Eingereicht von Clemens Mitteregger

DIE GESCHICHTE DES Angefertigt am Institut für Völkerrecht, Luftfahrtrecht und Internati- NAHOST-KONFLIKTES onale Beziehungen

Beurteiler / Beurteilerin UND DESSEN VÖLKER- Ass.-Prof. Dr. Birgit Haslin- ger LLM (London)

RECHTSVERSTÖßE IN St.Veit/Glan, Mai 2016 BEZUG AUF DEN SIED- LUNGS- UND MAUER- BAU

D I P L O M A R B E I T

zur Erlangung des akademischen Grades Mag.iur. der Rechtswissenschaften an der Rechtswisschenschaftlichen Fakultät der Johannes Kepler Universität Linz

EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.

St.Veit/Glan, April 2016 Clemens Mitteregger

Abkürzungsverzeichnis

Abs Absatz Art Artikel bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise ca. circa d.h. das heißt dh daher EMRK Europäische Menschenrechtskonvention f folgend ff fortfolgende gem. gemäß GK Genfer Konvention HLKO Haager Landkriegsordnung Hrsg Herausgeber IGH Internationaler Gerichtshof iVm in Verbindung mit lit litera Nr. Nummer OGH Oberster Gerichtsho PLO Palästinensische Befreiungsorganisation RES Resolution Rz Randziffer SR Sicherheitsrat ua unter anderem UN Vereinte Nationen usw. und so weiter vgl. vergleiche www world wide web z.B. zum Beispiel

Seite 3 Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ...... 6 2 Historischer Hintergrund ...... 8 2.1 Vom Ende des Ersten Weltkrieges zum Ende des Zweiten Weltkrieges ...... 8 2.1.1 Das Sykes-Picot-Abkommen ...... 8 2.1.2 Balfour Deklaration ...... 8 2.1.3 Das Britische Mandat ...... 9 2.1.4 Idee der Teilung Palästinas ...... 11 2.1.5 Das Weißbuch...... 11 2.1.6 Die Situation der Juden in Palästina zwischen 1939 und 1945 ...... 12 2.2 Das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Auflösung des britischen Mandats ..13 2.2.1 Die Zeit zwischen 1945 und 1947...... 13 2.2.2 Die UN-Resolution 181 (II) – Die Teilung Palästinas ...... 13 2.3 Von der Staatsgründung zum Sechstagekrieg ...... 15 2.3.1 Die Staatsgründung Israels ...... 15 2.3.2 Der Unabhängigkeitskrieg Israels (Erster Nahost-Krieg)...... 15 2.3.3 Die Suezkrise (Zweiter Nahost-Krieg)...... 18 2.3.4 Gründung der PLO ...... 19 2.4 Der Sechstagekrieg (Dritter Nahost-Krieg) und seine Folgen ...... 20 2.4.1 Ursachen ...... 20 2.4.2 Vorabend des Krieges ...... 21 2.4.3 Der Krieg (5. Juni 1967 – 10. Juni 1967) ...... 22 2.4.4 Die Folgen ...... 24 2.5 Vom Yom-Kippur-Krieg (Vierter Nahost-Krieg) zum Frieden mit Ägypten...... 25 2.5.1 Yom-Kippur-Krieg 1973 ...... 25 2.5.2 Resolution 3236 ...... 27 2.5.3 Israelisch-ägyptischer Frieden ...... 27 2.6 Von der ersten Intifada zur „Road Map“ ...... 28 2.6.1 Erste Intifada ...... 28 2.6.2 Oslo I ...... 29 2.6.3 Oslo II...... 30 2.6.4 Zweite Intifada ...... 31 2.6.5 Die „Road Map“ ...... 31 2.7 Von 2005 bis heute ...... 32 2.7.1 Aufstieg der Hamas und der Libanonkrieg 2006 ...... 32 2.7.2 Gaza Krieg 2008/09 ...... 33 2.7.3 Gaza-Krieg 2014 ...... 34 2.7.4 Der neue Weg zu einem Staat Palästina ...... 35 2.7.5 Dritte Intifada? ...... 36

Seite 4 3 Verstöße gegen das Völkerrecht im Zusammenhang mit dem Siedlungsbau ...... 38 3.1 Geschichtliche Entwicklung des Siedlungsbaus ...... 38 3.2 Haager Landkriegsordnung von 1907 (HLKO) ...... 40 3.2.1 Anwendbarkeit der Haager Landkriegsordnung? ...... 40 3.2.2 Israel, eine Besatzungsmacht? ...... 41 3.2.3 Verstöße Israels gegen die HLKO ...... 42 3.3 Rechtsgrundlagen Israels ...... 45 3.4 Genfer Konvention ...... 46 3.4.1 Nichtanwendbarkeit der Genfer Konvention IV? ...... 46 3.4.2 Art. 49 Abs 6 der vierten Genfer Konvention ...... 49 3.5 Resolutionen der UNO in Bezug auf die Siedlungsaktivitäten ...... 55 3.5.1 Resolution 242 ...... 55 3.5.2 Weitere Resolutionen des UN-Sicherheitsrates ...... 57 3.6 Zusammenfassung Kapitel 3...... 58 4 Die „Mauer“...... 60 4.1 Entwicklung ...... 60 4.2 Sicht des Obersten Gerichtshofes in Israel ...... 61 4.3 Internationale Sicht ...... 63 4.3.1 Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes? ...... 63 4.3.2 Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes ...... 65 4.4 Vergleich der Entscheidungen des IGHs und des OGHs ...... 69 4.5 Sicht der israelischen Regierung ...... 70 4.6 Reaktionen ...... 73 4.7 Zusammenfassung Kapitel 4...... 75 5 Zusammenfassung und Schlussfolgerung ...... 77 6 Literaturverzeichnis ...... 80 6.1 Bücher, Berichte, Aufsätze, Zeitschriften, Reden, Briefe und Gesetze ...... 80 6.2 Online-Zeitungen und Webseiten ...... 86 6.3 Resolutionen ...... 90 6.3.1 UN-Generalversammlung ...... 90 6.3.2 UN-Sicherheitsrat ...... 90 6.4 Gerichtsentscheidungen ...... 91

Seite 5 1 Einleitung

Der Nahost-Konflikt lodert seit mehr als einem halben Jahrhundert.1 Dennoch oder gerade deshalb hat er nichts an seiner Brisanz verloren. Noch immer ist die Palästinenserfrage ei- nes jener Themen, welches die internationale Staatengemeinschaft in Atem hält. Trotz un- zähliger Resolutionen des UN-Sicherheitsrates2 und der UN-Generalversammlung3 sowie einer Reihe von Friedensverhandlungen blieb eine dauerhafte Befriedung des Konfliktes bis dato außer Reichweite.4 Zwar sind sich die Vereinten Nationen und ihre Mitgliedsstaaten dahingehend einig, dass ein Ende dieses Streites nur durch eine Zwei-Staaten-Lösung er- reicht werden kann,5 doch gibt es sowohl auf israelischer als auch auf palästinensischer Sei- te radikale Kräfte, die einen solchen Kompromiss strikt ablehnen und versuchen, diesen mit allen Mitteln zu verhindern. So kam es seit 1948 zu über einem halben Dutzend Kriege zwi- schen Israel und seinen Nachbarn, welche Tausende Todesopfer forderten und den Nahen Osten nachhaltig verändert haben.6 Aktuell ist der Friedensprozess erneut zum Stillstand gekommen. Gepaart mit der Perspekti- venlosigkeit der palästinensischen Jugend lässt dieser die Region, welche die Wiege dreier Weltreligionen ist, auch im Jahr 2016 nicht zur Ruhe kommen. Vielmehr scheint die Gewalt erneut aufzuflammen. Ein Ende ist nicht in Sicht.7

Um die Auseinandersetzung in all ihren Aspekten zu verstehen, widmet sich der erste Teil dieser Arbeit ausführlich der Geschichte des Nahost-Konfliktes. Es wird versucht, bis auf die Wurzeln dieses Streites vorzudringen und deren „Verästelungen“ zu folgen. Ganz besonders wird dabei auf die Nahost-Kriege eingegangen, wobei gleichzeitig das Verhalten der interna- tionalen Gemeinschaft wie deren Resolutionen in Bezug auf die Kriege beschrieben werden.8

Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Frage, ob der Siedlungsbau der Israelis in den be- setzten Gebieten gegen das geltende Völkerrecht verstößt. In diesem Zusammenhang wer-

1 Siehe Kapitel 2. 2 Vgl. S/RES/242 (1967); S/RES/252 (1968); S/RES/338 (1973); S/RES/446 (1979); S/RES/452 (1979); S/RES/465 (1980); S/RES/478 (1980); S/RES/1373 (2001); S/RES/1368 (2001); S/RES/1701 (2006). 3 Vgl. A/RES/181 (II) (1947); A/RES/3/217 A (III) (1948); A/RES/194 (III) (1948); A/RES/377 (V) (1950); A/RES/25/2625 (1970); A/RES/3236 (1974); A/RES/3237(XXIX) (1974); A/RES/52/250 (1998); A/RES/ES-10/14 (2003); A/RES/ES-10/15 (2004); A/67/L.28 (2012). 4 Siehe Kapitel 2. 5 Vgl. S/RES/242 (1967); S/RES/338 (1973). 6 Siehe Kapitel 2. 7 Siehe Kapitel 2.7.5. 8 Siehe Kapitel 2. Seite 6 den sowohl die Argumente Israels, des Obersten Gerichtshofes in Israel sowie der Staaten- gemeinschaft wiedergegeben, welche zum Großteil beachtlich voneinander abweichen.9

Ein spezielles Augenmerk wird im dritten Teil auf den Bau der „Mauer“ im Westjordanland gelegt. Dabei werden, ähnlich wie beim Siedlungsbau, die Positionen der Parteien erläutert und deren Unterschiede hervorgehoben. Auch hier weichen die Ansichten der beteiligten Seiten weit voneinander ab.10

Eine Intention dieser Arbeit ist es auch, der Leserin/dem Leser Einblicke in die unterschiedli- chen Herangehensweisen an das Völkerrecht zu gewähren und ihr/ihm bewusst zu machen, dass man mittels geltendem Völkerrecht zu mehr als einem Ergebnis in Bezug auf die Recht- oder Unrechtmäßigkeit des Siedlungsbaues sowie des Mauerbaues kommen kann. Denn sowohl Israel als auch der Oberste Gerichtshof in Israel und ganz besonders die internatio- nale Staatengemeinschaft untermauern ihre Argumentationen stets mit den Regeln des Völ- kerrechts und versuchen so, ihre Position gegenüber dem jeweils anderen zu stärken. So wird versucht, die eigenen Handlungen als völkerrechtskonform darzustellen.11

9 Siehe Kapitel 3. 10 Siehe Kapitel 4. 11 Siehe Kapitel 3; Kapitel 4. Seite 7 2 Historischer Hintergrund

2.1 Vom Ende des Ersten Weltkrieges zum Ende des Zwei- ten Weltkrieges

Mit dem Ende des Jahres 1917 begann die alte Weltordnung zu zerfallen. Einige jener Staa- ten, die man als Weltmächte bezeichnete, standen kurz vor dem Kollaps oder waren bereits am Ende. Der Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie sowie des Osmani- schen Reiches waren nur noch eine Frage der Zeit. Das zaristische Russland musste nach der Oktoberrevolution dem Bolschewismus und damit einer neuen Ideologie folgen. Der Sieg der Entente Mächte stand kurz bevor.12

2.1.1 Das Sykes-Picot-Abkommen

Die Entente Mächte,13 deren Sieg sich bereits abzeichnete, begannen schon während des Ersten Weltkrieges über die Folgejahre nachzudenken und überlegten sich, wie die künftige Weltkarte aussehen sollte. Vor allem Frankreich und Großbritannien beschäftigten sich in- tensiv mit der Frage, wie sie das Osmanische Reich am besten unter sich aufteilen könnten, um ihre eigenen Interessen im Nahen Osten ausreichend vertreten zu wissen. Damit nach dem Krieg keine Streitigkeiten aufkommen konnten, wurde bereits 1916 eine geheime Über- einkunft zwischen diesen beiden Staaten, das sogenannte Sykes-Picot-Abkommen, ge- schlossen.14 Dieses sah eine Gebietsaufteilung vor, in der Großbritannien die Herrschaft über ein Gebiet erhalten sollte, das im Wesentlichen dem heutigen Jordanien, Irak und dem Gebiet um Haifa entsprach. Frankreich würde das Gebiet der Südost-Türkei, des Nordirak, von Syrien und des Libanon übertragen werden. Das Gebiet, welches der Grund für den Nahost-Konflikt ist, nämlich das heutige Israel, die Westbank und der Gazastreifen, sollte unter internationale Verwaltung gestellt werden.15

2.1.2 Balfour Deklaration

Ein Jahr nach dem Sykes-Picot-Abkommen, am 2. November 1917, schrieb der damalige Außenminister des britischen Empires, Lord Balfour, einen Brief an Lord Walter Rothschild,

12 Vgl. Gresh, Israel-Palästina² (2010), 39f. 13 Ursprünglich waren dies: Frankreich, UK, Russland (bis zur Oktoberrevolution 1917); Später Frank- reich, UK, USA,… 14 Vgl. Krämer, Geschichte Palästinas5 (2002). 15 Vgl. www.themen.palaestina-heute.de/Sykes-Picot-Abkommen/sykes-picot-abkommen.html (21.03.2016). Seite 8 einen Repräsentanten des britischen Judentums. In diesem Brief bekräftigte er den Wunsch des britischen Empires, dem jüdischen Volk bei der Errichtung eines Staates auf dem Gebiet Palästinas zu helfen und alles zu tun, um dieses Ziel auch zu ermöglichen. Dieser Brief ist heute als die „Balfour Deklaration“ bekannt.16 Dieses Zugeständnis an das jüdische Volk kam selbstverständlich nicht aufgrund von Nächs- tenliebe zustande, sondern war durchaus im Interesse des Empires. Zum einen hoffte man mit dieser Geste auf das Wohlwollen der Juden, denen man die Innehabung großer Macht, vor allem im Bereich des Finanzsektors, nachsagte. Zum anderen glaubte man, mit einem Staat der Juden den Einfluss in der Region, genau genommen im Nahen Osten und im Heili- gen Land, aufrechterhalten und noch weiter ausbauen zu können. Dies war für das britische Empire von größter Bedeutung, da sich in unmittelbarer Nähe der Suezkanal befand, der die mit Abstand wichtigste Verbindung zu Indien war.17

Einer der Grundsteine des Nahost-Konfliktes war allerdings, dass die Briten dem damaligen Führer der Araber, Sherif Hussein von Mekka, die Unabhängigkeit Arabiens versprachen, wenn dieser einen Aufstand gegen das Osmanische Reich durchführte. Dieses Versprechen stand allerdings im krassen Gegensatz zu der Errichtung eines jüdischen Staates auf dem Gebiet Palästinas, da die Araber dieses Land und seine Bevölkerung ebenfalls als Teil des neuen arabischen Staates sahen. Dies wussten die Briten selbstverständlich, doch hintergingen sie die arabische Bevölkerung und ihren Führer Sherif Hussein von Mekka bewusst, um ihre eigenen Ziele zu erreichen. Dieses doppelte Spiel war somit ein entscheidender Faktor, der zum Konflikt beitrug.18

2.1.3 Das Britische Mandat

Die großen Verlierer jener Zeit waren die Araber, die den Versprechungen der Briten auf ein arabisches Großreich Glauben schenkten. Doch anstelle der Unabhängigkeit Arabiens sollte nun auf dem Gebiet Palästinas das jüdische Volk einen eigenen Staat bekommen. Ein Ge- biet, das die Araber ebenfalls für sich beanspruchten und als Teil ihres neuen Staates sahen. Der Grundstein für den Streit um das Heilige Land war somit gelegt.19

Nachdem die Mandatsaufteilung im Nahen Osten endgültig auf der Konferenz von San Re- mo 1920 beschlossen wurde,20 trennte zwei Jahre später der damalige Kolonialminister

16 Vgl. Balfour-Declaration (1917); http://avalon.law.yale.edu/20th_century/balfour.asp (21.03.2016). 17 Vgl. Gresh, Israel-Palästina² (2010), 40ff. 18 Vgl. Gresh, Israel-Palästina² (2010), 40ff. 19 Vgl. Steininger, Der Nahost Konflikt (2012), 11ff. 20 Vgl. San Remo Resolution (1920). Seite 9 Churchill das Gebiet östlich des von Palästina ab und schuf somit das Königreich Jordanien. Im Jahr 1922 wurde Palästina vom Völkerbund als Mandatsgebiet an Großbritannien über- tragen. Die Balfour-Deklaration wurde hierbei als Mandatstext wörtlich übernommen und zum Völkerrecht erhoben.21 Die Briten fühlten sich der Deklaration verpflichtet und verfolgten das Ziel, den Juden die Ansiedlung auf diesem Gebiet zu ermöglichen, kontinuierlich. Während die Araber zu dieser Zeit rund 78 % der Bevölkerung in Palästina stellten, mussten sie sich jedoch mit nur vier Repräsentanten in einem ohnehin nur mit beratender Funktion ausgestatteten Gremium, welches zudem von Großbritannien eingerichtet und dominiert wurde, begnügen. Zur gleichen Zeit hatten die Juden drei Repräsentanten im selben Gremi- um, obwohl sie lediglich elf Prozent der Bevölkerung vertraten. Spätestens hier wurde den Arabern klar, dass die Briten die Ansiedlung der Juden forcieren wollten.22

Doch auch in den Reihen der Briten gab es unterschiedliche Meinungen zu der Ansiedlungs- politik. So stellte der damalige Außenminister Britanniens, Lord Curzon, schon 1920 fest, dass seiner Meinung nach die Juden keinen Rechtsanspruch auf Palästina hätten, da dieser vor 1200 Jahren zu Ende gegangen wäre. Allerdings definierte Churchill 1922 die Verpflichtungen des Empires gegenüber den Juden in dem so genannten „Ersten Weißbuch“, was im Wesentlichen der Balfour-Deklaration ent- sprach:23 1. „Die jüdische nationale Heimstätte wird in Palästina errichtet, Palästina ist den Juden nicht als Heimstätte gegeben worden. 2. Dem jüdischen Volk in seiner Gesamtheit ist das Recht verliehen worden, die natio- nale Heimstätte zu errichten. 3. Die jüdische Gemeinschaft im Lande ist, unterstützt durch die Bemühungen des ge- samten jüdischen Volkes, kraft eigenen Rechts und nicht aus Duldung in Palästina.“24 Damit war der Weg für die Juden frei, sich in Palästina niederzulassen und sich eine eigene Heimstätte aufzubauen. So begann eine große Einwanderungswelle, in der allein zwischen 1919 und 1931 120.000 Juden, vor allem aus Russland und Polen, nach Palästina kamen. Gleichzeitig begannen sie, sich selbst zu verwalten und ihr wirtschaftliches, kulturelles und politisches Leben unabhängig zu organisieren.25 Als die Nationalsozialisten in Deutschland mit ihrer Machtergreifung begannen, emigrierten knapp 200.000 weitere Juden von dort nach Palästina. Dadurch verdoppelte sich die jüdi-

21 Vgl. Steininger, Der Nahost Konflikt (2012), 11ff; Balfour-Declaration (1917). 22 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 136f. 23 Vgl. Steininger, Der Nahost Konflikt (2012), 14ff. 24 Churchill, White Paper (1922). 25 Vgl. Steininger, Der Nahost Konflikt (2012), 16. Seite 10 sche Bevölkerung von 1931 bis 1936 schlagartig von 175.000 auf 350.000. Nunmehr stellten sie über ein Viertel der Bevölkerung in Palästina. Doch nicht nur die rasant anwachsende Zahl der jüdischen Siedler drängte die Araber stetig weiter zurück, sondern vor allem auch die wirtschaftliche Dominanz jener Einwanderer.26 Dies führte immer häufiger zu Zusammenstößen mit den Arabern, die sich in drei Aufständen (zwischen 1920 und 1939) gegen diese Siedlungspolitik und die Zurückdrängung ihres eige- nen Volkes aus Palästina auflehnten.27

2.1.4 Idee der Teilung Palästinas

Aufgrund der verhärteten Fronten nach den arabischen Aufständen mit hunderten von Toten auf beiden Seiten und einem sechs Monate dauernden Generalstreik der Araber28 erkannte die britische Mandatsmacht, dass es nicht möglich sei, die Araber und die Juden in einem gemeinsamen Staat zu befrieden. Im Juli 1937 kam schließlich die Idee auf, Palästina zu teilen. Nämlich in einen jüdischen und in einen arabischen Staat.29 Um ethnische und religiö- se Konflikte in Zukunft zu vermeiden, wurde über einen großen Bevölkerungsaustausch nachgedacht, wie dies bereits bei der Türkei und Griechenland geschehen war.30 Dieser Plan wurde allerdings 1938 von den Briten als undurchführbar eingestuft. Damit wollte man vor allem die Araber besänftigen, die vehement gegen eine Teilung waren. Man erhoff- te, Ruhe in den Nahen Osten zu bekommen und dadurch die eigene Position zu festigen, da die Zeichen in Europa erneut auf Krieg standen.31

2.1.5 Das Weißbuch

Da die Wahrscheinlichkeit eines Krieges in Europa immer größer wurde, begannen die Bri- ten, eine andere Strategie zu verfolgen. Sie versuchten, die arabische Bevölkerung für sich zu gewinnen.32 Zu diesem Zweck veröffentlichten sie im Mai 1939 das sogenannte Weiß- buch. In diesem Buch wurde festgehalten, dass die Balfour-Deklaration nicht bedeute, dass der arabische Staat Palästina in einen jüdischen Staat umgewandelt werden sollte. Das Ziel sei vielmehr, einen gemeinsamen Staat von Juden und Arabern zu schaffen, in dem die Inte- ressen beider Bevölkerungsgruppen gleich berücksichtigt werden würden.33

26 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 146. 27 Vgl. Steininger, Der Nahost Konflikt (2012), 19. 28 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 143ff. 29 Vgl. Ullmann, Israels weg zum Staat (1964), 293. 30 Vgl. Krämer, Geschichte Palästinas5 (2002), 297. 31 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 147 ff. 32 Vgl. Gresh, Israel-Palästina² (2010), 55f. 33 Vgl. MacDonald-Weißbuch, Cmd 6019 (1939). Seite 11 Um diese Absicht gegenüber der arabischen Bevölkerung zu unterstreichen, wurde die Zahl der jüdischen Siedler für die folgenden fünf Jahre auf 75.000 Personen limitiert. Nach dieser Zeit sollte eine Zuwanderung überhaupt nur mehr mit der Zustimmung der Araber möglich sein. Auch stellten die Briten 1939 das Niederlegen ihres Mandates über Palästina in Aussicht. Die Araber fühlten sich ob dieser Zugeständnisse gestärkt und beendeten ihren Aufstand.34

2.1.6 Die Situation der Juden in Palästina zwischen 1939 und 1945

Während die Araber das Weißbuch und seinen Inhalt begrüßten, stellte es aus Sicht der Ju- den eine Verschlechterung ihrer Position dar, da die ursprüngliche Balfour-Erklärung für sie viel günstiger war. Es ging sogar soweit, dass das Weißbuch als Verrat an ihren Rechten dargestellt wurde. Sie wollten unter allen Umständen verhindern, eine Minderheit in einem arabisch dominierten Staat zu werden. Auf der anderen Seite entwickelte sich die wirtschaftliche Situation für die Juden immer bes- ser. Während des Generalstreiks der Araber sprangen sie in deren Bereiche ein und vergrö- ßerten damit ihre ohnehin bestehende ökonomische Stärke. Das Ergebnis war, dass die jü- dische Bevölkerung nun nicht nur die wichtigsten Industrien, sondern auch den Bankensek- tor und den Großteil des Handels kontrollierte. Auch begannen die in Palästina lebenden Juden neue Verbündete in Übersee, genauer ge- sagt in den USA, zu suchen. Dort stellte ihre Glaubensgemeinschaft eine bedeutende Min- derheit dar, die sich bereit erklärte, zugunsten eines jüdischen Staatswesens Geld zu spen- den.35 Trotz ihres wirtschaftlichen Erfolges waren die Juden noch immer eine Minderheit in Palästi- na. Unbeeindruckt dessen verfolgte die zionistische Bewegung unter der Führung von David Ben Gurion, dem späteren Ministerpräsidenten Israels, das Ziel, einen jüdischen Staat inner- halb der Grenzen Palästinas zu errichten. Zu diesem Zwecke wurde die Einwanderung von Hunderttausenden europäischen Juden gefordert.36 Wie vom Weißbuch vorgegeben, hielten die Briten weiterhin an der begrenzten Einwande- rungszahl fest. Das Ergebnis dieser unnachgiebigen Haltung war, dass nahezu die Hälfte der Einwanderer nun illegal ins Land kam. Trotzdem wichen die Briten nicht von ihrer Position ab und begannen aufgegriffene Flüchtlinge wieder zurück nach Europa zu schicken, was in den Augen vieler Juden, vor allem vor dem Hintergrund des Holocausts, ein unglaubliches Verbrechen darstellte. Diese Vorgehensweise nahmen extremistische jüdische Strömungen als Grundlage, um fortan einen bewaffneten Kampf gegen die Briten zu führen.37

34 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 149. 35 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 149ff. 36 Vgl. Gresh, Israel-Palästina² (2010), 85. 37 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 153. Seite 12 2.2 Das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Auflösung des britischen Mandats

2.2.1 Die Zeit zwischen 1945 und 1947

Der Zweite Weltkrieg und der damit verbundene Holocaust brachten für rund sechs Millionen Juden in Europa auf brutalste Weise den Tod.38 Diejenigen, die überlebten, hatten meist al- les verloren. Unter den Millionen „Displaced Persons“39 waren auch Zehntausende Juden. Nun stellte sich die Frage, was man mit diesen vielen Juden machen sollten, die ohne Hei- mat und materiellen Besitz dastanden. Denn weder die Vereinigten Staaten noch Westeuro- pa wollten ihnen eine neue Heimat bieten.40 Gleichzeitig war der jüdischen Glaubensgemeinschaft klar geworden, dass sich die Juden von nun an selbst verteidigen mussten, damit so etwas in Zukunft nie wieder geschehen konnte. Um einer Selbstverteidigung die Basis zu geben, sollte ein eigener jüdischer Staat errichtet werden, in dem sie über ihr Schicksaal bestimmen konnten. Deshalb wurden Juden in aller Welt angehalten, nach Palästina zu kommen, um dort diesen ersehnten Staat ge- meinsam aufzubauen. Die Amerikaner unter ihrem Präsidenten Harry S. Truman setzten sich im Frühjahr 1946 ver- stärkt für die Einwanderung von 100.000 weiteren Juden in Palästina ein, da man eine Lö- sung für die vielen Holocaust-Überlebenden brauchte, die, wie bereits erwähnt, in Europa ebenso wenig willkommen waren wie in den USA. Als die Briten ihre Haltung bezüglich der beschränkten Einwanderungspolitik jedoch nach wie vor beibehielten, vermehrten sich die Übergriffe von jüdischen Untergrundorganisationen gegen die Mandatsmacht. Großbritannien musste schließlich erkennen, dass der Spagat zwischen den Interessen der Araber und Juden für sie nicht mehr möglich war. Zudem verlor diese Region für das Vereinigte Königreich nach Ende des Zweiten Weltkrieges an Bedeu- tung. Aufgrund dessen beschloss Großbritannien, das Palästina-Problem an die zwei Jahre zuvor gegründete UNO zu übergeben.41

2.2.2 Die UN-Resolution 181 (II) – Die Teilung Palästinas

Um das Problem endgültig, so hoffte man zumindest, zu lösen, wurde das Nations Special Committee on Palestine (Unscop) eingerichtet,42 welches aus Delegierten von elf Ländern43

38 Vgl. Fikentscher, Sechs millionen Juden vergast-verbrannt (1980). 39 Displaced Persons sind Zivilpersonen, die durch einen Krieg ihre Heimat verlassen mussten und nicht zurückkehren oder sich in einem anderen Staat neu ansiedeln konnten. 40 Vgl. Gresh, Israel-Palästina² (2010), 85. 41 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 154f. 42 Vgl. Tessler, A History of the Israeli-Palestinian Conflict (2009), 258. 43 Australien, Guatemala, Indien, Iran, Jugoslawien, Kanada, die Niederlande, Peru, Schweden, Tschechoslowakei und Uruguay Seite 13 bestand. Diese sollten nach Palästina reisen und sich vor Ort ein Bild machen. Als die Dele- gierten dort ankamen, fanden sie ein zerrüttetes und tief gespaltenes Land vor. Auf der einen Seite standen die jüdischen Extremisten, die sich dem Terror gegen die Briten verschworen hatten. Auf der anderen Seite stand das Hohe Arabische Komitee, welches die UN- Kommission völlig boykottierte. Die offiziellen jüdischen Vertreter hingegen beschritten einen anderen Weg und behandelten die Mitglieder der Kommission sehr zuvorkommend. Es wur- de versucht, ihnen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten, um einen positi- ven Eindruck zu hinterlassen.44 Nachdem sich die Kommission ihre Meinung gebildet hatte und sowohl mit den Befürwortern eines gemeinsamen jüdisch-arabischen Staates als auch mit den Befürwortern einer Zwei- staatenlösung gesprochen hatte, sprach sich die Kommission schließlich für die Teilung Pa- lästinas aus. Dies geschah vor allem aus drei Gründen, welche die Mehrheit der Kommissi- onsmitglieder überzeugten, und die sie zu einer Empfehlung für die Gründung eines jüdi- schen Staates veranlassten. Zum einen waren dies die unübersehbaren Erfolge, welche die jüdischen Siedler vorzuweisen hatten. Zum anderen die Tragödien, die mit den illegalen Einwanderungen einhergingen, und nicht zuletzt war es die Besichtigung der Konzentrations- lager in Deutschland.45 Es war einfach unmöglich für die UN-Delegation, aufgrund dieser Tatsachen eine andere Entscheidung zu treffen. Zudem kam bei vielen noch der Glaube hinzu, dass den Juden in Osteuropa ein neues Massaker bevorstehen könnte. Auch wurde immer wieder die Bewunderung für die Schaffenskraft der Juden zum Ausdruck gebracht. Man kam zu dem Schluss, dass die Araber all diese schöpferische Leistung zer- stören, gleichzeitig selbst aber nichts Vergleichbares zustande bringen würden. Dies war selbstverständlich eine kolonialistische Ansicht. Doch schien dies zur damaligen Zeit, vor allem vor dem Hintergrund, dass die große Entkolonialisierung erst bevorstand, niemanden zu interessieren.46

Der Endbericht wurde schließlich am 31. August 1947 übergeben. Einstimmig und ohne dass es jemanden überraschte, sprach sich die Kommission für das Ende des britischen Mandats aus. Strittig blieb allerdings die Frage, ob Palästina geteilt werden sollte oder nicht. Der Teilungsplan, der drei Monate später der UN-Generalversammlung vorgelegt wurde, sah vor, dass 55% Palästinas an einen jüdischen Staat fallen sollten. Der Rest würde an die Ara- ber gehen. Jerusalem sollte eine separate Enklave werden, die zunächst für zehn Jahre un- ter internationale Verwaltung gestellt würde.47

44 Vgl. Gresh, Israel-Palästina² (2010), 89ff. 45 Vgl. United Nations Special Committee on Palestine, Official Records of the Second Session of the General Assembly, Supplement Nr. 11 (1947). 46 Vgl. Gresh, Israel-Palästina² (2010), 89ff. 47 Vgl. United Nations Special Committee on Palestine, Official Records of the Second Session of the General Assembly, Supplement Nr. 11 (1947). Seite 14 Für die Annahme des Plans waren zwei Drittel der Stimmen notwendig. Obwohl die Vereinig- ten Staaten erheblichen Druck auf einige Mitgliedsstaaten ausübten, war es bis zur Abstim- mung bei der UNO mehr als fraglich, ob die erforderliche Anzahl an Stimmen zusammen- kommen würde.48 Trotzdem wurde die Teilung schlussendlich von der Generalversammlung mit 33 zu 13 Stimmen bei zehn Enthaltungen mittels Resolution 181 (II) angenommen, was bedeutete, dass es nun für beide Völker einen eigenen Staat gab.49 Der erhoffte Friede je- doch war weiterhin nur eine Illusion.50

2.3 Von der Staatsgründung zum Sechstagekrieg

2.3.1 Die Staatsgründung Israels

Am Freitag, dem 14. Mai 1948 kam der lang ersehnte Tag für die Juden im Nahen Osten. Das britische Mandat endete um Mitternacht nach 26 Jahren. Bereits acht Stunden zuvor kam in Tel Aviv der jüdische Nationalrat zusammen. Flankiert von der Fahne Israels mit dem Davidstern erklärte Ben Gurion, zweimaliger Ministerpräsident, die Errichtung des Staates Israels kraft des51 „natürlichen und historischen Rechts des jüdischen Volkes und aufgrund des Beschlusses der UNO-Vollversammlung.“52 Während die Juden nun ihr Ziel erreicht hatten, gab es für die Araber wenig Grund zum Ju- beln. Die Arabische Liga, die 1945 gegründet wurde53 und sechs Mitgliedsstaaten bei den Vereinten Nationen hatte,54 lehnte den Teilungsplan55 von Anfang an entschieden ab. Sie drohte Israel damit, eine arabische Befreiungsarmee aufzustellen und den neuen Staat mili- tärisch anzugreifen, sollte man an der Teilung Palästinas festhalten. Als Israel wie erwartet nicht von der Teilung absah, ließen die Araber ihren Worten Taten folgen. Der erste israelisch-arabische Krieg konnte somit beginnen.56

2.3.2 Der Unabhängigkeitskrieg Israels (Erster Nahost-Krieg)

Einen Tag nachdem sich Israel für unabhängig erklärt hatte,57 griffen fünf arabische Staa- ten58 den neuen jüdischen Staat mit dem Ziel an, diesen wieder aus der Landkarte zu strei- chen.

48 Vgl. Gresh, Israel-Palästina² (2010), 95f. 49 Vgl. A/RES/181 (II) (1947). 50 Siehe Kapitel 2.3. 51 Vgl. Steininger, Der Nahost Konflikt (2012), 38. 52 Gurion, Israel Independence Speech (1948). 53 Vgl. www.arableagueonline.org/ (21.03.2016). 54 Ägypten, Irak, Libanon, Saudi-Arabien, Syrien, Jemen. 55 Vgl. A/RES/181 (II) (1947). 56 Vgl. Timm, Die Gründung des Staates Israel (2008). Seite 15 Obgleich die Angreifer nach außen hin zwar Einigkeit demonstrierten, war das Misstrauen untereinander enorm. Die arabischen Staaten verdächtigten einander, nur auf ihren eigenen Vorteil zu schauen und ihre jeweilige Macht und Vormachtstellung im Nahen Osten ausbau- en zu wollen. Aus diesem Grund handelten sie unkoordiniert und eigensinnig. Zudem kam auf arabischer Seite das Problem der Selbstüberschätzung hinzu, weswegen sie lediglich 25.000 Soldaten aufbot. Ihr gegenüber stand jedoch eine top ausgebildete, hochmotivierte und vor allem gut ausgerüstete Armee mit 30.000 Mann aus Israel. Die Araber griffen den jüdischen Staat von allen Seiten an, doch erfolglos. Die Israelis konn- ten die Vorstöße stoppen, sodass nach zwei Wochen Krieg die Landkarte fast gänzlich un- verändert blieb. Am 1. Juni 1948 kam es zu einem ersten Waffenstillstand, den die UNO vermittelt hatte. Is- rael nutzte diese Zeit, um militärisch weiter aufzurüsten und verdoppelte außerdem seine Zahl an Soldaten auf 60.000. Zur gleichen Zeit versuchten die Vereinten Nationen zwischen den Streitparteien zu vermitteln, doch lehnten die Araber grundsätzlich jeden Vorschlag ab. Die kampffreie Zeit hielt nur knapp 40 Tage, ehe Israel mit einer neuen Offensive wichtige Teile Palästinas eroberte. Zehn Tage später kam es zu einem erneuten Waffenstillstand, der einmal mehr von der UNO vermittelt wurde. Während die arabische Seite tief zerstritten war und sich dies mit Fortdauer der israelischen Siege weiter verstärkte, festigte sich auf der anderen Seite der Staat der Juden. So wurden eine eigene Währung sowie ein Oberster Gerichtshof eingerichtet. Im selben Jahr erreichten 100.000 weitere Flüchtlinge Israel. Der neue Staat wuchs beständig. Mitte Oktober begannen, von israelischer Seite ausgehend, erneut die Kampfhandlungen, wobei Israel große Teile des ehemaligen britischen Mandatsgebiets Palästina erobern konn- te. Als die UNO einen dritten Waffenstillstand verhandelte, hatte Israel 77% dieses Gebietes unter seine Kontrolle gebracht und, was strategisch sehr wichtig war, nunmehr ein Staatsge- biet geschaffen, das aus einer durchgehenden Landfläche bestand. Damit hatten die Juden eine Heimstätte, die sowohl über einen Zugang zum Mittelmeer als auch zum Roten Meer verfügte.59

2.3.2.1 Die Folgen des Ersten Nahost-Krieges Anfang des Jahres 1949 wurde zwischen Israel und Ägypten ein Waffenstillstandsvertrag geschlossen, der von den USA und Großbritannien vermittelt wurde. Der Gazastreifen wurde unter ägyptische Kontrolle gestellt, ohne dabei gleichzeitig Teil des Staatsgebietes zu wer-

57 Vgl. Israeli Declaration of Independence (1948). 58 Vgl. Syrien, Transjordanien, Irak, Ägypten, Libanon 59 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 163ff. Seite 16 den.60 Ein paar Monate später folgten der Libanon,61 Transjordanien62 und Syrien63 diesem Beispiel. Lediglich der Irak wollte keinen diesbezüglichen Vertrag mit Israel abschließen. Der Hass der Araber gegen die Juden wuchs nach der Niederlage. Auch wurden viele jener Protagonisten, die mit Israel einen Waffenstillstandsvertrag geschlossen hatten, von ihren politischen Gegnern gestürzt bzw. wie im Fall des Königs von Jordanien, König Abdallah I, umgebracht. Die neuen Führer waren erst recht entschlossen, Israel zu vernichten.64 Die Bevölkerungsstruktur des ehemaligen Mandatsgebietes war nach dem Krieg nicht wie- derzuerkennen. Nachdem die Kämpfe beendet waren, lebten rund 782.000 Juden und nur noch 69.000 Araber im neuen Staatsgebiet Israels. Hingegen gab es im Gazastreifen und in der Westbank keine Juden mehr.65 Laut UNO-Angaben flüchteten 650.000 Palästinenser aus ihrer ehemaligen Heimat,66 was knapp zwei Drittel aller Palästinenser entsprach. Die Zahl der Flüchtlinge wurde jedoch immer wieder, vor allem auf israelischer Seite, stark angezwei- felt.67 Dennoch ist unbestritten, dass eine große Zahl an Palästinensern sich auf die Nach- barstaaten verteilte und bis heute eine entscheidende Streitfrage zwischen Israel und den Palästinensern darstellt. Diejenigen Araber, die im Staatsgebiet Israels blieben, wurden al- lerdings als Staatsbürger anerkannt. Dennoch konnten die Vereinten Nationen aufgrund dieser großen Zahl an geflohenen und vertriebenen Menschen nicht wegsehen. So nahm sich die UNO dem Anliegen der Flüchtlin- ge an.68 Das Resultat war die UN-Resolution 194 (III) vom 11. Dezember 1948, wonach es Flüchtigen sobald wie möglich gestattet werden sollte, wieder in ihre Heimat zurückzukeh- ren.69

2.3.2.2 UN-Resolution 194 (III) Die Antwort der Staatengemeinschaft auf die große Flüchtlingskrise im Nahen Osten war die Resolution 194 (III). Israel wurde dazu aufgefordert, all jenen Flüchtlingen die Rückkehr in

60 Vgl. Israel- Armistice Agreement (1949); www.mfa.gov.il/mfa/foreignpolicy/mfadocuments/yearbook1/pages/israel- egypt%20armistice%20agreement.aspx (22.03.2016). 61 Vgl. Israel-Lebanon Armistice Agreement (1949); www.mfa.gov.il/MFA/ForeignPolicy/MFADocuments/Yearbook1/Pages/Israel- Lebanon%20Armistice%20Agreement.aspx (22.03.2016). 62 Vgl. Israel-Jordan Armistice Agreement (1949); www.mfa.gov.il/MFA/ForeignPolicy/MFADocuments/Yearbook1/Pages/Israel- Jordan%20Armistice%20Agreement.aspx (22.03.2016). 63 Vgl. Israel-Syria Armistice Agreement (1949); www.mfa.gov.il/MFA/ForeignPolicy/MFADocuments/Yearbook1/Pages/Israel- Syria%20Armistice%20Agreement.aspx (22.03.2016). 64 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 169. 65 Vgl. Krämer, Geschichte Palästinas5 (2002), 374. 66 Vgl. Report of the United Nations Mediator on Palestine (1948). 67 Vgl. Rozenman, UN High Commissioner on Refugees Wrong about Refugees (2007); Mather, How many Arab refugees were there in 1948? In: israelnationalnews.com (2001). 68 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 169ff. 69 Vgl. A/RES/194 (III) (1948). Seite 17 ihre alte Heimat zu gestatten, sofern sich diese dem Frieden mit den Juden verpflichtet fühl- ten. Für all jene, die sich gegen eine Rückkehr entschieden, solle Israel Reparationsmittel zur Verfügung stellen, um den Verlust ihres Eigentums auszugleichen.70 Israel reagierte darauf mit einer Notstandsverordnung über das Eigentum Abwesender. Darin hieß es, dass jedwedes Eigentum, welches von Palästinensern verlassen wurde, automa- tisch in das Eigentum des Verwalters, also dem Staat Israel, übergehe.71

2.3.3 Die Suezkrise (Zweiter Nahost-Krieg)

In Israel blieb in den nächsten Jahren kein Stein auf dem anderen. Innerhalb von vier Jahren verdoppelte sich fast die Einwohnerzahl. Insgesamt kamen um die 700.000 Menschen in den neuen Staat, rund die Hälfte davon aus arabischen Staaten, da die Lage in diesen Ländern für die Juden nach dem ersten israelisch-arabischen Krieg immer gefährlicher wurde. Auf arabischer Seite bekam Israel einen neuen mächtigen Gegenspieler. Gamal Abdel Nas- ser, der neue Staatspräsident Ägyptens, weckte bei vielen in der Region die Hoffnung, nun endlich jemanden gefunden zu haben, der es mit Israel und den anderen westlichen Mäch- ten aufnehmen konnte. Im Juli 1956 verstaatlichte er den Suezkanal und ging damit auf Konfrontationskurs zu den alten Kolonialmächten England und Frankreich. Zudem sperrte Ägypten die Straße von Tiran und den Suezkanal, womit Schiffe, die in Israel einlaufen wollten, dies nicht mehr konnten.72 Frankreich und Großbritannien witterten nun ihre Chance und wollten Israel für ihre Zwecke einspannen. Der Plan war, dass der israelische Staat die Sinai Halbinsel und den Suezkanal erobern sollte, während die ehemaligen Kolonialmächte die beiden verfeindeten Staaten auffordern würden, die Kampfhandlungen einzustellen. Man ging davon aus, dass Ägypten diese Forderungen ablehnen würde. So hätte man einen Grund gehabt, in einer gemeinsa- men Aktion zu stürzen. Doch durchschauten Frankreich und Großbritannien nicht, dass es Israel gar nicht um den Suezkanal per se ging. Zwar hatte es den Sinai wie geplant erobert, doch waren damit seine Ziele erreicht: Israel kontrollierte nun auch den Gazastreifen sowie die Straße von Tiran. Während die Aktion für Israel ein voller Erfolg war, wurde es für die Briten und Franzosen zum Desaster. Dass es für die beiden ehemaligen Supermächte so schlimm kam, war vor allem dem briti- schen Premierminister Anthony Eden zuzuschreiben, welcher den US-Präsidenten Eisenho- wer in dieser Angelegenheit bewusst hintergangen hatte. Dieser nahm die Angelegenheit persönlich und so kam es, dass die USA und die Sowjetunion gemeinsam im UN-

70 Vgl. A/RES/194 (III) (1948). 71 Vgl. Absentee Property Law (1950). 72 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 171ff. Seite 18 Sicherheitsrat vorgingen, was bis heute in der Geschichte der UNO eher eine Seltenheit dar- stellt. In der Folge übte die UNO verstärkt Druck auf das britische Pfund aus. Zudem drohten die USA Großbritannien mit Ölsanktionen, woraufhin die Briten dem internationalen Druck nicht länger standhalten konnten und nachgeben mussten. Die Vormachtstellung des Verei- nigten Königreichs im Nahen Osten, welche es so lange innehatte, war damit gebrochen und ging zu Ende. An ihre Stelle traten nun die Vereinigten Staaten, die von nun an eine wesent- liche Rolle im Nahen Osten spielen sollten.73

Die Folgen des Zweiten Nahost-Krieges waren weitreichend. Neben den USA, die ihren Ein- fluss im Nahen Osten ausbauen konnten, war der zweite Gewinner dieses Konflikts Gamal Abdel Nasser. Obwohl dieser zwar die militärische Auseinandersetzung mit Israel verlor, ge- wann er dennoch enorm an Ansehen, vor allem in den arabischen Ländern. Aber auch in der Weltöffentlichkeit ging er politisch gestärkt hervor. Sein Ziel war die Vereinigung aller Araber in einem Nationalstaat (Panarabismus), was zur damaligen Zeit große Popularität erlangte. 1957 wurde Israel gezwungen, wieder vom Sinai und ebenso vom Gazastreifen abzuziehen. Dies war die Voraussetzung dafür, dass die UNO eine „United Nations Emergency Force“ etablieren konnte, die eine Pufferzone zwischen Israel und Ägypten darstellte. Trotz der wei- terhin bestehenden Feindschaft zwischen diesen beiden Ländern blieb die Grenzregion über Jahre hinweg friedlich.74 Die nunmehrige Bedrohung für Israel bildeten die Golanhöhen, die ein Teil des syrischen Territoriums waren75 und von wo aus syrische Kämpfer wahllos auf israelisches Staatsgebiet feuerten. Dies vergiftete das Klima zwischen diesen beiden Staa- ten noch mehr. Die nächste Eskalation war somit nur noch eine Frage der Zeit.76

2.3.4 Gründung der PLO

1964 wurde auf Initiative der Arabischen Liga die PLO77 gegründet, die von nun an die Pa- lästinenser in der Weltöffentlichkeit offiziell vertreten sollte. Um die palästinensische Identität auch auf Papier zu bringen, wurde die palästinensische Nationalcharta78 verabschiedet. Gleichzeitig entstanden der palästinensische Nationalrat, das Exekutivkomitee sowie die palästinensische Befreiungsarmee, die das Geschehen im Nahen Osten in den folgenden Jahren stark mitprägen sollten.79

73 Vgl. Steininger, Der Nahost Konflikt (2012), 43f. 74 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 173f. 75 Die Golanhöhen sind bis heute von Israel besetzt. Völkerrechtlich sind sie noch immer ein Teil Sy- riens. 76 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 173f. 77 PLO: Palestine Liberation Organization. 78 Vgl. Palestinian National Charta; http://palaestina.org/uploads/media/palaestinensische_nationalcharta.pdf (25.03.2016). 79 Vgl. Karimi-Schmidt, Der Israel-Palästina Konflikt aus der Sicht des Völkerrechts (2015), 28. Seite 19 2.4 Der Sechstagekrieg (Dritter Nahost-Krieg) und seine Folgen

Der Sechstagekrieg von 1967 veränderte den Nahen-Osten nachhaltig. Die Auswirkungen des Krieges zwischen Israel und seinen Nachbarn sind bis heute spürbar.80 Viele Entschei- dungen, die in Folge dieses Krieges getroffen wurden, stellen bis heute große Hürden zu einem dauerhaften Frieden in der Region dar.81

2.4.1 Ursachen

2.4.1.1 Wasser Der Konflikt um das Wasser zwischen Israel und seinen Nachbarn ist bis heute einer der ungelösten Probleme der Region und einer der großen Hinderungsgründe für eine dauerhaft friedliche Lösung zwischen Israel und Palästina. Der Ursprung dieses Konflikts reicht über ein halbes Jahrhundert zurück, nämlich bis ins Jahr 1959. In diesem Jahr begann Israel mit dem Bau des sogenannten „National Water Car- rier“.82 Die Negev Wüste sollte großflächig mit Süßwasser bewässert werden. Da es in dieser Region allerdings kein Süßwasser gab, musste dieses mittels einer 130 km langen Leitung vom See Genezareth, der im Norden Israels liegt, in die Negev Wüste geleitet werden. Dies erzürnte naturgemäß Israels Nachbarn, die dem jüdischen Staat ohnehin nicht freund- lich gestimmt waren, noch weiter. Zum einen lag der See genau an der Grenze zwischen Israel und Syrien, was in diesem Zusammenhang auch zu weiteren Grenzverletzungen führ- te. Zum anderen lagen die Quellflüsse des Sees sowohl im Libanon als auch in Syrien selbst. Vor allem aber befürchteten die arabischen Staaten, dass die Bewässerung der Negev Wüs- te eine weitere Besiedlung dieser Region und Israels als Ganzes nach sich ziehen würde. Dies wollten die Araber unter allen Umständen verhindern.83 Auf das Vorhaben Israels antworteten die arabischen Staaten ihrerseits mit dem sogenann- ten „Headwater Diversion Plan“. Dieser sah vor, dass die Zuflüsse des Genezareth Sees, nämlich die Flüsse Hasbani und Banias, welche in Syrien und dem Libanon entsprangen, mittels eines eigenen Kanalsystems so umgeleitet werden sollten, dass dadurch der See Genezareth nicht mehr dauerhaft als Süßwasserspeicher dienen konnte. Israel konnte und wollte diese Reaktion der arabischen Staaten nicht unbeantwortet lassen und griff deshalb die dafür errichteten Baustellen ab 1965 mehrfach an, was weitere Grenz- gefechte zwischen Israel und Syrien zur Folge hatte.84

80 Vgl. Segev, 1967 – Israels zweite Geburt (2009). 81 Siehe Kapitel 3. 82 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 177. 83 Vgl. Schäuble/Flug, Die Geschichte der Israelis und Palästinenser (2013), 79f. 84 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 177f. Seite 20 2.4.1.2 Der Kalte Krieg und wirtschaftliche Probleme Auch die Weltpolitik befand sich zu dieser Zeit in einer Phase des gegenseitigen Misstrau- ens. Die USA und die Sowjetunion rangen um die Vormachtstellung in der Welt und suchten überall auf dem Globus Verbündete, die ihre eigene Macht ausbauen und festigen sollten. Während die Sowjetunion im Nahen Osten auf Ägypten und Syrien setzte, waren die Ver- bündeten der USA der Iran und Israel. Allen Staaten im Nahen Osten war damals gemein, dass sie mit enormen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hatten. Jordanien hatte sich mit der Übernahme der Westbank wirt- schaftlich übernommen, da durch die Annexion dieses Gebietes sich die Bevölkerungszahl vervierfacht hatte. Die Wirtschaft in Ägypten lag ohnehin darnieder. Aber auch Israel kämpfte mit einer hohen Arbeitslosigkeit und sozialen Spannungen zwischen orientalischen und eu- ropäischen Juden, was eine Abwanderung Intellektueller und Akademiker zur Folge hatte. Daher wurde eine militärische Lösung des Palästinakonflikts als wünschenswerter Befrei- ungsschlag auf allen Seiten gesehen.85

2.4.1.3 Arabischer Nationalismus Die Anhänger des ägyptischen Präsidenten Nasser forderten von diesem endlich Taten, nachdem dieser seit Jahren den arabischen Nationalismus vehement befeuert und forciert hatte. Da gleichzeitig die Wirtschaft im Land miserabel war und sich Nasser mit sinkender Popularität konfrontiert sah, brauchte er einen neuen Beweis seiner Führungsstärke.86 Im November 1966 wurde deshalb zwischen Ägypten und Syrien ein Verteidigungspakt unter- zeichnet.87

2.4.2 Vorabend des Krieges

Mitte Mai 1967 begann es in der ohnehin brodelnden Region wirklich ernst zu werden. Präsi- dent Nasser verlangte den Abzug der UN-Truppen aus Ägypten, die im Rahmen der „United Nations Emergency Force“ die Grenze zwischen Israel und Ägypten sicherten. Als dieser Forderung nachgegeben wurde, schrillten in Israel die Alarmglocken. Nur wenige Tage später ließ Ägypten zudem die Straße von Tiran sperren, sodass die israe- lische Hafenstadt Eilat per Schiff nicht mehr erreichbar war. Damit war Israel vom Handel mit afrikanischen und asiatischen Ländern ausgeschlossen. Viel schlimmer allerdings war, dass auch der israelische Ölbedarf über die Straße von Tiran gedeckt wurde.88

85 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 178f. 86 Vgl. Schäuble/Flug, Die Geschichte der Israelis und Palästinenser (2013), 80f. 87 Vgl. Egyptian-Syrian defense treaty (1966). 88 Vgl. Schäuble/Flug, Die Geschichte der Israelis und Palästinenser (2013), 80. Seite 21 Zudem erklärte Präsident Nasser am 26. Mai 1967 öffentlich, dass eine große Schlacht be- vorstehe, dessen Ziel es sei, Israel völlig zu zerstören.89 Nur vier Tage später unterzeichnete schließlich auch Jordanien nach langem Zögern den Verteidigungspakt mit Ägypten und Syrien.90 Lange hatte sich König Hussein von Jordanien geweigert, diesen Schritt zu tun, doch fürchtete er um seine Macht. Die Palästinenser stellten im Königreich die Mehrheit und auch die arabischen Verbündeten erwarteten von Jordanien Unterstützung gegen den gemeinsamen Feind Israel. Als der Druck schließlich zu groß wur- de, setzte er seine Unterschrift unter das Dokument.91 Auf diesen Akt reagierte Israel mit der Bildung einer „Regierung der nationalen Einheit“. Levi Eschkol, der Ministerpräsident Israels und stets Befürworter einer politischen und friedlichen Lösung des Konfliktes, konnte dem Druck der Generäle und Bevölkerung nicht mehr stand- halten. Er ernannte den Oberbefehlshaber im Suezkrieg von 1956, General Mosche Dayan, zum Verteidigungsminister. Dieser lehnte eine politische Lösung ab, da er ein absoluter Be- fürworter der militärischen Gangart war. Dies war ein Sieg derer, die für eine harte Linie ge- genüber Ägypten eintraten.92

2.4.3 Der Krieg (5. Juni 1967 – 10. Juni 1967)

Am 5. Juni 1967 erfolgte der Überraschungsangriff Israels auf seine Nachbarn. Für Israel war dieser Krieg ein sogenannter „Präventivkrieg“, dessen Ziel es war, einem Angriff seiner Feinde zuvorzukommen und diese zuerst in die Knie zu zwingen.93 In den Morgenstunden hoben fast sämtliche israelische Kampfjets gleichzeitig ab, um den Befehl, alle Luftwaffenstützpunkte der Ägypter zeitgleich zu eliminieren, auszuführen. Die Ägypter, die von diesem Angriff völlig überrascht wurden, hatten den Israelis nichts ent- gegenzusetzen. So wurde die ganze ägyptische Luftwaffe innerhalb von wenigen Stunden völlig vernichtet. Kurz nach dem Luftangriff Israels begann dessen Bodenoffensive auf dem Sinai. Aufgrund der nun herrschenden totalen Überlegenheit in der Luft gelang es den israelischen Einheiten bereits nach kürzester Zeit, die gegnerischen Linien zu durchbrechen und diese zu einem ungeordneten Rückzug zu zwingen. Gleichzeit verkündeten die ägyptischen Medien, die allesamt von der Regierung kontrolliert wurden, dass die ägyptische Armee selbst große Siege gegen Israel feierte. Die Nachrichten lauteten, dass Spezialeinheiten bereits auf israelisches Territorium vorgedrungen seien und sogar einige Flugzeuge der Feinde abgeschossen worden wären. Aufgrund dieser Neuigkei-

89 Vgl. Statement by President Nasser to Arab Trade Unionists (1967). 90 Vgl. Egypt-Jordan defence pact (1967). 91 Vgl. Schäuble/Flug, Die Geschichte der Israelis und Palästinenser (2013), 81. 92 Vgl. Segev, 1967 – Israels zweite Geburt (2009), 347ff; Ziv/Kalina/Gordey, Der Sechstage Krieg – Israels Geschichte Teil 1, In: www.youtube.com/watch?v=V_pMwSxQQM4 (30.04.2016). 93 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 182f. Seite 22 ten glaubten die Menschen, dass der lang erhoffte Sieg über Israel endlich bevorstand. Spontan versammelten sich Tausende Menschen in Kairo, um den Sieg ihrer Nation und der Araber zu feiern. Auch in Damaskus und wurde bereits der Sieg der Araber gefeiert. Israel hatte zuvor sämtliche militärische Signale zwischen den arabischen Ländern gestört, weswegen Syrien und Jordanien ebenfalls nur die Nachrichten aus dem ägyptischen Radio, die den Sieg Ägyp- tens priesen, erhielten. Um 10:30 Uhr ging eine ausdrückliche Warnung Israels an Jordanien, sich nicht am Konflikt zu beteiligen. Da man in Amman allerdings der Propaganda der ägyptischen Nachrichten Glauben schenkte, befahl General Abdul Munim Riad, der Oberkommandeur der jordani- schen Armee, den israelischen Teil Jerusalems zu bombardieren. Aufgrund der großen und vor allem schnellen Erfolge Israels auf dem Sinai konnte ein Teil der Truppen von dort abgezogen werden, um die jordanische Armee, die das UN Hauptquar- tier in Jerusalems entmilitarisierter Zone besetzt hatte, von dort zu vertreiben.94

Der Vormarsch auf dem Sinai schritt am 6. und 7. Juni unermüdlich voran. Die strategisch wichtigen Pässe Gidi und Mitla wurden eingenommen und das, obwohl die ägyptischen Ver- teidiger zahlenmäßig überlegen waren. Doch dank der Lufthoheit der Juden hatten diese ihnen auch am zweiten und dritten Tag nichts mehr entgegenzusetzen. Zur selben Zeit konnte Israel auch in Ostjerusalem und in der Westbank erhebliche Gebiets- gewinne vermelden. Trotz hoher Verluste auf beiden Seiten konnte bereits am Morgen des zweiten Tages die jordanische Verteidigungslinie durchbrochen werden, was die Moral der Jordanier zerstörte. Auch mussten diese wichtige Zufahrtswege nach Jerusalem aufgeben, was den Israelis die Belagerung der Altstadt ermöglichte. Hierbei war allerdings von israeli- scher Seite aus höchste Vorsicht geboten, da der heiligste Ort des Judentums, nämlich die Klagemauer, sich im Kampffeld befand und man diese unter keinen Umständen beschädigen wollte. Während es im Sinai um bloß militärische Ziele ging, war Jerusalem eine Herzensangele- genheit der Israelis, da diese Stadt unwiderruflich mit dem Judentum in Verbindung gebracht wurde.95

Am Morgen des 9. Juni 1967 trat Präsident Nasser das erste Mal seit drei Tage wieder öf- fentlich auf. In einer Rede an die Nation dankte er ab und verkündete die Niederlage Ägyp- tens. Gleichzeitig akzeptierte er einen Waffenstillstand mit dem Erzfeind Israel.96

94 Vgl. Segev, 1967 – Israels zweite Geburt (2009), 403ff; Ziv/Kalina/Gordey, Der Sechstage Krieg – Israels Geschichte Teil 2, In: www.youtube.com/watch?v=MPfFvt7nlos (30.04.2016). 95 Vgl. Segev, 1967 – Israels zweite Geburt (2009), 418ff; Ziv/Kalina/Gordey, Der Sechstage Krieg – Israels Geschichte Teil 2, In: www.youtube.com/watch?v=MPfFvt7nlos (30.04.2016). 96 Vgl. President Gamal Abdel Nasser, Speech of 9th June 1967. Seite 23 Kurz darauf versammelten sich zuerst Tausende, dann Hunderttausende Ägypter in der In- nenstadt von Kairo und baten Nasser an der Macht zu bleiben, was er dann wenige Stunden später auch über Radio verkünden ließ. Nachdem Jordanien geschlagen und Ägypten den Waffenstillstand akzeptiert hatte, wurde es für Israel plötzlich schwerer, weitere Kampfhandlungen zu rechtfertigen. Doch nach wie vor gab es die Bedrohung von den syrischen Golanhöhen, welche immer wieder benutzt wurden, um von dort aus israelisches Territorium zu bombardieren. Bevor der Krieg endgül- tig zu Ende ging, befahl General Dayan einen Angriff auf diese. In der Zwischenzeit läutete in Washington das sogenannte „rote Telefon“, wobei die Sowjet- union den USA als Verbündete Israels mitteilten, dass diese die Kampfhandlungen umge- hend einzustellen hätten. Ansonsten müsse die Sowjetunion ihrerseits ihren Verbündeten aus Syrien militärisch zu Hilfe eilen. Während dieses kurzen, aber dramatischen Hin und Her zwischen den Weltmächten schaffte Israel auch in Syrien finale Tatsachen. Die israelische Armee eroberte die Golanhöhen und rückte bis Kuneitra vor, das nur knapp 70 km südlich von Damaskus lag. Nun hatte Israel all seine Ziele erreicht und stimmte seinerseits ebenfalls dem Waffenstillstand zu, der schließ- lich am 10. Juni 1967 um 18 Uhr offiziell in Kraft trat.97

2.4.4 Die Folgen

Bereits kurz nach Ende des Sechstagekrieges trafen sich die arabischen Führer in Kairo, um sich über ihre Situation zu beratschlagen. Dabei wurde jedoch von Anfang an der Weltöffent- lichkeit klargemacht, dass es keine direkten Verhandlungen mit Israel geben werde.98 Die Antwort der Vereinten Nationen auf den Krieg war der Erlass der Resolution 242, in der gefordert wurde, dass Israel seine Streitkräfte aus den eroberten Gebieten zurückziehen müsse. Gleichzeitig wurden die arabischen Staaten aufgefordert, das Existenzrecht Israels anzuerkennen.99 Die Resolution 242 ist allerdings bis heute, aufgrund der unterschiedlichen Übersetzungen, sehr umstritten.100 Israel versicherte daraufhin, dass es bereit sei, den größ- ten Teil der besetzten Gebiete wieder zurückzugeben, sofern man einen dauerhaften Frie- den mit seinen Nachbarn erreichen könne.101 Jedoch lehnten die arabischen Staaten eine Anerkennung Israels strikt ab. Israel fing an, eine Politik zu verfolgen, die keine indirekten Verhandlungen mehr zuließ. So wurde allen Parteien klargemacht, dass man keine Waffenstillstandsabkommen wie 1948/49

97 Vgl. Segev, 1967 – Israels zweite Geburt (2009), 461ff; Ziv/Kalina/Gordey, Der Sechstage Krieg – Israels Geschichte Teil 2, In: www.youtube.com/watch?v=MPfFvt7nlos (30.04.2016). 98 Vgl. Zschornak, Die Folgen des Sechstagekrieges von 1967 und die Großmachtinteressen im Na- hen Osten (2006), 5. 99 Vgl. S/RES/242 (1967). 100 Siehe Kapitel 3.5.1. 101 Vgl. Zschornak, Die Folgen des Sechstagekrieges von 1967 und die Großmachtinteressen im Na- hen Osten (2006), 5. Seite 24 mehr eingehen, sondern jedwede Friedensverhandlungen nur noch direkt führen würde. Da- bei wollte man sich vor allem auf die Kenntnisse des eigenen Militärs verlassen. Dieses neue Selbstbewusstsein rührte zum einen vom militärischen Sieg im zurückliegenden Krieg her. Zum anderen verabschiedeten sich die USA von ihrer neutralen Position im Nahen Osten und stellten sich ganz klar auf die Seite Israels.102 Durch diese neue Stärke änderte Israel in den nächsten Jahren sein Vorhaben, die größten Teile der besetzten Gebiete wieder zurückzugeben. Vielmehr fing man an, Siedlungen in den Palästinensergebieten zu errichten, um seine eigene Position im Nahen Osten zu festigen und zu stärken. Dieses Vorgehen ist allerdings bis heute einer jener ungelösten Streitpunkte zwischen den Konfliktparteien, die einem dauerhaften Frieden im Wege stehen.103

2.5 Vom Yom-Kippur-Krieg (Vierter Nahost-Krieg) zum Frieden mit Ägypten

2.5.1 Yom-Kippur-Krieg 1973

Die Sinai-Halbinsel, welche völkerrechtlich zu Ägypten gehört, sowie die Golanhöhen, wel- che Syrien zuzuordnen sind, wurden seit dem Sechstagekrieg von Israel besetzt gehalten. Alle Verhandlungen über eine Rückgabe scheiterten, sodass Ägypten und Syrien hofften, mit einem Überraschungsangriff auf Israel die verlorenen Gebiete wieder zurückerobern zu kön- nen.104 Für den Angriff wurde 1973 bewusst der höchste jüdische Feiertag gewählt, da Juden an diesem Tag keine Autos, Kommunikationsmittel oder Ähnliches verwenden. So erhofften sich die Aggressoren einen strategischen Vorteil zu verschaffen. Verschärft wurde die Situation noch durch die Tatsache, dass die beiden damaligen Weltmächte, die USA bzw. die Sowjet- union, unterschiedliche Seiten unterstützten. Während Letztere den Arabern half, den Angriff vorzubereiten, richteten die USA unmittelbar nach Ausbruch des Krieges eine Luftbrücke ein, um die israelische Armee mit Militärgeräten zu unterstützen.105 Doch auch die OPEC- Staaten106 sprangen Ägypten und Syrien zur Seite und versuchten, mittels Drosselung der Ölförderung die westlichen Staaten unter Druck zu setzten, damit diese ihrerseits die Unter- stützung für Israel beendeten. Dies führte schließlich zur Ölkrise von 1973.107

102 Vgl. Pfeiffer, Israel zwischen Sechstagekrieg und Yom-Kippur-Krieg (2012), 14ff. 103 Siehe Kapitel 3. 104 Vgl. Weiter, Der israelisch-ägyptische Friedensprozess - Von Yom-Kippur nach Camp David (2012), 10. 105 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 190f. 106 An dem Embargo nahmen folgende Länder teil: Algerien, Irak, Katar, Kuwait, Libyen, Saudi- Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. 107 Vgl. Wettach, Die Ölkrise 1973 (2004), 3ff. Seite 25 In den ersten Tagen des Krieges konnten die Angreifer auf allen Fronten Gebietsgewinne erzielen, da sie gleichzeitig von Norden und Süden in Israel eindrangen. Israel musste schwere Verluste hinnehmen. Erst nachdem der amerikanische Nachschub an Waffen tat- sächlich eintraf, wendete sich das Blatt.108 Unerlässlich für den Sieg Israels war die Ent- schlossenheit von General Sharon, welcher die Ägypter am Sinai zurückdrängen und bis 110 km vor Kairo vorrücken konnte.109 Auch die syrische Armee musste auf den Golanhöhen den Rückzug antreten, woraufhin die Israelis diese wieder vollständig unter ihre Kontrolle bringen konnten. Am Ende des Krieges hielt Israel aufgrund seiner militärischen Erfolge sowohl im Süden als auch im Norden ein noch größeres Gebiet als 1967 besetzt. Dies veranlasste die Sowjetuni- on zu der Drohung, in den Krieg auf Seiten seiner arabischen Verbündeten einzusteigen, was eine unmittelbare Konfrontation mit der Weltmacht USA bedeutet hätte. Dies verhinder- ten die Amerikaner allerdings, indem sie auf Israel Druck ausübten, einem Waffenstillstand mit Ägypten zuzustimmen.110 Gleichzeitig wurde vom UN-Sicherheitsrat die Resolution 338 verabschiedet, in der beide Kriegsparteien aufgefordert wurden, die Kampfhandlungen bin- nen zwölf Stunden einzustellen111 und unmittelbar danach die Resolution 242112 umzusetzen. Diesem Druck gab Israel schlussendlich nach, woraufhin sich auch Syrien kurze Zeit später diesem Waffenstillstand anschloss. Ein Jahr später zog sich Israel wie vereinbart auf die Stellungen zurück, die es vor dem Yom- Kippur-Krieg hielt. Auf den Golanhöhen wurde unter der Aufsicht der UNO eine Pufferzone eingerichtet, die bis heute Bestand hat.113

Obgleich Israel auch aus diesem Krieg als Sieger hervorgegangen war, verlor die israelische Armee, vor allem wegen der schweren Verluste der ersten Tage, den Ruf der Unbesiegbar- keit. Auch für die israelische Öffentlichkeit war dieser Krieg ein schwerer Schlag, da Israel mehr als 2.500 Soldaten zu beerdigen hatte. Aber auch politisch hatten die Ereignisse von 1973 Konsequenzen. So mussten die Minister- präsidentin Golda Meir sowie ihr gesamtes Kabinett zurücktreten.114

108 Vgl. Weiter, Der israelisch-ägyptische Friedensprozess - Von Yom-Kippur nach Camp David (2012), 10f. 109 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 190. 110 Vgl. Weiter, Der israelisch-ägyptische Friedensprozess - Von Yom-Kippur nach Camp David (2012), 10f; Johannsen, Der Nahost-Konflikt3.A. (2011), 29f. 111 Vgl. S/RES/338 (1973). 112 Vgl. S/RES/242 (1967); siehe Kapitel 3.5.1. 113 Vgl. Weiter, Der israelisch-ägyptische Friedensprozess - Von Yom-Kippur nach Camp David (2012), 10f; Johannsen, Der Nahost-Konflikt3.A. (2011), 29f. 114 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 190f. Seite 26 2.5.2 Resolution 3236

Im Jahr 1974 wurde der PLO, welche die international anerkannte Vertretung der Palästi- nenser war, ein Beobachterstatuts in den Gremien der UNO zuerkannt.115 Allerdings noch viel wichtiger war die Tatsache, dass die UN-Vollversammlung den Palästinensern ein Recht auf deren eigene nationale Souveränität,116 mittels Resolution 3236,117 zuerkannt hatte. Da- mit wurde die PLO zu einem potentiellen Verhandlungspartner der Israelis aufgebaut. Zudem erhielt die palästinensische Frage eine neue Dimension, da die Palästinenser durch diese Resolution nun nicht mehr nur als Flüchtlinge, sondern als nationale Angelegenheit in der Staatengemeinschaft wahrgenommen wurden.118

2.5.3 Israelisch-ägyptischer Frieden

Im Mai 1977 kam Menachem Begin an die Macht in Israel. Dieser war der politischen Rech- ten zuzuordnen. Er forcierte den Siedlungsbau so gut es ging, da er ein erklärter Befürworter eines sogenannten Großisrael war.119 Dennoch war er zu Verhandlungen mit Ägypten bereit, nicht zuletzt, weil vor allem die USA unter Präsident Carter Israel dazu drängten. Zudem herrschte mit as-Sadat in Ägypten ein neuer Präsident, der dem Frieden nicht abgeneigt war. Als dieser im November 1977 nach Israel reiste, um vor der Knesset zu sprechen, machte er klar, dass er bereit sei, einen Friedensvertrag mit Israel zu unterzeichnen, sollte es seiner- seits bereit sein, die Besatzung auf dem Sinai aufzugeben. Diese Aussagen leiteten einen Friedensprozess zwischen den beiden Staaten ein, der unter der Führung Amerikas in eine zwölftägige Klausurtagung in Camp David mündete.120 Dort wurde ein Abkommen121 erarbeitet, welches 1979 zu einem dauerhaften Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten führte. Es wurde vereinbart, dass sich Israel schrittweise von der Sinai-Halbinsel zurückziehen werde und diese wieder an Ägypten zurückgegeben wer- den solle, um die territoriale Integrität dieses Landes wiederherzustellen.122 Dieser Verpflich- tung kam Israel schließlich nach, was mit der Räumung der letzten israelischen Siedlungen auf dem Sinai 1982 vollzogen wurde. Damit war der Konflikt zwischen Israel und Ägypten beigelegt.123 Das große Problem bei diesem Frieden war allerdings, dass man die Palästinenser und de- ren Vertreter, die PLO, außer Acht ließ. Israel, das einen Palästinenserstaat unbedingt ver-

115 Vgl. A/RES/3237(XXIX) (1974). 116 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 194. 117 A/RES/3236 (1974). 118 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 194. 119 Vgl. Schäuble/Flug, Die Geschichte der Israelis und Palästinenser (2013), 108ff; siehe Kapitel 3.1. 120 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 195ff. 121 Vgl. Camp David Accords (1978). 122 Vgl. Egypt-Israel Peace Treaty (1979). 123 Vgl. Weiter, Der israelisch-ägyptische Friedensprozess - Von Yom-Kippur nach Camp David (2012), 10f; Johannsen, Der Nahost-Konflikt3.A. (2011), 29f. Seite 27 hindern wollte, hatte zumindest ein Motiv dafür. Hingegen wurde das Vorgehen Ägyptens von der arabischen Welt strikt abgelehnt, was zur Folge hatte, dass nicht nur das Hauptquar- tier der Arabischen Liga von Kairo nach Tunis übersiedelte, sondern Ägypten zweitweise sogar ganz davon ausgeschlossen wurde. Trotz dieser Isolation hielt as-Sadat an dem Frie- den fest und wurde gemeinsam mit Menachem Begin 1978 mit dem Friedensnobelpreis aus- gezeichnet. Jedoch kostete ihn diese mutige Politik 1981 das Leben: Während einer Militär- parade wurde er von radikalen Islamisten erschossen, da er aus deren Sicht Verrat an der arabischen Welt begangen hatte.124

2.6 Von der ersten Intifada zur „Road Map“

2.6.1 Erste Intifada

Anfang Dezember 1987 kam es zu einem tödlichen Verkehrsunfall im Gazastreifen zwischen einem israelischen Lastwagen und zwei palästinensischen Fahrzeugen. Vier Palästinenser starben, was für diese Volksgruppe der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte. Der Zorn der Palästinenser, die seit dem Sechstagekrieg 1967 unter der Besatzung Israels leben mussten, entlud sich plötzlich.125 Es kam zu Massendemonstrationen, bei denen es Zusammenstöße zwischen palästinensischen Jugendlichen und der israelischen Armee gab. Während die israelischen Sicherheitskräften die Lage nicht unter Kontrolle brachten, breitete sich der Aufstand (erste Intifada) rasant aus. Dieser richtete sich gegen die Besatzungs- macht und ihre Politik der immer weiteren Entrechtung der palästinensischen Bevölkerung, wie beispielsweise die Landenteignungen oder die fortdauernde Besiedlung der Westbank und des Gazastreifens. Um wieder Herr der Lage zu werden, griff die israelische Armee hart durch. Es kam zu Mas- senverhaftungen, Ausgangssperren und Hausdemolierungen.126 Während die palästinensi- schen Jugendlichen Steine auf die Sicherheitsbehörden warfen, antwortete das israelische Militär mit Schlagstöcken, Tränengas und scharfer Munition.127

Aus Furcht vor einem Übergreifen der Gewalt auf sein eigenes Land übertrug König Hussein von Jordanien im Juli 1988 das Westjordanland offiziell den Palästinensern. Dies nahm Yas- sir Arafat, der Führer der Palästinenser, zum Anlass, den Staat Palästina auszurufen. Dabei versicherte er der Weltgemeinschaft, dass dieser neue Staat auf den Prinzipien der Demo- kratie aufgebaut und darüber hinaus blockfrei bleiben werde.128 Der palästinensische Natio-

124 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 195ff. 125 Vgl. Schäuble/Flug, Die Geschichte der Israelis und Palästinenser (2013), 114. 126 Vgl. Karimi-Schmidt, Der Israel-Palästina Konflikt aus der Sicht des Völkerrechts (2015), 47f. 127 Vgl. Schäuble/Flug, Die Geschichte der Israelis und Palästinenser (2013), 115. 128 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 208. Seite 28 nalrat proklamierte daraufhin die Unabhängigkeit Palästinas in den Grenzen von 1967. Die- ses Gebiet umfasste demnach den Gazastreifen, die Westbank sowie Ost-Jerusalem.129 Somit wurde zum ersten Mal von palästinensischer Seite grundsätzlich eine Teilung in zwei Staaten gem. dem UN-Teilungsplan von 1947130 akzeptiert. Gleichzeitig sagte man sich von jeglichem Terrorismus los und war bereit, in direkte Verhandlungen mit Israel, auf Basis der Resolution 242,131 zu treten. Dennoch wurde der neue Staat Palästina lediglich von 40, vor allem muslimischen Staaten anerkannt. Auch lehnte Israel unter Ministerpräsident Yitzhak Shamir jedwede Verhandlun- gen mit der PLO ab, da man einen souveränen Staat Palästina nicht akzeptieren wollte. Dar- aufhin breitete sich die Intifada weiter aus.132

2.6.2 Oslo I

Unter Yitzhak Shamir stockten die Verhandlungen mit den Palästinensern über einen Frie- den, da dieser sich weigerte, mit der PLO, die von Israel noch immer als Terrororganisation eingestuft wurde, zu verhandeln. Mit dem Sieg der Arbeiterpartei von Yitzhak Rabin im Jahr 1992 kam jedoch leise Hoffnung auf, dass ein Frieden nun möglich sei, da er sich im Wahl- kampf klar für Verhandlungen mit den Palästinensern eingesetzt hatte.133 Am 9. September 1993 schrieb Yassir Arafat einen historischen Brief an den neuen Minister- präsidenten von Israel, in dem er im Namen der PLO das Existenzrecht Israels anerkannte. Weiters erklärte er darin, dass die PLO die Resolutionen 242 und 338 des UN- Sicherheitsrates in deren vollem Umfang anerkenne und zudem ein Friede nur durch Ver- handlungen erreicht werden könne.134 Die Antwort von Yitzhak Rabin auf diesen Brief war nicht weniger historisch. Darin schrieb er, dass die israelische Regierung beschlossen habe, die PLO als legitimen Vertreter des paläs- tinensischen Volkes anzuerkennen und bereit sei, mit dieser in direkte Friedensverhandlun- gen zu treten.135 Noch im selben Monat wurde ein Grundsatzabkommen in Washington (die Oslo-Verträge) zwischen Rabin und Arafat unterzeichnet. Beide Parteien erklärten sich ausdrücklich zu Zu- geständnissen bereit und es wurde das Ziel formuliert, dass man eine dauerhafte Überein-

129 Vgl. Karimi-Schmidt, Der Israel-Palästina Konflikt aus der Sicht des Völkerrechts (2015), 47f. 130 Vgl. A/RES/181 (II) (1947). 131 Vgl. S/RES/242 (1967). 132 Vgl. Schäuble/Flug, Die Geschichte der Israelis und Palästinenser (2013), 118. 133 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 210. 134 Vgl. PLO Chairman Yasser Arafat to Israeli Prime Minister Yitzhak Rabin (1993); www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/Peace/recogn.html (25.03.2016); Johannsen, Der Nahost- Konflikt3.A. (2011), 45. 135 Vgl. Israeli Prime Minister Yitzhak Rabin to PLO Chairman Yasser Arafat (1993); www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/Peace/recogn.html (25.03.2016); Johannsen, Der Nahost- Konflikt3.A. (2011), 45. Seite 29 kunft auf der Grundlage der Resolutionen 242 und 338 anstrebe, was eine Zweistaatenlö- sung bedeutete.136

Im Mai 1994 wurden die ersten Schritte eingeleitet, um dieses Abkommen zu verwirklichen. So wurde den Palästinensern der Gazastreifen und die Stadt Jericho zur Selbstverwaltung übergeben. Dies sollte selbstverständlich erst der Beginn eines dauerhaften Friedens und einer endgültigen Lösung des Konfliktes sein, doch war es 1994 ein erster wirklicher Meilen- stein. Aufgrund des Mutes, den die Verhandler aufbrachten, um einen Friedensprozess einzuleiten, erhielten der israelische Ministerpräsident Rabin, der israelische Außenminister Perez sowie der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde Arafat im selben Jahr den Friedens- nobelpreis zuerkannt.137 Zur allgemeinen Entspannung im Nahen Osten trug 1994 auch wesentlich die Tatsache bei, dass es zu einem lang ersehnten Friedensschluss zwischen Jordanien und Israel kam. Diese sogenannten „Washingtoner Erklärungen“ wurden im Juli 1994 unterzeichnet.138 Damit konn- te Israel nach Ägypten mit einem zweiten arabischen Staat Frieden schließen.139

2.6.3 Oslo II

Nachdem die ersten Gebiete 1994 an die Palästinenser zur Selbstverwaltung übergeben wurden, kam es im Herbst 1995 zu einem Nachfolgeabkommen.140 Es wurde festgelegt, dass weitere Städte im Westjordanland ebenfalls schrittweise übergeben werden sollten. Dem Inhalt des Interimsabkommens folgte das Militär im Dezember und zog sich aus weite- ren Ortschafen zurück. Dennoch gab es auf beiden Seiten radikale Kräfte, die einen Frieden nach den Oslo- Verträgen unbedingt verhindern wollten. Auf palästinensischer Seite war es vor allem die radikal-islamische Hamas, die jedwedes Zugeständnis an Israel strikt ablehnte. So versuch- ten sie mittels laufenden Terroranschlägen die Friedensbemühungen zu kippen und einen Spalt in die israelische Gesellschaft zu bringen. Nach der Ermordung des gemäßigten Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin durch radikale Is- raelis nutzen vor allem Benjamin Netanjahu und Ariel Sharon vom rechten Likud-Block auf

136 Vgl. Prinzipienerklärung 1993; www.palaestina.org/fileadmin/Daten/Dokumente/Abkommen/Friedensprozess/prinzipienerklaerung.pdf (25.03.2016). 137 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 212f. 138 Vgl. Washington Declaration (1994); www.mfa.gov.il/mfa/foreignpolicy/peace/guide/pages/the%20washington%20declaration.aspx (25.03.2016). 139 Siehe Kapitel 2.5.3. 140 Vgl. The Israeli-Palestinian Interim Agreement (1995); www.mfa.gov.il/mfa/foreignpolicy/peace/guide/pages/the%20israeli- palestinian%20interim%20agreement.aspx (25.03.2016). Seite 30 Seiten Israels die Gunst der Stunde und versprachen der eigenen Bevölkerung einen „siche- ren Frieden“. Das Duo machte jeglichen Fortschritt der Friedensverhandlungen mit den Pa- lästinensern davon abhängig, wie sich der Terror in Israel entwickeln würde. Da jedoch die Hamas sämtliche friedensbildenden Maßnahmen ablehnte, kam der Friedensprozess zum Stillstand.141

2.6.4 Zweite Intifada

Die Tatsache, dass der damalige israelische Oppositionsführer Ariel Scharon am 28. Sep- tember 2000 den Felsendom, der unter arabischer Verwaltung stand, besuchte, führte zur sogenannten zweiten Intifada. Diese wurde von israelischer Seite zur Begründung für den Bau einer Sicherheitsbarriere (die Mauer) herangezogen, welche völkerrechtlich sehr umstrit- ten ist.142

2.6.5 Die „Road Map“

Nachdem der Friedensprozess einige Jahre auf Eis gelegen war und dieser durch die zweite Intifada einen weiteren Rückschlag erlitten hatte, formierten sich die USA, die UNO, die EU und Russland zum sogenannten Nahost-Quartett.143 Gemeinsam versuchten sie mit der Road Map eine erneute Friedensinitiative. Sie arbeiteten eine dreistufige Vorgehensweise aus, um einen dauerhaften Frieden zwischen Israel und Palästina zu erreichen. Ziel der ersten Phase war es, binnen kürzester Zeit Terror und Gewalt einzudämmen. Dabei sollten die Terroristen durch die palästinensischen Sicherheitsbehörden entwaffnet werden. Gleichzeitig sah Phase eins vor, dass beide Parteien sich neuerlich ausdrücklich zur Zwei- Staaten-Lösung bekennen. Während den Palästinensern zudem aufgetragen wurde, demo- kratische Strukturen zu schaffen, kam Israel die Aufgabe zu, sämtliche Siedlungen, die seit 2001 errichtet wurden, wieder zu räumen und sich auch aus weiteren Siedlungen zurückzu- ziehen. Die zweite Phase sollte ein Heranführen der Palästinenser an die internationale Gemein- schaft darstellen. Dabei strebte das Quartett eine potentielle UN-Mitgliedschaft für den Staat Palästina an. Von Israel wurde gleichzeitig die Räumung von zusätzlichen Siedlungen gefor- dert. Die dritte und letzte Phase stellte die Konsolidierung der palästinensischen Institutionen und deren Sicherheitsorgane dar. Damit sollte die Stabilität des neuen Staates gefestigt werden. Bezüglich der noch offenen Streitpunkte, wie beispielsweise der genau Grenzverlauf, die

141 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 216ff. 142 Vgl. Schäuble/Flug, Die Zweite Intifada und der Bau der Barriere (2008); siehe Kapitel 4. 143 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 238. Seite 31 Jerusalem-Frage, die Flüchtlinge, das Wasser oder die israelischen Siedlungen, setzte das Quartett auf bilaterale Verhandlungen, die bis Ende 2005 abgeschlossen sein und damit ei- nen endgültigen Frieden besiegeln sollten.144

In der Praxis scheiterte die Umsetzung allerdings schon bei Phase eins. Obgleich beide Par- teien die Road Map verbindlich angenommen hatten, kam keine Seite ihren Verpflichtungen nach. So vermochten weder die Palästinenser den Terrorismus in ihren Reihen zu beenden, noch zogen sich die Israelis aus weiten Teilen der vereinbarten Gebiete zurück. Die Schuld suchte man jeweils beim anderen.145 Erst im Jahr 2005 einigten sich die neuen Führer146 der verfeindeten Parteien auf einen Waf- fenstillstand und beendeten die zweite Intifada. Daraufhin wurden sämtliche israelische Sied- lungen im Gazastreifen geräumt und das Gebiet wurde den Palästinensern übergeben. Trotzdem stellte diese Räumung keine Abkehr von der Siedlungspolitik dar, da im Gegenzug der Ausbau israelischer Siedlungen im Westjordanland verstärkt wurde.147

2.7 Von 2005 bis heute

2.7.1 Aufstieg der Hamas und der Libanonkrieg 2006

Auch in den vergangenen zehn Jahren kam der Nahe Osten nicht zur Ruhe. Nach Jahrzehn- ten des Stillstandes im Ringen um eine Lösung im Nahost-Konflikt waren die Palästinenser im Gazastreifen von der aktuellen Politik frustriert und entschieden sich bei den Wahlen 2006 für die radikal-islamische Hamas, welche die absolute Mehrheit erringen konnte.148 Als Reak- tion auf diesen Wahlausgang erklärte Israel den Gazastreifen zum „feindlichen Gebiet“. Dies wurde vor allem damit begründet, dass die Hamas für den Raketenbeschuss auf Israel, der seit deren Machtübernahme stark zugenommen hatte, verantwortlich wäre.149 Doch auch innerhalb der Palästinenser kam es nach dem Sieg der Hamas zu Spannungen. Während diese von nun an den Gazastreifen kontrollierten, regierte im Westjordanland die Fatah unter Präsident Mahmud Abbas. Als im selben Jahr der israelische Soldat Gilad Shalit in den Gazastreifen verschleppt wurde, drang die israelische Armee in dieses Gebiet vor, um ihn zu befreien. Kurz darauf wurde im

144 Vgl. Road Map (2003); http://palaestina.org/fileadmin/Daten/Dokumente/Abkommen/Friedensprozess/roadmap.pdf (25.03.2016). 145 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 238f. 146 Auf israelischer Seite: Ariel Sharon; auf palästinensischer Seite: Mahmud Abbas. 147 Vgl. Johannsen, Der Nahost-Konflikt3.A. (2011), 72ff. 148 Vgl. www.n-tv.de/politik/Die-Hamas-siegt-doppelt-article13294761.html (18.02.2016). 149 Vgl. www.zeit.de/news/2012-11/17/konflikte-hintergrund-israels-gaza-krieg-20082009-17190803 (17.02.2016). Seite 32 Libanon eine zweite Front gegen die Hisbollah eröffnet, die den Norden Israels zuvor unter heftigen Raketenbeschuss genommen hatte. Dabei griff die israelische Luftwaffe den inter- nationalen Flughafen sowie schiitische Stadtviertel in Beirut an, welche als Rückzugsgebiet der Hisbollah Kämpfern dienten. Dieses Vorgehen kostete mehr als 1.100 Libanesen, die meisten davon Zivilisten, das Leben.150 Ein Waffenstillstand konnte erst mit der Resolution 1701 des UN-Sicherheitsrates erreicht werden.151

2.7.2 Gaza Krieg 2008/09

Trotz des Vordringens in den Gazastreifen einige Jahre zuvor konnte der Raketenbeschuss auf Israel von dort nicht eingedämmt werden. Als Reaktion auf die unzähligen Angriffe flog Israels Luftwaffe immer wieder Einsätze gegen Stellungen der Hamas. Jedoch konnte der Granaten- und Raketenbeschuss auf israelische Siedlungen, die an der Grenze zum Gaza- streifen lagen, nicht gestoppt werden. Vielmehr erreichte dieser Ende 2008, mit mehr als 450 Raketenangriffen binnen sechs Tagen, eine neue Dimension. Darauf antwortete Israel am 3. Jänner 2009 mit der dreiwöchigen Operation „Gegossenes Blei“. Die israelische Armee drang mit Bodentruppen tief in den Gazastreifen ein, um sämtli- che Terrorzellen der Hamas auszuheben und zu vernichten. Unterstützt wurden sie von massiven Luftangriffen, die in dem dicht besiedelten Gebiet Gaza-Stadt massive Schäden anrichteten. Der Krieg endete am 18. Jänner 2009 in einer Waffenruhe. Auf Seiten Israels wurden zehn getötete Soldaten sowie drei getötete Zivilisten vermeldet. Laut palästinensischen Angaben wurde die Zahl der Opfer ihrerseits mit mindestens 1.310 Toten beziffert.152 Vor allem standen schwere Kriegsverbrechen und somit Verstöße gegen das Völkerrecht auf beiden Seiten im Raum, welche in dem Bericht des UN-Ermittlers Goldstone aufgearbeitet wurden.153 Im Auftrag des UN-Menschenrechtsrates wurde eine Untersuchungskommission eingesetzt, die sämtliche Verstöße gegen die Menschenrechte sowie das humanitäre Völker- recht im Gaza-Krieg 2008/09 untersuchen sollte. Mit der Leitung der Kommission wurde der ehemalige Chefankläger des Jugoslawien- Tribunals, Richard Goldstone, dessen Namen auch der UN-Bericht trägt, beauftragt. Am 29. September 2009 legte die Kommission dem UN-Menschenrechtsrat in Genf schließ- lich einen 575 Seiten umfassenden Bericht vor, der sich aus Zeugenaussagen und Recher-

150 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 244ff. 151 Vgl. S/RES/1701 (2006). 152 Vgl. www.zeit.de/news/2012-11/17/konflikte-hintergrund-israels-gaza-krieg-20082009-17190803 (17.02.2016). 153 Vgl. www.ippnw.de/presse/artikel/de/ueber-voelkerrechtsverletzungen-rede.html (17.02.2016). Seite 33 chen von Vor-Ort-Besuchen zusammensetzte. Im Ergebnis spiegelte sich wider, dass sowohl Israel als auch die Hamas Kriegsverbrechen begangen hatten.154 So wurde die Hamas dafür verantwortlich gemacht, dass sie keinerlei Vorkehrungen für den Schutz von Zivilisten getroffen hätten, was die Zahl der zivilen Opfer erhöhte. Diese Ver- pflichtung ergibt sich allerdings ausdrücklich aus Art 57 Abs 2 lit a ii ZP I.155 Auch wurde sie dafür verurteilt, dass sie den israelischen Soldaten Shalit gefangen hielt und darüber hinaus den Süden Israels dauerhaft mit Raketen bedrohte.156 Israel wurde vor allem ein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip gem. Art 51 Abs 5 lit b ZP I157 sowie Art 23 Abs 1 lit g HLKO158 vorgeworfen, da es bei seinen Bombardements auch zivile Objekte, von denen nur eine geringe Gefahr ausging, ins Visier nahm.159 Allerdings distanzierte sich Richard Goldstone 2011 von diesem Bericht, da es für ihn deut- lich geworden sei, dass man Israel keinen Vorsatz in Bezug auf die Tötung oder Gefährdung von Zivilisten vorwerfen könne.160

2.7.3 Gaza-Krieg 2014

Nachdem die bisher letzte Friedensinitiative unter dem US-Außenminister John Kerry auf- grund von unüberbrückbaren Differenzen im Frühjahr 2014 gescheitert war, kam es im Sommer desselben Jahres erneut zu einer Konfrontation zwischen Israel und den Palästi- nensern.161 Der folgende Krieg war fast ein Spiegelbild des Gaza-Krieges von 2008/09. Wieder drang die israelische Armee, unterstützt von heftigen Luftangriffen, in den Gazastreifen ein. Das Ziel war auch diesmal, den Raketenbeschuss aus diesem Gebiet auf israelisches Territorium

154 Vgl. Report of the United Nations Fact-Finding Mission on the Gaza Conflict, A/HRC/12/48 (2009). 155 Art 57 Abs 2 lit a ii ZP I: „(…) hat bei der Wahl der Angriffsmittel und -methoden alle praktisch mög- lichen Vorsichtsmassnahmen zu treffen, um Verluste unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen und die Beschädigung ziviler Objekte, die dadurch mit verursacht werden könnten, zu vermeiden und in jedem Fall auf ein Mindestmaß zu beschränken.“; vgl. dazu: Gasser in Fleck (Hrsg), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten (1994), 179f. 156 Vgl. Report of the United Nations Fact-Finding Mission on the Gaza Conflict, A/HRC/12/48 (2009). 157 Art 51 Abs 5 lit b ZP I: „(…) ein Angriff, bei dem damit zu rechnen ist, dass er auch Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder mehrere derartige Folgen zusammen verursacht, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.“; vgl. dazu: Gasser in Fleck (Hrsg), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten (1994), 177f. 158 Art 23 Abs 1 lit g HLKO: „(…) die Zerstörung oder Wegnahme feindlichen Eigentums außer in den Fällen, wo diese Zerstörung oder Wegnahme durch die Notwendigkeiten des Krieges dringend er- heischt wird.“; vgl. dazu: Gasser in Fleck (Hrsg), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaff- neten Konflikten (1994), 177f. 159 Vgl. Report of the United Nations Fact-Finding Mission on the Gaza Conflict, A/HRC/12/48 (2009). 160 Vgl. Goldstone, Reconsidering the Goldstone Report on Israel and war crimes, In: Washington Post (2011). 161 Vgl. www.welt.de/themen/israel-palaestina-konflikt/ (27.03.2016); www.auswaertiges- amt.de/DE/Aussenpolitik/RegionaleSchwerpunkte/NaherMittlererOsten/IsraelPalaestinensischeGebiet e/geschichte-des-nofp_node.html (27.03.2016). Seite 34 endgültig zu unterbinden. Zudem wollte man das Tunnelnetzwerk der Hamas zerstören, da der Verdacht bestand, dieses würde nur gebaut, um israelische Zivilisten zu entführen. Nach knapp zwei Monaten mündete der Krieg schließlich in einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas. Die Zahl der Toten lag bei den Palästinensern bei über 2.200 und bei den Israelis bei mehr als 70. Gleichzeitig wurden beiden Kriegsparteien, wie schon fünf Jah- re zuvor, schwere Völkerrechtsverletzungen angelastet. So hielt man der Hamas vor, erneut nicht genug für den Schutz der Zivilbevölkerung getan zu haben. Israel sah sich wieder mit dem Vorwurf der Unverhältnismäßigkeit konfrontiert.162

2.7.4 Der neue Weg zu einem Staat Palästina

Während der Friedensprozess im Nahen Osten aktuell nahezu vollständig zum Erliegen ge- kommen ist, versuchen die Palästinenser unter Präsident Abbas über einen anderen Weg zu einem eigenen Staat zu kommen. So strebt man die Mitgliedschaft in internationalen Organi- sationen an und versucht, so viele Staaten wie möglich davon zu überzeugen, Palästina als souveränen Staat anzuerkennen. Bereits 2011 wurde Palästina mit einer Mehrheit von 107 zu 14 Stimmen bei 52 Enthaltun- gen Mitglied der UNESCO.163 Einen Meilenstein markierte die UN-Generalversammlung im Herbst 2012. Dort wurde den Palästinensern von den Mitgliedern der UNO mit einer Mehr- heit von 138 zu 9 Stimmen bei 41 Enthaltungen der völkerrechtliche Status eines „Beobach- terstaates“ in den Grenzen von 1967 zuerkannt.164 Diesen Status kann die UN- Generalversammlung Staaten, die nicht Mitglied der Vereinten Nationen sind, zuerkennen.165 Aber auch internationale Organisationen oder sogar Befreiungsbewegungen, wie z.B. die PLO im Jahr 1974,166 können als Beobachter anerkannt werden. Zwar sind die Rechte eines Beobachters in der UN-Charta167 nicht explizit geregelt, doch hat sich im Laufe der Jahre eine gewisse Umgangsweise mit diesen Staaten bzw. Organisationen herauskristallisiert. So wurde beispielsweise Palästina von Anfang an eine relativ große Beteiligung zuerkannt,168 welche durch die Generalversammlung 1998 noch erweitert wurde. Es wurde beschlossen, dass die Repräsentanten Palästinas an den Generaldebatten der Vollversammlung teilneh- men und zudem auch selbst das Wort ergreifen dürfen. Weiters wurde ihnen gestattet, sich an Resolutionsentwürfen von Vollmitgliedern, welche Fragen zum Nahost-Konflikt behan-

162 Vgl. Report of the independent commission of inquiry established pursuant to Human Rights Coun- cil resolution S-21/1, A/HRC/29/52 (2015). 163 www.un.org/apps/news/story.asp?NewsID=40253#.VvemK3ooHIU (26.03.2016). 164 Vgl. A/67/L.28 (2012). 165 Vgl. Schatter, Palästinas Aufwertung zum Beobachterstaat in den Vereinten Nationen, In: SWP- Aktuell (2012), Nr. 73, 2. 166 Vgl. A/RES/3237(XXIX) (1974). 167 Vgl. UN-Charta (1945). 168 Vgl. Schatter, Palästinas Aufwertung zum Beobachterstaat in den Vereinten Nationen, In: SWP- Aktuell (2012), Nr. 73, 2. Seite 35 deln, zu beteiligen. Ein Stimmrecht erhielten sie dennoch nicht,169 woran sich auch nach der Aufwertung zu einem „Beobachterstaat“ nichts änderte. Dennoch könnte Palästina aufgrund der nunmehrigen Situation weiteren Organisationen der Vereinten Nationen beitreten.170 Die- ses Ziel forciert Palästina mit der gegenwärtigen Politik auch immer weiter. Von großer Be- deutung war hierfür der Beitritt Palästinas zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag am 1. April 2015. Dieser Beitritt war international sehr umstritten, da Palästina damit folglich eventuell auch beim IGH gegen den israelischen Siedlungsbau im Westjordanland klagen könnte.171 Vor allem aber hat die Aufwertung des Status Palästinas eine enorme symbolische Kraft. Zwar ist es auch weiterhin kein Vollmitglied der UNO, doch entscheidet jeder Staat selbst, wen er als souveränen Staat im Sinne des Völkerrechts anerkennen möchte. So haben im Falle Palästinas bereits mehr als 130 Staaten diesen als Staat in den Grenzen von 1967 anerkannt,172 was durch den neuen Status der palästinensischen Gebiete weiteren Auftrieb erhalten hat. Mit Schweden hat das erste westliche Land Palästina 2014 als souveränen Staat anerkannt.173 Auch Griechenland ist diesem Vorbild gefolgt und tat es Schweden Ende 2015 gleich.174 Ebenso übt Frankreich Druck auf Israel aus, indem es eine Lösung des Kon- fliktes binnen zwei Jahren anstrebt. Sollte dies nicht möglich sein, so werde laut dem franzö- sischen Außenminister Fabius auch Frankreich dem Beispiel Schwedens folgen und Palästi- na als souveränen Staat anerkennen.175

2.7.5 Dritte Intifada?

Die Lage im Nahen Osten ist auch im Jahr 2016 alles andere als stabil. Im Oktober 2015 fingen palästinensische Jugendliche mit Messerattacken erneut an, Gewalt zu schüren. Ziele waren dabei vor allem israelische Staatsbürger, insbesondere Sicherheitskräfte. Letztere gingen erneut mit aller Härte dagegen vor.176 So starben bis Mitte April 2016 bereits 201 Pa- lästinenser sowie 28 Israelis und vier Ausländer.177 Die Gefahr, dass dies der Anfang einer dritten Intifada sein könnte, ist groß. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die Friedensver-

169 Vgl. A/RES/52/250 (1998). 170 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 272. 171 Vgl. Gross, Strafgerichtshof kann Israel Kopfschmerzen bereiten, In: Israelnetz (2015); Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 272; Schatter, Palästinas Aufwertung zum Beobachterstaat in den Vereinten Nationen, In: SWP-Aktuell (2012), Nr. 73, 3; www.israelnetz.com/nachrichten/detailansicht/aktuell/un-palaestina-ab-april-beim-strafgerichtshof- 90639/ (27.03.2016). 172 Vgl. Schatter, Palästinas Aufwertung zum Beobachterstaat in den Vereinten Nationen, In: SWP- Aktuell (2012), Nr. 73, 4. 173 Vgl. www.focus.de/politik/ausland/erstes-westliches-eu-land-schweden-erkennt-palaestina-als- staat-an_id_4236820.html (27.03.2016); www.spiegel.de/politik/ausland/schweden-erkennt- palaestina-als-staat-an-a-1000094.html (27.03.2016). 174 Vgl. www.israel-nachrichten.org/archive/21012 (27.03.2016). 175 Vgl. www.tageblatt.lu/nachrichten/story/11684396 (27.03.2016). 176 Vgl. www.tagesschau.de/ausland/israel-angriffe-101.html (28.03.2016). 177 Vgl. www.orf.at/stories/2336138/ (22.04.2016). Seite 36 handlungen völlig zum Erliegen gekommen sind und die Perspektivenlosigkeit der palästi- nensischen Jugendlichen sich in absehbarer Zeit wohl nicht verringern dürfte. Die Spirale der Gewalt wird nur schwer aufzuhalten sein.178

178 Vgl. www.tagesschau.de/ausland/nahost-intifada-101.html (28.03.2016). Seite 37 3 Verstöße gegen das Völkerrecht im Zusammen- hang mit dem Siedlungsbau

3.1 Geschichtliche Entwicklung des Siedlungsbaus

Bereits kurz nach Besetzung der palästinensischen Gebiete 1967 begann die Besiedlung des Gazastreifens und des Westjordanlandes mit jüdischen Zivilisten. Die Siedler errichteten gemeinsam mit ihren Familien Wohnsiedlungen, Fabriken sowie Geschäfte und fingen an, Straßen zu bauen, die bewusst sämtliche palästinensische Orte umfuhren. All dies empfan- den die Araber von Anfang an als Provokationen.179 In den ersten Jahren nach dem Krieg wurden die Siedlungen von der israelischen Regierung als Wehrdörfer qualifiziert, wodurch man deren Legitimität erreichen wollte. Man argumen- tierte, dass die Siedlungen lediglich zu dem Zweck errichtet würden, um als Stützpunkte für die Armee zu dienen und so die Sicherheit der israelischen Bevölkerung zu gewährleisten.180 Um das Jahr 1974 gewann die religiöse Komponente die Oberhand über die militärische. Es begannen sich ultra-religiöse Gruppen zu bilden, die, unterstützt von rechten Parteien, von einem sogenannten Großisrael träumten, in dem es keine Palästinenser mehr gab. Die Sied- ler beriefen sich in ihrer Argumentation auf Textstellen in der Thora, in denen Namen von Ortschaften vorkamen, die in den Palästinensergebieten lagen. Sie sahen es als Pflicht an, diese, für Juden heiligen Orte, in den israelischen Staat zurückzuholen. Mit dem Wahlsieg des Likud-Blocks 1977 unter der Führung von Menachem Begin begann die Besiedlung Palästinas eine neue Dimension zu erreichen. Menachem Begin war ein ab- soluter Verfechter der großisraelischen Idee, deren erklärtes Ziel es war, das Staatsgebiet auszudehnen. Um dieses zu erreichen, startete die Regierung ein massives Förderpro- gramm zum Ausbau der Siedlungen. Diese Subventionen machten es für israelische Famili- en wirtschaftlich sehr attraktiv, in solch eine Siedlung zu ziehen,181 was sich auch in der Siedlerstatistik182 während Menachem Begins Amtszeit widerspiegelte. Gab es 1977 lediglich ca. 5.000 jüdische Siedler in den Palästinensergebieten, so waren es zehn Jahre nach Be- ginn seiner Amtszeit bereits 65.000.183 Obwohl dieses Vorgehen bereits zur damaligen Zeit scharf von der internationalen Gemein- schaft als völkerrechtswidrig, in den Resolutionen des UN-Sicherheitsrats 446184 und 452,185

179 Vgl. Schäuble/Flug, Die Geschichte der Israelis und Palästinenser (2013), 106ff. 180 Siehe Kapitel 3.4.2.2. 181 Vgl. Schäuble/Flug, Die Geschichte der Israelis und Palästinenser (2013), 106ff. 182 Vgl. www.de.statista.com/statistik/daten/studie/151400/umfrage/israelische-bevoelkerung-im- westjordanland/ (06.03.2016). 183 Vgl. Schäuble/Flug, Die Geschichte der Israelis und Palästinenser (2013), 106ff. 184 Vgl. S/RES/446 (1979). 185 Vgl. S/RES/452 (1979). Seite 38 verurteilt wurde, verabschiedete die Knesset Ende Juli 1980 das sogenannte „Jerusalemge- setz“,186 welches eine Vereinigung von Ost- und West-Jerusalem zum Ziel hatte. Dieses Ge- setz wurde nur drei Wochen nach seiner Verabschiedung in der Resolution 478 von der Staatengemeinschaft für wertlos erklärt, weil dieses Vorgehen einer völkerrechtswidrigen Annexion gleichkomme.187 Bis heute ist dieses umstrittene Gesetz eines der Haupthindernisse für einen dauerhaften Frieden.188

Die folgenden Jahre waren weiterhin von einem rasanten Anstieg der Siedler gekennzeich- net. 1991 lebten bereits rund 100.000 jüdische Staatsbürger in über 100 jüdischen Siedlun- gen in den besetzten Gebieten. Um die Jahrtausendwende hatte sich die Zahl der Siedler im Vergleich zu 1991 erneut verdoppelt.189 Einen kleinen Lichtblick gab es im Jahr 2005, als alle Siedlungen im Gazastreifen sowie vier weitere Siedlungen im Westjordanland mit insgesamt rund 8.800 Siedlern geräumt wurden. Um allerdings die komplette Räumung des Gazastreifens zu rechtfertigen, wurde gleichzeitig der Ausbau gewisser Siedlungen im Westjordanland forciert.190 Heute leben bereits um die 370.000 israelische Staatsbürger in Ostjerusalem und im West- jordanland, wobei die Zahl nach wie vor stetig zunimmt. So wurden Ende 2014 400 Hektar Land enteignet und in israelisches Staatsgebiet umgewandelt, auf dem erneut Siedlungen für die jüdische Bevölkerung entstehen sollen.191 Auch 2016 enteignet Israel, entgegen heftiger internationaler Proteste und in völliger Isolati- on, unvermindert weiteres Land und treibt den Siedlungsbau in den besetzten Gebieten vor- an. Die israelische Regierung plant in diesem Jahr den Bau von rund 55.000 weiteren Woh- nungen im Westjordanland, wovon ca. 8300 im sogenannten E1 Gebiet errichtet werden sollen. Dieses Land ist besonders umstritten, da es die Westbank in zwei Teile schneiden und somit einen unabhängigen Staat Palästina praktisch unmöglich mache würde.192

186 Vgl. Sefer haChukkim (1980), Nr. 980, 186. 187 Vgl. S/RES/478 (1980). 188 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 199f. 189 Vgl. www.de.statista.com/statistik/daten/studie/151400/umfrage/israelische-bevoelkerung-im- westjordanland/ (06.03.2016). 190 Vgl. Johannsen, Der Nahost-Konflikt3.A. (2011), 72ff. 191 Vgl. www.tagesschau.de/ausland/israel-westjordanland-100.html (19.11.2014). 192 Vgl. www.zeit.de/politik/ausland/2016-01/nahost-israel-westjordanland-siedlungsbau (04.02.2016). Seite 39 3.2 Haager Landkriegsordnung von 1907 (HLKO)

Mitte des 19. Jahrhunderts begannen die Weltmächte damit, Regeln für den Krieg festzule- gen. Dies war aufgrund neuer Waffen und der damit einhergehenden modernen Kriegsfüh- rung notwendig geworden.193 In Den Haag fanden in den Jahren 1899 sowie 1907 jeweils internationale Konferenzen statt, deren Ziel es war, Regeln für den Kriegsfall festzusetzen,194 da es in einem militärischen Konflikt vor allem die Zivilbevölkerung ist, die unter den Kampfhandlungen am meisten zu leiden hat. Um deren Leben und auch deren Lebensgrundlage in Kriegszeiten zu schützen, wurde das Völkerrecht weiterentwickelt. In diesem Zusammenhang wurde eine Reihe von Geboten und Verboten herausgearbeitet, was eine Besatzungsmacht tun bzw. nicht tun dür- fe, um ihre eigenen Ziele zu erreichen.195

3.2.1 Anwendbarkeit der Haager Landkriegsordnung?

Damit sich die Palästinenser auf die Haager Landkriegsordnung berufen können, muss zual- lererst überprüft werden, ob diese auch für Israel anwendbar ist, da es sonst für die Palästi- nenser und jeden anderen, dessen Rechte verletzt wurden, sonst nicht möglich ist, sich auf die Artikel der HLKO zu stützen. Im gegenständlichen Fall liegt eine Besonderheit vor, da der Staat Israel die Haager Land- kriegsordnung nie ratifiziert hat.196 Dennoch unterliegt Israel uneingeschränkt deren Bestim- mungen, da es sich bei der HLKO unzweifelhaft um Völkergewohnheitsrecht handelt und eine Ratifikation dieser lediglich einen deklarativen Charakter hat.197 Diesen Standpunkt vertritt auch der Obersten Gerichtshof in Israel, der die HLKO als bin- dend für die israelische Rechtsordnung in den besetzten Gebieten anerkannt hat.198

193 Vgl. www.drk.de/ueber-uns/auftrag/humanitaeres-voelkerrecht/genfer-abkommen.html (03.02.2016). 194 Vgl. Dinstein, The International Law of Belligerent Occupation (2009), 4f; www.verbrechen-der- wehrmacht.de/pdf/vdw_de.pdf (15.02.2016). 195 Vgl. Paech/Seifer, Israel und Palästina – die aktuelle Lage aus völkerrechtlicher Perspektive (2009), 1. 196 Vgl. Kuhl, Die Untersuchungs- und Berichtstätigkeit des „Special Committee to Investigate Israeli Practices“ der Generalversammlung der Vereinten Nationen (1995), 282. 197 Vgl. Greenwood in Fleck (Hrsg), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflik- ten (1994), 18; Kretzmer, International Law in Domestic Courts (2008), 7. 198 Vgl. Supreme Court of Israel, Beit Sourik Village Council vs. The Government of Israel and the Commander of the IDF Forces in the West Bank (2004), HCJ 2056/04. Seite 40 3.2.2 Israel, eine Besatzungsmacht?

Eine der wesentlichen Fragen zur Beantwortung eventueller Völkerrechtsverstöße ist, ob Israel als Besatzungsmacht gem. Artikel 42 der HLKO qualifiziert werden kann.199 Hierin ist definiert, wann ein Gebiet als besetzt gilt.200

Art 42 HLKO: „Ein Gebiet gilt als besetzt, wenn es sich tatsächlich in der Gewalt des feindli- chen Heeres befindet. Die Besetzung erstreckt sich nur auf die Gebiete, wo diese Gewalt hergestellt ist und ausgeübt werden kann.“

Entscheidend für Art 42 HLKO ist, dass sich ein Gebiet tatsächlich in der Gewalt und unter Kontrolle der feindlichen Armee befindet. Dieser Fall ist auch gegeben, wenn sich das Militär selbst sich nicht an jedem einzelnen Ort des besetzten Gebietes befindet. Vielmehr muss es lediglich in der Lage sein, seine Herrschaft über die Zivilbevölkerung auszuüben und durch- zusetzen.201 Unbestritten ist in diesem Zusammenhang, dass Israel die Westbank und den Gazastreifen seit dem Ende des Sechstagekrieges 1967 unter seiner Kontrolle hat. Die israelische Armee kontrolliert in den Palästinensergebieten sowohl den Luftweg als auch sämtliche Wasser- und Landwege. Auch wenn sie nicht ständig in sämtlichen Orten besagter Gebiete präsent ist, so stehen diese Gebiete dennoch unzweifelhaft unter israelischer Kontrolle und Ge- walt.202 Während im Westjordanland mit der dauerhaften israelischen Militärpräsenz und tausenden israelischen Siedlern die Besatzung eindeutig ist, hat sich Israel 2005 formal aus dem Gaza- streifen zurückgezogen203. Um allerdings von einer Besatzungsmacht zu sprechen, ist eine Kontrolle auf dem Gebiet erforderlich. Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass eine Totalblockade eines Gebietes nicht ausreichend wäre, um als Besatzungsmacht zu gelten. Nämlich auch dann nicht, wenn es den Belagerern jederzeit möglich wäre, in das Gebiet einzudringen und es auch einzunehmen.204 Dieser Argumentation ist auch der Oberste Israe- lische Gerichtshof in seiner Entscheidung Jaber Al-Bassiouni vs. Prime Minister of Israel von 2008 gefolgt.205 Laut Gegenansicht stellt der Gazastreifen allerdings eine Sonderform der Belagerung dar, weil die Überwachung des Landstreifens beispiellos ist. Um den Tatbestand von Art 42

199 Vgl. Paech/Seifer, Israel und Palästina – die aktuelle Lage aus völkerrechtlicher Perspektive (2009), 1. 200 Art 42 HLKO. 201 Vgl. Paech, Gaza und das Völkerrecht, In: Welt Trends (2009), Nr. 65, 81. 202 Vgl. Kretzmer, The law of belligerent occupation in the Supreme Court of Israel, In: International Review of the Red Cross (2012), Nr. 885, 208; Bredt, Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts im Israel-Palästina-Konflikt (2009), 73. 203 Vgl. Paech, Gaza und das Völkerrecht, In: Welt Trends (2009), Nr. 65, 81f. 204 Vgl. Arnauld, Völkerrecht2 (2014), 1256. 205 Vgl. Supreme Court of Israel, Jaber Al-Bassiouni Ahmed and others vs. Prime Minister and Minister of Defence (2008), HCJ 9132/07. Seite 41 HLKO zu erfüllen, ist eine vollständige und effektive Kontrolle einer fremden Macht, auch wenn diese ohne Anwendung von militärischer Gewalt erfolgt, nötig. Genau solch eine tatbe- standserfüllende Kontrolle übt Israel seit 2007 im Gazastreifen wieder aus.206 Denn neben dem Luft-, See- und Landweg werden auch sämtliche Importe sowie alle Exporte, und die daraus resultierenden Erlöse, kontrolliert.207 Auch wenn Israel selbst nicht von einer Besatzung spricht, ist Israel aus völkerrechtlicher Sicht als Besatzungsmacht im Gazastreifen (und unzweifelhaft auch im Westjordanland) gem. Art 42 HLKO zu qualifizieren. Dies lässt sich aus der vollständigen Kontrolle, die Israel über die Zivilbevölkerung des Gazastreifens ausübt, ableiten. Daran ändert auch die Tatsa- che nichts, dass sich die israelische Armee nicht ständig auf diesem Gebiet befindet.208

3.2.3 Verstöße Israels gegen die HLKO

3.2.3.1 Verstoß gegen Art 43 HLKO Aufgrund der Tatsache, dass Israel als Besatzungsmacht in den Palästinensergebieten gilt, sind im vorliegenden Konflikt, wie bereits oben festgestellt, die Art 42 ff der Haager Land- kriegsordnung von 1907 anwendbar.209 Unbeirrt dessen hat sich Israel über einige Artikel der HLKO mittels Bruch des Völkerrechts einfach hinweggesetzt und so eigene Tatsachen geschaffen.210

Art 43 HLKO: „Nachdem die gesetzmäßige Gewalt tatsächlich in die Hände des Besetzen- den übergegangen ist, hat dieser alle von ihm abhängenden Vorkehrungen zu treffen, um nach Möglichkeit die öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten, und zwar, soweit kein zwingendes Hindernis besteht, unter Beachtung der Landesgesetze.“

Demnach wäre, gem. Art 43 HLKO, Israel nach dem erfolgreichen Feldzug im Westjordan- land und im Gazastreifen verpflichtet gewesen, die öffentliche Ordnung wieder so herzustel- len, wie man sie vor dem Einmarsch vorgefunden hatte.211 Dies wird als positive Pflicht be-

206 Vgl. Paech, Gaza und das Völkerrecht, In: Welt Trends (2009), Nr. 65, 81f; Dugard, Report of the UN Special Rapporteur on the Situation of Human Rights in the Palestinian Occupied Territories (2007). 207 Vgl. Paech/Seifer, Israel und Palästina – die aktuelle Lage aus völkerrechtlicher Perspektive (2009), 2. 208 Vgl. Paech, Gaza und das Völkerrecht, In: Welt Trends (2009), Nr. 65, 81; Dugard, Report of the UN Special Rapporteur on the Situation of Human Rights in the Palestinian Occupied Territories (2007). 209 Siehe Kapitel 3.2.2. 210 Siehe Kapitel 3.2.3.1; Kapitel 3.2.3.2. 211 Vgl. Neugebauer, Der israelische Siedlungsbau in den palästinensischen Gebieten – eine Untersu- chung am Maßstab des Völkerrechts (2012), 14. Seite 42 zeichnet, da es die Besatzungsmacht zum Handeln zwingt.212 Israel war also in der Pflicht, die Verantwortung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu übernehmen, da es als Be- satzungsmacht an die Stelle der Territorialstaatsgewalt rückte.213 Man hätte folglich die bis dahin geltenden Gesetze wieder in Kraft treten lassen und so den Status quo, wie man ihn vor dem Einmarsch vorgefunden hatte, wiederherstellen müssen.214 Allerdings war das israe- lische Handeln ein entgegengesetztes. Israel führte nämlich auf jenen Palästinensergebieten israelisches Recht ein, auf denen israelische Siedlungen entstanden.215 Dies steht jedoch im klaren Widerspruch zu Art 43 HLKO,216 da mit der Einführung israelischen Rechts der Status quo, wie er vor der Besetzung bestand, eben nicht wiederhergestellt, sondern dauerhaft fremdes Recht in Teilen der besetzten Gebiete eingeführt wurde.217 Somit verletzt Israel die in Art 43 HLKO beschriebene positive Pflicht einer Besatzungsmacht, was einen völkerrecht- lichen Verstoß bedeutet.

3.2.3.2 Verstoß gegen Art 46 HLKO Trotz der unzähligen völkerrechtlichen Verstöße Israels liegt der Verdacht nahe, dass Art 46 der HLKO jener Artikel ist, der womöglich am öftesten verletzt wurde.218

Art 46 HLKO: „Die Ehre und die Rechte der Familie, das Leben der Bürger und das Privatei- gentum sowie die religiösen Überzeugungen und gottesdienstlichen Handlungen sollen ge- achtet werden. Das Privateigentum darf nicht eingezogen werden.“

Unbestritten ist, dass es sich bei der Haager Landkriegsordnung um Völkergewohnheitsrecht handelt219 und somit Israel an dieses Recht gebunden ist.220 Während Artikel 46 Satz 1 HLKO aufzählt, welche Rechtsgüter geschützt werden, bezieht sich Art 46 Satz 2 HLKO explizit auf das Eigentumsrecht von Zivilpersonen in besetzten Ge- bieten. Darin wird festgehalten, dass eine Besatzungsmacht verpflichtet ist, auch das per- sönliche Eigentum von Zivilisten zu schützen. Jegliche gegenteilige Handlungen sind völker- rechtlich verboten.221

212 Vgl. Rosenfeld, Die humanitäre Besatzung (2009), 67. 213 Vgl. Arnauld, Völkerrecht2 (2014), 1260. 214 Vgl. Rosenfeld, Die humanitäre Besatzung (2009), 69. 215 Vgl. Neugebauer, Der israelische Siedlungsbau in den palästinensischen Gebieten – eine Untersu- chung am Maßstab des Völkerrechts (2012), 14; Watzal, Frieden ohne Gerechtigkeit? (1994), 59. 216 Vgl. Art 43 HLKO. 217 Vgl. Neugebauer, Der israelische Siedlungsbau in den palästinensischen Gebieten – eine Untersu- chung am Maßstab des Völkerrechts (2012), 14. 218 Vgl. Neugebauer, Der israelische Siedlungsbau in den palästinensischen Gebieten – eine Untersu- chung am Maßstab des Völkerrechts (2012), 14. 219 Vgl. Greenwood in Fleck (Hrsg), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflik- ten (1994), 18; Kretzmer, International Law in Domestic Courts (2008), 7. 220 Vgl. Watzal, Frieden ohne Gerechtigkeit? (1994), 55. 221 Vgl. Gasser in Fleck (Hrsg), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten (1994), 170ff. Seite 43 Zwar hat eine Besatzungsmacht das Recht, Privateigentum, welches Kriegszwecken dient, auch wenn es sich um unbewegliche Güter handelt, zu beschlagnahmen, doch dürfen diese eben nicht enteignet werden, sondern müssen nach Beendigung des Krieges wieder zurück- gegeben werden.222 Das Verhalten Israels in den vergangenen Jahrzehnten war jedoch von einem dauerhaften Ignorieren von Art 46 HLKO gekennzeichnet. Bereits kurz nach dem Sechstagekrieg begann Israel damit, Häuser von Palästinensern ab- zureißen. In Ostjerusalem z.B. mussten Araber, die in der Nähe der Klagemauer wohnten, ihre Häuser verlassen. Dies geschah unter dem Vorwand der Durchsuchung jener Häuser nach Rebellen. In Wahrheit jedoch wurden diese Häuser abgerissen, um einen besseren Zugang zur Klagemauer, dem größten Heiligtum der Juden, zu schaffen.223 Auch gab der damalige Verteidigungsminister, Mosche Dayan, der an der Spitze einer Ein- heitsregierung stand, ohne es groß abzustreiten, zu, dass palästinensisches Eigentum nicht nur angetastet, sondern sogar und vor allem bewusst zerstört wurde, um israelische Sied- lungen auf den Ruinen palästinensischer Dörfer zu bauen.224 Ebenfalls zu Enteignungen und Zerstörungen von palästinensischem Eigentum hat der Bau der Mauer im besetzten Westjordanland geführt.225

Mit dem Abreißen von palästinensischen Häusern hat sich Israel wiederholt über Art 46 HLKO hinweggesetzt, da es das darin verankerte Recht von Zivilisten in besetzten Gebieten auf Eigentum nicht respektiert hat.226 Durch das Zerstören wird gleichzeitig gegen Art 53 Abs 2 HLKO227 verstoßen, da der darin beschriebene Tatbestand des Beschlagnahmens nicht mehr erfüllt werden kann und es sich im Umkehrschluss demnach nur noch um eine dauer- hafte Enteignung handeln kann.228 Durch dieses Verhalten kann der Vorwurf, dass sämtliche Regierungen Israels einzig und allein bestrebt waren, die Position des Staates Israel zu stär- ken und dessen Territorium völkerrechtswidrig zu vergrößern, nicht entkräftet werden.229 Vielmehr deutet all dies darauf hin, dass Israel vorsätzlich gewisse Artikel der Haager Land-

222 Vgl. Art 53 Abs 2 HLKO; Art 55 HLKO. 223 Vgl. Ziv/Kalina/Gordey, Der Sechstage Krieg – Israels Geschichte Teil 2, In: www.youtube.com/watch?v=MPfFvt7nlos (30.04.2016). 224 Vgl. Neugebauer, Der israelische Siedlungsbau in den palästinensischen Gebieten – eine Untersu- chung am Maßstab des Völkerrechts (2012), 14. 225 Vgl. Menzel/Pierlings/Hoffmann, Völkerrechtssprechung (2005), 876; siehe Kapitel 4. 226 Vgl. Art 46 HLKO; Gasser in Fleck (Hrsg), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten (1994), 170ff. 227 Art 53 Abs 2 HLKO: „Alle Mittel, die zu Lande, zu Wasser und in der Luft zur Weitergabe von Nach- richten und zur Beförderung von Personen oder Sachen dienen, mit Ausnahme der durch das See- recht geregelten Fälle, sowie die Waffenniederlagen und überhaupt jede Art von Kriegsvorräten kön- nen, selbst wenn sie Privatpersonen gehören, mit Beschlag belegt werden. Sie müssen aber zurück- gegeben werden; die Entschädigungen sind beim Friedensschluss zu regeln.“ 228 Vgl. Art 46 HLKO; Gasser in Fleck (Hrsg), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten (1994), 170ff. 229 Vgl. International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories (2004). Seite 44 kriegsordnung 1907, und dadurch Völkergewohnheitsrecht, verletzt hat, was die Aussagen vom damaligen Verteidigungsminister Dayan zusätzlich unterstreichen. Somit hat Israel al- leine in diesem Punkt mehrfach geltendes Völkerrecht gebrochen.230

3.3 Rechtsgrundlagen Israels

Bis heute gilt in Israel offiziell der Ausnahmezustand, den die Knesset noch am Tag der Staatsgründung 1948 erlassen hat.231 Dies bedeutet, dass der jeweiligen israelischen Regie- rung weitreichende Macht und Befugnisse zur Verfügung stehen, um die Staatssicherheit zu gewährleisten.232 Dadurch kann die Regierung mittels Notverordnungen,233 die mit dem is- raelischen Recht im Einklang stehen, ihre Ziele erreichen. Zudem geben diese Notverord- nungen der Zerstörung von palästinensischem Eigentum eine rechtliche Grundlage.234 Auch die Besatzung selbst sowie sämtliche Diskriminierung der Palästinenser scheinen damit legal zu sein.235 Israel beruft sich durchwegs auf diese Notverordnungen und sieht diese als rechtliche Basis für sein Handeln. Damit versucht es, seine Völkerrechtsverletzungen zu entkräften und diese als nicht existent zu bezeichnen. Völkerrecht und Notverordnungen stehen allerdings einander im Wege, weswegen die israe- lische Rechtfertigung von der internationalen Gemeinschaft durchgehend abgelehnt wird. Dies ergibt sich vor allem aus der Tatsache, dass Notverordnungen, anders als das Völker- recht, lediglich einen nationalen Charakter haben und somit nicht auf besetzte Gebiete an- wendbar sind, da diese ja nicht Teil des besetzenden Staates sind.236

230 Vgl. Neugebauer, Der israelische Siedlungsbau in den palästinensischen Gebieten – eine Untersu- chung am Maßstab des Völkerrechts (2012), 14. 231 Vgl. Law and Administration Ordinance, Nr. 1, 5708-1948; www.knesset.gov.il/laws/special/eng/basic3_eng.htm (04.03.2016). 232 Vgl. al Janub, Remapping Palestine (2013), 79; Timm, Israel - Gesellschaft im Wandel (2003), 129. 233 Vgl. Absentee Property Law of Israel (1950); Expropriation Law of Israel (1950); Law Concerning Uncultivated Lands of Israel (1953); Land Acquisition Law of Israel (1953); Law of Limitation of Israel (1958). 234 Vgl. Watzal, Frieden ohne Gerechtigkeit? (1994), 63f; Klein, Die Drusen in Israel (2001), 68f. 235 Vgl. al Janub, Remapping Palestine (2013), 79. 236 Vgl. Watzal, Frieden ohne Gerechtigkeit? (1994), 63f. Seite 45 3.4 Genfer Konvention

Am 22. August 1864 wurde nach rund zweiwöchigen Verhandlungen die erste Genfer Kon- vention von damals sechzehn Staaten ratifiziert. Der Zeck dieses Vertrages war der Schutz von Verwundeten und Sanitätspersonal in Zeiten des Krieges.237 Aufgrund der enormen technischen Weiterentwicklung diversen Kriegsgerätes und der damit zusammenhängenden großen Anzahl an zivilen Opfern während des Zweiten Weltkrieges wurden die Genfer Abkommen am 12. August 1949 schließlich auch auf Zivilpersonen aus- gedehnt.238 Das Abkommen IV hat den Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegsgebieten zum Inhalt und ist somit vor allem für den Nahost-Konflikt von großer Bedeutung.239

3.4.1 Nichtanwendbarkeit der Genfer Konvention IV?

3.4.1.1 Sicht der israelischen Regierung Wie bereits oben kurz erwähnt, sieht sich Israel bis heute nicht als Besatzungsmacht der Palästinensergebiete. Dies wurde das erste Mal 1971 bei einer offiziellen Erklärung240 des damaligen Präsidenten des Obersten israelischen Gerichtshofes, Meir Shamgar, deutlich. In seiner Stellungnahme stellte er klar, dass die GK IV sowie die HLKO nur auf jene Gebiete Anwendung finden würden, die zum Zeitpunkt der Besetzung unter einer rechtmäßigen und souveränen Herrschaft stünden. Genau das wird allerdings von Israel bestritten. Nach dort vorherrschender Auffassung wa- ren nämlich weder das Westjordanland noch der Gazastreifen bzw. Ostjerusalem zum Zeit- punkt des Sechstagekrieges unter einer souveränen Herrschaft gestanden, weil Ägypten den Gazastreifen einfach besetzt hatte und das Westjordanland von Jordanien im Jahr 1950 ille- gal annektiert wurde.241 Somit gehörten laut israelischen Einschätzungen diese Gebiete zu keinem souveränen Staat, womit es an einer sogenannten „Hohen Vertragspartei“ im Sinne des Art 1 und 2 der Konvention fehlte.242 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der gemeinsame Artikel 2 Absatz 2 der Genfer Kon- ventionen,243 welcher auf Besatzungsfälle von Territorien souveräner Staaten Anwendung

237 Vgl. www.roteskreuz.at/berichten/aktuelles/news/genfer-konvention (03.02.2016). 238 Vgl. www.drk.de/ueber-uns/auftrag/humanitaeres-voelkerrecht/genfer-abkommen.html (03.02.2016). 239 Vgl. www.geschichte-schweiz.ch/rotes-kreuz.html (03.02.2016). 240 Vgl. Shamgar, The Observance of International Law in the Administered Territories, In: Israel Year- book of Human Rights (1971), Nr. 1, 226ff. 241 Vgl. Ammar, Die Rechtslage der israelischen Mauer in den besetzten palästinensischen Gebieten im Völkerrecht (2011), 26f. 242 Vgl. Kreuz, Die Rolle des israelischen Höchstgerichtes im Nahost-Konflikt, In: juridikum (2011), Nr. 3, 300. 243 Art 2 Abs 2 GK: „Das Abkommen ist auch in allen Fällen vollständiger oder teilweiser Besetzung des Gebietes einer Hohen Vertragschließenden Partei anzuwenden, selbst wenn diese Besetzung auf keinen bewaffneten Widerstand stößt.“ Seite 46 findet, hier nicht gelten kann und somit auch nicht gegen diesen Artikel verstoßen wird. Zu- dem gäbe es laut Israel, anders als beispielsweise beim Sinai, ja keinen legitimen Souverän, dem diese Gebiete zurückgegeben werden könnten.244 Des Weiteren argumentiert Israel, dass die Konvention kein Völkergewohnheitsrecht darstel- le, weshalb sie für den Obersten Gerichtshof nicht anwendbar sei.245 Dies ist allerdings um- stritten, da die Genfer Konventionen bereits von manchen Völkerrechtlern und Staaten als Völkergewohnheitsrecht klassifiziert wurden.246

3.4.1.2 Sicht des Obersten Gerichtshofs in Israel Der in Jerusalem ansässige Supreme Court ist die dritte und oberste Instanz in Zivil- und Strafsachen. Dem israelischen Höchstgericht kommt aufgrund seiner dualen Funktion auch die Rolle einer ersten und letzten Instanz als High Court of Justice zu. Vor allem als solcher steht es oft unfreiwillig mitten im politischen Geschehen, da seine Judikationen sich auch auf die besetzten Gebiete ausdehnen. Hierbei entscheidet es etwa über die Zulässigkeit von neuen Siedlungen im Westjordanland und im Gazastreifen sowie den Verlauf der Mauer, welche im Westjordanland errichtet wurde. Obwohl das Höchstgericht in seinen Entscheidungen immer neutral und unabhängig bleiben muss, werden seine Urteile stets unter genaueste internationale Beobachtung gestellt.247

Dies verhält sich auch in der Frage der Anwendbarkeit der Genfer Konvention so. Während die Haager Landkriegsordnung sowohl von der israelischen Regierung als auch vom Obers- ten Gerichtshof als verbindlich angesehen wird, sind Exekutive und Judikative bei der Genfer Konvention unterschiedlicher Meinung. Laut dem Obersten Gerichtshof ist die Genfer Konvention in Israel durchaus gültig, weil die- se von der damaligen Regierung unterschrieben wurde.248 Allerdings sei sie nicht justiziabel, da sie zuvor noch in israelisches Recht transformiert werden müsse. Bis heute sind jedoch alle Versuche, dies umzusetzen, gescheitert, weswegen laut israeli- schem Recht die Genfer Konventionen nicht durchsetzbar und damit dem Obersten Ge- richtshof in seiner Rechtsprechung entzogen sind.249

244 Vgl. Ammar, Die Rechtslage der israelischen Mauer in den besetzten palästinensischen Gebieten im Völkerrecht (2011), 26f. 245 Vgl. Kretzmer, International Law in Domestic Courts (2008), 35; Dinstein, The International Law of Belligerent Occupation (2009), 242ff. 246 Vgl. Henckaerts, Study on customary international humanitarian law: A contribution to the un- derstanding and respect for the rule of law in armed conflict, In: International Review of the Red Cross (2005), Nr. 857, 1ff; www.eda.admin.ch/eda/de/home/aussenpolitik/voelkerrecht/humanitaeres- voelkerrecht/genfer-konvention.html (06.03.2016); Doehring, Völkerrecht2 (2004), 255. 247 Vgl. Kreuz, Die Rolle des israelischen Höchstgerichtes im Nahost-Konflikt, In: juridikum (2011), Nr. 3, 298. 248 Vgl. Watzal, Frieden ohne Gerechtigkeit? (1994), 53. 249 Vgl. Dinstein, The International Law of Belligerent Occupation (2009), 28f. Seite 47 3.4.1.3 Internationale Sicht Mit der Argumentation, dass die Genfer Konvention auf die palästinensischen Gebiete nicht anwendbar sei, steht Israel in der internationalen Staatengemeinschaft völlig isoliert da. Sämtliche namhafte internationale Organisationen, wie beispielsweise die Vereinten Natio- nen, die EU oder das Internationale Rote Kreuz haben die israelische Position als völker- rechtswidrig zurückgewiesen.250 Laut Israel standen die streitbaren Gebiete 1967 weder unter der Souveränität von Ägypten noch von Jordanien, weswegen Art 2 der GK IV nicht anwendbar sei. Aber auch wenn sie de jure damals keinem anderen Staat angehörten, so waren weder der Gazastreifen noch die Westbank de jure Teil des israelischen Staatsgebietes.251 Das Internationale Rote Kreuz hat bereits 2001 in einem Statement252 erklärt, dass die Souveränität eines bestimmten Gebiets in einem Konfliktfall nicht entscheidend für die Gültigkeit der GK IV sei, sondern auf jedes besetzte Gebiet anzuwenden sei. Folglich wäre es unerheblich, wie die schutzbedürftigen Menschen in einen bewaffneten Konflikt geraten seien. Die GK IV gelte somit für jeden schutzbedürftigen Menschen.253 Auch der Internationale Gerichtshof hat 2004 in der „Wall Advisory Opinion“ klar festgehal- ten, dass der Art 2 der GK IV nicht dazu da sei, um die Anwendbarkeit der GK auf gewisse Gebiete zu beschränken.254 Ein weiteres Indiz dafür, dass Israel mit seiner Argumentation isoliert dasteht, ist die Tatsa- che, dass Palästina die Genfer Konvention ratifiziert hat.255 Obwohl Palästina bis heute kein unabhängiger Staat und nicht Vollmitglied der Vereinten Nationen ist,256 ist es 2014 gegen heftige Kritik aus Israel den Genfer Konventionen beigetreten.257 Dieser Beitritt spricht eben- falls für die Anwendbarkeit des Artikels 2, da die Palästinenser nun selbst an alle Verpflich- tungen der Genfer Konventionen gebunden sind, aber im Gegenzug auch alle rechtlichen Vorteile genießen können. Dies lässt sich jedenfalls aus Art 2 Abs 3 GK IV ableiten.258

250 Vgl. The Venice Declaration on the Middle East adopted by the European Council (1980), Bulletin of the European Communities 6–1980; Statement by the International Committee of the Red Cross to the Conference of High Contracting Parties to the Fourth Geneva Convention (2001). 251 Vgl. Ammar, Die Rechtslage der israelischen Mauer in den besetzten palästinensischen Gebieten im Völkerrecht (2011), 29ff. 252 Vgl. Statement by the International Committee of the Red Cross to the Conference of High Contracting Parties to the Fourth Geneva Convention (2001). 253 Vgl. Ammar, Die Rechtslage der israelischen Mauer in den besetzten palästinensischen Gebieten im Völkerrecht (2011), 29ff. 254 Vgl. International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories (2004). 255 Vgl. Ammar, Die Rechtslage der israelischen Mauer in den besetzten palästinensischen Gebieten im Völkerrecht (2011), 30. 256 Vgl. www.un.org/en/members/ (04.03.2016). 257 Vgl. Federal Department of Foreign Affairs, 242.512.0 – GEN 2/14 (2014). 258 Art 2 Abs 3 GK: „Wenn eine der im Konflikt befindlichen Mächte am vorliegenden Abkommen nicht beteiligt ist, bleiben die daran beteiligten Mächte in ihren gegenseitigen Beziehungen gleichwohl durch das Abkommen gebunden. Sie sind aber durch das Abkommen auch gegenüber der besagten Macht gebunden, wenn diese dessen Bestimmungen annimmt und anwendet.“ Seite 48 Somit steht Israel – wie bereits erwähnt - mit seiner Rechtsansicht bezüglich der GK IV allei- ne in der internationalen Staatengemeinschaft da, weil sämtliche andere Staaten und Orga- nisationen das humanitäre Völkerrecht auf die palästinensischen Gebiete als zweifelsfrei anwendbar erachten. Dies bestätigen auch zahlreiche Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, in denen Israel immer wieder dazu aufgefordert wird, endlich die Be- stimmungen der Genfer Konvention in ihrem gesamten Umfang anzuerkennen.259

3.4.2 Art. 49 Abs 6 der vierten Genfer Konvention

Art. 49 Abs 6 der vierten Genfer Konvention lautet: „Die Besetzungsmacht darf nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet deportieren oder umsiedeln.“

Bereits vor der Ratifizierung der Genfer Konvention war das Umsiedeln von Teilen der eige- nen Bevölkerung in besetztes Gebiet verboten, da es sich hierbei schon um Völkergewohn- heitsrecht handelte. Die Regelung findet sich erstmalig im sogenannten „Lieber Code“ wie- der,260 der vom damaligen US-Präsidenten Abraham Lincoln in Auftrag gegeben wurde,261 wohingegen die Haager Landkriegsordnung kein ausdrückliches Deportationsverbot beinhal- tete. Bei der Unterzeichnung der HLKO im Jahr 1907 wurde ein solches aufgrund des Ver- weises auf das Völkergewohnheitsrecht262 als nicht explizit notwendig erachtet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gab es nach dem Statut des internationalen Militär- tribunals von Nürnberg bereits Verurteilungen wegen solcher Deportationen und wurden die- se ausdrücklich als Verbrechen qualifiziert.263 Die diplomatische Konferenz, die zur GK IV führte, entschloss sich dennoch zur Aufnahme des Artikels. Ausschlaggebend war wohl noch der Eindruck des schrecklichen Krieges, in dem mehrfach die eigene Bevölkerung in eroberte Gebiete umgesiedelt wurde, um die eige- ne Position in diesen zu stärken und der Eroberung die „rechtliche Grundlage“ für territoriale Ansprüche zu geben.264 Aufgrund eventueller demografischer Veränderungen wurde von einer Verschlechterung der Lebensbedingungen für die ursprünglich dort lebende Bevölke- rung ausgegangen. Dies sollte durch den Art. 49 Abs 6 GK IV verhindert werden.265

259 Vgl. Ammar, Die Rechtslage der israelischen Mauer in den besetzten palästinensischen Gebieten im Völkerrecht (2011), 30ff; S/RES/446 (1979); S/RES/452 (1979); S/RES/465 (1980). 260 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 (2002), 1061; Lieber Code (1863). 261 Vgl. Held, Kriegsgefangenschaft in Großbritannien (2008), 10. 262 Vgl. Greenwood in Fleck (Hrsg), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflik- ten (1994), 18. 263 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 (2002), 1061. 264 Vgl. Ammar, Die Rechtslage der israelischen Mauer in den besetzten palästinensischen Gebieten im Völkerrecht (2011), 92. 265 Vgl. Dinstein, The International Law of Belligerent Occupation (2009), 239. Seite 49 Eine Transferierung der eigenen Bevölkerung in solche Gebiete widerspricht darüber hinaus dem Grundgedanken des Besatzungssystems, wonach die Besetzer das Gebiet lediglich verwalten, es sich aber nicht einverleiben wollen.266

3.4.2.1 Sicht der israelischen Regierung So eindeutig der Art 49 Abs 6 der vierten Genfer Konvention auch erscheinen mag, so unter- schiedlich sind auch hier die Interpretationsmöglichkeiten. Während die überwiegende Mehr- heit der Völkerrechtler davon ausgeht, dass Art 49 Abs 6 sich nicht nur auf die zwangsweise Deportation oder Umsiedelung der eigenen Bevölkerung bezieht,267 interpretiert die israeli- sche Regierung diesen Artikel wörtlich. Laut dieser bezieht sich Art 49 Abs 6 GK IV eben wirklich nur auf die Deportation und zwangsweise Umsiedelung der eigenen Bevölkerung in besetztes Gebiet. Jegliche freiwillige Besiedelung jener Territorien könne hingegen nicht subsumiert werden.268 Da sämtliche israelische Siedler jedoch freiwillig in die Palästinensergebiete gezogen sind, würde das im Umkehrschluss gegen die Anwendbarkeit des Art 49 Abs 6 GK IV sprechen und somit die Legitimität der Siedlungen bedeuten. Dieser Meinung folgt auch Dinstein, der im Falle einer freiwilligen Besiedlung fremden Gebie- tes ebenfalls für eine fehlende Anwendbarkeit von Art 49 Abs 6 GK IV plädiert, sofern die Siedler durch die Besatzungsmacht nicht direkt oder indirekt dabei unterstützt werden.269 Da dies im Falle Israels allerdings der Fall ist, geht die israelische Regierung heute gar nicht mehr groß auf das von ihr genannte Argument ein, sondern beschränkt sich lediglich auf die Taktik, mit der sie bereits die ganze Genfer Konvention für nicht anwendbar erklärt hat. Da- bei wird behauptet, dass Palästina kein Staat sei270 und das Westjordanland sowie der Ga- zastreifen zum Zeitpunkt der Eroberung auch keinem anderen Staat völkerrechtlich zuzuord- nen gewesen wären. Somit könne nicht von einer Besatzung gesprochen werden, was wie- derum die Genfer Konvention, und somit auch den Art 49, nicht anwendbar machen würde. Deshalb könne Israel, laut dessen Regierung, gar nicht gegen Art 49 Abs 6 der vierten Gen- fer Konvention verstoßen.271

Im Auftrag des israelischen Außenministeriums verfasste die israelische Friedensbewegung B’Tselem im Jahr 2002 einen Bericht,272 der das israelische Verhalten als legitim darstellen

266 Vgl. Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht2 (2002), 1062. 267 Vgl. Roberts, Prolonged Military Occupation: The Israeli-Occupied Territories since 1967 (1990), 84ff. 268 Vgl. Israel National Section of the International Commission of Jurists, The Rule of Law in the Areas Administered by Israel (1981). 269 Vgl. Dinstein, The International Law of Belligerent Occupation (2009), 240f. 270 Vgl. Neugebauer, Der israelische Siedlungsbau in den palästinensischen Gebieten – eine Untersu- chung am Maßstab des Völkerrechts (2012), 14ff. 271 Siehe Kapitel 3.4.1.1. 272 Vgl. B’Tselem, Land Grab – Israel’s Settlement Policy in the West Bank (2002). Seite 50 sollte. Zum einen wurde versucht, die Siedlungen mit einer gewissen religiösen Komponente als logisch und natürlich der internationalen Gemeinschaft zu präsentieren. Man argumen- tierte dahingehend, dass es nur verständlich sei, dass die Juden in die Heimat ihrer Vorväter zurückkehren wollten und es sich somit niemals um einen Verstoß gegen Art 49 handeln könne. Zum anderen wurde versucht, eine Rechtfertigung für die Siedlungen zu finden, indem man behauptete, dass es niemals die Absicht gewesen wäre, irgendwelche Palästinenser von ihrer Heimat zu vertreiben. Beide Argumente wurden allerdings von der internationalen Gemeinschaft nie akzeptiert.273

3.4.2.2 Sicht des Obersten Gerichtshofs in Israel Es wurde bereits erwähnt, dass die Genfer Konvention trotz Ratifikation, aber aufgrund man- gelnder Transformation in innerstaatliches Recht, nicht anwendbar ist.274 Dennoch beteuerte die israelische Regierung mehrfach, dass sie die vierte Genfer Konvention auf „freiwilliger Basis“ anwenden würde, wenn sie humanitäre Bestimmungen enthalte.275 Dies ist eine sehr geschickte Formulierung, weil dadurch der Art 49 Abs 6 GK IV niemals anwendbar ist. Der Gerichtshof verneint nämlich in diesem Absatz ein humanitäres Recht. Auch wird von israelischer Seite immer wieder erklärt, dass es sich bei Art 49 nicht um Völ- kergewohnheitsrecht handle und somit der Gerichthof auch hierbei keine Chance habe, über diesen Weg eine Anwendbarkeit zu finden.276

Nachfolgend werden zwei wichtige Urteile in Bezug auf die Siedlungen besprochen.

 Die Entscheidung Beth El Im Fall Beth El beschäftigte sich der Gerichtshof mit der Frage, ob die Siedlung Beth El legal errichtet wurde oder nicht, da sich dieses Land in der privaten Hand von Arabern befand. 277 Im Zentrum stand auch hier wieder der Art 49 der GK IV und die Frage, ob Art 49 Abs 6 GK IV, der die Umsiedelung der eigenen Bevölkerung in besetztes Gebiet verbietet,278 durch Art 49 Abs 2 GK IV, laut diesem eine Besetzungsmacht die vollständige oder teilweise Evakuie- rung eines bestimmten besetzten Gebietes durchführen kann, wenn dies die Sicherheit der Bevölkerung oder zwingende militärische Gründe erfordern,279 ersetzt werden kann.

273 Vgl. Neugebauer, Der israelische Siedlungsbau in den palästinensischen Gebieten – eine Untersu- chung am Maßstab des Völkerrechts (2012), 16. 274 Vgl. Dinstein, The International Law of Belligerent Occupation (2009), 28f. 275 Vgl. Benvenisti, The International Law of Occupation (2012), 109. 276 Vgl. Kretzmer, International Law in Domestic Courts (2008), 35. 277 Vgl. Supreme Court of Israel, Ayyub vs. Minister of Defense - The Beth El Case, HCJ 610/78, In: Israel Yearbook of Human Rights (1979), Nr. 9. 278 Vgl. Art 49 Abs 6 Genfer Konvention IV. 279 Vgl. Art 49 Abs 2 Genfer Konvention IV. Seite 51 Das Land, um das man hier prozessierte, wurde von der israelischen Regierung mit dem Argument enteignet, dass es sich dabei um ein Gebiet handle, welches von großer militäri- scher Bedeutung sei. Allerdings wurden diese Grundstücke letztlich nicht für militärische Zwecke verwendet, denn anstelle militärischer Infrastruktur wurden lediglich zivile Wohnein- heiten errichtet. Trotzdem wurde dieses Vorgehen gerechtfertigt, indem man behauptete, dass auch zivile Siedlungen der Erfordernis des Art 49 Abs 2 GK IV Rechnung tragen wür- den, wenn dies der Sicherung der Bevölkerung diene. Dagegen beriefen die früheren Land- eigentümer beim Gerichtshof.280

Am 15. März 1979 fällte der Gerichthof die Entscheidung281 darüber und wies darauf hin, dass die israelische Regierung mittels eidesstattlicher Erklärung beteuert hatte, dass es sich bei diesem Land um strategisch wichtiges Gebiet handeln würde. Dieser Argumentation folgte der Gerichtshof schließlich und führte aus, dass es für die Ar- mee und somit auch für die Sicherheit der israelischen Bevölkerung von großer Wichtigkeit sei, solche Gebiete zu kontrollieren. Auch wenn diese Siedlungen lediglich zivilem Charakter dienen, so erschwere die bloße Präsenz von Israelis auf diesem Territorium es Terroristen, von solchen Gegenden aus zu operieren. Somit ist der Tatbestand des Art 49 Abs 2 GK IV gegeben und die Siedlungen wurden als nicht illegal eingestuft.282 Gleichzeitig wurde vom Gerichtshof beteuert, dass es sich, um den Art 49 Abs 2 GK IV wei- ter zu erfüllen, nicht um dauerhafte Siedlungen handeln dürfe, sondern diese nur so lange legal seien, bis es eines Tages eine umfassende völkerrechtliche Lösung für Israel und die Palästinensergebiete gäbe. Von dieser Vereinbarung würde schlussendlich auch die endgül- tige Legitimität der einzelnen Siedlungen abhängen.283

 Die Entscheidung Elon Moreh In dem Urteil Elon Moreh284 war es dem Gerichthof nicht möglich, das Verhalten der israeli- schen Regierung zu unterstützen, da diese nicht einheitlich auftrat und somit den Gerichtshof im Falle seiner Zustimmung zu den Siedlungsplänen eindeutig als nicht neutral enttarnt hät- te. Die vorliegende Entscheidung handelt ebenfalls von der geplanten Errichtung von israeli- schen Siedlungen auf Palästinensergebiet. Der Unterschied zu vormaligen Siedlungsaktivitä-

280 Vgl. Israel Yearbook of Human Rights (1979), Nr. 9, 339f. 281 Vgl. Supreme Court of Israel, Ayyub vs. Minister of Defense - The Beth El Case, HCJ 610/78, In: Israel Yearbook of Human Rights (1979), Nr. 9. 282 Vgl. Israel Yearbook of Human Rights (1979), Nr. 9, 340; Dinstein, The International Law of Bellige- rent Occupation (2009), 242f. 283 Vgl. Kretzmer, The Occupation of Justice. The Supreme Court of Israel and the Occupied Territo- ries (2002), 83. 284 Vgl. Supreme Court of Israel, Dweikat vs. Government of Israel - The Elon Moreh Case, HCJ 390/79, In: Israel Yearbook of Human Rights (1979), Nr. 9. Seite 52 ten war allerdings, dass diesmal nicht die Regierung selbst, sondern eine private SiedlerIn- nenbewegung die Enteignung des Landes anstrebte. Dies führte in der Regierung zu deutli- chen Spannungen. Während das Verteidigungsministerium nicht von einer Notwendigkeit sprach, die Siedlungen errichten zu müssen, plädierte der Generalstabschef für die Enteig- nung dieses Landes aufgrund von militärischen Notwendigkeiten.285

Der Gerichtshof sprach sich diesmal gegen die Errichtung der Siedlung aus.286 Dabei gab es vor allem zwei Gründe, die einem positiven Urteil entgegenstanden. Zum einen argumentierten die Siedler damit, dass es den jüdischen Siedlern doch erlaubt sein müsse, in ihre alte Heimat zurückzukehren. Dieses Argument war allerdings ein rein religiöses und hätte im Falle des Stattgebens das Ende des säkularen Israels bedeutet.287 Zum anderen konnte aufgrund der unterschiedlichen Meinungen innerhalb der Regierung nicht nachgewiesen werden, dass dieses Land wirklich essentiell für die Sicherung der Be- völkerung gem. Art 49 Abs 2 GK IV war.288 Zudem störte sich der Gerichthof daran, dass die Siedlerbewegung nicht vorhatte, die Sied- lungen nur temporär zu errichten, sondern eine dauerhafte Besiedelung dieses Gebietes anstrebte.289 So verweigerte der Gerichtshof die Siedlungsaktivitäten und gab den palästinensischen Klä- gern Recht.290 Diese Praxis stellt allerdings eine absolute Ausnahme dar.291

Aufgrund dieses Urteils entschlossen sich die folgenden Regierungen, das Schicksal der Siedlungsentscheidungen mehr oder weniger dem Gerichtshof aus der Hand zu nehmen. Sie erreichten das dadurch, indem sie die Genfer Konvention von nun an völlig außer Acht lie- ßen und damit begannen, in ihren Begründungen die Haager Landkriegsordnung, genauer gesagt den Art 55 der HLKO, welcher der Besatzungsmacht in Bezug auf die Besiedelung eroberter Gebiete viel mehr Spielraum gibt, zu verwenden. In diesem Artikel ist von einer militärischen Notwendigkeit keine Rede mehr, weswegen die Regierung sämtliches „herrenloses“ Land als öffentliche Fläche ausweisen konnte. Somit war es Israel möglich, fast die Hälfte des Westjordanlandes unter seine Kontrolle zu bekom-

285 Vgl. Kretzmer, The Occupation of Justice. The Supreme Court of Israel and the Occupied Territo- ries (2002), 85f. 286 Vgl. Supreme Court of Israel, Dweikat v. Government of Israel - The Elon Moreh Case, HCJ 390/79, In: Israel Yearbook of Human Rights (1979), Nr. 9. 287 Vgl. Israel Yearbook on Human Rights (1979), Nr. 9, 347. 288 Vgl. Kretzmer, The Occupation of Justice. The Supreme Court of Israel and the Occupied Territo- ries (2002), 86. 289 Vgl. Israel Yearbook on Human Rights (1979), Nr. 9, 350. 290 Vgl. Supreme Court of Israel, Dweikat vs. Government of Israel - The Elon Moreh Case, HCJ 390/79, In: Israel Yearbook of Human Rights (1979), Nr. 9. 291 Vgl. Supreme Court of Israel, Ayyub vs. Minister of Defense - The Beth El Case, HCJ 610/78, In: Israel Yearbook of Human Rights (1979), Nr. 9. Seite 53 men, da in diesem Gebiet rund 40% der Fläche niemandem direkt zugeordnet werden konn- te.292

Durch die Nichtanwendbarkeit des Art 49 Abs 6 GK IV, wegen mangelnder Transformation in innerstaatliches israelisches Recht und der international unterschiedlichen Meinungen in Bezug auf den Völkergewohnheitscharakter der Genfer Konventionen, wurde der Oberste Israelische Gerichtshof mehr oder weniger dazu degradiert, lediglich zu beurteilen, ob das Verhalten der israelischen Regierung im Westjordanland gegen Art 55 HLKO verstoßen wür- de und die errichteten Siedlungen bloß temporärer Natur seien oder nicht.293 Hierbei ist der Gerichtshof in seinen Beurteilungen auf die Glaubwürdigkeit und die Beteuerungen der je- weiligen Regierungen angewiesen, die sehr oft nur zum „Schein“ von temporären Siedlungen sprechen, um ein für sie angenehmes Urteil zu erwirken.294

3.4.2.3 Internationale Sicht Israel wird von der Staatengemeinschaft als Besatzer der Palästinensergebiete gesehen. Aus diesem Grund hat die internationale Gemeinschaft unter der Schirmherrschaft der UNO immer wieder in Resolutionen (siehe nachfolgend) ihre klare Ablehnung gegenüber den isra- elischen Siedlungsprogrammen zum Ausdruck gebracht. In diesen wurde wiederkehrend darauf hingewiesen, dass Israel mit dem Bau von Siedlungen gegen Art 49 Abs 6 GK IV ver- stoße und somit ganz klar geltendes Völkerrecht breche.295

Während Israel damit argumentiert, dass unter Art 49 Abs 6 GK IV lediglich die zwangsweise Umsiedlung oder Deportation der eigenen Bevölkerung falle,296 geht die überwiegende Mehrheit der Völkerrechtler davon aus, dass auch die freiwillige Besiedlung von besetztem Gebiet damit gemeint sei.297 Letztere haben im Jahr 2004 vom IGH in dessen Gutachten298 zum israelischen Mauerbau Unterstützung bekommen. Auch dieser sprach davon, dass jed- wede Siedlungsaktivitäten in besetztem Gebiet illegal seien und somit gegen Art 49 versto- ßen, unabhängig davon, ob dies freiwillig oder unfreiwillig geschehe. Dies bedeutet weiters, dass es Israel nicht nur verboten ist, solche Siedlungen zu fördern, sondern es als Besat-

292 Vgl. Kretzmer, The Occupation of Justice. The Supreme Court of Israel and the Occupied Territo- ries (2002), 90. 293 Vgl. Kreuz, Die Rolle des israelischen Höchstgerichtes im Nahost-Konflikt, In: juridikum (2011), Nr. 3, 308. 294 Vgl. Dinstein, The International Law of Belligerent Occupation (2009), 247. 295 Vgl. www.un.org/en/sc/documents/resolutions (04.03.2016); www.auswaertiges- amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Israel/Wirtschaft_node.html (04.03.2016). 296 Vgl. Israel National Section of the International Commission of Jurists, The Rule of Law in the Areas Administered by Israel (1981). 297 Vgl. Roberts, Prolonged Military Occupation: The Israeli-Occupied Territories since 1967 (1990), 84ff. 298 Vgl. International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories (2004); siehe Kapitel 4.3. Seite 54 zungsmacht sogar die Verpflichtung hat, seine eigenen Bürger davon abzuhalten, auf selb- ständiger Basis Siedlungen zu errichten.299

Auch in ihrer Rechtsansicht bezüglich der Gültigkeit der GK IV steht die israelische Regie- rung international völlig isoliert da. Sämtliche andere Staaten, ja selbst die engsten Verbün- deten Israels, wie beispielsweise die USA, klassifizieren den Bau von Siedlungen als Völker- rechtsverletzungen und lehnen diese Vorgehensweise strikt ab.300 Dies bestätigt auch die Haltung des UN-Sicherheitsrates, der Israel laufend mittels Resolutionen dazu auffordert, die Genfer Konvention zu akzeptieren und auch vollinhaltlich einzuhalten.301

3.5 Resolutionen der UNO in Bezug auf die Siedlungsakti- vitäten

Die Vereinten Nationen haben seit 1947 eine Reihe von Resolutionen wegen des Nahost- Konfliktes erlassen, um ihre Haltung gegenüber den verfeindeten Parteien immer wieder aufs Neue klarzumachen. Viele dieser Resolutionen hatten die israelischen Siedlungsaktivitäten in den besetzten Pa- lästinensergebieten zum Thema,302 welche die verschiedenen Regierungen Israels stets als nicht völkerrechtswidrig abgetan haben. Die relevantesten Resolutionen werden nachfolgend kurz genannt. Die genauen Argumentationen des offiziellen Israels gegenüber der internatio- nalen Gemeinschaft und deren Resolutionen wurden bereits besprochen.303

3.5.1 Resolution 242

Die Resolution 242304 ist die wahrscheinlich wichtigste und gleichzeitig umstrittenste Resolu- tion auf dem Weg zu einem dauerhaften Frieden zwischen Israelis, ihren arabischen Nach- barn und vor allem den Palästinensern.305 Zum ersten Mal wurde hierbei deutlich, was die

299 Vgl. Neugebauer, Der israelische Siedlungsbau in den palästinensischen Gebieten – eine Untersu- chung am Maßstab des Völkerrechts (2012), 14ff. 300 Vgl. www.diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/1441162/Israels-Siedlungsbau-eine- Provokation-der-ganzen-Welt (04.03.2016); www.auswaertiges- amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Israel/Wirtschaft_node.html (04.03.2016). 301 Vgl. Ammar, Die Rechtslage der israelischen Mauer in den besetzten palästinensischen Gebieten im Völkerrecht (2011), 30ff; S/RES/446 (1979); S/RES/452 (1979); S/RES/465 (1980). 302 Vgl. S/RES/242 (1967); S/RES/252 (1968); S/RES/446 (1979); S/RES/452 (1979); S/RES/465 (1980). 303 Siehe Kapitel 3.2.2; Kapitel 3.3; Kapitel 3.4.1.1; Kapitel 3.4.2.1. 304 Vgl. S/RES/242 (1967). 305 Siehe Kapitel 3.5.1.1; Kapitel 3.5.1.2. Seite 55 internationale Gemeinschaft von Israel in Bezug auf die besetzten Gebiete erwartet.306 Was im ersten Moment sehr einfach klingt, ist bis heute einer der entscheidenden Streitpunkte in den Bemühungen um eine Konfliktbeilegung.307

3.5.1.1 Entstehung Nach dem Sieg Israels im Sechstagekrieg und der darauffolgenden Besetzung von Gebieten der arabischen Nachbarn wandte sich die arabische Republik Ägypten an die Vereinten Na- tionen und beantragte eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates. Der Grund dieses An- trages war die Weigerung Israels, seine Truppen aus den eroberten Gebieten zurückzuzie- hen. In diesem Zusammenhang verabschiedete der Sicherheitsrat, dessen Resolutionen im Ge- gensatz zu jenen der Generalversammlung rechtlich verbindlich sind,308 die Resolution 242, deren Entwurf von dem ständigen Sicherheitsratsmitglied Großbritannien309 stammte. Diese Resolution wurde letztendlich nicht unter Kapitel VII der UN-Charta („Maßnahme bei Bedro- hung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen“), wie es die arabischen Mitglie- der der UNO verlangten, sondern unter Kapitel VI („friedliche Beilegung von Streitigkeiten“) verabschiedet, weshalb alle Versuche der Araber, Israel von der UN als Aggressor des Sechstagekrieges verurteilen zu lassen, fehlschlugen.310

3.5.1.2 Unterschiede bei der Übersetzung 1967 beschränkten sich die offiziellen Amtssprachen der UNO auf Französisch und Englisch. Sämtliche Texte wurden in diesen beiden Sprachen abgefasst. Dass die Übersetzung nicht immer einheitlich ist und dadurch zu großen Problemen führen kann, führt uns die Resolution 242 deutlich vor Augen.311 Das Ziel dieser Resolution war eindeutig die Befriedung der Region. Dies konnte allerdings nur durch einen Abzug der israelischen Truppen aus (den) besetzten Gebieten erfolgen.312 Leider wird die Resolution 242 bis heute aufgrund der zwei verschiedenen Übersetzungen unterschiedlich interpretiert, was im Ergebnis einen erheblichen Unterschied macht. Während in der englischen Fassung313 nur vom Rückzug aus besetzten Gebieten die Rede ist, spricht die französische Version314 von einem Rückzug aus den besetzten Gebieten. Is-

306 Vgl. S/RES/242 (1967). 307 Siehe Kapitel 3.5.1.2. 308 Vgl. Art 25 UNCh; Art 27 Abs 3 UNCh. 309 Vgl. Art 23 Abs 1 UNCh. 310 Vgl. Shamgar, Erklärungen zu UN-Sicherheitsratsresolution 242 zum Nahen Osten (1967). 311 Vgl. Shamgar, Erklärungen zu UN-Sicherheitsratsresolution 242 zum Nahen Osten (1967). 312 Vgl. Hirsch/Housen-Couriel/Lapidoth, Whither Jerusalem (1995), 7. 313 Vgl. S/8247 (1967); www.unispal.un.org/DPA/DPR/unispal.nsf/5ba47a5c6cef541b802563e000493b8c/7d35e1f729df491c8 5256ee700686136/$FILE/French%20Text.pdf (06.03.2016). Seite 56 rael akzeptierte die Resolution unter der Bedingung der englischen Fassung, was so viel bedeutet, dass eben nicht alle besetzten Gebiete gemeint seien. Hingegen interpretierten die arabischen Staaten einhellig die Resolution in der französischen Fassung, die gerade von einer Rückgabe von allen Gebieten ausgeht.315

Der damalige britische Botschafter bei der UN, Lord Caradon,316 erklärte später mehrmals öffentlich, dass diese Passage bewusst ungenau gehalten wurde.317 Doch genau diese Un- genauigkeit und der damit verbundene Unterschied in der Auffassung der Resolution ist bis heute eines der Hauptstreitthemen zwischen den Israelis und den Palästinensern und eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einer Zweistaatenlösung.318

3.5.2 Weitere Resolutionen des UN-Sicherheitsrates

In der Resolution 252 erklärt der UN-Sicherheitsrat am 21. Mai 1968 ausdrücklich, dass jeg- liche Änderung des Status von Jerusalem sowie die Enteignungen von palästinensischen Grundstücken und Immobilien gegen das Völkerrecht verstoßen und somit nichtig seien.319 Am 22. März 1979 stellte der UN-Sicherheitsrat erneut fest, dass die Gründung von Siedlun- gen in den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten keinerlei rechtliche Gültigkeit habe. Zudem stelle diese Art der Politik und Praxis Israels ein ernstes Hindernis dar, um in der Region einen dauerhaften Frieden zu sichern. Deshalb wurde in der Resolution 446 auch eine UN-Kommission etabliert, deren Aufgabe es ist, die Situation und den damit zusammenhängenden Siedlungsbau Israels in den palästi- nensischen und arabischen Gebieten inklusive Jerusalems vor Ort genau zu untersuchen.320 Auch die Resolution 452 des UN-Sicherheitsrates, die im selben Jahr wie die Resolution 446 verabschiedet wurde, hat die illegalen Siedlungsaktivitäten Israels zum Gegenstand. Hierbei

314 Vgl. Résolutions et Décisions du Conseil de Sécurité 242; www.unispal.un.org/DPA/DPR/unispal.nsf/5ba47a5c6cef541b802563e000493b8c/7d35e1f729df491c8 5256ee700686136/$FILE/French%20Text.pdf (06.03.2016). 315 Vgl. www.wienerzeitung.at/dossiers/nahostkonflikt/hintergrund_nahostkonflikt/398525_Dokumentation- UNO-Resolutionen-zum-Nahost-Konflikt.html (24.11.2014). 316 Vgl. www.nytimes.com/1990/09/07/obituaries/lord-caradon-britain-s-delegate-to-un-in-1960-s-is- dead-at-82.html (06.03.2016). 317 Lord Caradon, In: Radio Kol Israel (1973): „The essential phrase which is not sufficiently recogni- zed is that withdrawal should take place to secure and recognized boundaries, and these words were very carefully chosen: they have to be secure and they have to be recognized. They will not be secure unless they are recognized. And that is why one has to work for agreement. This is essential I would defend absolutely what we did. It was not for us to lay down exactly where the border should be. I know the 1967 border very well. It is not a satisfactory border, it is where troops had to stop in 1947, just where they happened to be that night, that is not a permanent boundary … “. 318 Siehe Kapitel 2.7.4; Kapitel 4. 319 Vgl. S/RES/252 (1968). 320 Vgl. S/RES/446 (1979). Seite 57 wurde erneut betont, dass sämtliche israelische Siedlungen im Westjordanland, im Gaza- streifen, in Ostjerusalem, auf den Golanhöhen als absolut illegal betrachtet werden. Weiters wurde die israelische Regierung dazu aufgerufen, sämtliche mit der Siedlung zu- sammenhängende Tätigkeiten, wie die Gründung oder Planung von Siedlungen, zu unterlas- sen. Jede Missachtung wäre ein Verstoß gegen geltendes Völkerrecht. Dies leitet sich ein- deutig aus der Genfer Konvention IV zum Schutz der Zivilbevölkerung in Kriegszeiten ab, welche Israel ebenfalls ratifiziert hat.321 Mit Verweis auf die bereits verabschiedeten Resolutionen des UN-Sicherheitsrates 237, 252, 267, 271, 298 drückt die internationale Gemeinschaft mittels Resolution 465 erneut ihre Be- sorgnis über die israelische Siedlungspolitik aus. Die Resolution beinhaltet auch einen weite- ren Aufruf zur Unterlassung diesbezüglicher Tätigkeiten und verweist einmal mehr auf die Genfer Konvention IV. Gleichzeitig beklagt der UN-Sicherheitsrat, dass die israelische Politik dennoch unvermindert an den aus völkerrechtlicher Sicht illegalen Praktiken festhalte und fordert sowohl die Regie- rung als auch die Bevölkerung auf, damit aufzuhören und die bestehenden Siedlungen wie- der abzubauen. Israel wird zudem kritisiert, nicht mit der durch die Resolution 446 aufgestellten UN- Kommission zusammenzuarbeiten. Gleichzeitig wird eine Bitte an diese Kommission gerich- tet, die Situation in den besetzten Gebieten weiterhin zu untersuchen und dabei besonders auf eventuelle Ausbeutungen von natürlichen Ressourcen zu achten.322

3.6 Zusammenfassung Kapitel 3

Nach dem Ende des Sechstagekrieges und der darauffolgenden Besatzung der Westbank durch Israel begann die Besiedelung dieses Gebietes durch jüdische Familien. Diese inter- national höchst umstrittenen Siedlungen sind bis heute ein Streitpunkt auf dem Weg zu ei- nem dauerhaften Frieden zwischen Israel und den Palästinensern.323 Laut internationaler Ansicht verstoßen diese Siedlungen gegen eine Reihe von geltenden völkerrechtlichen Normen. So wird Israel von der Staatengemeinschaft als Besatzer der Pa- lästinensergebiete gem. Art 42 HLKO gesehen, auch wenn Israel selbst nicht von einer Be- satzung spricht. Jedoch lässt sich diese Tatsache aus der vollständigen Kontrolle, die Israel über die Zivilbevölkerung des Gazastreifens und der Westbank ausübt, ableiten, obwohl sich die israelische Armee nicht ständig auf sämtlichen besetzten Gebieten befindet. Zudem führ- te Israel auf jenen Palästinensergebieten israelisches Recht ein, auf denen israelische Sied-

321 Vgl. S/RES/452 (1979). 322 Vgl. S/RES/465 (1980). 323 Siehe Kapitel 3.1. Seite 58 lungen entstanden, was im klaren Widerspruch zu Art 43 HLKO steht. Auch wurde mit dem Abreißen von palästinensischen Häusern Art 46 HLKO verletzt, da Israel damit das darin verankerte Recht von Zivilisten in besetzten Gebieten auf Eigentum nicht respektiert.324 Ebenso dürfe Israel laut der vierten Genfer Konvention nicht Teile seiner eigenen Bevölke- rung in besetztes Gebiet umsiedeln. Doch erkennt die israelische Regierung die Anwendbar- keit der Genfer Konvention nicht an, weil man sie nicht in innerstaatliches Recht transformiert habe. Somit würde diese für Israel, laut dessen Regierung, nicht gelten, weswegen man auch nicht völkerrechtswidrig handeln würde. Diese Argumentation wird allerdings von der internationalen Gemeinschaft ebenso wie vom Obersten Gerichtshof in Israel durchgehend abgelehnt. Selbst die engsten Verbündeten Israels, wie die USA oder die europäischen Staaten, sehen in der Besiedelung der Westbank durch israelische Staatsbürger einen kla- ren Verstoß gegen das geltende Völkerrecht. Auch das Argument, wonach solche Siedlun- gen dem Schutz des israelischen Territoriums dienen würden, da man dadurch Terroristen weiter zurückdrängen könne, fand bei der internationalen Staatengemeinschaft kein Ge- hör.325 Letztere machte ihre Position in diversen Resolutionen deutlich.326

324 Siehe Kapitel 3.2. 325 Siehe Kapitel 3.4. 326 Siehe Kapitel 3.5. Seite 59 4 Die „Mauer“

4.1 Entwicklung

Nachdem der damalige israelische Oppositionsführer Ariel Scharon am 28. September 2000 den Felsendom, der unter arabischer Verwaltung stand, besucht hatte, brach die sogenannte zweite Intifada aus.327 Schon am Tag nach dem Besuch begannen schwere Ausschreitungen, bei denen vier Men- schen ums Leben kamen und mehr als 100 verletzt wurden. Dies war der Auftakt zu einem fünf Jahre dauernden gewaltsamen Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Unmittelbar nach dem Ausbruch der zweiten Intifada kam es innerhalb Israels politisch zu einem deutlichen Rechtsruck, bei dem Ariel Scharon und sein Likud Block einen deutlichen Wahlsieg einfuhren und er selbst das Amt des Ministerpräsidenten bekleidete.328 Dies verschärfte die Spannungen zwischen den zwei Völkern noch mehr, woraufhin es zwi- schen September 2000 und März 2004 zu mehr als 700 Attentaten palästinensischer Extre- misten in Israel kam.329 Diese brutalen Attentate, die überall und jederzeit mittels Autobomben, Granaten, Feuerwaf- fen, Selbstmordkommandos… passieren konnten, veranlassten die israelische Regierung zum Umdenken. Obwohl Ministerpräsident Ariel Scharon sowie die übrigen rechten Parteien in der Knesset stets gegen den Bau einer Mauer waren, beschlossen sie im Jahr 2002 die Errichtung einer Sicherheitsbarriere (die Mauer),330 die das Westjordanland vom israelischen Territorium abgrenzen sollte. Damit vollzogen sie einen, für rechte Parteien normalerweise undenkbaren, Tabubruch. Da gerade jene Gruppierungen von einem sogenannten Großisra- el träumten, dem das Westjordanland angehörte, lehnten sie eine Teilung zwischen Israel und den besetzten Gebieten immer strikt ab, weil diese einer endgültigen Grenzziehung gleichkommen würde. Doch angesichts der unzähligen Terrorangriffe sahen sich auch diese Parteien gezwungen, das international höchst umstrittene Projekt zu unterstützen.331

Mit dem Bau der Mauer wurde bereits 2003 begonnen und sie sollte insgesamt eine Länge von 759 km haben. Das Ziel war, ein richtiges Bollwerk zu schaffen, das es den Terroristen unmöglich machen sollte, auf israelisches Staatsgebiet zu gelangen. Mit Kosten von rund

327 Vgl. Schäuble/Flug, Die Zweite Intifada und der Bau der Barriere (2008). 328 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 226ff. 329 Vgl. www.mfa.gov.il/MFA (08.03.2016). 330 Vgl. Dinstein, The International Law of Belligerent Occupation (2009), 247f. 331 Vgl. Kretzmer, The Supreme Court of Israel: Judicial Review during Armed Conflict, In: German Yearbook of International Law (2004), Nr. 47, 441. Seite 60 940.000 Euro pro Kilometer wurde schlussendlich eine wahre Festung errichtet, die heute teilweise bis zu acht Meter hoch ist, einen elektrischen Sperrzaun, vollständige Kamera- überwachung, Wachtürme, Gräben und andere Hindernisse beinhaltet.332 Diese Sicherheitsbarriere sollte ursprünglich entlang der sogenannten „Grünen Linie“, wel- che die Grenze zwischen Israel und dem Westjordanland seit 1967 darstellte,333 gebaut wer- den. Diese Vorgehensweise stellte an sich völkerrechtlich kein Problem dar, doch verlief die Mauer nach ihrer Fertigstellung eben nicht exakt entlang der Grünen Linie, sondern wich immer wieder von dieser ab334 und ragte an der weitesten Stelle bis zu 22 km in das Palästi- nensergebiet hinein. Dadurch wurde erreicht, dass 85% der israelischen Siedler im Westjor- danland nun direkt mit dem israelischen Staatsgebiet verbunden waren.335 Genau in dieser Abweichung und Eingliederung der israelischen Siedlungen sieht die inter- nationale Gemeinschaft einen Verstoß gegen das Völkerrecht, da Israel auf fremdem Territo- rium einen Sperrwall errichtete, welcher das Westjordanland teilt. In jenem Teil der West- bank, der nun auf der israelischen Seite liegt, sehen die Vereinten Nationen eine Tatsachen- schaffung und einen Versuch der Annexion dieser Gebiete.336

4.2 Sicht des Obersten Gerichtshofes in Israel

Am 30.06.2004 entschied der Oberste Gerichtshof in der Sache Beit Sourik Village Council vs. The Government of Israel.337 Diese Entscheidung spiegelt den Versuch des Obersten Gerichtshofes wider, seine Urteile zu stärken, indem er bei diesen die aktuellen Bestimmun- gen des Kriegsvölkerrechts als Rechtsgrundlage heranzieht. Damit strebt der Gerichthof an, die Handlungen der Besatzungsbehörden zu legitimieren.338 Besondere Brisanz erhielt das Urteil, weil es nur wenige Tage vor dem Gutachten des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag zum Mauerbau in Israel erlassen wurde.339

Im vorliegenden Fall hatte sich der Oberste Gerichthof damit beschäftigt, ob der Verlauf der Mauer den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit gerecht wird oder nicht. Anlass für die Ge-

332 Vgl. Vieweger, Streit um das heilige Land4 (2013), 243; Dinstein, The International Law of Bellige- rent Occupation (2009), 248. 333 Vgl. Dinstein, The International Law of Belligerent Occupation (2009), 247f; Avidan, Israel: Ein Staat sucht sich selbst (2008), 57ff. 334 Vgl. Kreuz, Die Rolle des israelischen Höchstgerichtes im Nahost-Konflikt, In: juridikum (2011), Nr. 3, 299f. 335 Vgl. Wild, Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina (2013), 112. 336 Siehe Kapitel 4.3.2.3. 337 Vgl. Supreme Court of Israel, Beit Sourik Village Council vs. The Government of Israel and the Commander of the IDF Forces in the West Bank (2004), HCJ 2056/04. 338 Vgl. Johann, Menschenrechte im internationalen bewaffneten Konflikt (2012), 194. 339 Vgl. International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories (2004). Seite 61 richtsentscheidung war, dass mehrere Bewohner des Ortes Beit Sourik sich mittels mehrerer Petitionen an den Gerichtshof gewandt hatten, da ihrer Ansicht nach ihr Recht auf Eigentum sowie ihr Recht auf Bewegungsfreiheit durch den geplanten Mauerverlauf in einer unverhält- nismäßigen Art geschädigt worden seien. Überraschenderweise gab der Oberste Gerichthof den Klägern Recht und erklärte die Ent- eignung des Landes rund um die Ortschaft Beit Sourik für nichtig. Aufgrund der judizierten Unverhältnismäßigkeit der Mauer in diesem Abschnitt musste das Militär daraufhin für die Sperranlage auf einer Länge von 30 km nordwestlich von Jerusalem einen anderen Verlauf suchen, der nicht so einen großen Schaden für die Betroffenen bedeuten würde.340 Ein ähnliches Urteil fällte der Gerichtshof auch in der Entscheidung Mara'ab vs. The Prime Minister of Israel. Auch hierbei musste das Militär schlussendlich eine alternative Route für den Bau der Mauer wählen, da man das Prüfen von anderen Möglichkeiten bezüglich des Verlaufs der Mauer vernachlässigt hatte.341 Doch nicht nur die Nichtigerklärung der Enteignungen palästinensischen Eigentums war im Fall Beit Sourik von großer Bedeutung. So wurde vom israelischen Höchstgericht judiziert, dass das Westjordanland von Israel in kriegerischer Besatzung gehalten werde und somit das israelische Militär nicht Souverän der besetzten Gebiete sei. Demzufolge würde auch das israelische Recht in diesen Gebieten keine Anwendung finden, da diese Territorien nicht von Israel annektiert wären. Vielmehr würde das geltende internati- onale Kriegsrecht für besetzte Gebiete Anwendung finden. Hierbei spricht sich der Oberste Gerichtshof eindeutig für die Anwendbarkeit der vierten Genfer Konvention aus342 und wider- spricht damit der Ansicht der israelischen Regierung.343 Ebenso hielt der OGH in diesem Zusammenhang fest, dass auch die Haager Landkriegsordnung 1907 (insbesondere Art 46344 und 52345) ebenfalls für die besetzten Gebiete gültig sei, was allerdings aufgrund der Tatsache, dass die HLKO bereits als Völkergewohnheitsrecht galt,346 keine große Überra- schung war.

340 Vgl. Supreme Court of Israel, Beit Sourik Village Council vs. The Government of Israel and the Commander of the IDF Forces in the West Bank (2004), HCJ 2056/04. 341 Vgl. Supreme Court of Israel, Mara'ab vs. The Prime Minister of Israel (2005), HCJ 7957/04. 342 Vgl. Supreme Court of Israel, Beit Sourik Village Council vs. The Government of Israel and the Commander of the IDF Forces in the West Bank (2004), HCJ 2056/04. 343 Siehe Kapitel 3.4.1.1. 344 Art 46 HLKO: „Die Ehre und die Rechte der Familie, das Leben der Bürger und das Privateigentum sowie die religiösen Überzeugungen und gottesdienstlichen Handlungen sollen geachtet werden. Das Privateigentum darf nicht eingezogen werden.“ 345 Art 52 HLKO: „Naturalleistungen und Dienstleistungen können von Gemeinden oder Einwohnern nur für die Bedürfnisse des Besetzungsheers gefordert werden. Sie müssen im Verhältnisse zu den Hilfsquellen des Landes stehen und solcher Art sein, dass sie nicht für die Bevölkerung die Verpflich- tung enthalten, an Kriegsunternehmungen gegen ihr Vaterland teilzunehmen. Derartige Natural- und Dienstleistungen können nur mit Ermächtigung des Befehlshabers der besetz- ten Örtlichkeit gefordert werden. Die Naturalleistungen sind so viel wie möglich bar zu bezahlen. Anderenfalls sind dafür Empfangsbe- stätigungen auszustellen; die Zahlung der geschuldeten Summen soll möglichst bald bewirkt werden.“ 346 Siehe Kapitel 3.2.1. Seite 62 Dennoch entschied das israelische Höchstgericht gleichzeitig, dass das Militärkommando im Westjordanland, wenn es die Sicherheit ausdrücklich erfordere, berechtigt sei,347 „Tren- nungszäune“348 zu errichten. Gleichzeitig schränkt es aber ein, dass ein Zaun nur errichtet werden dürfe, wenn er unter dem notwendigen Aspekt der Sicherheit aufgestellt werde. Jed- wede Errichtung aus politischen Motiven, wie z.B. der Versuch der Annektierung eines Ge- bietes mittels Zaun, sei ausdrücklich untersagt. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass ein solches Gebiet schon lange unter der Besatzung Israels stehe. Im Falle eines Baus eines Trennungszaunes muss das Interesse der lokalen Bevölkerung berücksichtigt und somit eine Balance zwischen den Palästinensern und den Interessen der Israelis geschaffen werden. Sollte Personen durch die Errichtung dennoch ein Schaden zu- gefügt werden, so ist diesen eine Entschädigung zuzuweisen, um den erlittenen Nachteil auszugleichen.349

4.3 Internationale Sicht

Am 8. Dezember 2003 ersuchte die UN-Generalversammlung den Internationalen Gerichts- hof in Den Haag mittels Resolution ES-10/14 um ein Gutachten bezüglich des israelischen Mauerbaus im Westjordanland.350

4.3.1 Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes?

Israel versuchte umgehend die Entscheidungskompetenz des IGH in diesem Fall zurückzu- weisen, indem man behauptete, dass es sich hierbei um eine rein politische Frage handle und somit der Gerichtshof seine Kompetenzen ganz klar überschritten hätte.351 Darüber hin- aus wurde dem IGH vorgeworfen, dass er nicht genug Beweise hätte und die Faktenlage sein Wissen übersteigen würde, sodass er nicht zu einem fundierten Ergebnis kommen kön- ne.352

347 Vgl. Supreme Court of Israel, Beit Sourik Village Council vs. The Government of Israel and the Commander of the IDF Forces in the West Bank (2004), HCJ 2056/04. 348 Das Wort „Trennungszaun“ wurde vom Gerichthof in seiner Entscheidung verwendet. 349 Vgl. Supreme Court of Israel, Beit Sourik Village Council vs. The Government of Israel and the Commander of the IDF Forces in the West Bank (2004), HCJ 2056/04. 350 Vgl. A/RES/ES-10/14 (2003). 351 Vgl. www.ag-friedensforschung.de/regionen/Nahost/mauer-igh.html (14.02.2016); Zustimmend: Eckstein, Die Vereinbarkeit der De-Facto-Annexion mit dem Völkerrecht (2011), 197. 352 Vgl. Oellers-Frahm, Israel und die Mauer (2005), 104ff; Kretzmer, The Supreme Court of Israel: Judicial Review during Armed Conflict, In: German Yearbook of International Law (2004), Nr. 47, 445f. Seite 63 Dem Argument Israels widersprach der IGH jedoch und begründete seine Zuständigkeit mit Art 65 Abs 1 IGH Statut,353 wonach jedes Organ bzw. jede Organisation, die durch die Sat- zung der Vereinten Nationen eingerichtet wurde, Gutachten vom IGH verlangen könne, so- wie Art 96 UN-Charta,354 welcher der Generalversammlung ausdrücklich das Recht erteilt, sich an den IGH zu wenden. Zudem seien Fragen, die das internationale Recht betreffen, häufig politische Fragen, die allesamt einer juristischen Untersuchung unterliegen können, da Politik kein rechtsfreier Raum sei. Außerdem würde die juristische Bewertung lediglich eine Ergänzung zum politischen Prozess bedeuten und diesen nicht ersetzen.355 Deshalb stelle die parallele Überprüfung des Mauerbaus des IGHs zum Obersten Gerichtshofs in Is- rael auch keinen Eingriff in die Souveränität von Israel dar und könne somit nicht als Einmi- schung in innere Angelegenheiten gewertet werden.356 Darüber hinaus verfüge der IGH, entgegen der Meinung Israels, sehr wohl über genügend Beweismaterial, um in dieser Frage ein Gutachten erstellen zu können.357 Auch sei die Antragsberechtigung der Generalversammlung gegeben, obgleich sich der UN- Sicherheitsrat bereits mit dem Thema „beschäftig“ hatte und dies demnach Art 12 Abs 1 UN- Charta, der Empfehlungen der Generalversammlung während der Befassung des Sicher- heitsrates verbietet,358 widersprechen könnte. Jedoch sei zum einen der Sicherheitsrat eben nicht effektiv mit dem Thema beschäftigt gewesen, da er sich durch ein Veto eines Ständi- gen Mitgliedes selbst blockiert hatte und deshalb zu keiner Entscheidung gelangen konnte. Zum anderen würde es sich im vorliegenden Fall auch nicht um eine Empfehlung handeln, da das Einholen eines Gutachtens nicht als solche qualifiziert werden könne. Somit bestünde die Antragslegitimation der Generalversammlung im vollen Umfang. Der IGH ging sogar noch einen Schritt weiter und meinte,359 dass die Generalversammlung laut der Resolution 377 A360 sogar dazu aufgefordert gewesen sei, selbst initiativ zu werden.361 Ebenso wurde das Argument Israels zurückgewiesen, wonach die Palästinenser gar kein Beschwerderecht hätten, da sie die Eskalation der Situation selbst zu verantworten hätten. Jedoch habe nicht Palästina ein Gutachten vom IGH verlangt, sondern die Generalversamm-

353 Art 65 Abs 1 IGH-Statut: „Der Gerichtshof kann über jede Rechtsfrage ein Gutachten erstatten, und zwar auf Verlangen jedes Organs oder jeder Organisation, die durch die Satzung der Vereinten Natio- nen oder gemäß ihren Bestimmungen ermächtigt sind, ein Gutachten zu verlangen.“ 354 Art 96 Abs 1 UN-Charta: „Die Generalversammlung oder der Sicherheitsrat kann über jede Rechts- frage ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofs anfordern.“ 355 Vgl. International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories (2004); International Court of Justice, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons (1996). 356 Vgl. Lucht, Der Internationale Gerichtshof – Zwischen Recht und Politik (2011), 66. 357 Vgl. Oellers-Frahm, Israel und die Mauer (2005), 104ff. 358 Art 12 Abs 1 UN-Charta: „Solange der Sicherheitsrat in einer Streitigkeit oder einer Situation die ihm in dieser Charta zugewiesenen Aufgaben wahrnimmt, darf die Generalversammlung zu dieser Streitigkeit oder Situation keine Empfehlung abgeben, es sei denn auf Ersuchen des Sicherheitsrats.“ 359 Vgl. International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories (2004). 360 Vgl. A/RES/377 (V) (1950). 361 Vgl. International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories (2004). Seite 64 lung war mittels Resolution ES-10/14 der Antragsteller. Somit sei der Adressat des Gutach- tens des IGHs auch kein einzelner Staat (Palästina), sondern eben die Generalversamm- lung, die gem. Art 96 Abs 1 UN-Charta ausdrücklich dazu ermächtigt ist, ein Gutachten zu verlangen. Der Spruch der Richter des IGHs bezüglich der Bejahung seiner Zuständigkeit wurde schlussendlich einstimmig verabschiedet.362

4.3.2 Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes

4.3.2.1 Anwendbares Recht Zuallererst wies der Internationale Gerichtshof in Den Haag auf das Verbot von Androhung oder Anwendung von Gewalt hin, um sich Territorien durch solche Mittel anzueignen. Dies findet sich explizit in Art 2 Abs 4 UN-Charta363 sowie in der Resolution 2625 (“Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Co-operation among Sta- tes”)364 der Generalversammlung wieder. In diesem Zusammenhang wurde auch auf Artikel 1 des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte hingewiesen, welcher das Recht auf Selbstbestimmung jedes Volkes ganz klar festschreibt. Dieses Recht müsse von jedem Staat respektiert werden, da es heute als Recht erga omnes gilt.365 Ebenso wurde erkannt, dass, selbst wenn Israel kein Vertragsstaat der Haager Landkriegs- ordnung366 sei, sich die dort angeführten Bestimmungen dennoch auf den gegenwärtigen Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern beziehen würden, da es sich bei der HLKO um Völkergewohnheitsrecht handle.367 Eine der entscheidenden Fragen war, ob die Genfer Konvention IV beim israelischen Mauer- bau Anwendung findet oder nicht. Während Israel dies vehement ablehnt,368 kommt der In- ternationale Gerichtshof zu einer anderen Entscheidung und wendet die Konvention de jure an. Begründet wurde dies damit, dass sowohl Israel als auch Jordanien Vertragsstaaten sei- en und sich auch die PLO, welche zur damaligen Zeit der offizielle Vertreter Palästinas war, dieser unterworfen habe. Zudem sei es nicht relevant, dass die Annektierung der Westbank

362 Vgl. International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories (2004); Zustimmend: Oellers-Frahm, Israel und die Mauer (2005), 107. 363 Art 2 Abs 4 UN-Charta: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede ge- gen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“ 364 Vgl. A/RES/25/2625 (1970). 365 Vgl. International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories (2004). 366 Vgl. Kuhl, Die Untersuchungs- und Berichtstätigkeit des „Special Committee to Investigate Israeli Practices“ der Generalversammlung der Vereinten Nationen (1995), 282. 367 Vgl. Greenwood in Fleck (Hrsg), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflik- ten (1994), 18; Kretzmer, International Law in Domestic Courts (2008), 7; International Court of Justi- ce, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestini- an Territories (2004); siehe Kapitel 3.2.1. 368 Siehe Kapitel 3.4.1.1. Seite 65 durch Jordanien von der internationalen Staatengemeinschaft nie anerkannt wurde. Vielmehr müssen für die Anwendbarkeit von Art 2 GK IV lediglich zwei Bedingungen kumulativ erfüllt sein. Erstens muss es sich um einen bewaffneten Konflikt handeln und zweitens muss der Konflikt zwischen zwei Vertragsstaaten vorherrschen. Jedoch hielt der IGH hierbei dezidiert fest, dass die zweite Voraussetzung weit auszulegen sei, da es bei Art 2 der GK IV in erster Linie um den Schutz der Zivilbevölkerung ginge und dies unabhängig vom rechtlichen Status des besetzen Gebietes zu sehen sei. Aufgrund dessen ergibt sich eine Anwendbarkeit der Genfer Konvention auch für die Palästinensergebiete, obgleich Palästina zur damaligen Zeit (ebenso wie heute) kein souveräner Staat ist.369 Ebenfalls vom IGH für anwendbar erklärt wurden die internationale Menschrechtskonventi- on370 sowie das humanitäre Völkerrecht. Während der IGH bei der Menschenrechtskonventi- on darauf hinwies, dass diese ohnehin jederzeit anwendbar sei, beziehe sich das humanitäre Völkerrecht ausschließlich auf Kriegszeiten. Solche wurde im Falle des Gazastreifens und der Westbank bejaht, weswegen die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts für diese Gebiete ebenfalls einschlägig sind.371 Abschließend wurden vom Gericht auch noch weitere internationale Abkommen über zivile und politische, ökonomische und soziale Rechte,372 Rechte der Kinder373 sowie die Resoluti- onen der Generalversammlung und des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen als an- wendbar anerkannt.374

4.3.2.2 Ergebnis Am 9. Juli 2004 veröffentlichte der Internationale Gerichtshof in Den Haag schließlich sein ausführliches Gutachten zum israelischen Mauerbau. Darin ging das höchste Gericht der Vereinten Nationen, das aus 15 Richtern bestand, auf die Argumente Israels ein und kam schließlich mit 14 Ja-Stimmen zu einer Gegenstimme zu dem Ergebnis, dass es sich beim Mauerbau in den besetzten Gebieten sowie in Ostjerusalem um eine Völkerrechtsverletzung handle. Mit dem gleichen Stimmergebnis entschied der IGH, dass Israel verpflichtet sei, sämtliche Arbeiten an jenen Teilen der Mauer, welche auf palästinensischen Gebieten gebaut würden, einzustellen und die bereits bestehenden wieder abzureißen. Damit solle der internationale Rechtsbruch beendet werden. Gleichzeitig müsse Israel jenen Menschen Schadenersatz leisten, welche durch den Bau der Mauer Schaden erlitten hätten.

369 Vgl. International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories (2004). 370 Vgl. UN-Menschrechtskonvention (1948). 371 Vgl. International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories (2004). 372 Vgl. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (1966). 373 Vgl. UN-Kinderrechtskonvention (1989). 374 Vgl. S/RES/446 (1979); S/RES/452 (1979); S/RES/465 (1980). Seite 66 Mit 13 Ja-Stimmen zu zwei Gegenstimmen wurde darüber hinaus beschlossen, dass kein Staat die illegale Situation anerkennen dürfe, und jegliche Unterstützung Israels, die den Bruch internationalen Rechts ermöglicht, zu unterlassen sei. Weiters sei es die Pflicht all jener Staaten, welche die Genfer Konvention IV ratifiziert hätten, sicherzustellen, dass Israel das geltende Völkerrecht einhalte. Erneut mit 14:1 Stimmen wurden die Generalversammlung sowie der Sicherheitsrat dazu aufgefordert, weitere Schritte zu setzen, um die rechtswidrige Situation zu beenden.375

4.3.2.3 Begründung Festgehalten wurde, dass es unstreitig ein palästinensisches Volk gäbe, auch wenn dieses noch keinen eigenen Staat hätte. Somit könne sich diese Volksgruppe auch auf das Selbst- bestimmungsrecht gem. Artikel 1 des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte berufen. Dieses würde allerdings durch den Bau der Mauer deutlich untergraben, da dieser Wall rund 17% des Westjordanlandes Richtung Israel einschließe376 und durch diese de facto Annexion fast 160.000 Palästinenser in Enklaven festgesetzt wären.377 Dem Argument Israels, wonach die Mauer auf keinen Fall dazu da sei, um Grenzen zu etab- lieren, hielt der IGH entgegen, dass es sich hierbei dennoch um Tatsachenschaffung handle. Außerdem bezweifle der IGH aufgrund der völkerrechtswidrigen Errichtung von Siedlungen gem. Art 49 Abs 6 GK IV in den Palästinensergebieten, dass der Bau der Mauer lediglich dem Sicherheitsaspekt diene. Vielmehr werde vermutet, dass Israel mit dem Mauerbau ver- suche, sein Territorium zu vergrößern und diese Gebiete zu annektieren. Denn sollte die Mauer bestehen bleiben, würde es sich unzweifelhaft um eine völkerrechtswidrige Annexion palästinensischer Gebiete handeln.378 Mit dem Bau von Mauern rund um ganze palästinensische Städte verstoße Israel auch ge- gen Art 12 Abs 1 des internationalen Paktes über politische und bürgerliche Rechte379 sowie Rechte auf Arbeit, Gesundheit, Bildung und angemessenen Lebensstandard, welche im in- ternationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte380 festgeschrieben sind. In diesem Punkt bemängelt der IGH die fehlende Bewegungsfreiheit der Palästinenser, die sich durch die Mauer ergibt. Während israelischen Siedlern keinerlei Einschränkungen wider- fahren, wird der palästinensischen Bevölkerung das Recht auf Bewegungsfreiheit nicht zu- teil. Dadurch ergeben sich ernsthafte Konsequenzen für die Letztgenannten in Bezug auf die

375 Vgl. International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories (2004). 376 Vgl. International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories (2004); Dazu kritisch: Dinstein, The International Law of Belligerent Occupation (2009), 250f. 377 Vgl. Karimi-Schmidt, Der Israel-Palästina Konflikt aus der Sicht des Völkerrechts (2015), 68. 378 Vgl. International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories (2004). 379 Vgl. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (1966). 380 Vgl. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1966). Seite 67 Gesundheitsversorgung, Bildung, Landwirtschaft sowie vor allem die Versorgung mit Was- ser. Kein Rechtfertigungsgrund für Israel bildet auch Art 53 GK IV, laut dem Enteignungen auf- grund von dringenden militärischen Notwendigkeiten durchgeführt werden können. Der IGH erachtet die Enteignungen in den Palästinensergebieten unter Berücksichtigung aller Um- stände hingegen nicht als dringend militärisch notwendig, weswegen Art 53 GK IV nicht ein- schlägig ist. Gemäß dem IGH-Gutachten kann sich Israel auch nicht auf das Selbstverteidigungsrecht gem. Art 51 UN-Charta und381 die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates 1368382 sowie 1373 berufen.383 Art 51 UN-Charta: „Keine Bestimmung der vorliegenden Satzung beeinträchtigt das Natur- recht individueller oder kollektiver Selbstverteidigung, wenn ein Angriff mit Waffengewalt ge- gen ein Mitglied der Vereinten Nationen erfolgt, (…)“ Dieses hier umschriebene Selbstverteidigungsrecht wird aus zwei Gründen vom IGH strikt abgelehnt. Zum einen würde sich die Anwendbarkeit des Art. 51 UN-Charta lediglich auf An- griffe von Staaten gegen andere Staaten beziehen. Im vorliegenden Fall handle es sich al- lerdings um Terroranschläge, die von keinem anderen Staat herrührten. Zum anderen müss- ten die Angriffe von fremden Territorien aus erfolgen, wovon man aber bei den Palästinen- sergebieten nicht sprechen könne, da Israel jene Gebiete, von denen aus die Attacken er- folgten, ja im Rahmen seiner Besatzung selbst kontrolliert. Somit handle es sich nicht um externe Anschläge, sondern um Angriffe, die aus dem Innern erfolgen. Deshalb könne sich Israel im Conclusio nicht auf das Selbstverteidigungsrecht gem. Art 51 UN-Charta berufen. Letztlich wurde Israel auch der Anspruch auf ein gewohnheitsrechtlich anerkanntes Not- standsrecht verweigert. Dieses Recht würde nur in absoluten Ausnahmen eingeräumt wer- den und die dadurch getroffenen Maßnahmen müssten die einzige Möglichkeit sein, um den betroffenen Staat vor einer schweren und gegenwärtigen Gefahr zu schützen. Da jedoch der IGH, wie bereits beschrieben, eben nicht von einer reinen Sicherheitsbarriere ausging, son- dern die Mauer auch als Mittel zur Annexion palästinensischer Gebiete definiert hatte, lehnte er in seiner Begründung die Anwendbarkeit eines Notstandsrechts für Israel ab.384

4.3.2.4 Rechtsfolgen der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes Der Internationale Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass die Mauer dort, wo sie von der „Green Line“ abweicht und somit auf palästinensischem Gebiet errichtet wurde, beseitigt

381 Vgl. International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories (2004). 382 Vgl. S/RES/1368 (2001). 383 Vgl. S/RES/1373 (2001). 384 Vgl. International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories (2004). Seite 68 werden müsse. Damit solle das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser wiederhergestellt und ihnen darüber hinaus ein ungehinderter Zugang zu allen religiösen Stätten gewährt wer- den. Alle bereits erfolgten Arbeiten, die den Mauerbau beträfen, müssten umgehend einge- stellt werden sowie das enteignete Land wieder seinen rechtmäßigen früheren Eigentümern zurückgestellt werden.385 Rechtsgrundlage hierbei sei das gewohnheitsrechtlich anerkannte Recht auf Naturalrestitution. Sollte Naturalrestitution jedoch nicht mehr möglich sein, so sei der Schaden durch Geldleistungen abzugelten.386 Da die Beeinträchtigung des Selbstbestimmungsrechts der Völker eine erga omnes Wirkung auslöse, dürfen die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen, mit Verweis auf die Barcelona- Traction387 die gegenwärtige völkerrechtswidrige Situation weder anerkennen, noch Israel in irgendeiner Weise dabei unterstützen, diese aufrechtzuerhalten. Auch seien sämtliche Vertragsstaaten der Genfer Konvention IV dazu aufgerufen, die Einhal- tung der völkerrechtlichen Verpflichtungen Israels, in Bezug auf die Konvention, genau zu beobachten. Weitere Schritte seien von der Generalversammlung sowie vor allem dem Sicherheitsrat zu treffen.388 Der Sicherheitsrat wurde jedoch im Endeffekt nicht eingeschalten, da man ohnehin von ei- nem Veto der USA ausging und der Sicherheitsrat damit in seiner Entscheidungsfähigkeit wieder blockiert gewesen wäre.389 Deshalb wurde lediglich in der Generalversammlung eine Resolution390 verabschiedet, welche die restlichen Mitgliedsstaaten dazu aufforderte, ihre Verpflichtungen, die der IGH in seinem Gutachten zum Mauerbau ihnen auferlegt hatte, ein- zuhalten.391

4.4 Vergleich der Entscheidungen des IGHs und des OGHs

Die Konformität der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag und der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in Israel ist in weiten Teilen gegeben. So sind sich die beiden Gerichthöfe einig, dass für die besetzten Gebiete das Kriegsrecht gelte. Dement- sprechend urteilten sie, dass sowohl die Haager Landkriegsordnung 1907, als auch die vier-

385 Vgl. International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories (2004). 386 Vgl. Kunig/Uerpmann-Wittzack, Übungen im Völkerrecht2 (2006), 28; Wengler, Völkerrecht (1964), 646. 387 Vgl. International Court of Justice, Light and Power Company, Limited (Belgium v. Spain) (1970). 388 Vgl. International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories (2004). 389 Vgl. Lucht, Der Internationale Gerichtshof – Zwischen Recht und Politik (2011), 65f. 390 Vgl. A/RES/ES-10/15. 391 Vgl. Lucht, Der Internationale Gerichtshof – Zwischen Recht und Politik (2011), 65f. Seite 69 te Genfer Konvention anwendbar seien. Ebenso zum gleichen Ergebnis gelangen die Ge- richtshöfe in der Frage, ob es zulässig sei, ein besetztes Gebiet zu annektieren oder nicht. Dies wird sowohl vom IGH als auch vom OGH unzweifelhaft verneint. Dennoch gibt es einen bedeutenden Unterschied zwischen diesen beiden Entscheidungen, dessen Entstehen zum Teil auch den unterschiedlichen Rechtsfragen an die Gerichthöfe geschuldet ist. So befasste sich der IGH in seinem Gutachten mit der Frage, ob der Bau ei- ner Mauer in besetztem Gebiet stets gegen geltendes Völkerrecht verstoße. Hingegen be- handelte der OGH in seiner Entscheidung vorwiegend die Frage, ob gewisse Abschnitte des Mauerbaus der Verhältnismäßigkeit entsprechen würden und damit bestehen bleiben dürf- ten. Ungeachtet dessen legte das israelische Höchstgericht in seiner Entscheidung fest, dass die Errichtung eines „Trennungszauns“ zulässig sei, wenn dies im Einklang mit den Grundsätzen der Sicherheit stehen würde und eben nicht die Annektierung eines Gebietes zur Folge hät- te. Dem widersprach allerdings der IHG in seinem Gutachten und judizierte, dass sich das Verbot eines Baus einer Mauer in besetztem Gebiet klar aus den Regeln der vierten Genfer Konvention ergeben und somit stets gegen geltendes Völkerrecht verstoßen würde.392

4.5 Sicht der israelischen Regierung

Für Israel sprach Mr. Gillerman, der zwischen 2003 und 2008 der ständige Vertreter Israels bei der UNO war,393 vor den Vereinten Nationen. Er brachte in seiner Rede eine Reihe von Gründen vor, welche nach Ansicht Israels den Bau der Mauer ohne Bedenken rechtfertigen würden. Zu Beginn verurteilte er in seinem Statement die Staatengemeinschaft für ihre einseitige Hal- tung im Nahost-Konflikt zu Gunsten der Palästinenser. So würden laut ihm viele Staaten die Verantwortung Palästinas in dieser Auseinandersetzung völlig vernachlässigen und sämtli- che Schuld ausschließlich auf Israel schieben. Doch beide Seiten seien Konfliktparteien und hätten somit Rechte und Pflichten, diesen zu beenden. Auch werde von vielen immer wieder übersehen, dass Gruppen wie Hamas, der islamisti- sche Dschihad und auch die Fatah keine Märtyrer, sondern Mörder seien, deren Ziel es sei, Israel von der Landkarte auszuradieren. Es bestünde daher eine dringende Notwendigkeit zur Errichtung eines solches Schutzwalls, da die Führung Palästinas unter Yasser Arafat eine Strategie verfolge, die Terrorismus nicht nur toleriere, sondern jene, die sich damit iden-

392 Vgl. International Court of Justice, Advisory Opinion on Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territories (2004); Supreme Court of Israel, Beit Sourik Village Council vs. The Government of Israel and the Commander of the IDF Forces in the West Bank (2004), HCJ 2056/04. 393 Vgl. www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/biography/Gillerman.html (08.03.2016). Seite 70 tifizieren, auch noch dazu ermutigen würde, anstatt sie vor Gericht zu stellen. Diese Art der Politik koste hunderten unschuldigen Menschen das Leben und würde tausende weitere da- mit bedrohen. All dies widerspräche ganz klar den geltenden Menschenrechten und müsse somit von Israel gestoppt werden. Daher sei der Mauerbau der effektivste Weg, um sich vor Terroristen zu schützen, ohne dabei selbst Gewalt anwenden zu müssen. In diesem Zu- sammenhang müsse explizit auf das Recht auf Selbstverteidigung hingewiesen werden, wel- ches durch das geltende Völkerrecht (gem. Art 51 UN-Charta) jedem Staat zustehen und von dem Israel mit dem Bau der Mauer lediglich Gebrauch machen würde.394 Dass sich das Selbstverteidigungsrecht nicht nur gegen andere Staaten, sondern eben auch auf Terroristen beziehe und somit in diesem Konflikt anwendbar sei, würden die vom UN-Sicherheitsrat ver- abschiedeten Resolutionen 1368395 und 1373396 bestätigen. Auch wenn der Wall in etwa entlang der sogenannten „Green Line“ gebaut werde, so sei laut der israelischen Regierung dennoch festzuhalten, dass dieser niemals als legale Grenze zwischen Israel und einem etwaigen Palästina gedient hätte und somit international auch nicht als Grenze zwischen zwei Staaten angesehen werden könne. Die Mauer habe deshalb keinerlei politische Relevanz, sondern sei ausschließlich dazu da, um das Leben von unzäh- ligen Menschen zu retten. Das Ziel sei auch nicht die Annexion von Territorien oder die Än- derung des Status dieser Gebiete.397 Mit Verweis auf die Resolutionen 242398 und 338399 sei festzuhalten, dass eine zukünftige Grenze durch Verhandlungen zwischen den beiden Kon- fliktparteien festzulegen sei. Deshalb werde auch weiterhin eine dauerhafte Lösung des Kon- fliktes durch Verhandlungen angestrebt. Beim Bau der Mauer werde ganz besonders darauf geachtet, dass lediglich Land verwendet werde, welches nicht irgendwelchen anderen Zwecken diene. Deshalb würde für den Mau- erbau auch kein Land enteignet werden, sondern man bebaue lediglich jene Gebiete, die als herrenlos anzusehen wären. Sollte wider Erwarten dennoch jemandem Schaden durch die Errichtung widerfahren, so stünden Kompensationsmittel zur Verfügung. Damit stehe der gesamte Bau vollkommen im Einklang mit internationalen Regeln, ganz be- sonders mit jenen der Menschlichkeit. Israel versuche unter sehr schwierigen Bedingungen, sich selbst und seine Staatsbürger zu beschützen. Dennoch werde mit dem Sperrwall versucht, eine Balance zwischen den Rech-

394 Vgl. Statement by UN Ambassador Gillerman to the 10th Emergency Special Session of the 58th UN General Assembly, Illegal Israeli actions in occupied East Jerusalem and the rest of the occupied terri- tories (2004); Israeli Statement – Communicated by the Foreign Ministry Spokesman, ICJ Advisory Opinion on Israel´s Security Fence (2004). 395 Vgl. S/RES/1368 (2001). 396 Vgl. S/RES/1373 (2001). 397 Vgl. Statement by UN Ambassador Gillerman to the 10th Emergency Special Session of the 58th UN General Assembly, Illegal Israeli actions in occupied East Jerusalem and the rest of the occupied terri- tories (2004); Israeli Statement – Communicated by the Foreign Ministry Spokesman, ICJ Advisory Opinion on Israel´s Security Fence (2004). 398 Vgl. S/RES/242 (1967). 399 Vgl. S/RES/338 (1973). Seite 71 ten und Interessen der lokalen Bevölkerung und den israelischen Zivilisten zu finden, damit diese durch Selbstmörder nicht in Stücke gerissen würden. Durch den Bau der Mauer könne sichergestellt werden, dass diese Balance gewährleistet und somit ein guter Grundstein für Frieden gelegt werde. Zudem werde davon ausgegangen, dass sich die Lebenssituation der Palästinenser verbessern werde, wenn im Westjordanland östlich der Mauer nun weniger Israelis leben werden. Unbestritten sei, dass Israel Pflichten habe. Gleichzeitig müsse aber betont werden, dass auch die Palästinenser ihren Verpflichtungen nachkommen müssten. Israel erwarte von der internationalen Staatengemeinschaft, dass auch die Verbrechen auf palästinensischer Seite in einem Gutachten festgestellt werden, oder, wenn dies zu viel ver- langt sei, die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen wenigstens eine UN-Resolution erlas- sen sollten, welche die Regierung Palästinas dazu auffordern solle, den Terrorismus, der von der Westbank und dem Gazastreifen ausgehe, zu bekämpfen und die Menschenrechte zu achten. Jedes weitere Stück Papier, das diese Forderung nicht enthalte, würde den Frieden keinen Schritt näher bringen, sondern lediglich die Tatsache verbergen, dass die palästinen- sische Führung die Verantwortung für brutale Terrorattacken zu verantworten habe. Israel hätte größten Respekt vor dem Internationalen Gerichtshof und glaube an seine Ideale und guten Absichten. Gerade aus diesem Grund sei die Enttäuschung über dessen Gutach- ten zum Mauerbau auch so groß, da der Gerichthof lediglich den Standpunkt und die Rechte der Palästinenser beachtete. Gleichzeit berücksichtigte er die Interessen Israels sowie des- sen Bevölkerung überhaupt nicht. Weder wurden die Terroranschläge, welche die Palästi- nenser verübten, angesprochen, noch habe der IGH ausreichend Beweismaterial zusam- mengetragen, um in dieser Sache eine ausgewogene Entscheidung treffen zu können. Von Unparteilichkeit könne daher nicht gesprochen werden.400 Diese Meinung werde zumindest von einigen Autoren geteilt, nach deren Ansicht der Interna- tionale Gerichtshof im Gegensatz zum Obersten Gerichtshof in Israel über nicht genügend Detailwissen in dem Konflikt verfüge, um zu einer fundierten Entscheidung zu gelangen. Die- ses sei aber aufgrund der enormen Komplexität des Streits dringend von Nöten.401 Im Gegensatz zum IGH würde der Oberste Gerichthof in Israel hingegen keine Partei ergrei- fen, sondern sich ehrlich und ernsthaft mit den Problemen der beiden Völker auseinander- setzen. So können sich sowohl Israelis, als auch Palästinenser gleichermaßen an den Ge- richthof wenden. Außerdem sei der Gerichtshof einer der wenigen Gerichte weltweit und der einzige im Nahen Osten, der internationales Recht anwende, um innenpolitische Handlungen

400 Vgl. Statement by UN Ambassador Gillerman to the 10th Emergency Special Session of the 58th UN General Assembly, Illegal Israeli actions in occupied East Jerusalem and the rest of the occupied terri- tories (2004); Israeli Statement – Communicated by the Foreign Ministry Spokesman, ICJ Advisory Opinion on Israel´s Security Fence (2004). 401 Vgl. Kretzmer, The Supreme Court of Israel: Judicial Review during Armed Conflict, In: German Yearbook of International Law (2004), Nr. 47, 445; Dinstein, The International Law of Belligerent Oc- cupation (2009), 247ff. Seite 72 der israelischen Regierung zu untersuchen. Auch deshalb genieße der Gerichthof internatio- nal große Anerkennung.402 Aus diesen Gründen sei das Gerichtsurteil des Obersten Gerichtshofes von Israel vom 30. Juni 2004403 auch viel objektiver und aussagekräftiger als jenes des IGHs. Hierbei habe das höchste israelische Gericht unter Einbeziehung des internationalen Rechts entschieden, dass die Errichtung eines Trennungszaunes zulässig sei, wenn dies die Sicherheit Israels erfordere. Dennoch urteilte er, dass eine Balance zwischen den Interessen der Palästinenser und dem Staat Israel stets gewahrt werden müsse. Somit würde der OGH, anders als der IGH, wirklich die Bedürfnisse beider Konfliktparteien wahren und müsse sich somit auch nicht den Vorwurf der Parteilichkeit gefallen lassen. Schlussendlich sei auch noch darauf hinzuweisen, dass seit der Errichtung der Mauer die Zahl der Terroranschläge um 90% zurückgegangen sei. Damit konnten hunderte Leben ge- rettet und die Zahl der Verletzten um 85% gesenkt werden. All das mache deutlich, dass die Mauer, welche wirklich nur zur Selbstverteidigung gebaut wurde, auch wirklich Wirkung zeige und damit den Regeln des internationalen Rechts entspräche.404

4.6 Reaktionen

Auch wenn allen Beteiligten klar ist, dass der Spruch des IGH keine rechtliche Bindung für die Konfliktparteien selbst hat, und das Urteil somit lediglich eine politische und moralische Komponente darstellt,405 löste die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag dennoch Reaktionen rund um den Globus aus, welche von großen Unterschieden ge- kennzeichnet waren. Die engsten Verbündeten Israels, wie beispielsweise die USA, das Vereinigte Königreich, Kanada oder auch Deutschland, sprangen Israel zur Seite und kritisierten den IGH, dass er sich dieser Entscheidung angenommen hatte. Ihrer Meinung nach würde ein Gutachten den Friedensprozess nicht fördern, sondern diesen vielleicht sogar verlangsamen, da die Fronten

402 Vgl. Statement by UN Ambassador Gillerman to the 10th Emergency Special Session of the 58th UN General Assembly, Illegal Israeli actions in occupied East Jerusalem and the rest of the occupied terri- tories (2004); Israeli Statement – Communicated by the Foreign Ministry Spokesman, ICJ Advisory Opinion on Israel´s Security Fence (2004). 403 Vgl. Supreme Court of Israel, Beit Sourik Village Council vs. The Government of Israel and the Commander of the IDF Forces in the West Bank (2004), HCJ 2056/04. 404 Vgl. Statement by UN Ambassador Gillerman to the 10th Emergency Special Session of the 58th UN General Assembly, Illegal Israeli actions in occupied East Jerusalem and the rest of the occupied terri- tories (2004); Israeli Statement – Communicated by the Foreign Ministry Spokesman, ICJ Advisory Opinion on Israel´s Security Fence (2004). 405 Vgl. Karimi-Schmidt, Der Israel-Palästina Konflikt aus der Sicht des Völkerrechts (2015), 73. Seite 73 durch die Entscheidung des IGH weiter verhärtet werden könnten. All die genannten Staaten würden einen Frieden auf Grundlage der Road Map anstreben.406 Auf der anderen Seite waren es vor allem die arabischen Länder, allen voran natürlich die Palästinenser, die über das Gutachten des IGH jubelten und darin die lang ersehnte Bestäti- gung dafür sahen, dass Israel systematisch gegen geltendes Völkerrecht verstoße. So wurde die Entscheidung vom damaligen palästinensischen Ministerpräsidenten Ahmed Kureia gar als „historisch“ bezeichnet.407 Auch unter Völkerrechtlern gibt es in Bezug auf das Gutachten sehr unterschiedliche Mei- nungen. Vor allem bei der Frage, ob der IGH mit dem Erstellen eines Gutachtens in diesem Fall seine Kompetenzen überschritten habe oder nicht, gehen die Ansichten weit auseinan- der, womit sowohl die Position des IGH, der sich für zuständig hält, als auch jene von Israel, das eine Zuständigkeit des IGH ablehnt, Unterstützer hat.408 Kritisch wurde jedoch von manchen Stellen angemerkt, dass der IGH nicht stärker die Positi- on Israels miteinbezogen habe, um eine größere Ausgewogenheit zu schaffen und somit das Urteil zu stärken.409 So stieß die Tatsache, dass der Internationale Gerichtshof die positiven Auswirkungen der Mauer, wie die deutliche Verringerung der Terrorattacken auf Zivilisten, nicht mit einem einzigen Wort in seinem Gutachten erwähnt hatte, auf Verwunderung. Dies hätte, nach Ansicht einiger Völkerrechtler, jedenfalls ein Teil des Gutachtens sein müssen, da die Reduktion der Attentate eindeutig auf die Mauer zurückzuführen sei.410 Dennoch muss abschließend festgehalten werden, dass es neben dem offiziellen Israel411 vor allem israelische Völkerrechtler sind, welche das Urteil des IGHs anzweifeln.412

406 Vgl. Statement by UN Ambassador Gillerman to the 10th Emergency Special Session of the 58th UN General Assembly, Illegal Israeli actions in occupied East Jerusalem and the rest of the occupied terri- tories (2004); Israeli Statement – Communicated by the Foreign Ministry Spokesman, ICJ Advisory Opinion on Israel´s Security Fence (2004). 407 Vgl. www.rp-online.de/politik/ausland/den-haag-entscheidet-ueber-israelischen-sperrwall-aid- 1.1624346 (17.03.2016). 408 Vgl. Ablehnend: Eckstein, Die Vereinbarkeit der De-Facto-Annexion mit dem Völkerrecht (2011), 197; Zustimmend: Oellers-Frahm, Israel und die Mauer (2005), 107; Tomuschat, Streitschrift für den Mauerbau (2013), 85f. 409 Vgl. Oellers-Frahm, Israel und die Mauer (2005), 107. 410 Vgl. Dinstein, The International Law of Belligerent Occupation (2009), 247ff. 411 Vgl. Statement by UN Ambassador Gillerman to the 10th Emergency Special Session of the 58th UN General Assembly, Illegal Israeli actions in occupied East Jerusalem and the rest of the occupied terri- tories (2004); Israeli Statement – Communicated by the Foreign Ministry Spokesman, ICJ Advisory Opinion on Israel´s Security Fence (2004). 412 Vgl. Kretzmer, The Supreme Court of Israel: Judicial Review during Armed Conflict, In: German Yearbook of International Law (2004), Nr. 47; Dinstein, The International Law of Belligerent Occupati- on (2009). Seite 74 4.7 Zusammenfassung Kapitel 4

Nach Ausbruch der zweiten Intifada und dem darauffolgenden Wahlsieg des rechten Likud Blocks unter Ariel Scharon begann Israel mit dem Bau einer Mauer, welche Israel von der Westbank abschotten sollte. Diese Mauer wurde jedoch in der Folge nicht entlang der Gren- ze von 1967, welche international als Grundlage für eine Zwei-Staaten-Lösung gesehen wird, gebaut, sondern sie reicht zum Teil weit in das von Israel besetzte Westjordanland hin- ein.413 Israel stützt sich bei seinem Vorgehen auf das Recht auf Selbstverteidigung, welches sich aus der UN-Charta ableiten ließe. Hierbei wird argumentiert, dass Israel die Verpflich- tung habe, seine Staatsbürger vor Terroristen zu schützen und eine Sicherheitsbarriere der effektivste Weg sei, dieses Ziel zu erreichen. Gleichzeitig wird von offizieller israelischer Sei- te betont, dass dieser Wall niemals als Mittel zur Annexion palästinensischer Gebiete dienen solle, sondern ein Frieden nur durch Verhandlungen auf Basis der Resolutionen 242 und 338 erreicht werden könne.414 Der Oberste Gerichtshof in Israel stützte zum Teil die Argumentationen Israels und urteilte in der Sache Beit Sourik Village Council vs. The Government of Israel, dass ein Trennungs- zaun insoweit errichtet werden dürfe, als er den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit nicht entgegenstehe.415 Dieser Entscheidung widersprach der Internationale Gerichtshof in Den Haag in seinem Gut- achten zum Mauerbau im Juli 2004. Nachdem sich dieser für zuständig befunden hatte, in dieser Sache ein Gutachten zu erstellen, urteilte er, dass der Bau einer Mauer im besetzten Westjordanland dem Völkerrecht widersprechen würde. Der IGH folgte den Argumentationen Israels nicht und stellte seinerseits die Vermutung auf, dass Israel entgegen dessen Ankün- digung sehr wohl die völkerrechtswidrige Annexion gewisser Gebiete in der Westbank mit dem Bau der Mauer anstrebe. Dabei wurde auch die Anwendbarkeit des Selbstverteidi- gungsrechts gem. Art 51 UN-Charta, auf welches sich Israel berufen hatte, abgelehnt, da Israel die Westbank selbst kontrollieren und dies der Anwendung dieses Artikels entgegen- stehen würde. Somit verstoße Israel, laut dem Gutachten des IGH, mit dem Mauerbau gegen geltendes Völkerrecht.416 Obgleich viele Verbündete von Israel die Tatsache ablehnten, dass sich der IGH diesem Thema annahm, sah auch die Mehrheit von ihnen in dem Mauerbau einen Verstoß gegen das geltende Völkerrecht. Auch stimmte die überwiegende Mehrheit der Völkerrechtler der Entscheidung des IGHs zu, obwohl von einigen Seiten bemängelt wurde, dass sich der IGH in keinster Weise mit den positiven Auswirkungen der Mauer, wie die gesunkene Zahl der Terroranschläge, beschäftigt hatte. Dennoch pflichteten auch die meisten von ihnen dem

413 Siehe Kapitel 4.1. 414 Siehe Kapitel 4.5. 415 Siehe Kapitel 4.2. 416 Siehe Kapitel 4.3. Seite 75 IGH bei, dass es sich - unabhängig von der Zweckerfüllung der Mauer, was die Reduktion von Attacken auf Israelis beweist - nichtsdestotrotz um eine völkerrechtswidrige Tatsachen- schaffung handeln würde. Dafür spricht, dass die Mauer vor allem die nach internationaler Ansicht völkerrechtlich illegal errichteten israelischen Siedlungen im Westjordanland um- schließt und diese von der Westbank trennt, was eine Rückgabe an die Palästinenser sehr unwahrscheinlich macht.417

417 Siehe Kapitel 4.6. Seite 76 5 Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Die Antwort auf die Frage nach dem Ursprung des Konfliktes lässt sich nicht an einem be- stimmten Datum festmachen. Das Grundpotential für diesen Streit liegt allerdings zweifelsfrei in der Tatsache, dass das heutige Israel sowie die Palästinensergebiete in eine Region ein- gebettet sind, welche für drei Weltreligionen (Christentum, Judentum, Islam) ein zentraler Ort ihres Glaubens sind. Während die Juden, welche bis zum Ende des 19. Jahrhunderts in aller Welt verstreut waren, versuchten, am Beginn und in der Mitte des 20. Jahrhunderts in die- sem Gebiet ihre neue Heimat zu finden, waren es die Palästinenser, welche dieses Land zuvor besiedelt hatten und nun für die neuen Siedler, die in Strömen kamen, Platz machen mussten. Dies war ihnen unverständlich, nicht zuletzt, weil ihnen von Großbritannien ein ei- gener Staat Arabien versprochen worden war, welcher eben auch diese Gebiete umfasste. Stattdessen wurden sie nun immer weiter von den Juden zurückgedrängt und mussten ihren Traum, mit der Gründung Israels im Jahre 1948, endgültig begraben. Unverständnis und Frust mündeten in eine Aggression gegen den neuen Staat, welche sich im ersten von vielen Kriegen mit Israel entladen sollte. Doch jedes Mal erwies sich der Judenstaat mehr oder we- niger als unbesiegbar und so verschlechterte sich die Position der Araber und damit auch der Palästinenser nach jedem Krieg aufs Neue. Hingegen konnte Israel sein Gebiet mit je- dem Krieg vergrößern, was zu weiteren Spannungen mit seinen Nachbarn führte. Mit den Friedensverträgen zwischen Israel und Ägypten sowie einige Jahre später mit Jor- danien schien eine Phase der Entspannung eingeläutet worden zu sein. Auch die Palästi- nenser gaben ihre starre Position auf und erkannten eine Zwei-Staaten-Lösung an. Doch nutzte man bis heute die Gunst der Stunde nicht. Vor allem verhindern die radikal-islamische Hamas auf der Seite der Palästinenser sowie der Nationalismus auf Israels Seite einen dau- erhaften Frieden. Beide Parteien sind nicht bereit, von ihren Maximalforderungen Abstand zu nehmen. So ist der Friedensprozess gegenwärtig nahezu zum Erliegen gekommen. Die un- gelösten Probleme bleiben bestehen.418

Eine dieser ungelösten Fragen zwischen Israel und Palästina sind die Siedlungen im West- jordanland. Diese sind völkerrechtlich sehr umstritten, da man laut der vierten Genfer Kon- vention nicht Teile seiner eigenen Bevölkerung in besetztes Gebiet umsiedeln dürfe. Doch erkennt die israelische Regierung die Anwendbarkeit der Genfer Konvention nicht an, weil man sie nicht in innerstaatliches Recht transformiert habe. Somit würde diese für Israel, laut dessen Regierung, nicht gelten, weswegen man auch nicht völkerrechtswidrig handeln wür- de. Diese Argumentation wird allerdings von der internationalen Gemeinschaft ebenso wie vom Obersten Gerichtshof in Israel durchgehend abgelehnt. Selbst die engsten Verbündeten

418 Siehe Kapitel 2. Seite 77 Israels, wie die USA oder die europäischen Staaten, sehen in der Besiedelung der Westbank durch israelische Staatsbürger einen klaren Verstoß gegen das geltende Völkerrecht. Auch das Argument, wonach solche Siedlungen dem Schutz des israelischen Territoriums dienen würden, da man dadurch Terroristen weiter zurückdrängen könne, fand bei der internationa- len Staatengemeinschaft kein Gehör. Trotz wiederkehrender Ermahnungen zu einem Siedlungsstopp im Westjordanland und einer Reihe von Resolutionen der UN-Gremien hält die israelische Regierung an ihrer Siedlungs- politik unvermindert fest. So wurden auch im Jahr 2016 große Gebiete in der Westbank zur Besiedelung freigegeben, was den Bau von Hunderten neuen Wohnungen zur Folge haben wird. Warum Israel trotz internationaler Isolation sich über geltendes Völkerrecht hinwegsetzt und den Wohnungsbau weiter vorantreibt, ist nicht eindeutig zu klären. Doch liegt die Vermutung nahe, dass die nationale Politik der gegenwärtigen israelischen Regierung unter Benjamin Netanjahu versucht, durch den Siedlungsbau Tatsachen zu schaffen, um damit das israeli- sche Territorium mittels Annexion bestimmter palästinensischer Gebiete völkerrechtswidrig zu vergrößern. Israel betont allerdings, dass durch die englische Fassung der Resolution 242 klar festgehalten worden sei, dass man keineswegs alle besetzte Gebiete zurückgeben müs- se. Eine Erschwerung der Lösung dieses Konfliktes durch eine Politik des nationalen Inte- resses wird anscheinend bewusst in Kauf genommen, um die eigenen Wähler zu besänfti- gen und die rechten Siedlerparteien in der Koalition halten zu können. Dennoch erkennen immer mehr Staaten Palästina in den Grenzen von 1967 als souveränen Staat an. Damit wird versucht, Druck auf Israel auszuüben, den Friedensprozess wieder auf- zunehmen und diesen ehrlich zu führen.419

Ein weiteres Hindernis auf dem Weg zu einem dauerhaften Frieden ist die Mauer, welche von Israel im Zuge der zweiten Intifada errichtet wurde und zum Teil weit in das Westjordan- land hineinreicht. Dies kommt einem Ignorieren der Grenzen von 1967 gleich. Israel argu- mentierte, dass der Bau einer Sicherheitsbarriere notwendig sei, um die eigene Bevölkerung vor Terroristen zu schützen. Dieses Recht auf Selbstverteidigung ergebe sich klar aus der UN-Charta. Davon würde Israel lediglich Gebrauch machen, um unschuldige Zivilisten vor dem Tod oder schweren Verletzungen zu bewahren. Zudem wolle man keinesfalls eine An- nexion dieser Gebiete durch den Bau der Sicherheitsbarriere erreichen, sondern man strebe einen Frieden auf Basis von Verhandlungen gem. den Resolutionen 242 und 338 an. Der Oberste Gerichtshof stand Israel dabei teilweise zur Seite und entschied, dass der Bau eines Trennungszaunes grundsätzlich zulässig sei, sofern dieser den Grundsätzen der Ver- hältnismäßigkeit entspräche. Das stellte allerdings der Internationale Gerichtshof in Den Haag in seinem Gutachten zum Mauerbau im Juli 2004 in Abrede. Nachdem sich dieser für

419 Siehe Kapitel 3. Seite 78 zuständig befunden hatte, urteilte er, dass der Bau einer Mauer im besetzten Westjordanland dem Völkerrecht widerspreche. Der IGH schenkte den Argumente von israelischer Seite kei- nen Glauben und stellte seinerseits die Vermutung auf, dass Israel entgegen dessen Ankün- digung sehr wohl die völkerrechtswidrige Annexion gewisser Gebiete in der Westbank mit dem Bau der Mauer anstrebe. Auch lehnte er in seinem Gutachten ein Selbstverteidigungs- recht gem. der UN-Charta ab, da Israel diese Gebiete selbst kontrolliere und dies Art 51 UN- Charta entgegenstehen würde. Somit würde Israel mit dem Mauerbau gegen geltendes Völ- kerrecht verstoßen. Viele der Verbündeten Israels lehnten die Tatsache ab, dass sich der IGH mit dem Thema beschäftigte und dazu ein Gutachten erstellte, da sie fürchteten, dass diese Entscheidung die Fronten noch weiter verhärten würde. Dennoch sahen die meisten dieser Staaten den Mauerbau in dem besetzten Gebiet als Völkerrechtsverstoß an. Obgleich einige israelische Völkerrechtler die Entscheidung des IGHs als unausgewogen qualifizierten, da dieser in seinem Gutachten nicht auf die positiven Auswirkungen der Mau- er, wie die gesunkene Zahl der Terroranschläge, eingegangen war, so war der Entscheidung des IGHs dennoch in weiten Teilen zuzustimmen. Zwar erfüllt die Mauer tatsächlich ihren Zweck, was die Reduktion von Attacken auf Israelis beweist, unabhängig davon handelt es sich bei der Errichtung nichtsdestotrotz um eine völkerrechtswidrige Tatsachenschaffung. Dafür spricht, dass die Mauer vor allem die nach internationaler Ansicht völkerrechtlich illegal errichteten israelischen Siedlungen im Westjordanland umschließt und diese von der palästi- nensischen Westbank trennt. Es ist nur schwer vorstellbar, dass Israel diese Siedlungen und die darum errichtete Mauer wieder abreißt und diese Gebiete der palästinensischen Auto- nomiebehörde übergibt. Vielmehr scheint die israelische Regierung tatsächlich danach zu trachten, das israelische Territorium auf Kosten der Palästinenser zu vergrößern.420

Die gegenwärtige politische Situation auf beiden Seiten macht den Glauben an einen dauer- haften Frieden zwischen Israelis und Palästinensern derzeit kaum vorstellbar. Vielmehr deu- tet manches darauf hin, dass sich die Spirale der Gewalt wieder zu drehen beginnt.421 Eine Zwei-Staaten-Lösung, wie von der internationalen Gemeinschaft angestrebt,422 scheint in naher Zukunft lediglich eine Illusion zu bleiben.423

420 Siehe Kapitel 4. 421 Siehe Kapitel 2.7.5. 422 Vgl. S/RES/242 (1967); A/RES/181 (II) (1947). 423 Siehe Kapitel 2; Kapitel 3; Kapitel 4. Seite 79 6 Literaturverzeichnis

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A/RES/377 (V) (1950)

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6.3.2 UN-Sicherheitsrat

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S/RES/252 (1968)

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S/RES/446 (1979)

S/RES/452 (1979)

S/RES/465 (1980)

S/RES/478 (1980)

S/RES/1373 (2001)

S/RES/1368 (2001)

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Seite 92