SCHIEDSRICHTER ZEITUNG 04 OFFIZIELLES MAGAZIN DES DEUTSCHEN FUSSBALL-BUNDES 2020 JULI / AUG

Schiedsrichter im Home-Office: Aus- und Weiterbildungen fanden in den vergangenen Monaten ausschließlich online statt.

Titelthema Regel-Änderungen Lehrwesen Zeitreise SCHIEDSRICHTER NEUE REGELN TORE SIND VOM UMPIRE IN CORONA-ZEITEN UND VORGABEN DAS SPIEL-ZIEL ZUM REFEREE Wie Unparteiische die Ein Überblick über die Der Inhalt des neuen Wie der Schiedsrichter spielfreie Zeit nutzten Neuerungen zum 1. Juli DFB-Lehrbriefs Nr. 92 ins Spiel kam MEHR INFOS UNTERADIDAS.DE/UNIFORIA_PACK © 2020 adidas AG adidas © 2020 UNIFORIA UNIFORIA UNIFORIA UNIFORIA TOUCH 3

EDITORIAL INHALT

LIEBE LESERINNEN TITELTHEMA 4 Krisen-Manager neben dem Platz UND LESER, Wie Spitzen-Schiedsrichter die Corona-Zeit verbrachten wie unser Vizepräsident im Editorial der vorigen Aus- 10 Meeting im virtuellen Raum gabe der Schiedsrichter-Zeitung schon treffend fest- Online-Fortbildung im Praxis- stellte, ist seit März nichts mehr so, wie es einmal war. Check Wir stehen in allen Bereichen des gesellschaftlichen und privaten Lebens vor Herausforderungen, die wir 13 „Chancen nutzen“ bisher nicht kannten. Dabei ist vielen auch bewusst Möglichkeiten der Digitalisierung geworden, dass der Fußball eben wirklich nur die schönste Nebensache (!) der Welt ist. PANORAMA 15 Vom Sportplatz in die Politik Während im Spitzenbereich der Ball inzwischen wieder rollt, haben wir in den unteren Ligen immer noch eine REGEL-ÄNDERUNGEN ▼ Zwangspause. Zwar bemühen sich die Verantwortlichen 16 Neue Vorgaben UDO PENSSLER-BEYER, auf allen Ebenen, mit Trainingshinweisen und Regel- Was sich zum 1. Juli ändert VORSITZENDER DES Tests wenigstens etwas „Schiedsrichter-Alltag“ zu ver- DFB-SCHIEDSRICHTER- mitteln, aber das alles kann natürlich den Einsatz auf REGEL-TEST AUSSCHUSSES dem Platz nicht ersetzen. 20 11-Meter-Duell Inzwischen hat sich abgezeichnet, dass es deutschlandweit keine einheitlichen LEHRWESEN Modelle zur Fortsetzung bzw. Wiederaufnahme des Spielbetriebs gibt. Einen 22 Tore sind das Ziel Königsweg, der allen Beteiligten gerecht wird, kann es hierbei auch nicht geben. Der Inhalt des aktuellen Wichtig ist für uns als Schiedsrichter, dass wir – egal, wie die weitere Gestal- DFB-Lehrbriefs Nr. 92 tung des Spielbetriebs aussieht – gut vorbereitet in den Startlöchern stehen.

ANALYSE Aber nicht nur die spielleitenden Organe sind momentan um ihre Arbeit nicht 24 Gutes Teamwork ist alles zu beneiden. Auch die Verantwortlichen im Schiedsrichterwesen sind gezwun- Wie gelungene Kooperation mit gen, bewährte Wege zu verlassen. Einstufungen für das neue Spieljahr müssen den Assistenten aussieht überdacht werden. Qualifizierungslehrgänge müssen neu strukturiert, Regel­ änderungen anders kommuniziert werden. Die Aufzählung ließe sich beliebig ZEITREISE fortsetzen. 30 So kam der Referee ins Spiel Ein Blick zurück ins 19. Jahrhundert Dabei kann es durchaus passieren, dass Entscheidungen getroffen werden müssen, die ähnlich wie bei den Vereinen auch nicht allen Schiedsrichterinnen VORSCHAU und Schiedsrichtern gerecht werden. Ich bitte daher schon jetzt um ein faires 34 : Miteinander und möchte an dieser Stelle auf eine inzwischen landläufig häufig Die richtige Entscheidung gebrauchte Aussage zurückgreifen: Nur gemeinsam sind wir stark!

Unser wichtigstes Anliegen muss auch in diesen schwierigen Zeiten sein, gemeinsam alle Voraussetzungen dafür zu schaffen, am Tag X auf allen Ebenen in der bis März gewohnten Qualität für die anstehenden Spielleitungen gewapp- net zu sein. Voraussetzung dafür ist in erster Linie natürlich die eigene Gesund- heit.

In der Hoffnung, dass wir unserem Hobby in absehbarer Zeit wieder auf dem grünen Rasen bei bester Gesundheit nachgehen können, wünsche ich euch alles Gute.

Euer

SCHIEDSRICHTER ZEITUNG 04 OFFIZIELLES MAGAZIN DES DEUTSCHEN FUSSBALL-BUNDES 2020 JULI / AUG

Schiedsrichter im Home-Office: Aus- und Weiterbildungen fanden in den vergangenen Monaten ausschließlich online statt.

Die Schiedsrichter- Zeitung gibt es auch

Titelthema Regel-Änderungen Lehrwesen Zeitreise SCHIEDSRICHTER NEUE REGELN TORE SIND VOM UMPIRE IN CORONA-ZEITEN UND VORGABEN DAS SPIEL-ZIEL ZUM REFEREE Wie Unparteiische die Ein Überblick über die Der Inhalt des neuen Wie der Schiedsrichter zum Download auf spielfreie Zeit nutzten Neuerungen zum 1. Juli DFB-Lehrbriefs Nr. 92 ins Spiel kam www.dfb.de TITELTHEMA 4 DFB-SCHIEDSRICHTER-ZEITUNG 04|2020 5 KRISEN-MANAGER NEBEN DEM PLATZ

Wie verbrachten Deutschlands Spitzen-Schiedsrichter eigentlich die Zeit, als der Ball ruhte? Sie widmeten sich neben dem Training ihren eigentlichen Jobs. Manche enga- gierten sich darüber hinaus auch sozial. Wir zeigen an sechs Beispielen aus dem Profi-Bereich, dass auch unsere Unpar- teiischen während der Corona-Krise tatkräftig anpackten.

KATRIN RAFALSKI: TÄGLICHER sind nicht nach oben geschossen. Aber solange wir kei- TEXT DIENST IM KRANKENHAUS nen Impfstoff haben, wird es schwer ohne solche Maß- Bernd Peters nahmen.“ Über Langeweile konnte Katrin Rafalski aus Bad Wildun- gen (Hessen) nicht klagen. Denn die Drittliga-Schieds- : RATGEBER richterin und FIFA-Assistentin arbeitete während der FÜR DIE WIRTSCHAFT Krankheitswelle an einem der Hotspots der Krise, im Krankenhaus. Wer Christian Dingert während des bundesweiten Lock- downs ans Telefon bekommen wollte, musste Geduld Die radiologisch-technische Assistentin (RTA) an der mitbringen. „Es mag Leute geben, die in der Krise Lan- Werner Wicker Klinik in Bad Wildungen (bei Kassel) hatte geweile hatten, bei mir war das Gegenteil der Fall“, sagt in ihrer Abteilung, der Radiologie, zwar nicht direkt mit der -Schiedsrichter aus Kusel (Rheinland- Corona-Patienten zu tun, merkte aber doch deutlich die Pfalz). Dort arbeitet er seit 2001 in der Verwaltung des Auswirkungen der Krise. „Wir waren ziemlich eingespannt, 70.000-Seelen-Landkreises, verkörpert die Ein-Mann- hatten hohen Zulauf. Wir arbeiteten in Teams mit gesplit- Stabsstelle Wirtschaftskoordination. Und ist damit der teten Arbeitszeiten. Übergaben bei den Schichtwechseln „Krisenmanager“ der Wirtschaft vor Ort. erfolgten auf Abstand. Außerdem mussten wir von Anfang der Krise an mit Mundschutz arbeiten und nach jedem Patienten die Geräte desinfizieren.“ Das zeigte Wirkung: „Wir hatten keinen positiven Fall in der Belegschaft. Es „Ich bin gern für die Leute da und geht allen gut. Aber die Gefahr ist natürlich immer da, man kann sich ja überall anstecken.“ versuche zu helfen, wo ich kann.“ Christian Dingert, FIFA-Schiedsrichter Rafalski betont: „Grundsätzlich bin ich Befürworterin des Kontaktverbots, halte mich selbstverständlich daran. Ich tue alles dafür, mich nicht zu infizieren. Ich möchte Eigentlich hat er in der Verwaltung eine 65-Prozent- natürlich nichts in die Klinik tragen. Das funktioniert Stelle, auch um genügend Zeit für Schiedsrichterei und alles sehr gut. Wir sollten nicht über die Maskenpflicht Training zu haben. Diese war in Corona-Zeiten aber zur lachen.“ „150-Prozent-Stelle“ mutiert, teilweise arbeitete Dingert sieben Tage pro Woche. Von beschaulichem Landleben Foto links: Drittliga- Wie lange das noch nötig ist, kann sie nur schwer war plötzlich keine Rede mehr. Schiedsrichterin Katrin ab­schätzen. „Wir wissen ja nicht, wie sich die Öffent- Rafalski (rechts im Bild) bekommt das lichkeit daran hält. Aber wenn man Deutschland mit Als das Kontaktverbot die Wirtschaft lähmte, mutierte Corona-Geschehen im anderen Ländern weltweit vergleicht, sind wir auf einem Dingert zur Auskunft und zum Kummerkasten in einer Krankenhaus hautnah guten Weg. Die Sterberate ist geringer, Infektionszahlen Person. Die Sorgen, Nöte und Fragezeichen der Unter- mit. TITELTHEMA 6 DFB-SCHIEDSRICHTER-ZEITUNG 04|2020

Bei Christian Dingert stand das Telefon über Wochen nicht still.

nehmer und Selbstständigen waren schließlich riesig. desliga-Referee seine Energie schon nicht „auf dem „Das Telefon hat ununterbrochen geklingelt und das Platz“ lassen konnte, investierte er sie in anderen Berei- E-Mail-Postfach ist übergelaufen“, berichtet er. Das chen. Etwa, indem er sich sozial engagierte. Er gründete änderte sich erst langsam in den Wochen, als Deutsch- eine Initiative und ging gemeinsam mit seiner Frau Anita land wieder hochfuhr. „Als Lockerungen beschlossen für bedürftige Menschen in der Corona-Krise einkaufen. wurden, kamen die Fragen, wen diese wann betreffen. „Das war eine spontane Entscheidung, aus dem Bauch Irgendwelche Anfragen tauchten immer auf.“ heraus“, erzählt er. „Einerseits wusste man ja, dass ältere Personen nicht mehr einkaufen sollten. Andererseits Dingert gab Auskunft, war Ratgeber und Seelsorger. Trä- musste das aber ja auch jemand für sie tun.“ nen und Emotionen am Telefon musste er mit großer Empathie begegnen: „Ich bin gern für die Leute da und Jenen Menschen, die der Risikogruppe (hohes Alter, versuche zu helfen, wo ich kann.“ Viele Menschen, deren Immunschwäche, Vorerkrankungen) angehörten, griff Existenz bedroht sei, kenne er persönlich. Und Emotio- Petersen einige Wochen lang unter die Arme. „Wir hatten nen zu begegnen, das kenne er ja vom Fußballplatz. einen Stamm an älteren Menschen in unserer Nachbar- schaft, denen wir so halfen, mit Einkäufen von Lebens- Auch wenn es wie in jeder Krise Profiteure gibt – eine mitteln und Medikamenten, beim Gassigehen mit dem Firma für Lebensmittelverpackungen lief plötzlich auf Hund und bei Botengängen. Wir waren täglich unterwegs.“ Hochtouren –, war die Stimmung meist gedrückt. Was Dingert dennoch freut: Der Umgang der Menschen blieb Über eine eigens eingerichtete Internetseite konnten verständnis- und rücksichtsvoll, hilfsbereit. Der Krisen- Menschen ihren Bedarf anmelden. Anita koordinierte stab des Ordnungsamtes, dem Dingert auch angehörte, von zu Hause aus die Aufträge, Martin war draußen musste bei der Überprüfung der Einhaltung der Regeln unterwegs. Der Mann, der sonst quer durch die Repu­ nur selten durchgreifen. blik von Strafraum zu Strafraum rennt, lief nun im Stutt- garter Osten von Supermarkt zu Supermarkt. „Es war Obwohl er persönlich nicht unter Langeweile litt, ver- mir wichtig, etwas Sinnvolles zu tun in der fußballfreien misste Christian Dingert den Fußball: „Ich hielt mich mit Zeit“, sagt Petersen. „Wenn sich in jedem Ort ein paar Waldläufen und zu Hause fit und war froh, als zumindest Menschen auf diese Weise engagieren, ist den älteren der Sportplatz bei uns im Ort wieder geöffnet wurde.“ Menschen sehr geholfen.“

MARTIN PETERSEN: EINKAUFSDIENST Ab Mai wurde die Zeit für das Projekt dann weniger. Nicht FÜR STUTTGARTER SENIOREN nur, weil die Vorbereitungen für den Spielbetrieb der Bundesliga wieder Fahrt aufnahmen, sondern vor allem, Sich auf die faule Haut zu legen, ist nicht das Ding von weil Martins Frau mitten in der Corona-Krise das zweite (Stuttgart). Wenn der 35-jährige Bun- gemeinsame Kind zur Welt brachte: „Das hält uns jetzt 7

zusätzlich auf Trab – und wach“, schmunzelt der Zwei- tiv jungem Alter. Eine Ansteckung mit Corona würde ich fach-Vater, der nach dem Lockdown „kurioserweise fit wahrscheinlich besser verkraften können als ältere Men- wie nie“ war. „Es pusht einen, weil man nicht so viel schen. Aber ich möchte das Virus natürlich auch nicht machen kann. Ich habe unheimlichen Drang, mich zu verbreiten und damit andere Mitmenschen gefährden.“ bewegen.“ Dabei hat er – gerade in der Corona-Zeit – schon so viel bewegt. Deshalb hat sie alle Vorkehrungen getroffen, die mög- lich sind: „Wir waschen und desinfizieren uns die Hände, RIEM HUSSEIN: MEDIKAMENTE sooft es geht. Wir haben jetzt Plexiglas-Scheiben auf FÜR KRANKE MENSCHEN den Verkaufstheken zur Absicherung gegen Tröpfchen- Infektionen. Wir vermeiden Berührungen.“ „Jeden Tag kann jemand vor dir stehen, der Corona hat“, weiß Dr. Riem Hussein (39) aus Bad Harzburg. Keine Auch die Kunden hätten sich angepasst, hat die Apo- Plattitüde. Denn die FIFA-Schiedsrichterin hat jeden Tag thekerin festgestellt: „Früher haben viele Leute beim mit Kranken zu tun. Husten und Niesen keine Rücksicht auf ihre Mitmen- schen genommen und keine Schutzmaßnahmen ergrif- In Pandemie-Zeiten ist das schwierig – für Hussein aber fen. Jetzt machen sich die Leute mehr Gedanken, neh- kein Grund, ihren Beruf in der Apotheke im Kurzentrum men bewusster bestimmte Prozesse wahr.“ Bad Harzburg zu verteufeln. Die betreibt sie gemeinsam mit ihren Geschwistern Dr. Fadwa Natour und Dr. Fadi Und der Sport? „Der DFB hat uns in der Trainingsplanung Hussein. „Ich arbeite Vollzeit, kriege alles hautnah mit.“ sehr gut unterstützt. Ich fühle mich sehr fit und war Das ist auch nötig, denn seit dem Ausbruch von Corona jederzeit bereit, wieder ins Spielgeschehen einzugrei- ist mehr zu tun. „Ich bin direkt am Kunden, im vollen fen.“ Ende Mai war es für die Unparteiische schließlich Einsatz. Natürlich ist das auch ein Risiko. Ich habe zum so weit und Riem Hussein leitete nach langer Pause wie- Glück so viel zu tun, dass ich darüber nicht so viel nach- der mal ein Spiel in der Frauen-Bundesliga. denken kann. Außerdem: Der Job muss ja auch gemacht werden – gerade in diesen Zeiten.“ BENEDIKT KEMPKES: ZAHNARZT (FAST) OHNE PATIENTEN Riem Hussein sagt aber auch: „Ich erlebe meinen Alltag jetzt mit Einschränkungen – Abstand, Maskenpflicht. Der 34-jährige Zweitliga-Schiedsrichter ist selbststän- Manche trauen sich auch nicht mehr her, weil sie Angst diger Zahnarzt in einer Gemeinschaftspraxis in Lahn- haben, sich anzustecken. Das ist ein komisches Gefühl.“ stein – und zählt damit zu den Betroffenen der Krise. „Wir haben circa 60 Prozent Umsatzeinbußen“, sagt Um sich selbst macht sie sich aber keine Sorgen: „Ich Benedikt Kempkes. „Obwohl die Praxis geöffnet ist und habe keine Angst, mich anzustecken. Ich bin fit, in rela- wir alle erdenklichen zusätzlichen Hygienemaßnahmen

Bundesliga-Referee Martin Petersen und seine Frau Anita gingen für alte Menschen einkaufen. TITELTHEMA 8 DFB-SCHIEDSRICHTER-ZEITUNG 04|2020

Dr. Riem Hussein (Mitte) führt mit ihren Geschwistern eine Apotheke.

ergriffen haben, sagen viele Patienten aus Sorge um ihre den Speichel und Tröpfchen verbreitet wird, ist der Mund- Zweitliga- Gesundheit die Termine ab.“ Rachen-Raum, in dem wir arbeiten, der größte Risiko- Schiedsrichter und Bereich.“ Dennoch betont der Zahnarzt: „Wir führen alle Zahnarzt Benedikt Gleichzeitig sei jeder Patient selbst ein Risiko für den notwendigen Behandlungen durch. Nur auf Zahnreini- Kempkes sorgt für bestmöglichen Schutz Arzt. „Ich bin bei jeder Behandlung nah am Mund, anders gungen verzichten wir, da hier besonders viel Aerosol für sich und seine ist es nicht möglich. Da das Virus hauptsächlich über (feine Tröpfchen) entsteht, das lange in der Luft verweilt.“ Patienten. Welche Hygienemaßnahmen führt er dagegen ins Feld? „Wir haben den Betrieb in zwei Schichten aufgeteilt, um auf eine eventuelle Infektion innerhalb der Praxis reagie- ren zu können und das Infektionsrisiko untereinander zu minimieren. Unsere Patienten betreten die Praxis ein- zeln, geben gezielt Auskunft über ihren Gesundheits- zustand und werden dann direkt in das Behandlungs- zimmer geleitet, damit es nicht zu unnötigen Kontakten im Wartezimmer kommt.“

Einen positiven Corona-Fall habe es in der Praxis nicht gegeben. „Dennoch sind wir vorbereitet und haben ent- sprechende Schutzausrüstung in Form von Masken, Handschuhen, Kitteln, Schutzvisieren und Kopfhauben bereitgestellt, um jeden behandeln zu können.“

Die Hygienestandards in Zahnarztpraxen seien ohnehin schon immer sehr hoch gewesen, sagt Benedikt Kemp- kes. „Im Baumarkt oder in öffentlichen Verkehrsmitteln ist meiner Meinung nach die Wahrscheinlichkeit von kontaminierten Flächen viel größer.“

Der Unparteiische kenne niemanden persönlich, der infiziert oder erkrankt sei. „Die Infektionszahl in meinem Heimatkreis ist sehr gering. Ich selbst halte mich an die Regeln und hatte außerhalb der Praxis und meiner ­Familie keinen Kontakt.“ 9

Apropos Familie: Diese habe von der Krise profitiert – ment gerade überall involviert. Das führt einen mit denn während der spielfreien Zeit hatte Kempkes wie- zwei Kindern zu Hause, die auch gerade wenig zu tun der mehr Zeit für seine Frau und die beiden Kinder. „Wir haben, schon mal an die Grenzen. Obwohl ich wäh- haben viel Zeit zusammen verbracht, sind gemeinsam rend des bundesweiten Lockdowns nicht pfeifen Rad gefahren oder haben mit den Kindern im Garten konnte, hatte ich in diesen Wochen definitiv mehr zu gespielt.“ tun als vor der Krise.“ Deshalb hatte er mit seiner Frau einen Plan aufgestellt: „Wir haben uns so aufgeteilt, Ein Fitnessstudio hat er zudem zum Glück im Haus dass ich drei Büro-Tage machte und den Rest zu Hause – und als Joggingpartner diente Hündin Nala. So war.“ war auch Kempkes topfit, als der Ball im Mai wieder rollte. Wie groß war in der spielfreien Zeit die Sehnsucht nach dem Fußball? Dankert zögert: „Na ja – die Wochen : ANSPRECHPARTNER ohne Fußball habe ich nicht in Gram verlebt, sondern FÜR DIE FUSSBALLVEREINE auch sehr genossen mit meinen Kindern. Ich habe meine Frau sozusagen neu kennengelernt, viel am Es gibt eine Tabelle, auf die hat Bastian Dankert wäh- Haus gemacht. Es war vielleicht auch mal notwendig, rend der spielfreien Zeit regelmäßig und gerne den Stecker zu ziehen, wieder mal eine Art ‚Vaterzeit‘ geschaut: „Im Corona-Ranking ist unser Bundesland einzulegen.“ Mecklenburg-Vorpommern auf dem letzten oder ers- ten Platz, je nach Sichtweise“, sagt der 40-jährige Dass es lange dauern wird, bis der Fußball auch auf ­FIFA-Referee. „Wir haben die wenigsten Fälle. Deshalb der Amateurebene wieder rollt, war dem Verbands- waren wir in den vergangenen Wochen wahrscheinlich Geschäftsführer von Anfang an klar: „Wir werden etwas gelassener als andere. Meine Heimat Rostock keine Geisterspiele auf Amateurebene durchführen, ist Vorzeigestadt, weil viele getestet werden. Je mehr denn dann sind die Vereine nicht überlebensfähig. du testest, desto befreiter kannst du sein.“ In unserem Landesverband haben 81 Prozent der Vereine für eine vorzeitige Beendigung der Saison Bastian Dankert weiß, wovon er spricht – denn der votiert. Diesem Votum sind wir gefolgt und mussten Sportwissenschaftler ist als Geschäftsführer des Lan- die schwierige Frage beantworten, wie die Saison desfußballverbandes Mecklenburg-Vorpommern schlussendlich gewertet wird. Die Quotienten-Rege- gleichzeitig auch Krisenstabsleiter seines Verbandes lung hat nicht bei jedem Freude ausgelöst. Nunmehr für die Corona-Zeit. „Damit habe ich gerade natürlich müssen bereits Optionen für die kommende Saison enorm viel zu tun“, sagt er. gefunden werden.“­

„Wir arbeiten täglich zu viert, haben Konferenzen in Somit gibt es auf der Verbandsgeschäftsstelle weiter- kurzen Abständen mit dem DFB, der Landesregierung hin jede Menge Fragen zu klären. Und das sogar trotz und dem Landessportbund. Gleichzeitig haben die erstem (oder letztem) Platz für Mecklenburg-Vorpom- Vereine viele Fragen. Ich bin in Sachen Corona-Manage- mern in der Corona-Tabelle.

FIFA-Referee Bastian Dankert koordiniert als Verbands- Geschäftsführer das Geschehen im Amateurfußball in Mecklenburg- Vorpommern. TITELTHEMA 10 DFB-SCHIEDSRICHTER-ZEITUNG 04|2020 MEETING IM VIRTUELLEN RAUM

Schiedsrichter-Fortbildung in Zeiten von Corona? Mithilfe von Video-Konferenzen kein Problem. DFB-Lehrwart Lutz Wagner lud die Nachwuchstalente der Junioren-Bundesligen erstmals zu einem Stützpunkt am Computer ein. Ein Report aus der stummen Beobachter-Perspektive. 11

iner wie Lutz Wagner kann gut mit Menschen, das entieren“, verkündet Wagner, „und Empfehlungen abge- TEXT hat er nicht nur auf dem Fußballplatz, sondern ben, wo es kein Richtig und kein Falsch gibt.“ Alex Raack E auch außerhalb der Spielfeldbegrenzung oft genug unter Beweis gestellt. Damit ließe sich vermutlich auch vortrefflich die aktu- elle Corona-Lage diskutieren, doch die Unparteiischen Doch in Zeiten von Corona, „Flatten the Curve“ und belassen es bei dieser Trainingseinheit am Computer „Stay at Home“ steht auch der Routinier vor einer neuen mit Zweikampfszenen. Parameter wolle man mit diesen Herausforderung. Normalerweise ruft der DFB-Lehrwart Übungen schärfen, erklärt der Gastgeber, denn „für jede in regelmäßigen Abständen die Unparteiischen der Juni- Entscheidung gibt es richtige Gründe.“ Einzige zentrale oren-Bundesligen an bundesweit vier Stützpunktorten (und konkrete) Botschaft: „Wenn ich Zweifel habe, lasse zusammen, um dem Nachwuchs dort in Kleingruppen ich weiterlaufen.“ den Feinschliff zu verpassen, aktuelle Entwicklungen zu besprechen und ausgewählte Szenen zu diskutieren. Aber normal ist in diesen Tagen gar nichts, da der Fuß- ball und mit ihm nahezu das komplette öffentliche Leben „Video-Konferenzen sind in der ruhen, um die Verbreitung des neuartigen Virus einzu- dämmen. Corona-Zeit die beste Lösung,

Lutz Wagner, DFB-Lehrwart Also haben sich Wagner und Kollegen für eine Maß- die wir haben.“ nahme entschieden, die Wagner selbst als „beste Lösung, die wir in der Corona-Zeit haben“, bezeichnet. Statt wie Videos werden eingespielt, Schiedsrichter zu ihrer Mei- gewohnt an den unterschiedlichen Stützpunktorten in nung gefragt. Bereits im Vorfeld hat jeder Teilnehmer einer überschaubaren Runde zu arbeiten, sind an die- die Bewegtbilder zur Verfügung gestellt bekommen und sem Tag im April mehr als 50 Personen zu einer Video- seine Meinung abgeben müssen. Hier und jetzt geht es Konferenz eingeladen. Punkt 14 Uhr schalten sich die darum, in der gemeinsamen Diskussion der vollkommen Referees aus Kluftern, Wettenberg oder Treffurth zu, richtigen Entscheidung zumindest so nahe wie möglich man sieht in Webcams blinzelnde Gesichter, Akten­ zu kommen. ordner oder kahle Wände im Hintergrund, ein paar damp- fende Kaffeetassen in den Händen. Patrick Glaser vom FC Freudenberg steht zu seiner Gel- ben Karte, die er nach einer rustikalen Grätsche im Spiel Wagner selbst trägt einen schwarzen Pullover, den man zwischen Bayer Leverkusen und Atlético Madrid an den mit etwas Fantasie auch für ein Schiri-Jersey halten Übeltäter verteilt hätte. Andere hätten sofort den Platz- könnte. Gerne hätte man erfahren, wie wohl das Arbeits- verweis ausgesprochen. „In der Junioren-Bundesliga zimmer des Ausbilders aussieht, aber der schlaue Refe- wohl auch vertretbar“, sagt Wagner, zeigt dann aber rent hat den Weichzeichner eingestellt, der Fokus liegt noch einmal eine andere Perspektive – und wer ganz ganz bei ihm. Gemeinsam mit Jan-Hendrik Salver, dem genau hinschaut, erkennt, dass die Grätsche nicht ganz Experten für den Bereich der Schiedsrichter-Assistenten, so brutal war wie auf den ersten Blick angenommen. sowie mit Kevin Müller aus der DFB-Zentrale begrüßt Gelbe Karte? Richtige Entscheidung. der Host seine Konferenz-Teilnehmer. So geht es weiter in der „ersten Halbzeit“ dieser Fort- Bevor es richtig losgeht, bittet Wagner um eine Gedenk- bildung. Hohe Beine, harte Grätschen, zweifelhafte Zwei- minute für Andreas Thiemann, das jüngst verstorbene kampfführung und immer wieder der Versuch, den Teil- Mitglied des DFB-Schiedsrichterausschusses. Dessen nehmern die unterschiedlichen Parameter bei ihrer spezieller Humor, seine „legendären Ansprachen bei Entscheidungsfindung zu verdeutlichen. „Wenn wir Sitzungen und Tagungen“ (Wagner), seine Kompetenz gemeinsam in einer Runde sitzen und ich den Jungs in und Intelligenz würden künftig fehlen. die Gesichter sehen kann, dann reicht manchmal eine gerunzelte Stirn, um die Diskussion voranzutreiben“, Kurz darauf startet die gut zweistündige Video-Schalte wird Wagner nach der Konferenz erklären, „das war heute in die Zimmer der deutschen Nachwuchs-Referees: mit natürlich nicht möglich.“ der Nachfrage bei jedem Einzelnen, wie der Stand der Dinge ist. „Alles fit, Empfang ist gut, Grüße aus Bayern!“, Deshalb hat dieses virtuelle Aufeinandertreffen durch- spricht Thomas Ernst vom Bayerischen Fußball-Verband, aus eine gewisse Sterilität, die Wagner auch schon mal „guter Empfang und alles fit!“ auch bei Vincent Schöl- ganz woanders erlebt hat. Am 26. Januar 2004 war er ler, Mark Heiker oder Jan Dennemärker. Nach 20 Minu- Leiter des ersten „Geisterspiels“ im deutschen Profifuß- ten findet die lange Willkommens-Zeremonie ein Ende. ball. Zwei Monate zuvor hatte Alemannia Aachen im Spitzenspiel der 2. Bundesliga den 1. FC Nürnberg mit ORIENTIEREN IM GRAUBEREICH 1:0 besiegt. Weil FCN-Trainer Wolfgang Wolf von einem Wurfgeschoss aus der Aachener Kurve getroffen wor- Foto links: Ohne das erzwungene Homeoffice würden die Referees den war, hatte der Club allerdings im Nachhinein Pro- DFB-Lehrwart Lutz nun in kleinen Gruppen strittige Szenen durchgehen, test eingelegt. Ohne Zuschauer wurde die Partie wie- Wagner (oben links) so aber bekommen alle von Kevin Müller kurze Video- derholt, eine Erinnerung, die für Wagner heute aktueller veranstaltete mit den Schiedsrichtern der Sequenzen aus den vergangenen Monaten vorgespielt, denn je ist. Er befand damals nach Schlusspfiff: „So ein Junioren-Bundesligen Daumendrücken allerorts, dass die Internetverbindung Spiel braucht kein Mensch. In der Halbzeit schrieb mir erstmalig eine Video- auch wirklich hält. „Wir wollen uns im Graubereich ori- ein Bekannter eine SMS: ‚Lutz, man hört jedes Wort!‘ Konferenz. TITELTHEMA 12 DFB-SCHIEDSRICHTER-ZEITUNG 04|2020

Anhand von Video- Szenen diskutierten Zum Anpfiff der zweiten Hälfte habe ich diese Info an schlichtweg die Übersicht. Selbst als Schiedsrichter. Es die Unparteiischen die Spieler weitergegeben, damit die nicht Sachen brüll- ist wie dieser Tage so oft in den Video-Konferenzen oder notwendige Ent­ ten, die normalerweise nicht für die Ohren der Zuschauer Online-Telefonaten mit mehr als drei Teilnehmern: So scheidungen. bestimmt sind.“ beeindruckend die Möglichkeit des virtuellen Mitein- anders ist, gewöhnungsbedürftig und nicht ganz so VORBEREITEN AUF DEN TAG X optimal ist sie dann doch in der Praxis.

„Geisterspiele“ sind sterile Erlebnisse, die auch für die Fazit dieser ersten Video-Schulung für Nachwuchs­ Schiedsrichter wenig Unterhaltung versprechen. Weil schiris: Sie ist die beste aller Ersatzmöglichkeiten unter die Show aber nun einmal weitergehen soll, ja, irgend- den gegebenen Bedingungen – aber eben doch nur wann auch weitergehen muss, haben Online-Übungs- ein Ersatz. In der Not frisst der Teufel eben Fliegen – einheiten wie diese eine ganz besondere Bedeutung. oder diskutiert den Trikotzupfer von Manchesters Wagner: „Es geht auch darum, die Spannung hochzu- Harry Maguire über die Breitbandverbindung. Auf Dauer halten. Ich vergleiche die aktuelle Situation mit einer kann so etwas das persönliche Miteinander bei den langwierigen Verletzung. Auch da muss man weiterma- Stützpunkteinheiten nicht ersetzen. Soll es aber auch chen und sich auf den Tag X vorbereiten.“ Vorteil einer nicht. solchen Video-Schalte in alle Schiedsrichter-Haushalte: „Alle haben das Gefühl: Ich werde nicht vergessen.“ Wagner hofft darauf, dass eine baldige Rückkehr zur Normalität nicht mehr allzu lange auf sich warten lässt. Im zweiten Teil der Veranstaltung darf sich Wagner etwas Was bleibt dann über für die 70.000 Unparteiischen, die zurücknehmen, Kollege Jan-Hendrik Salver stellt strit- auf deutschen Sportplätzen in der Vergangenheit wahr- tige Szenen in der Zusammenarbeit von Schiedsrichter lich keine rosigen Zeiten erlebt haben? „Ich hoffe, dass und Assistenten zur Diskussion. sich die neu gewachsene Empathie im täglichen Mitei- nander auch auf den Platz überträgt“, sagt Wagner. „Emo- Im Vergleich zu den Treffen im „echten Leben“ läuft die tionen sind gut und gehören zum Fußball dazu. Aber Video-Schalte hin und wieder etwas stockend ab. Mal die Grenzen zwischen Emotion und Unsportlichkeit hakt die Verbindung, mal rauscht das Mikrofon und waren zuletzt doch sehr verwischt worden. Und die sollte irgendwann verliert man in dieser großen Gruppe man mal wieder schärfer ziehen.“ 13 „CHANCEN NUTZEN“

Wie Digitalisierung im Schiedsrichterwesen gelingen kann, zeigt ein Blick nach Bayern: Dort haben zuletzt fünf Anwärter-Lehrgänge mit mehr als 350 Teilneh- mern online stattgefun- den. Im SRZ-Interview spricht Sven Laumer über die Erfahrungen und auch über Poten­ ziale für die Zukunft.

elche Erfahrungen hatte der Bayerische Fußball- den Fußballregeln zu beschäftigen. Ansonsten hört man INTERVIEW Verband bereits im Vorfeld von Corona mit Online- oft, dass die potenziellen Schiedsrichter-Anwärter in der David Bittner W Lehrgängen und -Fortbildungen gemacht? Vorbereitung, im Training oder im Spielbetrieb sind und keine Zeit für einen Schiedsrichter-Lehrgang hätten. Im Jahr 2014 hatte ich als damaliger Obmann der Daher war es sehr wichtig, dass wir gerade in der fuß- Schiedsrichter-Gruppe Jura Nord mit meinem Lehrwart ballfreien Zeit diese reine Online-Möglichkeit geschaf- Philipp Silvestri ein erstes Pilotprojekt in Sachen Online- fen haben. Neulingslehrgänge gestartet. Wir entwickelten damals ein Konzept, welches eine duale Online-Offline-Ausbil- Auf welchen Kanälen habt ihr die jüngsten Online-Lehr- dung vorsah. Die „kleineren Regeln“ konnten von den gänge beworben? Teilnehmern online bearbeitet werden, die wichtigsten Themen – wie die Regeln 5, 11 und 12 – brachten wir Wir sind über die Website und die Social-Media-Kanäle ihnen dagegen weiterhin bei Präsenz-Veranstaltungen des Bayerischen Fußball-Verbandes gegangen. Andere näher. Dieses Konzept hatten wir seitdem in Bayern als Medien griffen die Informationen zu den Lehrgängen eine Option für Neulingslehrgänge angeboten. ebenfalls auf und auch die Tageszeitungen berichteten darüber. So erreichten wir in kurzer Zeit sehr viele Men- An den jüngsten reinen Online-Lehrgängen haben inzwi- schen. schen 350 Menschen teilgenommen und so den Weg in die Schiedsrichterei gefunden. Wie erklärt ihr euch die Wie waren eure Lehrgänge konzipiert – auch im Vergleich große Nachfrage? zu den sonst üblichen Anwärter-Lehrgängen?

Viele Teilnehmer haben gesagt, sie hätten wegen der Wir teilten die Lehrgänge in zwei Phasen auf: Die erste Zwangspause jetzt endlich einmal Zeit gehabt, sich mit Phase war die Online-Ausbildung in den 17 Fußballre- TITELTHEMA 14 DFB-SCHIEDSRICHTER-ZEITUNG 04|2020

alle Fragen im Forum zeitnah beantwortet wurden. Auch im „Webinar“ selbst hatten die Teilnehmer die Gelegen- heit, weitere Fragen zu stellen.

In welcher Form fand am Ende des Lehrgangs die Prüfung statt?

Die theoretische Prüfung war eine Online-Klausur. Die Teilnehmer konnten an einem Wochenende selbst bestimmen, wann sie die Klausur schreiben wollten. Das heißt, sie konnten die Prüfung starten und hatten dann 45 Minuten lang Zeit, 30 Fragen zu beantworten. Das waren sowohl Multiple-Choice- als auch offene Die Teilnehmer des Fragen, wie sie in den offiziellen Prüfungsbögen vor- Lehrgangs sehen auf kommen. ihrem Bildschirm neben dem Referenten auch die Inhalte Wie geht es nach der Prüfung weiter für diejenigen, die einer PowerPoint- bestanden haben? Präsentation. Nach der Theorie folgt in der zweiten Phase der Ausbil- geln. Vier Wochen lang bearbeiteten die Teilnehmer im dung nun noch ein Praxis-Teil auf dem Sportplatz, der Selbststudium die Inhalte, am Ende jeder Woche veran- von den bayerischen Schiedsrichter-Gruppen organi- stalteten wir ein sogenanntes „Webinar“, um einige siert wird. Dabei werden die neuen Schiedsrichter auch Aspekte zu vertiefen und vor allem, um Fragen der Teil- noch eine praktische Laufprüfung absolvieren. nehmer zu beantworten. Welche Erfahrungen habt ihr bei euren Lehrgängen Wie sah ein solches „Webinar“ konkret aus? gemacht, die auch für andere Verbände nützlich sein könn- ten, wenn sie ähnliche Projekte starten möchten? Wir nutzten die Idee des „Flipped Classroom“. Das ist ein Konzept, das wir auch an der Universität verwenden. Die wichtigste Erkenntnis ist: Online-Schulungen funk- In einer ähnlichen Weise haben wir auch gerade an mei- tionieren! Entscheidend ist vor allem, die Teilnehmer nem Lehrstuhl sämtliche Seminare und Vorlesungen nicht alleinezulassen, sondern ein klares didaktisches organisiert. Die Idee ist, Wissen online zu vermitteln, Konzept zu haben, wie man verschiedene Medien („Webi- um dann in der Diskussion und im Dialog das vermit- nar“, Forum, Selbststudium) kombiniert. Auch sollte man telte Wissen weiter zu vertiefen und anzuwenden. Nach eine Struktur vorgeben, sodass sich die Teilnehmer nicht einem Selbststudium auf der Online-Plattform des DFB in der Welt der Regeln alleingelassen fühlen. Außerdem haben wir die Regel-Inhalte also in den „Webinaren“ mit braucht man, wie für einen Präsenzlehrgang auch, einen vielen Beispielen und zusätzlichen Erklärungen verse- klaren Lehrgangsplan. Man sollte den Mut haben, es hen. So konnten wir viele Punkte aus der Regeltheorie einfach mal auszuprobieren. Erste positive Erfahrungen in die Praxis bringen und zeigen, wie diese auf dem Platz führen schnell zu Sicherheit im Umgang mit diesen umgesetzt werden. Auch konnten wir bei vielen Themen Medien. persönliche Erfahrungen als Schiedsrichter einfließen lassen. Welche Rolle werden deiner Meinung nach reine Online- Lehrgänge auch noch nach der Corona-Krise spielen? In welchen Momenten fand eine Interaktion mit den Teil- nehmern statt? Unser Konzept für die Neulingsausbildung, das wir jetzt erfolgreich umsetzen, kann man natürlich auch Zum einen konnten die Teilnehmer bereits während des weiterhin verwenden. Beispielsweise in der Winterpause, Selbststudiums in einem Online-Forum ihre Fragen stel- wenn der Spielbetrieb ruht und mögliche Interessenten len. Die Lehrgangsleitung um Alessa Plass und Alexan- Zeit und Lust haben, sich online mit den Fußballregeln der Pott, Lehrwarte und weitere Mitglieder des Ver- zu beschäftigen. Wo ich zudem ein großes Potenzial bandslehrstabs reagierten immer schnell darauf, sodass sehe, ist der Einsatz von „Webinaren“ in der Weiterbil- dung von Unparteiischen. Schon die bisherigen Ange- bote werden in den 72 bayerischen Schiedsrichter- Gruppen sehr gut angenommen, einige Gruppen Zur Person melden Rekordteilnehmerzahlen an ihren Online-Lehr­ aben­den. Und auch auf Verbandsebene haben wir sehr Prof. Dr. Sven Laumer ist nicht nur Mitglied im bay- gute Erfahrungen mit unseren Schiedsrichtern und erischen Verbands-Schiedsrichterausschuss, son- Beobachtern gemacht. Für die Zukunft müssen wir uns dern arbeitet auch als Professor an der Universität überlegen, wie wir mit einem Mix aus Online- und Erlangen-Nürnberg im Bereich Wirtschaftsinfor- ­Präsenz-Angeboten ein attraktives Angebot für Jung matik. Dort beschäftigt sich der 37-Jährige mit der und Alt bieten können. Die Corona-Erfahrung zeigt, Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft. dass dies möglich ist. Und diese Chance sollten wir in Zukunft nutzen. MELDUNGEN DFB-SCHIEDSRICHTER-ZEITUNG 04|2020 15 PANORAMA VOM SPORTPLATZ IN DIE POLITIK

In der Corona-Pause sorgte DFB-Schieds­ das schon ernst“, sagt Winkmann. Mit seiner richter mit einer Ankündi- Familie und seinen Freunden habe er seine gung für Aufsehen: Der 46-jährige Polizei- Entscheidung besprochen. „Sie stehen hin- beamte möchte Landrat im Kreis Kleve ter mir“, sagt der 46-Jährige in einem Inter- (Nordrhein-Westfalen) werden. Er tritt als view mit den Niederrhein Nachrichten. Sein parteiloser Kandidat bei der Wahl um die komplettes Wahlprogramm möchte er in Nachfolge des scheidenden Landrats Wolf- naher Zukunft vorstellen. gang Spreen (CDU) bei der Landratswahl im Herbst dieses Jahres an. Ein großes Anliegen sei ihm – wie auch auf dem Fußballplatz – die Unabhängigkeit und „Mein Motto lautet: nicht meckern, sondern Gerechtigkeit. „Das ist meine Grundmotiva- machen. In den vergangenen Wochen ist die tion.“ Seit 2001 ist Guido Winkmann Entscheidung, als Landrat zu kandidieren, ­DFB-Schiedsrichter, leitet seit 2008 Spiele Bundesliga-Referee Guido Winkmann strebt gereift. Es ist kein Zufallsprodukt. Ich meine in der Bundesliga. einen Job in der Politik an.

E-SPORTS: DFB-SCHIEDSRICHTER SCHLAGEN SICH ACHTBAR

In der fußballlosen Zeit sorgten bei der „Bun- Person aus dem Klubumfeld. Hinzu kam das mein Trikot ausziehen, aber ich habe dann desliga Home Challenge“ Fußball- und Team der DFB-Schiedsrichter. doch ein bisschen Respekt gehabt“, sagte E-Sport-Profis sowie auch die DFB-Schieds- Aytekin nach dem Duell und scherzte: „Ich richter , Daniel Schlager und Das Schiedsrichter-Duo stieg am zweiten denke, ich habe unsere Schiedsrichterehre Martin Petersen an der Spielekonsole für Spieltag in die Serie ein, verlor jedoch seine gerettet.“ Eine deutliche Niederlage im Unterhaltung. Unter dem Motto „Stay Home … beiden Partien: Einer 2:5-Niederlage gegen Gesamtergebnis kassierten die Schiedsrichter and play!“ veranstaltete die Deutsche Fußball Borussia Mönchengladbach folgte ein 1:10 Martin Petersen und Daniel Schlager dann Liga in der Corona-Pause ein FIFA-20-Turnier gegen Darmstadt 98. Einen kleinen Achtungs- letztlich auch im Duell mit der TSG Hoffen- an der Spielkonsole. Insgesamt 29 Teams der erfolg erzielte dabei jedoch Deniz Aytekin, heim. Petersen unterlag Marcel Schwarz mit beiden Bundesligen waren mit jeweils zwei der den Gladbacher Jonas Hofmann besiegen 2:6, Schlager musste sich dem Hoffenheimer Spielern dabei, einem Fußball-Profi und einer konnte. „Ich wollte eigentlich nach dem 2:1 Profi Munas Dabbur 2:4 geschlagen geben.

IFAB-ENTSCHEIDUNG: FÜNF AUSWECHSLUNGEN MÖGLICH

Die Fußballregelhüter des International aufzustocken. Fortan standen jedem Team Football Association Board (IFAB) erlauben für den Austausch von Spielern während in der Coronavirus-Pandemie mehr Aus- einer Begegnung insgesamt drei Gelegen- wechslungen pro Team. Das Gremium, das heiten einschließlich der Halbzeitpause zur die Fußballregeln berät und beschließt, Verfügung. So sollte das Spiel auf Zeit ver- fasste Anfang Mai den Beschluss der Son- hindert werden. derregel: Fünf Spieler pro Team dürfen nun in einem Spiel ausgewechselt werden. Die Die neue Regelung ist befristet: Sie soll Regel wird befristet, und es ist jedem Wett- zunächst nur für Wettbewerbe gelten, deren bewerb und jeder Liga freigestellt, sie zu Beginn 2020 ansteht oder erfolgt ist. Zudem nutzen. muss das Ende dieser Wettbewerbe im Jahr 2020 geplant sein. Mit Blick auf den Spielbetrieb in der laufen- den Saison hatten auch die Klubs der DFL entschieden, das Auswechselkontingent in In der Bundesliga waren zuletzt fünf einem Spiel auf fünf Spieler pro Mannschaft Spielerwechsel pro Team erlaubt. REGEL-ÄNDERUNGEN 16 DFB-SCHIEDSRICHTER-ZEITUNG 04|2020 NEUE VORGABEN

Bei ihrer Sitzung im März haben der International Football Association Board (IFAB) und der Fußball- Weltverband (FIFA) die Regeländerungen für die neue Saison beschlossen. DFB-Lehrwart Lutz Wag- ner hat die wichtigsten dieser neuen Regeltexte (kursiv gedruckt) mit entsprechenden Erläuterun- gen versehen. In Deutschland gelten die neuen Regeln ab dem 1. Juli 2020.

REGEL 1 – SPIELFELD REGEL 2 – BALL

Die Torpfosten und die Querlatte müssen aus einem zuge- Wenn der Ball beschädigt wird, wird das Spiel unterbro- lassenen Material sein. Torpfosten und Querlatten müssen chen und mit einem Schiedsrichter-Ball fortgesetzt. quadratisch, rechteckig, rund, elliptisch oder eine Kombi- nation davon und ungefährlich sein. Hierbei geht es lediglich um eine Vereinheitlichung mit dem Wortlaut der Regel 8. Es wird darauf hingewiesen, dass Torpfosten und Quer- latte aus diesen vier Grundformen kombiniert werden REGEL 10 – Platzt ein Ball, können. Für uns Schiedsrichter ist diese Textpassage BESTIMMUNG DES SPIELAUSGANGS ist der Ort der Spielfortsetzung eher zweitrangig, da wir davon ausgehen können, dass genau dort, wo dies die Spielfeldaufbauten bei ihrer In­stalla­tion bereits abge- Das Elfmeterschießen folgt nach dem Spiel gemäß den passiert ist. nommen wurden. entsprechenden Spielregeln, sofern keine anderslauten- 17

den Regeln gelten. Ein Spieler, der während des Spiels des Die rot und grün gekennzeichneten Bereiche dieser Gra- Feldes verwiesen wurde, darf nicht am Elfmeterschießen fik dienen als Klarstellung, wo die Grenze zwischen Arm teilnehmen. Während des Spiels ausgesprochene Ermah- und Schulter verläuft. nungen und Verwarnungen werden nicht auf das Elfme- terschießen übertragen. REGEL 12 – FOULS UND UNSPORTLICHES BETRAGEN (HANDSPIEL/ANGREIFER) Während des Spiels – einschließlich Verlängerung – ausgesprochene Ermahnungen und Verwarnungen wer- Ein Vergehen liegt vor, wenn ein Spieler oder ein Mitspie- den nicht ins Elfmeterschießen übernommen. Das heißt, ler den Ball mit der Hand/dem Arm berührt (ob absichtlich dass ein Spieler, der während des Spiels verwarnt wurde, oder nicht) und unmittelbar danach ins gegnerische Tor auch während des Elfmeterschießens noch mal verwarnt trifft oder zu einer Torchance kommt. werden kann, ohne dass „Gelb/Rot“ folgt. Hiermit wird noch einmal klargestellt, dass beim Wort REGEL 10 – „unmittelbar“ ein Angreifer nicht nur sich selbst den Ball BESTIMMUNG DES SPIELAUSGANGS mit der Hand vorlegen kann, sondern dies auch durch einen Mitspieler geschehen kann. Begeht der Torwart ein Vergehen und wird der Elfmeter infolgedessen wiederholt, wird der Torhüter für das erste R E G E L 1 2 – Vergehen ermahnt und für jedes weitere Vergehen ver- FOULS UND UNSPORTLICHES BETRAGEN warnt. (HANDSPIEL/DISZIPLINARMASSNAHMEN)

Der Torhüter begeht zumeist ein Vergehen (zu frühes Für einen Torhüter gelten beim Handspiel außerhalb des Lösen nach vorn von der Linie), weil er den Schuss zu eigenen Strafraums die gleichen Regeln wie für alle übri- früh erwartet. Er soll deshalb bei einem ersten solchen gen Spieler. Berührt der Torhüter den Ball unerlaubterweise Vergehen nur ermahnt und bei einem weiteren Verge- innerhalb des eigenen Strafraums mit der Hand/dem Arm, hen bei der Wiederholung des Elfmeters und/oder bei wird ein indirekter Freistoß, aber keine Disziplinarmaß- den weiteren Elfmetern verwarnt werden. Im seltenen nahme verhängt. Berührt der Torwart den Ball nach einer Fall, dass der Torhüter und der Elfmeterschütze sich Spielfortsetzung ein zweites Mal mit oder ohne Hand/Arm, beide regelwidrig verhalten, ist nur der Elfmeterschütze ehe ein anderer Spieler den Ball berührt hat, ist dieses Ver- zu verwarnen, da erst sein unzulässiges Antäuschen zum gehen auch disziplinarisch zu ahnden, sofern damit ein Vergehen des Torhüters geführt hat. aussichtsreicher Angriff unterbunden, ein Tor des gegne- rischen Teams verhindert oder eine offensichtliche Tor- REGEL 11 – ABSEITS chance vereitelt wird.

Ein Spieler verschafft sich keinen Vorteil aus seiner In der alten Fassung des Regeltextes war festgelegt, Abseitsstellung, wenn er den Ball vom gegnerischen dass bei einem strafbaren Handspiel des Torhüters im Spieler erhält, der den Ball absichtlich spielt (auch bei eigenen Strafraum (zum Beispiel: Aufnehmen eines uner- absichtlichem Handspiel); es sei denn, es handelt sich laubten Zuspiels/Rückpasses) keine Disziplinarmaß- dabei um eine absichtliche Abwehr-Aktion eines gegne- nahme verhängt wird. Der Fall der zweiten Ballberüh- rischen Spielers. rung nach einer Spielfortsetzung wird davon nun explizit ausgenommen. Nach einer solchen kann es nun In diesem Fall wird klargestellt, dass ein absichtliches Handspiel des Spielers des verteidigenden Teams bei Die Skizze dient der einer Abseitsstellung als absichtliche Aktion gilt. Dies Klarstellung, wo die bedeutet, dass ein Abwehrspieler ein Spielen des Balls Grenze zwischen Arm und Schulter verläuft. sowohl mit einer zulässigen absichtlichen als auch mit einer unzulässigen absichtlichen Aktion ausführen kann. Beispiel: Ein Angreifer schießt aus 25 Metern den Ball aufs Tor. Ein außerhalb des Strafraums stehender Ver- teidiger versucht, den Ball mit der Hand aufzuhalten. Dies gelingt ihm jedoch nur bedingt, denn er lenkt den Ball mit diesem absichtlichen Handspiel zu einem wei- teren Angreifer in Abseitsposition, der nun eine gute Torchance hat. In diesem Fall läuft das Spiel weiter, da es beim Spielen des Balles durch den Verteidiger uner- heblich ist, ob es sich um zulässiges oder unzulässiges Spielen des Balles handelt.

REGEL 12 – FOULS UND UNSPORTLICHES BETRAGEN (HANDSPIEL)

Ein Handspielvergehen kann nur vorliegen, wenn der Ball mit dem gemäß Grafik roten Bereich des Armes berührt wird. REGEL-ÄNDERUNGEN 18 DFB-SCHIEDSRICHTER-ZEITUNG 04|2020

aus und kommt so zu einer klaren Torchance, ehe der Schiedsrichter mit dem Verfahren für die Disziplinarmaß- nahme begonnen hat. In diesem Fall wird die fällige Ver- warnung/der fällige Feldverweis in der nächsten Spielun- terbrechung ausgesprochen. Handelt es sich bei dem Vergehen um das Vereiteln einer offensichtlichen Tor- chance, wird der fehlbare Spieler verwarnt. Wurde mit dem Vergehen ein aussichtsreicher Angriff verhindert oder unterbunden, wird der fehlbare Spieler nicht verwarnt.

Lässt der Schiedsrichter nach dem Vereiteln einer offen- sichtlichen Torchance einen schnell ausgeführten Frei- stoß zu, wird aus dem verzögerten Feldverweis eine Verwarnung. Lässt der Schiedsrichter analog dazu nach dem Verhindern oder dem Unterbinden eines aussichts- reichen Angriffs einen schnell ausgeführten Freistoß zu, wird die verzögerte Verwarnung nicht mehr ausgespro- chen.

Löst sich ein Torwart beim Strafstoß zu REGEL 12 – früh mit beiden Füßen FOULS UND UNSPORTLICHES BETRAGEN von der Linie und (DISZIPLINARMASSNAHMEN/VORTEIL) muss der Strafstoß deshalb wiederholt Wenn der Schiedsrichter bei einem verwarnungs- oder werden, wird der Keeper dafür nun erst feldverweiswürdigen Vergehen auf Vorteil entscheidet, im Wiederholungsfall muss die fällige Verwarnung/der fällige Feldverweis in der verwarnt. nächsten Spielunterbrechung ausgesprochen werden. Handelt es sich beim Vergehen jedoch um das Vereiteln sowohl die Gelbe als auch die Rote Karte für den Tor- einer Torchance, so wird der Spieler wegen unsportlichen hüter geben – unabhängig davon, ob dieser den Ball Betragens verwarnt. Verhindert oder unterbindet er einen mit dem Fuß oder mit der Hand spielt. Dabei wird näm- aussichtsreichen Angriff, wird er nicht verwarnt. lich nicht das strafbare Handspiel des Torwarts als sol- ches mit einer Persönlichen Strafe sanktioniert, sondern Genau wie bei einem „Quick free kick“ im Absatz zuvor die unzulässige zweite Ballberührung nach einer Spiel- wird auch bei einem gewährten Vorteil bei der Verhin- fortsetzung. derung eines aussichtsreichen Angriffs oder einer offen- sichtlichen Torchance die Persönliche Strafe nach unten REGEL 12 – FOULS UND UNSPORTLICHES reduziert: Aus „Rot“ wird „Gelb“, aus „Gelb“ wird „keine BETRAGEN (DISZIPLINARMASSNAHMEN/ Karte“ – bezogen auf die Verhinderung einer Torchance „QUICK FREE KICK“) wie auch beim Stoppen eines aussichtsreichen Angriffs. Unter gewissen Umständen wird die Entscheidet sich der Schiedsrichter, einen Spieler zu ver- REGEL 12 – FOULS UND UNSPORTLICHES Persönliche Strafe warnen oder des Feldes zu verweisen, wird das Spiel erst BETRAGEN (DISZIPLINARMASSNAHMEN) nach „Vorteil“- Gewährung durch nach Abschluss des Verfahrens für diese Disziplinarmaß- den Schiedsrichter nahme fortgesetzt. Es sei denn, das Team, das das Verge- Ein Spieler wird bei folgenden Vergehen verwarnt: Miss- reduziert. hen nicht begangen hat, führt den fälligen Freistoß schnell achtung des vorgeschriebenen Abstands bei Schiedsrich- ter-Ball, Eckstoß, Freistoß oder Einwurf.

Es wird ergänzt, dass auch bei der Missachtung des vor- geschriebenen Abstands bei einem Schiedsrichter-Ball eine Verwarnung ausgesprochen wird.

REGEL 14 – STRAFSTOSS

Der Torhüter verstößt gegen die Spielregeln: – Geht der Ball ins Tor, zählt der Treffer. – Verfehlt der Ball das Tor oder springt von der Querlatte oder einem der beiden Torpfosten zurück, wird der Straf- stoß nur wiederholt, wenn das Vergehen des Torhüters den Schützen eindeutig gestört hat. – Wird der Ball vom Torhüter abgewehrt, wird der Straf- stoß wiederholt.

Führt das Vergehen des Torwarts zu einer Wiederholung des Strafstoßes, wird der Torhüter für das erste Verge- 19

hen ermahnt und für jedes weitere Vergehen während des Spiels verwarnt.

Damit bestätigt die FIFA die bereits getätigte Anweisung aus dem FIFA-Zirkular 17 im August 2019, dass ein Ver- gehen eines Torhüters bei der Ausführung eines Straf- stoßes, der das Tor verfehlt oder von einem der beiden Torpfosten oder der Querlatte zurückspringt, das heißt nicht vom Torhüter abgewehrt wird, nicht geahndet wird, sofern es den Schützen nicht eindeutig gestört hat.

Des Weiteren wird festgehalten, dass, wenn ein Torhü- ter ein Vergehen begeht, indem er zu früh reagiert, sich dabei von der Linie mit beiden Füßen noch vorne löst, er beim ersten Vergehen nicht zu verwarnen ist, sondern erst bei weiteren Vergehen.

Zudem wird festgehalten, dass, wenn Schütze und Tor- hüter gleichzeitig ein Vergehen begehen (unsportliches Täuschen/zu frühes Lösen von der Linie nach vorn), nur der Schütze verwarnt wird, da das Vergehen des Torhü- ters meistens auf das unzulässige Täuschen des Schüt- Eine Missachtung des zen zurückzuführen ist. Einen Überblick über Fehlver- Im Glossar wird darauf hingewiesen, dass ein Halten des vorgeschriebenen halten beim Strafstoß gibt die abgedruckte Tabelle. Gegners sich nicht nur auf das Halten an einem Körper- Mindestabstands wird nun auch beim teil, sondern auch an einem Ausrüstungsgegenstand Schiedsrichter-Ball mit WEITERE ÄNDERUNGEN bezieht. „Gelb“ sanktioniert. (VAR-PROTOKOLL, -HANDBUCH, GLOSSAR, LEITFADEN) Des Weiteren wird darauf hingewiesen, dass unter dem Punkt „Verletzungen“ der Schiedsrichter um besondere Beim geänderten Text im VAR-Protokoll und im VAR- Sorgsamkeit gebeten wird. Dazu heißt es: „Die Gesund- Handbuch geht es um das Vorgehen bei Video-Sichtung heit der Spieler hat oberste Priorität, weshalb der Schieds- und Video-Überprüfung. Die zwei entscheidenden richter den medizinischen Betreuern insbesondere bei ernst- Punkte sind, dass ein Schiedsrichter bei einer VAR-Kon- haften Verletzungen und/oder der Untersuchung von sultation das TV-Zeichen nur einmal machen muss; es Kopfverletzungen die Arbeit erleichtern sollte, indem er sei denn, er musste es bereits nach der Spielunterbre- das vereinbarte Untersuchungs- und Behandlungspoten- chung tätigen. Des Weiteren wird durch die Umstellung tial einhält und die Betreuer entsprechend unterstützt.“ des Textes verdeutlicht, dass bei nicht objektiven Vor- Dies heißt nichts anderes, als dass die Gesundheit der fällen/Entscheidungen Video-Überprüfungen durch den Spieler letztendlich immer vorgeht, auch wenn die Schiedsrichter vorzunehmen sind. Behandlung entsprechende Zeit in Anspruch nimmt.

Fehlverhalten beim Strafstoß

Ergebnis des Strafstoßes Fehlverhalten Tor kein Tor Vergehen eines Angreifers Wiederholung des Strafstoßes Indirekter Freistoß Vergehen eines Verteidigers Tor Wiederholung des Strafstoßes Vergehen eines Angreifers und eines Wiederholung des Strafstoßes Wiederholung des Strafstoßes Verteidigers Vergehen des Torhüters Tor Nicht abgewehrt: keine Wiederho- lung des Strafstoßes (außer der Schütze wurde gestört) Abgewehrt: Wiederholung des ­Strafstoßes und Ermahnung des ­Torhüters (Verwarnung bei jedem weiteren Vergehen) Gleichzeitiges Vergehen des Indirekter Freistoß und Indirekter Freistoß und Die Tabelle stellt ­Torhüters und des Schützen Verwarnung des Schützen Verwarnung des Schützen dar, wie der Ball wird nicht nach vorne Indirekter Freistoß Indirekter Freistoß Schiedsrichter bei geschossen einem Fehlverhalten von Torhüter und Unzulässiges Antäuschen des Indirekter Freistoß und Verwarnung Indirekter Freistoß und Verwarnung Schütze sowie von Schützen­ des Schützen des Schützen weiteren Verteidigern Falscher Schütze Indirekter Freistoß und Verwarnung Indirekter Freistoß und Verwarnung und Angreifern des falschen Schützen des falschen Schützen entscheiden muss. REGEL-TEST 20 DFB-SCHIEDSRICHTER-ZEITUNG 04|2020 11-METER-DUELL

Die Regelfragen von DFB-Lehrwart Lutz Wagner beziehen sich vor allem auf die Regeländerungen, die mit Beginn der Saison 2020/2021 gültig sind.

SITUATION 1 SITUATION 5 Wie entscheidet der Schiedsrichter in der nächsten Spielunterbrechung in Bezug auf Nach einem Beinstellen der Nummer 8 des Bei einem Zweikampf im Torraum prallt der die Disziplinarmaßnahme? Gastvereins im Mittelfeld wird zunächst ein Ball vom Fuß des Verteidigers an den ange- aussichtsreicher Angriff unterbunden. Da legten Arm eines Angreifers. Von diesem SITUATION 9 der gefoulte Spieler jedoch schnell wieder springt der Ball zu einem Mitspieler des aufsteht und im Ballbesitz bleibt, entschei- Angreifers, der ihn direkt aus acht Meter Ent- In einem Pokalspiel wird der Torhüter wäh- det der Schiedsrichter auf Vorteil und der fernung frei stehend zum Torerfolg verwan- rend des Spiels wegen Kritik am Schiedsrich- Angriff wird fortgesetzt. Wie entscheidet der delt. Welche Entscheidung trifft der Unpar- ter verwarnt. Beim Elfmeterschießen läuft Schiedsrichter bei der nächsten Spielunter- teiische? er frühzeitig nach vorne und steht beim brechung in Bezug auf die Disziplinarmaß- Schuss mit beiden Füßen deutlich vor der nahme? SITUATION 6 Torlinie. Den auf das Tor geschossenen Ball kann er nach vorne abwehren. Wie verhält SITUATION 2 Vom angelegten Arm des Angreifers am sich der Referee? Strafraumteilkreis prallt der Ball zu einem Strafstoß für die Heim-Mannschaft. Der Tor- weiteren Angreifer. Dieser läuft in den Straf- SITUATION 10 hüter der Gäste bewegt sich klar zu früh nach raum und kann, nachdem er mit dem Ball vorne und ist zum Zeitpunkt des Schusses am Fuß zwei weitere Verteidiger und den Direkter Freistoß für die verteidigende Mann- mit beiden Füßen deutlich vor der Torlinie. Torwart ausgespielt hat, ein Tor erzielen. Wie schaft knapp innerhalb des eigenen Straf- Der Schütze schießt den Ball neben das Tor. entscheidet der Schiedsrichter in diesem raums. Der Ball wird vom Verteidiger flach Welche Entscheidung trifft der Schiedsrich- Fall? Richtung Torhüter zurückgepasst, der Tor- ter? hüter verpasst jedoch den Ball, setzt ihm SITUATION 7 nach und schlägt ihn mit einem Hechtsprung SITUATION 3 mit der Hand von der Torlinie Richtung Spiel- Direkter Freistoß etwa sechs Meter vor dem feld zurück, damit der Ball nicht ins Tor rol- Ein Angreifer versucht, aus dem Halbfeld eigenen Tor für die verteidigende Mann- len kann. Wie entscheidet der Schiedsrich- den Ball vor das Tor zu flanken. Dabei wehrt schaft. Der Torhüter spielt den Ball zu einem ter? ein Verteidiger, der etwa 20 Meter vor dem Mitspieler, übersieht dabei den heranlaufen- Tor außerhalb des Strafraums steht, den Ball den Gegenspieler, der erst in den Strafraum SITUATION 11 mit einem strafbaren Handspiel ab. Er kann gelaufen war, als der Ball im Spiel war. Der allerdings nicht verhindern, dass der Ball Torhüter läuft dem von ihm gespielten Ball Ein Angreifer des Gastvereins schießt aus dennoch zu einem im Abseits stehenden nach und erreicht ihn kurz vor dem Angrei- 20 Metern auf das gegnerische Tor. Der Ball Angreifer gelangt, der nun wiederum eine fer. Mit einem Hechtsprung kommt er an den trifft die Latte, platzt und bleibt ca. sechs gute Angriffsmöglichkeit hat. Entschei- Ball und kann ihn wegfausten, sodass der Meter vor dem Tor auf dem Boden liegen. dung? Angreifer den Ball nicht in das leere Tor schie- Der Schiedsrichter unterbricht das Spiel und ßen kann. Welche Entscheidungen muss der entscheidet auf Schiedsrichter-Ball. Mit wem SITUATION 4 Schiedsrichter treffen? und wo wird der Schiedsrichter-Ball ausge- führt, welchen Abstand müssen alle anderen Strafstoß für den Gastverein. Der Schütze SITUATION 8 Akteure einhalten und was passiert, wenn stoppt unmittelbar vor dem Schuss in der diese den Abstand trotz Aufforderung miss- Ausholbewegung (unzulässiges Täuschen), Der Schiedsrichter entscheidet nach einer achten? der Torhüter bewegt sich jedoch auch zu rücksichtslosen Fußattacke der Nummer 3, früh von der Linie nach vorne und befindet durch die zudem ein aussichtsreicher Angriff SITUATION 12 sich mit beiden Füßen deutlich vor der Tor- unterbunden wird, auf Vorteil für die angrei- linie. So kann er den Ball abwehren. Wie ent- fende Mannschaft. Der Angreifer bleibt in Durch ein Foul im Mittelkreis wird ein aus- scheidet der Schiedsrichter? Ballbesitz und kann den Angriff fortsetzen. sichtsreicher Angriff gestoppt. Der gefoulte 21

Spieler steht schnell wieder auf, nimmt den des Torhüters straffrei. Es hatte keine Aus- 9: Ermahnung des Torhüters. Der Torhüter Ball, legt ihn an den Tatort und spielt ihn wirkung auf die Strafstoß-Ausführung. wird beim ersten Vergehen nur ermahnt. seinem Mitspieler zu, der sich nicht in einer Persönliche Strafen aus dem Spiel werden Abseitsposition befindet und der nun alleine 3: Weiterspielen, kein Abseits. Da auch das zudem auch nicht ins Elfmeterschießen auf das gegnerische Tor zulaufen kann. Wie unzulässige Spielen des Balles vom Vertei- übernommen. entscheidet der Schiedsrichter, wenn er diger – hier durch ein strafbares Handspiel – ursprünglich den foulenden Spieler für sein als Spielen gilt, hebt dies die strafbare 10: Indirekter Freistoß auf der Tor­raum­ Vergehen verwarnen wollte? Abseitsstellung auf und der Schiedsrichter linie, keine Persönliche Strafe. Weil der kann auf Vorteil entscheiden. Verteidiger den Freistoß ausgeführt hatte, SITUATION 13 liegt kein zweimaliger Ballkontakt des Tor- 4: Indirekter Freistoß für die verteidigende warts vor. Und eine Doppelberührung ist Ein Spieler hat sich, nachdem er eine Flanke Mannschaft; Verwarnung des Schützen. das einzige Vergehen, bei dem ein Torwart vor das gegnerische Tor geschlagen hat, der Obwohl beide Parteien ein Fehlverhalten für ein unerlaubtes Handspiel im Strafraum Abseitsposition dadurch entzogen, dass er an den Tag legen, wird nur der Schütze ver- bestraft werden kann. über die Torlinie seitlich des Tores das Spiel- warnt, während der Torhüter straffrei aus- feld verlassen hat. Als der Ball jedoch nach geht, da sein Verhalten durch das Täuschen 11: Schiedsrichter-Ball mit dem Torwart einem Schuss aufs Tor und nach der Abwehr ja erst initiiert wurde. Grundsätzlich gilt, dort, wo der Ball beschädigt wurde. Alle durch den Torhüter wieder in seine Richtung dass bei Täuschen durch den Schützen der Akteure außer dem Torwart müssen einen gelangt, läuft er auf das Spielfeld und spielt Strafstoß als verwirkt gilt und – unabhän- Abstand von mindestens vier Metern ein- den Ball. Wie muss der Schiedsrichter reagie- gig davon, ob er ein Tor erzielt oder nicht – halten. Bei Missachtung des Abstands wird ren? das Spiel mit einem indirekten Freistoß der schuldige Spieler verwarnt. fortgesetzt wird. SITUATION 14 12: Weiterspielen, keine Persönliche Strafe. 5: Direkter Freistoß für den Verteidiger Im Zuge der schnellen Spielfortsetzung In einem Entscheidungsspiel kommt es zum wegen Handspiels. Auch wenn es sich hier handelt der Schiedsrichter richtig, da er Elfmeterschießen. Ein Spieler, der während um ein grundsätzlich nicht strafbares Hand- mit dem Prozedere der Verwarnung nicht des Spiels wegen Kritik am Schiedsrichter spiel handelt, ist es in Verbindung mit der begonnen hat und es sich jetzt zudem um verwarnt wurde, tritt beim Elfmeterschießen unmittelbaren Torerzielung durch die eine klare Torchance handelt. Damit ist die an, stoppt unmittelbar vor dem Schuss in angreifende Mannschaft strafbar. In die- schnelle Ausführung des Freistoßes rich- der Schussbewegung (unzulässiges Täu- sem Fall macht die Regel deutlich, dass das tig. Da es sich bei dem Vergehen nur um schen) und erzielt in der weiteren Folge einen Wort „unmittelbar“ nicht nur den Spieler das Unterbinden eines aussichtsreichen Treffer. Wie verhält sich der Schiedsrichter? meint, der das Handspiel begeht und das Angriffs handelt, wird analog zur Vorteil- Tor erzielt oder zu einer guten Torchance Anwendung die Persönliche Strafe für den SITUATION 15 kommt, sondern auch einen Mitspieler, der Spieler reduziert, von „Gelb“ auf „keine unmittelbar danach an den Ball gelangt Karte“. In einem Spiel der Kreisliga erkennt der und dann eine gute Torchance besitzt oder Schiedsrichter bei der Platzkontrolle, dass ein Tor erzielt. 13: Indirekter Freistoß und keine Persön- die Torlatte aus einem quadratischen Balken liche Strafe, denn hier lebt nach der Tor- besteht, die Pfosten jedoch jeweils aus einer 6: Anstoß. Dieses Tor ist gültig, da es sich – abwehraktion des Keepers nun die Abseits- runden Stange. Alles ist sicher und gefahr- anders als in der vorherigen Frage – nicht stellung wieder auf. Wäre der Ball dagegen los befestigt. Welche Entscheidung trifft der um eine unmittelbare Generierung einer nach einem absichtlichen Ballspielen eines Schiedsrichter? klaren Torchance beziehungsweise eines Verteidigers zu dem Angreifer gelangt, Tores handelt. Stattdessen werden hier hätte der Schiedsrichter das Spiel nicht zunächst noch mehrere Spieler umspielt mehr wegen Abseits unterbrechen können. und erst danach entsteht die Torchance In diesem Fall hätte es „Gelb“ wegen uner- beziehungsweise die Torerzielung. Somit laubten Betretens gegeben und das Spiel ist die Unmittelbarkeit nicht mehr gege- wäre mit direktem Freistoß fortgesetzt So werden die 15 ben. worden. ­Situationen richtig gelöst: 7: Indirekter Freistoß für den Angreifer, 14: Kein Tor, der Elfmeter gilt als verschos- Feldverweis für den Torhüter, der durch sen, Verwarnung. Eine Verwarnung aus dem 1: Keine Disziplinarmaßnahme. Da der die zweite und damit unerlaubte Ballbe- Spiel wird nicht ins Elfmeterschießen über- Schiedsrichter auf Vorteil entschieden hat, rührung nach einer Spielfortsetzung eine nommen. Die Verwarnung für den Schüt- reduziert sich die Persönliche Strafe von offensichtliche Torchance verhindert – zen ist im Gegensatz zum Torhüter – der der ursprünglich vorgesehenen Verwar- unabhängig davon, ob dies mit seiner Hand beim ersten Vergehen nur ermahnt wird – nung für die Unterbindung eines aussichts- oder seinem Fuß geschieht. jedoch auszusprechen. reichen Angriffs auf eben „keine Karte“ nach Gewährung eines Vorteils. 8: Verwarnung. Wäre das Vergehen „nur“ 15: Der Schiedsrichter hat keine Veranlas- die Verhinderung eines aussichtsreichen sung, tätig zu werden, da die Form der Tor- 2: Abstoß. Da der Torhüter den Ball nicht Angriffs gewesen, hätte nach der Vorteil- stangen unterschiedlich sein kann und auch abgewehrt und den Schützen auch nicht Anwendung eine Reduzierung stattgefun- eine Kombination von Formen zulässig ist. durch sein Verhalten derart gestört hat, den. Weil das Vergehen aber auch rück- Allerdings immer unter der Prämisse: „Die dass man hier von einer klaren Beeinflus- sichtslos war, wird nachträglich die Gelbe Sicherheit und Gesundheit aller Beteilig- sung ausgehen muss, bleibt das Verhalten Karte gegeben. ten stehen im Vordergrund.“ LEHRWESEN 22 DFB-SCHIEDSRICHTER-ZEITUNG 04|2020

Im WM-Halbfinale 2014 in Brasilien trafen die Deutschen gleich siebenmal ins Tor der Gastgeber. TORE SIND DAS ZIEL Das Team, das mehr Tore schießt, gewinnt das Spiel. Was im ersten Moment völlig logisch klingt, stellt zugleich heraus, wie wichtig die ­Entscheidungen des Referees rund um die Torerzielung­ sind.

TEXT s gibt viele WM-Spiele, die Fußballfans Jahre lang Doch nicht immer waren es regeltechnisch so eindeutig Günther Thielking in Erinnerung bleiben. Eines, an das die deutschen herausgespielte Treffer wie in diesem Spiel, die in die E Fans besonders gerne zurückdenken, ist sicherlich WM-Geschichte eingingen. Unvergessen bleibt zum das Halbfinale im Jahr 2014 in Brasilien, das legendäre Beispiel das „Wembley-Tor“ von Geoff Hurst zum 3:2 7:1 gegen die Gastgeber. Vor allem in der ersten Halb- für England im Jahr 1966. Einen Video-Beweis gab es zeit kamen die deutschen Zuschauer aus dem Jubeln zu der Zeit natürlich noch nicht – und so entschied der gar nicht mehr heraus. Unparteiische Gottfried Dienst aus der Schweiz nach 23

Rücksprache mit dem russischen Linienrichter Tofik zum Thema „Bestimmung des Spielausgangs“? Welche ­Bachramow auf Tor für die „Three Lions“. Selbst wissen- Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit ein Tor schaftliche Untersuchungen konnten bis zum heutigen gewertet werden kann? Welche Grundlagen müssen Tag nicht aufzeigen, ob der Ball die Torlinie in diesem beachtet werden? Moment vollständig überquert hatte. Die Verfasser des Lehrbriefs gestalten die Arbeit an die- Mit seinem Zitat: „Das Runde muss in das Eckige“ machte sem Thema mit einem „Regelquiz“ handlungsorientiert, der ehemalige Bundestrainer Sepp Herberger einst abwechslungsreich und interessant. Unter anderem zei- ­deutlich, was das wichtigste Ziel eines Fußballspiels ist: gen zehn Video-Clips bedeutende, kuriose und vor allem der eindeutige Torerfolg zur „Bestimmung des Spiel- regeltechnisch bemerkenswerte Torszenen. ausgangs“. So wie im WM-Finale des Jahres 1954 in Bern, als Deutschland in der 84. Minute den 3:2-Sieg- Die Möglichkeiten zu einer eher theoretischen Arbeit am treffer erzielte. Helmut Rahn schoss das Leder ins lange Thema „Tore entscheiden die Spiele“ zeigt der Lehrbrief Eck der Ungarn und Deutschland war erstmals Welt- am Beispiel von Regelfragen auf. Aus diesen lässt sich meister. eine große Anzahl von Faktoren herausarbeiten, die zu beachten sind, bevor ein Tor anerkannt werden darf. Dieses Tor für Deutschland gehört ebenso zu den zahl- reichen Treffern, die im Fußball Geschichte schrieben, Im Lehrbrief Nr. 92 verweisen die Verfasser unter ande- wie das „Golden Goal“ der Frauen-Nationalmannschaft rem auf fünf Eckpunkte, die vom Schiedsrichter bei im WM-Finale gegen Schweden am 12. Oktober 2003. jedem Treffer zu berücksichtigen sind: Nia Künzer traf beim Turnier in den USA in der ­Verlängerung mit einem Kopfball zum 2:1-Siegtreffer 1. Der Ball muss die Torlinie vollständig überquert und erzielte als erste Frau das „Tor des Jahres“ in der haben. ­ARD-Sportschau. 2. War der Ball unmittelbar vor der Torerzielung aus dem Spiel, muss er regelkonform wieder ins Spiel Wenn man bei Google sucht, kann es nicht überra- gebracht worden sein. schen, dass es unter der Überschrift „Tore im Fußball“ 3. Wurde der Ball unmittelbar vor der Torerzielung von mehr als 36 Millionen Eintragungen gibt. Tore entschei- einem Spieler der angreifenden Mannschaft mit der den über Turniersiege, über Meisterschaften, über den Hand bzw. dem Arm gespielt? Aufstieg oder Abstieg einer Mannschaft. Es geht dabei 4. Nach bestimmten Spielfortsetzungen kann ein Tor für die Vereine nicht nur ums Image, sondern im Spit- nicht direkt erzielt werden. zenfußball oft auch um Millionenbeträge. 5. Spieler der angreifenden Mannschaft dürfen vorher kein Vergehen gegen die Spielregeln begangen IN DER BUNDESLIGA HILFT DER haben, insbesondere die Regeln 11 (Abseits) und 12 VIDEO-ASSISTENT­ (Fouls und unsportliches Betragen) sind dabei zu beachten. Immer wieder versuchen die Spieler deshalb, mit allen erlaubten und häufig auch verbotenen Mitteln Tore zu In einem Impulsreferat sollen die Ausbilder an den Lehr­ erzielen oder zu verhindern. Treffen die Schiedsrichter abenden ihren Schiedsrichtern die notwendigen Infor- in solch wichtigen Situationen eine Entscheidung, dann mationen vermitteln und dabei auf die DFB-Fußball­ kommt es oft zu heftigen Diskussionen auf dem Rasen regeln verweisen. Selbst erfahrene Unparteiische können und unter den Fans: Wurde der Ball vor der Torerzielung so ihr Wissen in Sachen Spielregeln auffrischen und mit der Hand gespielt? Gab es ein Foul eines Angreifers vertiefen. Ihnen wie auch den jüngeren Schiedsrichtern vor dem Torschuss? Lag eine strafbare Abseitsposition muss bei der Arbeit deutlich werden, dass sie nur dann vor? auf Tor entscheiden dürfen, wenn sie absolut überzeugt sind, dass der Ball die Torlinie vollständig überschritten Um diese wichtigen Fragen zu beantworten, steht den hat und vorher den Spielregeln entsprechend korrekt Unparteiischen in der Bundesliga seit Beginn der Saison gespielt wurde. 2017/18 der Video-Assistent zur Verfügung. Bei unüber- sichtlichen Situationen signalisiert er aus dem VAR-Cen- Die Verfasser geben außerdem auch Hinweise zum pas- ter in Köln bei jedem Treffer, ob dieser korrekt erzielt senden Verhalten eines Schiedsrichters während und wurde oder nicht. nach einer Torerzielung: die Laufwege, die Körperspra- che, die Zusammenarbeit mit den Assistenten. Die Frage Die Unparteiischen an der Basis müssen dagegen mit nach der Position des Referees, als das Tor erzielt wurde, dem Konfliktpotenzial und den kritischen Auseinander- darf darüber hinaus ebenso wenig fehlen wie der Hin- setzungen leben, wenn es in der Kreisklasse darum geht, weis auf den Umgang mit Kritik von Spielern. ob der Ball die Torlinie überquert hat oder nicht. Sie werden nie mit letzter Gewissheit erfahren, ob ihre Ent- Es wird deutlich, dass die Frage nach der Torerzielung scheidung auf Tor richtig war. Für sie bleibt Fußball ein weitaus mehr ist als der Blick auf die Torlinie mit dem Spiel voller Diskussionen und Überraschungen. Hinweis: „Er war drin!“ Den Unparteiischen muss bewusst sein, dass die Anerkennung eines Tores zu den wichtigs- Hilfestellung soll ihnen der Inhalt des aktuellen ten Entscheidungen in einem Spiel gehört. Heißt es ­DFB-Lehrbriefs geben, in dem beispielsweise folgende doch in Regel 10: „Das Team, das mehr Tore erzielt, hat Fragen beantwortet werden: Was steht in der Regel 10 gewonnen.“ ANALYSE 24 DFB-SCHIEDSRICHTER-ZEITUNG 04|2020 GUTES TEAMWORK IST ALLES

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1a_Ginter hält Hakimi am Arm fest und unterbindet so einen aussichtsreichen Angriff. 1b_Der Assistent 1 zeigt das Vergehen sofort mit der Fahne an, woraufhin Ginter heftig protestiert. Der Schiedsrichter verwarnt ihn.

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Bei Spielen mit Schiedsrichter-Assistenten ist eine sorgfältig abgestimmte Zusammenarbeit im Team wichtiger denn je, schließlich geht es im Fußball viel rasanter zu als früher. In unserer Analyse zei- gen wir an acht Beispielen, wie eine gelungene Kooperation zwischen den Unparteiischen aus­ sehen kann.

ie sehr sich die Bedeutung der Schiedsrich- zen werden fließender, es wird immer stärker eine Team- TEXT ter-Assistenten und ihre Rolle im Laufe der leistung“, wie Stegemann hervorhebt. Das habe nicht Alex Feuerherdt W vergangenen Jahre und Jahrzehnte verän- nur Konsequenzen für die Männer und Frauen an den Rainer Werthmann dert haben, machen zwei Äußerungen deutlich, die Seitenlinien, die bis 1996 noch Linienrichter hießen, schon in der Schiedsrichter-Zeitung 2/2019 zu lesen sondern auch für die Unparteiischen in der Mitte: „Sie waren: „Früher waren sie froh, wenn sie auch dabei sein sind nicht mehr Einzelkämpfer, sondern eher Teamchefs durften, heute übernehmen sie viel mehr Verantwor- und -manager.“ Es werde für alle Teammitglieder „immer tung auf dem Platz“, sagt der frühere FIFA-Referee Karl- wichtiger, zu beschreiben, was man gesehen hat, also Heinz Tritschler, der zwischen 1980 und 1991 in der die Fakten zu kommunizieren“, so Stegemann. Bundesliga pfiff und 1989 das Finale im Europapokal der Landesmeister leitete. , Unpar- In unserer Analyse zeigen wir Beispiele dafür, wie die teiischer in der deutschen Eliteliga seit 2014 und Spiel- Zusammenarbeit zwischen dem Schiedsrichter und sei- leiter auf FIFA-Ebene seit 2019, konkretisiert: „Ein Assis- nen Assistenten in ganz unterschiedlichen Situationen tent kann heute nicht mehr sagen: ‚Was außerhalb aussehen sollte, und legen dabei einen Schwerpunkt meines Anzeigebereichs passiert, interessiert mich auf den Prozess der Entscheidungsfindung. nicht.‘ Er sollte immer an das Team denken.“ 1 Borussia Mönchengladbach – Borussia Dort- Das gilt nicht nur für den Profifußball, sondern genauso mund (25. Spieltag) im Amateurbereich. Die klaren Zuständigkeiten früherer Bei einem schnellen Dortmunder Konter hält der Jahre lösen sich auch dort mehr und mehr auf, „die Gren- Mönchengladbacher Matthias Ginter seinen Gegen-

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2a_Holger Badstuber kommt beim Tackling einen Tick zu spät und trifft statt des Balls den Gegner. 2b_Auch hier ist der Assistent sofort 2 zur Stelle und der Schiedsrichter verwarnt den Stuttgarter 2B wegen der Unterbindung eines aussichtsreichen Angriffs.

https://bit.ly/SZ-04-Teamarbeit-02 ANALYSE 26 DFB-SCHIEDSRICHTER-ZEITUNG 04|2020

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3a_Bailey trifft Ehizibue mit der flachen Hand im Gesicht, … 3b_… was der aufmerksame Assistent aus guter Perspektive 3 beobachtet. Nach Rücksprache mit dem Schiedsrichter wird Bailey des 3B Feldes verwiesen.

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spieler Achraf Hakimi am Arm fest (Foto 1a). Als der gesehen hat, sondern auch, dass er eine Verwarnung Assistent dieses Vergehen sofort mit der Fahne für angebracht hält. Dieser Input ist wichtig für die Ent- anzeigt, protestiert Ginter vehement (Foto 1b). Eine scheidungsfindung des Schiedsrichters und gibt ihm Verwarnung für dieses unsporliche Verhalten ist zwin- zusätzliche Sicherheit. gend und wird vom Schiedsrichter auch – ohne zu zögern und mit dem gebotenen Nachdruck – ausge- 3 1. FC Köln – Bayer 04 Leverkusen (15. Spieltag) sprochen. Nach einem Foulspiel des Kölners Kingsley Ehizibue an Leon Bailey in der Nähe der Bänke gibt es einen Freistoß Besonders in einer hitzigen Spielphase ist in einer sol- für Leverkusen. Vor der Ausführung geraten die beiden chen Situation ein schnelles und offenes Fahnenzeichen Spieler plötzlich aneinander: Ehizibue fasst Bailey an wichtig, um dem Schiedsrichter den Rücken zu stärken die Schulter, dieser reagiert mit einem Schlag ins Gesicht und keinen Zweifel an der Entscheidung aufkommen zu (Foto 3a). Nicht nur der Schiedsrichter, sondern auch lassen. Zudem sollte in geeigneter Form eine Abstim- der Assistent hat das Duell genau im Blick (Foto 3b). Als mung im Team über die Frage der Persönlichen Strafe es zu einer kleinen Rudelbildung kommt, zeigen beide stattfinden. Ohne technische Hilfsmittel kann das bei- gemeinsam mit dem Vierten Offiziellen sofort Präsenz spielsweise eine vereinbarte Geste sein, mit Funkfahnen und beruhigen die Gemüter. oder Headsets stehen weitere Möglichkeiten der Kom- munikation offen. Anschließend besprechen sich Schiedsrichter und Assis- tent kurz von Angesicht zu Angesicht, bevor der Unpar- 2 Hannover 96 – VfB Stuttgart teiische den Feldverweis gegen Bailey ausspricht. (2. Bundesliga, 18. Spieltag) Auch hier wird ein aussichtsreicher Angriff durch ein Hervorzuheben ist hier nicht nur die präzise Wahrneh- Foulspiel unterbunden: Holger Badstuber kommt bei mung des Geschehens durch den Assistenten, sondern seinem Tackling einen Tick zu spät, verfehlt dadurch auch dessen couragiertes Verhalten. Er hat sich sofort knapp den Ball und trifft stattdessen den Fuß des Han- an den Ort des Geschehens begeben und maßgeblich noveraner Angreifers Henrik Weydandt (Foto 2a). Der dazu beigetragen, dass aus dem kleinen Feuer kein Flä- optimal positionierte Assistent nimmt den Ablauf kor- chenbrand geworden ist. Es ist wichtig, dass alle Team- rekt wahr und zeigt das Vergehen sofort mit der Fahne mitglieder wissen, wie sie sich in solchen Situationen an. Der Schiedsrichter kommt rasch hinzu und verwarnt zu verhalten haben. Dadurch erfahren auch die erfor- Badstuber richtigerweise (Foto 2b). derlichen Persönlichen Strafen mehr Akzeptanz.

Wie in der ersten Szene ist die Kooperation im Team 4 Jahn Regensburg – Hannover 96 sehr gut. Die Entscheidung wird schnell und sicher getrof- (2. Bundesliga, 19. Spieltag) fen, die Außenwirkung der Zusammenarbeit ist vorzüg- Während der Ball bei einem Regensburger Angriff etwa lich. Über das Headset hat der Assistent dem Unpartei- 30 Meter von dem Tor gespielt wird (Foto 4a, Bildmitte), ischen nach dem Fahnenzeichen nicht nur in prägnanten kommt es im Strafraum zu einem Zweikampf zwischen Worten mitgeteilt, wie er den Ablauf des Zweikampfs dem Hannoveraner Verteidiger Waldemar Anton und 27

Jann George (gelber Kreis). Der Regensburger Angreifer sowie deren Gegenspieler im Blick haben. Oft wird gehal- wird erst gehalten und schließlich umgerissen (Foto 4b). ten, gezogen und gedrückt, um sich einen Vorteil zu Weil der Schiedsrichter mit den Augen dem Ball folgt, verschaffen. nimmt er das Foulspiel nicht wahr. Der Assistent jedoch hat den Vorgang beobachtet und informiert den Unpar- In dieser Szene hat der Assistent dem Schiedsrichter teiischen. Dieser entscheidet auf Strafstoß, außerdem seine Wahrnehmung erst über das Headset mitgeteilt verwarnt er Anton. und das Vergehen nach erfolgtem Pfiff auch offen mit der Fahne angezeigt (nicht im Bild dokumentiert). Das Bei solchen Vergehen abseits des Spielgeschehens ist war mutig und vorbildlich. Ohne Headset besteht nur die Gefahr groß, dass sie vom Schiedsrichter unbemerkt die Möglichkeit eines sofortigen Fahnenzeichens, das bleiben. Umso wichtiger ist es, dass die Assistenten bei beim Einsatz von Funkfahnen durch das Auslösen des Angriffen den Strafraum und dort mögliche Zielspieler akustischen Signals unterstützt wird.

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4a_Fernab des Balls hält Anton (schwarzes Trikot) seinen Gegenspieler fest, … 4b_… bevor er ihn schließlich 4 umreißt. Der Schiedsrichter nimmt 4B das Vergehen nicht wahr, dafür jedoch der Assistent.

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5a_Haaland (Nr. 17) hält seinen Gegenspieler abseits des Spielgeschehens am Trikot fest … 5b_… und reißt ihn dann zu Boden. Dies bemerkt der Assistent, 5 der eigentlich für die andere Spielfeldhälfte zuständig ist und 5B die Szene von der Mittellinie aus beobachtet.

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5 Borussia Dortmund – Eintracht Frankfurt rada, befindet sich im Moment der Ausführung jedoch (22. Spieltag) mit beiden Füßen deutlich vor der Torlinie (Foto 7). Das Eine ähnliche Szene, aber mit vertauschten Rollen: Hier teilt der Assistent – der beim Strafstoß bekanntlich auf ist es mit dem Dortmunder Erling Haaland ein Stürmer, dem Schnittpunkt zwischen Torlinie und vertikaler Straf- der in Erwartung einer Flanke von der rechten Seite raumlinie steht und von dort eine besonders günstige fernab des Balles seinen Gegenspieler Stefan Ilsanker Perspektive hat, um das Verhalten des Torwarts zu beob- am Trikot festhält (Foto 5a) und ihn dann zu Boden zieht achten – dem Unparteiischen mit (nicht im Bild zu sehen). (Foto 5b). Auch hier hat der Schiedsrichter seinen Blick Dieser zeigt dem bereits verwarnten Schlussmann der auf den ballführenden Spieler gerichtet. Der Assistent Osnabrücker daraufhin „Gelb/Rot“ und ordnet eine Wie- auf dieser Seite wiederum (am rechten Bildrand zu sehen) derholung der Ausführung an. hat keine Chance, das Halten zu erkennen, weil sich Haaland aus seiner Perspektive hinter Ilsanker befindet. In puncto Aufmerksamkeit, Regelkenntnis und Persön- lichkeit ist dies eine herausragende Szene des Assisten- Dass das Vergehen dennoch mit einem direkten Frei- ten Tobias Christ. Er hat eine klare Wahrnehmung und stoß für Frankfurt geahndet wird, ist dem Assistenten außerdem den nötigen Mut, um maßgeblich zur korrek- auf der gegenüberliegenden Spielfeldseite zu verdan- ten Auflösung der Situation beizutragen. Wenn ein Tor- ken. Er hat von der Mittellinie aus freie Sicht auf den hüter die Torlinie klar erkennbar vorzeitig mit beiden Zweikampf und schildert dem Schiedsrichter über das Füßen verlässt und den Ball anschließend abwehrt, ist Headset seine Wahrnehmung. eine Wiederholung des Strafstoßes die richtige Ent- scheidung. Die Szene zeigt, wie wichtig es ist, dass ein Assistent nicht abschaltet, wenn das Spielgeschehen gerade nicht Dennoch sollte möglichst kein offenes Fahnenzeichen in seiner Hälfte stattfindet, sondern dass er den Rück- erfolgen, sondern beim Einsatz von Headsets eine münd- raum in der anderen Hälfte beobachtet und tätig wird, liche Mitteilung an den Schiedsrichter. Werden keine wenn er ein Vergehen wahrnimmt, das den Teamkolle- Headsets verwendet, sondern nur Funkfahnen, ist ein gen verborgen bleibt. akustisches Signal angemessen. Ohne technische Hilfs- mittel ist eine Verständigung über eine vorher verein- 6 TSV 1860 München – 1. FC Magdeburg barte Zeichensprache sinnvoll. (3. Liga, 25. Spieltag) Im eigenen Strafraum geht der Magdeburger Jürgen 8 FC Augsburg – VfL Wolfsburg (26. Spieltag) Gjasula mit einem „langen Bein“ zum Ball und spielt ihn Nach einer Hereingabe köpft der Augsburger Felix mit dem Fuß (Foto 6a). Von dort springt die Kugel an Uduokhai (Foto 8a, gelber Kreis) den Ball von der Tor- sein Knie und schließlich möglicherweise an die Hand raumlinie aus aufs Wolfsburger Tor. In diesem Moment (Foto 6b) – keine Kameraperspektive liefert hier einen befindet sich sein Mitspieler Florian Niederlechner (Nr. 7) zweifelsfreien Aufschluss. Der Schiedsrichter nimmt ein im Abseits und duckt sich leicht, als der Ball in seine Handspiel wahr und entscheidet auf Strafstoß, worauf- Nähe kommt. Der Wolfsburger Torwart Koen Casteels hin sich der Assistent auf dieser Spielfeldseite einschal- reagiert dadurch verzögert und kann den Torerfolg nicht tet. Nach persönlicher Rücksprache mit ihm revidiert verhindern. Die Abseitsstellung ist strafbar, denn Nie- der Unparteiische seine Entscheidung und setzt das derlechner versperrt eindeutig die Sicht des Keepers Spiel mit einem Schiedsrichter-Ball fort. (Foto 8b) und beeinflusst so dessen Möglichkeit, den Ball zu spielen. Auf dem Feld nimmt das Schiedsrichter- Das war regeltechnisch richtig. Selbst wenn Gjasula den Team das Abseitsvergehen nicht wahr, deshalb greift Ball kurz mit der Hand berührt haben sollte, läge kein der Video-Assistent ein. Nach einem On-Field-Review strafbares Handspiel vor. Denn er hat den Ball zuvor wird der Treffer schließlich annulliert. absichtlich mit dem Fuß gespielt, erst danach ist ihm das Spielgerät – und das auch noch über einen Umweg – Ob sich ein Angreifer in Abseitsposition im Sichtfeld vielleicht an die Hand gesprungen. Damit war nach Regel eines Gegners befindet und ihn so daran hindert, den 12 kein Vergehen gegeben. Ball zu spielen, ist für den Unparteiischen und seinen Assistenten auf dem Feld oft schwierig zu beurteilen. Es ist bemerkenswert, dass der Assistent den Vorgang Durch gutes Teamwork lassen sich aber auch solche korrekt wahrgenommen hat, obwohl er nicht optimal komplexen Situationen lösen: Der Assistent kann aus positioniert war und zwangsläufig aus großer Distanz seiner Perspektive beurteilen, ob eine Abseitsstellung auf die Szene blickte. Am wichtigsten ist hier, dass eine vorliegt, auch wenn er vielleicht nicht erkennt, ob der falsche Entscheidung verhindert wurde. Auch die betreffende Spieler die Sicht einer Gegners versperrt. Besprechung mit dem Schiedsrichter von Angesicht zu Beim Schiedsrichter ist es häufig umgekehrt: Er nimmt Angesicht statt nur über das Headset ist in einer solch eine mögliche Beeinflussung wahr, kann aber nicht heiklen Szene aufgrund der besseren Außenwirkung bewerten, ob eine Abseitsposition gegeben ist. passend. Wenn beide Teammitglieder das, was sie erkennen, 7 VfL Osnabrück – SV Sandhausen gegenüber dem jeweils anderen kommunizieren, setzt (2. Bundesliga, 19. Spieltag) sich ein vollständiges Bild zusammen. Werden keine Nach einem Foulspiel der Osnabrücker im eigenen Straf- Headsets eingesetzt, dann bleibt in einem solchen Fall raum gibt es einen Strafstoß für den SV Sandhausen. nur das direkte Gespräch zwischen Schiedsrichter und Torwart Philipp Kühn hält den Schuss von Leart Paqa- Assistent an der Seitenlinie. 29

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6a_Gjasula spielt den Ball erst absichtlich mit dem Fuß. Von dort aus springt das Spielgerät an sein Knie … 6 6b_… und schließlich möglicherweise an die Hand. Ein 6B strafbares Handspiel liegt damit jedoch in keinem Fall vor.

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7_Bei der Ausführung des Strafstoßes befindet sich der Torwart mit beiden Füßen 7 deutlich vor der Torlinie.

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8a_Beim Kopfball von Uduokhai befindet sich Niederlechner im Abseits … 8b_… und versperrt Casteels eindeutig die Sicht. Dadurch ist das Abseits strafbar. Wenn 8 Schiedsrichter und Assistent die relevanten Informationen 8B austauschen, lässt sich eine solche Szene korrekt bewerten.

https://bit.ly/SZ-04-Teamarbeit-08 ZEITREISE 30 DFB-SCHIEDSRICHTER-ZEITUNG 04|2020 SO KAM DER REFEREE INS SPIEL

Fast 30 Jahre dauerte es im organisierten Fußball, bis man für die regelüberwachende Instanz die richtige Rolle gefunden hatte: Alleinentscheider auf dem Spielfeld.

Unsere heutige Folge über die Entwicklung des Fußballs und seiner Regeln befasst sich mit der im wahrsten Sinne des Wortes entscheidenden Figur des Spiels – dem Schiedsrich- ter, der längst nicht von Anfang an auf dem Platz stand.

TEXT or vielen Jahren gab es zwecks Gewinnung von gen betrachten will, nach Großbritannien. Als diese neue Petra Tabarelli neuen Schiedsrichtern eine der notwendigen und Sportart in Englands Eliteschulen zu Beginn des 19. Jahr- Lutz Lüttig Vimmer wiederkehrenden DFB-Kampagnen, damals hunderts aufkam, gebot es das Fair Play, dass die Kapitäne unter dem Motto „Sei fair zum 23. Mann. Ohne Schiri geht ihre eigenen Mitspieler bei einer Unsportlichkeit zur Ord- es nicht!“. nung riefen und den Ball dem Gegner überließen. Eine übergeordnete Instanz wurde nicht gebraucht. Mal abgesehen davon, dass man heute die Aufforderung nicht mehr nur auf den „Mann“ beziehen würde: An der Aus einem aktuellen Pressebericht: „Nachdem der Dort- Berechtigung der Hauptaussage kann es keinen Zweifel munder Sancho seinen Gegenspieler Alaba festgehalten geben. Auch wenn es heute in den Staffeln der Jüngsten hat und so an den Ball kommt, unterbricht Borussias Kapi- „ohne Schiri“ versucht wird – Stichwort „Fair-Play-Liga“ –, tän Marco Reus das Spiel und gibt einen Freistoß für die spätestens, wenn D-Junioren auflaufen, ist ein Schieds- Bayern.“ Natürlich Fake News 2020! Was für heutige Ver- richter vonnöten. Allein schon wegen der Eltern … haltensweisen wie ein „Märchen aus 1001 Nacht“ daher- kommt, war für viele Jahre des frühen Fußballs das übliche Dabei hat es durchaus Zeiten gegeben, in denen das Fuß- Verfahren. ballspiel ohne einen Schiedsrichter auskam, der in seiner heutigen Ausprägung im Jahr 1891 in England eingeführt Aus dem Jahr 1847 ist dann für die Fußballspiele an der wurde. Dazu später mehr. Eton Public School überliefert, dass es eine schlichtende Instanz gab, die sich außerhalb des Spielfelds befand und Schauen wir zunächst noch ein Stück weiter zurück und auf Anrufung der Kapitäne eine Entscheidung fällte, wenn wie immer, wenn man die Fußball-Historie in ihren Anfän- sie sich nicht einigen konnten. Das waren jedoch lokale 31

Bestimmungen, so wie die Regeln insgesamt noch längst nicht einheitlich waren.

Als 1863 in London der Englische Fußball-Verband FA (Football Association) gegründet wurde, fand sich in den nach längeren Diskussionen festgelegten 13 Regeln („Laws of the Game“) kein Wort über die Funktion eines Unpar- teiischen. Nach wie vor wurde Fußball vor allem von wohl- habenden jungen Männern als Zeitvertreib gespielt, getra- gen von Idealen wie Fairness und Gleichberechtigung. War Charles William ein Team durch das Können seiner Akteure erkennbar bes- Alcock war einer der großen englischen ser, reduzierte es seine Spielerzahl. Fouls passierten äußerst Fußballpioniere – als selten, schon gar nicht „deliberately“, also absichtlich. So Spieler, Schiedsrichter war es nach dem Selbstverständnis der Akteure lange Zeit und Funktionär. kein Problem für die Kapitäne, die wenigen Streitfälle res- pektvoll zu klären. Was in diesen Spielen schon länger praktiziert wurde, legte der englische Verband FA zur Saison 1881/82 in der neuen Aber das Spiel blieb nicht den Eliteschulen und Universi- Regel 15 für alle Spiele der inzwischen rund 100 Klubs in täten überlassen. Von London breitete es sich nach Nor- England fest. Danach mussten sich die Vereine auf einen den in die Industriegebiete aus und erfasste die „working Schiedsrichter einigen, „dessen Aufgabe es ist, alle even- class people“. Der Fußball, der hier gespielt wurde, war tuellen Streitfälle der Umpires zu entscheiden“. Dazu muss- rauer und längst nicht immer gentlemanlike. Da war es ten sie sich offiziell an ihn richten: englisch „to refer to“, gut, dass es für die Kapitäne in Streitfällen Ansprechpart- daher Referee; also derjenige, an den sich gerichtet wird. ner gab: Zwei „Umpires“ pro Spiel wurden eingeführt, jede Mannschaft musste einen benennen. Sie standen auf dem Diese Aufforderung war bis in jene Zeit das Entscheidungs- Spielfeld, griffen aber nur ein, wenn die Kapitäne sie um prinzip des Fußballs. „To appeal to somebody“, etwa: eine Entscheidung baten. ­je­manden dringend bitten, an ihn appellieren, bezog sich auf das Verhalten der Spieler zu den Kapitänen, diese wie- Um keine Verwirrung zu stiften, bleiben wir in diesem Text derum zu den Umpires und dieser nun zum Referee. Man beim englischen Begriff „Umpire“. Er ist aus dem mittel- musste also laut werden, um eine Entscheidung herbei- englischen „noumpere“ (in etwa: Unparteiischer) entstan- zuführen. Das ist heute zwar verpönt, aber vielleicht steckt den. Für „Referee“ nutzen wir überwiegend das deutsche die „Meckerei“ doch schon seit der Frühzeit in den Genen Wort Schiedsrichter. des Fußballspiels …

Mit Beginn der 70er-Jahre des 19. Jahrhunderts entwi- Weiter heißt es 1881 über den Schiedsrichter: „Er soll sich ckelte sich der Wettbewerbscharakter des Fußballs immer Notizen zum Spielverlauf machen und als Zeitnehmer fun- deutlicher. Die Zeiten, in denen nur zum reinen Zeitver- gieren. Im Falle eines unsportlichen Verhaltens eines der treib auf Basis einvernehmlicher Tugenden gespielt wurde, Spieler soll er den Übeltäter im Beisein der Umpires ver- gingen zu Ende. Vor allem die Einführung des FA Cups, warnen. Und im Falle eines gewalttätigen Verhaltens hat von Charles William Alcock erfunden und in der Saison der Schiedsrichter die Befugnis, diesen Spieler des Feldes 1871/72 erstmals ausgetragen, trug dazu bei. Der Pokal- zu verweisen …“ Im Gentleman-Outfit: charakter – nur bei Sieg bleibt man im Wettbewerb – ließ Der Schiedsrichter der schon immer die Emotionen hochgehen. Im Jahr darauf folgte als Regel 16 die Ergänzung, dass der 1880er-Jahre stand am Spielfeldrand Schiedsrichter das Spiel von sich aus unterbrechen kann, und konnte zunächst Sir Stanley Rous, in den 1930er-Jahren FIFA-Präsident, wenn Zuschauer stören oder gar in das Geschehen auf nicht direkt ins Spiel berichtet in seinem Buch „Laws of the Game“, dass in den eingreifen. Halbfinals und im Endspiel des FA Cups außer den beiden Umpires auch ein Schiedsrichter (Referee) dabei war, eine weitere Instanz, die bei Uneinigkeit der Umpires die letzte Entscheidung hatte. In dieser Dreier-Konstellation wurden auch die Länderspiele zwischen England und Schottland geleitet, die ab 1872 jährlich stattfanden. Ein Umpire aus jedem Land, den Schiedsrichter stellte jeweils der Gast- geber.

Das Trio bestand häufig aus noch aktiven Spielern, die zugleich eine Funktion in ihren Verbänden hatten. So war der schon genannte Charles Alcock in seiner Funktion als FA-Sekretär bei der Länderspiel-Premiere am 30. Novem- ber 1872 als Umpire dabei, nachdem er im Frühjahr als Kapitän des Wanderers FC den FA Cup gewonnen hatte. Auch FA-Präsident Major Francis Marindin, der dem Armee- klub Royal Engineers angehörte, kam als Schiedsrichter und Umpire bei den folgenden Partien zum Einsatz. ZEITREISE 32 DFB-SCHIEDSRICHTER-ZEITUNG 04|2020

sich in ungebührlicher Weise Vorteile zu verschaffen und die Umpires hinters Licht zu führen.

Ein weiterer Aspekt ließ die Notwendigkeit deutlich wer- den, dass das System des „Appeals“ reformiert werden musste. 1875 wurde beschlossen, „dass im Falle eines mutmaßlichen Verstoßes gegen die Regeln der Ball so lange im Spiel bleibt, bis die Entscheidung des Umpires, bei dem die Szene moniert wurde, ergangen ist“. Eine kluge Entscheidung: Spiel so lange weiter, bis der Schiri pfeift, sagt man heute. Wenn der Umpire nichts Regel- widriges gesehen hatte, rollte der Ball also weiter.

Was aber, wenn sein Kollege mit dem Weiterspielen nicht einverstanden war, dem „Appeal“ stattgab und seine Fahne, die er zu diesem Zweck in der Hand hatte, hob? Dann wurde das Spiel per Zuruf doch unterbrochen, die Umpi- res mussten sich einigen oder den Referee um die Ent- scheidung bitten. Zeit verging, es war unklar, wie das Spiel Bis 1891 konnten die Umpires das Spiel weitergehen würde, Unruhe entstand bei Spielern und mit dem Heben ihrer Zuschauern. Das war bei der steigenden Bedeutung der Fahne unterbrechen. Spiele nicht ungefährlich.

dem Spielfeld eingreifen. Es wird Anlass gegeben haben, Stanley Rous beschreibt, dass der Referee deshalb immer eine solche Bestimmung einzuführen. öfter schon dann eingriff (ab 1878 mit einer Pfeife!), wenn einer der Umpires einem „Appeal“ stattgab und er selbst Der Schiedsrichter konnte nun also auch ohne „Appell“ der gleichen Meinung war. Das machte eine möglicher- an ihn Entscheidungen treffen, ein Trend, der sich fort- weise nötige Einigung der Umpires oder ein Anrufen des setzen wird, weil Handlungsbedarf entsteht. Schiedsrichters überflüssig und beschleunigte das Spiel.

Denn Ende der 1870er und erst recht in den 1880er-Jah- Man sieht: Es sind nicht nur die Regeln, die das Spiel ren entdeckten Unternehmer den Fußball für sich. Er bestimmen; es ist auch das Spiel, dass die Regeln bestimmt. schien ihnen eine lukrative Einnahmequelle zu sein: Ein- Denn die sich ausweitende Praxis, dass der Schiedsrichter trittsgelder, der An- und Verkauf von Spielern, Wettge- sich früher einmischt, damit die Szene schneller entschie- schäfte. Das Hauptziel des Spiels war nun, mit Siegen die den wird, musste ja nur zu Ende gedacht werden. Inzwi- Zuschauer zu begeistern und mit ihrer wachsenden Zahl schen war von den vier britischen Verbänden im Juni 1886 die Einnahmen des Vereins und seiner Besitzer zu stei- der International Football Association Board (IFAB) gegrün- gern. Mit diesem Geld konnten wiederum bessere Spieler det worden, noch heute – 134 Jahre später – das ent- angeworben werden, die dem Verein zu noch mehr Sie- scheidende Regelgremium des Fußballs, das einmal im gen verhalfen und dadurch noch mehr Zuschauer anlock- Jahr die Regeländerungen beschließt. ten. Eine Wachstumsspirale entstand, die in England zur Englisches Pokalfinale Billigung des Profifußballs (1885) und Einführung einer Ab 1888 war das Thema Umpires und Schiedsrichter auf 1890: Noch haben die Liga für die besten englischen Vereine (1888) führte. der jährlichen Agenda des IFAB. Zunächst wurden die Umpires ihre Bedeu­ Rechte des Schiedsrichters ausgebaut, er konnte, ohne tung und werden im Programmheft vor Da ist es sicher nicht weit hergeholt, dass der immer inten- von den Umpires angefragt worden zu sein, Freistöße ver- dem Schiedsrichter sivere Wettbewerbscharakter die Spieler dazu verführte, hängen oder auch gegen einen Umpire vorgehen, der sich genannt. erkennbar „seiner“ Mannschaft zugeneigt zeigte (1899, Regel 12).

1891 passierte dann für sich gesehen Revolutionäres, das allerdings bei genauerer Betrachtung nur der Endpunkt einer Entwicklung war: Der Schiedsrichter, bisher fast aus- schließlich außerhalb des Spielfelds stationiert, rückte in die Mitte des Geschehens. Die Umpires verließen es und wurden zu Linienrichtern heruntergestuft, die nur noch anzeigende (Einwurf, Abstoß, Ecke), aber keine entschei- dende Funktion mehr hatten.

Im Protokoll der IFAB-Sitzung, die am 2. Juni 1891 im vor- nehmen Alexandra Hotel in Glasgow stattfand, heißt es unter anderem: „Es wird ein Schiedsrichter ernannt, des- sen Aufgabe es ist, die Regeln durchzusetzen und alle strittigen Punkte zu entscheiden. Der Schiedsrichter ist befugt, einen Freistoß zu verhängen, ohne dass er dazu 33

Links: Sportlich-elegant: Schiedsrichter während eines Spiels des Old Carthusians FC in Godalming/Surrey.

Rechts: William Pickford, später Präsident der FA, schrieb 1906 ein Standardwerk. Zitat: „Schiedsrichter müssen streng und höflich sein und alle Spieler wie Brüder behandeln, solange diese ihr Vertrauen rechtfertigen.“ aufgefordert werden muss, wenn er das Verhalten eines („British Home Championship“). Häufigster Gewinner war Spielers für gefährlich hält.“ die „England Eleven“, wie man Englands Nationalmann- schaft damals nannte. Das Prinzip des allein entscheidenden Schiedsrichters war nun in den „Laws of the Game“ festgelegt. Damals noch In Deutschland war man noch lange nicht so weit. 1874 in Regel 12, inzwischen und seit 82 Jahren in Regel 5, die hatte der Lehrer Konrad Koch in Braunschweig für seine heute mit den Worten beginnt: „Jedes Spiel wird von fußballbegeisterten Schüler am Martino-Katharineum die einem Schiedsrichter geleitet, der die uneingeschränkte ersten deutschen Fußball-Regeln aufgeschrieben. Da Befugnis hat, die Spielregeln durchzusetzen.“ spielten die Engländer schon vor Tausenden von Zuschau- ern um den FA Cup. Im Jahr 1893 kam die Tatsachenentscheidung hinzu („and his decision on points of fact connected with the play Und als man dort in den 1890er-Jahren die Regeln längst going on shall be final“), die bis heute wichtigste Grund- vereinheitlicht und ihre Auslegung und Anwendung ver- lage für den geordneten Ablauf von Spielen und Wettbe- trauensvoll in die Hände des „Referees“ gelegt hatte, schrieb werben: „Die Entscheidungen des Schiedsrichters zu Tat- man in Deutschland Briefe und Telegramme, um sich vor sachen im Zusammenhang mit dem Spiel sind endgültig.“ einem meist über Anzeigen in Zeitungen vereinbarten Spiel auf gemeinsame Regeln zu einigen. Denn die variierten All das spielte sich auf den Britischen Inseln ab, wo der noch lange von Stadt zu Stadt und sogar von Verein zu Fußball in England, Schottland, Wales und Irland schon Verein. gut organisiert war; seit 1884 wurde zwischen den vier Ländern jährlich eine britische Meisterschaft ausgespielt Aber das ist eine andere Geschichte.

DAS SYSTEM VON 1891

Es war eine schleichende Entwicklung, die teiischen minimieren zu können. Dabei gehö- ner Hälfte großzügig, der andere pfiff alles einen logischen Schluss hatte: Als man 1891 ren sie doch genauso zum Spiel wie die weg … den Schiedsrichter als Alleinentscheider auf ­Fehler der Spieler. Versuche gab es 1921 in das Spielfeld stellte, war die Zeit der Diskus- Deutschland, 1935 und 1971 in England und „Das Experiment hat keine ausreichend posi- sionen zwischen Kapitänen und Umpires schließlich mit Billigung des IFAB 1999/2000 tiven Ergebnisse gebracht, weshalb verein- sowie später den Umpires auf dem Platz und unter anderem in Brasilien und im italieni- bart wurde, es abzubrechen“, heißt es im dem Schiedsrichter am Spielfeldrand vorbei. schen Pokal. IFAB-Protokoll vom 9. März 2001. Diese nüch- Nur einer hatte fortan das Sagen. Alles, was terne Feststellung hat auch fast 20 Jahre unmittelbar mit dem Spiel zusammenhing, Letztlich scheiterten sie alle. Äußerlich an später noch ihre Gültigkeit. Die Folge: Auch entschied der Mann in der Mitte. So ist es den höheren Kosten – mehr „Gerechtigkeit“ in Zukunft werden Fußballspiele nach dem noch heute und natürlich auch, wenn der wollen alle Vereine, dafür zahlen allerdings Alleinentscheider-System von 1891 geleitet. Mann manchmal eine Frau ist. nicht so gern – oder am Mangel an entspre- chend ausgebildeten Schiedsrichtern. Zur Denn selbst dort, wo der Schiedsrichter von Ein einfaches System, das sich über viele inneren Wahrheit gehört, dass die Auslegung Assistenten an den Linien oder gar im Video- Jahrzehnte und auf der ganzen Welt bewährt und Anwendung der Regeln durch zwei Raum unterstützt wird – was allerdings noch hat. Dennoch gab es immer wieder Anläufe, gleichberechtigte Schiedsrichter während nicht einmal in fünf Prozent aller Spiele der einen zweiten Schiedsrichter einzuführen, desselben Spiels zu neuem, bisher nicht Fall ist –, trifft er allein jede Entscheidung. weil man glaubte, damit die Fehler der Unpar- gekanntem Ärger führte: Einer leitete in sei- Und das ist auch gut so. VORSCHAU 34 DFB-SCHIEDSRICHTER-ZEITUNG 04|2020

DIE NÄCHSTEN THEMEN IMPRESSUM Die Ausgabe 5/2020 erscheint am 28. August 2020.

HERAUSGEBER Deutscher Fußball-Bund Otto-Fleck-Schneise 6 REPORT 60528 Frankfurt/Main Telefon 069/6788-0 PATRICK ITTRICH: www.dfb.de DIE RICHTIGE VERANTWORTLICH FÜR DEN INHALT ENTSCHEIDUNG Michael Herz

KOORDINATION/KONZEPTION David Bittner, Thomas Dohren

KONZEPTIONELLE BERATUNG Schiedsrichter sein ist eine außergewöhnliche Tätigkeit, Bundesliga-Referee Lutz Lüttig Patrick Ittrich ist ein außergewöhnlicher Typ. Und der hat jetzt ein Buch geschrie- ben mit dem Titel „Die richtige Entscheidung“. Darin erzählt er, was es bedeu- MITARBEITER DIESER AUSGABE tet, sich dem Treiben auf dem und rund um den Fußballplatz Woche für Woche Norbert Bause, Alex Feuerherdt, David Hennig, auszusetzen. Tobias Altehenger verrät, was den Leser erwartet. Bernd Peters, Alex Raack, Petra Tabarelli, Gün- ther Thielking, Lutz Wagner, Rainer Werthmann

BILDNACHWEIS LEHRWESEN David Bittner, Thomas Böcker, Alex Feuerherdt, imago, istock

DFB-LEHRBRIEF: LAYOUT, TECHNISCHE GESAMT­ RUND UM DEN HERSTELLUNG, VERTRIEB UND ANZEIGEN-VERWALTUNG SPIELABBRUCH BONIFATIUS GmbH Karl-Schurz-Straße 26 33100 Paderborn

ABONNENTEN-BETREUUNG BONIFATIUS GmbH Wenn im Fußball nichts mehr geht, kann das verschiedene Gründe haben: eine Karl-Schurz-Straße 26 kaputte Flutlichtanlage, die Unbespielbarkeit des Platzes wegen zu viel Regen, 33100 Paderborn eine Gefährdung der Aktiven aufgrund eines Gewitters oder gar tätliche Angriffe [email protected] auf Schiedsrichter, Spieler oder Offizielle. Wie der Unparteiische in solchen Situationen handeln muss, ist Thema im aktuellen DFB-Lehrbrief Nr. 93. Gün- Die Schiedsrichter-Zeitung des DFB erscheint ther Thielking stellt die Lehreinheit vor. zweimonatlich. Die Bezugsgebühren für ein Abonnement betragen jährlich 15 Euro ein- schließlich Zustellgebühr. Kündigungen des Abonnements sind sechs Wochen vor Ablauf des berechneten Zeitraums mitzuteilen. P O R T R ÄT Für unverlangt eingesandte Manuskripte und ABRAHAM KLEIN: Fotos wird keine Haftung übernommen. EIN PIONIER MIT PFEIFE

Zu seiner aktiven Zeit galt der Israeli Abraham Klein als einer der besten Schieds- richter der Welt. Der heute 86-Jährige pfiff bei drei WM-Endrunden, darunter 1978 das legendäre Spiel zwischen Österreich und Deutschland in Cordoba. Zudem leitete er vor mehr als 50 Jahren das erste Spiel einer deutschen Mann- schaft in Israel. Keine leichte Aufgabe für jemanden, der viele Angehörige im ABO Holocaust verloren hatte. Alex Feuerherdt hat ihn in Israel getroffen. bequem per E-Mail: [email protected]

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