Doku – Oder Was?

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Doku – Oder Was? Fritz Wolf Alles Doku – oder was? Über die Ausdifferenzierung des Dokumentarischen im Fernsehen Expertise des Adolf Grimme Instituts im Auftrag der Landesanstalt für Medien NRW der Dokumentarfilminitiative im Filmbüro NW, des Südwestrundfunks und des ZDF gefördert von: Impressum Herausgeber: Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) Bereich Tagungen und Öffentlichkeitsarbeit Zollhof 2, 40221 Düsseldorf Postfach 10 34 43, 40025 Düsseldorf http://www.lfm-nrw.de Verantwortlich: Dr. Joachim Gerth Redaktion: Antje vom Berg, Dagmar A. Rose Gestaltung: disegno visuelle kommunikation, Wuppertal Druck: Börje Halm, Wuppertal Juli 2003 Vorwort der Herausgeber Dokumentationen zählen zu den Klassikern der Programmgenres. Mit den Anfängen der deutschen Programmgeschichte geht unmittelbar der Beginn der Geschichte des Fernsehdokumentarismus einher. Der Versuch, einen Ausschnitt der Wirklichkeit ab- zubilden, ist von einem vielseitigen Themenspektrum insbesondere politischer und kultureller Prägung sowie von individuellen Präsentationsweisen gekennzeichnet. Dem Zuschauer eröffnet das Fernsehen vor allem mit seinen dokumentarischen Formen mit dem notwendigen kritischen Blick ein „Fenster zur Welt“. Fernsehtechnische und -strukturelle Veränderungen, die unter anderem die Entwicklung der Programm- strukturen und -genres entscheidend geprägt haben, haben auch die Ausdifferen- zierung des dokumentarischen Genres beeinflusst. Neue dokumentarische Formen werden auf der Basis von programmstrukturellen Notwendigkeiten, inhaltlicher und ästhetischer Experimentierfreude und ökonomischen Zwängen generiert. Auch wenn das dokumentarische Spielfeld breit abgesteckt ist, konnten bisher weitgehend klare Grenzen zum Fiktionalen gezogen werden. Im letzten Jahrzehnt lässt sich jedoch eine zunehmende Aufweichung dieser Grenze beobachten. Aufgrund der gesellschaftlichen Bedeutung, die dem Dokumentarischen als einer informierenden und kritisch reflektierenden Ausdrucksform zukommt, gilt es, diesen Entwicklungen detailliertere Aufmerksamkeit zu schenken. Dieses gemeinsame Inter- esse hat die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM), deren gesetzlicher Auftrag unter anderem darin besteht, die Entwicklung von Programmstrukturen und -formen durch Forschung zu begleiten, mit der Dokumentarfilminitiative im Filmbüro NW (dfi), dem ZDF und dem SWR zusammengeführt. Die Kooperationspartner haben das Adolf Grimme Institut beauftragt, im Rahmen einer Expertise eine Bestandsaufnahme gegenwärtiger Trends dokumentarischer Sendungen durchzuführen. Der Medienjourna- list Fritz Wolf spürt auf der Basis einer Programmanalyse und Interviews mit Medien- machern die aktuellen Entwicklungen auf und beschreibt mögliche Ursachen und Folgen derselben. Die Expertise soll dazu dienen, einen fundierten Überblick darüber zu geben, wie sich die Situation des Fernsehdokumentarismus nach über fünfzigjähriger Entwicklung ge- staltet und welche Probleme und Potentiale sich hieraus ergeben. Das vorliegende Buch soll für die zu erwartenden und wünschenswerten Diskussionen die notwendigen Grundlagen bereitstellen. Für die beteiligten Kooperationspartner Dr. Norbert Schneider Direktor der LfM 9 Vorwort Empirie muss sein. Denn allzu bekenntnishaft gerät sonst das Reden über die Gefahr einer Marginalisierung oder die Chance zu einem Boom des Dokumentarischen im gegenwärtigen Fernsehen. Tatsächlich gibt es ein größeres Quantum an Sendeplätzen für dokumentarische Formen als die regelmäßig Klagenden insinuieren, aber es gibt auch verpasste Chancen. Obwohl Wissensmagazine boomen und das Fernsehen für breite Schichten längst die Rolle des Naturkunde- und Geschichtslehrers eingenommen hat, sind insbesondere die privatwirtschaftlich organisierten Sender zögerlich. Doku- mentarfilme könnten „Krisengewinnler“ sein, weil sie in der Regel bedeutend preis- werter herzustellen sind als Fiktionales. Sie sind es nicht, weil die Sender über zu wenig sichere Erfahrung verfügen, welche Inhalte und Ausdrucksformen reichweiten- trächtig sind. Das Wort „Doku“ aber wird inzwischen schier an alles gepappt, was nicht Nachricht oder Spielfilm ist: Filmessay, Portrait, Reportage und Soap. Darin zeigt sich die Sehnsucht des Fernsehens, stets Wirklichkeit zu versprechen. Es zeigt sich aber auch, dass für das dokumentarische Fernsehen eine Formenvielfalt längst etabliert ist, mit der die Macher offensiv umgehen sollten. Nicht die Klage über den Verlust des „eigentlichen“ Doku- mentarfilms, des großen Einzelstücks, hilft weiter, sondern die Erfindung fernseh- gerechter Spezialformen wie es z.B. „Das Schwarzwaldhaus 1902“ war und originelle filmische Handschriften auch im Rahmen des Format-Fernsehens. Denn mit der weiteren Verspartung der Fernsehlandschaft und erst recht in der zukünftigen digitalen Kanal- vielfalt führen viele Wege zum Zuschauer. Zur alten Unschuld aber, die ebenso messerscharf wie naiv definierte, dass Fiktion die Konstruktion von Wirklichkeit sei und Dokumentation deren Abbildung, führt kein Weg zurück. Kaum ein Doku-Irgendwas kommt noch aus ohne „Re-Enactment“, „szenische Rekonstruktion“ oder gar „dokumentarische Imagination“. Die Grenzen werden fließend, ein neues starkes Zentrum oder gar eine magnetisierende „Schule“ ist nicht sichtbar. Das Band zwischen dokumentarischen Formen und kritischem Journalismus aber besteht nach wie vor. Das Fernsehen ist und bleibt eine wesentliche Basis der gesamten hiesigen Dokumen- tarfilmkultur. Wir bedanken uns beim SWR, dem ZDF und der Dokumentarfilminitiative im Filmbüro NW, dass sie diese von der Landesanstalt für Medien (LfM) in Auftrag gegebene Expertise unterstützt haben, die Fritz Wolf für das Adolf Grimme Institut verfasst hat. Unserer „Gesellschaft für Medien, Kultur und Bildung“ lag der Dokumentarfilm stets besonders am Herzen. Mit dieser Expertise wollen wir Diskussionen anstoßen, verfolgen aber auch unverhohlen die Absicht, das dokumentarische Fern- sehen selber zu fördern. Bernd Gäbler, Geschäftsführer Adolf Grimme Institut 10 Inhaltsverzeichnis Einleitung 12 1. Auf dem Boden der Tatsachen: Programmanalyse 14 1.1 Anmerkungen zur Methode 14 1.2 Programmanalyse Oktober 2002 17 1.3 Zusammenfassung 48 1.4 Exkurs: September 2002 49 2. Erste Übersicht: Eine verwirrende Mischung von Begriffen 52 3. Formate und ihre Folgen 59 3.1 Formatierung als Programm 59 3.1.1 Format ist nicht gleich Format 62 3.1.2 Dokumentarfilmer und Pandabären 65 3.1.3 Autoren, Redakteure, Produzenten: Von neuen Umgangsformen 66 3.2 Vom unaufhaltsamen Aufstieg der Hybriden 69 3.2.1 Infotainment, die Mutter der Hybriden 70 3.2.2 Geschichte(n) komplett – von der Lust am Nach-Inszenieren 72 3.3 Exkurs: Schwarzwaldhaus 1902 77 3.4 Digitalisierung: Neue Fragen zur Glaubwürdigkeit 80 3.5 Fernsehen wird die Balance halten müssen 85 4. Genres: Was bleibt, was sich verändert 87 4.1 Feature/Dokumentation 88 4.2 Reportage 91 4.3 Dokumentarfilm 93 4.4 Dokumentarische Serie und Doku-Soap 95 4.5 Doku-Drama 98 5. Wohin die Reise geht: Gespräche mit Autoren und Redakteuren, Professoren und Produzenten 100 5.1 Ich will mit den Möglichkeiten der Formate spielen 101 Christian Bauer, Tangram-Film 5.2 Autoren werden sich in Fachkräfte verwandeln, die Filme auf Bestellung realisieren 109 Claas Danielsen, „Discovery campus“ 5.3 Stoffe müssen geknetet werden 118 Heiner Gatzemeier und Bodo Witzke, ZDF 5.4 Existenz am Dienstag, Expedition am Sonntag 128 Hans Helmut Hillrichs, ZDF 11 5.5 Nicht nur warten, was uns der Markt auf den Tisch legt 133 Christoph Hauser und Peter Latzel, SWR 5.6 Für eine gute Idee gibt es überall Sendeplätze 143 Uwe Kersken, Gruppe 5 5.7 Wenn der Daumen locker sitzt 149 Thomas Kufus, zero-film 5.8 Nicht schon wieder ein Tag im Baumarkt 157 Wolfgang Landgraeber, WDR 5.9 Fernsehen kann den blinden Fleck nicht zulassen 164 Dietrich Leder, Kunsthochschule für Medien 5.10 Es wird nicht auf totale Vereinheitlichung hinauslaufen 171 Thomas Schadt, Regisseur 6. Zusammenfassung 183 7. Wer Was Wann Wo 185 8. Literaturverzeichnis 231 Über den Autor 234 12 Einleitung Einleitung Die vorliegende Expertise untersucht dokumentarische Formate im Fernsehen auf meh- reren Ebenen. Am Anfang und am Schluss stehen die beiden empirischen Stützpfeiler: als Einstieg die Analyse des Programmangebots im Oktober und als Aussicht auf künf- tige Entwicklungen die Interviews mit den Machern, die dokumentarische Programme verantworten und herstellen. Dazwischen stellt die Expertise den Stand der Formatie- rung dar, untersucht Trends und Begriffe. Die quantitative Analyse des dokumentarischen Programmangebots im Oktober 2002 ist der Ausgangspunkt der Expertise. Einbezogen in die Analyse wurden dokumentarische Sendungen in allen Vollprogrammen unter folgenden Kriterien: Sie sollten ihr Thema in einer Länge von mindestens 25 Minuten abhandeln; Magazine, die nach anderen dramaturgischen Regeln funktionieren, wurden nicht einbezogen. Ferner wurden nur dokumentarische Sendungen berücksichtigt, die in der Zeit von 9 Uhr morgens bis 1 Uhr nachts ausgestrahlt wurden; nachts laufen ausschließlich Wiederholungen. Auch Phoenix als reines Spartenprogramm wurde nicht berücksichtigt. In der Öffentlichkeit wird Fernsehen vor allem durch seinen Charakter als Informa- tionsmedium (Nachrichten, Magazine) wahrgenommen, zum anderen als Medium für Spielfilme, Krimis und Unterhaltungs-Events. Dass dokumentarische Sendungen einen bedeutenden Anteil des Programmangebots ausmachen, ist weniger bekannt. In einem einzigen Monat wurden im deutschen Fernsehen nahezu 1.500 dokumentari- sche Sendungen ausgestrahlt. Gemessen an der öffentlichen
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