Musikfabrik in WDR | 39 | Little Smile

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Musikfabrik in WDR | 39 | Little Smile 2011|2012 KommentarKonzert 39 Little Smile Rebecca Saunders | Stasis (2011) Jonathan Harvey | Climbing Frame (2004) Sergej Newski | Arbeitsfläche (2011) Wolfgang Mitterer | Little Smile (2011) Dienstag | 25. Oktober 2011 | 20 Uhr wdr Funkhaus am Wallrafplatz, Klaus­von­Bismarck­Saal Ensemble musikFabrik Flöte, Bassflöte Helen Bledsoe Klavier, Sampler Benjamin Kobler Oboe Peter Veale Klavier Ulrich Löffler Klarinette, Bassklarinette Carl Rosman Akkordeon Krassimir Sterev Klarinette, Bassklarinette Richard Haynes Fagott Alban Wesly Violine Hannah Weirich Fagott Heidi Mockert Violine Anna Gebert Viola Ulrich Mertin Horn Christine Chapman Violoncello Dirk Wietheger Trompete Marco Blaauw Kontrabass Michael Tiepold Trompete Ales Klancar Posaune Bruce Collings Klangregie Paul Jeukendrup Tuba Melvyn Poore Laptop Wolfgang Mitterer Schlagzeug Dirk Rothbrust Dirigent Enno Poppe Schlagzeug Johannes Fischer Programm Little Smile Rebecca Saunders | Stasis (2011) Spacial collage for 16 musicians Kompositionsauftrag von SWR, Kunststiftung NRW und Ensemble musikFabrik Pause Jonathan Harvey | Climbing Frame (2004) für 12–15 Instrumente Sergej Newski | Arbeitsfläche (2011) für Horn, Viola, Schlagzeug, Klavier, Tuba und Kontrabass Wolfgang Mitterer | Little Smile (2011) für Ensemble und Electronics Eine Produktion des Ensembles musikFabrik in Zusammenarbeit mit WDR 3, KölnMusik und der Kunststiftung NRW. Kommentar Rebecca Saunders | Stasis (2011) während sich die Dunkelheit entfaltet, auf einen Klang. Die Metaphern Es sind meist außermusikalische Phänomene, die Rebecca Saunders den von Dunkelheit und Licht, Schweigen und Klang, Bewegung und Stille Anstoß zu neuen musikalischen Schaffensprozessen geben. So gingen durchdringen das zerbrechliche Gefüge seiner Sprache. Wie in alle Ewig­ viele ihrer früheren Arbeiten von Vorstellungen zu bestimmten Farbtönen keit ist die zeitlose Melancholie, die kurz, hart und ehrlich ist, und den­ aus, deren atmosphärischen Gehalt und ‚Klangpotential‘ sie musikalisch noch durchdrungen von Menschlichkeit und Zärtlichkeit. Eine Stasis; der auslotete. In jüngerer Zeit traten solche konkreten Synästhesien in ihrem menschliche Körper verharrt im Zustand der Erwartung, zitternd.“ Schaffen jedoch mehr und mehr in den Hintergrund, wenngleich außer­ (Übers. von Bernd Künzig). musikalische, häufig immer noch um optische oder bildhafte Phänome­ Der beschriebene Zustand einer „Stasis“ – der Begriff wird im Bereich ne und visuelle Erfahrungen kreisende Vorstellungen nach wie vor ihre der Medizin für „Stauung“, „Stockung“, „Stillstand“ verwendet – bedeu­ Musik begleiten und diese formen. Eine vielleicht noch bedeutendere tet für Saunders freilich nicht, dass sie jegliche musikalische Bewegun­ Rolle als das Visuelle spielen seit jeher Inspirationen aus der Literatur. gen oder Ereignisse vermeidet. Er ist vielmehr konnotiert mit der Vorstel­ Vor allem in Texten oder einzelnen Sentenzen Samuel Becketts stößt lung von einer körperlichen, ja gewissermaßen haptisch greifbaren Saunders immer wieder auf Gedankengänge, Metaphern und Beschrei­ Musik, die als Ganze wie eine statische Klangskulptur im Raum steht. bungen von Seinszuständen, die ihrer eigenen musikalischen Denkwei­ Zentral ist dabei – der Untertitel Spacial collage deutet dies an – das Prin­ se, dem Wesen ihrer Musik nahestehen und diese zugleich in einer Art zip der Collage und die Bedeutung der räumlichen Dimension. Rückkoppelung entscheidend prägen. Saunders verteilt die sechzehn Musiker des Ensembles auf verschiedene, Auch in Saunders’ neuem, knapp 50­minütigen Werk Stasis bildet ein Text teils wechselnd besetzte Soli und Kammermusikgruppen und postiert Becketts einen solchen literarischen „Fluchtpunkt“. Es handelt sich um diese nicht allein auf der Bühne, sondern im gesamten Aufführungsraum die Kurzgeschichte Still und die darin geschilderte statische Situa tion. (und auch außerhalb). Entsprechend liegt Stasis auch nicht eine zusam­ „Becketts Still“, so die Komponistin, „skizziert eine einzige Situ ation: menhängende, in sich geschlossene Partitur zugrunde, sondern eben den Kopf dem Sonnenuntergang zugewandt, betrachtet der un genannte eine „Collage“ von 18 unabhängig voneinander komponierten, teils auf Protagonist das Hereinbrechen der Nacht, die anwachsende Dunkelheit; einzelne Klangmaterialien bereits bestehender Werke zurückgreifenden den Kopf langsam und behutsam von den Händen gestützt, wartet er, „Modulen“, die den verschiedenen Musikergruppen zugewiesen sind Kommentar und in ihrer Dauer von kurzen, 3­ bis 4­minütigen Einheiten bis hin zu Harveys kurzes Ensemblestück Climbing Frame („Klettergerüst“), kom­ 20­minütigen Kompositionen variieren. Ein genau fixierte „timeline“ poniert 2004 und im selben Jahr beim Huddersfield Contemporary Music (eine Art Zeitraster) koordiniert die Abfolgen und Überlagerungen dieser Festival uraufgeführt, stellt genau Auskomponiertes neben indetermi­ Module, von denen jedes ein eigenes, streng reduziertes Arsenal von nierte Elemente. Das Werk weist als Ganzes zwar eine zielgerichtete, in Klangfarben, von mal fragilen, mal eruptiv hervorbrechenden Klängen ihrem übergeordneten Verlauf festgelegte Form auf, lässt den Ausführen­ bereithält. „Verschiedene musikalische Fäden“, so Saunders, „werden den jedoch in einem abgesteckten, kontrollierten Rahmen einige Frei­ formal verbunden und erzeugen ein komplexes polyphones Gewebe von heiten. So ist schon die Besetzung des dirigierten, in vier Gruppen plus Klangflächen: Eine Klangskulptur wird in den Aufführungsraum proji­ Schlagzeug aufgeteilten Ensembles mit „circa 12–15 Instrumenten“ nur ziert. Ein abstraktes Musiktheater entsteht, in welchem die Musiker die grob vorgegeben. Auch gleich der erste Formabschnitt gibt den Interpre­ Protagonisten in einem gemeinsamen musikalischen Umfeld oder einer ten nur ungefähre Anhaltspunkte: So soll der Dirigent das Stück mit zwei gemeinsamen Klanglandschaft sind.“ tiefen Instrumenten im Halbtonabstand beginnen, die ad libitum lange Haltetöne spielen und diese jeweils mit deutlich höheren, schnellen Ton­ Jonathan Harvey | Climbing Frame (2004) figurationen abschließen. Nach und nach setzen die anderen Instrumen­ Wie Rebecca Saunders spricht auch Jonathan Harvey der Musik und te mit demselben Modell zu frei gewählten Zeitpunkten ein, wodurch ihren Klängen eine visuelle, haptisch ‚greifbare‘ Präsenz zu. Harveys äs­ sich die Einsatzabstände immer weiter verkürzen und die rhythmische thetische Position ist freilich von vielen weiteren, ganz verschiedenarti­ Komplexität gesteigert wird. Auf ein Signal des Dirigenten, das den Be­ gen Einflusssphären geprägt, weshalb er sich klanglichen Phänomenen ginn des zweiten Formabschnitts markiert, münden alle Stimmen in eine zugleich aus unterschiedlichen Perspektiven annähert. So begreift er den leise, „extrem schnelle“ und in der Notation nur angedeutete Spielfigur Klang – und mithin den einzelnen Ton – einerseits als einen resonieren­ im tiefen Register, die nun den klanglichen Hintergrund für eine exakt den und dahingehend auch analysier­ und gestaltbaren Klangkomplex im ausnotierte Trompeten­Solopassage bildet. Die ebenfalls weitgehend aus­ Sinne der elektronischen oder der spektralen Musik, andererseits aber notierte Schlusssektion – nur die vage vorgegebenen Tonhöhen („sehr auch als Träger geistig­spirituellen Ausdrucks. hoch“) sind unbestimmt – vereint schließlich in einer furiosen Zuspit­ zung das gesamte Ensemble. Kommentar Sergej Newski | Arbeitsfläche (2011) stellt – jeweils ein Solo­ mit einem Begleitinstrument kombiniert –, bil­ Versteht man den Vorgang des Komponierens gemäß des lateinischen den die sechs Musiker ein Dreieck aus drei Zweierguppen. Die damit Begriffs „compositio“ als ein ‚Zusammenstellen‘ und ‚Zusammensetzen‘ angedeuteten Beziehungen zwischen den Instrumenten sind jedoch musikalischer Elemente, so liegt es nicht fern, eine Partitur (zumal im noch komplexer, wie Newski erläutert: „Ich arbeite hier nach einem Prin­ Stadium ihrer Entstehung) als eine Art „Arbeitsfläche” aufzufassen. Eine zip von sich überlagernden Zeitnetzen, d.h. jede Instrumentengruppe Arbeitsfläche, auf der vielerlei musikalische Materialien und Werkstücke hat Kor respondenzen auf zwei Ebenen: auf der Klangfarbenebene – zwi­ collagenhaft „verstreut“ sind, zunächst mehr oder weniger unsortiert schen Horn und Tuba oder Bratsche und Kontrabass und zwischen Kla­ und in unterschiedlichen Zuständen auf ihre Verarbeitung, auf das Zu­ vier und Schlagzeug – und auf der Zeitebene, d.h. es gibt Instrumenten­ sammenfügen zu einem großen Ganzen wartend. Eine musikalische „Ar­ paare mit gleichem oder ähnlichem Einsatzabstand. Wobei die hier beitsfläche“ könnte sich als Metapher aber auch auf den formalen Verlauf korres pondierenden Instrumentenpaare andere sind als auf der einer Komposition beziehen; sie wäre dann das Feld, auf dem sich alle Klangfarben ebene, nämlich Horn und Klavier, Bratsche und Tuba, Schlag­ musikalisch­dramaturgischen Prozesse vollziehen. Als Sergej Newski zeug und Kontrabass.“ sein neues Werk mit dem Begriff Arbeitsfläche betitelte, standen für ihn All dies stellt Newski in den Dienst der zentralen Werkidee, die sich als eben solche Konnotationen im Vordergrund. Sein Titel umschreibe, wie er Konfrontation zweier unterschiedlicher, ja gegensätzlicher formaler Prin­ sagt, „ein Koordinatensystem, in dem voneinander unabhängige Klang­ zipien, nämlich als Gegenüberstellung der Idee eines musikalischen Kon­ objekte platziert werden, ein virtuelles Reißbrett, auf dem der Komponist tinuums und der einer Collage, beschreiben
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