Dokumentation

100 Jahre Hochöfen an der Weser

Hrsg.: Eike Hemmer, Horst Meyerholz, Daniel Tech Dokumentation der Veranstaltung am 29. März 2011 im Lichthaus in -Gröpelingen

Veranstalter:

Bremen

Betriebsrat Bremen

Kooperationspartner:

Redaktion: Eike Hemmer, Horst Meyerholz, Daniel Tech

Bestellungen und Nachfragen: Betriebsrat ArcelorMittal Bremen Daniel Tech (BR-Referent) Carl-Benz-Str. 30 28327 Bremen Tel.: 0421-648-2267 E-Mail: daniel.tech@.com www.huette-bremen.igmetall.de

Fotonachweis: Fotos von der Veranstaltung: Daniel Tech, Jan Albers, Till Reinken Historische Fotos der Norddeutschen Hütte: Staatsarchiv Bremen Fotos aus dem Werk: Betriebsrat AMB, Eike Hemmer u. Robert Milbradt Vorwort 5 Daniel Tech

Begrüßung 7 Dieter Reinken 1. Bevollmächtigter IG Metall Bremen

Grußwort 11 Jens Böhrnsen Präsident des Senats und Bürgermeister

„ ... ein Fremdkörper im norddeutschen Raum.“ - 13 Zur Geschichte der Norddeutschen Hütte Eike Hemmer

Gesprächsrunde 19 „Klöckner - Bremer Politik - linker Betriebsrat“ mit , Bonno Schütter, Robert Milbradt, Peter Sörgel, Dieter Reinken Moderation: Klaus Schloesser

„Globale Zeiten: Zentrale Kontrolle, fl exible Belegschaft?“ 35 Klaus Hering Betriebsratsvorsitzender ArcelorMittal Bremen

Am Schluss der Veranstaltung wurde der Film gezeigt: „Wir hätten selbst mit dem Teufel getanzt“, den Werner Eiermann und Klaus Schloesser im Auftrag von Radio Bremen 1994 über die Rettung der Hütte produziert haben. 100 Jahre Hochöfen an der Weser

Vor Beginn der Veranstaltung vor dem Lichthaus

Dennis Thornton und Thomas Balko begrüßen die Gäste in Schmelzermänteln

Kollegen von ArcelorMittal Duisburg mit dem AMB-Betriebsratsvorsitzenden Klaus Hering 4 100 Jahre Hochöfen an der Weser

Vorwort Daniel Tech

2. April 1911: Der erste Hochofen der Nordeutschen große Stahlkrise. Die gesamte Stahlbranche in der Hütte wird angeblasen. Aus diesem Anlass waren Europäischen Gemeinschaft erlebte von 1975 bis in über 250 Gäste am 29. März 2011 auf Einladung der die 1990er Jahre vor dem Hintergrund von Über- Bremer IG Metall, des Betriebsrats und des Vertrau- kapazitäten einen massiven Arbeitsplatzabbau, der enskörpers von ArcelorMittal Bremen ins ehemalige mit Hilfe von Sozialplänen und Geldern aus europäi- Arbeiteramt der AG Weser in Gröpelingen gekom- schen Töpfen weitgehend „sozialverträglich“ gestal- men. Sie erlebten einen spannenden und abwechs- tet wurde. Die Arbeitnehmervertreter erlebten diese lungsreichen Abend. Mit der Dokumentation dieses Phase vor allem aus einer defensiven Position, in Abends möchten wir dazu beitragen, dass die Ver- der öffentlichkeitswirksame Standortschließungen, anstaltung bei den Teilnehmern in lebendiger Erin- wie z.B. in Rheinhausen, als schmerzliche Nieder- nerung bleibt und darüber hinaus anderen Lesern lagen empfunden wurden. Gewerkschafter und Be- einen Zugang zur wechselvollen Geschichte dieses triebsräte standen zwar häufi g standortübergreifend Werkes und dessen Beschäftigten erschließt. solidarisch zusammen in diesem Kampf um Arbeits- plätze, stießen damit aber auch an die Grenzen der Vorgestern, gestern, heute und morgen – alle Pha- Montanmitbestimmung. sen der Entwicklung der Bremer Hütte wurden im Rahmen dieser Hundertjahrfeier durch interessante Für die Hütte brachen dann 1994 durch den Einstieg Beiträge und Diskussionen beleuchtet. Aus Zeitgrün- der luxemburgischen ARBED-Gruppe völlig neue den konnten jedoch nicht alle Aspekte und Zusam- Zeiten an. War der Standort bislang das einzige inte- menhänge dieser Periode erschöpfend behandelt grierte Hüttenwerk eines rein deutschen Konzerns, werden und auch nicht jeder Akteur zu Wort kom- gab es nun mit der im belgischen Gent ansässigen men. In diesem Vorwort verweisen wir deshalb auf ARBED-Tochter SIDMAR ein großes und hochmoder- einige weitere wichtige Ereignisse und Entwicklun- nes Schwesterwerk. Die „Stahlwerke Bremen“, wie gen, die auch zur Geschichte dieser Hütte gehören, sie von nun an fi rmierten, bekamen in der Folge aus leider aber nicht ausführlicher behandelt werden Gent wichtige industrielle und technologische Im- konnten. pulse und wurden in den Produktionsverbund ein- bezogen. Mit der Besetzung von Vorstandsposten Ein wichtiger Punkt war die Anwerbung von Ar- durch fl ämische Manager und den Austausch von beitsmigranten. Die erste Gruppe von 66 türkischen Ingenieuren veränderte sich Schritt für Schritt auch Kollegen kam im April 1965 zur Klöckner-Hütte. Im die alte Unternehmens- und Führungskultur aus Laufe der Jahre stieg die Zahl der türkischen Ar- Klöcknerzeiten. beiter bis auf 18,5 Prozent der Gesamtbelegschaft. Schon relativ früh hatte die linke Betriebsratsmehr- Nicht zuletzt die Erfahrungen der frühen 1990er heit Anstrengungen unternommen, die türkischen Jahre hatten gezeigt, dass es zur Sicherung des Kollegen in die Belegschaft zu integrieren. Ein Mei- Standorts darauf ankommt, über den Hüttenzaun lenstein dabei war die Aufstellung türkischer Kandi- hinaus Allianzen zu schmieden. Hatte man beim daten bei den Betriebsratswahlen. Sie wurde durch Vergleich und dem Interessentenmodell vor allem die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes 1972 auf regionale Unterstützung und die Mobilisierung möglich. Zwei türkische Kollegen wurden mit hoher der Öffentlichkeit in Bremen und umzu gesetzt, ging Stimmenzahl gewählt. Die Hütte gehörte damit zu es im ARBED-Konzern verstärkt darum, belastbare den ersten Großbetrieben in Bremen mit türkischen Verbindungen zu den Arbeitnehmervertretern der Betriebsratsmitgliedern. anderen Standorte aufzubauen. Folgerichtig wurden viel Energie und Ressourcen in die Bildung eines Eu- In den folgenden Jahren entwickelte sich daraus ropäischen Betriebsrats „investiert“, der 1996 seine eine starke türkische Belegschaftsvertretung mit ei- Arbeit aufnahm. 2001 bekam diese Entwicklung mit genen Räumlichkeiten und Versammlungen. Diese der Fusion der luxemburgischen ARBED, der spani- eigenständige Kultur ist später – nicht ganz ohne schen Aceralia und der französischen Usinor zu Ar- Widerstände – wieder in den Betriebsratsstrukturen celor eine neue Dynamik. aufgegangen. Heute sind im Betriebsrat sieben tür- kischstämmige Kollegen einer jüngeren Generation Auch in diesem vergrößerten Euro-Betriebsrat spiel- vertreten. ten die Bremer eine zentrale Rolle und übernahmen eine Führungsrolle bei der Formulierung von Verein- Ein weiterer wichtiger Abschnitt, der auf der Ver- barungen mit dem Konzern. Parallel wurden immer anstaltung nicht behandelt werden konnte, war die wieder Initiativen gestartet, direkte Kontakte zu

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den Arbeitnehmervertretern anderer Standorte zu Der neue globale Maßstab zeigte sich auch im Som- etablieren. Die Aktivitäten reichten von Vertrauens- mer 2007 mit einem Welttreffen der in ArcelorMittal leute-Treffen im Rahmen von EU-Projekten bis zu vertretenen Gewerkschaften im kanadischen Mont- regelmäßigen Treffen mit spanischen Kollegen von real. Ein Jahr später unterzeichneten der Konzern, UGT und CCOO aus Asturien. der Internationale Metallgewerkschaftsbund, der Europäische Metallgewerkschaftsbund und die Uni- Die Fusion von und Mittal brachte dann 2006 ted Steelworkers eine wegweisende Vereinbarung einen weiteren Globalisierungsschub. Der neue über die Einrichtung eines paritätischen globalen Stahlgigant produziert weltweit an 60 größeren Ausschusses für Arbeitssicherheit und Gesundheit. Standorten Stahl und unterhält mehrere Erz- und Michael Breidbach ist als einer von vier Delegier- Kohleminen. Aktuell arbeiten 260.000 Menschen für ten des Europäischen Metallgewerkschaftsbundes in den Konzern. diesem Gremium vertreten.

Für den Europäischen Betriebsrat galt es, die Zum Schluss bleibt es Danke zu sagen. Wir möchten mittel- und osteuropäischen Gewerkschafter zu uns bei allen bedanken, die zum Gelingen der Ver- integrieren, die mit ihren Standorten zum Teil noch anstaltung beigetragen haben. Dank gebührt auch tief in technischen und sozialen Transformationspro- denjenigen, die bei der Erstellung dieser Dokumen- zessen stecken. tation mitgewirkt haben. Viel Spaß beim Lesen.

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Begrüßung Dieter Reinken 1. Bevollmächtigter IG Metall Bremen

Liebe Kolleginnen liebe Kollegen, schichte wollen wir heute einen Blick werfen. Auch sehr geehrte Damen und Herren, wenn es keine Kontinuität der Kapitalseite gegeben hat – Kontinuität auf der Belegschaftsseite hat es ich begrüße Euch und Sie alle herzlich im Namen gegeben – in Herkunft und Tradition, in Qualifi kation der IG Metall Bremen und des Betriebsrats von Ar- und sozialen Bedingungen, in der betrieblichen und celorMittal Bremen zu dieser Veranstaltung. „100 der gewerkschaftlichen Interessenvertretung. Das Jahre Hochöfen an der Weser“ – ein Jubiläum, das ist ja bei Unternehmens- und Standortgeschichten es aus unterschiedlichen Perspektiven zu würdigen der so oft ausgeblendete Teil von Erfolgsgeschichten gilt. Mit dieser Veranstaltung wollen wir aus Arbeit- und darum für uns umso wichtiger. Wir sehen uns nehmersicht einen Blick auf diese 100 Jahre werfen. in der Tradition der Arbeitsplätze, die ja für so vie- Eigentlich sind ja solche Veranstaltungen fest in der le Menschen der Lebensmittelpunkt ist, nicht in der Hand der Unternehmen. Da wird dann die geniale Tradition der erfolgreichen Geschäfte oder der ho- Gründungsgeschichte genialer Unternehmer erzählt. hen Renditen. Deshalb haben wir uns als IG Metall Da werden die herausragenden Leistungen des Ma- und als Betriebsrat des heutigen Tages angenom- nagements gewürdigt und dann wird wohl auch mal men. Der Einladung konntet Ihr entnehmen, wie wir ein wohlwollender Blick auf die Belegschaften (we- uns den heutigen Abend vorgestellt haben. gen ihres Fleißes) geworfen. Zunächst freuen wir uns auf das Grußwort von Bür- Wir feiern heute 100 Jahre Hochöfen an der Weser germeister Jens Böhrnsen. Die Hütte stand und ohne die Unternehmensleitung und das hat seine steht im Mittelpunkt politischen Interesses. Und das Gründe. Es gibt zwar eine Kontinuität in der industri- ist auch gut so. Mehrfach konnten Standortfragen ellen Entwicklung, aber keine Kontinuität der Kapital- nur gemeinsam im Interesse der Beschäftigten und seite. Die Anteilseigner wechselten, die Belegschaft der Region Bremens geklärt werden, also auch zu- blieb, soweit sie nicht durch neue Generationen ab- sammen mit dem Rathaus. gelöst wurde. Darauf und auf die wechselvolle Ge- Lieber Jens, deshalb herzlich willkommen an die- sem geschichtsträchtigen Ort, an dem uns Bre- mer ja auch schon mal die Möglichkeiten und Grenzen politischer Einfl ussnahme auf kapitalisti- sche Entscheidungen vor Ort im negativen Sinne demonstriert wurden. Umso mehr und umso wich- tiger bleibt für uns der enge Kontakt und die ge- meinsame Positionsbestimmung zwischen Arbeit- nehmern und Politik. Herzlichen Dank für Deine Teilnahme heute.

Anschließend wird Eike Hemmer, der ja im Weser Kurier zu Recht als Chronist der Hütte bezeichnet wurde, einen Blick auf die wirtschaftlichen, sozia- len und auf die politischen Aspekte der Geschich- te werfen. Das ist uns wichtig, weil vieles über die 100 Jahre verschüttet war und ist und auch in dem, was wir an Bremer Geschichte publiziert fi nden, we- nig nachzulesen ist. Eike hat sich viel Mühe damit gemacht und ich glaube, für viele von denjenigen, die die Hütte seit Mitte der 50er Jahre kennen, wird das, was er vortragen wird, einige völlig neue Er- kenntnisse bringen.

Daran anschließen soll sich eine Diskussionsrunde hier auf dem Podium unter Moderation von Klaus Schloesser. Wir wollen in dieser Diskussionsrunde zumindest den für uns greifbaren geschichtlichen Zeitraum mit verschiedenen Zeitzeugen und Aktivis- ten der vergangenen Jahrzehnte diskutieren. Dazu

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begrüße ich Hans Koschnick, unseren langjährigen Die Gewichte in der Welt haben sich verschoben und Bürgermeister und Präsidenten des Senats, der aus werden es weiter tun. Bei der Positionsbestimmung unterschiedlichen Rollen mit der Geschichte dieses hilft ein Blick zurück, aber nur, wenn er gleichzeitig Standortes seit Mitte der 50er Jahre vertraut ist und zum Ziel hat, die Zukunft zu gestalten. uns auf der Arbeitnehmerseite bis vor wenigen Jah- ren auch guter Ratgeber und Begleiter auf der Ar- Nach diesen offi ziellen Runden werden wir eine Pau- beitnehmerbank im Aufsichtsrat war, insbesondere se einlegen und Gelegenheit zu kleinen Erfrischun- in den schweren Zeiten Anfang des Jahrtausends. gen haben und nach diesem Teil wollen wir uns Herzlich willkommen, Hans. dann gemeinsam noch einmal den Film von Werner Eiermann, den ich auch als Gast hier herzlich be- Ich begrüße weiter Bonno Schütter, ehemaliges Be- grüße, und Klaus Schloesser, ansehen. Werner Ei- triebsratsmitglied und in den 60er Jahren Betriebs- ermann und Klaus Schloesser haben damals einen ratsvorsitzender dieses Betriebes, einer Zeit des Beitrag für Radio Bremen gemacht über die Rettung wirtschaftlichen Booms, der großen Investitionen, des Stahlstandortes 1994. Ein Film unter der Über- aber auch des politischen Umbruchs und der poli- schrift: „Wir hätten selbst mit dem Teufel getanzt“, tischen Rebellion. Wie wir ihn kennen, wird er aus was auch unser damaliges Motto und Erfolgsrezept dieser Zeit sicherlich eine Menge zu diskutieren oder war. zu erzählen haben. Herzlich willkommen, Bonno. Und es wird dann sicherlich im Anschluss daran noch In dieser Runde begrüße ich weiter Robert viel Gelegenheit geben, sich in Gesprächen auszu- Milbradt, langjähriges Betriebsratsmitglied seit An- tauschen. Anwesende sind wir dafür recht reichlich, fang der 70er Jahre und jemand, der sowohl den was uns als Einlader sehr freut. Es sind viele gekom- Ausbau des Standorts Klöckner in Bremen Anfang men, die die Belegschaft der Hütte über viele Jahre der 70er Jahre mit vielen Investitionen miterlebt hat begleitet haben. Ich kann selbstverständlich nicht und auch den Einstieg in die großen Stahlkrisen, die alle begrüßen. Stellvertretend vielleicht zunächst viele der Beschäftigten dann bis in die 90er Jahre einmal die Betriebsräte aus dem Konzern, aus den hin erleiden mussten. Herzlich willkommen, Robert. anderen Standorten von ArcelorMittal, die heute ge- kommen sind. Das freut uns sehr, weil es uns auch Und ich begrüße für die Podiumsrunde Peter wichtig ist, dass die Arbeitnehmervertretung in dem Sörgel, langjähriger Betriebsratsvorsitzender seit deutschen Teil dieses Konzerns zusammenwächst. Anfang der 80er Jahre und während der Interessen- Herzlich willkommen. tenlösung an der wichtigen Schnittstelle zwischen Betriebsrat und Politik und an der Ausgestaltung Es freut uns auch, dass Bremer Betriebs- und Perso- dieser Interessentenlösung und eines Zukunftskon- nalräte aus verschiedenen Metallbetrieben, ebenso zeptes für den Standort Bremen maßgeblich betei- die Vertreter der Lokalpolitik, soweit sie nicht schon ligt. Herzlich willkommen, Peter. erwähnt wurden, teilnehmen und interessiert unse- re Diskussion verfolgen werden. Auch diese Kontak- Am Podiumsgespräch werde dann außerdem noch te sind uns immer sehr wichtig. ich teilnehmen, der als Beteiligter seit 1973 auch et- was zur personellen Kontinuität zwischen Betriebs- Ich habe unseren ehemaligen Arbeitsdirektor, Hagen rat und IG Metall beigetragen hat. In dieser Runde, Breitinger, gesehen sowie Heinz Meinking, unseren liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde, kreu- früheren IG Metall-Bevollmächtigten, und Hans Noll zen sich sicherlich sowohl persönliche wie politische ist auch hier, unser ehemaliger Konzernarbeitsdirek- Biografi en und ich bin sicher, dass Klaus Schloesser, tor, der Anfang der 90er Jahre in schwierigen Zei- der den Betrieb, den Standort in den vielen Jah- ten während des Auseinanderbrechens des Klöck- ren sowohl journalistisch als auch politisch begleitet ner Konzerns uns große Hilfe geleistet hat. Siegfried hat, als Moderator uns Gesprächsteilnehmern dabei Bleicher, unser ehemaliger stellvertretender Auf- einiges aus der Nase ziehen wird. sichtsratsvorsitzender, Vorstandsmitglied der IG Metall war angekündigt, möglicherweise kommt er An diese Podiumsrunde, wenn, ich sag einmal spa- noch. Wenn, dann freut es uns umso mehr. ßeshalber, die roten Großväter dann erzählt haben, wird sich ein Beitrag von Klaus Hering anschließen. Viele ehemalige Kolleginnen und Kollegen aus Be- Er wird als amtierender Betriebsratsvorsitzender ei- triebsrat, Vertrauenskörper aber auch einige ehe- nen Blick auf Gegenwart und Zukunft des Standortes malige Führungskräfte des Unternehmens sind da. werfen und auf die Aufgaben der Interessenvertre- Auch das fi nden wir sehr schön, gerade weil sich tung heute, eines Standorts, der mittlerweile eine der Vorstand dieses Werkes zu einer Teilnahme an wichtige, aber eben nur eine Rolle im größten Stahl- unserer Feier nicht durchringen konnte. konzern der Welt spielt. Das ist uns wichtig, denn eines ist sicher, und das sind die Veränderungen. Es haben uns einige Grußadressen erreicht. Stell-

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vertretend dafür möchte ich mich herzlich bedan- ich dieser Veranstaltung ausrichten von Hans-Peter ken beim Alevitischen Kulturverein, beim Kollegen Mester, Ortsamtsleiter West, der leider heute auf- Ecevit Ugurlu, der uns gute Wünsche für diese Ver- grund einer anderen Verpfl ichtung dieser Veranstal- sammlung geschickt hat. Auch das ist, glaube ich, tung nicht beiwohnen kann, uns aber ja auch im sehr wichtig, denn: Die Hütte war und ist immer lokalen Raum immer intensiv begleitet hat. Damit ein großer Beschäftigungsträger gewesen. Sie dien- will ich es mit der Einführung und den begrüßenden te damit auch der Integration von Arbeitnehmern Worten belassen. Ich übergebe jetzt das Wort an mit Migrationshintergrund. Und herzliche Grüße soll Jens Böhrnsen.

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Bonno Schütter und Hans Meinking (ehemaliger 1. Bevollmächtigter der IG Metall Bremen)

Der Saal füllt sich

Unter den Gästen auch viele Werksrentner der Hütte

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Grußwort Jens Böhrnsen Präsident des Senats und Bürgermeister

Lieber Dieter, liebe Kolleginnen und Kollegen, Gelände für Klöckner zu schaffen. Aber mir hat man in meiner Kindheit und Jugend nie gesagt, es ist ich bin heute sehr, sehr gerne gekommen. Denn ein schlimmer Verlust für uns, sondern man hat mir das ist wirklich eine sehr besondere Veranstaltung gesagt – das war die allgemeine Haltung da – es – Dieter Reinken hat’s gesagt – der Blick auf 100 ist was Wichtiges für Bremen. Es ist etwas Wichti- Jahre Eisen- und Stahlproduktion und auf 100 Jah- ges für die Industrie in unserer Stadt. Es ist etwas re Hochöfen in Bremen - nicht aus dem Blickwinkel Wichtiges für die Kolleginnen und Kollegen unse- von Unternehmen und Stahlbaronen, auch nicht aus rer Stadt. Es war eine positive Haltung. Und in der dem Blickwinkel von Historikern, sondern aus dem Grundschule in Grambke hat man ja immer erzählt, Blickwinkel von Kolleginnen und Kollegen. Das ist ja, das ist etwas Besonderes, was hier an der Weser etwas sehr Besonderes und man kann nur danken – entsteht. Eike Hemmer ist schon genannt worden, aber viele andere werden es auch sein, die dazu beigetragen Früher gab es Eisen und Stahl entweder auf dem haben, dass die Geschichte in dieser Weise aufge- Erz oder auf der Kohle und hier haben wir das am zeichnet worden und für uns erlebbar geworden Wasser und an den Verkehrswegen. Und wir waren ist. immer tief davon beeindruckt von dem, was Eisen und Stahl in Bremen modern gemacht hat. Und ich Dieter Reinken hat gesagt, wir treffen uns hier am fi nde, es ist wieder an der Zeit, eine Lanze zu bre- geschichtsträchtigen Ort. Das ist wohl wahr. Ich war chen für Industrie in Bremen und gerade auch für im Januar zuletzt hier in diesem Haus als wir, wie Eisen und Stahl in Bremen. jedes Jahr im Januar, im Verein „Use Akschen“ mit den ehemaligen Kolleginnen und Kollegen der AG Wir sind stolz darauf, dass wir Stadt der Wissen- Weser zusammen kamen. Und ich habe eben auf schaften sind, Stadt der Raumfahrt sind und vieles dem Weg hierher gedacht, wer hätte vor einigen Jahrzehnten für möglich gehalten, dass wir einmal erleben, so nenne ich das mal: Die Hütte feiert bei der AG Weser. Vor allem, wenn man bedenkt, dass dies das Verwaltungsgebäude aber auch das Be- triebsratsgebäude der AG Weser ist.

Jetzt will ich nicht zuviel der Podiumsrunde vorgrei- fen – aber es gab mal eine Zeit, da wäre es schwie- rig gewesen, wenn die Betriebsräte und die Kolle- ginnen und Kollegen von AG Weser und Klöckner sich hier begegnet wären. Bonno Schütter hat mir eben gesagt, als ich sagte, es gab ja schwierige Zei- ten: „Mensch mit Deinem Vater ... – aber wir ha- ben uns immer gut verstanden.“ Ich hab zu Peter Sörgel gesagt: Mein Vater, der 25 Jahre Betriebs- ratsvorsitzender der AG Weser war, hat mir meine Freundschaft zu Peter Sörgel verziehen. Aber das ist Geschichte, die auch dazu gehört. Nämlich Ge- schichte, die mit starken Belegschaften, mit starken Betriebsräten zusammenhängt.

Ich persönlich habe immer eine ganz besondere Nähe, eine räumliche Nähe zu Klöckner und zu den Stahlwerken gehabt. Nachdem ich hier in Gröpelin- gen groß geworden bin und jeden Stapellauf auf der AG Weser miterlebt habe, bin ich mit meinen Eltern nach Burg-Grambke gezogen, quasi in die Nachbar- schaft der Stahlwerke von Klöckner. Ich wohne in der Straße, die dort endet, wo das Dorf war, das in den 50er Jahren geopfert werden musste, um das

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andere mehr. Aber wir sind der siebtgrößte Industrie- Mir läuft es immer noch kalt den Rücken runter, standort in Deutschland, die zehntgrößte Stadt aber wenn ich das sehe. Mir läuft es allerdings auch im- siebtgrößter Industriestandort. Und wir beschäfti- mer noch kalt den Rücken runter, wenn ich die Bilder gen in Bremen mehr Kolleginnen und Kollegen in von 1983 sehe. Da hat es nicht funktioniert, als wir der Industrie als fast jede Stadt im Ruhrgebiet. Und die AG Weser retten wollten. 1993 ist es gelungen. deswegen ist es gut, dass wir nicht so reden wie Mit einer unglaublichen gemeinsamen Leistung von einige das noch in den 80er Jahren getan haben, Politik, von Kolleginnen und Kollegen und der gan- so nach dem Motto: das ist Altindustrie – möglichst zen Stadt. Dieter hat gesagt, nicht so viel Lob. Aber hin zu Dienstleistungen und ähnlichem – nein, wir eins darf man doch sagen: die Bürgermeister die- wissen, wie wichtig diese Industrie in unserer Stadt ser Stadt haben ihren Beitrag, ganz vorsichtig for- ist. Und deswegen sag ich auf jeder Veranstaltung muliert, dazu geleistet. hat ihn ge- und vor allem zu Leuten von außerhalb: Wir sind leistet, Hans Koschnick hat ihn geleistet, und einen stolz darauf, dass wir Automobilbau in Bremen ha- muss man in diesem Zusammenhang unbedingt er- ben, wir sind stolz darauf, dass wir Eisen- und Stahl- wähnen, das ist Klaus Wedemeier. Klaus Wedemeier produktion in Bremen haben, wir sind stolz darauf, hat mir erzählt wie es war, als die Stahlbarone bei dass wir Luft- und Raumfahrt haben, das ist das ihm im Rathaus aufgelaufen sind und ihm gesagt Rückgrat neben der maritimen Wirtschaft und wenn haben, richtig kapitalistisch-knallhart: Das Ding wir über Betriebe in dem Zusammenhang sprechen, wird zugemacht. Das war der Ausgangspunkt. Ich sprechen wir über Mercedes, und wir sprechen auch soll herzliche Grüße von Klaus Wedemeier überbrin- immer voller Stolz über die Stahlwerke und dem- gen, den ich gestern noch getroffen habe und auch entsprechend über ArcelorMittal und früher über darüber gesprochen habe. Also: Alle haben mitge- Klöckner. hofft und mitgebangt und mitgeholfen und das wird bei mir nicht anders sein. Das bedeutet auch zugleich Respekt vor denen, die diese Leistung erbringen, auf die wir stolz sind. Und Ich gratuliere einfach denen, die uns diese Ge- das sind die Kolleginnen und Kollegen. Ich glaube, schichte lebendig gemacht haben. Denn wir müs- Bremen insgesamt, die Bremerinnen und Bremer sen wissen, welche Traditionen wir haben. Wir leben wissen, was sie an diesem Werk haben, was sie an nicht nur in dieser Zeit, sondern wir leben in der der Hütte haben. Und sie haben ja nicht nur über Folge von Generationen. Und das macht uns stolz, die Jahre und Jahrzehnte Anlass zum Stolz gehabt, wenn man weiß, viele Generationen vor uns haben sondern es war auch immer ein Hoffen und Ban- nicht nur ihr Brot verdient auf der Hütte, sondern gen. Und wenn man eins sagen kann, dann, dass sie haben auch gekämpft für diese Arbeitsplät- es in den ganz schwierigen Phasen Anfang der 90er ze und am Ende haben sie auch gekämpft für die, Jahre aber auch zu anderen Zeiten – es ist ja doch die dort jetzt gerade Arbeit haben. Das ist auch ihr keine Überraschung gewesen, aber dennoch wun- Beitrag gewesen. Und denen setzen wir doch heute derbar zu erleben – dass die ganze Stadt sich um auch – ich will nicht sagen ein Denkmal – aber eine die Hütte versammelt hat und sie mit gestützt und tolle Erinnerung. Deswegen vielen Dank für diese geschützt hat. Ich sehe immer noch die Bilder von Veranstaltung, vielen Dank für die Einladung. Ich der Demonstration oder den Demonstrationen auf bin gerne dabei. dem Domshof 1993. Ich werd‘s nie vergessen.

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„...ein Fremdkörper im norddeutschen Raum.“ - Zur Geschichte der Norddeutschen Hütte. Eike Hemmer

Gründung

Am Anfang steht eine kühne Vision: Die Idee, Eisen- und Stahl produzierende Werke nicht mehr in den traditionellen Erz- und Kohleförderregionen (dem Ruhrgebiet, Saarland, Elsass-Lothringen) zu errich- ten, sondern an der See. Damit konnten Rohstof- fe günstig per Schiff transportiert werden. Zudem durfte man erwarten, in der fl orierenden Werftin- dustrie an der Unterweser einen wachsenden Markt für Stahl zu erschließen.

Zugleich sollte die Errichtung eines Hüttenwerkes einen weiteren Schritt zur Industrialisierung Bre- Hochöfen der Norddeutschen Hütte, HO 3 im Bau mens bringen. Diese Überlegungen bewegten die Bremer Kaufl eute und Bankenvertreter, die 1906 mit Erz für die Norddeutsche Hütte. Als am 2. April ein Konsortium zur Gründung der Norddeutschen 1911 der erste Hochofen in Betrieb ging, hatten be- Hütte bildeten. Zugleich sollte die Verkehrs- und reits 30 Dampfer ihre Ladung am Hafen gelöscht. Umschlagstätigkeit erhöht werden, um Bremens Bedeutung als Hafenstadt zu sichern. Errichtet wurden bis 1911 zwei Hochöfen, 80 Koks- öfen mit Ammoniak- und Teererzeugung. 1912 ka- Der Norddeutsche Lloyd spielte deshalb eine füh- men ein Zementwerk, eine Benzolfabrik, ein dritter rende Rolle im Projekt einer Hüttenansiedlung. Sein Hochofen und eine weitere Koksbatterie mit 40 Öfen Generaldirektor, Heinrich Wiegand übernahm den hinzu. Die Hütte erzeugte Roheisen, abgegossen in Vorsitz im Aufsichtsrat der am 7. Januar 1908 ge- Masseln. Sie wurden per Schiff ins Ruhrgebiet ver- gründeten Norddeutsche Hütte Aktiengesellschaft frachtet und dort und im Ausland zu Stahl weiter mit einem Kapital von 6 Millionen Mark. Im engen verarbeitet. Hüttenzement wurde regional vermark- Zusammenhang mit der Errichtung der Norddeut- tet. Außerdem lieferte die Hütte Kokereigas ins Bre- schen Hütte in den Jahren 1908 bis 1911 steht der mer Umland. Bau des Industrie- und Handelshafens. Bevorzugt sollte hier Industrie angesiedelt werden, die beim Die Pläne sahen vor, ein komplettes Stahlwerk ein- Bezug ihrer Rohmaterialien und der Versendung ih- schließlich Gießerei und Walzwerk zu errichten. rer Fabrikate auf den Seeweg angewiesen war. Die Doch dazu kam es nicht. Die Norddeutsche Hütte Hütte sollte dabei die Funktion eines Pilotbetriebes erzeugte niemals Walzstahl, das kühne Projekt blieb übernehmen. Zwischen 1907 und 1910 entstanden unvollendet – bis zur Ansiedlung von Klöckner, fast das zentrale Hafenbecken und das ab 1938 „Hüt- 50 Jahre später. tenhafen“ genannte Becken B, ebenso die Oslebs- hauser Schleuse. Am 9. November 1910 erreichte Die Hütte ein Fremdkörper der erste Dampfer den Hafen, „Lulea“ aus Lübeck Die Hütte führte im Bewusstsein der Bremer Öf- fentlichkeit lange Zeit ein Paria-Dasein. Noch 1999 sagte der ehemalige Meister Horst B. ein „wasch- echter Gröpelinger“, der 1949 als Lehrling auf der NDH anfi ng: „Es wurde nicht viel über die Hütte ge- sprochen. Sie lag ja auch ein bisschen außerhalb. Sie war nicht so bekannt wie Borgward oder Vulkan oder AG Weser. Wir waren in der Nähe der Weser eigentlich so ein bisschen für uns. Wir waren so eine Welt für uns.“ (Moje Weer 8/1999, S. 13)

Unterstützt wurde dieses Gefühl aber auch durch die Eigentumsverhältnisse. Kapitaleigner waren mit Ausnahme der ersten Phase nach der Gründung im- Die ersten Erzdampfer im Hüttenhafen mer auswärtige Großkonzerne. Nur für eine kurze

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schen Wirtschaftsgebiet, überhaupt Hütten an sich hier oben. Vielleicht werden wir in der Zukunft noch mehrere solche Fremdkörper bekommen durch Ruhrindustrielle, die nach hier auswandern und die des Glaubens sind, im norddeutschen Gebiet - zustände einführen zu müssen. Das Knechtschafts- gefühl soll gefördert werden… (Die Firma Röchling) hat den Anfang gemacht mit Herren, die aus dem Ruhrgebiet hierher geholt worden sind, polnische Methoden einzuführen. Glauben Sie, dass sich das durchführen lässt. Das war in der Vorkriegszeit mit 700.000 eingewanderten Polen wohl möglich. Die- se Leute konnte man ein bis zwei Jahre, so lange Bett für das Gießen von Masseln sie noch nicht von der Kultur beleckt waren, mit Hering und Kartoffeln abspeisen. Dann holte man Phase, als 1992 die Hütte von der Stilllegung bedroht sich neue Leute. “ (Verhandlungen der bremischen ist, war der Bremer Staat Anteilseigner (1993). Bürgerschaft, 1. Februar 1924)

1922 erwarb der saarländische Stumm-Konzern die Hauptanteile der Hütte, 1927 ging sie in den Be- sitz von über. Für die Übernahme der Anteile durch Krupp waren weniger wirtschaftliche Inter- essen maßgeblich als allgemeine Beteiligungsinter- essen. Wirtschaftlich und produktionstechnisch be- stand keinerlei Verbindung zwischen Krupp und der Norddeutschen Hütte, heißt es in einem Bericht des ehemaligen NDH-Direktors Hugo Siegers.

Belegschaft, auswärtige Arbeiter, Polen

Ein weiterer Umstand dafür, dass die Hütte bis in die jüngste Zeit in Bremen als Fremdkörper emp- Wohnungen für Direktion und Angestellte bei der Hütte funden wurde, lag in der Art der Produktion. Für An dieser Rede sind drei Tatsachen bemerkens- die körperlich schwere und harte Arbeit wurden im wert: großen Umfang auswärtige Arbeiter angeworben. 1. Ein großer Teil der Belegschaft der Hütte be- Facharbeiter kamen zumeist aus Westfalen, ange- stand aus polnischen Zuwanderern. Nach einer lernte Arbeiter vielfach aus polnischen Gebieten. Die anderen Quelle stellten sie vor dem Krieg ca. Bezahlung war niedriger als beispielsweise auf den die Hälfte der Belegschaft. Werften. 9/10 der Arbeiter erhielten nur 32 Pfennig Stundenlohn. Noch 1935 bemerkte der neu zur NDH 2. Die Aussage, dass die Hütte in Norddeutschland gekommene Direktor Hofmann: Die Bezahlung der ein Fremdkörper sei. Arbeiter war dort unglaublich schlecht. In einer Rede 3. Die Diffamierung der polnischen Zuwanderer als in der Bürgerschaft monierte der SPD-Abgeordnete unterwürfi g und kulturlos. Theil: (Es ist ein Skandal), dass die voll in Arbeit stehenden so niedrig entlohnt werden, dass sie der Aus Teilen der Gewerkschaften wurde diese Ein- Fürsorge anheim fallen.“ (Bremische Bürgerschaft schätzung mit der Behauptung verstärkt, dass pol- 1. Februar 1924) nische Arbeiter sich als Lohndrücker gebrauchen ließen. Über die polnischen Arbeiter gab es in der Öffentlich- keit manche Vorurteile. Das folgende Zitat stammt In der Sozialdemokratischen Bürgerzeitung fi nden aus einer Rede des Abgeordneten Sommer, (SPD) sich eine ganze Reihe herabsetzender Bemerkungen in der Bürgerschafts-Sitzung zum Antrag der NDH, wie z. B.: „Die polnischen Arbeiter seien von ´Fusel den 8-Stundentag abzuschaffen und in 12-Stunden- und Pfaff` beherrscht; zugleich bedrohten sie auf Schichten arbeiten zu lassen: Grund ihres mangelnden Klassenbewusstseins und in ihrer Funktion als Lohndrücker die Lebenshaltung „In der Vorkriegszeit hat die Hütte (zwar) in zwei des deutschen Proletariats.“ (zitiert nach Karl Mar- Schichten gearbeitet. In diesen zwei Schichten wa- ten Barfuss, Wirtschaftliche, soziale und politische ren aber vorwiegend Polen beschäftigt. Die Nord- Aspekte der polnischen Einwanderung nach Bre- deutsche Hütte ist ein Fremdkörper im norddeut- men, Deutsch-Polnisches Jahrbuch 1981/82).

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Unterwachtmeister unerheblich verletzt.“ Kämpferische Belegschaft Den von der Hütte entlassenen Arbeitern wurde vom Dort, wo man gemeinsam gewerkschaftlich kämpf- Arbeitsamt die Erwerbslosenunterstützung verwei- te, erwarben sich die polnischen Arbeiter Ansehen gert. Dies und die wachsende Zahl der Streikbre- und gewerkschaftliche Anerkennung. Bei den Ar- cher führte zum Abbruch des Streiks. Es handelte beitskämpfen der 1920er Jahre hat die Hüttenbe- sich offenbar bei den Hüttenarbeitern in den 1920er legschaft jedenfalls erheblichen Widerstandsgeist Jahren um eine kämpferische Belegschaft. Sie hatte gezeigt. allerdings wenig Einfl uss auf die gesamte Bremer Arbeiterbewegung. Zwei Beispiele dafür: Am 2. Mai 1923 trat die Be- legschaft der NDH (1.050 Arbeiter) in den Streik, weil die Direktion 10 Leute wegen Teilnahme an der 1. Maifeier entlassen hatte. Dadurch blieben sechs Umlandgemeinden und einige Gewerbeunterneh- men ohne Gas.

Nach Zusicherung der Direktion, die Entlassenen weiter zu beschäftigen, wurde auf einer Betriebs- versammlung die Wiederaufnahme der Arbeit be- schlossen. (Bremer Volkszeitung vom 2.5.1923 und Norddeutsche Volkszeitung vom 4.5.1923)

Ein Jahr später kam es zu einem wochenlangen Arbeitskampf. Grund war der Angriff auf den Acht- Arbeiter der Norddeutschen Hütte stundentag, eine Errungenschaft der Novemberre- Ein zusätzlicher Faktor für die Außenseiterposition volution 1918. Im Dezember 1923 stellte die Hüt- waren auch die Wohnbedingungen. Auf der Hütte tendirektion beim Arbeiterrat offi ziell den Antrag auf war bereits früh ein Wohnheim für ledige Arbeiter Einführung des zwölfstündigen Arbeitstages bei zwei errichtet worden. Viele wohnten auch in den Häu- Schichten. Als Arbeiterrat und die Belegschaft in ei- sern an der Hüttenstraße. Die NDH war Teilhaber ner Abstimmung diesen Antrag mit großer Mehrheit der Baugesellschaft. Für Direktion, höhere Ange- ablehnten, wurde den 850 Arbeitern sämtlich zum stellte und Meister wurden Häuser in unmittelbarer 12. Januar 1924 gekündigt. Es kam zu einem mehr- Nachbarschaft der Hütte errichtet. wöchigen, verbissen geführten Streik. Weltwirtschaftskrise Die technische Nothilfe wurde auf dem Werk einge- setzt und unter dem Schutz der Sicherheitspolizei Die Wirtschaftskrise ab 1929 traf die Norddeutsche auf die Hütte gebracht. Aus dem Ruhrgebiet wurden Hütte hart. 1930 musste zunächst ein Hochofen arbeitswillige Mitglieder der Christlichen Gewerk- stillgelegt werden, 1931 der zweite. Das Zement- schaft herangeholt. werk arbeitete noch bis Anfang 1932 die Vorräte an Rohstoffen auf. Dann wurde es ebenfalls für mehre- Die Nachrichtenstelle der Polizeidirektion II meldet: re Jahre stillgelegt. • „Es ist mehrfach vorgekommen, dass Arbeits- Die Belegschaft sank von 850 Beschäftigten, dar- willige verprügelt wurden.“ unter 87 Angestellten im Jahre 1929 auf den Tiefst- • „Der Kantinenwirt der NH, der die Streikenden stand von knapp 200 Arbeitern und Angestellten unterstützte, hat von der Direktion seine Kündi- im Jahre 1933. Mit dem „Krümpersystem“ konnte gung erhalten.“ ein kleiner Stamm von Arbeitern gehalten werden. (fünf Wochen Arbeit, fünf Wochen arbeitslos über • „Die technische Nothilfe, die auf dem Werk ein- fünf Jahre.) gesetzt ist, wird geschlossen zum Werk hinaus- gebracht. Einzelne Nachzügler, die nicht mit Nur dank des Bremer Staates konnte im beschränk- dem Sammeltransport hinausgehen, sind von ten Umfang ein Betrieb von Anlagen aufrechter- den Streikposten misshandelt worden.“ halten werden. 1930 verpfl ichtete sich Bremen, im • „Neun Arbeiter wurden wegen Landfriedens- Gasliefervertrag zehn Millionen Kubikmeter Gas ab- bruch und Köperverletzung festgenommen und zunehmen (zu Lasten des städtischen Gaswerkes) am 5.2. ins Untersuchungsgefängnis eingelie- und durch das Städtische Gaswerk vertreiben zu fert.“ lassen. Nur so konnten die Kokerei und die ange- • „Bei einem Handgranatenwurf auf ein Polizei- schlossene Ammoniak- und Benzolherstellung wei- auto, das den Transport begleitete, wurde ein ter produzieren.

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Aufrüstung, Zwangsarbeit, Lager

Im Zuge der Autarkiebestrebungen des Dritten Rei- ches wurde eine Anlage zur Herstellung von Fluss- eisen für Legierungszwecke und zur Herstellung von Ferrovanadium errichtet. Letzteres wurde zur Herstellung von Spezialstählen für die Waffenpro- duktion benötigt. Diese Vanadinanlage wurde we- gen der gesundheitsgefährdenden Dämpfe von den Beschäftigten als „Giftküche“ bezeichnet.

1935 schickte Krupp Otto Hofmann, einen ausge- wiesenen Nazi, als neuen technischen Direktor auf die Hütte. Er sei gekommen, um die „rote Hütte rein zu fegen“, kündigte er auf einer Betriebsver- sammlung an. Der ehemalige kaufmännische Direk- tor Rudolf Schwöbmann sagte über Hofmanns Wir- ken 1948 aus: „Als er von Essen kam, gab es auf der Hütte kaum irgendwelche Parteimitglieder und keinen deutschen Gruß. Nach etlichen Jahren war die Hütte braun, vorher aber als Rote Hochburg be- kannt.“ (Spruchkammerverfahren 4. Juni 1948) Auf der Hütte wurde ein System von Lagern für die Un- terbringung der Zwangsarbeiter errichtet. Das gan- ze Gelände war umzäunt, Werkschutz und leitende Vorgesetzte waren bewaffnet.

Trotz allgemeiner Wirtschaftsbelebung 1934 wurden die stillliegenden Hochöfen und das Zementwerk noch nicht wieder in Betrieb genommen. Als Preis für die Wiederaufnahme verlangte das Unterneh- men von Bremen eine größere Abnahme von Gas- mengen. In die äußerst zähen Verhandlungen schal- tete sich auch der Reichswirtschaftsminister ein. In einem Schreiben an den Bürgermeister unterstrich er die Rolle der Norddeutschen Hütte bei der Vorbe- reitung auf den Krieg.

Zitat: „Ich halte es aus Gründen der Landesver- Ehemalige Vanadinanlage, Foto von 2007 teidigung für dringend notwendig, die durch Be- triebsaufnahme der Hütte gebotene Möglichkeit der Herstellung von Eisen außerhalb des Ruhrge- Zitat eines Kollegen: „Im Grunde war der ganze Be- biets auszunutzen … Außerdem lege ich, ebenfalls trieb ein Lager“. Die Hütte beschäftigte überdurch- aus wehrpolitischen Gründen, großes Gewicht dar- schnittlich viele ausländische Zwangsarbeiter. 1944, auf, dass die Hütte einen größeren, mindestens für als die Belegschaft mit fast 1500 Beschäftigten ih- sechs Monate ausreichenden Kohlenvorrat unter- ren Höchststand erreichte, stellten sie die Hälfte der hält.“ (Hemmer, Milbradt, S. 25) Arbeiterbelegschaft.

Der Senat gab schließlich nach. Er schloss 1935 ei- Bei Vergehen gegen die Betriebsordnung griff ein nen neuen Gaslieferungsvertrag, in dem die Menge betriebliches Strafsystem. Der Betriebsführer hatte abzunehmenden Gases auf das Dreifache erhöht (30 die direkte Verbindung zur Gestapo. Bei schwereren Millionen m³ pro Jahr) wurde. Am 18. Sept. 1935 Vergehen drohte Arbeitserziehungslager oder die wurde Hochofen III wieder angeblasen, 1937/38 Einweisung in ein KZ. Es gibt keine Berichte über or- gingen ein weiterer Hochofen und ein neues Kraft- ganisierte Widerstandshandlungen der Belegschaft. werk in Betrieb. Krupp bezog den bisherigen Rand- Überliefert ist aus einzelnen Betriebsbereichen ein betrieb jetzt voll in die Aufrüstung ein. widerständiges Milieu, das sich im Verweigern des

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den mit Datum vom 17.7.1945 einen Bericht über Zustände auf der NDH. Darin wurden Direktor Hof- mann und der Betriebsobmann als Verantwortliche für Einweisungen ins AEL und weitere nationalsozi- alistische Aktivitäten namhaft gemacht. Der spätere Betriebsratsvorsitzende Alexander Orzol hatte die Aushänge über betriebliche Bestrafungen gesam- melt und stellte sie den Spruchkammern in Entnazi- fi zierungsverfahren zur Verfügung. Der Betriebsrat sorgte dafür, dass Nazi-Aktivisten aus dem Betrieb entlassen wurden.

Am 10.10.1945 wurde auf der NDH der erste frei- Anblasen des Hochofen III 1935. In der Mitte Bgmstr. gewählte Betriebsrat nach Ende des Naziregimes Heider bestimmt. Er bestand aus neun Vertretern, nach einer Untersuchung von Peter Brandt sieben davon Hitlergrusses oder dem heimlichen Zustecken von Mitglieder der KPD, zwei der SPD. Zum Vorsitzenden Nahrungsmitteln an hungernde Zwangsarbeiter ma- wurde das KPD-Mitglied Bernhard Graul gewählt. nifestierte. Das umfassende Unterdrückungssystem im Werk während der Nazizeit ist näher beschrie- Die Arbeitervertreter einte das Bestreben, aus den ben in dem Buch von Robert Milbradt und mir: „Bei Erfahrungen des Scheiterns der Weimarer Republik, Bummeln drohte Gestapohaft“ die Spaltung der Arbeiterbewegung zu überwinden und eine starke Einheitsgewerkschaft aufzubauen. Bildung des Betriebsrats nach 1945 Ausdruck davon war die Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus, die sich bereits am 3. Mai 1945 Das Werk wurde kurz vor Kriegsende durch Bom- aus Vertretern ehemaliger Arbeiterorganisationen benangriffe so schwer beschädigt, dass die Produk- konstituierte. Diese Bestrebungen zur Einheit schei- tion zum Erliegen kam. Als Konzernunternehmen terten bald nach der Wiederzulassung der beiden der Firma Krupp wurde das Werk der Kontrolle der Arbeiterparteien und ihrer Einbeziehung in die po- alliierten Militärregierung unterstellt. Alle Anlagen litische Konfrontation zwischen Ost und West. Auf standen Ende 1945 auf der Reparationsliste. Als ers- der Hütte behielten KPD-Vertreter aber eine star- tes wurde die Vanadinanlage als besonders kriegs- ke Position, auch nachdem 1949 mit Alex Orzol ein wichtig demontiert und nach Frankreich geliefert. SPD-Mann Betriebsratsvorsitzender wurde. Das ist Mitte 1949 waren alle Hochöfen abgerissen. neben der relativen Außenseiterrolle in der Bremer Öffentlichkeit ein zweites besonderes Merkmal der Belegschaft, Werksleitung und Senat gelang es, die Hütte unter den Bremer Industriebetrieben. Kokerei und das Zementwerk vor der Demontage zu retten. Das Gas aus der Kokerei war für die Versor- Als 1954 Klöckner die Norddeutsche Hütte über- gung Bremens als Ergänzung für die stark kriegs- nahm, wurden die 569 Beschäftigten unter Wah- beschädigten Stadtwerke lebensnotwendig. Ebenso rung aller erworbenen Rechte in die neu entstehen- wurde Zement dringend für Bauarbeiten in der zer- de Belegschaft der Klöckner-Hütte überführt. Bei störten Stadt benötigt. der Auswahl der Schlüsselkräfte für das neue Werk sollte auch auf deren politische Zuverlässigkeit ge- Darüber hinaus gelang auch die Erhaltung weiterer achtet werden, wie aus einer Korrespondenz zwi- Anlagen, weil die Militärregierung einsehen musste, dass ohne einen Teil der Eisenbahn und der Hafen- umschlagsanlagen sowie zunächst auch des Kraft- werkes eine Gasproduktion nicht möglich war. Der Bremer Staat stellte Geldmittel für Neuanlagen zur Zementherstellung zur Verfügung. Zement wurde, weil die Hochöfen keine Schlacke mehr lieferten, aus klein gemahlenen Ziegeln der zerstörten Ge- bäude hergestellt. Später kaufte man Schlacke von anderen Werken dazu.

Wenige Wochen nach der Besetzung Bremens durch alliierte Truppen bildete sich auf der Hütte ein Ar- beiterausschuss aus schon vor 1933 aktiven KPD- und SPD-Mitgliedern. Er schickte den Militärbehör- Alex Orzol (2. von links), später Betriebsratsvorsitzender

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schen dem Vertreter der Bremer Handelskammer in Bonn, Freiherr von Hodenberg und dem Syndikus der Handelskammer, Dr. Kohl, hervorgeht.

Freiherr von Hodenberg mahnte, der ständigen po- litischen Gefahr beim Personalaufbau entgegenzu- wirken. „Die Gefahr wird als sehr ernst angesehen, weil genügend politisch geschulte radikale Kräfte vorhanden sind, um planmäßig eingesetzt werden zu können.“ Dr. Kohl versicherte: „Wir haben es in der Hand, und davon haben wir auch Gebrauch ge- macht, die Leute, die zu den Klöckner-Werken kom- men, vorher politisch überprüfen zu lassen, und zwar in einer Art und Weise, die völlig unauffällig ist.“ (zitiert nach Michael Köhler, unveröffentlichtes Manuskript, S. 62)

Diese Vorsichtsmaßnahmen scheinen nicht immer funktioniert zu haben. Jedenfalls erhielt sich in der von Klöckner übernommenen NDH-Belegschaft eine gewisse eigene Tradition, in ihr auch ein Stück Selbstbewusstsein und ein Zusammenhalt, der lan- ge noch im so genannten Altwerk spürbar blieb. Einer dieser älteren Kollegen, Max Müller, war von 1954 bis 1966 Betriebsratsvorsitzender auf der Klöckner-Hütte, ebenso wie später Heinz Röpke. Beide waren Mitglieder der KPD. Ihr Wirken und das ihrer Kollegen trug dazu bei, dass sich auf der Hütte unter teilweise erbittert ausgetragenen Kämpfen in den 1960er und 1970er Jahren eine linke Führungs- mannschaft in Betriebsrat und Vertrauenskörper entwickeln konnte. Aber dafür gibt es kompetente Augenzeugen in unserer anschließenden Gesprächs- runde.

Im Andenken an die Vorgänger der Betriebsrats- und Gewerkschaftsvertretung auf der Hütte, auf deren Schultern auch wir stehen, möchte ich zum Schluss drei Veteranen des Betriebsrates vorstellen: die ehemaligen Betriebsratsvorsitzenden Alex Orzol (SPD), Max Müller (KPD) und Heinz Röpke (KPD/ DKP) (s. linke Bilderleiste von oben nach unten).

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Gesprächsrunde „Klöckner – Bremer Politik – linker Betriebsrat“ mit Hans Koschnick, Bonno Schütter, Robert Milbradt, Peter Sörgel, Dieter Reinken Moderation: Klaus Schloesser Fernsehjournalist, 1999-2007 Sprecher des Senats, jetzt Referat Marketing und Öffentlichkeitsarbeit der Hochschule für Künste Bremen

Moderator: 100 Jahre Hütte: Das ist erst einmal diese Hütte war lange Zeit irgendwie ein Fremd- ein Grund zu feiern. Insbesondere, wenn das Ge- körper in der Stadt. Werften und Hafenwirtschaft burtstagskind noch so rüstig und fi t ist und insbe- gehörten zu uns, aber mit ihrer Hütte haben die sondere, wenn man weiß, dass es in der Geschichte Bremer sich schwer getan. Wie war das für Sie als der Hütte auch Phasen gegeben hat, die uns diesen Bürger und als Bürgermeister? 100. Geburtstag nicht gegönnt haben. Insofern erst einmal herzlichen Glückwunsch! Hans Koschnick: Ich bin Gröpelinger. So weit war die Hütte nicht von Gröpelingen entfernt. Aber na- Wer 100 Jahre alt ist, der hat etwas zu erzählen. türlich war der Kern die Ak’schen, die Getreideanla- Hier sitzen nun Zeitzeugen, die diese Geschichte ge, die Hafenbetriebe, die Stauereien. Die Wirtschaft tiefgreifend mitgeprägt haben. Hans Koschnick, ihn war auf den Hafen ausgerichtet. Die anderen wollten brauche ich nicht vorzustellen und die ehemaligen ja erst über die Hütte hinein in die Hafenwirtschaft Betriebsräte Bonno Schütter, Robert Milbradt, Dieter kommen. Man kann aber doch sagen: Von Gröpe- Reinken und Peter Sörgel, die das Schicksal dieser lingen über Oslebshausen hinauf bis nach Bremen- Hütte entscheidend mitgestaltet haben in ihren un- Nord gab es auch einen festen Teil der Bevölkerung, terschiedlichen und dramatischen Phasen. Die sich der für die Hütte war. Sie lebten nämlich davon. Es mit der Unternehmensleitung und, darüber werden war eine Arbeitschance. Nicht in den schlechten Zei- wir sicherlich auch reden, mit ihrer Gewerkschafts- ten mit den ganz miserablen Löhnen in der früheren führung, gelegentlich auch mit Sozialdemokraten Zeiten. Hier war aber eine Perspektive. Aber es war gestritten haben und oft auch untereinander unter- ein Betrieb, der ganz anders zusammengesetzt war schiedlicher Meinung waren. als die gewachsenen Bremer Industriebetriebe. Ei- gentlich nicht aus den Facharbeitern alter Art. Es Ich bitte dabei um Verständnis: Wir werden es nicht wurde eine neue Firma aufgemacht. Die Leute wur- schaffen, alle Aspekte hinreichend zu beleuchten den eingesammelt und los ging es. Es war eine gro- und der eine oder andere wird am Ende sagen, da ße Zahl von ungelernten und angelernten Arbeitern, ist ein Aspekt zu kurz gekommen. Unsere Diskus- die damals gesucht wurden. Für diejenigen, die in sionsrunde bitte ich sich zu erinnern, zu berichten, anderen bremischen Betrieben eine Chance hatten, auch miteinander zu diskutieren. Aber nicht zu lan- unter anderen Bedingungen arbeiten und bezahlt ge, denn wir wollen am Ende natürlich in der Ge- werden zu können, denen war klar: Man ging in genwart landen und auch einen Ausblick in die Zu- einen ganz anderen Betrieb. Und daraus hat sich kunft wagen. auch ein eigenes Klima in der Arbeitnehmerschaft der Hütte entwickelt, die wir schon gespürt haben. Hans Koschnick: Eike Hemmer hat gerade gesagt, Es war anders.

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Jens Böhrnsen hat eben den Hinweis gegeben auf ses fand ich ganz wichtig. Deswegen war es in der die Belegschafts- oder Betriebsrats-Beziehungen eigentlichen Frage der Zusammenarbeit im Betrieb Ak’schen zu Klöckner oder hin zum Vulkan oder zu weitgehend normal, dass das, was draußen anders Borgward. Es waren ganz andere Bereiche und den- gesagt worden ist, intern gemeinsam vertreten noch gab es hier etwas, was viel stärker als in ande- worden ist. Insofern gab es für uns ein Problem. ren Betrieben sichtbar wurde. Die Belegschaft war Das wirkliche Problem ist: Wir sind nie genau dahin- in sich geschlossener, nicht unbedingt einheitlicher, ter gekommen, was die Brüder gemeinsam bespro- aber geschlossener, wenn es darum ging, Positionen chen haben. (Gelächter) Im Gegensatz zu sonstigen nach draußen zu vertreten. Dingen. Die haben eine ganze Menge auf die Beine gestellt, von denen wir zum Teil überrascht wurden. Eisen und Stahl war für Bremen ganz neu – das auf Mal als Sozialdemokraten, mehr noch überrascht jeden Fall. Aber etwas haben wir bald von der Hütte worden im Rathaus. Das muss man ertragen kön- auch gelernt: Dass „Eisen und Stahl“ ein beliebtes nen. Wir haben keinen Grund zu klagen, es ist ja Getränk der Betriebsräte war. Hat sich alles geän- geschehen. dert. Aber das war damals auch eine Frage, dass wir lernen mussten, sozusagen mit anderen Gebräu- Moderator: Bonno Schütter ist 1959 auf die Hütte chen fertig zu werden. Wir tranken früher Bier und gekommen, ab 1962 Betriebsrat und ab 1969 Be- Köhm, hier wurde „Eisen und Stahl“ getrunken. triebsratsvorsitzender. Das war die Zeit, als Hans Koschnick Innensenator war und als in der Bundes- Bei den Bürgermeistern ist ganz entscheidend: Wil- republik über die Notstandsgesetzgebung diskutiert helm Kaisen hat zu Recht darauf gesetzt, dass das, wurde. Das waren Zeiten wilder Streiks auf der Hüt- was 1910/11 angefangen wurde, fortgesetzt wurde, te und der Straßenbahnunruhen in Bremen. Bonno nämlich dieser Kaufmannsstadt auch eine indus- Schütter, warum ging das aus Ihrer Sicht damals trielle Basis zu geben. Es hat lange gedauert, bis nicht mit den Sozis im Betriebsrat? das in Bremen akzeptiert wurde. Außer Werften war nichts gewesen. Alle anderen kamen von irgendwo Bonno Schütter: Bis 1966 gab es keine großen Dif- her und wurden nicht so geliebt. Das galt für die Au- ferenzen zwischen den Sozialdemokraten im Betrieb tomobilindustrie genauso wie für die Hütte. Deshalb und uns als linke Gruppe, einer Vereinigung von kann ich nur sagen: Grundlage war diese Entschei- DKP-Mitgliedern, von Genossen der Gruppe Arbei- dung. Eine zweite wichtige Entscheidung war, dass terpolitik und von Sozialdemokraten. Das war mehr in der Zeit der größten Krise Klaus Wedemeier sich oder weniger eine Einheitsfront im Gegensatz zu ei- mit vollem Engagement dafür eingesetzt hat, auch nem ausgesprochen reaktionären Unternehmer, der zum Teil gegen Unverständnisse in anderen Teilen auf der Hütte den „Herr-im-Hause“-Standpunkt ex- Bremens diese Hütte zu erhalten. erzieren wollte. Diese gemeinsame Front gegen den Arbeitgeber wurde dadurch unterbrochen, dass es Moderator: Als ich mich eingelesen und vorbereitet Ziel der SPD war, die Kommunisten und die Linken habe, dachte ich: Wenn wir uns zum 75. Geburtstag in den Betrieben auszuschalten. hier getroffen hätten – also vor 25 Jahren –, dann hätten wir hier sozusagen ein Auswärtsspiel gehabt. In Bremen gab es die so genannte Sozialdemokra- Dieter Reinken ist heute SPD und wird - da muss tische Arbeitsgemeinschaft, die die Gewerkschaften man kein Prophet sein – nach der Wahl in der Bre- beherrschte. Jede Positionsbesetzung in den Bre- mischen Bürgerschaft sitzen. Peter Sörgel ist in der mer Gewerkschaften wurde von ihr vorbestimmt SPD und war in der Bürgerschaft. Damals jedoch gab und mit der Zeit legte man größten Wert darauf, es Phasen in dieser Hütte, in der Sozialdemokraten dass auch diese so genannte linke Mehrheit, die es nicht ganz leicht hatten. Mit der linken und roten mal von Heinz Prott (SPD) und mal von Max Müller Hütte; haben Sie da Schwierigkeiten gehabt? (KPD),getragen wurde, dass hier die Kommunisten oder Linken ausgeschaltet wurden. Der Betriebs- Hans Koschnick: Natürlich hab’ ich Schwierigkei- gruppensekretär der SPD, Arno Koch, konnte 1966 ten gehabt. Das sage ich nicht als Bürgermeister, im Landesvorstand der SPD stolz verkünden, wir sondern selbstverständlich als Sozialdemokrat. Wir haben nun erstmal einen sozialdemokratischen Be- hatten einige Freunde innerhalb der kaufmänni- triebsratsvorsitzenden, Heinz Prott, und nun kommt schen Verwaltung, relativ wenige bei den Arbeitern es darauf an, dass wir diese Position erhalten und – Milbradt war eher die Ausnahme – und wir haben die Kommunisten dort vertreiben. andere, die natürlich diese Auseinandersetzungen führten. Hier war ein Werk, das in der Tradition der Moderator: Hans Koschnick, war das so? (Geläch- Bremer Linken stand, den Laden zusammenzuhal- ter) Ich habe von der Gruppe Arbeiterpolitik noch ten: Wir müssen beweisen, dass wir es gemeinsam ein paar Pamphlete gefunden: Die schreiben da, können und wir müssen den Mist von oben nicht von 1968 an war es erklärtes Ziel der IG Metall und mitmachen. Wir haben unseren eigenen Weg. Die- der Bremer SPD-Führung einschließlich des SPD-

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Der ehemalige Betriebsrat Helmut Holtorp (3. von links)

Streik für die 35h-Woche im Januar 1979

Demonstrationszug gegen die Änderung des § 116 AfG (1986) 21 100 Jahre Hochöfen an der Weser

Demonstrationszug zum Erhalt der Hütte (1993)

Kollegen sammeln sich zur Demonstration

Versammlung im Warmwalzwerk

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Betriebsversammlung in der Stadthalle, am Pult Peter Sörgel

Glückliche Gesichter nach der Aufsichtratsentscheidung zum Interessentenmodell

Gemeinsam für den Erhalt der Hütte: Klaus Hilker, Claus Jäger, Peter Sörgel, Ralf Füchs 23 100 Jahre Hochöfen an der Weser

Bremer Delegation auf der Aufsichtsratssitzung von Klöckner in Duisburg

Abstich am Mini-Hochofen auf dem Bremer Marktplatz (1993)

Anblasen HO II durch Bürgermeister Klaus Wedemeier (1993)

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Senates (und das sind Sie) die linken Kollegen in der IG Metall mundtot zu machen.

Hans Koschnick: Ja. Ja. (Gelächter) Es war so! Es war eine politische Auseinandersetzung über den richtigen Weg. Es gab noch eine ganz andere Frage: Der Haufen (im positiven Sinne), der in sich auch unabhängig von verschiedenen Parteigruppierun- gen doch zusammengehalten hat, war etwas ganz anderes, als was wir in anderen Betrieben gewohnt waren.

Das war doch keine reine Freude für uns; das war doch keine Freude „Wilder Streik“, das war doch keine Freude sich rumschlagen zu müssen. Aber wir werden ja auch nicht bezahlt für Freude. (Ge- lächter) Es war eine politische Auseinandersetzung und hier standen eben auf der einen Seite alte For- mationen der Bremer Linken und Kommunisten zu- sammen, die sagten, die da draußen kennen unsere Welt nicht, denen müssen wir mal zeigen, wie wir die Welt sehen. Und auf der anderen Seite waren wir.

Moderator: Jetzt bin ich ja vielleicht ein bisschen blöd oder naiv (Koschnick: „Ja, wahrscheinlich“. Gelächter), aber ich dachte, wenn so eine Schüt- ter-Truppe antritt bei der Betriebsratswahl und sie kriegen aus dem Stand eine dicke und satte Mehr- heit, hätten die Sozialdemokraten mal nachdenken müssen und sich sagen „Verdammt noch mal, wir Machtfülle in den Händen der Besitzer der Grund- müssen was falsch gemacht haben. Wir haben das stoffi ndustrie sein. (Beifall) Der deutsche Staat hatte Vertrauen der Kollegen nicht wiedergekriegt, son- aufgehört zu existieren und vom Ahlener-Programm dern die anderen haben es bekommen“. Da muss der CDU bis zu allen Programmen der Sozialdemo- man doch einen Augenblick nachdenken, was man kratie und der DKP und nach Mehrheitsmeinung der in Zukunft besser machen kann. Es liest sich aber Öffentlichkeit war es eine Selbstverständlichkeit, so, als hätte die SPD alles darangesetzt, den los zu dass die Entfl echtung der Stahlindustrie notwendig werden. Schütter ist erst aus dem Betrieb, dann sein würde. aus der IG Metall rausgefl ogen. Ich weiß nicht, was sonst noch passiert ist. Das geschah 1948 durch eine Gesetzgebung. Im Grunde genommen sollte die Vergesellschaftung Hans Koschnick: Die letzte Frage richten Sie bitte der Grundstockindustrie Grundlage dafür sein, dass an die IG Metall. Es hat doch gar keinen Sinn, so niemals wieder die herrschende Klasse dieser Groß- zu tun, als wenn alles ganz schön war. Nein, es war industrie Finanzier eines Nationalsozialismus sein eine richtig herzhafte Auseinandersetzung. Es ging dürfte. Das sollte für alle Zeiten beseitigt werden. um eine andere Zukunft, eine andere Perspektive, (Beifall) Und in diesem Zusammenhang war es für es ging weniger um den Betrieb. die Sozialdemokratie, und dazu zähl’ ich auch die Gewerkschaftsbewegung, das Mittel der Mitbestim- Bonno Schütter: Man muss den grundsätzlichen mung, nachdem es zur Restaurierung des Kapita- Hintergrund schildern, weshalb es zu diesen Ausei- lismus auch in der Stahlindustrie kam. Das war das nandersetzungen gekommen ist. Es ging nicht nur Mittel der Gewerkschaftsbewegung, von Hans Böck- um persönliche Gegensätze, es ging nicht nur dar- ler angefangen, dem damaligen Führer des DGB um, ob ein Sozialdemokrat Betriebsratsvorsitzender und dem Sozialdemokraten Schumacher usw. ist oder ein Linker oder ein Kommunist. Grundlegend war die völlig unterschiedliche Einschätzung, wel- Es war selbstverständlich, dass die Demokratie am chen Standort die Arbeiterschaft in der deutschen Werkstor nicht aufhört, dass im Rahmen der pari- Wirtschaft hat. Es gab eine Zeit, da war eigentlich tätischen Mitbestimmung in der Stahlindustrie die die Generation von Herrn Koschnick und mir einer Rechte der Arbeiter gewahrt bleiben, um dafür zu Meinung: Nach 1945 darf niemals wieder diese sorgen, dass die Herrschaft dieser Schlotbarone

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Deutschland niemals wieder ins Verderben führen würde. Der Streit über diese Frage, das war die Hauptdifferenz, die wir mit der Gewerkschaftsfüh- rung und der Sozialdemokratie hatten. Wir hielten die Mitbestimmung nicht für das geeignete Mittel, die Herrschaft des Kapitals zu brechen.

Das ist heute auch keine theoretische Frage mehr. Wir wissen ja, dass die Mitbestimmung den Zusam- menbruch der großen Bremer Betriebe AG Weser, Vulkan, Borgward, Lloyd Dynamo und Nordmende nicht aufgehalten hat. Die ökonomischen Gesetze des Kapitals sind an dieser Mitbestimmung vorbei- marschiert und sie bestimmen auch heute noch weitgehend, was gemacht wird.

Und wer mir heute erzählen will, dass die gestiege- ne Konzentration, dass heute die ehemaligen Klöck- ner Werke, die nicht mehr existieren, dass heute Mittal als der größte Stahlunternehmer der Welt, der für unsere Betriebsräte gar nicht mehr fassbar ist, der irgendwo in Luxemburg oder in London die Geschicke dieses Werkes oder dieses größten Stahl- konzerns der Welt bestimmt. Da sind wir der Auffas- sung, das ist nicht mit Fragen der Mitbestimmung durchzusetzen, die hat völlig versagt und darum ging es im Betrieb immer um die Position des Ar- beitsdirektors.

Moderator: Das war ja nun eine spannende Kost- probe. Robert Milbradt, Sie sind 1965 in die Hütte da sind ja gar keine Marken drin. Hinterher hab ich gekommen. Vorher hatten Sie Bootsbauer gelernt erfahren, dass der Kassierer mit dem Geld durch- und waren auch bei der Fischerei. Sie sind ja relativ gebrannt war. (Gelächter) So fehlten mir die ersten fi x Vertrauensmann und Betriebsrat geworden und drei Jahre und bin dann in die ÖTV gegangen. dann fast ein Vierteljahrhundert auch geblieben. Wie haben Sie sich in diesen Kämpfen anfangs ori- Ich kriegte die Zusage auf dem Schiff, ich bin als entiert, Bonno Schütter auf der einen und Sozialde- Leichtmatrose angefangen. Damals war Fischerei mokraten auf der anderen Seite. Wenn man sich da ein Lehrberuf, drei Jahre lernen. Und wir, weil zu engagieren will, wie fi ndet man sich zurecht? wenig Leute da waren, kamen jetzt her, d.h. alle diejenigen, die gelernt hatten, hatten uns schon auf Robert Milbradt: Ich habe 1959 bis 1962 Boots- Sicht, weil wir dann in einer verkürzten Zeit diese bauer gelernt bei Abeking & Rasmussen, war bis Laufbahn machten. Ich bin auf einem Ölbrenner an- September 1962 Geselle. Ich hatte das Pech, es lief gefangen, anschließend bin ich Matrose geworden. eine Serie von schnellen Minensuchbooten aus und Aber nicht im Aufstieg, sondern als Matrose bin ich dann mussten über 300 Mann die Werft verlassen. auf einem Kohlendampfer gefahren und um Geld zu Ich hab’ mir überlegt, was kannst Du machen und verdienen, hab’ ich nebenbei auch Kohlen getrimmt ich hatte gedacht, ich fahr’ als Schiffszimmermann. und so zog sich das dann hin. Ein halbes Jahr später Es war damals noch so: Auf den Frachtschiffen war war ich auf einem Heckfänger, wo das ein bisschen sehr viel Holz verarbeitet und alte Kollegen sagten, angenehmer war. das kannst Du gut machen. Und dann habe ich mich beworben im Heuerstall und der sagte: Ja gut, als Moderator: Wann haben Sie bei Klöckner angefan- Jungzimmermann kannst Du anfangen. Dauert zwei gen? Monate, bis Dein Schiff da ist. Aber Du kannst ja in der Zwischenzeit mal nach Bremerhaven gehen, Robert Milbradt: Ich hab’ das eben so ausführlich die suchen Leute in der Hochseefi scherei. Und ich, gesagt, wir haben da keine Zeitung gehabt, wir hat- naiv und blauäugig, bin dann also nach Bremerha- ten dort keine Selbstbestimmung, wir hatten keine ven gegangen, kam zum Heuerstall, der fragte, bist Mitbestimmung. Bei uns war der nackte Terror des Du in der Gewerkschaft? Ich sagte, natürlich bin ich Arbeitens. in der Gewerkschaft. Hol’ mein Buch raus und sehe,

26 100 Jahre Hochöfen an der Weser

So, das heißt auf ‘nem Seitenfänger, nach 26 Stun- derjenige, wo ich auch die andere Seite erfahren den arbeiten steht dir fünf Stunden Schlaf zu davon habe. Das war für mich eine Unanständigkeit, je- vier Stunden zusammenhängend - Auszug aus ei- mand um Arbeit zu bringen, so was macht kein an- nem Tarifvertrag. Und das sind andere Bedingungen, ständiger Mensch. Aber das war bei mir noch mehr wie Bonno sie eben geschildert hat. Ich habe dann so unpolitisches Denken. also bis 1965 dort gefahren. Ich wollte ursprünglich auf Schule gehen, wollte Patent machen. Und meine Moderator: Eine Zwischenfrage. Es hält sich hart- damalige Frau sagte, da hat sie keine Lust mehr zu, näckig das Gerücht, dass die Werksleitung den Se- 60, 70 Tage alleine... Kann man ja auch verstehen. nat inständig gebeten hat, mit der Polizei gegen die Mir hat es auch nicht so gut gefallen ohne Frau. Und Streikenden vorzugehen. Sie sind, glaub´ ich, nicht somit war wieder die Überlegung: Klöckner suchte gekommen. (Zu Hans Koschnick) War das ihre Ent- Leute. Also habe ich mich bei Klöckner vorgestellt. scheidung? Die haben gesagt, na klar kannste machen. Den Werdegang angeguckt. Zähne waren gesund. Ich Hans Koschnick: Also Freunde, eines war ganz hatte Hornhaut an den Händen. Und ich war vor- klar. Nach der Weimarer Republik gab es eine ganz gesehen für die QZ (Qualitätszentrale). Am 5.7. bin klare Position im Senat, und zwar nicht nur bei den ich auf der Hütte angefangen. Und des Morgens um Sozialdemokraten: Polizei wird nicht eingesetzt in sechs kam die Einteilung. Es waren so 45 Mann, die Arbeitskämpfen. Die haben ganz andere Aufgaben. angefangen haben. Alles so Kontrollnummer 14459 Das haben wir eindeutig durchgehalten. Wir haben hab ich, also so in der Richtung. Und plötzlich sag- in der Wirtschaft nicht nur Lob dafür gekriegt. Aber te einer: Ja QZ, die können warten, du fängst im es war eine eindeutige Position: Wenn man Polizei KW (Kaltwalzwerk) in der E-Verzinnung an. Da hab überhaupt noch retten will für Ordnungsfunktionen, ich gleich bei mir gedacht: Verdammt noch mal, in darf man sie nicht als Prügelknaben der einen oder was für‘n Affenstall bist du hier gelandet. Im Vertrag anderen Position einsetzen. (Beifall) wurde gesagt „QZ“ und dann landest du im KW. Da war nichts mit Vertrauensmann oder politisch oder Robert Milbradt: Also von Polizei usw. habe ich SPD, das interessierte mich nicht. nichts gemerkt. Ich habe den Vormittag erlebt, wo der Direktor Plugge in so einer Masse drin war. Ich Ich bin also dort angefangen, kriegte Lohngruppe stand vorne am Tor, wo das alte Postmagazin war. 4, kriegte die erste Abrechnung, hab gedacht: Ver- dammt noch mal, am besten du fährst gleich wieder Das war vor dem Direktionsgebäude. Dieser ganze zur See. Dann hat mir einer gesagt, du kannst ne- Platz war umlagert. Und es waren ja damals auch benbei im Hafen arbeiten. D.h. ich habe Frühschicht kernige Naturburschen so aus dem Stahlwerk, mit auf der Hütte gemacht und um 15 Uhr bei so `nem dunklen Gesichtern. Und dann meinte dieser kleine Menschenhändler Pensum Schiffe gemacht. Und Direktor: „Gehen sie bitte an die Arbeit.“ kriegte dafür 50 Mark auf die Hand. Das war da- mals sehr viel Geld. Ich kriegte natürlich die Aus- Und auf mal hing der vorm Tor und quiekte wie ein einandersetzungen auf den Betriebsversammlun- Ferkel, und dann war er froh, dass er da irgendwie gen mit. 1968 bin ich Vertrauensmann geworden, wieder raus kam. Dieser Streik zog sich neun Tage und der Kollege Erich Kassel war eigentlich derje- hin. Wir haben aber natürlich auch intern genau nige, der mich überhaupt aktiviert hat. Erich war ja gerechnet – ich war verheiratet, hatte zwei kleine vor Dienstbeginn eine fl eißige Biene. Brachte uns Kinder – verdammt noch mal, das wird teuer. Aber die Informationen und unter anderem auf diesem auf der anderen Seite: Da müssen wir durch. Das Weg bin ich dann auch zu Bonno gekommen. Dann war also ohne tiefe Schulung, das war einfach mein habe ich zum ersten Mal diese Tarifrunde erlebt. Mit Instinkt: Wenn man anfängt, dann wird das durch- diesen langen Laufzeiten, 18 Monate. Saumäßiger gezogen. Ich war auch einer, der nachher nicht da- Abschluss. Und wir hatten in dieser Zeit eine Hoch- für gestimmt hat für die Annahme. Es fehlte ja was. konjunktur, das heißt, wir haben Überstunden ge- Aber die Erfahrung, die ich da gesammelt habe – ich fahren, das gibt es gar nicht. habe auch da einige so genannte Linke kennen ge- lernt – so bin ich zu diesem linken Kreis gekommen. Und 1969 war der Vorbote Hoesch, die eine inner- Als ganz junger Mensch. betriebliche Erhöhung kriegten, und bei uns war das auch: Wir wollen mehr Geld haben. Und dann war Was bedeutet linker Kreis? Das bedeutet, dass zum ich da auch schon so reingeschlittert, noch nicht so Beispiel mein Kollege Erich sagte: „Bonno macht ganz fest, aber plötzlich hieß es auf mal: Streik. Und Schulung. Das ist hochinteressant“. Also, wenn ich wir sind vom KW losmarschiert. Es waren gute alte dann nach der Woche Arbeit habe ich am Samstag Kollegen da. Ich hatte einen alten Kollegen – Anton Überstunden gemacht und am Sonntag morgen bin Scholly – der hatte seine Arbeit bei der AG Weser ich bei Bonno aufgetaucht, um 10 Uhr. Da waren verloren, weil er Kommunist war. Das war eigentlich so acht bis zehn Kollegen und Bonno hat versucht,

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uns den dialektischen Materialismus beizubringen. geh` ich auf die Hütte. Ich gehörte zu denen, die, (Beifall) vielleicht geschärft durch die Erfahrungen, die ich vorher machte, gemerkt haben, es muss, wenn man Also das Streitgespräch, das ich mit Bonno hatte, über Arbeiter redet, wenn man über Gewerkschaf- wo er mir sagte, man kann niemals in den gleichen ten redet, dann muss man mit realen Menschen re- Fluss steigen, da habe ich ihm gesagt: „Bonno weißt den. Dann muss man sich an dem orientieren, was Du was? Du hast einen an der Klatsche.“ Aber ein ist. Und da war mir klar, das kann auf der Hütte bisschen hat das bewirkt. Ich bin zum Lesen ge- nur der fortschrittliche Teil der Belegschaft sein. Ich kommen. Denn vorher hatte ich nie irgendwo die sage das jetzt ein bisschen geschwollen. Zeit zum Lesen. Also kriegte ich einige Broschüren mit. Und ich weiß, dass ich einmal eine schlimme Ich habe damals Heinz Röpke, der ist ja kurz auf Grippe hatte. Es kam mein Kollege Erich Kassel. dem Bild gezeigt worden, kennen gelernt und war Der brachte mir den Thalheimer mit. Das trug auch ungeheuer beeindruckt. Das war ein Mann! Nur da- nicht zur Gesundung bei. mit wir das ein bisschen realer machen: Es gab ei- nen Streik. Robert hat gesprochen von dem 69er Moderator: Lieber Robert Milbradt. Du hast diese Streik, der unheimlich erfolgreich war. Weit über die Phase miterlebt und Du hast dann auch die exis- Grenzen Bremens bekannt wurde. Auch mit abträg- tenzielle Phase 92/93 miterlebt. Die wollen wir auch lichen Darstellungen, was die Belegschaft wollte. noch behandeln. Da gab‘s noch zwei, die sind ein Die wollte das, was Robert gerade gesagt hat: mehr bisschen später als du gekommen, Peter Sörgel und Geld. Und der 73er Streik ist verloren gegangen. Dieter Reinken. Peter, du bist eigentlich in der Stu- Krachend! Heinz Röpke, damals der Betriebsrats- dentenbewegung politisiert worden. Du bist ein In- vorsitzende, wurde vorgeworfen, dass er Streikfüh- tellektueller. Du bist ein gestandener Linker gewe- rer war und er wurde entlassen. Das ging nach dem sen. Dass du dich aus Bayern oder Berlin dann für neuen Betriebsratsgesetz nicht mehr so einfach wie Norddeutschland entschieden hast, für Bremen und bei Bonno, weil das neue Betriebsverfassungsgesetz für diese Hütte entschieden hast, hat das was damit hat davon abhängig gemacht die Zustimmung des zu tun, dass du gesagt hast: Diese linke Hütte mit Betriebsrates. ihrer Tradition, da können wir das versuchen, was wir uns vorgenommen haben? Ich will das jetzt nicht alles ausführen, denn da kommen viele Erinnerungen hoch. Aber eines ist Peter Sörgel: Ja, sicherlich hatte das etwas damit klar, dieser Prozess musste durchgestanden werden zu tun. Ich muss aber dazu sagen, dass ich damals bis zum Bundesarbeitsgericht. Erst das Bundesar- schon, bevor ich zur Hütte kam, drei Jahre insge- beitsgericht hat ihn frei gesprochen von dem Vor- samt bei Osram und Siemens in Westberlin gear- wurf der Verletzung der Friedenspfl icht. Darum geht beitet habe. Da wurden die studentischen Organi- es. Und was besonders schlimm damals war, ich sationen gegründet, die der Arbeiterklasse zeigen, meine wir gehen ja heute ein bisschen in die Tiefe, was sie zu tun hat. Meine Organisation hieß „Prole- war ja, dass die IG Metall-Ortsverwaltung, die SPD- tarische Linke/Parteinitiative“ und diese Organisati- Betriebsgruppe, der SPD-Arbeitsdirektor, Teile des on hat dann sehr schnell gemerkt, dass da so nicht Betriebsrates diese Entlassung unterstützt haben. geht und ich habe es auch gemerkt. Moderator: Es gab ein Interview des damaligen Ju- Also um es mal so zu sagen: Meine Versuche, bei so-Vorsitzenden, das war Klaus Wedemeier. Und der Osram und bei Siemens in Westberlin die Arbeiter hat bei dem Rauswurf von Röpke gesagt: „Ich bin zu revolutionieren, die waren sehr bescheiden. Ich mit dem solidarisch.“ Übrigens haben sich, glaub` meine, immerhin, das haben natürlich viele ge- ich, die Genossen im Betrieb hinterher bei meinem merkt, das wissen ja einige hier, und die haben es späteren Chef, , beschwert, und ha- dann darauf angelegt, dass sie rausgeschmissen ben gesagt: Pfeif`den Jusovorsitzenden mal zurück. wurden. Das war dann ein kurzer Aufenthalt wie bei Der redet da dummes Zeug. Joschka Fischer, bei vielen anderen. Bonno Schütter: Das war unheimlich schwer, An- Und dann gab es eine Diskussion, die hieß: Wenn fang der 60er Jahre, den Arbeitern, den Gewerk- man überhaupt etwas bewegen will in diesem Land, schaften und den Sozialdemokraten klar zu machen, dann muss man nach Westdeutschland gehen. Und die Bedeutung, die in dieser Rebellion der Studen- es traf sich gut. Mein Freund, Jörg Huffschmid, der ten lag. leider verstorben ist, bekam eine Stelle an der Uni. Meine liebe Frau, die unter uns sitzt, wollte ihr Stu- Peter Sörgel: Bonno lass mal. Du kommst eh noch dium der Volkswirtschaft zu Ende machen. Jörg be- ein paar mal dran. Du hast aber Recht an der Stelle. kam einen Ruf an die Uni Bremen, und ich habe Lass mich nur mal ganz kurz sagen: Man muss die gesagt, das trifft sich ja glänzend. Das war 1973. Da Dinge von der Zeit her betrachten. Es war für mich

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damals vollkommen unmöglich zu sagen, in diese in dem Betrieb eigentlich nur zu dem Zweck arbei- SPD tret` ich ein. Das war völlig undenkbar. tet, dort anständig behandelt zu werden, gutes Geld zu verdienen, eine halbwegs vernünftige Arbeitszeit Nur, jetzt kommen wir wieder auf 1993, vielleicht zu haben, und mit dem, was er bekommt, wie er hilfst du mir ein bisschen dabei, dann ist die Sache seinen Arbeitsalltag gestaltet, sein Leben gestaltet, eben wieder eine andere. Da entwickelt sich eine seine Familie ernähren zu können, und dann irgend- tolle Partnerschaft zwischen sehr vielen Beteilig- wie mal ruhig in den Ruhestand zu kommen, relativ ten, die dazu geführt hat, dass dieses Unternehmen unwichtig. heute noch ist. Und da können wir stolz darauf sein. Denn, es ist ja beleuchtet worden, die Betriebe, wo Spannend ist ja die Frage, wie das, was diese Insi- es gut ging, wo die SPD sehr viel zu sagen hatte, die der hier am Tisch so voneinander denken und ge- sind weg. Borgward, AG Weser, Bremer Vulkan. Wir macht haben, wie das eigentlich dazu beiträgt, dass existieren. Da bin ich sehr stolz drauf. (Beifall) ein solcher Zustand für die Beschäftigten herbei geführt wird, mit dem sie zufrieden sind. Der sie Moderator: Dieter Reinken war jetzt noch gar nicht auch durch schwierige Zeiten bringt, was ja dieses dran. Also in den 70er Jahren sind ja viele Linke und Team auf der Hütte auch getan hat. Ich glaube, das selbsternannte Linke vor die Werkstore gezogen und ist der Maßstab für die Leute. Und wenn die das haben ihre KVZ (Kommunistische Volkszeitung) und merken, da sind Menschen nahe an ihren Problemen ihre Flugblätter und ihre rote Fahne hoch gehalten. dran, und sie sind zum zweiten so intelligent, dass Du bist in den Betrieb gegangen wie Peter Sörgel. sie Entwicklungen voraussehen und nicht nur erlei- Ihr habt euch Vertrauen erarbeitet. Wie ging das? den ,sondern auch Alternativen erarbeiten können, Wart`ihr Exoten? Hat Robert Milbradt euch erstmal wenn sie das merken, dann sagen sie unabhängig ein paar Flausen austreiben müssen oder wart ihr von einer politischen Strömung: Das sind die Richti- sozusagen ... gen. Denen gebe ich mein Vertrauen.

Dieter Reinken: Nun habe ich ja den Vorteil, dass Das ist, glaube ich, das Erfolgsrezept und das Er- ich nur Mittelschule habe zum einen. Zum zweiten, folgsrezept ist, das dieser Meinungsstreit, von dem will ich mal sagen, Vertrauen im Betrieb als Inte- wir hier ja so einen klitzekleinen Ausschnitt jetzt ressenvertreter erarbeitet man sich und hat man gesehen haben, der in mehreren Jahren vielleicht sich auch bei Klöckner nur dadurch erarbeitet, dass auch eine wichtige Rolle spielte, dass es zum min- man mit den Kollegen solche Diskussionen, wie wir desten zu einem immer gedient hat, dass man so- sie jetzt hier geführt haben, gar nicht führt. Weil, zusagen den Blick schärft, dass man analytisch an das interessiert keinen Menschen. Das interessiert bestimmte Probleme ran geht. Dass man auch aus eine kleine Minderheit, die das lebensbiographisch dem Streit heraus, aus der Auseinandersetzung he- wahrscheinlich auch ganz zentral fi ndet. Und der raus um unterschiedliche Wege, die Wege fi ndet, die Zeitraum, über den jetzt gerade hier seit einer Drei- für die Beschäftigten richtig sind, die mit den Be- viertelstunde geredet wird, der umfasst ja man ge- schäftigten gegangen werden können. rade sechs Jahre dieser hundertjährigen Geschich- te. Natürlich ein ungeheuer wichtiger Zeitraum, Das ist für mich ein Kennzeichen dieses Betriebes, lebensbiographisch. Aber es ist für jemanden, der der eigentlich auch – ja vielleicht war das auch die

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herausragende Zeit in diesen hundert Jahren, die Ich bin 1972 in die SPD eingetreten in der Hoffnung aber auch ein bisschen die Voraussetzung geschaf- auch dort eben dazu beizutragen, dass das vorwärts fen hat dafür, dass man dann die schwierigen 80er geht. Und ich muss sagen, das ist mir nicht gelun- Jahre, die noch schwierigeren 90er Jahre aber auch gen. Ich war zusammen mit Klaus Wedemeier, wir die nicht leichten 2000er Jahre überstehen konnte. waren Jusos. Und er ist natürlich ein brillanter Red- Ich glaube, das ist so ein Stück historische Kontinu- ner. Ich habe versucht, auch dort Fuß zu fassen. ität, die mir ganz wichtig dabei war. In der ersten Betriebsratsperiode waren noch intern Moderator: Machen wir doch die Zäsur. Es gab eine andere Sachen, aber 1978 hatten wir schon mit So- zweite, ganz spannende Phase, die ich auch relativ zialplänen zu kämpfen. D.h. es war für uns nicht eng miterleben konnte. Das war die Phase, als es um überraschend, dass es irgendwo aus ist. Wir haben die Existenz der Hütte ging, 1992/93. Die Auseinan- das gesamte Sterben der übrigen Stahlindustrie dersetzung, die wir hier jetzt noch mal ein bisschen miterlebt. Wir waren solidarisch sehr oft im Ruhr- Revue haben passieren lassen, hat aus ihrer Sicht pott und so kam die Solidarität zurück. Ich will mal die Zeit auch bei der und bei den Sozialdemokraten, sagen, es waren die einen Kreise, die wirklich noch ist da sozusagen etwas gelernt worden, denn 92/93 so parteipolitisch – und auf der anderen Seite wur- hatte ich den Eindruck, zwischen IG Metall, SPD, de aber auch gute Arbeit innerhalb des Betriebsrats Betriebsrat passt eigentlich kein Blatt, und das war gemacht. Und wer von den Rechten nachher positiv einer der Schlüssel für den Erfolg. war, das war nicht so, die Fronten waren nachher verwischt. Es sind dann auch welche dazu gekom- Robert Milbradt: Das war aber zu dem Zeitpunkt, men, die den Ruf hatten gut zu sein, und da hat da waren die Auseinadersetzungen vorbei. Das darf man nicht mehr danach gefragt, wo kommst du her man nicht vermischen. Ich würde vielleicht noch usw. Ich meine, wie schwer das war, Eike Hemmer mal, gestatte lieber Schloesser, zwei Sätze sagen. bei uns in den linken Kreis rein zu kriegen; das ist 1972 bin ich in den Betriebsrat gekommen und mal eine Diskussion zum späteren Zeitpunkt. (Ge- komme ja aus dem Kaltwalzwerk. Wir haben da- lächter) mals sechs Mandate bekommen, ein Mandat ging in den Geschäftsführenden (Betriebsrat) rein - blieben Moderator: Dieter Reinken hatte noch etwas. also fünf über. Von den Fünfen war ein Rechter. Das war damals der Kollege Walter Krenke. Den hab` Dieter Reinken: Ja, ich möchte einfach noch mal ich gefragt: „Walter wollen wir zusammen arbeiten? einen Blick auf die Frage von Klaus Schloesser wer- Oder wollen wir drei Jahre Krieg haben? Denn nach fen, was war denn dann anders? Also ich erinnere drei Jahren bist du tot.“ Und da hat er gesagt, er mich noch ganz gut an diese Zeit Ende 92/Anfang arbeitet mit. 93, als diese Meldung kam aus dem Innersten: Der Laden wird verschachert. Und wir dann am Sonn- Das heißt also, im Grunde genommen haben wir tag darauf zusammen gesessen haben und über- dann neue Vertrauensleute gewählt und haben dann legt haben: Was machen wir? Und am Montag die eine Bilanz gemacht. Es gab in der Halle keine Früh- Schlagzeile im Weser-Kurier stand. Das war ja al- stücksräume, es gab keine Waschgelegenheiten an les irgendwie nicht automatisch. Das Entscheiden- den Anlagen. Toiletten waren weit entfernt. Und es de war, das waren durchdachte Schritte, die ein gab noch keinerlei Freistellung für Vertrauensleu- Team, eine Mannschaft von Leuten getroffen ha- te. Es gab keinerlei betriebliche Information in der ben, die sich ihrer Verantwortung gegenüber den Halle. Das Betriebsratsbüro hatte eine zentimeterdi- Beschäftigten bewusst war. Da kann so ein bisschen cke Staubschicht, war also drei Jahre nicht benutzt, Kenntnisse der marxistischen Analytik nicht scha- obwohl schon drei Jahre ein linker Betriebsrat da den, das hat bisher jeden weiter gebracht. Das war war. D. h., wir sind wieder ganz bei Null angefangen von Vorteil. Da waren aber durchaus auch andere und haben durch diese Arbeit, durch diese wirklich Dinge von Vorteil, dass man sich in sozialdemo- mühsame Kleinarbeit – und das ist etwas anderes kratischen und wirtschaftspolitischen Machtgefügen wie Selbstbestimmung oder Mitbestimmung – uns auskannte. Und darauf folgten dann Schritte, wo wir damit auseinandergesetzt. Und wir wussten damals sowohl die Belegschaft mobilisiert haben als auch – ich war 28, ich war der Jüngste im Betriebsrat, gesagt haben, wo sind Nischen, in welche können und ich wusste ganz genau, wenn du das überle- wir rein stoßen. Was bedeutet eine Insolvenz? Als ben willst, dann musst du dich schulen im Gesetz auch die offensive Ausnutzung politischer Kontakte usw., auch mit der Gewerbeaufsicht. Die Gewer- oder auch Unternehmenskontakte. Als auch Bünd- beaufsicht, wenn die kam, es war immer von dem nisse mit dem örtlichen Management. Und das war Zeitpunkt an einer von uns dabei. Und so haben wir die Erfolgsgeschichte. Stückchen für Stückchen einiges verbessert, nicht alles. Aber durch diese Arbeit hat man auch einen Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freunde, anderen Blick bekommen. das will ich noch mal sagen, das fand man übrigens

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auch in anderen Betrieben. Ich habe letztes Mal, aber nur hinkriegt, wenn man sich nicht zufrieden das fi el mir ganz spontan ein, im Zusammenhang gibt mit dem, was auf dem Tisch liegt, sondern man mit einer anderen Diskussion in der Handelskam- tiefer reinstößt. mer gesagt, weil alle sich so gerne loben hier, Bre- men jetzt Luftfahrtstandort – die Nummer: Was war Das ist die Aufgabe von Betriebsräten und Gewerk- denn eigentlich in den 90er Jahren mit dem Plan Do- schaften, zu analysieren und dann mit den Kollegin- lores von Herrn Schrempp? Herr Schrempp hat ge- nen und Kollegen die nächsten Schritte zu gehen, sagt, in Bremen brauchen wir nur noch die Kleintei- immer in den historischen Situationen, die man ge- lefertigung mit 700 Leuten. Und die Tatsache, dass rade vorfi ndet. (Beifall) man das verhindert hat. Dass Bremen heute ein Luftfahrtstandort ist, mit 3.600 Beschäftigten plus Peter Sörgel: Lasst mich mal zu dem, was Dieter 1.000 Leiharbeitern, plus Universitäts-Institutionen gesagt hat, eine nette Anekdote beitragen: Also Bre- und, und, und, ist Ergebnis einer offensiven Ausein- men hatte ja kein Geld. Bremen hat noch nie Geld andersetzung der Beschäftigten, des Betriebsrates, gehabt. (Gelächter) Heute noch weniger als damals. mit Mitteln der Mitbestimmung, mit Mitteln der po- Aber wenn Dieter so sagt, man muss die Gegeben- litischen Beeinfl ussung, mit Mitteln des Bündnisses heiten ausnutzen, man muss sozusagen versuchen, mit dem örtlichen Management – wo dann irgend- irgendwo in Lücken rein zu kommen, dann war das wann mal Unterlagen in der Straßenbahn verloren ja ungeheuer schwierig. Es war ja vollkommen aus- wurden – um über das Instrument der Einigungs- geschlossen. stelle Herrn Schrempp in die Knie zu zwingen. Das, was dann gemacht wurde – absolut Schei- Hätten wir diesen Widerstand der Beschäftigten ße, dass Klaus Wedemeier nicht da ist – dass wir nicht gehabt, genau wie wir es auf der Hütte gehabt das einzige Asset, was damals Bremen hatte, die haben, wären wir ein Industriebereich in Bremen Bremer Stadtwerke, dass ich damals mit Hans Ko- weniger gewesen. Das war sozusagen nicht nur das schnick hin gedappelt sind zum Vorstandsvorsitzen- Eine, es war nicht nur die klare Erkenntnis – auf ein den der Bremer Stadtwerke, dem Genossen Czichon Flugblatt gebannt – sondern es war eine Mischung und dann Hans gesagt hat: Du hör mal zu, so geht aus verschiedenen Politik-Instrumenten, die man das nicht. Wir brauchen das Geld. Du musst dich da- für einsetzen, dass ein Teil der Stadtwerke verkauft wird und dieses Geld dazu genutzt wird, um die In- teressentenlösung hinzukriegen. Das war das reale Ausnutzen von Lücken, von Widersprüchen. Neben- bei gesagt: Der DAG-Betriebsrat der Stadtwerke hat dieses Ding fast verhindert. Klaus Wedemeier hat man fast den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden genommen. Um eine Stimme ging es dann. Dann wär´ das Ding gescheitert. Alle solchen Kleinigkei- ten, das Verhalten von von Rohr, damals der Chef der Klöckner-Werke AG, der Versuch, hier Sidmar rein zu bringen, diese total gute und pragmatische Rolle, die jemand wie Klaus Hilker gespielt hat, dar- über zu sprechen – na, das machen wir auch noch, aber das ist dann wieder ein eigener Abend.

Also, ich erinnere mich noch an mein Entsetzen, als ich den Weser-Report aufschlug und dort stand: Der CDU-Vorstand - das war ja alles noch vor der gro- ßen Koalition - hat gesagt: VEB Klöckner auf keinen Fall! Dann gingen sozusagen die Wogen hoch. Da musste in der CDU der Bundesvorstand, da musste Kohl eingeschaltet werden usw. Man kommt ins Fa- seln. Ich entschuldige mich dafür.

Moderator: Als Dieter Reinken das eben erzählt hat, wir haben da eine schlechte Nachricht bekom- men, dann haben wir das analysiert und die strate- gischen Schritte überlegt, und dann haben wir eine Strategie entwickelt und haben die ins Boot geholt. Das ist so. Und ich glaube, in Bremen ist ein Bünd-

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geträumt, aber Freunde, die Welt ist nicht so. Und bei der Frage, entweder Prinzipien haben und nichts mehr tun oder in kleinen Schritten zu retten, was zu retten ist, und dann eine neue Perspektive zu haben, das war unser Anliegen bei der Klöckner-Hütte. Das war das Anliegen mit den Stahlwerken. Das ist hier gelungen, in anderen Dingen nicht gelungen.

Moderator: Bonno Schütter hat sich gemeldet. Das würde mich jetzt noch mal interessieren und dann gucken wir auch gleich mal in die Zukunft. Was haben Sie damals gedacht, als der Peter Sörgel mit dem Hilker, mit dem Rathaus, mit den Sozis ein Bündnis schließt? Haben Sie gedacht, das ist in Ord- nung oder haben sie gedacht, was machen die da?

Peter Sörgel: Bonno, pass genauf auf, was du sagst (Gelächter).

Bonno Schütter: Es gibt zwei Phasen in der Be- triebsratsarbeit der Stahlwerke. In den 60er/70er Jahren hatten wir einen Betriebsrat, der eine klas- senkämpferische Politik gegen das Werk geführt hat, eine unabhängige Politik gegen die IG Metall. Und wir haben uns damals durchgesetzt gegen die IG Metall. Wir waren ein politischer Betriebsrat. Wir haben uns nicht nur um die linke oder die rechte Türklinke, um 3.20 Mark mehr und um diese sozia- len Bereiche gekümmert.

nis mit Rathaus – Klaus Wedemeier hat das zur Wir haben uns eingemischt in die Politik der Bundes- Chefsache gemacht, eindeutig – Euch, Hilker, alle, republik. Und das auch hat dazu geführt, dass 1969 sozusagen die ganze Stadt stand hinter euch ... (zu 150.000 Menschen, die deutschen Arbeiter, zum Hans Koschnick) Sie waren im Aufsichtsrat. Hatten ersten Mal wieder gestreikt haben und diesen Streik Sie jederzeit die Zuversicht, dass geht am Ende gut gewonnen haben. Zum ersten Mal haben wir eine aus. neuntägige Betriebsbesetzung durchgeführt, da war kein Direktorium, keine Manager mehr im Werk. Hans Koschnick: Nee. Die Zuversicht habe ich Da mussten wir solch ein Werk in unserem Sinne aus anderen Gründen nicht mehr gehabt. Weil viele führen, um zum Ziel zu kommen, um zur höchsten vernünftige Überlegungen doch immer schief gehen Lohnerhöhung zu kommen, die es jemals gegeben können. Aber die Hoffnung hatte ich. Und wir hat- hat, von 16 Prozent. Und mussten aufpassen, dass ten das Wissen, wenn wir es jetzt nicht schaffen, bei dieser Betriebsbesetzung keine Anlagen kaputt wenn wir es nicht durchsetzen können, dann geht gegangen sind. Das waren Zeiten, wo Bedingungen ein wichtiger Teil der Bremischen Industriepolitik für diese Kämpfe vorhanden waren. vor die Hunde. Es ist ja nicht nur Luft- und Raum- fahrt gewesen. Die waren ja schon mal am Ende, Ein völlig anderer Abschnitt ist das, was hier ge- VFW war das gleiche. Bis wir eine Lösung gefunden schildert wurde, als Klöckner in die Insolvenz ging, haben. Damals zum Gelächter der Bayern. Die woll- und es darum ging, das Werk zu retten. Wenn die ten auf jeden Fall die Militärausrüstung haben, weil Situation im Kapitalismus da ist, dass ein Werk nicht es mehr Geld gibt. Die anderen wollten privat sein, mehr liquide ist, nicht mehr existieren kann, dann ist aber das brachte nicht so viel. ein Betriebsrat in einer ganz besonderen Situation, die wenig politisch ist. Wir konnten uns einmischen, Heute wissen wir genau, dass wir richtig gelegen die Verbindung zu Schülern und Studenten schaf- haben. Das aber alles, weil wir uns mit Betriebsrä- fen, indem wir uns bei den Bremer Straßenbahn- ten, mit Aufsichtsräten und mit den Gewerkschaf- Unruhen auf die Seite der Schüler gestellt haben. ten zusammen gesetzt haben und Leute im Betrieb Sozialdemokraten und Kommunisten im Betriebs- gefunden haben, die mitgemacht haben. Von den rat. Wir haben um die Notstandsgesetze Regelun- großen Ideen, die Welt zu verändern, und den Ka- gen getroffen, dass wir teilnehmen konnten, dass pitalismus zu bekämpfen, davon habe ich auch mal wir den Betrieb stilllegen konnten für die Zeit und

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haben uns darum gekümmert. Das war eine völlig schaft mit einem Unternehmer kommt, dann führt andere Situation. das dazu, dass in den Zeiten, wo die Arbeiterschaft sich wirklich nicht nur um rein soziale Dinge zu küm- Kommt man in eine Situation, dass ein Betrieb ei- mern hat, sondern wo sie als eine selbstbewusste nen so unter Druck stellen kann und sagt: Wenn ihr politische Klasse handeln muss, dass sie dann durch nicht mitmacht, legen wir den Betrieb still, oder wir diese Sozialpartnerschaft dafür nicht mehr fähig ist. verlegen die Produktion nach Polen oder in Billiglän- Man muss ständig mit der Arbeiterschaft kämpfen, der, dann ist der Betriebsrat in einer ganz anderen für ihre Rechte, weil man sonst eines Tages unter Situation, dann sind ganz andere Voraussetzungen die Räder kommt. (Beifall) da. Moderator: Ich stell mal fest und vielleicht ist das Und wenn du mich fragst, was ich damals gedacht ein vorläufi ges Resümee: Auf diesem Podium sind habe, da habe ich mich zurück erinnert an die Si- alle, die auch in Zeiten ihres Lebens sich mal hef- tuation bei der AG Weser, als die stillgelegt wurde. tig gestritten haben, in dem Punkte einig: Dieser Da haben die Kollegen damals noch so lange die Kampf 92/93 war nicht nur erfolgreich. Er war rich- Auslieferung des letzten fertig gestellten Dampfers tig, und er ist richtig geführt worden. Das ist eine verhindert, bis die einen vernünftigen Sozialplan schöne Bilanz. Und jetzt können wir ja mal gucken, kriegten. Es sind andere Verhältnisse da. Und dann ob das, was Bonno Schütter gesagt hat, oder das muss man auch andere Antworten geben. Modell, Interessentenmodell, Stadtmusikantenmo- dell, ob das möglicherweise auch noch eine Opti- Was nicht sein darf und was in der weiteren Zu- on wäre, wenn es, was Gott und gute Betriebsräte kunftsperspektive sicher aus meiner Sicht völlig verhüten mögen, mal wieder um die Hütte und ihre falsch ist, wenn man zu einer solchen Sozialpartner- Zukunft geht.

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Globale Zeiten: Zentrale Kontrolle, fl exible Belegschaften? Klaus Hering Betriebsratsvorsitzender ArcelorMittal Bremen

Ich begrüße alle Kolleginnen und Kolleginnen, alle Vergleich nicht im Sinne von Zahlungsunfähigkeit, Gäste ganz herzlich, auch im Namen des aktiven sondern Vergleich mit anderen Werken. Ich werde Betriebsrats. Ich habe die ganze Zeit aufmerksam einen Rückblick auf die letzten 10 Jahre geben und zugehört und denke, es wird jetzt eine kleine Zäsur ich fang’ das nach dem Zwiebelprinzip an, also von geben. Außen nach Innen. Ich werde dann natürlich auch bei den aktuellen Themen landen, die für die Men- Ich fange an mit der Zäsur, die 1992 begonnen schen heutzutage die Veränderung darstellen und hat. Ich habe 1976 als Auszubildender angefangen. natürlich auch für die Interessenvertretung. Ganz 1992 war ich also seit 16 Jahren im Betrieb. Ich war zum Schluss wage ich mal so etwas wie den Aus- damals Vertrauensmann, wir hatten zwei kleine Kin- blick auf die nächsten 100 Jahre. Ja, das ist mutig, der und gerade ein Reihenhaus gekauft. Ich kann ich weiß. Ich sag’ es ja auch ganz vorsichtig. mich noch gut erinnern, dass ich zweimal abends nach Hause gekommen bin und zu meiner Frau ge- sagt habe: Ich glaube, morgen ist Schluss. Das eine Mal war am Tag vor dem Vergleich und das ande- re Mal ging es auch darum, ob es überhaupt noch weitergeht. Das hat geprägt! Das hat geprägt auch, wie man in diesem Betrieb danach umgegangen ist. Denn: Wenn eines klar geworden ist; Bonno hat es sehr deutlich gesagt - bis zu einem gewissen Tage hat diesen Betriebsrat der Betrieb überhaupt nicht interessiert. Man hat Politik gemacht. Das war auch nicht schlimm, ich mache da auch niemandem einen Vorwurf. Es war eine Zeit, die das nötig machte und die das auch möglich gemacht hat. Global

Was nach 1992 passierte, war etwas gänzlich an- deres. Ich sag’ mal so: Das war der Einstieg in die Was Sie jetzt gerade an der Wand sehen, ist die globalen Zeiten. Was wir erlebt haben, war so ein Welt von ArcelorMittal heute. Und das ist ganz be- „Softeinstieg“ durch die SIDMAR. Und sie kam erst- wusst an die Wand geworfen mit dem kleinen Pfeil mal natürlich mit einer anderen Führungskultur. da oben, denn das, was sich da auftut, ist der Un- Auch darüber könnte man wieder lange reden. Aber terschied oder ist die Zäsur, die wir als erstes er- womit sie kam, war, dass sie den Betrieb überhaupt fahren hatten. Bis 1992 war dieses Werk in Bremen erstmal technisch nach vorne gebracht hat. Denn das Flaggschiff des Klöckner-Konzerns. Flaggschiff, um eines vorwegzunehmen: Der Betriebsrat hat weil es ihr einziges Flachstahlwerk war. Heute sind 1992 damit geworben „Wir sind die modernste Hüt- wir ein globaler Konzern, der auf allen Kontinenten te“. Insider hier im Saal wissen, das war mehr die Produktionsstandorte hat, der in allen Werken Walz- moderndste als die modernste Hütte. Angefangen kapazitäten hat und der sich zum Ziel gesetzt hat, hat es aber damit, womit ich jetzt den Rückblick die Werke zu integrieren. Ein Begriff, den man in starte, nämlich die Zeit seit der Jahrtausendwen- den 1980/1990er Jahren überhaupt nicht kannte. de; damals waren Michael Breidbach und Christiane Wir waren damals ein autonomes Werk; wir hatten Woltersdorff Betriebsratsvorsitzender und Stellver- einen Einkauf, wir hatten einen Verkauf, wir hatten treterin. eine zentrale Abrechnung ... Das Werk konnte, in neudeutsch, „Stand Alone“ laufen. Das hat Herr Mit- Es gab 2002 eine Aufsichtsratssitzung in Bremen, tal auch mal angemerkt. Bremen könnte jederzeit, die war nicht minder dramatisch als die, die 1992 wenn man ein paar Einkäufer und ein paar Verkäu- geführt wurde. Das war die Zeit, als plötzlich die fer einstellt, wieder alleine laufen. Das war nicht Globalisierung mit Macht kam. Als auf einmal aus als Lob zu verstehen, sondern als Vorwurf: Bremen Newco Arcelor geworden ist. Als auf einmal die wäre nicht genug integriert in den Konzern. Ich belgisch-luxemburgische ARBED mit der Aceralia sag’s nur an dieser Stelle: Größe allein bietet nicht aus Spanien und mit der Usinor/Sacilor aus Frank- unbedingt nur Schutz. Wir könnten lange darüber reich zusammenging. Und welch Wunder, auf einmal diskutieren; wie viel Schutz ein so großer Konzern gab es etwas, das da lautete „Vergleich“. Und zwar den Menschen bietet. Oder umgedreht, wie viel Be-

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drohung bzw. Eingrenzung auch für lokale Standort- Stahlindustrie im Auf und Ab. Man denkt sich: Nichts entwicklung dahinter steckt. Fakt ist (und deswegen ungewöhnliches, hatten wir ja schon immer! Neu ist das Bild);: Es hat sich seit 2002 und in der Folge mit aber die Geschwindigkeit zwischen den Auf und Abs; ArcelorMittal nicht nur das Logo verändert. Es kam heute teilweise nur sechs oder acht Wochen. Hin- eine völlig neue Welt in unseren Betrieb, an der sich tergrund: Wir haben nicht mehr Rohstoffl ieferanten, auch die Belegschaft und der Betriebsrat entwickeln die sich mit Jahresverträgen an die Stahlindustrie mussten. binden, sondern die machen das am Spotmarkt in Rotterdam fest und ändern vierteljährlich die Preise. Der Schraubstock Als Marktkonzentration mit drei Produzenten kann man sich vorstellen, dass in den letzten Jahren, seit dies eingeführt wurde, vierteljährlich die Preise ex- plodieren. Gleichzeitig sagt der Automobiler-Kunde: Abrufaufträge mache ich 14 Tage vorher, weil ich dann weiß, welches Auto ich baue.

Was heißt das? In einer Stahlindustrie wie der uns- rigen, die aus der Tradition der Kontinuität kommt, weil man so einen Hochofen nicht an- und ausstel- len, nicht beliebig rauf- und runterfahren kann, hat man es am liebsten, wenn bei 90 Prozent Aus- lastung die Produktion mit den besten Rohstoffen durchläuft. Dann funktioniert die Welt! So ist es aber nicht mehr. Weil auch die Stahlindustrie in der Wirtschaftskrise Federn lassen musste, haben sie überlegt: Wie stellen wir uns darauf ein? Das Er- Das zweite Bild, um auch von außen nach innen wei- gebnis: Kleine Rohstoffbestände, kleine Produktbe- terzukommen, macht die aktuelle Lage der Stahlin- stände, kurze Vorlauf- und Lieferzeiten. Und damit dustrie deutlich. Man könnte es höfl ich als Sandwich haben wir die neuesten Hürden im Parcours. Das bezeichnen, man könnte es aber auch Schraubstock bedeutet für die Menschen, die bei uns die Technik nennen. Es gibt eben zwei sehr gut organisierte Part- leiten, die am Hochofen arbeiten, dass sie fl exible ner für die Stahlindustrie: Das ist einmal die Roh- Hochofen-Fahrweise machen müssen. Ein Begriff, stoffseite, die sieht man unten. Es gibt weltweit nur den ein Hochöfner vor 20 bis 30 Jahren überhaupt drei, die sehr gezielt auftreten. ArcelorMittal steht nicht nachvollziehen konnte. Den Großhochofen bei in Klammern dahinter, weil sie gleichzeitig der ein- uns, der am Tag in der Spitze 7.500 bis 8.000 Ton- zige Stahlkonzern sind, der eine Rohstoffseite hat. nen machen könnte, haben sie im Jahre 2009 zum Aber um es vorwegzunehmen, er nutzt diese Sparte tiefsten Punkt der Weltwirtschaftskrise auf 3.500 nicht, um Entlastung für die Standorte zu bringen, Tonnen gefahren. Für die Nichtmetallurgen hier ist sondern er verdient auf dem Markt Geld. Und es es ungefähr so, als hätten es die Schiffbauer ge- ist ihm egal, wo er Geld verdient, ob im Stahl oder schafft, den Bremsweg eines Tankers zu halbieren. auf der Rohstoffseite. Und die andere Seite oben Was für einen Schiffbauer auch unmöglich ist, weil ist eine fusionierte und durch Kooperation verzahn- er sagt, das funktioniert nicht. Sie haben es ge- te Autoindustrie. D. h. Entlastung durch die eige- schafft! Was damals erreicht wurde ist, dass Bre- ne Rohstoffsparte nicht gewollt, Entlastung durch men durchgelaufen ist. Wir haben keinen Ofen in Wachstum, was Herr Mittal vorhatte, nicht erreicht. der Krise abstellen müssen. Mit der Weltwirtschaftskrise 2008 hat er diesen Ver- such abbrechen müssen, um den Laden überhaupt zu retten. Und Entlastung durch Marktverhalten war nicht durchsetzbar, weil die Automobilindustrie kein Interesse daran hat, dass die Stahlseite sich besser organisiert. Sie werden immer dafür sorgen, dass auch kleinere Konzerne wie Salzgitter, die in der Lis- te erst an 30ster Stelle auftauchen, weiter überle- ben. Aus Arbeitnehmersicht ist das gut, aus Sicht der Stahlunternehmer ist das ein Problem.

Flexibilität: der neue Maßstab

Was hier an der Wand steht ist: Ältere Betriebsräte werden das mit dem „Schweinezyklus“ kennen: die

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Aber was damit auch erreicht wurde ist, dass der als Betriebsräte, im Wirtschaftsausschuss, im Auf- Konzern lernt. Er sagt: Das ist ja möglich – wun- sichtsrat und sonst wo auseinandersetzen müssen, derbar! Dann tun wir‘s doch auch in Zukunft. Alles sind diese Zahlenvergleiche. Und nicht nur wir, auch hat immer zwei Seiten: Flexible Hochöfen, fl exible die Menschen im Betrieb kriegen Informationen in Stahlwerke – es kommt hinzu: Wir haben mittler- einem Detaillierungsgrad über ihre Arbeit und das weile Roheisensätze von Null Kühlungsschrott bis führt natürlich zu Reaktionen. Die Kollegen kommen zu 200 kg/t. Für Metallurgen ein Prozess, an den in eine Verantwortung rein, aber sie kommen auch sie früher nie gedacht oder geglaubt hätten. Fle- in die Bewertung ihrer Tätigkeit rein, die es früher xible Walzwerke kommen dazu, und das alles in so niemals gab. Früher haben die am Hochofen einer rasanten Geschwindigkeit. Ich sage: Wer im Roheisen produziert, egal, ob das Stahlwerk das ge- ArcelorMittal-Konzern heute und in Zukunft eine brauchen konnte. Der Stahlwerkchef hat gemacht, Perspektive haben will, und ich behaupte, das ist in was er wollte; heute geht das eben so nicht mehr. der ganzen Stahlindustrie so, muss in der Lage sein, Deswegen: Der Versuch eines Standortes, heute in kürzesten Zyklen zwischen zwei und vier Millio- besser zu scheinen als man wirklich ist – das ist nen Tonnen Produktion rauf- und runter zu fahren. ein wackeliges Brett. Und letztendlich entscheidet Das ist eine Aufgabe, die wurde hier in Bremen be- so eine Tabelle, wo produziert wird, vor allen Dingen herrscht. Dahinter stecken die Menschen, mensch- wo investiert und damit weitergearbeitet wird und, liche Intelligenz und großes Engagement. Es ist so, so bitter das ist, wo nicht. dass Bremen im Konzern mittlerweile einen guten Ruf hat, in vielen Bereichen einer der Standorte ist, Die ganze Hütte? zu dem auch andere sagen: Das müssen wir uns mal angucken. Denn das, was wir da sehen, das ist Was ist das denn eigentlich: Die ganze Hütte? Es die neue Welt! gibt ja immer noch den Glauben, die Hütte, das sind die, die bei ArcelorMittal arbeiten. Das ist nicht Benchmarking so. Ich sehe hier die Kollegen von Holcim, dem Ze- mentwerk. Ich habe mich sehr drüber gefreut, dass unsere Kollegen herkommen, die in unseren Part- nerbetrieben (früher nannte man sie Fremdfi rmen), arbeiten. Ich sage ganz bewusst Partnerbetriebe, weil es hilfreich ist, mit diesen Kollegen in Kontakt zu treten, mit ihnen zusammen auch Konzepte zu entwickeln, zu horchen, wie sie sich am Markt auf- stellen und damit auch für unser Werk wichtig sind. Ohne einige dieser Firmen wäre die Hütte mittler- weile nicht mehr funktionsfähig.

Diese Abhängigkeit, wenn man es so nennen will, ist konzerngewollt. Es gibt zurzeit eine vom Konzern gesteuerte Diskussion; was muss oder darf ein Werk selber machen und was nicht? Wer kann es eventuell besser? Und Flexibilisierung der Fixkosten ist dabei Wenn ich die Betriebsräte frage, die vor mir auf ein ganz neuer Begriff, der auch in der Krise 2008 dem Podium saßen, was war in eurer Zeit Bench- geboren wurde, dahingehend, dass man die Kosten, mark?, hätten sie gesagt: Kennen wir nicht. Aber die man nach draußen gibt, jederzeit auch sofort auf dieser Begriff ist heute das Steuerungsinstrument Null drücken kann. Was das für die Menschen dort des Konzerns. Und ich sage auch hier, der olympi- bedeutet, kann sich, glaube ich, jeder hier im Raum sche Urgedanke „Dabei sein ist alles“, ist nur noch denken. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen sind Nostalgie. „The winner takes it all“. Das ist die Ma- das die Auseinandersetzungen, mit denen wir jetzt xime für den Vergleich! Diese Tabellen gibt es für zu tun haben. Aber auch im inneren Stamm, das ist alles, was man sich denken kann. Ob das Arbeits- die Mitte, gab es Entwicklung. sicherheit ist, Krankenzahlen, Produktionszahlen oder wie viele Menschen braucht man für 1 Millionen Neue Strukturen Tonnen, wie viel Öl muss man dort, wie viel Koh- lenstaub wird in einem Hochofen eingeblasen? Alles 2002 ist dieser Betriebsrat, damals wie gesagt un- in dieser Welt wird in Benchmark-Vergleichszahlen ter Michael Breidbach und Christiane Woltersdorff, gefasst. Vorhin hatte ich gesagt: Wenn dieses Ins- in eine Auseinandersetzung gegangen, als der Kon- trument schon 1992 existiert hätte, dann wäre die zern sagte, wir wollen 1.700 Arbeitsplätze abbau- Blase, dass Bremen die modernste Hütte ist, nach en. Als ich die Zahl bei einer Zusammenkunft mit 24 Stunden geplatzt. Denn das, womit wir uns auch dem Arbeitsdirektor und anderen hörte, dachte ich:

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vertrag gab, dass sie gleiches Geld für gleiche Arbeit erhalten und nur für temporäre Aufgaben eingesetzt werden. Aber ich sage auch, das ist im Moment in der Diskussion; der Konzern möchte diesen Anteil größer machen. Er möchte schlicht und ergreifend atmen können über diese Geschichte.

Der heutige Betriebsrat, Dieter Reinken hat es vor- hin gesagt, steht in der Tradition der Betriebsräte in der Vergangenheit. In der Tradition der geistigen Freiheit und Selbstständigkeit, ein eigenes Konzept zu entwickeln. Ein eigenes Konzept für Beschäfti- gung, für Arbeitsorganisation diesem Ansatz entge- genzustellen und damit auch in der Belegschaft zu werben. Dann ist die Hütte tot! Der Mitarbeiter – Leistungserbringer zwi- Damals als Betriebsrat in diese Auseinandersetzung schen Zahlenwerk und Corporate Identity im Kampf um die Hütte zu gehen mit der Aussage „Und wir wollen das erreichen, ohne dass es auch Ein schweres Ding. Ich denke, was 1992 und da- nur eine betriebsbedingte Kündigung gibt“ – das nach, in allen Auseinandersetzungen, die um die- war mutig! Das wurde durchgehalten u.a. durch se Hütte geführt wurden, wichtig war: Es gab und dieses kleine Symbol links neben AMB/VD. Durch gibt eine geradezu unglaublich hohe Identifi kation dieses Instrument „Beschäftigung sichern“ wurden dieser Belegschaft und Treue zum Werk. Wir hatten Arbeiten auch wieder reingeholt, die für das Un- gerade letzte Woche wieder eine interne Jubilarfei- ternehmen auch längst wegfallen, weil man sie ja er und da kommt es denn immer von den Kollegen nur mal macht. Die Kollegen dort, mittlerweile 400, zur Sprache: „Eigentlich wollte ich nur einen Monat machen Tätigkeiten im ständigen Wechsel. Und ihr bleiben – oder ein Vierteljahr - nur überbrücken“. habt am Anfang gesehen „Flexible Belegschaft“ mit Und dann haben sie heute 25- oder 35-jähriges Ju- Fragezeichen. Die Kollegen machen das mittlerweile biläum! Ich werte das auch als Indiz dafür, dass es so gut, dass darüber nicht mehr nachgedacht wird. (und daran haben die Interessenvertreter der Be- Es ist so gelungen, Beschäftigung zu sichern und es legschaft einen großen Anteil) in allen Krisen dieser sind deutlich weniger Arbeitsplätze abgebaut wor- Hütte eine gute Kultur, eine Menschlichkeit gegeben den, als ursprünglich vom Unternehmen geplant hat, die immer erhalten wurde. Denn sonst hätten und gedacht. Dem hat der Betriebsrat immer wi- die Menschen nicht unbedingt in der Krise, aber dersprochen; alles wurde gehalten. Konzernarbeits- danach, als es etwas besser ging, versucht, dieses plätze und es gibt auch den Teil Leihkräfte. Nur ein Unternehmen zu verlassen. Aber alle sind geblie- sehr kleiner Teil bei uns auf der Hütte, darauf sind ben. Und „krisenerprobt“ ist für unsere Belegschaft wir auch ganz stolz, dass wir dazu eine Vereinba- kein Klischee. Ich glaube, das macht sich daran rung durchgesetzt haben, schon bevor es den Tarif- fest, man kann es vielleicht ein bisschen erschreckt

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feststellen, aber es ist doch immer wieder erstaun- durch Investitionen auch zukunftsfest zu machen. lich; die Krise 2008/2009, mit wie viel Gelassenheit diese Belegschaft damit umging. Gelassenheit nicht Wir stehen an der Seite des Vorstandes, aktuell als Gleichgültigkeit. Sondern Gelassenheit, nicht in wenn es darum geht, die Kokerei Prosper an Bre- Panik zu verfallen, Gelassenheit darin, dieses Werk men zu binden, um die Achillesferse dieses Werkes durch diese Phase zu bringen. Die Anlagen zu si- seit der Gründung zu beseitigen; dass wir immer in chern, dafür zu sorgen, dass dieses Werk auch in jeder Krise gesagt bekommen, ihr habt keine Ko- Zukunft funktioniert. kerei, ihr seid nicht wettbewerbsfähig. Und wir sind immer dabei, wenn es, wie jetzt gerade darum geht, Ich habe noch einen Satz von Christiane Wolters- Nassentstaubung Stahlwerk, Konvertergasnutzung, dorff aus dem Jahre 2002 im Ohr, als dieser FIT- den Umweltschutz zu verbessern, um das Konver- Prozess eingeleitet wurde: „Wir wollen, dass diese tergas betriebswirtschaftlich endlich sinnvoll einzu- Belegschaft den Prozess nicht erleidet, sondern ihn setzen. Da sind wir immer dabei. Und letztendlich, mitgestaltet“ . Er war Ausdruck dafür, dass es dem was macht, ich hab das bei mir kursiv, was macht Betriebsrat immer darum ging, eine selbstbewusste heute einen Betriebsrat aus? Belegschaft in einer Auseinandersetzung zu führen, wie immer sie aussehen mag; als wichtigstes Ele- Es ist vorhin schon mal durchgeklungen, als Pe- ment, um dieses Werk zu stützen. Es gab Auseinan- ter Sörgel davon berichtet hat, wie er mit Hans dersetzungen, die führten uns zum Marktplatz. Aber Koschnick zu den Stadtwerken gegangen ist. Da es gab auch Auseinandersetzungen, die führten wir hab’ ich spontan zu Daniel Tech gesagt: Und uns im Werk, mit dem Vorstand und mit einem Konzern. nennt man Co-Manager! Letztendlich denke ich, hat Und zwar immer mit Alternativen und eigenen Zie- sich die Situation dahingehend nur weiter verstärkt. len. In den vergangenen Jahren mit dem Ziel „Gute Als Betriebsrat muss man eine Situation analysie- Arbeit“, „Besser statt billiger“, auch in der Gewerk- ren und bewerten, man muss Chancen und Risiken schaft ein propagiertes Thema. Das sind mehr als abwägen. Man muss Positionen und Ziele entwi- plakative Überschriften. Dafür braucht man eine ckeln und das beteiligungsorientiert mit der Beleg- selbstbewusste Belegschaft, die dann auch dafür schaft. Denn die muss hinter dem stehen, was ich sorgt, dass sie das, was sie an Ideen, was sie an als Sprecher des Betriebsrates auf Versammlungen Vorstellungen hat, auch einbringen kann. sage. Wir müssen Verhandlungslinien und Strate- gien entwickeln. Da bin ich bei Dieter Reinken, der Das alles ist keine Garantie für die Zukunft. Aber gesagt hat, das war damals alles ein Plan, als wir an das war die 92er-Auseinandersetzung erst mal auch die Presse gingen. Wir müssen Strukturen aufbau- nicht. Sie hat nur die Basis dafür geschaffen, dass en und pfl egen und deswegen begrüße ich an die- man danach weitermachen konnte. Und es bleibt ser Stelle die Kollegen aus Duisburg und Hamburg festzustellen, dass der Interessenkonfl ikt zwischen ganz herzlich. Wir versuchen auch aus Bremen he- Unternehmer und Mitarbeiter immer bleibt. Dieses raus, eine Arbeitsgemeinschaft der deutschen Be- Selbstbewusstsein hat auch dazu geführt, dass wir triebsräte aufzubauen, die in der Lage sein müssen, den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen er- gemeinsam zu handeln. Wir waren da auch schon reicht haben, dass wir die gleiche Bezahlung für erfolgreich. 2008/2009 ist es gelungen, mit allen Arbeitnehmerüberlassungskräfte haben, und dass, Betriebsräten in Deutschland durchzusetzen, dass wenn es um Schichtpläne auf unserer Hütte geht, es eine Aufstockung des Kurzarbeitergelds für alle die Belegschaft selbstverständlich gefragt wird und Kollegen gibt. Das war ein Ergebnis von Zusammen- in Abstimmungen darüber entscheidet, wie das lau- arbeit. (Beifall) fen soll. Und auch international: Vielleicht vermisst der eine Aktuell geht es gerade um die Frage, was die Ge- oder andere Michael Breidbach heute Abend. Er ist genleistung für die von der Belegschaft geleistete in Brasilien, weil er Leiter einer Arbeitsgruppe ist, Flexibilisierung ist. Wir wollen, dass mehr junge die dafür sorgt, dass unsere hohen Arbeitssicher- Menschen in die Belegschaft hineinkommen, damit heitsstandards nicht runter gezogen, sondern dass dieses Werk über Jahre hinaus eine Zukunft hat. andere Standorte hochgezogen werden. Auch da bringen wir uns ein und das ist mittlerweile genau- Der Betriebsrat: Problemlöser der Belegschaft so wichtig, wie Verhandlungen auf verschiedenen und Partner der Geschäftsführung? Ebenen führen und Entscheidungen zu treffen. Das Ganze ist ein aktiver Vorgang. Deswegen sag’ ich: Vielleicht stört den einen oder anderen dieses „Part- Wir managen das bei uns. Ich habe kein Störgefühl ner der Geschäftsführung“. Ich habe diesen Begriff dabei. Man muss nur wissen, wann man aus dem aber ganz bewusst gewählt. Denn eines in einer Si- Managen raus muss und wann man wieder kämpfen tuation sind wir immer: Partner der Geschäftsfüh- muss. Das muss man rechtzeitig erkennen und das rung, nämlich dabei, dieses Werk zu sichern und ist nicht immer einfach.

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Aber ich behaupte, 1992 war das nicht anders, 2002 wieder deutlich machen müssen. und 2009 auch nicht. Die Zukunft für das Werk, für die Menschen und die Region stand immer im Mit- Ein Prozess, der anscheinend nicht endet, weil der telpunkt betriebsrätlicher und gewerkschaftlicher Konzern ein hohes Interesse daran hat, dass Füh- Arbeit. Und deswegen will ich an dieser Stelle auch rungskräfte mehr an den Konzern denken als an den erwähnen, dass das nicht immer nur auf unserem lokalen Standort. Und sie eine Bindung gar nicht eigenen Mist gewachsen ist. Deswegen möchte ich erst entstehen lassen wollen. Wir in Bremen sind al- an dieser Stelle auch zwei Menschen nennen, die lerdings bisher immer noch recht gut gefahren, weil heute Abend nicht hier sein können. Die leider schon es immer Bremer waren, die hier Vorstände wur- verstorbene Ulrike Bohnenkamp, eine wichtige Be- den. Ich behaupte, das ist auch ein Ergebnis der raterin in den ganzen Jahren. (Beifall) Und auch Dr. Mitbestimmung hier. Wilfried Kruse von der Sozialforschungsstelle Dort- mund, der leider heute einen anderen Termin hat. 100 weitere Jahre Hochöfen Beide Menschen, die mehr waren und sind als Be- rater. Es waren und sind Freunde des Betriebsrats Nun aber zum Blick in die Zukunft. Zu sagen: 100 und Freunde der Belegschaft. Und es gibt natürlich weitere Jahre Hochöfen an der Weser; das ist mu- auch viele Berater aus dem Kreis der ehemaligen tig. Weil es einige Dinge gibt, die in der Zukunft Betriebsräte, die heute hier im Saal sind, die wir eine Rolle spielen werden. Die Automobilindustrie jährlich einladen und mit denen wir immer angereg- wird logischerweise immer leichtere Autos produzie- te Diskussionen haben. Auch das ist Refl ektion der ren müssen. D. h. der Tonnenwahn wird ein Prob- Arbeit, die notwendig ist. lem werden. Es geht mehr um Quadratmeter. Denn das Material soll dünner, leichter und fester werden. Vorstand: eine „befristete“ Aufgabe Aber das bedeutet auch weniger Tonnen. Letztend- lich ist das für die Arbeitsprozesse noch schwieriger, Ja, Vorstand hatte ich noch eben darauf stehen. das Material zu händeln, die Technik zu beherrschen Habe ich jetzt gerade so im Vorbeihuschen noch und daraus noch vor dem Hintergrund dieser kurzen mal gesehen. Eine befristete Aufgabe: Das möch- Lieferzeiten Qualität zu liefern. Denn Coil ist nicht te ich doch noch mal kurz erläutern. Es gab Zei- gleich Coil. ten, da wusste jeder bei uns auf der Hütte: Wer ist der Vorstandvorsitzende und wer ist der technische Man muss sehr fl exibel sein, um mal Röhrenstahl, Vorstand und wer ist der Arbeitsdirektor. Arbeitsdi- mal auch vielleicht Edelstahl zu walzen, mittlerweile rektor wissen sie heute noch, weil der kann ohne auch wieder Praxis, und wir werden immer wieder die Zustimmung der Arbeitnehmervertreter im Auf- erleben, dass wir uns auch an dieser Stelle neu auf- sichtsrat weder bestellt noch entlassen werden. Bei stellen müssen. Ich glaube, aufgrund der Katastro- den anderen Vorständen gibt es da mittlerweile so phe in Japan, werden wir in den nächsten Jahren eine Tendenz wie bei den Bundesligaclubs. Ein Vor- oder wahrscheinlich schon viel schneller erleben, stand von heute unterschreibt mit seinem Einstel- dass wir gerade für unsere energieintensive Indus- lungsvertrag praktisch schon seinen Weggang aus trie in der Umwelt-, der Energie- und Rohstoffeffi - Bremen. zienz einen gewaltigen Boom kriegen werden. Die Energiepreise werden, vermute ich, steigen und In den letzten neun Jahren, seitdem ich im Be- gleichzeitig wird der Druck auf die Standorte, sich triebsrat bin, gab es vier Vorstandsvorsitzende und an der Stelle zu verbessern, enorm steigen. acht technische Vorstände. Das spricht nicht unbe- dingt für Kontinuität auf dieser Seite. Diese Men- Weiterhin steht die Frage: Wo werden in Zukunft die schen kommen mit hohem Engagement zu uns, sie Autos gebaut? Es gibt jetzt schon Tendenzen, dass leisten auch wirklich hervorragende Arbeit. Aber sie in Südwesteuropa viele weggehen. Wir haben zur- haben teilweise noch nicht einmal die Chance, ein zeit den Vorteil, im deutschen Markt zu liegen, der Projekt, das sie einleiten, auch zu Ende zu bringen. nach wie vor in Europa am besten durch die Krise Und gleichzeitig sollen sie Menschen für diesen Pro- gekommen ist. zess motivieren. Der Mitarbeiter sagt: „Na, ob Du das Ende hier noch miterlebst, das weiß ich nicht“. Ich sage aber auch, und das ist jetzt wirklich der Das ist andererseits aber ein wichtiger Verhand- letzte Gedanke: Ich glaube, das Werk hat sich in lungspartner für uns. Ich sag’ mal ausdrücklich: der Vergangenheit behauptet, weil es Menschen gab Das macht die Geschichte für uns nicht einfacher. und gibt, die für dieses Werk und damit für ihre Ar- Diese häufi gen Wechsel bedeuten nämlich für ei- beitsplätze gestritten und die gestellten Aufgaben nen Betriebsrat, dass er Prozesse, die wir vor fünf gelöst haben. Jahren gemeinsam angefangen haben, den Nachfol- gern immer wieder von vorne erklären müssen. Und Auch in Zukunft gilt: Menschen machen Stahl in die Position des Betriebsrates natürlich auch immer Bremen! Glück auf für die nächsten 100 Jahre!

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Stand des Betriebsrats auf dem Health & Safety Day 2010

Shigenobu Tachiki vom JIPM-Institut lässt sich über den Stand von TPM im Kaltwalzwerk informieren

Betriebsversammlungen im Konferenzbereich der neuen Hauptverwaltung 41 100 Jahre Hochöfen an der Weser

M. Wurth (Konzernmanagement ArcelorMittal) und P. Scherrer (Generalsekretär EMB) auf der Betriebsräte-Vollkonferenz 2009

Demonstration gegen Ausgliederungen anlässlich der Aufsichtsratssitzung am 26.03.2009

Warnstreik am 24.09.2010

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Schmelzer am Ofen

Besuch von L. Mittal (2007)

Betriebsräte auf dem Weg zur BREGAL

43 Schutzgebühr 2,50 €uro