Falsche Götter
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DIENSTAG, 30. DEZEMBER 2014 / NR. 22 269 MEDIEN DER TAGESSPIEGEL 23 „Lustlos, aber aktiv“ Falsche Götter Gespräch über den Nutzen und die Nutzer Der norwegische Dreiteiler „Mammon“ knüpft an den Erfolg von Stieg Larssons „Millennium“-Trilogie an der zahllosen Online-Petitionen für alles und jedes Von Stefanie Kaufmann Dimeski gativer Journalist, der nur schwer Nähe Herr Donsbach, Herr Schürmann, mehr durch solche neuen Formen ergänzt zu anderen Menschen aufbauen kann. als 200000 Menschen haben bislang die wird. Mit anderen Worten: Diejenigen, Hektik in der Redaktion: Der Tageszei- Die skandinavischen Serienerfolge ka- Online-Petition „Für ein buntes Deutsch- die sich offline engagieren, sind auch die tung „Aftenavisen“ liegen Geheimdoku- men bisher zumeist aus Dänemark und land“ und gegen Pegida unterschrieben. Ersten, die dies im Netz tun. mente zur Aufdeckung eines der größten Schweden. Dänische Politserien wie Eine Million sollen es werden. Realistisch? Was können derartige Online-Bewegun- Wirtschaftsskandale Norwegens vor. Der „Borgen – Gefährliche Seilschaften“ und Ja, das kann man für realistisch halten. gen erreichen? Stoff ist hochbrisant, die Quelle exklusiv „Kommissarin Lund – Das Verbrechen“ und das Blatt der Konkurrenz zeitlich vo- sowie die dänisch-schwedische Produk- Eine Million wären immer noch nur 1,6 In erster Linie geht es darum, Aufmerk- Prozent der Wahlberechtigten in raus, kurzum: die Story ist heiß. Politiklei- tion „Die Brücke – Transit in den Tod“ samkeit zu erreichen und die Anhänger ter Frank Mathiesen will die Geschichte begeisterten die Serienfans. Deutschland. Es gibt ja deutlich mehr für eine Sache zu mobilisieren. Wirksam als Aufmacher auf den Titel der nächsten Die Produktionen waren so erfolg- Menschen, die diese positive Einstellung werden die Bewegungen aber erst dann, Ausgabe bringen, Redakteurin Inger Ma- reich, dass sie auch in anderen Ländern zu einem „bunten Deutschland“ haben, wenn die Offline- und Online-Medien da- rie Steffensen hingegen hält die Quelle ausgestrahlt und dort teilweise für den na- und diese sind von Alter (eher Jüngere) rüber berichten. Die Forschung ist sich für nicht seriös, weil Journalist Peter Ve- tionalen Fernsehmarkt angepasst wurden und Bildung (eher höher Gebildete) auch noch nicht einig, ob es durch Online-Peti- rås seinen Informanten nicht nennen will wie bei „The Killing“ (Kommissarin diejenigen, die solchen neuen Formen tionen zu einer Qualitätsverbesserung – auch nicht im engsten Kreise der Redak- Lund) und „The Bridge“ (Die Brücke) in der politischen Beteiligung gegenüber der politischen Partizipation kommt. tion. An welche Standards muss sich Qua- den USA. Die erste international erfolg- aufgeschlossen sind. Man hat dafür den Begriff „Slacktivism“ litätsjournalismus halten? Und ist die reiche norwegische Krimiserie war „Lily- Dann gab es schnell eine Pro-Pegida-Peti- geprägt, der aus den englischen Wörtern Wahrheit wichtiger als eine Geschichte, hammer“, eine Kooperation des norwegi- tion, die wegen der rassistischen Kommen- für „lustlos“ und „Aktivismus“ zusam- die hohe Verkaufszahlen verspricht? Mit schen Fernsehsenders NRK und des tare allerdings geschlossen wurde. So oder mengesetzt ist. Dahinter steht die Furcht, diesen Fragen ist der Zuschauer von der US-amerikanischen Streaming-Anbieters so: Verlagert sich der argumentative dass man politisches Engagement auf ei- ersten Szene an in „Mammon“, dem Netflix aus dem Jahr 2012. Kampf von der Straße ins Netz oder wird nen Mausklick reduziert, sich nicht mehr TV-Dreiteiler des norwegischen Dreh- Doch womit überzeugen die Werke aus online nur die Begleitmusik gespielt? intensiv mit den Dingen auseinander- buchautors Gjermund Stenberg Eriksen Kopenhagen,StockholmundOslo?Exper- setzt und mit anderen diskutiert. In der konfrontiert, der zum Jahresbeginn im tenrechnendieKrimierfolgeausdemNor- Tat wird als wichtigster Grund für die Ersten zu sehen ist. den dem Genre des „Nordic Noir“ zu. Da- Nutzung der Plattform „openPetition“ Schließlich wird die Story abgedruckt. Auf der Spur der Verschwörung: Bei seinen Recherchen gerät der Journalist Peter Verås bei handelt es sich um eine Tradition des der geringe zeitliche Aufwand genannt. Danach ist im Leben des Zeitungsjourna- (Jon Øigarden) selbst in Lebensgefahr. Foto: ARD skandinavischen Kriminalfilms seit den Wissen Sie von erfolgreichen Petitionen? listen Peter Verås nichts mehr wie es war. späten neunziger Jahren, markiert durch Immerhin wurde ZDF-Moderator Markus Eigentlich könnte er seine Arbeit um die komplexePersönlichkeitenundmenschli- Lanz wenn nicht um seine Aufgabe, so Aufdeckung des Wirtschaftsskandals im mund Stenberg Eriksen. Ähnlichkeiten fel zu warten. Diese wird derzeit von che Abgründe, gepaart mit einer Prise Ge- doch um viel Ansehen gebracht. Großunternehmen Hydro feiern. Als zu Stieg Larssons „Millennium“-Triologie NRP produziert und im Januar 2016 in sellschaftskritik. Das gilt auch für „Mam- Sie funktionieren sehr gut bei Themen, Folge seiner Recherchen tritt der Finanz- um den schwedischen Journalisten Mi- Norwegen ausgestrahlt. Die erste Staffel mon“. „Eben nicht der perfekte Krimi- bei denen jeder mitreden kann. Die E-Pe- chef der Firma zurück und soll als Draht- kael Blomkvist und Hackerin Lisbeth Sa- wurde bereits bei den Seoul International held,sondernehereinkomplexerundzer- tition „Gegen die Tarifreform 2013 – zieher des Wirtschaftsskandals zur Ver- lander sind dabei jedoch unverkennbar. Drama Awards im September als beste brechlicherMannmiteinerGeschichtezu Wolfgang Donsbach (li.) ist Professor am In- Gema verliert Augenmaß“ hat 300000 antwortung gezogen werden. Doch bevor Besonders auffällig an der Miniserie Miniserie ausgezeichnet. sein war mein Antrieb“, erklärt Hauptdar- stitut für Kommunikationswissenschaft der Unterstützer gefunden und eine öffentli- es dazu kommen kann, begeht dieser sind die biblischen Anspielungen auf Nach den Zeitungsrecherchen ermit- steller Jon Øigarden und ergänzt: „Die TU Dresden, Benjamin Schürmann wissen- che Diskussion mit angeschoben. Wenige Selbstmord. Was der Zuschauer erst jetzt Abraham, den Stammvater der drei mono- telt auch die norwegische Antikorrupti- Leute mögen heutzutage beides, helle und schaftlicher Mitarbeiter. Fotos: Füssel/promo Tage nach der Übergabe der Unterschrif- erfährt: Er war nicht nur der oberste Fi- theistischen Weltreligionen. Der Serienti- onsbehörde Ökokrim den Fall. Hinter dunkle Schattierungen der Hauptfiguren, ten an Bundesjustizministerin Leutheus- nanzverantwortliche des Konzerns, son- tel „Mammon“ ist ein Begriff, der aus den Kulissen mischen mächtige Wirt- was die Schauspielerei interessanter ser-Schnarrenberger im Dezember 2012 dern auch Peters Bruder. Der Journalist dem Matthäus- und Lukasvers im Neuen schaftsbosse mit. Mysteriöse Spuren und macht als je zuvor.“ Wir haben dazu gerade eine Studie abge- legte die Gema die Reform für 2013 auf hat seinen Bruder ausgeliefert – für die Testament stammt und als personifizier- Das Konzept scheint aufzugehen. Im schlossen. Online-Petitionen kommen da- Eis. Auch lokale Themen laufen gut. Zum gute Story, aber auch um der Gerechtig- ter Reichtum gedeutet werden kann und Durchschnitt schauten 1,3 Millionen nach immer mehr in Mode. Selbst der Beispiel „Gegen überzogene Kitagebüh- keit willen. Es gehe schließlich um rich- zugleich die wohl augenscheinlichste Ver- Die Miniserie wurde bereits Norweger die Serie, das entspricht einer Deutsche Bundestag bietet ja dafür eine ren in Erfurt“ hatte in sechs Tagen fast tig oder falsch, so Peter. bindung zur Heiligen Schrift ist. Die Na- Einschaltquote von 55 Prozent – noch nie Plattform an. Auf dem unabhängigen On- 6000 Unterstützer mobilisiert. Der Bür- „Mammon“ ist eine Produktion des nor- men der Charaktere in der Miniserie tra- in 19 Länder verkauft schalteten mehr Menschen in Norwegen line-Portal „openPetition“ wurden bis germeister nahm eine Vorlage für eine Ge- wegischen öffentlich-rechtlichen Sen- gen häufig biblische Namen wie Peter, Da- den Auftakt einer neuen Serie ein. Mitt- heute über 10000 sogenannte „E-Petitio- bührenordnung daraufhin zurück. ders NRK, die zum ersten Mal im Januar niel und Eva. Bibelstellen werden inner- lerweile haben 19 Länder die Rechte an nen“ erstellt und über zwölf Millionen 2014 im norwegischen Fernsehen ausge- halb der Geschichte zu heimlichen Codes weitere Selbstmorde lassen den Plot ver- „Mammon“ erworben. Der US-amerika- Mal von Nutzern des Internet auch unter- Erstaunlich, wofür um Zustimmung gewor- strahlt wurde. In dem Dreiteiler setzt der und doppeldeutigen Hinweisen. Auch strickter werden. Plötzlich geht es auch nische Sender 20th Century Fox TV schrieben. Nach einer Allensbach-Studie ben wird: Das ZDF soll „Die Anstalt“ nach norwegische Produzent Vegard Stenberg Analogien zur Geschichte der Brüder um die Familiengeschichte der Verås. kaufte die Rechte am Serienstoff sogar, hat rund jeder siebte Deutsche schon ein- „heute“ um 19 Uhr senden, das „Bild“-Girl Eriksen die Drehbuchidee seines Bruders Kain und Abel werden deutlich. Handelt es sich nur um vermeintliche Un- bevor die Serie jemals ausgestrahlt mal an einer Unterschriftenaktion im In- verschwinden, Bundespräsident Gauck die um. „Wenn man die emotional tief ver- Das Besondere an dieser Serie ist, dass terschlagung oder steckt noch mehr da- wurde, und adaptiert derzeit das Format ternet teilgenommen. Das kommt dann Studentin Tugce A. posthum mit dem Bun- wurzelten Ängste und Verdächtigungen sie ohne klassisches Täter-Opfer-Schema hinter? War Daniel Verås nur ein Opfer für den