Ultrash Festival Nr. 5 • 20 & 21 Mai 2011 • FreiLand Potsdam Red & Anarchist Skinheads - Ultras Babelsberg

Themenschwerpunkt: Ehemaliges Jugoslawien Länderberichte zum Fußball in Serbien, Kroatien und Bosnien & Herzegowina, Interviews, 20-Jahre Nordkurve Babelsberg Herzlich willkommen zum ...

... in Potsdam, fast Babelsberg. Das Ultrash Im letzten Ultrash Unfug, das zum Download hat sich mittlerweile zu einer festen Insti- auf www.ultrash.blogsport.de zur Verfügung tution in der Potsdamer Festivallandschaft steht, gab es ein recht ausführliches Inter- entwickelt. Nach vier ganzen und einem hal- view mit den Genoss_innen. In diesem Jahr ben Festival im Potsdamer Archiv haben wir beginnt das Ultrash mit einer Infoveranstal- unsere angestammte Location verlassen. Wir tung zu der Entwicklung der Antifa- Bewegung wollen uns beim Archiv für die vergangenen im ehemaligen Jugoslawien. Darüber hinaus Festivals bedanken und wünschen viel Kraft gibt es hier im Heft zahlreiche Beiträge, die im aktuellen Kampf um das weitere Bestehen. sich mit der Situation in Serbien, Kroatien Hier sind alle gefragt: Leistet Widerstand ge- und Bosnien & Herzegowina befassen. Natür- gen die Umstrukturierung und Verdrängung lich gehören noch weitere Länder zum ehe- in dieser Stadt! maligen Jugoslawien, doch aus unterschied- lichen Gründen konzentrieren wir uns auf die Nun sind wir in das erst vor einer Woche offi- drei Genannten. Das Hauptaugenmerk liegt ziell neu eröffnete Freiland gezogen. Damit ist auf der gesellschaftlichen und politischen das Ultrash zugleich eine der ersten großen Lage, der Polit- und Subkultur und der Fuß- Veranstaltungen auf dem Gelände, sodass ballfankultur. Zudem wird es eine ergänzende es noch zu der einen oder anderen Abstim- D.I.Y. Fotoausstellung mit größtenteils politi- mungsschwierigkeiten kommen kann. Wir schen Graffitis, Parolen, Stencils und Stickern bitten das zu entschuldigen und wollen uns geben, welche einen kleinen Einblick in das zugleich schon mal herzlich beim gesamten jeweilige gesellschaftliche und politische Kli- Freiland-Team bedanken, dass wir gemein- ma geben. sam das Ultrash Festival an diesem Ort durch- führen. Außerdem wollen wir das Ultrash nutzen, AFA-Strukturen direkt zu unterstützen. Es soll Das Konzept folgt dem der letzten Jahre. An eine konkrete Sammelaktion hierfür gestartet zwei Tagen wird es diverse Konzerte aus ver- werden: Eine Buttonmaschine und 1000 But- schiedenen Stilrichtungen geben – Freitag tonrohlinge, sowie eine fünfstellige Anzahl indoor, Samstag open air. Wir haben uns wie von Antifašističke Akcija-Stickern. Es liegt an in den letzten Jahren bemüht, ausdrücklich euch ob es 20.000, 30.000 oder 50.000 AFA- politische Bands einzuladen, um den strikt Sticker geben wird. Die Spendendosen ste- antifaschistischen Charakter des Festivals zu hen am Einlass und an der Spenden-Station. unterstreichen. Erneut wird es einen inhaltli- chen Schwerpunkt geben. Diesmal richten wir Noch was in eigener Sache: Im Verfassungs- den Blick auf den Balkan, genauer gesagt auf schutzbereicht des Landes Brandenburg von einige Länder des ehemaligen Jugoslawiens. 2010 wurde erstmals das Ultrash erwähnt, Schon seit einiger Zeit gibt es gute und soli- sowie das letzte Plakat abgebildet. Als Grund darische Kontakte zu der Antifaschistischen wird der Auftritt der „Pestpocken“ angeführt. Aktion Novi Sad (Afans) aus Serbien. In den vergangen Monaten hat das Innenmi- 2 nisteriums insgesamt den Druck auf alles was links der SPD ist erhöht. Wir lassen uns vom Staat und deren Geheimdiensten weder ein- schüchtern, noch von unserem Weg abbrin- gen!

Also, habt Spaß und sorgt dafür, dass es für alle ein angenehmes Festival wird. Wir haben keinen Bock auf eine aggressive und macke- rige Atmosphäre. Wendet euch an uns, wenn ihr euch bedrängt oder bedroht fühlt. Ein dickes Dankeschön an alle Einzelperso- nen und Gruppen, die das Ultrash ermögli- chen!

Kick racism, nationalism, sexism and homo- phobia out of our subcultures!

Filmstadt Inferno ´99 – Ultras Babelsberg / Red and Anarchist Skinheads Berlin-Bran- denburg / Scortesi Babelsberg / Stara Garda Nowawes

Noch ein Hinweis zum Ultrash-Unfug. Natür- lich erheben wir weder einen Anspruch auf Vollständigkeit, noch auf die hundertpro- zentige Korrektheit der Angaben. Viele In- formationen stammen von Gesprächen mit „Insidern“ und „Expert_innen“, sowie von anderen Quellen und wurden nach besten Gewissen zu diesem Heft verarbeitet. Außer- dem soll das Ultrash-Unfug keine tiefgehende Analyse sein, sondern die Situation in der Re- gion ansatzweise dokumentieren.

Grüße und Dank an: Afans, Ako, especially Pagan, Prole, Zeka, Major, Dasko, Jovana, David & Tihana+Family, Lidija, Nikola, Zlaja, Slobodan, Damir, Tarik, Robi, Aldine, Damir, Aldin+Family, Arsen, Zlaja, Haris, Roland, Mara, Ivan, Ljuba, Antifa Mostar, Antifa Zag- reb, Josd, Antifas, Belgrade Antifas, Sergej, Pasha, Annett, Petar, Charlez, Zack and everybody we´ve forgotten ... KEEP ON FIGHTING!

Impressum: Das Ultrash Unfug hat mit einem Erzeugnis im Sinne des Presse- rechts nichts zu tun, sondern richtet sich Rundbrief-like an Freunde, Freundinnen und Interessierte.

Das Heft wird unterstützt von: 3 Themenschwerpunkt: Ehemaliges Jugoslawien

Jugoslawien galt vielen Linken als das Projekt, das dem Ideal des Sozialismus bisher am nächsten kam. Das Land war blockfrei, d.h. es gehörte weder zum von der Sowjetunion dominierten militärischen Warschauer Pakt, noch zum „Westen“ und der NATO. Die Men- schen in Jugoslawien hatten Reisefreiheit, der Lebensstandard war relativ gut und die staatliche Bevormundung war im Vergleich zu anderen „sozialistischen“ Staaten geringer. Trotzdem verschwand auch dieses Staatspro- jekt im Zuge der Umwälzungen in Osteuropa. Der folgende Text, der die Bedingungen des Zerfalls Jugoslawiens und das Entstehen so- bereits bestehenden Probleme deutlicher wohl neuer Staatengebilde als auch ein (Wie- hervorzutreten. der-)Erstarken von einzelnen Nationalismen In dieser Zeit bestand der Staat Jugoslawien beschreiben soll, ist ein Gastbeitrag von ei- aus sechs Republiken (Slowenien, Kroatien, nem Mitglied der AFANS. Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Ser- bien und Mazedonien). Zusätzlich gab es in Krise und Zerfall Jugoslawiens Serbien zwei so genannte autonomen Provin- zen - Kosovo und Vojvodina. Ende der 80er Jahre befand sich Jugoslawien 1981 begannen, initiiert von Serbien, das mit in einer tiefen sozialen, politischen und orga- dem existierenden System unzufrieden war, nisatorischen Krise. Nach dem Tod von Josep die ersten Auseinandersetzungen zwischen Tito 1980 (siehe Glossar) begannen viele der den politischen Strukturen der sechs Repub- liken und Provinzen. Ziel dieser Auseinander- setzungen waren konstitutionelle Verände- rungen. Das Ringen darum gipfelte zwischen 1987 und 1989 in einer Serie von Protesten, die von der serbischen Regierung organisiert wurden (angeführt durch Slobodan Milose- vic – siehe Glossar) und sich gegen die Füh- rung im Kosovo und Vojvodina richteten. Die Absicht der serbischen Regierung war es, die vollständige Kontrolle über beide autonome Provinzen zu übernehmen. Doch nach erfolg- reicher Durchsetzung dessen versuchte man das gleiche konstitutionelle Werkzeug zu be- nutzen, um auch die anderen jugoslawischen Republiken kontrollieren zu können. Auf die- se Weise übernahm Serbien die Kontrolle in Montenegro, scheiterte aber in den anderen Republiken, allen voran Slowenien.

Titos Tod sorgte für Trauer allerorten. Neben den politischen Konflikten ist diese Spielabbruch bei Hajduk Split - Partizan Belgrad 1980 Zeit durch große ökonomische und sozia- 4 le Probleme gekennzeichnet, so z.B. durch zu ersten Auseinandersetzungen, die sich im massive Arbeiterstreiks. Die Mischung aus April 1992 zu einem Krieg potenzierten. Der sozialer, politischer und nationaler Unzufrie- Konflikt währte bis November 1995 und war denheit stellte sich als eine gefährliche Kom- geprägt von Massenmorden, ethnischen Säu- bination heraus, welche die Führung in Serbi- berungen, Zerstörung der Infrastruktur, Inter- en allerdings für ihre Ziele zu nutzen wusste. nierungslagern und weiteren Kriegsgreueln. Eine Welle von Nationalismus, die zuerst in Das größte Verbrechen war das als Genozid Serbien entstand, verursachte eine nationa- klassifizierte Massaker in Srebrenica, als die listische Wiederbelebung auch in den ande- Kräfte der bosnischen Serben 8000 Muslime ren Teilrepubliken. Das machte sich während (Bosniaken) selektierten und ermordeten. Die der ersten freien Wahlen 1990 bemerkbar, als größte ethnische Säuberung fand im Sommer pro-jugoslawische Parteien (also Parteien, 1995 statt. Kroatische Kräfte vertrieben 200 die der Idee eines gemeinsamen Staatenge- 000 kroatische Serben. bildes zugetan waren und Teilnationalismus Einigen Angaben nach wurden während des ablehnten) unterlagen und die Wählermehr- Krieges in Jugoslawien zwischen 120 000 und heit in allen Republiken durch nationalisti- 150 000 Menschen getötet (davon etwa 100 sche Parteien oder Kommunisten gewonnen 000 in Bosnien) und zwischen ein und zwei wurde, welche sich einer nationalistischen Millionen Flüchtlinge vertrieben. Politik zugewandt hatten. Nach einer gewissen „Normalisierung“ in den 1991 eskalierten die Konflikte zwischen den Jahren 1996 und 1997 entstand 1998 erneut Teilrepubliken und im Sommer jenen Jahres eine Konfliktsituation - diesmal im Kosovo. kam es zu ersten militärischen Zusammen- Die Auseinandersetzung zwischen dem ser- stößen: erst in Slowenien, dann in Kroatien, bischen Regime und den Albanern (Mehrheit wo die jugoslawische Armee angriff und die der Bevölkerung im Kosovo) wurde ein inter- kroatische Stadt Vukovar belagerte. Nach nationales Problem und im Frühling 1999 grif- diesen Ereignissen erklärten Slowenien und fen NATO-Kräfte, ohne UN-Mandat und mit Kroatien ihre Unabhängigkeit. Hier muss deutscher Beteiligung, Serbien und Monte- auch die Rolle Österreichs und Deutschlands negro an, welche damals als Bundesrepublik zwingend erwähnt werden. Beide Länder ha- Jugoslawien vereint waren. Der Krieg sollte ben die Abspaltung Slowenien und Kroatiens den Konflikt im Kosovo stoppen, doch statt- und ihren Status als souveräne Staaten sofort dessen verstärkte er ihn: täglich gab es Zu- anerkannt und somit erheblich zur Eskalation sammenstöße im Kosovo, Bombardierungen des Konfliktes beigetragen. Maßgeblich hier- serbischer Städte und zwischen 500 000 und bei waren auch die traditionellen deutschen einer Million Flüchtlingen. Der Krieg endete antiserbischen Ressentiments. im Juni 1999 und Kosovo wurde internationa- Da auch von Bosnien eine Unabhängigkeits- les Schutzgebiet. erklärung erwartet wurde, kam es auch dort Politische und soziale Umwälzungen nach 2000

1999 fanden politische Umwälzungen in der Region des ehemaligen Jugoslawien statt. Franjo Tudjman (siehe Glossar), der Präsident Kroatiens, starb am Ende des Jahres und die demokratische Opposition übernahm die Führung. In Serbien kam es zu politischen Veränderungen nach den Wahlen im Oktober 2000 und einer Reihe von Protesten gegen Mi- Sarajevo – Totale Zerstörung infolge 1425 tägiger losevic. Der serbische Präsident unterlag und Belagerung zog sich nach 12 Jahren an der Macht zurück. 5 Die politischen und nationalen Probleme ten gewaltsam die Belgrade Pride (schwul- setzten sich auch nach dem Jahre 2000 fort. lesbische Parade). Ein weiterer Versuch 2010 In Mazedonien kam es 2001 zu Auseinan- misslang. Aber dieser Tag war gekennzeich- dersetzungen zwischen den Kräften der Re- net durch einen Straßenkrieg zwischen 5000 gierung und albanischen Paramilitärs. 2003 Polizisten und 6000 Faschisten und Nationa- wurde der serbische Premierminister Zoran listen. Diese rechten Gruppen wollten nicht Djindjic (siehe Glossar) ermordet. Im Kosovo nur die Pride verhindern, sondern sie griffen kam es 2004 zu Unruhen gegen die Serben, auch Regierungsgebäude und das Staatsfern- worauf Ausschreitungen und Übergriffe ge- sehen an. gen die muslimische Gemeinschaft in Belgrad folgten. Neben den politischen und nationalen Kon- Im Februar 2008 erklärte der Kosovo seine flikten war das Ende der 1980er auch eine Unabhängigkeit. Dem folgten einige Tage Zeit, in der sozial-ökonomische Veränderun- später in Belgrad nationalistische Massen- gen stattfanden. 1988 wurde der jugosla- ausschreitungen, organisiert durch rechtsori- wische Sozialismus der „Arbeiterselbstver- entierte Fußballfans und faschistische Grup- waltung“ aufgegeben und Vorbereitungen pierungen. für eine soziale Transformation eingeleitet. Zwischen den 90er und den frühen 2000er Jahren wurde der größte Teil des öffentlichen Besitzes Jugoslawiens privatisiert. Dieser Prozess führte zu sozialer Schichtung und Spaltung in eine neue reiche Elite und eine Mehrheit der armen Bevölkerung. Die Kluft zwischen reich und arm vergrößerte sich nach der Weltwirtschaftskrise 2008 immens, da das ehemalige Jugoslawien als typisches Land an der Peripherie des Kapitalismus die negativen Auswirkungen der Krise schnell zu spüren bekam. Die derzeitige Situation ist besser nachzuvollziehen, wenn man sie mit dem Jahr 1989 vergleicht, das als ökonomisch erfolgreichstes Jahr in der jugoslawischen Ge- schichte eingeschätzt wird. Analysen zufolge hat bisher nur Slowenien die Stufe des Ent- wicklungsstandes von 1989 erreicht, Kroatien wird dafür noch vier bis fünf Jahre brauchen, Serbien weitere zehn Jahre. Aktuelle Arbeits- losigkeitsraten rangieren zwischen 20 und 25% in Kroatien und Serbien und zwischen Geistliche, Nationalisten & Faschisten Hand in Hand. 45 und 50% in Mazedonien und Kosovo. Ein Proteste gegen Kosovo-Unabhängigkeit 2008 (oben) Sozialhilfesystem (also etwas vergleichbares Angriffe auf Belgrade Pride 2010 (unten) wie HartzIV) existiert nicht. Dies ist die mo- Neben nationalistischen Angriffen gegen mentane Situation und aktuelle Entwicklun- Minderheiten oder Fremde ist die schwul-les- gen zeigen, dass sich die Lage in den nächs- bische Gemeinschaft das häufigste Ziel des ten Jahren noch verschlechtern wird. Hasses im ehemaligen Jugoslawien. Homo- sexuelle sind Opfer der Attacken konserva- „Normalisierung“ des Nationalismus tiver, klerikaler und faschistischer Gruppen, vor allem in Serbien. 2001 unterbrachen Die neuen Regierungen in den jugoslawi- rechtsorientierte Fußballfans und Faschis- schen Republiken haben auf verschiedene 6 Weise die nationalistische Ausrichtung und Jugoslawien hat der Geschichtsrevisionis- Propaganda der Kriegsjahre fortgeführt, auch mus, genauer gesagt die Unterdrückung und wenn ihr Nationalismus nicht so destruktiv ist Fälschung der Vergangenheit, insbesondere wie der in den 90er Jahren. der antifaschistischen Tradition. Es gibt eine Nationalismus wird vielmehr als Ventil für gewisse „Nationalisierung“ des Antifaschis- soziale Unzufriedenheit benutzt. Serbien mus, der ausschließlich als serbischer oder ist hierfür ein typischer Fall. Die politische kroatischer Antifaschismus dargestellt wird. Führung nutzt den Kosovo für seine Zwecke. Das eigentliche jugoslawische Charakteristi- Wann auch immer soziale Unzufriedenheit kum und der Internationalismus des in Jugo- wächst und sich Gehör verschafft, schürt die slawien gelebten Antifaschismus der Partisa- serbische Regierung eine anti-albanische nen werden komplett ignoriert, verschwiegen Hysterie und erschafft Probleme um das Ko- und umgedeutet. Viele Kollaborateure, Fa- sovo. Ähnlich funktioniert das Modell in an- schisten und Nazi-Bewegungen des Zweiten deren Ländern, zum Beispiel in Kroatien. Weltkriegs wurden im Zuge dessen als „natio- Hier dirigieren kroatische Politiker soziale nale Helden“ rehabilitiert und zu „Opfern kom- Unruhen gegen serbische Minderheiten oder munistischen Terrors“ stilisiert. Mittlerweile gegen die EU. Ein regelmäßiges Ziel nationa- wurden sie sogar als „echte“ Antifaschisten listischen Hasses sind die Roma. Sie werden „entdeckt“. 2004 akzeptierte das serbische in allen Ex-Jugoslawienstaaten diskriminiert Parlament einen Gesetzesvorschlag, der Par- und sozial ausgeschlossen. tisanen und die Tschetnik- Bewegung (siehe Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Glossar) des Zweiten Weltkriegs „gleich- Nationalismus, Xenophobie und Rassismus setzt“, obwohl beide gegeneinander kämpf- (einschließlich Antisemitismus) „normali- ten. All das bisher erwähnte ist Resultat der siert“ wurden und in der Mehrheitsmeinung „Normalisierung“ des Nationalismus und der in Ex-Jugoslawien verankert sind. Nationalis- Grund, weswegen antifaschistische Gruppen mus dominiert nicht nur die Politik, sondern und zivilgesellschaftliche Organisationen auch das Alltagsleben – es ist „normal“, nationalistisch zu sein. Neben Nationalis- mus und anderen Formen des Ausschlie- ßens (und Dank des Einflusses neoliberaler Ideologie) wird auch der Sozialdarwinismus „normalisiert“: die Mehrheit der Menschen halten „unbarmherzigen Kampf ums Über- leben“ einfach als „normalen“ Teil des Sozi- alverhaltens. Ideen der Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit werden unterdrückt und vergessen. Und wenn einige politische Gruppen diese Begriffe benutzen, handelt es sich zumeist tatsächlich um Nationalisten und Faschisten, die ausschließlich von nati- onaler Solidarität und sozialer Gerechtigkeit innerhalb einer geschlossenen nationalen Gemeinschaft sprechen. Es ist „normal“, nur im nationalem Rahmen zu denken und jede andere Art des Denken und Handeln - welche nationale Einschränkungen überwinden will - ist automatisch „suspekt“.

Eine Sonderstellung im Prozess der „Norma- Tschetniks mit deutschen Nazis im 2. Weltkrieg (oben) lisierung“ des Nationalismus im ehemaligen Tschetnik-Schwenkfahne bei Roter Stern Belgrad (unten) 7 gegen Geschichtsrevisionismus kämpfen und der Slowakei, Italien, Polen und Deutschland. dabei versuchen, die Erinnerung an Jugosla- Einige dieser Gruppen werden durch politi- wiens antifaschistische Vergangenheit zu er- sche Parteien, einige Universitätsprofesso- halten. ren oder B-Prominenten (Pop-Sängern, Fuß- balltrainern usw.) unterstützt. Rechte Strukturen in Ex-Jugoslawien Das Hauptproblem mit rechten Organisatio- nen ist die offene Duldung ihrer Arbeit durch Im ehemaligen Jugoslawien gibt es eine staatliche Strukturen. Wenn es zu Repressio- Vielzahl neonazistischer Gruppen: als Ein- nen gegen Rechte kommt, versucht der Staat zelgruppen genommen, scheinen sie mar- immer einen „Ausgleich“ durch Repressionen ginal zu sein, da sie nur aus ca. 20 bis 200 gegen Gruppen der linken Szene zu schaffen. Mitgliedern bestehen. Aber diese Tatsache Das ist die so genannte „Anti-Extremismus macht sie nicht weniger gefährlich und sie Politik“. Dies war auch in Serbien der Fall, als sollten nicht unterschätzt werden. In einigen nach der Inhaftierung von rechten Anführern Städten Sloweniens ( Maribor und Ljublja- sechs Anarchisten durch die Polizei verhaf- na), Kroatiens (Zagreb, Split, Osijek, Zadar) tet wurden und sechs Monate ohne Urteil im und Serbiens (Belgrad, Novi Sad, Nis) gibt Gefängnis saßen. Ähnlich ist die Situation in es Neonazi Gruppen, die dem Blood&Honour allen Ländern Ex-Jugoslawiens. Darum sind Netzwerk angehören. Größer und einfluss- die Staatsstrukturen hauptverantwortlich für reicher hingegen sind klerikal-faschistische den wachsenden Einfluss nationalistischer Gruppen. Diese Gruppen verbinden Elemente und faschistischer Gruppen. Diese Politik der faschistischen Ideologie und des religiö- der „Normalisierung“ des Nationalismus, der sen Fundamentalismus: in Kroatien und den Xenophobie und des Faschismus wird sich kroatischen Teilen Bosniens heben sie ihren vielleicht eines Tages rächen, sowohl an den katholischen Ursprung hervor, in Serbien den Urhebern (der politischen Elite) und an den christlich-orthodoxen Hintergrund. In Bosni- Menschen im ehemaligen Jugoslawien. en, Teilen Serbiens (Sandschak – siehe Glos- sar) und dem Kosovo gibt es Gruppen islami- scher Fundamentalisten mit Tendenzen zum Terrorismus. Die Basis der rechten Bewegung in Kroatien besteht aus Kriegsveteranen, rechtsorien- tierten Fußballfans und kleinen chauvinisti- schen Parteien. Sie stehen in Verbindung mit Faschisten und Nazi – Gruppen in Ungarn, Deutschland und Österreich. In Bosnien tei- len sich die rechten Strukturen nach Nationa- litäten auf (Serben, Kroaten und Bosniaken/ Muslime) und bestehen aus rechtsorientier- ten Fußballfans, Veteranen, paramilitärischen Gruppen und mehreren politischen Parteien. In Serbien ist die rechte „Szene“ weiter ent- wickelt und besteht aus einer Vielzahl größ- tenteils klerikal-faschistischer Gruppen, wie Obraz oder SNP Nasi 1389 (siehe Glossar), einigen Studentengruppen, der Neonazi Ka- meradschaft „Nacionalni stroj“ und der ers- ten Neonazi-Partei Ex-Jugoslawiens NSP (New Serbian Programm). Diese Gruppen haben Rechte dominieren den Fußball. Kontakte zu Nazis in Russland, Tschechien, Spielabbruch durch serbische Hools in Genua 2010 8 Glossar 1

Josip Broz „Tito“ (1892-1980), jugoslawischer Revo- Tschetniks: Die Tschetniks sind anti- lutionär, seit 1937 Kopf der Kommunistischen Partei kommunistische, serbisch-nationalisti- Jugoslawiens (KPJ). Während des Zweiten Weltkrieg sche Militäreinheiten. Im Zweiten Welt- Führer der Partisanenbewegung, der größten Wi- krieg kämpften Teile zunächst gegen die derstandsbewegung im besetztem Europa. Nach Nazis (für ein serbisches Königreich). dem Krieg Präsident Jugoslawiens. Nach seinem Später kollaborierten sie mit den Nazis Konflikt mit Stalin und der Sowjetunion (1948), lei- und kämpften gegen die Partisanen. tete er den „jugoslawischen Weg zum Sozialismus“ (selbstverwalte- Der heutige Nationalismus in Serbien „Für König und Vaterland - Freiheit oder Tod!“ ter Sozialismus) und den Grundsatz des „Gleichgewichts“ zwischen rehabilitiert die Rolle der Tschetniks im Westen und Osten ein. Krieg und stilisiert sie in revisionistischer Manier zu Widerstands- kämpfern, um u.a. die Leistungen der Partisanen herabzusetzen. Slobodan Milosevic (1941-2006), serbischer Politiker, berühmt für seinen „Machiavellismus“, Führer der Serben (1987-2000). Seine Sandschak: Der Begriff Sandschak stammt aus der türkischen Spra- nationalistische und populistische Politik „dem serbischen Volk sei- che und meint eine Verwaltungseinheit. Im Süden Serbiens, Teilen ne Würde zurückzugeben“ führte zum Zerfall Jugoslawiens und einer vom Kosovo und im Nordosten Montenegros befindet sich die histo- Folge von Kriegen in Kroatien, Bosnien und dem Kosovo. Er wurde in rische Region Sandschak Novi Pazar, in der noch heute der einstige der „5. Oktoberrevolution“ 2000 gestürzt. 2001 wurde er verhaftet Einfluss des Osmanischen Reiches offensichtlich ist und eine knappe und dem Internationalen Kriegsgerichtshof in Den Haag überführt, muslimische Bevölkerungsmehrheit lebt. wo er während des Prozesses verstarb. Obraz: Die extrem rechte Organisation Obraz ist eine Franjo Tudjman (1922-1999), Präsident Kroatiens (1990-1999). Der klerikalfaschistische Vereinigung, d.h. sie verbindet Ex-General der Jugoslawischen Volksarmee und Präsident von Par- religiöse (orthodoxe) und faschistische Ideen. Obraz tizan (Belgrad) gehörte seit dem Ende der 1960er zur Prominenz der hetzt gegen die „Feinde des serbisches Volkes“, was Kroatischen Nationalen Opposition. 1989 begann seine politische praktisch alle Menschen/ Gruppen sind, die keine nati- Karriere und er wurde Präsident Kroatiens. Zusammen mit seinem onalistischen und orthodoxen Rechten sind. „Feind“ Milosevic plante er im Geheimen die Teilung Bosniens. Er wurde Kriegsverbrechen verdächtigt, starb aber vor der Beendigung SNP Naschi 1389: Die relativ neue Organisation der Ermittlungen des Kriegsverbrechertribunals. ist ein Zusammenschluss verschiedener klerikal- faschistischer und nationalistischer Gruppen. Zoran Djindjic (1952-2003), Führer der Serbischen Opposition, Die 1389 spielt auf die Schlacht im Amselfeld (im Premierminister Serbiens (2001-2003), studierte in Belgrad und heutigen Kosovo) an, als im Jahr 1389 erstmals ein Deutschland (Frankfurt/M., Konstanz). Seit 1994 war er Chef der op- serbisches Heer gegen eine überlegene Armee des positionellen Demokratischen Partei. Nach Milosevic´ Sturz wurde Osmanischen Reiches kämpfte und verlor. Diese er Premierminister und setzte einen Prozess der demokratischen Schlacht gilt als serbischer Gründungsmythos. Veränderung in Serbien in Gang. Er wurde 2003 ermordet, geplant durch die Mafia und Teilen von Ex-Regimestrukturen.

Infoblock Serbien Das 7,5 Millionen Einwohner umfassende Serbien war in Jugoslawien die dominierende Republik mit Belgrad als politi- schem Zentrum. Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo 2008 wird von Serbien nicht anerkannt. Im Kosovo befinden sich einige bedeutende orthodoxe Klöster, sodass diese Region für die Serben als integraler Bestandteil Serbiens ange- sehen wird. Folglich ist die serbisch-orthodoxe Kirche vorherrschend. Seit gerade einmal zwei Jahren ist die Visa- Pflicht für serbische Staatsangehörige aufgehoben, sodass die Reisefreiheit enorm erleichtert wurde.

Der Fußball in Serbien – Fans als Verteidiger serbischer Werte

Ein Jahr keine Angriffe, danach Verzicht auf und bis nach Wien finden. Auch die „“ Waffen. So lautet das Agreement der serbi- (Helden) vom erbitterten Stadtrivalen und schen Szene, nachdem in den letzten Jah- einstigen jugoslawischen Vorzeigeclub Ro- ren die Daumenschrauben des Staates und ter Stern Belgrad haben einen Sühnenden in der Sicherheitsbehörden enger angezogen ihren Reihen, Uroš, der bei einem Heimspiel wurden. Es hagelte hohe Gefängnisstrafen 2007 einen Zivilpolizisten mit einem Bengalo gegen Mitglieder der großen Ultra-Szenen. attackierte und wegen versuchten Mordes für So wurden beispielsweise 15 Partizan Bel- zehn Jahre hinter serbische Gardinen muss. grad- Anhänger zu insgesamt 240 Jahren Haft Auch die Vorkommnisse rund um das Länder- für den Mord an den Toulouse-Fan Brice Tat- spiel Serbiens gegen Italien 2010 in Genua on verurteilt. Seit diesem Urteil lassen sich sind vielen noch im Gedächtnis. Die Krawal- die „Sloboda za Grobare“- Graffities, welche le der serbischen Fans, allen voran das von „Freiheit für die (Totengräber)“ - die den Medien betitelte „Hooliganmonster“ Ivan Fans von Partizan - fordern im ganzen Land Bogdanov haben Serbien nicht nur hinsicht- 9 lich der EU-Beitrittsbemühungen des Landes wirtschaftliche Führung, der Fußball und ein geschadet, denn die UEFA droht dem Fußball- Großteil der Medien quasi synonym mit dem verband bei weiteren Ausschreitungen mit Begriff Mafia verwendet werden. Indem die Ausschluss. Möglicherweise auch aus diesem Fans in den Medien als das Krebsgeschwür Grund hat die serbische Szene einen Gang zu- der Gesellschaft gebrandmarkt werden, kann rück geschaltet. So verabredete im Frühjahr exzellent von eigenen Unzulänglichkeiten 2011 die Führungsriege der streng verfeinde- abgelenkt werden. Nicht nur der gesamte ten „Grobari“ und „Delije“ den Nichtangriffs- serbische Fußball, sondern die gesamte Ge- pakt, um keine weiteren Angriffsflächen für sellschaft ist von Korruption, Absprachen und repressive Maßnahmen zu liefern. Der erste Seilschaften durchtränkt, sowie Straf- und Test, das serbische Pokalhalbfinale zwischen Narrenfreiheit für „die da oben“ üblich. Trotz den beiden größten und populärsten serbi- dieser Opferrolle, in welche die serbische schen Clubs, blieb Fanszene zu stecken sowohl beim Hin- als scheint, verdient sie auch beim Rückspiel dennoch nicht allzu friedlich. Mittlerwei- viel Sympathie, aber le sind auch weitere freilich unser Interes- Gruppen beteiligt, se. Was für viele Fan- wobei nicht alle an ei- szenen Osteuropas nem Tisch zusammen- gilt, trifft auch hier zu: fanden. Die „Firma“ Ein starker Nationa- von Vojvodina Novi lismus gepaart mit ei- Sad ist den Grobari nem tief verankerten absolut feindlich ge- rechten Gedankengut sinnt (u.a. wurde eine und weit verbreiteter Mitglied der „Firma“ rechter Propaganda. 2008 von einem Gro- Keltenkreuze sind auf bari erschossen), so- Fahnen und Trans- dass hier Delije-Leute parenten keine Sel- vermitteln mussten. tenheit in serbischen Ähnliches gilt für die Fankurven. Allerdings „United Force“ von weist die serbische Rad Belgrad, die sich Rechte deutliche Ei- spinnefeind mit den genarten auf, dass sie „Delije“ sind, sodass vom restlichen Euro- Grobari-Leute vermit- pa unterscheidet. Die telten. Doch warum hierzulande vorherr- klagen die Fans in Auftragskiller des jugoslawischen Geheimdienstes, Sicher- schenden neonazisti- Serbien über Unge- heitschef & Kopf der Fanszene bei Roter Stern Belgrad, Ma- schen Strömung sind fiaboss und serbischer Kriegsverbrecher. Željko Ražnatović rechtigkeit und Re- aka „Arkan der Tiger“ (getötet 2000 in Belgrad) eher eine Rander- pression, obwohl es scheinung. Stattdes- sich fraglos um schwere Vergehen handelte? sen ist die serbische Rechte eine in weiten Das Damoklesschwert, das über der serbi- Teilen der Gesellschaft verbreitete Mischung schen Gesellschaft schwebt, heißt Mafia bzw. aus nationalistischen und orthodox-funda- Staatsmafia. Die Fans kritisieren die Schizo- mentalistischen (siehe Glossar) Einstellungs- phrenie und Heuchelei in der Gesellschaft. mustern. Die wichtigsten Elemente sind: Eine Ein serbischer Genosse berichtet: In den Propagierung eines Großserbentums, indem meisten Ländern regiert der Staat die Mafia, z.B. das Kosovo serbisches Kernland ist und doch in Serbien regiert die Mafia den Staat. Tschetniks (siehe Glossar 1) heroisiert wer- Aus diesem Grund können die politische und den; eine idealisierte slawische Bruderschaft 10 mit Russland und Ablehnung des Westens „unpolitisch“ bezeichnen. Riesige, aufwen- (vor allem der EU und der NATO); ein ausge- dige Choreografien, die sich alleine um das prägter Hang zu orthodoxen und patriarcha- Thema Kosovo drehen oder die Verordnung len Strukturen (Chauvinismus, Homophobie). der Delije- Führung, die Sektionen mögen Hinsichtlich der weit verbreiteten anti-west- lichen Haltung sollte nicht unerwähnt blei- ben, dass Serbien vom Westen seit jeher als (alleiniger) Aggressor dargestellt wurde und das die die serbische Wirtschaft ruinieren- den Embargos bzw. die Narben der NATO- Bomben kaum mehr als zehn Jahre alt sind. Es ist daher wenig überraschend, dass in der arg gebeutelten Gesellschaft aggressive Scharfmacher auf fruchtbaren Boden stoßen. Umrisse des Kosovo in serbischer Fahne Nicht ohne Grund haben extrem rechte Orga- (Choreografie bei Roter Stern Belgrad) nisationen wie Obraz oder SNP Naschi 1389 (siehe Glossar 1) einen großen Einfluss auf ihre kleinen Zaunlappen mit dem serbischen vor allem jugendliche Fußballfans und das vor Wappen, bestehend aus vier kyrillischen S allem in Belgrad. Es waren hauptsächlich ju- (C – siehe Glossar) gestalten, sind in dieser gendliche Ultras der beiden großen Belgrader Logik keine politischen Statements, sondern Clubs, welche – angestachelt von orthodoxen eine Selbstverständlichkeit. Tatsächlich sind Geistlichen und einer prüden, homophoben natürlich nicht alle rechts. Es gibt auch Linke, Gesellschaft – die Homosexuellenparade die in den Kurven stehen, doch die Mehrheit Belgrade Pride angriffen. Sie waren auch an und damit die Außendarstellung sind den- den Krawallen nach der Unabhängigkeits- noch ganz klar rechts zu verorten. Die Delije vom Roten Stern und die Grobari von Partizan sind zweifelsohne die größten Gruppen in Serbien. Wobei es schwierig ist von Gruppen zu sprechen, da es keine ge- schlossenen Mitgliedersysteme gibt, son- dern jeder aktive Fan automatisch zu den Delije oder Grobari gehört. Vielmehr beste- hen diese Kurven aus vielen verschiedenen Gruppen, die häufig Stadt- oder Stadtteilsek- tionen oder einfache Freundeskreise sind. Diese Gruppenstruktur, das heißt, dass sich Homophobe Hetze bei Partizan Belgrad alle unter einem Namen vereinen, ist auf dem gesamten Balkan üblich. Die beiden Haupt- erklärung des Kosovo 2008 beteiligt, als in stadtkurven sind in gewisser Weise auch das Belgrad 150.000 Menschen auf die Straße Maß aller Dinge in Serbien, sodass sich viele gingen und die US-Botschaft abfackelten so- andere Kurven an ihnen orientieren, obwohl wie weitere Botschaften angegriffen wurden. sie diese verachten. Deutlich wird das bei der Auch wenn diese Ausschreitungen offiziell „Firma“, der Ultra-Szene von Vojvodina Novi verurteilt werden, so spiegeln sie doch den Sad. Insbesondere die jungen Leute „leiden“ gesellschaftlichen Mainstream und letztlich unter einem Komplex, wenn sie aus Belgrad auch die Staatspolitik wieder. Ein weiteres als „ungarische Pussies“ (die nordserbische Paradoxon, da das Gewaltpotential der Ju- Region Vojvodina gehörte einst zum König- gend vom Staat politisch genutzt wird. Absurd reich Österreich-Ungarn) bezeichnet werden. ist auch, dass sich trotz der allgegenwärtigen Sie „müssen“ daher einmal mehr und in aller Politik in den Stadien die Gruppen meist als Deutlichkeit beweisen, dass sie echte Serben 11 und genauso krass wie ihre verhassten Vorbil- sionsschrauben fest angezogen halten und der sind. Die „Firma“ ist die einzige größere jede Gelegenheit nutzen, um von den eigenen Kurve in Serbien, die sich ausdrücklich als Fehltritten abzulenken. unpolitisch verortete und wo es in den ver- gangenen Jahren nie rechte Symbolik zu se- Glossar 2: hen gab. Doch die Unabhängigkeitserklärung Orthodoxer Fundamentalismus: In Serbien ist der christlich-or- des Kosovo hat die Stimmung im Land dahin- thodoxe Glauben der serbisch-orthodoxen Kirche vorherrschend. gehend zum Kippen gebracht, dass speziell Orthodoxer Fundamentalismus meint eine strenge und extrem kon- servative Auffassung des Glaubens. Damit verbunden sind meist ein die jüngeren Generationen extrem nationalis- aggressiver Nationalismus, religiöser Chauvinismus, Homophobie tisch auftreten. etc.

Die einzige waschechte Neonazi-Kurve ist die Tschetniks: siehe Glossar 1 von Rad Belgrad um die „United Force 1987“, die Verbindungen zu Blood and Honour Ser- Obraz & SNP Naschi 1389: siehe Glossar 1 bien und Combat 18 haben. In Belgrad gibt Serbische Wappen: Das serbische Wappen besteht aus einem Kreuz und den vier kyrillischen Buchsta- es schließlich noch den OFK Belgrad mit der ben C (lateinisch: S), die sich in den Ecken befinden. „Blue Union“ und den Vorortclub FK Zemun Die vier Buchstaben stehen für den serbischen Nati- onalspruch, der übersetzt soviel wie: „Nur Eintracht rettet den Serben“ bedeutet.

Sandschak: siehe Glossar 1

Infoblock Kroatien Kroatien hat etwa 4,5 Millionen Einwohner, wovon über eine Million im Großraum der Hauptstadt Zagreb woh- nen. Die Mehrheit der Kroaten ist katholisch, weswegen sich viele tendenziell eher Mitteleuropa als dem Balkan zurechnen. An der Adria-Küste sind im Süden die Regio- nen Dalmatien und die Halbinsel Istrien an der Grenze zu Italien. Entlang der Grenze zu Bosnien erstreckt sich die Von Neonazis durchsetzt – Die Kurve von Rad Belgrad Krajina, die vor dem Krieg serbisch dominiert war und wo heute noch viele Serben wohnen. Im Osten Kroatiens, an der Grenze zu Serbien befindet sich Slawonien. Die Krajina mit den „Taurunum Boys“, die für ihre kleine und Slawonien waren die Regionen, in denen der Kroatien- Szene mächtig was zu bieten haben. Ansons- Krieg am heftigsten war. Kroatien ist derzeit ein heißer EU- ten gibt es nur noch einige wenige Clubs, die Beitrittskandidat. über eine nennenswerte Szene verfügen. Aber einen weiteren Sonderfall hat der serbi- sche Fußball noch zu bieten: Novi Pazar, eine Der Fußball in Kroatien – Stadt in der historischen Region Sandschak (siehe Glossar 1), ist für Gästefans eine ver- Sind die wilden Jahre vorbei? botene Stadt. Aufgrund der muslimischen Be- völkerungsmehrheit würden Ausschreitungen In der Fanszene Kroatiens gibt es eine ähn- befürchtet werden, sobald serbische Fans ihr liche Problemlage wie in Serbien: Das Level Team zum Auswärtsspiel des Zweitligisten FK der Repression hat derart zugenommen, Novi Pazar begleiten würden. dass von einer regelrechten Krise der Fan- Ob der Nichtangriffspakt der serbischen kultur gesprochen werden kann. Denn viele Szene lange Bestand haben wird, bleibt un- Jahre lang konnte die Fan- und Ultrakultur gewiss. Viele Städte und Stadtteile sind um- weitestgehend frei ausgelebt werden, was kämpft und insbesondere die junge Gene- spektakuläre Choreografien und exzessive ration unberechenbar, sodass ein weiterer Pyroshows möglich machte. Mittlerweile Zwischenfall die Situation schnell wieder zum wurde ein neues Gesetz verabschiedet, dass Kippen bringen kann. Eines scheint jedenfalls die Gewalt beim Fußball eindämmen und den sicher. Der serbische Staat wird die Repres- Entfaltungsspielraum der Fans beschneiden 12 soll. Ähnlich wie in Serbien wird dieses Ge- der Torcida verlautbaren ließ, sondern wur- setz dazu genutzt, um im Wahlkampf Wähler- de nur aus ästhetischen Gründen fabriziert. stimmen zu fangen, denn mit dem Fingerzeig Die kleine „Endsieg“- Fahne bei Dinamo Za- auf Fußballfans als gesellschaftliches Übel kann von den eigenen Problemen abgelenkt werden. Wie überall auf dem Balkan sind ma- fiöse Strukturen in nahezu allen gesellschaft- lichen Teilbereichen – also auch im Fußball - präsent. Der Vizepräsident des größten kroatischen Clubs Dinamo Zagreb ist so ein selbstherrlicher Typ, der den Verein nach Gutsherrenart zum persönlichen Vergnügen führt. Aus diesem Grund befinden sich die aktiven Fans Dinamos - die „Bad Blue Boys“ Faschistische Symbolik bei Dinamo Zagreb (BBB) - seit über einem Jahr im Boykott. Es werden keine Spiele mehr besucht, wodurch greb wird auch „nur“ von einem einzigen in die ohnehin niedrigen Zuschauerzahlen auf Wien lebenden Kroaten aufgehangen. Auch knapp 3.800 Zuschauer_innen gesunken wenn sich offiziell ein unpolitisches Etikett sind, was für kroatische Verhältnisse aller- gegeben wird, so gibt es zahlreiche Beispie- dings noch gut ist. Denn insgesamt liegt die le, die eindeutig das Gegenteil beweisen. durchschnittliche Zuschauerzahl bei einem Eine Abgrenzung findet nicht statt und rech- Erstligaspiel in Kroatien bei etwa 2.000. te Symbolik und Gesänge sind weithin ak- Der Zuschauerkrösus (Schnitt: rund 7.500) zeptiert. Eine Renaissance hat ebenso die in Kroatien ist der aus der dalmatinischen Symbolik, die einen positiven Bezug zu den Hafenstadt Split kommende Verein Hajduk Ustascha (siehe Glossar) herstellen. Deutlich Split. Die Fans organisieren sich in der „Tor- wird es beispielsweise bei der Verwendung cida“, die sich bereits 1950 gründete und des kroatischen Wappens, das während der somit zu den ältesten Fangruppierungen der Ustascha-Zeit verwendet wurde. Dieses Wap- Welt zählt. Die Fangemeinde ist ähnlich wie pen beginnt oben links nicht wie das heutige die BBB und alle anderen großen Balkan- mit einem roten, sondern mit einem weißen Gruppen in viele verschiedene Subgruppen Kästchen (siehe Foto oben). Auch aus diesem untergliedert, die sich über das ganze Land Grund ist der bekannte kroatische Sänger verteilen. Bei der Torcida gilt die Regel, dass Thompson mit seiner Band gerade bei Fuß- ein Sektionsbanner von mindestens zehn ballfans sehr beliebt. Der in der kroatischen Leuten verteidigt werden muss, sonst wird es von der Gruppenführung eingezogen. Politisch gesehen ist die Fanszene Kroati- ens insgesamt auch als rechts einzuordnen. Obwohl es z.B. innerhalb der Torcida und den BBB auch Linke gibt, ist das Gros und die Außendarstellung rechts bzw. gibt es kaum Abgrenzungen gegen extrem rechte Strömungen. Rassistische Fangesänge wie z.B. Affenlaute sind bei Hajduk- Spielen ge- nauso zu hören, wie Keltenkreuzfahnen in ihrer Kurve zu sehen sind. Vor einigen Jahren gab es T-Shirts mit der Aufschrift „Hajduk Jugend“ – in der Aufmachung der „Hitler Ju- gend“. Selbstverständlich hatte das keinen politischen Hintergrund, wie ein Sprecher Thompson ruft meist nur im Ausland Empörung hervor 13 Gesellschaft relativ populäre Sänger, dessen Dinamo- und Hajduk-Fans geschlossen, um Name sich von der Waffe ableitet, mit der er gemeinsam gegen die serbischen Fans, vor im Kroatienkrieg kämpfte, macht eine extrem allem aus der verhassten Hauptstadt Belgrad nationalistische Musik und hat eine Nähe zur zu kämpfen. An dem gegenseitigen Hass hat Ustascha- Tradition. Seine Konzerte ziehen sich nur wenig geändert. Als Dinamo Zagreb regelmäßig Tausende an, die z.T. mit rechten 1997 gegen Partizan Belgrad in der Champi- Merchandising-Artikeln bekleidet sind. Glei- ons League Qualifikation spielte, waren kei- chermaßen erschreckend wie bezeichnend ne Gästefans zugelassen. Auch 2010 beim ist die Tatsache, dass der Thompson-Song Spiel von Dinamo Zagreb gegen den griechi- „Wie schön du bist“ (gemeint ist Kroatien) schen Verein PAOK Saloniki waren keine Gäs- bei Länderspielen im Maksimir- Stadion von te zugelassen. Ein wesentlicher Grund: Die Zagreb gespielt wird. Thompson, der mitun- Fans von PAOK, bekannt als Gate 4 haben mit ter kroatische Kriegsverbrecher unterstützte, den Grobari von Partizan eine innige Freund- steht sinnbildlich für einen fest in der kroa- schaft. Eine offensichtlich extrem rechte Fan- tischen Gesellschaft verankerten Nationalis- szene gibt es beim NK Zadar („Tornados“), Ci- mus. Ohnehin spielt der Krieg der Neunziger balia Vinkovci („Ultras Jahre nach wie vor eine große Rolle im kollek- Vinkovci“) und tiven Gedächtnis der Gesellschaft und somit HNK Rijeka auch der Fans. Das ostslawonische Städtchen („Armada“). Vukovar, nahe der serbischen Grenze, ist in Letztere Kroatien das Symbol für serbische Kriegsver- auch auf- brechen. Die Stadt wurde über mehrere Mo- grund eines nate belagert und auch heute noch gleichen „Identitäts- viele Häuser einem Schweizer Käse. Als 2008 komplexes“, ein Wohnheim von mit Roter Stern Belgrad da sie durch Schals vermummten Tätern überfallen wurde, die Nähe Italiens vereinte sich die ansonsten verfeindete Sze- als Italiener be- ne Kroatiens für einen Protestmarsch durch schimpft werden. die Stadt. Geht es gegen den gemeinsamen Der angekratzte Feind – in diesem Fall den „altbekannten Stolz wird dann mit Aggressor“ Serbien – oder für eine gemein- einer Extra-Portion same Sache – wie die „tapfere kroatische Nationalismus und Fa- Nation“ – geraten Rivalitäten schnell in den schismus kroatischer Hintergrund. Das war auch Ende der 1980er Prägung versucht zu kom- Jahre so, als sich der Zusammenbruch Jugo- pensieren. In der nordkro- slawiens immer mehr abzeichnete. Damals atischen Stadt Osijek wurde ein Waffenstillstand zwischen den („Kohorta“) werden

14 die Verhältnisse als nicht ganz so deutlich rechts beschrieben, obwohl auch dort schon Keltenkreuzfahnen die Kurve „schmückten“. Verhältnismäßig entspannt scheint auch die Situation in Pula zu sein, einer Stadt in der traditionell eher linken Region Istrien. Der dortige Club NK Istra 1961 wird von den „De- moni“ unterstützt, die von Punks gegründet wurden. Erst das Aufkommen einer jüngeren, eher rechts eingestellten Generation am An- fang der 2000er Jahren führte zu internen Konflikten. Trotzdem wurde der Gruppen- Ge- „White Angels“ bei RNK Split (2011) burtstag im ehemaligen Squat und heutigen sozialen Zentrum der Stadt, in welchem sie dem es bereits einigen Ärger gab. Nachdem (und auch die Torcida Pula) einen Raum ha- die Vereinsführung bzw. der Präsident vor ben, gefeiert. Und selbst der Doppelhalter drei Jahren das Wappen und die Vereinsfar- ben änderte und die White Angels dagegen protestierten, wurde der Präsident hand- greiflich. Stadionverbot hat er dafür natürlich nicht bekommen. Letztendlich muss leider auch davon ausgegangen werden, dass wenn die White Angels größer und wahrnehmbarer werden würden, sie mit einigen Problemen zu rechnen hätten. So spinnefeind sich die Fans dies- und jen- seits der serbisch-kroatischen Landesgrenze auch sein mögen, so ähnlich ist ihre Situati- on. Einst war die jugoslawische Liga die fünft- „Ultras no politica“ Demoni Pula (2010) beste Liga in Europa. Heute sind die natio- nalen Ligen der Nachfolgestaaten sportlich mit der Aufschrift „Ultras no politica“ kann unattraktive Staffeln, die von wenigen größe- angesichts des vorherrschenden rechten ren Clubs dominiert werden. Ob angesichts Mainstreams schon als fortschrittlich bewer- dieses Dilemmas die zunehmend diskutierte tet werden. Das alleinige positive Beispiel Wiedereinführung einer gemeinsamen Liga sind die „White Angels“ vom NK Zagreb, die jemals Realität werden wird, ist ungewiss. sich als antifaschistisch bezeichnen. Aller- Viel zu groß ist die Angst vor schweren Kra- dings zählen sie kaum mehr als zwei Duzend wallen bei Partien zwischen den einstigen Leute, sodass ihre Einflussmöglichkeiten Kriegsgegnern. Doch möglicherweise haben vergleichsweise gering sind. Obwohl es die die repressiven Maßnahmen gegen Fußball- Gruppe bereits seit acht Jahren gibt, hat sie fans irgendwann derart gegriffen, dass die ihr klar politisches Profil erst in den letzten Szene gänzlich tot ist? drei bis vier Jahren entwickelt. Trotz der gerin- gen Anzahl versuchen sie über ein jährliches Glossar 3: Konzert, Graffitis und Sticker wahrgenommen Ustascha: Die kroatisch-faschistische zu werden. Leicht haben sie es nicht, denn zu Ustascha- Bewegung wurde 1929 von normalen Heimspielen kommen gerade ein- Ante Pavelič gegründet, um für ein unabhängiges und „reines“ Kroatien mal 200 Zuschauer_innen und der eigentlich zu kämpfen. Im Zweiten Weltkrieg städtische Club wird streng autokratisch ge- wurde der „Unabhängige Staat Kro- atien“ der Ustascha als Nazi- Marionettenstaat installiert und u.a. führt. Der Präsident ist ein lokaler, einfluss- Völkermord vor allem gegen Serben, Juden und Roma begangen. reicher Mafiosi aus dem Baugewerbe, mit 15 Interview: Antifa Zagreb können. Also, die Linke befindet sich gerade im Aufbau. (Jugendorgansiation der Allianz der antifa- schistischen Kämpfer und Antifaschisten Kro- Gibt es eine Vernetzung innerhalb der kroati- atien) schen Linken und mit der Linken aus anderen Ländern, z.B. aus Ex-Jugoslawien?

Es gibt einige linke Organisationen in Kroati- en. Wir wollen zwar gerne alle mobilisieren, die an militanten, antifaschistischen Aktio- nen beteiligt sind, doch es gibt kein offizielles Netzwerk. Es gibt Leute, die in verschiedenen Gruppen arbeiten, aber leider gibt es auch ei- nige Leute die nicht der Meinung sind, dass Antifaschismus ein wichtiger Kampf im heuti- gen Kroatien ist. Im ehemaligen Jugoslawien haben wir gute Kontakte zu den Genoss_in- Demo gegen Roma-Diskriminierung in Zagreb nen in Novi Sad (Serbien), Mostar (Bosnien- Herzegowina) und Ljubljana (Slowenien). Lei- Könnt ihr die Antifa Zagreb kurz vorstellen? der sind das die einzigen Antifa-Gruppen in Ex-Jugoslawien. Unsere Gruppe gründete sich vor etwa zehn Jahren, aber damals ähnelte sie eher einer Gibt es in Kroatien Repressionen gegen An- liberalen NGO (Nicht-Regierungs-Organisa- tifas, z.B. durch Extremismus-Diffamierungen tion), da sie Teil einer Organisation von Par- wie es in anderen Ländern üblich ist? tisan- Veteran_innen war. Vor drei oder vier Jahren kamen dann neue und jüngere Leute, Es gab lediglich mal Probleme mit der Po- die mehr an militanten Antifaschismus inte- lizei aufgrund von Antifa- Plakaten (wegen ressiert waren, der näher an den Menschen Verwendung faschistischer Symbole, obwohl und nicht mit dem Staat verbunden ist. Wir sich die Plakate ausdrücklich gegen Faschis- sind eine Organisation mit festen Mitglie- mus richteten). Es gibt auf jeden Fall die Ver- dern, Mitgliedsbeiträgen und Statuten, aber suche sowohl von extrem rechten Medien, basisdemokratisch, in der jedes Mitglied die als auch von rechten Mainstream-Medien, gleichen Rechte (z.B. bei Entscheidungsfin- Antifaschismus und Nazismus gleichzusetzen dungen) hat. um den kroatischen (Ustascha-) Faschismus zu rehabilitieren. Dieses Thema ist auch ein Die kroatische linke Szene ist recht klein. wichtiger Teil unserer Arbeit. Was sind die Gründe dafür? Welche Subkulturen dominieren in Kroatien? Die linke Szene in Kroatien ist so klein, weil es im (Nachkriegs-)Kroatien keine Tradition Unter den „working class kids“ ist es sehr ver- einer militanten Linken neuen Datums gibt. breitet zur Fußballfanszene zu gehören, aber Daher muss alles irgendwie neu erfunden diese Szene ist fast komplett von Rechtsex- werden. Viele Menschen verbinden die Lin- tremen und Nazis dominiert. Es gibt natür- ke mit dem alten Jugoslawien-Regime und lich auch eine Punk- und Skinhead-Szene, haben aus diesem Grund noch berechtigte aber leider gibt es eine große „Grauzone“ Ressentiments. Außerdem, vor nur 15 oder von Leuten, denen alles egal ist und die An- 20 Jahren war Kroatien ein Land, in der die tifaschismus nicht als wesentlichen Teil ihrer falsche (ethnische) Zugehörigkeit ausreich- Subkultur ansehen. Das ist ein großes Prob- te, um eine Kugel in den Kopf bekommen zu lem, denn Faschismus muss überall bekämpft 16 „Faschismus zerstören – Gay-Aktivisten unterstützen“ werden: Auf Konzerten, in den Stadien, in der und Stadien vom Scum befreien. Wir müssen Nachbarschaft und überall. unsere Straßen zu Orten machen, in denen es keine Toleranz für Nazi-Ideologien gibt. Wir Was denkt ihr über die kroatische Gesell- haben gerade erst mit unserer Arbeit begon- schaft im Jahr 2011? Was sind wichtige The- nen und es gibt viele Dinge, die wir noch ler- men für die Menschen? nen müssen.

Die kroatische Wirtschaft gleicht einem Trüm- Wie sieht eine effektive internationale AFA- merhaufen. Es gibt eine enorme Arbeitslo- Kooperation aus? Wie können die Strukturen sigkeit, die weiter ansteigt. Die Menschen in Ex-Jugoslawien unterstützt werden? verlieren sämtliches Vertrauen in das politi- sche System, sodass eine große Gefahr be- Das wichtigste ist, sich gegenseitig bei De- steht, dass faschistische Ideen – ähnlich wie monstrationen, Festivals etc. zu unterstützen. vor dem Zweiten Weltkrieg – an Zustimmung Grundsätzlich ist es eine gute Sache in regel- gewinnen. Wenn wir nicht anfangen die Men- mäßigen Kontakt zu sein, um voneinander schen wachzurütteln und eine antifaschisti- lernen zu können. Interviews in Magazinen sche Alternative zu bilden, könnten wir in ein wie diesem sind wichtig, über die Situatio- paar Jahren vor großen Problemen stehen. nen und Initiativen von Anderen Bescheid zu wissen. Wir sind definitiv daran interessiert, Was muss angesichts dieser Aufgaben in Zu- mit anderen Gruppen zu kooperieren und uns kunft getan werden? gegenseitig zu unterstützen.

Wir müssen näher an die Menschen auf den Habt ihr ein letztes Statement für die Leser_ Straßen ran. Deshalb organisieren wir De- innen des Ultrash Unfug? monstrationen, Konzerte etc. Es gibt noch viel zu tun um in unserer Stadt aufzuräumen. Es Führt den Kampf in den Kurven und anderswo reicht nicht aus Demonstrationen zu organi- fort. Wenn ihr mal in Zagreb seid oder ihr eine sieren - wir müssen jeden Aufmarsch zweifel- Frage habt, kontaktiert uns. hafter Gruppen stoppen und unsere Straßen Und natürlich: Stay siempre antifascista! 17 Infoblock Bosnien & Herzegowina Bosnien und Herzegowina besteht faktisch aus zwei auto- nomen, etwa gleich großen Teilen: Der serbischen Republik (Republika Srpska) und der Föderation Bosnien und Herzego- wina. In der RS leben hauptsächlich (orthodoxe) Serben und in der FBH mehrheitlich (katholische) Kroaten und (muslimi- sche) Bosniaken (siehe Glossar). Daneben gibt es noch den kleinen Sonderverwaltungsbezirk Brčko-Distrikt. Diese poli- tische Gliederung ist eine Folge des Krieges und ein direktes Ergebnis des Dayton-Vertrages (siehe Glossar), der das offi- zielle Ende des Bosnien-Krieges markiert. In den Kriegsjah- ren kam es infolge massiver Vertreibungen der Bevölkerung zu Entmischungen, sodass sich die Bevölkerung zunehmend polarisiert hat. Schätzungen zufolge leben in der Republika Srpska etwa 1,5 Millionen Menschen, davon ca. 90% Serben und in der Föderation Bosnien und Herzegowina etwa 2,3 Millionen Menschen, darunter mehrheitlich Bosniaken (ca. 73% Bosniaken, ca. 21% Kroaten, ca. 5% Serben). Die se- paratistischen Tendenzen der Serben und Kroaten sind nach wie vor eine Belastung für das politische Klima.

Glossar 4:

Bosniaken: Alle Einwohner von Bosnien & Herzegowina sind Bosnier, dazu zählen die kroatischen Bosnier, die serbischen Bosnier und die muslimischen Bosnier, die als Bosniaken bezeichnet werden.

Dayton-Vertrag: 1995 wurde im US-amerikanischen Dayton nach dreieinhalb Jahren Kampfhandlungen der Bosnienkrieg beendet, indem das Abkommen von Dayton von den Beteiligten unterzeichnet wurde. Das Abkommen beinhaltet die Souveränität von Bosnien & Herzegowina und regelt die politische Ausgestaltung nach dem Krieg (z.B. die Teilung Bosniens in zwei Teilrepubliken).

Der Fußball in Bosnien & Herzegowina – Wenig Fußball, viel Politik.

Wie politisch der Fußball in Bosnien & Her- stützen würden. Nun ist der bosnische Fuß- zegowina wirklich ist, verdeutlicht die Sus- ball vorerst international isoliert, denn die pendierung des Fußballverbandes durch die Nationalelf ist von nun an bei der EM-Quali UEFA und FIFA am 1.April 2011. Zuvor stellten raus und die Topclubs werden nicht an der die beiden verantwortlichen Institutionen Champions- bzw. Europa League teilnehmen dem Verband ein Ultimatum, endlich nur ei- dürfen. Als wäre diese Situation für die meis- nen Präsidenten zu benennen, so wie es die ten Menschen im Land nicht deprimierend Statuten vorsehen. Tatsächlich haben die drei vorherrschenden Bevölkerungsgruppen, die Kroaten, die Serben und die Bosniaken je- weils einen Verbandspräsidenten. Daher kam es beim vorerst letzten Spiel der bosnischen Nationalelf gegen Rumänien zu Protesten un- ter dem Motto: Ein Verband, ein Präsident, ein Land. Die Nationalelf wird mehrheitlich, aber nicht ausschließlich, von der muslimi- schen Bevölkerung unterstützt. Diese werfen den bosnischen Kroaten und bosnischen Ser- ben vor, überhaupt kein Interesse an einer Einigung zu haben, da sie ohnehin eher ihre „Ein Verband, ein Präsident, ein Land“ – Proteste gegen „Mutterländer“ Kroatien und Serbien unter- die Suspendierung des Fußballverbandes 2011 18 (und bezeichnend) genug, so scheint die Sus- betrachtet man den gesellschaftlichen und pendierung auch nicht so weiteres rückgän- politischen Kontext in diesem Landesteil. gig zu machen sein. Viele Fußballexperten be- Ein offensiver und z.T. aggressiver serbischer werten die Lage so aussichtslos, dass sich auf Nationalismus sind in der Republika Srpska eine längere Isolation eingestellt wird. Dieser gesellschaftlicher Mainstream und Staats- Vorfall ist symptomatisch für die Spaltung des politik. Borac ist nicht der einzige serbische Landes, welche auch den bosnischen Vereins- Verein in Bosnien und Herzegowina. Aus der fußball betrifft. Nur die 1.Liga ist eine das ge- Hauptstadt Sarajevo, genau genommen aus samte Land umfassende Staffel, alle nachfol- dem serbischen Ostteil der Stadt, kommt der genden Ligen sind nach den beiden Entitäten 1993 neu gegründete Club Slavija Sarajevo. Republika Srpska und Föderation Bosnien & Deren Fans, die sich „Sokolovi“ (Falken) nen- Herzegowina organisiert. Mit dem Ende Ju- nen, sind bei den Derbys gegen die beiden goslawiens und dem Ausbruch des Krieges großen Hauptstadtclubs FK Sarajevo und den wurde der Fußball zeitweise gänzlich einge- Eisenbahnerverein Željezničar besonders mo- stellt. Von Mitte der Neunziger bis zur Jahrtau- tiviert – und nicht nur weil es ein Stadtderby sendwende gab es drei erste Ligen, die sich ist. Es waren die Fans von Slavija, die beim jeweils ausschließlich aus serbischen, kroa- ersten Länderspiel von Bosnien & Herzegowi- tischen und bosniakischen Clubs zusammen- setzten. Erst in der Saison 2002/2003 wurde eine gemeinsame Erste Liga, die heute 16 Clubs umfassende Primijer Liga aufgestellt. Auch wenn man Gefahr läuft, die Situation allzu schemenhaft abzubilden, in der Primijer Liga gibt es viele Beispiele, welche die unter- schiedlichen (nationalen) Identitäten sehr gut darstellen. Der aktuelle Tabellenführer und wohl kommende Meister Borac Banja Luka kommt aus der Hauptstadt der Republika Srpska. Die Transparente sind auf kyrillisch „Sokolovi serbisches Sarajevo“ - Transparent und Choreo- und serbische Nationalsymbolik im Stadion grafie in den serbischen Farben beim Slavija-Heimspiel allgegenwärtig. So sieht sich die Hauptgrup- pe „Lešinari“ (Geier) als serbische Gruppe na gegen Serbien & Montenegro 2005 in Sa- und orientiert sich ultra-mäßig eher an Serbi- rajevo mit einem großen blauen „Serbisches en als an Bosnien & Herzegowina. Die natio- Sarajevo“- Transparent in den Gästeblock nalistische Rhetorik und Symbolik im Stadion stürmten um die Zuschauer zu provozieren. sind jedoch nicht sonderlich ungewöhnlich, Dieses Transparent und weitere nationalisti- sche und rechte Symbolik werden bei Spielen von Slavija regelmäßig präsentiert – eben mit Vorliebe bei den Derbys. Die beiden großen traditionellen Hauptstadtclubs FK Sarajevo und Željo hingegen sind von ihrer Zuschauer- struktur nicht so homogen wie die Clubs, die sich erst nach dem Krieg neu gründeten, da nationalistische Vereine zu Zeiten Jugoslawi- ens verboten waren. Der FK Sarajevo bzw. die „Horde Zla“ (Horde des Bösen) bezeichneten sich in den Zeiten der jugoslawischen Liga als Jugoslawen. Sie standen damit im Kontrast Graffiti mit den Umrissen der Serbischen Republik zu den nationalistischen Fans aus Belgrad, (Republika Srpska) und serbischer Fahne Zagreb oder Split. Heute ist dieser „Spirit of 19 “ merklich – aber nicht gänzlich Mostar, der größten Stadt im Landstrich Her- – verflogen. Genau wie die „Maniacs“ vom zegowina, im Südwesten des Landes. Die Stadtrivalen Željo wird auch hier vermehrt auf Stadt ist seit dem Krieg in einen kroatischen nationalistische Symbolik zurückgegriffen. Westteil und einen muslimischen Ostteil ge- Bei beiden Clubs ist das Emblem der Armee teilt, wobei es sich um eine imaginäre Gren- der Republik Bosnien & Herzegowina sehr be- ze entlang der ehemaligen, mitten durch die liebt. Sarajevo wurde im Bosnienkrieg 1425 Stadt verlaufenden Frontlinie handelt. Der Tage von serbischen Truppen beschossen Traditionsclub Velež Mostar, einst der fünft- und belagert, was die längste Belagerung im beste Club in Jugoslawien, brachte auch 20.Jahrhundert darstellt. Die bosnische Ar- hierzulande bekannte Talente wie Sergej mee gilt einerseits als Verteidiger der Stadt, Barbarez und Hasan Salihamidžić hervor. aber die Verwendung des Symbols hat noch Beim Europapokalspiel 1987 gegen Borussia einen weiteren, subtileren Grund: Die an- Dortmund belagerten die Fans das Hotel der fänglich (ethnisch) gemischte Armee wurde Borussen und machten die ganze Nacht Lärm. zunehmend von Bosniaken - also Muslimen Unausgeschlafen musste sich die Dortmun- – dominiert, sodass die Verwendung des der Mannschaft mit 1-2 geschlagen geben. Symbols auch als ein Bekenntnis zum „Bos- Vor dem Krieg spielte Velež im großen städ- niakentum“ gilt. Aber es gibt in Sarajevo auch tischen Stadion und wurde von allen Bevöl- kerungsgruppen gleichermaßen unterstützt. 1992 gründet sich der zuvor 47 Jahre lang ver- botene kroatische Club Zrinjski Mostar neu, der fortan das große Stadion okkupiert, da es sich im Westteil der Stadt befindet. Velež spielt seitdem auf einem besseren Dorfplatz außerhalb der Stadt, der in den vergangenen Jahren mühevoll und schrittweise ausgebaut wurde. Auch die „Red Army Mostar 1981“ be- zeichnet sich als (vorrangig traditionell) an- tifaschistisch, was auch in der Tradition des Erinnerung an das Massaker von Srebrenica und Emblem Clubs begründet ist, bei dem es viele Partisa- der bosnischen Armee auf einer Fahne beim FK Sarajevo nen unter den Spielern gab. In jüngerer Ver- gangenheit gibt es jedoch einige Bestrebun- Fans, die keine Verfechter eines aggressiven gen, antifaschistische Werte und Haltungen Nationalismus´ sind, sondern einer eher tra- auf alle bestehenden Diskriminierungsfor- ditionell linken Grundhaltung nahe stehen. men auszuweiten. Davon Lichtjahre entfernt Beim FK Sarajevo gab es sogar vor einiger Zeit sind die Fans des kroatischen Lokalrivalen. eine Initiative, eine explizit linke Gruppe in- Viele kroatische Fans, einige davon sogar bei nerhalb der Horde Zla zu gründen. Es sind vor der „Red Army“ aktiv, „wechselten“ nach der allem die Vereine aus dem muslimisch domi- Neugründung zu Zrinjski und formierten 1994 nierten Teil Bosniens, die nach wie vor Jugos- die „Ultras Mostar“. Trotzdem sind die beiden lawien nahe stehen und eine eher traditionell Gruppen nicht so homogen, wie es vielleicht antifaschistische Haltung einnehmen. vermuten lässt. So war zeitweilig der Spre- In der Industriestadt spielt der Verein cher der „Ultras Mostar“ ein Muslim und sein Čelik, dessen Ultras sich „Robijaši“ (Sträf- Gegenüber bei der „Red Army“ ein Kroate. Der linge; aufgrund des größten bosnischen Ge- Name „Ultras Mostar“ bzw. die Abkürzung fängnisses in Zenica) nennen. Die meisten UM sind jedoch nicht unbewusst gewählt und Fans bezeichnen sich als Antifaschisten und kann auch für Ustascha (kroatische Faschis- Tito-Anhänger aus der Tradition heraus, eine ten; siehe Glossar 3) und Mlade (Jugend) ste- klassisch jugoslawische Working Class- Stadt hen. Die Gruppe hat eine rechte und extrem gewesen zu sein. Ähnlich verhält es sich in nationalistische Ausrichtung, was zahlreiche 20 Graffities, Choreografien und Transparent be- legen. Noch krasser sind nur die „Škripari“ vom NK Široki Brijeg aus der gleichnamigen, unweit von Mostar gelegenen und weniger als 30.000 Einwohner zählenden Stadt. Der Name Škripari leitet sich von „ Škripa“, einem lokalem Wort für Unterschlupf ab, in dem sich die faschistischen Ustascha- Kämpfer vor den Partisanen versteckten. So präsentieren die Škripari nicht nur permanent kroatisch-natio- nalistische, sondern auch faschistische Sym- bolik, wie beim letzten Spiel gegen den FK Sarajevo, als eine Hakenkreuz- neben einer Vatikanfahne hochgehalten wurden, um die „muslimischen“ „Jugoslawen“ aus der Haupt- stadt zu provozieren. Široki Brijeg ist nicht nur das Zentrum des Kroatentums in Bosnien & Herzegowina, sondern insgesamt eine ausge- sprochene rechte und Ustascha-freundliche Stadt. Der Präsident des Clubs, ein lokaler Mafiosi, drängt alle Unternehmen der Stadt Zrinjski Mostar: menschliches Ustascha „U“ (oben) dazu, den Verein zu unterstützen, um ihn als NK Široki Brijeg: Vatikan- und Hakenkreuz-Fahne (unten) kroatisches Prestigeobjekt nutzen zu können. Eine weitere Besonderheit ist, dass in der Mannschaft nur Katholiken spielen dürfen. Grob zusammengefasst spielt die nationale Identität im bosnischen Fußball eine große Rolle – und das bei allen Bevölkerungsgrup- pen, wobei der kroatische und serbische Na- tionalismus eine aggressivere Ausstrahlung hat. Des Weiteren können die meisten serbi- schen und kroatischen Clubs bzw. deren An- hänger eher als rechts bezeichnet werden, wohingegen bei bosniakischen Clubs eine eher Jugoslawien- und Tito-freundlichere Gesinnungen verbreitet sind. Die relativ weit verbreitete Ablehnung neonazistischer Ideologien verdeutlicht ein aktuelles Bei- spiel. Als bekannt wurde, dass es Versuche von neofaschistischen Diaspora- Bosniaken aus Skandinavien, Deutschland und Öster- reich gibt (die sich in der Tradition der mus- limischen SS-Division Handschar wähnen, welche sich hauptsächlich aus Bosniaken rekrutierte), die Spiele der bosnischen Na- tionalmannschaft zu unterwandern, wa- ren viele Fans alarmiert. Im Falle einer öf- fentlichen Zurschaustellung der Neonazis beim Länderspiel gegen Rumänien hätte es „Tod dem Faschismus“-Graffiti der Robijaši Zenica (oben) wohl direkt eine schlagkräftige Antwort gege- Velež Mostar: Choreografie der Red Army 1981 (unten) 21 ben. Ohnehin ist der Organisierungsgrad bei Im Überblick: AFA-Strukturen den Fans der Nationalmannschaft womöglich einzigartig. Infolge des Krieges gibt es viele in Ex-Jugoslawien Bosnier die im Ausland leben und dort kei- ne Clubmannschaften unterstützen. Daher Über linke Strukturen in den Ländern des gibt es vier „fachgemäße“ Ultra-Gruppen, ehemaligen Jugoslawiens ist hierzulande die ausschließlich die Spiele der National- kaum etwas bekannt. Wenig überraschend mannschaft unterstützen. Die größte Gruppe ist die Tatsache, dass die linken Szenen im sind die BHFanaticos, welche ein strammes Vergleich zu den Ländern in Westeuropa sehr und durchorganisiertes Auftreten haben. Die klein sind und mit vielen essentiellen Proble- Belaj Boys kommen vor allem aus Österreich men zu kämpfen haben. Eine Infrastruktur be- und sind weniger straff organisiert, dafür ten- stehend aus szeneeigenen Treffpunkten, Par- denziell eher links eingestellt, was auch ihre tylocations, Werkstätten, Druckereien usw. guten Kontakte zu den „Robijaši“ aus Zenica ist kaum bis gar nicht vorhanden. Stattdes- belegen. sen gibt es eine Reihe von sozialen und po- litischen Problemen in den Nachkriegsgesell- schaften auf dem Balkan, über die an anderer Stelle in diesem Heft bereits berichtet wurde. Doch trotz dieser beschissenen Ausgangsla- ge gibt es einige sehr engagierte Gruppen, die aktiv gegen Nationalismus, Faschismus, Sexismus und Homophobie vorgehen. Die größte Gruppe in Serbien ist die Antifa- schistische Aktion Novi Sad (Afans), aus der nordserbischen Hauptstadt der Vojvodina Re- gion. Die Afans gibt es seit ca. zehn Jahren und ihre Arbeitsschwerpunkte sind klassische An- tifa- Arbeit. Erfolgreiche Aktivitäten der letz- Spiel der bosnischen Nationalmannschaft im Hexenkessel ten Jahre sind die alljährlich im November am „Bilino Polje“ (Zenica) Tag gegen Faschismus stattfindenden Festi- vals, die mehrere Hundert junger Menschen Insgesamt steht es um den bosnischen Fuß- erreichen. Außerdem gab es 2007 eine große ball nicht gerade gut. Die bereits erwähnte Antifa-Demo mit etwa 5.000 Teilnehmer_in- Suspendierung des Fußballverbandes ist nen gegen einen Aufmarsch der Neonazi-Ka- hierbei nur ein Beispiel. Die Primijer Liga meradschaft „Nacionalni stroj“. Seit einigen ist sportlich unattraktiv, sodass wenige Zu- Wochen gibt es auch einen von anderen Leu- schauer (Durchschnitt: 1.700) in den Stadien ten organisierten Infoladen und seit einigen sind. Ein Hauptgrund für dieses Dilemma ist Jahren bereits das „Schwarze Haus“ (CK13), der große Einfluss der Mafia, die im Grun- das der alternativen Szene in Novi Sad als de genommen den Fußball im Land steuert. Treffpunkt und Party- bzw. Konzert- Location Spielverschiebungen, Bestechungen und Ab- dient. In der serbischen Hauptstadt Belgrad sprachen sind alltäglich, sodass in Bosnien ist die linke Szene in ideologischen Strömun- Wetten nur in Kombination mit Tipps auf aus- gen zersplittert und zahlenmäßig (für eine ländischen Spielen abgeschlossen werden Millionenstadt) sehr klein, sodass ihre ge- können. Niemals dürfen nur bosnische Spie- sellschaftlichen Einflussmöglichkeiten und le getippt werden. Auch wenn der bosnische die öffentliche Wahrnehmung eher gering Fußball nicht gerade attraktiv erscheint, die sind. Immerhin gibt es ein sehr sympathi- politischen Dimensionen, die sich im Sport sches, einer Gartensparte ähnelndes Häus- niederschlagen, sorgen für eine interessante chen und einen frisch eröffneten Infoladen, Ausstrahlung und Brisanz. wobei diese Orte nicht öffentlich agieren, um 22 Problemen vorzubeugen. Bekannt geworden spiriert von den Protesten in der arabischen ist die linke Szene Belgrads vor allem durch Welt wurde auch in Kroatien via Facebook und die unrechtmäßige Inhaftierung von sechs andere soziale Netzwerke zum Widerstand Anarchist_innen 2009, welche die griechi- gegen die korrupte Regierung aufgerufen. sche Botschaft attackiert haben sollen. In vielen Städten, allen voran in der Haupt- Leider gibt es kaum Kontakte zwischen den stadt Zagreb, gingen regelmäßig Hunderte Aktivist_innen der relativ nah beieinander und Tausende auf die Straßen. Allerdings liegenden Städten Belgrad und Novi Sad, wo- beteiligen sich an den Proteste gleicherma- durch der Szene insgesamt sicher einiges an ßen linke, als auch rechte Gruppen, sodass Potential flöten geht. Allerdings haben beide bis auf die Rücktrittsforderungen keine po- Städte gute Kontakte nach Zrenjanin, einer litischen Ziele formuliert werden. Insgesamt kleinen, ebenfalls in der Vojvodina liegenden ist die Situation in Zagreb besser als z.B. in Stadt. Auch dort gibt es seit einigen Jahren Belgrad, da es kaum organisierte Neonazis eine aktive Szene, die ebenfalls alljährlich oder einflussreiche rechte Strukturen gibt. ein Antifa- Festival organisiert. Darüber hin- So kann die Zagreb Pride nach anfänglichen aus gibt es auch noch Aktivist_in- Problemen im Jahr 2002 alljährlich nen im südostserbischen Niš, weitestgehend störungsfrei die angesichts ihrer ge- ablaufen. Mittlerweile gibt ringen Anzahl und den es sogar zahlreiche So- dortigen Neonazi- Ak- lidaritätsbekundun- tivitäten einen rich- gen von Passant_in- tig schweren Stand nen, ein Zustand, haben. Ansonsten der in Belgrad so gibt es hier und leider undenkbar dort sicher noch ist. Die meisten aktive Leute, aber Probleme in Zag- keine richtigen, reb und allgemein arbeitsfähigen in Kroatien gibt es AFA- Strukturen. mit rechten Hooli- In Kroatien kon- gans, die politisch zentrieren sich an- nicht organisiert tifaschistische Aktivi- sind, aber mitunter ge- täten auch an wenigen walttätig gegen Anders- Orten. In der Hauptstadt denkende vorgehen. Neben Zagreb gibt es die Antifa Zag- Zagreb gibt es in Pula noch eine reb (Interview im Heft), die sich als aktive Szene. Pula ist mit 60.000 gleichzeitig als Jugendorganisation einer Einwohner_innen die größte Stadt der tradi- Partisan_innenvereinigung versteht, wo- tionell als linke Region bekannten Halbinsel durch deren Räumlichkeiten für Treffen ge- Istrien. Seit 1992 findet in Pula das Montepa- nutzt werden können. Im vergangenen Jahr radiso, ein großes Hardcore- und Punkrock organisierte die Antifa Zagreb erstmals eine Festival, statt. Doch nicht nur das: Auch in „Antifa Nacht“ mit verschiedenen Konzerten. Pula gibt es ein alljährliches Antifa-Fest. Au- Eine gute Zusammenarbeit besteht mit den ßerdem gibt es im Ort das soziale Zentrum „White Angels“ vom NK Zagreb, der einzigen Rojc, ein ehemaliges besetztes Haus, das linken Fangruppe in Kroatien. Neben einigen mittlerweile öffentlich gefördert wird und auf alternativen, aber kommerziellen Clubs und über 16.000 Quadratmetern Nutzfläche von Bars gibt es das aus einem Squat hervorge- mehr als 100 Gruppen und NGO´s genutzt gangene „Medica“, das heute ein von der wird. Stadt unterstütztes alternatives Zentrum für In Bosnien & Herzegowina gibt es lediglich Konzerte, Ausstellungen, Treffen etc. ist. In- in der Föderation Bosnien & Herzegowina 23 - nicht aber in der Republika Srpska - anti- Im letzten Ultrash Unfug gab es einen Lage- faschistische Strukturen. Die aktivste Anti- bericht zum FC Arsenal Kiev und MTZ Ripo fa- Gruppe kommt aus der in einen muslimi- Minsk. Ein Jahr später wollen wir wissen, schen Ostteil und einen kroatischen Westteil was sich getan hat. Deshalb brandaktuell gespaltenen Stadt Mostar. Die Verhältnisse zwei Kurz-Interviews mit einem Mitglied der in der Stadt lassen sich gut am Straßenbild „Hoods“ (Arsenal Kiev) und einem Mitglied ablesen. Während in Ost-Mostar recht viele der „Rebel Ultras“ (MTZ Ripo). Antifa- Sticker und Parolen zu sehen sind, prägen im kroatischen Teil viele rechte und Interview: FC Arsenal Kiev faschistische Schmierereien das Straßenbild. Im vergangen Jahr wurde im sozialen Zentrum OKC Abrašević erstmals ein Antifa-Festival Hallo – Danke für das Interview. Gib uns doch organisiert, das erfolgreich über die Bühne einen kurzen Überblick über die aktuelle Situ- ging. Auch in Sarajevo gab es 2010 ein ers- ation bei Arsenal. Wie läuft es sportlich? Was tes Antifa-Festival, allerdings ohne Konzerte, geht auf den Rängen? sondern mit Workshops und Diskussionsrun- den. In der Hauptstadt gibt es bis auf ein al- Arsenal ist wie üblich in der oberen Tabel- ternativ geprägtes Kino/Theater mit Bar keine lenhälfte und kämpft um einen Platz in der Szene-Lokalitäten. Eine Antifa-Gruppe gibt es Europa Liga. Auch wenn wir unseren größten in Sarajevo noch nicht, da innerhalb der lin- Rivalen – Dynamo Kiev – im Pokalhalbfinale ken Szene in Bezug auf Themen wie Homo- schlagen, sind wir automatisch in der Europa phobie noch kein gemeinsamer, in jeder Hin- Liga. Obwohl das Team in den letzten Spielen sicht antifaschistischer Konsens formuliert unbeständige Resultate erzielte, haben wir werden konnte. Insbesondere Themen wie derzeit und erstmals in unserer Geschichte Homophobie und Mackerverhalten spiegeln die Chance europäisch zu spielen. die Diskrepanz zwischen eher traditionalisti- schen und eher progressiven Antifas ziemlich Was die Entwicklung auf den Rängen angeht, deutlich wieder, denn es gibt viele Gruppen, so haben wir einige Probleme mit der Organi- die sich aus den unterschiedlichsten linken sation von systematischen Performances, so- Strömungen zusammensetzen. Derzeit wird dass nicht jedes Spiel so bunt ist, wie wir es versucht, die antifaschistischen Strukturen in gerne hätten. Aber wir haben zuletzt probiert Bosnien & Herzegowina stärker miteinander bei fast allen Spielen Pyros einzusetzen. Au- zu vernetzen, um mehr von der Arbeit der an- ßerdem haben wir nach wie vor Probleme mit deren mitzubekommen. der Clubführung, was irgendwie komisch ist, In Jugoslawien gab es vor dem Krieg eine brei- da der Präsident ein offizielles antifaschisti- te und sehr aktive subkulturelle Szene, doch sches Komitee unterstützt und der Kopf des die Kriege der Neunziger Jahre haben eine Ukrainischen Jüdischen Kongresses ist. In- weitere Entwicklung gestoppt. Angesichts der des bevorzugt er es, mit dem „apolitischen“ vielen sozialen und politischen Probleme und dem Mangel an geeigneten Infrastrukturen ist es schwierig, wirksame antifaschistische Ar- beit aufzubauen. Doch die positiven Entwick- lungen in den letzten Jahren machen Mut. In vielen Städten gab es erstmals Antifa-Festi- vals und auch die Vernetzung untereinander wird schrittweise verbessert. Leider gibt es noch sehr wenige, explizit antifaschistische Bands, wohingegen im oft als hoffnungslos verloren geglaubten Bereich Fußballfankultur zaghafte Fortschritte erkennbar sind. 24 (Fan-)Sektor zu kommunizieren, der kontrol- lierbarer für ihn ist.

Die Zahl der Leute in unserem Sektor wächst langsam aber stetig. Jetzt können wir bis zu hundert Leute bei wichtigen Spielen zäh- len. Die Atmosphäre ist oft abhängig vom Spiel, gleichwohl jede/r die Passion und den Wunsch hat, das Team zu unterstützen und nach vorne zu bringen.

Seit einiger Zeit sind die Arsenal Supporter in einen apolitischen und einen linken Sektor geteilt. Wie kam es dazu und was bedeutet das?

Die Teilung lässt eine parallele Entwicklung beider Gruppen vermuten, aber aktuell erle- weiterentwickeln. Eine Strömung lässt sich ben wir einige komische Entwicklungen in- von der russischen „SHARP-Tendenz“ des nerhalb der „apolitischen“ Gruppe, die eher „patriotischen Antifaschismus“ leiten, der einer rechten anstatt apolitischen Gruppe ehrlich gesagt voll ist mit Intoleranz, Sexis- ähneln. Da bewegt sich einiges in Richtung mus und Blödheit. Hoffentlich überstehen wir Patriotismus und dumme Stereotype... Die das und werden ein Teil der sozialen Kämp- apolitische Gruppe hat sich entschieden ab- fe in den Fankurven. Es gibt definitiv einen zuspalten, da sie wahrscheinlich nicht bereit Hoods-internen Kampf zwischen diesen bei- waren die Verantwortung dafür zu tragen, den Strömungen. Wir wollen die proletarische antirassistisch zu sein. Die Spaltung erfolgte Fußballkultur - im Gegensatz zu der momen- nachdem sie es ablehnten, ein Transparent in tan dominierenden Mittelklassen-Kultur mit Erinnerung an die russischen Antifaschist_in- ihren Werten – weiterentwickeln. Wir versu- nen zu zeigen, die von Nazis getötet wurden. chen unseren Sektor in die richtige Richtung Sie haben gesagt, dass sie keine Politik im mittels unseres Blogs (www.fcak.tk) und Block haben wollen, aber das ist eine dämli- unseres Fanzines zu schieben. Letzteres ver- che Begründung. Die Beziehungen zueinan- suchen wir auf den gesamten post-sowjeti- der sind derzeit sehr beschränkt. schen Raum hin auszurichten (bzgl. Themen, Verwendung Russisch und nicht Ukrainisch). Die Arsenal Fans sind für einen seltsamen Hu- Jetzt sammeln wir Material dafür, also wenn mor bekannt, denkt man an „Hoods, Hoods, ihr gute Ideen habt seid ihr eingeladen mit- Klan“ oder die Verwendung von Runen. Was zuwirken. Allgemein erwarten wir in Zukunft ist der Hintergrund? mehr Repressionen je näher die EURO 2012 kommt und viele Kämpfe. Das hat keine spezielle Bedeutung. Wir ma- chen uns über alles lustig – inklusive dem ultra-rechten Scum.

Was können wir in Zukunft erwarten?

Wir hoffen, dass wir eine erfolgreiche Alterna- tiv-Fankultur zum extrem rechten Mainstream Vielen Dank und lasst euch nicht unterkrie- formen können. Es gibt innerhalb der Hoods gen! Keep on fighting for a football without eine Debatte darum, wie wir unseren Sektor racism, fascism and discrimination! 25 Interview: MTZ Ripo Minsk Die rechten Hools haben weiterhin Angst in (offiziell Partizan Minsk) der Stadt, doch wenn sie viele sind, gibt es auch mal Attacken auf uns. Aber nach solchen Wie steht MTZ Ripo aktuell da und wie läuft es Vorkommnissen bekommen sie immer die in der Fanszene? doppelte Portion zurück, wenn wir sie erwi- schen. In jedem Fall werden es mehr Leute Die positiven Entwicklungen gehen weiter, bei MTZ Ripo. obwohl MTZ Ripo in der letzten Saison aus der Premier Liga in die 1. Division abgestie- In Weißrussland gab es zuletzt starke Repres- gen ist. Viele dachten zunächst, dass der Club sionen gegen Oppositionelle. Waren davon vielleicht komplett ausscheiden würde, doch auch MTZ Ripo Leute und Antifas aus Minsk zum Glück sind die Sponsoren geblieben, betroffen? sodass es weiter gehen kann. Die wichtigste Aufgabe ist jetzt wieder zurück in die Premier Die Repressionen haben schon im Septem- Liga aufzusteigen, wozu sie die besten Chan- ber 2010 angefangen, nachdem die russische cen haben (derzeit Tabellenführer mit drei Botschaft attackiert wurde. Da waren auch Siegen und keinem Gegentor). Leute vom Fußball betroffen, da sich viele Anarchisten für Fußball begeistern. Viele mussten für zehn Tage in U-Haft, es wurden Computer konfisziert und es gab genauso un- angekündigte Hausbesuche, als auch Vorla- dungen zum Geheimdienst KGB.

Wie sieht die Situation für kritische Men- schen in Weißrussland insgesamt aus? Kann sich die Szene bei diesem staatlichen Druck weiterentwickeln?

Wie sieht es in der Fanszene aus? Wie viele Natürlich ist jetzt eine schwierige Zeit gekom- Leute gehören zur aktiven Szene? men, besonders nach den Präsidentschafts- wahlen im Dezember 2010. Jede Kritik am Zu den Ultras gehören ca. 100-130 Leute Präsidenten Lukaschenko wird hart bestraft. und zu den Supportern vielleicht 600-650. Da die Opposition käuflich ist und eine Zu- Die Jugend springt gut auf MTZ Ripo an und sammenarbeit mit Parteien pflegt, ist die Ju- lässt sich gut begeistern. Zu den Heimspielen gend eher von der Anarcho-Antifa-Szene be- kommen immer mehr – etwa 400 – 450 im eindruckt und lässt sich mehr beeinflussen. Durchschnitt. Zu den Auswärtsspielen fahren immer ca. 70 bis 80 Leute mit. Спасибо!

Hat sich beim Style etwas verändert?

Beim Style hat sich eigentlich nichts verän- dert, außer das Transparente und Gesänge vermehrt auch auf weißrussisch und nicht auf russisch sind.

Und wie sind die Verhältnisse in der Stadt? Ist MTZ Ripo immer noch die Nummer 1 oder gibt es wieder vermehrt Stress mit Faschos und Hools von Dinamo Minsk?

26 20 Jahre Nordkurve Babelsberg

In Potsdam wurde bereits vor dem Mauerfall Fußballabteilung ausgegliedert und als SV erstmals ein Haus öffentlich besetzt. Das Babelsberg 03 neu gegründet. Die Spiele der Haus in der Gutenbergstraße Ecke Dortustra- Bezirksliga gegen Teams wie Nennhausen ße sollte der Startschuss für eine regelrechte konnten nur wenige Kiebitze ins Stadion lo- Besetzungswelle werden. Denn mit dem Mau- cken. Doch in der Nordkurve versammelten sich junge Punks und Squatter, die sich bei mitgebrachten Bierkästen die Sonne auf den Pelz scheinen und ihre Hunde frei herumlau- fen ließen. Mit der Zeit wurden es immer mehr und noch 1991 wurde in der Gutenbergstraße das erste Babelsberger Fanzine „Abseits“ - schön oldschool mit Schreibmaschine und im Schnipsellayout – angefertigt. Außerdem gab es bereits Fanzusammenschlüsse wie z.B. die „Napalm-Hools“ und der bis heute exis- tierende Freundeskreis „Rhoter Rhombus“. Anfang der Neunziger war das Verhältnis zu Dortustraße Ecke Gutenbergstraße (Foto: Hassan J. Richter) Teilen der Mannschaft derart innig, das des Öfteren mal in einer der vielen Besetzerknei- erfall wurde eine spannende, gesellschaftli- pen gefeiert wurde. Mit dem aufkommenden che Experimentierphase eingeläutet, in der sportlichen Erfolg (91/92 Aufstieg in die Lan- eine staatliche Ordnung kaum durchgesetzt wurde. Einerseits sorgte das zwar für ein raues Klima z.B. in den Neubaugebieten, wo Faschos schnell die Oberhand gewannen, aber andererseits konnte sich in der Pots- damer Innenstadt die Hausbesetzerszene massiv ausbreiten. Mit den Kämpfen um die Mainzer Straße in Berlin verlagerte sich ein Teil der Hausbesetzerszene nach Potsdam. Auch aus anderen Städten und Ländern ka- men experimentierfreudige Menschen, um sich am vielfach zur Verfügung stehenden Wohnraum zu bedienen. Potsdam wurde zu Drei Piraten-Flaggen und ein rot-weißer Motor-Lappen einem Zentrum der Hausbesetzerbewegung Nordkurve 1991 und deren Zentrum war die Gutenbergstraße. Die Parallelstraße zur Haupteinkaufstraße desliga, 92/93 Aufstieg in die Verbandsliga) war nahezu komplett besetzt. Mittlerweile wuchsen zaghaft auch die Zuschauerzahlen sind jedoch fast alle Spuren weg-gentrifiziert. im Karli und es gab erste organisierte Aus- Eben in jener Gutenbergstraße fanden sich wärtsfahrten. In der damaligen Zeit gab es junge Menschen zusammen, um mal wieder regelmäßig Stress mit Faschos, wenn sich ein ins Karl-Liebknecht-Stadion (Karli) zu pilgern. bunter Mob aus Babelsberg auf den Weg in Zu DDR-Zeiten gingen viele von ihnen zur die Provinz (z.B. Fürstenwalde) machte. Mitte BSG Motor Babelsberg, doch mit der Wende der Neunziger Jahre gab es auf der Haupttri- verschwand der Verein in der Versenkung. büne zwar einen kleinen Stimmungsblock, Durch das Ausscheiden des Karl-Marx-Wer- doch in der Nordkurve hatte sich bereits eine kes konnte die Mannschaft nicht zusammen richtige Fankultur etabliert. Es gab einige gehalten werden. 1991 wurde aus Motor die schöne, schlichte Zaunfahnen und zum Auf- 27 stieg in die Oberliga 1996 eine ordentliche nate nach der Munke-Gründung konstituierte Bengalo-Pyroshow. In der Oberliga änderte sich das Filmstadt Inferno´99 (FI99), um die sich plötzlich einiges in Babelsberg. Mit der Nordkurve auch zur Ultra-Kurve werden zu Semi-Professionalisierung wurden die Frei- lassen. Für die gesamte Fanszene vorteilhaft heiten in der Nordkurve (Bierkästen, Hunde war, dass sich das FI99 durch die guten Kon- etc.) beschnitten und Konfrontationen mit takte zu den „älteren“ Nordkurven-Fans offen Ekel-Securities und Vereinsoffiziellen nahmen als antirassistisch positionieren konnte, denn zu. Mit einem weiteren Durchmarsch erspielte gerade unter den jugendlichen Babelsberg- sich die Equipe für die Spielzeit 1997/98 ei- Fans waren die Verhältnisse bei weitem nicht nen Startplatz in der Regionalliga Nord. Das so klar, wie sie es heute sind. Neben dem bedeutete nicht nur klangvolle Gegner, son- FI99 gab es noch weitere ultra-orientierte dern auch drastische Veränderungen in der Gruppen. Als am namhaftesten sei hier Ide- Zuschauerstruktur. fix´99 erwähnt, aber auch kleinere Gruppen Fast sah es so aus, als würde die Stimmung in wie Nova Generatio oder Karli Freaks, die sich Babelsberg kippen. Immer mehr rechtsoffene mehr oder weniger engagierten, ihre Aktivitä- und rechte Leute interessierten sich plötzlich ten aber bald einstellten, da sich die aktiven für den SVB 03. Doch nicht nur das: Die Nord- Leute dem FI99 anschlossen. Die Jahre um und kurve wurde zum Saisonbeginn kurzerhand nach der Jahrtausendwende hatten es emoti- zum Gästeblock umfunktioniert, sodass die onal in sich. Der SVB 03 schaffte zunächst die aktive Fanszene praktisch gänzlich vertrieben Qualifikation zur neu eingeführten Regional- wurde. Auf der Gegengerade konsolidierte liga Nord und stieg schließlich sogar in die 2. sich das Ganze wieder etwas, nachdem or- Bundesliga auf. Als Kleiner unter den Großen ganisierte Stimmung im Karli faktisch ver- hatten wir sportlich nichts gegenzuhalten. Die schwunden war. 1998 erfolgte die Gründung größenwahnsinnige Vereinsführung inves- des Fanclubs „FC Munke“ (benannt nach ei- tierte anstatt (langfristig und richtigerweise) nem alten Babelsberger Arbeiterviertel), um in die Infrastruktur (kurzfristig und dumm) in die aktiven Fans zu bündeln und handlungsfä- abgehalfterte Altstars und führte den Verein hig zu machen. Dementsprechend konnte die schließlich in die Insolvenz. Lediglich wir Fans Rückgabe der Nordkurve erreicht werden, was konnten, zwar nicht mit Masse, aber in Punkto als erster wichtiger Erfolg im Kampf gegen die Kreativität und exzessiver Verwendung pyro- Schreibtischtäter im Verein verbucht werden technischer Erzeugnisse mit den namhaften konnte. Der FC Munke bestand zur damaligen Clubs mithalten. In diese Zeit fiel auch die erstmalige Austragung des bis heute existie- renden antirassistischen Stadionfests „Der Ball ist bunt“ und die Gründung des Fanpro- jekts Babelsberg, sodass bald der Fanladen als zukünftiger Treffpunkt öffnen konnte. Auch wenn die Insolvenz zu einer lang anhaltenden sportlichen Talfahrt führte, hatte sie auch was Gutes. Insbesondere die ältere Nordkurven- Fraktion übernahm zunehmend wichtige Po- sitionen und Funktionen im Verein, sodass bestimmte Bereiche von Personen besetzt Zeit aus typischen, alternativen Nordkurven- wurden und noch bis heute besetzt sind, die Fans und einigen Jugendlichen, die sich durch den SVB 03 und deren Fankultur im Herzen diverse Hoppingerlebnisse bereits in der tragen. Bis heute werden das Stadionheft, das Ultra-Kultur verguckt hatten. So gab es erste Merchandising, ein Großteil der Heimspielor- Schwenkfahnen, Rauchbomben und in Dres- ganisation und viele weitere Aktivitäten von den eine erste Zettelchoreografie, bestehend ehrenamtlichen Fans aus der Nordkurve or- aus weißen DIN A3 Blättern. Keine zehn Mo- ganisiert. Dadurch verleihen sie dem Verein 28 ren viel zu viele Konflikte die Fanszene, was eine weitere positive Entwicklung permanent behinderte. Reibungspunkt war meist eine unterschiedliche Auffassung von Fan- und Ultra-Kultur, da zunehmend hooliganistische und mackerige bzw. pöbelige Tendenzen in Babelsberg Verbreitung fanden, was von der Nordkurve abgelehnt wird. Mit dem Neubau der Hintertortribüne wurde die faktisch seit langer Zeit bestehende Spaltung vollzogen, sodass es seit der Rückrunde 2010/11 zwei Fanblöcke gibt. Es bleibt zu hoffen, dass die ein authentisches und liebenswertes Profil, Babelsberger Fanszene durch diese Trennung da eben nicht alles von herzlosen Agenturen wieder den Blick nach vorne richten kann und gemacht wird. Zu dieser Zeit erblickte auch sich nicht an Konflikten aufreibt. Denn seit der der Ultra Unfug als Stadionpostille des FI99, Eröffnung der als „Ostblock“ bezeichneten was auch heute noch bei jedem Heimspiel zu Hintertortribüne ist nicht nur in der Nordkurve haben ist, das Licht der Welt. Nach und nach eine losgelöste und euphorische Stimmung, gründeten sich erneut einige ultra-orientierte sondern die Atmosphäre konnte insgesamt im Gruppen (Collectivo, Potsdam Süd, Young Ult- sonst oft leidenschaftslosen Karli verbessert ras), die allerdings gleichfalls von relativ kur- werden. Wäre da nicht die würdelose Vereins- zer Verweildauer waren. Nach der wirtschaftli- führung, die vor einigen Wochen zum Spiel chen Konsolidierung konnte Babelsberg nach gegen Dynamo Dresden bereit war, die Nord- einigen Jahren Oberliga wieder in die Regio- kurve und somit das Heimspiel an die Gäste nalliga und schließlich in die 3. Bundesliga zu verkaufen. Doch daraus wird nix - niemals! aufsteigen. Zunehmend pilgerten auch viele Basta! Leute aus Berlin, angezogen von Charme und Fankultur, ins Karli. Die ersten organisierten Die Fanszene des SV Babelsberg 03 ist un- waren Skinheads von RASH, die 2007 den trennbar mit der linken Szene Potsdams ver- Fanclub „Scortesi“ aus der Taufe hoben. Der bunden. Und das seit 20 Jahren! In der zwei- gute Kontakt zwischen Ultras und Skinsheads ten Jahreshälfte soll es diverse Aktionen und führte auch dazu, dass ihr Gast auf der nun Veranstaltungen geben, um das 20-jährige mehr 6. Auflage des Ultrash sein dürft. Ein Jubiläum der Nordkurve Babelsberg zu zeleb- weiteres positives Ereignis der letzten Jahre rieren. Beteiligt euch an den Feierlichkeiten, ist die Initiative „Fußballfans beobachten die denn ihr seid ein Teil davon. Wann und wo das Polizei“, welche Polizeieinsätze bei Fußball- nächste Treffen ist, erfahrt ihr bei den euch spielen kritisch beobachtet und hinterfragt. bekannten Szene-Leuten. Leider bestimmten aber in den vergangen Jah- Noi Siamo La Nord!

29 Weiterlesen und informieren! Wie im letzten viert durch den Bürgerkrieg auf dem Balkan, Ultrash Unfug ein paar Hinweise die euch entwickelten die neuen Nationalstaaten viel- weiterhelfen, falls das Thema Balkan euer fach antijugoslawisches, nationalistisches Interesse geweckt hat. Natürlich gibt es noch Gedankengut. viel mehr – recherchiert einfach im Internet, genug Suchbegriffe sind im Heft zu finden. Geschichte Jugoslawiens im 20. Jahrhundert (Marie-Janine Calic): Ein von der Bundeszen- trale für politische Bildung herausgegebenes Buchtipps: Buch über die Geschichte Jugoslawiens.

Reisen ins Land der Kriege (Kurt Köpruner): Filmtipps: Der österreichische Geschäftsmann Kurt Köpruner bereist mit dem beginnenden Zu- „Es begann mit einer Lüge“: Eine ARD Doku- sammenbruch Jugoslawiens regelmäßig die mentation von 2001 über die Manipulationen Balkanregion aus geschäftlichen Gründen. und Lügen der rot-grünen Regierung um den Er entzaubert den (vor allem im deutschspra- Kosovo-Krieg „vorzubereiten“. chigen Raum) noch immer vorherrschenden Mythos, dass die Serben die alleinigen Ag- „The death of Yugoslavia“: Sechsteilige BBC- gressoren im Jugoslawien-Konflikt waren. Er Dokumentation (à 50 Minuten) über den Zu- schildert die Diskrepanz zwischen dem was sammenbruch Jugoslawiens und die Kriege die Medien berichten und dem, was er mit ei- der Neunziger Jahre. genen Augen sieht. „Mostar United“: Dokumentarfilm über eine Aufmarsch – Die rechte Gefahr aus dem Os- Familie in Mostar, der einen guten Einblick in ten (Gregor Mayer und Bernhard Odehnal): die alltäglichen Konflikte der Stadt gibt. Diverse Länderberichte über nationalistische, faschistische und neonazistische Organisati- onen und Strukturen aus Ost- und Südosteu- Linktipps: ropa. www.afans.org Antifaschistische Aktion Novi Sad Deutschland und „seine“ Kroaten - Vom Ustaša-Faschismus zu Tudjmans Nationalis- www.ako.rs mus (Ulrich Schiller): Ulrich Schiller erhellt Alternative Kultur Organisation (AKO – Novi Sad) die Hintergründe der jugoslawischen Zerfalls- www.antifabgd.net kriege. Er führt die mörderischen Gewalttaten Antifa Belgrad auf dem Balkan im Zweiten Krieg vor Augen, die die Menschen in Süd-Ost-Europa, vor www.mladi-antifasisti.hr allem im ehemaligen Jugoslawien, bis heu- Antifa Zagreb te belasten. Eindringlich stellt der Autor die www.zagreb-pride.net Frage nach der deutschen Mitverantwortung Zagreb Pride und lenkt den Blick des Lesers auf bislang vernachlässigte historisch-politische Zusam- www.antifa-fest.20m.com menhänge, die einer wie immer gearteten Antifa Fest Pula (Kroatien) einseitigen Schuldzuweisung für die Balkan- www.crvena-akcija.org tragödie den Boden entziehen. Rote Aktion (Kroatien)

Umkämpfte Vergangenheiten (Todor Kuljic): www.antifa-bih.org Antifa Bosnien & Herzegowina Der Soziologe Todor Kuljić analysiert und kritisiert aktuelle Erinnerungskultur im post- www.antifa1107.wordpress.com jugoslawischen Raum. Ausgelöst und intensi- Antifa Slowenien 30 31