Rupprecht, die politische Benedikt Weyerer, Das Münchner Kriegerdenk- in Frage. Schließlich stimmte der Bauausschuss des Vergangenheit der Feldherrnhalle mit der mal im Hofgarten, in: archenoah, Jg. 5, Nr. 3-4 3. Von der Residenzbauleitung wurde der Münchner Stadtrates dem Antrag der CSU Verlegung des Soldaten auszulöschen,70 (16/17), Juli-Dezember 1998. folgende Vorschlag besonders befürwor- zu, den Toten Soldaten endgültig an sei- zeigt die zur damaligen Zeit nicht seltene tet: Die Treppenzugänge zur Gruft, wie nem Platz im Kriegerehrenmal vor dem Bereitschaft zur Verdrängung der Vergan- im Vorschlag (2.) gestaltet, sollten in Halb- Armeemuseum zu belassen.66 genheit. türmen rückwärts an der Wandseite der Es zeigte sich jedoch, dass dies die falsche Bis vor einigen Jahren war vor der Feld- Feldherrnhalle angebaut werden. Lösung zur „Rettung“ der Figur gewesen herrnhalle nur eine relativ kleine Metall- 1 Zu Bernhard Bleeker vgl. Frank Henseleit, Der Bildhauer Bernhard Bleeker (1881-1968). Bleeker, der bereits einen Entwurf zum war. Das Material wies immer stärke- platte in den Boden versenkt mit den Na- Leben und Werk, 3 Bde., Augsburg 2006. Darin Umbau der Feldherrnhalle gefertigt hat- re Witterungsschäden auf, so dass man men der durch die Putschisten ums Leben auch ausführlich zum „Gefallenen Soldaten“ te,59 setzte sich stark für eine Verlegung sich 1972 entschloss, die Figur durch eine gekommenen Bayerischen Landespolizis- (Bd. 1, S. 152-179). seiner Figur in die Feldherrnhalle ein: „Ich Bronzekopie zu ersetzen,67 die Bleekers be- ten.71 Diese wurde ersetzt durch eine noch 2 Bayerisches Hauptstaatsarchiv: Abt. IV: Kriegsarchiv, MKr 4990: Kriegergräber im Felde 68 wünsche sie dringend. Es gibt für mich gar kanntester Schüler Hans Wimmer schuf. kleinere Tafel an der Westfassade der Resi- aus dem Feldzug 1914 usw.: Auszug aus der keine andere Lösung. Der Stein – Ruhpol- Die Originalfigur war bereits 1971 in das denz. Kriegs-Stammrolle, 16. 5. 1917. dinger Marmor – hält der Witterung nicht Bayerische Armeemuseum nach Ingol- Im Jahre 1997 wurde in der Nähe des Krie- 3 Michaela Stoffels, Kriegerdenkmale als Stand. Es gab wohl Ruhpoldinger Mar- stadt verbracht worden. In einem Brief an gerdenkmals am Hofgarten ein Kubus von Kulturobjekte. Trauer- und Nationalkonzepte in Monumenten der Weimarer Republik, Köln, mor, der wetterfest war, doch sind diese den Bildhauer Gerhard Marcks, datiert Leo Kornbrust aufgestellt, in den Texte Weimar, Wien 2011, S. 205. Lagen längst abgebaut“.60 Auch gegen die vom 20. 4. 1971, schreibt Wimmer: „Eben von deutschen Widerstandskämpfern ein- 4 Ebd., S. 194. Überlegung, das Original durch eine Ko- komme ich aus Ingolstadt, wo ich im graviert sind. 5 Ebd., S. 197. pie zu ersetzen, verwahrte sich der Künst- Schloss im Zeughaus einen Platz für den 6 Die folgenden Ausführungen sind alle dem Akt des Bayerischen Hauptstaatsarchivs entnom- ler: „Es wäre nicht richtig, das Original in Toten Soldaten von Bleeker ausgesucht men: BHStA, Abt. IV, MKr 14410. Das ehemalige ein Museum zu stellen. Meine ursprüngli- habe, sein Steinoriginal droht nämlich [...] Literatur Bayerische Armeemuseum wurde im Zweiten che Vorstellung war, den Soldaten in die niederzugehen. Wir haben dafür (mit un- Weltkrieg teilweise zerstört. Die erhaltene Kuppel Krypta der Feldherrnhalle zu legen, ich endlichen Mühen und Kämpfen gegen Gerhard Finckh, Die Münchner Plastik der Zwan- bildet heute den Zentralbau der neu errichteten ziger Jahre unter Berücksichtigung der Entwick- Bayerischen Staatskanzlei und befindet sich an könnte mir auch heute keinen würdigeren den Bürokratismus) einen Bronzeguss der Ostseite des Hofgartens. lung seit der Jahrhundertwende, Diss. München Ort vorstellen“.61 Ein prominenter Befür- angefertigt (das beschädigte Gipsmodell, 7 Münchener Neueste Nachrichten, Nr. 365, worter von Bleekers Vorschlag, den Solda- d. h. den Gipsabguss vom Steinoriginal 1987. 31.8.1922. ten in einer nach hinten vertieften apsisar- hab ich wieder in Stand gesetzt und dabei 8 Walther Kiaulehn, Ballade vom Toten Frank Henseleit, Der Bildhauer Bernhard Bleeker Soldaten, in: Merkur am Sonntag. Illustrierte tigen Nische aufzubahren, war Kronprinz die Meisterarbeit aufs Neue bewundert; es (1881-1968). Leben und Werk, 3 Bde., Diss. Augs- Unterhaltungsbeilage des Münchner Merkur, Rupprecht von Bayern. Seiner Meinung war die letzte ‚Korrektur‘ von ihm)“.69 15./16.10.1955 (unpaginiert), schreibt, der Künst- burg 2006. nach könne die Soldatenfigur „die poli- Dass Bernhard Bleeker nach Kriegsende ler habe den Marmorblock für einen großen Rei- tische Vergangenheit der Feldherrnhalle „seinen“ Soldaten restaurierte, ist künst- sekoffer voll Geld erworben, das nicht viel wert Walther Kiaulehn, Ballade vom Toten Soldaten, war. auslöschen und ihr einen neuen Inhalt ge- lerisch verständlich. Die Diskussionen in: Merkur am Sonntag. Illustrierte Unterhal- 9 Münchner Merkur, Nr. 90/91, 15./16.4.1954, 62 ben“. Die Fraktionsmitglieder der CSU über eine Verlegung der Figur in die Feld- tungsbeilage des Münchner Merkur, 15./16. 10. S. 6. 10 Als Fertigstellungstermin war der 31.12.1923 waren gegenteiliger Auffassung: Die Feld- herrnhalle nach dem Zweiten Weltkrieg 1955. herrnhalle „sei durch den Hitler-Putsch waren jedoch problematisch. Gerade die vereinbart worden. Im November des Jahres 1923 160 | Frank Henseleit: Münchener Kriegerdenkmal Frank Henseleit: Münchener Kriegerdenkmal | 161 war die Figur noch in Arbeit (Universitätsarchiv das vom Volksbund deutscher Kriegsgräberfür- 38 Ebd. Die Vorliebe für „urdeutsche“, das lässt die Deutung zu, dass dieser „pazifistische“ München: SEN-II-7: Lebenslauf Bleekers mit Auf- sorge in Auftrag gegeben und von Robert Tischler Germanentum betonende Gestaltungsweisen, Gedanke Knappes von den nationalsozialisti- listung einiger Werke des Künstlers, 28.11.1923) gefertigt wurde. sind typisch für die geistige Haltung völkischer schen Machthabern möglicherweise erkannt 11 Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb Bleeker 24 Hans Kiener, Das Münchner Kriegerdenkmal, und nationalkonservativer Kreise nach dem worden war und nun die Konsequenz aus einer erst nach Vollendung der Figur das Missverhält- in: Die Kunst 52, 1925, S. 198f., hier S. 199. Ersten Weltkrieg, die nahezu ungebrochen bis solchen missliebigen Haltung gezogen wurde, nis zwischen Figur und Raumsituation erkannt 25 Karl Badberger, Das Münchener Krieger- in das Dritte Reich beibehalten wurde. Dass das Finckh (wie Anm. 42), S. 424f. Benedikt Weyerer, hatte. Immerhin war er Mitglied des Preisgerich- denkmal, in: Süddeutsche Baugewerkszeitung, Denkmal als Hünengrab erkannt wurde, zeigt die Das Münchner Kriegerdenkmal im Hofgarten, in: tes, darüber hinaus wurde bereits ein Gipsmodell 28. Jg., Nr. 8, 20.4.1925, S. 105-108. Aussage Wilhelm Westeckers aus dem Jahre 1936: archenoah, Jg. 5, Nr. 3-4 (16/17), Juli-Dezember lange vor Vollendung der Figur probeweise in 26 Münchener Zeitung, Nr. 205, 27.7.1931. In dem Ehrenmal liege „der tote Soldat wie ein 1998, S. 47f. interpretiert die ursprüngliche Denk- der Kuppelhalle aufgestellt. 27 Bruno E. Werner, Die deutsche Plastik der König in einem alten Hünengrab. Dieses Hünen- malskonzeption als beabsichtigt revanchistisch. 12 Münchner Merkur, Nr. 90/91, 15./16.4.1954, Gegenwart, Berlin 1940, S. 115. grab ist zwar stilisiert, aber es besteht doch aus Der Autor schreibt zudem, das Kriegerdenkmal S. 6. 28 Münchner Merkur, Nr. 178, 26.7.1951, S. 3. schweren, wuchtigen, kantigen Blöcken“ (Wil- sei „einem verbunkerten Gefechtsstand aus den 13 Die folgenden Ausführungen sind alle dem 29 Bleekers Soldatenfigur wurde jedoch frühes- helm Westecker, Kultur im Dienst der Nation, Stellungskämpfen in Ostfrankreich und Belgien Akt des Stadtarchivs München entnommen: tens am 6.12.1924 im Kriegerdenkmal aufgestellt Hamburg 1936, S. 74). nachempfunden“. Ob dies eine Intention der StaM: BUR 551: Kriegerdenkmal vor dem Armee- (Münchener Neueste Nachrichten, Nr. 332, 39 Karl Knappe, Das Münchener Kriegerdenk- Architekten war, sei dahingestellt. museum. 5.12.1924, S. 1). mal, in: Das Münster 23, 1970, S. 245. 48 Kurt-Lothar Tank, Deutsche Plastik unserer 14 Ebd.; Wechs, Finsterwalder und Knappe 30 Ernst Hanfstaengl, Zwischen Weißem und 40 Gerhard Finckh, Die Münchner Plastik der Zeit, München 1942, S. 54-57, bes. S. 54 und 56. erhielten bei dem ersten Wettbewerb einen dritten Braunem Haus. Memoiren eines politischen Au- Zwanziger Jahre unter Berücksichtigung der Ent- 49 Otto Thomae, Die Propaganda-Maschinerie. Preis. Der Entwurf zeigte einen riesigen Sarko- ßenseiters, München 1970, S. 126. Der Journalist wicklung seit der Jahrhundertwende, München Bildende Kunst und Öffentlichkeitsarbeit im phag, der von acht Löwen bewacht wurde. William Shirer berichtet etwas abweichend: „Für 1987, S. 420f. Dritten Reich, Berlin 1978, S. 210. 15 Bayerische Staatszeitung und Bayerischer den 4. November, den Totengedenktag, war eine 41 Hans Carossa, Der Arzt Gion, Frankfurt/Main 50 Uta Kuhl, Hans Wimmer. Das plastische Staatsanzeiger, Nr. 107, 8.5.1924, S. 5. Die Münch- Militärparade angekündigt worden, die nicht 1992 (Erstausgabe: München 1931). Die folgenden Werk, Diss. Göttingen 1999, S. 75, ner Bevölkerung spendete bis zum Dezember nur Kahr, Lossow und Seißer, sondern auch der Zitate auf S. 31 und 113-117. 51 Ebd. 1924 insgesamt 198.000 Mark. beliebte Kronprinz Rupprecht in einer engen, 42 Auch die Münchener Neuesten Nachrichten, 52 Kiaulehn (wie Anm. 9). 16 Bayerische Staatszeitung und Bayerischer zur Feldherrnhalle führenden Straße abnehmen Nr. 83 v. 25.3.1925 schildern die Reaktion der 53 Bleeker wurde im Rahmen des Entnazifizie- Staatsanzeiger, Nr. 291, 15.12.1924, S. 5. sollten. Scheubner-Richter und Rosenberg hatten Mutter eines im Krieg gefallenen Soldaten beim rungsverfahrens 1946 auf Grund verschiedener 17 Kiaulehn (wie Anm. 8) schreibt, dass zur nun Hitler vorgeschlagen, auf Lastwagen ein paar Anblick der Kriegerfigur: „Mei‘ Bub is vermisst, Mitgliedschaften in NSDAP-Organisationen als Abhilfe dieser Nüchternheit ein Ausschuss von hundert SA-Leute heranzuschaffen und die enge allweil hab i ihn g‘sucht, aber jetzt bin i beruhigt, „Minderbelasteter“ eingestuft. Er musste 20.000 Bildhauern und Baumeistern zusammentrat, in Straße abzuriegeln, ehe die Truppen eintrafen. jetzt weiß i, wo er liegt“. Offensichtlich konnte Reichsmark als Sühnestrafe entrichten und durfte dem auch Bleeker vertreten war. Theodor Fischer Hitler sollte dann die Tribüne besteigen, die Re- Bleekers Figur so intensive Emotionen hervorru- drei Jahre lang nicht als Lehrer arbeiten. 1948 machte den Vorschlag, eine künstliche Quelle volution ausrufen und die Notabeln mit vorge- fen, dass vor dem Soldaten auch häufig Selbst- wurde diese Frist auf dem Gnadenweg für been- in der Gruft sprudeln zu lassen. Das steigende haltener Pistole zum Mitmachen zwingen. Hitler morde verübt wurden (Welt am Sonntag Nr. 34 v. det erklärt, kurze Zeit später wurde er als „Mit- und fallende grüne Isarwasser würde ein Sym- war von dem Plan begeistert. Doch als Rosenberg 22.8.1926, nach Stoffels 2011, S. 208, Anm. 230). läufer“ eingestuft. bol der Heimat für die Gefallenen sein. Als die am Totengedenktag frühmorgens zu Erkun- 43 Hubert Schrade, Das deutsche Nationaldenk- 54 BHStA, Mso 1766, Schreiben vom 4.7.1947. Bemerkung fiel, man könne auch eine Bierquelle dungszwecken am Schauplatz erschien, entdeckte mal. Idee / Geschichte / Aufgabe, München 1934, Noch im November 1945 bestand seitens der dort sprudeln lassen, verließ Fischer wütend er zu seinem Entsetzen, dass die ganze Straße von S. 109. Amerikaner kein Interesse, das Kriegerdenkmal die Sitzung. Bleekers Figur war neun Tage vor einer starken, gut bewaffneten Polizeitruppe be- 44 Ebd., S. 107-112. wiederherzustellen. So wurde eine Anfrage Blee- der Enthüllung der Gesamtanlage noch nicht im setzt war. Der Putsch, ja die „Revolution“, musste 45 Ebd., S. 112. Wie sehr Schrade vom „Volksge- kers bezüglich der Wiederherstellung des Solda- Kriegerdenkmal aufgestellt (Münchener Neueste aufgegeben werden“, William S. Shirer, Aufstieg meinschaftsgedanken“ durchdrungen ist, zeigt ten abgelehnt mit der Begründung: „Army ist not Nachrichten, Nr. 332, 5.12.1924, S. 1). und Fall des Dritten Reiches, Köln, Berlin 1962, S. die fälschliche etymologische Herleitung des Be- interested in restoration of war memorials“ (Insti- 18 München und seine Bauten nach 1912, hrsg. 66. griffes „Person“. Das lateinische „persona“ ist ein tut für Zeitgeschichte München, Ed 145, Nachlass v. Bayerischen Architekten- und Ingenieur-Ver- 31 Münchener Neueste Nachrichten Nr. 84 v. Rückgriff auf den etruskischen Begriff „φersu“, Dieter Sattler, Bd. 20: Schreiben vom 28.11.1945). band e. V., München 1984, S. 552. 15.12.1924. was soviel heißt wie „Maske“ (Friedrich Kluge: 55 Kiaulehn (wie Anm. 8). 19 Die Polizeidirektion hatte die Teilnahme des 32 Stadtarchiv München: StA München, BUR Etymologisches Wörterbuch der deutschen Spra- 56 München und seine Bauten (wie Anm. 18), Reichsbanners mit der Begründung verboten, sie 1424/2, Ansprache Dr. Küfner v. 14.12.1924. che, Berlin 1967, S. 539). Das lateinische „per- S. 552. sei eine politische Organisation (München-Augs- 33 Augsburger Postzeitung Nr. 296 v. 21.12.1924. sonare“ („durchtönen“) ist nicht mit dem Wort 57 Süddeutsche Zeitung, Nr. 96, 30.10.1948, S. 4. burger Abendzeitung, Nr. 340, 12.12.1924). 34 Entweihung des Münchener Kriegerdenk- „persona“ in Einklang zu bringen. 58 Münchner Merkur, Nr. 90/91, 15./16.4.1954, 20 Münchener Post, Nr. 290, 13./14.12.1924, S. 12. mals. Ein nationales Heiligtum wird französi- 46 Werner Rittich, Heroische Plastik, in: Die S. 6. 21 Beilage zum Völkischen Kurier, 16.12.1924. schen Propagandazwecken dienstbar gemacht, in: Kunst im Dritten Reich, Folge 11, Nov. 1937, 59 Abgebildet in Kiaulehn (wie Anm. 8). 22 Völkischer Beobachter, 22.9.1925. Völkischer Beobachter, Nr. 208, 10.9.1927, unpagi- S. 28-34. 60 Münchner Merkur, Nr. 90/91, 15./16.4.1954, 23 Bayerische Staatszeitung und Bayerischer niert („Münchener Beobachter“, tägliches Beiblatt 47 Karl Knappe hatte mit der Inschrift „Sie wer- S. 6. Staatsanzeiger, Nr. 291, 15.12.1924, S. 5. Doch war zum VB). den auferstehen“ in Verbindung mit den Grab- 61 Ebd. das Kriegerehrenmal von Wechs und Finster- 35 Augsburger Postzeitung Nr. 296 v. 21.12.1924, wächtern, die als Reliefs auf den Außenseiten 62 Kiaulehn (wie Anm. 8). walder auch Vorbild für andere Ehrenmäler, so zitiert nach Stoffels (wie Anm. 3), S. 203f. der acht Trageblöcke der Breitseite des schweren 63 Ebd. beispielsweise für das von dem Architekten Emil 36 Hans Weigert, Geschichte der deutschen Travertinblockes angebracht waren, einen religiö- 64 Siehe hierzu Henseleit (wie Anm. 1), S. 177. Högg geschaffene Ehrenmal auf dem Hainberg Kunst. Von der Vorzeit bis zur Gegenwart, Berlin sen Auferstehungsgedanken im Sinne, der auf das 65 Ebd. bei Jena, das einen großen Kubus zeigt und für 1942, S. 506. Jüngste Gericht hinweist. Knappes Entlassung 66 Kiaulehn (wie Anm. 8). Kiaulehn vermutet, die Totenburg bei Bitoli (Bitola) in Makedonien, 37 Badberger (wie Anm. 25), S. 107. aus dem Lehramt als „Kulturbolschewist“ 1933 dass der Stadtrat auf Grund eines Gutachtens 162 | Frank Henseleit: Münchener Kriegerdenkmal von Stadtbaurat Högg zu diesem Entschluss kam. Högg meinte, der Marmor könne noch viele Jahr- hunderte der Witterung ausgesetzt werden, die Mariensäule auf dem Marienplatz sei schließlich aus demselben Material. Bleeker widersprach diesem Argument: Verwittere eine Architektur, so könne man ohne Schwierigkeiten neue Stücke einsetzen. Bei einer Plastik sei dies unmöglich. Überdies sei der Stein der Mariensäule vor 300 Jahren gebrochen worden. 1921, als der Soldat geschaffen wurde, sei dieses gute Lager längst erschöpft gewesen. 67 Münchner Merkur, Nr. 170, 27.7.1972, S. 13. 68 Ursprünglich wollte man eine Steinkopie im Kriegerdenkmal aufstellen, doch empfahl Wim- mer einen Bronzeguss, Kuhl (wie Anm. 50), S. 37. 69 Zitiert nach Ebd., S. 37. 70 Kiaulehn (wie Anm. 8). 71 Die Inschrift der Tafel lautete: „Den Mitglie- dern der Bayerischen Landespolizei, die während des Hitler-Putsches am 9. November 1923 ihr Leben ließen: Friedrich Fink, Nikolaus Hollweg, Max Schobert, Rudolf Schraut“. Die Tafel wurde erst im November 1994 angebracht. Katalog 167 1: Bayerns Armee

Die wichtigste und teuerste staatliche Einrichtung Bayerns war seine Armee. Sie blickte mit Stolz auf eine über 200-jährige Geschichte. 1682 hatte Kurfürst Max Emanuel für den Krieg gegen die Türken mehrere Regimen- ter zu Fuß und zu Pferd errichtet. Dies galt als Geburtsstunde der bayerischen Armee, denn vier von ihnen blieben bis zum Ende des Ersten Weltkriegs institutionell bestehen. Durch die Vereinigung mit der Kurpfalz 1777 und die Vergrößerung des bayerischen Staatsgebiets im Zeitalter Napoleons wurden weitere Einheiten mit eigener Geschichte „Stammtruppen“ des Bayerischen Heeres. 1806 wurde Bayern zum Königreich. Um sich in dieser kriegerischen Epoche zu behaup- ten, wurde die Armee neu organisiert und erheblich vergrößert. In dieser Verfassung bestand sie bis zum „Deutschen Krieg“ des Jahres 1866, in dem die mit Österreich ver- bündeten süddeutschen Staaten unterlagen. Der Feldzug hatte die Überlegenheit der preußischen Militärorganisation schlagend bewiesen. Deshalb wurde die bayerische Armee nach preußischem Vorbild, aber ohne Beteiligung preußischer Militärberater reformiert. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 wurde Bayern in das neu geschaffene Deutsche Reich integriert und sein Heerwesen vollends dem preußischen angeglichen, allerdings unter Bewahrung seiner inneren Autonomie. Die Pflege der Tradition in den Regimentern als der engeren militärischen Heimat der Soldaten wurde seitdem ein wesentliches Element der Identitätsstiftung des bayerischen Heeres. 168 | 1: Bayerns Armee 1: Bayerns Armee | 169

Statuette eines Musketiers aus der Zeit Max Emanuels

Diese Tischfigur verehrte das Offiziers- Die Vorlage für die Skulptur schuf der korps des 10. Infanterie-Regiments „Prinz Maler Anton Hoffmann (1863-1938), der Ludwig“ dem Prinzen Ludwig von Bay- sich auf Militärmotive spezialisiert und ern aus Anlass seines 40-jährigen Inha- eine Grafikmappe mit Uniformdarstel- ber-Jubiläums. Auf dem Sockel stehen lungen des Bayerischen Heeres zur Zeit die Jahreszahlen 1867 und 1907 sowie die des Kurfürsten Max Emanuel (1662-1726) Widmung: veröffentlicht hatte. Sie zeigt einen „Mus- „DEM DURCHLAUCHTIGSTEN INHA- ketier“, also einen einfachen Soldaten des BER DAS OFFIZIERSKORPS DES 10. alten kurbayerischen Leib-Regiments zu INFANT.REGTS. ‚PRINZ LUDWIG‘ IN Fuß, aus dem 1804 das 10. Infanterie-Regi- TIEFSTER EHRFURCHT.“ ment hervorging. „Inhaber“ eines Regiments war ein Ehren- In den Sockel ist ein Exlibris eingeklebt, titel, mit dem keine militärischen Befug- das nach einer Zeichnung gefertigt ist, die nisse verbunden waren. Insbesondere Hoffmann selbst im März 1906 im Gäste- diente er dazu, das Band zwischen der buch des Regiments eingetragen hatte. Armee und dem Herrscherhaus enger zu knüpfen sowie befreundete Fürsten an Bayern zu binden. Ludwig (später König Tafelaufsatz, Entwurf: Richard Aigner nach Ludwig III.) war als Sohn des Prinzregen- Zeichnung von Anton Hoffmann, Bayern1907, Messing, Holzsockel mit Samtbezug, daran Pflan- ten Luitpold zum Thronfolger des regie- zenmaterial, Höhe 67 cm. rungsunfähigen Königs Otto vorgesehen. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. H 17534 170 | 1: Bayerns Armee 1: Bayerns Armee | 171

Prunk-Tafelaufsatz zum Regiments- jubiläum

1882 war es 200 Jahre her, dass das bayeri- Den Aufsatz krönt eine Darstellung der sche 2. Infanterie-Regiments „Kronprinz“ Siegesgöttin mit der Fahne des Regiments. errichtet worden war. Aus diesem Anlass Zu ihren Füßen befindet sich in einem schenkten ehemalige Offiziere der Einheit Lorbeerkranz eine Silbermedaille mit dem diesen Tafelaufsatz dem aktiven Offiziers- Doppelportrait Max Emanuels und Lud- korps des Regiments. wigs II. Die Inschriften auf dem denkmalsartig gestalteten Aufbau nennen die Schlachten, an denen das Regiment beteiligt war. An dessen Fuß befinden sich der bayerische Löwe mit dem kurfürstlichen Wappen Tafelaufsatz von Hofsilberschmied Eduard Wol- lenberger (1847-1918), München 1882, Silber, sowie Fahnen und Stangenwaffen aus der Bronze, Vergoldung, Holz, 71,5 x 42 x 39 cm. Zeit der kurbayerischen Armee. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0188-1992 172 | 1: Bayerns Armee 1: Bayerns Armee | 173

Prunk-Tafelaufsatz der Garnisons- stadt Augsburg

Diesen Tafelaufsatz schenkte die Stadt die Nummer „3“. Seit 1806 war Augsburg Kriegervereinsfahne Augsburg 1898 dem 3. Infanterie-Regi- seine Friedensgarnison. ment „Prinz Karl von Bayern“, laut Das Stück ist dem Augsburger Augustus- Diese Fahne gehörte dem Krieger- und Vete- Inschrift „ZUR ERINNERUNG AN DEN brunnen nachempfunden und trägt das ranenverein im mittelfränkischen Ober- 1TEN FEBRUAR 1698“. An diesem Tag Augsburger Wappen, die Zirbelnuss. mögersheim. Ihre Vorderseite aus hell- vor 200 Jahren war das Regiment durch blauem Tuch zeigt ein farbig gesticktes Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz in bayerisches Wappen, die Rückseite eine Düsseldorf als „Kurpfälzisches Grenadier- Tafelaufsatz der Gold- und Silberschmiede Fer- Fahne, Bayern 1894, Seide, Baumwolle, Metallge- dinand Harrach & Sohn, München 1898, Silber, Germania mit den Inschriften „In Treue spinst, 119 x 140 cm. Garde-Regiment“ errichtet worden. 1804 Messing, Vergoldung, Marmor, 82 x 55 x 55 cm. fest“ und „Im Sturme treu“. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0183-2009 erhielt es als nunmehr bayerische Einheit Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0478-1970 174 | 1: Bayerns Armee 1: Bayerns Armee | 175

Die Bayern vor Paris

Am 19. September 1870 erreichten Abtei- der Weltstadt und Riesenfestung, die sich lungen des II. bayerischen Armeekorps unsern erstaunten Augen in ihrer ganzen Siegreiche Rückkehr nach München das Plateau von Châtillon bei Paris. Das Größe und Herrlichkeit, beleuchtet von Gemälde illustriert eine Stelle aus Johann der untergehenden Sonne, zeigte.“ Am 16. Juli 1871 fand in München die Sie- Der weißbärtige Reiter ganz links ist Heilmanns 1872 erschienenem Werk Die beiden Reiter sind bayerische Feldar- gesparade der bayerischen Armee statt. General von der Tann, der Führer des „Antheil des 2. bayerischen Armeekorps tilleristen. Die Männer in hellblauen Uni- Vor dem Reiterstandbild König Ludwigs I. I. bayerischen Armeekorps. an dem Feldzuge 1870-1871 gegen Frank- formen gehören zur Infanterie. auf dem Odeonsplatz haben König Lud- reich“: wig II. und der preußische Kronprinz „Wir standen längere Zeit am Rande der Friedrich Aufstellung genommen. Fried- Gemälde von Ludwig Behringer (1824-1903), Gemälde von Fritz Birkmeyer (1848-1897), nach wohl 1871, Öl auf Leinwand, Nordostecke des Plateaus – eine Gruppe 1870, Öl auf Leinwand, Bildmaß 41 x 58 cm. rich hatte die bayerischen Armeekorps in Bildmaß 101 x 162 cm. von Reitern – und schwelgten im Anblicke Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0231-2009 der ersten Phase des Feldzugs geführt. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. B 5644 176 | 1: Bayerns Armee 1: Bayerns Armee | 177

Erinnerung im 9. Infanterie-Regi- ment an die Schlacht von Woerth Ein Prosit auf den Frieden

Für einen Schießwettbewerb wurden Leutnant Ferdinand Müller, der erfolg- Nicht nur für den siegreichen Feldzug, kammer von der 6. Kompanie des 1. Infan- von einem Spender individuell gestaltete reiche Schütze, gehörten um 1900 zum sondern auch für den seither herrschen- terie-Regiments „König“ in München. Das Schützenscheiben „gegeben“. Diese zeigt Offizierskorps des bayerischen 9. Infante- den Frieden durfte man in der Armee Dekor des Kruges, also die Trophäen im stürmende bayerische Infanterie im Feld- rie-Regiments in Würzburg. Die Scheibe dankbar sein. Dieser Krug sollte „an die Mittelfeld und der Deckel mit dem bis zug 1870/71. Eine Aufschrift erläutert die diente also auch der Traditionspflege in 25 jährige Friedens-Feier 1870/71“ in Sau- 1886 getragenen bayerischen Raupen- Szene: „9er bei Woerth“. dieser Einheit. erlach bei München erinnern, abgehalten helm, ist durchaus militärisch. Bei diesem elsässischen Städtchen fand am 10. Mai 1896. am 6. August 1870 eine der blutigsten Offenbar war das eine Veranstaltung Schützenscheibe, Öl auf Holz, um 1900, Durch- Halbliterkrug, Bayern 1896, Porzellan, Zinn, Schlachten des Krieges statt. Sowohl der messer 55 cm. mit militärischem Bezug, denn der Krug 24,3 x 10,5 cm (Bodendurchmesser). Spender, Major Ludwig Hieber, als auch Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0121-2013 gehörte dem Infanteristen Josef Haxen- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0158-2009 179 2: Bayerisches Armeemuseum

Das Bayerische Armeemuseum wurde 1879 gegründet. Es fasste die über ganz Bayern verstreuten historischen Bestände im Besitz der Armee an einem zentralen Erinnerungs- ort in München zusammen. Die Sammlung wuchs schnell durch gezielte Ankäufe und zahlreiche Spenden aus Privatbesitz. Im 19. Jahrhundert wurden sich die Europäer ihrer Geschichtlichkeit bewusst. „Geschichte“ wurde zu einer Wissenschaft. Historiker spielten im öffentlichen Gespräch eine wichtige Rolle. Man begriff die Gegenwart als vorläufigen Endpunkt einer langen historischen Entwicklung, ohne deren Kenntnis sie nicht zu verstehen war. Museen kam bei der Vermittlung dieses Wissens eine wichtige Rolle zu. Der Sieg über Frankreich 1870/71, der mit preußischen Methoden erfochten worden war, hatte das Prestige dieser Armee enorm erhöht. Daraus ergab sich für die kleineren deut- schen Staaten ein natürliches Interesse, ihre eigene militärische Tradition nicht ganz vom preußischen Modell überstrahlen zu lassen. Das Bayerische Armeemuseum setzte also auch einen bayerisch-föderalen Akzent im Deutschen Reich. Das Museum war zunächst im Hauptzeughaus an der Lothstraße untergebracht, also am äußersten Rand des damaligen München. Bald schon erwies sich dieses Gebäude als zu klein. 1905 wurde ein repräsentativer Neubau in bester Lage am Hofgarten eingeweiht. Die unmittelbare Nähe zur Residenz zeigt auch, welche Bedeutung der Armee im König- reich Bayern zukam.

Ein Museum für die Bayerische Armee: Die erste Ausstellung

Der erste Standort des neuen Museums heimer Kuirassier, Armaturstücke, Waf- war das 1864/65 erbaute Zeughaus auf fen, Falkonetts etc. aus dem 16. bis 18. dem Oberwiesenfeld. Die dortige Ausstel- Jahrhundert.“ lung wurde 1881 eröffnet und entsprach ganz dem dekorativen Geschmack des Historismus. Im alten Bildkatalog des Museums wurde Fotografie, Das Königliche Bayerische Armee- diese Aufnahme so beschrieben: „Pappen- Museum, o.O., o.J. 180 | 2: Bayerisches Armeemuseum 2: Bayerisches Armeemuseum | 181

Der „Geschützpark“ auf der Terasse

Das neue Armeemuseum Auf der Terrasse vor dem Armeemuseum Auf dieser Aufnahme befinden sich diese wurden dekorative historische Geschütz- Rohre im Hintergrund. Das Geschütz im Im Jahr 1900 fiel der erste Spatenstich für rohre aus Bronze auf- und ausgestellt. Den Vordergrund ist französischen Ursprungs den monumentalen Neubau des Armee- Kernbestand bildeten zehn Rohre aus dem und stammt aus dem 18. Jahrhundert. museums am Hofgarten in München. Fünf 16. Jahrhundert, die sich bis heute erhalten Jahre später, am 12. März 1905, fand die Lichtdruck nach Fotografie, aus: Ludwig Wacker, haben und auf dem Hof des Bayerischen Lichtdruck nach Fotografie, aus: Ludwig Wacker, Das Königlich Bayerische Armeemuseum in 51 Das Königlich Bayerische Armeemuseum in 51 feierliche Wiedereröffnung der neu gestal- Kunstblättern, München 1913, Armeemuseums in Ingolstadt besichtigt Kunstblättern, München 1913, teten Sammlung statt. Bildmaße 15,3 x 21,6 cm. werden können. Bildmaße 15,5 x 21,9 cm. 182 | 2: Bayerisches Armeemuseum 2: Bayerisches Armeemuseum | 183

„Raum IV“ „Raum I a) Entwickelung der Trutzwaffen“ Dieser Raum war der Zeit Max Emanu- els (1662-1726) gewidmet, also der Grün- Hier sollte „die buntscheckige Bewaff- dungszeit der Armee. In diesem Teil des nung eines Streithaufens zu Ende des Raums wird Max Emanuel als „Türkensie- 15. Jahrhunderts“ zu sehen sein. Lichtdruck nach Fotografie, aus: Ludwig Wacker, ger“ vorgestellt. Das türkische Zelt rechts Lichtdruck nach Fotografie, aus: Ludwig Wacker, Das Königlich Bayerische Armeemuseum in 51 Das Königlich Bayerische Armeemuseum in 51 Es kam mehr auf eine Gesamtwirkung als Kunstblättern, München 1913, im Vordergrund ist eines der bekanntes- Kunstblättern, München 1913, auf waffenkundliche Genauigkeit an. Bildmaße 21,8 x 15,3 cm. ten Sammlungsstücke des Museums. Bildmaße 15,5 x 21,7 cm. 184 | 2: Bayerisches Armeemuseum 2: Bayerisches Armeemuseum | 185

Bayerische Helden: Ludwig von der Tann (1815-1881)

Der Münchner Bildhauer Christoph Mit „Allerhöchster Entschließung“ vom Roth (1840-1907) schuf 1883 für das bay- 20. Februar 1884 ordnete König Ludwig II. erische Armeemuseum Marmorbüsten die Aufstellung der Büsten im Armeemu- der Generale Ludwig von der Tann und seum an. Gleichzeitig wurden die Forts II „Raum XII“ Ruhmessaal 1870 bis Jakob „Jacques“ von Hartmann, die im und III der Festung Ingolstadt nach Hart- 1871“ Deutsch-Französischen Krieg die beiden mann bzw. von der Tann benannt. bayerischen Armeekorps geführt hatten. In der neuen Ausstellung von 1905 war Sie dienten der Pflege einer eigenen, bay- der Raum XII dem Deutsch-Französischen Lichtdruck nach Fotografie, aus: Ludwig Wacker, General Ludwig von der Tann, Büste von Chris- Das Königlich Bayerische Armeemuseum in 51 erischen Militärüberlieferung in einem toph Roth 1883, Marmor, 74 x 68 x 44 cm. Krieg gewidmet. Dort fand die Büste von Kunstblättern, München 1913, preußisch dominierten Deutschland. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. B 2131 der Tanns wieder ihren Platz. Bildmaße 16 x 21,9 cm. 186 | 2: Bayerisches Armeemuseum 2: Bayerisches Armeemuseum | 187

Szene aus der Schlacht von Woerth, 6. August 1870

In dem Ort Fröschweiler stellte sich der phs-Ordens-Ritter zur Darstellung brin- damalige Hauptmann Ludwig Ziegler vor gen“ und im Armeemuseum gezeigt wer- den schwer verwundeten französischen den sollten. Divisionsgeneral Raoult und schützte ihn Ziegler wurde für seinen Einsatz mit dem Ein prominenter Max-Josephs- so vor den in großer Erregung andrän- Militär-Max-Josephs-Orden ausgezeich- Ritter genden bayerischen Soldaten. Allerdings net, allerdings nicht für den Schutz, den er erlag Raoult am 3. September seinen Wun- dem französischen General gewährt, son- Der damalige Unterlieutenant Peter Wie- raladjutanten des Prinzregenten Luitpold den, wahrscheinlich infolge einer Sepsis. dern weil er diesen gefangen genommen denmann wurde für seinen Einsatz in der ernannt. In der „Prinzregentenzeit“ war er Um „die Erinnerung an hervorragende hatte. Schlacht von Châteaudun am 18. Oktober eine der einflussreichsten Persönlichkeiten Waffentaten der Bayerischen Armee dau- 1870 mit dem höchsten bayerischen Mili- Bayerns. ernd zu festigen“, stiftete Prinzregent tärorden ausgezeichnet. Luitpold 1908 10.000 Mark für Bilder, Wiedenmann, der aus einfachen Verhält- Gemälde von Carl Becker (1862-1922), 1909, Öl Gemälde von Ludwig Putz (1866-1847) 1909, Öl „welche denkwürdige Kampfesmomente auf Leinwand, Bildmaß 81 x 120 cm. nissen stammte, machte eine erstaunliche auf Leinwand, Bildmaß 80,5 x 131 cm. aus der Ruhmesgeschichte der Max-Jose- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. B 4877 Karriere. Im Jahr 1900 wurde er zum Gene- Bayerisches Armeemuseum, Inv.Nr. B 4875 189 3: Weltkrieg

Der Erste Weltkrieg war der letzte und größte Krieg, an dem die bayerische Armee je teilnahm. Hatten in früheren Kriegen höchstens 3 % der bayerischen Bevölkerung dem Heer angehört, waren es im „Großen Krieg“, wie er damals auch genannt wurde, 15 bis 20 %. 200.000 bayerische Soldaten fanden den Tod. Das Heer des deutschen Kaiserreichs setzte sich aus den Kontingenten der Bundesstaa- ten zusammen, die aber alle nach preußischem Muster formiert und ausgebildet waren. Die bayerische Armee machte ca. 1/8 des Reichsheeres aus. Sie trat erst mit Kriegsaus- bruch unter den Oberbefehl des Kaisers. In den ersten Kriegswochen kämpften die bayerischen Verbände noch vereint unter dem Oberbefehl des bayerischen Kronprinzen Rupprecht. Seit September 1914 wurden die bayerischen Armeekorps aber von einander getrennt und nach Bedarf an verschiedenen Fronten, zunächst im Westen und bald auch im Osten und Südosten eingesetzt. Bayeri- sche Truppen nahmen an allen großen Schlachten des Krieges teil. Das Kriegsschicksal der bayerischen Soldaten unterschied sich also nicht von dem der anderen deutschen Kontingente. Institutionell blieb die bayerische Armee aber erhalten. Die Aufstellung zusätzlicher Formationen und die Ergänzung der laufenden Verluste geschahen aus der bayerischen Wohnbevölkerung. Zu Beginn des Jahres 1918 umfasste das bayerische Feldheer 550.00 Soldaten. 190 | 3: Weltkrieg 3: Weltkrieg | 191

Generalleutnant Konrad Krafft von Kronprinz Rupprecht von Bayern Dellmensingen (1862-1953) als Feldmarschall Mit seinem Namen sind in erster Linie Kronprinz Rupprecht von Bayern brachte. Aufgrund seiner militärischen Verdienste ßische Generale vorgeschriebene Sticke- der Aufbau und die Führung des ersten Mit der Beförderung zum Generalleutnant wurde der bayerische Kronprinz 1916 rei vorschriftsmäßig. Im Gegensatz zum deutschen Gebirgsgroßverbandes – das übernahm er 1915 den Befehl über das zur zum preußischen und bayerischen Feld- preußischen Vorbild war diese jedoch Deutsche Alpenkorps – verbunden. Doch Unterstützung Österreichs neu aufge- marschall sowie zum Befehlshaber einer nicht in Gold, sondern in Mattsilber gehal- bereits vor dem Krieg war Krafft von stellte Alpenkorps und wurde damit zum neugeschaffenen Heeresgruppe, die sei- ten. Dellmensingen Chef des bayerischen militärischen Bindeglied zwischen Bayern nen Namen trug, ernannt. Auf dem Foto Generalstabes und Inspekteur der Mili- und Österreich-Ungarn. ist er in der Uniform eines bayerischen tärbildungsanstalten. Bei Kriegsbeginn Feldmarschalls zu sehen. Mit Einführung Porträt-Postkarte nach Aufnahme des Hofphoto- 1914 wurde er zum Generalstabschef der graphen F. Grainer, München nach 1916, der Bluse M 1916 für bayerische Generale Fotografie. 6. Armee berufen, eine Funktion, die ihn Fotografie ab 1915. wurde am Kragen die bislang für preu- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. N 3286 in eine enge persönliche Beziehung zu Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0529-2018 192 | 3: Weltkrieg 3: Weltkrieg | 193

Nässe

Bei ungünstiger Lage, etwa in Senken, Seiten gleichzeitig und führten zu einem konnte anhaltender Regen den Aufenthalt vorübergehenden, lokalen Waffenstill- Ausmarsch 1914 in Schützengräben unmöglich machen. stand. Das Bild zeigt Soldaten der 6. bayerischen Am 10. August, einem Montag, verab- Reserve-Division, die ihre überfluteten schiedete König Ludwig III. die Land- Schützengraben verlassen haben und sich Fotografie aus einem Fotoalbum des Leutnants wehr-Infanterie-Regimenter Nr. 1 und 2 Fotografie, München 1914. hinter eine notdürftige Deckung kauern. Karl Rieger, 1916. auf dem Münchner Königsplatz ins Feld. Stadtarchiv München, Bildnr. C1914454 Solche Missgeschicke betrafen meist beide Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0403-1980.a.338 194 | 3: Weltkrieg 3: Weltkrieg | 195

Patrouille

Stoßtrupps, also kleine Soldatengruppen für überfallartige Sondereinsätze, nannte man im Ersten Weltkrieg Patrouillen. Gas Diese Männer gehörten zum 7. bayeri- schen Infanterie-Regiment. Sie sind mit Seit 1915 wurden in zunehmendem Maß Handgranaten, Dolchen und Pistolen aus- chemische Kampfstoffe eingesetzt. Hier gerüstet, also mit ausgesprochenen Nah- Fotografie aus einem Fotoalbum, Kriegseinsatz werden „Gaskranke“, deren Atmungsor- Fotografie aus einem Fotoalbum des preußischen des 7. Bayerischen Infanterie-Regiments an der Hauptmanns Helmuth Fischer. kampfwaffen. Die Aufnahme ist ins Jahr Westfront, 1914-1918. gane durch Giftgas geschädigt wurden, Bayerisches Armeemuseum, 1916 zu datieren. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0178-1995.46 mit Sauerstoff beatmet. Inv.-Nr. 0860-2008.b.78 196 | 3: Weltkrieg 3: Weltkrieg | 197

Massenfertigung Im Orient Das Deutsche Reich erzeugte während Handfeuerwaffenmunition gab es in Bay- 1916 wurde mit bayerischem Rahmen- war das eine schier unglaubliche Leistung. des Krieges ca. 9 Milliarden Gewehrpa- ern in Ingolstadt, Nürnberg, Dachau und personal eine türkische Batterie schwe- Zu sehen ist ein türkischer Soldat bei der tronen. Das Bild zeigt die Anfertigung von München. rer Feldhaubitzen aufgestellt. Die Einheit ‚Knochenarbeit‘. Platzpatronen, die für Ausbildungszwecke gelangte zunächst in den südlichen Irak benötigt wurden. und verlegte im Sommer 1916 von dort Wo immer es möglich war, sollten Frauen Fotografie aus einem Fotoalbum über die 2. türki- an die Kaukasusfront. Angesichts des sche schwere Feldhaubitzen-Batterie. männliche Arbeitskräfte für den Kriegs- Pressefoto um 1916, Fotografie. Klimas und der Weglosigkeit der Region Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0237-2017.50 einsatz freimachen. Produktionsstätten für Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0084-2008 198 | 3: Weltkrieg 3: Weltkrieg | 199

Spiegelrückwand des Johann Reichold

Der Schreiner Johann Reichold wurde „Hineingemacht im Kriegsjahr 1914 genau am 20. Oktober 1882 geboren und leis- einen Tag vor Abmarsch ins Feindesland. tete von 1904 bis 1906 Militärdienst beim München den 4. August 1914 1. Infanterie-Regiment „König“ in Mün- Johann Reichold. Lucilihe Grahnstr 1/IV“ chen. Bei der Mobilmachung musste er zum Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 2 Reichold hatte Glück: Nach einer Verwun- einrücken, das in München aufgestellt dung im August 1916 wurde er zur Arbeit wurde. Dieser Weg wird dem Vater zweier in der Industrie „zurückgestellt“. Er über- kleiner Kinder schwer genug gefallen sein. lebte auch noch den Zweiten Weltkrieg Zuvor fertigte er noch einen Spiegel, und wurde 78 Jahre alt. wobei er das historische Ereignis auf der Innenseite der Spiegelrückwand mit Blei- stift notierte. Als der Spiegel im Jahr 2011 Johann Reichold, ca. 1916 zu Bruch ging, kam diese Botschaft, einer Spiegelrückwand, Weichholz, 50,5 x 83,5 cm. Fotografie, 9 x 7 cm. Flaschenpost ähnlich, zum Vorschein: Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0192-2018 Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0496-2018.1 200 | 3: Weltkrieg 3: Weltkrieg | 201

Hitlers Uhr? Adolf Hitler Als Herkunft dieser Uhr ist im Zugangs- buch des Armeemuseums „Aus dem Der österreichische Staatsangehörige Nachlaß Adolf Hitlers“ eingetragen sowie Adolf Hitler hielt sich bei Kriegsausbruch der Vermerk, er habe sie während des Ers- in München auf und meldete sich freiwil- ten Weltkriegs getragen. lig zum Kriegsdienst. Er zog mit dem bay- Der äußerlich schöne Zustand muss dem erischen Reserve-Infanterie-Regiment 16 nicht widersprechen. Die Brünierung des ins Feld, dem er bis zum Kriegsende ange- Taschenuhr, deutsch, 1914-1918 Gehäuses dürfte später erneuert worden Stahl, Kupfer, Glas, 6,7 x 5,2 x 1,2 cm hörte. Fotografie. sein. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. H 17767 Die Aufnahme zeigt ihn 1914 oder 1915. Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-5091 202 | 3: Weltkrieg 3: Weltkrieg | 203

Brieftasche des Andreas Schnee- berger

Der Chevauleger stammte aus Kriegsha- „Anderle“ sorgte. Die Briefe stammen aus ber bei Augsburg und rückte gleich bei der dem Juli 1915, der letzte vom 26. Juli und Mobilmachung ins Feld. schloss mit Grüßen von seiner „immer Schneeberger fiel am 6. August 1915 bei weinenden Emilie.“ Dompierre in Nordfrankreich. Die durch- schossene Brieftasche enthält mehrere Konvolut Brieftasche mit persönlichen Dokumen- Briefe von Emilie Beneš, seiner Freundin ten von Andreas Schneeberger. oder Verlobten, die sich sehr um ihren Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0146-1998 204 | 3: Weltkrieg 3: Weltkrieg | 205

Major Wilhelm Ritter von Leeb (1876-1956)

Der aus einer bayerischen Soldatenfamilie 1940 zum Generalfeldmarschall befördert. Hans von Seißer (1874-1973) stammende Leeb war bei Kriegsausbruch Das Jahr 1942 markiert das Ende seiner bereits als Generalstabsoffizier tätig und Karriere, da er aufgrund strategischer Seißer stammte aus einer alten Würz- Wie Kahr und Lossow unterstützte auch wurde 1915 für seine Leistungen während Meinungsverschiedenheiten mit Hitler burger Familie. Er trat in die bayerische Seißer zunächst den Putsch Hitlers, als des Feldzuges in Serbien mit dem Militär- um Entbindung von seinen Aufgaben Armee ein und qualifizierte sich für die dieser am Abend des 8. November 1923 im Max-Joseph-Orden und dem persönlichen gebeten hatte. Leeb wurde daraufhin in Generalstabslaufbahn. Für seine Füh- Bürgerbräukeller ausgerufen wurde. Wie Ritteradel ausgezeichnet. Das Kriegsende die sogenannte „Führerreserve“ (Reserve rungsleistung als Stabsoffizier der 4. bay- die anderen zog er sich noch in der Nacht erlebte er im Stab der Heeresgruppe „Kron- von vorübergehend unbeschäftigten Offi- erischen Infanteriedivision wurde er 1914 von dem Unternehmen zurück. prinz Rupprecht“, wurde danach in die zieren) versetzt und bis zum Ende des mit dem Militär-Max-Josephs-Orden aus- Reichswehr übernommen und Anfang Krieges nicht mehr verwendet. gezeichnet, was mit der Erhebung in den 1930 Befehlshaber im Wehrkreis VII (Bay- persönlichen Adelsstand verbunden war. ern) sowie Kommandeur der 7. (Bayeri- Nach dem Krieg trat Seißer an die Spitze schen) Division. Mit Kriegsbeginn 1939 Fotografie. Fotografie. der neu geschaffenen bayerischen Landes- Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt. IV, übernahm er eine Heeresgruppe und Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt. IV, polizei. Kriegsarchiv, Bildersammlung, Sign. MMJO 234 wurde nach dem siegreichen Westfeldzug Kriegsarchiv, Bildersammlung, Sign. MMJO 147 206 | 3: Weltkrieg 3: Weltkrieg | 207

Rudolf Graf von Marogna-Redwitz (1886-1944) Hermann Ritter Mertz von Als Angehöriger des kgl. bayerischen dos des Heeres versetzt, durch Oberst Quirnheim (1866-1947) 1. Schweren Reiter-Regiments mit einer Graf von Stauffenberg, treibende Kraft schweren Verwundung aus dem Ersten des misslungenen Attentats vom 20. Juli 1887 trat Mertz von Quirnheim in die Bay- Quirnheim 1919 zum Präsidenten des Weltkrieg heimgekehrt, widmete sich Graf 1944, aber kurzfristig wieder reaktiviert. erische Armee ein und war bei Kriegsaus- Reichsarchivs berufen. Damit gewann er Marogna-Redwitz zunächst der Landwirt- Den Verschwörern des 20. Juli stellte sich bruch 1914 Erster Generalstabsoffizier im maßgeblichen Einfluss auf die amtliche schaft. Mitte der 1920er Jahre wurde er als Marogna-Redwitz als Verbindungsoffizier Generalstab der 6. Armee. Ab 1916 leitete kriegsgeschichtliche Darstellung des Ers- Abwehroffizier in die Reichswehr über- für den Wehrkreis XVII (Wien) zur Verfü- er die Abteilung „Balkan“ beim General- ten Weltkrieges. Nach dem missglückten nommen. Ab 1935 vertiefte sich seine gung. Kurz nach dem Attentat auf Hitler stab des Feldheeres. Trotz seiner kriti- Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944, Zusammenarbeit mit dem Leiter des wurde er verhaftet und am 12. Oktober schen Haltung gegenüber der Politik der an dem sein Sohn Albrecht maßgeblich Amtes Ausland/Abwehr Wilhelm Cana- 1944 durch den Volksgerichtshof zum Obersten Heeresleitung genoss Mertz von beteiligt war, wurde Hermann Mertz von ris und 1938 erfolgte die Berufung zum Tode verurteilt. Quirnheim deren Vertrauen. Dies zeigte Quirnheim von der in Sippenhaft Leiter der Abwehrstelle Wien. Nach der sich insbesondere darin, dass ihm 1918 genommen. Entlassung Admiral Canaris‘ aus dem die neugeschaffene kriegsgeschichtliche Dienst wurde Graf Marogna-Redwitz im Abteilung beim Chef des Generalstabes Portraitfoto 1907, Fotografie. Fotografie. Frühjahr 1944 ebenfalls suspendiert und Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt. IV, unterstellt wurde. Nach seiner Entlassung Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt. IV, in die Führerreserve des Oberkomman- Kriegsarchiv, Bildersammlung, Sign. P-I 14720 aus dem aktiven Dienst wurde Mertz von Kriegsarchiv, Bildersammlung, Sign. P-II 1555 209 4: Revolution?

Am Ende des Ersten Weltkrieges meuterte die Marine. Unmittelbar danach stürzten in ganz Deutschland die Throne. Jahrhundertealte Monarchien wandelten sich in wenigen Tagen zu Republiken und Freistaaten. War das nun ein Zusammenbruch, ein Umsturz oder ein kraftvoller republikanischer Neuanfang? Im Sommer 1918 war der Krieg für Deutschland verloren. Die Reichsregierung versuchte, durch Vermittlung des amerikanischen Präsidenten Wilson zu einem Waffenstillstand zu gelangen. Wilson wollte aber nur mit einer demokratisch legitimierten deutschen Regierung verhandeln, was zu einer neuen Regierung in Berlin führte, die sich auf eine Mehrheit im Parlament stützen konnte. Die Marineführung störte diesen Prozess, indem sie einen letzten großen, nach mensch- lichem Ermessen selbstmörderischen Vorstoß der Hochseeflotte plante. In dieser Lage verweigerten die Schiffsbesatzungen den Gehorsam. Die Marineführung wurde ent- machtet. Soldaten- und Arbeiterräte traten an ihre Stelle. In München ergriff der Journalist Kurt Eisner die Initiative. Eisner, führender Kopf der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) in der bayerischen Residenzstand, stürzte in der Nacht zum 8. November 1918 die Herrschaft der Wittels- bacher. Bayern wurde Freistaat, Eisner sein erster Ministerpräsident. Am 9. November wurde in Berlin die Republik ausgerufen. Der Sozialdemokrat Fried- rich Ebert trat an die Spitze einer Regierung, die sich „Rat der Volksbeauftragten“ nannte. Karl Liebknecht, Führer der Spartakusgruppe, aus der wenig später die Kommunisti- sche Partei Deutschlands hervorging, wollte statt dessen eine „Sozialistische Republik Deutschland“ nach russischem Vorbild. Am 11. November 1918 unterzeichnete das Deutsche Reich den Waffenstillstand, der einer Kapitulation gleichkam. Das große Sterben an den Fronten war zu Ende. Deutsch- land selbst stand vor dem Bürgerkrieg. 210 | 4: Revolution? 4: Revolution? | 211

Revolutionärer Obermatrose von der II. Werft-Division 1918

Im Ersten Weltkrieg war Wilhelmshaven der größte deutsche Marinestützpunkt und Garnison der II. Werft-Division. Am Morgen des 6. Novembers 1918 erzwan- gen Matrosen der Garnison die Freilas- sung ihrer inhaftierten Kameraden und leiteten damit die Revolution in Wilhelms- haven ein. Im Januar 1919 ernannte sich sich der Obermatrose (Gefreite) Kuhnt zum „Prä- sidenten der Republik Oldenburg-Ost- friesland“ und bestimmte die Kaserne der II. Werft-Division – die sogenannte Kleiner Kreuzer „Straßburg“ „1000-Mann-Kaserne“ – zu seinem Haupt- quartier. Ende Oktober 1918 plante die Seekriegs- dem Kleinen Kreuzer „Straßburg“, als sich In dieser Zeit galt die Farbe Rot als das leitung einen Vorstoß der Hochseeflotte 40 Heizer weigerten, zum Dienst anzutre- universelle Zeichen der Auflehnung. Wer in den Ärmelkanal. Das Unternehmen ten. sich „der Revolution anschloss“, legte eine gefährdete die laufenden Waffenstill- rote Armbinde an und bastelte sich eine standsverhandlungen und war militärisch rote Kokarde. sinnlos. In dieser Situation kam es zu einer Reihe von Befehlsverweigerungen, die im Kieler Matrosenaufstand gipfeln sollten. Figurine mit Bekleidung und Ausrüstungsstücken. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nrn. 0338-2004 Die wohl erste Widerstandshandlung Bildpostkarte, Lichtdruck. (Mütze); 0337-2004.a (Überzieher); 0337-2004.b ereignete sich am 27. Oktober 1918 auf Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0368-2018 (Hose); 0830-1995 (Stiefel); 0435-2000.e (Schal) 212 | 4: Revolution? 4: Revolution? | 213

„Jetzt gilt es erst recht, Ruhe und Massenversammlung auf der Ordnung zu wahren.“ Theresienwiese

Am Vormittag des 7. November 1918 lungen hin und auf die Gefahr, die innere Erhard Auer, Vorsitzender der SPD, wollte tung als Ausgangspunkt für einen revolu- erschien in der wichtigsten Tageszei- Unruhen für die Lebensmittelversorgung am 7. November 1918 mit einer großen tionären Umsturz zu nutzen. tung Bayerns, den „Münchner Neuesten bedeuten würden. Friedensdemonstration auf der Theresien- Nachrichten“, ein Aufruf des bayerischen wiese ein Ventil für den aufgestauten Innenministers Friedrich von Brettreich, Druck schaffen, um die „Massen“ in der diese letzten Kriegstage „in ruhiger Beson- Hand zu behalten. Münchner Neueste Nachrichten vom 7. Novem- nenheit“ zu ertragen. Brettreich wies auf ber 1918, Druck auf Papier, 33 x 44 cm. Kurt Eisner, führender Kopf der Münch- Fotografie 1918. die laufenden Waffenstillstandsverhand- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0754-1990 ner USPD, plante aber, diese Veranstal- Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-5124 214 | 4: Revolution? 4: Revolution? | 215

Offizierskokarden und abgerissene Schulterstücke Jubelnde Soldaten am 8. Novem- ber 1918 vor dem Mathäserbräu Mit der Revolution war auch die autori- ren war. Die öffentliche Degradierung von täre Herrschaftsgewalt der militärischen Offizieren war ein Sinnbild des politischen Entscheidend für den Erfolg von Eisners Funktionseliten zu Ende gegangen. Über- Umsturzes und prägte sich tief in die Erin- Aktion war die Stellungnahme der Solda- all dort, wo Offiziere sich weigerten, ihre nerungen der Zeitgenossen ein. ten, die sich ihm anschlossen. In der Nacht Insignien des Ranges abzulegen, bekamen von 7. auf den 8. November rief Eisner den sie am eigenen Leib zu spüren, dass mit Freistaat Bayern aus. Im Mathäserbräu Schulterstücke bayerischer Offiziere und Reichs- dem Krieg auch die Autorität, die ihnen kokarden von Offiziers- und Mannschaftsmützen. konstituierte sich ein Arbeiter- und Solda- Fotografie 1918. qua ihres Ranges verliehen wurde, verlo- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. N 5254 tenrat. Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-5123 216 | 4: Revolution? 4: Revolution? | 217

„Die Massen“ Der Kaiser dankt ab

Große Menschenansammlungen unter Das wichtigste Mittel zur Beeinflussung Am 9. November befand sich Wilhelm II. Sohn, der Kronprinz. Ein Extrablatt der freiem Himmel gehörten zu allen großen solcher „Massen“ waren Redner. Mehrere im Großen Hauptquartier im belgischen „München-Augsburger Nachrichten“ ver- Revolutionen. Diese „Massen“ spielten von ihnen wurden im Publikum verteilt: Spa. Zur Abdankung als Kaiser war er kündete die sensationelle Nachricht noch im Bewusstsein der Politiker eine enorme Es gab noch keine Mikrophone. Dieser schließlich bereit, doch wollte er König am gleichen Tag. Rolle: Man musste sie leiten, ja ableiten, spricht am 9. November 1918, dem Tag von Preußen bleiben. Der Reichskanzler, um zu verhindern, dass sie eine zerstöre- der Revolution in Berlin, vor dem Berliner Prinz Max von Baden (1867-1929), der sich rische Dynamik entwickelten. Wer aber, Schloss. in Berlin aufhielt, setzte sich über diesen wie die Kommunisten, gerade eine solche Wunsch hinweg und gab die Erklärung München-Augsburger Nachrichten, Extrablatt 9.11.1918, Tageszeitung, Druck auf Papier, Dynamik auslösen wollte, setzte auf sie Druck nach Fotografie, aus: Illustrierte Geschichte ab, Wilhelm habe als Kaiser und König 47 x 32,4 cm. seine Hoffnungen. der Deutschen Revolution, Berlin 1929, S. 207. auf den Thron verzichtet, desgleichen sein Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0430-1980.c 218 | 4: Revolution? 4: Revolution? | 219

Sicherheitskonsens

Am 26. Oktober 1918 wurde General Diese Kontaktaufnahme zwischen Ebert Ein neuer Kanzler: Friedrich Ebert Ludendorff als Erster Generalquartier- und Groener wurde später zum „Bünd- meister und faktischer Chef der OHL ent- nis“ stilisiert. Tatsächlich handelte es sich Gleichzeitig mit der Abdankung des Kai- tätisch aus Mitgliedern der SPD und der lassen. Sein Nachfolger wurde Wilhelm um eine pragmatische Verabredung von sers übertrug Max von Baden das Reichs- USPD zusammen. Formal war Ebert nur Groener (1867-1939). In einem Telefonge- Regierung und Armee in einer Lage, in kanzleramt auf den Vorsitzenden der SPD, einer von sechs „Räten“, faktisch aber war spräch mit Ebert am 10. November 1918 der das Land in Chaos und Bürgerkrieg Friedrich Ebert (1871-1925). Damit war er der Kanzler der neuen Republik. sicherte Groener der neuen Regierung die zu versinken drohte. die Kontinuität des Regierungshandelns Loyalität der OHL zu. Ebert beauftragte gewahrt. Seit 1913 stand Ebert an der im Gegenzug die OHL mit der Führung Spitze seiner Partei. der Streitkräfte und stärkte so ihre Posi- Porträtfoto Wilhelm Groener, ca. 1917/18, Fotografie. Die neue Regierung nannte sich „Rat der Fotopostkarte 1925. tion und die der Offiziere gegenüber der Hauptstaatsarchiv Stuttgart, M 703 R191N29 Volksbeauftragten“ und setzte sich pari- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. T 553.1 Soldatenratsbewegung. Bild 1 220 | 4: Revolution? 4: Revolution? | 221

„Schwere Waffenstillstands- Soldatenräte bedingungen“ In den Revolutionstagen bildeten sich in schließliche Befehlsgewalt“ zugesprochen „Waffenstillstand“ ist ein Begriff, der das, Kriegsgerät ausliefern und sich hinter den den Truppenteilen „Soldatenräte“, also wurde. was die deutsche Seite am 11. November Rhein zurückziehen. Bei Mainz, Koblenz gewählte Ausschüsse der Mannschaften Mit der zunehmenden Auflösung des Hee- 1918 in einem Eisenbahnwagen im Wald und Köln erhielten die Sieger Brücken- und Unteroffiziere, die den Offizieren die res endete die Macht der Soldatenräte. In von Compiègne unterzeichnen musste, köpfe östlich des Rheins, von denen aus Kommandogewalt streitig machten. den neu gebildeten Freiwilligenformatio- nur zum Teil beschreibt. Tatsächlich sie jederzeit ins Innere Deutschlands vor- Im Freistaat Bayern regelte ein Erlass des nen gab es sie nicht. handelte es sich um eine Kapitulation. stoßen konnten. provisorischen Landessoldatenrats und Deutschland wurden Bedingungen auf- des Ministers für militärische Angele- erlegt, die ihm die Wiederaufnahme des genheiten die Tätigkeit der Soldatenräte. München-Augsburger Abendzeitung vom Vorläufige Verordnung für die Soldatenräte, Kampfes faktisch unmöglich machten. 10.11.1918, Druck auf Papier, 47,5 x 28 cm. Wichtig daran war, dass den Offizieren im Druck auf Papier, 34,5 x 21,8 cm. Die Armee musste erhebliche Mengen von Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. N 67 rein militärischen Dienst wieder „die aus- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0382-2018 223 5: Bürgerkrieg?

Das alte Regime hatte sich überraschend schnell geschlagen gegeben. Die neue Regie- rung sah sich aber sofort von der extremen Linken bedrängt. Nachdem der Polizeiappa- rat des Kaiserreichs sich weitgehend aufgelöst hatte, blieb nur die Armee als Machtmittel zur Durchsetzung des Regierungswillens im Landesinnern. Etwa fünf Millionen deutscher Soldaten standen bei Kriegsende im Feld, die meisten davon an der Westfront. Sie mussten in wenigen Wochen nach Deutschland zurückge- führt werden. Für die Organisation dieses Rückzugs war die bisherige Oberste Heeres- leitung (OHL) unentbehrlich. Regierung und Heeresleitung hofften, aus diesen Massen ein Instrument zur Aufrecht- erhaltung der Ordnung im Innern schaffen zu können. Dies aber erwies sich als unmög- lich, denn für solche Einsätze stellten sich die Soldaten nicht mehr zur Verfügung. Im Dezember 1918 rief die Regierung deshalb zur Bildung von Freiwilligenformationen auf, für die sich der Begriff „Freikorps“ eingebürgert hat. Freikorps waren keine wilden Landsknechtshaufen unter autonomen, charismatischen Führern, die auf eigene Faust operierten, sondern die Form, in der sich 1919 neue, regu- läre Regierungstruppen bildeten. Im Januar und März 1919 in Berlin und in vielen weite- ren Städten setzten sie die Autorität der Reichsregierung mit großer Härte durch. Dabei kam es zu zahlreichen Übergriffen, denen tausende Unschuldiger zum Opfer fielen. 224 | 5: Bürgerkrieg? 5: Bürgerkrieg? | 225

Zurück in der Heimat

Das Bild zeigt Soldaten einer bayerischen zeug sind zwei weißblaue Fahnen befes- Eine neue Zeitung Kraftwagenkolonne, die den Weg von tigt, während ein Soldat eine rote in der Frankreich zurück in die Heimat wohl im Hand hält. Sie ist mit dem Ganzen also Die „Süddeutsche Freiheit“ war eine neue schen Freiheit‘ sind doch nicht schlecht. … Landmarsch bewältigt haben. Auf dem weniger eng verbunden – ein treffendes Wochenzeitschrift, die noch im November Es scheinen doch manche Leute, die bis- Fahrzeug liest man „Maubeuge“ und Sinnbild für den Charakter der Revolution 1918 zu erscheinen begann. Der konserva- her nie Gelegenheit hatten, sich zu äußern, „München“. in Bayern. tiv gestimmte Münchner Gymansiallehrer jetzt die Sprache gefunden zu haben.“ Die Soldaten tragen ihre Mäntel betont Josef Hofmiller bedachte das neue Blatt in lässig und zeigen damit, dass sie sich seinem Tagebuch zunächst mit beißendem Süddeutsche Freiheit, 4. Ausgabe, 9.12.1918, nicht länger an die verlangte militärische Postkarte, Fotografie 1918. Spott, kam aber später zu einem versöhnli- Druck auf Papier, 51 x 35,5 cm. „Strammheit“ gebunden fühlen. Am Fahr- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0517-2018.a cheren Urteil: „Diese Artikel der ‚Süddeut- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0786-1990 226 | 5: Bürgerkrieg? 5: Bürgerkrieg? | 227

Werbeplakat: Freikorps als Regie- rungstruppen Ein neues Heer entsteht Die Aufstellung der Freikorps erfolgte Das Freikorps Halle bestand von März Der Aufruf „Freiwillige vor“ vom 9. Januar Die Regierung Eisner steuerte einen föde- im Regierungsauftrag, jedoch nicht im bis Juli 1919 und erreichte eine Stärke von 1919 appellierte an die Bereitschaft, den ralistischen Kurs und schloss sich der Ber- Rahmen einer vorab festgelegten Heeres- 1.200 Mann. Nach seiner Auflösung wurde deutschen Osten zu schützen, der durch liner Heerespolitik nicht an. In Bayern war struktur. Die Verbände bestanden also es ins Sicherheits-Polizei-Bataillon Halle den Expansionismus des neu erstandenen die Freiwilligenwerbung verboten. unabhängig voneinander und besaßen überführt. Staates Polen und die Armeen der russi- ganz unterschiedliche Gliederungen und schen Bolschewiki bedroht war. Tatsäch- Größen. Im Sommer 1919 ging die große lich kamen die meisten dieser neuen For- Zeit der Freikorps schon wieder zu Ende. Plakat, Bernhard Werbedienst GmbH Berlin W, Plakat, entworfen von Peters, 1919, Farblithogra- mationen aber bei Kämpfen im Innern des Farblithographie auf Papier, 98,5 x 75,2 cm. Sie wurden aufgelöst oder in Reichswehr phie auf Papier, 86,9 x 62,6 cm. Deutschen Reiches zum Einsatz. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0572-1984 und Polizei integriert. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. T 75 228 | 5: Bürgerkrieg? 5: Bürgerkrieg? | 229

„Ohne Ordnung keine Sicherung der Volksernährung“

Deutschland litt am Ende des Krieges chen Ordnung und die Ernährungsfrage unter einer dramatischen Mangelernäh- hingen aufs engste zusammen. rung, deren Ende nicht abzusehen war. Spartakus Die Politik der harten Hand, welche die Regierung Ebert in den nächsten Monaten Die „Rote Fahne“ war der Parteizei- verfolgen sollte, erklärt sich zum großen tung der Spartakusgruppe, die sich am 4. Extra-Ausgabe des Vorwärts vom 9.11.1918, Plakat von Alfred Stiller, wohl 1919, Farblithogra- Teil aus der Sorge um die Lebensmittel- Druck auf Papier, 31,2 x 23,2 cm. 31. Dezember 1918 als „Kommunistische phie, 74 x 99,5 cm. versorgung. Die Erhaltung der öffentli- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0430-1980.c Partei Deutschlands“ konstituierte. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0945-1994 230 | 5: Bürgerkrieg? 5: Bürgerkrieg? | 231

Leichter Minenwerfer Artillerie im Straßenkampf Minenwerfer waren kleine Steilfeuerge- Garde-Kavallerie-Schützen-Division vom Bei den bürgerkriegsartigen Kämpfen in schütze mit kurzer Reichweite. Im- Stel 31. März 1919) Berlin im Januar und März 1918 setzten lungskrieg spielten sie eine wichtige Rolle Der hier gezeigte „Leichte Minenwerfer Regierungstruppen wo immer möglich als schwere Unterstützungswaffe der neuer Art“ wurde seit 1916 produziert. schwere Waffen ein. Bei dem abgebildeten Infanterie. Nützlich waren sie auch bei den Geschütz handelt es sich um eine Feld- Straßenkämpfen im Bürgerkrieg: haubitze 16, die während des Krieges in Postkarte aus dem Fotoalbum eines preußischen „Minenwerfer sind gegen Häuserblocks Leichter Minenwerfer neuer Art, Deutschland, Offiziers, Fotografie 1918. 1916-1918, Stahl, Kaliber: 76 mm, Maximale Tausenden von Exemplaren hergestellt Bayerisches Armeemuseum, und schwere Maschinengewehre beson- Schussweite: 1.300 Meter. worden war. Inv.-Nr. 0860-2008.c.104 ders geeignet.“ (Erfahrungsbericht der Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. N 2102 232 | 5: Bürgerkrieg? 5: Bürgerkrieg? | 233

Freiwilliges Landesjägerkorps Garde-Kavallerie-Schützen-Division Diese Einheit war aus der 214. Infanterie- mandeur der Einheit, Generalmajor Georg Die Division war bereits im Krieg aufge- die Ermordung von Karl Liebknecht und Division des alten Heeres hervorgegan- Maercker (1865-1924). stellt worden. Nach der Rückkehr aus Rosa Luxemburg. Dieser Maueranschlag gen. Sie galt als besonders zuverlässig und Im Juni 1919 ging der Verband mit unge- dem Feld blieb sie mobil, dürfte aber den präsentiert den Berlinern die Division als wurde auch zum Schutz der konstituie- fähr 8.000 Mann in der Großen Reichs- größten Teil ihres Mannschaftsbestan- Garant ihrer Sicherheit. renden Nationalversammlung in Weimar wehr-Brigade 16 auf. des ausgetauscht bzw. durch Freiwillige im Februar 1919 verwendet. ersetzt haben. Auf dem Bild schreitet der preußische Die Einheit spielte bei den Kämpfen in Ber- Kriegsminister, General Walther Rein- Maueranschlag, Januar 1919, Druck auf Papier, lin eine entscheidende Rolle. Ihr Stabschef, 30 x 22,5 cm. hardt (1872-1924), eine Front des Landes- Fotografie. Hauptmann Waldemar Papst, veranlasste Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. VF 50.e jägerkorps ab. Neben ihm geht der Kom- Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-5557 234 | 5: Bürgerkrieg? 5: Bürgerkrieg? | 235

Baltenkreuz

Grenzschutz Das Baltenkreuz war eine militärische dem Kreuz im Wappen der Hochmeis- Auszeichnung für alle Soldaten, die 1919 ter des Deutschen Ritterordens, dessen Die Fotografie zeigt Offiziere des Freiwilli- Einige Offiziere tragen bereits den Eichen- mindestens 3 Monate in dem Gebiet von Geschichte untrennbar mit der Geschichte gen-Bataillons 50 anlässlich eines Jagdaus- laubkranz der vorläufigen Reichswehr an Kurland und Livland gekämpft hatten. des Baltikums verbunden war. flugs bei Schloss Pojeziory in Litauen. Das ihren Mützen. Diese Auszeichnung wurde 1919 vom Bal- Bataillon war in Ostpreußen aus Freiwilli- tischen Nationalausschuss gestiftet, der gen aufgestellt worden und gehörte zum die politische Vertretung der deutschen Grenzschutz Ost. Im August 1919 kehrte Fotografie 1919. Bevölkerung in diesem Gebiet wahrnahm. Baltenkreuz, Buntmetall, geschwärzt, 45 x 45 mm. die Einheit ins Reich zurück. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. VF 342.28 Die Form des Baltenkreuzes entspricht Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0263-2000 236 | 5: Bürgerkrieg? 5: Bürgerkrieg? | 237

„Der Bluthund“? Gustav Noske (1868-1946)

Wie viele Führer der frühen Sozialdemo- der Kapp-Putsch 1920 zeigen sollte, wurde kratie war der gebürtige Brandenburger dieses Vertrauen nicht erwidert. Noske aus der Arbeiterbewegung hervorgegan- musste als Reichswehrminister zurück- gen. 1906 wurde Noske erstmals in den treten. Sein Biograf, der Historiker Wolf- Reichstag gewählt und profilierte sich ram Wette, fasste die Urteile der Nachwelt dort als Fachmann für Kolonial- und Mili- über Noske so zusammen: tärfragen. „Der erste sozialdemokratische Reichs- Ein Fazit von links Im November 1918 wurde der Marine- wehrminister wird im Regelfall von rechts kenner nach Kiel geschickt, um dort ange- gelobt, von den Sozialdemokraten als „Die Pleite“ war ein Produkt des Malik- zur Welt der Arbeiter suggerieren. Zudem sichts des Matrosenaufstandes die Lage unverdaulich angesehen und von den Verlages. Die erste Nummer erschien im hat sich Ebert die Kaiserkrone wieder auf- wieder zu beruhigen, was ihm gelang. Am Kommunisten verteufelt.“ Januar 1919 und präsentierte mit Karika- gesetzt, die durch die Ereignisse der letz- Ende des Jahres wurde Noske Volksbeauf- turen von George Grosz die Sicht der radi- ten Monate allerdings etwas ramponiert tragter für Heer und Marine und setzte die kalen Linken auf die neue Regierung. ist. Autorität der Regierung Ebert mit einer Ebert wird als Marionette des Kapitals „Politik der eisernen Faust“ durch. dargestellt. Korpulenz, dicke Zigarre, Die Pleite, Illustrierte Halbmonatsschrift, Nr. 1, Noske entwickelte dabei ein großes Ver- Porträtfoto von Gustav Noske um 1919, Fotografie. Polstersessel, Fußkissen und ein livrierter Druck auf Papier, 42,7 x 30 cm. trauen zu Offizieren der alten Armee. Wie Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-2976 Diener sollen einen maximalen Abstand Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0786-1990.a 239 6: Vorläufige Reichswehr

Die Freiwilligenwerbung seit Dezember 1918 hatte zur Aufstellung zahlreicher neuer Verbände geführt, aber keine brauchbare Heeresstruktur geschaffen. Mit der Bildung einer „vorläufigen Reichswehr“ versuchte man, diesen Wirrwarr sinnvoll zu gliedern. Am 6. März 1919 erließ der Reichstag ein Gesetz zur Bildung einer vorläufigen Reichs- wehr. Das neue Heer sollte durch Zusammenfassung der bestehenden Freiwilligenver- bände geschaffen werden. Das Prinzip der Freiwilligkeit galt weiter, da in diesen turbulenten Monaten die Durch- führung einer Wehrpflicht unmöglich gewesen wäre. Die Verpflichtungszeit betrug sechs oder drei Monate und verlängerte sich, wenn keine Kündigung erfolgte, automa- tisch um weitere drei Monate. Das neue Reichsheer sollte etwa 200.000 Mann stark werden und in 4 Gruppenkomman- dos gegliedert sein. Klar war, dass jede Regelung der deutschen Wehrverfassung nur vorläufigen Charakter haben konnte, da die Siegermächte hier das letzte Worthaben würden. Das Gruppenkommando IV hatte seinen Sitz inMünchen. Die bayerische Regierung schloss sich diesem Gesetz aber nicht an, da sie wie im Kaiserreich weiterhin einen auto- nomen bayerischen Heereskörper haben wollte. Die „vorläufige Reichswehr“, wie Berlin sie wollte, war dagegen als einheitliches deutsches Heer gedacht – das erste der deut- schen Militärgeschichte. 240 | 6: Vorläufige Reichswehr 6: Vorläufige Reichswehr | 241

Leutnant der vorläufigen Reichs- wehr 1919

Aufgrund der materiellen Notlage wurde im Friedensheer genehmigt, Bekleidungs- stücke der Alten Armee aufzutragen. Sie mussten aber mit den seit 19. Januar 1919 vorgeschriebenen neuen Abzeichen verse- hen werden. Da zur Bildung der vorläufigen Reichs- wehr auch bestehende Freikorps heran- gezogen wurden, die vorübergehend ihre Sonderabzeichen behalten durften, ergab sich für einige Jahre eine bunte Mischung im Erscheinungsbild. So trägt der Leutnant einen Feldrock M 1910 für Offiziere der bayerischen Feld- artillerie, der mit den neuen Schulter- schnüren und dunkelblauen Ärmelstrei- Arbeiter in die Reichswehr? fen als Zeichen des Dienstgrades versehen ist. An der Einheitsfeldmütze M 1915 wird Dieses Flugblatt aus dem Jahr 1919 fordert Jetzt war die Reichswehr in ihren Augen hier noch ein Totenkopf als Hinweis auf Arbeiter zum Eintritt in die Reichswehr durch die Freikorpsvergangenheit vieler die frühere Freikorpszugehörigkeit getra- auf und begründet das mit den politi- Verbände diskreditiert. Als sich die Ver- gen. schen und sozialen Errungenschaften hältnisse später konsolidierten, sortierte der Revolution. Tatsächlich hielt sich die die Reichswehrführung Bewerber mit Arbeiterschaft von der Reichswehr weit- SPD-Vergangenheit von vornherein aus. Figurine mit Bekleidung und Ausrüstungsstücken. gehend fern. Schon im Kaiserreich war Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nrn. E 6884 das Verhältnis zwischen der Armee und (Mütze); H 16212 (Feldrock); N 1137 (Hose); 0211-1993 (Stiefel); WR 492 (Kordeln); 0718-1979 den meist sozialdemokratisch orientierten Flugblatt, Druck auf Papier, 29,3 x 23 cm. (Pistole) Arbeitern schlecht gewesen. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0388-2018 242 | 6: Vorläufige Reichswehr 6: Vorläufige Reichswehr | 243

Friedensheer

Auf dem Weg zur neuen Armee Nach der Rückkehr des Feldheeres in die angehörte, sondern der aufzulösenden Heimat lösten sich die Verbände nicht „alten Armee“. Die Abzeichen an den Kra- Dieses Plakat zeigt den Übergang von der worden und wurde im Juni 1919 bei einer vollständig auf. Reste der alten Truppen genspiegeln des rechten Mannes weisen Zeit der unstrukturierten Freiwilligenwer- Stärke von ca. 13.400 Mann in die Große existierten in den Heimatgarnisonen wei- ihn als Freikorpssoldaten aus. bung zur Reichswehr. Hier wirbt bereits Reichswehrbrigade 4 umgewandelt. ter. Auf dem Tisch liegt ein Exemplar der fran- ein regulärer Verband der neuen Armee Im Januar 1919 wurden für diese Solda- zösischen Tageszeitung Le Journal. Die um Freiwillige, die Reichswehrbrigade 24. ten neue, provisorische Rangabzeichen in Männer sind offenbar mit der Auswertung Das Plakat weist aber noch auf den Ver- Form von blauen Tuchstreifen festgelegt, der Auslandspresse beauftragt. band hin, aus dem die Brigade hervorge- zu tragen am linken Arm. Den Soldaten gangen war: das Freiwillige Landesschüt- Plakat von Otto Amtsberg, Kunstanstalt Carl links im Bild weisen sie als Vizefeldwebel Sabo/Berlin, Farblithographie auf Papier, zenkorps. Es war im Januar 1919 auf dem 94,8 x 67 cm. aus. Im Hintergrund steht Adolf Hitler, Fotografie 1919. Truppenübungsplatz Zossen aufgestellt Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. T 68 der nie der sich neu bildenden Reichswehr Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-5083 244 | 6: Vorläufige Reichswehr 6: Vorläufige Reichswehr | 245

Feldrock für einen Rittmeister der Schweren Reiter mit den neuen Abzeichen, 1919

Bei der Neu-Uniformierung des Frie- Offiziere wie auch für Unteroffiziere vor- Waffenrock für einen Vizewacht- densheeres bzw. der vorläufigen Reichs- schriftsmäßig. Als Rangabzeichen des meister der Artillerie, 1919 wehr beschritt man Wege, die eine völlige feldgrauen Vorkriegsrocks dienen hier ein Abkehr von der bisherigen Tradition bein- breiter sowie zwei schmale dunkelblaue Die Erlaubnis zum Auftragen von Beklei- die silbernen Schulterschnüre und die halteten. Stoffstreifen (Hauptmann bzw. Rittmeis- dungsstücken der alten Armee erstreckte neuen Rangabzeichen in Form von silber- Schulterschnüre als „gemeinsames Abzei- ter). sich auch auf die friedensmäßigen farbi- nen Tressenwinkeln auf. chen“ an Rock und Mantel sowie auffäl- gen Waffenröcke. Diese durften aber nur lige Ärmeltressen, die am 19. Januar 1919 innerhalb der Kasernen und außer Dienst eingeführt wurden, waren charakteris- getragen werden und mussten mit den tisch für das veränderte Bild. Feldrock M 1907 für einen Rittmeister, 2. Baye- neuen Rangabzeichen versehen sein. Waffenrock für einen Vizewachtmeister, Sächsi- risches Schweres Reiter-Regiment, Bayern 1919, sche Artillerie, Sachsen 1919, Wolltuch, Baum- Die schmalen silbernen Schulterschnüre Wolle, Baumwolle. Folglich weist dieser Friedens-Waffenrock wolle, Serge. mit je zwei Schiebern waren sowohl für Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0820-1986 der vormals königlich sächsischen Armee Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0377-1972 246 | 6: Vorläufige Reichswehr 6: Vorläufige Reichswehr | 247

Schulterschüre für Offiziere und Armspiegel für Mannschaften der Unteroffiziere, 1919 Minenwerfer-Batterie 21, Bayeri- sches Schützenkorps, 1919 Auch die traditionellen Schulterstücke sollten in der vorläufigen Reichswehr kei- Für die vorläufige Reichswehr wurden Hauptfarbe) den Truppenteil bezeichnete. nen Platz mehr finden. Nach österreichi- neue Unterscheidungszeichen der Waffen- Die Minenwerfertruppe mit roter Neben- schem Vorbild wurden deshalb schmale gattungen und Truppenteile eingeführt. farbe gehörte zu der Waffengattung Pio- Schulterschnüre eingeführt, an denen die Dazu dienten abnehmbare Armspiegel auf niere, deren Hauptfarbe schwarz war. unterschiedlichen Ranggruppen erkenn- beiden Oberärmeln des Feldrocks und des bar waren. Mantels. Entgegen der Angabe auf dem Probeschild Schulterschnüre für Offiziere und Unteroffiziere, Diese Armspiegel zeigten in der Einfas- wurden diese Schulterschnüre nicht nur gesiegelte Probe des preußischen Kriegsministe- Armspiegel für Mannschaften der Minenwerfer, riums vom 3. Juni 1919, Metallgespinst, sung Haupt- und Nebenfarbe der Waffen- 1919, Wollfilz mit Kurbelschnur, 8 x 5,6 cm. von Offizieren, sondern auch von Unterof- Länge 12,6 cm. gattung an, während die Nummer (in der Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. H 11208 fizieren getragen. Bay. Armeemuseum, Inv.-Nr. H 11345 248 | 6: Vorläufige Reichswehr 6: Vorläufige Reichswehr | 249

Adlerkokarde für die Dienstmütze, 1919

Obwohl die Weimarer Republik mit dem monarchischen Obrigkeitsstaat und sei- nen Überlieferungen gebrochen hatte, hielt sie am ältesten Symbol des Reiches – dem Adler – als Wappentier fest. Am 11. November 1919, fast genau ein Jahr nach der Abdankung des deutschen Kaisers, wurde bekannt gegeben, „daß das Reichswappen auf goldgelben Grunde den einköpfigen schwarzen Adler zeigt, den Kopf nach rechts gewendet, die Flü- gel offen, aber mit geschlossenem Gefie- der, Schnabel, Zunge und Fänge von roter Eichenlaubkranz für die Dienst- Farbe.“ mütze, 1919 Interessanterweise hatte man für die vor- Dienstmütze für einen Offizier der läufige Reichswehr bereits mit Verfügung Ein neues, gemeinsames Element an den badischen Truppen, 1919 vom 29. September 1919 die Adlerkokarde Mützen des deutschen Friedensheeres mit den Farben Schwarz-Rot-Gold einge- bzw. der vorläufigen Reichswehr war Aus einer Einheitsfeldmütze M 1917 der führt. Die vorher getragene Kokarde „in ein Eichenlaubkranz aus Weißmetall, der alten Armee wurde nach der Verfügung den deutschen Farben Schwarz-Weiß-Rot“ vorne auf dem Besatzstreifen die Kokarde vom 5. Mai 1919 durch die Hinzufü- wurde dadurch obsolet. umschloss. gung eines Eichenlaubkranzes und der schwarz-weiß-roten Reichskokarde eine Dienstmütze der Vorläufigen Reichswehr Adlerkokarde, Deutsches Reich 1919, Messing Dienstmütze für einen Offizier der badischen geprägt, Lackfarbe, 2,3 x 1,8 cm. Eichenlaubkranz, Neusilber geprägt, 4,2 x 6,3 cm. gemacht. Die gelb-rote Landeskokarde Truppen, 1919, Wolle, Seide, Kunststoff. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0464-2018 Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0463-2018 verweist auf einen badischen Truppenteil. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. N 1101 250 | 6: Vorläufige Reichswehr 6: Vorläufige Reichswehr | 251

Feldrock für Mannschaften der Reichsmarine M 1919

Der für das Friedensheer eingeführte des Weltkrieges als besondere Auszeich- feldgraue Rock unterschied sich von den nung für Gardeformationen. Nach einer Probe der Doppellitze zum Feldblusen der alten Armee durch die Überlieferung wurden die Litzen auch Feldrock 1919 aufgesetzten Brusttaschen, die sichtbaren deshalb zum „gemeinsamen Abzeichen Knöpfe und die neuartigen, geschweiften des Reichsheeres“ erhoben, um damit Ein weiteres gemeinsames Abzeichen für Ärmelaufschläge. Auch für die Landtrup- die Leistungen der gesamten deutschen das Friedensheer waren die am Kragen pen der Reichsmarine wurde diese neue Armee im Weltkrieg zu würdigen und angebrachten, grau gewebten Doppellit- Uniform eingeführt. zugleich deutlich zu machen, dass es keine zen auf feldgrauem Abzeichentuch. Kragen und Aufschläge waren aus rese- Privilegien für Gardetruppen mehr geben Solche Litzen waren in der Alten Armee dagrünem Abzeichentuch. Ein typisches sollte. bevorzugten Einheiten wie den preu- Merkmal an den Feldröcken des Friedens- ßischen Garden oder dem bayerischen Doppellitze zum Feldrock. Gesiegelte Probe des heeres bzw. der Vorläufigen Reichswehr Leibregiment vorbehalten. Die Litzenspie- preußischen Kriegsministeriums vom 3. Juni waren die Kragenpatten mit Doppellitze. 1919, Kunstseide und Papierzwirn, gewebt, Feldrock für Mannschaften der Reichsmarine gel waren in der jeweiligen Waffenfarbe ca. 4 x 11 cm. In der Alten Armee galten diese Litzen an M 1919, Wolle, Baumwolle. gehalten, hier weiß für die Infanterie. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. H 13236 Kragen und Aufschlägen bis zum Ende Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. T 1715 252 | 6: Vorläufige Reichswehr 6: Vorläufige Reichswehr | 253

Maschinengewehrtrupp der Vorläufigen Reichswehr 1919/20 Zwei Soldaten der Vorläufigen Reichswehr 1919/20 Die Aufnahme zeigt deutlich, dass mit spiegel verzichtet und zeigt stattdessen Bekanntgabe der neuen Anzugsbestim- eine schwarze Raute, auf die ein messing- Beide Soldaten tragen zwar noch die Feld- hellig gegen die neue Kokarde ausgespro- mungen der Vorläufigen Reichswehr ner Löwenkopf montiert ist: Das Abzei- bluse M 1915 der Alten Armee, die aber chen, weil sie an der alten hingen, unter vom 5. Mai 1919 noch lange nicht deren chen des Freikorps Epp. Dieses Abzeichen bereits mit den neuen Abzeichen der Vor- der sie den Weltkrieg durchgekämpft Umsetzung gewährleistet werden konnte. durfte in der Vorläufigen Reichswehr mit läufigen Reichswehr wie Eichenlaubkranz, hatten. Obwohl beide Soldaten noch sehr So tragen die knienden Soldaten rechts Genehmigung der bayerischen Landesre- Doppellitze, Schulterschnüren und Arm- jung sind, weist das schwarze Verwunde- und links noch nicht die vorgeschriebe- gierung [!] und der obersten Kommando- spiegel versehen ist. Auffallend ist, dass tenabzeichen unterhalb der Brust bei dem nen Doppellitzen am Kragen. Auch die behörde noch von den ehemaligen Ange- am Mützenbund noch die schwarz-weiß- Stehenden darauf hin, dass er Frontsoldat befohlenen Armspiegel sind nicht durch- hörigen getragen werden. rote Reichskokarde getragen wird, die mit des Ersten Weltkrieges war. gehend an der Uniform angebracht. Selbst Verfügung vom 29. September 1919 durch der kriegsgediente und mit dem Eisernen eine Adlerkokarde ersetzt werden sollte. Kreuz 1. Klasse ausgezeichnete Vizefeld- Allerdings hatte sich besonders der kon- Fotografie, wohl Ende 1919. webel, erkennbar an den drei Winkeln am Fotografie, wohl 1919. servative bayerische Militärapparat ein- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. VF 342.67 Unterarm, hat auf das Anlegen der Arm- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. VF 342.68 255 7: Die Dinge spitzen sich zu

Am 21. Februar 1919 fiel Kurt Eisner den Kugeln eines Attentäters zum Opfer. Dieser Mord führte zu einer politischen Radikalisierung in München, die am 13. April in der Ausrufung einer Räterepublik unter kommunistischer Führung gipfelte. Kurz nach dem Mord an Eisner wurde der Führer der bayerischen SPD, Erhard Auer, bei einem Racheanschlag schwer verwundet. Die beiden stärksten Figuren der bayerischen Politik waren am gleichen Tag ausgefallen. Zwar wurde der Sozialdemokrat Johannes Hoffmann, ein Pfälzer Lehrer, am 17. März vom Landtag zum neuen Ministerpräsiden- ten gewählt. Es gelang ihm aber nicht, sich in München durchzusetzen. Dort etablierte sich am 7. April eine „Baierische Räterepublik“, also eine etwas unklare, dem Anspruch nach direkt-demokratische Regierungsform. Sie gewann vor allem in Oberbayern und Schwaben an Einfluss. Die Regierung Hoffmann wich ins sichere Bam- berg aus. Von dort aus versuchte sie, die Kontrolle über ihre Hauptstadt zurückzuerlan- gen. Am 13. April 1919 scheiterte der Versuch, die Räteführer durch den Putsch einer regie- rungstreuen Münchner Formation, der „Republikanischen Schutztruppe“, auszuschal- ten. Jetzt griffen die Kommunisten unter der Führung von Max Levien und Eugen Leviné nach der Macht. 256 | 7: Die Dinge spitzen sich zu 7: Die Dinge spitzen sich zu | 257

„Bayrisch weissblau gegen russisch-rot“ Spartakus

Im November wandelte sich das bayeri- die 33 % der Wähler gewinnen konnte, Der Spartakusbund hatte sich 1916 aus dass der Wahlzettel sicherlich nicht der sche Zentrum in eine eigenständige Par- stärkste Partei im neuen Landtag. einer Abspaltung der SPD gebildet und Hebel sei, „mit dem die Macht der kapi- tei um, die „Bayerische Volkspartei“. Im Wie das Plakat zeigt, appellierte die BVP im Dezember 1918 als kommunistische talistischen Gesellschaftsordnung aus den Unterschied zum unitarisch ausgerich- an die Angst vor Revolution und dem Partei konstituiert. Das Plakat stellt noch Fugen gehoben werden kann.“ Da hatte er teten Zentrum stand die bayerische Vari- „Russischen Bolschewismus“. den alten, bekannten Namen in den Vor- sicher recht. ante des politischen Katholizismus für ein dergrund. Die Partei symbolisiert sich im föderal aufgebautes Deutschland. jugendlichen Kämpfer gegen die sich wie- Bei den Landtagswahlen im Januar 1919 der erhebende Hydra der alten Mächte. Plakat, Lithographische Anstalt München 1918, Plakat, Verlag der KPD, Lithographie auf Papier, erhielt die BVP 35 % der abgegebenen Lithographie auf Papier 100 x 75 cm. An den Reichstagswahlen nahm die Par- 78,8 x 71,5 cm. Stimmen und wurde damit vor der SPD, Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0312-1999 tei nicht teil. Karl Liebknecht schrieb, Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. T 70 258 | 7: Die Dinge spitzen sich zu 7: Die Dinge spitzen sich zu | 259

Liberale

Die DVP/DDP (Deutsche Volkspartei – sche Liberalismus in Bayern seither nicht Freiheit, Friede, Arbeit Deutsche demokratische Partei) bildete mehr erzielt. Die Wahlbeteiligung war mit die liberale Mitte. Unter ihren Abgeordne- 87 % sehr hoch. Dieses Wahlplakat der DVP/DDP ver- ten waren ungewöhnlich viele Lehrer. Bei sprach, was sich die meisten Deutschen den Landtagswahlen vom 12. Januar 1919 nach vier Jahren Krieg wünschten: einen Plakat von Valentin Zietara, Farblithographie, erzielte sie 14 % der abgegebenen Stim- Flugblatt, Druck auf Papier, 12,1 x 21,5 cm. friedlichen Wiederaufbau. Davon war das 95 x 71,5 cm. men. Ein solches Ergebnis hat der politi- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0959-1990.a.30 Land aber noch weit entfernt. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0369-1999 260 | 7: Die Dinge spitzen sich zu 7: Die Dinge spitzen sich zu | 261

„Frauen sind die Ueberzahl!“ Frauenwahlrecht Die liberaldemokratische DVP in Bayern zu ändern; bleib nur der, der Du warst, Mit Verordnung vom 30. November 1918 vativen Gruppierung, die sich 1920 der warb mit diesem Flugblatt um Männer, aber hole Deine Frau und Deine Töchter führte die Regierung Ebert das Frauen- Deutsch-Nationalen Volkspartei (DNVP) die mit dem Frauenwahlrecht nicht ein- heran. … Du sollst Deiner Frau und Dei- wahlrecht ein. Deutschland gehörte zu anschloss. Bei den Wahlen im Januar 1919 verstanden waren. Statt „unmutig beseite“ nen Töchtern politischer Leiter und Füh- den ersten europäischen Staaten, in denen erreichte sie annähernd 6 % der Stimmen. zu stehen, sollten sie ihren häuslichen Ein- rer werden.“ dies verwirklicht wurde. Nun wurden fluss geltend machen, um die Stimmen Frauen eine umworbene Wählergruppe. ihrer Damen dem Bürgertum zuzuführen: Dieses Flugblatt stammt von der Bayeri- Flugblatt, Druck auf Papier, 29.9 x 21,8 cm. „Deutscher Familienvater! Du brauchst Flugblatt, Druck auf Papier, 30 x 22,8 cm. schen Mittelpartei, einer national-konser- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0959-1990.a.35 Deine Stellung im häuslichen Kreis nicht Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0959-1990.a.16 262 | 7: Die Dinge spitzen sich zu 7: Die Dinge spitzen sich zu | 263

Attentate Trauer um Kurt Eisner Am 21. Februar 1919 wurde Kurt Eisner Damit waren die beiden zentralen Figuren von Anton Graf von Arco auf Valley mit der bayerischen Politik zur gleichen Zeit An der Stelle des Attentats in der Prome- weinten leis und auch Männer. Etliche Sol- mehreren Pistolenschüssen aus kurzer ausgefallen. In Bayern begann eine Zeit nadenstraße – heute Kardinal-Faulhaber- daten traten in die Mitte und errichteten Entfernung erschossen. Der Schankkellner der Wirren. Straße – versammeln sich Soldaten. Oskar eine Gewehrpyramide. Dem einen rannen Alois Lindner, Mitglied des Revolutionä- Maria Graf hat die Stimmung als Augen- dichte Tränen über die braunen Backen ren Arbeiterrates, schoss kurz darauf im zeuge beschrieben: herunter.“ Bayerischen Landtag Ernst Auer nieder, „Da hatten sich Hunderte schweigend um den Vorsitzenden der SPD. Nach Lind- die mit Sägespänen bedeckten Blutspu- ners Meinung steckte Auer hinter dem Wandanschlag, Druck auf Papier, 30,7 x 23 cm. ren Eisners zu einem Kreis gestaut. Fast Postkarte, Fotografie 1919. Anschlag auf Eisner. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0959-1990.b.16 niemand sagte ein lautes Wort, Frauen Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 1062-1982.e 264 | 7: Die Dinge spitzen sich zu 7: Die Dinge spitzen sich zu | 265

Hunger

Die Ernährungslage in München war Ausgangssperre schlecht. Lebensmittel waren weiterhin, wie während des Krieges, rationiert. Ein Als Reaktion auf die Attentate vom gefallenes Pferd war daher eine will- 21. Februar 1919 wurde eine nächtliche kommene Quelle für Fleisch. Von dem Ausgangssperre erlassen. Zivilpersonen, Tierkadaver ist auf der Aufnahme schon die nach 19 Uhr noch unterwegs waren, nicht mehr viel übrig. Ob das Pferd, wie Postkarte aus dem Fotoalbum des Generalmajors mussten im Besitz eines Sonderausweises Ausweisdokument, Papier, 9,8 x 16 cm. die Aufschrift behauptet, von Spartakisten Joseph Macher, Fotografie. sein. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0374-2018 erschossen wurde, kann man nicht wissen. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0502-1993.249 266 | 7: Die Dinge spitzen sich zu 7: Die Dinge spitzen sich zu | 267

Landtag in Bamberg Ein neuer Ministerpräsident Nach der Ermordung Eisners gelang es Die Abgeordneten zogen sich ebenfalls Der Pfälzer Johannes Hoffmann (1867- von Reichswehr und Einwohnerwehr Bay- dem neu gewählten Landtag nicht, sich nach Bamberg zurück. Neuer Tagungsort 1930), ein Volksschullehrer, gehörte zum ern sein Amt nieder. Nachfolger wurde gegen die bestehenden Räteorganisatio- war der Spiegelsaal der Harmoniesäle am linken Flügel der SPD. In die Regierung Gustav von Kahr, der Bayern zur „Ord- nen durchzusetzen, in denen die radikale Schillerplatz; heute das E.T.A.-Hoffmann- Kurt Eisners trat er als Kultusminister ein nungszelle“ ausbauen sollte. Linke dominierte. Theater am E.T.A.-Hoffmann-Platz. und behielt dieses Amt auch, nachdem er Nach der Ausrufung der Räterepublik vom bayerischen Landtag am 17. März am 7. April 1919 setzte sich die Regie- 1919 zum Ministerpräsidenten gewählt rung Hoffmann nach Bamberg ab. Einen Porträt Kultusminister Hoffmann, Fotografie worden war. 1918/1919. für den 8. April geplanten Zusammentritt Fotografie 1919. Im März 1920 legte er unter dem Druck Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-69854 des Landtags unterband der Zentralrat. Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-5271 268 | 7: Die Dinge spitzen sich zu 7: Die Dinge spitzen sich zu | 269

Palmsonntagsputsch

Die Republikanische Schutztruppe in Dieser gewaltsame Vorstoß bewirkte die München war Anfang November 1918 auf Radikalisierung der Rätebewegung, in der Belagerungszustand Betreiben der Sozialdemokraten als 750 sich jetzt die Kommunisten durchsetzten. Mann starke Sicherheitswache der Regie- Um die Angehörigen der Republikani- Mit der Verhängung des Belagerungszu- gierung Hoffmann stand. Verantwortlich rung Eisner geschaffen worden. Auch nach schen Schutztruppe von anderen Uni- standes ging die vollziehende Gewalt auf zeichnet ein „Korpsrat“, der fingiert ist. der Ausrufung der Räterepublik blieb sie formträgern zu unterschieden, etwa von die Armee über, wodurch eine Art Militär- Bei „v. Moser“ könnte es sich um den in Verbindung mit der Regierung, die sich den Soldaten der Münchner Garnison, diktatur entstand. Hier geschieht das zum Hochstapler „Johann Maria Baron von jetzt in Bamberg befand. wurden ihre Helme mit einem umlaufen- Schutz der Räterepublik für den Bereich Moser“ gehandelt haben, der sich nach Am 13. April 1919, dem Palmsonntag, den Ring in den Münchner Stadtfarben des I. Armeekorps, also das südliche Bay- dem Umsturz der radikalen Linken ange- versuchte die Schutztruppe, die Räteherr- Schwarz und Gelb markiert. ern. schlossen hatte. schaft in München handstreichartig zu Kurioserweise ist dieser Erlass vom Gene- beseitigen, was aber am heftigen Wider- Stahlhelm M 16 der Republikanischen Schutz- ralkommando 3 unterzeichnet, das seinen Wandanschlag, Druck auf Papier, 48 x 32 cm. stand von bewaffneten Anhängern der truppe, 1919, Stahl, Leder. Sitz in Nürnberg hatte und loyal zur Re- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0481-2010 Räteregierung scheiterte. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0222-1972 270 | 7: Die Dinge spitzen sich zu 7: Die Dinge spitzen sich zu | 271

Max Levien (1885-1937)

Geboren wurde Levien als Sohn eines Levien wurde, wohl seines Namens deutschen Großkaufmanns in Moskau. wegen, dem Kreis jüdischer Revolutionäre Schon als Kind kam er nach Deutschland, zugerechnet. Der Romanist Victor Klem- dessen Staatsangehörigkeit er annahm. perer, der ihn in München erlebte, schrieb Ernst Toller (1893-1939) Noch vor dem Krieg knüpfte er Kon- aber ausdrücklich, dass Levien aus einer takte zu Lenin und den Bolschewiki. 1914 christlichen Familie stammte. Klemperer, Toller wurde als Sohn eines jüdischen Köpfen der ersten Phase der Räterepublik. meldete er sich als Freiwilliger zum bay- selbst jüdischer Abkunft und zum Chris- Getreidegroßhändlers in der Provinz Er stellte sich zunächst auch der zweiten, erischen Infanterie-Leibregiment. Dort tentum konvertiert, äußerte sich über Posen geboren. Bei Kriegsausbruch mel- kommunistischen Räterepublik zur Ver- brachte er es bis zum Vizefeldwebel, also Levien mit großer Schärfe: dete er sich freiwillig und trat beim baye- fügung, geriet aber rasch in Opposition zur Position eines Zugführers. „Eine blonde, blauäugige, kalte und rischen 1. Fußartillerie-Regiment in Mün- gegen die „russischen“ Hardliner Levien, Im November 1918 gründete Levien den unverschämte Romanschönheit. Schlank chen ein. 1916 wurde er nach einem see- Leviné und Axelrod. Nach dem Einmarsch Spartakusbund München und nahm auch und jung in gutsitzender feldgrauer Uni- lischen Zusammenbruch aus der Armee der Regierungstruppen wurde Toller fest- am Gründungskongress der KPD in Berlin form mit hohem Kragen, bartloses, falten- entlassen. Das Kriegserlebnis ließ in ihm genommen und zu einer Festungsstrafe teil. Er war einer der Anführer der nach loses Gesicht, große befehlende Augen, pazifistisch-sozialistische Überzeugungen von fünf Jahren verurteilt, was angesichts dem misslungenen Palmsonntagsputsch befehlender durchdringender Ton, weite entstehen. Der literarisch interessierte seiner hohen Position in der Rätebewe- errichteten, kurzlebigen kommunistischen mächtige Gesten, umfassendes Pathos“. junge Mann schloss sich in München den gung als mildes Urteil gelten konnte. Räterepublik in München. Nach deren intellektuellen Bohèmekreisen an, die 1918 Untergang gelang es ihm, ins Ausland zu politisch aktiv wurden. fliehen. Sein weiterer Weg führte ihn in die Presse- oder Buchillustration nach Fotografie, Toller folgte Kurt Eisner als Vorsitzender Porträt Ernst Toller, Fotografie. Sowjetunion, wo er 1937 im Rahmen des wohl 1919. der USPD und gehörte zu den führenden Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-3861 Großen Terrors erschossen wurde. Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-2646 273 8: Kampf um München

Der Machtkampf zwischen der bayerischen Regierung in Bamberg und dem Räteregime in München wurde im Mai 1919 mit militärischen Mitteln entschieden. Die weit überle- genen Regierungstruppen machten dem Räteexperiment in kurzen, blutigen Kämpfen ein Ende. Die Räterepublik hatte ihre Macht im April 1919 mit einem zehntägigen Generalstreik demonstriert. Gleichzeitig kam es zum Aufbau einer „Roten Armee“, um dem erwarte- ten Angriff von Regierungstruppen widerstehen zu können. Die Regierungen von Eisner bis Hoffmann hatten den Aufbau eines staatlichen baye- rischen Militärs vernachlässigt. Erst am 19. April rief die Regierung zur Bildung bay- erischer Freikorps auf, aber da war es zur Schaffung einer schlagkräftigen bayerischen Streitmacht schon viel zu spät. Um in seine Hauptstadt zurückkehren zu können, musste Hoffmann um Reichshilfe bitten, die gern geleistet wurde, weil dies die bayerische Position im Reich schwächen musste. Schon jetzt war klar, dass sich die bayerische Absicht, weiterhin ein eigenes Mili- tär zu besitzen, nicht würde verwirklichen lassen. Die Oberleitung der Operation gegen München lag denn auch in der Hand des Reichs- wehrministers Gustav Noske. Am 1. und 2. Mai 1919 setzten sich seine Truppen gegen teilweise heftigen Widerstand der „Roten Armee“ in den Besitz Münchens. 274 | 8: Kampf um München 8: Kampf um München | 275

Freiwillige gesucht

Die Proklamation der Räterepublik traf die terrorisieren die Arbeiterschaft und Bür- „Generalstreik!“ bayerische Regierung in einem Zustand gerschaft Münchens. Wehe unsern Volks- militärischer Machtlosigkeit. Jetzt soll- genossen in München, wenn diese ‚Rote Die kommunistische Rätediktatur begann wichtigsten Infrastruktureinrichtungen ten in größter Eile Freiwilligenverbände Garde‘ losgelassen wird.“ ihre Herrschaft mit einer Machtdemons- auch Gaststätten ausdrücklich vom Gene- aus dem Boden gestampft werden, um „Eile tut not!“, hieß es. Deshalb wurde der tration. Der Aufruf zum Generalstreik ralstreik aus. Ihr Besuch war dem prole- München zu retten. Der scharfe Ton des Aufruf auch mit Flugzeugen verbreitet. wurde mit der aggressiven Sprache der tarischen München auch beim Kampf bis Aufrufs mag zu der unerhörten Gewalt- Das Blatt trägt einen Vermerk mit Blei- Kommunisten vorgetragen: zum „vollen Sieg“ ein Bedürfnis. tätigkeit beigetragen haben, mit der die stift: „FlA 21/4/19“, also Fliegerabwurf am „Der Kampf gegen die Bourgeoisie und Truppen dann in München vorgingen: 21. April 1919. die Verräter des Proletariats ist in voller „München steht vor Raub und Plünde- Schärfe entbrannt.“ rung. Die Räte-Regierung hat einige 1000 Der „Vollzugsrat der Betriebs- und Ar- Flugblatt, Druck auf Papier, 33,5 x 25 cm. Russen bewaffnet. Fremdländische Ele- Flugblatt, Druck auf Papier, 34,5 x 23,3 cm. beitsräte Münchens“ nahm außer den Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0959-1990.b.21 mente mit dem Janhagel von München Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0959-1990.b.4 276 | 8: Kampf um München 8: Kampf um München | 277

Heeresschau

Am 22. April 1919 endete der General- schen, die frech, aber unkriegerisch aus- streik. Die neuen Herren zeigten ihre sehen, die alle noch kein Pulver gerochen Macht mit einer Parade der „Roten haben. Dagegen die Zivilisten! Das sind Armee“. die eigentlichen Soldaten; sie treten auf, Mütze eines Rotgardisten 1919 Victor Klemperer, der den Krieg mit- sie tragen das Gewehr nicht anders, als gemacht hatte und Soldaten beurteilen sie es draußen getan haben, wenn sie in Bei dieser Kopfbedeckung handelt es sich konnte, beobachtete die Heerschau vor Stellung gingen. Festigkeit in der Haltung, um eine ehemalige Offiziersmütze des dem Kriegsministerium in der Ludwigs- entschiedene Gesichter.“ Modells 1898, an der die deutsche Reichs- straße (links im Bild): und bayerische Landeskokarde entfernt Schirmmütze üf r Offiziere der Infanterie, Modell „Der Marsch der Bataillone war gut, 1898 umgearbeitet für Rotgardisten, Bayern 1919, und durch einen fünfzackigen roten Stern Wolltuch, Leder, Vulkanfiber. soweit es nicht Soldaten waren, die mar- Fotopostkarte, Fotografie München 1919. aus Tuch ersetzt wurden. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. E 5512 schierten. Die Feldgrauen sind junge Bur- Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-5136 278 | 8: Kampf um München 8: Kampf um München | 279

Freikorps Regensburg

Der Aufruf der Regierung hatte die Bil- 11. bayerischen Infanterie-Regiment her- „Die Regierung Hoffmann, zu der dung zahlreicher, oft nur kurzlebiger Frei- vorgegangen und besaß daher einen fes- ganz Bayern steht, kennt Euere korps zur Folge. ten Kern. Es wurde später in das Infante- Leiden!“ In den wenigen Tagen bis zum eigentli- rie-Regiment 48 der Reichswehr integriert. chen Angriff auf München war es unmög- Mit Abwurfzetteln, die aus Flugzeu- lich, aus ihnen zuverlässige, disziplinierte gen über München ausgestreut wurden, Truppen zu formen – ein weiterer Grund suchte die Regierung in Bamberg die Ver- für die blutigen Übergriffe in München. Fotopostkarte aus einem Fotoalbum des General- bindung zu den Münchnern: „Kopf hoch Flugblatt, Druck auf Papier, 16,5 x 22,8 cm. Das Freikorps Regensburg gehörte zu den majors Josef Macher, Fotografie München 1919. und Mut! Hilfe naht“. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0661-1994.c besseren Einheiten, denn es war aus dem Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0502-1993.192 280 | 8: Kampf um München 8: Kampf um München | 281

Abzeichen des Freikorps Oberland, 1919 Abzeichen der Freiwilligen-Batterie von Speck Am 19. April 1919 genehmigte die nach wurde damals zum äußeren Erkennungs- Bamberg geflohene bayerische Staats- merkmal des Freikorps. Es stand für die Die Verbände gaben sich individuelle regierung die Aufstellung von weiteren Erinnerung an die ehemaligen deutschen Abzeichen, um eine Gruppenidentität Freiwilligenverbänden. Das sich darauf- Gebirgstruppen und als Symbol für das zu stiften und die Seriosität des neuen hin formierende „Freikorps Oberland“ ‚wahre‘ Bayern: die Alpenregion. Korps zu unterstreichen. setzte sich aus dem „Kampfbund Thule“ Die Freiwilligen-Batterieunter dem Kom- und aus neu angeworbenen Freiwilligen mando des Hauptmanns von Speck ent- zusammen, die in Treuchtlingen und stand aus dem Amberger 3. Feldartillerie- Abzeichen des Freikorps Oberland, 1919, Silber- Abzeichen der Freiwilligen-Batterie von Speck, Eichstätt angeworben wurden. Das Edel- blech auf Karton befestigt, Durchmesser 3,8 cm. Regiment und ging später im Reichswehr- 1919, Silberblech auf Karton befestigt, 4 x 6,1 cm. weiß auf Fahnen und Uniformmützen Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. H 4203 Artillerie-Regiment 24 auf. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. H 4864 282 | 8: Kampf um München 8: Kampf um München | 283

Armbinde des Freikorps „Werden- Armbinde der „Roten Armee“ fels“

Die Armbinde wurde während der Ein- sche Partei Deutschlands) nur die Kurz- Dieses Freikorps wurde Ende April 1919 auf der Armbinde auch das Abzeichen des nahme Münchens im April/Mai 1919 form USP verwendet wurde. im Werdenfelser Land um Garmisch und Freikorps Epp, das aber bei diesem Exem- einem Angehörigen der „Roten Armee“ Partenkirchen aufgestellt und Anfang Mai plar nicht mehr vorhanden ist. abgenommen. 1919 gegen die Münchner Räterepublik Auffallend an dem Stempelaufdruck ist, eingesetzt. Rote Armbinde mit Stempelaufdruck in einer Weiß-blaue Armbinde des Freikorps „Werden- dass anstelle der offiziellen Bezeichnung Linie: „O.B.M. U S P. Unter-Giesing“, Leinen. Da die die Einheit dem Freikorps Epp als fels“, 1919, Leinen. USPD (= Unabhängige Sozialdemokrati- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. E 6042 Reserve zugeteilt worden war, führte es Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. H 4248 284 | 8: Kampf um München 8: Kampf um München | 285

2. Marine-Brigade Wilhelmshaven

Schwere Waffen Am 16. Mai 1919 besichtigte Generalleut- sind: Hosen mit Lederbesatz, Handgra- nant von Oven, der die Operation gegen natensäcke, Pistolen und Karabiner statt Viele Fotografien von Freikorps bzw. über die Stadt. Im Hintergrund erkennt München geleitet hatte, auf der Theresien- Gewehren. Die Soldaten präsentieren sich Regierungstruppen betonen deren starke man die Mariahilfkirche. wiese die 2. Marine-Brigade Wilhelmsha- als Elitetruppe. Bewaffnung: Hier ist es die Feldkanone ven, also die Leute des Kapitänleutnants 16 – ein leichtes Feldgeschütz – und ein Ehrhardt. Die Einheit hatte sich mit 1.500 Maschinengewehr 08. Mann an diesem Angriff beteiligt. Die Soldaten, die hier posieren, sind auf Auffällig ist die tadellose, neuwertig wir- dem Isarhochufer in Stellung gegangen. Fotopostkarte, München 1919, Fotografie. kende Bekleidung der Männer, die wie Fotografie 1919. Von dort aus hat man einen guten Blick Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0246-1975.5 Sturmtruppen des Weltkriegs ausgerüstet Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. VF 342.95 287 9: Roter und weißer Terror

Die siegreiche „weiße“ Seite entfaltete eine mächtige, bis heute wirkende Propaganda, in der die Rätezeit als blutige Gewaltherrschaft dargestellt wurde. Die Untaten der Regie- rungstruppen sollten dagegen gezieltem Vergessen anheim fallen. Eine zentrale Rolle in dieser Propaganda spielte der sogenannte Geiselmord im Luit- poldgymnasium. Dort wurden am 30. April zehn Menschen ohne Gerichtsverfahren erschossen, angeblich als Vergeltung für die Erschießung von Angehörigen der Roten Armee durch die vorrückenden Regierungstruppen. Diese Untat überstrahlte in der Erinnerung die Übergriffe der Sieger, die sich zu zahlrei- chen willkürlichen Erschießungen und regelrechten Massakern hatten hinreißen lassen. Eine genaue Opferzahl wird sich nicht mehr ermitteln lassen, aber es steht fest, dass hunderte von Zivilisten ermordet wurden. Aufsehen erregte allerdings die Abschlachtung von 21 Mitgliedern eines katholischen Gesellenvereins am 6. Mai. Die Opfer waren Angehörige der Bayerischen Volkspartei, die mächtig genug war, eine ernsthafte gerichtliche Untersuchung durchsetzen zu kön- nen, die zu langen Freiheitsstrafen führte. Alle anderen Tötungsdelikte der „Weißen“ blieben ungesühnt. 288 | 9: Roter und weißer Terror 9: Roter und weißer Terror | 289

Einmarsch

Das bayerísche 2. Ulanen-Regiment zieht mit Musik in München ein. Garnison des Paraden Regiments war Ansbach. Die Soldaten des Musikkorps tragen die Die Sieger feierten ihren Sieg in Paraden während des Krieges abgeben müssen. alte Ulanen-Tschapka mit feldgrau- und öffentlichen Auftritten in geschlosse- Der Einsatz zu Fuß war seither die Regel. em Überzug und eine uneinheitliche ner Formation. Mischung älterer und neuerer Uniform- Hier marschieren Männer des preußi- Postkarte München 1919, aus einem Fotoalbum stücke, daran die im Januar 1919 einge- Postkarte München 1919, Fotografie. schen 8. Husaren-Regiments. Die meisten des Generalmajors Josef Macher, Fotografie. führten neuen Rangabzeichen. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. VF 342.16 Kavallerie-Regimenter hatten ihre Pferde Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0502-1993.197 290 | 9: Roter und weißer Terror 9: Roter und weißer Terror | 291

Ein Freikorpssoldat

Freikorps Werdenfels Dieser selbstbewusste junge Mann gehört Die „Handgranaten vor dem Bauch“ sind zur 2. Marine-Brigade-Wilhelmshaven. Er typisch für das martialische Erscheinungs- Die Formation war ab dem 21. April 1919 Niederwerfung der Räterepublik als Leis- trägt das Abzeichen seiner Einheit – Gar- bild der Soldaten im deutschen Bürger- in Garmisch-Partenkirchen aufgestellt tung des „ursprünglichen, gesunden Bay- destern und Eichenlaub – am Kragen. Der krieg. worden und nahm mit etwa 250 Mann am ernvolkes“ zu belegen schienen. seitlich angenähte Knopf gehört noch zum Angriff auf München teil. Rangabzeichensystem des Weltkriegshee- Viele von ihnen trugen die bäuerliche All- res, das weder im Friedensheer noch in tagskleidung des südlichen Bayern, die der vorläufigen Reichswehr gebräuchlich „Johannes“, Aufnahme aus einem Fotoalbum „Tracht“. Ihre Bilder wurden propagan- Postkarte München 1919, Fotografie. war. Er weist ihn als Gefreiten aus. Die vom Einmarsch in München 1919, Fotografie. distisch stark herausgestellt, weil sie die Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. T 2066 Schulterklappen sind allerdings entfernt. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0478-1994.38 292 | 9: Roter und weißer Terror 9: Roter und weißer Terror | 293

„Geiselmord im Blutgymnasium“

Am 30. April 1919 wurden im Luitpold- schen Darstellung der Rätezeit als einer gymnasium zehn Menschen erschossen, blutrünstigen Gewaltherrschaft eine zen- Beisetzung darunter sieben Mitglieder der Thulege- trale Rolle. sellschaft, die während der Rätezeit im Der Erschießung im Luitpoldgymnasium gesetzt. Die Beschriftung nennt sie „Regie- Hotel „Vier Jahreszeiten“ eine Art Wider- waren auch zwei Soldaten des preußi- rungssoldaten“. standszelle gebildet hatten. schen Husaren-Regiments Nr. 8 zum Der Mord geschah, als sich das Rätere- Opfer gefallen, die bei Oberschleißheim Illustration nach Fotografien, in: Emil Herold, Ein Postkarte München 1919, aus einem Fotoalbum gime bereits in Auflösung befand. Dieses Jahr bayrische Revolution im Bilde, 2. Aufl., in Gefangenschaft geraten waren. Sie des Generalmajors Josef Macher, Fotografie. Massaker spielte in der propagandisti- München 1920, S. 19. werden hier mit militärischen Ehren bei- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0502-1993.195 294 | 9: Roter und weißer Terror 9: Roter und weißer Terror | 295

„Rotmord über München“ „Und nimmer wird der Ruhm hier untergehn …“ Der Titel dieses 1934 erschienenen Buches des NS-Schriftstellers Rudolf Schricker Das bayerische Oberkommando stiftete und den Ruhm „von Münchens treuen, war Programm. Das Buch gehörte zur den Teilnehmern der Expedition gegen heldenkühnen Rettern!“ ‚rechten“ Erinnerungsliteratur, von der München ein Gedenkblatt. die Räteherrschaft dämonisiert wurde. Die Grafik von Ernst Liebermann (1869- Breiten Raum nahm dementsprechend die 1960) zeigt einen Soldaten, der den aus- Darstellung des „Geiselmordes“ ein. Der gestreckten Armen der Münchner seine Band war mit Fotografien und Reproduk- starke, helfende Hand reicht. Rudolf Schricker, Rotmord über München, Berlin Schmuckblatt, Farblithografie, München 1919, tionen zeitgenössischer Dokumente reich 1934. Ein Gedicht von Fritz von Ostini (1861- 31,6 x 22,5 cm. ausgestattet. Bayerische Armeebibliothek, Sign. B 11/1, Sch 2 1927) schildert die Leiden der Münchner Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. WR 569 296 | 9: Roter und weißer Terror 9: Roter und weißer Terror | 297

Der Gesellenmord An die Wand gestellt Am Abend des 6. Mai 1919 wurden 21 zur Siegerseite gehörte und Aufklärung Diese Aufnahme publizierte Rudolf Schri- ßungen durch Regierungssoldaten fielen Mitglieder des katholischen Gesellenver- verlangte. Dieser Druck sorgte, und das cker in seinem „Rotmord“-Buch mit der Hunderte zum Opfer, darunter nicht nur eins St. Joseph im Keller des Hauses Karo- war bei Ausschreitungen der „weißen“ Bild-Beschreibung: viele Unschuldige, sondern geradezu linenplatz Nr. 5 von Regierungssoldaten Seite eine große Ausnahme, für eine „Straßenbild aus den Befreiungstagen Unbeteiligte. geradezu abgeschlachtet. Wie bei diesen gerichtliche Ahndung des Verbrechens. Erschossene Aufrührer“ Morden üblich, wurden die Opfer auch Richtig daran ist mit Sicherheit nur, ausgeraubt. dass es sich um Opfer einer Erschießung Dieses scheußliche Verbrechen erregte Fotopostkarte, Photo-Atelier Werner, München, wohl nach einem Gedenkblatt. handelt und nicht um Kämpfer, die im Buchabbildung nach einer Fotografie, in: Rudolf Aufsehen, weil die Opfer Mitglieder der Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt. V, Gefecht umgekommen sind. Den Erschie- Schricker, Rotmord über München, Berlin 1934. Bayerischen Volkspartei waren, die selbst Bildersammlung, Sign. 03894 298 | 9: Roter und weißer Terror 9: Roter und weißer Terror | 299

Mordwaffe beim „Gesellenmord“: Ärmelabzeichen des Freikorps Seitengewehr 98/05 Bayreuth Das Seitengewehr 98/05 war das Standard- zur Fortsetzung der Tat das Seitengewehr Der Haupttäter dieser Mordtat war kurz formstoff aufgenäht und wurde für die Seitengewehr der deutschen Infanterie im eines Kameraden ergriff. Wahrscheinlich zuvor ins Freikorps Bayreuth eingetre- Ausstellung im Armeemuseum um 1920 Weltkrieg. Man darf annehmen, dass auch hatte Müller im Blutrausch sein Opfer ten. Die Einheit sollte ursprünglich in die auf einer beschrifteten Pappkarte befes- Jakob Müller, der Haupttäter des Gesellen- verfehlt und mit der Waffe den Zementbo- Reichswehr übernommen werden. Statt- tigt. mordes, mit einer solchen Waffe ausgerüs- den des Kellers getroffen. Aber auch dann dessen wurde das Freikorps im Juni auf- tet war. Die Klinge war aus starkem, hoch- war es nur mit erheblichem Kraftaufwand gelöst, da es durch den Gesellenmord als wertigem Stahl hergestellt. Im Prozess möglich, eine solche Klinge zu verbiegen. disziplinierte militärische Einheit diskre- stellte sich heraus, dass Müller die Waffe ditiert war. mit beiden Händen fasste und auf seine Ärmelabzeichen des Freikorps „Bayreuth“, 1919, Seitengewehr 98/05, Stahl, Hersteller: Fichtel & Das Abzeichen, ein weißblauer Winkel, ist Leinen, Tuch, Pappe, 5,8 x 9,7 cm (Abzeichen). Opfer mit solcher Gewalt einstach, dass Sachs, 1916, Nußholz, Länge 50 cm. auf eine Unterlage aus feldgrauem Uni- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. H 4231 sich die Klingenspitze verbog, so dass er Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. N 1784 300 | 9: Roter und weißer Terror 9: Roter und weißer Terror | 301

Erinnerung an die „Rettung Bayerns“ Wahlpropaganda 1928 „Feurjo!“ Der Betrachter dieses Wahlplakats der Das Plakat wurde von dem bekannten Diese Wochenzeitung wurde vom „Hei- die Reichswehr. Diese Ausgabe, die erste Bayerischen Volkspartei soll sich mit Münchner Plakatkünstler Hermann Kei- matdienst Bayern für Ordnung, Recht und überhaupt, trägt den Stempel des bayeri- dem schaffend-aufbauenden Bayernvolk mel (1899-1948) entworfen. Aufbau“ herausgegeben, der im Mai 1919 schen Schützenregiments Nr. 1, das aus identifizieren, dem als Kontrast der zer- als antibolschewistische Propagandastelle dem Freikorps Epp hervorgegangen war. störende Revolutionär aus dem Jahr 1918 gegründet worden war. Die Zeitschrift gegenübergestellt wird. Dieser zeigt asia- wurde von Fritz Gerlich redigiert, der spä- tische Gesichtszüge und führt eine fetzen- ter zu den entschiedensten Gegnern Hit- artig zerrissene rote Fahne, während die Zeitschrift Feurjo!, Heft 1, 1919, Umschlagbild Plakat von Hermann Keimel, Farblithografie, lers gehörte und 1934 ermordet wurde. von Erich Metzoldt, 25,3 x 20,6 cm. weißblaue des bäuerlichen Bayern makel- 84 x 60 cm. Eine Zielgruppe dieser „Aufklärung“ war Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0381-2018 los erscheint. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0679-1994 302 | 9: Roter und weißer Terror 9: Roter und weißer Terror | 303

Juden als Feindbild Antisemitismus Mit der Bildunterschrift „Die Führer der Damit suggerierten Text und Bild, dass die Die Revolution und ihre Niederschla- Münchner ‚Volkserhebung‘“ publizierte Räterepublik eben keine Sache des „Vol- gung erzeugten eine mächtige antisemi- Schrickers „Rotmord“-Buch eine damals kes“ gewesen, sondern von „Fremden“ tische Welle. Dieses zynisch-ironische populäre Collage mit den Porträts von gekommen sei, genauer gesagt: von jüdi- Wahlflugblatt denunziert die Demokraten Protagonisten der Räterepublik. Dass die scher Seite. – gemeint ist wohl die DVP(DDP) – und Dargestellten ausnahmslos Juden waren die SPD als Kriminelle, „Juden und Juden- oder jedenfalls sein sollten – Max Levien genossen“. Es fordert indirekt dazu auf, stammte wohl aus einer christlichen Fami- Flugblatt, wohl 1919, Druck auf Papier, Buchabbildung nach einer Fotocollage, in: Rudolf diesen Parteien die Stimme zu verweigern 31 x 21 cm. lie –, wird durch die rassistischen Stereo- Schricker, Rotmord über München, Berlin 1934. und „bürgerlich“ zu wählen. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0492-1993 type in der Bildgestaltung hervorgehoben. Bayerische Armeebibliothek, Sign. B 11/1, Sch 2 305 10: Das Freikorps Epp und der Aufbau der Reichswehr in Bayern

Das bayerische Freikorps Epp hatte bei der „Befreiung“ Münchens keine entscheidende Rolle gespielt, doch wurde seine Teilnahme in Bayern stark in den Vordergrund gerückt. Dem Freikorps gehörten ungewöhnlich viele Offiziere an. Dieses Personal prägte seit dem Sommer 1919 den Aufbau der Reichswehr in Bayern. Oberst Franz von Epp, der im Krieg das bayerische Infanterie-Leibregiment geführt hatte, erhielt im Februar 1919 aus Berlin den Auftrag, ein bayerisches Freikorps aufzu- stellen. Nachdem in Bayern selbst ein Werbeverbot für Freikorps bestand, erfolgte der Aufbau der Truppe auf dem thüringischen Truppenübungsplatz Ohrdruf. Am Angriff auf München beteiligte sie sich mit ca. 700 Mann, war also nicht besonders stark. Der Aufbau der Reichswehr in Bayern begann erst im Mai 1919. Die Absicht, diesen Teil der Reichswehr als bayerisches Kontingent zu formieren, musste die Regierung Hoff- mann aufgeben. Am 25. August erfolgte in München in Anwesenheit des Reichspräsidenten Ebert und des Reichswehrministers Noske die offizielle Übernahme der bayerischen Armee durch das Reich. Wenn man für das Ende der bayerischen Armee ein Datum sucht, so wäre es dieser Tag im August 1919. 306 | 10: Das Freikorps Epp und der Aufbau der Reichswehr 10: Das Freikorps Epp und der Aufbau der Reichswehr | 307

Schützenbrigade 21

Die Brigade entstand im Juni 1919 aus Noch höher hinauf stieg Major Wilhelm dem Freikorps Epp. Die Offiziere sind List (1880-1971) – rechts von Epp, mit „Auf in die Reichswehr“ sehr sorgfältig gekleidet. Offenbar steht Schirmmütze –, der 1940 zum Generalfeld- ihnen ein repräsentativer Auftritt in der marschall ernannt wurde. Im Mai 1919 schloss sich die bayerische sichtszügen. Die positiven Identifikati- Öffentlichkeit bevor. Im Vordergrund, mit Regierung dem Gesetz zur Bildung einer onssymbole waren nicht reichsdeutsch, der Seite zum Betrachter, steht Oberst Rit- vorläufigen Reichswehr vom 6. März an. sondern rein bayerisch. ter von Epp. Damit begann auch in Bayern die geord- Links von ihm, mit zusammengekniffenen nete Anwerbung von Soldaten. Der Feind, Lippen, erkennt man Hauptmann Lud- den das Plakat vorstellte, war nicht der wig Kübler (1889-1947), der es im Zweiten Soldat eines feindlichen Heeres, sondern Plakat, Entwurf von Siegmund von Sucholski Weltkrieg zum General der Gebirgstruppe Fotografie, 1919. ein mit Revolver und Sprengstoff bewaff- (1875-1935), Lithografie, 88,5 x 61,1 cm. bringen sollte. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. VF 342.96 neter Anarchistentyp mit asiatischen Ge- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0050-2009 308 | 10: Das Freikorps Epp und der Aufbau der Reichswehr 10: Das Freikorps Epp und der Aufbau der Reichswehr | 309

Franz von Epp (1868-1947)

Von 1914 bis 1918 hatte Epp das bayerische es war immerhin die größte und kampf- Infanterie-Leibregiment geführt, also das kräftigste bayerische Einheit bei dieser bayerische Äquivalent zur preußischen Operation. Infolgedessen wurde Epp zum Garde. Für seinen Einsatz in der Schlacht „Befreier Münchens“ hochgeschrieben. von Verdun war er mit dem Ritterkreuz Die Aufnahme des hochdekorierten, grim- Stahlhelm des Freikorps Epp, 1919 des Militär-Max-Josephs-Ordens ausge- mig unter dem Stahlhelm hervorblicken- zeichnet worden, womit der persönliche den Mannes fand weite Verbreitung. Es Während des Einsatzes in München tru- Adel verbunden war. Im Frühjahr 1918 zeigt Epp als Generalleutnant nach seinem gen die Angehörigen des Freikorps Epp dienen und auf die monarchische Gesin- kam noch der preußische Orden Pour-le- Ausscheiden aus der Reichswehr. einen aufgemalten weißen Ring um den nung des Verbandes hinweisen. mérite dazu. Helm, aber auch andere weiße Abzeichen. Epp stellte seit dem Februar 1919 das erste Der vorliegende Helm mit dem aufwen- bayerische Freikorps auf, mit dem er an dig gemalten weiß-blauen Wappenschild Druck nach einer Fotografie, nach 1923, Stahlhelm, M 16 mit gekröntem Wappenschild, der Aktion gegen München teilnahm. 20 x 13,2 cm. und der Königskrone sollte offensichtlich wohl nach 1919. Stahl, Leder. Entscheidend war sein Beitrag nicht, aber Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0479-2018 als ein Erinnerungsstück an das Freikorps Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. H 4629 310 | 10: Das Freikorps Epp und der Aufbau der Reichswehr 10: Das Freikorps Epp und der Aufbau der Reichswehr | 311

Leutnant Peißl als Angehöriger des III. Bataillons / 19. (Bayerisches) Infanterie-Regiment

Der junge Offizier, der während des Krie- Ärmelabzeichen des Freikorps Epp, mes- ges im bayerischen 14. Infanterie-Regi- singner Löwenkopf auf schwarzer Raute, ment Dienst leistete und in die Reichs- durfte offiziell auf der Uniform weiter Ärmelabzeichen des Freikorps wehr übernommen wurde, trägt bereits getragen werden. Die grüne Umran- „Epp“ die Uniform des Reichsheeres nach den dung zeigt an, dass Peißl bereits vor dem Bestimmungen von 1920. Sie sahen für 25. April 1919 als Freiwilliger beigetreten Angehörige des Freikorps trugen als Stoffraute kenntlich gemacht. Dieser Offi- Offiziere u.a. wieder die traditionellen ist und somit das von der bayerischen gemeinsames Abzeichen am linken Ober- ziersüberhang war entstanden, weil man Schulterstücke vor. Seit diesem Zeitpunkt Landesregierung ausgesprochene Werbe- ärmel eine schwarze Stoffraute, worauf diesen Offizieren die Übernahme in die brachte man auch die jeweilige Waffen- verbot für Freikorps missachtet hatte. Er ein rundes Messingschild mit geprägtem Reichswehr versprochen hatte. farbe als Unterlage der Schulterstücke und wurde 1925 noch Oberleutnant und schied Löwenkopf befestigt war. Im Hinblick Vorstöße am Dienstrock zur Geltung, wie 1927 aus der Reichswehr aus. auf den Überhang von Offizieren war es sich in ähnlicher Form bei der Felduni- man gezwungen, im Korps eigene Offi- Ärmelabzeichen des Freikorps Epp, Offizierskom- form der alten Armee bewährt hatte. Die panie, 1919. Wolle, Messing auf Karton befestigt, Portrait Leutnant Peißl, Gemälde, Öl auf Mal- zierskompanien aufzustellen. Diese wur- 8,7 x 5,9 cm. Waffenfarbe grün war auch in der Reichs- pappe, Bildmaße 77 x 65 cm. den durch eine goldene Kordel um die Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. N 2105 wehr der Jägertruppe vorbehalten. Das Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0073-1997 312 | 10: Das Freikorps Epp und der Aufbau der Reichswehr 10: Das Freikorps Epp und der Aufbau der Reichswehr | 313

Anwerbungen

Obwohl das deutsche Heer unter dem rufung der Räterepublik stattgefunden Öffentlichkeitsarbeit Druck der Siegermächte drastisch verklei- hatte. nert werden musste, litt es unter Solda- Dass der Posten mit Handgranaten Die Anführer der zweiten, kommunisti- Epp posiert hier voller Stolz vor den histo- tenmangel. Offiziere waren zwar reichlich bewaffnet ist, charakterisiert die Atmo- schen Räterepublik hatten sich im Armee- rischen Geschützrohren vor dem Armee- vorhanden, nicht aber Unteroffiziere und sphäre in München nach dem Einmarsch museum einquartiert. Nach deren Vertrei- museum. Mannschaften, die angesichts der schlech- der Armee. bung nahm dort der militärische Stadt- ten Bezahlung schwer zu finden waren. kommandant seinen Sitz und Ende Mai Das Bayerische Schützenkorps warb mit schließlich der Stab Epp, also die Führung dem Namen seines Kommandeurs – des Bayerischen Schützenkorps, aus der „Epp“. Die Werbezentrale hatte ihren Sitz Fotopostkarte München 1919, aus dem Fotoalbum Fotopostkarte München 1919, aus dem Fotoalbum des bayerischen Generalmajors Josef Macher, inzwischen die Schützenbrigade 21 der des Generalmajors Josef Macher, Fotografie. im Wittelsbacher Palais genommen, wo im Fotografie. vorläufigen Reichswehr geworden war. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0502-1993.185 April die entscheidende Tagung zur Aus- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0502-1993.187 314 | 10: Das Freikorps Epp und der Aufbau der Reichswehr 10: Das Freikorps Epp und der Aufbau der Reichswehr | 315

Eine neue bayerische Armee?

Die Werbezentrale für den südbayerischen bayerischen Armee im Reichsheer der Kai- Raum befand sich in München. Ihr nach- serzeit sollte fortgeführt werden. geordnet waren Werbebüros in größeren Städten und zahlreiche Werbeposten in „… auch Du“ kleineren Orten. Die Grundierung mit dem weiß-blauen Rautenmuster ließ kei- Die Bezeichnung des Reichswehr-Grup- nen Zweifel daran, dass die neue Truppe, pen-Kommandos 4 als „bayerisches“ zeigt, obwohl ein Teil der Reichswehr, bayerisch Schriftplakat, Lithografie, 46 x 59 cm. dass auch dieses Werbeplakat eher um Plakat, Lithografie, 107,8 x 75 cm. sein sollte. Die relative Autonomie der Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 356-2018.3 bayerische als um deutsche Soldaten warb. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0351-2018 316 | 10: Das Freikorps Epp und der Aufbau der Reichswehr 10: Das Freikorps Epp und der Aufbau der Reichswehr | 317

Die bayerische Reichswehr

Diese Informationsschrift mit dem Datum auf der Titelseite schwenkt denn auch die des 8. Mai 1919 wirbt um Freiwillige. Sie zweifarbige bayerische Fahne. Man hatte trägt die Unterschrift des Generalmajors also die Hoffnung noch nicht aufgegeben, von Möhl, dem Chef des „Reichswehr- die neue Truppe so wie im Kaiserreich als Gruppen-Kommandos Nr. 4. (Bayeri- bayerisches Kontingent in das deutsche sches)“. Mehrfach wendet sich Möhl an Heerwesen einzufügen. „Kommt zur Reichswehr!“ die „bayerische Jugend“ und bekräftigt das Zusammenwirken mit der „bayeri- Auch dieses Plakat wirbt mit den baye- Plakat, Entwurf: G. Mellinger, Kunstanstalt schen Regierung“. Die neu zu schaffende Die bayerische Reichswehr-Gruppe IV, o.O., o.J. rischen Farben Weiß und Blau und nicht (1919), Textillustration von Anton Hoffmann, Graphia, München, Farblithographie, Truppe wird ausdrücklich als „bayerische Druckschrift, 19,7 x 13,5 cm. mit denen des Reichs. Auf der Glocke liest 55 x 39,8 cm. Reichswehr“ bezeichnet, und der Soldat Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0384-2018 man „Bayern“. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0356-2018.2 318 | 10: Das Freikorps Epp und der Aufbau der Reichswehr 10: Das Freikorps Epp und der Aufbau der Reichswehr | 319

Ernst Schneppenhorst (1881-1945)

Wie viele Sozialdemokraten seiner Gene- Schneppenhorst blieb weiterhin politisch Das offizielle Ende der bayerischen ration hatte der gebürtige Krefelder aktiv und wirkte nach 1933 im Widerstand Armee Schneppenhorst ursprünglich einen hand- gegen das NS-Regime. Nach dem Attentat werklichen Beruf erlernt. Seine politische auf Hitler vom 20. Juli 1944 wurde er zum Am 25. August 1919 wurde die bayerische hörte und in einem Reichsheer aufging, so Heimat fand er in der Nürnberger SPD. wiederholten Mal inhaftiert. Am 24. April Armee in der Münchner Marsfeldkaserne war es dieser Augusttag des Jahres 1919. 1912 wurde er in den bayerischen Landtag 1945 wurde er von Angehörigen der SS förmlich durch das Reich übernommen. Es dauerte aber noch Jahre, bis sich die gewählt. ermordet. Dazu waren Reichspräsident Friedrich Armee in den wenig geliebten neuen Sta- Im März 1919 trat er als „Minister für mili- Ebert und Reichswehrminister Gustav tus wirklich eingelebt hatte tärische Angelegenheiten“ in die Regie- Noske nach München gekommen. Links rung Hoffmann ein. Dieses Amt bekleidete von Noske steht der allgegenwärtige er bis zum August 1919, also bis zum Ende Oberst Franz von Epp, rechts von Ebert der bayerischen Armee. Ernst Schneppen- Generalmajor Arnold von Möhl. horst war somit der letzte „Kriegsminis- Offsetdruck nach Fotografie, Amtliches Hand- Wenn es einen Tag gibt, an dem die bay- Fotografie 1919. ter“ Bayerns. buch des Bayerischen Landtags, München 1920. erische Armee offiziell zu existieren auf- Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-5539 321 11: Der Frieden von Versailles und die endgül- tige Formation der Reichswehr

Der Versailler Vertrag wurde in Deutschland in allen politischen Lagern als nationale Katastrophe empfunden. Sein Teil V regelte bis ins Einzelne Umfang und Beschaffenheit des deutschen Militärwesens. Die Umgestaltung des Deutschen Reichs in einen parlamentarisch-demokratischen Staat war mit der Hoffnung verbunden gewesen, dass die Sieger dies durch einen Friedens- vertrag honorieren würden, der für die unterlegene Seite den Umständen nach erträglich sein würde. Als sich herausstellte, dass diese Erwartung getrogen hatte, gab das den rechten und reaktionären Kräften in Deutschland gewaltigen Auftrieb. Die Sieger hatten den Vertrag formuliert, ohne mit der unterlegenen Seite Verhandlun- gen geführt zu haben. Das war ein völkerrechtliches Novum. Die Unterschrift, geleistet am 28. Juni 1919, wurde ultimativ erzwungen. Nur durch diese Unterzeichnung eines als unerträglich angesehenen Dokuments glaubte die Reichsregierung, wenigstens die staatliche Einheit Deutschlands erhalten zu können. Das deutsche Heer wurde auf eine Stärke von 100.000 Mann begrenzt, moderne Waffen wie schwere Geschütze oder Flugzeuge waren ihm verboten. Der Armee war dadurch ein Zustand struktureller Nichtverteidigungsfähigkeit auferlegt. 322 | 11: Frieden von Versailles und die Formation der Reichswehr 11: Frieden von Versailles und die Formation der Reichswehr | 323

Hoffnungen

Die Zeit zwischen dem Waffenstillstand Ausdruck: Der Friede erscheint als schöne Enttäuschung und dem Bekanntwerden der Bestimmun- junge Frau, die sich aus einem Sarkophag gen des Versailler Vertrags im Mai 1919 erhebt. Am 8. Juli 1919, nach der Unterzeichnung hat der Historiker Rüdiger Bergien als des Vertrags am 28. Juni, erscheint die „Traumzeit“ bezeichnet. Zeitschrift erneut mit einer Zeichnung Die Zeichnung „Der Frieden“ von Th. Th. Heines auf der Titelseite: Die Friedensfi- Heine, veröffentlicht auf der Titelseite Titelseite der Zeitschrift Simplizissimus vom gur, jetzt dargestellt als Engel mit der Frie- Titelseite der Zeitschrift Simplizissimus vom 15. April 1919, Farblithographie. 8. Juli 1919, Farblithographie. des Simplizissimus vom 15. April 1919, Bayerische Armeebibliothek, denspalme, wird von einem teuflischen Bayerische Armeebibliothek, bringt die Hoffnungen jener Monate zum Sign. AP 29800 S 612, 24. Jg., H. 3 Ungeheuer brutal getötet. Sign. AP 29800 S 612, 24. Jg., H. 15 324 | 11: Frieden von Versailles und die Formation der Reichswehr 11: Frieden von Versailles und die Formation der Reichswehr | 325

„Arbeiter …“

Alle politischen Lager in Deutschland sondern das der ganzen Welt unterwerfen „Was wir verlieren sollen!“ waren über den Versailler Vertrag empört, wolle. aber das einte sie nicht. Dieses Plakat Dieses Plakat zeigte den Deutschen in interpretiert den Vertrag als Machwerk Plakat, Entwurf: Louis Oppenheim (1879-1936), Plakat, Entwurf von Georg Walter Rössner (1885- anschaulicher Form, welche Verluste Berlin 1919, Farblithografie, 72 x 95 cm. der Bourgeoisie der Siegermächte, die 1972), Berlin 1919, Farblithografie, 72,8 x 98,5 cm. ihnen der Versailler Vertrag auferlegte. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. T 1694 sich nicht bloß das deutsche Proletariat, Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0946-1994 326 | 11: Frieden von Versailles und die Formation der Reichswehr 11: Frieden von Versailles und die Formation der Reichswehr | 327

Abrüstung

Der Versailler Vertrag legte die zuläs- Ob die Unbrauchbarmachung dieses sige Bewaffnung der Reichswehr bis ins Geschützes damals oder später durchge- kleinste fest. Sie durfte noch 204 leichte führt wurde, wissen wir nicht. Das Rohr Zerstörung von Stahlhelmen Feldkanonen dieses Typs und 84 leichte wurde um 92,5 cm gekürzt. Feldhaubitzen besitzen. Das Vernichtungsgebot beschränkte sich Alles darüber hinaus vorhandene Mate- nicht auf Waffen im eigentlichen Sinn, rial musste zerstört werden. Bis zum sondern betraf auch militärische Ausrüs- 1. November 1921 waren das unter ande- tung aller Art, selbst die persönliche Aus- Feldkanone 16 mit abgeschnittenem Rohr, Kaliber Buchillustration nach Fotografie, in: Werner Beu- rem 54.887 Geschütze und Geschützrohre 7,7 cm, Deutsches Reich 1917. rüstung von Soldaten wie Brotbeutel und melburg, Wilhelm Reetz, Eine ganze Welt gegen aller Kaliber. Bayerisches Armeemusum, Inv.-Nr. N 2112 Stahlhelme. uns, Berlin 1934. 328 | 11: Frieden von Versailles und die Formation der Reichswehr 11: Frieden von Versailles und die Formation der Reichswehr | 329

Eine neue Verfassung für das Deutsche Reich

Oberschlesien Die Verfassung der Weimarer Repub- Bayern konnte nicht verhindern, dass die lik wurde vom dem Staatsrechtslehrer „Reservatrechte“, die das Land im Kaiser- Über den Grenzverlauf zwischen Deutsch- letzte Wort. Das Gebiet wurde geteilt. Der Hugo Preuß (1860-1925) erarbeitet, der reich besessen hatte, nunmehr erloschen. land und Polen in der preußischen Provinz industriereiche Osten Oberschlesiens kam im November 1919 als Staatssekretär ins Das Militärwesen wurde jetzt Reichssa- Oberschlesien kam es nach dem Ersten an Polen. Reichsamt des Innern berufen wurde. Am che. Ein bayerisches Heer, das im Frieden Weltkrieg zu bewaffneten Auseinander- Das dramatische Wahlplakat soll die Ober- 19. Januar 1919 wählten die Deutschen unter bayerischer Führung stand, würde setzungen. schlesier vor der polnischen Übernahme eine Nationalversammlung, zu deren es nicht mehr geben. Am 20. März 1921 fand im Ostteil der des Industriereviers warnen, die als tödli- wichtigsten Aufgaben die Beratung und Provinz eine Volksabstimmung statt, die che Gefahr dargestellt wird. Verabschiedung der Verfassung für die trotz des relativ hohen polnischen Bevöl- neue Republik gehörte. Sie wurde am Broschüre: Die Verfassung des Deutschen Reichs kerungsanteils eine Mehrheit für den 11. August 1919 vom Reichspräsidenten vom 11.August 1919. Den Schülern und Schüle- rinnen zur Schulentlassung. Die Änderungen bis Verbleib bei Deutschland ergab. Auch Plakat 1921, Farblithographie, 103 x 68 cm. Friedrich Ebert unterzeichnet und trat am zum 1. August 1930 sind berücksichtigt. hier hatten aber die Siegermächte das Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. T 213 14. August 1919 in Kraft. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0459-2018. 330 | 11: Frieden von Versailles und die Formation der Reichswehr 11: Frieden von Versailles und die Formation der Reichswehr | 331

Oberleutnant der 7. (bayerischen) Kraftfahr-Abteilung

Mit der Verfügung über die „Bekleidung und Ausrüstung des Reichsheeres“ vom 22. Dezember 1920 wurde die Uniformie- rung endgültig festgelegt. Sie erfuhr nur durch spätere Ergänzungen leichte Verän- derungen. Die drei Kompanien der Kraftfahr-Abtei- lung mussten offiziell als reine Versor- gungstruppen fungieren, da Deutschland nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages der Besitz von Kampfwagen verboten war. Bei jeder Kompanie waren jedoch, neben vielerlei anderen Fahrzeu- gen, fünf gepanzerte Mannschaftstrans- portwagen mit je zwei schweren Maschi- nengewehren etatisiert. Hans von Seeckt (1866-1936) Die Kraftfahrabteilungen bildeten den Kern der späteren Panzertruppen und Seeckt war ein preußischer Generalstabs- noch die Mitgliedschaft in einer Partei wurden dadurch bekannt, dass sie bis offizier, der im Ersten Weltkrieg hohe Füh- erlaubt waren. Aus Seeckts Sicht war das 1932 mit Holzattrappen von Panzern und rungspositionen an der Ostfront und als kein Widerspruch zu einer straff konser- Panzerspähwagen das Verbot dieser Waffe deutscher Militärberater im Osmanischen vativen Ausrichtung der Reichswehr. umgingen. Reich innegehabt hatte. Nach dem Krieg Der undurchsichtige General war verfas- konnte er seine Karriere fortsetzen und sungsloyal, aber ohne innere Bindung an stieg 1920 unter Beförderung zum Gene- die seit 1918 gewandelten politischen Ver- Figurine Oberleutnant der 7. (bayerischen) Kraft- ralleutnant zum Chef der Heeresleitung hältnisse. fahr-Abteilung. auf. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nrn. 0295-1968 Seeckt erzog die neue Armee zu einer (Stahlhelm); 0667-1985 (Dienstrock); 0335-1968 (Reithose); N 3287 (Lederkoppel); 0042-2017 (Pis- „unpolitischen“ Truppe, deren Angehö- Fotografie, um 1925. tolentasche); N 3288 (Reitstiefel) rigen weder politische Stellungnahmen Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. VF 240.351 332 | 11: Frieden von Versailles und die Formation der Reichswehr 11: Frieden von Versailles und die Formation der Reichswehr | 333

Dienstmütze für Mannschaften und Unteroffiziere

Wurde in den Anzugsbestimmungen der Feldmütze für Unteroffiziere und vorläufigen Reichswehr die Kokarde noch Mannschaften M 1919 mit den „deutschen Farben“ schwarz- weiß-rot festgelegt, so zeigt die Mütze Die Mütze lehnte sich zwar an die Ein- nunmehr die Adlerkokarde. Darauf ist ein heitsfeldmütze M 1917 der alten Armee an, schwarzer Reichsadler mit rotem Schnabel besaß aber als Neuerung einen feldgrauen und Fängen auf goldfarbenen Grund zu Stoffschirm. Durch die Einführung der Dienstrock M 1920 für einen Ober- sehen. Die Kokarde wies damit die neuen Schirmmütze, die bis dahin nur den Offi- feldwebel Reichsfarben schwarz-rot-gold auf. zieren und Unteroffizieren vorbehalten Gesiegelte Probe nach der Verfügung war, erfuhr das äußere Erscheinungsbild Bei einem „truppendiensttuenden Ober- kelgrüner, silbern durchzogener Borte. über die Bekleidung und Ausrüstung des aller Mannschaftsdienstgrade eine Auf- feldwebel“ handelt es um denjenigen Die in der alten Armee übliche Schützen- Reichsheeres vom 22. Dezember 1920. Da wertung. Unteroffizier, der in einer Kompanie für schnur wurde erst wieder im Juni 1936 es sich bei der Mütze um ein Muster han- Anstatt der vorschriftsmäßigen Stoffko- den gesamten inneren Dienstbetrieb ver- eingeführt. delt, wurde auf die Landeskokarde ver- karde wurden häufig noch Metallkokar- antwortlich war. zichtet. den getragen, wie bei dieser Mütze mit Das charakteristische Kennzeichen für preußischer Kokarde sichtbar. diese Dienststellung waren seit 1922 zwei Ringe aus Unteroffizierstresse um beide Dienstmütze für Mannschaften und Unteroffi- Unterärmel des Rockes. Dienstrock M 1920 für einen truppendiensttuen- ziere der Infanterie M 1920, Wolle, Baumwolle, Feldmütze üf r Unteroffiziere und Mannschaften den Oberfeldwebel im 2. (preußischen) Pionier- Leder. M 1919, Wolle, Baumwolle. Am linken Ärmelaufschlag befindet sich Bataillon, 1921, Wolle, Baumwolle. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. H 12917 Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0493-1994 zudem eine Schießauszeichnung aus dun- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. H 12004 334 | 11: Frieden von Versailles und die Formation der Reichswehr 11: Frieden von Versailles und die Formation der Reichswehr | 335

Stahlhelm M 1918 mit bayerischem Wappen Probetafel mit Landeskokarden

Seit der allgemeinen Einführung der Mit der Beibehaltung von Landeskenn- dienstgradgruppenabhängige Form der Stahlhelmwappen für das Reichsheer im zeichen blieb die Erinnerung an das Kon- Kokarden endgültig der Vergangenheit Juni 1922, deren Aussehen und Größe tingentsheer des Kaiserreichs und dessen an. nun verbindlich festgeschrieben wurde, verschiedene Traditionen gewahrt. Die in verschwanden in der bayerischen Reichs- der Reichswehr getragenen Landeskokar- wehr alle vorab und oft nach eigenem den entsprachen denen der alten Armee, Probetafel mit Landeskokarden, 1928. Nachprobe Stahlhelm M 1918 mit bayerischem Wappen in des Heeresbekleidungsamtes Berlin vom 28. März Geschmack gestalteten Wappenschilde der Form ab 1922, Stahl, Leder. allerdings nur in der Ausführung für 1928, Pappe, Metall. am Helm. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0295-1968 Offiziere. Damit gehörte die frühere und Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. VF 145 336 | 11: Frieden von Versailles und die Formation der Reichswehr 11: Frieden von Versailles und die Formation der Reichswehr | 337

Soldatengruppe des 21. Infanterie- Reichswehrsoldaten mit Regiments Feldmützen Obwohl ein Großteil der abgebildeten pen- oder Felddienstübungen erhielt die Während des täglichen Dienstes wurden schnüre und Armspiegel weg. An deren Soldaten bereits die Uniformen nach den gegnerische Partei zur Unterscheidung weiche, bequeme Feldmützen getragen, Stelle waren farbig paspelierte Schulter- Anzugsbestimmungen von 1920 tragen, 1921 zuerst ein blaues Helmband aus Lei- die problemlos in der Tasche oder im klappen mit der Truppenbezeichnung in die einen Vier-Taschen-Rock vorschrieben, nen, das sich aber aus optischen Gründen Brotbeutel verstaut werden konnten. Im der Waffenfarbe getreten. Das Bild zeigt sind zwei Angehörige noch mit der Feld- nicht bewährte und 1927 durch ein rotes Gegensatz zu der gesteiften Dienstmütze, Soldaten des 21. Infanterie-Regiments im bluse M 1915 der alten Armee ausgestattet, ersetzt wurde. die die neue Adlerkokarde und die Lan- Manöver. an denen aber bereits die neuen Effekten deskokarde zeigte, wurde auf der Feld- angebracht sind. Der Hornist links im Bild mütze nur die Landeskokarde getragen. trägt sogenannte „Schwalbennester“ an Nach den Bekleidungsbestimmungen von Fotografie, nach 1920. beiden Oberarmen, die Musiker zu allen Fotografie, 1926. 1920 fielen für Mannschaften die Schulter- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. T 564.90 Anzugsarten tragen mussten. Bei Trup- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. T 564.292 339 12: Eine neue Sicherheits- architektur für Bayern

Die bayerische Landespolizei und die Einwohnerwehr Bayern sollten im Landesinnern die Sicherheitslücke schließen, die durch die Heeresverminderung aufgrund des Versail- ler Vertrags entstanden war. Die innere Sicherheit des Kaiserreichs beruhte auf einer zahlenmäßig schwachen Polizei, hinter der eine große Armee stand, deren Garnisonen über das ganze Land verteilt wa- ren. Die kleine Reichswehr der Republik war dieser Aufgabe allein nicht mehr gewach- sen. Deshalb kam es in ganz Deutschland zum Aufbau kasernierter Polizeiformationen, die in „Hundertschaften“ gegliedert waren. Preußen hatte seine „Schutzpolizei“ in blau- en Uniformen, während ihr bayerisches Gegenstück, die „Landespolizei“, im traditionel- len Grün der bayerischen Gendarmerie gekleidet war. Die „Einwohnerwehr Bayern“ verdankte ihre Existenz der Furcht vor neuen kommunis- tischen Umsturzversuchen. Eine allgemeine Volksbewaffnung sollte diese Gefahr ban- nen. Bis ins letzte Dorf verteilte man Militärgewehre aus den Beständen, die der Krieg hinterlassen hatte. Auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung zählte die Einwohnerwehr 360.000 Mitglieder. Die Siegermächte stuften sie als verbotene Wehrersatzorganisation ein und erzwangen 1921 ihre Auflösung. 340 | 12: Eine neue Sicherheitsarchitektur für Bayern 12: Eine neue Sicherheitsarchitektur für Bayern | 341

Bürger in Waffen Abzeichen der Einwohnerwehr Diese Männer gehören zur Einwohner- Die Mitglieder der Einwohnerwehr Bay- Armbinde mit Schild der Einwohnerwehr Mün- wehr München. Sie sind mit Gewehren ern waren nicht uniformiert. Als Kenn- chen, Baumwolle, Stahlblech, 8,5 x 18,5 cm. 98 und einem Maschinengewehr 08/15 zeichen trugen sie weißblaue Armbinden, Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. E 7211 bewaffnet. auf denen ein zusätzliches Abzeichen der Junge Männer fehlen auf dem Bild. Es Abzeichen der Einwohnerwehr, Gau Straubing, lokalen Unterorganisation aufgelegt sein Stahlblech, 5,1 x 4,1 cm. waren vor allem die älteren Jahrgänge, die Fotografie, München 1919. konnte. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. H 15722 sich in der Einwohnerwehr engagierten. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0787-1993.b.1 342 | 12: Eine neue Sicherheitsarchitektur für Bayern 12: Eine neue Sicherheitsarchitektur für Bayern | 343

Der „Protektor“ Schützenscheibe

Gustav von Kahr, Regierungspräsident Hinter ihm steht Georg Escherich, der Diese „Ehrenscheibe“, gegeben von Franz von Oberbayern und seit März 1920 „Landeshauptmann“ der Einwohnerwehr von Epp zum „1. Landesschießen“ der Ministerpräsident von Bayern, hielt seine Bayern, rechts der damals allgegenwärtige Einwohnerwehren, zeigt anschaulich die Hand über die Einwohnerwehr, so lange Franz von Epp. politisch-soziale Vorstellungswelt der es eben ging. Hier zeigt er sich am 26. Sep- Organisation: Ein kerniger, bewaffneter tember 1920 auf dem Königsplatz in Mün- Bauer mit weißblauer Fahne und ein Sol- Schützenscheibe, Ölfarbe auf Holz, Durchmesser chen beim Begrüßungsakt anlässlich des Fotografie, München 1920. dat zu Pferde halten von den Bergen aus 74 cm. „1.Landesschießens“ der Einwohnerwehr. Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-5595 Wache über das Bayernland. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. T 865 344 | 12: Eine neue Sicherheitsarchitektur für Bayern 12: Eine neue Sicherheitsarchitektur für Bayern | 345

Denkmünze zur Erinnerung an das Machtdemonstration Landesschießen der Einwohner- wehren Bayern 1920 Mindestens 40.000 Einwohnerwehr-Män- schen Druck zur Auflösung der Wehren ner nahmen am „1. Landesschießen“ der verstärkte. Das „Landesschießen“ war eine Veranstal- kerung demonstrieren und den politi- Einwohnerwehr Bayern teil. Dieses selbst- tung der bayerischen Einwohnerwehren schen Charakter der Veranstaltung verde- bewusste Auftreten entsprach ihrer star- in München vom 26. September bis zum cken. ken Stellung in Bayern, doch war die 2. Oktober 1920. Existenz der Organisation international Die Gestaltung der Denkmünze mit Maria keineswegs abgesichert. Fotopostkarte aus dem Fotoalbum des ehem. als „Patrona Bavariae“ sollte wohl die tiefe Denkmünze zum Landesschießen der Einwoh- Chevaulegers Albert Henle aus Regensburg, nerwehren, Buntmetall, Eisen, Seide. Ihr bewaffnetes Auftrumpfen in München Fotografie. Verwurzelung der Einwohnerwehren in Durchmesser 33 mm. sorgte dafür, dass Frankreich den politi- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0889-2007.12 der bäuerlichen katholischen Landbevöl- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0288-2017 346 | 12: Eine neue Sicherheitsarchitektur für Bayern 12: Eine neue Sicherheitsarchitektur für Bayern | 347

„Die Form ist zerschlagen, der Geist lebt fort!“ Bewaffnung Im Juni 1921 musste die Einwohnerwehr ken, hatte kurz zuvor das 51. Lebensjahr Die Einwohnerwehr Bayern absorbierte Im März 1920 ordnete die Landesleitung unter dem Druck der Siegermächte aufge- vollendet und befand sich somit in einem erstaunliche Mengen an militärischer Aus- an, alle Gewehre mit dem Zeichen „EWB“ löst werden. Das vom Landeshauptmann für viele Wehrmänner typischen, vorge- rüstung, insbesondere Infanteriewaffen. als Eigentum der Organisation zu kenn- Georg Escherich unterschriebene Erinne- rückten Lebensalter. Hauptwaffe war das Gewehr 98, dessen zeichnen. rungsblatt schmückt sich mit Symbolen Produktion in der zweiten Kriegshälfte der Wehren: dem bayerischen Löwen, den Bedarf der Armee bei weitem über- der weißblauen Armbinde und einem troffen hatte. Die gewaltigen Lagerbe- Gewehr. Gewehr 98, Stahl, Buchenholz, Hersteller: Schmuckblatt, Chromolithographie, Druck auf stände wurden zur Einwohnerwehr trans- Gewehrfabrik Amberg 1918, Länge 125 cm. Der Empfänger des Blattes, der ehemalige Papier, 30 x 20,1 cm. feriert. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. N 2068 Schriftwart der Kreisleitung Unterfran- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0270-2017.2 348 | 12: Eine neue Sicherheitsarchitektur für Bayern 12: Eine neue Sicherheitsarchitektur für Bayern | 349

„Bayern und Reich“

Der „Bund Bayern und Reich“ des Sani- sche“ Reichsadler der Kaiserzeit wird von tätsrates Dr. Otto Pittinger (1878-1926) war weißblauen Streifen umrahmt und ist mit als Auffangorganisation der Einwohner- einem mächtigen bayerischen Wappen- wehren gedacht. schild belegt. Und bei genauem Hinsehen Geheime Waffenlager Im Jahr 1923, auf dem Höhepunkt seiner findet man auch die Farben Schwarz, Rot Entwicklung, zählte der Bund annähernd und Gold. Anlässlich ihrer Auflösung musste die Die linke Detailaufnahme zeigt das 57.000 Mitglieder. Damit war er zwar der Einwohnerwehr auch ihre Waffen abge- ursprüngliche Visier eines Gewehr 98 größte der „vaterländischen Verbände“ in ben, die dann zerstört wurden. Es gelang (Inv.-Nr. N 2068). Rechts ist das neue Bayern, blieb aber weit hinter der früheren ihr aber, erhebliche Waffenmengen bei- Visier aus dem Jahr 1935 zu sehen. Einwohnerwehr zurück, deren Bedeutung seite zu schaffen. er nicht annähernd erlangte. Dieses Gewehr blieb damals erhalten und Fahne, Baumwolle, mit Ölfarbe bemalt, Gewehr 98, Stahl, Nußholz, Hersteller: Gewehr- Durchaus bemerkenswert ist die Symbol- 144 x 130 cm. wurde 1935 mit einem neuen Visier verse- fabrik Amberg 1917, Länge 125 cm. sprache der Vereinsfahne: der „preußi- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 008484 hen. Leihgabe Privatsammlung Anzenkirchen 350 | 12: Eine neue Sicherheitsarchitektur für Bayern 12: Eine neue Sicherheitsarchitektur für Bayern | 351

Hauptmann der Landespolizei

In den vorläufigen Anzugsordnungen für die Landespolizei Bayern vom 1. August 1922 und 26. Mai 1923 wurde eine neue Dienstkleidung festgelegt. Sie sollte aus einem stahlgrünen Rock, schwarzen Ärmelaufschlägen und schwarzem Kra- gen bestehen. Offiziere trugen silberge- Kartusche der Landespolizei Bayern stickte Doppellitzen auf einer schwarzen Tuchunterlage und Schulterstücke, die Im Jahre 1923 hatte der Heraldiker und sich in der Ausführung am Reichsheer ori- Kunstmaler Otto Hupp ein neues Staats- entierten. Der mit stahlgrünem Tuch über- wappen für den Freistaat Bayern geschaf- zogene Ledertschako war für alle Dienst- fen, folgte dabei aber bewusst historischen grade gleich. Überlieferungen. Anstelle der monarchi- schen Krone lag aber jetzt die Volkskrone über dem bayerischen Wappen. Im Zuge Figurine eines Hauptmanns der Landespolizei der aller deutschen Län- Kartusche der Landespolizei Bayern, Landes- Bayern ab 1923. der ab 1933 wurde das Wappen im Jahre polizeiabteilung Coburg, ab 1923, Leder, Metall Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr.n 0202-1963 versilbert, 9,5 x 17 x 4 cm. (Tschako); 0358-1968 (Dienstrock); MBP 4-10285 1936 von den Nationalsozialisten verbo- Bayerisches Armeemuseum, Polizeisammlung, (Hose); WR 123 (Stiefel); 0564-2002 (Gürtel) ten. Inv.-Nr. 3-3353 352 | 12: Eine neue Sicherheitsarchitektur für Bayern 12: Eine neue Sicherheitsarchitektur für Bayern | 353

Erinnerungskrug der Polizeivor- schule Effekten eines Oberwachtmeisters der Landespolizei Um die Ausbildung der Polizeibeamten zu „Zu einer Zeit, wo der bayerische Löwe verbessern, wurden für die Landespolizei schlief, gab ich der Landespolizei den Pan- Die gezeigten Effekten vermitteln eine einer Eichel und das Koppelschloss mit entsprechende Schulen gegründet. Der ther!“ Damit spielte er auf die politischen Übersicht über die Uniformierung der der Krone, das sich von dem der ehemals Unterricht für Polizeianwärter an der ers- Unruhen der frühen 1920er Jahre an. Mannschaften und Unteroffiziere der königlichen bayerischen Armee nicht ten sogenannten Polizeivorschule in Eich- Landespolizei Bayern im Zeitraum 1922 unterscheidet. stätt begann am 1. März 1921. Die zweite bis 1926. Im Gegensatz zu den Offizieren Polizeivorschule wurde 1928 in Bamberg trugen die übrigen Dienstgrade an den errichtet. Auf dem Krug ist das Wappen- vorderen Kragenecken statt der gestickten tier der Landespolizei Bayern zu sehen, ein Bierkrug der Polizeivorschule Bamberg der Lan- Doppellitzen ein versilbertes doppeltes Tafel mit Bild und Effekten des Oberwachtmeis- sitzender Panther. Zur Entstehung schrieb despolizei Bayern, um 1923, Steingut, Zinn. Eichenlaub mit einer Eichel in der Mitte. ters Bauer der Landespolizei Bayern, um 1926, Höhe 15,5 cm. 50 x 22,5 cm. der Gründer und langjährige Komman- Bayerisches Armeemuseum, Polizeisammlung, Bemerkenswert sind die Schießauszeich- Bayerisches Armeemuseum, Polizeisammlung, deur der Landespolizei Hans von Seißer: Inv.-Nr. 4-12889 nung, ein grünes geflochtenes Band mit Inv.-Nr. 3-3639 355 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch

Mit dem Kapp-Putsch in Berlin begann eine Phase extremer politischer Instabilität, die im Jahr 1923 einen dramatischen Höhepunkt erreichte. Der Kapp-Putsch vom März 1920 war ein konterrevolutionärer Staatsstreich gegen die sich gerade etablierende Demokratie. Der Putsch scheiterte schon nach wenigen Tagen, doch wurde offenkundig, wie stark und unversöhnt die Anhänger der Monarchie noch waren, insbesondere in der Armee. In Bayern führte der Putsch zur Ernennung Gustav von Kahrs zum Ministerpräsidenten. Kahr baute Bayern zur „Ordnungszelle“ aus, in der rechtsradikale und sogar rechtster- roristische Kräfte einen sicheren Hafen fanden. 1923 überstürzten sich die Ereignisse: Frankreich besetzte aus nichtigem Anlass das Ruhrgebiet und löste damit eine ebenso leidenschaftliche wie letztlich machtlose Empö- rung in Deutschland aus. Davon profitierte vor allem die nationale Rechte. Durch die rasch voranschreitende Inflation lösten sich die Geldvermögen der Deutschen in wenigen Monaten in Nichts auf. In dieser Lage erscholl in Deutschland und insbesondere in Bayern der Ruf nach einem starken Mann, wie ihn Italien in Mussolini bereits gefunden zu haben schien. Viele hiel- ten Adolf Hitler für diesen Retter. Dieser vermeintliche Arbeiterführer von Rechts unter- hielt enge Kontakte zu Politik, Polizei und Reichswehr in Bayern. Im letzten Augenblick verweigerten ihm diese mächtigen Partner aber die Gefolgschaft, so dass sein Griff nach der Macht am 9. November 1923 scheiterte. 356 | 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch | 357

Walther von Lüttwitz (1859-1942)

Im März 1920 war General Walther von Lüttwitz‘ wichtigstes Machtmittel war die Lüttwitz der ranghöchste Offizier der Marinebrigade Ehrhardt, die in der Nähe Wolfgang Kapp (1858-1922) Reichswehr und Chef des Reichswehr- Berlins stationiert war. Gruppenkommandos 1 in Berlin. Die Aufnahme zeigt Lüttwitz im hellen Kapp war ein hoher preußischer Verwal- Die Unterzeichnung des Versailler Ver- Mantel im Gespräch mit Generalleutnant tungsbeamter, der im Weltkrieg durch trages hatte den hochkonservativen Offi- Bernhard von Hülsen. maßlose Annexionsforderungen bekannt zier zu einem entschiedenen Gegner der geworden war. Reichsregierung gemacht. Im September Durch den Putsch, der seinen Namen trug, 1919 hatte er dem Reichskanzler geschrie- sollten die bestehende Reichsregierung ben: „Alles sehnt sich nach der starken Fotopostkarte Berlin 1920, Fotografie. entmachtet und ein autoritär-nationales Postkarte nach Fotografie, Offsetdruck. Hand, die Ordnung schafft.“ Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. T 93.b Regime aufgerichtet werden. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. T 450 358 | 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch | 359

Fahne der Marinebrigade Ehrhardt

Diese Einheit war im Februar 1919 als Im Februar 1920 war die Auflösung der und Handwerker. Wir haben Lust zum festgehalten, die II. Marinebrigade Ehr- „2. Marinebrigade“ in Wihelmshaven aus Brigade für den März verfügt worden. Dienst. Mancher ist auch gekommen, hardt. Leichtenstern hatte auf verschie- freiwilligen Marineangehörigen aufge- Das gab den Anlass für den überstürzten weil er arbeitslos war. Und nun sagte die denen Schiffen der kaiserlichen Marine stellt und kurz darauf in die Garde-Kaval- Beginn des Putsches. Damals umfasste Regierung, wir sollen aufgelöst werden. gedient, zuletzt auf dem Großen Kreuzer lerie-Schützendivision integriert worden. die Brigade ca. 4.000 Mann. Viele Solda- Da kann man sich doch glatt aufhängen. Hindenburg. Mit ziemlicher Sicherheit Man findet sie an vielen Brennpunkten ten blieben nur deshalb bei dem Verband, Im Zivil kriegt keiner von uns Arbeit, da stammt die Flagge aus Marinebeständen. der Nachkriegskämpfe: In Mitteldeutsch- weil die Boykottpolitik der Gewerkschaf- heißt es, raus mit dem Noskehund. Und Leichtenstern verließ die Marine 1922 als land, beim Einsatz gegen die Räterepub- ten ihnen die Rückkehr ins Zivilleben schlimmer als Noskehund ist Baltikumer, Oberleutnant. lik und im Baltikum. Von einer personel- abschnitt, wie der Brief eines Brigadean- da wird man einfach kaltgemacht.“ len Kontinuität in der Einheit kann man, gehörigen zeigt: Bei der hier gezeigten Fahne handelt es wie bei den Freikorps üblich, nur bedingt „Sehen Sie, lieber Herr, wir sind alles ein- sich um die Kriegsflagge des Kaiserreichs. sprechen, da eine erhebliche Fluktuation fache Leute. Keine Studenten und ver- Handschriftlich ist als Besitzer ein Leut- Reichskriegsflagge, Baumwolle, 124 x 190 cm. herrschte. kleidete Monarchisten, sondern Arbeiter nant zur See Leichtenstern und die Einheit Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0818-1985 360 | 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch | 361

Putschisten in der Defensive

Die Marinebrigade konnte Berlin wider- nach wenigen Tagen zusammen. Die Bri- standslos besetzen, da Hans von Seeckt, gade wurde auf den Truppenübungsplatz „Die Lüge vom monarchistischen der Chef des Truppenamtes der Reichs- Munster verlegt und am 20. April 1920 Putsch!“ wehr, sich geweigert hatte, den Putschis- offiziell aufgelöst. ten Einheiten der Reichswehr entgegen Das Bild zeigt, dass die Putschisten sich Schon die Überschrift der vorbereiteten zu stellen („Truppe schießt nicht auf gegen den Verdacht wehren mussten, die Wandanschläge der Putschisten zeigt, wie Truppe“). Da aber die Reichsbehörden Monarchie wiederherstellen zu wollen. sehr sie sich in der Defensive befanden nicht bereit waren, den Anordnungen des und ihrer Sache selbst nicht sicher waren: neuen „Reichskanzlers“ Kapp Folge zu Statt mit zündenden Worten für attraktive leisten und ein Generalstreik, der größte Ziele zu werben, verteidigen sie sich vor- der deutschen Geschichte, das öffentli- Fotopostkarte, Berlin 1929. beugend gegen vermeintliche Missdeu- Wandanschlag, Druck auf Papier, 97,8 x 67,8 cm. che Leben lahmlegte, brach der Putsch Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. T 93.e tungen ihrer Motive. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0058-2009 362 | 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch | 363

Ruhrkampf

Einen Rückstand in den deutschen Repa- Kanzler des Reichs, brach den Ruhrkampf rationsleistungen nahm Frankreich, unter- am 26. September offiziell ab. stützt von Belgien, im Januar 1923 zum Die französische Republik wird auf diesem Anlass, das Ruhrgebiet zu besetzen. Die- Plakat von ihrer weiblichen Symbolfigur, ser Gewaltakt sorgte in der deutschen einer Marianne, dargestellt. Sie ist bewaff- Öffentlichkeit für eine lange nicht mehr net und durch ihre leichte Bekleidung als gekannte Einigkeit. sittenlos gekennzeichnet. Der dunkle Teint Militärische Gegenwehr war zwecklos, soll ein Hinweis auf den Einsatz französi- „Denkt an die dreizehn Kruppschen daher versuchte man es mit „passivem scher Kolonialtruppen sein. Die stachel- Arbeiter“ Widerstand“. Alle Reparationsleistun- förmig gebildeten Industrieschlote, an gen wurden eingestellt, die Beamten und denen sie sich verletzt, versinnbildlichen Am 31. März 1923 versuchte französisches überall anbringen, um den Widerstands- Arbeiter der Deutschen Reichsbahn ver- den Ruhrwiderstand. Militär, bei Krupp in Essen Fahrzeuge zu willen der Bevölkerung zu stärken. weigerten den Besatzern jeden Dienst. beschlagnahmen. Als Arbeiter das ver- Deutschland war aber in der Zeit der hindern wollten, schossen die Soldaten in Hochinflation wirtschaftlich nicht in der die Menge, wobei dreizehn Männer getö- Plakat, Entwurf: Theo Matejko 1923, Farblithogra- Lage, diesen Widerstand durchzuhalten. phie, 94,8 x 72 cm. tet wurden. Dieser kleine Klebezettel ließ Klebezettel, 3,1 x 8 cm. Gustav Stresemann, seit dem August 1923 Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0832-1990.h sich auch im Besatzungsgebiet unauffällig Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0314-1991 364 | 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch | 365

Inflation

Der Verfall der deutschen Währung verband ich das Vergnügen, das ich dabei beschleunigte sich seit 1922 dramatisch empfand, mit der Genugtuung, die aufge- und erreichte 1923 ein apokalyptisches störten Beamten zu beobachten, die oft- Ausmaß. Diese Postkarte illustriert die mals schlüsselbundrasselnd auf dem Hofe Geldentwertung am Beispiel von Brief- oder auf den Gängen standen und dick- marken. gefüllte Brieftaschen voller zerfledderter Wertloses Geld Ernst von Salomon, der wegen des Mor- Geldscheine mit einem Ausdruck betrach- des am Walther Rathenau eine Zuchshaus- teten, in dem sich Rausch, Verzweiflung Der Wert der neu gedruckten Scheine identisch war. Der Wert einer Rentenmark strafe abbüßte und die bürgerliche Welt und völliges Unbegreifen seltsam spie- löste sich in wenigen Tagen völlig auf. wurde mit 1 Billion Papiermark festge- verachtete, erfuhr durch solche Marken gelte.“ Doch erhielten sie bis zuletzt den bekann- setzt, die zunächst weiter als Zahlungsmit- von der Inflation und freute sich an der ten Aufdruck: „Wer Banknoten nachmacht tel im Umlauf blieben. Verzweiflung seiner Aufseher: oder verfälscht …“ „Als der Nennwert der Briefmarken von Postkarte „Zur Erinnerung an die Markentwer- Am 15. November 1923 begann die Ablö- tung im Zeichen der Nullen“, Druck mit aufge- den Hunderttausenden zu den Millionen, klebten Briefmarken, 9 x 14 cm. sung der Papiermark durch die neue Ren- Reichsbanknote „Eine Milliarde“, 6,5 x 12,5 cm. von den Millionen zu den Milliarden stieg, Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. T 482.c tenmark, die mit der späteren Reichsmark Leihgabe Wernitz 366 | 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch | 367

„Deutscher Tag“ in Nürnberg, 1./2. September 1923 Hitler beim „Deutschen Tag“ in Bayreuth, 30. September 1923 Unter der Herrschaft des Ministerpräsi- „Deutschen Tagen“ präsentierte sich ein denten Gustav von Kahr wurde Bayern breites Spektrum von im weitesten Sinn Die „Deutschen Tage“ des Jahres 1923 Ehrhardt und seine Getreuen! Donner- zum Asyl für zahlreiche rechtsextreme „vaterländischen“ Kräften. Die jungen befeuerten die Spannung, die sich im wetter, wird das eine Sache werden: Glo- Personen aus dem nördlichen Deutsch- Nationalsozialisten drängten bereits in November im Hitlerputsch entladen sollte. ckengeläut, Böllergebrüll, Girlanden und land. den Vordergrund: Hier paradiert die SA. Hermann Schützinger, ehemaliger bayeri- Blumen, stampfende Bataillone, fliegende Die prominentesten Köpfe waren der scher Offizier, Sozialdemokrat und Chef Fahnen, blitzende Orden, geschwellte Weltkriegsgeneral Erich Ludendorff und der sächsischen Landespolizei, beschrieb Brüste, gestärkte Hemden, winkende Frau- Kapitänleutnant Ehrhardt, dessen „Orga- die Atmosphäre dieser Tage so: en, kreischende Kinder, fettige Zylinder nisation Consul“ Attentate auf prominente „In ganz Deutschland spricht man schon und ölige Generale!“ Politiker organisierte. Wochen vorher davon, wenn irgendwo Völkisch-antisemitische Verbände konn- Postkarte, Nürnberg 1923, Fotografie. ein ‚deutscher Tag‘ stattfindet. Hinden- Fotografie 1923. ten sich ungehindert entfalten. Auf den Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0654-1982.93 burg und Ludendorff kommen, Kapitän Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-6572 368 | 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch | 369

„Hitler spricht!“

Das vielleicht wirkungsvollste Propagan- „Ich sah ihn wiederholt und hörte ihn damittel der Nationalsozialisten war die reden. Alle schwierigen Fragen wußte er Rednergabe Adolf Hitlers. auf einen einfachen Nenner zu bringen „Riesenkundgebung auf dem Die Bierkeller Münchens und der hier und seine Zuhörer für die klaren und fol- Königsplatz“, 14. Januar 1922 abgebildete Saal des Zirkus Krone mit gerichtigen Lösungen zu begeistern. Er ist damals 4.000 Sitzplätzen waren geeig- ein ganz großer Redner. Ich habe solche Die Nationalsozialisten drängten von An- nete Orte, seine rednerischen Fähigkeiten Beifallsstürme noch nie erlebt.“ fang an mit großer Energie in den öffent- anzuwenden. lichen Raum. Die weite offene Fläche am Ein Leutnant der Münchner Infanterie- Königsplatz in München, eingerahmt von schule, die sich den Putschisten ange- stolzen klassizistischen Bauwerken, eig- Flugblatt, Druck auf Papier, 24 x 16,5 cm. schlossen hatte, beschrieb im Dezember Pressefoto „Hitler spricht!“, Fotografie. nete sich gut für Großveranstaltungen. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. T 404 1923 Hitlers Wirkung als Redner so: Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-6769 370 | 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch | 371

„Uniform“ für die SA mit Haken- kreuzbinde Erste Anläufe Während in den Jahren 1920 bis 1923 ehe- gung“ symbolisieren. Als gemeinsames Am 1. Mai 1923 veranstalteten die „vater- malige Soldaten, die in die nationalsozia- Kennzeichen wurde von allen am linken ländischen Verbände“ einen großen, be- listische Sturm-Abteilung (SA) eintraten, Arm die „Kampfbinde“, ein rotes Band waffneten Aufmarsch auf dem Oberwie- ihre Uniformen weitertrugen, legten sich mit schwarzem Hakenkreuz in einem wei- senfeld. Von außen angereiste Teilnehmer die Mitglieder, die vorher nicht Soldaten ßen Kreis, getragen. hatten in der Münchner Pionierkaserne gewesen waren, grau-braune Windja- Unterkunft und Verpflegung erhalten. Der cken als Uniformersatz zu. Diese wetter- Windbluse aus Segeltuch mit Hakenkreuz- Griff nach der Macht lag schon an diesem Fotografie 1923. feste „Sportkleidung“ war nicht zufällig Armbinde, Baumwolle. Tag in der Luft. Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-6545 gewählt: Sie sollte die Dynamik der „Bewe- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0512-1990 372 | 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch | 373

„Proklamation an das deutsche Volk!“

Marsch auf Rom Maueranschläge waren ein übliches Mittel Oberst von Seißer. Beide hatten aber in der zur Information und Beeinflussung der Nacht vom 8. auf den 9. November kalte Mussolinis „Marsch auf Rom“ hatte im Bevölkerung. Mit diesem Aufruf gaben Füße bekommen und sich aus dem Unter- Oktober 1922 zur Machtergreifung der die Putschisten ihren Griff nach der Macht nehmen zurückgezogen, was wesentlich Faschisten in Italien geführt. bekannt, als sei er bereits eine vollzogene zu seinem Scheitern beitrug. Er war das große Vorbild der „vaterlän- Tatsache. dischen“ Kräfte in Bayern, die das gleiche Er trägt noch die Unterschriften des mit einem Marsch auf Berlin versuchen Pressebild, Fotografie 1922. Reichswehrgenerals von Lossow und des Wandanschlag, Druck auf Papier, 47 x 30 cm. wollten. Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-6065 Chefs der bayerischen Landespolizei, Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0467-1982 374 | 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch | 375

Ärmelband „Stoßtrupp Adolf Hitler 1923“ „Stoßtrupp Adolf Hitler“ Im Mai 1923 als Leibwache Adolf Hitlers Ärmelstreifen mit der Aufschrift „Stoß- Diese Formation der NSDAP war im Mai Nach dem Putsch wurde die Truppe ver- gegründet, beteiligte sich der Stoßtrupp trupp Adolf Hitler 1923“, der am rechten 1923 als Leibwache Adolf Hitlers gegrün- boten. In ihrer Nachfolge entstand im Hitler im November 1923 am Putsch in Ärmel des Dienstrocks wie auch des Uni- det worden. Hier besteigen Angehörige April 1925 die „Schutzstaffel“ (SS). München und wurde daraufhin verbo- formmantels getragen werden sollte. der Truppe am Morgen des Putschtages ten. In seiner Nachfolge entstand im April einen LKW vor dem Bürgerbräukeller. Sie 1925 die Schutzstaffel (SS). Am 9. Novem- Ärmelband „Stoßtrupp Adolf Hitler 1923“ Wolle, sind bewaffnet und wie Infanteristen aus- Fotografie 1923. ber 1935 verlieh Adolf Hitler allen ehema- Aluminiumfäden. 3,2 x 44,2 cm. gerüstet, die ins Gefecht gehen. Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-6605 ligen Angehörigen des Stoßtrupps einen Privatbesitz 376 | 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch | 377

Die Entscheidung

Putschisten vor dem Kriegs- Die Putschisten zogen vom Bürgerbräu- Die Fotografie scheint den Moment ministerium keller in der Rosenheimer Straße über den unmittelbar vor der Feuereröffnung fest- Marienplatz zum besetzten Wehrkreis- zuhalten. Das Bild ist aber reine Fiktion. Es gelang den Putschisten, das alte bay- dort gut auskannte. Der Fahnenträger auf kommando. Als sie bei der Feldherrnhalle Tatsächlich handelt es sich um eine Foto- erische Kriegsministerium im der Lud- dem Foto ist der damals 23-jährige Hein- aus der Residenzstraße heraustraten, stie- montage. Hitler, im hellen Mantel, bildet wigstraße zu besetzen, damals Sitz des rich Himmler. ßen sie auf bayerische Landespolizei. Es den Mittelpunkt des Arrangements. bayerischen Wehrkreiskommandos der kam zu einem Schusswechsel, bei dem Reichswehr. vier Landespolizisten, dreizehn Putschis- Die Aktion leitete der beurlaubte Reichs- Fotografie München 1923. ten und eine unbeteiligte Person getötet Fotomontage, Fotografie. wehrhauptmann Ernst Röhm, der sich Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-6604 wurden. Hitler konnte fliehen. Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-6609 378 | 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch | 379

Generalleutnant Adolf Ritter von Ruith (1872-1950) Otto von Lossow (1868-1938) Der bayerische Generalstaboffizier Ritter November 1923 hinter die Heeresleitung 1923 war der gebürtige Oberfranke Los- wie er im März 1924 vor dem Volksgericht von Ruith konnte nach dem Ersten Welt- in Berlin und damit gegen Hitler und sow Befehlshaber im Wehrkreis VII – Bay- beim Prozess gegen die Putschisten aus- krieg seine Laufbahn in der Reichswehr Ludendorff. Am 1. Januar 1927 wurde er ern. Als es im September zu einem Kon- sagte: fortsetzen. Im Rang eines Obersten über- zum Kommandeur der 7. (Bayerischen) flikt zwischen dem Reich und Bayern kam, „Wir wollten die Hitler-Bewegung nicht nahm er 1922 das Kommando über das Division ernannt. Damit verbunden war stellte sich von Lossow unter Missachtung gewaltsam unterdrücken, sondern auf den 19. (Bayerische) Infanterie-Regiment in die Stellung als Befehlshaber im Wehrkreis von Befehlen seines Vorgesetzten Seeckt Boden des Möglichen und Erreichbaren München. Danach stieg er zum Infante- VII und Landeskommandant von Bayern. auf die Seite der bayerischen Staatsregie- stellen.“ rieführer VII auf, dessen Stab für die tak- rung und ließ sich zum „Landeskomman- tische Führung der Infanterie-Regimenter danten“ ernennen. der 7. Division verantwortlich zeichnete. Gemälde von Carlo Horn, 1928, Öl auf Leinwand, Mit den Zielen des Nationalsozialismus Porträt Otto von Lossow, Fotografie um 1923. Zusammen mit den Generalen Danner Bildmaße 108 x 91 cm. war Lossow grundsätzlich einverstanden, Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-2711 und Kreß stellte sich Ritter von Ruith im Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0055-2017 380 | 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch 13: Vom Kapp-Putsch zum Hitler-Putsch | 381

Der „Blutorden“ der Hitlerputschis- ten

Diese Auszeichnung wurde Anfang 1933 Offiziell galt der Blutorden als höchste Der Prozess von Adolf Hitler gestiftet und sollte nur Parteiauszeichnung der NSDAP und war an Nationalsozialisten der ersten Stunde das einzige deutsche Ehrenzeichen, das Den Putschisten wurde ein Prozess die politische Situation in Bayern treffend verliehen werden, die während des auf der rechten Brustseite getragen wurde. gemacht, in dem sie gnädige Richter fan- charakterisiert. Da der 9. November 1923 Putschversuches am 9. November 1923 in Träger dieses Exemplars war ein Ange- den. Auf der Zeichnung von Erich Schil- auf einen Freitag fiel, wurde er im Volks- München an einer Kampfhandlung teilge- höriger des am Putschversuch beteiligten ling ruft Gustav von Kahr den Schutz- mund als „Kahrfreitag“ ironisiert. nommen, aufgrund ihrer politischen Ein- SA-Regiments München. mann zu Hilfe, um den Brandstifter Hitler stellung den Beruf verloren bzw. um Ent- festzunehmen. In Wirklichkeit aber, so die lassung gebeten hatten oder an den Kampf- Aussage der Zeichnung, bildet Kahr selbst Titelseite des „Simplizissimus“ vom 17. März handlungen nur deshalb nicht teilnehmen 1924, Farblithographie. Ehrenzeichen vom 9. November 1923 (Blutorden), die Basis, von der Hitler die Fackel an das Bayerische Armeebibliothek, konnten, da sie durch die Polizei oder Silber, Durchmesser 40 mm. Staatsgebäude legen konnte. Damit war Sign. AP 29800 S 612, 26. Jg., H 51 höhere Gewalt daran gehindert wurden. Privatbesitz 383 14: Tradition nach dem Weltkrieg

Die „Ordnungszelle Bayern“ bot für eine militärische Traditionspflege, die sich bewusst an der Monarchie orientierte, einen günstigen Nährboden. Zwischen 1870 und 1914 hatte sich die militärische Erinnerungskultur ganz auf den sieg- reichen Krieg gegen Frankreich konzentriert. Nun musste man sich mit einer bitteren Niederlage abfinden, und das nach einem Krieg von unvergleichlich größeren Ausma- ßen, längerer Dauer und höheren Opfern. Die Armee, die diesen Krieg geführt hatte, war zwar untergegangen, aber viele ehema- lige Angehörige der alten Regimenter lebten noch. Sie und insbesondere die Offiziere organisierten sich in Traditionsverbänden und veranstalteten Veteranentreffen, die weit- hin einen militärischen Anstrich hatten. Das waren auch Demonstrationen für eine Rück- gewinnung der früheren Stärke des Landes. Das Bayerische Armeemuseum entwickelte sich zu einem Zentrum der militärischen Erinnerungspflege. In vielen Garnisonsorten der königlich-bayerischen Armee entstanden Denkmäler für die aufgelösten Truppenteile. Sie erinnern bis heute an die „Alte Armee“ und die vielen Toten, die der Krieg gefordert hatte. Man sollte nicht achtlos an ihnen vorübergehen. 384 | 14: Tradition nach dem Weltkrieg 14: Tradition nach dem Weltkrieg | 385

Beisetzung Ludwigs III.

Nach der Revolution in Bayern flüchtete Ludwig III. zunächst nach Österreich, kehrte später aber wieder nach Bayern zurück. Am 21. Oktober 1921 verstarb er während eines Aufenthalts in Ungarn. Seine Beisetzung in München organisierte Gustav von Kahr für eine „Privatperson“, weil ein Staatsbegräbnis nicht opportun erschien. Aber genau diesen Charakter hatte die Beisetzung am 5. November in München. Das Bild zeigt die Überführung Ludwigs und seiner bereits 1919 verstor- benen Frau in die Münchner Frauenkir- che. Auf den Stufen des Doms erwartet Michael Kardinal Faulhaber die Särge der Verstorbenen. Der Historiker Karl Alexander von Müller kommentierte den Charakter der Trauer- feierlichkeiten, die ganz im Geist und Stil der Monarchie abliefen: „Ich weiß nicht, ob viele junge Republiken ein ähnliches Schauspiel erlebt haben.“

Pressefoto von M. Obergassner, München 1921, Fotografie. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0848-1983 386 | 14: Tradition nach dem Weltkrieg 14: Tradition nach dem Weltkrieg | 387

Feldgraue Friedensuniform M 1916 des Prinzen Alfons von Bayern

Porträt des Prinzen Alfons von Bay- Am 24. September 1909 wurde Prinz die Unterscheidung der Regimenter durch ern (1862-1933) Alfons zum Inhaber des 1905 in Straubing die traditionellen vielfarbigen Abzeichen errichteten 7. Chevaulegers-Regiments er- nicht verzichten. Die Wittelsbacher hatten nach dem Ers- und als Schirmherr für Krieger- und nannt, das ab diesem Zeitpunkt den Na- Die für das gesamte Heer begonnene Her- ten Weltkrieg nicht auf den bayerischen Veteranenvereine sowie Schützenbünde men „Prinz Alfons“ führte. stellung dieser Uniformen für die Zeit Thron verzichtet, unterließen es aber, auftrat. Seine Präsenz setzte auf die mon- Die „Feldgraue Friedensuniform“ war ein nach dem (siegreichen) Friedensschluss diesen Anspruch in die Tat umzusetzen. archische Sehnsucht der Bayern und sollte Kompromiss: Schon nach einem Kriegs- wurde alsbald wegen Materialknappheit Trotzdem blieb die Vorstellung eines den Boden für eine friedliche Wiederein- jahr herrschte Einigkeit darüber, dass es gestoppt. Königtums unter dem Schutz der Entente führung des Königtums bereiten. kein Zurück zum „Bunten Rock“ der Vor- Waffenrock und Schirmmütze zur Feldgrauen in Bayern virulent und wurde noch einige kriegszeit mehr geben könne. „Feldgrau“ Friedensuniform M 1916, getragen von Prinz Jahre lebhaft diskutiert. Prinz Alfons war wurde zur gemeinsamen Ehren-Farbe der Alfons von Bayern als General der Kavallerie und der exponierte Vertreter des Hauses Wit- kämpfenden deutschen Heere überhöht. Inhaber des 7. Chevaulegers-Regiments, Tuch, Gemälde von Hermann Eissfeldt, 1921, Öl auf Baumwolle, Leder. telsbach, der die Verbindung zur bayeri- Leinwand, Bildmaß 128 x 98 cm. Gleichwohl wollte man auf die Pracht blit- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. VF 442 schen Reichswehr aufrechterhalten sollte Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0158-2012 zender Metallknöpfe und -tressen und auf (Rock), VF 442.a (Mütze) 388 | 14: Tradition nach dem Weltkrieg 14: Tradition nach dem Weltkrieg | 389

Luitpold-Kanoniere

Prinzregent Luitpold (1821-1912) hatte nördlichen Torhalle der im 2. Weltkrieg seine militärische Ausbildung bei der zerstörten Max-II-Kaserne. Später wurde Artillerie erhalten. Seit 1839 war er Inha- es auf den Münchner Nordfriedhof ver- ber des 1. und seit 1900 auch noch des neu bracht und gelangte 2004 durch den errichteten 7. bayerischen Feldartillerie- Kameraden- und Freundeskreis Prinzre- Regiments. Das war ein Ehrentitel, mit gent Luitpold Kanoniere e.V. ins Bayeri- dem keine militärischen Befugnisse ver- sche Armeemuseum. bunden waren. Er sollte die Verbindung zwischen Armee und Dynastie stärken. Beide Einheiten hatten ihren Friedenss- tandort in München. Denkmal der Luitpold-Kanoniere, Steinmetzar- beit von Heinrich Wadaré, Muschelkalk, Das Denkmal für die Gefallenen der Regi- 225 x 120 x 20 cm. menter befand sich ursprünglich in der Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0545-2004 390 | 14: Tradition nach dem Weltkrieg 14: Tradition nach dem Weltkrieg | 391

Heutiger Zustand des Denkmals 15er Denkmal Das 15. Infanterie-Regiment war eines der Die Straße ist nach dieser Einheit benannt In vielen bayerischen Garnisonsorten ent- ment, sondern auch an weitere Neuburger ältesten der bayerischen Armee. Es wurde – „Fünfzehnerstraße“. Als das Denkmal standen nach dem Krieg Denkmäler für Truppenteile, die erst während des Krie- 1722 von Kurfürst Max Emanuel in Ingol- errichtet wurde, hieß sie noch „Ludwig- die aufgelösten Truppenteile des alten ges aufgestellt wurden. stadt errichtet. straße“. Heeres. Das Denkmal für das ehemalige Hinter dem Denkmal erhebt sich die ehe- K.B. 15. Infanterie-Regiment in Neuburg malige Kaserne des 15. Infanterie-Regi- an der Donau wurde 1927 eingeweiht. Es Fotografie. ments, in der heute das Landratsamt Neu- erinnert nicht nur an das alte Friedensregi- Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0060-1974.128 burg-Schrobenhausen untergebracht ist. Foto: Dieter Storz, 2018 392 | 14: Tradition nach dem Weltkrieg 14: Tradition nach dem Weltkrieg | 393

„Leibertag“ „Einsertag“

Schon kurz nach dem Krieg veranstalte- Kronprinzen Rupprecht (rechts) und dem Der Regimentstag des ehemaligen K.B. 1. ten die aufgelösten Regimenter Ehemali- Grafen Theodor von Holnstein aus Bayern Infanterie-Regiments spielte sich in aus- gentreffen. Das Infanterie-Leib-Regiment unterhält. gesprochen militärischen Formen ab. Vor war das bayerische Gegenstück zur preu- der Münchner Residenz nehmen Kron- ßischen Garde. Im Weltkrieg hatte es prinz Rupprecht und sein Onkel Leopold Franz von Epp geführt, der sich hier in Fotopostkarte 1921, Fotografie. die Parade ab, beide in bayerischer Feld- Fotopostkarte 1922, Fotografie. Reichswehruniform mit dem bayerischen Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0301-2001.d marschallsuniform. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 1103-1983.3 394 | 14: Tradition nach dem Weltkrieg 14: Tradition nach dem Weltkrieg | 395

Vereinsfahne

Das K.B. Reserve-Infanterie-Regiment 18 Die Vorderseite der Fahne zeigt das war eine Münchner Einheit. Während des Münchnen Kindl, die Rückseite ist einer Krieges gingen ca. 13.000 Mann durch das bayerischen Infanteriefahne nachemp- Regiment, von denen 2.281 den Tod fan- funden. In den Ecken sind wichtige Ein- Wiedersehen außerhalb der Heimat den, 5.131 verwundet wurden und 897 in satzräume des Regiments eingestickt: Gefangenschaft gerieten. Das Regiment „Frankreich“, „Galizien“, „Rumänien“, Diese Feier fand wohl 1921 statt. Alle auf den Franzosen besetzt worden, so dass wurde schon im Oktober 1918 aufgelöst, „Karpathen“. Der Verein ehemaliger Regi- dem Plakat genannten Einheiten hatten man für das Wiedersehen nach Unterfran- also noch während des Krieges. Es gab mentsangehöriger wurde 1921 gegründet. ihren Friedensstandort in der Pfalz oder ken auswich. nicht mehr genügend „Ersatz“ zur Ergän- waren, wie das Reserve-Infanterie-Regi- zung der Verluste. Die Reste des Regi- Vereinsfahne, Leinen, Seide, Holz, Messing, ment 8, während des Krieges dort errich- Plakat von Becker, Farb-Lithografie, 80 x 59,8 cm. ments wurden auf andere Einheiten ver- 133 x 132 cm (Fahnenblatt). tet worden. Die Pfalz war jedoch 1918 von Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. N 3260 teilt. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0536-1982 396 | 14: Tradition nach dem Weltkrieg 14: Tradition nach dem Weltkrieg | 397

Hindenburg besucht das Armee- museum

Das Bayerische Armeemuseum als Das Prestige des Generalfeldmarschalls seinem Besuch im Museum weihte Hin- Stützpunkt der Erinnerung Paul von Hindenburg hatte durch die denburg auch den Gipsentwurf des Blee- Niederlage kaum gelitten. Am 21. August ker-Denkmals für die Gefallenen der bay- Viele Veranstaltungen ehemaliger Kriegs- 1922 besuchte er München. Vor dem erischen Armee ein. teilnehmer fanden beim Armeemuseum Armeemuseum wurde ihm ein offizieller statt. 1921 trafen sich dort die „Schweren Empfang bereitet. Dieses Ereignis wurde Reiter“, also Angehörige der ehemaligen nicht nur fotografiert, sondern wegen der Gemälde von Ernst Dorn (1889-1927), Öl auf Lein- K.B. 1. und 2. Schweren Reiter-Regimen- Fotografie 1921. Bedeutung, die ihm beigemessen wurde, wand, 55 x 65 cm (Bildmaß). ter. Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. 0060-1974.11 auch in einem Ölgemälde dargestellt. Bei Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. B 5630 399 15: Der „Gefallene Soldat“ im Hofgarten zu München

In der Denkmalsanlage im Hofgarten verbinden sich zwei Projekte, die ursprünglich getrennt waren: Ein Ehrenmal für die Gefallenen der Stadt München und ein Krieger- ehrenmal für die ganze bayerische Armee. Die 1923/24 geschaffene Skulptur aus Rosenheimer Marmor war ursprünglich für die Kuppelhalle des Bayerischen Armeemuseums bestimmt. Sie sollte dort als Erinnerungs- zeichen für die Toten des Weltkriegs Aufstellung finden. Doch erwies sich dieser Aufstel- lungsort als ästhetisch ungeeignet, so dass der Künstler, Bernhard Bleeker (1881-1968), sich weigerte, sein Werk abzuliefern. Gleichzeitig war auf dem Hofgarten ein Ehrenmal für die 13.000 Gefallenen der Stadt München entstanden. Treibende Kraft war hier der Obmannsbezirk München-Stadt des Bayerischen Kriegerbundes. Bleekers Skulptur wurde in dieses Projekt integriert, das damit eine weit über München hinausreichende Bedeutung gewann. Am 14. Dezember 1924 erfolgte die Einweihung der Anlage. Im Zweiten Weltkrieg wurden das Hofgartendenkmal und auch der „Tote Soldat“ selbst durch Luftangriffe beschädigt, aber ab 1947 wieder instandgesetzt. In dem offenen Zentralraum der Denkmalsanlage litt der empfindliche Stein jedoch zunehmend unter der Witterung. Deshalb wurde die Skulptur 1972 dem Bayerischen Armeemuseum übergeben und durch eine Kopie aus Bronze ersetzt. 400 | 15: Der „Gefallene Soldat“ 15: Der „Gefallene Soldat“ | 401

Der „Gefallene Soldat“

Die Skulptur von Bernhard Bleeker war Bronzekopie ersetzt und ins Bayerische in dem rundum offenen Denkmal im Armeemuseum verbracht. Hofgarten Wind und Wetter ausgesetzt. Der wenig widerstandsfähige Stein litt Skulptur von Bernhard Bleeker, Rosenheimer zunehmend unter Witterungseinflüssen. Marmor, 286 x 90 x 70 cm. Deshalb wurde die Figur 1972 durch eine Bayerisches Armeemuseum, Inv.-Nr. N 2099 402 | 15: Der „Gefallene Soldat“ 15: Der „Gefallene Soldat“ | 403

Spiegelung als Suggestion

Drängen in den Vordergrund Für dieses Propagandabild wurde ein Adelig wie auf der Beschriftung – Ausschnitt der nebenstehenden Fotogra- „v. Ludendorff“ – war der General aller- Bei der Grundsteinlegung für das Krie- tierte sich in der Öffentlichkeit gezielt bar- fie gespiegelt und Erich Ludendorff in dings nicht. Eine Nobilitierung hatte er gerdenkmal zeigte sich auch die völkische häuptig. Das war damals ungewöhnlich den Vordergrund hineinmontiert: der abgelehnt. Rechte. Schon an diesem Tag erwartete und gehörte zu den Tricks, mit denen er berühmte General des Weltkriegs, in Ein- man den Putsch. sich Aufmerksamkeit verschaffte. tracht vereint mit dem „unbekannten Die Aufnahme zeigt, von links nach rechts: Gefreiten“ dieses Krieges. Über ihnen Alfred Rosenberg (1893-1946), Adolf Hit- strahlt ein sonnenartiges Hakenkreuz. ler; Christian Weber (1883-1945); Friedrich Ludendorff war einer der führenden Weber (1892-1955). Friedrich Weber führte Fotografie. Köpfe der extremen Rechten. Später über- Postkarte, wohl 1920, Fotomontage. 1923 den Bund Oberland. Hitler präsen- Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-6587 warf er sich mit Hitler. Bayerische Staatsbibliothek, Sign. Hoff-6580 404 | 15: Der „Gefallene Soldat“ 15: Der „Gefallene Soldat“ | 405

Einweihung der Denkmalswände Abschreiten der Denkmalswände am 12. Dezember 1925 Das Denkmal wurde vom Obmannsbe- des Kriegerbundes. Hier sieht man ihn im Am Rednerpult spricht der Münchner An den Denkmalswänden waren die zirk München-Stadt des Bayerischen Krie- dunklen Mantel neben dem Prinzen Leo- Oberbürgermeister Karl Scharnagl (1881- Namen der 13.000 Münchner Gefallenen gerbundes errichtet und nicht von der pold. 1963). Vor ihm hat der greise Prinz Leo- verzeichnet. Stadt München, die nur einen finanziellen pold (1846-1930) in Feldmarschallsuni- Zuschuss gab. Der Freistaat stellte den form Platz genommen. Prinz Alfons von Baugrund zur Verfügung. Vorsitzender Bayern, in der Uniform eines Generals der des Denkmalsausschusses war Bankdi- Fotografie. Kavallerie, steht mit der rechten Seite zur Fotografie. rektor Dr. Adolf Dimpfl, der stellvertre- Stadtarchiv München, Kamera. Stadtarchiv München, Bildnr. DE-1992-FS-STB-5554 tende Vorsitzende des Münchner Bezirks Bildnr. DE-1992-FS-STB-5553 406 | 15: Der „Gefallene Soldat“ 15: Der „Gefallene Soldat“ | 407

Die Bronzekopie des „Toten Solda- Heutiger Zustand des Denkmals ten“ im Innern des Denkmals

Fotografie, Dieter Storz 2018 Fotografie, Dieter Storz 2018