Nummer 10

2012

ISSN 1862-359X

Vor dem Rechtsruck in : Die Unterhauswahl wirft ihren Schatten voraus Patrick Köllner und Anna Yumi Pohl

Gut drei Jahre nach dem Erdrutschsieg der Demokratischen Partei (DPJ), wel- cher die seit 1955 fast ununterbrochene Regierung der konservativen Liberaldemokra- tischen Partei (LDP) beendete, steht in Japan am 16. Dezember 2012 wieder eine Unter- hauswahl an.

Analyse Die Regierungsperiode der DPJ stand unter einem schlechten Stern. Die Folgen der Welt- wirtschaftskrise, der Nuklearkatastrophe nach dem verheerenden Erdbeben und Tsu- nami vom 11. März 2011 sowie der angespannten Außenbeziehungen Japans zu China, Südkorea und den USA, die teilweise selbstverschuldet waren, bildeten einige der zen- tralen Herausforderungen, denen sich die DPJ-geführte Regierung seit dem Jahr 2009 stellen musste. Drei Premierminister haben das Land seit September 2009 regiert und die Hoffnung auf große Veränderungen, die der DPJ zu ihrem spektakulären Wahlsieg verhalf, ist allgemeiner Desillusionierung gewichen. „„ In der Bevölkerung besteht große Unzufriedenheit angesichts der Neigung zur po- litischen Blockade, die nicht nur die Regierungszeit der DPJ seit der Oberhauswahl- niederlage im Jahr 2010, sondern auch schon die finale Phase der vorangegangenen Regierung aus LDP und Neuer Kōmeitō gekennzeichnet hat. „„ Vermutlich wird keine Partei bei der kommenden Unterhauswahl eine alleinige Mehrheit erringen können. Vieles hängt vom Abschneiden der neu gegründeten (Protest-)Partei „Japans Restaurationspartei“ (Nippon Ishin no Kai) um Osakas Bür- germeister Tōru Hashimoto und Tokyos Ex-Gouverneur Shintarō Ishihara ab. Insbe- sondere von Hashimoto erhoffen sich nicht wenige Japaner ein Aufbrechen der ver- krusteten politischen Strukturen. „„ Die jüngst����������������������������������������������������������������������������� wieder aufgeflammten���������������������������������������������������� territorialen Dispute mit China und Südkorea spie- len Politikern in die Hände, die eine Änderung der pazifistischen Nachkriegsverfas- sung sowie eine härtere Linie gegenüber Japans Nachbarländern befürworten. Ein Rechtsruck bei der kommenden Unterhauswahl ist zu erwarten.

Schlagwörter: Japan, Unterhauswahl, DPJ, LDP, , Shinzō Abe, Tōru Hashimo- to, Shintarō Ishihara www.giga-hamburg.de/giga-focus Die Regierung Noda unter Druck ausgenommen seien. Die Regierung argumentiert zudem, dass die 50 Reaktoren, über die Japan ver- Im September 2011 wurde der vormalige Finanz- fügt, weiterhin in Benutzung bleiben sollten bis minister Yoshihiko Noda von Kaiser Akihito zum alternative Energiequellen wie Solar- oder Wind- 62. Premierminister Japans ernannt. In der voran- energie ausreichend entwickelt seien. Ein Baustopp gegangenen Wahl zum Parteivorsitz in der Demo- der drei erwähnten Reaktoren, die zu 10, 40 und kratischen Partei Japans (DPJ) überzeugte der als 90 Prozent vollendet sind, würde außerdem einen fiskal-konservativ geltende Noda seine Parteige- Verlust von mehreren Billionen JPY bedeuten. Da nossen mit einer emotionalen Rede, in der er an- es aber 40 Jahre dauert, bis ein Reaktor die Baukos- kündigte, „für das Volk zu schwitzen und zu ar- ten durch Energieausgabe wieder amortisiert, ist beiten bis er nach Schmutz stinke“ (Fackler 2011). es fraglich, ob die neuen Reaktoren bis zum Jahr Nodas Vorgänger Naoto Kan, der auf den glück- 2040 wieder abgeschaltet werden. Letztlich stellt losen ersten Premierminister aus den Reihen der die Fortsetzung des Baus der drei Reaktoren den DPJ, , gefolgt war, war am man- anvisierten Atomausstieg infrage. Zudem bleibt gelhaften Krisenmanagement nach der dreifachen abzuwarten, ob zukünftige Regierungen den ein- Katastrophe vom 11.����������������������������� März 2011������������������� sowie an innerpar- geschlagenen Kurs in der Energiepolitik weiterfah- teilichen Machtkämpfen gescheitert, die ihn letzt- ren würden (Financial Times 2012). lich zum Rücktritt zwangen. Noda übernahm ein Ein strukturelles Hindernis, dem sich auch die schweres Erbe; vom ihm wurde neben der Bewäl- Regierung Noda gegenübersah, ist die seit der tigung der Atomkatastrophe und dem Wiederauf- Oberhauswahl im Jahr 2010 bestehende Pattsitua- bau der vom Erdbeben und Tsunami zerstörten Re- tion im Parlament, infolge derer die Opposition mit gionen auch ein Angehen langfristiger Probleme der Liberaldemokratischen Partei (LDP) im Zen- wie der anhaltenden wirtschaftlichen Stagnation trum quasi jedes Gesetzesvorhaben der DPJ blo- und der zukünftigen Altersversorgung im Ange- ckieren kann. Infolge der unterschiedlichen Mehr- sicht ungünstiger demografischer Entwicklungen heiten in der ersten und zweiten Kammer des sowie ein effektiver Umgang mit Chinas Aufstieg Parlaments wiederholt sich seither – nunmehr un- erwartet. ter umgekehrten Vorzeichen – die Blockadepoli- Im Dezember 2011 verbuchte die Regierung tik, welche schon in den Jahren 2007 bis 2009 die Noda einen ersten Erfolg, als sie verkündete, die Endzeit der vorangegangenen Regierung aus LDP nukleare Krise unter Kontrolle zu haben. Im Sep- und Neuer Kōmeitō kennzeichnete. Noda gelang tember 2012 gab dann das Kabinett bekannt, einen es im August 2012 zumindest mittels eines Dreipar- kompletten Ausstieg Japans aus der Atomkraft bis teienabkommens, das im Juni zwischen der DPJ, zum Jahr 2040 verwirklichen zu wollen. Diese An- der LDP und der Neuen Kōmeitō abgeschlossen kündigung wurde jedoch eine Woche später nach worden war, eine innerhalb der DPJ höchst um- Einwänden von Japans starker Atomlobby wieder strittene Verdoppelung der Verbrauchssteuer von zurückgezogen. Anlässlich seiner Wiederwahl 5 auf 10 Prozent bis Oktober 2015 zu verabschie- zum Vorsitzenden der DPJ am 21. September 2012 den. Sie soll zur Finanzierung der steigenden So- erklärte Noda erneut, dass die DPJ ihre Energiepo- zialversicherungskosten beitragen. Noda stieß litik umkehren und Japans Abhängigkeit von der dabei auf großen innerparteilichen Widerstand. Atomenergie bis in die 2030er Jahre komplett been- Über 70 Abgeordnete der DPJ traten aus der Par- den wolle. Vor der Katastrophe in Fukushima und tei aus, weil sie die Steuererhöhung, die nicht im noch geraume Zeit danach hatte sich die DPJ noch Wahlmanifest der DPJ aus dem Jahr 2009 enthal- ganz offen zur Atomkraft als „wesentlicher Ener- ten war, nicht mittragen wollten. Mit ihnen ver- giequelle“ bekannt, um Japans hohe Energieimpor- ließ auch der einflussreiche ehemalige Parteivor- te in Grenzen halten zu können (Doege und Köll- sitzende und Faktionsführer Ichiro Ozawa die DPJ. ner 2011). Obwohl nun angekündigt wurde, den Mit über 40 Gefolgsleuten gründete er in der Fol- Ausstieg diesmal ohne erneuten Sinneswandel ge eine neue Partei, die Kokumin no Seikatsu ga zu vollziehen, sprechen dem einige jüngere Ent- Daiichi (People’s Life First (PLF), „Das Leben der wicklungen entgegen. So erklärte Industrieminis- Bürger [kommt] zuerst“). Infolge der Absplitte- ter Yukio Edano, dass drei Atomkraftwerke, deren rung verfügten die Demokraten, die im Jahr 2009 Bau eingeleitet, aber noch nicht vollendet worden noch 308 der insgesamt 480 Mandate errungen hat- ist, von den angekündigten Ausstiegsmaßnahmen

GIGA Focus Asien 10/2012 - 2 - ten, Ende Oktober 2012 nur noch über eine hauch- Personelle Veränderungen in der DPJ und der dünne Mehrheit im Unterhaus (Japan Times 2012a). LDP Uneinigkeit besteht innerhalb der DPJ hinsicht- lich eines Beitritts Japans zur Transpazifischen Im September 2012 fanden sowohl innerhalb der Partnerschaft (TPP), eines Freihandelsabkommens, DPJ als auch in der LDP Wahlen zum Parteivor- das im Jahr 2006 zunächst zwischen Brunei, Chi- sitz statt. Während sich dabei Yoshihiko Noda ohne le, Neuseeland und Singapur verwirklicht wurde. allzu große Mühen gegen seine Mitkonkurrenten Ziel des Abkommens ist der Abbau aller Zölle und durchsetzen konnte, kam die Wahl von Ex-Premi- der freie Handel von Gütern, Dienstleistungen etc. er Shinzō Abe zum neuen Parteipräsidenten der Während Noda im November 2011 Japans Inter- LDP eher überraschend. Yoshihiko Noda trat in der esse am Beitritt verkündete, haben sich zahlreiche Wahl gegen die ehemaligen Landwirtschaftsminis- DPJ-Politiker, besonders solche, die die Interessen ter Hirotaka Akamatsu und Michihiko Kano vom der japanischen Agrarindustrie vertreten, dagegen linken bzw. konservativen Flügel der Partei sowie geäußert. In der Folge hat die japanische Regie- gegen den ehemaligen Innenminister Kazuhiro rung zwar Gespräche über einen Beitritt zur TPP Haraguchi an. Da Noda die Unterstützung zahl- geführt, verfügt aber de facto ���������������������über ����������������kein klares Ver- reicher Führungskräfte der Partei genießt, war er handlungsmandat. kaum ernstzunehmender Konkurrenz ausgesetzt. Ein Vorhaben, das Noda noch erfolgreich vor Die wahre Herausforderung besteht nun darin, in der anstehenden Neuwahl durchsetzen konnte, der anstehenden Unterhauswahl nicht katastro- war die Ausgabe von Staatsanleihen im Wert von phal abzuschneiden. Um der Wählerschaft zumin- 38,3 Billionen Yen (ca. 369 Mrd. EUR) zur Finan- dest in personeller Hinsicht ein neues Bild präsen- zierung des Haushalts für das Fiskaljahr 2012. Das tieren zu können, stellte Noda am 1. Oktober 2012 Finanzministerium hatte bereits signalisiert, dass sein drittes Kabinett vor. Verwaltungsausgaben nicht mehr getätigt wer- Besonderes Interesse erregten dabei der neue den können, falls es bis Ende November zu kei- Staatsminister für Grundfragen der Nationalen Po- ner Genehmigung der Anleihenemission durch litik sowie der Wirtschafts- und Fiskalpolitik, Seiji beide Kammern des Parlaments kommen wür- Maehara (50), und die neue Kultusministerin Ma- de. Das Unterhaus verabschiedete den Gesetzes- kiko Tanaka (68). Während Maehara als eher Chi- entwurf schließlich rechtzeitig am 15. November. na-kritisch gilt und als Außenminister im Territo- Noda hatte der LDP und der Neuen Kōmeitō im rialstreit mit China im September 2010 eine harte Gegenzug für die Unterstützung der Verbrauchs- Linie verfolgte, gilt Makiko Tanaka, Tochter des steuererhöhung im Sommer 2012 das Versprechen ehemaligen Premiers Kakuei Tanaka, der im Jahr gegeben, das Unterhaus „bald“ aufzulösen. An- 1972 die Normalisierung der Beziehungen zwi- gesichts höchst ungünstiger Meinungsumfragen schen der Volksrepublik und Japan herbeiführte, – die DPJ liegt derzeit unter 20 Prozent – liegen vor- als China-freundlich. Da Japan seit Kurzem wie- gezogene Wahlen eigentlich nicht im Interesse der der in einer Auseinandersetzung um die umstrit- Regierungspartei. Doch nach der erneuten Unter- tenen Senkaku/Diaoyu-Inseln mit China steckt, stützung der Oppositionsparteien für die Ausga- hat Noda hier offenbar versucht, eine gewisse Ba- be von Staatsanleihen, blieb dem Premier kürzlich lance im Kabinett herzustellen. Nodas neues Ka- nichts anderes übrig als in den sauren Apfel zu bei- binett vermochte es allerdings nicht, Euphorie in ßen. Premierminister Noda löste schließlich am 16. der Wählerschaft auszulösen. November 2012 das Unterhaus auf und legte den Die Wahl von Shinzō Abe zum Vorsitzenden 16. Dezember als Datum der vorgezogenen Unter- der LDP kam sowohl für zahlreiche Parteimit- hauswahl fest. Vor diesem Hintergrund der sich glieder als auch für die Öffentlichkeit eher überra- bereits im Sommer abzeichnenden Neuwahl wa- schend, da Mitte September noch der ehemalige, ren Personalentscheidungen an der Spitze sowohl als moderat geltende Verteidigungsminister Shige- der DPJ als auch der LDP im Herbst 2012 von be- ru Ishiba als Favorit gehandelt wurde und selbst sonderer Bedeutung. LDP-Generalsekretär Nobuteru Ishihara gute Chancen eingeräumt wurden. Da kein Kandidat in der ersten Runde, in der neben den Parlamenta- riern der Partei auch die Mitglieder der Partei auf Distriktebene stimmberechtigt waren, die absolute

GIGA Focus Asien 10/2012 - 3 - Mehrheit erreichte, fand eine Stichwahl zwischen Konkurrent Ishiba, der als offener Gegner des Fak- den zwei erstplatzierten Kandidaten, Ishiba und tionalismus gilt und der Parteiführungskräfte und Abe, statt. Letztlich setzte sich der ehemalige Pre- Minister nach Kompetenz und nicht nach Loya- mier Shinzō Abe, der im Jahr 2007 wegen stress- lität und Faktionszugehörigkeit ernennen wollte, bedingter Verdauungsstörungen von diesem Amt hat die Wahl zum Parteipräsidenten schließlich zurückgetreten war, am 26. September 2012 gegen nicht für sich entscheiden können (George Mul- Ishiba durch, der in der ersten Runde noch deut- gan 2012). lich geführt hatte (siehe Tabellen 1 und 2). Wäh- Zu Beginn seiner Amtszeit als Premier im Jahr rend Ishiba starke Unterstützung bei den Partei- 2006 versuchte Abe zunächst eine Annäherung an mitgliedern auf lokaler Ebene fand, verfügte Abe China und Südkorea, da diese bilateralen Bezie- über stärkere Unterstützung bei den Abgeordne- hungen unter der Regierung seines Vorgängers ten, die in der zweiten Runde allein stimmberech- Jun‘ichirō Koizumi erheblich gelitten hatten. Seine tigt waren. ersten Staatsbesuche im Oktober 2006 galten daher Beijing und Seoul; auch unterließ er einen offizi- ellen Besuch des umstrittenen Yasukuni-Schreins, Tabelle 1: Ergebnis der ersten Runde der LDP- der auch japanische Kriegsverbrecher ehrt, was er Präsidentschaftswahl 2012 jedoch später bedauerte. Am 1. März 2007 sorgte Abe für Furore, als er es ablehnte, die vom japa- Stimmenzahl nischen Militär im Zweiten Weltkrieg erzwungene

- sexuelle Sklaverei anzuerkennen und sich dafür - zu entschuldigen. Nach Meinung von Abe gibt es Kandidaten keine Beweise dafür, dass die sogenannten „Trost-

Parlamen tarier Parteimit glieder Summe frauen“ (ianfu) in die Militärbordelle gezwungen ABE Shinzō 54 87 141 worden waren. Dies belastete besonders Japans ISHIBA Shigeru 34 165 199 Beziehungen zu China und Korea, die davon am MACHIMURA Nobutaka 27 7 34 meisten betroffen waren. Zentrale Themen in Abes ISHIHARA Nobuteru 58 38 96 Amtszeit waren die Aufwertung der sogenannten HAYASHI Yoshimasa 24 3 27 Selbstverteidigungsstreitkräfte sowie die Stärkung von Disziplin und Patriotismus im Erziehungswe- Quelle: LDP 2012. sen; Themen, mit denen er jedoch an den Kernin- teressen des größten Teils der Bevölkerung vorbei- zielte (Köllner 2007). Die Tatsache, dass ein konservativer Hard- Tabelle 2: Ergebnis der zweiten Runde/ liner wie Abe trotz seiner wenig glanzvollen Re- Stichwahl gierungsbilanz erneut an die Spitze der LDP ge- wählt wurde und im Falle eines LDP-Wahlsieges Kandidaten Anzahl der Stimmen Japans nächster Premier werden könnte, lässt er- ABE Shinzō 108 kennen, dass innerhalb der größten Oppositions- ISHIBA Shigeru 89 partei das rechte Lager dominiert, was durchaus auch bei substanziellen Teilen der Bevölkerung auf Quelle: LDP 2012. Zustimmung stößt. Laut einer Umfrage der Tages- zeitung Nihon Keizai Shimbun stieg die Unterstüt- Abes Rückkehr kann als Rückfall der LDP in eine zung für die LDP nach Abes Wahlsieg um 12 Pro- alte Ära interpretiert werden. Sein Sieg zeigt, dass zentpunkte auf 37 Prozent an, während die der DPJ die alteingesessenen Faktionen innerhalb der LDP um weitere 2 Prozentpunkte auf magere 19 Prozent zumindest in Bezug auf Präsidentschaftswahlen zurückfiel (Nakamoto 2012). immer noch den Ton angeben können. Die Unter- stützung des ehemaligen Premierministers Tarō Asō und des ehemaligen Außenministers Masa- Das Phänomen Tōru Hashimoto hiko Komura sowie deren Faktionen, die Abe für sich gewinnen konnte, ist ein Anzeichen dafür. Am 12. September 2012 verkündete Tōru Hashi- Denn der eigentliche Favorit und Abes größter moto, amtierender Bürgermeister der Stadt Osaka,

GIGA Focus Asien 10/2012 - 4 - die Gründung seiner neuen landesweiten Partei, die Partei 155 „potenzielle Kandidaten“ vorzuwei- „Japans Restaurationspartei“ (JRP, Nippon Ishin sen (Nihon Keizai Shimbun 2012; Japan Times 2012b). no Kai). Der 43-jährige ausgebildete Jurist, des- Bezüglich außen- und sicherheitspolitischer Po- sen Vater aus der sozial diskriminierten Minder- sitionen herrscht noch Uneinigkeit innerhalb der heit der „Burakumin“ stammt und Mitglied der neugegründeten Partei. Hatte Hashimoto selbst zu- japanischen Mafia Yakuza war, erlangte erstmals nächst einen Beitritt Japans zur TPP befürwortet, Bekanntheit durch seine häufigen TV-Auftritte -zu änderte er in der Folge seine Meinung. Auch������ muss- nächst als Kommentator, später auch als Schau- te er heftige Kritik einstecken, als er eine gemein- spieler. Im Januar 2008 kandidierte Hashimoto same Nutzung der umstrittenen Inseln mit China bei den Gouverneurswahlen in Osaka und errang (Senkaku/Diaoyu) und Südkorea (Takeshima/Dok- dort mit 54 Prozent der Wählerstimmen den Sieg. do) vorschlug, sich gleichzeitig aber hinter die ja- Im Jahr 2010 rief er die Osaka Restaurationspartei panischen Territorialansprüche stellte. Ähnlich wie ins Leben, deren Hauptziel die Zusammenführung Abe im Jahr 2007 sorgte Hashimoto im August 2012 der Städte Sakai und Osaka zu einer Präfektur mit mit der Behauptung für Aufsehen, dass es keinen Sonderbezirken darstellte. Um im November 2011 Beweis dafür gäbe, dass „Trostfrauen“ während als Bürgermeister der Stadt Osaka kandidieren zu des Zweiten Weltkriegs von der japanischen Ar- können, trat Hashimoto als Gouverneur zurück mee gewaltsam in Frontbordelle verschleppt wor- und sein Parteikollege Ichirō Matsui übernahm das den seien. Die Tatsache, dass er im Jahr 2008 Leh- Amt. Auch die Bürgermeisterwahl konnte Hashi- rer an Schulen durch Verordnung dazu zwang, moto mit 59 Prozent der Stimmen klar für sich ent- beim Abspielen der japanischen Nationalhymne scheiden (Asahi Shimbun 2011). Kimigayo zu stehen, sowie die Aussage, dass „die Hashimotos Hauptanliegen sind neben der Zu- [japanische] Nation jetzt einen Diktator brauche“ sammenführung von Sakai und Osaka, die er be- (Economist 2012) erklären, warum Hashimoto des reits erfolgreich eingeleitet hat, Autonomieverstär- Öfteren als rechtspopulistischer Nationalist be- kung, Bürokratieabbau sowie Dezentralisierung zeichnet wird. und Verwaltungsvereinfachung auf regionaler Hashimotos große Popularität ist darauf zu- Ebene. Dank seiner für japanische Verhältnisse rückzuführen, dass er als jemand gilt, der frischen eher unüblichen direkten Art und der Durchset- Wind in die festgefahrene japanische Politik brin- zungsfähigkeit, mit der er Maßnahmen rasch in gen kann. Hashimoto, der (noch) nicht das Amt des die Tat umsetzt, genießt er besonders in Kansai, Premierministers anstrebt, wirkt persönlich sym- im Westen Japans, große Popularität. Auch Poli- pathisch, weil er einerseits die Rolle eines charis- tiker aus anderen Parteien fühlen sich angezogen; matischen, jungen und attraktiven Parteiführers bis Ende Oktober traten insgesamt neun Abgeord- ausfüllt und gleichzeitig als politischer Außen- nete zur JRP über, die damit bereits jetzt im Par- seiter gilt. Seine Aussage, die bisherige Art der lament vertreten ist. Anfang Oktober 2012 stellte japanischen Politik fundamental ändern zu wol- die JRP ihre sogenannten „acht Punkte zur Res- len, verbunden mit der Tatsache, dass er Ankün- tauration des Landes“ (ishin hassaku) vor, welche digungen auch umsetzt – wie sein Wirken als Bür- die grundlegende Parteilinie auf nationaler Ebene germeister von Osaka belegt – erzeugen Hoffnung darstellen. Diese teilweise noch vage gehaltenen bei vielen Menschen und Misstrauen bei den etab- Punkte sehen unter anderem die Halbierung der lierten Medien in Japan. Unterhausmandate, eine direkte Wahl des Premi- erministers und eine Gutscheinverteilung im öf- fentlichen Bildungssystem vor, wodurch Eltern un- Ausblick abhängig von ihrem Wohnsitz die staatliche Schule auswählen können, der sie ihre Kinder anvertrau- Politische Meinungsumfragen haben in Japan nur en. Außerdem erklärte sich Hashimoto mit einer eine begrenzte Aussagekraft, da das semi-propor- Änderung des Kriegsverzichtsartikels 9 der japa- tionale Wahlsystem die Volksmeinung nicht eins nischen Verfassung einverstanden, wenn das Er- zu eins widerspiegelt. Im Jahr 1994 trat eine Re- gebnis einer Volksabstimmung dies verlange. Mit form in Kraft, die ein sogenanntes „Grabensys- Blick auf die kommende Unterhauswahl ist Hashi- tem“, eine Kombination zwischen Mehrheitswahl motos Partei zuversichtlich, bis zu 400 Kandida- und Verhältniswahl, für das Unterhaus vor- ten aufstellen zu können. Bis Ende Oktober hatte sieht. Die derzeit insgesamt 480 Mandate der ers-

GIGA Focus Asien 10/2012 - 5 - ten Kammer setzen sich demnach aus 180- Man sen aufstellen, fehlt es den kleineren Parteien oft an daten aus elf Blockwahlkreisen (Listenwahl) und Mitteln und Personal dafür. Die JRP und die Min- weiteren 300 Mandaten aus 300 lokalen Wahlkrei- na no Tō könnten sich bei einer offen deklarierten sen („Einerwahlkreise“) zusammen. Jeder Wäh- Allianz die Wahlkreise so aufteilen, dass die JRP ler verfügt über zwei Stimmzettel. In einem der verstärkt im Westen, die Minna no Tō������������� ������������eher im Os- beiden wählt der Stimmberechtigte die Partei sei- ten Kandidaten aufstellt und ihre Wähler dazu auf- ner Wahl. Die Verhältniswahlstimmen, die auf elf rufen, in Wahlkreisen, in denen nur eine der bei- große Wahlkreise verteilt sind, werden dann nach den Parteien kandidiert, für den Kandidaten dieser dem d’Hondt-Verfahren auf die 180 Mandate um- Partei zu stimmen. Dies soll in einem gemeinsamen gerechnet. Die Region Kinki beispielsweise bean- offiziellen Abkommen bis Ende November festge- sprucht aufgrund ihrer Einwohnerzahl 29 der 180 legt werden. Plätze und stellt damit den größten Blockwahlkreis Währenddessen ist der 80-jährige Shintarō dar. Der zweite Wahlzettel benennt die Direktkan- Ishihara, der jüngst von seinem Amt als Gouver- didaten im eigenen lokalen Wahlkreis. Die Kandi- neur von Tokyo zurückgetreten war, um bei der daten mit den meisten Stimmen aus jedem der 300 kommenden Unterhauswahl anzutreten, mit sei- Einerwahlkreise, die sich auf ganz Japan verteilen, nen Gefolgsleuten bereits der JRP beigetreten. Am dürfen demnach ins Unterhaus einziehen. 18. November wurde Ishihara sogar zum Präsi- Aktuelle Meinungsumfragen bestätigen, dass denten der JRP gewählt (Stellvertreter ist Hashi- zwar Abes LDP vor Hashimotos JRP und der regie- moto). Ishihara ist ein glühender Nationalist und renden DPJ führt, dennoch wird sie voraussichtlich auch derjenige, der den Territorialdisput zwischen weder allein noch mit ihrem alten Koalitionspart- China und Japan über die umstrittenen Senkaku/ ner, der buddhistischen Neuen Kōmeitō, regieren Diaoyu-Inseln diesen Sommer durch sein Vorha- können. Damit wird im Gegensatz zu früheren ben die Inseln kaufen zu wollen erst richtig an- Wahlen diesmal wohl keine der alteingesessenen heizte (vgl. Müser, Pohl, und Godehardt 2012). oder neuen Parteien eine ausreichende Mehrheit Er genießt durch seine Zeit als Abgeordneter des für eine Alleinregierung erreichen können. Gesprä- Ober- wie auch des Unterhauses gute politische Be- che über mögliche Allianzen sind daher in vollem ziehungen, besonders auch zur extrem-rechten Ta- Gange. Abe sprach öffentlich������������������������������ Hashimoto������������������� seine Be- chiagare Nippon-Partei („Steh auf, Japan“, Sunrise wunderung aus; beide Politiker teilen konserva- Party), der er sich kürzlich anschloss. Am 13. No- tive Grundsätze, besonders hinsichtlich der his- vember wurde diese Partei in Taiyō no Tō („Son- torischen Darstellungen Japans und seiner Rolle nenpartei“) umbenannt, um nur vier Tage später in im Zweiten Weltkrieg, aber auch bei Dezentrali- der JRP aufzugehen. Erhebliche inhaltliche Kom- sierungsmaßnahmen und beim Abbau von Büro- promisse beider Seiten – die „neue“ JRP spricht kratie. Abes frühzeitige Annäherung an Hashimo- sich nun für einen Beitritt Japans zur TPP aber ge- to lässt vermuten, dass er auf eine Allianz mit dem gen einen Atomausstieg bis zum Jahr 2040 aus – er- Newcomer hofft, unter anderem um von dessen möglichten den eher überraschenden������������������������ ����������Zusammen- Beliebtheit bei den Wählern zu profitieren. Doch schluss der beiden Parteien. Ishihara hofft, trotz der auch die JRP erlebt einen ersten Knick ihrer Be- deutlichen Inhomogenität der JRP den etablierten liebtheit; besonders in Tokyo und Nordjapan hat Parteien zahlreiche Mandate abringen zu können. sie weit weniger Anhänger als im Westen Japans. Ungewissheit herrschte mehrere Monate über Vor diesem Hintergrund�������������������� führt �������������Hashimoto Ge- den Zeitpunkt der nächsten Unterhauswahl, die spräche mit der Minna no Tō („Jedermanns Partei“, regulär spätestens Ende August 2013 stattfinden Your Party), einer im Jahr 2009 von ehemaligen musste. Wie erwähnt, hatte Premierminister Noda LDP-Politikern gegründeten Partei unter Vorsitz bereits im August 2012 versprochen, das Unterhaus von Yoshimi Watanabe, die aktuell 14 Abgeord- „bald“ aufzulösen und vorgezogene Wahlen aus- nete aufweist und ähnlich wie die JRP Reformen zurufen. Dieses Versprechen löste er nun schließ- der Ministerialbürokratie, der öffentlichen Finan- lich Mitte November ein. Jedes weitere Hinauszö- zen und der Finanzbeziehungen zwischen Zent- gern der Neuwahl hätte auch der neugegründeten ralstaat und Präfekturen fordert. Eine Allianz die- JRP mehr Zeit zur Aufstellung von Kandidaten und ser beiden Parteien könnte gegenseitige Vorteile für andere Vorbereitungen gegeben. Zudem sorg- bieten. Denn während die großen Parteien zumin- te die Pattsituation im Parlament dafür, dass Noda dest einen Kandidaten in allen 300 Einerwahlkrei- keine weiteren eigenen Initiativen mehr durchbrin-

GIGA Focus Asien 10/2012 - 6 - gen konnte. Zum Zeitpunkt der Auflösung des Un- LPD (2012), Party Presidential Election Held – Shinzo terhauseses verfügte die DPJ nur noch über 233 Abe becomes a New Party President, 5. Oktober,������������ on- der 480 Sitze in der ersten Kammer des Parlaments line: (LDP: 118, PLF: 45, Neue Kōmeitō: 21, andere Par- (13. November 2012). teien, Unabhängige und Vakanzen: 63). Aller Vor- Müser, Oliver, Anna Yumi Pohl, und Nadine Go- aussicht nach wird die Neuwahl des Unterhauses dehardt (2012), Inselstreit zwischen Japan und Chi- in einem Erdrutschsieg des konservativen Lagers na gefährdet die regionale Stabilität in Ostasien, münden������������������������������������������. Spannend bleibt jedoch, welche Parteien- GIGA Focus Asien, 12 (i.E.). allianz letztlich die neue Regierung stellen wird. Nakamoto, Michiyo (2012), Japan’s Abe Visits Yasu- kuni Shrine, in: Financial Times, 17. Oktober, on- line: (24. Oktober 2012). Asahi Shimbun (2011), Hashimoto to Resign Soon Nihon Keizai Shimbun (2012), Shūin teisū wo han- as Osaka to Run for Mayor, 22. Okto�����- gen ‚ishin hassaku‘ saishūan no zenbun (Unter- ber, online: (24. Oktober 2012). tion“, Voller Text des endgültigen Programms), Doege, Felix, und Patrick Köllner (2011), Trotz 1. September, online: (24. Ok- Nuklearenergie fest, GIGA Focus Asien, 5, online: tober 2012). . Economist (2012), Japan’s New Conservatives Talk- ing about a Restoration, 5. September, online: (24. Oktober 2012). Fackler, Martin (2011), Finance Minister Is Chosen as Japan’s Next Leader, in: New York Times, 29. August, online: (24. Oktober 2012). Financial Times (2012), Doubts Cast Over Japan’s Plans to Phase Out Nuclear Power, 24. Okto�����- ber, online: (30. Oktober 2012). George Mulgan, Aurelia (2012), What an Abe Prime Ministership Would Mean for Japan, in: East Asia Forum, 1. Oktober, online: (24. Oktober 2012). Japan Times (2012a), Discord Faces Replay in Ex- tra Session, 30. Oktober, online: (30. �����Okto- ber 2012). Japan Times (2012b), Hashimoto’s Overtures to Ishi- hara, Other Hawks Continue, 30. Oktober,������������ on- line: (30. Oktober 2012). Köllner, Patrick (2007), Oberhauswahl in Japan: Re- gieren wird schwieriger für Kabinett Abe, GIGA Fo- cus Asien, 8, online: .

GIGA Focus Asien 10/2012 - 7 - „„ Die Autoren Prof. Dr. Patrick Köllner ist Direktor des GIGA Instituts für Asien-Studien. E-Mail: , Website:

Anna Yumi Pohl hat nach ihrem Studium der Japanologie in Wien und ihrem Masterstudium der Inter- nationalen Beziehungen Ostasiens an der School of Oriental and African Studies (SOAS) in London im Oktober und November 2012 ein Forschungspraktikum am GIGA Institut für Asien-Studien absolviert. E-Mail:

„„ GIGA-Forschung zum Thema Der GIGA Forschungsschwerpunkt 1 „Legitimität und Effizienz politischer Systeme“ beschäftigt sich mit Parteien und Wahlen in außereuropäischen Regionen und hierbei insbesondere mit ihrer gesellschaftli- chen Verankerung, den sozialen Konfliktlinien, der��������������������������������������������������� Wählermobilisierung und ��������������������������dem Faktionalismus. In Be- zug auf Asien gilt aktuell ein besonderes Interesse der elektoralen Volatilität und dem innerparteilichen Faktionalismus in Südostasien.

„„ GIGA-Publikationen zum Thema Köllner, Patrick (2013), From Would-be ’Third Force’ to Governing Party: The Rise and Travails of the De- mocratic Party of Japan, in: Ronald J. Hrebenar und Akira Nakamura (Hrsg.), Parties and Politics in Con- temporary Japan: The Post Koizumi Era, Boulder, CO: Lynne Rienner Publisher (i.E.). Köllner, Patrick (2011), The Democratic Party of Japan: Development, Organization and Programmatic Profile, in: Alisa Gaunder (Hrsg.),The Routledge Handbook of Japanese Politics, London: Routledge, 21-35. Köllner, Patrick (2009a), Japanese Lower House Campaigns in Transition: Manifest Changes or Fleeting Fads?, in: Journal of East Asian Studies, 9, 121-149. Köllner, Patrick (2009b), Erdrutschsieg der Opposition in Japan: Hintergründe und Perspektiven, GIGA Focus Asien, 9, online: . Nymalm, Nicola, und Elmira Schaltuganow (2012), Die US-Außenhandelspolitik als Kernstück des „Pivot to Asia“ – eine Transpazifische Partnerschaft ohne Japan und China?, GIGA Focus Global (i.E.).

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