Plenarprotokoll 12/186

eutscher Bundesta g D

Stenographischer Bericht

186. Sitzung

Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Inhalt:

Erweiterung der Tagesordnung 16103A Augustin, Klaus-Jürgen Hedrich, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der Zusatztagesordnungspunkt 7: CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ingrid Walz, Ulrich Irmer, Dr. Michaela Beratung der Beschlußempfehlung des Blunk (Lübeck), weiterer Abgeordneter Ausschusses nach Artikel 77 des Grund- und der Fraktion der F.D.P.: gesetzes (Vermittlungsausschuß) zu Vorrang für Eigenverantwortung, Privatinitiative dem Gesetz zur Vereinfachung der Pla- und Selbsthilfe nach dem Subsidiari- nungsverfahren für Verkehrswege (Pla- nungsvereinfachungsgesetz) (Drucksa- tätsprinzip in der Entwicklungspolitik chen 12/4328, 12/5284, 12/5763, durch Ausbau und Intensivierung der 12/5983) 16103 C gesellschaftspolitischen Zusammenar- beit (Drucksache 12/5987) Zusatztagesordnungspunkt 8: c) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Dr. Ingomar Hauchler, Hans-Gün- Beratung der Beschlußempfehlung und des ther Toetemeyer, , weite- Berichts des Ausschusses für Gesundheit ren Abgeordneten und der Fraktion der a) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- , , Anne- setzes zur Entwicklungspolitik der Bun- liese Augustin, weiterer Abgeordneter desrepublik Deutschland (Drucksache und der Fraktion der CDU/CSU sowie 12/5960) der Abgeordneten Dr. , d) Beratung des Antrags der Abgeordne- , Hans A. Engelhard, weite- ten Brigitte Adler, Dr. Ingomar Hauch- - rer Abgeordneter und der Fraktion der ler, , weiterer Abgeord- F.D.P.: Einsetzung eines Untersu- neter und der Fraktion der SPD: Dauer- chungsausschusses: HIV-Infektionsge- hafte Wirtschaftsentwicklung in den fährdung durch Blut und Blutprodukte Entwicklungsländern (Drucksache 12/ b) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus 5563) Kirschner, Karl Hermann Haack (Exter- e) Beratung des Antrags der Abgeordne- tal), Dr. Hans-Hinrich Knaape, weiterer ten Konrad Weiß (Berlin) und der Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einsetzung eines Untersuchungsaus- Die demokratische, ökologische und schusses (Drucksachen 12/6035, entwicklungspolitische Gestaltung der 12/5975, 12/6048) 16103D Vergabe von Hermes-Bürgschaften (Drucksache 12/5949) Tagesordnungspunkt 14: Ulrich Schmalz CDU/CSU 16104 D Vereinbarte Debatte zur Entwicklungs- politik Dr. Ingomar Hauchler SPD . . 16106B, 16118B Ingrid Walz F D P 16109 D a) Beratung des Antrags der Abgeordne- ten Dr. Winfried Pinger, Anneliese Dr. PDS/Linke Liste . . 16112B

II Deutscher — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 16: DIE GRÜNEN 16114B Erste Beratung des von der Bundesre-- Carl-Dieter Spranger, Bundesminister gierung eingebrachten Entwurfs eines BMZ 16115D, 16118C Gesetzes zu der am 25. November 1992 in Kopenhagen beschlossenen Ände SPD 16117 D rung und den am 25. November 1992 Anneliese Augustin CDU/CSU 16119A beschlossenen Anpassungen zum Mon- trealer Protokoll vom 16. September Brigitte Adler SPD 16119D 1987 fiber Stoffe, die zu einem Abbau Karin Jeltsch CDU/CSU 16121 B der Ozonschicht führen (Drucksache Alois Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 16122C 12/5977) 16156D Karin Jeltsch CDU/CSU 16123 B Zusatztagesordnungspunkt 6: Helmut Schäfer (Mainz) F.D.P. . . . . 16123 D Aktuelle Stunde be tr. Verhältnis der Hans-Günther Toetemeyer SPD 16124A Bundesregierung zur iranischen Regie- rung angesichts deren behaupteter Ingeborg Philipp PDS/Linke Liste . . . 16125D Verantwortung für den Anschlag auf Dr. Michaela Blunk (Lübeck) F.D.P. . . 16126B vier Iraner in Berlin Dr. Winfried Pinger CDU/CSU 16127B Gerd Poppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 16157B Dr. Ulrich Briefs fraktionslos 16128 C Dr. Rolf Olderog CDU/CSU 16158B SPD 16159A Zusatztagesordnungspunkt 9: a) Vereinbarte Debatte zur Energiepoli- Ulrich Irmer F.D.P. 16160A tik , Staatsminister BK 16161B b) Beratung der Großen Anfrage der Abge- Christian Schmidt (Fürth) CDU/CSU . 16164 A ordneten Dr. und der Gruppe der PDS/Linke Liste: Hal- SPD 16165A tung der Bundesregierung zu den Wolfgang Lüder F.D.P. „Energiekonsensgesprächen" (Druck- 16166A sachen 12/5383, 12/5964) CDU/CSU 16167 A Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister SPD 16168A BMWi 16129D CDU/CSU 16169A Gerhard Schröder, Ministerpräsident des Landes Niedersachsen 16132A Christoph Matschie SPD 16170B Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMU 16135 B Nächste Sitzung 16171A Bernd Henn PDS/Linke Liste 16138B Hans-Ulrich Klose SPD 16140A Berichtigung 16171 Dr. CDU/CSU . . . 16142B, 16146 B Anlage 1 Dr. Wolfgang Schäuble CDU/CSU . . . 16143 C Liste der entschuldigten Abgeordneten . 16173*A Hans-Ulrich Klose SPD 16144A Ingrid Matthäus-Maier SPD 16146A Anlage 2 Volker Jung (Düsseldorf) SPD 16146 C Zu Protokoll gegebene Rede zu Zusatzta- Joseph Fischer, Staatsminister des Landes gesordnungspunkt 9 (Haltung der Bundes- Hessen 16147D regierung zu den „Energiekonsensgesprä- Klaus Beckmann F.D.P. 16151A chen") Volker Jung (Düsseldorf) SPD 16152 C Dr. SPD 16174* B Heinrich Seesing CDU/CSU 16154 C Anlage 3

Tagesordnungspunkt 15: Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- Erste Beratung des von der Bundesre- nungspunkt 15 (Rundfunkneuordnungsge- gierung eingebrachten Entwurfs eines setz) Gesetzes über die Neuordnung der Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekre- Rundfunkanstalten Bundesrechts des tär BMI 16175* A und des RIAS Berlin: Rundfunkneuord- nungsgesetz (Drucksache 12/5825) . . 16156C Dr. Joseph-Theodor Blank CDU/CSU . 16175* D Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 III

Anke Fuchs (Köln) SPD 16176* D Dr. , Parl. Staatssekretär BMU -16179* D Hans-Joachim Otto (Frankfurt) F.D.P. . 16178* B Klaus Harries CDU/CSU 16180* D Konrad Weiß (Berlin) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16178* D Monika Ganseforth SPD 16181* B Dr. Jürgen Starnick F.D P 16182* B

Anlage 4 Dr. Klaus-Dieter Feige BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16183* B Zu Protokoll gegebene Reden zu Tagesord- nungspunkt 16 (Gesetz zur Änderung und zu Anpassungen zum Montrealer Protokoll Anlage 5 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozon- schicht führen) Amtliche Mitteilungen 16184* A

Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16103

186. Sitzung

Bonn, den 29. Oktober 1993

Beginn: 8.30 Uhr

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine den. *) Ich wäre den Geschäftsführern in den Fraktio- Damen und Herren, die Sitzung ist eröffnet. nen außerordentlich verbunden, wenn sie einen sinn- vollen Beitrag zur Verkürzung der heutigen Plenarde- Ich habe dem Hause zunächst einmal eine amtliche batte durch massiven Einfluß auf die Redner leisten Mitteilung bekanntzugeben. Nach einer interfraktio- würden. nellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung erweitert werden, und zwar um die Punkte, die Ihnen Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf: in der Zusatzpunktliste vorliegen: Beratung der Beschlußempfehlung des Aus- 7. Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach schusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes Artikel 77 des Grundgesetzes (Verrnittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Vereinfachung der Planungsverfahren (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur für Verkehrswege (Planungsvereinfachungsgesetz — Vereinfachung der Planungsverfahren für Ver- PIVereinfG) — Drucksachen 12/4328, 12/5284, 12/5763, kehrswege (Planungsvereinfachungsgesetz — 12/5983 — PlVereinfG) 8. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des — Drucksachen 12/4328, 12/5284, 12/5763, Ausschusses für Gesundheit (15. Ausschuß) 12/5983 — a) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Else Ackermann, Berichterstattung: Ulrich Adam, Anneliese Augustin, weiterer Abgeordneter Abgeordneter Dr. Jürgen Warnke und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Gisela Babel, Anke Eymer, Hans A. Engelhard, weite- Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P.: Einsetzung eines Untersuchungsausschusses: HIV-Infektionsgefähr- (Dr. Jürgen Warnke [CDU/CSU]: Nein, dung durch Blut und Blutprodukte danke, Herr Präsident!) b) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Kirschner, Karl — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Hermann Haack (Extertal), Dr. Hans-Hinrich Knaape, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Einset- Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Vermitt- zung eines Untersuchungsausschusses — Drucksachen 12/6035, 12/5975, 12/6048 — lungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß im Deutschen 9. a) Vereinbarte Debatte zur Energiepolitik Bundestag über die Änderungen gemeinsam abzu- stimmen ist. Wer stimmt der Beschlußempfehlung des b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Dag- Vermittlungsausschusses auf Drucksache 12/5983 zu? mar Enkelmann und der Gruppe der PDS/Linke Liste: — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Haltung der BundesregIerung zu den „Energiekonsens- gesprächen" — Drucksachen 12/5383, 12/5964 — Enthaltung der PDS/Linke Liste und des BÜNDNIS- SES 90 ist das Vermittlungsergebnis mit großer Mehr- Von der Frist für den Beginn der Beratung soll, heit angenommen worden. soweit das überhaupt erforderlich ist, abgewichen werden. Für die vereinbarte Debatte zur Energiepoli- Ich rufe nun den Zusatzpunkt 8 auf: tik ist im Ältestenrat eine Redezeit von zwei Stunden vereinbart worden. Die Gesamtgeschäftslage erfor- Beratung der Beschlußempfehlung und des dert es, daß sie möglichst strikt eingehalten wird. Ich Berichts des Ausschusses für Gesundheit gehe einmal davon aus, daß das Haus damit einver- (15. Ausschuß) standen ist. — Das ist offensichtlich der Fall. Dann darf a) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Else ich das als beschlossen feststellen. Ackermann, Ulrich Adam, Anneliese Au- Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß es der gustin, weiterer Abgeordneter und der dringliche Wunsch aller Beteiligten ist und allgemein Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord- begrüßt würde, wenn die Reden zu den Tagesord- nungspunkten 15 und 16 zu Protokoll gegeben wür- *) Anlagen 3 und 4 16104 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg neten Dr. Gisela Babel, Anke Eymer, Hans Überweisungsvorschlag: A. Engelhard, weiterer Abgeordneter und Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit der Fraktion der F.D.P. (federführend) Auswärtiger Ausschuß Einsetzung eines Untersuchungsausschus- Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- ses: HIV-Infektionsgefährdung durch Blut heit und Blutprodukte Haushaltsausschuß gem. § 96 GO d) Beratung des Antrags der Abgeordneten b) zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Brigitte Adler, Dr. Ingomar Hauchler, Ange- Kirschner, Karl Hermann Haack (Extertal), lika Barbe, weiterer Abgeordneter und der Dr. Hans-Hinrich Knaape, weiterer Abge- Fraktion der SPD ordneter und der Fraktion der SPD Dauerhafte Wirtschaftsentwicklung in den Einsetzung eines Untersuchungsausschus- Entwicklungsländern ses — Drucksache 12/5563 — — Drucksachen 12/6035, 12/5975, Überweisungsvorschlag: 12/6048 — Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Berichterstattung: (federführend) Ausschuß für Wirtschaft Abgeordneter Wolfgang Lohmann Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Lüdenscheid) e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Zu diesem Tagesordnungspunkt ist keine Ausspra- Konrad Weiß (Ber lin) und der Gruppe che vorgesehen. Sie erinnern sich, sie hat bereits BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gestern stattgefunden. Wir kommen also gleich zur Die demokratische, ökologische und ent- Abstimmung. wicklungspolitische Gestaltung der Ver- gabe von Hermes-Bürgschaften Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksache 12/6048 zustimmt, den — Drucksache 12/5949 — bitte ich um das Handzeichen! — Wer stimmt dage- Überweisungsvorschlag: gen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung der PDS/ Ausschuß für Wirtschaft (federführend) Linke Liste ist die Beschlußempfehlung einstimmig Ausschuß für wi rtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß angenommen worden. Zu der vereinbarten Debatte liegt ein Entschlie- ßungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 14 a F.D.P. vor, außerdem, wie ich gerade höre, ein Ent- und 14c bis e auf: schließungsantrag der Fraktion der SPD. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Vereinbarte Debatte zur Entwicklungspolitik die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. Ist das a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Haus damit einverstanden? — Auch dies scheint der Dr. Winfried Pinger, Anneliese Augustin, Fall zu sein. Ich kann das als beschlossen feststel- Klaus-Jürgen Hedrich, weiterer Abgeord- len. neter und der Fraktion der CDU/CSU sowie Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem der Abgeordneten Ing rid Walz, Ulrich Abgeordneten Ulrich Schmalz das Wort. Irmer, Dr. Michaela Blunk (Lübeck), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. Ulrich Schmalz (CDU/CSU): Verehrter Herr Präsi- Vorrang für Eigenverantwortung, Privat- dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der initiative und Selbsthilfe nach dem Subsi- letzten entwicklungspolitischen Debatte habe ich diaritätsprinzip in der Entwicklungspolitik meine Genugtuung zum Ausdruck gebracht, daß das durch Ausbau und Intensivierung der Thema nicht mehr in der Anonymität nächtlicher Gesellschaftspolitischen Zusammenarbeit Debattenrunden zur Aussprache kommt. Daß wir heute sogar am Anfang des Tagwerks stehen, macht — Drucksache 12/5987 — sicherlich den Bedeutungszuwachs des Themas Ent- wicklungszusammenarbeit noch einmal signifikant Überweisungsvorschlag: deutlich. Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit (federführend) Meine Damen und Herren, ich habe gewisse Zwei- Auswärtiger Ausschuß fel, ob diese Feststellung mit der öffentlichen Akzep- Innenausschuß tanz korrespondiert. Ich glaube, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß wir c) Erste Beratung des von den Abgeordneten Entwicklungspolitiker spüren, daß es vor allem in Dr. Ingomar Hauchler, Hans-Günther Toe- Zeiten, in denen die binnenwirtschaftliche Entwick- temeyer, Brigitte Adler, weiteren Abgeord- lung nicht besonders positiv ist, Fragestellungen nach neten und der Fraktion der SPD eingebrach- entwicklungspolitischen Leistungen gibt. Um so mehr ten Entwurfs eines Gesetzes zur Entwick- müssen wir dieser Verständigungsschwierigkeit ent- lungspolitik der Bundesrepublik Deutsch- gegenwirken, indem wir uns über prinzipielle Fragen land austauschen, über Fragen der Philosophie, nach — Drucksache 12/5960 — denen wir unsere Entwicklungszusammenarbeit aus- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16105

Ulrich Schmalz richten. Ich glaube, daß der heutige Tag und die Entwicklungsländern bezeuge, gerade in den ärmsten heutigen Entschließungsanträge dazu einen Beitrag Staaten Afrikas, die wir bei unseren Begegnungen leisten können. erfahren konnten und können. Gleichzeitig halte ich die meisten Gesellschaften Afrikas, Asiens und La- Meine Damen und Herren, die jüngste Vergangen- teinamerikas von ihrer Mentalität und ihrer Kultur her heit hat uns vor allem zwei Erfahrungen gelehrt, die für außerordentlich geeignet, für die Entwicklung von wir uns bei unseren entwicklungspolitischen Anstren- dem, was wir eine Zivilgesellschaft nennen und was gungen und Zielen immer wieder vor Augen halten nach den Prinzipien von Eigenverantwortung und müssen. Andererseits haben wir gesehen, daß das Selbsthilfe aufgebaut ist. Ich gehe sogar so weit, zu Zusammenwirken zwischen staatlichen Organisatio- sagen, daß diese Kulturen in ihrem Sinn von Gemein- nen und der Einsatz planwirtschaftlicher Instrumente schaft, von ihrer Mentalität her dafür wesentlich zumindest im Regelfall der schlechtest mögliche Weg besser geeignet sind als wir, die wir ihnen diese entwicklungspolitischer Zusammenarbeit ist. In der Prinzipien empfehlen, uns aber selber in einem über- Konsequenz dieser Einsicht unterstützt meine Frak- zogenen Individualismus einerseits und in erstarren- tion die Politik der Bundesregierung, die Einführung den Strukturen andererseits eingerichtet haben. und Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft in unseren Partnerlände rn zu einem zentralen Element Insoweit ist eine Diskussion in dieser Richtung auch der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit zu eine Reflexion unseres eigenen Verhaltens. Wir kön- machen und der Förderung und Unterstützung von nen dabei sicherlich einmal kritisch hinterfragen, ob Nichtregierungsorganisationen einen zunehmend wir selber diese Prinzipien in unserer Gesellschaft größeren Wirkungsrahmen zu geben. noch beachten. Zusammen mit den Kollegen und Kolleginnen der (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der F.D.P. haben wir Ende Juni dieses Jahres den Antrag SPD) über die Entfaltung der privaten unternehmerischen Meine Damen und Herren, welchen konkreten Initiative der Dritten Welt hier im Plenum eingebracht entwicklungspolitischen Beitrag können wir im Blick und beschlossen. Wir müssen aber auch zur Kenntnis auf diese Zielrichtung zusätzlich leisten? Ich halte den nehmen, daß die Entwicklungsgeschwindigkeit und Aufbau und die Stärkung kommunaler Selbstverwal- das Entwicklungsniveau unserer Partnerländer in tungsstrukturen für eines, vielleicht das bedeutenste immer stärkerem Maße unterschiedliche Anforderun- Feld, auf dem unsere Politik der Förderung ziviler die Zusammenarbeit stellen und gen an regional Strukturen etwas bewirken kann. Das Thema ist verlangt. Durch die Einfüh- differenzierte S trategien einerseits so politisch, daß wir es nicht besser gleich rung marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen al- gesellschaftlichen Kräften der Entwicklungszusam- lein wird in vielen Fällen die Situation vor Ort für die menarbeit überlassen. Menschen noch nicht in entscheidender Weise verän- dert. Es ist andererseits zentraler Baustein der Förderung von Selbsthilfe vor Ort. Denn wenn die politische (Zuruf von der SPD: Etwas Besseres fällt Gemeinde, von den Bürgern getragen, ihre Aufgaben Ihnen nicht ein?) erfüllen kann und gedeiht, dann wird sie auch alle Die Konsequenz aus dieser Einsicht haben wir in Anstrengungen unternehmen, daß die Rahmenbedin- dem vorliegenden Antrag über den Ausbau und die gungen im kleinen stimmen, damit sich die Initiativen Intensivierung der gesellschaftspolitischen Zusam- ihrer Bürger entfalten können. menarbeit formuliert. Ziel dieses Antrags ist eine Dezentrale Strukturen wie die einer starken kom- Politik, die die Entwicklung von Zivilgesellschaften in munalen Selbstverwaltung versprechen aber nicht unseren Partnerländern fördert. Das ist unerläßliche nur mehr Effizienz, sie sind zugleich der entschei- Voraussetzung für einen schnelleren und auch f ried- dende Baustein für eine langfristige Sicherung der lichen und kulturell verträglichen Übergang von einer Demokratie durch die örtliche Beteiligung der Bürger rückständigen und verarmten Gesellschaft in ein am politischen Prozeß. gedeihendes Gemeinwesen. Unseren Beitrag sehe ich hierbei in erster Linie in Meine Damen und Herren, Voraussetzung und dem Transfer von kommunalem, verwaltungstechni- auch Kennzeichnen der Zivilgesellschaft ist der Vor- schem Know-how. Dazu sollten vor allem auch die rang von Eigenverantwortung, Privatinitiative und Bundesländer und die Kommunen ermuntert werden, Selbsthilfe nach dem Subsidiaritätsprinzip. Dieses Programme für die Förderung von Partnerschaften Prinzip verstehen wir dabei nicht nur in einem orga- aufzulegen, die den Austausch von Verwaltungswis- nisatorischen Sinne von Vorrang der kleineren vor der sen zum Ziel haben. Gleichzeitig sollte Hospitation größeren Einheit. Materieller Maßstab ist für uns deutscher Verwaltungsfachleute im Ausland und von immer die Würde des hilfsbedürftigen Menschen, die Ausländern in deutschen Kommunalverwaltungen Frage also, wie er bei seiner Entwicklung am wenig- gefördert werden. sten zum Objekt einer gesellschaftlichen, auch ent- wicklungspolitischen Instanz gemacht wird, wie er Derzeit sind von den etwas über 20 000 Kommunen vielmehr aktiv an der Lösung seiner Not und Unter- in Deutschland nur 500 im Rahmen einer kommuna- entwicklung mitwirken kann. len Entwicklungszusammenarbeit aktiv. Wir sollten gemeinsam dafür werben, daß sich diese Zahl erhöht. Meine Damen und Herren, Sie werden mir sicher Das alles muß in Zeiten, in denen die Kommunen über zustimmen, wenn ich meinen Respekt vor der Würde Geldknappheit klagen, auch nicht nur Geld kosten. und dem Selbstverständnis der Menschen in den Das haben die Kommunen nicht in überreichem 16106 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Ulrich Schmalz Maße, und das ist auch nicht nötig, wenn wir die ment Gesetze verabschiedet hat, um sich in ganz Zusammenarbeit intelligent organisieren. bestimmter Weise qualitativ oder quantitativ auf ein Gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbän- bestimmtes Verhalten festzulegen. den wäre z. B. zu prüfen, ob und in welcher Form eine Die Tatsache, daß wir im entwicklungspolitischen Clearing- und Beratungsstelle für die kommunale Bereich keine gesetzliche Regelung haben, wirkt sich Entwicklungszusammenarbeit eingerichtet werden bisher in verschiedener Hinsicht negativ aus. Wir kann. beklagen eine mangelnde Verbindlichkeit der Ent- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der wicklungspolitik, auch eine mangelnde Kontrolle des SPD) Handelns der Regierung im Parlament. Wir haben in Aufgaben dieser Stelle sollten insbesondere sein, bei den vergangenen Jahrzehnten gesehen, daß wir stän- der Aufnahme und Ausgestaltung kommunaler ent- dig schwankende Konzepte der Entwicklungspolitik wicklungspolitischer Partnerschaften zu beraten, die haben. Praktisch mit jedem Regierungsantritt oder gar Informationen über Chancen und Möglichkeiten der Ministerantritt wechseln die politischen Schwer- kommunalen Entwicklungszusammenarbeit in den punkte, die Instrumente, die Institutionen in der Publikationen der kommunalen Selbstverwaltung zu Entwicklungspolitik. verstärken, austauschwilliges kommunales Fachper- Natürlich ist das keine Voraussetzung für eine sonal zu vermitteln, auf die Nutzung bestehender Verbesserung des Erfolges, der Effizienz und der Fortbildungsinstitutionen hinzuwirken. Stetigkeit in diesem Bereich, die wir dringend brau- Darüber hinaus sollten wir als Entwicklungspoliti- chen. Aber der Mangel an einer gesetzlichen Rege- ker überlegen, wieweit ohne großen Aufwand die lung macht die Entwicklungspolitik auch in besonde- vorhandenen Möglichkeiten verbessert werden kön- rer Weise instrumentalisierbar für andere politische nen. Ich kann mir z.B. durchaus vorstellen, daß der Interessen, die manchmal durchaus vernünftig sein Seniorenexpertenservice der deutschen Wirtschaft können, die aber dazu führen, daß die Entwicklungs- seine Tätigkeit durch die Vermittlung erfahrener politik durch die Einflußnahme von anderen Politik- Kommunalfachleute und Politiker ausweiten bereichen praktisch zum Instrument für andere Ziele könnte. gemacht wird, seien es außenpolitische Interessen, Bei alledem, liebe Kolleginnen und Kollegen, bin seien es wirtschaftspolitische Interessen oder sei es die ich davon überzeugt, daß wir das, was wir durch unser Ambition derer, die missionarisch in die Welt hinaus- Engagement in den Aufbau junger, dynamischer gehen, ihr Modell von Wirtschaft, von Menschenrech- Gesellschaften investieren, durch Anschauungsunter- ten, von Ratio in die Entwicklungsländer übertragen richt für unsere etablierte Gesellschaft in vielfacher wollen und die Entwicklungspo litik als Sanktions- Weise zurückerhalten werden. oder Anreizelement benutzen. Entwicklungspolitik ist also bisher weitgehend Instrument anderer Politikin- Vielen Dank. teressen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir haben diesen Gesetzentwurf nicht eingebracht, um hier eine neue Ideologie vorzustellen oder um eine Kampfansage zu treffen. Im Gegenteil, wir möchten Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Hauchler. diesen Gesetzentwurf als ein Angebot an das gesamte Parlament verstanden wissen, gemeinsam darüber (Hans-Eberhard Urbaniak [SPD]: Professor nachzudenken, wie wir der Entwicklungspolitik eine ist er!) größere Bedeutung geben können. — Wenn ich das in der morgendlichen Stunde ver- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und säumt habe, will ich es gerne nachholen: Herr Profes- dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sor Hauchler, bitte schön. Wir wollen dieses Angebot nicht nur den anderen Fraktionen, sondern auch der Gesellschaft unterbrei- Dr. Ingomar Hauchler (SPD): Schönen guten Mor- ten. Viele gesellschaftliche Gruppen sorgen sich dar- gen, meine Damen und Herren, Herr Präsident! Wir über, daß wir in drei Jahrzehnten bisher nicht in der folgen weitgehend den Grundintentionen dessen, was Lage waren, die Ursachen für Flucht, Vertreibung, Herr Schmalz hier vorgetragen hat. Wir denken, daß Armut, Bevölkerungsexplosion zu bekämpfen. Die gerade die Stärkung kommunaler Selbstverwaltung Parteien stehen in einem Dialog mit gesellschaftlichen ein ganz entscheidender Schritt zur Verbesserung der Gruppen, mit Nichtregierungsorganisationen, mit Kir- Verhältnisse in den Entwicklungsländern ist. chen. Wir werden immer wieder gefragt: Was könnt Lassen Sie mich aber einen anderen Schwerpunkt ihr denn tun, um die Entwicklungspolitik im Sinne hier setzen. Wir haben ja heute verschiedene Themen einer vorbeugenden Friedens - und Sicherheitspolitik auf der Tagesordnung. Ich möchte Ihnen die Initiative zu stärken? der SPD zur Einbringung eines entwicklungspoliti- Ich glaube, daß dieser Gesetzentwurf auch ganz gut schen Gesetzes vorstellen. in die internationale L andschaft paßt. Wir erleben eine Sie wissen, daß anders als in anderen Ländern dramatische Zuspitzung von Bürgerkriegen. Wir wis- — etwa den USA, Schweiz, Schweden, Österreich und sen, daß die Bevölkerung explodiert. Wir wissen, daß anderen Ländern — die Mate rie der Entwicklungs- die Wälder kaputtgehen, die Wüsten sich ausbreiten. politik in Deutschl and gesetzlich nicht geregelt ist. Es Wir wissen inzwischen auch, daß dies eines Tages ist also anders als beispielsweise im Bereich der alles auf uns zurückwirkt. Nur, wir haben noch nicht Sozialpolitik und der Umweltpolitik, wo das Parla- die Kraft, uns genügend auf Ursachenbekämpfung, Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16107

Dr. Ingomar Hauchler auf Politik über den Tag hinaus zu konzentrieren. letzten Endes im wesentlichen nur über eine Global- Deshalb meinen wir, daß es falsch ist, wenn m an im zahl beschließen kann, nicht aber wirklich über die internationalen Bereich immer wieder versucht, an Schwerpunkte: In welchen Ländern, in welchen Sek- den Symptomen der Probleme anzusetzen. Das zeigt toren, für welche Projekte und mit welcher Orientie- sich heute vor allem in dem Durchsetzen einer militä- rung soll die Entwicklungszusammenarbeit durchge- rischen Lösung. Wir glauben, die militärische Lösung führt werden? reicht nicht aus, um die Probleme wirklich zu bewäl- tigen. Wir glauben also, daß für Planung und Kontrolle das Parlament stärker als in der Vergangenheit gefor- (Zuruf von der CDU/CSU: Darin sind wir uns dert ist. ja einig!) Wir sehen gerade jetzt leidvoll, daß das Parlament — Ich freue mich, daß wir uns darüber einig sind. kaum eine Möglichkeit hat, beispielsweise darauf Militärische Aktionen sind zum Teil ungeeignet für einzuwirken, wie deutsche Steuergelder bei der Welt- die Lösung der Probleme bank oder bei der EG ausgegeben werden. (Zustimmung bei der SPD und der F.D.P. — Zuruf von der SPD: Somalia!) (Zuruf von der SPD: So ist es!) — ja, auf Somalia trifft das zu —, zum Teil sind sie Wir wissen aus Berichten vom EG-Rechnungshof und unzureichend, aus internen Berichten der Weltbank — sogenannter Wapenhans-Bericht —, daß in den multilateralen (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Angola!) Institutionen das Geld zum Teil ausgegeben wird, und zum Teil sind sie unbezahlbar, um die Probleme ohne daß wir wirklichen Einfluß auf Qualität, Quanti- zu lösen. Militärische Einsätze sind also zum Teil tät und Schwerpunkte der Projekte haben. Das muß ungeeignet, zum Teil unzureichend und auf die Dauer sich ändern. in jedem Fall unbezahlbar. Das muß uns herausfor- dern, größere Anstrengungen zu unternehmen, um (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Entwicklungspolitik als vorbeugende und wiederauf- Wir geben drei Milliarden DM im Jahr für multila- bauende Friedenspolitik stärker ernst zu nehmen und terale Leistungen aus. Wir entdecken aber immer besser zu konzipieren. wieder, daß da eine Art schwarzes Loch gähnt. Wir als Dem dient dieser Gesetzentwurf, den ich Ihnen jetzt Parlamentarier haben kaum einen Einfluß, wirklich in kurzen Zügen vorstellen möchte. Licht in die Frage hineinzubringen, nach welchen Grundsätzen hier verfahren wird. Das ist schon ein Erstens. Das Gesetz soll eine größere Verbindlich- Beispiel, das es rechtfertigt, zu sagen, das Parlament keit und Eigenständigkeit entwicklungspolitischer sollte eine größere Verantwortung hinsichtlich der Ziele regeln. Ich denke, daß Entwicklung, wenn sie Schwerpunkte, der Länder, der Sektoren usw. über- gelingen und von außen her in den Entwicklungslän- nehmen. Wir schlagen dafür verschiedene Instru- dern gefördert werden soll, als Investition betrachtet mente vor. werden muß. Investitionen erfordern — das kennen wir aus dem privatwirtschaftlichen Bereich — eine Der dritte Gesichtspunkt, der uns in dem Gesetz Stetigkeit der Zielsetzung, eine verbindliche Festle- wichtig ist: Entwicklungspolitik muß Querschnitts- gung von Zielen über einen größeren Zeitraum, klare aufgabe werden. Meine Damen und Herren, wir sind Rahmenbedingungen, innerhalb deren sich die es im Bereich von Umwelt- und Sozialpolitik gewohnt, Akteure bewegen können, und eine Konzentration daß wir das, was wir in der Wohnungsbaupolitik, in der Mittel auf ganz bestimmte Schwerpunkte. verschiedenen Bereichen der Innenpolitik, in der Finanzpolitik, in der Wirtschaftspolitik machen, Deshalb glauben wir, daß es gerechtfertigt ist, zentrale Ziele und Grundsätze der Entwicklungspoli- immer unter das Kriterium stellen: Ist das, was wir dort tik, über die wir uns in diesem Hause ja weitgehend machen, sozialverträglich? Seit einiger Zeit fragen wir auch: Ist es denn umweltverträglich? Wir unterwerfen einig sind, festzuschreiben und damit der Regierung eine feste Basis zu geben, um auch im multilateralen praktisch die gesamte Politik diesen Kriterien von Bereich, unterstützt vom Parlament, unsere deutschen Sozialverträglichkeit und Umweltverträglichkeit. Das haben wir in einem langen geschichtlichen Pro- zentralen entwicklungspolitischen Ziele vertreten, zeß gelernt: zuerst die Sozialverträglichkeit, und jetzt durchsetzen und durchhalten zu können. kommt allmählich die Bedeutung der Umweltverträg- (Beifall bei der SPD) lichkeit in unsere Köpfe. Dem dient der Gesetzentwurf. Das ist in § 1 niederge- Nun ist der weitere Schritt zu tun und zu fragen: Ist legt. Auch in der Präambel wird dazu etwas gesagt. denn unser Handeln in der Verkehrspolitik, in der Der zweite zentrale Zweck ist: Das Parlament soll Wohnungspolitik, in der Finanzpolitik, in der interna- größere Verantwortung übernehmen können und alle tionalen Politik, der Wirtschaftspolitik, der Landwirt- gesellschaftlichen Kräfte in die Diskussion um eine schaftspolitik, der Handelspolitik entwicklungsver- bessere Entwicklungspolitik einbeziehen. Bisher ist träglich? Verträgt sich das, was wir dort tun, wirklich Entwicklungspolitik im wesentlichen Regierungshan- mit unseren Zielen der Armutsbekämpfung, der Sta- deln, und das Parlament vollzieht das nach. bilisierung der Weltwirtschaft, der Menschenrechte usw.? Es gibt eine gesetzliche Grundlage. Sie wissen das, Herr Minister. Das ist das Gesetz zum Bundeshaus- Deshalb denke ich: Wir müssen lernen, auch Ent- halt. Aber dieses reicht nicht aus, weil das Parlament wicklungspolitik zur Aufgabe von Gesamtpolitik zu 16108 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Dr. Ingomar Hauchler machen. Entwicklungspolitik darf nicht in das Ressort tierte Politik verfolgt, das das Geld verwirtschaftet, von Herrn Spranger eingesperrt werden. das aufrüstet und selber die Umwelt kaputtmacht. Es (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke hat keinen Sinn, außer wenn — das sagen wir auch — Hilfsprogramme direkt und unmittelbar der armen Liste) und notleidenden Bevölkerung zugute kommen. Wir Wir sperren die Entwicklungspolitik ein, bei Nr. 18 der müssen aber in Zukunft vermeiden, Regierungen Liste. Entwicklungspolitik kann aber nur erfolgreich Geld zu geben, die diktatorisch regieren, die unver- sein, wenn es eine stärkere Abstimmung zwischen nünftig wirtschaften und die sich insgesamt nicht um Wirtschafts-, Entwicklungs-, Außen-, Finanz- und das Schicksal ihres Volkes kümmern. Deshalb haben Handelspolitik gibt. Das kann dann im Grunde auch wir Kriterien verankert; über diese sind wir uns in nur Chefsache sein; denn wer soll diese Abstimmung diesem Hause einig. zustande bringen, wenn nicht das Gesamtkabinett Was aber diesen Gesetzentwurf auszeichnet, ist und — ich sage es an unsere Partei gerichtet — die eben nicht, daß wir alles neu erfinden. Gerade das Gesamtführung meiner Partei, ob es nun der Partei- wollen wir nicht, sondern wir wollen das, was wir vorstand oder die Fraktionsführung ist. Wer anderes gemeinsam im Ausschuß — oft sehr im Konsens und könnte diese Querschnittsaufgabe überblicken und auch in gesellschaftlichem Dialog — erarbeitet haben, Konsequenzen ziehen als die Führungen der Parteien als Basis für die nächsten Jahre festschreiben, um und der Regierung? darauf wirklich vernünftige, langfristige, stetige Poli- Vierter Gesichtspunkt: Entwicklungspolitik muß tik betreiben zu können. stärker Strukturpolitik werden. In 30 Jahren haben wir erfahren, daß eine Menge Projekte durchgeführt, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten eine Menge Geld ausgegeben worden ist und daß wir der F.D.P.) uns hauptsächlich auf den Gedanken des Tr ansfers Das fünfte Ziel ist — obwohl ich gerade gesagt habe, konzentriert haben: Welcher Art kann der Tr ansfer daß in der Entwicklungspolitik von zuviel Geld sein? Welche Projekte? Wieviel Geld wohin? Wir gesprochen wird, geht es natürlich auch ohne Geld haben immer den Transfer betrachtet, aber zu wenig nicht —, eine Orientierungsgröße festzuschreiben; überlegt, daß Entwicklung im Weltmaßstab unter anders war dies in einem Gesetz nicht möglich. Seit heutigen und sich zuspitzend dramatischen ökologi- Jahren kündigen wir, die Industrieländer, an und schen und sozialen Problemen überhaupt nur dann versprechen, wir würden eines Tages mindestens verbesserbar und entwicklungsfähig ist, wenn wir die 0,7 % unseres Sozialprodukts für die Dritte Welt zur Strukturen verbessern, und zwar in der Weltwirtschaft Verfügung stellen, jetzt auch für die ehemals Zweite die Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Welt. einzelnen Länder, aber auch in den einzelnen Ent- Wir haben es nie erreicht; wir gehen sogar zurück. wicklungsländern selbst. Die letzte Ankündigung erfolgte in Rio durch den (Dr. Winfried Pinger [CDU/CSU]: Bitte mal Bundeskanzler persönlich. Ich denke, wir müssen konkret! Zur Weltwirtschaft!) Schritte zu diesem Ziel hin festschreiben. Das haben wir getan, und ich hoffe, daß Sie mitmachen. Dies — Zur Weltwirtschaft: Ich könnte mir vorstellen, daß schafft eine etwas größere Verbindlichkeit. Ich denke, wir große Probleme hätten vermeiden können, wenn wenn es richtig ist, 7 Milliarden DM pro Jahr für die wir im internationalen Finanzbereich eine Regelung Kohle auszugeben, für die Rettung von Arbeitsplät- gehabt hätten, die die Überschuldung begrenzt, zen — ich unterstreiche das — — (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Hans-Ulrich Klose [SPD]: Vorsicht! — Zuruf oder die eine überbordende, unkontrollierte Kredit- von der CDU/CSU: Sagen Sie das auch in vergabe an Länder oder an Investoren, die nicht Dortmund?) glaubwürdig sind oder die nicht ökonomisch wirt- —Ja, natürlich. Ich sage ja, daß es richtig ist. Hören Sie schaften können, vermieden hätte. doch zu. Es gäbe wirklich sehr viele Möglichkeiten, im (Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie das Rahmen von Weltbank, IWF, UNO oder durch multi- einmal Herrn Schluckebier!) laterale vertragliche Abkommen die Rahmenbedin- gungen zu verbessern. Ich habe gesagt, wenn es richtig ist, diesen Betrag für die Rettung einiger Zehntausender Arbeitsplätze aus- Dies betrifft übrigens auch die Kontrolle von Mono- zugeben — ich betone es nochmal —, dann weiß ich polen in der Weltwirtschaft. Wir haben dort keinen doch aber gleichzeitig, daß der Kumpel, der davon wirklichen Wettbewerb, wir haben national eine profitiert, das nicht auf Kosten der Ärmsten der Welt Monopolkontrolle. Ein internationales Gesetz dazu haben will. Wir Politiker müssen doch dafür sorgen, gibt es nicht. Da läuft die Konzernbildung, die Mono- daß die Dimensionen in bezug auf das, was wir für das polisierung auf allen Kanälen; s trategische Allianzen Inland und was wir für das Ausland tun, noch stim- nenne ich als Beispiel. men. Ich meine also schon, daß wir in der Weltwirtschaft (Beifall bei der SPD) dazu übergehen müßten, auch strukturelle Verände- Das ist der Punkt. Dann kann doch ein zusätzlicher rungen zu konzipieren und durchzusetzen. Betrag von 7 Milliarden DM beispielsweise für die Das gilt natürlich auch für die Entwicklungsländer Entwicklungspolitik nicht zuviel sein. Man muß sich selbst. Es hat keinen Sinn, in einem Land Projekte diese Dimensionen vor Augen halten, um zu entdek- durchzuführen, das selbst keine entwicklungsorien- ken, daß das, was wir in unserem Gesetzentwurf Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16109

Dr. Ingomar Hauchler fordern, nämlich die Orientierungsgröße in Höhe von am Schluß einer Diskussion in einem Nebensatz 0,7 % des Bruttosozialprodukts, nicht unvernünftig ist erwähnen, als eine Art Wort zum Sonntag. Das darf in und daß es auch im Laufe der Zeit leistbar ist. Zukunft nicht mehr geschehen. Es ist ein Test auf unsere Moral, ob wir bereit sind, uns zu einer größeren Meine Damen und Herren, das sind wesentliche internationalen Verantwortung zu verpflichten und Orientierungsgrößen, die wir versucht haben in die- nicht nur davon zu reden. sem Gesetzentwurf festzuschreiben. Es könnte natürlich ein Gegenargument gegen ein Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Pro- solches Gesetz kommen; es könnte heißen: Die Flexi- fessor Hauchler, nachdem Sie meine optischen Sig- bilität der Bundesrepublik Deutschland im interna- nale nicht zur Kenntnis genommen haben, darf ich Sie tionalen Bereich geht verloren. Der Regierung wer- jetzt wenigstens akustisch bitten, zum Schluß zu den zu sehr die Hände gebunden. Ich glaube nicht. kommen. Der Gesetzentwurf — so ist er aufgebaut — läßt genügend Flexibilität dort, wo es nötig ist, für die Dr. Ingomar Hauchler (SPD): Bei mir leuchtet die Regierung zu, Schwerpunkte da und dort zu verän- Schrift „Präsident" auf. dern, zu manövrieren und auch noch außenpolitisch vernünftige Akzente zu setzen. Aber das Gesetz Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das ist das versucht, Festigkeit dort hineinzubringen, wo sie zarte Signal, daß Sie Ihre Redezeit überschritten nötig ist. Das ist bei den Prinzipien der deutschen haben. Entwicklungspo litik, bei den Fragen der Abstimmung mit anderen Politikbereichen, bei der Orientierung als (SPD): Ich weiche gleich Ihrer Strukturpolitik und vor allem auch beim Grundsatz Dr. Ingomar Hauchler sanften Gewalt. Ich sage nur noch einen Satz. der parlamentarischen Kontrolle dieses Politikbe- reichs der Fall. (Zuruf von der CDU/CSU: Er muß ja auch das ganze Gesetz erklären!) Wenn ich Sie noch einmal an den Umweltbereich Ich will noch ein Zitat von einem namhaften Philoso- oder den Sozialbereich erinnern darf, dann werden phen bringen. Sie kennen Hans Jonas, er hat Sie feststellen, daß es nichts Unnormales ist, wenn das gesagt: Parlament die Regierung an gewisse Prinzipien und Verhaltensweisen im Grundsatz bindet. Wenn das im Wir werden diese Probleme der Zukunft nur noch Sozialbereich und im Umweltbereich nötig ist, dann lösen können, wenn es uns wirklich gelingt, eine ist es auch im entwicklungspolitischen Bereich nötig größere zeitliche und räumliche Dimension der und möglich. Moral in die Politik zu bringen. Wir müssen weiter (Beifall bei der SPD) springen. (Zuruf von der SPD: Recht hat er!) Ich darf noch einmal an uns alle appellieren, den Gesetzentwurf als ein Angebot aufzufassen, mit dem Herzlichen Dank. dieses Parlament endlich nach 30 Jahren Entwick- (Beifall bei der SPD) lungspolitik vielleicht eine festere und stetigere Grundlage für die Lösung der Armuts-, Bevölke- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Das Wort rungs- und Entwicklungsprobleme bekommt. Ich erteile ich nunmehr der Abgeordneten Ing rid Walz. appelliere auch an alle gesellschaftlichen Gruppen, die uns schon bei der Vorbereitung dieses Gesetzent- Ing rid Walz (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen wurfs geholfen haben, dabei mitzumachen, das und Herren! Wir müssen auch in dieser Debatte von Gesetz auf den Prüfstand zu stellen. Es handelt sich ja den weltweiten Veränderungen ausgehen. Wir müs- um einen Entwurf; er kann verbessert werden. Des- sen erkennen, daß Europa nicht mehr der Nabel der halb debattieren wir im Parlament, Welt ist und daß die Zukunft dieser Welt von anderen (Zuruf von der SPD: Das ist ein Angebot an Regionen ganz entscheidend mitbestimmt wird. euch! — Gegenruf von der CDU/CSU: Ob es Der Fall der Mauer hat weltweite demokratische sinnvoll ist?) und marktwirtschaftliche Reformen ausgelöst — ich glaube, darüber sind wir uns einig — mit der Folge, auch um so etwas zu verbessern. daß es in der asiatisch-pazifischen Region heute zu Ich glaube, dieses Gesetz — ob wir es zustande Wachstumszentren gekommen ist, von denen wir vor bringen oder nicht — ist ein Test hinsichtlich der 30 Jahren eigentlich nur geträumt haben. Heute hat Weitsicht dieses Parlamentes, nämlich ob es uns die asiatisch - pazifische Wachstumsregion ein Brutto- angesichts der vielen Probleme, die wir zweifellos sozialprodukt aufzuweisen, das bereits in die Nähe haben, noch gelingt, über die Tagestaktik und die von 15 % gerückt ist. China und die ASEAN-Staaten kurzfristige Problemlösung hinauszugucken. Denn in haben Wachstumsraten, die man sich in den traditio- der Entwicklungspolitik versammeln sich wie in nellen Industrieländern, also z. B. bei uns, kaum noch einem Brennglas die verschiedenen Dimensionen der vorstellen kann; wir haben ja eine Minusrate. Politik überhaupt, ob es sich dabei um die Wirtschaft China ist auf dem Weg, zur bald größten Volkswirt- oder die Finanzen handelt oder ob es gesellschaftli- schaft dieser Welt zu werden, aber auch — und dies ist che, kulturelle oder politische Probleme sind. Lassen das Erstaunliche — der lateinamerikanische Konti- Sie uns diese Weitsicht aufbringen. Es ist auch ein Test nent befindet sich in einem fundamentalen Wandel unserer Ernsthaftigkeit, nämlich, ob wir Entwick- mit jährlichen Wachstumsraten von ca. 3 % und einer lungspolitik wirklich ernst nehmen oder sie immer nur Importsteigerung von über 15 %. 16110 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Ingrid Walz Dagegen blieben die wirtschaftlichen und sozialen Wir geben für die Entwicklungszusammenarbeit Entwicklungen Afrikas vor allem im südlichen Afrika 8,4 Milliarden DM aus. Ich frage Sie: Wo bleibt hier die trotz erheblicher Entwicklungshilfeleistungen weit Solidarität mit den Ärmsten dieser Welt? hinter den Fortschritten der anderen Entwicklungsre- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.) gionen zurück. Ursachen dieser krisenhaften Ent- wicklung sind in erster Linie — das wissen wir — die Die Regierungskoalition hat diese Lehren beherzigt unzureichenden wirtschaftlichen und politischen und gesetzliche Initiativen zur Zukunftssicherung des Rahmenbedingungen, kriegerische Auseinanderset- Wirtschaftsstandortes Deutschland ergriffen, gegen zungen sowie ein überproportionales Bevölkerungs- Ihren Widerstand. wachstum. Aber die Zukunft des Kontinents und (Zurufe von der SPD) seiner Menschen hängt davon ab, ob Afrika afrikani- scher wird, ob Afrika einen eigenen Entwicklungsweg Wo aber bleibt die SPD, wenn es darum geht, sich gehen will und gehen kann. auch in der Entwicklungspolitik den neuen Gegeben- heiten einer veränderten multipolaren Welt anzupas- Meine Damen und Herren, Strukturanpassung und sen? Uns liegt ein Gesetzentwurf der SPD vor, der sich Modernisierung beschreiben aber nicht nur den Fort- erstens, meine Damen und Herren von der SPD, durch schritt im Süden, sondern sind auch Thema des Altbekanntes und von der Regierung längst Prakti- Nordens geworden, sind auch unser Thema. ziertes ausweist. (Zuruf von der SPD: Das ist richtig!) (Zurufe von der SPD) Das gerade veröffentlichte Herbstgutachten der wirt- Er ignoriert zweitens die weltpolitischen und wirt- schaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute spricht schaftlichen Veränderungen. Drittens begreift er nicht von fortdauernden konjunkturellen Schwächen in den — und das ist der entscheidende Fehler Ihres Gesetz- Industrieländern, also nicht nur von unserer Schwä- entwurfs —, daß sich Entwicklung fließend vollzieht che, sondern den Schwächen der Industrieländer. und nicht in Paragraphen eines Gesetzgebers im Dafür gibt es zum einen externe und zum anderen Westen, eines Gesetzgebers eines Industrielandes. interne Gründe. Zu den externen Ursachen zählen Starre reglementierende Vorstellungen von der weltweite industrielle Entwicklungen, wie ich sie Gestaltung unserer entwicklungspolitischen Zusam- gerade beschrieben habe, eine Verschärfung des menarbeit werden dem sich rapide vollziehenden internationalen Wettbewerbs sowie die Globalisie- Strukturwandel und den Modernisierungsprozessen rung der Märkte. Neue Anbieter aus dem Süden und im Süden nicht gerecht. aus den osteuropäischen Reformstaaten sind zu ernst- haften Konkurrenten der Industrieländer geworden. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU) Zu den hausgemachten Ursachen unserer Struktur- krise zählen hohe Lohnkosten, hohe Lohnnebenko- Auch vom Glauben — Sie haben ihn angespro- sten, zu hohe Steuern und Sozialabgaben. Das Ergeb- chen —, daß sich mit dem Geldtransfer von Nord nach nis unserer jahrelangen Introvertiertheit, die hier auch Süd oder neuerdings nach Ost die Entwicklungspro- einmal angesprochen werden muß, bleme unserer Partner lösen lassen, muß endlich Abschied genommen werden. Es ist sicherlich richtig, (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) daß wir für die weitere quantitative Verbesserung der und der weltpolitischen Abstinenz holt uns jetzt ein. Entwicklungszusammenarbeit ein finanzielles Ziel Die Vereinigung mit ihren Belastungen darf nicht als brauchen. Ausrede für versäumte oder nicht rechtzeitige Struk- Aber, meine Damen und Herren, die Darlehens- turanpassung gebracht werden. berge, z. B. der Weltbank von 14 Milliarden Dollar, (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der der EG — ich kenne die Zahl nicht genau, es dürften CDU/CSU) aber auch Milliarden Dollar sein — und vermutlich des einen oder anderen bilateralen Gebers weisen deut- Jahrelang haben wir in der Entwicklungszusammen- lich auf institutionelle Mängel und Schwächen in arbeit von unseren Partnern im Süden Reformbereit- unseren Partnerländern hin. Deshalb zählt es inzwi- schaft und Strukturanpassung verlangt. Dieselben schen — ich muß es sagen — zu den Binsenweisheiten Forderungen müssen wir heute an uns selbst rich- der Entwicklungszusammenarbeit, daß Geld allein ten. nicht automatisch Entwicklung bewirkt, ja geradezu (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU — kontraproduktiv ist. Zuruf von der SPD: Und was folgt daraus?) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Hoffentlich führt diese Erkenntnis auch zu mehr Für eine kurzfristige Verdoppelung der Entwick- Verständnis für den schwierigen Anpassungsprozeß lungshilfegelder müssen zuerst die Aufnahmestruk- unserer Partner im Süden. Die Veränderungen der turen vorhanden sein. Diese Erkenntnis ist nicht neu. internen Rahmenbedingungen verlangen von jedem Es ist jedoch sehr schwierig, diese Erkenntnis in die Land schmerzhafte Eingriffe und Anpassungen. Aber, Tat umzusetzen. Sie sind das beste Beispiel dafür. lieber Herr Professor Hauchler, die 7 Milliarden DM Alles andere würde die Fehler der Vergangenheit Kohlesubvention sind eigentlich zu einem Synonym wiederholen. einer verpaßten, verfehlten Strukturanpassung bei Jetzt darf ich an die allseits bekannten Äußerungen uns geworden. unseres Kollegen Dr. Schuster — er hat sich gerade zu (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der Wort gemeldet — erinnern: wasted money. Im Sozial- CDU/CSU) demokratischen Pressedienst vom 22. Oktober 1993 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16111

Ingrid Walz weist Dr. Schuster völlig zu Recht darauf hin, daß im Augenblick ganz konkret in den sich selbst zerstö- nachhaltige Projekte nicht Millionenbeträge ver- renden Ländern Somalia und Burundi. - schlingen wie Großprojekte mit häufig zweifelhafter (Zuruf von der SPD: Da haben wir Waffen Wirkung. geliefert!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Um deutlich zu machen, um was es uns geht, legen Fazit: Diesen Erkenntnissen Rechnung tragend, die Koalitionsfraktionen heute dem Hohen Haus haben die Koalitionsfraktionen wichtige parlamenta- einen weiteren Antrag vor, der die Hilfen bei System- rische Initiativen ergriffen, um die von der Bundesre- und Strukturveränderungen aufzeigt. Dieser Antrag Neuorientierung der deutschen gierung eingeleitete bedeutet Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips, also zu unterstützen. Entwicklungspolitik endlich Hilfe beim Aufbau von unten nach oben, sowie Aufbau von Strukturen der Selbsthilfe und der Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Ab- Selbstverantwortung des einzelnen, der dörflichen geordnete, der Abgeordnete Professor Hauchler und der regionalen Gemeinschaften. möchte gern eine Zwischenfrage stellen. Der afrikanische Staat, meine Damen und Herren, ist nicht nur in seinem Tun für uns, sondern auch für Ingrid Walz (F.D.P.): Ich habe ein Problem, ich habe den afrikanischen Menschen zum Teil unverständ- nur wenige Minuten Redezeit und eine ziemlich lange lich. Rede. Wir können im Ausschuß darüber reden, was (Christoph Matschie [SPD]: Welcher afrika wir ja immer tun. nische Staat?) Ich erinnere an den Beschluß des Deutschen Bun- destages vom 23. Juni 1993 zur Entfaltung der priva- Meine Damen und Herren, um Entwicklungszu- ten, unternehmerischen Initiative, die damit zu einem sammenarbeit nachhaltiger und effizienter zu ma- Schwerpunkt künftiger Entwicklungszusammenar- chen, ist aber auch eine Reform und Neuausrichtung beit gemacht wurde. Die SPD kommt jetzt mit einem auf internationaler und nationaler Ebene nötig. Die ähnlichen Antrag, ich sage nur: reichlich spät. Entwicklungspolitik hat nämlich Speck angesetzt. Gleichzeitig wurde von den Koalitionsfraktionen Zuviel Geld geht bei uns in die Verwaltungs- und ein weiterer wichtiger Antrag eingebracht, der die Personalkosten. Das Entwicklungshilfegeschäft ist zu Entwicklung und den Aufbau von sozialen Siche- einem Unternehmensbereich geworden, der nicht nur rungssystemen in den Entwicklungsländern zum dem fremden, sondern in erster Linie dem eigenen Gegenstand hat. Dieser Antrag, der sich gegenwärtig Nutzen dient. in der parlamentarischen Beratung befindet, gewinnt im Hinblick auf die sehr schwierigen Transformations- (Zuruf von der SPD: Aha! Das stimmt!) prozesse von der Planwirtschaft zur Sozialen Markt- Es ist an der Zeit, sich dies vor Augen zu halten. wirtschaft größte Bedeutung. Wir erleben das in China, wir erleben das in den Ländern der ehemaligen (Beifall bei Abgeordneten der SPD und dem UdSSR. Betriebe dort können nicht privatisiert wer- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den, wenn nicht ein Sozialversicherungssystem auf- Kooperation und Koordination sind künftig ein gebaut wird, das die Bet riebe von den Soziallasten absolutes Muß. Auch die interstellaren entwicklungs- befreit. politischen Raumschiffe der Vereinten Nationen und Meine Damen und Herren, die negativen Erfahrun- der Europäischen Gemeinschaft müssen ins Koordina- gen der Vergangenheit haben allerdings auch deut- tensystem der nationalen und internationalen Ent- lich gemacht: Nachhaltigkeit und Effizienz in der wicklungszusammenarbeit eingefügt werden. Entwicklungszusammenarbeit sowie die Verwirkli- chung der Menschenrechte können nur dann erreicht (Zuruf von der SPD: Was folgt daraus?) werden, wenn es gelingt, die vorhandenen politischen Es kann nicht angehen, meine Damen und Her- Traditionen und Erfahrungen für die nationale und ren — hier muß ich auch einmal mit einem Traum regionale Entwicklung zu nutzen. aufräumen —, wenn in vielen Ländern buchstäblich (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) die eine Hand nicht weiß, was die andere tut, Westliche Entwicklungskonzepte dürfen nicht län- (Zuruf von der SPD: Richtig!) ger kopiert werden. Das Desaster in Afrika ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß Afrik aner nicht afrika- wenn Wettlauf um die besten Projekte Realität ist und nisch gedacht, sondern europäisch gedacht und nicht Verleumdung, wenn zuviel Geld in den „pipe- gehandelt haben. lines" bleibt. Wir haben dies jetzt in Zentralasien erlebt. Dort ist Geld in den „pipelines" der Weltbank (Zuruf von der SPD: Und wir sie dazu erzogen und der Europäischen Gemeinschaft. Die Menschen haben!) sehen nichts von dem Geld. Zumindest haben sie — Gut, das ist eine andere Frage. bisher noch nicht sehr viel davon gesehen. (Lachen bei der SPD) Koordination und Kooperation im Zeitalter des Stabile politische, wirtschaftliche und soziale Rah- Computers sind kein Wunschtraum, sondern in den menbedingungen für die nationale Entwicklung las- Wirtschaftsunternehmen und modernen Verwaltun- sen sich nur durch den Aufbau ziviler pluralistischer gen tägliche Praxis. Auch die Entwicklungszusam- Gesellschaften unter Beteiligung aller Bevölkerungs- menarbeit muß daraus lernen, wenn sie nicht das schichten erreichen. Wir erleben diese Notwendigkeit Schicksal eines Dinosauriers erleiden will. 16112 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Ingrid Walz Darüber hinaus gilt: Was Private können, sollte der auch gewisse Erleichterung. Die Umstände fordern ja Staat nicht tun. Die Förderung der Marktwirtschaft geradezu ein solches Vorgehen. Sie verhindern- aber und der unternehmerischen Initiative, die nach allen die wissenschaftliche Therapie. Diese wiederum ist Erkenntnissen Motor der Entwicklung ist, erhält in unabdingbar, wenn man die Ursachen der Krankheit unseren Partnerländern nur dann Glaubwürdigkeit, aufdecken und die Voraussetzung schaffen will, um wenn die Zusammenarbeit in erster Linie durch Pri- die eigentliche Krankheit und nicht nur die Einzel- vate erfolgt, also Nichtregierungsorganisationen und symptome zu bekämpfen. Unternehmen. Ich bin mit dieser Aussage leider nicht ganz einver- Finanzielle Zusammenarbeit und technische Zu- standen; denn man muß in Beziehung zur Entwick- sammenarbeit müssen sich ergänzen. Das aufwen- lungszusammenarbeit sagen: Die Krankheit ist dige, ja kostspielige Nebeneinander muß beendet bekannt und auch benannt, ihre Ursachen auch. Es ist werden. Deshalb begrüßen wir alle Kooperationsver- fahrlässig oder in diesem Fall eben unterlassene träge in diesem Bereich. Hilfeleistung, wenn nicht mehr als Symptome behan- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) delt werden. Die Patienten, in diesem Fall zighundert Entwicklungshilfe darf kein Selbstzweck sein. Län- Millionen Menschen, werden nicht geheilt; die Armut derquoten dürfen nicht automatisch als Besitzstand und das Elend in den Entwicklungsländern breiten fortgeschrieben werden. sich immer mehr aus. Das ist statistisch erwiesen; es ist eine Tatsache. Deshalb frage ich mich: Worauf basiert (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) eigentlich der Optimismus der Bundesregierung? Es Schwellenländer sind aus der finanziellen Zusam- ist doch heute unverkennbar, daß die Nachteile aus menarbeit herauszunehmen, und das Burden-sharing der Einbindung der Entwicklungsländer in die ist für fortgeschrittene Entwicklungsländer eigentlich ungleiche und undemokratische Weltwirtschaftsord- zur Selbstverständlichkeit zu machen. nung wesentlich nachhaltigere Wirkung haben als die Zur Nachhaltigkeit gehören aber auch neueste Entwicklungspolitik des Nordens. Erkenntnisse. Wir müssen mehr den einheimischen (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Sehr Sachverstand nutzen und die Partnerländer stärker in wahr!) die Projektverantwortung einbeziehen. Meine Damen und Herren, zum Schluß noch ein Was veranlaßt die Bundesregierung, die derzeitige Satz zu einem sehr aktuellen Thema: Somalia, aber entwicklungspolitische Praxis fortzusetzen, obwohl nicht nur Somalia. Wir haben in Afrika 18 somaliaähn- offenkundig keines der globalen Probleme durch sie liche Krisen. Dies bedeutet, daß wir künftig von gelöst wird? Anfang an eine engere Verzahnung zwischen frie- Meine Damen und Herren, Armutsbekämpfung, denserhaltenden und friedensschaffenden Maßnah- Umwelt- und Ressourcenschutz sowie Bildung sind men der Vereinten Nationen mit humanitärer Hilfe, die erklärten entwicklungspolitischen Absichten des Katastrophenhilfe und entwicklungspolitischen Maß- Bundesministers Spranger, die er namens der Bun- nahmen erreichen müssen. desregierung am 8. September 1993 hier im Deut- Meine Damen und Herren, was wir brauchen, sind schen Bundestag verkündet hat. Realismus und realistische Konzepte. Ich fürchte, Sie von der SPD sind von diesem Ziel noch ein ganzes (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Und nichts ist Stück weit entfernt. draus geworden!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Die PDS/Linke Liste ist ebenfalls dafür, daß die [SPD]: Und Ihr wirres Durch Armut weltweit bekämpft, die Umwelt geschützt und einander hat auch keine Perspektiven gebo mit den Ressourcen unseres Planeten pfleglich umge- ten!) gangen wird. Auch Bildung darf nicht nur ein Privileg weniger bleiben, sondern muß allen Menschen zugänglich gemacht werden. Wir übersehen keines- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Ab- wegs, daß entwicklungspolitische Projekte punktuell geordnete Fischer, Sie haben nunmehr das Wort. in ländlichen Gebieten und in Städten Wirkungen erzielen. Dennoch lehnen wir die derzeitige Entwick- lungspolitik als gescheitert ab. Dr. Ursula Fischer (PDS/Linke Liste): Herr Präsi- dent! Kolleginnen und Kollegen! Die heutige entwick- Diese Politik wird auch zukünftig scheitern müssen, lungspolitische Debatte ist durchaus zeitgemäß, und wenn sie nicht als Bestandteil einer solidarischen sie hätte vor allem dann Sinn, wenn die Bundesregie- Gesamtpolitik, insbesondere der Weltwirtschaftspoli- rung, die Koalitionsparteien, signalisieren würden, tik, gestaltet wird. Geschieht das nicht, wird sich die daß sie endlich bereit sind, den vielbeschworenen Weltarmut weiter ausbreiten, die Weltumwelt wird globalen Herausforderungen gerecht zu werden. Bis- unaufhaltsam weiter zerstört, die Weltressourcen wer- her jedoch ist die Bundesregierung leider weit davon den auch in Zukunft vergeudet, und Wissen wird ein entfernt. Privileg einer Minderheit bleiben. Ich komme nicht umhin, an einen Vergleich zu (Ulrich Schmalz [CDU/CSU]: Daß das die erinnern, der wohl nicht ganz neu ist: daß die derzei- DDR sagt, ist unglaublich! Das ist eine Unver tige Entwicklungspolitik noch immer an die Vorge- frorenheit!) hensweise eines nicht besonders versierten Arztes gegenüber seinen Patienten erinnert. Er ist bedacht, — Das ist keinerlei Unverfrorenheit, das muß ich Einzelsymptome zu kurieren, und erreicht zuweilen einmal sagen. Ich habe in der Dritten Welt gearbeitet. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16113

Dr. Ursula Fischer Wenn Sie das auch getan haben, unter DDR-Bedin- kann die sehr komplexen und komplizierten Probleme gungen, dann bitte schön. in den Entwicklungsländern nicht überwinden.- Grundvoraussetzung, um sich Wissen und Bildung (Ulrich Schmalz [CDU/CSU]: Überlegen Sie überhaupt aneignen zu können, ist ein Leben in einmal, was Sie angerichtet haben!) Würde und ohne Not. Satt zu sein ist ein Menschen- Daran ändern auch wohlklingende Reden Ihrerseits recht. Diese elementare Voraussetzung ist, wie wir z. B. im Bundestag nichts. Die Schwerpunkte und wissen, für ein Viertel der Weltbevölkerung nicht Konditionen sind dann an dieser Stelle, so sinnvoll sie gegeben. auch erscheinen, verfehlt. Diese Schlagworte offenba- Kolleginnen und Kollegen, die Investition in den ren eher Ihren Zynismus der heutigen Po litik auf Menschen hat für ein Entwicklungsl and nur dann diesem Gebiet. Sinn, wenn wenigstens die elementaren Vorausset- Der Entwicklungsminister erklärte in der gleichen zungen dafür geschaffen werden, daß die Ausgebil- Rede — ich zitiere —: deten und Qualifizierten in ihren eigenen Heimatlän- dern dann auch tätig werden. Unterentwicklung und Entwicklungspolitik allein vermag jedoch wenig, wenn sie nicht eng mit der Außen-, der Wirt- Überschuldung führen bekanntlich nicht selten als Ergebnis der Strukturanpassungsauflagen des IWF schafts- und der Sicherheitspolitik verflochten ist. und der Weltbank zur Massenarbeitslosigkeit. Das wiederum hat die Abwanderung, den brain-drain, von (Ulrich Schmalz [CDU/CSU]: Das ist doch ausgebildeten Menschen in die Industriestaaten zur richtig! Was ist denn daran falsch?) Folge, die somit billig zu ausgebildeten Arbeitskräften — Natürlich ist das richtig. kommen. Der so entstehende enorme menschliche Ressourcentransfer und die Verluste der Entwick- Daß die Entwicklungspolitik wenig vermag, und lungsländer können durch Almosenvergabe auf bil- zwar dann, wenn sie wie bisher fortgesetzt wird, habe dungspolitischem Gebiet seitens der Industriestaaten ich bereits gesagt. Es ist jedoch ein Trugschluß, in keiner Weise kompensiert werden. Das ist auch anzunehmen, daß die Entwicklungspolitik etwa dann durch Zahlen zu belegen. mehr bewirken kann, wenn sie lediglich eng mit den Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob es dem genannten Politikbereichen der Bundesregierung verflochten wird. Es kommt nicht auf eine Verflech- Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Entwicklungspo- tung an sich an, sondern vielmehr darauf, welche litik gut bekommt, wenn ich hier unsere weitgehende Übereinstimmung kundtue. Inhalte diese Schlüsselbereiche bundesdeutscher Politik ausmachen. Solange die Außen-, Wirtschafts- (Lachen bei der SPD) und Sicherheitspolitik dem Gewinnstreben und den Eine erste Durchsicht des erst vorgestern eingegan- Großmachtambitionen der Elite dieses Landes unter- gen Antrags läßt erkennen — Sie hören ja, was hier geordnet werden und sie das Ziel verfolgen, die neue immer entgegengerufen wird —, daß darin ein Rah- „Weltordnung" mitzuprägen, kann eine solche Ver- men abgesteckt wird, in dem künftige Entwicklungs- knüpfung nur eines bewirken, nämlich daß die Rei- politik gestaltet und von konjunkturellen parteipoliti- chen noch reicher und die Armen noch ärmer werden. schen Überfrachtungen freigehalten werden soll. Eine Eine Verknüpfung der genannten Politikbereiche mit Umsetzung dieses Gesetzes würde nicht zuletzt auch der Entwicklungspolitik würde erst dann positive weitere sogenannte Nullrunden, wie das für entwick- Wirkungen zeitigen können, wenn die Bundesregie- lungspolitische Vorhaben 1994 vorgesehen ist, aus- rung bereit wäre, die Außenpolitik zu entmilitarisie- schließen. ren, die Außenwirtschaft gerecht und solidarisch zu gestalten und die Sicherheitspolitik auf die Sicher- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) heitsbedürfnisse aller Völker unserer Erde auszurich- Solche Nullrunden kann sich Deutschland angesichts ten. der weltweiten Herausforderungen und der Verspre- Meine Damen und Herren, Entwicklungspolitik chungen des Bundeskanzlers nicht leisten. darf nicht zu einer Katastrophenverhütungspolitik Die PDS/Linke Liste würde es begrüßen, wenn verkommen. Ihr Hauptanliegen sollte die Hilfe für neben dem Gesetz zur Entwicklungspolitik die solida- Millionen Menschen sein, die tagtäglich um das rische Entwicklungszusammenarbeit zum Verfas- Leben und das Überleben ringen. Die globale sungsgrundsatz erklärt werden würde. menschliche Sicherheit wäre zweifellos eine neue politische Vision für die Gestaltung der Nord-Süd- Mit besonderem Nachdruck möchte ich die Aus- Beziehungen. Indem wir die Idee von der globalen sage über die Entwicklungsverträglichkeit der menschlichen Sicherheit — im Gegensatz zur globa- Gesamtpolitik der Bundesregierung unterstützen. len Sicherheit zwischen den Staaten — aufgreifen, die Das würde die Entwicklungspolitik aus ihrem engen auch in UN-Gremien diskutiert wird, unterstützen wir Ressortdasein herausführen und ihre bisherige margi- die Forderung, mehr in die Entwicklung der Men- nale Rolle überwinden helfen. schen des Südens zu investieren, d. h. vor allem in die Da ich mich zeitlich sehr beschränken muß, mache Ausbildung. ich nur noch wenige Bemerkungen zu den Hermes Gleichzeitig möchte ich an dieser Stelle vor einer Bürgschaften. illusorischen Vereinfachung warnen. Der Nord-Süd- Kolleginnen und Kollegen, Exportförderung bei Konflikt ist ein komplexes Problem. Er läßt sich allein ökologisch und entwicklungsspolitisch schädlichen durch Bildung der Menschen, so wichtig sie auch ist, Projekten und von militärisch nutzbaren Gütern sind nicht lösen. Ein Problem allein, auch das der Bildung, gängige Praxis. Ohne Rücksicht auf die bekannten 16114 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Dr. Ursula Fischer katastrophalen Folgen in den Empfängerländern ent- unserem eigenen praktizierten Wirtschaftsmodell, scheiden Wirtschafts- und Außenministerium im andererseits fehlt uns der Mut zur Alternative. Interesse der bundesdeutschen Wirtschaft. Das Anspruchs- und Mitspracherecht des Umwelt- und Auch jenseits des gescheiterten sozialistischen Entwicklungsressorts steht lediglich auf dem Papier Experiments gab und gibt es genügend Gegenent- bzw. ordnet sich in letzter Konsequenz den außenpo- würfe. Ich denke an die klugen Grundsätze der litischen und außenwirtschaftlichen Belangen unter. katholischen Soziallehre, an die kühne Vision des In der gegenwärtigen Handhabung schaffen Hermes- Zweiten Vatikanischen Konzils, an die Mahnung des Bürgschaften die Probleme wie Fluchtbewegungen, Club of Rome und an die weitsichtigen Impulse des Verstädterung, Umweltzerstörung etc., die die Ent- konziliaren Prozesses. Wir wissen doch nicht erst seit wicklungspolitik später meist erfolglos zu lindern heute, daß unser Planet untergehen müßte, wenn versucht. unser Lebensstandard, unser Wohlstand, unser Ver- brauch an Energie und Ressourcen überall auf der Aber wenn deutsche Entwicklungspolitik ihren Erde Maßstab wäre. Aber natürlich haben wir nicht Ansprüchen gerecht werden wi ll, kann das für Her- das Recht, anderen das, was wir haben, zu verwei- mes-Bürgschaften nur heißen: nicht Einvernehmen, gern. Hier bleibt ein unauflösbarer Widerspruch. Der sondern Zustimmung des BMZ als Voraussetzung für Anspruch, der im Gesetzentwurf der SPD formuliert die Gewährung von Ausfuhrbürgschaften. ist, nämlich das Bevölkerungswachstum in Einklang Meine Damen und Herren, ich fordere uns alle und mit den globalen Ressourcen zu bringen, ignoriert insbesondere die Bundesregierung an dieser Stelle diesen Widerspruch. auf: Lassen Sie uns endlich im Sinne der Präambel des sozialdemokratischen Gesetzentwurfes handeln, in- (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig!) dem wir das Recht eines jeden Volkes anerkennen, seinen eigenen Entwicklungsweg zu bestimmen! Las- Das ist ein zu simples und unbrauchbares Rezept. sen Sie uns dazu beitragen — ich zitiere —, „zu einer Damit leistet die SPD der zwar verbreiteten und gerechten und ökologisch verantwortlichen, zugleich populären, aber falschen Auffassung Vorschub, daß leistungsfähigen Weltwirtschafts- und Sozialord- das Bevölkerungswachstum die Ursache von Armut nung" zu kommen. Dies wäre im Sinne von Demokra- und Hunger sei. Dieser Zusammenhang besteht in tie und Menschenrechten. Eine solche Entwicklungs- vielen Ländern so nicht. Vielmehr ist das Bevölke- politik wäre in der Tat ein unverzichtbarer Teil rungswachstum eine Konsequenz dieser Armut. Hier globaler Friedenspolitik. wird ein komplexer Zusammenhang unzulässig ver- einfacht. Eine Landreform würde in vielen Ländern (Beifall bei der PDS/Linke Liste sowie bei den notwendigen Beitrag zur effizienteren Nutzung Abgeordneten der SPD) der Ressourcen leisten.

Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile Es ist mittlerweile doch eine Binsenweisheit, daß nunmehr dem Abgeordneten Konrad Weiß das nur 20 % der Erdbevölkerung, zu denen wir gehören, Wort . 80 % der Vorräte an Energie und Rohstoffen verbrau- chen. Wir, die Industrieländer, sind am Zuge. Wir müssen den Verbrauch reduzieren, das Wachstum Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): beschränken und auf Wohlstand dort, wo er zur Sünde Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den wird, verzichten. Die Entwicklungsländer haben noch Anträgen zur Entwicklungspolitik, die heute zur Dis- ein großes Aufholpotential, bevor wir uns über sie und kussion stehen, ist bei durchaus unterschiedlichen ihren Ressourcenverbrauch echauffieren dürfen. Ansätzen das Bemühen gemeinsam, die Entwick- lungszusammenarbeit effizienter zu gestalten und zu Wenn wir wirklich einen sinnvollen Beitrag für eine wirksamen Veränderungen in den Entwicklungslän- Weltordnung leisten wollen, in der es sich nicht einige dern beizutragen. wenige auf dem Rücken vieler wohl sein lassen, Zugleich werden in allen Anträgen — unser eigener müssen wir über strukturelle Änderungen der Welt- eingeschlossen — aber auch die Grenzen sichtbar, an wirtschaft und unseren eigenen Anteil daran nach- denen solche radikalen Veränderungen scheitern denken. müssen. Es ist das egoistische, ungerechte System der Scheitert beispielsweise die Uruguay-Runde durch Weltwirtschaft, das die reichen Länder immer reicher das Festhalten der Industrieländer am Agrarprotektio- und die armen immer ärmer macht. nismus und an veralteten Industriezweigen, so müß- Im SPD-Antrag „Dauerhafte Wirtschaftsentwick- ten die ehemaligen Ostblockländer und viele Ent- lung in den Entwicklungsländern" wird das Dilemma wicklungsländer die größten Wohlfahrtsverluste hin- der Entwicklungspolitiker besonders deutlich. Er nehmen. betont die kulturelle Autonomie der Empfängerländer und ihren Anspruch auf eine eigenständige Entwick- Die Studie der Weltbank und der OECD belegt, daß lung. Völlig zu Recht warnt er davor, das ausschließ- diese Länder bereit wären, ihre Schutzmauern weit- lich auf Wachstum orientierte Wirtschaftsmodell der gehend zu beseitigen, und daß sie während der Industrieländer zu übertragen. Doch die sich anschlie- vergangenen Jahre erhebliche Anstrengungen zur ßenden Feststellungen und Forderungen bieten kei- Öffnung ihrer Märkte unternommen haben. Ihre nen Freiraum für eine derartige eigenständige Ent- marktwirtschaftliche Entwicklung jedoch, die wir ja wicklung, sondern setzen auf marktwirtschaftliche wünschen, wird durch die gegenwärtigen Bedingun- Modelle europäischer Prägung. Der Antrag ist darin gen im Welthandel gefährdet und durch den erhebli- durchaus symptomatisch. Einerseits warnen wir vor chen protektionistischen Druck gestört. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16115

Konrad WeiB (Berlin) Sonderinteressen, die nur kurzfristig Arbeitsplätze Zusammenarbeit, folgerichtig erklärt, daß die Bun- sichern, langfristig aber zur Fehlallokation führen und desregierung an einer entwicklungspolitischen Kon- den notwendigen Strukturwandel verhindern, sollten ditionierung nicht interessiert sei. endlich zugunsten von Entscheidungen aufgegeben Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sieht das werden, die der Wohlfahrt aller dienen. ganz und gar anders. Gerade weil wir in den Hermes- In Zeiten der Rezession aber treten entwicklungs- Bürgschaften ein brauchbares Instrument sehen, und umweltpolitische Interessen noch weiter in den durch das der Handel mit den Entwicklungsländern Hintergrund. Daß dadurch letztlich auch die eigene erleichtert und gefördert werden könnte, halten wir Existenzgrundlage zerstört wird, wird verdrängt. Der eine Konditionierung für erforderlich. Dazu gehört die Vorschlag im Gesetzentwurf der SPD zu einer Regel- Beachtung der Menschenrechtssituation ebenso wie prüfung der Entwicklungsverträglichkeitist ein inter- die Berücksichtigung von umweltpolitischen und ent- essanter Ansatz für eine neue entwicklungspolitische wicklungspolitischen Kriterien. Verantwortlichkeit. Wir fordern ferner Transparenz im Vergabeprozeß. Der vorliegende Antrag unserer Gruppe zur Ver- Die Vergabe von Hermes-Bürgschaften bedarf end- gabe von Hermes - Bürgschaften greift ein schwieriges lich einer gesetzlichen Grundlage. Bisher ist es Praxis, und brisantes Thema auf. Diese Bürgschaften standen in den jährlichen Haushaltsgesetzen lediglich eine in der Vergangenheit oftmals im Widerspruch zu Obergrenze für das insgesamt ausstehende Bürg- entwicklungs- und umweltpolitischen Interessen. schaftsvolumen verbindlich festzulegen. Art, Umfang und Voraussetzungen für die Übernahme der Aus- So wurden Hermes-Bürgschaften für Rüstungsge- fuhrgewährleistung aber sind nicht gesetzlich gere- schäfte mit der Türkei, mit Algerien, Rumänien, gelt. Mexiko und dem Iran gegeben. Noch weniger wurden Menschenrechtskriterien berücksichtigt. Selbst im Die Kontrolle wird zwar durch den Haushaltsaus- Falle Südafrika haben Bundesregierungen in der schuß des Deutschen Bundestages vorgenommen, Vergangenheit Entscheidungen ohne Rücksicht auf aber eine regelmäßige Unterrichtung der Öffentlich- dessen Apartheidpolitik getroffen. Innerhalb der letz- keit findet nicht statt. ten zehn Jahre wurden Exporte nach Südafrika im Nach unseren Vorstellungen soll künftig die Bun- Volumen von 15,7 Milliarden DM abgesichert. desregierung einmal jährlich dem Deutschen Bundes- Ein anderes schlimmes Beispiel. Im Mai 1992 wurde tag ausführlich Rechenschaft geben. Am Entschei- vom Haushaltsausschuß die Verbürgung eines Kraft- dungsprozeß im interministeriellen Vergabeausschuß werkes für den Iran — ausgerechnet für den Iran — in sollen künftig das Bundesumweltministerium sowie Höhe von 864 Millionen DM zustimmend zur Kenntnis relevante Nichtregierungsorganisationen beteiligt genommen. werden. Das entspräche unserer gemeinsamen Forde- rung, Entwicklungspolitik endlich als Querschnitts- Die Liste jener Projekte, die weder entwicklungs- aufgabe zu begreifen. politisch noch umweltpolitisch sinnvoll waren, ist erschreckend lang. Die gegenwärtige Praxis über- Ich danke Ihnen. frachtet das Ins trument der Hermes-Bürgschaften und belastet den Haushalt der Empfängerländer ebenso wie den Bundeshaushalt. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile Auf Grund der akuten Zahlungsprobleme vieler nunmehr dem Bundesminister für wirtschaftliche Länder haben sich die Hermes-Bürgschaften mehr Zusammenarbeit und Entwicklung, Carl-Dieter und mehr zu einem Verschuldungsinstrument entwik- Spranger, das Wort. Herr Minister, Sie haben das kelt. Für zahlreiche Länder des Südens ist die Ver- Wort. schuldung aus Hermes-verbürgten Geschäften inzwi- schen beträchtlich höher als aus der Entwicklungszu- sammenarbeit. Carl - Dieter Spranger, Bundesminister für wirt- schaftliche Zusammenarbeit: Herr Präsident! Meine Andererseits hat die Bundesregierung Deckungen Damen und Herren! Die Entwicklungspolitik befindet übernommen, die im Widerspruch zur Bundeshaus- sich in einer neuen Epoche. Das Ende der militäri- haltsordnung stehen, die vorschreibt, daß Bürgschaf- schen Bedrohung und ideologischen Konfrontation ten nicht übernommen werden dürfen, wenn der durch den früheren Ostblock hat auch die Welt der Bundeshaushalt vorhersehbar belastet wird. Entwicklungsländer verändert. Freiheit und Demo- Das kumulierte kassenmäßige Defizit der Export- kratie und eine Wirtschaftsverfassung, die sich am kreditversicherung hatte im September 1993 nach Markt orientiert und die Privatinitiative in den Vor- Angaben der Bundesregierung 14 Milliarden DM dergrund stellt, haben sich als allen anderen Modellen erreicht. und Alternativen überlegen erwiesen. Die sozialisti- Das alles macht deutlich, daß bei der Vergabe der schen Irrwege gingen allesamt ausschließlich zu Hermes-Bürgschaften ausschließlich deutsche Ex- Lasten der Menschen, indem sie ihnen die persönliche portinteressen berücksichtigt werden. Das Instrument Freiheit nahmen. wird zur Exportsubvention mißbraucht und dem (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU eigentlichen Zweck entfremdet. sowie des Abg. Hermann Rind [F.D.P.]) Der damalige Bundeswirtschaftsminister Mölle- Der politische Umbruch hat auch den Entwick- mann hat dann auch am 23. September 1992 vor lungsländern neue Impulse gegeben. Weltweit erken- unserem Ausschuß, dem Ausschuß für wirtschaftliche nen wir Reformbemühungen, die sich von zentralisti- 16116 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Bundesminister Carl-Dieter Spranger schen, planwirtschaftlichen S trukturen abwenden Entwicklung statt Rüstung, Bildung statt Bevormun- und nach tragfähigen neuen Wegen suchen. dung, Beteiligung statt Unterdrückung. Es ist das Verdienst dieser Bundesregierung und der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sie tragenden Koalitionsfraktionen, darauf schnell Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie und umfassend reagiert zu haben. Vordringlicher sehen, daß die Aussagen Ihres Antrages zu einer Ansatzpunkt ist die Umformung von politischen und „dauerhaften Wirtschaftsentwicklung in den Ent- gesellschaftlichen Systemen. Wir wollen erreichen, wicklungsländern" bei der Regierung und den Koali- daß die Menschen selbst mitentscheiden, daß sie sich tionsfraktionen schon längst Allgemeingut sind. selbst helfen (Lachen bei der SPD) (Beifall der Abg. Ingrid Walz [F.D.P.]) Zusammen mit unseren Partnerlände rn arbeiten wir und selbst Verantwortung mit übernehmen können. daran, die Rahmenbedingungen für wirtschaftlichen Staatliche Eliten, die nur ihre Machtabsicherung und und sozialen Fortschritt zu verbessern. Bereicherung im Auge haben und den Entfaltungswil- len der Bevölkerung unterdrücken, sind nicht unsere (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Reichlich Partner. spät! — Ulrich Schmalz [CDU/CSU]: Das Leben bestraft!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Diesen konstruktiven Ansatz in unserer Konzeption Entwicklungsprozesse sind nur dann nachhaltig, möchte ich noch einmal herausstellen. Es geht uns wenn sie von der Mehrheit ge tragen sind nicht darum, Hürden für die Partnerländer zu errich- ten. Wir wollen ihnen vielmehr durch unmittelbare (Ingrid Walz [F.D.P.]: Richtig!) Unterstützung von Demokratisierungsprozessen und und wenn sich die Bevölkerung, die wir mit unserer Reformen Anreize geben. Zusammenarbeit erreichen wollen, mit den Maßnah- Deswegen sind Vorhaben der Dezentralisierung, men identifiziert und selbst aktiv wird. der kommunalen Selbstverwaltung, der Rechtsbera- Entwicklungspolitik umfaßt daher nicht mehr nur tung, der Verwaltungsreform, des Menschenrechts- die wirtschaftliche und soziale Entwicklung; sie hat schutzes und der Demobilisierung inzwischen welt- eine politische Dimension, die heute mehr denn je in weit fester Bestandteil auch der staatlichen Entwick- den Vordergrund tritt. Niemand kann mehr die Augen lungszusammenarbeit. davor verschließen, daß die politischen Rahmenbe- (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Mit 0,3 %!) dingungen ausschlaggebend für den Erfolg von Ent- wicklungsvorhaben sind. Dabei arbeiten wir Hand in Hand mit Nichtregie- rungsorganisationen, insbesondere den Kirchen und Ich möchte noch einmal mit aller Deutlichkeit beto- politischen Stiftungen, die sich schon lange erfolg- nen: Entwicklungszusammenarbeit allein kann die reich auf dem Gebiet der Demokratisierung einset- Welt nicht verändern. Entwicklung kann nicht von zen. außen gemacht werden. Auf der Herbsttagung der Weltbank und des Inter- (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Aber von nationalen Währungsfonds und bei meinen jüngsten außen verhindert werden!) Gesprächen auch mit Kollegen aus der Europäischen Gemeinschaft wurde mir erneut bestätigt, daß unsere Wir können nur unterstützend wirken. Entscheidend entwicklungspolitische Konzeption auf breite Zustim- ist aber der politische Wille der Partnerregierungen. mung stößt und der internationalen Diskussion neue (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Impulse vermittelt hat. der F.D.P.) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deshalb ist es uns ein besonderes Anliegen, daß die Der vorliegende Antrag zur Eigenverantwortung, Partnerregierungen ihre Eigenverantwortung erken- Privatinitiative und Selbsthilfe nach dem Subsidiari- nen und wahrnehmen. Entwicklungspartnerschaft tätsprinzip enthält Vorschläge, denen die Bundesre- kann nur mit Leben erfüllt werden, wenn beide Seiten gierung nicht nur überwiegend zustimmt, sondern die ihren Beitrag leisten und über Mittel und Wege die Bundesregierung überwiegend bereits beherzigt Übereinstimmung besteht. und praktiziert. Die Bundesregierung hat mit ihrer entwicklungs- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — politischen Konzeption die notwendigen Konsequen- Lachen bei der SPD) zen frühzeitig gezogen. Gerade im Hinblick auf die politische Dimension von Entwicklung zeigt sich, daß Ich möchte jedoch deutlich machen, daß wir bei aller die von unseren entwicklungspolitischen Kriterien Unterstützung des Subsidiaritätsprinzips den Staat umrissenen Bereiche an der richtigen Stelle ansetzen. nicht aus seiner Verantwortung entlassen dürfen. Die Forderungen nach Teilhabe der Bevölkerung an (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Richtig!) politischen Entscheidungen, nach marktwirtschaftli- Dies gilt zum einen für unsere Partnerregierungen. chen Reformen, nach einer verantwortlichen Regie- Die erforderlichen umfassenden Reformen in Politik, rungsführung beschreiben die unerläßlichen Voraus- Wirtschaft und Gesellschaft nehmen in erster Linie die setzungen für Entwicklung. Regierungen in die Pflicht. Es gilt aber auch für uns. So Auch den meisten Partnerländern ist ja in der wertvoll der Beitrag der Nichtregierungsorgani- Zwischenzeit klar: Der erfolgreichere Ansatz heißt sationen bei der Begleitung der gesellschaftlichen Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16117

Bundesminister Carl-Dieter Spranger Umbruchprozesse ist, so wichtig ist es aber auch, daß rechtliche Vereinbarungen sehr wohl eine rechtliche sich die staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit Grundlage. Es macht keinen Sinn, das noch enger- zu ihren spezifischen Einflußmöglichkeiten auf die Part- fassen. Die Flexibilität des Regierungshandelns ist nerregierungen verstärkt der politischen Entwicklung ganz entscheidend; ich stimme Frau Walz ganz aus- annimmt. drücklich zu. Daß wir diese Flexibilität auch sinnvoll nutzen, haben wir durch schnelle und sinnvolle Reak- (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Wir brauchen tionen in bezug auf Osteuropa gezeigt. Auch andere auch dort einen Staat im Staat!) aktuelle Fälle, wie Burundi, Hai ti, Togo, Zaire, Sambia — So pauschal würde ich es nicht sagen, Herr Schu- oder Vietnam zeigen, daß wir schnell und wirksam mit ster. Aber wir brauchen einen Staat, der handlungsfä- den eingespielten Verfahren und Instrumenten rea- hig ist und auf den wir Einfluß nehmen können und gieren können. Ich möchte hier Frau Kollegin Walz in der im Hinblick auf die Einflüsse auch etwas umzu- ihrer Analyse ausdrücklich zustimmen. setzen in der Lage ist. Außerdem würden wir einen künstlichen Gegen- (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Nachtwächter satz zwischen Regierungspolitik und Opposi tion kon- staat!) struieren. Es war doch unser gemeinsames Anliegen — das war auch ein großer Vorteil —, daß deutsche Wir tun das bereits in großem Maße. Ich möchte nur Entwicklungspolitik in den Grundlinien immer auf drei Beispiele aus etwa 50 Vorhaben dieser Art einen breiten Konsens zwischen den Parteien fußte. nennen. Mit der VN-Wirtschaftskommission für Ich habe einen solchen breiten Konsens vielen Passa- Afrika fördern wir die Beteiligung von Nichtregie- gen der Rede vom Kollegen Hauchler entnehmen rungsorganisationen an umweltpolitischen Entschei- können. dungen, in Niger wird mit Hilfe deutscher Berater das Verfassungs- und Verwaltungsrecht reformiert, und in Im übrigen: Die Verankerung der Entwicklungs- Äthiopien unterstützen wir den Aufbau einer regiona- politik in unserer Gesellschaft sollte etwas an den len Verwaltung. Umfrageergebnissen und auch an dem hohen Spen- denaufkommen der deutschen Bevölkerung zugun- (Hans-Günther Totemeyer [SPD]: Sehr sten der Entwicklungsländer gemessen werden. gut!) Das Anliegen der SPD, der Entwicklungspoli tik zu Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr größerer Bedeutung zu verhelfen, ist durchaus aner- Minister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu be- kennenswert. Herr Professor Hauchler, den Stellen- antworten? wert der Entwicklungspolitik verbessern ist eine wichtige Aufgabe. Dem kann man nur zustimmen. Ich Carl-Dieter Spranger, Bundesminister für wirt- bin insofern für diese Unterstützung dankbar. Auch schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Bitte was den Inhalt, die Schwerpunkte und die Rahmen- sehr. bedingungen anlangt, gibt es zweifelsohne viel Über- einstimmung. Diesen Stellenwert der Entwicklungs- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Bitte sehr, politik aber mit Hilfe eines Gesetzes zu erreichen, Herr Kollege. halte ich für etwas illusorisch und auf jeden Fa ll für den falschen Weg. Christoph Matschie (SPD): Herr Minister, wollten Um auf Frau Fischer zu kommen: Ich habe das Sie eben mit Ihren Ausführungen zum Ausdruck Gefühl, daß die von Ihnen geforderte Zustimmung bringen, daß Gesetze die Flexibilität einer Regierung eine zusätzliche Belastung des Gesetzgebungsvorha- einschränken? bens ist. Wir wollen aber sicherlich in aller Offenheit diskutieren und beraten. Carl-Dieter Spranger, Bundesminister für wirt- (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Lassen Sie sich schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Nein, nicht beschweren!) ich habe gesagt, daß diese beiden Gesetze, die heute angeregt werden, die Handlungsspielräume und die — Es beschwert mich nicht, Herr Professor Hauch- flexible Entscheidungskompetenz der Regierung in ler. unnötiger Weise beengen und daß sie deswegen In allen Industrieländern spricht man von Deregu- überflüssig erscheinen. lierung, Entbürokratisierung und Verwaltungsverein- (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Wir sind doch keine fachung. Die Bundesregierung führt ein umfangrei- Akklamationsmaschine! — Dr. Ingomar ches Programm der Entrümpelung von Gesetzesvor- Hauchler [SPD]: Am liebsten ohne Parla schriften durch; wie schwer es ist, da Erfolge zu ment!) erzielen, wissen wir alle. Auch dies ist aber ein Beitrag zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Wir brauchen auch kein Hermes-Gesetz, wie es das Jetzt will man neue, überflüssige und verbürokratisie- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vorschlägt. Der rechtli- rende Gesetze. Das kann nicht der richtige Weg che Rahmen für die Ausfuhrgewährleistung des Bun- sein. des ist ausreichend. Hermes ist ein Instrument der Außenwirtschaftspolitik. Entwicklungspolitische Be- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) lange werden jedoch im interministeriellen Ausschuß, Auch die Begründungen können jemanden, der in dem das BMZ vertreten ist, berücksichtigt, und dies sich ernsthaft mit Entwicklungspoli tik beschäftigt, in zunehmendem Maße. nicht überzeugen. Die Entwicklungspolitik hat durch Man sollte nicht übersehen, daß in vielen Fällen das Haushaltsgesetz und durch zahlreiche völker- über Bundesbürgschaften ökologisch sinnvolle Pro- 16118 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Bundesminister Carl-Dieter Spranger jekte erst möglich werden. Denken Sie z. B. an große Es zeugt von einer großen Selbstgerechtigkeit und Abwasserreinigungsanlagen. mangelnden Selbstkritik, die bedenklich stimmt, Herr Darüber hinaus vermisse ich in dem Antrag die Minister, wenn Sie das immer wieder so hochhängen. positiven Wirkungen von Hermes-Bürgschaften für Wir müssen doch konstatieren, daß auch 1994 fünf der Investitionsgüterexporte. Daß nämlich Investitionen acht größten Empfängerländer der Bundesrepub lik gerade hochverschuldeten Ländern die Möglichkeit schwerste Probleme mit Menschenrechten, Demokra- eröffnen, ihre Schulden abzubauen, ist doch tie, Rüstung und Entwicklungsorientierung haben. bekannt. Sie finanzieren immer wieder diese Länder, die diese Probleme haben, die sich entgegen Ihren Prinzipien Ich darf auch daran erinnern, daß in zunehmendem verhalten. Etwas weniger Selbstgerechtigkeit wäre Maße in den internationalen Gremien die herausra- Ihnen schon angemessen. gende Bedeutung privater Investitionen in den Ent- wicklungsländern erkannt worden ist — anders als (Beifall bei der SPD) noch vor fünf oder zehn Jahren. Die Entwicklungslän- der sagen in zunehmendem Maße: Konzessionäre Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Mi- Entwicklungshilfe ist zwar gut, aber ohne daß Privat- nister, wollen Sie von dem Recht der Erwiderung investitionen vorgenommen werden, hat unser L and Gebrauch machen? keine Perspektive. (Beifall der Abg. Ingrid Walz [F.D.P.]) Carl-Dieter Spranger, Bundesminister für wirt- Dies zu fördern ist Sinn dieser Hermes-Bürgschaften. schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Lieber Deswegen sollte man das nicht begrenzen und in Herr Kollege Hauchler, ich möchte kurz darauf einge- dieser Form einengen. hen. Vielleicht darf ich zum Abschluß zu beiden Geset- Ich bedanke mich für Ihre immerwährende Für- zesvorschlägen noch Montesquieu zitieren, der zu sorge, den Stellenwert des BMZ in der Bundesregie- seiner Zeit schon wußte: „Wenn es nicht notwendig rung hochzuhalten. Alle Kollegen, auch die der Koali- ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein tionsfraktion, teilen diese Fürsorge. Ich habe, auch Gesetz zu machen." Dies sollte nicht nur für die wenn man die letzten Haushaltsberatungen betrach- Entwicklungspolitik gelten, sondern für uns Parla- tet, das Gefühl, daß die Bundesregierung den Stellen- mentarier als allgemeine Richtlinie Anwendung fin- wert der Entwicklungspolitik hoch ansetzt, daß wir im den. Vergleich zu anderen Staaten Mittel zur Verfügung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) haben, wie sie andere Staaten bei der wirtschaftlichen Entwicklung, die Sie gerade auch in Westeuropa feststellen müssen, nicht zur Verfügung haben. Ich Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile begrüße es sehr, daß wir im Ministe rium und auch der dem Abgeordneten Professor Hauchler auf dessen zuständige Minister in einem großen MaBe von Unab- Wunsch das Wort zu einer kurzen Kurzintervention. hängigkeit Schwerpunkte und Kriterien setzen konn- ten und das auch in praktische Poli tik umzusetzen vermögen. Dr. Ingomar Hauchler (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das, was Herr Minister Spranger Wenn Sie sagen, wir seien dazu nicht in der Lage, gesagt hat, fordert mich doch heraus, kurz zu interve- dann müssen Sie konkrete Fälle nennen. Wir können nieren. Ihnen an einer Fülle von Beziehungen zu Partnerlän- dern nachweisen, daß wir entsprechend der jeweili- Herr Minister Spranger, ich bin enttäuscht, wie Sie gen Entwicklung in den Ländern zu reagieren ver- auf unser Angebot reagieren, einen Grundbestand mochten. Ich habe einige Beispiele angeführt. Um ein entwicklungspolitischer Erfahrung in Gesetzesform Beispiel zu nennen: Würden die acht größten unter zu bringen. Wir anerkennen jede Bemühung, beste- Schwierigkeiten bei der Anwendung unserer Krite- hende Gesetze zu entrümpeln. Das heißt aber nicht, rien leiden? Sie müssen auch einmal sehen, daß die eine Materie, deren Regelung wirklich überfällig ist, Empfänger der meisten Entwicklungshilfe aus überhaupt nicht zu regeln. Deutschland auch die mit Abstand größten Länder Gerade als Entwicklungsminister, der es im Kabi- sind. Wenn Sie das, was die jeweiligen Länder bekom- nett schwer hat, sollten Sie daran interessiert sein, men, pro Kopf der Bevölkerung umrechnen und es eine verläßliche parlamentarische Grundlage auch für beispielsweise damit vergleichen, was wir den Ihre Ziele und Ideen zu haben. Es enttäuscht mich, daß 1,4 Millionen Menschen in Namibia geben, dann Sie das nicht wollen. verschiebt sich das Gewicht unserer Entwicklungszu- Mich enttäuscht aber auch — das ist der zweite sammenarbeit beispielsweise in bezug auf das, was Punkt, ganz kurz —, daß Sie so selbstgerecht darüber wir nach Indien oder China oder Indonesien geben, sprechen, welche Leistungen die Deutschen im inter- natürlich sehr. Diese Relativierung, bezogen auf die nationalen Bereich zur Durchsetzung von Menschen- Hilfe pro Kopf der Bevölkerung, ist meines Erachtens rechtskriterien, Abrüstung usw. in der Entwicklungs- ganz wichtig. Das haben Sie bei Ihren Vorwürfen und politik erbracht haben. bei Ihrer Katalogisierung leider übersehen. Wir haben dazu einiges gesagt, auch Sie in interna- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tionalen Gremien. Aber Sie selbst waren nicht in der Lage, Ihre eigenen Ziele in der deutschen Entwick- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nunmehr lungspolitik umzusetzen. hat die Abgeordnete Frau Anneliese Augustin das (Beifall bei der SPD) Wort. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16119

Anneliese Augustin (CDU/CSU): Herr Präsident! bleiben die Kinder und im besten Fall noch die Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr als bisher muß Großeltern. Man schätzt die Aidswaisen in Uganda Subsidiarität ein Schlüsselbegriff der Entwicklungs- inzwischen auf 1,5 Millionen. politik werden, nicht nur der deutschen, sondern auch Gott sei Dank gibt es in Uganda starke Frauenor- derer, die im Ausland im gleichen Sinne wirken. ganisationen. Wir haben sie auf unserer Reise erlebt. Darum ist der Vorrang für Eigenverantwortung, Pri- Herr Dr. Schuster nickt mir zu; er war ganz begeistert. vatinitiative und Selbsthilfe nach dem Prinzip der So richtige Powerfrauen. Diese Frauen sind an uns Subsidiarität auch der Leitsatz unseres Antrags, des herangetreten, weil sie sich ein ganz besonderes Antrags der CDU/CSU-Fraktion. Wir wollen nämlich Projekt ausgedacht haben. nicht, daß sich unsere Zusammenarbeit auf Staat und Diese Frauen haben sich zum Ziel gesetzt, die Verwaltung eines Entwicklungslandes konzentriert. Großmütter von Aidswaisen in die Lage zu versetzen, Wir wollen nicht, daß von unserer Entwicklungszu- nicht nur ihre eigenen Enkelkinder unter die Fittiche sammenarbeit die Falschen profitieren. Das heißt zu nehmen, sondern für andere Kinder mit zu sorgen, natürlich nicht, daß wir von nun an die Regierungen vielleicht zehn oder zwölf Aidswaisen in ihre Familie der Entwicklungsländer links liegenlassen wollen. aufzunehmen, für Nahrung, Kleidung, Schlafstellen Ganz im Gegenteil. Auf deren Mitwirkung sind wir und für die menschliche Zuwendung zu sorgen. natürlich extrem angewiesen. Diese Großmütter sollen in die Lage versetzt wer- Ziel unserer Entwicklungszusammenarbeit sind die den, Entwicklung und Ausbildung — und das bedeu- sozial Schwachen. Ihre schöpferischen und produkti- tet hier auch Schulbildung — für eine ganze Genera- ven Kräfte, die ja vorhanden sind, müssen oftmals erst tion von Aidswaisen zu gewährleisten. Was dies für geweckt werden. Sie brauchen einen Anstoß und eine die innere Entwicklung und für die Zukunft Ugandas Stärkung. Diese Kräfte wollen wir fördern. bedeutet, ist unschätzbar. Ich glaube, ich brauche es in diesem Kreise auch nicht weiter zu erläutern. Im Mittelpunkt darf somit auf keinen Fall die staatliche Bürokratie, sondern müssen die Menschen, (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: Wir sollten es die Selbsthilfegruppen und die Selbstverwaltungsor- daher unterstützen!) ganisationen stehen. Sie müssen die Aktiven in unse- — Lieber Herr Schuster, jetzt kommt genau das, was ren Projekten und unseren Programmen sein. Mit Sie hören möchten. Ich freue mich daher und bin ihnen zusammen können wir Hilfe zur Selbsthilfe ausgesprochen dankbar, daß das Bundesministerium möglich machen. für wirtschaftliche Zusammenarbeit die Anfrage die- ser engagierten Frauen aufgegriffen hat und nun Mit welchem Erfolg, zeigt ein Beispiel, ein Projekt dabei ist, dieses Projekt zu fördern. der Hanns-Seidel-Stiftung in einer Stadt in Af rika. Ausgangspunkt die üblichen Probleme: Slums am Es erfüllt nämlich genau die Kriterien, die uns Rande der Stadt infolge der Landflucht, unvorstell- wichtig sind: Vor Ort wird ein Problem erkannt. Die bare Armut; auf Grund der hygienischen Verhältnisse Menschen vor Ort ergreifen die Initiative, dieses sind Krankheiten wie Cholera und Tuberkulose an der Problem zu lösen. Uns bitten sie nun um die notwen- Tagesordnung. dige Hilfe zur Selbsthilfe. Dies ist Eigenverantwor- tung, Privatinitiative und Selbsthilfe nach dem Subsi- Mit den Counterparts unserer Partnerländer diaritätsprinzip, die wir verstärkt fördern wollen. zusammen wird ein Ausweg aus der Armut aufge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. zeigt. Unbebautes, fruchtbares Land in etwa 50 Kilo- sowie des Abg. Dr. R. Werner Schuster meter Entfernung von dieser Stadt wird beschafft. Das [SPD]) Team zeigt den Interessierten, wie man Bausteine macht. Sie zeigen, wie man ein Haus baut, zeigen, wie Aber auch bei uns in der Bundesrepublik Deutsch- man Maniok anpflanzt und Kleintiere züchtet. Sie land ist das Potential zur Förderung der Subsidiarität zeigen, wie man eine Schule baut. Ja, sie zeigen sogar, in der Hilfe für Partnerländer noch längst nicht ausge- wie man eine kleine Bibliothek einrichtet. schöpft. Bei Verbänden, Wirtschaftskammern sowie gesellschaftlichen Vereinigungen schlummert heute Wichtig ist dabei: immer nur zeigen, ja nicht selber noch ein Potential, das es zu entdecken, zu wecken tun. Und der Erfolg? Acht kleine Dörfer sind entstan- und zu mobilisieren gilt. Zu diesem fröhlichen Tun den. Jeder Dorfbewohner hat seine Aufgabe in der möchte ich Sie, meine lieben Kolleginnen und Kolle- Gemeinschaft gefunden. Er ist glücklich in dieser gen, jeden in seinem Wahlkreis, ganz herzlich einla- Rolle, die er auf Grund seiner Fähigkeiten, die oftmals den. dann erst entdeckt werden, ausfüllen kann. Armut, (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. sowie Cholera und Tuberkulose sind nur noch Erinnerun- bei Abgeordneten der SPD) gen.

Lassen Sie mich ein weiteres Projekt vorstellen. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nunmehr Hieran wird deutlich, daß unsere Entwicklungszu- hat die Abgeordnete Frau B rigitte Adler das Wort. sammenarbeit auch oft von den Menschen vor Ort ausgehen muß, von ihren Vorstellungen, von ihren Zielen, von ihren Problemen, die zu lösen sind. Kurz Brigitte Adler (SPD): Herr Präsident! Meine Damen zur Situation: In Uganda hat Aids inzwischen unvor- und Herren! Wer in der Entwicklungspolitik ernsthaft stellbare Ausmaße und Verbreitung gefunden. Es gibt Armut, Gewalt und Völkerwanderung beheben wi ll , Dörfer, in denen eine ganze Generation, nämlich die muß bereit sein, Ursachen zu erkennen. Unser Gesetz- Elterngeneration, bereits an Aids gestorben ist. Übrig entwurf zur Entwicklungspolitik zeigt auf, wo es 16120 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Brigitte Adler anzusetzen gilt. Unser Antrag, der heute ebenfalls Aus diesem Grund steht im Mittelpunkt unseres diskutiert wird, greift deshalb einen Gesichtspunkt Antrages das Leitbild einer sozialen und ökologischen auf, der mir wichtig erscheint, nämlich die wirtschaft- Marktwirtschaft. Den neoliberalen Vorstellungen, die liche Entwicklung. vornehmlich von den Koalitionsfraktionen vertreten werden, setzen wir Überlegungen eines sozialen und Wir stehen heute vor der Tatsache, daß das von den ökologischen Ausgleiches entgegen. Forderungen westlichen Industrienationen geprägte Weltwirt- nach Privatisierungs- und Liberalisierungsmaßnah- schaftssystem nicht in der Lage ist, Hunger und soziale men erteilen wir deshalb eine Absage. Verelendung in vielen Ländern dieser Erde zu stop- pen sowie die globale ökologische Bedrohung abzu- Eine Voraussetzung für den wirtschaft lichen Auf- wenden. Daneben wissen wir aber auch, daß sich bau ist die Schaffung von Spielräumen zur Entfaltung autoritäre, planwirtschaftliche Systeme weder als pro- privatwirtschaftlicher Aktivitäten für eine möglichst duktiv noch als soziale Alterna tive bewährt haben. breite Bevölkerungsgruppe. Die Erfahrungen in den meisten Entwicklungsländern zeigen, daß der Staat Die Auffassung, der Markt werde schon alles nur selten in der Lage ist, den Anforderungen an eine regeln, greift zu kurz. Innerhalb eines demokratisch wirtschaftlich effektive wie sozial und ökologisch gesetzten Rahmens sind Markt und Wettbewerb ausgerichtete Poli tik gerecht zu werden. Weder der unentbehrlich. Wir brauchen unternehmerische interventionistische Staat noch der in liberalistischen Initiative und Leistung. Wir erkennen sie an und Konzepten vertretene Minimalstaat sind geeignet, die fördern sie. Sie muß sich aber auch in ihrer sozialen Effizienz und die Dynamik des Marktes mit sozialen und ökologischen Verantwortung bewähren. Der und politischen Zielen in Einklang zu bringen. Markt alleine kann weder Vollbeschäftigung und Verteilungsgerechtigkeit bewirken noch die Umwelt Eine erfolgversprechende marktwirtschaftliche schützen oder regionale Strukturschwächen beseiti- Entwicklung setzt aber einen funktionsfähigen Staat gen. ebenso voraus wie eine verläßliche Rechts- und Wirt- schaftsordnung. Privatwirtschaftliche, gemeinwirt- Eine neue wirtschaftspolitische Ausrichtung in der schaftliche und genossenschaftliche Initiativen und bilateralen und multilateralen Entwicklungszusam- Ansätze sind auf diese Rahmensetzung angewiesen. menarbeit ist deshalb gefordert. Dabei muß geklärt Die Einführung und Umsetzung marktwirtschaftlicher werden, mit welchen Maßnahmen der Aufbau einer Grundprinzipien wie dezentrale Planung, Wettbe- sozial und ökologisch orientierten Marktwirtschaft in werbsgleichheit, Anerkennung von Privateigentum, den Ländern des Südens sowie in den Reformländern Preisbildung an Märkten usw. können nur schritt- des Ostens unter Berücksichtigung landesspezifischer weise erfolgen. Dies setzt in vielen Fällen einen und kultureller Gegebenheiten unterstützt werden grundlegenden institutionellen Wandel voraus. kann. Vor einer Übertragung ausschließlich wachs- tumsorientierter Wirtschaftsmodelle muß allerdings Wirtschaftliche Reformen werden nur dann erfolg- gewarnt werden. reich sein, wenn sie mit politischen Reformen im Sinne einer Beteiligung aller Schichten der Bevölkerung am (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke politischen Willensbildungsprozeß einhergehen. Liste) (Beifall des Abg. Hans-Günther Toetemeyer Diese haben bereits in den Strukturanpassungspro- [SPD]) grammen der Weltbank und des IWF versagt. Sie haben aber auch die Industrieländer an den Rand des Dabei sind auch die Belange von unterrepräsentierten ökologischen Kollapses geführt. Gruppen zu berücksichtigen. So verlangt etwa die Diskriminierung von Frauen nach frauenspezifischen (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) Ansätzen in der Entwicklungszusammenarbeit. Um die Entwicklungsdefizite zu beheben, reicht es (Zuruf von der SPD: Sehr wahr!) bei weitem nicht aus, nur auf die freien Kräfte des Marktes zu setzen. Der freie Markt hat kein entwick- Frauen, die immer noch überwiegend im informellen lungspolitisches Interesse. Deshalb greifen pauschale Sektor arbeiten, muß die Chance zur Sicherung des Forderungen nach Liberalisierung, Privatisierung und Lebensunterhalts gegeben werden. Sie müssen Deregulierung, die den Entwicklungsländern emp- Zugang zu Krediten bekommen, um sich eine eigene fohlen und über Strukturanpassungsprogramme auf- Existenz aufbauen zu können. erlegt werden, zu kurz. Wirtschaftsstrategien, die Wichtig ist uns in unserem Antrag, daß Selbsthilfe- nicht oder nur in ungenügender Weise für einen organisationen auf nichtstaatlicher Ebene gefördert sozialen und ökologischen Ausgleich sorgen, sind werden. Die Interessenvertretungen beider am Wirt- angesichts der realen wirtschaftlichen und ökologi- schaftsprozeß Beteiligten und die Kontrollinstanzen schen Lage der Länder der sogenannten Dritten Welt staatlicher Institutionen ergänzen den Partizipations- unverantwortbar und werden zwangsläufig am prozeß. Gewerkschaften, Kleinunternehmer- bzw. Widerstand der betroffenen Menschen scheitern. Die Kleinbauernverbände, Handwerkskammern, Um- Festigung und Schaffung nachhaltiger Politik-, Sozial- weltverbände und Genossenschaften sollten gezielter und Wirtschaftsstrukturen in den Ländern kann nicht unterstützt werden. Juristische und technische Bera- von oben diktiert werden, sondern sich nur in einem tung einschließlich Finanzierungshilfe in der Aufbau- breiten gesellschaftlichen Prozeß entwickeln. Dieser phase muß engagiert angepackt werden. Die Termin- Prozeß kann nur gelingen, wenn er zusammen mit den bank als angepaßte Bank und die Gemeinschaftspro- betroffenen Menschen gestaltet wird und bereits vor- jekte der Naam-Gruppe aus Burkina Faso sollten handene Strukturen hinterfragt und nutzt. beispielhaft anderen vorgeschlagen werden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode -- 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16121

Brigitte Adler Beim wirtschaftlichen Aufbau hat in vielen Ländern, nämlich sehr schnell fest: Es h andelt sich bei allen vor allem in Afrika, die Landwirtschaft eine Schlüssel- wesentlichen Aussagen und Forderungen um- nichts rolle. So macht die Landbevölkerung zwei Drittel der anderes als eine Bestätigung der entwicklungspoliti- Weltbevölkerung aus, erhält aber weniger als ein schen Grundsätze der Bundesregierung. Viertel der Erziehungs-, Gesundheits-, Wasser- und (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Dann können Sie ja sanitären Einrichtungen. zustimmen!) Das bestehende Spannungsverhältnis von privat- wirtschaftlichem und staatlichem Handeln muß mit Nehmen Sie Ihren Antrag zur „Dauerhaften Wirt- Augenmaß aufgelöst werden. schaftsentwicklung in den Entwicklungsländern". Wir begrüßen es, daß sich auch in der SPD die Die Forderung der Weltbank und des IWF, bei den Einsichten, die sich nach den Bankrotterklärungen Strukturanpassungsprogrammen die öffentlichen der sozialistischen Planwirtschaften in der Welt immer Haushalte dadurch zu entlasten, daß der oft aufge- mehr verbreitet haben, allmählich durchsetzen. blähte Mitarbeiterstab abgespeckt werden soll, ist verständlich. Hier aber zeigt sich das Dilemma, in dem (Beifall bei der CDU/CSU) viele Staaten stecken; Entlassungen sind Entlassun- Auch Sie sind erfreulicherweise zu der Überzeugung gen in die Arbeitslosigkeit. Soziale Sicherungssy- gelangt, daß privatwirtschaftliches Handeln und steme sind eine Utopie. Dennoch muß überprüft Wettbewerb die treibenden Kräfte für den wirtschaft- werden, wie Hilfen einmal durch Selbsthilfemaßnah- lichen Aufschwung auch in den Entwicklungslände rn men und zum anderen durch traditionelle Sicherungs- sind. systeme schrittweise ausgebaut werden können. Eigenverantwortung und die Privatinitiative sollen Auch Sie haben die ökologisch orientierte Soziale und müssen angeregt werden. Marktwirtschaft als d a s leistungsfähige Gesell- Meine Damen und Herren, verehrte Kolleginnen schafts- und Wirtschaftsmodell akzeptiert. Auch Sie und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, in Ihrem haben die Entfaltung p rivater unternehmerischer Antrag sind Elemente, denen auch wir zustimmen Initiative als zentralen Motor wirtschaftlicher Ent- können. Ihre weltanschauliche Sicht mancher Aussa- wicklung erkannt. gen muß jedoch kritisch hinterfragt werden. Ich Ihre sonstigen Forderungen — ich nenne als Bei- denke, im Ausschuß werden wir dazu Gelegenheit spiele nur strukturelle Reformen und Beteiligung von haben. Selbsthilfeinitiativen der Betroffenen — erschöpfen Gleiches gilt für den Antrag der Kollegen vom sich in dem, was die Bundesregierung längst for- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Vergabe der Hermes- dert. Bürgschaften. (Brigitte Adler [SPD]: Forde rn? Sie sollen das Isolierung und Benachteiligung des Südens im umsetzen!) Weltwirtschaftssystem sind die zentralen externen Ursachen für die wirtschaftliche Unterentwicklung. Wir finden das natürlich sehr erfreulich, doch erhebt Um den Ländern des Südens wirklich zu helfen, muß sich zwangsläufig die Frage: Wozu dieser Antrag, ein faires Welthandelssystem installiert werden. dessen Anregungen bereits im Koalitionsantrag zur „Entfaltung der p rivaten unternehmerischen Initia- Der Antrag „Dauerhafte Wirtschaftsentwicklung in tive in der Dritten Welt" nachzulesen sind. Erstaunlich den Entwicklungsländern" zeigt mit seinem Forde- ist nur, daß die SPD diesem Antrag im J anuar im rungskatalog Alternativen in der wirtschaftspoliti- Ausschuß ihre Zustimmung verweigert hat. schen Entwicklungszusammenarbeit auf. Er fordert von den Industrieländern eine neue Entwicklungspo- (Beifall bei der CDU/CSU — Dr. R. We rner litik, die sich nicht mehr an den bisherigen Vorstel- Schuster [SPD]: Weil er nicht eindeutig lungen orientiert. Soziale, ökologische und politische war!) Unterentwicklung kann nicht länger mit den unwirk- Die Bundesregierung ist dennoch erfreut darüber, daß samen Rezepten von gestern behandelt werden, son- die SPD — zwar mit Verspätung, aber immerhin — bei dern bedarf eines neuen Ansatzes. unseren Forderungen angelangt ist. (Zuruf von der F.D.P.: Die haben sich Gott sei Dank schon selber geholfen!) (Lachen bei der SPD — Jürgen Augustino witz [CDU/CSU]: Sie ist doch lernfähig!) Die UNDP hat ihren Bericht in diesem Jahr unter das Motto gestellt: „Märkte existieren im Dienste des Bei allen Streitigkeiten im Detail kann eine breitere Menschen". Vergessen wir das bitte nicht. gemeinsame Basis für die Entwicklungshilfe nur posi- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke tiv sein. Liste) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile Lassen Sie mich zu Ihrem „Entwurf eines Gesetzes nunmehr der Abgeordneten Frau Karin Jeltsch das zur Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutsch- Wort. land" folgendes anmerken. Auch dieser Entwurf steht in völliger Übereinstimmung mit den Schwerpunkten Karin Jeltsch (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine der Entwicklungspolitik der Bundesregierung. Die Damen und Herren! Meine Kolleginnen und Kollegen Zielformulierungen sind identisch mit unserer Forde- von der SPD, zugegeben, Ihr Entwurf und Ihr Antrag rung nach Armutsbekämpfung durch Hilfe zur Selbst- lesen sich nicht schlecht. M an stellt bei der Lektüre hilfe. Ihre entwicklungspolitischen Maßstäbe stim- 16122 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Karin Jeltsch men überein mit dem Kriterienkatalog des Bundesmi- — Es macht ein bißchen Mühe, das zu hören; aber es nisters für wirtschaftliche Zusammenarbeit. ist so. - (Brigitte Adler [SPD]: Das glauben Sie wohl (Dr. Uwe Holtz [SPD]: Stimmt dem die F.D.P. selber nicht!) auch zu?) Auch die vom Bundesminister Spranger gesetzten Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, Schwerpunkte „Förderung der Aus- und Fortbildung" konkrete Vorschläge sind jetzt gefragt. Der SPD- sowie „Schutz der Umwelt" finden sich im SPD Entwurf bleibt jedoch hinter den entwicklungspoliti- Entwurf wieder. schen Leitlinien der neuen Entwicklungspolitik der Bundesregierung weit zurück. Er ist nicht geeignet, So weit, so gut. der Entwicklungspolitik neue Impulse zu geben. Der Entwurf erschöpft sich in Allgemeinplätzen. Seinem (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Sehr gut Anspruch, Erfolg und Nachhaltigkeit von Entwick- sogar!) lungspolitik sicherzustellen, wird er leider nicht Nur erhebt sich wieder eine Frage: War denn das gerecht. schon alles? Für einen Gesetzentwurf, den Sie als (Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe von der wegweisend anpreisen, scheint dies doch ein wenig SPD: Das war schwach! — Wer hat das dürftig. aufgeschrieben?) Die SPD erhebt den Anspruch, Grundsätze und Ziele der deutschen Entwicklungspolitik zu veran- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Graf von kern und Richtlinien für die Entwicklungszusammen- Waldburg-Zeil hat nunmehr das Wort. Herr Abgeord- arbeit aufzustellen. neter, bitte. (Brigitte Adler [SPD]: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?) Alois Graf von Waldburg-Zeil (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! — Das habe ich selbst getan, liebe Frau Kollegin Der tödlichste Feind der Entwicklungspolitik ist der Adler. — Sie bieten jedoch vage Floskeln anstelle von Bürgerkrieg. Mit tiefer Trauer und Verbitterung muß- präzisen Vorgaben. Der Regierungskoalition hinge- ten wir gestern vor einer Woche mit ansehen, wie die gen ist es gelungen, durch Sektor- und Regionalkon- Armee in Burundi die erst drei Monate alte Demokra- zepte konkrete Lösungsvorschläge zu machen. Durch tie zu beendigen versucht hat. Die von den Hinter- zahlreiche Anträge haben wir neue Schwerpunkte männern verbreitete Mär, nicht mehr kontrollierbare gesetzt. Wir haben Konzeptionen erarbeitet, erweitert Mannschaften hätten das getan, wird widerlegt durch und umgesetzt. die genaue Kenntnis der Vorgänge, nach der der (Dieter Schanz [SPD]: Donnerwetter!) Präsident, der Präsident der Nationalversammlung, der Vizepräsident und sechs weitere Kabinettsmit- Ich nenne beispielhaft nur den bereits erwähnten glieder umgebracht wurden. Im ganzen Lande spricht Antrag „Entfaltung der p rivaten unternehmerischen man mittlerweile von etwa 30 000 Toten, von bewaff- Initiative in der Dritten Welt" oder den Antrag „Die neten Hubschraubern, die auf Flüchtlinge schießen, Schöpfung bewahren, privates Engagement fördern, und von Hunderttausenden von Flüchtlingen, die die Umsetzung von Umweltmaßnahmen in Entwick- nach Ruanda gekommen sind. Alles wie schon lungsländern beschleunigen". gehabt. (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Ein weiterer Seit der Unabhängigkeit Burundis hat die Tutsi Beitrag zur Selbstgerechtigkeit!) Oberschicht, die auch die Führung des Militärs stellt, mehrfach durch Massaker die Mehrheit der Hutu- Dieser hat zum Ziel, die staatliche Entwicklungszu- Bevölkerung eingeschüchtert, wobei auch systema- sammenarbeit im Umweltbereich durch privates tisch jedesmal die Intelligenz des Mehrheitsstammes Engagement und die Beteiligung von Nichtregie- ausgelöscht worden ist. rungsorganisationen zu ergänzen. Vorbei ist die Hoffnung, die sich mit dem Namen des (Brigitte Adler [SPD]: Aber wenn man die früheren Präsidenten Pierre Buyoya verbunden hatte. Nagelprobe macht, dann kommt nichts!) Ethnische Konflikte standen zwar auch am Beginn Oder ich nenne unsere Initiative „Entwicklungs- seiner Amtszeit, aber im Oktober 1988 hatte er seine politische Maßnahmen zur Minderung der Asyl- und ethnisch paritätisch besetzte Kommission zur Untersu- Flüchtlingsprobleme". Ihr Ansatz liegt in der Entwick- chung der Frage der nationalen Einheit eingesetzt und lung von Lebensperspektiven in den Heimatländern anschließend eine nach gleichem Muster zusammen- der Flüchtlinge. Dies sind konkrete entwicklungspoli- gesetzte Regierung gebildet. tische Konzepte. 1991 kam es durch ein Referendum der Bevölke- rung zur Annahme der „Charta der Nationalen Ein- In diesem Sinne wird die Union weiter initiativ. In heit". Wiederum durch ein Referendum wurde 1992 diesen Tagen werden zwei weitere aktuelle Anträge mit 90,2 % Ja-Stimmen die Verfassung verabschiedet, in den Bundestag eingebracht: zur intensiveren in der Parteienvielfalt, freie Wahlen, Menschenrechte gesellschaftspolitischen Zusammenarbeit sowie zum und demokratische Freiheiten verankert wurden. Aufbau kommunaler Selbstverwaltungsstrukturen in Entwicklungsländern. Allerdings, wer Demokratie wagt, gewinnt nicht immer. Am 1. Juni 1993 wurde nicht Präsident Buyoya, (Dr. Ingomar Hauchler [SPD]: Alles für den sondern der Führer der Oppositionspartei Frodebu, Papierkorb!) Melchior Ndadaye, gewählt. Am 29. Juni 1993 wurde Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16123

Alois Graf von Waldburg-Zeil die Einheitspartei Uprona vernichtend geschlagen, Bis zur Wiederherstellung demokratischer Verhält- und die Frodebu errang einen überwältigenden nisse muß internationaler Druck ausgeübt werden, Sieg. und es kann auch keine finanzielle entwicklungspoli- Nun sind nicht nur die Hoffnungen auf ein künftiges tische Zusammenarbeit mehr geben. friedliches Miteinander in Burundi erneut zerstört, Ministerpräsidentin Kinigi hat die internationale getroffen sind eigentlich alle Demokratisierungsbe- Gemeinschaft um Truppen gebeten, um die legale wegungen in Afrika. Regierung und die Bevölkerung zu schützen. Ich Hinzu kommt: Nach den Erfahrungen im auseinan- glaube, daß es anders auch nicht geht. Denn wie soll dergebrochenen Jugoslawien oder in Somalia ist die eine Regierung regieren, wenn ständig über ihr das Hoffnung auf die Konfliktlösungsfähigkeit der UNO Schwert einer putschenden Armee schwebt? Die gesunken. Depressive bis zynische Haltungen gewin- Bevölkerung muß ebenfalls dringend geschützt wer- nen in den Industriestaaten an Raum, indem man sagt: den. Ich weiß, daß viele davor zurückschrecken und Laßt sie sich doch totschlagen; es läßt sich doch nichts denken, schon wieder die Völkergemeinschaft, man daran ändern. könne doch nicht bei jedem Staatsstreich gegen die legitimen demokratischen Institutionen intervenie- Doch, wir können! Wir müssen beharrlich weiter- ren. Aber es gäbe Möglichkeiten im Rahmen der helfen. Das heißt zuallererst: nicht resignieren. Organisation der Afrikanischen Einheit oder einer (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) regionalen Gruppierung. Schon eine internationale Burundi lebt zu einem Viertel von Entwicklungs- Beobachterkommission täte Wirkung. Ich glaube, das hilfe. Weder eine Putschregierung noch eine Ma rio- beste wäre, wenn Truppen aus dem frankophonen nettenregierung könnte ohne diese Hilfe leben. Ohne Raum diese Funktion übernehmen würden. Anerkennung, zudem von harten Sanktionen betrof- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) fen, würde sie nicht weit kommen. Das Wichtigste: Lassen wir die Barundi nicht fallen, bekennen wir uns zu den Menschenrechten, zur Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Ab- Demokratie und zur Freiheit. Ich freue mich darüber, geordneter, würden Sie eine Zwischenfrage der daß wir eine gemeinsame Resolution in diesem Sinne Abgeordneten Frau Jeltsch beantworten? zustande gebracht haben. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P, der SPD Alois Graf von Waldburg-Zeil (CDU/CSU): Gerne. und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Karin Jeltsch (CDU/CSU): Herr Kollege, können Sie Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zu einer mir die Frage beantworten, ob die legale Regierung in Kurzintervention erteile ich dem Abgeordneten Hel- Burundi jetzt wieder an der Macht ist? mut Schäfer das Wort. (Dr. Peter Struck [SPD]: Aber nicht von der Alois Graf von Waldburg-Zeil (CDU/CSU): Das ist Regierungsbank!) eine schwierige Frage. Nach Presseberichten haben — Herr Abgeordneter Struck, auch Kurzinterventio- die Putschisten aufgegeben bzw. hat das Militär die rechtmäßige Regierung wieder eingesetzt. Man hatte nen können von der Regierungsbank aus erfolgen. zunächst probiert, eine Regierung der nationalen Konzentration einzusetzen. Man hatte den Innenmini- Helmut Schäfer (Mainz) (F.D.P.): Sie werden doch ster der vorherigen Regierung genommen und gesagt: nicht bürokratischer sein als die Regierung selbst. Ich Bedingung dafür ist Straffreiheit. Als das in der hätte auch den kleinen Umweg gehen können. Weltöffentlichkeit nicht akzeptiert wurde, hat man den ganz schnell wieder verschwinden lassen. Es gibt Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf sogar Berichte, daß man ihn in der Zwischenzeit Grund der Fragen, die gerade an den Abgeordneten umgebracht hat. Graf von Waldburg-Zeil gestellt worden sind, möchte ich nur ganz kurz sagen, daß sich die Situation in Jetzt ist man einen anderen Weg gegangen und UN-Emissär sagt, die legale Regierung sei wieder eingesetzt. Die Burundi derzeit so gestaltet, daß der Jonah gestern eingetroffen ist, daß er sich bemüht, daß Ministerinnen und Minister sitzen allerdings mit Recht in den Botschaften, weil sie nicht wissen, ob sie die Regierung wieder ihre Aufgaben ausüben kann, bei ihrer Rückkehr nicht einfach umgebracht werden. was natürlich auch den Schutz der Regierung voraus- In gewissem Sinne geht also der Putsch weiter. So hat setzt. es auch die Ministerpräsidentin in einer Meldung Wir sind bemüht, mit unseren Verbündeten den formuliert, die heute über „Reuter" gelaufen ist. Druck auf die Militärs zu verstärken. Es kann mit Wir können also Forderungen stellen: zunächst die Sicherheit keine Rede davon sein, daß die Entwick- dauernde Rückgabe der Macht an die legitime Regie- lungshilfe fortgesetzt wird, solange die Zustände in rung, dann die Bestrafung der Schuldigen; denn Burundi anhalten. bisher ist das nie geschehen. Man hat immer gesagt: Die UN hat erste Maßnahmen getroffen, um den Nur nicht bestrafen, sonst wird es noch kritischer. Das Flüchtlingen in Ruanda, in Tansania zu helfen, auch hat die Mörder um so sicherer gemacht. nach Burundi hineinzukommen. Die Welt hat reagiert, Wir wollen den Umbau der Armee zu einer natio- es gibt keine Resignation. nalen Institution, in der, insbesondere im Offizier- Ich darf zum Schluß sagen: Ich freue mich als korps, die Ethnien angemessen vertreten sind. Abgeordneter, daß die Bundesregierung den heute 16124 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Helmut Schäfer (Mainz) überfraktionell gestellten Antrag nachhaltig unter- Das muß doch im Interesse des gesamten Parla- stützt. ments sein. Insofern bin ich über Herrn Minister Vielen Dank. Spranger zutiefst enttäuscht. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Zuruf von der SPD: Stehen Sie zu Ihrer Rolle!) Er kann doch selbst gar nicht glauben, was er gesagt hat. Er hat gesagt, ich zitiere ihn noch einmal: Was Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Hans-Günther Toete- wollen Sie denn eigentlich? Das Haushaltsgesetz meyer das Wort . reicht aus. Sie werden mir nach zehnjähriger Erfah- rung zugestehen, daß ich weiß, daß es nicht ausreicht. Denn wir haben zehn Jahre lang im Fachausschuß immer wieder versucht, aus unserer Fachkenntnis Hans-Günther Toetemeyer (SPD): Herr Präsident! heraus Änderungen herbeizuführen, aber es ist auch Meine Damen und Herren! Als ich heute morgen in den Regierungsparteien nicht gelungen, Herr Kol- hierherfuhr, habe ich gedacht: Wir diskutieren wieder lege Pinger. Es ist uns nicht gelungen. unter Gläubigen. Das ist Gott sei Dank nicht der Fall. Faktum ist doch — das hat mit dieser Bundesregie- Ich bedanke mich bei all den Kollegen, die nicht zum rung gar nichts zu tun; das war bei der sozialliberalen Ausschuß für wirtschaft liche Zusammenarbeit gehö- Regierung genauso —: Wenn sich der Minister im ren, für ihre Anwesenheit. Das ist ein gutes Zeichen Spitzengespräch mit dem Finanzminister geeinigt hat, für die Funktionsfähigkeit unseres Parlaments. Herz- ist der Haushalt fertig, und das Parlament kann daran lichen Dank. nichts mehr ändern. Das ist Faktum. Wer als Parla- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) mentarier kann denn — unabhängig von den Fraktio- Die Besonderheit dieser Debatte in unserer Fraktion nen — an diesem Verfahren interessiert sein? wird dadurch deutlich, daß unser Fraktionsvorsitzen- Der entscheidende Denkansatz unseres Gesetzent- der an der Debatte teilnimmt. Das mag Ihnen den wurfs ist, das Parlament stärker in die Verantwortung Stellenwert der Entwicklungspolitik in unserer Frak- einzubeziehen, damit wir stärker mitbestimmen kön- tion deutlich machen. Es ist übrigens ein gutes Zei- nen. Ich kann hier leider — die Kollegen im Ausschuß chen, Herr Kollege Pinger, für die neue Bundesregie- werden das noch erleben — nicht aus dem Soll- rung im nächsten Jahr. Das ist ein hoffnungsvolles Ist-Vergleich zitieren. Das würde ich sehr gerne tun; Zeichen. das kommt aber noch. Ich nehme nicht alles vorweg, (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Herr Kollege Schmalz. Ich möchte, damit die Debatte auch für die Zuhörer Im Soll-Ist-Vergleich steht ein sehr schöner Satz, hier lebendig bleibt, auf die Argumente eingehen, die den wir Sozialdemokraten seit Jahren predigen. Dort die anderen Kollegen in die Debatte eingebracht steht, bezogen auf ein ganz bestimmtes Projekt: Hier haben. Herr Minister, wen wollen Sie noch überzeu- ist die finanzielle Zusammenarbeit schädlich gewe- gen, wenn Sie den Begriff der sozialistischen Planwirt- sen. Es wäre sehr viel sinnvoller, statt der finanziellen schaft wie eine Fahne vor sich hertragen? Wir sind uns Zusammenarbeit mit Mitteln der technischen Zusam- doch alle einig, daß die Planwirtschaft kein Modell für menarbeit zu arbeiten. die Ökonomie eines L andes ist. Warum tragen wir Wir haben zehn Jahre lang immer wieder den denn diese alte Fahne immer noch vor uns her? Antrag gestellt, die Mittel für die technische Zusam- Wir sind uns auch alle einig — Sie tun immer so, als menarbeit zugunsten der Mittel für die finanzielle ob die Sozialdemokraten das von Ihnen erst noch Zusammenarbeit aufzustocken. Die Anträge sind von vorgeführt bekommen müßten —: Das war keine den Regierungsparteien immer abgelehnt worden, in Lösung und ist auch in Zukunft keine Lösung. Also: treuer Gefolgschaft ihrer Regierung, was ich übrigens Tragen wir solche alten Kamellen hier nicht mehr vor. für falsch halte. Der ehemalige Ministerpräsident des Das ist vorbei. Landes Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn, den viele von Ihnen kennen, hat, als er noch Oppositionsführer (Beifall der Abg. Ingrid Matthäus-Maier war, gesagt: Regierungsparteien dürfen nach demo- [SPD]) kratischem Verständnis niemals Schutztruppen der Die Kollegin Walz hat gesagt: Dieser Gesetzent- eigenen Regierung sein. Sie müssen ebenfalls Kon- wurf, den die SPD-Fraktion vorgelegt hat, reglemen- trollfunktion ausüben. tiert. Frau Kollegin Walz, ich nehme Sie als Kollegin und als Schwäbin mit einem besonderen Freiheits- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ drang sehr ernst. Überdenken Sie das noch einmal. DIE GRÜNEN) Das Liebesangebot der Kollegin Dr. Fischer macht es Ich will Ihnen offen sagen: Als er Ministerpräsident mir etwas schwer, Sie nun auch zu einem Liebes- war, habe ich ihn oft an diesen Satz erinnert. Das Sein schwur zu gewinnen. Aber ich finde, sine ira et studio, bestimmt eben das Bewußtsein; das ist ein Problem. ohne Zorn und Eifer, sollten wir miteinander überle- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie sehr, gen, ob es nicht quer durch die Fraktionen im Inter- daß wir uns darauf verständigen — wie auch immer esse des Parlaments ist, die Dinge stärker in unsere der Gesetzentwurf im Wortlaut am Ende aussehen Gewalt zu bekommen. mag —: Das Gesetz des Handelns in der Entwick- (Rudolf Bindig [SPD]: Denken Sie mal als lungspolitik muß von der Exekutive weg ins Parla- Parlamentarier!) ment hinein. Das ist der entscheidende Ansatz. Dar- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16125

Hans-Günther Toetemeyer über sollten sich Demokraten doch verständigen kön- ist denn in die Bildung gegangen? Was ist denn in die nen. ländliche Entwicklung gegangen? Wie viele -der vom Parlament verabschiedeten Projekte der Rahmenpla- Frau Kollegin Walz, Sie haben gesagt — das ist ein nung sind denn verwirklicht? richtiger Satz, den ich unterstreiche —: Geld allein schafft es nicht. Das sind immer die gleichen Fragen. Wir können uns doch bis heute nicht entscheiden. Deswegen (Ingrid Walz [F.D.P.]: Das haben wir möchte ich die Entscheidung bei uns; ich sage das gelernt!) immer wieder. Das muß im Interesse des Parlaments — Darüber sind wir uns einig. sein. (Beifall bei der SPD) Aber Ihren zweiten Satz verstehe ich überhaupt nicht. Sie haben dann gesagt: Geld wirkt kontrapro- Lassen Sie mich zum Schluß noch ein paar Sätze duktiv. sagen; das ist auch wichtig für die Zuschauer auf der (Ingrid Walz [F.D.P.]: Ja!) Tribüne, weil oft nach außen hin der Eindruck ent- steht, im Parlament könne man nicht miteinander — Dann frage ich Sie, warum wir seit drei Jahren diskutieren und es gebe immer nur unterschiedliche einen Kapitaltransfer in die neuen Bundesländer Meinungen. Ich glaube, daß der Antrag zu Burundi, vornehmen. Das verstehe ich dann überhaupt nicht den wir heute als Entschließungsantrag gemeinsam mehr. verabschieden, ein guter Gegenbeweis ist. (Beifall bei der SPD — Ing rid Walz [F.D.P.]: (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Meinen Sie, daß der besonders konstruktiv F.D.P.) war?) Wir haben uns ganz schnell, innerhalb von vier Frau Kollegin Walz, ich möchte Sie nur auf den Tagen, zwischen den Frak tionen verständigt, im Widerspruch hinweisen. Es ist ja der Sinn der Diskus- Deutschen Bundestag end lich einmal, was weltpoliti- sion, daß wir die Argumente austauschen. sche Probleme, Probleme in Afrika angeht, aktuell zu (Ingrid Walz [F.D.P.]: Lieber Herr Kollege sein. Toetemeyer, daß Geld auch Nehmerqualität, ( [CDU/CSU]: Sehr wahr! — schlechte Nehmerqualität erzeugt, das ha- Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: So ist ben wir sowohl da drüben als auch in unseren es!) Partnerländern erlebt!) Wir laufen ja sonst immer ein halbes Jahr hinterher. — Wenn Sie es so gesagt hätten, wären wir uns ja Wir haben uns aktuell zu Burundi verständigt. einig. Sie sehen, die Diskussion lohnt sich immer. Wir Ich will dazu nur einen Satz sagen. Herr Präsident, haben uns wieder verständigt. ich weiß, daß meine Redezeit abgelaufen ist, aber Sie haben dann von „wasted money"gesprochen, einen Satz erlauben Sie mir sicher noch; nicht als indem Sie den Kollegen Schuster — das ist ja eines Guthaben für den Schriftführer, sondern weil dieser seiner Lieblingsworte — zitiert haben. Sie wissen Satz wichtig ist. genausogut wie ich, daß es viele Beispiele dafür Ich bitte uns alle und insbesondere die Bundesre- gibt. gierung darum, mit der politischen Unterstützung der (Ulrich Schmalz [CDU/CSU]: Nicht nur in der Regierung, die jetzt vielleicht wieder ins Amt kommt Entwicklungspolitik!) — ich bin da sehr skep tisch, genauso skeptisch wie Sie, Herr Kollege Graf Waldburg-Zeil —, nicht eher zu — Überall, aber auch in der Entwicklungspoli tik. beginnen, bis die Armee demokratisiert ist; Kollege Schmalz, in unseren Wahlkreisen ist es beson- ders schmerzlich, wenn wir zugestehen müssen: Da ist (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Geld umsonst ausgegeben worden. denn wenn wir das Problem nicht vorher lösen, dann stehen wir hier in einem Vierteljahr mit einem glei- (Zuruf von der CDU/CSU: Völlig d'accord!) chen Antrag, und wir sind keinen Schritt vorwärtsge- Wir müßten doch gemeinsam überlegen, wie wir das kommen. verhindern können. Da fordere ich nach wie vor eine Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte abschlie- stärkere Beteiligung des Parlaments. ßend sehr darum, daß wir im Sinne dieses gemeinsa- Also: Ihr Argument wird von mir in einer Weise men Antrags auch am Ende zu einem gemeinsamen aufgenommen, von der ich hoffe, daß Sie das am Ende Gesetz kommen, das die Macht ins Parlament ver- dann doch akzeptieren werden. legt. (Dr. R. Werner Schuster [SPD]: In strategi (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schen Fragen, nicht im Operationalen! — der CDU/CSU) Ingrid Walz [F.D.P.]: So ist es!) Der Minister hat gesagt, die Inhalte des Gesetzent- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Zu einer wurfs seien längst verwirklicht. Kurzintervention erteile ich der Abgeordneten Frau (Dr. Winfried Pinger [CDU/CSU]: Recht hat Ingeborg Philipp das Wort. er!) — Ich komme darauf zurück, Herr Kollege Pinger. Ingeborg Philipp (PDS/Linke Liste): Ich möchte zu Ihnen werden die Augen beim Soll-Ist-Vergleich 1992 dem Burundi-Antrag noch einige Gedanken mittei- übergehen, und zwar dann, wenn wir feststellen: Was len, und zwar zu der Aussage: Wir müssen die 16126 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Ingeborg Philipp Gewalttäter strafen. Mir ist dabei eine Situation in Im Unterschied zu uns fehlen aber den Hutu und Erinnerung gekommen, in der sich Tomás Borge den Tutsi die jahrzehntelangen und jahrhundertelan-- befand, als er Innenminister in Nicaragua war. Er kam gen Entwicklungen, die uns von diesen verkrusteten in die Situation, daß ihm der Mörder seiner Frau Strukturen befreit haben. Im Gegenteil: Wir haben seit zugeführt wurde. Die Frau war vorher vergewaltigt 1884/85 das System der Tutsi noch verstärkt und für und geschlagen worden, und ihr sind die Fingernägel unsere Zwecke genutzt. ausgerissen worden. Es sind also ganz, ganz schlimme (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Sehr Gewalttaten verübt worden. Tomás Borge hatte vor- wahr!) her schon im Gefängnis gesessen und den Gefängnis- wärtern gesagt: Wir machen es anders. Die Belgier haben es uns nachgemacht. Auch in dieser Situation, als er Innenminister war, (Ingrid Walz [F.D.P.]: Daraus ist ein Wunsch hat er gesagt: Nein, ich muß als Mensch handeln, als traum vom afrikanischen Staat entstanden!) verantwortlicher Christ. Mit der von Ruanda getrennten Entlassung Burun- (Rudolf Bindig [SPD]: Aber Mörder muß man dis in die Unabhängigkeit sind die beiden Konflikte bestrafen!) verschärft worden, die dieses L and bis heute zerrei- Er ist auf diesen Mörder zugegangen und hat ihn als ßen. Das ist zum einen der Streit zwischen den vier Menschen behandelt. Ich glaube, dadurch hat er viel, Königsfamilien und zum anderen der Streit zwischen viel mehr erreicht als durch in irgendeiner diffizilen den Tutsi und Hutu. Der König, der bis dahin eine Form zurückgezahlte Gewalttätigkeit. integrierende Kraft gewesen war, hat versucht, sein Amt zu mißbrauchen. Er mußte gehen. Die UPRONA, Ich denke, wir sollten und wir müssen uns zu die ebenfalls ein Bindeglied zwischen beiden Völkern Burundi äußern; aber wir dürfen niemals Gleiches mit sein konnte, ist zur Einheitspartei geworden und hat Gleichem vergelten. Das darf nicht sein. Wir müssen damit ebenfalls die einende Rolle verloren. auf ein ganz hohes moralisches Niveau kommen, und das schrittweise. Wir müssen uns klarmachen, wie die 1972 ist mit der Ausrottung der Hutu-Elite die Dinge wirklich liegen. Entwicklung so eskaliert, daß selbst in Burundi Gedanken in Richtung einer Änderung aufgekommen Das sind meine Bedenken, und deshalb werde ich sind. 1988 endlich legte Präsident Buyoya ein Konzept mich der Stimme enthalten. zur Herstellung der nationalen Einheit vor und ernannte erstmalig einen Hutu-Premierminister. Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Nunmehr Selbst dieses vorsichtige Vorgehen hat die Armee erteile ich der Abgeordneten Frau Dr. Michaela Blunk gewaltsam beenden wollen. Der neugewählte demo- das Wort. kratische Präsident Ndadaye wurde im wahrsten Sinne des Wortes in eine tragische Situation hineinge- Dr. Michaela Blunk (Lübeck) (F.D.P.): Herr Präsi- wählt. Denn er hatte es mit einer illoyalen Armee zu dent! Meine Damen und Herren! Heute lautet das tun, der er kein Gegengewicht entgegensetzen Thema Burundi. Es hätte aber auch eines der anderen konnte. Eine sofortige Machtprobe hätte er nicht 18 afrikanischen Länder sein können, gewinnen können. So haben er, sein Volk und sein Land erneut einen schrecklichen Preis für die unge- (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Sehr klärten Machtverhältnisse zwischen den Ethnien in wahr!) diesem Land bezahlt. in denen es ähnlich aussieht wie in Somalia. Die Würdigen möchte ich an dieser Stelle die Rolle der Skepsis hinsichtlich Burundi teile ich mit meinen Nachbarn, die ohne zu klagen die Last und die Sorge beiden Vorrednern. Ich möchte auf Somalia zurück- für etwa 400 000 Flüchtlinge tragen, ohne daß es zu kommen und daran erinnern, daß Somalia deutlich Diskussionen über das Für und Wider dieses mensch- gemacht hat, daß wir uns, bevor wir uns der Lösung lichen Aktes kommt. Es ist selbstverständlich, daß die eines Konflikts zuwenden, mit seiner Geschichte internationale Gemeinschaft die Not der Flüchtlinge beschäftigen müssen. Das, was jetzt in Burundi verringern und eine möglichst schnelle Rückkehr in geschieht, ist eine weitere Drehung der Gewaltspi- ihre Heimat ermöglichen muß. rale, wie wir es seit Jahrzehnten in diesem Land und in dem Nachbarstaat Ruanda beobachten müssen. Burundi macht jetzt dieselbe schmerzliche Erfah- rung wie der Nachbarstaat Ru anda. Es genügt nicht, Wie konnte es dazu kommen, daß eine Minderheit wenn die Macht von der Minderheit auf die Mehrheit der Tutsi, in dem einen Land 14 % und in dem anderen übergeht. Denn die Tutsi werden nur in dem Maße 11 % der Bevölkerung, die jeweilige Hutu -Mehrheit Macht abtreten, wie ihnen Minderheitenschutz und derart dominieren konnte? Die Geschichte zeigt, daß Minderheitenrechte garantiert werden. die Tutsi bereits im 15. und 16. Jahrhundert in dem Land ein Lehenssystem errichtet haben, das demjeni- Die aktuellen Ereignisse zeigen außerdem, daß es gen im mittelalterlichen Europa sehr ähnlich war. nicht genügt, wenn ein Versöhnungsprozeß aus- Außerdem haben sie sich bestimmte Posten in Heer schließlich von oben gelenkt wird. Es muß Gespräche und Verwaltung vorbehalten. Das erinnert uns sehr an geben, die den realen Ängsten beider Seiten Rech- das Preußen des vergangenen Jahrhunderts. nung tragen. (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: Deshalb (Beifall des Abg. Hans-Günther Toetemeyer haben wir das als Kolonialmacht übernom [SPD]) men, Frau Kollegin!) Es genügt nicht, wenn den Tutsi eine 10 %-Quote in — So ist es. allen Bereichen angeboten wird. Das empfinden sie Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16127

Dr. Michaela Blunk (Lübeck) angesichts ihrer Vormachtstellung in der Vergangen- Erhard ist es so, daß jedenfalls CDU und CSU diese Art heit eher als Rückschritt. der Marktwirtschaft für richtig halten. - Nach mehr als dreißig Jahren Exil in Uganda haben (Zuruf von der SPD: Ein interessantes Ange es die damals vertriebenen und geflohenen Tutsi jetzt bot!) gewaltsam erreicht, daß ihnen eine erhebliche Teil- habe an der Macht zugestanden werden muß. Es Nun gibt es die Kontroverse darüber, ob ein Gesetz erscheint realitätskonform, ihnen vier von 22 Kabi- zur Entwicklungspolitik notwendig ist. Sie haben ein nettsposten anzubieten. Es erscheint unumgänglich, solches Gesetz vorgelegt. Wir werden darüber disku- die Umgestaltung der burundischen Armee in Angriff tieren, ob es sinnvoll ist. Hierbei sind unterschiedliche zu nehmen. Denn sie wird zu einem entscheidenden Gesichtspunkte zu beachten, was auch aufgezeigt Prüfstein auf dem Weg zur weiteren Demokratisie- worden ist. Der Grundsatz ist: Wir wollen ein Gesetz rung werden. Auch hier sollte nach Ru anda geschaut nur dort, wo es notwendig ist. Wir sind für Deregulie- werden. Die personellen Anteile und die Befehlsge- rung und werden keine Gesetze beschließen, die nicht walt in der Armee müssen so gestaltet werden, daß sie weiterführen. sich gegenseitig neutralisieren. (Beifall bei der CDU/CSU) Dies gilt für ein Gesetz betreffend die Hermes Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Frau Ab- Bürgschaften genauso wie für ein Entwicklungshilfe- geordnete Blunk, ehe ich mir den Vorwurf der unzu- gesetz. Ich gebe aber zu, daß es auch Gründe für ein lässigen Privilegierung einhandele, bitte ich Sie lie- solches Gesetz gibt. Wir werden das diskutieren ber, langsam zum Schluß zu kommen. müssen. Herr Kollege Hauchler, wenn Sie sagen, das Gesetz (Lübeck) (F.D.P.): Ich werde Dr. Michaela Blunk sei notwendig, um die Entwicklungshilfe zu versteti- gehorchen, um Sie nicht in Schwierigkeiten zu brin- gen, um langfristige Perspektiven zu schaffen, so gen. stelle ich fest, daß eine solche Stetigkeit der Entwick- lungspolitik vorhanden ist. Da die Regierungskoali- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Danke tion sicher auch noch über das Jahr 1994 hinaus die schön. Regierung stellen wird, können Sie sicher sein, daß die Schwerpunkte und Kriterien auch noch in der Dr. Michaela Blunk (Lübeck) (F.D.P.): Es ist unum- nächsten Zeit gültig sind. Da wir in wesentlichen gänglich, daß die Armee so umgestaltet wird, daß sich Punkten übereinstimmen — ich halte das für erfreu- weder die Minderheit auf die Mehrheit stürzen kann lich —, ist die Stetigkeit der Entwicklungszusammen- noch umgekehrt. arbeit jedenfalls so, wie man dies in einem Gesetz mit Unsere Aufgabe wird es sein, ein deutliches Signal allgemeinen Formulierungen skizzieren kann, durch- zu geben, indem wir zur Versöhnung zwischen beiden aus gegeben. Ich sehe also den eigentlichen Grund Völkern aufrufen und sie nach Kräften fördern. nicht in der Verstetigung. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU Nun sagen Sie — vor allen Dingen hat der Kollege sowie bei Abgeordneten der SPD) Toetemeyer noch einmal darauf abgehoben —, daß dadurch das Parlament im Zusammenhang mit der Entwicklungszusammenarbeit gestärkt werde. Sie Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Pro- weisen auf den Soll-Ist-Vergleich hin. Hinsichtlich der fessor Pinger, Sie haben das Wort. 3 000 neuen Projekte, die die Regierung mit ihrem großen Apparat im einzelnen steuert Dr. Winfried Pinger (CDU/CSU): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hauchler hat (Hans-Günther Toetemeyer [SPD]: 8 900, dem Minister Selbstgerechtigkeit vorgeworfen. Ich Herr Kollege!) kann das nicht erkennen. Wohl kann ich feststellen, — ich beziehe mich auf die 3 000, nicht auf die 8 000 daß ein Entwicklungsminister, der die Schwerpunkte insgesamt —, die wir als Parlamentarier im einzelnen und Kriterien so richtig setzt und die Entwicklung so doch nicht beurteilen können, wäre es vermessen zu vorantreibt, durchaus sehr selbstbewußt sein kann. sagen, das Parlament solle insoweit eine stärkere Ich stelle ferner am Ende dieser Debatte fest, daß es Einflußmöglichkeit bekommen. Das ist nicht möglich. natürlich noch eine Reihe von kontroversen Punkten Darüber, ob die derzeitige Rahmenplanung das rich- gibt, daß sich aber die Zahl jener Punkte erhöht hat, tige Instrument ist, sollten wir weiter diskutieren. Dies bei denen Gemeinsamkeit herrscht, und daß wir in ist aber im Gesetz nicht angesprochen. Insofern führt wesentlichen Punkten übereinstimmen. Insbesondere es nicht weiter. können wir heute feststellen, daß zumindest die Es geht mir aber etwas anderes durch den Kopf, großen Fraktionen hier die soziale und ökologische nämlich ob durch ein Gesetz — das werden wir Marktwirtschaft in den Entwicklungsländern über- diskutieren — vielleicht der Einfluß der Mitglieder im einstimmend für die Grundlage halten, auf der eine Fachausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit im Entwicklung erst möglich ist. Verhältnis zu den Haushältern stärker werden So nehmen wir zur Kenntnis, daß Sie durchweg eine könnte. Dies halte ich allerdings für notwendig. soziale und ökologische Marktwirtschaft wollen. Wir bitten Sie, den Vorwurf fallenzulassen, als wollten wir (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eine liberalistische Marktwirtschaft, die mit „sozial" Wenn hier nicht nur der Minister an der Debatte und „ökologisch" nichts zu tun hat. Seit Ludwig teilnimmt, sondern auch der Fraktionsvorsitzende der 16128 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Dr. Winfried Pinger SPD und der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU Ich stelle abschließend fest: Wir sind auf einem anwesend sind, ist das ein Zeichen für die Bedeutung guten Weg. Wir sollten die Ziele weiter präzisieren.- einer solchen Debatte. Wir werden im Ausschuß über Ihren Gesetzentwurf (Dr. [F.D.P.]: Auch der weiter diskutieren. F.D.P.!) Ich bedanke mich. — Entschuldigung, es ist auch der Fraktionsvorsit- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zende der F.D.P. anwesend. (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Und Mi Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Ich erteile nisterpräsident Schröder und Herr Fischer! das Wort nunmehr dem Abgeordneten Dr. Ulrich Alle sind da! — Dr. Hermann Otto Sohns Briefs. [F.D.P.]: Ich bin extra gekommen!) Wenn aber Haushälter, die zuständig sind und (fraktionslos): Herr Präsident! durchaus im einzelnen Akzente setzen, an der ent- Dr. Ulrich Briefs Meine Damen und Herren! Die gewerkschaftlichen wicklungspolitischen Debatte grundsätzlich nicht teil- Arbeitsloseninitiativen machen den heutigen Welt nehmen, muß uns das sehr zu denken geben. spartag zum Aktionstag der Arbeitslosen unter dem (Beifall bei der F.D.P.) Motto „Statt sparen bei den Armen streichen bei den Ich wage aber zu bezweifeln, daß diese Situa tion Reichen" . durch ein Gesetz verändert werden kann. Mehr Ein- Und was macht diese Koalition an diesem Tag in fluß auf EG und Weltbank nehmen wir durch ein dieser Debatte? Sie versucht beispielsweise, ausge- solches Gesetz nicht. Was die notwendige Verzah- rechnet die Arbeitsplatzsubventionen im Bergbau nung z. B. von Entwicklungspolitik und Außenpolitik gegen die völlig unzureichenden staatlichen Entwick- angeht, so findet sie statt, jetzt viel mehr als früher. lungshilfeleistungen dieser Regierung, dieser Koali- Nicht nur die Konferenz der deutschen Botschafter in tion auszuspielen. Als ob eine D-Mark weniger für Afrika, sondern jetzt auch die Konferenz der deut- Arbeitsplatzerhaltungssubventionen unter dieser Ko- schen Botschafter in Lateinamerika hat gezeigt, daß alition auch nur einen Pfennig mehr für die staatliche zwischen der Außenpolitik und der Entwicklungspo- Entwicklungshilfe bedeuten würde! litik eine Verzahnung vorhanden ist, wie wir sie uns (Beifall des Abg. Hans-Ulrich Klose [SPD]) nur wünschen können. Eher würde doch z. B. der Spitzensteuersatz — ich Ich möchte abschließend feststellen: Für uns ist glaube, das kann man mit Fug und Recht sagen — wichtiger, die Erfolgsbedingungen für die Entwick- weiter gesenkt. lungszusammenarbeit noch weiter zu präzisieren. Deshalb meinen wir, daß der Antrag, den wir einge- Nicht wirksame Hilfe für die Dritte Welt ist das Ziel bracht haben — Vorrang für Eigeninitiative und dieser Bundesregierung, dieser Koali tion, sondern Eigenverantwortung nach dem Subsidiaritätsprinzip Bemäntelung und Rechtfertigung ihres unsozialen in der Entwicklungszusammenarbeit —, roch stärker Sparkurses. Ich sage das als Mitglied des Haushalts- beachtet werden sollte. ausschusses. Da geht einem in der Debatte ständig förmlich das Messer in der Tasche auf, gerade auch Wir sollten nicht weiter so sehr auf den Staat im auf dem Gebiet der Entwicklungspoli tik. Entwicklungsland setzen, sondern auf die private Initiative, auf die freien Kräfte. Unser Antrag möchte (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Bei Ihrer Rede verdeutlichen, daß es zur Entfaltung der p rivaten muß man Schmerzensgeld auszahlen!) Initiative auch der geeigneten staatlichen und gesell- Die völlig unzureichend und zudem auch noch in schaftlichen Strukturen bedarf, eines nicht nur natio- wesentlichen Aspekten fehlangelegte Entwicklungs- nalstaatlichen Systems, sondern eines föderativen politik dieser Regierung kann auch durch umfangrei- Systems einschließlich einer starken kommunalen che, aber zum Teil eben auch doch, Herr Pinger, etwas Selbstverwaltung. triviale Vorstellungen in den CDU-Anträgen, die Was die privaten Kräfte, Gruppen und Ins titutionen großenteils ja auch nichts kosten, nicht auf den leisten können, soll nicht der Staat übernehmen. notwendigen Stand gehoben werden. So geht es doch Darauf sollten wir noch stärker den Akzent setzen. nicht. Ich wünsche mir, daß auf Dauer 50 % der Mittel Die Vorstellungen der SPD dagegen sind, denke unmittelbar der Stärkung der p rivaten Initiative die- ich, insgesamt geeignet, die Entwicklungspolitik des nen, die anderen 50 % der Stärkung der staatlichen reichen und in Europa wirtschaftlich führenden Struktur, die auch wichtig ist. Deutschlands an die zukünftigen Notwendigkeiten heranzuführen. Zu begrüßen ist insbesondere, daß endlich, endlich Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Herr Pro- — das ist doch schon seit langem überfällig — die fessor Pinger, mir geht es so wie Ihnen: Ich habe nicht Entwicklungshilfezielmarke von 0,7 % des Bruttoso- aufgepaßt. Sie haben kräftig überzogen. Ich muß Sie zialprodukts erreicht werden soll. Zu begrüßen ist die jetzt darauf aufmerksam machen. Bindung der Entwicklungshilfe an ökologische und (Zuruf von der SPD: Das macht der immer!) soziale Kriterien, an die Einhaltung der Menschen- rechte. Zu begrüßen ist die Einbeziehung der Nicht- regierungsorganisationen in verstärkter Form. Zu Dr. Winfried Pinger (CDU/CSU): Ich bin beim letzten begrüßen ist auch die Forderung nach einer entwick- Satz, Herr Präsident. lungspolitischen Jahresplanung und nach einem alle Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16129

Dr. Ulrich Briefs zwei Jahre zu gebenden entwicklungspolitischen tigen Ausschuß und an den Innenausschuß überwie- Bericht an den Bundestag. sen werden. Zu begrüßen ist insbesondere auch die Konzipie- Der Gesetzentwurf der Fraktion der SPD — er liegt rung von Entwicklungspolitik als übergreifender Ihnen auf Drucksache 12/5960 vor; das ist der Tages- Querschnittspolitik. Ich denke allerdings, hier liegen ordnungspunkt 14c — soll außerdem an den Haus- die Probleme eben auch im Detail. haltsausschuß überwiesen werden. Es ist demgegenüber nach wie vor ein Skandal Der Antrag der Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erster Ordnung, daß diese Bundesregierung an der auf Drucksache 12/5949 — das ist der Tagesordnungs- Hochrüstung festhält, trotz Wegfalls der Systemkon- punkt 14 e — soll, abweichend vom Überweisungsvor- frontation, zugleich jedoch bei der staatlichen Ent- schlag in der Tagesordnung, zur federführenden wicklungshilfe auch in diesem Jahr streicht und den Beratung an den Ausschuß für Wirtschaft und zur Bruttosozialproduktanteil für die Entwicklungshilfe Mitberatung an den Ausschuß für wirtschaftliche weiter sinken läßt, auf beschämende 0,35 %. Es ist ein Zusammenarbeit sowie an den Haushaltsausschuß Skandal, daß die Mittel für die militärische und überwiesen werden. elektronische Abschottung dieses Landes gegen Da ich sicher bin, daß Sie das alle richtig zur Flüchtlingsströme aus dem Osten und Süden stark Kenntnis genommen haben, darf ich unterstellen, daß erhöht werden, die Entwicklungshilfe, die an den Sie damit einverstanden sind, und das Ganze als Ursachen für die Flüchtlingsströme zum Teil ansetzen beschlossen feststellen. kann und soll, dagegen real sogar erheblich gekürzt Meine Damen und Herren, dann habe ich dem wird. Hause bekanntzugeben, daß erfreulicherweise die Ein Fall, in dem menschenrechtsorientierte Grund- Geschäftsführerin der Fraktion der SPD mir mitgeteilt sätze jetzt, heute konkretisiert und praktiziert werden hat, daß die Reden zu den Tagesordnungspunkten 15 können, ist Guatemala. Dort beherrschen nach wie vor und 16 zu Protokoll gegeben werden.*) Ich hoffe, daß das Militär und Militärpatrouillen die Szene. Die das Haus mir nicht böse ist, wenn ich das als ein Zivilbevölkerung und insbesondere die indigenas nachahmenswertes Beispiel hinstelle. werden nach wie vor durch ein allgegenwärtiges (Heiterkeit) Militär bedroht — und nicht nur bedroht. Guatemala ist weit entfernt von der Gewährleistung der Men- schenrechte. Das muß bei den Verhandlungen über Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr weitere Entwicklungshilfeprojekte, die jetzt anste- zum Zusatzpunkt 9 a und b: hen, berücksichtigt werden. Soweit ich das in Erfah- a) Vereinbarte Debatte zur Energiepolitik rung bringen konnte, sind da derzeit etwa 20 Millio- b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne- nen DM im Gespräch. ten Dr. Dagmar Enkelmann und der Gruppe der Es darf eben einfach nicht so sein, daß deutsche PDS/Linke Liste staatliche Entwicklungshilfe die militärischen Struk- Haltung der Bundesregierung zu den „Ener- turen in diesem mittelamerikanischen Land bestärkt giekonsensgesprächen" und verstärkt, wie das z. B. 1986 der Fall war. Sie war — Drucksachen 12/5383, 12/5964 — zwar gut gemeint, ging aber dann eben doch in die falsche Richtung. Sie muß vielmehr druckvoll darauf Heute morgen haben wir zu diesem Punkt eine Debattenzeit von zwei Stunden vereinbart. Dabei soll hinwirken, daß die Entmilitarisierung der guatemal- tekischen Gesellschaft endlich beginnt und dann es auch bleiben. rasch fortschreitet. Ich muß dem Haus mitteilen, daß zusätzlich ein Entschließungsantrag der PDS/Linke Liste auf Druck- Herr Präsident, ich danke Ihnen. sache 12/6051 behandelt wird. Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst dem Bundesminister für Wirtschaft, Günter Rexrodt, das Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: Meine Wort. Damen und Herren, nun unternehme ich den zweiten Anlauf, über den Entschließungsantrag der Fraktio- nen der CDU/CSU, F.D.P. und SPD — er liegt Ihnen Dr. Günter Rexrodt, Bundesminister für Wirtschaft: auf Drucksache 12/5986 (neu) vor — abstimmen zu Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun- lassen. Wer für diesen Entschließungsantrag stimmen desregierung ist in die sogenannten Energiekonsens- möchte, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer gespräche mit dem Ziel gegangen, einen sinnvollen stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei Enthaltung Energiemix zu vereinbaren, der sichere, preiswerte, der PDS/Linke Liste ist der Entschließungsantrag umweltschonende und vor allen Dingen auch techno- angenommen. logisch fortschrittliche Energieversorgung in Deutsch- land möglich macht. Wir wollten den Mix so anlegen, Nunmehr komme ich zu den Überweisungen. Inter- daß darin Kohle, selbstverständlich Gas und Öl, fraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf erneuerbare Energien, aber auch Kernenergie Platz den Drucksachen 12/5987, 12/5960, 12/5563 und finden. In diesem Mix sollte auch die Energieeinspa- 12/5949 an die in der Tagesordnung aufgeführten rung ein großes Gewicht haben. Wir haben Energie- Ausschüsse vorgeschlagen. politik und das Finden dieses Mixes als ein Stück Der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der Standortpolitik verstanden, die darauf zielt, Arbeits- F.D.P. auf Drucksache 12/5987 — das ist der Tages- ordnungspunkt 14 a — soll zusätzlich an den Auswär- *) Anlagen 3 und 4 16130 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt plätze zu erhalten, technisches Neuland zu erschlie- überlegen und feststellen, welche Konsequenzen es ßen und eingeleitete anspruchsvolle technologische daraus zu ziehen gibt. - Entwicklungen zu Ende zu bringen. Zunächst möchte ich feststellen, daß der von den Ich darf Ihnen in Erinnerung rufen, daß Ansatz- Verhandlungsführern der SPD gesuchte Kompromiß punkt für diese Gespräche die Frage der EVUs und für das Offenhalten der Option, also der Bau des auch der elektrotechnischen Industrie war, ob für die Musterreaktors, am Präsidium der SPD gescheitert ist. Entwicklung und die Installation einer neueren, einer Die Hardliner, diejenigen, die sich im Besitz der sicheren Generation von Kernkraftwerken nicht ein allgemeinen Erkenntnis wähnen, der ideologische Konsens möglich sei, der über die Koalition hinaus- Teil hat sich durchgesetzt. reicht und wichtige gesellschaftliche Gruppen, auch (Zuruf von der CDU/CSU: Leider wahr!) die Opposition oder Teile der Opposition, einschließt. Dies geschieht vor dem nachvollziehbaren Hinter- Ich darf in diesem Zusammenhang den IG-Chemie grund, daß in die Kerntechnologie erhebliche Mittel Vorsitzenden und SPD-Bundestagsabgeordneten investiert werden, daß es offene Fragen bei der Hermann Rappe zitieren, der gestern erklärt hat: Wiederaufbereitung und bei der Lagerung gibt. Da haben sich leider einige linke Ideologen Wir haben die Energiekonsensgespräche in einer, durchgesetzt. Das ist unerträglich. wie ich finde, konstruktiven Form und immer mit dem (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ziel geführt, einen Kompromiß insbesondere mit der großen Oppositionspartei zu finden. Wir haben zwei Herr Rappe sagt weiter: Ebenen gehabt: Wir haben eine politische Gruppie- Auch das jüngste Votum des SPD-Präsidiums ist rung gehabt, und wir haben die gesellschaftlichen falsch, weil ein Industrieland wie die Bundesre- Gruppen — die Industrie, die Gewerkschaften, die publik es sich gar nicht leisten kann, auszusche- Umweltverbände und andere mehr — einbezogen. Ich ren und sich von Forschung und Technologie zu bin der Meinung, wir haben dort lange Zeit sehr verabschieden. sachgerecht, orientiert an einem möglichen Kompro- miß, gearbeitet. Ich glaube, dem ist wenig hinzuzufügen. Die Hauptfrage dabei war immer: Wie können wir (Zustimmung bei der F.D.P.) eine Option für die spätere Nutzung der Kernenergie Die Bundesregierung und die Koalition müssen jetzt offenhalten, wie können wir verhindern, daß in dieser eine Reihe von wichtigen Entscheidungen allein vor- Technologie der Faden reißt? Wir waren uns im klaren anbringen. darüber, daß die Frage, ob heute Kraftwerke installiert werden oder nicht, gar nicht ansteht und eine Frage Aber zunächst zurück zu den Gefahren der Ent- des nächsten Jahrzehnts ist. Wir brauchen aber einen scheidung des SPD -Präsidiums. Das ist, wie ich Musterreaktor, um aus dieser Technologie nicht aus- meine, eine Entscheidung gegen den Standort scheiden zu müssen. Diesen zu installieren, darum Deutschland, eine Entscheidung, die Arbeitsplätze ging es der Koalition in erster Linie. Wir haben gefährdet, die die Gefahr birgt, daß Deutschland aus versucht — ich sage es noch einmal —, sehr sachge- einer weiteren Technologie aussteigen muß, in der wir recht einen Kompromiß zu finden, damit dies möglich führend sind und in der wir die Sicherheitsstandards wird. bestimmen. Wir haben immer gesehen, daß es in diesen Gesprä- Kein Mensch, der einigermaßen nüchtern an diese Dinge herangeht, kann glauben, daß die Länder chen auch um Energieeinsparung und um die Förde- dieser Welt aus der friedlichen Nutzung der Kernener- rung regenerativer Energien gehen muß. Wir haben immer gesagt, wir wollen ein Paket, d. h., wir spre- gie aussteigen werden. Das Gegenteil ist der Fall, chen jeden einzelnen Energieträger durch, diskutie- schon deshalb, weil wir es uns nicht leisten können, ren ihn, finden nach Möglichkeit Lösungen und haben durch die Verbrennung von fossilen Stoffen die Welt am Ende ein Paket, und über dieses Paket werden wir mit CO2 zu verpesten. Wie wollen wir eine wachsende dann befinden. Deshalb verstehe ich es nicht, wenn in Erdbevölkerung, die auf zehn Milliarden zugeht, den letzten Tagen und Wochen von bestimmter Seite menschenwürdig leben und mit Energie versorgen immer wieder gesagt worden ist, daß die Herstellung lassen, wenn wir primär auf die Verbrennung fossiler eines Zusammenhangs zwischen Kohle und Ke rn Energien setzen? -energie, den wir aufrechterhalten wollen, eine Erpres- Ich weiß sehr wohl, daß regenerative Energien, z. B. sung bedeute. Dies ist falsch. Photovoltaik, Wind und andere Energiegewinnungs- möglichkeiten, einen wesentlichen Beitrag zur Ener- ( [CDU/CSU]: Sehr rich- gieversorgung leisten können, insbesondere in den tig!) südlichen Ländern, was die Photovoltaik angeht. Aber Sie aus der SPD haben immer dieses Paket gewollt. Sie jeder, der etwas davon versteht, weiß, daß dies zwar haben darauf bestanden, daß dieses Paket bis zum ein immens wachsender Anteil sein kann, aber nie- Ende durchgesprochen und verhandelt wird und daß mals ein Anteil, der ein menschenwürdiges Leben für über das Paket beschlossen wird. die vielen Menschen auf dieser Erde sicherstellt. Meine Damen und Herren, wir sind in der wichtigen Wir brauchen die Kernenergie mehr und mehr. Das Frage der Kernenergie, des Offenhaltens der Option wird in anderen Ländern immer deutlicher gesehen. für die friedliche Nutzung der Kernenergie nun Die anderen Länder steigen nicht aus, und da entsteht gescheitert. Wir haben auch nach den Konsensgesprä- dann das Problem. Ich wi ll hier keine Kernenergiede- chen einen Dissens. Das ist so. Nun müssen wir batte anfangen, sondern will nur sagen: Die Konse- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16131

Bundesminister Dr. Günter Rexrodt quenzen werden sein, daß die anderen in Zukunft die Deshalb bleiben wir dabei, daß wir ab 1997 für die Reaktoren bauen und daß die anderen die Sicher- Kohle zunächst 7 Milliarden DM zur Verfügung heitsstandards setzen werden. Es sind dann vielleicht stellen. Wir werden das Finanzierungssystem entwer- andere, als wir gesetzt hätten. Es werden die anderen fen und darüber in Kürze entscheiden; es wird sein, die in diesen Bereichen qualifizierte Arbeits- Bestandteil des Artikelgesetzes sein. plätze schaffen. Meine Damen und Herren, wir brauchen weiterhin (Zustimmung bei der F.D.P.) ein klares Bekenntnis zur Braunkohle. Braunkohle muß in diesem Energiemix eine wichtige Rolle spie- Das Ganze ist auch ein technologiepolitisches len. Insbesondere brauchen wir eine gesicherte Per- Debakel, weil die Gefahr besteht — ich will nicht zu spektive für die ostdeutsche Braunkohle. sehr schwarzmalen, aber ich muß das deutlich (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) sagen —, daß wir, nachdem wir aus prinzipiell ähnli- chen Überlegungen in die Gentechnologie erst gar Ich möchte daher die EVUs auffordern, aber auch die nicht eingestiegen sind, nun aus einer weiteren Spit- Länder und die Gemeinden, dafür Sorge zu tragen. Sie zentechnologie in diesem Lande aussteigen müssen — haben den Haupteinfluß, daß die Braunkohle, bei- und das Ganze unter der von der SPD gehißten Fahne spielsweise durch die Verstromung, eine gesicherte der technologieorientierten Industriepolitik. Perspektive haben kann. Ich fordere sie auf, sich kooperativ zu verhalten. Der Bund wird seinen Teil (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: dazutun. Er wird bis 1997 — das ist bekannt — Lächerlich!) 1,5 Milliarden DM zur Beseitigung von Altlasten zur Meine Damen und Herren, Sie können sich nicht Verfügung stellen. Es wird mit Sicherheit auch Rege- — wie vorige Woche geschehen — hier hinstellen und lungen geben, die über das Jahr 1997 hinausrei- die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen for- chen. dern und in dieser Woche eine Entscheidung dieser Meine Damen und Herren, wir werden auch bei der Art treffen. Das ist unmöglich! Förderung von Energieeinsparung und regenerativen Energien unsere Bemühungen verstärken, sicherlich (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nach Maßgabe der finanziellen Spielräume, weil wir Sie können nicht die technologischen Lücken und in diesen Maßnahmen eine wichtige Ergänzung, Schwierigkeiten in Deutschl and beklagen und näch- einen wichtigen Bestandteil des gesamten Energiemi- ste Woche zum Gentechnologiegesetz den Vermitt- xes sehen. Wir wollen alles tun, um Schaden von der lungsausschuß anrufen. Das heißt, Sie können es Energiewirtschaft und Schaden von der Industrie zu schon, aber die Leute werden daraus ihre Schlüsse wenden. Wir wollen alles tun, damit in wichtigen ziehen. Dessen bin ich ganz gewiß. Bereichen unserer Wirtschaft sichere Arbeitsplätze erhalten bleiben und in technologisch anspruchsvol- (Detlev von Larcher [SPD]: Vor allen Dingen len Bereichen unserer Wirtschaft neue Arbeitsplätze aus der Regierungspolitik werden sie ihre entstehen. Schlüsse ziehen!) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) — Dessen bin ich auch sicher. Das werden sie; völlig richtig. Wir möchten auch die Gespräche nicht abbrechen. Die Energiekonsensgespräche in der bisherigen Form Meine Damen und Herren, die Bundesregierung können wir zwar nicht weiterführen. Aber ich bin wird nun die notwendigen Entscheidungen — lei- sicher, über kurz oder lang wird sich bei der großen der — allein voranbringen müssen. Wir bleiben bei Oppositionspartei etwas bewegen. Wenn sich etwas dem Ziel eines sinnvollen Energiemix, also Kohle, Öl, bewegt, dann sind Sie herzlich eingeladen, dann Gas, regenerative Energien und Ke rnenergie. Wir stehen wir zur Verfügung, diese Energiekonsens- werden in diesem Zusammenhang die Verbindung gespräche wieder aufzunehmen. Zwischenzeitlich zwischen Kohle und Kernenergie nicht auflösen. Bei- wollen und müssen wir mit den Ländern, mit den des gehört zusammen, wie wir das im übrigen auch gesellschaftlichen Gruppen, mit den Parteien, auch beim Konsens erörtert und gesehen haben. mit der SPD, sprechen. Ich sage noch einmal, ich Weil beides zusammengehört und so gesehen würde mich freuen, wenn das Ganze wieder in ein wurde, werden wir ein Artikelgesetz einbringen, in Konsensgespräch einmünden könnte. dem wir u. a. die Standards für die neue Generation Wir werden alles tun, um die Konsequenzen Ihrer von Kraftwerken festlegen werden. Wir werden in Fehlentscheidung abzuwenden — im Interesse der diesem Artikelgesetz die Kohlefinanzierung sicher- Arbeitnehmer, im Interesse der Industrie und im stellen. Dies bleibt so, weil damit gewährleistet wer- Interesse des Technologiestandortes Deutschland. den kann, daß Energiepolitik Standortpolitik ist und Bitte ändern Sie Ihre Meinung! Helfen Sie uns, daß wir nicht, losgelöst vom Ganzen, auf Einzelentscheidun- zu diesem sinnvollen Energiemix im Interesse der gen konzentriert wird. Wir brauchen diesen Kontext, Menschen dieses L andes so bald wie möglich kom- um eine Energiepolitik zu machen, die die Kosten- men können. krise unserer Unternehmen entschärft. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Wir wollen die Fehlentscheidungen des SPD-Präsi- diums nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer und Ich erteile schon gar nicht auf dem Rücken der Bergarbeiter Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: nunmehr in der Debatte des Bundestages zur Energie- ausgetragen wissen. politik dem Ministerpräsidenten des Landes Nieder- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) sachsen, Gerhard Schröder, das Wort. 16132 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersach- wird, warum ist dann — weder in Bayern noch sonstwo sen): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen ist das geschehen — kein Antrag auf den Bau eines und Herren! Herr Rexrodt, mein Eindruck ist, daß Sie Kernkraftwerkes gestellt worden? Wenn das denn den Sinn oder das, was Sie Hauptfrage der Energie- notwendig wäre, warum tun Sie es denn nicht? Auf gespräche nennen, entweder nicht gekannt oder nicht dem Boden des Atomgesetzes ist es möglich. Das weiß verstanden haben — oder beides. Ich weiß das näm- doch jeder von Ihnen. Weil es aber so ist, daß keiner lich deshalb ziemlich genau, weil ich diese Gespräche bauen will, weil das gesellschaftliche Bewußtsein so initiiert habe. ist, wie dargestellt, entstand die Frage: Wenn nicht in Deswegen ist es vielleicht ganz interessant, daß die dieser Energieform, in welcher wollen wir denn dann Öffentlichkeit einmal erfährt, warum sie denn initiiert Energieproduktion am Standort Deutschland haben? worden sind. Wir haben uns in Hannover, Vertreter Das heißt, in welche Form von Energie soll investiert der Energiewirtschaft, Vertreter der Gewerkschaften, werden? aus einem ganz bestimmten Grund ge troffen, der in Das zweite in den Gesprächen war: Es ist in dem der Tat mit dem Standort Deutschland zu tun hat. ersten Zusammentreffen gefragt worden: Gibt es eine Es war nämlich zu beklagen, daß am Standort Möglichkeit, Kernenergie wegen der damit verbun- Deutschland Investitionen in Energieproduktion denen Gefahren zu überwinden? Und wenn ja, in nicht mehr stattfanden. Das hat etwas zu tun, Herr welchen Zeiträumen und unter welchen Bedingun- Rexrodt, mit Ihrer und Ihrer Regierung Unfähigkeit, gen? — Mir ist wichtig, meine Damen und Herren, daß die Bedingungen dafür herzustellen. Wenn es Ener- diejenigen, die die Gespräche initiiert haben, von gieproduktion gegeben und die Produk tion von Ener- dieser Fragestellung und von keiner anderen ausge- gie in Deutschland Perspektiven gehabt hätte, dann gangen sind. Das ist aufgeschrieben und beweis- hätte man die Gespräche doch gar nicht führen bar. — müssen. Aber dem war nicht so. Und warum war dem nicht so? — Weil Sie ausschließlich und allein auf die Die Hauptfrage war also, in welchen Zeiträumen Kernenergie fixiert sind. Das ist Ihr Problem, meine und unter welchen Bedingungen m an aus der Kern- Damen und Herren. energie aussteigen kann und in welche Form von Energieproduktion man dann hineingehen muß. (Beifall bei der SPD — Widerspruch bei der F.D.P.) (Zuruf von der CDU/CSU: Das sagen Sie! — Wer sich die Erklärungen derer, die für Energiepro- Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das hätte duktion zu sorgen haben, einmal sorgfältig anschaut euch so gepaßt!) — Veba, das RWE und andere —, der wird finden, daß — Das hätte nicht nur uns so gepaßt, sondern meinen die von Anfang an gesagt haben: Dies sind so gewal- Gesprächspartnern auch. — tige, so langfristig notwendige Investitionen, daß wir diese Investitionen in Kernenergie nicht machen (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Zu Hause werden, es sei denn, das gesellschaftliche und politi- hätte das gepaßt! — Dr. Wolfg ang Schäuble sche Bewußtsein, daß gegen die Kernenergie gerich- [CDU/CSU]: In Ihrer Koali tion zu Hause!) tet ist, ändert sich. Es war also parallel das Ausstiegsziel auf der einen und die Entwicklung neuer, nicht auf Kernenergie Herr Mini- Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: gestützter Energieversorgungsstrukturen auf der an sterpräsident, lassen Sie eine Zwischenfrage des -deren Seite zu diskutieren. Das war die Frage, die Abgeordneten Dr. Weng (Gerlingen) zu? behandelt werden sollte. — Sie schütteln den Kopf. Sie waren doch gar nicht dabei, als diese Frage zwischen Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersach- den Gesprächspartnern aufgetaucht ist. sen): Nein, lassen Sie mich das im Zusammenhang ausführen. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das ist doch ziemlich töricht!) Das ist Ihr Vizepräsident Dieter-Julius Cronenberg: — Sie können es mir schon glauben; denn die Gesprä- gutes Recht. che haben in meinem Gästehaus in Hannover stattge- funden. Da waren Sie nicht zugegen, auch wenn Sie Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersach- noch so laut schreien. — Es ging also um die Frage- sen): Das wollte ich auch in Anspruch nehmen. — Das stellung: In welchen Zeiträumen kann m an Kernener- heißt, die Industrie, um die es geht, die die Investitio- gie überwinden, und was muß an deren Stelle tre- nen machen muß — diejenigen, die mit uns geredet ten? haben, wissen das haargenau —, ist überhaupt nicht bereit, in Kernenergie zu investieren. Das war der Wir haben versucht, das zu klären, also festzulegen, Ausgangspunkt, meine Damen und Herren. auf welcher Basis Energieversorgung künftig ge- (Widerspruch bei der CDU/CSU) macht werden soll. Wir haben z. B. zu klären versucht, was die Voraussetzung dafür ist, daß Energiesparen — Nun bleiben Sie doch mal ruhig! Das scheint hier nicht nur ein Begriff bleibt, sondern zu gesellschaftli- unüblich zu sein. cher, politischer Wirklichkeit wird. Das geschah vor (Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind hier ein dem Hintergrund der Tatsache, daß der Bundeswirt- höheres Niveau gewöhnt!) schaftsminister zwar immer von Programmen, die er Deswegen entstand die Frage, meine Damen und auflegen würde — vielleicht jedenfalls —, geredet hat, Herren — und die hat in der Tat mit Standort zu tun —: aber auf diesem Sektor nichts — jedenfalls nichts Wenn es so ist, daß in Kernenergie nicht investiert Nennenswertes — geschehen ist, solange Ihre Regie- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16133

Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersachsen) rung existiert. Das ist doch Ihr Versäumnis, meine kann ja nur gelegentlich hier sein —, daß Sie disku- Damen und Herren, das hier zu beklagen ist. tieren, die Forschungsförderung für diesen Bereich zurückzunehmen. (Beifall bei der SPD) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Stimmt ja Außer einer blumigen Ankündigung, daß man auch gar nicht!) für Energiesparen sei, ist vom Bundeswirtschaftsmini- ster und anderen nichts gesagt worden. Von den — Dann hat die Presse das falsch berichtet; das kann ja notwendigen Ressourcen, die aufgebracht werden sein, meine Damen und Herren. Aber es ist so berich- müßten, wenn man wirklich in Energiesparen einstei- tet worden. Wenn dem nicht so ist — um so besser. gen will, war nicht die Rede. Das kostet nämlich Geld. Dann erklären Sie doch bitte, was es zu bedeuten hat, Sie wissen das auch, sind aber nicht bereit, zu sagen, daß Sie auf der einen Seite die Förderung der For- daß das so ist und wie und in welchem Zusammen- schung für diesen Bereich zurücknehmen wollen hang Sie die Mittel aufbringen wollen. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Stimmt immer noch nicht!) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Steht doch im Haushalt!) und auf der anderen Seite hier Reden halten, daß m an träger leisten den Beitrag, den regenerierbare Energie Das ist Ihr Problem. Wenn das Ihr Problem bleibt, dann können, natürlich äußerst begrüße. Begrüßen mag ja sollten Sie nicht über Standort reden. Natürlich ist es sein. Nur: Sie müssen etwas dafür tun, meine Damen so, daß bei Investitionen in Energiesparen sehr viel für und Herren, die Verbesserung der Standortbedingungen in Deutschland abfiele. Ihr Problem ist aber, daß Sie auf (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Bezahlen Kernenergietechnologie fixiert sind auch!) (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Das ist ja und da ist Fehlanzeige. nicht wahr!) (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste — Zuruf von der F.D.P.: Matter Beifall!) und diese Fixierung als einen Beitrag zur Verbesse- rung des Standorts Deutschland ausgeben. Das ist Das waren die Fragen, die zu klären waren. Also: Was ganz falsch, meine Damen und Herren. sind die Bedingungen für einen Ausstieg, und wie sieht die neue Energieversorgungsstruktur aus? (Beifall bei der SPD — Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Das ist ja nicht wahr, und Sie Meine Damen und Herren, das sind Fragen, die wissen das!) immer noch zu klären wären, deren Klärung Sie sich aber verweigert haben, weil Sie die Hauptfrage, um Der zweite Punkt, der zu klären war, betraf die die es ging: „Wie sieht eine vernünftige Energiever- Frage: Wie finanzieren wir die Kohle, die Braunkohle sorgungsstruktur der Zukunft ohne Kernenergie auf der einen und die Steinkohle auf der anderen aus?", einfach in die angebliche Hauptfrage, um die es Seite? Darüber haben wir die ganze Zeit wenig gehört. aber gar nicht ging, umdefiniert haben: „Wie schaffen Sie haben — im Gegenteil — versucht, den Beitrag, wir der Kernenergie wieder eine Zukunft?" den deutsche Steinkohle zur Energieversorgung lei- sten könnte, insoweit immer kleiner zu machen, als Sie sich monatelang geweigert haben, vernünftige Finanzierungskonzepte für Steinkohle über 1996, für Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Ministerpräsi- Braunkohle über 1997 hinaus auch nur in Umrissen dent, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord- vorzulegen. neten Faltlhauser? Auch jetzt habe ich dazu nichts gehört. Die Öffent- lichkeit hat eine Energiedebatte wahrgenommen, und die einzige Information, die Sie geben, ist, zu sagen, Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersach- Sie machten ein Artikelgesetz. Wir wären doch schon sen): Frau Präsidentin, auch bei Ihnen, in allem einmal sehr gespannt, was das für ein Gesetz ist. Es Respekt: Ich wollte es einmal im Zusammenhang wäre auch vernünftig gewesen, in dieser großen darstellen, wenn Sie mir das gestatten. Debatte darzulegen, wie Sie die Finanzierung regeln (Lachen und Widerspruch bei der CDU/CSU wollen? Wie stellen Sie sich die Anschlußlösung ab und der F.D.P.) 1996 vor? Um welche Mengen soll es dabei gehen? Für — Galt dieses Buhen jetzt mir oder schon wieder Ihrer welche Zeiträume wollen Sie die Mengen und die Präsidentin? entsprechenden Finanzmittel garantieren? — Aber es gibt kein Wort des dafür an sich zuständigen Bundes- (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Feiglinge wirtschaftsministers darüber. Energiepolitische Kon- haben wir nicht so gerne!) zepte sind bei Ihnen, Herr Bundeswirtschaftsminister Ich wollte deutlich machen, daß Sie hier den Ver- — im übrigen war dies auch bei den Gesprächen so —, such unternehmen, die Frage, um die es in den Fehlanzeige. Kernenergiekonsensgesprächen ging, einfach umzu- (V o r sitz: Präsidentin Dr. Rita Süssmuth) definieren. Der dritte Punkt, der zu klären war, behandelte die (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Laber, Frage: Welche Ro lle sollen regenerierbare Energie- laber, laber!) träger in der Zukunft spielen? — Es ist ganz interes- Dieser Versuch wird aber mißlingen, weil Sie an der sant, zu hören — ich entnehme das der Presse, ich Initiierung dieser Gespräche überhaupt nicht beteiligt 16134 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersachsen) waren — andere schon — und weil wir deswegen die Dann gab es das dritte Problem. Herr Faltlhauser Historie kennen und Sie nicht. Das ist das Problem. und andere haben gesagt: Wir wollen aber (Weitere Zurufe von der CDU/CSU) (Zuruf von der CDU/CSU: Bei der Wahrheit bleiben! — Gegenruf von der SPD: Ihr und Dann war ein zweiter Bereich zu klären — und ist die Wahrheit!) immer noch klärenswert —, der der Entsorgung näm- eine Option für die Kernenergie behalten. Das ist in lich. Wir leisten uns doch die Schwierigkeit — um es den Debatten so gewesen. Herr Faltlhauser und sehr zurückhaltend zu sagen, meine Damen und andere, die beteiligt waren, wissen, daß wir diese Herren —, Option nicht wollten. Sonst wäre es ja gar nicht zu (Zuruf von der CDU/CSU: Strikt am Thema diesem Streit gekommen. vorbei!) (Zuruf von der CDU/CSU: Was wollten denn Sie persönlich?) daß wir nach Ihrer Auffassung weiter in der Kernener- gie bleiben, daß gleichzeitig aber das Problem der Dann haben wir folgendes miteinander beraten: ob Entsorgung nach wie vor völlig ungelöst ist. es einen Weg geben könne, Forschung und Entwick- lung für eine neue Generation von Reaktoren zuzulas- (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Wegen sen, darüber aber nicht heute zu entscheiden, weil der Willkür in Hannover! — Zuruf von der sich ja die prinzipiellen Befürworter einerseits und die F.D.P.: Weil Sie blockieren!) prinzipiellen Gegner andererseits gegenüberstanden. In der Tat habe ich — das habe ich einzuräumen, und Deswegen wäre es doch höchst vernünftig gewesen, das tue ich gar nicht ungern — gesagt: Dann laßt uns die Fragen der Entsorgung wirklich zu besprechen eine solche Option entwickeln, schauen, ob die Indu- und einer Lösung zuzuführen. strie — wofür zur Zeit nichts spricht — jenen abstrakt (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: diskutierten Sicherheitskriterien je genügen kann, Weil Ihre grüne Regierung blockiert! laßt uns dann aber, bevor ein solcher Reaktor in Serie — Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Was geht, es also zu einem kommerziellen Wiedereinstieg haben wir denn die ganze Zeit gemacht? in eine neue Generation kommt, ein politisches — Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Schäuble Quorum vereinbaren, das erfüllt sein muß, wenn es [CDU/CSU]) einen Wiedereinstieg geben soll. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das war — Nein, nein, das haben wir halt nicht gemacht. Sie am Montag früh! Und was war Montag waren in den Gesprächen ja auch nicht zugegen, Herr abend?) Schäuble, endlich einmal nicht. Das war, meine Damen und Herren, jene Zweidrittel- Ich will Ihnen gern sagen, wo der Zusammenhang mehrheit in diesem Hohen Hause und im Bundes- war. Warum ist denn die Idee geboren worden zu rat. sagen: In welchen Zeiträumen müssen wir aus der Es wäre — für mich jedenfalls — sehr interessant Kernenergie raus? Das hat etwas mit der spezifischen gewesen, herauszubekommen — das kann m an Gefährlichkeit dieser Form der Energieproduktion zu immer noch machen —, ob sich Ihre Seite auf ein tun, das hat aber auch mit der nicht gelösten Entsor- solches Quorum eingelassen hätte. Sie könnten mir gungsfrage zu tun. Wer Entsorgung verantwortlich das ja einmal sagen. machen wi ll, der muß wissen, um welche Mengen es dabei geht — und um welche Stoffe im einzelnen Ich verstehe indessen, daß Sie es nicht tun werden natürlich auch. und nicht tun wollen, weil — was ich in der Tat für einen Fehler halte — das Präsidium meiner Partei (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Schröder gesagt hat: Mit dieser Option können und wollen wir sitzt auf dem Schlauch und beklagt sich, daß nicht leben; es bleibt bei den drei anderen Themen. kein Wasser kommt!) Das ist in der Tat so gewesen, das habe ich hinzu- Hier beginnt der sachliche Zusammenhang zwi- nehmen, und damit habe ich politisch umzugehen; schen geordnetem Auslaufen des Abenteuers Ke rn denn ich habe dort nicht als Individuum, sondern für -energie auf der einen Seite und vernünftiger Bereit- meine Partei verhandelt. schaft, an der Entsorgung mitzuwirken, andererseits. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Für Herrn Sie haben immer noch nicht realisiert, meine Damen Scharping!) und Herren von der Koalition, daß ein „Weiter so!" — Für wen auch immer. Eine Partei besteht aus mehr auch deshalb nicht geht, weil Sie immer mehr atoma- als einer Person. ren Müll produzieren, von dem Sie bis heute nicht wissen, wo er endgültig verbleibt. (Zuruf von der CDU/CSU: Aber Herr Schar- ping macht das immer so! — Diet rich Auster- (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und mann [CDU/CSU]: Er schickt immer die dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) anderen los! — Zuruf von der CDU/CSU: Siehe Blauhelme!) Diese Frage zu diskutieren wäre sehr interessant gewesen. Sie haben sich ihr verweigert. Ich glaube, daß man das hätte verantworten können und daß die Option dann bedeutet hätte, daß vor einer (Zuruf von der CDU/CSU: So ein kommerziellen Nutzung weiterer Kernkraftwerke Schmarrn! ) eine Zweidrittelentscheidung des Deutschen Bundes- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16135

Ministerpräsident Gerhard Schröder (Niedersachsen) tages und des Bundesrates steht. Das hieße, daß aus viel Angst vor der Courage! Das ist das Ergebnis Ihrer Sicht der SPD der Nürnberger Beschluß, den wir zum Bemühungen. Ausstieg gefaßt haben, zwar nicht im ersten Schritt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) — ich glaube, das ist mit CDU, F.D.P. und CSU auch schwer möglich — Das, meine Damen und Herren, sind Ihre beiden Ausgangspunkte gewesen: Der eine sagt: Die Ideolo- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Gott sei gen haben sich durchgesetzt! Der andere sagt: Zuviel Dank!) Angst vor der Courage! voll realisiert worden wäre, daß aber der kommer- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So ist zielle Neubau grundgesetzlich verboten gewesen das!) wäre und diese Sperre nur mit Zweidrittelmehrheit in Parlament und Bundesrat hätte aufgehoben werden Dies, meine ich, ist etwas, über das man hinwegge- können. hen könnte, wenn es nicht für den Standort Deutsch- land unglaubliche Konsequenzen hätte. Deswegen (Zuruf von der CDU/CSU: Und das nennen muß dies hier in aller Deutlichkeit diskutiert und in Sie Politik!) den Konsequenzen verhindert werden. Das ist unsere Meine Damen und Herren, das waren die Elemente Position. dessen, was wir erreichen wollten. Es scheint so, als sei (Freimut Duve [SPD]: Was sagt denn der dies nicht erreichbar. Ich bin natürlich kein Prophet, Umweltminister jetzt zur Entsorgung?) will aber darauf hinweisen, daß sich die Situation, was Energieinvestitionen in Deutschland angeht, durch — Darauf komme ich gleich zurück. die Nichteinigung keinen Deut verändert hat. Des- Wenn wir uns ansehen, wie die Gespräche gelaufen halb gehe ich davon aus, daß wir über kurz oder lang sind, wird die Sache noch interessanter. Deswegen — weil es Kernenergieinvestionen nicht geben wird — möchte ich das ganz gerne aufgreifen. Es sind viele in vor der gleichen Ausgangsposition stehen. Dann die Gespräche hineingegangen, die gesagt haben: reden wir über Energiepolitik in Deutschland, die Sie Wir können sie ruhig beginnen; sie werden zu keinem bisher nicht gemacht haben. Sie hätten in diesen Ergebnis führen können; die Positionen sind zu weit Bereichen viel tun können, was Sie aber unterlassen auseinander. Sie können sich die Diskussionen in den haben. Medien noch gut in Erinnerung rufen. Dann ist etwas (Widerspruch bei der CDU/CSU) passiert, was der eine oder andere vielleicht gar nicht erwartet hatte: Es wurde auf einmal sachlich disku- Insofern, denke ich, wird es eine Situation geben, in tiert. der man über ein solch rationales Konzept erneut reden muß. Nach meiner Überzeugung wird diese (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Aber erst, Situation eintreten, wenn Sie — was viele wünschen, als die GRÜNEN weg waren! Als Herr Sie natürlich nicht, was aber eintreffen wird — ab 1994 Fischer nicht mehr dabei war!) nicht mehr an der Regierung sind. Je tiefer man in die Sache einstieg, desto mehr merkte (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Liste man: Es gibt ja wirklich Gemeinsamkeiten; da kann — Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Noch man ja etwas zusammen machen. Als das der Kollege ein Lacher zum Schluß!) Fischer merkte, ist er ausgestiegen. (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Jawohl!)

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht Das war genau der Moment, in dem die GRÜNEN der Minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- diese Gespräche verlassen haben. cherheit, Dr. Klaus Töpfer. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch selbst Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Umwelt, nicht!) Naturschutz und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Das war programmiert! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Mini- sterpräsident von Niedersachsen hat seine Rede mit (Zuruf von der CDU/CSU: Genauso war es! dem Hinweis auf die Entstehungsgeschichte der — Staatsminister Joseph Fischer [Hessen]: Energiekonsensgespräche begonnen. Aber es ist doch ein anständiger Zug von Es ist richtig: Da gab es also die Herrenrunde in mir!) Hannover; — Selbstverständlich. Herr Fischer sagt mir gerade, es sei ein anständiger Zug von ihm; insofern ist es auch (Zuruf von der CDU/CSU: Waren keine anständig von ihm, daß er es hier noch einmal Frauen dabei?) bestätigt. daran waren die Vertreter der Industrie und der Gewerkschaften beteiligt. Am Ende stehen wir vor Er ist nämlich mit dem Hinweis herausgegangen, er dem Scheitern der Energiegespräche, weil auch hier wolle den Faden gerade reißen lassen. Richtigerweise die SPD aussteigt. Exakt die beiden, Herr Kollege ist die SPD drin geblieben, weil sie den Faden nicht Schröder, die Sie in diese Situation gebracht haben, reißen lassen wollte. Die Frage nach der Option ist also geben Ihnen das Zeugnis. Das, was der Kollege Rappe von uns in diesen Energiekonsensgesprächen nicht gesagt hat, hat Herr Rexrodt schon zitiert. Das, was die nachgeschoben worden, sondern von allem Anfang Industrie gesagt hat, hat Ihnen Herr Hartmann, jetzt an Kern der Diskussion gewesen. Vorstandsvorsitzender von VEBA, geschrieben: Zu- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 16136 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer Herr Kollege Schröder, wir sind uns doch auf so Dies ist doch unsere gemeinsame Position. Lassen Sie vielen Gebieten in der Kernenergiediskussion sehr uns doch nicht in eine Situation hineinkommen, in der viel näher gekommen, z. B. in der Frage der Entsor- wir — das haben Sie ja mehrmals gesagt — wieder gung. Nebenbei möchte ich sagen: Es ist nicht immer parteipolitische Auseinandersetzungen führen. Das überzeugend, wenn m an als Begründung für die wäre auch im Hinblick auf die Diskussion, die wir Nichtmöglichkeit der Kernenergie genau die Dinge geführt haben, der völlig falsche Ansatzpunkt. So anführt, die man durch eigenes Tun verhindert. Das ist kommen wir doch nicht weiter. natürlich auch ein Punkt. Herr Kollege Rexrodt hat doch zu Recht gesagt: Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wollen uns das Instrument Kernenergie zumindest erhalten. Es war doch gar nicht so schlecht, mit Ich habe geglaubt, wir wären über dieses Problem ein Parteivertretern und danach mit Vertretern gesell- Stück hinweggekommen. Es steht in dem Papier von schaftlicher Gruppen zu sprechen, so daß es einen Herrn Rappe, wir können Schacht Konrad streitfrei Rückkoppelungsprozeß gibt und man sich näher- stellen. Wenn wir das erreichten, kämen wir in bezug kommt. auf sehr viele Fragen der Entsorgung ein ganz wesent- liches Stück weiter. Das steht im Rappe-Papier. Das Als es dann sogar gelang, andere Probleme dieses haben Sie aufgegriffen, und wir haben es mitgetra- Energiekonsenses erkennbar zu lösen, wurde die gen. Wohlgemerkt, das Genehmigungsverfahren muß Situation für andere offenbar noch problematischer. in aller Ordnung durchgeführt werden. Politische Es ist ein hervorragender Beschluß dieser Koalition, Entscheidungen ersetzen nicht die sachliche Überprü- sich in der Kohlefinanzierung auf einen Plafond von fung der Genehmigungsfähigkeit. 7 Millarden DM zu einigen und damit nicht nur Kohleförderung, sondern auch Regionalpolitik und (Ministerpräsident Gerhard Schröder [Nie unternehmerische Konzeption in der Kohleindustrie dersachsen]: Und was ist mit Gorleben?) zu ermöglichen. Das ist eine gute Sache. — Ich komme jetzt auf Gorleben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Hierbei haben wir uns ein gutes Stück aufeinander Ich bin der festen Überzeugung, daß alle, die sich zubewegt. Sie haben die Position vertreten, Gorleben ernsthaft mit der Kohlefinanzierung beschäftigen, sei zu streichen. Wir haben gesagt: Gorleben muß dies in Ordnung finden. Sie haben es doch auch so weiter untersucht werden. Herausgekommen ist ein Ihrem Präsidium mit vorgelegt. Sie haben es sogar mit gutes Ergebnis. Wir haben gesagt, wir streichen einer degressiven Komponente vorgelegt, über die Gorleben nicht. Wir haben durch die Einigung auf wir an vielen Stellen geredet haben. Ich bin froh, daß eine mögliche direkte Endlagerung mehr Zeit bekom- wir eine Vorlage ohne die degressive Komponente men und können uns Gorleben offenhalten, so daß wir beschlossen haben, damit in den Revieren Sicherheit im Jahre 2005 zwischen Gorleben und anderen Stand- besteht und auf Dauer, bis zum Jahr 2000, 7 Milliarden orten entscheiden können. Ich frage Sie: Warum DM gezahlt werden können. Sie haben es doch gehen Sie denn von dieser Position weg? vorgelegt; dann tun Sie hier doch bitte nicht so, als (Zurufe von der SPD) hätten wir über die ganzen Dinge nicht gesprochen. Das ist doch eine vernünftige Verfahrensweise. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das war Ich möchte es noch einmal sagen: Je näher wir an geschwindelt!) einen Konsens herankamen, um so mehr gab es Ich möchte schon ganz klar fixiert haben, daß wir eine diejenigen in der SPD, die nach einer Reißleine solche Entwicklung bis knapp an eine Einigung heran gesucht haben, mit deren Hilfe sie endlich aus diesen geschafft haben. Energiekonsensgesprächen aussteigen konnten. Das Bei der Reaktorsicherheit in Mittel- und Osteuropa ist doch der Punkt. müssen wir bedenken, daß wir dort zunehmend kri- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tisch betrachtet werden, weil unsere Sicherheitsanfor- derungen ein Stück weiter reichen als die, die andere - Herr Kollege Schröder, noch einmal: Das sage ich anbieten, und deswegen unsere Sicherheitstechnolo- doch nicht mit Freude in der Stimme. Denn in dem möglicherweise etwas teurer ist als andere. Wir Papier, das Sie beschlossen haben, gibt es sogar den gie wollen gerade die besten Sicherheitstechnologien bei Hinweis, unsere Industrie habe die Zusammenarbeit unseren Nachbarn durchgesetzt sehen, weil deren bei der Erhöhung der Reaktorsicherheit in Mittel- Sicherheit auch unsere Sicherheit ist und weil wir das und Osteuropa bitte sofort zu beenden. bei einer Technologie, die von anderen verantwortlich (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ver zu nutzen ist, nicht voneinander trennen können. antwortungsloser geht es nicht mehr!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das geht für mich schon in eine Kategorie hinein, bei Nein, meine Damen und Herren, dies ist ein herber der ich mich fragen muß: Kann uns so etwas denn Rückschlag, der an vielen Stellen die Besorgnis mit wirklich trennen, wenn es darum geht, daß wir dort, sich bringt, daß damit doch sehr viel vordergründige wo wir gegenwärtig Änderungen in der grundsätzli- Moral verbunden ist. Herr Kollege Schröder, Sie chen Energieversorgung nicht erreichen können, haben uns in der letzten Sitzung — Sie werden wenigstens das Beste tun, um mit deutscher Sicher- erwarten, daß ich darauf zurückkomme — einen guten heitstechnik die Sicherheit zumindest relativ zu ver- Hinweis gegeben. Sie haben dem dort anwesenden bessern? Kollegen Schäfer aus Baden-Württemberg gesagt, er (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) könne sich vielleicht daran erinnern, daß demnächst Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16137

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer insgesamt 900 Megawatt Kernenergiestrom aus der Ich habe Ihnen gesagt, daß unsere Positionen, die des Schweiz und aus Frankreich, nämlich aus Fessenheim Kollegen Schröder und unsere, ganz nah beieinander- und Cattenom, nach Baden-Württemberg geliefert liegen. Herr Kollege Schröder hat gesagt: Ja, auch wir werden. Ich habe das nicht zu kritisieren; ich habe nur stimmen dem Schacht Konrad zu. Das ist die Entsor- festzuhalten, daß Sie das dem Kollegen Schäfer deut- gung von schwach- bis mittelradioaktiven Abfallstof- lich gemacht haben, und zwar mit dem Hinweis: fen — das will ich nur der Vollständigkeit halber ergänzen —, und das sind etwa 90 % der Menge a ller (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Abfallstoffe, die wir haben. Wußte der das noch gar nicht?) Wie können wir es denn richtig machen, wenn wir bei Schacht Konrad ist eine reale Einrichtung, bei der uns aussteigen und gleichzeitig aus den Kernkraft- ein Genehmigungsverfahren vor dem Abschluß steht. werken unserer Nachbarn Strom beziehen müssen? Darin sind wir uns bei der Entsorgung einig. Wir Dies ist eben die vordergründige Moralität. haben gleichzeitig gesagt, daß wir die direkte Endla- gerung zulassen wollen und deswegen mehr Zeit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) haben. Wir haben uns eigentlich auch darauf geeinigt, Ich bin schon der Meinung: Wenn wir diese Technik daß wir alternative Standorte erkunden und daß wir brauchen, dann sollten wir sie auch bei uns verant- im Jahre 2005 einschließlich Gorleben entscheiden, worten, mit unseren Sicherheitsanforderungen und wo wir es machen wollen. Das war die Antwort. Sie ist mit unserer öffentlichen Diskussion darüber, statt sie auch nachlesbar. Wir haben es gleichzeitig beim von den Nachbarn zu holen, wo wir uns bestenfalls Plutonium gemacht, wie ich Ihnen dargestellt habe. Kritik einhandeln. Zusammengefaßt: Wir waren im gesamten Kern- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) energiebereich bis einschließlich der Option auf einen Reaktor, dessen Kriterien wir mit Fachleuten erörtert Das war doch wohl sicher der Grund, warum Sie das haben, entscheidungsfähig, und dann ist in letzter angeführt haben. Minute die Reißleine des Ausstiegs aus diesen Mir wäre es doch lieber, wir hätten in Baden- Gesprächen gesucht worden. Das ist das, was zu Württemberg ein Kernkraftwerk, das diese 900 Mega- bedauern ist. watt erzeugt, als wenn wir sie bei unseren Nachbarn (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Ein Skan- kaufen, ohne daß ich damit eine Kritik an den franzöi- dal!) schen Kernkraftwerken verbinden möchte. Dann lie- ber besser bei uns! Ein gesamter Energiekonsens ist also möglich. Er ist Das betrifft auch andere Fragen. Herr Kollege unter Einschluß der deutschen Steinkohle in einer Fischer sitzt hier. Meine Damen und Herren, wir sind Form möglich, die diesem Energieträger auch als uns einig darüber, daß wir aus den Altverträgen der Technologieträger eine gute Zukunft ermöglicht. Mir Wiederaufarbeitung auf jeden Fall noch 40 Tonnen liegt sehr daran, daß wir darüber gesprochen haben, daß wir Kohlekraftwerke mit höheren Wirkungsgra- Plutonium verarbeiten müssen. Wir sind uns einig darüber, daß wir das in MOX-Brennelementen tun den bei uns zu entwickeln haben. Denn weltweit wird sollten. Das ist nämlich die beste Art der Degenerie- die Kohle einen bedeutsamen Beitrag zur Energiever- rung und Denaturierung von Plutonium. Aber wenn sorgung leisten, und deswegen muß sich der Techno- wir uns darüber einig sind, sollten wir uns genauso logiestandort Deutschland zwar nicht aus der Kern- darüber einig sein, daß wir diese MOX-Brennele- energie verabschieden, aber auch einen Beitrag dazu mente in Deutschland fertigen, und sollten diese leisten, daß die besten und modernsten Kohlekraft- Verantwortung nicht wiederum auf andere abwälzen. werktechnologien bei uns entwickelt und exportiert Lassen Sie uns dies in der zu 90 % fertigen Anlage in werden können. Hanau tun und nicht irgendwo in Frankreich. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das ist doch genauso wichtig. Deswegen haben wir - Ich freue mich schon auf die Antwort, die der Kollege über Wirkungsgrade diskutiert und uns gefragt, ob Fischer dazu geben wird. man das ordnungsrechtlich oder durch marktwirt- schaftliche Anreize erreichen kann. Alles das sind (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Na ja, doch sinnvolle Verfahrensweisen. Ja, ich wi ll den freuen tun wir uns nicht! Das wäre zuviel Steinkohlestandort Deutschland erhalten. Ich möchte gesagt!) ihn als ein Rückgrat für die Energieversorgung, aber — Der Begriff der Freude ist breit, das ist wahr. auch als einen technologischen Entwicklungsträger erhalten. Das ist doch richtig. (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: Das wird in der Sache keine Antwort sein! — Das gilt auch für die deutsche Braunkohle, beson- Zuruf von der SPD: Wann kommt denn das ders für die Braunkohle in Ostdeutschland. Ich möchte mit der Entsorgung, Herr Minister?) darauf hinweisen, daß das EVU, das sich in besonde- rer Weise mit der Kernenergie beschäftigt, nämlich — Die Entsorgung hatte ich vorhin versucht anzuspre- das Bayernwerk, das Unternehmen ist, das ein Braun- chen, aber ich kann es Ihnen zuliebe gerne noch kohlekraftwerk in Lippendorf baut und damit auch einmal wiederholen. Braunkohle in Ostdeutschland sichert. Wir brauchen (Zurufe von der CDU/CSU: Ein Privatissi die Braunkohlekraftwerke. Wir haben schon einmal mum! — Etwas langsamer, damit er es darüber gesprochen. Auch das war Gegenstand dieser begreift!) Erörterungen. 16138 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer Gleiches gilt für die erneuerbaren Energien und sten Industriegruppen in unserer Gesellschaft bereit das Energiesparen. Auch da waren wir uns einig, daß ist, eine Umsteuerung der Grundlagen der Energie- gegenwärtig große Finanzmittel nicht vorhanden wirtschaft mitzumachen, wenn ihr noch eine gewisse sind, um erneuerbare Energien zusätzlich zu fördern, Amortisationszeit für ihre Kernkraftwerke zugestan- daß dies aber nicht ausschließt, daß wir sobald wie den wird. möglich auch in diese Förderung hineinwachsen, um Der Druck auf der Straße, die Nichtakzeptanz der erneuerbare Energien zu bekommen. Kernkraftwerke in der Gesellschaft, ermöglichte ja Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: erst die Blockade des Zubaus von Atomkraftwerken, Selten waren wir in der Bundesrepublik Deutschland und eine Neuausrichtung der Energiepolitik schien so weit, daß wir zu einer rationalen gemeinsamen unausweichlich. Energiepolitik zurückfinden konnten. Es ist eine Ener- Nun haben aber offensichtlich jene Kräfte in der giepolitik, die für die Sicherheit in Deutschland und in Industrie und bei der Atomlobby im parlamentari- Europa, die für die Wirtschaftlichkeit des Standorts schen Raum die Oberhand gewonnen, die sich eine Deutschland und die damit für viele soziale Fragen Aufhebung dieser Blockade durch Überwindung des von außerordentlicher Bedeutung ist. Widerstands gegen Atomkraft vorstellen, wie auch Sie alle, die Sie an den Energiekonsensgesprächen immer sie das bewerkstelligen wollen, mit Argumen- mitgewirkt haben, haben das Schreiben des Betriebs- ten oder — wahrscheinlicher — mit der geballten rätekongresses 1986 bekommen. Die Betriebsräte, die Staatsmacht. alle Mitglieder von Gewerkschaften sind, sprechen für 350 000 Arbeitnehmer. Sie sagen: Bringt endlich Das Problem von Gerhard Schröder in der gegen- den Energiekonsens mit Kohle und mit Kernenergie. wärtigen Auseinandersetzung scheint mir gewesen zu Das ist das, was wir wollen. Warum können wir uns sein, daß er geglaubt hat, besonders listig zu sein, darauf nicht einigen? wenn er scheinbar einen Versuchsreaktor akzeptiert, ihn aber für ökonomisch nicht realisierbar hält. Er ist Ja, wir wollen weiterhin den Konsens. Die Tür bleibt damit auf die Nase gefallen, wiewohl das Ziel, die offen. Aber wir gehen mit der gleichen Grundüberle- weitere Nutzung der Kernenergie an eine verfas- gung an den Konsens heran, mit der wir das letzte Mal sungsgebende Mehrheit im Deutschen Bundestag zu begonnen haben. Der Münchner Philosoph Spae- knüpfen, also durchzusetzen, daß die Blockadepolitik, mann hat einmal den schönen Satz gesagt: Wenn wir die sich auf der Straße entwickelt hat, mit Verfas- uns zu leichtfertig auf das Falsche einigen, so bleibt es sungsrang ausgestattet wird, ein lohnendes Ziel doch das Falsche. Wir können uns mit Ihnen nicht auf war. das Falsche einigen, aber wir gehen davon aus, daß Sie auch das Richtige erkennen und diese Gespräche Das gleiche gilt für die Ausverhandlung der Rest- dann fortführen können. laufzeiten der bestehenden Atomkraftwerke. Tatsa- che ist doch: Die Nutzung von Atomenergie treibt in Ich danke Ihnen sehr herzlich. der Bundesrepublik nicht auf natürliche Weise einem (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ende zu. Die Optionen für einen Ausbau der Kern- energie stehen trotz der Akzeptanzprobleme in der Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht Gesellschaft weiter offen. Deshalb wäre es gut gewe- der Abgeordnete Bernd Henn. sen, den Sack zuzubinden. Das geht nur mit Politik. Ich bin auch nicht so optimistisch, zu glauben, daß Bernd Henn (PDS/Linke Liste): Frau Präsidentin! die nächste Bundestagswahl eine Konstellation Meine Damen und Herren! Die anfänglich fast eupho- bringt, die dieses Vorhaben unbedingt leichter rischen Erwartungen an die Initiative von VEBA, RWE macht. und Gerhard Schröder für einen Energiekonsens gin- Wenn man nun etwas hämisch formuliert, daß sich gen bis ins realo-grüne Lager. Ich erinnere mich an der niedersächsische Ministerpräsident zu weit vorge- eine Schlagzeile der „taz" vom 5. Dezember 1992, in wagt habe, dann muß man meines Erachtens aber der es hieß: Atomkraft jetzt Übergangsenergie. Und auch sehen, daß die dargebotene Kompromißlinie weiter: Der Ausstieg in Wackersdorf war nichts dage- nicht ein Problem des Ministerpräsidenten aus Nie- gen. dersachsen allein ist, sondern ein Problem der SPD als (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Jetzt solcher. ärgert er sich aber, der Herr Fischer!) Da steht ein großer Teil der nordrhein-westfälischen Nun ist dieser Konsens geplatzt, und das ist aus SPD weiter hinter der Kernkraft. Da fördert der unserer Sicht gut so, weil unsere Position von einem baden-württembergische Umweltminister, wenn sofortigen Ausstieg aus der Kernenergie ausgeht. Wir auch vielleicht gegen seinen Willen, die nukleare freuen uns über die jüngste Entwicklung — nicht, weil Zusammenarbeit zwischen Siemens und Framatom. wir nicht auch einen Konsens in der energiewirtschaft- Da hat die Atomlobby mit den mächtigen Chefs der IG lichen Debatte wünschten; aber ein Konzept ohne Chemie und der IG Bergbau und Energie zwei wich- klare Ausstiegsdaten aus der Kernenergie und ohne tige Fürsprecher, die zugleich auch noch Abgeordnete gesicherte Endlagerung der atomaren Abfallprodukte des Deutschen Bundestages sind. Mit diesem Orche- ist für uns nicht denkbar. ster soll dann Gerhard Schröder einen Ausstiegs- Dennoch, meine ich, war der Versuch, den Gerhard beschluß des SPD-Parteitages durchsetzen. Schröder unternommen hat, nicht unnütz. Ich denke, Ich begreife, daß das eine außerordentlich schwere es ging um nicht mehr und nicht weniger, als auszu- Gefechtslage ist. Wenn das SPD-Präsidium Gerhard loten, ob die Energiewirtschaft als eine der mächtig- Schröder so im Regen stehen läßt und die reine Lehre Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16139

Bernd Henn einfordert, was ich inhaltlich natürlich begrüße, dann energie, bis sich in einer ferneren Zukunft die rege- wird das für mich aber erst dann glaubwürdig, wenn nerativen Energieträger durchgesetzt haben. Wir for- ich höre, daß Hermann Rappe, Hans Berger und dern die Abkehr von der Verstromung in Großkraft- Johannes Rau, die ja nicht irgendwer in der SPD sind, werken und die schrittweise Umstellung der Energie- öffentlich erklärt haben, daß sie diesen Beschluß voll wirtschaft auf kleinere, dezentrale Kraftwerke, die mittragen. Ich habe das noch nicht gehört — von gleichzeitig den Wärmemarkt versorgen. Hermann Rappe jedoch das Gegenteil. Wir fordern zwar nicht die unbegrenzte Subventio- (Zuruf von der F.D.P.: Vernünftige Leute sind nierung der Kohle; aber solange es keine soziale das!) Lebensperspektive für die be troffenen Bergleute und Hinzu kommt: Wir hatten in den letzten Jahren in für die Bergbauregionen gibt, muß die staatliche der Bundesrepublik eine ziemliche Ruhe im außer- Unterstützung und müssen vor allem gesicherte För- parlamentarischen Raum, was den Widerstand gegen derquoten bleiben. So lange müssen wir auch auf Kernkraft angeht. Ich bin zwar äußerst optimistisch, Importkohle verzichten. Kohle, die unter unerträgli- daß sich das bei Neubauplänen, wenn sie dann chen Arbeitsbedingungen, unter unwürdigen Ar- irgendwo konkret würden, ganz schnell auch wieder beitsschutzbedingungen oder gar mit Kinderarbeit ändern würde; dennoch ist natürlich die augenblick- gefördert wurde, hat niemals etwas in unserem Lande liche relative Ruhe schädlich für die Durchsetzung zu suchen. Anstatt ständig den phantasielosen Ruf einer klaren Ausstiegslinie bei Energiekonsensver- nach Abbau der Subventionen ertönen zu lassen, wäre handlungen. Daher scheint mir das oberste Gebot für es an der Zeit, den Revieren konkretere Umstruk- die Atomkraftgegner von SPD bis PDS zu sein: Die turierungskonzepte zu offerieren, und wäre es außerparlamentarische Streitaxt muß wieder ausge- notwendig, Umschulungs-, Qualifizierungs- und graben werden. Gutgemeinte Konsensgespräche Traineeprogramme mit konkreten Zusagen über die können die außerparlamentarischen Aktivitäten nicht Einrichtung von neuen Arbeitsplätzen zu verbinden. ersetzen. Nur so läßt sich zukünftig die Akzeptanz für Zechenschließungen noch herstellen. Die Sozialplan- (Freimut Duve [SPD]: Wir wollen doch ein politik ist an ihr Ende gekommen. staatliches Streitaxtmonopol! Sie müssen aufpassen mit dem Werkzeug! — Dr.-Ing. Ich bin im übrigen nicht der Meinung, daß eine Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Nehmen Sie solche Umstrukturierung ausschließlich aus öffentli- doch lieber Hammer und Sichel!) chen Kassen zu finanzieren wäre. Gestern habe ich beispielsweise gelesen, daß RWE in der letzten Bilanz In dem außerparlamentarischen Ringen gegen 17,1 Milliarden DM flüssige Mittel ausweist — 2,2 Mil- Kernkraft muß man meines Erachtens als erstes den liarden DM mehr als vor einem Jahr — und daß es Versuch scheitern lassen, daß das Schicksal der Koh- einen Zinsüberschuß von 1,2 Milliarden DM eingefah- lekumpel an die Interessen der S trom- und Atomwirt- ren hat. Das sagt mir, daß auch die Stromwirtschaft schaft geheftet wird. selbst für diese Umstrukturierung zur Kasse gebeten Natürlich hat Bundeswirtschaftsminister Rexrodt werden müßte. Es kann doch nicht sein, daß die recht: Es gibt einen Kontext zwischen Kohle und Stromkunden einerseits die Subventionierung der Kernenergie. Das ist unbestreitbar, denn Herr Rexrodt Kohle ermöglichen und daß andererseits die S trom- hat diesen Kontext ja selbst hergestellt nach dem konzerne das Geld auf die hohe Kante legen. Motto: Ich erpresse dich, SPD, mit deiner Wähler- Es ist an der Zeit, mit einem neuen Energiewirt- schaft, damit ich für meine Klientel, sprich: Siemens, schaftsgesetz die Weichen für eine neue Energiepoli- Großunternehmen der Elektrizitätswirtschaft, neue tik zu stellen. Es wird auch notwendig werden, daß im Geschäfte anbahnen kann. Das ist der einzige wirkli- Rahmen einer Gesamtkonzeption des Bundes, durch che Kontext, den es gibt. Ich meine, es wäre für uns die ordnende Hand des Bundes, solche Dummheiten alle nützlicher, wenn der Bundeswirtschaftsminister wie in Potsdam unterbunden werden. Es kann doch diesen Versuch der politischen Erpressung aufgeben nicht sein, daß eine große Koalition in einem Stadt- und sich mehr auf effizientere Nutzung der Energie parlament ein Kraftwerk auf Erdgasbasis errichten und auf Energieeinsparung konzentrieren würde. und dafür möglicherweise Investitionszulagen oder Bis zu 44 % der Primärenergie und etwa 100 Milli- -zuschüsse in Anspruch nehmen will, während diese arden DM Kosten ließen sich jährlich einsparen, wenn Fehlentscheidung die Kumpel in Lauchhammer und die Energieeinsparpotentiale, wenn die Verbesserung in Senftenberg arbeitslos macht, wofür dann wieder der Wirkungsgrade bei Energieumwandlung und die Versichertengemeinschaft mit Arbeitslosengeld wenn Kraft-Wärme-Kopplung optimal genutzt wür- oder später die Steuerzahler mit Sozialhilfeaufwen- den. So jedenfalls ist es aus den Ergebnissen der dungen aufkommen müssen. Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" Zusammenfassend meine ich: Die Versuche, zu herauszulesen. Wenn Sie, Herr Rexrodt, darüber nicht einem Energiekonsens zu kommen, sollten fortgeführt nur nachdenken — was ich Ihnen ja unterstelle —, werden, allerdings mit einer deutlich anderen Stoß- sondern wirklich handeln würden, dann würden Sie richtung: raus aus der Kernenergie, den Bergleuten mehr für die Modernisierung der Energiewirtschaft Sicherheit und Perspektive geben, Energieeinspa- tun und mehr für den Industriestandort Deutschland rung vorantreiben, effizientere Energienutzung för- als durch Ihr Festhalten an der Dinosaurier-Technolo- dern. Das erfordert erstens klare Linien der parlamen- gie Atomkraft. tarischen Linken — wer auch immer das für sich in Die PDS/Linke Liste fordert den Einsatz der heimi- Anspruch nimmt — und zweitens eine Revitalisierung schen Steinkohle und der Braunkohle als Übergangs- der Anti-Atomkraftbewegung. Dann, denke ich, wird 16140 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Bernd Henn eine Energiewende in diesem unserem Land möglich der beiden großen Parteien, wenn es geht, auch mit sein. der F.D.P. —nicht deshalb, weil sie groß wäre, aber sie Danke fürs Zuhören. ist immer dabei. (Beifall bei der PDS/Linke Liste) (Dr. Wolfgang Weng [Geringen] [F.D.P.]: Möge es so bleiben!) — Das ist eigentlich Ihre einzige Funktion. Als nächster spricht Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: (Klaus Beckmann [F.D.P.]: Das hat Ihnen der Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion, Hans- manchmal sehr geholfen!) Ulrich Klose. Das ist meine Vorbemerkung: Verläßlichkeit in der (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Jetzt Energiepolitik ist notwendig. spricht Klose als Ideologe für die parlamen- tarische Linke! — Dr. Wolfg ang Schäuble Das zweite. Es muß, wenn man einen Konsens sucht, [CDU/CSU]: Aber die Erfahrungen mit ein belastbarer Konsens sein, einer, mit dem man Scharping sind dieselben!) wirklich arbeiten kann. (Dr. Wolfgang Weng [Gerungen] [F.D.P.]: Deswegen ohne die GRÜNEN!) Hans-Ulrich Klose (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Rüttgers Das heißt negativ: Es darf kein Formelkompromiß hat eben gesagt: Jetzt werden Sie den linken Ideolo- sein. gen Klose erleben. Wir wollen mal sehen. Die Debatte (Dr. Wolfgang Weng [Gerungen] [F.D.P.]: ist nicht ganz einfach für mich, Deswegen geht es ohne die GRÜNEN!) (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das Es muß darüber hinaus klar sein, worüber man sich glaube ich gern! Wie in Hamburg!) genau einigt, und es muß klar sein, daß m an sich an nicht aus den Gründen, die Sie vermuten, sondern Vereinbarungen hält. weil diese Debatte, wie mein Kollege Freimut Duve Damit bin ich bei einem Punkt — weil Sie immer mit eben richtig bemerkte, für den einen oder anderen dem Finger auf uns zeigen, Herr Kollege Rexrodt —, durchaus biographische Aspekte hat. Es kommen den ich Ihnen vor ein paar Wochen hier schon vorge- mancherlei Erinnerungen auf, von denen man sich halten habe. Ich glaube, daß die Art und Weise, wie allerdings nicht leiten lassen darf. Denn der Herr Sie in den letzten Monaten die Kohleproblematik Minister Töpfer hat uns ja ermahnt, wir sollten eine behandelt haben, wesentlich dazu beigetragen hat, rationale Debatte führen. Das wollen wir dann auch daß der Konsens jetzt nicht zustande gekommen ist. versuchen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Die Rationalität, Herr Kollege Töpfer, gebietet aber, der PDS/Linke Liste) von vornherein eines festzustellen: Es gibt, zumal in der Politik, nicht die eine richtige Lösung. Ich muß Ihnen das einfach sagen. Ich bitte das ernsthaft zu bedenken. Es hat 1991 eine Vereinba- (Klaus Beckmann [F.D.P.]: Das ist richtig!) rung zur Kohlepolitik zwischen der Bundesregie- Ich finde schon, daß der immer wieder durchklin- rung, den Ländern Nordrhein-Westfalen und Saar- gende Anspruch, mit dem die Regierung — und die land, den Bergbauunternehmen, den Stromerzeugern Koalition insgesamt — operiert, sie sei gewissermaßen und den Gewerkschaften gegeben, eine richtige Ver- im Besitz der Wahrheit einbarung. Es wurde über ein reduziertes Mengen- gerüst geredet. Der Bund hat sich verpflichtet, die (Klaus Beckmann [F.D.P.]: Wer tut das Anschlußfinanzierung über 1995 hinaus sicherzustel- wohl?) len. Diese Vereinbarung wollen Sie heute auflösen, und alle anderen seien nicht im Besitz derselben, nicht nein: Sie haben sie aufgekündigt, und zwar einseitig. akzeptabel ist. Das hilft uns in der Debatte auch nicht Ich sage Ihnen: Das geht nicht. Denn Sie können nicht weiter. über Konsens reden, wenn Sie im gleichen Atemzug (Beifall bei der SPD) eine getroffene Vereinbarung brechen. Ich habe im übrigen Ihre Rede durchaus so verstan- (Beifall bei der SPD) den, daß Sie nicht wie der Kollege Rexrodt — ich habe da einen kleinen Unterschied herausgehört — davon Wer soll Ihnen denn glauben, daß Sie sich an Verein- ausgehen, daß die Gespräche gescheitert seien. Ich barungen zu halten späterhin geneigt sind? Das paßt rate auch sehr dazu, davon nicht zu reden. Eines sage einfach nicht zusammen. ich hier ganz klar für die SPD, was immer das Sie haben damals gesagt, Herr Kollege Rexrodt Präsidium beschlossen und veröffentlicht hat: Wir — ich habe Ihnen gut zugehört —, für Sie habe sich die brauchen einen Energiekonsens, weil es in der Ener- Geschäftsgrundlage verändert, denn es gebe einen giepolitik völlig ausgeschlossen ist, im Abstand von Kabinettsbeschluß zum Subventionsabbau. Das ist vier Jahren zu entscheiden. Bei Investitionsentschei- völlig in Ordnung. Aber seit wann ist es bei Verträgen dungen im Energiebereich geht es um Zeithorizonte, so, daß sich durch Beschlußfassung auf einer Vertrags- die dreißig Jahre und mehr umfassen. Deshalb seite die Vertragsinhalte ändern? Das kann doch nicht braucht man Verläßlichkeit. Deshalb braucht man wahr sein. Das kann nicht ernsthaft die Position dieser eine weitgehende Übereinstimmung Bundesregierung sein. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Im übrigen muß ich Sie einmal mehr darauf hinwei- F.D.P.) sen, daß es in der Vereinbarung von 1991 keine Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16141

Hans-Ulrich Klose Konditionierung gab. Damals ist im Zusammenhang Nun sehen Sie sich einmal die Situation an! Ich habe mit dieser Vereinbarung zur Kohle nicht von Ke rn in Hamburg eine spezielle Erfahrung gesammelt, die -energie gesprochen worden. Es ist nicht darüber ich hier nicht im einzelnen schildern will. Sie hängt geredet worden. zusammen mit dem damals viel diskutierten Stoltzen- berg-Skandal. Ein solches Lager über mehrere hun- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Doch, dert Jahre unter administrativer Kontrolle zu halten ist das war immer Geschäftsgrundlage!) eine fast nicht lösbare Aufgabe. Ich halte es für falsch, Diese Konditionierung ist nachträglich hinzugefügt diese Probleme einfach kleinzureden. Es sind Pro- worden. Weil Sie das machen, kommen bei uns bleme, und sie müssen verdammt nochmal ernstge- Zweifel darüber auf, ob man sich mit Ihnen einigen nommen werden. kann. (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke (Zuruf von der CDU/CSU: Das gilt nach wie Liste) vor!) Deshalb haben wir in dem Zusammenhang von Deshalb sage ich Ihnen: Wir haben in der Tat Erpressung gesprochen. Das haben Sie selbst provo- Schwierigkeiten mit der von Ihnen gewünschten ziert, tut mir leid. Option. Ihre Argumente lauten: Wir können auf Kern- energie nicht verzichten — das habe ich heute (Beifall bei der SPD) gehört —, und es geht auch um eine neue Technik, Ich neige bestimmt nicht zu polemischen Übertrei- nämlich den inhärent sicheren Reaktor, und den bungen, aber dies müssen Sie sich ins Stammbuch braucht der Standort Deutschland. schreiben lassen. Auch für die Bundesregierung gilt, daß Verträge zu halten sind. Dies ist ein alter Rechts- Herr Kollege Rexrodt und Herr Kollege Töpfer, ich grundsatz, und den müssen Sie einhalten. halte beide Aussagen aus heutiger Sicht zwar nicht für — das möchte ich so nicht sagen — falsch, aber Zum Stichwort Kernenergie: Meine Damen und jedenfalls für reichlich kühn. Ich habe meine ganz Herren, Sie kennen die Beschlußlage der SPD so, wie großen Zweifel, ob es den inhärent sicheren Reaktor sie ist. Sie können sie für falsch halten, aber sich hier überhaupt gibt. Ich bin kein Techniker und verstehe ins Parlament zu setzen oder zu stellen und zu sagen, davon nicht genug. Aber eines weiß ich: Diesen für diese Beschlußlage gäbe es keine guten Argu- inhärent sicheren Reaktor gibt es heute noch nicht mente, ist nicht akzeptabel. einmal auf dem Reißbrett. Er wird doch noch geplant. (Beifall bei der SPD) Wie können Sie denn behaupten, daß die Reaktor- linie, die vorbereitet wird, die inhärent sichere sei? Wie immer Sie es im Einzelfall bewerten: daß mit Kernenergie immer auch ein Sicherheitsrisiko ver- (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Wie kön- bunden ist, ist unbestreitbar. Es hat doch Reaktorun- nen Sie dann dagegen sein? — Weitere fälle gegeben. Ich glaube auch, daß unsere Reaktoren Zurufe von der CDU/CSU) besser sind als die in vielen anderen Teilen der Welt, aber gleichwohl gibt es ein nicht zu negierendes — Hören Sie einmal zu! Ich versuche, hier einigerma- Risiko. Das ist der eine Punkt. ßen sachlich zu sein. Ich habe gesagt, daß es kühn ist, zu sagen, daß über diesen Referenzreaktor — wie es ( [CDU/CSU]: Das gibt es immer heißt —, diesen Optionsreaktor, der auf einer auch bei anderen Energieträgern!) ganz anderen Technik beruhe, der inhärent sicher sei, Der andere Punkt: Es gibt nun einmal bis zum heute schon entschieden werden kann. Dies ist des- heutigen Tage die ungelöste Entsorgungsproblema- halb kühn, weil dieser inhärent sichere Reaktor heute tik. Wer mit mir diskutiert hat, weiß eigentlich, daß noch nicht einmal auf dem Reißbrett existiert. Wenn dies der Punkt gewesen ist, der mich von einem Sie heute darüber entscheiden, wissen Sie gar nicht, Kernkraftbefürworter zu einem Kernkraftskeptiker worüber Sie entscheiden. gemacht hat. (Beifall bei der SPD — Dietrich Austermann (Beifall bei der SPD) [CDU/CSU]: Und Sie wissen nicht, worüber Das Problem ist bis heute nicht gelöst. In Wahrheit ist Sie reden!) es in keinem Land der Erde gelöst. Was mich darüber hinaus stutzig macht, ist folgen- Sie haben eine Möglichkeit angedeutet, was man der Punkt. Sie wissen genausogut wie ich, daß es jetzt tun könnte. Weil wir uns nicht in einem Zustand heute keinen Verstromer in der Bundesrepublik der atomaren Unschuld befinden und Kernkraftwerke Deutschland gibt, der in den nächsten fünf, sechs oder haben, muß etwas passieren. Aber eines wissen Sie so acht Jahren die Absicht hätte, einen neuen Kernreak- gut wie ich: Selbst wenn Sie eine technisch gute oder tor zu bauen. Es gibt keinen. Es gibt gar keinen vertretbare Lösung finden, ist das adminis trative Pro- Bedarf! Es gibt ausreichende installierte Kraftwerks- blem, das mit der Endlagerung und der Entsorgung kapazitäten. Niem and denkt daran, heute einen verbunden ist, in Wahrheit nicht lösbar. Sie wissen so neuen Reaktor zu bauen. gut wie ich, daß Sie das Material auch nach einer Zwischenlagerung von 30 Jahren — wenn aus hoch- Es geht also in Wahrheit, wenn die Entscheidung radioaktivem Mate rial vielleicht mittelradioaktives heute gefordert wird, um nichts anderes als um geworden ist — gleichwohl über viele Jahre hinweg Symbolik, und es geht möglicherweise um ein Geneh- unter administrativer Kontrolle halten müssen, und migungsverfahren im Trockenlauf. Dann aber geht es zwar über mehr als 100 Jahre. nicht um Energiepolitik, sondern in Wahrheit um 16142 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Hans-Ulrich Klose Exportförderung für deutsche Kerntechnologie. Das unseres ehemaligen Bundestrainers Beckenbauer zu ist doch der eigentliche Punkt. verfahren, der gesagt hat: „Schauen wir mal, dann (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Und um sehen wir schon"? Halten Sie das für eine vernünftige Arbeitsplätze!) Grundlage für eine derartige langfristige und ernst- hafte Angelegenheit? — Das kann ja ein Argument sein. Ich sage Ihnen nur: Wir diskutieren hier im Augenblick über Energiepoli- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Damit war er tik, und energiepolitisch brauchen Sie diese Entschei- aber recht erfolgreich!) dung heute nicht, weil Sie keinen Bedarf haben, und Sie können sie in Wahrheit nicht treffen, weil Sie gar Hans-Ulrich Klose (SPD): Herr Kollege, was Bek- nicht wissen, was Sie heute entscheiden. kenbauer angeht und die Fußballnationalmannschaft, Meine Schlußfolgerung: Ich bin überhaupt nicht halte ich das in der Tat für vernünftig. Und die andere dagegen, niemand bei uns, daß weiter geforscht und Frage beantworte ich mit einer Gegenfrage: Halten entwickelt wird. Ich glaube, wie gesagt, nicht an den Sie es für vernünftig, heute eine Entscheidung zu inhärent sicheren Reaktor, aber bitte schön: Wenn die treffen, von der Sie noch gar nicht wissen, welchen Ergebnisse vorliegen und Sie uns überzeugen, daß es Inhalt sie hat? diesen inhärent sicheren Reaktor gibt, und Sie das (Beifall bei der SPD — Freimut Duve [SPD]: Entsorgungsproblem bis dahin gelöst haben, bin ich Bei der Sie noch nicht mal schauen und sehen ohne weiteres bereit, darüber nachzudenken. Da können!) habe ich keine Probleme. Aber es heute zu tun, ohne zu wissen, worüber ich entscheide, das halte ich schlicht für unvernünftig. Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Meinen Sie nicht, Herr Klose, daß es gerade zum Charakter der For- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke schung und der Entwicklung der Technologie gehört, Liste) daß das Ergebnis offen und nicht ganz gewiß sein Und ich füge hinzu, auch an unsere Adresse: Ich muß, würde es auch für unvernünftig halten, die Forderung (Freimut Duve [SPD]: Deshalb war Ihre erste zu erheben, jetzt sofort aus allen Kernkraftwerken Frage ja so blöd!) auszusteigen, sie alle sofort abzuschalten. Das können wir nicht. Ich halte es auch nicht für vernünftig, daß man aber bei der Umsetzung zumindest eine gewisse Grundlage, eine Basis haben muß, die ja einheitliche Restlaufzeiten festzulegen, weil es unter- schiedliche Typen sind und der Sicherheitsstandard genau durch den Energiekonsens hätte gelegt werden unterschiedlich ist. Warum untersuchen wir nicht von sollen? Reaktor zu Reaktor — es sind doch nicht soviel — (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Hans-Ulrich Klose (SPD): Nun schauen Sie mal, ich bin doch dafür, daß die forschen. Aber Sie wissen und prüfen dann, was vernünftig ist, weil es da eben genausowenig wie ich, was als Ergebnis des For- auch noch Prüfungsbedarf gibt? schens am Ende herauskommt. Es kann ja durchaus Bei dieser Frage wie bei den anderen bin ich mit sein, daß die hohen Hoffnungen, die da lauten: wir Entschiedenheit dagegen, daß wir die Tür zu den schaffen den inhärent sicheren Reaktor, sich nicht Gesprächen mit lautem Krach zuschlagen. erfüllen. Und für den Fall, daß die sich nicht erfüllen, möchte ich mich heute nicht entscheiden, daß ich das Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Klose, gestat- Ding dann gleichwohl baue. So einfach ist das. Des- ten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Faltl- halb laßt die doch forschen! Dann wird m an sehen. hauser? Das ist der Punkt. Nun lassen Sie mich einen letzten Gedanken anfü- Hans-Ulrich Klose: (SPD): Ich mache das immer, bei gen: Meine Damen und Herren, es gibt aus meiner Ihnen ganz besonders. Sicht noch einen weiteren Grund, warum wir uns heute für diese Option auf gar keinen Fall öffnen (Freimut Duve [SPD]: Hightech! Das ist ein sollten. Ich bin fest davon überzeugt: Wenn wir inhärent sicheres Mikrophon!) fortfahren, für unsere Energieversorgung immer nur — Da können Sie mal sehen, wie schwer das mit der auf Großkraftwerke zu setzen, nach der Devise: Es Technik ist. muß viel Energie möglichst billig geben, dann verstel- len wir uns den einzigen Zukunftspfad, der wirklich Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Das ist der techni- Erfolg verspricht, und das ist immer noch der Energie- sche Fortschritt hier am Standort. einsparungspfad. Ihn halte ich für den entscheiden- den; ihn müssen wir einschlagen, aus ökologischen Herr Klose, Sie haben zuerst gesagt, Sie hätten Gründen, aus ökonomischen Gründen. Wir haben nichts dagegen, daß geforscht wird — im Sinne des heute mit einer entwicklungspolitischen Debatte Standortes Bundesrepublik Deutschland, interpre- angefangen. Und ich füge deshalb ausdrücklich tiere ich mal. Wie kann man denn eigentlich einem hinzu: Auch aus entwicklungspolitischen Gründen ist derartig gewichtigen Forschungsbereich zumuten, das der Pfad, den wir beschreiten müssen. daß er einfach so weiterforscht, wenn man erwarten kann, daß das Ergebnis der Forschungen in unserem (Beifall bei der SPD) Land keinesfalls irgendwie Anwendung und Umset- Sagen Sie doch bitte nicht, da seien nicht enorme zung erfahren kann? Meinen Sie, daß das eine gute Potentiale vorhanden! Ich erinnere immer wieder Grundlage für diesen Bereich ist, nach dem Prinzip daran, daß z. B. in Japan — wahrlich kein Entwick- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16143

Hans-Ulrich Klose lungsland — der Energieverbrauch pro Kopf der Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Frau Präsiden- Bevölkerung um fast 50 % niedriger liegt als in der tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Bundesrepublik Deutschland. Selbst wenn ich unter- Kollege Klose hat wie der Bundesumweltminister stelle, daß die japanischen Wohnungen in der Regel gesagt, die Tür solle nicht — weder laut noch leise — kleiner sind als die deutschen, daß also der Aufwand zugeschlagen werden. Ich glaube, das ist auch richtig. für Wärme geringer ist, sind die Japaner einfach Nur, Herr Klose, Sie haben, als der Zwischenruf mit entschieden weiter auf diesem Feld, und sie haben den Arbeitsplätzen kam, gesagt, das könne ja ein sich auch damit Innovationsvorteile und Modernisie- Argument sein, aber heute würden wir über Energie- rungsvorteile verschafft, politik reden. Das macht für mich keinen Sinn. Wir (Beifall bei der SPD — Ingrid Matthäus reden, wenn wir über Energiepolitik reden und wenn Maier [SPD]: Jawohl, Standort Japan!) wir über Sozialpolitik reden und wenn wir über Wirtschaftspolitik reden, immer über e in e Politik, die wir dringend aufgreifen sollten. Daran müssen wir und da geht es eben auch um Arbeitsplätze. interessiert sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Es geht — das Wort „Einsparpfad" ist ja manchmal mißverständlich — in Wahrheit darum, die Energie- Sehen Sie, wir können nicht in der einen Woche, effizienz zu steigern, so daß mit weniger Primärener- vergangene Woche über den Standort Deutschland gieverbrauch ein höherer Effekt erzielt wird. reden, und dann spricht Herr Scharping, Vorsitzender (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke der SPD, oder Herr Lafontaine — da war es Herr Liste) Lafontaine —, stellvertretender Vorsitzender, wenn ich es richtig weiß, und sagt — — In diese Richtung zu arbeiten und zu drängen, halte ich für ungeheuer wichtig. Ich verweise in dem (Freimut Duve [SPD]: Das war ein bißchen zu Zusammenhang auf den Antrag, den die SPD-Bun- kokett!) destagsfraktion am 24. Juni dem Hause vorgelegt — Nein, ich bin im Augenblick nicht genau informiert. hat. Ich weiß nicht genau, wieviel Stellvertreter Sie derzeit Ich fasse das alles noch einmal zusammen: Ich halte haben. es für falsch, die Bemühungen um einen Energiekon- sens aufzugeben. Ich halte es für falsch, zu einem ( [Köln] [SPD]: Weniger als bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Entscheidung Sie!) zu fordern, die Sie in Wahrheit verantwortlich nicht — Wir sind da auch flexibel, da haben Sie recht. treffen können. Ein Energiekonsens kann aus meiner Sicht zustande kommen, wenn dreierlei gesichert Aber lassen Sie uns zur Sache reden! Da wird ist. darüber geredet, was für ernste Sorgen wir mit der Erstens. Es muß die Kohlevereinbarung erfüllt wer- Entwicklung am Arbeitsmarkt haben; das ist für mich den, denn wenn Sie dies nicht tun, sage ich Ihnen, eines der zentralen Themen deutscher Politik. Dann habe auch ich kein Vertrauen in die Vertragsfähigkeit sagen Sie: Aber heute führen wir eine Energiedebatte, Ihrer Seite. da spielt das keine Rolle. Dabei geht es nicht nur um die 350 000 Beschäftigten in der Energiewirtschaft, (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke von denen der Bundesumweltminister Klaus Töpfer Liste) gesprochen hat. Vielmehr muß da doch auch die Frage Das muß ich Ihnen sagen. einbezogen werden, daß zu den Wettbewerbsnachtei- len des Wirtschaftsstandorts Deutschland die in Der zweite Punkt: Ein Energiekonsens kann Deutschland wesentlich höheren Energiekosten als in zustande kommen, wenn über das Ziel der Energie- den meisten vergleichbaren Wettbewerbsländern einsparung, der Effizienzsteigerung und deren Um- gehören. Das ist doch eine Frage, die man nicht setzung Übereinstimmung erzielt worden ist, und beiseite schieben kann, sondern die in diese Debatte zwar ganz konkret, nicht nur Reden, sondern ganz zentral hineingehört. Das hat etwas mit der Kohle- - konkret darüber, was wir machen. politik zu tun. Drittens, wenn verläßliche und überprüfbare Fak- ten auf dem Tisch liegen, so daß wir entscheiden Herr Klose, bei aller Rabulistik bei der Interpreta- können im Wissen, was diese Entscheidung bedeu- tion der Vereinbarung von 1991: Der Energiemix aus tet. Nutzung von teurer deutscher Steinkohle und Kern- energie war Grundlage aller Vereinbarungen. Gel- Ich sage Ihnen jedenfalls heute: Das Risiko der tende Gesetze sind wohl die Geschäftsgrundlage von Kernenergie, auch wenn wir es „Restrisiko" nennen, Vereinbarungen, die zwischen Bund und Ländern ist viel zu groß, um es gutgläubig zu verdrängen. abgeschlossen werden, und das Atomgesetz gilt. Des- Vielen Dank. wegen: Wer aus der Kernenergie aussteigt, verletzt die Grundlage der Vereinbarungen, die zur weiteren (Lebhafter Beifall bei der SPD und der PDS/ Nutzung der deutschen Steinkohle notwendig sind. Linke Liste) Deswegen verletzen wir diese Vereinbarungen nicht, sondern halten an ihnen fest. (Abg. Hans-Ulrich Klose [SPD] meldet sich zu Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht einer Zwischenfrage) der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, der Kollege Dr. Wolfgang Schäuble. — Sie müssen die Präsidentin fragen. 16144 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Schäuble, Dazu brauchen wir auch in Zukunft den Mix aus Kohle gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten und Kernenergie. Das eine ohne das andere ist nicht Klose? zu leisten. Noch einmal: Es geht nicht nur um die 350 000 Arbeitsplätze der Beschäftigten in den Kraftwerken, Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Bitte, gern. sondern es geht um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland und damit um das große Hans-Ulrich Klose (SPD): Herr Kollege Schäuble, Thema der Entwicklung des deutschen Arbeitsmarkts Sie können doch nicht leugnen, daß Ihnen die insgesamt. Beschlußlage der SPD auch bei Abschluß der Verein- Dann haben Sie lange geredet, um uns zu erklären, barungen 1991 bekannt war. Gleichwohl ist diese es sei doch heute keine Entscheidung zur Kernener- Vereinbarung zustande gekommen. Ich finde, es gie erforderlich. Das habe ich nun überhaupt nicht wäre, einfach um eine Faktenlage zu schaffen, ange- verstanden. Ich habe Sie in einer Reihe von Punkten messen, daß Sie davon ausgehen, daß es diese Ver- nicht verstanden. einbarung gibt und daß sie eingehalten wird. Wenn Sie das sagen, sind wir doch ein wesentliches Stück Sie haben gesagt, forschen könne man doch. Meine weiter. sehr verehrten Damen und Herren, es ist doch nicht so, (Beifall bei der SPD) daß wir in der Kernenergie ganz am Anfang stehen. Es sind einige Reaktoren in Bet rieb. Das Problem der Entsorgung und der Endlagerung Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Kollege Klose, muß gelöst werden; dazu haben Sie auch Richtiges Sie haben zu Beginn Ihrer Ausführungen gesagt, die gesagt. Aber deswegen kann m an doch nicht erklä- Koalition solle nicht so tun, als sei sie im Besitz der ren: Das alles machen wir nicht jetzt, das schieben wir absoluten Wahrheit. Wir tun zwar nicht so, und um zehn Jahre auf und entscheiden später. niemand ist im Besitz der absoluten Wahrheit. Aber auch die Beschlußlagen der SPD sind nun nicht die Bei der Art von Beschlußlagen Ihrer Partei und bei absolute Wahrheit. der jedenfalls sehr problematischen Art, wie sich an geltende Gesetze im Ver- (Freimut Duve [SPD]: Aber diese Regierung deutsche Bundesländer waltungsvollzug halten — was dazu führt, daß m an hat nicht mal die relative Wahrheit!) ständig mit dem komplizierten und problematischen rieren zu sehr auf Ihre Beschlußlagen. Ich Sie rekur Instrument der Bundesaufsicht operieren muß — , glaube, daß die allermeisten, die jenen Partei- kann man doch weder Forschungs- noch Investitions- tagsbeschluß, jenen unseligen Parteitagsbeschluß sicherheit haben, wenn man nicht zu einem gesetzes- gefaßt haben — Sie haben schon mehrere unselige treueren Verhalten kommt. Dazu brauchen wir offen- gefaßt —, bar erst einen Konsens. (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das lassen Sie mal (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) unsere Sorge sein!) wußten, daß er so nicht zu verwirklichen sein wird. Man könnte darüber nachdenken, ob ein solcher Deswegen war er auch nicht sehr ehrlich gemeint. Konsens, wenn er Ihrer Partei zur Zeit so schwerfällt, überhaupt notwendig ist. Aber dann würde ich erstens Ich sage noch einmal: Grundlage für Vereinbarun- dafür werben, daß sich alle Bundesländer, unabhän- gen sind für uns nicht Beschlußlagen Ihrer Parteitage, gig, welche Koali tionen sie gerade regieren, an gel- sondern die geltenden Gesetze. Mit denen müssen wir tende Gesetze halten — dann wären wir schon ein arbeiten. Die Ruhrkohle ist nicht zu finanzieren. Das ganzes Stück weiter; das wäre eigentlich Grundlage ist — das wissen Sie so gut wie jedermann — wirt- eines Konsenses —, schaftlich nicht zu leisten, wenn wir aus der Kernener- gie aussteigen. Deswegen hängt das eine mit dem (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Wohl anderen zusammen. Das ist keine Erpressung, son- wahr!) - dern eine Notwendigkeit. zweitens dafür, daß wir Mehrheitspositionen, die wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge in den Bundesländern und im Bundesrat haben, nicht ordneten der F.D.P.) in einer Weise nutzen, wie sie weder vom Grundge- Im übrigen haben wir in der Koalition beschlossen setz noch vom einfachen Gesetzgeber gemeint ist. — der Bundeswirtschaftsminister und der Bundesum- Wir brauchen diesen Konsens erstens, weil es um weltminister haben es in dieser Debatte gesagt —, bei langfristige Investitionen geht — politische Mehrhei- der Anschlußfinanzierung der Steinkohlenförderung ten können ja wechseln —, aber zweitens offensicht- durch die Plafondierung auf 7 Milliarden DM — das ist lich auch deswegen, weil eine parteipolitisch — ich doch ein Angebot — den Betrag, der sich aus der will jetzt nicht sagen: ideologisch — begründete Vereinbarung von 1991 für 1997 ergibt, weiter zu Position von denjenigen, die bei Ihnen in den Ländern finanzieren und fortzuschreiben. Insofern steigen wir und im Bundesrat Verantwortung tragen, gegen gel- aus dieser Vereinbarung auch nicht aus. tende Gesetze durchgesetzt werden soll. Dies muß Aber ich appelliere an Sie, daß auch Sie aus der aufhören, weil wir auf diese Weise keine langfristige Vereinbarung nicht aussteigen und daß wir bei der Planungs- und Investitionssicherheit haben und weil Geschäftsgrundlage bleiben. damit dem Wirtschaftsstandort Deutschland und sei- nen Arbeitsplätzen Schaden zugefügt wird. (Freimut Duve [SPD]: Wir bleiben dabei! Für uns gilt das noch!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16145

Dr. Wolfgang Schäuble Deswegen bleibt bei uns die Tür zu Gesprächen werden, daß es einen Ausstieg aus der Kernenergie offen. Wir werden unseren Teil zur Einhaltung nicht gibt. Die Entscheidung können wir heute nicht geschlossener Vereinbarungen auch für die deutsche treffen, weil wir sie heute aus unserer Überzeugung Steinkohle leisten. Aber auch Sie müssen Ihren Bei- nicht verantworten können. Deswegen muß das trag dazu leisten. Die Verantwortung tragen Sie. Gegenteil klargestellt werden. Nun will ich zum Thema Entsorgung und Endlage- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) rung auch sagen: Man kann doch nicht so tun, als ob Es geht nicht darum, irgend jemand vorzuführen, sich das Problem nicht stellt. Wir haben doch weltweit um irgend etwas schwerer zu machen, sondern ungeheuer viele Reaktoren. Es macht sogar einen darum, daß eine Entscheidung weder aus globalen Sinn, daß wir diese Debatte jetzt im Anschluß an die Gesichtspunkten, insbesondere auch des Umwelt- entwicklungspolitische Debatte führen. schutzes, noch unter dem Gesichtspunkt unserer wirt- Nur, Herr Kollege Klose, bei demnächst 10 Milliar- schaftlichen Entwicklung, der Arbeitsplätze und der den Menschen auf dieser Erde, von denen ein größe- Energiesicherheit, heute nicht anders verantwortbar rer Teil wohl zu Recht Anspruch darauf hat, daß sein ist. Lebensstandard noch wächst — damit meine ich nicht Zum Thema Entsorgung und Endlagerung. Die uns, sondern die Länder in der südlichen Hemisphäre, Endlagerung ist noch nicht gelöst. Daran muß gear- in Asien, Afrika, Lateinamerika —, gibt es nach dem beitet werden. Das Problem wird aber nicht dadurch Stand heutiger Erkenntnis doch überhaupt keinen gelöst werden können, daß wir aus der Kernenergie einigermaßen rational nachvollziehbaren Weg einer aussteigen — auch da ist der Ausstiegsbeschluß wie- entwicklungspolitischen Chance für die große Mehr- der der falsche —, sondern nur dadurch, daß wir uns heit der Menschen, wenn wir aus der Kernenergie stärker engagieren weltweit aussteigen. Es gibt sie nicht. Wozu Ihre Partei fähig ist, wird für mich am (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) schlimmsten in der Forderung Ihres energiepoliti- Mit Einsparung allein geht es nicht. schen Sprechers nach einem Verbot des Exports für (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aber damit Kerntechnik insgesamt sichtbar. haben Sie die Entsorgung immer noch nicht (Zuruf von der SPD) gelöst!) — Sie sollten vielleicht einmal die Gelegenheit nut- — Nein, ich komme gleich darauf zu sprechen. Ich zen, sich davon zu distanzieren und zu sagen, daß es versuche, ein Argument von Ihnen nach dem anderen nicht gilt. Daß heute, wo sich die Ukraine bisher nicht zu behandeln. Ich versuche jetzt auch, auf das einzu- entscheiden konnte, den Tschernobyl-Reaktor abzu- gehen, was Herr Klose gesagt hat: Türen weder laut schalten, aus der deutschen Sozialdemokratie die noch leise zuzuschlagen, sondern offenzuhalten. Aber Forderung erhoben wird, man dürfe generell Kern- dann muß man Argumente austauschen. technik nicht exportieren, ist in einem derartigen Sie haben Japan als Beispiel für Einsparungen Maße verantwortungslos, daß das wirk lich nicht genannt. Ich muß zu Japan hinzufügen, weil Sie das geht. nicht gesagt haben: Japan hat sehr viele Kernkraft- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) werke in Betrieb, und es sind sehr viele neue Kern- kraftwerke dort in Bau. Weil man wirklich nicht weiß, wozu die Sozialdemo- kraten, auch im Bündnis mit den GRÜNEN, immer (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Zehn noch fähig sein werden oder nicht, müssen wir, wenn Stück!) wir einen Energiekonsens zustande bringen wollen, Noch so viele Erfolge in der Energieeinsparung zu dem auch wir unsere Beiträge leisten müssen, bei — wir sind da ja nicht auseinander; Klaus Töpfer und diesen Fragen bleiben. der Bundeswirtschaftsminister Rexrodt haben darge- (Freimut Duve [SPD]: Sie sind wirklich ein legt, daß in den Energiegesprächen viel auf dem Weg sanfter Polemiker!) zur Gemeinsamkeit erreicht worden ist, was Sie jetzt nicht einfach wegwerfen sollten — entheben gerade — Ich versuche, die Frage zu beantworten, Herr Duve. nicht der Notwendigkeit — das belegt Japan —, daß Die einen erklären immer, sie seien im Besitz der man aus der Kernenergie nicht aussteigen darf. Das ist Wahrheit. Und wenn man versucht, auf Argumente doch der entscheidende Punkt. einzugehen und sie zum Teil zu widerlegen, wird einem gesagt, m an habe keine Ahnung. So geht es (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) doch nicht. Wenn wir eine verantwortbare Energiepolitik Im übrigen, Herr Klose hat gefragt, warum eine betreiben wollen, dann können wir nicht aus der Entscheidung heute zu treffen sei. Ich gebe Ihnen Kernenergie aussteigen. Die Entscheidung kann man darauf eine Antwort. Aus diesen Gründen ist eine nun wirklich heute nicht treffen. Daraus entsteht auch Entscheidung für einen Energiekonsens heute not- das Problem mit der Option, warum Sie sagen: Warum wendig. Wir werden einen Energiekonsens nicht wollen Sie die Entscheidung heute? Gäbe es Ihre mittragen und wir können ihn aus unserer Überzeu- Beschlußlagen nicht und gäbe es auch nicht ein nicht gung nicht verantworten, wenn dies ein Ausstiegkon- sehr bundestreues Verhalten von Landesregierungen, sens sein soll. Dies ist mit dieser Koalition, jedenfalls in denen Ihre Partei die Ministerpräsidenten stellt, mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, nicht zu dann bräuchte man auf Grundlage geltender Gesetze machen. Das haben wir Ihnen immer gesagt. darüber heute weniger zu reden. Aber weil es anders ist, muß doch in einem Energiekonsens klargestellt (Beifall bei der CDU/CSU) 16146 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Dr. Wolfgang Schäuble Das war für uns Grundlage der Gespräche. Herr Fragen Interessierten beteiligt waren, u. a. ein Mit- Schröder hat das ausführlich dargelegt. Dazu hat er glied aus dem Energiekonsens, in dem genau das länger gesprochen als zur Sache. Ich habe auch steht, was der Kollege Schäuble hier gerade mitgeteilt verstanden, warum. Es war im übrigen bemerkens- hat, und daß uns dieses Papier gerade in den letzten wert, wie er erklärt hat, was sein Ziel bei den Gesprä- Tagen sehr besorgt gemacht hat? chen war. Da er der Erfinder war, können wir eigent- lich mitreden. Er hat auch einen glänzenden Erfolg Herr Schäuble. erzielt. Das einzige, was damit nicht zu vereinbaren Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: ist, ist, warum alle Welt und er selbst gesagt hat, er sei im SPD-Präsidium am vergangenen Montag geschei- Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Ich bin Ihnen tert. Das kann wiederum nicht an uns gelegen haben, dankbar, Herr Kollege Faltlhauser, daß Sie aus Ihrer sondern es muß zwischen ihm und dem Rest der SPD Sicht bestätigen, daß es richtig ist, was ich gesagt stattgefunden haben. Das wollte ich zu diesem Teil habe. der Debatte noch anmerken. (Volker Jung [Düsseldorf] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage.) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Schäuble, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten — Ich vermute, daß der Kollege jetzt aus seiner Sicht Matthäus-Maier? sagen will, daß das doch nicht ganz so richtig ist.

Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Schäuble, Sie Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Volker Jung. sagen, die SPD habe beschlossen und gefordert: kein Export von kerntechnischen Anlagen und kerntechni- schen Sicherheitsmaterialien. Ich kenne die Be- Volker Jung (Düsseldorf) (SPD): Herr Schäuble, ich schlüsse der SPD in dieser Frage recht gut. Könnten bin der gewählte energiepolitische Sprecher der SPD- Sie mir sagen, wo wir das beschlossen haben? Wir Bundestagsfraktion. haben nur gesagt, der Export in Länder, die nicht der (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.) IAEO angehören, sollte unterlassen bleiben. Das war Ich würde gerne von Ihnen wissen, wo ich die Äuße- in diesem Lande bisher Konsens. Können Sie uns bitte rung, die Sie hier zitiert haben, getan habe. Ich würde sagen, wo wir darüber hinausgehen? Das ist mir nicht von Ihnen gerne auch wissen, wenn Sie das jetzt nicht bekannt. belegen können, ob Sie Ihre Behauptung zurückneh- men wollen. Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Ich bin mir ziemlich sicher — Sie können es im Protokoll nachle- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sen, notfalls korrigiere ich es, wenn es anders wäre —: der F.D.P.) Ich habe nicht gesagt, die SPD habe das gefordert, sondern ich habe gesagt, Ihr energiepolitischer Spre- Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Ich kann die cher hat eine solche Forderung erhoben. Äußerung beim besten Willen nicht zurücknehmen. (Widerspruch bei der SPD) Denn es ist so: Ich habe gesagt, energiepolitische — Nein, ich habe gesagt, Ihr energiepolitischer Spre- Sprecher haben das gesagt. Der Kollege Faltlhauser cher erhebt eine solche Forderung. Da gibt es meh- hat das eben noch einmal bestätigt. Wir können Ihnen rere, ich weiß nicht, welcher. Und ich habe gesagt, gerne die Papiere geben. Ich habe sie nicht alle am Herr Klose sollte die Gelegenheit nutzen, klarzustel- Rednerpult mit dabei. len, daß dies nicht die Position Ihrer Partei ist. Genau (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das ist dies habe ich gesagt, und ich habe nicht gesagt, daß schlecht!) Ihre Partei das beschlossen hat. — Ich glaube, das hat nun wirklich keinen Sinn. — (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Aber der sitzt Wenn Sie der gewählte energiepolitische Sprecher doch neben mir!) der SPD-Bundestagsfraktion sind — was ich gerne zur — Entschuldigung, ich weiß gar nicht, wie viele Sie im Kenntnis nehme --, dann wäre es einfacher, Sie einzelnen haben. Herr Schröder hat dazu gesagt, daß würden erklären, das eine solche Position nicht die es mit den Sprecherrollen in Ihrer Partei schwierig sei. Position der SPD-Bundestagsfraktion ist. Dann wären Das ist für mich nicht so entscheidend. Wenn Sie wir schon einen Schritt weiter. klarstellen, daß dies nicht Ihre Position ist, sind wir wenigstens in dem Punkt einen Schritt weiter. Volker Jung (Düsseldorf) (SPD): Würden Sie jetzt bitte zur Kenntnis nehmen, daß dies nicht die offizielle Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Schäuble, Position der SPD-Bundestagsfraktion ist? gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abge- ordneten Faltlhauser? Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Dafür bedanke Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU): Bitte sehr. ich mich, denn Sie haben damit meine Bitte erfüllt. Ich hatte, Herr Kollege — vielleicht haben Sie es über- Dr. Kurt Faltlhauser (CDU/CSU): Herr Schäuble, hört —, eine Bitte an den Vorsitzenden Ihrer Fraktion wären Sie einverstanden, daß ich diesen Weg der gerichtet. Wenn ich gewußt hätte, daß sogar der Information wähle, wenn ich der Frau Kollegin mit- energiepolitische Sprecher anwesend ist, hätte ich die teile, daß eine Reihe von Kollegen aus dieser Fraktion Bitte natürlich an Sie gerichtet. Ich hatte gebeten, der SPD tatsächlich ein relativ frisches, neues Papier genau dieses zu erklären. Ich bedanke mich, daß Sie gemacht haben, an dem alle an energiepolitischen meinem Wunsch Rechnung getragen haben. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16147

Dr. Wolfgang Schäuble Jetzt wollen wir wieder zum Hauptgegenstand der Bundestagswahl. Das kann man doch den Beschäftig- Debatte kommen. Herr Kollege Klose hatte die Frage ten genauso wie den Arbeitslosen nicht zumuten. erhoben: Warum muß das jetzt sein? (Detlev von Larcher [SPD]: Dann machen Sie (Zuruf von der SPD) endlich eine vernünftige Wirtschaftspoli- tik!) — Lassen Sie mich doch die Frage, die Herr Klose gestellt hat, beantworten. Das muß doch möglich Die Risiken in der Kernenergie sind nicht so, daß man sein. den Beitrag jetzt verweigern könnte. Warum soll das heute entschieden werden? Ich Deswegen fordere ich Sie auf, Ihre Pflicht jetzt zu sage, weil durch Ihre Partei und aus Ihrer Partei und tun aus Ihrer Fraktion, auch durch Ihre Beschlußlagen, (Detlev von Larcher [SPD]: Wir müssen auf nicht nur Verunsicherung, Unklarheit geschaffen die vernünftige Politik von der Bundesregie- wird, sondern weil Sie im Grunde es auch so sagen. rung warten!) Herr Schröder sagt, das Hauptziel der Konsensge- und Ihrer Verantwortung jetzt nachzukommen. Wir spräche sei der Ausstieg aus der Kernenergie gewe- sind dazu bereit. sen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das ist aus unserer Sicht nicht Ziel der Konsens- gespräche gewesen und wird es auch nicht sein. Ziel unserer Seite für einen Konsens ist, einen verantwort- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht baren Konsens in der Energiepolitik insgesamt zu der hessische Minister für Umwelt, Energie und Bun- erreichen, der energiepolitisch, umweltpolitisch lang- desangelegenheiten, Herr Joseph Fischer. fristig verantwortbar ist, auch in den globalen Bezü- gen, der unserer Verantwortung für die Sicherheit der (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Was der Kernkraftwerke auch außerhalb der Bundesrepublik alles kann! — Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/ Deutschland Rechnung trägt. CSU]: Er hat heute eine Krawatte an! Toll! Er wird noch ein Staatsmann! — Gegenruf von Es macht doch keinen Sinn, die sicheren Kernkraft- der SPD: Das schaffen Sie nicht einmal mit werke in Deutschland abzuschalten und auszustei- Krawatte, Herr Kollege! — Detlev von Lar- gen, den möglichen Beitrag der deutschen Forschung cher [SPD]: Die Krawatte macht also einen und Industrie für die Sicherheit der Kernkraftwerke Staatsmann! Das ist ja interessant!) weltweit zu verweigern, um dann noch stärker von den Risiken von weniger sicheren Kernreaktoren in Osteuropa bedroht zu sein. Das ist doch nicht verant- Staatsminister Joseph Fischer (Hessen): Frau Prä- wortbar. sidentin! Meine Damen und Herren! Was den bedeu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge tenden Staatsmann Faltlhauser anbetrifft, wage ich ordneten der F.D.P.) keine Konkurrenz, ob mit oder ohne Krawatte. Es macht auch keinen Sinn, in der Energiepolitik aus (Heiterkeit — Diet rich Austermann [CDU/ der Wirtschaftspolitik auszusteigen und den Zusam- CSU]: Mit Recht!) menhang dieser Fragen mit Wirtschaft und Beschäfti- Meine Damen und Herren, wenn man bei der gung in Deutschland zu leugnen. Debatte heute aufmerksam zugehört hat, dann kom- men einem viele Fragen. Völlig zu kurz kommt die Aus all diesen Gründen brauchen wir eine langfri- Tatsache, daß wir es bei der Stromerzeugung aus stig berechenbare und verantwortbare Energiepolitik. Atomenergie mit der gefährlichsten Form der Ener- Dazu brauchen wir den Beitrag der SPD. Wir werden gieerzeugung zu tun haben, wie wir spätestens seit unseren Beitrag auch in der Zukunft leisten. Klaus Tschernobyl wissen. Töpfer und Günter Rexrodt haben dargelegt, wie sehr sich auch unsere Seite bei diesen Gesprächen in Was wir in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht vielen Fragen auf einen gemeinsamen Konsens hin verdrängen dürfen, ist, daß gegenwärtig allenthalben - bewegt hat. die Standortdebatte geführt wird. Nur, es muß doch einmal ein Gedanke darauf verschwendet werden, Es ist wirklich ein Elend, daß die Chance zu einer was mit dem Standort Deutschland passieren würde, Verständigung in Ihrem Parteipräsidium am Montag wenn es hier zu einem schweren Kernkraftunfall so beiseite geschoben worden ist. Vielleicht können käme. Sie das nach Ihrem Parteitag korrigieren. (Detlev von Larcher [SPD]: Jetzt zeig uns das Aber in diesen Fragen geht es doch — das ist mein einmal!) letztes Wort — um Fragen von einer Bedeutung, die eigentlich weit über Parteitagstermine und Wahljahre Daß diese Debatte nicht geführt wird und auch bei den hinausreichen. Es ist eigentlich nicht verantwortbar, Konsensgesprächen nicht geführt wurde — entgegen daß das, was notwendig ist, jetzt mit den Sozialdemo- dem ursprünglichen Anlaß — ist zumindest für mich kraten nicht zu besprechen ist, weil sie gerade ihren eine der großen Verdrängungen, die wir uns auf Parteitag haben, und dies auch im Jahr 1994 nicht Dauer allerdings nicht werden erlauben können. möglich ist, weil dann so viele Wahlen sind. Wie lange Meine Damen und Herren, wir haben es hier mit der wollen wir mit der Lösung dieser dringend notwendi- Bewertung eines Fast-Ergebnisses zu tun. Fast getrof- gen Fragen eigentlich warten? Wir können doch fen ist daneben. In dem Fall kann man sagen: Es ist angesichts der Entwicklung auf unserem Arbeits- auch gut so. Das Fast-Ergebnis möchte ich einmal markt nicht sagen: Darüber reden wir erst nach der näher beleuchten. Doch bevor ich zu den einzelnen 16148 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Staatsminister Joseph Fischer (Hessen) Punkten komme, gestatten Sie mir noch eine allge- len, wo das Schlechtwettergeld abgeschafft wird und meine Vorbemerkung. ähnliches. Der Deutsche Bundestag sitzt hier in einem wunder- (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/- baren Gebäude, in dem wir als Ländervertreter eben- CSU) falls reden dürfen. Ich kann mich daran erinnern, daß dieses Gebäude ein Jahr lang blockiert war. Ich frage — Daß Sie das nicht hören wollen, ist mir völlig klar. mich, wie Sie in diesem Saale zu Ihrem Technikopti- mismus kommen. (Zurufe von der CDU/CSU — Glocke der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Präsidentin) bei der SPD und der PDS/Linke Liste) Diese Bundesregierung tut ja gerade so, Kollege Herr Schäuble, es war doch der Kollege Bötsch, der Schäuble, als wenn sie zum Export von Atomtechno- dazu gefragt hat: Und so jemand will Atomkraftwerke logien auf die Zustimmung der SPD angewiesen wäre. verkaufen? — Der Anlagenhersteller, der für diese Diese Bundesregierung tut so, als wenn das völlige Geräuschkulisse verantwortlich ist, bietet ja auch Versagen in der Energiepolitik zu überwinden eines Atomkraftwerke an. Konsenses mit der Opposition bedürfte. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zuruf von der CDU/CSU: Natürlich! Wer NEN, der SPD und der PDS/Linke Liste) führt denn die Entscheidungen aus?) — Meine Damen und Herren, ich finde das überhaupt Diese Bundesregierung tut so, als wenn sie zur Fort- nicht zum Lachen, auch wenn das sehr ironisch führung der bisherigen Politik, die Sie gerade ein- klingt. drucksvoll als nichtverhandelbar unterstrichen ha- ben, die Zustimmung der Opposition bräuchte, um (Dr. Wolfgang Weng [Gerlingen] [F.D.P.]: ihre Pro-Atompolitik weiterfahren zu können. Meine Lassen Sie das Volksfest, Herr Fischer!) Damen und Herren, das können Sie, dafür haben Sie — Nein, das hat mit Volksfest nichts zu tun. Das zeigt ein Mandat nur, daß wir es bei der Technik mit Tücken zu tun (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Die Län- haben, die selbst bei relativ selbstverständlichen Din- derminister blockieren die Entscheidungen! gen wie der Übertragungsanlage für den Bundestag Das weiß doch jeder!) offensichtlich zu einem schweren Versagen führen können. in freien und geheimen Wahlen bekommen. Dafür braucht man keinen Konsens. Ich möchte allerdings noch einmal auf die anderen Punkte zu sprechen kommen, Herr Kollege Töpfer. Wenn man einen Konsens will, was sinnvoll wäre, Um die Bundesregierung muß es schlecht bestellt wenn man eine breitere Grundlage mit der atomkraft sein. Denn Sie tun gerade so, als wenn sie ohne die kritischen Opposition erreichen will, dann geht das Opposition hier im Haus, ohne die SPD, Ihren originä- auf der Position Schäuble selbstverständlich nicht. ren Pflichten nicht mehr nachkommen könnten. Es Denn das hieße, daß man die Posi tion der Bejahung freut mich ja für Sie, daß Sie heute wieder einmal als der Atomenergie als Bestandteil der Energiepolitik Standortminister — es war ein echter Genuß — so viel der Bundesrepublik Deutschland übernimmt. Das Beifall von Ihrer Frak tion bekommen haben. Das haben Sie hier in dankenswerter Klarheit unterstri- geschieht ja bei dem, was Sie hier vortragen, nicht chen. Das heißt aber auch, daß ein Konsens nicht allzuoft, daß Sie von der Koali tion noch Beifall bekom- möglich ist. men. Unumstritten war der Einsatz der fossilen Energie- (Dr. Jürgen Rüttgers [CDU/CSU]: Ein biß träger, unumstritten war das Energiesparen, unum- chen billig, der Fischer heute! Schwatzen Sie stritten war die rationelle Energienutzung, unumstrit- hier nicht herum! Das ist doch alles unter ten war — zumindest theoretisch — die Entwicklung Niveau, selbst unter Ihrem Niveau!) der regenerativen Energieträger. Hoch umstritten hingegen ist die Komponente Atomenergie. Das darf- — Das hat mit billig gar nichts zu tun. Ich bitte Sie: Wir man bei alldem nicht vergessen. erleben doch gemeinsam, wie der arme Kollege Töp- fer in wichtigen umweltpolitischen Fragen von Ihnen Herr Kollege Töpfer hat hierzu ja einen erhellenden permanent im Regen stehengelassen wird. Das erle- Brief an den Bundeskanzler geschrieben. Daran kann ben wir doch gemeinsam. man natürlich sehen, was Sie unter Konsens verste- hen, nämlich: Wie ziehe ich die Opposition auf die (Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/ Grundlage der Posi tion der Bundesregierung? Sie CSU) schreiben dort: — Verehrter Herr, zur Sache komme ich schon noch. Das gehört aber mit zur Sache. Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Insgesamt ließen sich möglicherweise in den Konsensge- (Zurufe von der CDU/CSU — Gegenrufe von sprächen ein politisch abgesicherter Betrieb der der SPD) bestehenden Kernkraftwerke, der Bau eines Es gehört genauso zur Sache, wenn Sie sich hier als neuen Reaktors noch in diesem Jahrzehnt sowie Arbeitnehmerfreunde hinstellen, wenn der Kollege eine Streitlosstellung der Entsorgung erreichen. Töpfer hier Bet riebsräte rauf und runter zitiert. Damit hätten Sie in der Tat die heutige Energiepolitik Gestern hätten Sie die Gelegenheit gehabt, eine der Bundesregierung streitlos gestellt, ohne jeden arbeitnehmerfreundliche Bundesregierung darzustel Zweifel. Nur: Was daran Energiekonsens in dem Deutscher Bundestag — 12. Wahlpe riode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16149

Staatsminister Joseph Fischer (Hessen) Sinne sein soll, zwei Posi tionen, die bisher zu einem So steht es in der Anlage zu dem Schreiben an den Moratorium, zu einer Blockade geführt haben, einan- Bundeskanzler. der anzunähern, eine gemeinsame Grundlage unter Herr Kollege Töpfer — das habe ich Ihnen vorher Verzicht von beiden Seiten zu erhalten, das ist mir auf immer gesagt —: In dem Moment, wo ein unabhängi- dieser Grundlage, ehrlich gesagt, völlig rätselhaft. ges Gericht entscheidet, steht dies nicht mehr zur Das Fast-Ergebnis beinhaltet: Laufzeit x. x ist offen. politischen Disposition. Wenn Sie jetzt sagten, es liege Aber es soll streitfrei sein, daß es zu einer Laufzeit x an der Prozeßführung, dann sagte ich Ihnen: Das ist kommt. Das heißt: Die heutige Generation von Atom- völlig daneben, weil der VGH in einer vorhergehen- reaktoren bleibt streitfrei. den Entscheidung vor etwa anderthalb oder zwei Jahren auf derselben Linie entschieden hat. Zweitens. Die Entsorgung soll garantiert werden. Dem entnehme ich, daß Sie gegenwärtig nicht garan- Die Frage, die Sie gestellt haben: wie das mit Hanau tiert ist, was ich hochinteressant finde, Herr Kollege war, ist eine Frage, die heute bei unabhängigen Schäuble. Apropos: nichtgesetzeskonformes Verhal- Gerichten, nicht mehr bei der Landesregierung, son- ten, nicht wahr? Die Entsorgung soll garantiert wer- dern die allein in der Verantwortung des Anlagenbe- den. treibers liegt. Ich muß aber hinzufügen, daß Sie diese betreiberfreundliche Form von Genehmigungen, die (Bundesminister Dr. Klaus Töpfer: Weil Sie es jetzt gescheitert sind, voll politisch mitzuverantworten nicht streitfrei halten!) haben, verehrter Herr Kollege Töpfer. Drittens. Konrad soll streitfrei gestellt werden. (Bundesminister Dr. Klaus Töpfer: Ach, du Viertens. Gorleben: Ein Moratorium bis zum Jahre lieber Gott!) 2005, was immer das auch heißen mag. Jeder weiß, — Wieso „ach, du lieber Gott"? Man kann es nicht so daß sich dort der Bohrer nur noch aus Rechtsgründen wie Herr Schäuble machen, der den Landesregierun- dreht und nicht weil irgend jemand in der Stromwirt- gen — den Rot-Grünen oder wen Sie auch immer schaft oder in der Bundesregierung glaubt, daß der gemeint haben — vor dem Mikrophon vorwirft, daß sie Salzstock tatsächlich endlagertauglich wäre. fast an den R and des Verfassungsbruches gehen, sich Darüber hinaus — und das setzt dem ganzen die aber gleichzeitig sagen lassen muß, daß schwarz- Krone auf —: Bau eines Prototyps einer neuen Reak- gelbe Landesregierungen betreiberfreundliche Ge- torlinie noch in diesem Jahrzehnt. nehmigungen produziert haben, die vor Verwaltungs- gerichten gescheitert sind, verehrter Herr Schäuble. Hinzu kommt Hanau. (Beifall bei der SPD, der PDS/Linke Liste und (Zuruf des Bundesministers Dr. Klaus Töp fer) dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) — Das will ich Ihnen gerne beantworten; und zwar Hinzu kommt die Kohlefinanzierung. Der Frak- tionsvorsitzende Klose hat klargemacht: Dazu sind Sie heißt es auf Seite 7 in der Anlage Ihres Schreibens an verpflichtet. Ich sehe das Erpressungspotential dort den Bundeskanzler — die Frage, die Sie vorhin als sehr gering an; das werden wir noch erleben. rhetorisch gestellt haben, hätten Sie in Ihrem Schrei- ben selbst finden können —: Hinzu kommt noch die Finanzierung des Energie- sparens. Da stellt sich der Kollege Töpfer heute hier Für die Verarbeitung des Plutoniums aus den sog. hin — ich weiß nicht, wer zugehört hat — und erklärt, Alt-Wiederaufarbeitungsverträgen hätte mögli- man sei sich einig gewesen, daß dafür kein Geld da cherweise eine Einigung auf deren Verarbeitung sei. in der neuen Mischoxyd-Brennelemente-Fabrik (Lachen bei Abgeordneten der SPD) in Hanau erreicht werden können. Nach der insoweit negativen Entscheidung des Verwal- So können Sie das dem Protokoll von heute entneh- tungsgerichtshofs in Kassel . . . men. — Herr Kollege Schäuble, bevor Sie hier Vorwürfe Meine Damen und Herren, was ist daran Konsens?- gegen Landesregierungen mangels Rechtstreue erhe- Was ist daran ein Fortschritt gegenüber dem, was wir ben, sollten Sie sich sachkundig machen, denn diese heute haben und was eh eintreten wird? Ich sehe da Genehmigungen wurden nicht von uns, von der keinen Fortschritt. Ich sehe vielmehr den Versuch jetzigen Landesregierung und der Vorgängerregie- — man kann das hier ganz offen sagen —, die rung gemacht; wir haben denen damals prophezeit, Sozialdemokraten auf die energiepolitische Position daß diese Form von betreiberfreundlichen Genehmi- der Regierungskoalition und der Bundesregierung gungen nicht bestandskräftig sein wird; und der rüberzuhieven. Das ist der einzige Zweck, den Sie hier unabhängige höchste Verwaltungsgerichtshof bei uns verfolgt haben. Mit dieser Fast-Einigung — deswegen in Hessen, in Kassel, hat entsprechend negativ ent- sage ich: Gott sei Dank kam es nicht zu dieser schieden — Einigung — hätten Sie Ihr Ziel erreicht. .. zieht die Stromwirtschaft wohl eine Fertigung (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Eine Eini- der sog. Mischoxid-Brennelemente im Ausland gung hätte Ihnen sehr wehgetan!) — insbesondere in Frankreich — vor. Damit ist — Nein, eine Einigung hätte mir überhaupt nicht unsere wehgetan. — spricht Töpfer — (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Sie wollten Verhandlungsposition insoweit geschwächt. nie einen Konsens!) 16150 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Staatsminister Joseph Fischer (Hessen) — Also, Herr Faltlhauser, wir werden ja sehen, wie die in einer bestimmten Größenordnung und mit Import- nächsten Wahlen ausgehen. Vor dem Hintergrund kohle. gerade der hessischen Wahlergebnisse habe ich aus (Zuruf von der SPD: Haben wir doch mancher großen Koalition eine kleine oder eine Nicht- schon!) mehr-Koalition werden sehen. Insofern ist es keine Frage des Wehtuns. Die Antiatom-Opposition gibt es — Teilweise ist das ja schon Realität. seit Mitte der 70er Jahre. Mit langem Atem und mit Nur, wenn Sie, Herr Schäuble, behaupten, daß wir sehr guten Sachargumenten halten wir seitdem durch. volkswirtschaftlich zwingend auf die gefährlichste Art Ich kann nicht sehen, daß wir uns in einer Rückwärts- der Energieversorgung, nämlich die, die auf Ke rn entwicklung befinden. -energie basiert, angewiesen wären, ansonsten wür- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Und die Lich den bei uns die Strompreise nach oben explodieren, ter sind auch nicht ausgegangen!) sage ich: Verehrter Herr Schäuble, das ist eine schlichte Falschinformation, die Sie dem Deutschen — Die Lichter sind nicht ausgegangen. Wir haben die Bundestag vorgelegt haben. Die Zahlen zeigen etwas Stromwirtschaft vor Überkapazitäten bewahrt, die sie völlig anderes. in den Ruin treiben. (Zurufe von der CDU/CSU: Die Kernenergie (Bundesminister Dr. Klaus Töpfer: Cattenom bezahlt die deutsche Steinkohle! — Schlich- läuft!) ter Unsinn!) — Hören Sie doch mit „Cattenomläuft" auf! Cattenom ist doch nach Ihrer Meinung genauso sicher wie jedes Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Minister deutsche Atomkraftwerk, nicht wahr? Jetzt wi ll ich Fischer, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihnen einmal etwas sagen: Wir exportieren mehr Sie Ihre Redezeit schon beträchtlich überzogen Strom, als wir importieren. haben? (Freimut Duve [SPD]: Hört, hört! — Zuruf von der CDU/CSU: Von Schleswig-Holstein nach Hamburg!) Staatsminister Joseph Fischer (Hessen): Frau Prä- sidentin, ich komme sofort zum Ende. Es gibt eine negative Bilanz, was den Import be trifft; das können Sie dem wunderbaren Buch „Die öffent- Wenn man alle Argumente bedenkt, wenn m an liche Elektrizitätsversorgung 1992", herausgegeben sieht, daß die ökonomische Situation, wie sie die vom VDEW, einem, einmal unter Ihren politischen CDU/CSU und die F.D.P. bei den Energiepreisen für Gesichtspunkten gesehen, völlig „neutralen" Zeu- den Fall an die Wand gemalt haben, daß es zu einer gen, entnehmen. Wir importieren weniger S trom, als Beendigung der Atomenergienutzung in diesem wir exportieren. Lande käme, alles andere als standortgefährdend ist, wenn man sieht, daß die Entsorgungsfrage nach wie (Zurufe von der SPD) vor völlig ungelöst ist, und wenn man die Risiken der Herr Schäuble, ich bitte Sie, an dem Punkt noch Nutzung der Atomenergie in diesem Lande in Rech- einmal aufzumerken. Wenn Sie den Untergang des nung stellt, dann wäre ein Energiekonsens denkbar Standortes Deutschland an die Wand malen, nämlich gewesen, der allerdings auf das geregelte Auslaufen auf Grund der höheren Preise, die dann kommen der heute am Netz befindlichen Atomreaktoren hin- würden, möchte ich fragen: Wie ist denn die gegen- ausgelaufen wäre. Dann wäre es möglich gewesen, wärtige Lage? Gegenwärtig, so schreibt die Indust rie, Verantwortung für die Schlußabwicklung bei der sind ihre Strompreise real gesunken. Die Strompreise Entsorgung zu übernehmen. der Haushalte sind real gesunken. Bei den Industrie- Das haben alle angeboten, auch die Umweltver- strompreisen nimmt Deutschland in der EG eine bände. Das war, Herr Kollege Töpfer, sehr viel. Das Position im Mittelfeld ein. Bei Haushaltsstrompreisen wurde abgelehnt. Dann hätte die Möglichkeit bestan- nimmt Deutschland in der EG ebenfalls eine Position den, zu einem tragfähigen Konsens jenseits der wei-- im Mittelfeld ein. teren Nutzung der Atomenergie zu gelangen. Dann Soll ich Ihnen einmal sagen, welches Land mit am hätte man in der Tat die Möglichkeit eines verstärkten günstigsten liegt? Es ist das völlig atomstromfreie Einsatzes von Energiealternativen anpacken kön- Dänemark. Dänemark liegt, was die Preise anlangt, nen. mit am günstigsten. Im übrigen kann das die Bundesregierung heute schon tun. Ich frage Sie: Warum gibt es denn keinen (Zuruf von der CDU/CSU: Durch südafrika entsprechenden Etatansatz? Hessen setzt 100 Millio- nische Importkohle!) nen DM pro Jahr für die Förderung regenerativer und — Durch Importkohle; nicht nur durch südafrikani- rationeller Energieerzeugung ein, der Bund 300 Mil- sche, verehrter Herr, sondern auch durch polnische lionen DM. Nun vergleichen Sie einmal den Bundes- und andere. haushalt, in dem nur 300 Millionen DM dafür bereit- gestellt werden, mit dem Haushalt eines L andes wie (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist Hessen, das 100 Millionen DM bereitstellt, und dann die Position der SPD!) wissen Sie, was diese 300 Millionen DM tatsächlich Was ich Ihnen damit nur sagen will, ist das Fol- wert sind. gende: Sie könnten sich sehr wohl einen von Ihnen so (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke genannten Kohlemix vorstellen, mit heimischer Kohle Liste) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16151

Staatsminister Joseph Fischer (Hessen) Das alles kann die Bundesregierung heute machen. saurierreaktoren dem internationalen Sicherheits- Sie tut es nicht. Sie wi ll einen Fortführungskonsens bei standard anzupassen. der Atomenergie. Dafür werden Sie auf Dauer in (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- diesem Lande keine Mehrheit bekommen. Die Konse- ten der CDU/CSU) quenzen daraus werden sein, daß ein Umstieg wesentlich teurer und wesentlich schwieriger werden Hier muß ohne Zeitverzug gehandelt werden. Wir wird. Sie haben eine große Chance vertan, einen sind uns unserer besonderen Verantwortung gegen- atomenergiefreien Energiekonsens auf der Grund- über Osteuropa und den ehemaligen sowjetischen lage eines geregelten Auslaufens herbeizuführen. Wir Republiken bewußt, und wir sind zu Kooperationen brauchen einen Energiekonsens, aber unter Aus- bereit. schluß der Atomenergie, und nicht einen, mit einer (Beifall bei der F.D.P.) Fortführung einer neuen Reaktorgeneration. Da ist es schon zynisch, wenn Wolfgang Clement in (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke einem gestrigen Interview sagt, daß die SPD bei der Liste) Atomenergie nicht mit anderen Staaten konkurrieren wolle, sondern auf dem Feld der Umwelttechnologie, beim Energiesparen und bei der Entwicklung neuer Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht Energiequellen. Das zweite wollen wir auch, aber das der Kollege Klaus Beckmann. erste können und dürfen wir aus Verantwortungs- gründen nicht lassen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Klaus Beckmann (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem die ten der CDU/CSU) SPD-Ministerpräsidenten sich gegenseitig vorgewor- Meine Damen und Herren, wer die westdeutsche fen haben, sie hätten entweder Gummi im Kreuz oder Kernenergietechnik zum Erliegen bringt, bringt auch Stroh im Kopf, hat sich die Symbiose aus beiden — das will ich noch einmal feststellen — die Weiter- Positionen in dem SPD-Präsidiumsbeschluß vom ver- entwicklung der Sicherheit osteuropäischer Anlagen gangenen Montag niedergeschlagen. Die Aufkündi- zum Stillstand. gung der Energiekonsensgespräche durch die SPD ist Verzicht auf den weiteren Einsatz der Kernenergie aber nicht nur für viele Sozialdemokraten ein trauri- heißt aber auch bei uns zu Hause die Preisgabe von ges Kapitel. Allerdings werden wir uns im Gegensatz mehr als 130 000 Arbeitsplätzen in einem wichtigen zu anderen nicht zurücklehnen und der Dinge harren, Hochtechnologiebereich. In einer Zeit, in der der die da kommen werden. Wir werden nicht, wie die Strukturwandel alle Wirtschaftssektoren berührt und SPD, energie- und gesamtwirtschaftliche Ziele auf- verändert und die Rationalisierung der Arbeit oft der kündigen. Es geht hier um essentielle Weichenstel- einzige Ausweg für Unternehmen ist, sich auch wei- lungen in der Energiepolitik, und dazu kann man terhin am Markt behaupten zu können, will die SPD nicht schweigen. Hier muß gehandelt werden. Dazu auf einen Wirtschaftsbereich verzichten, der lei- sind wir, die Koalitionsfraktionen, bereit. stungsstark ist, innovativ wirkt, internationale Koope- Erstens. Wir erklären uns bereit zur Weiterführung rationen ermöglicht und so dauerhaft sichere Arbeits- der Gespräche. Grundlage hierfür sind die Verabre- plätze bietet. dungen, die wir mit den Sozialdemokraten einver- nehmlich getroffen haben. Wir wollen zu den The- Ich frage die SPD: Wie werden Sie Ihrer Genossin menblöcken Kohlepolitik, Energiesparen, Energieef- Wulf-Mathies begegnen, Herr Kollege Jung — Sie fizienz, regenerative Energien und Kernenergie haben gleich noch die Möglichkeit, darauf zu antwor- unsere Beratungen fortsetzen. Dies haben wir aus ten —, die den Erhalt der Arbeitsplätze z. B. in gutem Grund so beschlossen, denn der inhaltliche Mülheim-Kärlich oder in Hanau für die Menschen Zusammenhang der drei Themenblöcke liegt auf der gefordert hat, die dort gute Arbeit leisten? Werden Sie Hand und ist bisher von der SPD auch nicht bestritten ihr sagen, daß Sie nicht länger bereit waren, die Basis worden. Um so unverständlicher ist deshalb die Auf- für den Arbeitsplatzerhalt zu stellen? Ich bin gespannt kündigung der Energiekonsensgespräche durch die auf die Gespräche, die wir am 9. November mit den SPD. gesellschaftlich relevanten Gruppen führen werden. Viele sachliche Annäherungen sind in den Kon- (Zurufe von der SPD) sensgesprächen der letzten Monate erfolgt, und es Auch ihnen muß die SPD erklären, welche verheeren- wäre aus meiner Sicht dumm, wenn wir auf diese den Folgen diese Ausstiegsideologie für den Arbeits- Zwischenergebnisse nicht zu einem späteren Zeit- markt hat. punkt zurückgriffen. Meine Damen und Herren, hochsubventionierte Zweitens. Auf die Kernenergie können wir nicht Arbeitsplätze im Steinkohlebergbau, AB-Maßnah- verzichten. Verzicht heißt aus der Sicht meiner Frak- men im ostdeutschen Braunkohletagebau mögen tion auch Verweigerung der Übernahme internatio- sinnvoll sein und den Menschen in den Revieren eine naler Verantwortung und mangelnde Bereitschaft zu Perspektive geben. Aber schon heute verkraftet internationaler Zusammenarbeit. unsere Volkswirtschaft derlei Ausgaben nur schwer. Meine Damen und Herren, ohne die Hilfe Europas Wie erst kann sie dieses leisten, wenn die Opposition und der Länder, die profunde Kenntnisse und Erfah- Hochtechnologiebereiche kappen und ideologiebe- rungen in der Kernenergietechnologie haben, sind die frachtetes dirigistisches Denken zur Ausgangsbasis osteuropäischen Staaten nicht in der Lage, ihre Dino- ökonomischen Handelns machen will? Die Bundesre- 16152 Deutscher Bundestag — 12. Wahlpe riode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Klaus Beckmann publik als Industriestandort braucht weiterhin eine Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. leistungsfähige Energiewirtschaft. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Die F.D.P. plädiert für einen Fadenrißverhinde- ten der CDU/CSU — Zurufe von der SPD) rungsreaktor. Wir wollen, daß die Industrie die Gele- genheit erhält, einen Erprobungsreaktor in Deutsch- land zu bauen. Ob sie dies tut und ob dieser dann Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht unseren Kriterien für einen katastrophenfreien Reak- der Abgeordnete Volker Jung. tor entspricht, wird sich zeigen. Erst wenn diese Kriterien realisiert werden können, kann über den kommerziellen Bau weiterer Kraftwerke in unterneh- Volker Jung (Düsseldorf) (SPD): Frau Präsidentin! merischer Freiheit bei den EVU entschieden wer- Meine Damen und Herren! Umweltminister Töpfer den. hat am Ende der letzten Verhandlungsrunde festge- Verzicht auf Kernenergie bedeutet auch, Klima- stellt, daß wir uns in einem Punkt — bei der Option schutzerfordernisse außer acht zu lassen. Mit dem einer zukünftigen Nutzung der Kernenergie — nicht in der Koalition verabredeten CO2-Minderungsziel näher gekommen sind. Das ist eine unvollständige von 25 % bis 30 % haben wir uns ein wahrhaftig ehr- Wahrheit. Die großen Strukturfragen in der Energie- geiziges Ziel gesteckt. Mit ihrem Ausstieg aus den politik, die zukünftige Nutzung der Steinkohle und Energiekonsensgesprächen torpediert die SPD un- auch der Einstieg in die Energiesparstrategie sind im strittige umwelt- und energiepolitische Ziele. Ihre wesentlichen ungelöst geblieben. Sie sind das bis auf Politik ist doppelbödig und zerrissen, kein Wunder den heutigen Tag. bei der Gummi-im-Kreuz-und-Stroh-im-Kopf-Ge- Als Umkehrschluß kann man doch sagen: Wir sind fechtslage innerhalb dieser Partei. uns in einer Reihe von Punkten durchaus näherge- kommen. Das verdient festgehalten zu werden. Ich (Detlev von Larcher [SPD]: Das ist doch denke, daß wir darauf aufbauen können. unglaublich! Es ist auch nichts zu blöd!) (Beifall bei der SPD) Drittens. Wir sind bereit, die noch anstehenden energiepolitischen Entscheidungen in der Koalition Ich möchte diese Feststellungen so ausdrücklich zu fällen. Mit der Koalitionsvereinbarung zur Kohle- treffen, obwohl es einem von Diskussionsrednern wie politik haben wir auf diesem Feld die ersten Pfosten Herrn Schäuble schwer gemacht wird, eingerammt. Über das Kohlefinanzierungsinstrument (Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Der macht es muß noch gesprochen werden. einem immer schwer!) Ich werde mich mit meiner Fraktion für eine zügige wenn er hier falsche Behauptungen aufstellt, darauf Beratung einsetzen, denn die Bergleute an Rhein, hingewiesen wird, sich selbst überzeugen kann, daran Ruhr und Saar sind keine Verfügungsmasse, sondern festhält und nicht einmal die Form findet, dies wieder brauchen Sicherheit. Die Unternehmen brauchen den richtigzustellen. Rahmen für die anstehenden betriebswirtschaftlichen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/- Entscheidungen. DIE GRÜNEN) (Zuruf von der SPD: Das merken sie sich! Das Meine Damen und Herren, beide Seiten haben versuchen die gerade!) erklärt, daß jede Einigung in Detailfragen unter dem Inwieweit eine Novellierung des Atomgesetzes Vorbehalt einer Gesamteinigung steht. Daraus könnte auch Bestandteil eines möglichen Artikelgesetzes man den Schluß ziehen, daß alles Gesagte für die Katz wird, werden die anstehenden Beratungen zeigen. ist; man könnte aber auch den umgekehrten Schluß Mit Sicherheit brauchen wir eine Lösung der anste- ziehen, daß vieles Gesagte wert ist, weiter verfolgt zu henden Probleme bei der Entsorgung. Das ist soeben werden, auch wenn eine Gesamteinigung nicht in lang und breit ausgeführt worden. Für die F.D.P. gibt Sicht ist, weil die Ausgangspositionen zu unterschied- es in diesem Bereich kein Dogma. Aus guten Gründen lich waren und sind. - muß die Entsorgung jedoch in nationaler Verantwor- Immerhin geht es um die nicht unbedeutende tung bleiben, auch wenn wir dabei internationale Frage, daß die eine Seite aus der Kernenergie ausstei- Kooperationen eingehen. gen will und die andere Seite sie weiter nutzen bzw. ausbauen will. Daß dieser Konflikt nicht einfach zu (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne lösen ist, das lag auf der Hand. Daß dieser Konflikt ten der CDU/CSU) auch nicht dadurch gelöst werden kann, daß die eine Auch einer direkten Endlagerung stehen wir als Seite die andere über den Tisch zieht, das dürfte mögliche Alternative eines Entsorgungsweges offen eigentlich auch einleuchten. gegenüber. (Zuruf der Abg. Anke Fuchs [Köln] [SPD]) Nur in einem parteiübergreifenden Dialog können Meine Damen und Herren, wenn die Bundesregie- wir Lösungen finden und eine Neuakzentuierung rung jetzt eine Neuauflage von dem veranstaltet, was unserer Energiepolitik festlegen. Ich betone daher wir als Erpressungsversuch zurückgewiesen haben, noch einmal unsere Bereitschaft zu weiteren Gesprä- nämlich in einem Artikelgesetz die Finanzierung der chen. Zu gegebener Zeit, wenn auch in den obersten heimischen Steinkohle mit der Kernenergieoption zu Parteigremien der SPD die Vernunft wieder walten verbinden, dann wird dieser zweite Versuch ebenfalls darf, werden wir wieder zusammen das steinige Feld scheitern. der Energiepolitik bearbeiten. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16153

Volker Jung (Düsseldorf) Da werden Sie sich schon entscheiden müssen: grundlage. Wir werden nicht nachlassen, Sie an diese Entweder Sie versuchen mit uns, Konsenspunkte zu Verpflichtung zu erinnern. definieren, oder Sie glauben, uns Ihre Auffassungen aufpressen zu können. Zum ersten sagen wir ja, zum (Beifall bei der SPD) zweiten sagen wir nein. Auf jeden Fall: Beides auf Die Unruhe der Bergleute in Nordrhein-Westfalen einmal geht nicht. und im Saarland wächst. Dafür tragen Sie die Verant- (Beifall bei der SPD) wortung, und Sie tragen sie auch, wenn sich diese Ich weiß nicht, welche Strategen sich das bei Ihnen Unruhe zu einem Flächenbrand ausweitet, weil Sie Ihr ausgedacht haben. Diese Strategie wird nicht aufge- Wort nicht einhalten. hen. Sie stellen sich doch offenbar vor, daß Sie dieses Wir kommen aber nicht umhin, Sie immer wieder Gesetz mit Ihrer Mehrheit im Bundestag durchsetzen daran zu erinnern, daß Sie verbindlich zugesagt und uns dann im Bundesrat spalten können — viel- haben, 50 Millionen Jahrestonnen Steinkohle, davon leicht noch im Vermittlungsausschuß einen schlech- 35 Millionen Tonnen Verstromung, bis zum Jahr 2005 ten Kompromiß hinkriegen. Aber ich frage: Was politisch zu stützen, d. h. mit öffentlichen Mitteln zu hätten Sie damit gewonnen? Glauben Sie vielleicht, fördern. Dies ist die Vereinbarung gewesen. Daran daß Sie damit Planungs- und Investitionssicherheit für müssen Sie sich halten. die Elektrizitätswirtschaft schaffen können? Die Elektrizitätswirtschaft könnte nach dem gelten- Meine Damen und Herren, Sie haben sich bei den den Atomgesetz — das ist schon gesagt worden — Konsensgesprächen über das Energiesparen so gut Kernkraftwerke bauen. Die Herstellerindustrie wie nicht bewegt. könnte neue Reaktoren entwickeln und hätte einen (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Ach, Anspruch auf Betriebsgenehmigung. geh!) Warum machen sie das denn nicht, wenn sie das können? Warum haben sie denn erklärt, daß sie das in Von der Arbeitsgruppe, die dazu eingesetzt wurde, haben wir jetzt zum x-tenmal einen Bericht darüber Zukunft nicht mehr machen werden? Weil sie rechnen können. Weil wir keinen Atomkonsens haben. Weil erhalten, welche Maßnahmen alle notwendig wären, um dieses Thema voranzubringen. Aber außer unver- sie keine Investitionen mehr in den Sand setzen bindlichen Absichtserklärungen der Energiewirt- wollen. schaft und der Bundesregierung haben wir dabei Sie meinen, meine Damen und Herren, Sie könnten nichts Greifbares vereinbaren können. dann mit einem so zustande gekommenen Gesetz Investitionssicherheit schaffen. Da kann ich nur Nachdem das Instrumentarium der Fördermittel für sagen: Das ist Phantasterei! Diese S trategie wird nicht die Energieeinsparung, rationelle Energieverwen- aufgehen! dung und Förderung erneuerbarer Energiequellen von Ihnen in den letzten Jahren rigoros zusammenge- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke strichen worden ist, haben Sie keine Bereitschaft Liste) gezeigt, auch nur eine müde Mark lockerzumachen, Ich empfehle Ihnen daher: Lassen Sie diese takti- um eine ökologische Modernisierung unserer Ener- schen Spielereien sein! Führen Sie sie vor allem nicht gieversorgung wenigstens in Angriff zu nehmen. auf dem Rücken der Bergleute aus, sondern bemühen Sie sich, mit uns Ansätze zu suchen, wo wir einen Ich möchte an dieser Stelle noch einmal deutlich Konsens finden können. machen, worum es in dieser Auseinandersetzung im (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke Kern geht: Sie wollen die Option für die Kernenergie offenhalten, und wir wollen die Option für eine Liste) Energiezukunft ohne Kernenergie überhaupt erst öff- Meine Damen und Herren, wir waren ja schon nen. Darum geht es bei der Energiesparstrategie. Da einmal ein Stück weiter. Im Frühjahr hatten alle an tun Sie nichts, und ich bin der Auffassung, dies hat den Konsensgesprächen Beteiligten einschließlich Methode. der GRÜNEN erklärt, daß für sie die Ergebnisse der Kohlerunde vom November 1991 gelten, was ja Meine Damen und Herren, wir haben angeboten, eigentlich selbstverständlich ist. Pacta sunt ser- über die Laufzeit der bestehenden Kernkraftwerke zu vanda. verhandeln. Dieses Angebot steht nach wie vor. Das Es müssen offenbar dieselben S trategen gewesen Präsidium der SPD hat dieses Angebot ausdrücklich sein, denen dann im Sommer eingefallen ist, die von bestätigt. Wir haben einmal zehn Jahre für realistisch der Bundesregierung eingegangene Verpflichtung gehalten. Sie gehen von einer technischen Laufzeit für nichtig zu erklären und einen Finanzierungsvor- von 40 Jahren aus. Die Elektrizitätswirtschaft meint schlag für die heimische Steinkohle von unserer sogar, daß die laufenden Kernkraftwerke 60 bis Zustimmung zur dauerhaften Nutzung der Kernener- 70 Jahre sicher zu be treiben sind. Aber darüber haben gie abhängig zu machen. wir ja noch gar nicht konkret diskutiert. Wenn wir uns an dem Energiekonsens in Schweden orientieren Ich will allerdings nicht verkennen, meine Damen würden, dann müßten wir von einer Regellaufzeit von und Herren, daß sich die Bundesregierung — das ist 25 Jahren ausgehen, und dann wäre — das ist ein mit ein Erfolg der Bergleute — mit ihrem Vorschlag, außerordentlich wichtiger Aspekt — die Entschädi- 7 Milliarden DM pro Jahr zur Unterstützung für die gungsfrage im wesentlichen entschärft. heimische Steinkohle einzusetzen, ein Stück bewegt hat. Dieser Vorschlag ist zwar immer noch unzurei- (Beifall bei der SPD — Ing rid Matthäus- chend, er ist aber wenigstens eine Verhandlungs- Maier [SPD]: Ja, sehr richtig!) 16154 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Volker Jung (Düsseldorf) Ich bin nach wie vor gespannt, wie die Elektrizitäts- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Daß Ihnen die wirtschaft darauf reagieren würde. Ich kann mir GRÜNEN Redezeit weggenommen haben, stimmt einfach nicht vorstellen, daß sie nach dem Motto der nicht; das ist der Verrechnungsmodus. Bundesregierung verfährt: Alles oder nichts — Herr Seesing, Sie haben das Wort.

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Jung, Ihre Heinrich Seesing (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Redezeit ist beendet. Meine Damen und Herren! Ich habe große Hoffnun- gen auf den Energiekonsens gesetzt, und das nicht nur wegen der Möglichkeit, den grundlegenden Konsens Volker Jung (Düsseldorf) (SPD): —ich komme gleich über Kohle und Kernenergie wiederherzustellen, zum Schluß, Frau Präsidentin —, insbesondere deswe- einen Konsens, der bis 1986 Bestand hatte und der von gen, weil davon die Entsorgungsfrage abhängt. Wir der SPD einseitig aufgekündigt wurde, als der Bun- haben in den Verhandlungen erklärt — die GRÜNEN desparteitag dieser Partei beschloß, innerhalb von waren noch dabei —, daß wir bei der Entsorgung zehn Jahren aus dieser zukunftsträchtigen Hochtech- konstruktiv mitwirken werden, wenn absehbar ist, um nologie, der Kernenergie, auszusteigen. Dabei haben welche Mengen von atomarem Abfall es geht. Sie sind wir der SPD für alle laufenden und nicht laufenden erst zu ermitteln, wenn feststeht, wie lange die Ke rn Kernkraftwerke zu danken. -kraftwerke am Netz bleiben. Nein, ich hatte durchaus die Hoffnung, nun auch zu Wir bestehen allerdings darauf, daß der Weg der neuen Überlegungen über die zukünftige Gestaltung direkten Endlagerung geöffnet wird. Aber wir ver- unserer Energieversorgung zu kommen. Der sich trauen auch darauf, daß sich diese Entsorgungslösung jetzt abzeichnende europäische Energiebinnenmarkt durchsetzen wird, stellt uns vor neue Aufgaben. Die Strukturen unserer (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke bisherigen Energieversorgung geraten möglicher- Liste) weise in Gefahr. Vielleicht müssen wir uns sogar eine weil sie unbestritten wirtschaftlicher ist als die Wie- neue Struktur erarbeiten. Einige Elemente möchte ich deraufarbeitung und die Wiederverwertung abge- ansprechen und dabei nicht alles wiederholen, was brannter Brennelemente. Das hat die Elektrizitäts- Vertreter der Koalition schon gesagt haben. wirtschaft zum Entsetzen der Herstellerindustrie ganz Ich war einige Jahre Mitglied der Enquete-Kommis- offen in den Verhandlungen erklärt. Dies eröffnet die sion „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" und Perspektive, in absehbarer Zeit, nämlich nach Abar- war damit an der Erstellung der ersten Berichte beitung der Altverträge mit Frankreich und Großbri- beteiligt. Dabei habe ich gelernt, daß der Ausstoß von tannien, auch international aus der Plutoniumwirt- Kohlendioxid in die Atmosphäre der Erde, den Men- schaft auszusteigen, nachdem das national — mit der schen, ja, der ganzen Schöpfung schadet, wenn ein Aufgabe der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackers- bestimmtes Maß überschritten wird. Deswegen hat dorf — bereits geschehen ist. der Deutsche Bundestag eine drastische Verringe- rung der CO2-Emissionen gefordert. Unter dem Beifall des ganzen Hauses hat sich die Bundesregierung für Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich darf noch einmal eine Absenkung um 25 % bis 30 % bis zum Jahre 2005 wiederholen: Es ist Ende der Redezeit. ausgesprochen. Gleichzeitig fordern wir alle aber auch neue Arbeit für neue Arbeitskräfte. Mehr oder weniger laut wird behauptet, der Standort Deutsch- (Düsseldorf) (SPD): Ich komme zum Volker Jung land sei in Gefahr. Ich behaupte: Er ist in Gefahr. Die Schluß, Frau Präsidentin. Mir ist von den GRÜNEN ja Politik trägt ihr entscheidendes Stück dazu bei, wenn offensichtlich auch Zeit weggenommen worden, sie es noch nicht einmal schafft, ein langfristig gelten- (Heinrich Seesing [CDU/CSU]: Mitgegan des Konzept für die Energieversorgung zu sichern. gen, mitgefangen! So ist das Leben!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und was ich nicht ganz verständlich finde, was aber der F.D.P. sowie des Abg. Dr. Rudolf Karl - sicherlich mit der Geschäftsordnung zusammenhängt. Krause [Bonese] [fraktionslos]) Ich komme zum Schluß, Frau Präsidentin. Da stellt sich ein SPD-Kollege aus dem Stein- und Dies alles in den Wind zu schreiben, meine Damen Braunkohleland Nordrhein-Westfalen — der von allen und Herren, nur weil Sie Ihre Maximalpositionen Rundfunk- und Fernsehsendern und in dpa-Meldun- nicht durchsetzen können, ist nach meiner Auffassung gen als Energiepolitischer Sprecher der SPD vorge- in höchstem Maße irrational und auch wirtschaftlich stellt wurde und der nicht der Kollege Volker Jung unvernünftig. Wenn Sie ständig vom Wirtschafts- war — in dieser Woche vor die Fernsehkameras und standort Deutschland sprechen, der durch den fehlen- behauptet, das Energieproblem sei durch Einsparun- den energiepolitischen Konsens gefährdet ist, dann gen und durch Sonnenenergie zu lösen. machen Sie doch endlich ernst damit, einen Teilkon- (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Unglaub- sens dort zu suchen, wo er erreichbar ist, und pressen lich blauäugig!) Sie uns nicht dort, wo wir prinzipiell nicht zustimmen können. Sonst entlarven Sie doch all Ihre Argumente Nun glaube ich zu wissen, daß dieser Kollege tatsäch- als Scheinargumente. lich tief und fest davon überzeugt ist. Aber andere in der SPD hätten ihm erklären müssen, daß das Modell Schönen Dank. nicht funktionieren kann, weil die in unseren Breiten- (Beifall bei der SPD und der PDS/Linke graden einfallende Sonnenenergie recht gering ist, Liste) auf jeden Fall zu gering, um die Versorgung einer Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16155

Heinrich Seesing Industrielandschaft aufrechtzuerhalten. Ich stelle mir Steckdose kommt. Für die spielt es eigentlich keine schon vor, wie Fördertürme und Bergwerksgebäude, Rolle mehr, woher der Strom da aus der Steckdose Steinkohlekraftwerke und Abraumhalden mit Photo- kommt. voltaiktechnik besetzt sind, um etwas Wärme und Licht in die Häuser derjenigen zu bringen, die sich das Wir wollen allerdings wissen, woher der S trom teure Spiel noch leisten können. Wo bleibt da die kommt. Ein Teil soll nach wie vor aus Steinkohlekraft- kommen. Dies wollen wir mitsamt der Finan- Perspektive für die deutsche Steinkohle? werken zierung per Gesetz sichern. Nun kann man, mit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ausnahme von Teilen der SPD, der GRÜNEN und der PDS/Linke Liste, keinem Menschen mehr klarma- Im übrigen — das geht in eine andere Richtung —, chen, daß wir mit dem vorzeitigen Ausstieg aus der wer es noch nicht wissen wollte: Die CO2-Belastung Kernenergie eine gewaltige Kapitalvernichtung be- ändert sich nicht dadurch, daß ich deutsche Stein- treiben sollen, um gleichzeitig viele Milliarden DM in kohle durch Importkohle ersetze. Gelegentlich sind einen Energieträger zu stecken, der in dieser Woche hier abenteuerliche Äußerungen zu vernehmen. von vielen als Auslaufmodell bezeichnet wurde. Das Die Frage ist vielmehr, ob wir uns deutsche Stein- Wort „Auslaufmodell" geht mir hier zu weit. kohle noch leisten können. Sie ist — für sich betrach- tet — zu teuer. Wenn wir sie dennoch fördern und Erst recht falsch ist aber die Behauptung, daß wir verbrennen wollen, um Strom und Wärme zu erzeu- wegen Tschernobyl aus der Kernenergie aussteigen gen, so hat das verschiedene Gründe: Europa behält müssen. Die verlotterten Uraltatommeiler in Rußland einen weiteren Energieträger. Die Welt braucht Stein- und der Ukraine haben mit unseren modernen Ke rn kohletechnik; wir können sie liefern. Aber wer nimmt -kraftwerken in Westeuropa nicht das geringste etwas von Aussteigern? Nordrhein-Westfalen und das gemein. Dazu hat Bundesminister Töpfer das Notwen- Saarland geraten in gewaltige Struktur- und Sozial- dige gesagt. probleme, wenn ein schneller Ausstieg aus der Stein- Ich halte es für einen Skandal, daß das modernste kohle erfolgen sollte. Kernkraftwerk in Mülheim - Kärlich nicht in Betrieb Einen Ausgleich zur teuren deutschen Steinkohle sein darf, während gleichzeitig Strom aus Nachbar- wird man letztlich nur mit einem besonders preiswer- staaten, nämlich der Schweiz und Frankreich, impor- ten Strom aus Kernkraftwerken finden können. Aber tiert wird. wir alle haben gesagt, daß wir uns die deutsche (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Steinkohle etwas kosten lassen wollen. Über die der F.D.P.) Regelung ab 1996 müssen wir bald entscheiden, und zwar nicht deshalb, weil uns irgend etwas jetzt beson- Was geschieht eigentlich in Norddeutschland, ders drängt, festzulegen, wie wir einen bestimmten wenn es auch in dem letzten Kernkraftwerk, das in Betrag finanzieren wollen. Aber für einen Punkt Schleswig-Holstein noch in Betrieb ist, zu einem brauchen wir die Entscheidung wirklich: Welche Störfall kommt, z. B. zum Verlust einer Schraube, die Menge deutscher Steinkohle kann ab 1996 zu Welt- dann auf Weisung eines Ministerialbeamten monate- marktpreisen gekauft werden, und wieviel Geld lang gesucht wird und dann, wenn sie gefunden garantiert der Gesetzgeber dafür? Die Koalition hat worden ist, von mindestens drei Gutachtern geprüft ein Angebot gemacht: 7 Milliarden DM für die Jahre werden muß? Ich bin mir bewußt, daß ich hier pole- 1997 bis 2000, 1996 sogar noch etwas mehr, weil dann misiere. Die Dinge sind tatsächlich sehr viel ernster. nach der Vereinbarung vom 11. November 1991 mehr Was ich damit sagen möchte, ist folgendes: Wir Kohle gefördert werden soll als ab 1997. Für die können uns den Ausstieg aus der Kernenergie aus späteren fünf Jahre soll der Betrag rechtzeitig festge- vielerlei Gründen gar nicht leisten. Der Stillstand von legt werden. Kraftwerken, allerdings nicht nur der von Kernkraft- Nun hat Herr Ministerpräsident Schröder einen werken, bedeutet einen Verlust an Volksvermögen, ganz interessanten Vorschlag für die Finanzierung bedeutet eine große Gefahr für den Standort Deutsch- aller Maßnahmen im Energiebereich gemacht. land. Deswegen müssen Regelungen getroffen wer- - Danach sollen u. a. die Unternehmen des westdeut- den, die solche Schädigungen unserer Volkswirt- schen Steinkohlebergbaus im wesentlichen zur Sub- schaft verhindern. ventionierung ihres Verkaufspreises eine möglicher- einige Änderungen weise nicht zweckgebundene allgemeine „Kraft- Ich schlage vor, im Atomgesetz vorzunehmen. Danach müßte es möglich sein, Kern- werkskohlebeihilfe" von im ersten Jahr, 1996, 6,5 Mil- liarden DM erhalten. kraftwerke für die Dauer ihrer Laufzeit rechtlich zu sichern. Wir benötigen Terminvorgaben an Behörden Diese Summe soll sich jährlich um 250 Millionen und einen Rechtsanspruch auf die genaue Darlegung DM verringern, so daß sich diese Hilfe im Jahre 2005 der Voraussetzungen für die Erteilung erforderlicher auf 4,25 Milliarden DM beläuft. Genehmigungen. Es darf kein ständiges Nachschie- ben von Fragen, Auflagen und Anforderungen mehr (Dr. Kurt Faltlhauser [CDU/CSU]: Interes geben. Das Bundesrecht darf nicht durch Genehmi- sant!) gungs- und Aufsichtsbehörden verletzt werden. Dann Mit solchen Vorschlägen kann Herr Schröder sicher kann man sich auch auf Betriebslaufzeiten für Ke rn zum Ehrenmitglied des Wirtschaftsrates der CDU e. V. -kraftwerke einigen, obwohl dies volkswirtschaftlich ernannt werden. Es zeigt sich auf jeden Fall, daß es wie auch gesellschaftspolitisch in höchstem Grade auch in der SPD neue Denkansätze gibt. Nur haben bedenklich ist. Die Situation in Schweden sollte das Sagen eben diejenigen, für die der Strom aus der eigentlich eine Warnung für uns sein. 16156 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Heinrich Seesing Nun möchte ich noch auf ein völlig anderes Problem — Wir müssen zunächst darüber abstimmen. Da kein bei unseren Energieträgern hinweisen. Dies sind die Einverständnis besteht, bitte ich, daß wir in der Sache Gebiete mit Grundwasserdefiziten durch den Braun- abstimmen. kohletagebau in den jungen Bundesländern. Grund- wasserdefizite entstehen durch die Übernutzung der (Klaus Beckmann [F.D.P.]: Die sind gar nicht Grundwasserressourcen oder durch die bergbaulich mehr da!) notwendige Grundwasserhaltung, wie sie der Braun- — Es ist niemand von der PDS/Linke Liste da. Trotz- kohlebergbau erfordert. Der Braunkohlebergbau dem muß ich abstimmen lassen. pumpt zur Aufrechterhaltung der geotechnischen Sicherheit die Grundwassemeubildung, aber auch Der Antrag auf Ausschußüberweisung hat keine den statischen Grundwasservorrat ab. Der z. B. in der Zustimmung gefunden. Ich lasse deshalb in der Sache Lausitz betriebene großflächige Braunkohlenabbau abstimmen. hat Natur und Landschaft bis ins Mark getroffen und Wer für den Entschließungsantrag auf Drucksache zu einem enormen Grundwasserdefizit geführt. 12/6051 ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Der Seit 1989 hat sich die Braunkohlenförderung dra- Antragsteller, die PDS/Linke Liste, ist nicht anwe- stisch verringert. Dadurch verringert sich auch die send; also gibt es keine Zustimmung. Ich frage: Wer ist bergbauliche Grundwasserförderung und somit die in dagegen? — Enthaltungen? — Damit ist der Entschlie- die Oberflächengewässer eingebrachte Wasser- ßungsantrag ohne die Stimmen der PDS/Linke Liste menge. Selbst bei einer Braunkohlenförderung von und bei Enthaltung des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- rund 90 Millionen t Rohbraunkohle im Jahr — die NEN abgelehnt. werden wir kaum noch erreichen können — werden in den kommenden Jahren im Spreewald und im Groß- Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: raum Berlin Wasserbilanzdefizite auftreten. Erste Beratung des von der Bundesregierung Jede Tonne Braunkohle, die weniger gefördert eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über wird, führt zu weiteren Belastungen. Allein deswegen die Neuordnung der Rundfunkanstalten des sind Beschlüsse von Stadträten, aus der Braunkohle- Bundesrechts und des RIAS Berlin nutzung auszusteigen, von überregionaler Bedeu- — Rundfunkneuordnungsgesetz — tung. Kostspielige und technisch aufwendige Sanie- rungsmaßnahmen stehen an. Auf Bund-Länder- — Drucksache 12/5825 — Ebene abgestimmte Pläne sind erforderlich. Jedoch Überweisungsvorschlag: bedarf es dazu umweltpolitischer Vorgaben und eines Innenausschuß (federführend) gesellschaftlichen Konsenses über die Nutzung unse- Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO rer Energie träger. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat war für die Im politischen und gesellschaftlichen Konsens soll- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. ten eigentlich auch noch andere Fragen angegangen werden. Es ist sicher an der Zeit, sich über neue Die Fraktionen und Gruppen haben sich zwischen- Strukturen einer dezentralen Wärme- und damit auch zeitlich darauf verständigt, die Redebeiträge insge- Stromerzeugung zu unterhalten. Dabei würden dann samt zu Protokoll zu geben.*) Sind Sie mit dieser auch Biomasse und andere erneuerbare Energien Abweichung von der Geschäftsordnung einverstan- ihren Platz erhalten. Wie wäre es, wenn wir mit Hilfe den? — Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so von Kugelbettöfen in die Methanolerzeugung z. B. beschlossen. aus Braunkohle einsteigen würden? A ll diese Mög- Der Ältestenrat schlägt Überweisung des Gesetz- lichkeiten lassen wir außen vor, weil sich einige nicht von Ideologien lösen können. entwurfes auf Drucksache 12/5825 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es Meine Damen und Herren, ich meine, wir sollten dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der versuchen, hier im Parlament das Ziel zu erreichen, Fall. Die Überweisung ist so beschlossen. das die Konsensgespräche anstrebten: eine langfristig gesicherte Energieversorgung auf dem Strom- und Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: Wärmemarkt unter Nutzung aller zur Verfügung ste- henden Energieträger. Kapitalvernichtung wird nicht Erste Beratung des von der Bundesregierung mehr betrieben. Denn bedenken wir: Es geht auch um eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der die Zukunft unserer Kinder. am 25. November 1992 in Kopenhagen Ich danke. beschlossenen Änderung und den am 25. No- vember 1992 beschlossenen Anpassungen zum (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Montrealer Protokoll vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozon- schicht führen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Liebe Kolleginnen — Drucksache 12/5977 — und Kollegen! Ich schließe die Aussprache. Es ist beantragt worden, den Entschließungsantrag Überweisungsvorschlag: Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit der Gruppe PDS/Linke Liste auf Drucksache 12/6051 (federführend) zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? Ausschuß für Gesundheit (Clemens Schwalbe [CDU/CSU]: Wir wollten eigentlich sogleich abstimmen!) *) Anlage 3 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16157

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth Auch hier war nach einer Vereinbarung im Älte- Herr Kinkel hat diese Frage neulich leicht pikiert bei stenrat für die Aussprache eine halbe Stunde vorge- anderer Gelegenheit gestellt. Um so verwunderlicher sehen. ist es, wenn das Auswärtige Amt bis heute keinerlei Die Fraktionen und Gruppen haben sich zwischen- Probleme zu haben scheint, wenn Staatsminister zeitlich darauf verständigt, auch zu diesem Tagesord- Schmidbauer jede Menge außenpolitischen Porzel- nungspunkt die Redebeiträge insgesamt zu Protokoll lans zerschlägt. zu geben.' ) Sind Sie mit dieser Abweichung von der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Geschäftsordnung einverstanden? — Das ist der Fall. und bei der SPD — Wolfgang Lüder [F.D.P.]: Es ist so beschlossen. Herr Kinkel hat die Frage doch beantwor- Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des tet!) Gesetzentwurfes auf Drucksache 12/5977 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es In Berlin hat gestern der sogenannte Mykonos- dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Prozeß begonnen. Nach allen bisherigen Erkenntnis- Fall. Die Überweisung ist so beschlossen. sen der Ermittler haben die Mörder von vier iranisch- kurdischen Oppositionellen im September 1992 im direkten Auftrag des iranischen Geheimdienstes Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf: gehandelt. Über den als Organisator des Anschlags Aktuelle Stunde angeklagten Darabi hielt das Auswärtige Amt schon Verhältnis der Bundesregierung zur irani- vor elf Jahren seine schützende Hand. Auf Grund des schen Regierung angesichts deren behaupte- Drängens der iranischen Botschaft wurde er trotz ter Verantwortung für den Anschlag auf vier seiner Beteiligung an einem Überfall aus der Abschie- Iraner in Berlin behaft entlassen. Nach seiner Verurteilung auf Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat diese Bewährung wurde ihm — wiederum mit Unterstüt- Aktuelle Stunde verlangt. zung des Auswärtigen Amts — zu einer Aufenthalts- erlaubnis in der Bundesrepublik verholfen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abge- ordnete Gerd Poppe. Zehn Jahre hatte Darabi die Möglichkeit, sich an extremistischen Aktionen oder deren Vorbereitung (Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Können die bis hin zum Mykonos-Mord zu beteiligen. Das Bun- den Quatsch nicht zurückziehen?) desamt für Verfassungsschutz, der BND, das BKA, der Innensenator von Berlin — alle wußten über Darabis Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Gefährlichkeit Bescheid; teilweise wurden sie auch Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir halten es direkt von ausländischen Diensten informiert. Den- für skandalös, wie sich die Bundesregierung gegen- noch geschah nichts. — Nun erklären Sie das mal über dem Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit beispielsweise einem Asylbewerber, der wegen eines bezüglich ihrer Kontakte zum iranischen Regime kleinen Ladendiebstahls abgeschoben wird. verhält oder eben nicht verhält. (Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Gibt es ja Eine große deutsche Zeitung hat von der Gemein- leider nicht! Quatsch!) schaft der Nichtwissenden gesprochen, wohl die zutreffendste Umschreibung für das, was uns seit zwei Die Aufklärung dieser unglaublichen Vorgänge Wochen seitens der Bundesregierung zugemutet kann nicht nur dem Landgericht Berlin überlassen wird. werden, sondern die Bundesregierung muß sich ernst- haft mit den eigenen Fehlern befassen. Sie hat ihren an mit dem Gefühl, daß eher Fragestunden verläßt m Anteil daran, daß das Attentat nicht vereitelt wurde. verschleiert wird als informiert. Angebote an einzelne Abgeordnete, so auch an mich, im persönlichen Nun hat Herr Schmidbauer die Beteiligung des Gespräch weitere Informationen zu geben, können iranischen Geheimdienstes an diesem Anschlag nützlich sein — und ich nehme das auch gerne an —, öffentlich in Zweifel gezogen und dann auf Drängen aber sie helfen allein nicht weiter. Was jetzt nötig ist, der Berliner Justiz halbherzig dementiert. Inzwischen ist die vorbehaltlose Information des Bundestages. ist öffentlich der von der Bundesregierung bisher nicht Durch die Geheimgespräche von Staatsminister dementierte Verdacht geäußert worden, Gesprächs- Schmidbauer mit dem iranischen Staatssicherheitsmi- gegenstand zwischen ihm und Fallahian sei auch ein nister Fallahian ist der Beschluß des Europäischen möglicher Deal gewesen: vier deutsche Gefangene im Rats von Edinburgh, keine engeren Beziehungen zum Iran gegen die Verschiebung des Mykonos-Prozes- Iran aufzunehmen, solange es keine Anzeichen für die ses. Abkehr vom Staatsterrorismus gibt, grob mißachtet Schon haben iranische Oppositionelle auf eine worden. Wir haben die herbe Kritik der USA, Israels gewisse Tradition in deutsch-iranischen Deals hinge- und weiterer Verbündeter gehört und täten gut daran, wiesen. Genannt wurde der damalige Chomeini- sie mit der gebotenen Sensibilität zu berücksichti- Vertraute Tabatabai, der trotz seiner erheblichen gen. Rauschgiftvorräte 1987 mit Hilfestellung des damali- Überhaupt wäre zu fragen, wer denn hierzulande gen Bundesaußenministers unbehelligt die Bundesre- für die Außenpolitik zuständig ist. publik verlassen konnte. Aus der Affäre Darabi könnte nun zusätzlich noch eine Affäre Schmidbauer (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden. und bei der SPD) Aber selbst wenn der Verdacht eines solchen Deals s) Anlage 4 entkräftet werden kann: Wieso führt die Bundesregie- 16158 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Gerd Poppe rung mit Geheimdienstchefs totalitärer Staaten, die im Meine Damen und Herren, die Bundesregierung Verdacht stehen, Auftraggeber terroristischer An- hat die Pflicht, den Dialog mit dem Iran zu suchen und schläge zu sein, überhaupt vertrauliche Gespräche? zu nutzen, um Deutschen oder ausländischen Perso- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nen zu helfen, die im Iran oder in der Region in Haft und der SPD) sind, sei es als Gefangene oder als Geiseln. Es wäre aus humanitären Gründen nicht zu verantworten, Ich versuche, mir die Protestwelle vorzustellen, die wenn wir hier die Hände in den Schoß legten und es zu Recht gegeben hätte, wenn Bundes- oder darauf verwiesen, daß wir andere Werte haben als das Staatsminister zu DDR-Zeiten Gespräche über huma- Regime dort. Wer die Gefängnisse in dieser Region nitäre Fragen ausgerechnet mit Stasiminister Mielke kennt, der muß Verständnis für die Personen und ihre geführt hätten. Familien haben, die die Bundesregierung dringend (Beifall bei Abgeordneten der SPD) immer wieder um Hilfe bitten. Die Bemühungen der Für mich sind die Gespräche mit Fallahian eine Bundesregierung auf diesem Feld sind durchaus vor- Beleidigung der iranischen demokratischen Opposi- zeigbar. tion und eine Verhöhnung der Opfer. Darüber hinaus (Freimut Duve [SPD]: Zeigen Sie sie vor!) ist die Frage zu stellen, ob nun ein weiteres Mal der Anspruch einer menschenrechtsorientierten Politik Wir dürfen dabei nicht erpreßbar werden; wir sind es zugunsten einiger Handels- und Wirtschaftsprivile- auch nie geworden. gien — inklusive der Wiederaufnahme der atomtech- Was den Mykonos-Prozeß angeht, so ist es absurd, nischen Zusammenarbeit, wie von israelischer Seite dem Staatsminister Schmidbauer zu unterstellen, er befürchtet wurde — aufgegeben werden soll. wolle in ein gerichtliches Verfahren eingreifen. Die Bundesregierung sollte, sofern sie es kann, den Ebenso ist es abwegig, zu glauben, es habe einen Deal fatalen Eindruck revidieren, daß sie sich in einer gegeben. obskuren Winkeldiplomatie gegenüber einem Re- Für unser Verhältnis zum Iran stellen wir eindeutig gime verirrt hat, das sich in seinem blinden Verfol- klar: Wir verurteilen jede Form der Ausübung von gungswahn gegenüber Oppositionellen überhaupt Gewalt als Mittel der Politik. Wir verurteilen aufs nicht um die Weltmeinung schert, das stur am Mord- schärfste jede Spielart des Terrorismus. Deutschl and aufruf gegen Salman Rushdie festhält und mittler- darf nicht Spielwiese oder Ruheraum für ausländische weile zum Mord an Rushdie-Verlegern übergegan- Gruppierungen werden, die ihre politische Überzeu- gen ist. gung mit Gewalt auf unserem Boden durchsetzen wollen. Dies gilt für den Iran und iranische Gruppen Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Die Redezeit ist wie für alle anderen Gruppierungen. Wenn es zu beendet. Gewaltakten und zu Morden kommt, dann müssen die Täter ohne Vorbehalt im Rahmen unserer rechtsstaat- Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die lichen Ordnung abgeurteilt werden, so wie in diesen Bundesregierung sollte uns dankbar sein, daß wir ihr Tagen im Fall Mykonos geschieht. mit dieser Aktuellen Stunde die Gelegenheit ver- Meine Damen und Herren, es kann heute nicht schaffen, das verheerende Erscheinungsbild zu korri- mehr zweifelhaft sein, daß unser Land auch zu Regie- gieren, das sie in den letzten Wochen in dieser rungen Beziehungen unterhalten muß, die unsere Angelegenheit geboten hat. Wertvorstellungen nicht oder nur begrenzt teilen. Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Markus Meckel [SPD]: Insbesondere mit (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Geheimdiensten!) und der SPD) Gerade einige derjenigen, die früher am nachdrück- lichsten dafür plädiert haben, mit Repräsentanten Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster spricht sozialistischer Unrechtsregime, die die Menschen- der Abgeordnete Dr. Rolf Olderog. rechte mit Füßen getreten haben, an deren Händen Blut herabtropfte, zu sprechen und deren Repräsen- Dr. Rolf Olderog (CDU/CSU): Frau Präsidentin! tanten in Bonn mit allen Ehren zu empfangen, geben Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst sich heute ausgesprochen sensibel. Bei klarer Kennt- eine Bemerkung zum eigentlichen Anlaß dieser Aktu- nis der Unterschiede der Wertvorstellungen bietet der ellen Stunde, zu den Gesprächen von Staatsminister Dialog mit diesen Staaten die beste Ch ance, einen Schmidbauer mit dem auch für Nachrichtendienste Beitrag zum Wandel und zu einer Normalisierung zu zuständigen iranischen Informationsminister. Die Par- leisten, bessere Chancen jedenfalls als eine Politik lamentarische Kontrollkommission für die Nachrich- strikter Isolation. hat dazu Berichte des Koordinators der tendienste Selbstverständlich hat sich dieser Dialog in jenem Nachrichtendienste und des BND-Chefs entgegenge- Rahmen zu halten, der unserem Wertverständnis nommen. Die PKK hat sich anschließend zu einem entspricht. Unsere eigenen moralischen Positionen ungewöhnlichen Schritt veranlaßt gesehen. Sie hat müssen deutlich zum Ausdruck kommen. So verurtei- eine Erklärung veröffentlicht. Darin heißt es: len wir mit aller Entschiedenheit die Verfolgung von Die Parlamentarische Kontrollkommission stellt Salman Rushdie und die Verletzung von Menschen- einstimmig fest, daß beide Berichte keine Veran- rechten. Wir haben ein großes Interesse, gegenüber lassung zu Beanstandungen gegeben haben. dem Iran für die Nichtverbreitung von Massenver- Ich denke, das ist eindeutig. Ich sage noch einmal: Das nichtungsmitteln einzutreten. Wir drängen darauf, ist einstimmig beschlossen worden. daß der Iran den jetzt in Gang gebrachten Friedens- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16159

Dr. Rolf Olderog prozeß im Nahen Osten zumindest nicht stört und wie durch dieses Resumee von dem Chef eines behindert. Geheimdienstes nach seinem Gespräch mit Schmid- bauer. (Freimut Duve (SPD]: Er ist der Haupthetzer zur Zeit!) Die meisten meiner in der vorvorigen Woche an die Unsere Position in dieser Frage findet durchaus Bundesregierung gestellten Fragen hat die öffentliche auch außenpolitisch gewichtige Unterstützung. So hat Diskussion in den letzten Tagen beantwortet: sogar der Europäische Rat im Dezember 1992 dazu Erstens. Wußte der Minister, daß Fallahian im aufgefordert, mit dem Iran wegen seiner Bedeutung in Verdacht steht, mitverantwortlich zu sein für den der Region einen Dialog zu führen. Es soll natürlich staatsterroristischen Mordanschlag auf vier Gäste ein kritischer Dialog sein, der unsere Sorgen und Willy Brandts in Berlin? — Ich will noch einmal sagen: Positionen deutlich zum Ausdruck bringt. Der Euro- Die größte Tradition des Islam ist die Gastfreund- päische Rat lehnt ausdrücklich Isolation gegenüber schaft. Hier hat vermutlich ein islamischer Staat dem Iran als Mittel unserer Politik ab. unsere Gäste umgebracht. Auch das hätte einen Die Leitlinie der Iranpolitik der Bundesregierung gewissen Respekt gegenüber dem, was dort passierte, entspricht in vollem Umfang den Grundsätzen, auf die weit über die Opfer hinaus vom Staatsminister abver- sich alle Staaten der Europäischen Gemeinschaft in langt. — Auf diese Frage kann man inzwischen ganz aller Form geeinigt haben. Deshalb sind auch einzelne klar mit Ja antworten: Er wußte es. amtliche Vorwürfe von seiten befreundeter Staaten Zweitens. Wollte der Iraner Einfluß nehmen auf den unberechtigt. Prozeß? Antwort: Ja, er wollte. Er hat es nicht ver- Wir unterstützen die Politik der Bundesregierung. mocht — da gebe ich Ihnen sicher recht —; ich hoffe es (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) jedenfalls. Drittens. Gab es Überlegungen, den Mann festzu- nehmen? Antwort: Ja, solche Überlegungen gab es, Präsidentin Rita Süssmuth: Es folgt jetzt der Abge- und sie waren dem Amt bekannt. ordnete Freimut Duve. Viertens. Gibt es eine Form der Kooperation mit dem iranischen Geheimdienst, die auch Ausbildungs- hilfe umfaßt? Antwort: Ja. Es sind Sachleistungen im Freimut Duve (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolle- Wert von über 100 000 DM nach Teheran gegeben gen! Herr Kollege Olderog, die Erklärung unseres worden. Kollegen Penner zu der Sitzung gestern muß man Wir werden dieser Frage noch nachgehen, ob zu Wort für Wort und sehr genau lesen. dieser neuen rationalen Haltung gegenüber dem Ir an Es wird gesagt: Es gab die Berichte, die keinen auch gehören muß, daß Geheimdienste bei uns Anlaß zu Beanstandungen gegeben haben. Wir wer- Geheimdienste dort mit ausbilden, den über einige der Tatbestände wahrscheinlich im Laufe der nächsten Wochen noch diskutieren. (Beifall bei der SPD) Dies ist keine Debatte über Grundsätze unserer die keinerlei parlamentarischer Kontrolle und keiner- Iranpolitik. Ich bin mit Ihnen der Meinung, wir sollten lei öffentlicher Einsichtnahme unterliegen. Nein! Ich sie einmal führen. Auch ich bin dafür, daß wir rational halte das für verfassungswidrig. über unsere Beziehungen zum Iran nachdenken. Dies (Dr. Rolf Olderog [CDU/CSU]: Wieviel Ver- ist auch keine Debatte über Grundsätze unserer trauen haben Sie eigentlich zu den SPD- Menschenrechtspolitik. Mitgliedern in der PKK?) Dies ist eine Debatte über den grundsätzlichen Sechste Frage: Ist die britische Regierung, deren Primat der Politik und der Außenpolitik über den Bürger Salman Rushdie einem vom iranischen Parla- gefährlichen Dilettantismus des Bundeskanzleramtes ment wieder und wieder bestätigten Mordbefehl aus- in Sachen Außenbeziehungen. gesetzt ist, vor dem Gespräch informiert worden? (Beifall bei der SPD) Antwort: Nein; man hielt dies nicht für nötig. Die Regierung Kohl betreibt Außenpolitik mit vie- Siebte Frage: War es zwingend erforderlich, die len Zungen und vielen Kassen. Der Innenminister wichtige humanitäre Hilfe für Israel, einen abge- — jedenfalls sein Staatssekretär Waffenschmidt — ist schossenen Soldaten mit Hilfe des Iran zurückzufüh- in vielen ehemaligen GUS-Staaten tätig. Der Kanzler- ren — wogegen niemand etwas hat; im Gegenteil, das amtsminister Bernd Schmidbauer ist tätig im Nahen sind wichtige Aktivitäten —, durch das Kanzleramt im Osten, immer wieder, nicht nur in dieser Sache. Kanzleramt selber und im Rahmen eines solch spek- Sein Gast, der Geheimdienstchef Fallahian, hat takulären Besuches zu leisten? Antwort: Nein. nach dem Gespräch das iranische Interesse an uns auf Achte Frage: War es wirklich der richtige Moment, den Punkt gebracht. Ich zitiere ihn: Der Iran halte daß sich der Mitchef des Kanzleramtes in dieser Lage Deutschland für geeignet, der Weltöffentlichkeit die so spektakulär mit einem solchen Gesprächspartner von Friedenswillen geprägte Haltung der islamischen verabredet, der zur Zeit für eine massive Propaganda Republik zu erläutern. Zynischer und herablassender gegen die PLO-Spitze und gegen Israel in Sachen ist Deutschland wohl selten zur Public-Relations- Frieden mitverantwortlich ist? Es geschehen derzeit Agentur heruntergelobt worden Morde. Es werden PLO-Leute umgebracht, und der (Beifall bei der SPD) Iran hört nicht mit seiner Propaganda auf, die PLO als 16160 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Freimut Duve Verräter an der gemeinsamen Sache zu bezichtigen. unerträglichen Haftbedingungen im Ir an freizube- Dieser Besuch war deplaziert. kommen. Da stellen sich der Sprecher vom BÜND- (Konrad Weiß [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE NIS 90/DIE GRÜNEN und der in Menschenrechtsfra- GRÜNEN]: Ein Skandal!) gen immer sehr engagierte Kollege Duve hin und sagen, dies hätte nicht geschehen sollen. Alle Fragen sind also weitgehend beantwortet. Eine Frage bleibt das Geheimnis des deutschen Bundes- (Freimut Duve [SPD): Das habe ich nicht kanzlers: Warm gesteht er das permanente Fiasko bei gesagt!) der Kontrolle der Geheimdienste — wir haben schon Na gut, wenn man mit dem Außenminister des Ir an manche Dinge gehabt — endlich ein? Und wann hört über solche Fragen reden könnte, wäre das vielleicht der außenpolitische Dilettantismus dieser Regierung vorzuziehen. Aber wir können uns die Gesprächspart- auf? ner leider nicht aussuchen. Wenn der Ir an sagt, wir (Dr. Rolf Olderog [CDU/CSU]: Das ist unver schicken Ihnen diesen Vogel, und wir reden mit ihm antwortlich, was Sie hier reden!) über diese Frage, dann interessiert es mich gar nicht, Wir werden in der nächsten Zeit Gelegenheit neh- was er für Vorstellungen hat und was er nachher der men, die Fragen zu stellen, wie das Innenministerium Presse erklärt, sondern dann interessiert mich, was in wichtigen Staaten, die sich selber in einer sehr dabei in dieser Menschenrechtsfrage unter dem schwierigen Lage befinden, auftritt, warum das nicht Strich herauskommt. Das ist für mich das Krite rium. mit dem Außenministerium in einer gebotenen Weise (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) verabredet wird, und warum hier soviel nebeneinan- derherläuft. Ich halte es für eine ganz schlimme Heuchelei, wenn Sie hier sagen, es ist schlimmer, daß Herr Ich danke für die Aufmerksamkeit. Schmidbauer mit diesen Menschen geredet hat, als (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ wenn diese Gefangenen nicht freigekommen wä- DIE GRÜNEN) ren. (Freimut Duve [SPD]: Wer hat das gesagt?) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster hat der Hier hat die Bundesregierung sogar auch anderen Kollege Ulrich Irmer das Wort. Ländern gute Dienste geleistet. Meine Damen und Herren, was heißt denn hier Ulrich Irmer (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Nebenaußenminister? Damen und Herren! Ich verstehe durchaus die Aufre- gung des Kollegen Duve, denn wir stellen hier fest: (Zuruf des Abg. Gerd Poppe [BÜNDNIS 90/ Eine Seifenblase ist geplatzt. Viel Lärm um nichts! Sie DIE GRÜNEN]) hatten sich Anfang der Woche ausersehen, einen — Es will hier doch niemand den Charakter dieses Skandal — so wurde auch eben dazwischengerufen — Emissärs beschönigen. Es will doch niemand sagen, aufzudecken, und hatten sich gefreut, hier die Bun- daß der etwa nicht all das auf dem Kerbholz hätte, was desregierung einmal vorführen zu können. Sie hier sagen. Darum geht es doch wirklich nicht. Inzwischen ist der Parlamentarischen Kontroll- (Freimut Duve [SPD]: Es geht um den Ver- kommission, die dafür zuständig ist, Aufklärung dacht seiner Mittäterschaft!) erteilt worden. Wenn Sie jetzt sagen, alles, was dort berichtet wurde, sei zwar in Ordnung, aber es sei Ich sage Ihnen, wenn es möglich ist, Gefangene zu etwas ganz anderes als das passiert, was dort berichtet befreien und damit etwas zur Verbesserung der Men- wurde, dann kann ich das nur als eine ausgesprochene schenrechtssituation beizutragen, wenn ich dieses Unverschämtheit zurückweisen. erreichen kann, dann rede ich mit dem Teufel in der Hölle. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Ich frage mich, wie Sie dazukommen, dem Herrn Schmidbauer hier zu unterstellen, er habe die Parla- Kollege Olderog hat es schon gesagt: Sie waren doch- mentarische Kontrollkommission angelogen. Denn früher nicht so wählerisch, und man sollte es auch nichts anderes tun Sie hier. Dafür haben Sie keinerlei nicht sein. Man darf es in solchen Fragen gar nicht Beweis. Dafür haben Sie nicht einmal Anhaltspunkte. sein. Wenn Sie diese Tatsache, daß Ihre schöne Seifenblase Ich kann doch nicht die Hände in den Schoß legen geplatzt ist, jetzt dazu benützen, einen Rundumschlag und zusehen, wie Leute verrotten und vor die Hunde gegen die Politik der Bundesregierung insgesamt zu gehen, bloß weil mir der Gesprächspartner, mit dem unternehmen, dann steht Ihnen das sicher zu; aber ich ich diese Situation vielleicht bereinigen kann, nicht würde Ihnen doch empfehlen, sich dies für Gelegen- paßt, aus was für Gründen auch immer, heiten aufzusparen, bei denen vielleicht etwas mehr Substanz dahintersteht. (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der CDU/CSU) Über die Tatsachen, wie die innenpolitische Seite diese Angelegenheit und die Geheimdienstsache wie schlimm dieser Mensch auch sein mag. angehen wird, wird mein Kollege Lüder nachher Jetzt muß ich noch ein Wort sagen, Herr Duve: sprechen. Nebenaußenpolitik. Das ist nun geradezu lachhaft. Es Ich möchte nur noch einmal gerne aufgreifen, was ist doch nicht so, daß das Außenministerium nun für von Ihnen hier eigentlich insgesamt beanstandet wird. alle Bereiche und für alle Verästelungen ein absolutes Da bemüht sich die Bundesregierung, Gefangene aus Monopol hätte. Es gibt doch in jedem Ressort — das Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16161

Ulrich Irmer wissen Sie doch ganz genau — vielfältigste Verknüp- ihren alten Verdächtigungen, mit Ihrer Doppelmoral fungen mit dem Ausland. Das machen wir als Parlament in den Bundestag und stellen hier Thesen auf, die doch auch so. Es sind doch nicht nur die Mitglieder des durch nichts haltbar sind. Auswärtigen Ausschusses, die mit Kollegen im Ausland (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) oder mit ausländischen Besuchern hier reden, sondern das macht der Innenausschuß in seinem Bereich, das Wenn Ihnen dann nichts mehr einfällt, dann versu- macht der Verkehrsauschuß, der Umweltausschuß, chen Sie, das Außenministerium und das Bundes- jeder in seinem Bereich. kanzleramt auseinanderzudividieren. So ist es doch ganz selbstverständlich, daß auch die (Dr. Rolf Olderog [CDU/CSU]: Obwohl er Bundesregierung in ihren unterschiedlichen Ressorts keine Ahnung hat!) Kontakte zu allen möglichen ausländischen Institutio- Woher haben Sie eigentlich Ihre Informationen? Wie nen auf der jeweiligen Ebene hat. Nichts anderes ist kommen Sie dazu, dreist zu behaupten, daß es hier hier geschehen. nicht eine enge Abstimmung gegeben hat? Ich sage Wissen Sie, ich gehöre der Partei des Bundesaußen- Ihnen: Bei all diesen Dingen, die wir gemacht haben, ministers an. Ich würde wirklich empfindlich reagieren, gab es die engste Abstimmung. Ich wurde zum Teil wenn unser verehrlicher Koalitionspa rtner den Versuch vom Auswärtigen Amt gebeten, die Möglichkeiten zu unternehmen würde, Nebenaußenpolitik zu betreiben. nutzen, die zu nutzen waren. Ich sage nachher, auch in Es hat hin und wieder sogar diesen Verdacht in früheren der Abwägung, noch einiges zu Ihren Bemerkun- Zeiten gegeben, und dann haben wir gewußt, wie wir gen. uns damit auseinanderzusetzen hatten. Herr Lamers Wenn ich auch keine Einzelheiten über die Ver- weiß, wovon ich rede; der grinst deshalb. handlungen unterbreiten kann, so möchte ich doch Aber in diesem Falle, meine Damen und Herren, ist einige Punkte nennen, die den Besuch unter dem der Vorwurf geradezu lächerlich. Wir als F.D.P. fühlen Licht erscheinen lassen, unter dem man diesen Besuch uns in keiner Weise durch angebliche Nebenaußen- sehen muß. Ein erstes Treffen mit dem Informations- politik des Koalitionspartners beeinträchtigt, sondern minister hat es bereits im Sommer 1992 gegeben. Es wir wissen: Die Außenpolitik liegt in den bewährten gab dort gleichfalls Gespräche mit dem Präsidenten Händen des Bundesaußenministers, und dabei wird es des Irans, Herrn Rafsandschani. Gegenstand der auch bleiben. damaligen Gespräche war die Freilassung von Strü- Vielen Dank. big und Kemptner, die zu dieser Zeit seit drei Jahren (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) im Libanon als Geiseln festgehalten wurden. Andere Verhandlungswege waren erschöpft und die Gesund- heit der Geiseln stark gefährdet. Und dann wird von Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Staatsminister „Dilettantismus" gesprochen, wenn es in drei Wochen Schmidbauer. über kritische Gespräche möglich war, die Geiseln in die Bundesrepublik Deutschland zu bringen. Unsere Bernd Schmidbauer, Staatsminister beim Bundes- Gespräche waren erfolgreich. Teheran hat seine Mög- kanzler: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kol- lichkeiten genutzt. Kurze Zeit darauf haben diese leginnen und Kollegen! Ich will mich nicht, Herr Gespräche zu dem bekannten Ergebnis geführt. Kollege Duve, mit Ihnen auseinandersetzen. Aber ich In der Zwischenzeit, vom Sommer letzten Jahres bis finde, einiges geht wesentlich zu weit, was Sie hier heute, gab es viele solcher Gespräche. Viele deutsche bieten. Ich will Ihnen das im einzelnen auch noch Staatsbürger sind wieder zurückgefahren, ohne daß einmal sagen. darüber bis heute zu irgendeinem Zeitpunkt etwas in Es darf keine Doppelstrategie bei Ihnen geben. der Öffentlichkeit bekanntgeworden wäre. Auch ein Einerseits berichte ich dem zuständigen Gremium, anderer europäischer Staatsangehöriger, der im Ir an der Parlamentarischen Kontrollkommission in mehre- größte Probleme hatte, konnte ausreisen. ren Sitzungen, lasse ein Protokoll der Gespräche Ich will auf die jüngsten Fälle eingehen. Im Septem- verlesen mit allen Details. Die Erklärung der Parla- ber 1993 kam der schwer herzkranke deutsche Staats- mentarischen Kontrollkommission lautet dann, daß angehörige F., der wegen mehrerer angeblicher Ver- sie einmal den Be richt entgegengenommen hat, und gehen angeklagt wurde, frei, nachdem ich entspre- dann — ich zitiere —: „Die PKK hat sich davon chende Gespräche mit iranischen Stellen — ohne den überzeugen können, daß diese Gespräche humanitä- Minister, auf anderen Ebenen — geführt hatte. Herr F. ren Zwecken dienten. Die PKK unterstützt die Bun- wird zur Zeit medizinisch behandelt; es besteht die desregierung bei diesen Bemühungen, Menschenle- Notwendigkeit, sich unmittelbar in den nächsten ben zu schützen, die gefährdet sind. " Ich habe dem an Wochen einer Herzoperation zu unterziehen. sich überhaupt nichts hinzuzufügen. (Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Andere Wer weiß, wie hart die SPD mit mir in diesem haben sich auch dafür eingesetzt!) Gremium umspringt — und es ist gut so; ich selber bin ja derjenige, der informiert; ich könnte auch sagen, — Ich weiß dies. Sie waren, wenn ich das feststellen über das eine oder andere gibt es nicht diese Detail- darf, auch nicht derjenige, der dies kritisiert hat. information —, der weiß auch, was diese Erklärung (Freimut Duve [SPD]: Dies ist nicht kritisiert bedeutet. worden! — Ulrich Irmer [F.D.P.]: Das ist eine Dann stellen Sie sich hierher und tun so, als ob dies Zerrissenheit in dieser Partei, das ist für Sie überhaupt nicht bindend wäre, als ob das, was schlimm! — Weiterer Zuruf von der CDU/ dort berichtet wurde, falsch wäre, und kommen mit CSU: Zum Glück gibt es Unterschiede!) 16162 Deutscher Bundestag — 12. Wahlpe riode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Staatsminister Bernd Schmidbauer Sie haben von diesem Pult aus nicht mit solchen Dies war das Zitat. Wenn Sie sich hier hinstellen und Argumenten operiert, und Sie wurden von mir, wenn das Gegenteil behaupten, dann muß ich Sie fragen, Sie es wollten, informiert. Viele Fraktionen haben im wie seriös Ihre Berichte sind, die Sie hier abgeben. Iran mit hochgestellten Persönlichkeiten gesprochen, wenn auch nicht immer mit Herrn Rafsandschani. Ich Aber damit die Spitze überhaupt erkannt wird, will kenne auch Kollegen aus der F.D.P.-Fraktion, die im ich Ihnen sagen, was hier über den stellvertretenden Iran zum Thema Menschenrechte — genauso wie Außenminister Israels verbreitet wurde. Ich zitiere: ich — eindeutige Positionen bezogen haben. Ich halte Durch die Zusammenarbeit mit Iran zeige das alles für sehr hilfreich und unterstützend. Deutschland seinen hinterlistigen und heuchleri- Im September 1993 wurde der deutsche Staatsan- schen Charakter. gehörige S. nach Gesprächen, die ich geführt habe, So lautet eine Presseerklärung in Deutschland, auch freigelassen. S. war in Teheran wegen angeblichen in die Reihe passend, die Sie hier aufzeigen! Ich darf Betrugs verhaftet worden, anschließend aber in die Ihnen das richtige Zitat bringen. Der Vizeaußenmini- deutsche Botschaft geflüchtet. Der Fall S. drohte zu ster Israels erklärte — ich zitiere wörtlich aus dem einer ernsthaften Belastung der Beziehungen zu wer- Protokoll des Parlaments —: den, da sich S. in der Residenz des deutschen Bot- schafters aufhielt. Deutschland ist einer der freundlicheren und hilfreicheren Staaten gegenüber Israel in Eu- Diese Fälle wurden geklärt. Als der Letztgenannte ropa. deutschen Boden betreten hat, habe ich dem Minister eine Einladung übergeben. Dies war Gegenstand und Und das im Zusammenhang mit diesen Fragen und Inhalt der Gespräche. Das war eine Notwendigkeit, Gesprächsthemen! auch wenn mir andere jetzt Ratschläge geben, solche Leute bei McDonalds oder anderswo zu treffen. Ich (Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich! — glaube, man sollte dies überlegen, ehe man solche Ungeheuerlich!) Ratschläge erteilt. Damit wären wir gleich beim zweiten Punkt. Lassen Diese Gespräche und dieses Paket waren mit dem Sie mich ein Wort zu den Berichterstattungen aus dem Auswärtigen Amt abgestimmt. Auch hier haben Sie Ausland sagen, insbesondere zu Washington. Nach keine Chance, einen Keil zwischen uns zu treiben. Der jüngsten Gesprächen ist klargestellt, daß es hier im Kollege Kinkel hat des öfteren genau in dieser Frage Grundsatz keine Differenzen gibt. Wir sind mit unterstützend in allen internationalen Gremien auf Washington einig, daß die Frage der Nonproliferation diese Praxis hingewiesen. — und das sind die anderen Themen — von Massen- vernichtungsmitteln, die Abwehr von jeglichem Ter- Ich darf daran erinnern, daß wir in Teheran einen rorismus, die Einhaltung der Menschenrechte und die deutschen Staatsbürger, der zum Tode verurteilt ist, Förderung des Friedensprozesses im Nahen Osten einsitzen haben — und dies nun schon über viele gemeinsames Ziel sein muß. Auch die Vereinigten Jahre. Es ist immerhin gelungen, daß dieses Urteil Staaten wollen nicht etwa ein totales Embargo des nicht vollstreckt wurde. Durch Hypnose und Negieren Iran. Im Grundsatz ist Washington auch nicht gegen der Verhandlungspartner kommt es nicht zu solchen einen Dialog mit dem Iran. Ergebnissen. Aber alle anderen wissen das alles wesentlich besser. Ich vermisse zu diesem Zeitpunkt Was die europäischen Partner angeht, so gibt es den immer den entsprechenden Mut, sich dafür einzuset- festen Rahmen — auch hier will ich gleich das zen, daß diese Menschen freigelassen werden. Auch Märchen von Ihnen, Herr Poppe, entkräften —, den in diesem Punkt registriere ich bei den Gesprächen der Europäische Rat im Dezember 1992 festgelegt hat. Unterstützung aus allen Fraktionen. Dort wird nicht etwa von einem Dialog mit Teheran abgeraten, sondern es wird ausdrücklich zum Dialog Die Gespräche mit Herrn Fallahian in Deutschland aufgerufen. Mit einer Kurzformel läßt sich dieses dienen in erster Linie humanitären Zwecken, auch mit Dokument durchaus dahin gehend zusammenfassen: dem Blick auf ausländische Staatsbürger. Wer sich Wir wollen mit dem Iran sprechen, aber dabei unsere hier hinstellt und etwas anderes behauptet, der sollte Position ganz deutlich machen. Wenn Sie so wollen: auch Belege dafür auf den Tisch legen. Dialog und Druck. Wir, die Bundesregierung, halten uns ebenso an diese Leitlinie wie unsere europäischen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. — Partner. Freimut Duve [SPD]: Was ist die zweite Linie?) Damit Sie sehen, wie der Wortlaut ist, will ich Ihnen diesen sagen. Denn Sie haben ja behauptet, wir hätten — Die zweite Linie betrifft all die Punkte, auf die ich uns nicht daran gehalten, und auch Partner haben dies gleich noch zurückkomme. — Dies hat auch der in einer Zeitung festgestellt. Ich zitiere aus dem israelische Ministerpräsident Rabin deutlich gemacht, „Bulletin" vom 28. Dezember 1992: als er öffentlich erklärte — ich zitiere —: Angesichts der Bedetung Irans in der Region Man soll sich durch die Veröffentlichungen in den bekräftigt der Europäische Rat seinen St and- Medien nicht beeindrucken lassen. Deutschland punkt, daß ein Dialog mit der iranischen Regie- gehört zu den europäischen Staaten, die humani- rung geführt werden sollte. Dabei sollte es sich tären Bitten Israels im Zusammenhang mit Iran um einen kritischen Dialog handeln, in dem die entsprochen haben. Besorgnis über das Verhalten Irans zum Aus- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16163

Staatsminister Bernd Schmidbauer druck gebracht wird und in dem Verbesserungen gibt, sondern auch darauf, daß dieses Protokoll voll- auf verschiedenen Gebieten gefordert werden, ständig der PKK zur Kenntnis gebracht wurde. insbesondere in bezug auf die Menschenrechte, Abschließend möchte ich noch etwas zu dem Vor- das Todesurteil gegen den Schriftsteller Salman wurf sagen, der im Fall „Mykonos" gegen mich Rushdie, das in Verletzung des Völkerrechts gerichtet wurde: daß ich in diesem Fall dem Gericht durch eine Fetwa des Ayatollah Khomeini ver- Informationen vorenthalte. Dieser Vorwurf ist falsch hängt wurde, und in bezug auf den Terrorismus. und absurd. Das habe ich auch dem entsprechenden Verbesserungen auf diesen Gebieten werden Richter mitgeteilt. entscheidend dafür sein, inwieweit es möglich sein wird, engere Beziehungen herzustellen und Absolut falsch interpretiert wurde — Herr Kollege ein Vertrauensverhältnis zu schaffen. Duve, da komme ich auf Sie zurück — meine Aussage — ich darf diese noch einmal zitieren —: „Wer die Ich frage mich eigentlich, was den Inhalt des Proto- Details kennt, kommt zu anderen Ergebnissen. " Diese kolls, das ich gestern der PKK mitgeteilt habe, besser Erklärung bezog sich auf die Frage, ob ich Informa- dokumentiert als diese Feststellung des Europäischen tionen zurückhalte, nicht auf den Tathergang oder Rates. dessen Bewertung. Ich habe dies bereits in der ver- gangenen Woche im Deutschen Bundestag klar Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ihre Redezeit ist zu gesagt. Aber einige wollen dies nicht zur Kenntnis Ende. nehmen.

Bernd Schmidbauer, Staatsminister beim Bundes- Deshalb sage ich mit Nachdruck noch einmal sehr kanzler: Nach meiner Uhr habe ich noch eine deutlich, auch wenn ich Gefahr laufe, daß die Aufgabe Minute. des Quellenschutzes dazu führt, daß Menschen in Gefahr geraten — ich sage das zum erstenmal öffent- lich —: Es war der Bundesnachrichtendienst mit seiner Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Nein. Tätigkeit, der die Exekutive in den Stand versetzt hat, daß es heute Angeklagte in Berlin gibt. Dies meinte Bernd Schmidbauer, Staatsminister beim Bundes- kanzler: Frau Präsidentin, es tut mir leid. ich mit „Wer Details kennt, kommt zu anderen Ergeb- nissen". Zu Medienberichten über meine Gespräche, die ihnen widersprechen, will ich folgendes sagen. Wer unterstellt, wir hätten Details zurückgehalten, dem will ich sehr deutlich sagen: Mit meiner eigenen einem späten Nachmittag Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Kommen Sie bitte Mitwirkung haben wir an rasch zum Schluß. eines Freitags über eine Quellenmeldung und über Kontakt mit Quellen dafür gesorgt, daß Täter festge- nommen werden konnten; daher kann uns doch in der Bernd Schmidbauer, Staatsminister beim Bundes- kanzler: Jetzt sehe ich „0". Tat nicht unterstellt werden, wir wollten, daß Terrori- sten auf unserem Boden straflos davonkommen. Es tut mir leid, Frau Präsidentin. Ich möchte trotz- dem zu den Punkten Stellung nehmen, weil ich denke, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) daß diese Vorwürfe im Parlament nicht so stehenblei- Das krasse Gegenteil ist der Fall: Die Sicherheitsbe- ben dürfen. hörden tun alles, damit es nicht zu solchen Vorkomm- nissen kommt und damit auch klar signalisiert wird, Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das verstehe ich daß wir keinen Deal machen mit Verbrechern und einerseits, aber ich muß andererseits darauf aufmerk- Terroristen. Wer hat in bezug auf Hamadi eigentlich sam machen, daß wir dann eine neue Runde eröff- Härte gezeigt und wer nicht? nen. Eine letzte Bemerkung: Wenn es darum geht, Leib und Leben deutscher Staatsbürger oder auch Auslän- Staatsminister beim Bundes- Bernd Schmidbauer, der im Ausland zu schützen, sind oft schwierige kanzler: Dann muß ich zu meiner Fraktion schauen, ob Abwägungen zu treffen. Wer ein solches Geschäft mit sie nichts dagegen hat. Erfolg abschließen will, der kann sich den Gesprächs- (Karl Lamers [CDU/CSU]: Sie sollten das partner und die Umstände des Gesprächs nicht immer schon ausführen! Wir machen keine neue frei aussuchen. Dabei kann sich im Einzelfall ergeben, Runde! — Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Es daß Entscheidungen getroffen werden müssen, die kommt darauf an, was er sagt!) man nicht unterstützen könnte, wenn es nicht um — Ich möchte in diesem Fall die Zeit nutzen. Die diese Abwägung ginge. Für mich geht dann in der Vorwürfe waren sicher so, daß ich für die Antwort Regel der Schutz von Leib und Leben vor. Ich würde etwas mehr Zeit brauche. diese Position übrigens auch dann vertreten, wenn es Schließlich bildete auch das Verfahren — und das ist dabei um meine Kritiker und ihre Familienangehöri- jetzt wohl entscheidend — im Fall „Mykonos" keinen gen ginge. Gegenstand dieser Gespräche. Es trifft übrigens auch Ich habe erlebt, was es bedeutet, jede Woche sehr nicht zu, was einem Staatssekretär eines anderen viele dieser Familienangehörigen zu sprechen. Für Ressorts unterstellt wurde. Dieser wird sich deshalb zu mich gibt es da nur die Abwägung, daß es um der Meldung einer Münchener Zeitung entsprechend Menschen geht. Ob sich der entsprechende theoreti- zur Wehr setzen. sche Kritiker dann anders entscheidet oder nicht, Was meine Gespräche mit Fallahian betrifft, möchte würde für mich keine Bedeutung haben. Das müßte ich darauf hinweisen, daß es nicht nur ein Protokoll jeder mit sich selbst ausmachen. 16164 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Staatsminister Bernd Schmidbauer Herr Duve, Sie mögen dann zu einer anderen Ich danke dem Kollegen Olderog dafür, daß er als Abwägung kommen; das gestehe ich Ihnen zu. Das ist ein Vertreter der Parlamentarischen Kontrollkommis- eine Kritik, die ich verstehe. Dann bitte ich aber auch sion, als einer jener Kollegen, die wir beauftragt zu verstehen, daß in dem einen oder anderen Fall haben, für uns die parlamentarische Kontrolle auszu- meine Abwägung im Hinblick auf die konkreten Fälle üben, unisono mit allen Kollegen aller Fraktionen, die anders ausgesehen hat. in diesem Gremium sitzen, versichert, daß die Erklä- Ich habe noch gestern mit einer der Personen rungen und die Darlegungen überhaupt keinen Anlaß gesprochen, die in den vergangenen Wochen freige- zur Beanstandung geben. lassen wurden. Ich fühle mich in dieser Abwägung Mir ist immer noch nicht ganz klar, Herr Kollege auch durch dieses Gespräch hinsichtlich des Besuchs Duve, wie Sie versuchen können, das eindeutige Zitat dieses Ministers in Bonn bestärkt. von Herrn Penner in ein anderes Licht zu rücken. Der Herzlichen Dank. Ausbruch auf die Nebenaußenpolitik wird Ihnen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P dabei nicht gelingen. — Dr. Rolf Olderog [CDU/CSU]: Herr Duve Soweit Sie den Kollegen Staatssekretär Waffen- sollte sich entschuldigen!) schmidt damit gemeint haben sollten,

(Freimut Duve [SPD]: Ja, den habe ich Als nächster spricht Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: gemeint!) der Kollege Christian Schmidt. wäre doch darauf hinzuweisen, daß innerhalb der Bundesregierung in dieser Frage ein Konsens besteht. Christian Schmidt (Fürth) (CDU/CSU): Frau Präsi- Kollege Irmer hat es bereits genannt. Auch sein dentin! Meine Damen und Herren! Eigentlich gäbe es Parteivorsitzender und Bundesaußenminister, der von seitens der Opposition gegenüber Staatsminister ihm zitiert wurde, hat ja die Arbeit von Staatssekretär Schmidbauer etwas klarzustellen. Ich hoffe, daß das Waffenschmidt ausdrücklich gelobt und bestätigt, daß noch geschieht, damit dieser Nachmittag wenigstens es eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden Häu- einen gewissen Sinn erhält. Er ist mit Sicherheit, Herr sern gegeben hat. Minister, nicht so sinnvoll wie der späte Freitag nachmittag, den Sie soeben angesprochen haben, den (Beifall des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.]) Sie für humanitäre Zwecke verwendet haben. Ich denke, daß das auch für die Zusammensetzung (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Na! Na! von Delegationen gilt, die sich in die Länder begeben, — Freimut Duve [SPD]: Wozu ist denn ein in denen eine große Anzahl von Deutschen auf die Parlament da?) Hilfe der Bundesregierung hofft. — Hören Sie doch bitte zu, wir haben doch jetzt von der hohen, lauten Tonlage Gott sei Dank den Weg zu Ganz im Gegensatz zu dem, was Sie sagen, ist der einer sachlichen, ruhigen Tonlage, die genau solchen Bundesregierung, sowohl dem Auswärtigen Amt, Problemen angemessen ist, gefunden. dem Bundeskanzleramt als auch dem Innenministe- Weil es hieß, wie das Bundeskanzleramt dazu rium, zu danken für ihre effektive Arbeit im Sinne komme, Außenpolitik zu machen: Ich wollte gerade einer gemeinsamen Vertretung deutscher Interessen ein Gedankenexperiment mit Somalia machen. Wenn im Ausland. ich mich recht entsinne, gab es da einen sehr aktiven Ich möchte jetzt zu dem Reaktionsklima in den Staatsminister des Kanzleramtes unter einer anderen anderen Ländern und in der Presse kommen. Ich weiß Regierung, der in wichtigen, prekären Situationen nicht, welche Überlegungen hinter manchen Ä uße- vermittelnd und verhandelnd tätig gewesen ist. Oder rungen aus dem europäischen Ausland stecken. würden Sie das, was Herr Wischnewski gemacht hat, Allerdings drängt sich bei mir der Eindruck auf, daß anders qualifizieren? Nein. sich die Kritik der letzten Tage an den deutsch- Was wäre denn heute, wenn vier Helfer des Tech- iranischen Beziehungen in Wirklichkeit vielleicht nischen Hilfswerks oder einer anderen deutschen auch gegen Deutschland als einen Konkurrenten Hilfsorganisation von Aidid gefangengenommen gerichtet hat und daß ganz andere, ganz profane würden? Sollten wir sie verrotten lassen, oder wäre Überlegungen dahinter gestanden haben. das nicht auch eine sehr, sehr schwierige, delikate Situation, bei der wir nicht umhinkämen, auch mit Bei der Frage, wie wir uns gegenüber dem Iran bei denen, die uns überhaupt nicht passen, die wir wie der sehr heiklen Problematik des Friedens im Nahen man sagt — mit der Beißzange anfassen müssen, im Osten verhalten sollen, kann ich nur im Sinne der Sinne der Humanität doch zu reden? Entschließung des Europäischen Rates und im Sinne von Bitten auch gerade der Palästinenser — wie ich Ich meine, daß die Abwägungen, die wir gehört aus erster Hand weiß — dazu auffordern, den Dialog haben, die richtigen sind. Unter diese Kategorie mit dem Iran zu suchen gehört für mich auch der Flug von , um Deutsche aus den Klauen von Saddam Hussein — vor (Freimut Duve [SPD]: Aber muß das der dem Beginn des heißen Golfkrieges — zu holen. Diese Geheimdienst machen?) Dinge sind schwierig und verlangen dem, der sie leisten muß, viel ab, sie dienen aber letztendlich der — man muß mit denen reden, die im Iran Einfluß Sache und müssen mit einer gewissen Lautlosigkeit haben —, um zu verhindern, daß ein Prozeß, der erledigt werden. endlich in Gang gekommen ist, durch Terrorismus Deutscher Bundestag — 12. Wahlpe riode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16165

Christian Schmidt (Fürth) torpediert wird, daß sich radikale Kräfte seiner — Ich komme gleich darauf. Ich habe noch drei bemächtigen. Minuten. (Freimut Duve [SPD]: Einverstanden, aber (Dr. Rolf Olderog [CDU/CSU]: Das reicht nicht gleich mit dem Beelzebub!) auch!) Das ist ein lobenswertes Unterfangen, das eigent- Wir müssen darüber diskutieren, wo die Grenzen lich das Licht der Öffentlichkeit nicht zu scheuen sind. Das sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit. Allmäh- braucht, aber das außerhalb des Lichtes der Öffent- lich habe ich das Gefühl, daß ein gewisser Mißbrauch lichkeit, in vertraulichen Gesprächen, vielleicht zu mit dem Wort „humanitär" getrieben wird. mehr Ergebnissen führen kann, als wenn wir das hier im Parlament, coram publico, diskutieren. Ich bin (Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.: nicht gegen Diskussionen im Parlament — weiß Gott Oh!) nicht —, aber jedes an seinem Platz. — Ich begründe dies auch, meine Damen und Her- Entscheidend bleibt, daß sich Herr Olderog und ren. seine Kollegen für uns mit dieser Frage sehr intensiv (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Aber schnell!) auseinandergesetzt haben. Erstens. Seit wann sind humanitäre Fragen so Es bleibt ein Dank an Bernd Schmidbauer, daß er geheim, daß Sie darüber keinerlei Auskunft geben, sich dieser schwierigen Aufgabe für die Bundesregie- bzw. erst dann, wenn es zu einer so dramatischen rung unterzieht. Diskussion kommt? (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Heinrich Lummer [CDU/CSU]: Seit tausend Jahren! War immer schon so!) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächste spricht Zweitens. Warum haben die Regierungen in Lon- die Kollegin Uta Zapf. don und Washington gegen diese Verhandlungen protestiert? Sie haben wohl eine etwas andere Auffas- sung von den Grenzen. Insbesondere Washington hat Uta Zapf (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen Ihnen nachrichtendienstliches Material über die Rolle und Herren! Staatsminister Schmidbauer kann sicher- Irans im internationalen Terrorismus zukommen las- lich für diese Aktuelle Stunde dankbar sein. Denn es sen. ist wichtig, daß hier in aller Offenheit bestimmte, bisher nicht zur Sprache gekommene Hintergründe Hat bei diesen Gesprächen außer der Freilassung der Einladung an den Geheimdienstminister des Iran der Inhaftierten und der daran geknüpften Bedingun- genannt worden sind. gen die Einhaltung der Menschenrechte eine Rolle gespielt? Haben Sie über die Todesdrohung gegen Sicher können wir uns auch darüber unterhalten, Rushdie noch einmal gesprochen? wo die Grenze solcher Verhandlungspakete liegt; denn, Herr Staatsminister Schmidbauer, Sie haben ja Herr Schmidbauer, Sie haben gesagt, das Verfah- deutlich gesagt, daß die Einladung an den Minister ren „Mykonos" sei kein Gegenstand gewesen. Was Gegenstand der vorhergehenden Verhandlungen heißt das? Haben Sie kein Paket geschnürt, das so gewesen sei, die zur Freilassung der Deutschen und aussieht, daß Sie gewisse Zugeständnisse in diesem auch anderer Inhaftierter im Iran geführt haben. Ich Prozeß gemacht haben? Oder ist dieses Ansinnen denke, man wird in der Zukunft noch sehr sorgfältig überhaupt nicht an Sie herangetragen worden? darüber diskutieren müssen, wo die Grenzen sind. Ich habe noch eine letzte Frage, nämlich ob in (Beifall des Abg. Freimut Duve [SPD]) diesem Zusammenhang z. B. auch der Bericht des Sie selber haben wohl etwas Ähnliches gemeint wie BKA über das Gefährdungslagebild Irans zur Sprache das, was Herr Irmer in seiner etwas drastischeren Art gekommen ist, in dem der Bundesregierung sehr vorgetragen hat: daß man in einem solchen Falle auch deutlich mitgeteilt wird, wie der Ir an bei der Verfol- gung seiner Gegner auch vor Straftaten nicht zurück- mit dem Teufel reden müsse. Ich möchte ganz gerne - noch ein bißchen darüber streiten, ob m an in einem schreckt und diese ohne Rücksicht auf die Beziehun- solchen Falle mit dem Teufel reden muß. gen zu anderen Staaten im Ausland begeht. Ich stimme Ihnen dahin gehend zu, daß wir den Dann kann man doch auch nicht so ohne weiteres, Dialog führen müssen. Selbstverständlich müssen wir wie Sie zumindest in der Öffentlichkeit den Anschein den Dialog führen. erweckt haben, über die Anklageschrift des Bundes- anwaltes hinweggehen. Sie haben das heute zurück- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Was kritisie genommen, aber in der Öffentlichkeit ist dieser ren Sie dann?) Anschein erweckt worden. Dies war absolut fatal. Die Frage ist aber: Welche Konzessionen machen wir? (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Sie wollten uns die Erpreßbarkeit erklären!) (Karl Lamers [CDU/CSU]: Welche haben wir denn gemacht?) Meine Damen und Herren, es bleiben auch nach einiger Klarstellung in dieser Aktuellen Stunde noch Die Bundesregierung hat immer gesagt, sie sei in ganz empfindliche, ganz wichtige Fragen in der Fällen von Entführungen und ähnlichem nicht erpreß- Diskussion, Fragen der Grenzziehung bei dem Dialog bar. Wenn Sie jetzt unter großer Geheimhaltung mit dem „Teufel". Es bleibt eine Frage weiterhin offen sozusagen doch ein Stück weit erpreßbar sind — — — ich denke, auch die muß noch einmal geklärt (Zurufe von der CDU/CSU: Wo denn?) werden —: Wie weit geht in der Folge der gemeinsa- 16166 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Uta Zapf men Gespräche in der Tat geheimdienstliche Zusam- der persischen Seite der Eindruck erweckt wurde, daß menarbeit? Dies ist ein ganz empfindlicher Punkt. wir irgendwo in die Unabhängigkeit der Justiz, des Ich weise darauf hin, daß wir auch in der Vergan- Kammergerichts in Berlin, eingreifen lassen. Dieser genheit Fälle gehabt haben, die hinterher verschleiert Prozeß muß laufen. wurden, die aber höchst bedauerlich waren. Ich weise Vielleicht ist ein bißchen untergegangen, was Herr auf die Zusammenarbeit mit dem Irak bei der Ausbil- Schmidbauer heute hier gesagt hat: daß es auch dung von Soldaten hin. Damals hat die Bundesregie- wesentlich auf seine Initiative zurückgeht, daß die rung behauptet, sie habe nicht stattgefunden. Dann Täter überhaupt gefaßt werden konnten. waren es drei, dann waren es fünf, im Endeffekt waren es 25. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU — Ich glaube, in solchen Fragen ist mehr Ehrlichkeit Zuruf der Abg. Uta Zapf [SPD]) und Offenheit besser als Verschleierungsversuche. Was nützt uns der beste Prozeß, wenn wir die Täter Wir sollten die Frage gemeinsam klären, wieweit eine nicht haben? solche Zusammenarbeit gehen sollte. Ich sage: Eine geheimdienstliche Zusammenarbeit in dem Maße, Von daher bin ich Ihnen, Herr Schmidbauer, dank- wie dies hier offensichtlich geschieht, kann man mit bar, daß Sie — ich sage es ganz freimütig — an die einem solchen Staat nicht betreiben. Grenzen dessen gegangen sind, was einem Bundes- (Beifall bei der SPD — Ulrich Irmer [F.D.P.]: minister zugemutet werden kann und was er uns Sie wollten erklären, warum sich die Bundes zumuten kann. Sie haben so gehandelt, daß auch der regierung erpreßbar gemacht hat!) Rechtsstaat handeln kann. Das ist für uns das Wich- tige. — Ich erkläre es Ihnen anschließend, Herr Irmer. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Das Wort hat jetzt Wir sollten auch nicht mit Unterstellungen arbeiten, der Kollege Wolfgang Lüder. die heute noch nicht einmal die Zeitungen aufneh- men, die in die Richtung gehen, hier hätten die USA oder andere Regierungen protestiert. Wir sollten uns Wolfgang Lüder (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine an die Fakten halten, wie sie im wesentlichen von den lieben Kolleginnen und Kollegen! Sie wissen, daß ich Zeitungen kolportiert werden. für mich in Anspruch nehme — manche Vertreter der Bundesregierung werden dies bestätigen —, daß ich (Uta Zapf [SPD]: Das stand vorgestern in den zu denen gehöre, die auch nicht davor zurückschrek- Zeitungen!) ken, der Bundesregierung Kritisches zu sagen und auch zu fragen. — Ja, eben. Aber heute wagt es keiner mehr, nachdem die Informationen nach und nach herauskommen. Wir (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist leider die sollten nicht mit Gerüchten von vorgestern arbeiten, Wahrheit! — Freimut Duve [SPD]: Das ist wenn wir heute mit den Fakten arbeiten können. bekannt!) Ich habe aber nie zu denen gehört — ich habe die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Bitte, daß wir uns auch heute daran halten , die der Bundesregierung erst einmal unterstellen, daß sie Wir sollten dankbar dafür sein, daß es jemanden Mist macht. Da heute von Herrn Schmidbauer hier gibt, der bereit ist, sich auch die Hände schmutzig zu etwas gesagt worden ist, was mit dem in Übereinstim- machen, wenn es urn die Wahrung humanitärer mung steht, was er vor der PKK gesagt hat, was der Interessen geht. Die Welt ist nun einmal nicht nur aus PKK-Vorsitzende Penner heute in der Presse noch Demokraten und Freunden der. Menschenrechte einmal ausdrücklich gesagt hat — Sie können alle zusammengesetzt. Pressemitteilungen dazu nachlesen —, sollten wir hier Früher gab es ähnliche Situationen, ohne daß ich die nicht Kohle nachlegen und sagen: Vielleicht hat er uns Vergleichbarkeit behaupten will. Es fing schon mit- doch nicht so ganz mit der Wahrheit bedient. So sollten dem Justizminister Thomas Dehler an, der damals in wir nicht miteinander umgehen. die Tschechoslowakische Republik gefahren ist, die (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) zu dieser Zeit noch nicht sozialistisch hieß, aber schon Ich komme nun zu dem Begriff der Erpreßbarkeit, sozialistisch war. Es ging mit vielen anderen Ministern Frau Kollegin. Ich halte das zu diesem Zeitpunkt der weiter. Immer ging es darum, im Interesse der Men- Debatte für ein ganz falsches Wort. Die Frage „Habt schen tätig zu werden. Sie haben dabei auch ein paar ihr euch möglicherweise erpressen lassen?" hätte zu Schrammen im Gesicht bekommen und sich ein biß- Anfang, bevor Herr Schmidbauer gesagt hat, was da chen die Hände schmutzig gemacht. Aber m an kann war, gestellt werden müssen. Aber nach dieser Ant- die Hände schließlich wieder waschen, wenn man wort, die wir bekommen haben, ist die Gefahr der selbstbewußt ist. Man darf sich nur nicht in Bindungen Erpreßbarkeit — und ich hätte sie nur in einem Punkt hineinziehen lassen, aus denen man nicht mehr her- gesehen, nämlich bei der Wahrung der Unabhängig- auskommt. keit der Justiz — nicht gegeben. Nach der heutigen Debatte haben wir keinerlei Es war wichtig, es war verdammt wichtig, daß es Veranlassung, zu vermuten oder zu glauben, daß es auch in der PKK so dargelegt und an Hand der hier zu Fehlhandlungen seitens der Regierung Protokollverlesung bestätigt worden ist, daß mit kei- gekommen ist. Herr Staatsminister Schmidbauer, Sie nem Wort und auch mit keiner Andeutung gegenüber haben hier eine sehr deutliche, weit über die Vertrau- Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16167

Wolfgang Lüder lichkeit, hinter die Sie sich hätten zurückziehen kön- — Herr Duve, ich wollte gerade etwas zu Ihnen nen, hinausgehende Erklärung abgegeben. sagen, (Uta Zapf [SPD]: Es blieb ihm gar nichts (Freimut Duve [SPD]: Das ist nett!) anderes übrig!) mit welchem Pathos Sie hier geredet haben. Es hieß: An dieser Erklärung werden Sie sich messen lassen, Dieses Regime, das greift die PLO und Herrn Arafat werden wir uns messen lassen. Wir sollten nicht an; schrecklich muß dieses Regime sein! — Es ist darüber hinausgehen und davon abweichen. Wir schrecklich. Aber noch vorgestern haben wir alle sollten nicht versuchen, jetzt noch Dreck in den gesagt, mit diesem Mordbrenner Arafat dürfe nie- Brunnen zu werfen, nachdem Klarheit geschaffen mand reden. Man meinte, das seien die Schlimmsten worden ist. unter Gottes Sonne. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) (Zurufe von der SPD) — Entschuldigen Sie, ich will ja nur die Relativität Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster der mancher Aussagen hier deutlich machen, die an Abgeordnete Heinrich Lummer. diesem Tage zu dieser Stunde getroffen werden. (Freimut Duve [SPD]: Es geht um Mordan Heinrich Lummer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! schläge in diesen Tagen!) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Wir, meine ich, haben das getan, was richtig und Kollegen! Ich denke, wir werden im Parlament immer möglich ist, nämlich im Einzelfall zu entscheiden, mit einen Streit darüber haben, welcher denn der richtige wem man worüber zu reden in der Lage ist. Weg sei. Wenn man es mit einem politischen Gegner oder einem geradezu verhaßten Regime zu tun hat, Eines ist jedenfalls klar: Jener Grundsatz „Der stellt sich die Frage: Ist es besser, mit denen zu reden, Feind meines Feindes ist mein Freund" ist im Laufe sie zu umarmen, den Versuch zu machen, sie zu der Jahre sehr brüchig geworden. Manche sitzen im bessern, oder ist es richtig, sie zu isolieren? Das wird Glashaus; denn alle möglichen haben damals den Irak man dann und wann je nach Lage der Dinge zu gegen den Iran kräftig gefördert. Heute sieht die Welt entscheiden haben. Aber den Streit darüber haben wir wieder ganz anders aus. Wir müssen also mit denje- immer. nigen, die da sind, umzugehen in der Lage sein. Die Opposition ist regelmäßig der Meinung, man Über die Qualität des Regimes in Teheran sollte es müsse die Grundsätze sauberhalten und alles prinzi- keinerlei Zweifel geben. Ich kenne kaum ein Regime, pientreu machen. Es heißt: Mit diesen Menschen redet das ein negativeres Urteil verdient als eben dieses. Die man nicht. Die Regierung muß es aber doch tun und Stichworte sind alle genannt worden. Das fängt an mit sich die Hände schmutzig machen. der amerikanischen Botschaft und geht bis zu Salman Wir haben damals als Opposition — ich weiß das Rushdie. noch sehr genau — manchen kritisiert, der mit dem Wir sollten niemals zu reden aufhören, auch nicht in Osten diese Umarmungstaktik praktiziert hat. Gesprächen, die Herr Schmidbauer oder andere füh- (Freimut Duve [SPD]: Hört! Hört!) ren, mit diesem ewigen Ceterum censeo, was das für Lumpen sind und was sie zu leisten verpflichtet sind, Ich sage das ja auch. Das entspicht einem Rollenver- wenn sie denn Völkerrecht und Menschenrechte ständnis, und man muß es mit einer gewissen Gelas- respektieren und ernsthaft in einen Dialog einzutreten senheit sehen. gewillt sind. Aber Sie haben es in einem Maße überzogen, das (Zuruf des Abg. Markus Meckel [SPD]) für mich wirklich ein bißchen erschreckend ist. Ich habe bei Ihnen den Eindruck, daß die eine Hand Aber nichtsdestoweniger: Die Bundesregierung ist überhaupt nicht mehr weiß, was die andere tut. Die weiterhin im Gespräch. Sie wissen, es sitzt immer noch Opposition in diesem Hause bietet derzeit ein desola- jemand im Gefängnis. Der Konsul hat am 25. ein tes Erscheinungsbild; es ist wirklich ein Jammer. Gespräch mit Herrn Bachmann geführt. Die Gesprä-- Meine Damen und Herren, natürlich gibt es im che werden weitergehen. konkreten Einzelfall schwierige Fragen. Geheimhal- (Zuruf der Abg. Uta Zapf [SPD]) tung jedenfalls — Frau Kollegin, das sollten Sie Möglicherweise kommt es auch hier zu einem positi- wissen —, wenn sie von demjenigen, von dem man ven Ende, was eben deutlich macht: Wir kommen etwas will, erwartet wird — sonst leistet er nicht —, hat nicht daran vorbei, zu bestimmten Zeitpunkten mit man immer praktiziert, auch bei den Verhandlungen Menschen zu reden, die keineswegs unsere Hochach- mit der DDR über Freikäufe. Auch Regierungen, die tung verdienen — ganz im Gegenteil. sozialdemokratisch geführt waren, haben das getan. Es ist wohl ein Stück Selbstverständlichkeit, daß (Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Daß man hier nur Vertraulichkeit zu dem gewünschten Ziel miteinander sprechen muß, wird gar nicht führen kann. Wenn Sie das nicht glauben, lassen Sie bestritten!) sich ein Privatissimum von Herrn Wischnewski geben. —Letzten Endes zählt der Erfolg, der Erfolg im Sinne Der kann Ihnen einiges dazu erzählen. Ich jedenfalls einer humanitären Lösung. Das ist die Wahrheit, die habe ihm mit viel Intensität zugehört, als er das eine wir sehen müssen. oder andere erzählt hat. Ich betrachte die Situation jetzt einmal aus der (Freimut Duve [SPD]: Das wäre ihm so nicht Sicht des Herrn Bachmann — für die Politik gilt ähn- passiert!) liches —: Der will Geschäfte im Iran machen. Er weiß 16168 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Heinrich Lummer genau — jedermann weiß das —: Du kannst Geschäfte sollte klar anerkannt werden —, daß man in humani- nur machen, wenn du schmierst. Aber Schmieren ist tären Fällen miteinander reden muß, daß man koope- auch nach unseren Moralvorstellungen verboten. riert und versucht, miteinander zu verhandeln — und Ergo: Er macht keine Geschäfte oder er schmiert. das auch zwischen solchen Staaten, wie es nun einmal Wenn die Bundesregierung in humanitären Fragen Deutschland und Iran sind oder wie es früher die Erfolg haben will, muß sie mit den Leuten reden, oder Staaten des Ostblocks waren. Das alles, denke ich, ist sie wird keinen Erfolg haben. nicht strittig. Wir haben in der Deutschlandpolitik oft genug die Es stellt sich die Frage, mit wem und worüber m an Situation gehabt, daß man sich die Hände schmutzig redet. Zunächst zu dem Aspekt, mit wem man redet. machen muß. Ich bedaure jeden, der sich die Hände Mein Kollege Poppe hat schon gesagt: Wir hätten schmutzig machen muß. Aber ich bin dankbar, wenn durchaus ein merkwürdiges Gefühl und man müßte er sie sich schmutzig gemacht hat. Dieser Dank gilt die öffentliche Debatte heutiger Tage miterleben, dem Minister. In der Wirklichkeit, in der wir leben, ist wenn Herr Mielke im Kanzleramt empfangen würde, das unvermeidbar. „Leicht beieinander wohnen die um humanitäre Fälle zu besprechen. Dies hätte jeden- Gedanken, doch ha rt im Raume stoßen sich die falls im nachhinein — ich behaupte: auch damals Sachen", sagt Max Piccolomini im „Wallenstein". Das schon — so manchen Beigeschmack gehabt, den wir ist die gleiche Situation. Manchmal geht es gar nicht nicht akzeptieren könnten. anders. Insofern muß man um der Menschlichkeit willen (Gerd Poppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: — ich wiederhole das, was der Kollege Irmer gesagt Vielleicht haben sie es ja gemacht!) hat; das hat ja hundertjährige Tradition — mit dem Herr Fallahian ist in bezug auf sein Handeln ganz Teufel reden; möglichst nicht in der Hölle, sondern an gewiß nicht weniger schrecklich als Herr Mielke. Ich einem neutralen Ort. Aber reden muß man mit ihm um denke, da ist manches durchaus vergleichbar. der guten Sache willen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Was haben Sie nach dem Ende der Diktaturen im Umgang mit diesen gelernt? Ich denke, das ist die zentrale Frage. Meines Erachtens geht es nicht nur um Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster der Gespräche. Gespräche in humanitären Fällen sind das Kollege Markus Meckel. eine. In diesem Fall ist es aber so — das ist eine politische Dummheit; ich kann mir nicht vorstellen, daß dies nicht gesehen worden ist —, daß diese Markus Meckel (SPD): Verehrte Frau Präsidentin! Gespräche „zufällig" vor dem Mykonos-Prozeß und Meine Damen und Herren! Diese Debatte ist sehr zudem auf Spitzenebene stattgefunden haben. Ich interessant für mich als jemanden, der gerade aus der muß gestehen: Dazu habe ich einige Fragen, die mir Anhörung der Enquete-Kommission zur Aufarbeitung bisher nicht einleuchtend beantwortet worden sind. der DDR-Geschichte kommt, in der heute über die Man kann, wenn man an den Prozeß denkt, durch- Ostpolitik und die Entspannungspolitik miteinander aus in bezug auf Gerüchte nachfragen, die besagen: geredet und gestritten worden ist. Es stellt sich durch- So einfach war es für den Generalbundesanwalt von aus die Frage, welche Lehren man daraus ziehen Stahl nicht, die Anklage so zu erheben, wie er sie kann. Wenn ich manche Vertreter der Koalition hier erhoben hat. reden höre, habe ich den Eindruck: Die eine Hand hier weiß wirklich nicht, was die andere in der Kommission (Beifall der Abg. Uta Zapf [SPD]) an Vorwürfen gegenüber der SPD in bezug auf die Ost- und Deutschlandpolitik formuliert. Da hat es offensichtlich manche Widerstände und manche Hindernisse gegeben. Jedenfalls kann ich (Uta Zapf [SPD]: Hört! Hört! — Karl Lamers soviel sagen: Es wurde ihm verweigert, im Zusam- [CDU/CSU]: Hier reden wir zum Iran! — menhang mit der Fertigstellung der Anklageschrift Gegenruf der Abg. Uta Zapf [SPD]: Wir reden mit Kollegen der SPD-Fraktion zu sprechen. Man muß auch über das Prinzip, Herr Lamers!) die Frage stellen: weshalb? Die Justizministerin hat Es gibt ein paar Fragen, die wir uns stellen müssen: das damals verweigert. Wie hat man sich in der Politik mit einer Diktatur abzufinden, und in welcher Weise müssen wir mit ihr Der eigentliche Skandal liegt für mich nicht bei den kooperieren? Wie müssen wir handeln, wenn wir Gesprächen, sondern bei der Zusammenarbeit von fragen: Wird dadurch ihre Existenz gestärkt oder Geheimdiensten. Hier, so denke ich, ist noch sehr viel nicht? Was hat man getan — das war eine Frage, die mehr nachzufragen. Wenn es so ist — ich meine, das ist uns in der Anhörung beschäftigt hat und die hier schon deutlich geworden —, daß zwischen dem deut- durchaus aktuell ist — und was tut man, um die Kräfte schen Geheimdienst und dem des Iran eine Zusam- gegen eine solche Diktatur zu stärken? Wir haben menarbeit stattfindet, die gleichzeitig Ausbildungs- dazu manche Gelegenheit; denn nicht wenige der hilfe ist, eine Zusammenarbeit mit einem Staat, der Vertreter solcher Kräfte leben in Deutschland. Was hat vom Terrorismus nach innen und nach außen lebt, ist man getan, um die Einhaltung der Menschenrechte das ein Skandal, den man nicht auf sich beruhen zu stärken und in humanitären Fällen zu helfen? lassen kann. Ich jedenfalls denke: Das muß Folgen Letzteres ist ganz wichtig. haben. Ich denke, es ist überhaupt nicht zu bestreiten Unsere Fraktion wird das nicht einfach hinnehmen. — darüber herrscht in diesem Hause Einigkeit; das Man wird hier weiter fragen müssen, obwohl natürlich Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16169

Markus Meckel klar ist, daß Geheimdienstfragen in dieser Weise von Wenn das so ist, gehe ich davon aus, Herr Staatsmi- Ihnen hier nicht beantwortet werden. nister Schmidbauer, daß andere Partnerländer und Vielen Dank. Dienste unterrichtet waren. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Uta Zapf [SPD]: Die dann protestiert DIE GRÜNEN) haben!) Deswegen sind die Anflüge von Kritik, die es da gegeben hat, offen gestanden ein wenig merkwürdig Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kollege — um das zurückhaltend zu formulieren —, wenn Lamers. nicht zum Teil heuchlerisch. Das Problematische ist für mich eigentlich die Tatsache, daß Ihr Gesprächspartner, Herr Schmid- Karl Lamers (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Ver- bauer, nichts Eiligeres zu tun hatte, als anschließend ehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte war sofort eine Mitteilung über dieses Gespräch von sich bereits überflüssig nach der Presseerklärung des Kol- zu geben. legen Penner. (Freimut Duve [SPD]: Pressekonferenz! (Uta Zapf [SPD]: Sie war sehr aufschluß — Christoph Matschie [SPD]: Er hat schon reich!) einen Grund dafür gehabt!) Spätestens nach dem Beitrag von Staatsminister — Er wird schon gewußt haben, warum. Natürlich hat Schmidbauer hätten Sie klüger daran getan zu sagen: er das gewußt. Wir verzichten auf weitere Beiträge. (Freimut Duve [SPD]: Die Mißachtung seines (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Gesprächspartners!) Ich verstehe wirklich nicht, daß Sie nicht soviel Das zeigt aber, wie problematisch dieses Land ist. Der Flexibilität haben. Grund, weshalb er das getan hat, ist ja ganz offenkun- dig. Aber leider konnten wir das nicht verhindern. (Freimut Duve [SPD]: Wir sind ein Parlament und kein Sekretament!) (Freimut Duve [SPD]: Da sieht man, was das Zumindest das sollte man Ihnen in Ihrem eigenen für Leute sind!) Interesse noch zutrauen. Aber das haben Sie auch — Natürlich sieht man daran, Kollege Duve, daß es ein nicht. problematisches Land ist. Aber darüber sind wir uns Was ist denn gewesen? Es gab erstens eine Unter- alle einig. Wenn es nicht so problematisch wäre, redung mit einem zugegebenermaßen problemati- bräuchten wir eine solche Art von Dialog mit diesem schen Gesprächspartner zu eindeutig humanitären Land überhaupt nicht zu führen. Das ist doch der Zwecken. Das bestreitet niemand mehr; das kann Punkt. wohl auch niemand mehr bestreiten. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Markus Meckel [SPD]: Es geht ja um das, Mein Gott noch mal, das dreht sich immer im Kreise. was darüber hinaus geschehen ist!) Ich verstehe nicht, wieso Sie nicht zumindest nach der Zweitens wird auch nicht mehr bestritten, daß man ersten Runde eingesehen haben, daß es nicht weiter- sich mit dem unterhalten muß, der die Möglichkeit führt. Die Regierung hat ein schwieriges Geschäft zu hat, das zu erzielen, was man erzielen wi ll: den einem eindeutig humanitären Zweck unternommen, humanitären Zweck. nicht nur für Deutsche, sondern auch für andere. (Uta Zapf [SPD]: Und welchen Preis man Sie ist dabei erfolgreich gewesen. Sie hat keinen dafür zahlt!) Preis bezahlt, der unbezahlbar ist. Herr Kollege Lüder, das wäre in der Tat unerträglich. Das geht nicht. Darin — Ja, es ist ein Preis, den man bezahlt, wenn man mit sind wir uns völlig einig. Herr Staatsminister Schmid-- einem solchen Menschen spricht. Das ist wahr. Aber bauer hat dies hier noch einmal eindeutig festgestellt. wenn man das Ziel anders nicht erreichen kann, dann Gegenüber der PKK sind von ihm offensichtlich all- muß man es nach dem Motto tun, das der Kollege seits zufriedenstellende und noch detailliertere Erklä- Irmer hier drastisch anschaulich, aber richtig wieder- rungen abgegeben worden, gegeben hat. (Zuruf von der F.D.P.: Aber die behaupten (Markus Meckel [SPD]: Sind das auch Ihre das so!) Kriterien für die Beurteilung von Herrn Stolpe?) sonst würde sich hier doch nicht der Kollege Penner öffentlich hingestellt und die Bundesregierung und — Kollege Meckel, wollen Sie das laut wiederholen? den Staatsminister in Schutz genommen haben. Den- Ich rate Ihnen, es nicht zu tun. noch führen Sie hier eine solche Debatte. Ich frage Sie (Manfred Richter [Bremerhaven] [F.D.P.]: Es wirklich, wieso. kommt auch nicht!) Es wäre in der Tat interessant, einmal über die Rolle Drittens. Es war nicht nur ein humanitärer Zweck des Iran in der Region und im Friedensprozeß zu für Deutsche, sondern offensichtlich für auch andere. reden. Ich habe an diesem Pult gesagt: Der Iran oder Das Lob aus Jerusalem ist wohl nicht zufällig. Ich diejenigen, die gegen diesen Friedensprozeß agieren, finde, das sollte bei unseren Überlegungen auch eine können nicht unsere Partner sein. Dies wiederhole ich. gewisse Rolle spielen, sogar eine bedeutende. Aber es ist wohl ein gewisser Dialog notwendig, damit 16170 Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Karl Lamers man den Iran dazu bringt, zumindest nicht gegen Gerade auch im Vorfeld des Mykonos-Prozesses ist diesen Prozeß zu agieren oder sich vielleicht sogar es für die Opfer dieses Anschlages vom vergangenen eines Tages daran zu beteiligen. Jahr sicher schwer zu verstehen, daß der Drahtzieher (Karsten D. Voigt [Frankfurt] [SPD]: Gegen dieses Anschlags hier offiziell als Staatsgast weilt. den Dialog in außenpolitischen Fragen ist (Beifall bei Abgeordneten der SPD) niemand!) Ich möchte aber noch auf einen anderen Punkt — Lieber , es muß aber leider auch über kommen. Es ist in dieser Debatte etwas offen geblie- andere Fragen gesprochen werden. Darin sind wir uns ben — mein Kollege Meckel hat vorhin auch darauf doch einig. hingewiesen —: Wir haben hier keine Aussagen (Zuruf von der F.D.P.: Ihr möchtet einen darüber gehört, wie denn die offenkundig gewordene Dialog, ohne zu sprechen!) Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes mit Deswegen — ich wiederhole es — verstehe ich dem Geheimdienst des Iran aussieht. nicht, daß Sie, Herr Kollege Meckel, jetzt wieder (Beifall bei der SPD — Markus Meckel [SPD]: zweimal von „Skandal" gesprochen haben. Überle- Dies ist der Punkt, um den es eigentlich gen Sie doch, welche Worte Sie wählen! Nach dem geht!) Verlauf dieser Debatte hätten Sie sagen müssen: Dies war eine interessante Debatte, die einige Aufschlüsse Es ist anläßlich dieses Besuches offenkundig gewor- gegeben hat; wir wissen alle, wie problematisch und den, daß es hier seit längerem eine Zusammenarbeit heikel das ist, aber ich gratuliere der Regierung, daß gibt. Dies halte ich für einen Skandal. Es läßt sich nicht sie erfolgreich gewesen ist. Jedenfalls möchte ich das mit humanitären Argumenten rechtfertigen, mit für meinen Teil zum Abschluß dieser Debatte einem Geheimdienst zusammenzuarbeiten, der viele machen. Menschen auf seinem Gewissen hat. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD) Ich denke, daß diese Debatte noch wegen eines weiteren Punktes nicht überflüssig und nicht viel Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kollege Chri- Lärm um nichts ist. Es ist im Verlauf dieser Runde stoph Matschie. deutlich geworden, daß wir eine Debatte über die Grundsätze einer Iran-Politik brauchen, und es ist nicht das erste Mal, daß wir die Poli tik der Bundesre- Christoph Matschie (SPD): Frau Präsidentin! Liebe gierung gegenüber dem Iran problematisieren müs- Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht ist es doch ganz sen. Vor etwa einem Jahr hatten wir hier anläßlich des gut, daß die Regierungsfraktionen in dieser Debatte Besuchs von Salman Rushdie in der Bundesrepublik nicht das letzte Wort haben. eine Debatte, und auch da sind sehr kritische Töne zur Politik der Bundesregierung gegenüber dem Iran laut (Beifall des Abg. Markus Meckel [SPD]) geworden. Der letzte Tenor lautete, diese Debatte sei im Grunde überflüssig. Auch der Kollege Irmer hat (Zuruf von der CDU/CSU: Was soll man denn gesagt, es sei viel Lärm um nichts. Ich glaube, daß das machen? Die Beziehungen abbrechen?) nicht der Fall ist. Die Frage ist doch weiter offen: Ist es denn notwen- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) dig, daß der Iran zu den Ländern gehört, die einen großen Anteil von Kredithilfen, von Hermes-Kredithil- Es geht hier um einen problematischen Sachverhalt. fen gewährt bekommen? Ist es notwendig, ein L and Ein Geheimdienstminister eines Landes ist hier in wie den Iran von seiten der Bundesrepublik in dieser Deutschland, und die Bundesanwaltschaft fragt nach, Weise zu unterstützen? ob sie ihn verhaften könne, eben weil international bekannt ist, daß dieser Geheimdienst Drahtzieher All diese Fragen sind weiter offen, über diese vielfältiger Morde und Anschläge ist. Dies ist ein Fragen werden wir weiter zu reden haben. Das ist problematisches Geschehen, auch wenn hier von auch ein Ergebnis dieser Debatte. Ich finde sie des- verschiedenen Seiten anerkannt worden ist, daß halb nicht überflüssig. Ich glaube auch nicht, daß sie Gespräche mit dem Iran geführt werden müssen. Aber viel Lärm um nichts war, sondern eine wich tige es gab keine — jedenfalls nicht bei allen hier im Gesprächsrunde, die wir fortsetzen sollten, Raum — Übereinstimmung darüber, daß es notwen- (Zuruf von der CDU/CSU: Nein, nein!) dig ist, Gespräche gerade mit diesem Mann zu führen. Ich glaube auch, daß es sehr problematisch ist, dann um Mißverständnisse auszuräumen und zu einer kon- Gespräche mit solchen Menschen zu führen. struktiven Auseinandersetzung zu kommen, in der die (Beifall bei Abgeordneten der SPD — Ul rich Regierung nicht versucht, das, was geschehen ist, nur Irmer [F.D.P.]: Man kann sich die nicht immer zu verteidigen, sondern auch kritisch zu hinterfragen, aussuchen!) wie in Zukunft eine Iran-Poli tik aussehen muß. — Man kann sich die nicht immer aussuchen, aber (Zuruf von der F.D.P.: Aktuelle Stunden wer- man muß einen solchen Geheimdienstminister auch den zum Glück nicht fortgesetzt!) nicht hierher einladen. Das ist gleichwohl problema- Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. tisch und bleibt es auch trotz aller Beschönigungsver- suche. (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16171

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Damit ist die Aktu- Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen, elle Stunde beendet, und wir sind am Schluß unserer obwohl Sie alle Arbeit haben, am Wochenende ein Tagesordnung. paar Stunden, in denen Sie auch etwas anderes tun können, als zu arbeiten. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- destages auf Dienstag, den 9. November 1993, 14 Uhr ein. (Schluß der Sitzung: 14.56 Uhr)

Berichtigung

185. Sitzung, Seite 16025A, Zeilen 19 bis 24: Der gedruckte Redetext

Es gibt aber kein solches Gesetz; das will Ihnen das Standortpapier dieser Bundesregierung sagen. In dem Standortpapier bilden im übrigen liberale Ideen einen sehr wichtigen Beitrag; auch das hat Ihnen der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung darge- legt.

ist wie folgt neu zu fassen:

Es gibt aber kein solches Gesetz. Das will Ihnen das Standortpapier dieser Bundesregierung sagen, in dem im übrigen liberale Ideen einen sehr wichtigen Beitrag darstellen. Das hat Ihnen auch der Bundes- kanzler in seiner Regierungserklärung dargelegt.

Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16173*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 entschuldigt bi; Abgeordnete(r) Liste der entschuldigten Abgeordneten einschließlich Dr. Graf Lambsdorff, Otto F.D.P. 29. 10. 93 entschuldigt bis Dr. Lehr, Ursula CDU/CSU 29. 10. 93 Abgeordnete(r) einschließlich Lummer, Heinrich CDU/CSU 29. 10. 93 * Andres, Gerd SPD 29. 10. 93 Männle, Ursula CDU/CSU 29. 10. 93 Barbe, Angelika SPD 29. 10. 93 Mascher, Ulrike SPD 29. 10. 93 Bartsch, Holger SPD 29. 10. 93 Dr. Matterne, Dietmar SPD 29. 10. 93 Baum, Gerhart Rudolf F.D.P. 29. 10. 93 Meinl, Rudolf Horst CDU/CSU 29. 10. 93 Becker (Nienberge), SPD 29. 10. 93 Dr. Meyer zu Bentrup, CDU/CSU 29. 10. 93 Helmuth Reinhard Bernrath, Hans Gottfried SPD 29. 10. 93 Mischnick, Wolfgang F.D.P. 29. 10. 93 Dr. Böhme (Unna), Ulrich SPD 29. 10. 93 Dr. Modrow, Hans PDS/LL 29. 10. 93 Brähmig, Klaus CDU/CSU 29. 10. 93 Molnar, Thomas CDU/CSU 29. 10. 93 Brunnhuber, Georg CDU/CSU 29. 10. 93 Mosdorf, Siegmar SPD 29. 10. 93 Büchler (Hof), Hans SPD 29. 10. 93 ' Müller (Pleisweiler), SPD 29. 10. 93 Büchner (Speyer), Peter SPD 29. 10. 93 Albrecht Büttner (Schönebeck), CDU/CSU 29. 10. 93 Müller (Wadern), CDU/CSU 29. 10. 93 Hartmut Hans-Werner Catenhusen, SPD 29.10.93 Müller (Zittau), Christian SPD 29. 10. 93 Wolf-Michael Niggemeier, Horst SPD 29. 10. 93 Dehnel, Wolfgang CDU/CSU 29. 10. 93 Nitsch, Johannes CDU/CSU 29. 10. 93 Dr. Eckardt, Peter SPD 29. 10. 93 Dr. Ortleb, Rainer F.D.P. 29. 10. 93 Ehrbar, Udo CDU/CSU 29. 10. 93 SPD 29. 10. 93 Eymer, Anke CDU/CSU 29. 10. 93 Ostertag, Adolf Dr. Fischer, Ursula PDS/LL 29. 10. 93 Pfeiffer, Angelika CDU/CSU 29. 10. 93 Francke (Hamburg), CDU/CSU 29. 10. 93 Dr. Pick, Eckhart SPD 29. 10. 93 Klaus Dr. Ramsauer, Peter CDU/CSU 29. 10. 93 Friedhoff, Paul K. F.D.P. 29. 10. 93 Rappe (Hildesheim), SPD 29. 10. 93 Gansel, Norbert SPD 29. 10. 93 Hermann Gattermann, Hans H. F.D.P. 29. 10. 93 Rawe, Wilhelm CDU/CSU 29. 10. 93 Dr. von Geldern, CDU/CSU 29. 10. 93 Regenspurger, Otto CDU/CSU 29. 10. 93 Wolfgang Reimann, Manfred SPD 29. 10. 93 Dr. Glotz, Peter SPD 29. 10. 93 Reuschenbach, Peter W. SPD 29. 10. 93 Götz, Peter CDU/CSU 29. 10. 93 Rixe, Günter SPD 29. 10. 93 Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 29. 10. 93 Rönsch (Wiesbaden), CDU/CSU 29. 10. 93 Großmann, Achim SPD 29. 10. 93 Hannelore Günther (Plauen), F.D.P. 29. 10. 93 Roitzsch (Quickborn), CDU/CSU 29. 10. 93 Joachim Ingrid Haack (Extertal), SPD 29. 10. 93 Rühe, Volker CDU/CSU 29. 10. 93 Karl-Hermann Schaich-Walch, Gudrun SPD 29. 10. 93 Habermann, SPD 29.10.93 Dr. Scheer, Hermann SPD 29. 10. 93 Frank-Michael Schell, Manfred CDU/CSU 29. 10. 93 Hauser (Esslingen), Otto CDU/CSU 29. 10. 93 Schily, Otto SPD 29. 10. 93 Hauser CDU/CSU 29.10.93 Dr. Schmidt CDU/CSU 29. 10. 93 (Rednitzhembach), (Halsbrücke), Joachim Hansgeorg Schmidt (Mülheim), CDU/CSU 29. 10. 93 Dr. Haussmann, Helmut F.D.P. 29. 10. 93 Andreas Heyenn, Günther SPD 29. 10. 93 Schütz, Dietmar SPD 29. 10. 93 Hollerith, Josef CDU/CSU 29. 10. 93 Schuster, Hans F.D.P. 29. 10. 93 Kleinert (Hannover), F.D.P. 29. 10. 93 Schwanitz, Rolf SPD Detlef 29. 10. 93 Köppe, Ingrid BÜNDNIS 29. 10. 93 Dr. Schwarz-Schilling, CDU/CSU 29. 10. 93 90/DIE Christian GRÜNEN Seehofer, Horst CDU/CSU 29. 10. 93 Dr. Kohl, Helmut CDU/CSU 29. 10. 93 Seiler-Albring, Ursula F.D.P. 29. 10. 93 Koltzsch, Rolf SPD 29. 10. 93 Seiters, Rudolf CDU/CSU 29. 10. 93 Dr. Krause (Börgerende), CDU/CSU 29. 10. 93 Dr. Semper, Sigrid F.D.P. 29. 10. 93 Günther Spilker, Karl-Heinz CDU/CSU 29. 10. 93 Kretkowski, Volkmar SPD 29. 10. 93 Steen, Antje-Marie SPD 29. 10. 93 Dr.-Ing. Laermann, F.D.P. 29. 10. 93 Dr. Frhr. von Stetten, CDU/CSU 29. 10. 93 Karl-Hans Wolfgang Lambinus, Uwe SPD 29. 10. 93 Dr. Stoltenberg, Gerhard CDU/CSU 29. 10. 93 16174* Deutscher Bundestag - 12. Wahlperiode - 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

entschuldigt bis die jetzigen Strukturen hineinpressen wi ll, der Abgeordnete(r) einschließlich erschwert ihre Einführung oder macht diese sogar unmöglich. Terborg, Margitta SPD 29. 10. 93 Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 29. 10. 93 Damit bin ich bei dem Nervensystem der Struktur Dr. Uelhoff, Klaus-Dieter CDU/CSU 29. 10. 93 der Energiekonsensbemühungen. Auf energiewirt- schaftlicher Seite war allein die gegenwärtig dominie- Dr. Ullmann, Wolfgang BÜNDNIS 29. 10. 93 rende Energiewirtschaft repräsentiert. Der Kernkraft- 90/DIE anbieter Siemens war vertreten und die Vertreter der GRÜNEN großen Energieversorgungsunternehmen. Warum Dr. Voigt (Northeim), CDU/CSU 29. 10. 93 nicht z. B. die Produzenten von Windkraftanlagen, die Hans-Peter eine der ganz wenigen industriellen Wachstumsbran- Vosen, Josef SPD 29. 10. 93 chen der Gegenwart darstellen und die in den letzten Dr. Waigel, Theodor CDU/CSU 29. 10. 93 fünf Jahren wesentlich mehr neue Stromerzeugungs- Wallow, Hans SPD 29. 10. 93 kapazitäten in Deutschland bereitstellten als es die Walter (Cochem), Ralf SPD 29. 10. 93 Kernkraft in diesem Zeitraum noch tun konnte? Weis (Stendal), Reinhard SPD 29. 10. 93 Warum waren nicht Vertreter der Stadtwerke dabei, Welt, Jochen SPD 29. 10. 93 die weit über unsere Grenzen bewährt und bekannt Wester, Hildegard SPD 29. 10. 93 sind für ihre Vorreiterrolle für praktische Alternativ- Wettig-Danielmeier, Inge SPD 29. 10. 93 konzepte? In keiner Verfassung steht geschrieben, Wiechatzek, Gabriele CDU/CSU 29. 10. 93 daß die jetzigen wirtschaftlichen Träger der Energie- Wissmann, Matthias CDU/CSU 29. 10. 93 versorgung auch die künftigen sein müssen. Solange Wohlrabe, Jürgen CDU/CSU 29. 10. 93 die politische Erwartung nach einer ökologischen Zierer, Benno CDU/CSU 29. 10. 93 * Umorientierung des Energiesystems fast ausschließ- lich auf die jetzige Energiewirtschaft ausgerichtet für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- wird, macht sie sich von dem Teil der Wirtschaft lung des Europarates abhängig, der auf Grund seiner getätigten Investitio- nen in überkommene Energie träger und auf Grund seiner zentralisierten Strukturen das geringste Inter- Anlage 2 esse von allen - in Wirtschaft und Gesellschaft - an Zu Protokoll gegebene Rede dieser Umorientierung hat. zu Zusatzpunkt 9a und b Es ist kein Wunder, daß bei dieser einseitigen (Haltung der Bundesregierung zu den Kompetenzzuweisung an die Energiewirtschaft deren „Energiekonsensgesprächen") Hauptanliegen in den Vordergrund von Konsens- gesprächen rückt: ihre Investitionen zu sichern und Dr. Hermann Scheer (SPD): Ich habe mich außer- ihre Produktionslinien zu verlängern, auch wenn es halb des Redner-Kontingents meiner Fraktion gemel- schon für die Gesellschaft bessere Alternativen gibt. det, weil ich einen anderen politischen Standpunkt zu Daß die Energiewirtschaft so denkt, ist folgerichtig. den Konsensgesprächen habe als diejenigen, die Aber die Politik darf dieses nicht zum Hauptkriterium daran teilgenommen haben. machen - ob für die Kernenergie oder die fossilen Das Ansinnen eines Enegiekonsenses kann nur zu Energieträger. Dies muß zu einer Lähmung des über- einer Quadratur alter Kreise führen, Konsensbemü- fälligen Strukturwandels führen - zu Lasten der hungen lenken fast zwangsläufig von der Frage ab, Gesellschaft und der Zukunft des Industriestandorts die die eigentlich entscheidende ist: dem energiewirt- Deutschland. Unsere neuen Indust rien - und damit schaftlichen Strukturwandel, den wir in Kenntnis der Arbeitsplätze - liegen bei den Technologien zur eklatanten Umweltgefahren aus herkömmlichen Energieeinsparung und Nutzung der erneuerbaren Energieträgern vollziehen müssen. Dieser Struktur- Energien, den damit verbundenen Importreduzierun- wandel kann nur - und muß - in die Richtung einer gen für Primärenergie und Entlastung der Zahlungs- schrittweisen, aber konsequent und zügig zu vollzie- bilanz. henden Ablösung durch die unerschöpflichen und Die vielgelobte Enquete-Kommission hat herausge- erneuerbaren Energien gehen - mit Hilfe des Brük- arbeitet, daß auf 0,1 % der Landfläche der Welt das kenschlags der Einsparung herkömmlicher Energien. dreifache des Weltenergiebedarfs aus erneuerbaren Eine andere Alternative gibt es nicht - aus Ressour- Energien bereitgestellt werden kann und dies tech- cengründen und vor allem aus Umweltgründen. nisch wie ökonomisch möglich ist. Wo bleiben die Schon mit Energiesparinitiativen - in deren Zen- wirklichen großen Anstrengungen, dies Potential zu trum die Kraft-Wärme-Kopplung steht - stellt sich die nutzen, Anstrengungen, die wirklich der Erkenntnis Notwendigkeit des Strukturwandels der Energiever- Rechnung tragen, daß wir uns im Wettlauf mit der Zeit sorgung von zentralisierten zu dezentralisierten befinden? Was soll die Diskussion über die Zukunfts- Angebots- und damit Unternehmensstrukturen. Erst option Kernenergie, wenn uns die erneuerbaren Ener- recht stellt sich diese Notwendigkeit bei der Nutzung gien - unerschöpflich, unfall- und abfallfrei - eine der erneuerbaren Energien, die sich ökonomisch nur vom Potential her unlimitierte Alternative offerieren? dezentral nutzen lassen und damit zwangsläufig zu Zu sehr stand die Auseinandersetzung über Kernkraft einer neuen Energiewirtschaftsstruktur mit neuen und Kohle im Vordergrund - zwei alte Energieträger Unternehmensformen und neuen Unternehmen füh- - und drängte die zentrale ökologische und industri- ren - also zu neuen wirtschaftlichen Fragen der elle neue Zukunftsoption der erneuerbaren Energien Energieversorgung. Wer immer die Alternativen in an den Rand. Deutscher Bundestag -- 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16175*

Auch das Mißverhätnis zwischen Förderung von Der heute vorliegende Gesetzentwurf regelt die erneuerbaren Energien einerseits und Kohlesubven- durch den Gesetzgeber zu vollziehenden Konsequen- tion andererseits — gegenwärtig ein Verhältnis von zen aus dem Abschluß dieses Staatsvertrages. Die 1 : 50 — ist nicht aufrechterhaltbar. Meine Partei hat Zustimmung des Deutschen Bundestages zu diesem sich um eine Aufbesserung dieses Mißverhältnisses Staatsvertrag ist das Kernstück des Rundfunkneuord- bemüht — aber gemessen an den Problemen und nungsgesetzes, während die weiteren Vorschriften Chancen, in viel zu bescheidenem Ausmaß. Die poli- die notwendigen rechtstechnischen Maßnahmen ent- tischen Maßnahmen für erneuerbare Energien müs- halten, die zur Errichtung des bundesweiten Hörfunks sen auch in der Mittelzuweisung Vorrang haben — erforderlich sind. Vorrang vor Kernenergie und Kohle. Ich möchte darauf verzichten, den Hörfunk-Über- So wie ich vor Beginn der Konsensgespräche meine leitungsstaatsvertrag in allen Einzelheiten darzustel- Bedenken dagegen äußerte, so begrüße ich deren len. Doch soviel sei gesagt: Durch diesen Staatsver- Beendigung. Sie entpolitisieren die politischste Frage trag leistet die Bundesregierung dem Deutschland- der Gegenwart und Zukunft und verkleben vorhan- radio erhebliche Starthilfen durch die Freistellung von dene Strukturen gegenüber neuen. Wir brauchen Altlasten, die Bereitstellung von Grundstücken, einen produktiven Energiestreit, der die wirklichen Gebäuden und technischer Ausstattung, die Beteili- Konflikte, Interessen und Alternativen transparent gung an der Orchester-Gesellschaft für die vorhande- macht und die demokratische Öffentlichkeit mobili- nen Klangkörper sowie die Übernahme von Beschäf- sieren hilft zu einer neuen Zukunftsgestaltung. tigten des Deutschlandfunks und des RIAS Berlin zur Deutschen Welle. Damit wird dem künftigen Deutsch- landradio der notwendige sächliche und personelle Bestand gewährt, um seine Tätigkeit aufnehmen zu können. Aus dem Gebührenaufkommen für den bun- Anlage 3 desweiten Hörfunk enthält der Bund als Ausgleich für die einzubringenden Werte und Leistungen eine Zu Protokoll gegebene Reden Zahlung in Höhe von 155 Millionen DM. zu Tagesordnungspunkt 15 In der Vergangenheit hat es Diskussionen gegeben, (Rundfunkneuordnungsgesetz) ob denn in Anbetracht der vielfältigen Programman- gebote der Landesrundfunkanstalten und der finanzi- ellen Situation der Anstalten die Errichtung eines Dr. Horst Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Das Rundfunkneuord- nationalen Hörfunks überhaupt sinnvoll ist. Dazu nungsgesetz enthält eine der Rechtsgrundlagen für möchte ich folgendes sagen: Die Bundesregierung ein medienpolitisch herausragendes Ereignis: die geht davon aus, daß nach der wirtschaftlichen und Verwirklichung eines bundesweiten Hörfunks, auch politischen Einigung Deutschlands der innere geistige als nationaler Hörfunk bekannt, zu dem der Bund Prozeß des Zusammenwachsens durch nationale maßgeblich beiträgt, indem er den Deutschlandfunk Informations- und Kulturprogramme wesentlich ge- und den RIAS Berlin in die von den Ländern zu fördert werden kann. Eine nationale Stimme ist mehr errichtende Körperschaft mit dem Namen „Deutsch- als die Zusammenfassung von vielen regionalen Stim- landradio" einbringt. men. Diese nationale Stimme muß natürlich auch gehört werden können, so daß ich an dieser Stelle Lassen Sie mich kurz auf die Vorgeschichte des nochmals an die zuständigen Länder appellieren bundesweiten Hörfunks eingehen. Der Deutschland- möchte, dem Deutschlandradio terrestrische Frequen- funk als Rundfunkanstalt des Bundesrechts und der zen im UKW-Bereich zuzuweisen, damit möglichst RIAS Berlin als Gründung der seinerzeitigen Besat- bald eine flächendeckende terrestrische Verbreitung zungsmacht USA haben in der Zeit vor der Wieder- der beiden Programme im gesamten Bundesgebiet in vereinigung Deutschlands inländischen Rundfunk guter Qualität möglich ist. betrieben und damit dem verfassungsrechtlichen Ziel, - die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden, Das neue Deutschlandradio soll bereits am 1. Januar entsprochen. Sie hatten die besondere Funktion, 1994 mit seinen Programmen auf Sendung gehen. Brücke und Verbindungsglied zu den Menschen im Dies bedeutet, daß die Ratifizierungsverfahren auch anderen Teil Deutschlands zu sein, und haben viel bei allen Bundesländern noch in diesem Jahr abge- dazu beigetragen, den Weg aus der Teilung heraus schlossen sein müssen. hin zur staatlichen Einheit zu bereiten. Für diese über Ich bitte Sie deshalb, der Überweisung des Gesetz- Jahrzehnte sehr erfolgreiche Arbeit möchte ich an entwurfs an die Ausschüsse zuzustimmen und mit dieser Stelle im Namen der Bundesregierung allen dafür Sorge zu tragen, den Entwurf zügig zu bera- ehemaligen und jetzigen Mitarbeiterinnen und Mit- ten. arbeitern nochmals meinen D ank aussprechen. Mit dem Vollzug der Einheit sollten aber die inlän- Dr. Joseph-Theodor Blank (CDU/CSU): Nach drei dischen Programmaufträge nicht mehr unverändert Jahren zum Teil quälender Diskussion um die Errich- fortgeführt werden: Nach langwierigen Verhandlun- tung eines Nationalen Hörfunks und zwei Jahre nach gen konnten sich Bund und Länder darauf verständi- dem grundlegenden Staatsvertrag über den Rund- gen, die Anstalten in eine gebührenfinanzierte Län- funk im vereinten Deutschland beraten wir heute in dereinrichtung für bundesweiten Hörfunk zu überfüh- erster Lesung den Gesetzentwurf über die Neuord- ren, und am 17. Juni 1993 konnte der Hörfunk nung der Rundfunkanstalten des Bundesrechts und Überleitungsstaatsvertrag unterzeichnet werden. des RIAS Berlin. 16176* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Für meine Fraktion bin ich von Anfang an den nen. Den Weg aus der Teilung heraus hin zur Einheit Verhandlungen zur Errichtung eines Deutschlandra- haben die beiden Sender mitgestaltet und mitbereitet. dios beteiligt gewesen und begleite als Mitglied des Durch die Überführung in die Zuständigkeit der Gründungsausschusses die Arbeit bis in diese Tage. Länder werden sie auch künftig einen wichtigen Ich weiß daher, wie kompliziert es war, zunächst Beitrag zum Prozeß des geistigen Zusammenwach- zwischen 16 Bundesländern mit unterschiedlichen sens Deutschlands zu leisten haben. Und es gibt auch medienpolitischen Vorstellungen und dann zwischen genügend Frequenzen in Deutschland, wenn die den Ländern und dem Bund zu dem am 17. Juni 1993 vielfach bestehenden Doppelversorgungen abgebaut unterzeichneten Staatsvertrag zu kommen. werden und wenn auch die ARD im Rahmen ihrer finanziellen Existenzsicherung ihre über 50 Hörfunk- Und dennoch sage ich: Die jahrelangen Diskussio- programme deutlich reduziert. nen um den Nationalen Hörfunk hat der Medienpoli- tik in Deutschland kein Glanzlicht aufgesetzt. Im Durch den Staatsvertrag leistet der Bund dem Interesse der Gebührenzahler, die seit dem 1. Januar Deutschlandradio eine erhebliche Starthilfe in sächli- 1992 monatlich 0,75 DM für einen Nationalen Hörfunk cher und personeller Hinsicht. Die bis in diese Tage zahlen, den es bis heute nicht gibt und den die hinein geäußerte Kritik, das neue Deutschlandradio Menschen deshalb nicht hören können, und im Inter- sei kein Beispiel für eine schlanke, wirtschaft liche und esse der Beschäftigten von DLF, RIAS und DS Kultur effiziente Struktur, haben wir sehr wohl gehört, und hätten die Entscheidungen eher fallen müssen und ich will auch gar nicht dagegen anargumentieren. auch können. Ich bitte die Kritiker nur zu bedenken, daß es nicht Am Bund, und das habe ich bereits in der Debatte leicht war, Regelungen zu finden, die den personellen zur Neugestaltung der deutschen Rundfunkland- Überhang aus drei Rundfunkanstalten sozial verträg- schaft am 6. November vergangenen Jahres hier lich lösen helfen. Das jetzt vorliegende Ergebnis gesagt, hat es nicht gelegen, daß wir erst heute in erscheint mir unter Abwägung aller Gesichtspunkte erster Lesung über die Errichtung des Nationalen vertretbar. Ich hoffe allerdings auch, daß die im Hörfunks beraten. Aber ich will keine alten Geschich- Errichtungsstaatsvertrag vorgesehene Rückführung ten aufwärmen, denn die Zeit drängt. Das Ratifizie- der Zahl der Mitarbeiter in den nächsten drei Jahren rungsverfahren muß spätestens mit der Sitzung des tatsächlich durchgeführt wird. Bundesrates am 17. Dezember 1993 beendet sein, Es war auch nicht einfach, für die sogenannten wenn das Gesetz noch in diesem Jahre verkündet Klangkörper, also die Orchester und Chöre, eine werden soll. Und es muß noch in diesem Jahr verkün- vernünftige und angemessene Lösung zu finden. Zu det werden, wenn der Sendebetrieb wie vereinbart regeln war das künftige Schicksal des RIAS-Tanzor- am 1. Januar 1994 aufgenommen werden soll. Nach chesters und des RIAS-Kammerchors mit insgesamt meiner Kenntnis sind die Ratifizierungsverfahren in 57 Musikern, des Rundfunkchores Berlin und des den einzelnen Bundesländern unterschiedlich weit Rundfunk-Symphonieorchesters Berlin, die zur Zeit fortgeschritten. Schwierigkeiten in der Sache gibt es beim ZDF mit insgesamt 194 Musikern „geparkt" insbesondere noch in drei Bundesländern. Ich appel- sind, sowie des Radio-Symphonieorchesters Berlin mit liere mit Nachdruck an die dort Verantwortlichen, ihre 120 Musikern. Da es das erklärte Ziel der Länder war, Bedenken zurückzustellen und den lang und mühsam das Deutschlandradio möglichst von der finanziellen ausgehandelten Staatsvertrag zu ratifizieren. Belastung für fünf Klangkörper freizuhalten, haben Eine zweite Erwartung meiner Fraktion an die wir uns schließlich auf eine GmbH-Lösung verstän- Bundesländer füge ich hinzu: Um den Programmauf- digt, nach der die Körperschaft 40 % und der Bund trag des Nationalen Hörfunks erfüllen zu können, 35 % der Gesamtlast trägt. Allerdings wird der Bund nämlich die Einheit Deutschlands in der Vielfalt seiner zum Jahresende 1999 aus der GmbH ausscheiden. Länder, Regionen und Kommunen darzustellen, sich Es geht jetzt darum, in den zuständigen Ausschüs- mit den konkreten Lebensverhältnissen im gesamten sen des Bundestages und dann hier im Plenum eine Deutschland zu beschäftigen, muß das Deutschland- möglichst zügige Beratung sicherzustellen, damit das radio überall in der Bundesrepublik Deutschland auch Rundfunkneuordnungsgesetz in Kürze verabschiedet hörbar gemacht werden. Und hierfür ist es wichtig, werden kann. Um diese zügige Beratung bitte ich alle daß eine gute Frequenzversorgung durch die Länder Fraktionen dieses Hauses. sichergestellt wird. In diesem Zusammenhang gibt es einige zurückhaltende Protokollerklärungen nament- lich von den Ländern Bayern und Baden-Württem- Anke Fuchs (Köln) (SPD): Am 17. Juni 1993 haben berg. Meine Fraktion hofft dennoch, daß in diesen wie die Ministerpräsidenten zwei Staatsverträge zum auch in anderen Ländern die Bereitschaft wächst, eine bundesweiten Hörfunk unterschrieben und hierdurch vernünftige Frequenzversorgung für dieses aus unse- die formalen Voraussetzungen für das „Deutschland- rer Sicht wichtige publizistische Ins trument des Natio- radio" geschaffen. Damit hat eine Entwicklung vor- nalen Hörfunks zur Verfügung zu stellen. läufig ihren Abschluß gefunden, die bereits 1991 im Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Es geht schließlich bei dem Nationalen Hörfunk um Deutschland in Aussicht gestellt wurde. Das nichts Geringes. Es geht nämlich mit diesem Deutsch- „Deutschlandradio" ist endlich in greifbare Nähe landradio auch um einen Beitrag zur Vollendung der gerückt. Der vorliegende Gesetzentwurf eines Rund- Einheit unseres Landes. In den letzten Jahrzehnten funkneuordnungsgesetzes ist ein entscheidender haben Deutschlandfunk und RIAS Berlin den Men- Schritt zur Zusammenführung von Deutschlandfunk, schen in Ost und West geholfen, die Auswirkungen RIAS und DS-Kultur zu einer öffentlich-rechtlichen der Teilung Deutschlands leichter ertragen zu kön- Körperschaft unter dem Dach von ARD wund ZDF. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16177*

Die SPD hat die Gründung des „Deutschlandra- sogenannten Reality-TV. Sie beginnen zu ahnen, daß dios" stets mit Nachdruck befürwortet. Denn sie der Niedergang des deutschen Rundfunks nicht nur schafft endlich Sicherheit für die Beschäftigten der von Ihnen verursacht wurde, sondern Sie auch öffent- drei Anstalten und entwickelt vor allem aber eine lich dafür haftbar gemacht werden. Struktur, die es erlaubt, mit dem nationalen Hörfunk Deswegen ist es gut und richtig, daß „Deutschland- einen neuen Faktor in der Meinungsbildung der radio" auf öffentlich-rechtlicher Grundlage arbeiten Bundesrepublik zu schaffen. soll. Kein kommerzieller Sender mit seiner Fixierung Der nationale Hörfunk „Deutschlandradio" wird die auf die Einschaltquoten könnte sich der Aufgabe Radiolandschaft bereichern. Drei Jahre nach der deut- stellen, den Hörern zwei werbefreie Programme mit schen Einheit scheint sich die Kluft zwischen Ost und den Schwerpunkten Information und Kultur zu liefern. West vertieft zu haben. Nicht zu Unrecht wird von Kein kommerzieller Sender könnte dem Anspruch einer „inneren Mauer" gesprochen, die sich bedrük- gerecht werden, wie das „Deutschlandradio", zwi- kenderweise zwischen manchen Menschen in Ost- schen Ost- und Westdeutschland ein Kommunika- und Westdeutschland aufgebaut hat. Zwei neue Hör- tionsforum zu bilden. Ich sehe daher in der Etablie- funkprogramme mit den Schwerpunkten Informa tion rung des „Deutschlandradios" erneut einen überzeu- und Kultur, in die langjährige Erfahrungen mit dem genden Nachweis für die Existenzberechtigung, ja, deutsch-deutschen Dialog eingebracht werden, bie- für die Unverzichtbarkeit des öffentlich-rechtlichen ten Chancen, das Zusammenwachsen zu erleichtern, Rundfunks. das Verständnis für einander zu vertiefen, die Vielfalt Ich verkenne nicht die Schwierigkeiten, die es der Regionen deutschlandweit darzustellen sowie mit während der langen Verhandlungszeit aus dem Weg integrierenden Programmen ein umfassendes Bild der zu räumen galt. Der Weg dorthin war dornig. Beim deutschen Wirklichkeit zu vermitteln. heftigen Tauziehen zwischen Bund und Ländern Die Gebührenfinanzierung und die daraus resultie- stand das Projekt, wie wir alle wissen, auf der Kippe. rende Freiheit vom Zwang zur Werbung gibt die Den erfolgreichen Bemühungen von Rudolf Schar- Chance, beispielhaft vorzuführen, was öffentlich- ping und dem damaligen Bundesinnenminister Sei- rechtlicher Rundfunk leisten kann. ters ist es zu verdanken, daß das Projekt „Deutsch- landradio" nicht gescheitert ist. Dafür gebührt beiden Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein wesentli- Dank und Anerkennung. Aber dennoch bleibt festzu- cher Eckpfeiler der demokratischen Grundordnung stellen, daß wertvolle Zeit verlorenging, in der der der Bundesrepublik Deutschland. Sein gesetzlicher nationale Hörfunk den schwierigen Prozeß des Auftrag, Programmvielfalt zu gewährleisten — auch Zusammenwachsens von Ost und West hätte beglei- für Minderheiten — und damit umfassende Mei- ten können. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nungsbildungsfreiheit zu ermöglichen, ist unverzicht- von RIAS, Deutschlandfunk und DS Kultur, um deren bar. Die Öffnung des Rundfunkmarktes für kommer- Existenz es schließlich ging, wurde zudem eine über- ziellen Rundfunk hat weder einen Zuwachs an Pro- lange Hängepartie zugemutet. grammvielfalt noch an neuen Programmideen be- wirkt. Der geäußerte Stolz auf die „Entwortung" des Dem Deutschen Bundestag liegt nun der Über- Programms spricht Bände. Kommerzielle Programm- leitungsstaatsvertrag vor, in dem die Überleitung gestaltung muß flexibel auf Akzeptanzentwicklungen der beiden bisherigen Bundesrundfunkanstalten reagieren, weil Werbezeiten zu verkaufen sind. Die Deutschlandfunk und RIAS Berlin in die Zuständig- Auswüchse des aggressiven Wettbewerbs auf dem keit der Länder geregelt wird. Ohne den Ausschußbe- Medienmarkt, die gewalt- und sexbetonten Pro- ratungen vorgreifen zu wollen, scheint mir die jetzt grammattraktionen sind uns nur zu gut bekannt. gefundene Lösung ein guter Kompromiß zu sein, Grundversorgung dagegen, die zur allgemeinen dessen Einzelregelungen wir in den Ausschußbera- Information, Bildung, Unterhaltung und Kultur beitra- tungen sorgfältig zu prüfen haben werden. gen soll, kann nur der gebührenfinanzierte öffentlich- Soweit ich dies zur Zeit überblicken kann, verläuft rechtliche Rundfunk sichern, der bei der Programm- das Ratifizierungsverfahren weitgehend reibungslos. gestaltung nicht ausschließlich auf hohe Einschalt- Im Saarland, in Hessen, Niedersachsen, Berlin, Meck- quoten schielen muß. In einer Zeit, in der der medi- lenburg-Vorpommern, Brandenburg und Nordrhein- enpolitische Trend in Richtung Kommerzialisierung Westfalen ist es bereits abgeschlossen. Werben müs- geht, vom Bundeskanzler und Herrn Schäuble zum sen wir noch in Sachsen. Angriff auf ARD und ZDF geblasen und von der Union sogar die Rundfunkgebühr in Frage gestellt und damit Wer „Deutschlandradio" jetzt verhindern will, muß die Axt an die Wurzeln des öffentlich-rechtlichen sich über die Konsequenzen im klaren sein. Ein Rundfunks gelegt wird, ist die Etablierung eines vorläufiges Aus für das „Deutschlandradio" würde neuen nationalen Hörfunks besonders wich tig. bedeuten: Allerdings scheint mir auch bei Ihnen, meine — Die wichtige Chance zur Beschleunigung des Inte- Damen und Herren von der Union und der F.D.P., grationsprozesses wäre erneut verpasst, allmählich die Erkenntnis zu reifen, daß die Durchset- — die Ungewißheit für die Mitarbeiterinnen und zung des kommerziellen Funks und Fernsehens in Mitarbeiter würde fortdauern, Deutschland, für die Sie jahrelang die Werbetrommel gerührt haben und für die Sie verantwortlich sind, zu — der Gebührenstaatsvertrag müßte aufgeschnürt Erscheinungen und Auswüchsen geführt hat, die Sie werden, da nicht einzusehen wäre, daß der Gebüh- heute beklagen. Ich nenne hier beispielhaft nur die renzahler weiterhin für einen Sender zu zahlen abstoßenden und gefährlichen Entwicklungen beim hat, den er nicht hören kann und 16178' Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

— der Bund müßte weiterhin für die Kosten von fertigt ist es ebensowenig, daß der Bund auch noch Deutschlandfunk und RIAS Berlin aufkommen. verpflichtet wurde, das we rtvolle RIAS-Sendege- bäude in Berlin praktisch zu verschenken und das Hierbei geht es allein in diesem Jahr um einen Be trag von 241 Millionen DM — kein Pappenstiel in der Deutschlandfunk-Gelände in Köln bis Mitte 1996 mietzinsfrei zu überlassen. heutigen Zeit, meine Damen und Herren! Ich darf Sie ernsthaft fragen, meine Damen und Angesichts dieser finanziellen Übervorteilung kann Herren: Wer will das und wem ist damit gedient? ich gegenüber den Ländern den Vorwurf der Erpres- sung wirklich nur mühsam unterdrücken. Es ist schon Da zum Nachteil der wichtigen „Deutschlandradio „ ein ausgewachsener Ochsenfrosch, den der Bund mit zugedachten Integrationsfunktion bereits wertvolle diesem Staatsvertrag zu schlucken hat. Wenn wir Zeit vertan worden ist, appelliere ich an die übrigen heute trotzdem unsere Zustimmung signalisieren, so Bundesländer und an uns, den Deutschen Bundestag, tun wir dies in der Erkenntnis, daß jede weitere die Ratifikation zügig voranzutreiben, damit wie Verzögerung das Projekt „Deutschlandradio" geplant zum 1. Januar 1994 „Deutschlandradio" auf zwangsläufig zum Scheitern verurteilen würde. Sendung gehen kann. Eine weitere Verzögerung ist weder den Gebührenzahlern, die ja bereits seit Auf den Ländern liegt jetzt eine besondere Verant- Anfang 1992 monatlich 75 Pf an Gebühren für wortung für den neuen Sender, der einen wichtigen „Deutschlandradio" zahlen, noch den Beschäftigten Beitrag für die Vollendung der inneren Einheit leisten von Deutschlandfunk, RIAS und DS Kultur, die fast soll. Wir wissen, daß der von den Ministerpräsidenten drei Jahre in Ungewißheit über ihre berufliche ausgehandelte Errichtungsstaatsvertrag noch längst Zukunft schwebten, zuzumuten. nicht über den Berg ist. So hatte erst kürzlich eine Konferenz der CDU-Fraktionsvorsitzenden aus Bund An die Länder richte ich zudem die Bitte, rechtzeitig und Ländern unter Beteiligung des Bundeskanzlers die notwendigen Frequenzen zur Verfügung zu stel- den Beschluß gefaßt, das ganze Projekt um ein halbes len, um den flächendeckenden Empfang auch wirk- Jahr zu verschieben. Ich hoffe, daß dies jetzt vom Tisch lich zu sichern. ist. Aber auch bei zahlreichen Landtagsfraktionen von Lassen Sie mich zum Abschluß Johannes Rau zitie- F.D.P. und SPD werden sehr kritische Fragen gestellt. ren, der gesagt hat: „Atherwellen haben in der Zeit Ich kann dies gut verstehen, frage mich aber, warum der Trennung das Trennende überwunden. Sie sollen einige der Kollegen in den Landtagen diese Fragen nun mit dazu beitragen, daß die Vereinigung nicht schon viel früher an ihre Ministerpräsidenten gelingt". gestellt und diese zu einem vernünftigeren Staatsver- trag gedrängt haben. Wir Sozialdemokraten stimmen der Überweisung an die vorgeschlagenen Ausschüsse in diesem Sinne Die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und gerne zu. Lassen Sie uns zügig beraten! F.D.P. haben rechtzeitig und nachdrücklich auf die schwerwiegenden Mängel des Errichtungsstaatsver- trages hingewiesen. So ist etwa die geplante Zusam- Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (F.D.P.): „Lieber ein mensetzung der Gremien wegen ihrer zu großen Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende", Staatsnähe möglicherweise verfassungswidrig. Die mit diesen Worten möchte ich den heute behandelten Frequenzversorgung des Deutschlandradios ist zu Entwurf eines Rundfunkneuordnungsgesetzes über- schwachbrüstig und erschwert es dem Sender, seinen schreiben. Mit diesem Gesetzentwurf wird der Bund Integrationsauftrag erfüllen zu können. Seine institu- seiner Verantwortung für den nationalen Hörfunk und tionelle Abhängigkeit von ARD und ZDF behindert seine Mitarbeiter gerecht. die redaktionelle Eigenständigkeit und gefährdet das Nicht verhehlen möchte ich aber, daß aus unserer journalistische Profil des neuen Senders. Sicht die konkrete Ausgestaltung des Überleitungs- Genauso klar muß aber sein: Nachdem durch die staatsvertrages und erst recht die des Errichtungs- Uneinigkeit der Ministerpräsidenten dieses Projekt staatsvertrages für uns kein Grund zum Jubeln sind. jahrelang verschleppt wurde, gibt es jetzt keinen Weg Beide Staatsverträge enthalten Regelungen, die wir mehr zurück. Wer es versäumt, in den verbleibenden Liberalen allenfalls zähneknirschend akzeptieren Wochen dieses Jahres die rechtlichen Grundlagen für können. das neue Deutschlandradio zu schaffen, verhindert Mit dem heute hier behandelten Überleitungs- seine Existenz auf Dauer. Deshalb appelliere ich an staatsvertrag übernimmt der Bund finanzielle Lasten, alle Landtage, jetzt ebenso wie der Bundestag ihrer die aus der Sache und im Hinblick auf seine Haus- Verantwortung für das Deutschlandradio gerecht zu haltslage eigentlich kaum verantwortet werden kön- werden und die Ratifizierung nicht länger zu verzö- nen. Wer kann mir zum Beispiel erläutern, weshalb gern. ARD und ZDF dem Bund lediglich 155 Millionen Mark Setzen wir unsere Hoffnung in die Mitarbeiter des erstatten müssen, obwohl sie von den Gebührenzah- neuen Senders, daß es ihnen gelingen möge, trotz der lern für den nationalen Hörfunk bisher mehr als eine nachteiligen Rahmenbedingungen einen guten Hör- halbe Milliarde Mark einkassiert haben? Obwohl es funk zu machen. Wir brauchen einen qualitätsvollen im Gebührenstaatsvertrag eine klare Zweckbindung Informations- und Kultursender. Ich wünsche dem für den nationalen Hörfunk gibt, haben ARD und ZDF Deutschlandradio für die Zukunft viel Erfolg! diese Gebühren entgegen öffentlichen Bekundungen offenbar für eigene Zwecke „verbraten" . Wir werden prüfen, ob dies rechtswidrig ist und gegebenenfalls Konrad Weiß (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): welche Folgerungen zu ziehen sind. Sachlich gerecht- Die Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN steht dem Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16179*

Nationalen Hörfunk grundsätzlich positiv gegenüber, weitaus besseren Karten hat. Die vorgesehene Auftei- handelt es sich doch um den bislang einzigen Versuch, lung der Sendezeit — vormittags Unterhaltung von auf staatsvertraglicher Ebene die Integra tion zwi- RIAS, nachmittags Kultur von Deutschlandsender — schen Rundfunkmachern, Hörern und Programmtra- scheint vernünftig. Aber wenn beispielsweise statt des ditionen aus beiden Teilen Deutschlands zu realisie- durchdachten morgendlichen DS-Klassik-Programms ren. der RIAS die Musik mittels Zufallsgenerator auswäh- len will, dann ist das einfach Kulturbarbarei. Neben Hauptaufgabe des Nationalen Hörfunks ist auf der Bewahrung wesentlicher Programmteile ist auch ge Sicht die innerdeutsche Integration. Die Fort- lan der Erhalt des Hörspiel- und Musikproduktions- führung wesentlicher Elemente von Deutschlandfunk Standortes Nalepastraße wünschenswert. und RIAS gewährleisten Kontinuität und Identifika- tion für alle Deutschen, die beiderseits der Mauer seit Ernsthaften Anlaß zur Sorge um die angestrebte langen Jahren ihre Medienheimat in diesen Sendern Staatsferne bietet die soeben bekanntgegebene hatten. Einbezogen wird aber auch der Deutschland- Zusammensetzung des Verwaltungsrates. Unter den sender Kultur, der als einzige Medien-Neugründung acht Mitgliedern ist nicht ein Ostdeutscher, statt aus der Zeit der Wende die Wiedervereinigung über- dessen bleibt der übliche schwarz-rote Proporz lebt hat. Durch die Integra tion seines Konzeptes in das gewahrt. Deutschlandradio kann die in der DDR gewachsene Der Hörfunküberleitungsvertrag, über den der Kulturtradition bewahrt und allen Deutschen zugäng- Deutsche Bundestag zu beschließen hat, ist die Vor- lich gemacht werden. Eine andere wich tige Aufgabe aussetzung für das Inkrafttreten des Errichtungsver- wird das Deutschlandradio bei der europäischen Inte- trages und damit für das Deutschlandradio. Da wir gration haben, vor allem nach Osten hin. darauf aus den zu Beginn genannten Gründen nicht Die Schwerpunktsetzung Information und Kultur verzichten wollen, wird BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für die beiden Programme entspricht dem besonderen trotz aller Bedenken dem vorliegenden Gesetz Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. zustimmen. Der Spagat zwischen Anspruch und Vermarktung wird vermieden. Die föderale Struktur des Nationalen Hörfunks wirkt nationalistischen Trends entgegen. Sie vermeidet die problematische Regierungsnähe Anlage 4 der ehemaligen Bundesrundfunkanstalten und des Staatsrundfunks der DDR. Mit der Einrichtung eines Zu Protokoll gegebene Reden Hörfunkrates unter Beteiligung gesellschaftlicher zu Tagesordnungspunkt 16 Kräfte wird eine alte Forderung von BÜNDNIS 90/DIE (Gesetz zur Änderung und zu Anpassungen GRÜNEN zumindest teilweise erfüllt. zum Montrealer Protokoll über Stoffe, Daß die Neuordnung des Nationalen Hörfunks erst die zu einem Abbau der Ozonschicht führen) jetzt, drei Jahre nach dem Einigungsvertrag, vollzo- gen werden soll, ist ein Armutszeugnis für die verant- Dr. Bertram Wieczorek, Parl. Staatssekretär beim wortlichen Politiker. Sollten die Verträge noch in Bundesministerfür Umwelt, Naturschutz und Reaktor- letzter Minute scheitern, hätte das für alle Anstalten sicherheit: Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen juristisch wie ökonomisch irreparable Folgen, insbe- zunächst dafür, daß Sie alle die heutige Vorlage so sondere aber für DS Kultur. Dieser steht gegenwärtig zügig auf die Tagesordnung gesetzt haben. in der treuhänderischen Verwaltung durch ARD und Mit dem Ihnen vorliegenden Entwurf eines Ver- ZDF, die theore tisch am 31. März 1994 ausläuft. Für tragsgesetzes sollen die verfassungsrechtlichen Vor- die 186 Mitarbeiter des DS Kultur mit ihren Zeitver- aussetzungen zur Ratifizierung der im November 1992 trägen bedeutete dies im Gegensatz zu den Mitarbei- in Kopenhagen beschlossenen zweiten Änderung des tern von Deutschlandfunk und RIAS unwiderruflich Montrealer Protokolls geschaffen werden. Die Tatsa- das Aus. Das widerspräche dem Geist des Einigungs- che, daß das Montrealer Protokoll innerhalb der ersten vertrages, der die Überführung der ostdeutschen vier Jahr nach seinem Inkrafttreten bereits zweimal Sender in die gesamtdeutsche Medienlandschaft verschärft worden ist, belegt sehr eindrucksvoll, mit angestrebt hat. welcher Dynamik sich die internationalen Anstren- Ein weiteres Problem sind fehlende Überleitungsre- gungen zum Schutz der Ozonschicht jetzt fortentwik- gelungen für den Sendestart. Intendant und Hörfunk- keln. direktoren können erst nach Inkrafttreten der Staats- Diese Fortentwicklung war auch dringend erforder- verträge, nach der Wahl der Gremien und ihrer lich. Denn wir wissen jetzt, daß wir es nicht nur mit eigenen Wahl, ihre Arbeit aufnehmen, also wahr- dem jährlich wiederkehrenden Ozonloch über der scheinlich erst Mitte 1994. Bis zur Gründung des Antarktis zu tun haben, sondern daß die Ozonschicht Deutschlandradios agiert ein Gründungsausschuß, weltweit rascher abgenommen hat, als man es anhand der nur zu Empfehlungen befugt ist und dem im von Modellrechnungen erwartete. Es wird noch jedem übrigen kaum ostdeutsche Interessenvertreter ange- in Erinnerung sein, daß wir Anfang der letzten beiden hören. Das ist insbesondere bezüglich der Entschei- Jahre in unseren Breiten über mehrere Wochen hin- dungen über Programmbestandteile, Verantwortlich- weg eine überdurchschnittliche Ausdünnung der keiten und Frequenzen problematisch. Ozonschicht feststellen konnten. Wahrscheinlich ha- Dadurch droht schon heute die Zusammenführung ben wir es nur den günstigeren meteorologischen der Programme von RIAS und DS Kultur zum Auftei- Bedingungen auf der Nordhalbkugel der Erde zu lungskampf zu entarten, in welchem der RIAS die verdanken, daß sich bisher über Europa und Nord- 16180* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

amerika kein Ozonloch ähnlich dem über dem Südpol Gemeinschaft als Ganzes nach wie vor im Rahmen der gebildet hat. internationalen Vertragsgemeinschaft eine fort- In Kopenhagen haben die Vertragsparteien des schrittliche Position beim Verzicht auf ozonabbau- Montrealer Protokolls zum einen beschlossen, die ende Stoffe leisten kann. Ich bin zuversichtlich, daß Ausstiegsfristen bei den bereits geregelten Stoffen zu bei den noch ausstehenden Beratungen auf Gemein- verkürzen, und zum anderen haben sie weitere ozon- schaftsebene dem Kommissionsvorschlag weitgehend schichtschädigende Stoffe in die Regelungen des gefolgt werden wird und daß die Verordnung recht- Protokolls einbezogen. Produktion und Verbrauch zeitig zum 1. Januar 1994 in Kraft treten kann. Damit von FCKW, Tetrachlorkohlenstoff und 1,1,1-Trichlor- wären die Änderungen des Montrealer Protokolls ethan müssen nun weltweit zum 1. Januar 1996 materiell auch für die Bundesrepublik Deutschl and eingestellt werden, Produktion und Verbrauch der verbindlich. Halone bereits zum 1. Januar 1994. Anläßlich der Das Montrealer Protokoll ist in seiner ursprüngli- Ratstagung der EG-Umweltminister im Dezember chen Fassung von 119 Staaten ratifiziert worden; die 1992 sind diese Fristen bei FCKW und Tetrachlorkoh- 1990 in London beschlossene erste Änderung des lenstoff für den Bereich der Gemeinschaft nochmals Montrealer Protokolls wurde bereits von 63 Staaten um ein Jahr auf den 1. Januar 1995 vorgezogen ratifiziert. Die im November 1992 in Kopenhagen worden. Aus deutscher Sicht läßt sich deshalb mit beschlossene zweite Änderung des Mon trealer Proto- einer gewissen Befriedigung feststellen, daß unsere kolls soll am 1. Januar 1994 völkerrechtlich in Kraft Nachbarn in der EG nun weitgehend die Ausstiegsfri- treten, vorausgesetzt, daß bis dahin 20 Staaten ihre sten übernommen haben, die in unserer nationalen Ratifikationsurkunde hinterlegt haben. Mit dem jetzt FCKW-Halon-Verbots-Verordnung vom Mai 1991 vorgelegten Entwurf eines Vertragsgesetzes soll festgelegt worden sind. sichergestellt werden, daß die Bundesrepublik Selbst diese Fristen werden aber in der Bundesre- Deutschland diese für den weltweiten Schutz der publik Deutschland noch unterboten werden. Nach- Ozonschicht wichtige Frist einhält. dem die FCKW-Verwendung hier im Jahr 1992 bereits Ich appelliere abschließend dringlich: helfen Sie um 80 % gegenüber 1986 zurückgegangen ist, wird durch zügige Beratung in den Ausschüssen, daß der sie auf Grund freiwilliger Selbstverpflichtungen der Bundesrat das Gesetz noch in diesem Jahr abschlie- noch verliebenen FCKW-Verwender bis Ende 1993 ßend behandeln kann. Es muß Anfang nächsten weitgehend eingestellt sein. Letzte Nischen-Anwen- Jahres in Kraft treten. dungen sollten spätestens bis Mitte 1994 entfallen. Das gleiche gilt für die deutsche FCKW-Produktion. Klaus Harries (CDU/CSU): Erstens. Die meteorolo- Bei dem zweiten Teil der Kopenhagener Beschlüsse gische Kommission der Vereinten Nationen hat in geht es um die künftige Beschränkung bisher noch ihren Analysen eine weitere Abnahme des stratosphä- nicht geregelter ozonschichtschädigender Stoffe. Als rischen Ozons festgestellt. Dabei sind allerdings die wichtigste Stoffgruppe sind hier die teilhalogenierten Ozonwerte in der Nordhemisphäre längst nicht so FCKW oder auch H-FCKW zu nennen. Für diese schlecht und so niedrig wie im antarktischen Bereich. Stoffgruppe sieht das Montrealer Protokoll nun eine Insofern sind die Werte nicht vergleichbar. Die mengenmäßige Beschränkung des Verbrauchs in der Niedrigozonwerte in der Nordatmosphäre sind unter Zeit von 1996 bis 2003 vor und danach eine stufen- Umständen auch auf andere Ursachen nach den weise Verringerung des Verbrauchs bis auf Nu ll im Feststellungen der Vereinten Nationen zurückzufüh- Jahr 2030. Diese Regelung ist sehr unbefriedigend, ren. wenn man bedenkt, daß die Verwendung des wich- tigsten H-FCKW R 22 im Rahmen der deutschen Trotzdem besteht für FCKW und andere gefährliche FCKW-Halon-Verbots-Verordnung spätestens ab Stoffe produzierende Staaten Handlungsbedarf. Die dem Jahr 2000 untersagt ist. Die Bundesregierung Ursachen des Ozonlochs müssen beseitigt werden. wird sich deshalb bei den Verhandlungen zur Um- Wir können aber auch feststellen, daß konsequent und setzung der Kopenhagener Beschlüsse durch die regelmäßig und mit großer Hartnäckigkeit und EG dafür einsetzen, daß der Ausstiegsfahrplan für Beständigkeit gehandelt wird. Ich weiß, daß an dieser H-FCKW wesentlich verkürzt wird und auch früher Stelle immer wieder der Einwand kommt, es werde zu beginnt. spät und zu langsam gehandelt. Es darf aber nicht übersehen werden, daß wir nicht alleine zu beschlie- Außerdem kann aus Sicht der Bundesregierung die ßen haben, sondern weltweite Abstimmungsregel- in Kopenhagen beschlossene Obergrenze des H- werke müssen einvernehmlich gefunden werden. Die FCKW-Verbrauchs problemlos weiter abgesenkt wer- Bundesrepublik Deutschland ist bekanntlich mit gro- den. Der kürzlich von der EG-Kommission vorgelegte ßem Erfolg Vorreiter in der Einstellung des FCKW- Vorschlag zur Änderung der geltenden Verordnung Gebrauchs. über ozonschichtschädigende Stoffe bietet hierfür eine gute Diskussionsgrundlage. Dieser Vorschlag Zweitens. Die Konferenz in Kopenhagen hat Ende sieht u. a. eine vollständige Reduktion des Verbrauchs 1992 wichtige Ergänzungen zum Montrealer Abkom- bei H-FCKW bis zum Jahre 2015 vor. Darüber hinaus men der Vereinten Nationen beschlossen. Ich nenne sollen erstmals in der Gemeinschaft in bestimmten sie: Bereichen ab dem 1. 1. 1995 H-FCKW nicht eingesetzt Erstens wurden neue Stoffe, nämlich teilhaloge- werden dürfen. nierte FCKW, dann Fluorbromkohlenwasser- Die Bundesregierung unterstützt den Vorstoß der stoffe und Methyibromit in die Regelungen ein- EG-Kommission, stellt er doch unter Beweis, daß die bezogen. Deutscher Bundestaa — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16181*

Zweitens. Die Kontrolle für teilhalogenierte über freiwillige Selbstverpflichtung gegenüber dem FCKW-Stoffe darf bis zum Jahre 2003 bestimmte Bundesumweltminister erreicht werden. " Das ist doch Mengen nicht überschreiten. Eine Kontrolle für nicht seriös! Die Zerstörung der schützenden Ozon- diese Maßnahme ist festgelegt. schicht geht weiter und die Anreicherung von Chlor in der Atmosphäre schreitet fort, wenn auch weniger Drittens. Produktion und Verbrauch von teilhalo- rasant als vor einigen Jahren. genierten Fluorbromkohlenwasserstoff ist zum 1. Januar 1996 einzustellen. Wie sieht es nun mit den in Kopenhagen vereinbar- ten Änderungen des Mon trealer Protokolls aus? Die Schließlich ist viertens Methylbromit ab 1. Januar teilhalogenierten H-FCKW, etwas flapsig, aber durch- 1995 auf dem Niveau von 1991 einzufrieren. aus zutreffend „FCKW-light" genannt, sollen erst im Jahre 2030 verboten werden. Bis zum Jahr 2004 Drittens. Der Bundesrat hat empfohlen, das Ände- dürfen sie ungehindert verwendet werden. Danach rungsgesetz von Kopenhagen aus dem Jahre 1992 zu werden sie stufenweise reduziert. Nach dieser fatalen ratifizieren. Gleichzeitig hat der Bundesrat darauf Fehlentscheidung ist mit einer Produktion von rund hingewiesen, daß sich die Bundesregierung für eine 10 Millionen Tonnen H-FCKW in den nächsten Verkürzung der genannten Verbots- und Ausstiegsfri- 20 Jahren zu rechnen. Der Ausstieg aus den „harten" sten einsetzen möge. Dies hat die Bundesregierung FCKW wird damit teilweise wieder zunichte mit Erfolg getan. gemacht. Viertens. Innerhalb der EG wird in diesen Tagen Ebenfalls haarsträubend ist die Entscheidung, das eine EG-Verordnung mit folgenden Bestimmungen Insektenbekämpfungsmittel Methylbromid nicht so- vorbereitet, die die EG-Staaten zum schnellen Han- fort zu verbieten, sondern dessen Verwendung ab deln verpflichten wird: 1995 auf dem Stand von 1991 einzufrieren. Die gleiche Menge Methylbromid schädigt die Ozonschicht Das in Kopenhagen beschlossene Ausstiegsdatum 150 mal mehr als das ohnehin schon äußerst aggres- 1996 bei vollhalogenierten FCKW ist für die EG- sive FCKW. Die vergleichsweise kleinen Mengen Mitgliedstaaten verbindlich auf das Jahr 1995 vorge- tragen jetzt schon mit 10 % zur Zerstörung der Ozon- zogen. Auch die teilhalogenierten FCKW werden auf schicht bei. Methylbromid ist im übrigen in den Drängen der Bundesregierung erheblich stringenter Niederlanden nicht etwa wegen seiner Ozonschäd- geregelt werden. Das Ausstiegsjahr soll um 15 Jahre lichkeit, sondern wegen seiner ex tremen Giftigkeit von 2030 auf das Jahr 2015 vorgezogen werden. schon lange verboten. Hier gibt es wahrlich Ersatz- Die in Kopenhagen beschlossene Änderung des stoffe genug. Eine unselige Allianz von Chemielobby Montrealer Protokolls kann zum 1. Januar 1994 in auf seiten der Industrieländer und uneinsichtigen Kraft treten. 20 Staaten müssen ihre Ratifizierungsur- Fruchtexporteuren aus der Dritten Welt und Südeu- kunden hinterlegen. Wir setzen durch eine Ratifizie- ropa hat es erreicht, daß dieses Teufelszeug unserer rung heute ein sichtbares Zeichen, daß Deutschland Erde weiterhin großen Schaden zufügen kann. zu diesen Staaten gehört. Völlig unbefriedigend ist auch die Ausstattung des Hilfsfonds für die Dritte Welt zur Einführung weni- ger ozonschädlicher Technologien. 1994 gibt es mit Monika Ganseforth (SPD): Der Fortschritt ist eine 113 Millionen Dollar nur denselben Betrag wie bereits Schnecke. Was ich Ihnen von der Regierungsseite 1992. Danach wird er geringfügig erhöht. Dabei wäre vorwerfe, ist, daß Sie immer versuchen, den Eindruck eine drastische Erhöhung angezeigt. Die neu ausge- zu erwecken, es ginge mit Siebenmeilenstiefeln voran handelte Gesamtsumme entspricht etwa 1 % der jähr- beim Ausstieg aus der Herstellung und Anwendung lichen Rüstungsausgaben der Bundesrepublik und ist ozonzerstörender Stoffe. Sie erwecken den Eindruck, lächerlich wenig, wenn man bedenkt, um welche als wären wir schon viel weiter, wenn sich alle so existenziellen Fragen es hier geht. „mustergültig" wie die Bundesrepublik verhielten. Die westlichen Industriestaaten und insbesondere Wie sieht das aber tatsächlich aus? Seit l anger Zeit die Bundesregierung sollten sich daran erinnern, daß ist die extreme Gefährlichkeit der ozonzerstörenden wir, die Reichen dieser Welt, die Schäden an der FCKW bekannt. Es gibt L ander, die bereits 1980 das Ozonschicht auf dem Gewissen haben. Es wäre nun- Verbot von FCKW in Spraydosen ausgesprochen mehr das Mindeste, der Dritten Welt angemessen zu haben. Nicht die Bundesrepublik hat die Vorreiter- helfen, damit sie sich umweltfreundlich entwickeln rolle gespielt. Sie hat auf freiwillige Selbstverpflich- kann. Immerhin wurde der Versuch einiger Industrie- tung mit der Industrie gesetzt. länder verhindert, daß der Fonds der UNEP entzogen Wie ist das Ergebnis? Im letzten Jahr betrug die wird und über die Weltbank abgewickelt wird. Wer Produktion von FCKW in Deutschland immer noch dort das Sagen hat und welche Kriterien im Vorder- 59 000 t. Damit hat die Produktion innerhalb von sechs grund stehen, wissen wir. Daß die Verteilung der Jahren gerade um 50 % abgenommen. Das ist eine Mittel durch paritätisch von Entwicklungsländern und erschreckende Zahl. Der Verkauf ist zwar um 80 % Industrieländern gesetzten Gremien läuft, ist wich- von 71 000 t auf 15 000 t zurückgegangen, aber der tig. Export liegt noch bei 44 000 t gegenüber 55 000 t 1986 Nach Abschluß der Kopenhagener Vereinbarungen — ein Rückgang um nur 20 %. Das ist einer Presse- vor einem Jahr hat Umweltminister Töpfer diese als erklärung des Ministeriums vom Juli dieses Jahres zu „grundsätzlich positiv" bewertet. Inzwischen hat er entnehmen. In der Presseerklärung heißt es aber sich endlich auch einer realisitischen Einschätzung dann: „Der rasche FCKW-Ausstieg konnte vor allem angenähert. Das zeigen die Vereinbarungen mit den 16182* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Umweltministern aus Liechtenstein, der Schweiz und ebenso wie die anderen Fraktionen des Bundestages Österreich sowie der Versuch einer Verbesserung auf und sieht sich in der Pflicht, dazu beizutragen, daß der kommenden Ratstagung im Dezember dieses dieses Gesetz schnellstmöglich in Kraft tritt. Jahres. Das wesentliche Ergebnis der Konferenz in Kopen- Ein großer Irrweg ist der massive Einstieg in die hagen war, den endgültigen Zeitpunkt für den schritt- Produktion und Anwendung des Ersatzstoffes FKW weisen, weltweiten Ausstieg aus Produktion und Ver- oder R 134 a. Er enthält zwar kein Chlor, ist jedoch ein brauch der im Montrealer Protokoll geregelten ozon- äußerst wirksames Treibhausgas mit einer atmosphä- schädigenden Fluor-Kohlenwasserstoffe von 1999/ rischen Lebensdauer von 15 bis 16 Jahren. R 134 a 2000, wie es bei der letzten Vertragsstaatenkonferenz heizt die Erde 3 200 mal mehr auf als die gleiche in London beschlossen wurde, nunmehr auf Ende Menge CO2! Die geplante Weltproduktion von 1995 vorzuziehen. Dieses Ergebnis läßt nunmehr 150 000 bis 250 000 t pro Jahr wird dem Weltklima so berechtigterweise die Hoffnung aufkommen, daß wir einheizen, wie die gesamte Co2-Emission eines Indu- weltweit das Problem des Abbaus der stratosphäri- striestaates von der Größe der alten Bundesrepublik. schen Ozonschicht in den Griff bekommen. Hauptanwendungsbereich von R 134 a soll der Einsatz als Kältemittel, insbesondere in Haushaltskühlgerä- Immerhin war schon zum Zeitpunkt der Kopenha- ten sein. Überdies ist der genaue atmosphärische gener Konferenz der weltweite FCKW-Einsatz um Abbauweg von R 134 a noch nicht bekannt. Aller zirka 40 % — national sogar um über 60 % — reduziert. Wahrscheinlichkeit nach entstehen hochtoxische Dennoch besteht kein Grund zum Jubeln, wenn man Substanzen. Dabei gibt es längst umweltfreundliche bedenkt, daß die gestern bereits emittierten Fluor- Alternativen. Erinnern wir uns an die Entwicklung des Kohlenwasserstoffe ihre schädigende Wirkung in der Ökokühlschranks. Propan-Butan hat sich als guter Stratosphäre erst in den zehn Jahren entfalten wer- Ersatzstoff herausgestellt. Aber auch auf anderen den, aber wir heute schon nicht nur auf der Südhalb- Gebieten gibt es bereits völlig unproblematische kugel sondern auch auf der Nordhalbkugel, die bisher Alternativen. Dabei geht es auch um die Zukunfts- als wenig gefährdet angesehen wurde, eine Vermin- chancen unserer Industrie und um innovative Arbeits- derung der stratosphärischen Ozonmenge verzeich- plätze. nen müssen. Will man diese Entwicklung wirklich zum Stillstand bringen, so sind nach Auffassung der Große Probleme bestehen auch bei der Entsorgung F.D.P. weitere Maßnahmen erforderlich: der Unmengen ozonzerstörenden Chemikalien, die in Geräten gespeichert sind. Schätzungen sagen, daß in Erstens. Das Verbot von FCKW ab 1996 bleibt zu Deutschland noch 140 000 Tonnen FCKW und 10 000 einem erheblichen Teil unwirksam, wenn Länder wie Tonnen Halone als Kältemittel in Gefriertruhen, als China, Indien und Süd-Korea wegen Übergangsrege- Schäummittel in Isolierstoffen und als Brandschutz- lungen noch bis zum Jahre 2006 FCKWs produzieren chemikalien in Feuerlöschern stecken. Ohne Anreize und verwenden dürfen. Diese Übergangsregelung zur Rückgabe wird nur ein kleiner Teil davon entsorgt. muß drastisch verkürzt werden, denn der gewaltige Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Kühlgerätebedarf in der asiatischen Region läßt dort Dazu müssen dringend national und inte rnational eher einen Anstieg als eine Abnahme der ozonschä- folgende Probleme gelöst werden: Eine wirksame digenden FCKWs befürchten, wenn er mit veralteter Kontrolle der Reduktionsmengen, der endgültige FCKW-Technik gedeckt wird. Ausstieg aus der Produktion und Anwendung von Zweitens. Der schrittweise Ausstieg bis 2030 aus FCKW, der Ausstieg aus allen weiteren ozonzerstö- den heute als Ersatzstoffe verwendeten teilhaloge- renden Chlorverbindungen, das Verbot des Insekten- nierten H-FCKWs ist zu lang. Diese lange F rist bekämpfungsmittels Methylbromid, keine Verwen- bewirkt keinen hinreichenden Druck auf den Einsatz dung problematischer Ersatzstoffe wie R 134 a. Es geht wirklich ozonunschädlicher Ersatzstoffe. Die Europäi- nicht nur um den Austausch Stoff gegen Stoff, sondern sche Gemeinschaft sollte deshalb für sich selbst auch um andere bessere Lösungen und Verfahren. wesentlich kürzere Ausstiegsfristen erwirken. Auch wenn die in Kopenhagen beschlossenen Drittens. Den Entwicklungsländern muß bei der Änderungen zum Montrealer Protokoll absolut unzu- Erfüllung ihrer Verpflichtung aus dem Mon trealer reichend sind, ist es sinnvoll, dem Gesetzentwurf Protokoll verstärkt finanziell geholfen werden. Die zuzustimmen. Aber wir erwarten von der Regierung, dritte Vertragsstaaten-Konferenz des Mon trealer Pro- daß sie endlich angemessen auf die Gefahr der tokolls hat bereits im Juni 1990 in London einen Ozonzerstörung reagiert. Finanzierungsmechanismus, den sogenannten „Inte- rim Multilateralen Fonds ", eingerichtet, der in den Dr. Jürgen Stamick (F.D.P.): Uns liegt der Entwurf ersten drei Jahren ein Finanzvolumen von insgesamt eines Gesetzes vor, der das Ziel hat, den Verbraucher 240 Millionen Dollar erbrachte, wovon die Bundesre- und die Produktion ozonschichtschädigender haloge- publik einen Anteil von zirka 11 % trägt. Die Bundes- nierter Kohlenwasserstoffe schneller einzuschränken, republik sollte sich nicht nur bereit erklären, den als das im Montrealer Protokoll und in den in London Fonds für die Jahre 1994 bis 1996 fortzuführen son- gefaßten Beschlüssen vorgesehen war. Zudem wer- dern ihn auch zu erhöhen, um den Entwicklungslän- den in dieses Protokoll eine Reihe von Verbindungen dern den Zugang zu modernen FCKW-freien Techno- aufgenommen, die bisher als weniger ozonschicht- logien zu erleichtern. Die Industriestaaten können so schädigend galten, vor allen Dingen die Fluor-Brom- ihrer besonderen Verantwortung für das Ozonpro- Kohlenwasserstoffe sowie Methylbromid. Die Frak- blem nachkommen, ohne daß sie wirtschaftliche Ein- tion der F.D.P. begrüßt diesen Entwurf des Gesetzes bußen erleiden. Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993 16183*

Sosehr auf der einen Seite Forderungen nach einem hierzulande noch nicht hundertprozentig sicherge- schnelleren Verzicht auf alle ozonschichtschädigen- stellt ist. den Stoffe berechtigt sind, so unberechtigt ist in Natürlich unterstützt auch das BÜNDNIS 90/DIE unseren Breiten die Panikmache vor Gesundheits- GRÜNEN den von der Bundesregierung vorgelegten schäden durch zunehmende UV-Strahlung. Selbst Gesetzentwurf über Änderungen und Anpassung des wenn die Ozonschicht zum Nordpol hin um 50 % Montrealer Protokolls. Das kann dann aber noch reduziert wäre, so bleibt ihre Filterwirkung in unseren längst nicht alles gewesen sein! Denn feststeht, daß Breiten weit größer als sie in südlichen Breiten ohne nicht nur verbesserte internationale Verträge ge- Ozonreduktion ist. Ein Entwicklungshelfer, der ver- schlossen werden, sondern auch, daß die Länder der dienstvoller Weise heute in einem tropischen oder Zweiten und Dritten Welt durch Technologietransfer subtropischen Land tätig ist, oder ein Bundeswehrsol- dazu in die Lage versetzt werden müssen, sich von der dat, der in Somalia seinen Dienst verrichtet, unterliegt FCKW- und Halonen-Verwendung zu trennen. Hier heute bereits einer UV-Strahleneinwirkung, wie wir ist die Bundesregierung gefordert, endlich konkrete sie bei einem 50%igen Ozonabbau in unseren Breiten Schritte zu ergreifen und z. B. fortgeschrittene Kühl- nicht erreichen würden. Die Hautkrebsgefahr lauert technik — ohne FCKWs, ohne Halone, aber auch ohne nicht in dem Abbau der Ozonschicht sondern in das Mega-Treibhausgas R 134 a — Entwicklungslän- unserer gedankenlosen Auffassung, körperliche dern zu fairen Konditionen zur Verfügung zu stel- Bräune, die wir uns während eines Urlaubs im Süden len. zulegen, würde unserer Gesundheit dienen. Hierüber tut Aufklärung not. Aber davon ist genauso wenig zu spüren wie von der immer wieder verprochenen Erhöhung der Entwick- Wenn ich hierauf hinweise, so ist das keine Ver- lungshilfe. Gerade dabei zeigt sich ganz deutlich die harmlosung sondern nur eine Forderung nach einer Janusköpfigkeit der Politik der Bundesregierung: In richtigen Darstellung der Problemlage. Die Besorgnis, Rio wurde vom Gespann Kohl/Töpfer vollmundig das die ausgesprochen werden muß, ist die, daß wir auf baldige Erreichen des lange vereinbarten 0,7-%- lange Sicht unsere natürlichen Lebensgrundlagen in Zieles als Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttoso- Form von stabilen Ökosystemen gefährden, weil z. B. zialprodukt angekündigt. Fakt ist jedoch, daß die Meeres-Mikroorganismen empfindlich auf Verände- Entwicklungshilfe in diesem Jahr in absoluten und rungen der UV-Intensität reagieren. Da es unsere relativen Zahlen zurückgegangen ist, obwohl der Pflicht ist, unseren nachfolgenden Generationen die Süden den Norden schon lange subventioniert: Seit natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten und sie in vielen Jahren zahlt der arme Süden dem reichen ihren Entwicklungschancen nicht zu beschneiden, Norden Entwicklungshilfe, indem er an Zinsen und sollten wir heute unsere Kraft dareinlegen, das Pro- Tilgungen mehr an den Norden überweist, als er von blem des Abbaus der stratosphärischen Ozonschicht dort an Entwicklungshilfe, Direktinvestitionen oder weltweit zu lösen. Kapitalhilfe bekommt. Wie das Statistische Bundesamt herausgefunden hat, ist der Bundesrepublik zudem durch den Verfall Dr. Klaus-Dieter Feige (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Rohstoffpreise im Vergleich zu 1980 ein Handels- NEN): Es ist schon fast zur traurigen Routine gewor- vorteil gegenüber den Entwicklungsländern von ins- den, daß wir hier im Bundestag die Meldungen über gesamt 30,9 Milliarden jährlich entstanden. Das ent- ein alljährliches Rekord-Ozonloch zur Kenntnis neh- spricht dem Vierfachen der Bonner Entwicklungshilfe men müssen. So meldete auch dieses Jahr die inter- und machte für jeden Bundesbürger eine Ersparnis nationale Forschungs-Community pünktlich zum Be- allein bei der Einfuhr von 260 DM pro Jahr aus! ginn des Polarwinters wieder einmal einen — und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begrüßt deswegen auch, diesmal auch für die Forscher — überraschend hohen daß Nicht-Regierungs-Organisationen wie Germ an Ozon-Rückgang über den Polen. Doch damit nicht -watch, WEED (World Economy, Environment and genug: Es hat sich darüber hinaus erwiesen, daß das Development), Greenpeace, der Bund für Umwelt- zunehmende Löchrigwerden des Ozonmantels un- und Naturschutz oder der Naturschutzbund nicht - seres Planeten ein sich selbst verstärkender Effekt müde werden, auf die Zusammenhänge von fairem ist. Denn über der Antarktis wurden dieses Jahr Welthandel, nachhaltiger Entwicklung und Klima- auch Rekord-Minus-Temperaturen gemessen, die schutz hinzuweisen. vom Loch in der Ozonschicht herrühren und da- durch gleichzeitig den Abbau des Ozons beschleu- Leider ist das der Bundesregierung noch längst nigen. nicht klar. Solange sich daran nichts ändert, werden wir auch in den nächsten Jahren — jeweils pünktlich Damit sind auch mit hoher Wahrscheinlichkeit noch zu Beginn des Polarwinters — wieder und wieder nicht einmal Ende und Höhepunkt dieser katastro- Meldungen über Rekord-Ozonlöcher zur Kenntnis phalen Entwicklung erreicht: Denn immer noch befin- nehmen müssen. Bald wird sich dann aber der gna- den sich Millionen Tonnen FCKWs und Halone im denlose Egoismus der Industrieländer gegen sie selbst Umlauf, und allen beachtenswerten Entwicklungen wenden; denn schon längst ist das Ozonloch kein im internationalen Umweltrecht zum Trotz ist in Phänomen mehr, das auf die Polregionen begrenzt ist. weiten Teilen der Welt weder mit einem Produktions Auch in unseren Breiten verdünnt sich die Ozon- noch mit einem Verwendungsstop zu rechnen. Davon schicht, und bei einer Lebenszeit von FCKWs und kann noch nicht einmal auf EG-Ebene die Rede sein, Halonen von etwa 60 bis 120 Jahren erübrigt sich von einer geordneten Entsorgung von Altanwendun- bald jeglicher Aktivismus. Es ist dann schlicht zu gen wie Kühlschränken ganz zu schweigen, die auch spät. 16184* Deutscher Bundestag — 12. Wahlperiode — 186. Sitzung. Bonn, Freitag, den 29. Oktober 1993

Anlage 5 Drucksache 12/946 Drucksache 12/1018 Amtliche Mitteilungen Drucksache 12/1246 Drucksache 12/1252 Drucksache 12/1786 Änderungen bei Vorlagen aus der Mitte des Bundestages: Drucksache 12/1922 Der Antrag Stärkung der Zusammenarbeit mit Asien, Drucksache Drucksache 12/1923 12/5959, wurde nachträglich unterzeichnet von den Abgeordneten Drucksache 12/2023 Dr. , Wilf ried Bohlsen und Gabriele Wiechatzek. Drucksache 12/2025 Drucksache 12/4056 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, daß Drucksache 12/4187 der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von Ausschuß für Post und Telekommunikation einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Drucksache 12/4371 Auswärtiger Ausschuß Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Drucksache 12/4302 Drucksache 12/4629 Drucksache 12/4572 Drucksache 12/4843 Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Drucksache 12/4846 Ausschuß die nachstehenden EG-Vorlagen zur Kenntnis genommen Drucksache 12/5374 bzw. von einer Beratung abgesehen hat: Drucksache 12/5432 Drucksache 12/5489 Auswärtiger Ausschuß Drucksache 12/5526 Drucksache 12/4833 Nr. 2.18 und Drucksache 12/5190 (Berich- tigung) Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 11/8492 Ausschuß für Wirtschaft Drucksache 12/46 Drucksache 12/5358 Nr. 20 Drucksache 12/52 Drucksache 12/5749 Nr. 3.8 Drucksache 12/128 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 12/369 Drucksache 12/4555 Nr. 2.19 Drucksache 12/705 Drucksache 12/5281 Nr. 3.3