Herrschaft Im Hinterzimmer
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Deutschland Das Problem, das Fischer bis ans ande- re Ende der Welt verfolgt, lähmt die an- gekündigte Aufbruchstimmung: Zwischen Ministern und Kanzleramt, Fraktionen und Partei, zwischen Roten und Grünen fehlt es an informellen Kanälen, auf denen die Vor- haben im vertraulichen Diskurs reifen kön- nen. Statt dessen dringt Vorläufiges, Halb- fertiges und Widersprüchliches an die Öf- fentlichkeit und verfestigt den Eindruck von der „Chaos-Truppe“, so Grünen-Ge- schäftsführerin Heide Rühle. Die bisher peinlichste Panne gab es bei der Steuerreform: Die Vorschläge der Mi- nisterien landeten zeitgleich im Kanzler- amt und bei den Abgeordneten, auch de- nen der Opposition. Das wäre Helmut Kohl nicht passiert. Eigentlich wollten die Neuen alles an- ders machen und auf vertrauliche Macht- zirkel wie beim Altkanzler verzich- ten. Doch inzwischen ist den neuen Re- genten klargeworden, daß die Kungelrun- de das letzte Refugium des offenen Wortes ist. Hier lassen sich auch mal unausgego- rene Ideen äußern, ohne daß sie gleich am nächsten Morgen im Frühstücksradio ver- meldet werden. Die Mediendemokratie mit ihren omni- präsenten Kameras, in der selbst das Kanz- lerklo noch für die Öffentlichkeit vermes- sen wird, drängt die Entscheidungsprozes- se in dunkle Winkel.Auch im Kabinett wird wirklich Wichtiges nicht immer bespro- chen. Die Runde ist zu groß, zu heterogen, zu geschwätzig. „Ziemlich schnell wird die neue Regie- rung ähnliche informelle Entscheidungs- gremien haben wie das System Kohl, glaubt der Verfassungsrechtler Steffen Schmidt, ein Mitarbeiter bei der FDP-Bun- destagsfraktion, der seine Beobachtungen über die inoffiziellen Bonner Machtorgane gerade zu einer Dissertation verarbeitet. Die optimale Größe für einen solchen Kreis setzt der Kungel-Forscher auf sechs bis acht Personen an. REUTERS Größere Runden scheitern oft schon dar- Koalitionspartner Schröder, Lafontaine, Fischer: Jeder testet Vertrauen und Vertraute an, daß jeder Machtmensch mindestens ein- mal zu Wort kommen will. „Da ist die Zeit abgelaufen, bevor eine einzige Entschei- KOALITION dung fällt“, weiß der kungelerfahrene frühe- re FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms. Kennzeichen eines echten Klüngels ist Herrschaft im Hinterzimmer es, daß die Ergebnisse in keiner Zeitung stehen – ganz egal, ob er spontan auf einer Abgeschreckt vom langjährigen Kohlschen Klüngel, wollten SPD Bonner Sommerparty, vertraulich als Jour fixe im Hinterzimmer oder per Telefon- und Grüne möglichst ohne Geheimzirkel auskommen. konferenz stattfindet. Doch Regieren läßt sich nur mit vertraulichen Vor-Absprachen. So geriet die feierlich zur intimen Be- gegnungsstätte verklärte rot-grüne Koali- ußenminister Joschka Fischer war um die leidige Steuerreform. Genervt re- tionsrunde vom Mittwoch vergangener hoch über den Wolken Amerikas, gistrierte Fischer, daß er schon wieder zu Woche zum genauen Gegenteil: Da wurde Aetwa auf der Höhe von Philadel- weit entfernt war, um vor Ort mitzukun- öffentlich Harmonie inszeniert. phia, als sich Rezzo Schlauch, Fraktions- geln. „Weißt du eigentlich, daß Nixon sei- Durchgesetzt hatten das Treffen die grü- chef der Bonner Grünen, per Funktelefon ne politischen Entscheidungen alle aus dem nen Frauen, die schon bei den Koalitions- meldete. Fern auf Bonner Boden hatte es Flugzeug gefällt hat?“ tröstete Schlauch. verhandlungen immer draußen bleiben mit der Absprache zwischen den Regie- Grimmig wehrte Fischer ab: „Du weißt ja, mußten, wenn es spannend wurde: Frak- renden wieder mal nicht geklappt, es ging wie das geendet hat.“ tionschefin Kerstin Müller und Parteispre- 44 der spiegel 50/1998 Deutschland cherin Gunda Röstel. Bemerkenswerte Er- Wille zum Wahlsieg. Oft erscheinen sie gar miert, warnt Verfassungsrechtler Schmidt, gebnisse gab es folglich nicht, aber immer- nicht im Präsidium. Nun sollen die Mon- Kabinett und Parlament würden zwangs- hin durften sich die Übergangenen einbe- tagssitzungen wieder zum Pflichtpro- läufig geschwächt. zogen fühlen. gramm werden. Schöner Nebeneffekt: Alle „Schwer erträglich“ fand zuletzt selbst Der Schmusegipfel täuschte kurzfristig müssen sich zum Vorsitzenden in die Par- Kohls langjähriger Kanzleramtschef Wal- darüber hinweg, daß die neue Regierung teizentrale begeben. demar Schreckenberger die „Oligarchie noch immer nach angemessenen Kommu- Die Vorzüge der Gastgeberrolle hatte der Spitzenpolitiker der Parteien“. Auch nikationskanälen sucht. Wo künftig wer schon Unions-Fraktionschef Wolfgang Ex-Bundespräsident Richard von Weiz- mit wem über was entscheidet, weiß keiner Schäuble gewitzt genutzt. Aus Rücksicht säcker empörte sich über die Kungelei zwi- der Neuen ganz genau. auf den Rollstuhlfahrer fanden die Run- schen Vertretern des Parlaments und der Noch testet jeder Vertrauen und Ver- den meist im Büro des CDU-Mannes statt Regierung: „Was hat das noch mit Gewal- traute. Vor allem die zentrale Clearingstel- – und der setzte den Heimvorteil ein: Er tenteilung zu tun?“ le im Kanzleramt funktioniert noch nicht bestimmte Themen und Termine. Andererseits zeigt sich immer wieder, richtig. Während der frühere Kanzleramts- Die Bonner Kungelrunden sind genau- daß Vorhaben der Regierung am sicher- chef Friedrich Bohl für seinen Herrn still so alt wie die Nachkriegsrepublik. Schon sten zu torpedieren sind, wenn man sie und effizient horchte, vorbereitete und in- Konrad Adenauer regierte mit Küchen- frühzeitig öffentlich macht und damit gleichsam dem freien Spiel der Interessen- gruppen überläßt. Demokratietheoretische Bedenken und Regierungspraxis stehen sich unversöhnlich gegenüber. Das Hin und Her der vergangenen Wo- chen lehrt, daß es auch bei SPD und Grü- nen nicht ohne Klüngel geht. Schon Klei- nigkeiten erfordern Absprachen im Vor- feld. So ließen sich die Grünen von der SPD viermal versichern, im sogenannten Artikelgesetz von Bundesarbeitsminister Walter Riester seien der Start der Öko- steuer und die Senkung des Rentenbeitrags zeitlich aneinander gekoppelt.Viermal war das nicht der Fall. Entnervt schrieben die Experten der Fraktion ihren Entwurf schließlich selbst. Solange sich die systemstabilisierenden Zirkel noch nicht gefunden haben, dienen notdürftig die alten Seilschaften zur Ver- ständigung. Plötzlich ist wichtig, wer sich noch aus alten Zeiten kennt, wer zusam- men unter Schröder in Niedersachsen Po- litik gemacht hat oder im Bonner Proviso- rium gemeinsam unterkam. So wohnt der Kanzler mit den Staatsse- kretären Alfred Tacke, Erwin Jordan, Stein- IMO meier und dem Kulturbeauftragten Micha- Rot-grüne Frauenrunde*: Draußen bleiben, wenn es spannend wird el Naumann in einer Villa am Bonner Ve- nusberg. Die beiden neuen Staatssekretäre trigierte, mag sein Nachfolger Bodo Hom- kabinetten vertrauter Staatssekretäre und im Bundesfinanzministerium, Claus Noé bach die öffentliche Pose – die Rolle des stil- Bankiers. In der sozial-liberalen Koali- und Heiner Flassbeck, hausten in den ersten len Schlichters kommt eher seinem Staats- tion herrschte das „Kleeblatt“ um Kanzler Bonner Wochen gemeinsam in der Ham- sekretär Frank-Walter Steinmeier zu. Helmut Schmidt, mit seinem Sprecher burger Landesvertretung. Während sich die Abstimmung zwischen Klaus Bölling, Kanzleramtsminister Hans- Bei den Grünen sind sogar Exekutive den Ressorts im Regierungsalltag wohl bald Jürgen Wischnewski und Staatssekretär und Legislative unter einem Dach vereint: ergeben wird, droht die Koordination der Gerhard Konow. Gesundheitsministerin Andrea Fischer teilt SPD zum Dauerproblem zu werden. Denn Die Regierung Kohl hat die Hinterzim- eine Wohnung in Bonn-Kessenich mit der mit dem Wahlsieg vom September haben mer-Herrschaft schließlich perfektioniert. Thüringer Abgeordneten Katrin Göring- sich Statik und Rollenverteilung der neuen Wichtigste Steuerungsinstanz war die Run- Eckart, die als Gesundheitssprecherin ihrer Regierungspartei gravierend verändert. de der Fraktionschefs, in der über alles und Fraktion eigentlich die Ministerin kontrol- Bis zur Wahl bildeten das Partei-Präsi- jeden entschieden wurde. lieren soll. Statt dessen hecken beide schon dium und die Runde der sozialdemokrati- Selbst Minister durften oft nur abnicken, beim Frühstück Strategien aus, wie sie die schen Ministerpräsidenten die Machtzen- was Schäuble, Solms und CSU-Landes- Kritik des SPD-Sozialexperten Rudolf tren, die SPD-Chef Oskar Lafontaine vir- gruppenchef Michael Glos zuvor verein- Dreßler abwehren können. tuos dirigierte. Gelegentlich wurde auch bart hatten. Ex-Postminister Christian Neben solchen Zufallsrunden scheinen die Bundestagsfraktion einbezogen. Schwarz-Schilling protestierte öffentlich, sich auf Regierungsebene immerhin schon Das Kanzleramt ist als neue Machtzen- daß die Koalitionsrunde ohne sein Wissen erste feste Kontakte zu etablieren. Die In- trale hinzugekommen. Die SPD-Länder- über die Postreform entschieden hatte. szenierung des rot-grünen Showgipfels hat- chefs bändigt nicht mehr der gemeinsame Staatsrechtler und Demokratietheoreti- te ein kleines Geheimkommando im ver- ker haben solche monarchischen Macht- traulichen Dunst kubanischer Zigarren vor- * Grünen-Sprecherinnen Gunda Röstel und Kerstin Mül- rituale stets kritisiert: Die geheimen Run- bereitet: Kanzler Schröder und der grüne ler, SPD-Gesundheitsministerin Christine Bergmann. den seien vom Grundgesetz kaum legiti- Fraktionschef Schlauch. Elisabeth Niejahr 46 der spiegel 50/1998.