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KINDLER KOMPAKT MÄRCHEN Ausgewählt von Stefan Neuhaus J. B. Metzler Verlag Kindler Kompakt bietet Auszüge aus der dritten, völlig neu bearbei- teten Auflage vonKindlers Literatur Lexikon, herausgegeben von Heinz Ludwig Arnold. – Die Einleitung wurde eigens für diese Auswahl verfasst und die Artikel wurden, wenn notwendig, aktualisiert. Stefan Neuhaus ist Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Koblenz-Landau. Inhalt STEFAN NEUHAUS Das Märchen als Poesie der Poesie 9 DIE GESCHICHTE VOM BAMBUSSAMMLER Taketori monogatari 33 TAUSENDUNDEINE NACHT Alf laila wa-laila 35 GIOVANNI BOCCACCIO Das Dekameron / Decameron. Prencipe Galeotto 44 GIOVANNI FRANCESCO STRAPARÒLA Die ergötzlichen Nächte / Le piacevoli notti 51 HEMAVIJAYA Das Märchenmeer / Kathāratnākara 54 GIAMBATTISTA BASILE Der Pentamerone / Lo cunto de li cunti o vero lo trattenimiento de peccerille 55 CHARLES PERRAULT Märchen aus alter Zeit / Histoires ou contes du temps passé, avec des moralitez 58 SULCHAN-SABA ORBELIANI Die Weisheit der Lüge / Sibrjne sic’ruisa 60 CHRISTOPH MARTIN WIELAND Der Sieg der Natur über die Schwärmerey, oder Die Abentheuer des Don Sylvio von Rosalva 62 CARLO GRAF GOZZI Turandot / Turandot 65 JOHANN KARL AUGUST MUSÄUS Volksmährchen der Deutschen 68 NOVALIS Heinrich von Oft erdingen 70 ADAM OEHLENSCHLÄGER Aladdin oder Die Wunderlampe / Aladdin eller den forunderlige Lampe. Dramatisk Eventyr 75 E. T. A. HOFFMANN Fantasiestücke in Callot’s Manier 77 Klein Zaches genannt Zinnober 81 Die Serapions-Brüder 83 Prinzessin Brambilla 88 Meister Floh 90 FRIEDRICH DE LA MOTTE FOUQUÉ Undine 92 JACOB UND WILHELM GRIMM Kinder- und Hausmärchen 95 PHILIPP OTTO RUNGE Vom Fischer und seiner Frau / Von dem Fischer un syner Fru 100 LUDWIG TIECK Phantasus 102 ADELBERT VON CHAMISSO Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte 113 WILHELM HAUFF Die Märchen 116 CLEMENS BRENTANO Gockel Hinkel Gackeleia 120 THEODOR STORM Die Märchen 122 PETER CHRISTEN ASBJØRNSEN / JØRGEN ENGEBRETSEN MOE Sämtliche Volksmärchen und Erzählungen aus Norwegen / Norske Folkeeventyr 125 PETER CHRISTEN ASBJØRNSEN Sämtliche Volksmärchen und Erzählungen aus Norwegen / Norske Huldreeventyr og Folkesagn 127 CHARLES DICKENS Der Weihnachtsabend / A Christmas Carol 128 ALEKSANDR NIKOLAEVIČ AFANAS’EV Russische Volksmärchen / Narodnye russkie skazki 131 LEWIS CARROLL Alice im Wunderland / Alice’s Adventures in Wonderland 134 Alice hinter den Spiegeln / Through the Looking-Glass and What Alice Found There 136 HANS CHRISTIAN ANDERSEN Sämtliche Märchen / Eventyr og Historier 139 PAVOL DOBŠINSKÝ Volkstümliche slowakische Märchen / Prostonárodné slovenské povesti 143 CARLO COLLODI Die Abenteuer des Pinocchio / Le avventure di Pinocchio 146 OSCAR WILDE Der glückliche Prinz und andere Märchen / The Happy Prince and Other Tales 148 Ein Granatapfelhaus / A House of Pomegranates 150 HUGO VON HOFMANNSTHAL Das Märchen der 672. Nacht 153 L. FRANK BAUM Der Zauberer von Oz / The Wonderful Wizard of Oz 156 JAMES MATTHEW BARRIE Peter Pan oder der Junge, der nicht groß werden wollte / Peter Pan. Or The Boy Who Would Not Grow Up 162 MICHA JOSEF BERDYCZEWSKI Der Born Judas 165 ANNI SWAN Kranich und Hirtenmädchen / Anni Swanin sadut 167 PAMELA L. TRAVERS Mary Poppins / Mary Poppins 170 ABUBAKAR IMAM Worte sind ein Schatz / Magana Jari Ce 172 ANTOINE-MARIE-ROGER DE SAINT-EXUPÉRY Der kleine Prinz / Le petit prince 174 TOVE JANSSON Die Muminbücher 176 ASTRID LINDGREN Die Pippi-Langstrumpf-Bücher 179 Die Brüder Löwenherz / Bröderna Lejonhjärta 181 KIRSI KUNNAS Tiitiäinens Geschichten / Tiitiäisen tarinoita 184 OTFRIED PREUßLER Der Räuber Hotzenplotz 186 MICHAEL ENDE Die Unendliche Geschichte 188 RAFIK SCHAMI Erzähler der Nacht 191 YŌKO TAWADA Der Hundebräutigam / Inu muko iri 194 JOANNE K. ROWLING Die Harry-Potter-Romane 196 WALTER MOERS Die Zamonien-Reihe 199 JOHANNA SINISALO Troll / Ennen päivänlaskua ei voi 204 Das Märchen als Poesie der Poesie Stefan Neuhaus Märchengeschichte(n) Wenn jemand etwas erzählt, dessen Wahrheitsgehalt zweifelhaft ist, kann man erwidern: Erzähl mir keine Märchen! Dabei nehmen wir nur allzu leicht an, dass wir wissen, was der Begriff Märchen meint. Die heute weit verbreitete Bedeutung des Begriffs ist selbst ein Mär- chen oder ein Mythos. Oder, vielleicht besser: eine Erzählung. Um ver- stehen zu können, wie es dazu kommen konnte, dass wir bei Märchen gleich an Hänsel und Gretel, Aschenputtel oder Dornröschen denken, müssen wir in der Literatur- und Kulturgeschichte rund 200 Jahre 9 zurückgehen. An der Entstehung dieser Erzählung vom Märchen waren die Brüder Grimm alles andere als unschuldig (nicht: Gebrüder Grimm, auch diese Schreibung ist ein populärer Irrtum). Als die Brüder Grimm 1812 den ersten und 1815 den zweiten Band ihrer Kinder- und Hausmärchen veröff entlichten, konnte niemand ahnen, am wenigsten sie selbst, welchen Erfolg sie damit haben würden. Die EINLEITUNG beiden Kasseler Studenten und späteren Bibliothekare waren 1806 von Clemens Brentano zum Sammeln von Märchen angeregt worden. Brentano, einer der wichtigsten Vertreter der Heidelberger Roman- tik, hatte 1805 bis 1808 mit Achim von Arnim die für die sogenannte ›Volkspoesie‹ nicht weniger einfl ussreiche Sammlung Des Knaben Wunderhorn veröff entlicht, eine Sammlung von Liedtexten, die für alle populären Anthologien von sogenannten Volksliedern grundlegend geworden ist. Doch verlor Brentano bald das Interesse an der Heraus- geberschaft solcher Märchenüberlieferungen und die Grimms waren klug genug, eine Abschrift anzufertigen, bevor sie dem unzuverläs- sigen Bekannten das dann für lange Zeit verschollene Ergebnis ihrer Sammeltätigkeit zuschickten. Beide Sammlungen, die Lieder und die Märchen, waren eigentlich Editionsprojekte. Dem Programm der Romantik gemäß gaben sie vor, grundlegende Texte der deutschsprachigen Kultur und insbesondere des Mittelalters, die vor allem mündlich überliefert worden waren, durch schrift liche Tradierung vor dem Vergessen zu bewahren und einer interessierten Öff entlichkeit zur Verfügung zu stellen. Bis zu diesem Zeitpunkt war »Märchen« noch ein off ener Gattungsbegriff im Sinne der ursprünglichen Wortbedeutung ›kleine Erzählung‹, wie beispielsweise die Sammlung von Johann Karl August Musäus zeigt (Volksmährchen der Deutschen; 1782 –1786), in die auch ganz selbstver- ständlich Sagen aufgenommen sind, etwa um die populäre Gestalt des Rübezahl; bei Musäus sind diese Texte sogar als »Legenden« bezeich- net. Dazu kommen Schauergeschichten, eine Tradition, die bei- spielsweise Wilhelm Hauff später mit seinen Märchensammlungen fortsetzen wird (man denke an Die Geschichte von dem Gespensterschiff aus seinem Märchen-Almanach Die Karawane). In der zweiten Hälft e der 1820er Jahre, also um die Zeit, in der Hauff seine bekannten Mär- 10 chen veröff entlichte (etwa Der kleine Muck und Das kalte Herz), konnten die Kinder- und Hausmärchen, die zunächst ein verlegerischer Flop waren, überhaupt erst ein größeres Publikum für sich gewinnen. 1825 erschien die »Kleine Ausgabe«, eine von Bruder Ludwig Emil Grimm illustrierte Auswahl von 50 Texten. Sie formte die ›Gattung Grimm‹ und prägte die heutige Auff assung von dem, was in unserem Kultur- kreis allgemein unter Märchen verstanden wird. Dabei handelt es sich keineswegs, wie die Grimms im Geist der Zeit behaupteten, um volkstümliche Erzählungen, die sie älteren Frauen in ihren bäuerlichen Spinnstuben abgelauscht hatten und die vorher mündlich tradiert worden waren. Die meisten Märchen gehen auf bekannte frühere Sammlungen zurück, etwa auf Giambattista Basiles Pentamerone oder auf Charles Perraults Die ergötzlichen Nächte. Es handelte sich oft um Erzählungen, die von den gebildeten Frauen, mit denen die Grimms Kontakt hatten, nacherzählt oder die von den bibliothekserfahrenen Brüdern selbst zu Rate gezogen wurden. Die Überlieferungsgeschichte hat vor allem Heinz Rölleke erforscht, dem wir auch die Historisch-kritische Ausgabe der Märchen verdanken. Und Lothar Bluhm hat, angesichts der Quellenlage, den Terminus ›Buchmärchen‹ vorgeschlagen. ›Volksmärchen‹ ist der missverständ- liche, aber (etwa durch Max Lüthi) populär gewordene Begriff , wenn man Märchen als Gattungsbegriff weiter unterteilt. Ihm zur Seite lässt sich das ›Kunstmärchen‹ stellen, das sich in einigen wichtigen Punk- ten vom Volksmärchen unterscheidet. Auch das Kunstmärchen wird in der Zeit der Romantik so geprägt, wie wir den Begriff heute verwenden. Entscheidend hierfür ist wieder eine Sammlung von Texten, deren Erfolg nicht vorherzusehen war. Der sich im oberfränkischen Bamberg mit Arbeiten am Theater und als Musiklehrer nur mühsam über Wasser haltende, eigentlich als Jurist ausgebildete (als solcher wird er später noch Karriere machen) Ernst Theodor Wilhelm Hoff mann, der aus Liebe zu Mozart seinen dritten Vornamen in Amadeus ändert, schließt mit einem Bamberger Weinhändler und Kleinverleger einen Vertrag über die schließlich 1814/15 in zwei Bänden erschienenen Fantasiestücke in Callot’s Manier. Der Titel spielt auf Jacques Callot an, einen lothringischen Zeichner und Kupferstecher. Einer der Texte der Sammlung, Der goldne Topf, trägt den Untertitel »Ein Märchen aus der neuen Zeit« und erzählt 11 die Geschichte des Studenten Anselmus, der sich im Dresden der damaligen Gegenwart (das teilweise auch Bamberg nachgebildet ist) in Serpentina verliebt. Serpentina ist allerdings eine Schlange und die Tochter des Archivarius Lindhorst, der wiederum, aus der Familie der Salamander stammend, aus Atlantis verbannt wurde und nun auf der Erde nach geeigneten Brautwerbern für seine drei Töchter sucht. Die EINLEITUNG