Nummer 10 2012 ISSN 1862-359X Vor dem Rechtsruck in Japan: Die Unterhauswahl wirft ihren Schatten voraus Patrick Köllner und Anna Yumi Pohl Gut drei Jahre nach dem Erdrutschsieg der Demokratischen Partei Japans (DPJ), wel- cher die seit 1955 fast ununterbrochene Regierung der konservativen Liberaldemokra- tischen Partei (LDP) beendete, steht in Japan am 16. Dezember 2012 wieder eine Unter- hauswahl an. Analyse Die Regierungsperiode der DPJ stand unter einem schlechten Stern. Die Folgen der Welt- wirtschaftskrise, der Nuklearkatastrophe nach dem verheerenden Erdbeben und Tsu- nami vom 11. März 2011 sowie der angespannten Außenbeziehungen Japans zu China, Südkorea und den USA, die teilweise selbstverschuldet waren, bildeten einige der zen- tralen Herausforderungen, denen sich die DPJ-geführte Regierung seit dem Jahr 2009 stellen musste. Drei Premierminister haben das Land seit September 2009 regiert und die Hoffnung auf große Veränderungen, die der DPJ zu ihrem spektakulären Wahlsieg verhalf, ist allgemeiner Desillusionierung gewichen. In der Bevölkerung besteht große Unzufriedenheit angesichts der Neigung zur po- litischen Blockade, die nicht nur die Regierungszeit der DPJ seit der Oberhauswahl- niederlage im Jahr 2010, sondern auch schon die finale Phase der vorangegangenen Regierung aus LDP und Neuer Kōmeitō gekennzeichnet hat. Vermutlich wird keine Partei bei der kommenden Unterhauswahl eine alleinige Mehrheit erringen können. Vieles hängt vom Abschneiden der neu gegründeten (Protest-)Partei „Japans Restaurationspartei“ (Nippon Ishin no Kai) um Osakas Bür- germeister Tōru Hashimoto und Tokyos Ex-Gouverneur Shintarō Ishihara ab. Insbe- sondere von Hashimoto erhoffen sich nicht wenige Japaner ein Aufbrechen der ver- krusteten politischen Strukturen. Die jüngst wieder aufgeflammtenaufgeflammten territorialen Dispute mit China und Südkorea spiespie-- len Politikern in die Hände, die eine Änderung der pazifistischen Nachkriegsverfas- sung sowie eine härtere Linie gegenüber Japans Nachbarländern befürworten. Ein Rechtsruck bei der kommenden Unterhauswahl ist zu erwarten. Schlagwörter: Japan, Unterhauswahl, DPJ, LDP, Yoshihiko Noda, Shinzō Abe, Tōru Hashimo- to, Shintarō Ishihara www.giga-hamburg.de/giga-focus Die Regierung Noda unter Druck ausgenommen seien. Die Regierung argumentiert zudem, dass die 50 Reaktoren, über die Japan ver- Im September 2011 wurde der vormalige Finanz- fügt, weiterhin in Benutzung bleiben sollten bis minister Yoshihiko Noda von Kaiser Akihito zum alternative Energiequellen wie Solar- oder Wind- 62. Premierminister Japans ernannt. In der voran- energie ausreichend entwickelt seien. Ein Baustopp gegangenen Wahl zum Parteivorsitz in der Demo- der drei erwähnten Reaktoren, die zu 10, 40 und kratischen Partei Japans (DPJ) überzeugte der als 90 Prozent vollendet sind, würde außerdem einen fiskal-konservativ geltende Noda seine Parteige- Verlust von mehreren Billionen JPY bedeuten. Da nossen mit einer emotionalen Rede, in der er an- es aber 40 Jahre dauert, bis ein Reaktor die Baukos- kündigte, „für das Volk zu schwitzen und zu ar- ten durch Energieausgabe wieder amortisiert, ist beiten bis er nach Schmutz stinke“ (Fackler 2011). es fraglich, ob die neuen Reaktoren bis zum Jahr Nodas Vorgänger Naoto Kan, der auf den glück- 2040 wieder abgeschaltet werden. Letztlich stellt losen ersten Premierminister aus den Reihen der die Fortsetzung des Baus der drei Reaktoren den DPJ, Yukio Hatoyama, gefolgt war, war am man- anvisierten Atomausstieg infrage. Zudem bleibt gelhaften Krisenmanagement nach der dreifachen abzuwarten, ob zukünftige Regierungen den ein- Katastrophe vom 11. März 2011 sowie an innerpar-innerpar- geschlagenen Kurs in der Energiepolitik weiterfah- teilichen Machtkämpfen gescheitert, die ihn letzt- ren würden (Financial Times 2012). lich zum Rücktritt zwangen. Noda übernahm ein Ein strukturelles Hindernis, dem sich auch die schweres Erbe; vom ihm wurde neben der Bewäl- Regierung Noda gegenübersah, ist die seit der tigung der Atomkatastrophe und dem Wiederauf- Oberhauswahl im Jahr 2010 bestehende Pattsitua- bau der vom Erdbeben und Tsunami zerstörten Re- tion im Parlament, infolge derer die Opposition mit gionen auch ein Angehen langfristiger Probleme der Liberaldemokratischen Partei (LDP) im Zen- wie der anhaltenden wirtschaftlichen Stagnation trum quasi jedes Gesetzesvorhaben der DPJ blo- und der zukünftigen Altersversorgung im Ange- ckieren kann. Infolge der unterschiedlichen Mehr- sicht ungünstiger demografischer Entwicklungen heiten in der ersten und zweiten Kammer des sowie ein effektiver Umgang mit Chinas Aufstieg Parlaments wiederholt sich seither – nunmehr un- erwartet. ter umgekehrten Vorzeichen – die Blockadepoli- Im Dezember 2011 verbuchte die Regierung tik, welche schon in den Jahren 2007 bis 2009 die Noda einen ersten Erfolg, als sie verkündete, die Endzeit der vorangegangenen Regierung aus LDP nukleare Krise unter Kontrolle zu haben. Im Sep- und Neuer Kōmeitō kennzeichnete. Noda gelang tember 2012 gab dann das Kabinett bekannt, einen es im August 2012 zumindest mittels eines Dreipar- kompletten Ausstieg Japans aus der Atomkraft bis teienabkommens, das im Juni zwischen der DPJ, zum Jahr 2040 verwirklichen zu wollen. Diese An- der LDP und der Neuen Kōmeitō abgeschlossen kündigung wurde jedoch eine Woche später nach worden war, eine innerhalb der DPJ höchst um- Einwänden von Japans starker Atomlobby wieder strittene Verdoppelung der Verbrauchssteuer von zurückgezogen. Anlässlich seiner Wiederwahl 5 auf 10 Prozent bis Oktober 2015 zu verabschie- zum Vorsitzenden der DPJ am 21. September 2012 den. Sie soll zur Finanzierung der steigenden So- erklärte Noda erneut, dass die DPJ ihre Energiepo- zialversicherungskosten beitragen. Noda stieß litik umkehren und Japans Abhängigkeit von der dabei auf großen innerparteilichen Widerstand. Atomenergie bis in die 2030er Jahre komplett been- Über 70 Abgeordnete der DPJ traten aus der Par- den wolle. Vor der Katastrophe in Fukushima und tei aus, weil sie die Steuererhöhung, die nicht im noch geraume Zeit danach hatte sich die DPJ noch Wahlmanifest der DPJ aus dem Jahr 2009 enthal- ganz offen zur Atomkraft als „wesentlicher Ener- ten war, nicht mittragen wollten. Mit ihnen ver- giequelle“ bekannt, um Japans hohe Energieimpor- ließ auch der einflussreiche ehemalige Parteivor- te in Grenzen halten zu können (Doege und Köll- sitzende und Faktionsführer Ichiro Ozawa die DPJ. ner 2011). Obwohl nun angekündigt wurde, den Mit über 40 Gefolgsleuten gründete er in der Fol- Ausstieg diesmal ohne erneuten Sinneswandel ge eine neue Partei, die Kokumin no Seikatsu ga zu vollziehen, sprechen dem einige jüngere Ent- Daiichi (People’s Life First (PLF), „Das Leben der wicklungen entgegen. So erklärte Industrieminis- Bürger [kommt] zuerst“). Infolge der Absplitte- ter Yukio Edano, dass drei Atomkraftwerke, deren rung verfügten die Demokraten, die im Jahr 2009 Bau eingeleitet, aber noch nicht vollendet worden noch 308 der insgesamt 480 Mandate errungen hat- ist, von den angekündigten Ausstiegsmaßnahmen GIGA Focus Asien 10/2012 - 2 - ten, Ende Oktober 2012 nur noch über eine hauch- Personelle Veränderungen in der DPJ und der dünne Mehrheit im Unterhaus (Japan Times 2012a). LDP Uneinigkeit besteht innerhalb der DPJ hinsicht- lich eines Beitritts Japans zur Transpazifischen Im September 2012 fanden sowohl innerhalb der Partnerschaft (TPP), eines Freihandelsabkommens, DPJ als auch in der LDP Wahlen zum Parteivor- das im Jahr 2006 zunächst zwischen Brunei, Chi- sitz statt. Während sich dabei Yoshihiko Noda ohne le, Neuseeland und Singapur verwirklicht wurde. allzu große Mühen gegen seine Mitkonkurrenten Ziel des Abkommens ist der Abbau aller Zölle und durchsetzen konnte, kam die Wahl von Ex-Premi- der freie Handel von Gütern, Dienstleistungen etc. er Shinzō Abe zum neuen Parteipräsidenten der Während Noda im November 2011 Japans Inter- LDP eher überraschend. Yoshihiko Noda trat in der esse am Beitritt verkündete, haben sich zahlreiche Wahl gegen die ehemaligen Landwirtschaftsminis- DPJ-Politiker, besonders solche, die die Interessen ter Hirotaka Akamatsu und Michihiko Kano vom der japanischen Agrarindustrie vertreten, dagegen linken bzw. konservativen Flügel der Partei sowie geäußert. In der Folge hat die japanische Regie- gegen den ehemaligen Innenminister Kazuhiro rung zwar Gespräche über einen Beitritt zur TPP Haraguchi an. Da Noda die Unterstützung zahl- geführt, verfügt aber de facto ���������������������über ����������������kein klares Ver- reicher Führungskräfte der Partei genießt, war er handlungsmandat. kaum ernstzunehmender Konkurrenz ausgesetzt. Ein Vorhaben, das Noda noch erfolgreich vor Die wahre Herausforderung besteht nun darin, in der anstehenden Neuwahl durchsetzen konnte, der anstehenden Unterhauswahl nicht katastro- war die Ausgabe von Staatsanleihen im Wert von phal abzuschneiden. Um der Wählerschaft zumin- 38,3 Billionen Yen (ca. 369 Mrd. EUR) zur Finan- dest in personeller Hinsicht ein neues Bild präsen- zierung des Haushalts für das Fiskaljahr 2012. Das tieren zu können, stellte Noda am 1. Oktober 2012 Finanzministerium hatte bereits signalisiert, dass sein drittes Kabinett vor. Verwaltungsausgaben nicht mehr getätigt wer- Besonderes Interesse erregten dabei der neue den können, falls es bis Ende November zu kei- Staatsminister für Grundfragen der Nationalen Po- ner Genehmigung der Anleihenemission durch litik sowie der Wirtschafts- und Fiskalpolitik, Seiji beide Kammern des Parlaments kommen wür- Maehara (50), und die neue Kultusministerin Ma- de.
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