Die Nachkriegswirren

im bayerischen Volksschulwesen 1945 - 1954

unter besonderer Berücksichtigung

der amerikanischen Re-educationsbemühungen.

Dargestellt anhand konkreter Verhältnisse und Geschehnisse

bevorzugt im bayerischen Franken.

Inaugural-Dissertation in der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

vorgelegt von

Sibylle Deffner aus

Altenmarkt/Alz

D 29 Tag der mündlichen Prüfung: 13. November 2001

Dekan: Universitätsprofessor Dr. H. Heller Erstgutachter: Universitätsprofessor Dr. Walter Fürnrohr Zweitgutachter: Universitätsprofessor Dr. Karl H. Metz Helmut zum Gedenken

und für Tom und Kli Inhaltsverzeichnis

Einleitung S. 7

I. Vorstellungen, Pläne und Zielsetzungen der Amerikaner vor Kriegsende S. 11 1. Die Diskussion der deutschen Frage in den USA S. 11 2. Vorbereitungen auf die Besetzung Deutschlands S. 16 II. Rahmenbedingungen der Siegermächte und Beginn der amerikanischen Besatzung S. 19 1. Potsdamer Abkommen und Alliierter Kontrollrat S. 19 2. Die Direktive JCS 1067 S. 21 3. Erste Schritte der amerikanischen Militärverwaltung S. 23 4. Die Regierung Schäffer S. 26 5. Schulverhältnisse und Kulturpolitik bis zur Eröffnung der Volksschulen im Oktober 1945 S. 28 5.1. Die Situation bei Kriegsende S. 28 5.2. Zur Haltung der evangelischen Kirche S. 29 5.3. Entlassung von Beamten auf Befehl der Militärregierung S. 31 5.4. Die Wiedereröffnung der Volksschulen S. 41 5.4.1. Vorstellungen der Kirchen S. 41 5.4.2. Der gesetzliche Rahmen S. 43 5.4.3. Erste organisatorische Maßnahmen S. 45

III. Die Schüler S. 47 1. Äußere Not S. 47 1.1. Schulgebäude und Unterrichtsräume S. 47 1.2. Ernährungsnotstand und Schulspeisung S. 58 1.3. Mangelhafte Bekleidung S. 65 1.4. Häusliche Verhältnisse und psychische Belastungen S. 67 2. Flüchtlingskinder S. 70 3. Bildungsnotstand – Lehr- und Lernmittel S. 74 4. Amerikanische Bemühungen um außerschulische Jugendarbeit und Neugründung von Jugendverbänden S. 81

IV. Die Lehrer S. 86 1. Entnazifizierung S. 87 1.1. Alliierte Beschlüsse und ihre Durchführung in den einzelnen Besatzungszonen S. 87 1.2. Das Berufsbeamtentum S. 104 1.3. Das Entnazifizierungsverfahren für Lehrer S. 107 1.3.1. Kontroverse Begründungen S. 107 1.3.2. Vorgehen im Anschluß an das Befreiungsgesetz vom 5. März 1946 S. 114 1.3.3. Die persönliche Situation der Betroffenen S. 117 2. Ersatzlehrer und Schulhelfer S. 124 3. Lehrermangel S. 137 4. Wiedereinstellung entnazifizierter Lehrer S 143 4.1. Forderung nach Wiedereinstellung und die Verordnung 113 vom 29. Januar 1947 S. 143 4.2. Schleppende Abwicklung S. 150 4.3. Mitläufer und Amnestierte S. 152 4.4. Kirchenaustritt und Wiedereinstellung S. 158 4.5. Kritik am Verfahren und Abschluß S. 162 5. Flüchtlingslehrer S. 169 5.1. Flüchtlinge und Vertriebene und ihre Verteilung in Bayern S. 169 5.2. Stellung und persönliche Situation S. 172 5.2.1. Integration durch Quotenregelung S. 172 5.2.2. Bemühungen um den Beamtenstatus S. 180 5.2.3. Vorurteile S. 186 5.2.4. Regionaler Austausch und die Zentralstelle für Flüchtlingslehrer S. 190 6. Die Situation der Lehrer in den Schulen S. 198 6.1. Äußere Gegebenheiten S. 198

4 6.1.1. Ernährung und Wohnverhältnisse S. 198 6.1.2. Probleme mit der Nachkriegsjugend S. 204 6.2. Lehrerbesoldung S. 211 6.3. Lehrerinnen S. 216 6.4. Lehrerorganisationen S. 220 6.5. Geistige Not S. 223

V. Schulreform und Lehrerbildung S. 229 1. Die Besatzungsmächte S. 229 2. Versuche gemeinsamer Grundlegung im Bildungsbereich in den Besatzungszonen S. 232 3. Schulreformvorschläge aus den Jahren 1945 und 1946 S. 234 4. Reformvorstellungen der Parteien S. 236 5. Reformvorstellungen des Bayerischen Lehrervereins S. 239 6. Kultusminister Hundhammer und die Reformansprüche der amerikanischen Militärregierung S. 242 6.1. Vorschläge der amerikanischen Erziehungskommission S. 242 6.2. Amerikanische und bayerische Aktionen und Reaktionen von Januar 1947 bis Ende 1948 S. 243 6.3. Schulgeld- und Lernmittelfreiheit S. 266 7. Echo auf die Schulreformdiskussion S. 277 7.1. Die Kirchen S. 277 7.2. Die Diskussion um das humanistische Gymnasium S. 282 7.3. Die Frage der sechsjährigen Grundschulzeit und der Verlängerung der Schulpflicht S. 285 7.4. Amerikanische Bemühungen um Akzeptanz S. 286 8. Die Wallenburg-Stiftung S. 290 9. „Volk und Erziehung" S. 296 10. Landesschulbeirat und Schulpflegschaft S. 298 11. Gemeinde und Schule S. 303 12. Volkshochschulen S. 305 13. Resümee zur Schulreform S. 307 14. Die Lehrerbildung S. 310 14.1. Diskussion der Lehrerbildung zwischen amerikanischer Militärregierung und bayerischem Kultusministerium S. 312 14.2. Die Lehrerbildung im Widerstreit der öffentlichen Meinung S. 322 14.2.1. Die Parteien S. 322 14.2.2. Kirchen und andere gesellschaftliche Kräfte S. 327 14.2.3. Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverein S. 330 14.3. Empfehlungen der Wallenburg-Stiftung S. 334 14.4. Der Streit um die Konfessionalisierung der Lehrerbildung und der „gerechte Lohn" S. 340

VI. Die Auseinandersetzungen um die Bekenntnisschulen und das Schulorganisationsgesetz (SchOG) S. 352 1. Die Volksschule als Bekenntnisschule vor dem Dritten Reich S. 352 2. Gemeinschafts- und Bekenntnisschule im Dritten Reich S. 354 3. Die Frage der Bekenntnisschule vor Inkrafttreten der Bayerischen Verfassung S. 358 3.1. Die Kirchen S. 358 3.2. Die Parteien S. 365 3.3. Konkordat und Vertrag mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern S. 368 4. Die Bayerische Verfassung S. 370 5. Entwicklungen vor Einführung des Schulorganisationsgesetzes S. 375 6. Das Schulorganisationsgesetz S. 378 6.1. Begründung seiner Notwendigkeit S. 378 6.2. Seine Inhalte und Debatten darüber S. 379 6.3. Die katholische Kirche und das Elternrecht S. 384 6.4. Die evangelische Kirche S. 388 6.5. Militärregierung und Schulorganisationsgesetz S. 391 6.6. Publizistische und politische Auseinandersetzung um die Bekenntnisschule und das Schulorganisationsgesetz S. 399 6.7. Auswirkungen des Schulorganisationsgesetzes S. 405

5 6.8. Tatsächliche Situation S. 411 6.9. Abstimmung durch die Erziehungsberechtigten S. 419 7. Der Streit um die Bekenntnisschulen in Mittel- und Oberfranken S. 426 7.1. Einzelne Aspekte aus verschiedenen Gemeinden S. 430 7.2. Zirndorf S. 435 7.3. Treuchtlingen S. 437 7.4. Windsheim S. 443 7.5. Nürnberg S. 457 8. Schulorganisationsgesetz, Bekenntnisschulen und die Lehrer S. 480 8.1. Die Stellung des Lehrers und die Gesetzesbestimmungen S. 480 8.2. Auswirkungen der Konfessionalisierung der Volksschulen auf die Lehrer S. 485 8.2.1. Bereinigung regelwidriger Besetzungen von Schulstellen S. 488 8.2.2. „Lehrer müssen freie Menschen sein." S. 500 8.2.3. Schwierigkeiten der Lehramtsanwärter S. 506 8.3. Einschätzungen S. 509

VII. Die innere Schulreform S. 514 1. Übergeordnete Ziele und konkrete Vorschläge S. 514 2. Übergangsrichtlinien 1945 – Notbehelf und Rückbesinnung S. 521 3. Vorgaben der amerikanischen Militärregierung bei Wiedereröffnung der Schulen S. 523 4. Maßnahmen und Unterrichtsinhalte mit dem Ziel demokratischer Einstellung S. 527 4.1. Verschiedene Anordnungen und Versuche S. 527 4.2. Bücher S. 533 4.3. Sport S. 548 4.4. Englischunterricht S. 549 4.5. Die Pflege des Kulturgutes der verlorenen Ostgebiete und die Pfalz im Unterricht S. 554 4.6. Religionsunterricht S. 560 4.7. Rundfunk und Film im Unterricht S. 561 5. Der Beitrag der Wallenburg-Stiftung zur inneren Schulreform S. 567 5.1. Der Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen S. 567 5.2. Der Beispielkreis Weilheim S. 573 5.3. Tagungen und Seminare S. 576 5.4. Die Beispielschule in Nürnberg S. 577 6. Geschichtsunterricht S. 582 6.1. Richtlinien und Lehrpläne S. 582 6.2. Ein neues Geschichtsbild S. 587 6.3. Vorschläge für Lerninhalte und Schwierigkeiten mit Geschichtsbüchern S. 590 6.4. Erfahrungen damaliger Lehrer und Schüler S. 600 7. Sozialerziehung und Sozialkunde S. 601 7.1. Vorschläge der Amerikaner S. 602 7.2. „Sozial-staatsbürgerliche Bildung“ als Unterrichtsprinzip S. 604 7.3. Unterrichtsmethoden S. 609 7.3.1. Das Gespräch S. 609 7.3.2. „Arbeitsunterricht" S. 613 7.4. Schulleben S. 615 7.5. Sozialkunde als Unterrichtsfach S. 624 7.6. Durchführung und Erfahrungsberichte S. 631 8. Lehrerbildung und –fortbildung im Zusammenhang mit innerer Schulreform S. 637 9. Lehrer- und Schüleraustausch S. 647 10. Schuljugendberatung S. 654

Ergebnisse S. 656

Abkürzungen S. 668

Quellen und Literatur S. 670

6 Einleitung

Nach dem Sieg der alliierten Streitkräfte über Nazi-Deutschland wurde das Land in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Bayern gehörte zur amerikanischen Zone und verfügte, im Gegensatz zu manch anderer deutscher Region über sein altes, nahezu unverändertes Hoheitsgebiet. Aber da gab es keine bayerische Idylle. Die Verhältnisse waren desolat. Von „Nachkriegswirren“ zu sprechen ist legitim, obwohl damit natürlich keineswegs blutige Kämpfe gemeint sind, wie es sie z.B. nach dem Ersten Weltkrieg gegeben hatte. Man denke an die Feindseligkeiten zwischen deutschen Freikorps und polnischen Freischaren in Oberschlesien nach der Volksabstimmung 1921 oder an die Unruhen in Berlin, Bayern, Thüringen, Sachsen und Hamburg in den Jahren 1919 bis 1923. Es gab jedoch tiefgehende politische Richtungskämpfe,1 die erheblich zu einer neuen kulturellen bayerischen Nach- kriegsidentität und nicht zuletzt zur Neuformierung des bayerischen Schulwesens - aller- dings mit ziemlicher zeitlicher Verzögerung - beigetragen haben. Als gemeinsamen Beginn kann man das Erste Kabinett Hoegner (SPD) betrachten, denn hier waren Minister aus den Reihen der Sozialdemokraten, der Christlich Sozialen Union und der Kommunisten vertreten, wobei die kommunistische Präsenz dem Drängen der Besatzungsmacht zu verdanken war.2 Die ersten Kommunalwahlen im Januar, April und Mai 1946 offenbarten die Stärke der gerade erst entstandenen CSU, in der sich Katholiken und Protestanten - obgleich mühsam - zusammengefunden hatten, und die Landtagswahl vom 1. Dezember 1946 bestätigte die parlamentarische Mehrheit dieser Partei.3 Sie war jedoch in sich gespalten: Es gab den Vorsitzenden Josef Müller mit seinen Anhängern, den föderalistisch-altbayeri- schen Flügel um Alois Hundhammer und den eher sozial-fortschrittlichen des Michael Hor- lacher.4 Ein Regierungsbündnis zwischen CSU und SPD hielt kaum neun Monate, und die folgenden Jahre der Alleinherrschaft der CSU waren gekennzeichnet von den heftigen Auseinandersetzungen um die Schulreform. 1948 wurde die Bayernpartei gegründet, die bei der Landtagswahl 1950 überra- schend erfolgreich war, ebenso wie BHE/DG, ein Bündnis aus dem Block der Hei- matvertriebenen und Entrechteten und der Deutschen Gemeinschaft, der nationalistischen Komponente der politischen Landschaft unter Führung des ehemaligen CSU-Abgeordne- ten Haußleiter.5 Die Freie Demokratische Partei hatte geringfügig gewonnen, während die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung und die Kommunisten keine Sitze mehr im Parlament erringen konnten. Die SPD mit den meisten Wählerstimmen - das einzige Mal in der Geschichte des bayerischen Parlamentarismus6 - fand zu einer Großen Koalition mit der CSU, die vier Jahre hielt. Die Landtagswahl 1954 brachte zwar der CSU große Erfolge, aber es bildete sich überraschend eine Viererkoalition aus SPD, BP, FDP und BHE.7 Nachdem die CSU sich von diesem Schlag erholt hatte, konnte sie die nächsten Jahre zu ihrer Regeneration nutzen und nach dem Scheitern der Viererkoalition 1957 als „Massen- und Apparatepartei modernen Typs“ agieren.8 Seitdem hat sie in Bayern das Heft in der Hand behalten.

1 Namen wie Joseph Baumgartner, , Hans Ehard, August Haußleiter, Wilhelm Hoegner, Micha- el Horlacher, Alois Hundhammer, Waldemar von Knoeringen, Carl Lacherbauer, Ludwig Lallinger, Josef Mül- ler, Fritz Schäffer sind verbunden mit der bayerischen Politik der ersten Nachkriegsjahre. 2 Peter Kritzer: Wilhelm Hoegner. Politische Biographie eines bayerischen Sozialdemokraten. München 1979, S. 183. 3 Ebda., S. 257. 4 Ebda., S. 260. 5 Ebda., S. 308. 6 Ebda. 7 Ebda., S. 330 f. 8 Ebda., S. 334.

7 Neben anderen politischen Zielen sah die amerikanische Besatzungsmacht in der Entnazifizierung eine erste wichtige Aufgabe, Umerziehung sollte die Bevölkerung auf den demokratischen Weg bringen. Dabei werteten die Amerikaner die Entnazifizierung als negativen Teil ihrer Besatzungspolitik - die betroffenen Deutschen betrachteten das Verfah- ren verächtlich - , Umerziehung aber, die das Ziel der Demokratisierung verfolgte, wurde mit Enthusiasmus und erheblichem finanziellem Aufwand in vielen Bereichen betrieben. Besonders wichtig und vielversprechend erschien den Amerikanern die Arbeit an den Schulen. Lehrer wurden als wichtige Zielgruppe angesehen, galten sie doch als Multi- plikatoren für demokratische Ideen. Daher waren ihre Entnazifizierung und VViederanstellung sorgfältig zu bedenken und durchzuführen. Zum anderen setzte man die Hoffnung auf die Jugend, die mit demokratischem Geist erfüllt werden und Deutschland in eine bessere friedliche Zukunft führen sollte. Da es kein politisches Bewußtsein geben kann ohne historische Implikationen, mußten die Amerikaner die historische Dimension bei ihren Bemühungen um Demokratisierung im Schulwesen mit einbeziehen. Es gab ja kein Schulkind, das nicht in irgendeiner Form mit dem Nationalsozialismus in Berührung gekommen wäre, und sei es nur durch die Inhalte der Lehrbücher. Auch das bayerische Schulsystem war historisch gegeben, hatte seine Prägung zu einem großen Teil nicht aus der unmittelbaren Vergangenheit, sondern aus der Zeit vor 1933 erfahren, was zu betonen die Protagonisten auf bayerischer Seite nicht müde wur- den. Das gerade machte die Aufgabe der amerikanischen Militärregierung in Bayern so schwierig; denn hier sollte sie auf eine Schultradition treffen, deren zähe Verteidigung sie sich so wohl nicht vorgestellt hatte. Die Schwierigkeit war, sich in den entscheidenden Jah- ren mit gesellschaftlichen Kräften auseinandersetzen zu müssen, die nahtlos an diese bayerische Tradition anknüpfen wollten, ohne zu bedenken, daß zwölf Jahre nationalsozia- listischer Herrschaft historische Vorstellungen und Denkweisen der Bevölkerung verändert hatten. Ankämpfen mußte die Besatzungsmacht auch gegen die Überzeugung, daß die Re-Installierung des traditionellen bayerischen Schulsystems per se Garant sein könne für die angestrebte Demokratisierung. Nur eine neue Sicht der Geschichte, nicht das über- kommene historische Bewußtsein, konnte verändertes politisches Handeln ermöglichen. Das zu erreichen war das Anliegen der Amerikaner. Der Bildungs- und Erziehungsbereich in seiner ganzen Breite wurde zur Heraus- forderung bei der beabsichtigten Demokratisierung an den Schulen. Die äußeren Gege- benheiten kamen erschwerend hinzu. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich unter diesen Aspekten mit den Vorausset- zungen, die im sozialen Umfeld der Schüler lagen, auch den zerstörten Städten und damit zer- störten Schulen. Den Lehrern ist ein umfangreiches Kapitel gewidmet, denn ihre Befind- lichkeit beeinflußt Erziehung und Bildung entscheidend, nicht nur durch das, was sie sagen und tun, sondern auch dadurch, was sie sind. Eine demokratische Schulreform wollten die Amerikaner auf den Weg bringen. Dieser Anspruch wird im Zusammenhang mit den - oft kon- trären - Absichten bayerischer Politiker, vor allem des Kultusministers Alois Hundhammer, betrachtet. Seine Vorstellungen von einer bayerischen Schullandschaft waren eng ver- knüpft mit denen der katholischen Kirche und gipfelten in dem Schulorganisationsgesetz, das wegen seiner Problematik einer ausführlichen Darstellung wert ist. Nicht zuletzt ver- suchte die amerikanische Militärregierung, Einfluß zu nehmen auf Lehrplaninhalte und Unterrichtsformen. Dieser Teilbereich wird erfaßt im Abschnitt über innere Schulreform. Untersuchungen, die sich mit der Nachkriegsgeschichte an bayerischen Schulen befassen, zielen auf die gesamtbayerischen Verhältnisse ab. Vornehmlich ist hier Winfried Müller zu nennen, der Schulpolitik im Widerstreit zwischen Militärregierung und bayeri- scher Kultusbürokratie betrachtet.9 Er konnte erstmals Akten des Bayerischen Staatsmini- steriums für Unterricht und Kultus auswerten, die zwischen 1985 und 1989 dem Bayeri-

9 Winfried Müller: Schulpolitik im Spannungsfeld zwischen Kultusbürokratie und Besatzungsmacht 1945-1949. München 1995.

8 schen Hauptstaatsarchiv München übergeben wurden. Frühere Arbeiten, z.B. von Isa Huelsz10 oder Karl Bungenstab11, untersuchen ebenfalls den politischen Aspekt der Ausein- andersetzungen zwischen bayerischem Kultusministerium und der amerikanischen Besat- zungsmacht oder vergleichen, wie Hans-Werner Fuchs/Klaus-Peter Pöschl12, die einzelnen Besatzungszonen. Im Unterschied dazu wird in der vorliegenden Arbeit versucht aufzuzeigen, wie sich die politische Entwicklung in der konkreten Situation von Lehrern und Schülern abbildet. Es war zu untersuchen, wie sich das wechselvolle Ringen um Erneuerung, Schul- reform und Lehrerbildung, Beharren und Entwickeln vornehmlich im fränkischen Raum darstellt. Oberfranken und Mittelfranken, nach dem Krieg noch einige Jahre als ein gemeinsa- mer Regierungsbezirk geführt13, boten sich an, weil sie einige Besonderheiten aufwiesen. Die Bevölkerung war größtenteils traditionell evangelisch und betrachtete sich gerne als „Beute-Bayern“. Die Politiker waren häufig uneins mit der von München vorgegebenen Linie und fühlten sich als Bayern zweiter Klasse behandelt - auch CSU-Anhänger. Der Regierungsbezirk nahm einen Großteil der Flüchtlinge und, nach der Ausweisung, der Ver- triebenen auf. Schließlich fiel die Wahl auf Mittel- und Oberfranken, weil sich die Verfasse- rin, die seit 1977 in Ansbach an einer Hauptschule unterrichtet, diesem Raum besonders verbunden fühlt. So konnten zahlreiche Kontakte zu pensionierten Kollegen geknüpft werden, die die vorgefundenen schriftlichen Quellen durch Zeitzeugenberichte ergänzten. Die Frage war, wie Maßnahmen, Bestimmungen und Gesetze sich konkret auf den Mikrokosmos Schule niederschlugen, ob sie Zustimmung, Unmut, Verstörung hervorriefen, welche Reaktionen sichtbar wurden. Möglicherweise bewirkten örtliche Verhältnisse je ver- schiedene Gestaltung vorgegebener Anordnungen oder ihre zeitliche Verzögerung. Gab es Persönlichkeiten, die durch ihr Engagement Zumutungen abwehren konnten oder umge- kehrt sich um die peinliche Erfüllung von Vorschriften kümmerten? Interessant war auch, ob die Regierungsbezirke Mittel- und Oberfranken regionale Besonderheiten in München durchsetzen konnten, wie überhaupt die realen Verhältnisse nach oben wirkten. Gelang es, Impulse zu geben, die mittel- oder langfristig in einem Reformprozeß wirksam wurden? Nicht in jedem Kapitel war es erforderlich, den fränkischen Aspekt zu prononcieren, betrafen äußere Schulreform und Lehrerbildung doch den bayerischen Flächenstaat als Ganzes. Gleichwohl waren sie als Teil des Ganzen nicht zu vernachlässigen, zumal Beispiele aus der Region verdeutlichen, wie Schulreform durchgesetzt bzw. vereitelt wurde. Und gerade dieser Abschnitt erlaubt den vertieften Blick in die Vorgehensweise bayerischer Poli- tiker, der Amerikaner und der Kirchen. Er ist unverzichtbar zur Klärung der bayerischen Verhältnisse, von denen der amerikanische General und spätere Militärgouverneur der US- Zone, Lucius D. Clay, einmal sagte, die Politik in diesem Lande sei zwar mannigfaltig, aber nie langweilig14, der amerikanische Journalist Walter Dorn dagegen, die Militärregierung werde von der bayerischen Atmosphäre aufgesogen.15 Teilweise stützen sich Ergebnisse und Einschätzungen auf Berichte einzelner aus der fraglichen Zeit. Ihre verständlicherweise subjektive Biographie ermöglicht ein facettenrei- ches Bild der Alltagssituation im Bereich der bayerischen bzw. fränkischen Schule. So wird die Lebenswirklichkeit auch aus der mehr als fünfzigjährigen Distanz nachvollziehbar. Auch auf Broschüren, Aufsätze und Briefe aus der damaligen Zeit, selbst wenn sie von Unbe- kannten oder Unbedeutenden stammen, wurde nicht verzichtet, tragen sie doch zur Erfas-

10 Isa Huelsz: Bayern zwischen Demokratisierung und Restauration in den Jahren 1945-1950. Hamburg 1970. 11 Karl-Ernst Bungenstab: Umerziehung zur Demokratie? Re-education Politik im Bildungswesen der US-Zone 1945-1949. Düsseldorf 1970. 12 Hans-Werner Fuchs/Klaus-Peter Pöschl: Reform oder Restauration? Eine vergleichende Analyse der schulpo- litischen Konzepte und Maßnahmen der Besatzungsmächte 1945-49. München 1986. 13 Gesetz Nr. 123 Zur Wiederherstellung der Kreise Niederbayern, Oberpfalz, Oberfranken und Mittelfranken vom 20.4.1948 (GVBl. Nr. 11/19.5. 1948, S. 79). 14 Lucius D.Clay: Entscheidung in Deutschland. Frankfurt (Main) 1950, S. 112. 15 Walter L.. Dorn: Inspektionsreisen in der US-Zone. Notizen, Denkschriften und Erinnerungen aus dem Nach- laß übersetzt und herausgegeben. Stuttgart 1973. Herausgegeben von Lutz Niethammer, S. 143.

9 sung der allgemeinen Stimmung bei und belegen, daß die Bürger nach zwölf Jahren dauernder Reglementierung ihre Stimme erhoben und ihre Meinung äußerten. Auf- schlußreich war es auch, ehemalige Schüler und Lehrkräfte befragen zu können. Oral history mag ihre Probleme haben, da in der Erinnerung Erlebnisse verblassen oder eine andere Gewichtung erfahren. Die Gefahr des Anekdotischen muß bedacht werden. Trotzdem stellt sie für diese Arbeit eine Bereicherung dar, denn sie belegt entweder die allgemeine Richtung von Entwicklungen oder zeigt, wie einzelne Schicksale davon ausgenommen wurden; sie erhellt die regionale Ausformung staatlicher Verordnungen und Gesetze, auch, wie man ihnen mit Geschick und Witz ein Schnippchen schlägt. Sie entlarvt sowohl die Unbarmherzigkeit als auch die Unsinnigkeit mancher Verordnungen und die undemo- kratische Art und Weise, mit der diese von oben oft durchgedrückt wurden. Hilfreich ist Oral history bei der Annäherung an die geschichtliche Wahrheit - und sie eröffnet in manchen Bereichen ein sehr differenziertes Bild, das man so nicht vermutet hätte. Die wichtigsten Erkenntnisse erschlossen sich aus der Auswertung von Archivbestän- den. Im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München konnten die Akten des Kultusministeri- ums und der Staatskanzlei gesichtet werden. Daraus ergaben sich neben bereits vorhande- ner Literatur die Hauptlinien der bayerischen Kulturpolitik. Als wichtige Ergänzung dazu erwies sich das Staatsarchiv in Nürnberg, das mit seinen Materialien der Regierung von Mittelfranken Beispiele für die fränkische Variante lieferte. Das Gleiche gilt für das Landes- kirchliche Archiv in Nürnberg. Hier konnte wertvolles Material erschlossen werden, das die kon- fessionelle Komponente des Themas belegt. Das Archiv des Erzbistums Bamberg verfügt ebenfalls über umfangreiche Bestände, die teilweise noch der Erschließung bedürfen. Die Stadtarchive von Nürnberg und Bad Windsheim boten Materialien zur lokalen Ausfor- mung. Die politischen Archive (Friedrich-Naumann-Stiftung für die FDP, Friedrich-Ebert-Stiftung für die SPD, Hanns-Seidel-Stiftung für die CSU) konnten genutzt werden. Für Franken besonders aufschlußreich erwies sich das Archiv der FDP, hatte sie doch in Franken in dieser Zeit eine ihrer Hochburgen. Einige wichtige Unterlagen fanden sich im Archiv des BLLV, des Hardenberg-Gymnasiums in Fürth, des Staatlichen Schulamts der Stadt Nürnberg, des Schul- und Kulturreferats der Stadt Nürnberg, des Stadtarchivs Fürth, des Stadtarchivs Leutershausen (Mfr). Die Betonung des fränkischen Aspekts machte es erforderlich, ent- sprechende Tageszeitungen auszuwerten. Privatarchive boten die Möglichkeit, amtliche Dokumente mit persönlichen Aufzeichnungen zu konfrontieren. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Walter Fürn- rohr, der mich durch persönliche Gespräche in dem Thema bestärkte und die Arbeit stets anregend und engagiert betreute. Den Lehrveranstaltungen von Herrn Professor Dr. Karl- Heinz Metz verdanke ich die Sensibilisierung für Methoden geschichtlicher Forschung. Herr Dietrich Biernoth, Herr Hermann Dehm und Herr Martin Ringel stellten mir generös ihre Privatarchive zur Verfügung. Dafür sei ihnen ganz herzlich gedankt. Mein Dank gilt eben- falls den vielen Zeitzeugen, die bereitwillig und geduldig die Lebensumstände der damali- gen Zeit geschildert haben. Allen im Quellenverzeichnis vermerkten Archiven und den Mit- arbeiterinnen und Mitarbeitern der Staatlichen Bibliothek Ansbach und der Bibliothek des Verwaltungsgerichtes danke ich ebenfalls für ihre Unterstützung. Nicht vergessen werden soll Herr Alexander Biernoth, der manches organisatorische Problem für mich löste. Meine Schwester Dr. Brigitte Hohlfeld und mein Schwager Dr. Klaus Hohlfeld haben den Fortgang der Arbeit mit wissenschaftlichem Interesse begleitet. Beiden danke ich von Herzen.

10 I. Vorstellungen, Pläne und Zielsetzungen der Amerikaner vor Kriegsende

1. DIE DISKUSSION DER DEUTSCHEN FRAGE IN DEN USA

„Das hauptsächlichste Kriegspotential Deutschlands ist das deutsche Volk“1, hieß es in der ersten Fassung eines Memorandums über die Ziele der amerikanischen Regierung bei der Besetzung Deutschlands, das das State Department Central Sekretariat am 12. Juli 1945 den engeren Mitarbeitern von Außenminister Byrnes vorlegte. Dieser Satz wies program- matisch auf das Besatzungsziel der USA, die Umerziehung der Deutschen, hin und spiegel- te andererseits weit verbreitete Ansichten über das deutsche Volk wider. Als eine der Ursachen für die latente Kriegsbereitschaft der Deutschen wurde die deutsche Philosophie festgemacht. Ihre Wertsetzungen, z.B. bei Kant, Fichte und Hegel, seien Bausteine des deutschen Nationalismus und Sendungsbewußtseins und folglich ein Nährboden für den NS-Staat gewesen.2 Auch Präsident Roosevelt sprach die deutsche Phi- losophie, die man streng genommen eher Ideologie hätte nennen sollen , an, als er die bedingungslose Kapitulation forderte. Letztere diene der „Zerstörung einer Philosophie, deren Grundlage auf der Eroberung und Unterjochung anderer Völker“3 beruhe. Während aber Roosevelt bezweifelte, daß diese „Philosophie“ durch Dekret, Gesetz oder militärischen Befehl geändert werden und eine Umwandlung, wenn überhaupt durch- führbar, nur evolutionär über mindestens zwei Generationen erfolgen könne4, sahen ande- re Teilnehmer an der amerikanischen Umerziehungsdiskussion Möglichkeiten, Änderungen herbeizuführen, bzw. betonten die Notwendigkeit einer radikaleren Lösung im Interesse der friedliebenden Völker. Zur radikalen Gruppe zählten die Vansittartisten, die behaupteten, „daß das Naziregime ... einer Verkörperung des deutschen Volkes näher kommt als alle son- stigen Regierungsformen, die die Deutschen je gehabt haben“5. Aus dieser Annahme ergab sich die These der Kollektivschuld, da die Aggression durch das Dritte Reich nicht als spezi- fisch nationalsozialistisch, sondern als allgemein deutsch angesehen wurde.6 Rebecca Boeh- ling folgert daraus, daß diese Meinung „nachhaltige Rückwirkungen auf die Bildungs- und Kulturpolitik in der US-Zone hatte“7. Festzuhalten ist, daß unter dem Eindruck der Bilder aus den Konzentrationslagern sich die Einstellung der amerikanischen Öffentlichkeit ver- härtete und Ressentiments gegenüber den Deutschen an Einfluß gewannen. So wurde von der „Bedrohung der Weltsicherheit“, vom „Feuer des Hasses, der Gier und der Gewalt- tätigkeit“8 der Deutschen gesprochen. Diese Haltung beeinflußte einige Zeit auch die Ent- nazifizierungsmaßnahmen der Militärregierung.

1 Bungenstab, S. 42. 2 Fuchs/Pöschl, S. 30. 3 Rebecca Boehling: Das antideutsche Vorurteil in den USA und seine Wirkung auf die Nachkriegspolitik in der US-Zone 1943-1947. In: Bildung und Erziehung, 34. Jg. 1981, S. 136. 4 Ebda 5 Ebda., S. 138. Sie zitiert William L. Shirer, in: Look. Januar 1943, S. 19. 6 Ebda., S. 136. 7 Ebda. 8 Ebda., S. 142.

11 Gemäßigtere Kreise sprachen zwar auch von den gefährlichen Charaktereigen- schaften des deutschen Volkes9 und dessen „Gelehrigkeit in der Annahme militärischer und gesellschaftlicher Disziplin“10, aber hier überwog die Auffassung, daß es sich beim Natio- nalsozialismus um eine „krankhafte (...) Verirrung mit kriminellen Folgen“11 handelte, um eine Krankheit, deren Erreger in der deutschen Vergangenheit lägen12. Vielleicht hatte man dabei Friedrich II. von Preußen und seine Staatsraison oder Wilhelms II. imperialistische Groß- spurigkeit vor Augen. Der Tenor lautete: „... bring people back to sanity“13, hier ist ein hoch- entwickeltes Volk, leidend unter den Folgen einer pervertierten Erziehung.14 Daß das besiegte Deutschland eine spezielle Behandlung erfahren müsse, stand fest. Einig waren sich alle Gruppen darüber, daß eine Umerziehung des deutschen Volkes, „Re- education“, anzustreben sei, doch Methode und endliches Ziel differierten je nach Stan- dort. Die „hardliner“ unter den Pläneschmieden, Anhänger Henry Morgenthaus jun., ver- langten eine bestrafende Behandlung Deutschlands. Neben der Forderung, das Land zu ver- kleinern, in Teilstaaten aufzuteilen, die Industrie zu zerschlagen und die Bodenschätze aus- zubeuten, um ein reines Agrarland zu erreichen15, wurden, da man vom aggressiven Cha- rakter des deutschen Volkes ausging und bezweifelte, ob eine Demokratisierung überhaupt möglich sei, keine neuen demokratischen Erziehungsziele aufgestellt.16 Die Deutschen soll- ten nur keine Mittel mehr haben, „ihren aggressiven Tendenzen freien Lauf zu lassen“17, und eine weitere Erziehung „im Sinne preußischen Militarismus“18 sollte verhindert wer- den. Und da für die Angehörigen eines Agrarstaates einfache Bildung genügte, sollten höhere Schulen und Universitäten geschlossen werden, nur Volksschulen mit streng entna- zifizierten Lehrern und Lehrbüchern ihre Pforten öffnen.19 „All schools and universities will be closed untill an Allied Commission of Education has formulated an effective reorganisa- tion program ...“20. Neben die Befürworter des harten Friedens trat die Gruppe der „Realpolitiker“21 oder „Wiederaufbaupolitiker“22, die für einen gemäßigten Frieden und eine rasche Inte- gration Deutschlands in das kapitalistische Wirtschaftssystem plädierte. Da hier Fachleute der Hochfinanz, vertraut mit internationalen Bankgeschäften, dominierten, galt ihr Interes- se der wirtschaftlichen Bedeutung Europas für die USA. Ihnen ging es um amerikanische Machtpolitik, und sie befürchteten, daß eine Ausdehnung sowjetischer Interessen die ame- rikanische Wirtschafts- und Sicherheitspolitik gefährden könnte, wenn ein wirtschaftlich geschwächtes und politisch entmachtetes Deutschland seine Funktion als Schutzwall gegen

9 Bungenstab, S. 24. 10 Ebda., S. 42. 11 Ebda., S. 22. 12 Huelsz, S. 18 f. 13 Ebda. 14 Bugenstab, S.26. 15 Hans Herzfeld (Hrsg.): Geschichte in Gestalten. Bd. 3. Frankfurt/Main 1981, S. 192. 16 Fuchs/Pöschl, S. 27. 17 Boehling, S. 135. 18 Fuchs/Pöschl, S. 27. 19 Ebda.; Ulrich Mayer: Neue Wege im Geschichtsunterricht? Studien zur Entwicklung der Geschichtsdidaktik und des Geschichtsunterrichts in den westlichen Besatzungszonen und in der Bundesrepublik 1945 – 1953. Köln, Wien 1986, S. 258. 20 Fuchs/Pöschl, S. 27. 21 Mayer, S. 255. 22 Boehling, S. 134.

12 die Sowjetunion nicht wahrnehmen könne.23 Für sie hieß die logische Folgerung: Deutsch- lands Wirtschaftspotential muß aufrechterhalten werden; und für die Realpolitiker konnte „ein dem Westen verpflichtetes Deutschland nur ein demokratisches Deutschland sein“24. Diese Forderung setzte natürlich auch ein anderes Umerziehungs- und Erziehungsziel vor- aus. Präsident Roosevelt hatte ein offenes Ohr für die Pläne der Morgenthau-Anhänger gehabt, den Deutschen aber doch einen Weg zurück in die Gemeinschaft der friedliebenden und die Gesetzte einhaltenden Nationen in Aussicht gestellt.25 Unter Präsident Truman gelangten die Real- oder Wiederaufbaupolitiker in Schlüsselstellungen im Kriegs- und Außenministerium und später auch in der amerikanischen Militärregierung in Deutschland.26 Ihre Vorstellungen setzten sich durch. Schneller, als ihnen lieb war? Eine Reihe von Gruppen, Vereinigungen und Interessenvertretungen in den USA griff in die Re-education-Diskussion ein, deren Vorschläge und Denkschriften an die Öffent- lichkeit gelangten.27 Eine dritte Kraft neben dem Morgenthau-Kreis und den Wiederauf- baupolitikern hebt besonders Rebecca Boehling hervor. Sie weist auf die deutschen Emi- granten hin, ehemalige Mitglieder von SPD und KPD, in denen viele Amerikaner positive deutsche Vorbilder sahen und die ein Beweis dafür zu sein schienen, daß es sich bei den Deutschen weniger um ein kollektiv schuldiges als vielmehr in seiner Mehrheit um ein unde- mokratisches und naives Volk handelte, das „eine falsche Sache während einer sozialen und wirtschaftlichen Krise blind unterstützt hatte“28. Die Diskussion um die schwierigen Deutschen mündete in die Forderung, Ände- rungen herbeizuführen. Dieser Prozeß wurde als „Re-education“ bezeichnet, und obwohl es „keine klare und für die politische Planung brauchbare Definition des Begriffes“29 gab, wurde er in den USA vielfach umschrieben als ein Vorgang der „Um-wertung der geistigen und kulturellen Werte des deutschen Volkes, eine ... Rückführung Deutschlands in die Kul- turgemeinschaft zivilisierter Nationen“30, die es verlassen hatte in der Zeit der nationalso- zialistischen Herrschaft. Dabei mußte viel mehr berücksichtigt werden als das eigentliche Erziehungswesen, das aber immer im Blickfeld der Amerikaner lag.31 Die Wortwahl „Re- education“ oder auch „Re-orientation“ signalisiert bereits die Absage an ein Deutschland- bild, wie es von den Vansittartisten oder Morgenthau-Anhängern gezeichnet wurde. Sie beinhaltet „Rückführung“, „Wiedererlernung vergessener Traditionen“32, „Wieder-

23 Mayer, S. 259 f. 24 Bugenstab, S. 25. 25 Bungenstab, S. 33. Er bezieht sich auf Leland M. Goodrich und Marie J. Carroll (Hrsg.): Documents in Ameri- can Foreign Relations, Vol. VII. July 1944 - June 1945. Publ. for The World Peace Foundation. Princeton 1947. 26 Mayer, S. 259. 27 Bungenstab, S.26. Er erwähnt z.B. „Universities Committee on Post-War-International Problems“, „Institute on Re-education of the Axis Countries“, „US Committee on Educational Reconstruction“, „Council for Democratic Germany“ (Das waren deutsche Emigranten.). 28 Boehling, S. 135. 29 Bungenstab, S. 28. Er zitiert Harold Zink: American Military Government in Germany. New York 1947, S. 147. Hier heißt es: „Re-education gehört natürlich zu jener Art von Phrasen, die eine weite Interpretation zulas- sen...“. 30 Bungenstab, S. 19. 31 Zum Begriff „Re-education“ vgl. Bungenstab, besonders S. 18-22. 32 Fuchs/Pöschl, S. 23.

13 belebung des kulturellen Erbes“33, „Wechsel von der autokratischen zur demokratischen Elite“34. Es mußten also in Deutschland Kräfte oder vielleicht auch nur Strömungen vor- handen sein, auf die man ein Re-education-Programm aufbauen oder die man wenigstens einbeziehen konnte. Etliche Vorschläge zum „Wie“ der Re-education gingen jedenfalls davon aus. Zwar sprach man den Deutschen das rechte Demokratieverständnis ab, da sie während der Weimarer Republik Demokratie nur als ineffiziente Regierungsform kennen- gelernt hätten oder sie vor allem auf den Bereich der individuellen Freiheiten bezögen, nie- mals aber im „angelsächsischen Sinne einer Gesellschafts- und Lebensform“35 betrachte- ten, aber man baute doch auf die freiwillige Mitarbeit der Deutschen. Ja, man hielt sie für absolut notwendig, nicht nur, weil nach „der psychiatrischen Theorie ... der Erfolg des Hei- lungsprozesses neben der Einsicht des Patienten auch von seiner gutwilligen aktiven Mitar- beit abhängt“36, sondern vor allem, weil man – nicht zu Unrecht – befürchtete, daß Zwang starken Widerstand hervorrufen würde. „To force a specific belief upon people will cause a strong resistance against this belief.“37 Außerdem, und hier lag das Dilemma, hätte es dem Wesen der Demokratie widersprochen, hätte man sie mit undemokratischen Mitteln ein- geführt. Gleichwohl meinte beispielsweise Kurt Lewin, daß „Menschen manchmal mit Gewalt in demokratische Verantwortlichkeit gedrängt werden...“38 müßten. Die deutschen Emigranten, die sich im „Council for Democratic Germany“ zusam- mengefunden hatten, forderten ebenfalls, „Kräfte innerhalb Deutschlands selbst ...“39 für die Re-education zu nutzen. Dieses Postulat war ganz im Sinne der Wiederaufbaupolitiker in der amerikanischen Regierung. Sie bevorzugten die Mitarbeit Deutscher, die im Reich geblieben waren, und sahen ungern deutsche Exilpolitiker am Aufbau der Verwaltung betei- ligt, da sie sozialistische Reformen befürchteten. Vor allem deutsche Sozialdemokraten leb- ten im westlichen Exil, und man traute ihnen solche Absichten zu.40 Die britische Regierung schließlich stimmte den Vorstellungen, deutschen Kräften beim demokratischen Aufbauprozeß den Vorzug zu geben, zu, als sie bereits im August 1943 in einer Kabinettsvorlage lapidar feststellte: „The days of St. Boniface are passed“41, was besagte, daß die Zeit der Missionierung durch die schottisch-irischen Mönche vorbei war.

33 Bungenstab, S. 41. 34 Ebda., S. 23. 35 Huelsz, S. 21. 36 Bungenstab, S. 22. 37 Fuchs/Pöschl, S. 35. Sie zitieren Maximilian Beck, Harvard Educational Review, Vol. XV, Nr. 3. Mai 1945, S. 226. 38 Bungenstab, S. 23. Kurt Lewin (1890-1947), einer der einflußreichsten amerikanischen Sozialpsychologen, lehrte von 1921 bis 1932 am Psychologischen Institut Berlin und ab 1932 an verschiedenen Universitäten in den USA. Wie John Dewey glaubte er, daß Demokratie immer neu gelernt werden müsse. (Wilhelm Berns- dorf/Horst Knospe (Hrsg.): Internationales Soziologenlexikon. Bd. 1, 2. Aufl., Stuttgart 1980, S. 248 f.). 39 Ebda., S. 26. 40 Mayer, S. 266 f. 41 Manfred Overesch: Kulturelle Neuanfänge in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg. Renaissance, Restaurati- on, Moderne. In: Deutsche Studien 27 (1989), S. 231.

14 Es hatten sich also im Verlaufe der Diskussion um die deutsche Frage folgende Ant- worten herauskristallisiert: Ein demokratisches Deutschland sollte ein Bollwerk sein gegen den sowjetischen Einfluß auf Europa. Also mußte so ein demokratisches Staatswesen unter alliierter Kontrolle errichtet werden.42 Das mußte einhergehen mit dem Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft.43 Problematisch dabei war, daß die demokratische Idee in einer Gesellschaft umzusetzen war, die sich nach Ansicht der Amerikaner undemokratisch struk- turiert zeigte, einer Klassengesellschaft mit „autoritären Haltungen und obrigkeitsstaatli- chen politischen Denkmodellen“44, die es zu beseitigen galt, wollte man nicht, wie die Wei- marer Republik, scheitern. Hierbei befand man sich in der Zwangslage, daß „Demokratie auf Befehl“ dem Wesen der Demokratie zutiefst widersprach und den Widerstand der Deut- schen hervorrufen würde, ein Dilemma, das tatsächlich zu den größten Schwierigkeiten führte, nicht zuletzt auf dem Feld, das zu beackern den Amerikanern sehr am Herzen lag, der Jugendarbeit, dem Bildungs- und Erziehungswesen. Einen Ausweg aus diesem Problem sah man in der Absicht, „zuverlässige“ Deutsche an dem Prozeß zu beteiligen, vorhande- ne demokratische Traditionen der Weimarer Republik fruchtbar zu machen und vor allem der Jugend die demokratische Lebensweise nahezubringen.

42 Fuchs/Pöschl, S. 28. 43 Ebda. 44 Huelsz, S. 21.

15 2. VORBEREITUNGEN AUF DIE BESETZUNG DEUTSCHLANDS

Im Kreis um Roosevelt hatte es eine konkrete Planung nicht gegeben.1 Der Präsi- dent selbst entwickelte zwar allgemeine Ideen2, machte jedoch keine detaillierten Pläne. Er lehne das ab, so bekundete er, für ein Land, das die USA noch nicht besetzt hätten.3 Auf dieses offen gezeigte Desinteresse Präsident Roosevelts führt Bungenstab es zurück, daß die Planung für eine weitsichtige, wohlüberlegte Demokratisierung Deutschlands und für die Verwirklichung der Umerziehungsidee gehemmt, ja sogar nachhaltig gestört wurde.4 Gleichwohl bezogen am 11. Mai 1942 die ersten 49 „Studenten“, vom War Department ausgewählte Offiziere, die Universität von Virginia, um an der „School for Military Government“ in „civil affairs“ ausgebildet zu werden. Daneben wurden zehn Civil Affairs Training Schools an bekannten amerikanischen Universitäten eingerichtet.5 Die Lerninhalte umfaßten u.a. Fragen der öffentlichen Verwaltung, Grundlagen des Kriegsvölkerrechts, Erfahrungen der amerikanischen Militärverwaltung im Ersten Welt- krieg, Einblicke in die europäische Geschichte und in die Landeskunde der verschiede- nen Staaten und ein bißchen Sprachunterricht.6 In insgesamt sieben Kursen wurde bis Juni 1944 Führungspersonal für den Einsatz im Mittelmeerraum und in Nordwesteuropa ausgebildet7, darunter circa 200 Speziali- sten für die Tätigkeit im Erziehungswesen. Etliche waren auch im Zivilberuf Erzieher oder Lehrer.8 Sie wurden als Erziehungsoffiziere in Kampfdivisionen in Europa und Nord- afrika eingesetzt, jedoch sehr „stiefmütterlich“ behandelt, d.h. daß nach zwei Jahren noch keiner befördert worden war, und so kehrten sie nach Möglichkeit in die USA zurück. Die Folge war, daß am Tag der Kapitulation im US-Besatzungsgebiet nur zehn amerikanische Bildungsexperten zur Verfügung standen.9 Diese Entwicklung stand im Gegensatz zur Erkenntnis der militärischen Planungs- stäbe, daß nämlich eine Militärregierung für Deutschland eine außerordentliche politi- sche Bedeutung haben würde.10 Einer der ersten Ansätze politischer Planung im State Department war die Gründung des „Interdivisional Country Committee“, das die Auf- gabe hatte, unter Leitung von Deutschland-Experten sich mit der politischen Gestaltung der zu besetzenden Gebiete zu befassen und Empfehlungen zu erarbeiten, die Arbeits- grundlage für das Außenministerium sein konnten.11 So forderte das Komitee im Som- mer 1944 amerikanische Stellen dazu auf, sich „um die Kultivierung von Prinzipien und Pra- xis der Demokratie in den deutschen Schulen zu bemühen“. Eine „grundlegende Ände- rung der deutschen Haltung gegenüber Krieg und Ultra-Nationalismus“ sollte erreicht werden.12 Als Maßnahmen empfahl man Säuberungsaktionen gegen Lehrer mit natio-

1 Bungenstab, S. 25. 2 Ebda., S. 33. 3 Ebda., S. 36. 4 Ebda., S. 36 f. 5 Ebda., S. 58. 6 Klaus-Dietmar Henke: Die amerikanische Besetzung Deutschlands. München 1995, S. 220 f. 7 Ebda. 8 Bungenstab, S. 59. 9 Mayer, S. 265. 10 Bungenstab, S. 35. 11 Ebda. 12 Mayer, S. 261. Er zitiert James Tent: Education and Religious Affairs Branch. OMGUS und die Entwicklung amerikanischer Bildungspolitik 1944 bis 1949. In: Manfred Heinemann (Hrsg.): Umerziehung und Wieder- aufbau. Die Bildungspolitik der Besatzungsmächte in Deutschland und Österreich. Stuttgart 1981, S. 69.

16 nalsozialistischer Vergangenheit und Ausmerzung ebensolcher Propaganda aus den Schulbüchern. Hier wurde aber auch bereits gefordert, Reformen im deutschen Erziehungswesen weitgehend in die Verantwortung der Deutschen zu stellen, da eine ideologische Umkehr am ehesten zu fördern sei, „wenn man den Deutschen die Frei- heit zur Wiederaufnahme positiver kultureller Traditionen überlasse“.13 Die amerikani- sche Rolle dabei sollten Beratung und indirekte Kontrolle sein. Die in den Vereinigten Staaten ausgebildeten amerikanischen Militärregierungs- offiziere erhielten ab Winter 1943/44 ihre weitere Ausbildung in England.14 Es hatte sich zum selben Zeitpunkt SHAEF gebildet, die Supreme Headquarters of Allied Expeditio- nary Forces; das hieß, daß die Militärregierungsstäbe in anglo-amerikanischer Kooperati- on arbeiteten.15 Im Bereich Erziehung gab es erst im März 1944 eine feste Abteilung, „als ... der britisch-amerikanische Planungsstab German Country Unit beim SHAEF Civil Affairs Staff in London ins Leben gerufen wurde“16. In dieser Education and Religious Affairs Section gab es zwei Männer, die Hervorragendes leisteten: John W. Taylor und Marshall Knappen. Taylor, ehemals Professor für Pädagogik am Teacher´s College der Columbia Universität, kannte das deutsche Schulsystem, da er zur Zeit der Weimarer Republik ein Jahr Lehrer in Berlin gewesen war und noch einmal 1933 in Deutschland geweilt hatte, um die neue Situation zu beurteilen.17 Ihm oblagen die Erziehungsfragen. Knappen, Historiker und Politikwissenschaftler an der Universität Chicago18, war für reli- giöse bzw. kirchliche Angelegenheiten zuständig. Zu ihnen stieß ein dritter Experte, George Geyer, Leiter des College in Glendale und bereits in Neapel Erziehungsoffizier.19 Die Abteilung hatte immer Personalschwierigkeiten. Briten und Amerikaner stellten während der Zusammenarbeit der SHAEF-Periode nur sechs Offiziere für die Pla- nung des Wiederaufbaus und der Reform des deutschen Bildungswesens zur Verfü- gung.20 Außerdem bildete man in Manchester, wo aus Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften Military Government Detachments zusammengestellt wurden21, neun weitere Offiziere aus, die als Erziehungsberater für die Länder-Militärregierungen fun- gieren sollten.22 Noch 1944 wurde SHAEF German Country Unit wieder in seine beiden „natio- nalen Bestandteile“ aufgelöst.23 Der amerikanische Teil hieß nun United States Group Control Council (US Group CC). „Die Unterabteilung Education and Religious Affairs Section wurde zunächst der Politischen Abteilung und später der Public Health and Wel- fare Branch in der International Affairs and Communications Division untergeordnet, wo sie bis 1948 blieb. ... Erst 1947, als sich die restaurativen Tendenzen und die damit für die Umerziehungspläne der Amerikaner nachteiligen Faktoren im deutschen Bil- dungswesen bereits durchgesetzt hatten“ – wie noch darzulegen sein wird – „wurde die Erziehungsabteilung zu einer eigenen `Division` ... aufgewertet.“24

13 Mayer, S. 261. 14 In dem Dorf Shrivenham in Berkshire wurde das „Civil Affairs Center“ errichtet. (Henke, Die amerikanische Besetzung, S. 228). 15 Huelsz, S. 97 f. 16 Bungenstab, S. 59. 17 Mayer, S. 266. 18 Huelsz, S. 100 f. 19 Ebda. 20 Bungenstab, S. 59. 21 Henke, Die amerikanische Besetzung, S. 230. 22 Bungenstab, S. 59. 23 Bungenstab sagt, aus Rücksicht auf die Sowjetunion. (S.60). 24 Bungenstab, S. 60. Zum Civil Affairs Training Programm (CATP) vgl. Henke, Die amerikanische Besetzung, S. 223-227. „Division“ ist hier nicht als militärische Einheit zu verstehen, sondern in Weiterführung einer „sec- tion“ als eigene Abteilung innerhalb einer Institution.

17 Wenn man bedenkt, daß die Re-education der Deutschen das wesentliche Mittel zur Demokratisierung sein sollte und das Erziehungswesen der zentrale Aus- gangspunkt dazu, daß diese Fragen in den USA auf ein großes öffentliches Interesse stießen und als außerordentlich wichtig hinsichtlich der amerikanischen Nachkriegspolitik eingestuft wurden, daß etliche Komitees sich mit Re-education beschäftigten25, dann verblüfft die vernachlässigte politische Planung ebenso wie die unzureichende personel- le Vorbereitung.26 Die Erziehungsabteilung innerhalb der amerikanischen Besatzungs- verwaltung hatte eine eher schwache Stellung, litt unter ständiger personeller Unterbe- setzung und mangelnder Einflußmöglichkeit.27 Harold Zink, Berater des US Group CC, meinte, „... Education was given a third, a fourth level position in the early planning of US Group Control Council for Germany.“28 Vorrangig waren in dieser Situation des Kriegsendes die nationalen Interessen der USA innerhalb der Weltpolitik. Die Angehörigen der Erziehungsabteilung hatten wenig Konkretes in Händen. Grundsätze der amerikanischen Bildungspolitik im besetzten Deutschland wurden in einer Empfehlung niedergelegt, die das State Department in Zusammenarbeit mit einem Hochschullehrer-Gremium erstellt hatte und die als „Long-Range Policy State- ment“ erst Mitte 1946, nach einem Jahr, unter der Registriernummer SWNCC 269/5 an die amerikanische Militärregierung in Deutschland (OMGUS) übermittelt wurde.29 Man hätte in ihr vergeblich nach detaillierten Reformvorschlägen gesucht. Punkt 1 dieser Empfehlung lautete: „Die kulturelle und moralische Umerzie- hung der Nation muß ... in Verbindung mit einer Politik stehen, die die Stabilität einer friedlichen deutschen Wirtschaft wiederherstellt ...“. Hier setzten sich die Realpolitiker durch.30 Auch forderte man – sehr pauschal – die „psychologische Entwaffnung“ des deutschen Volkes; und unter Punkt 6, das Schulwesen betreffend, „The reconstruction of the cultural life ... must be in large measure the work of the Germans themselves“.31 Es sollte dabei auf solche Kräfte zurückgegriffen werden, „die eine friedliche Entwick- lung neuer Ideale, Werte und Institutionen“ versprachen, und da die zentrale Führung Deutschlands zusammengebrochen war, setzte man auf regionale und lokale Einrich- tungen und Verantwortung auch im Schulbereich.32 Und wenn auch ein Konzept für die schulische Neuorientierung innerhalb der Gesamtbesatzungspolitik fehlte und die Richt- linien eher vage formuliert waren, so machte man sich doch mit der Erkenntnis auf den Weg, daß einer historisch gewachsenen Kultur wie der deutschen nicht in kürzester Zeit ein völlig fremdes Bildungswesen übergestülpt werden könne.

25 Im State Department z.B. „Interdivisional Country Committee on Germany“; „Working Security Commit- tee“; der amerikanische Stab bei der Londoner “European Advisory Commission“. (Bungenstab, S. 37). 26 Bungenstab, S. 57; Mayer, S. 253. 27 Mayer, S. 269. 28 Harold Zink: The United States in Germany 1944 – 1955. Princeton 1957, S. 194; zitiert nach Mayer, S. 254. 29 Mayer, S. 279 f; Bungenstab, S. 39 ff. 30 Mayer, S. 280. 31 Ebda. 32 Bungenstab, S. 41.

18 II. Rahmenbedingungen der Siegermächte und Beginn der amerikanischen Besatzung

1. POTSDAMER ABKOMMEN UND ALLIIERTER KONTROLLRAT

Bereits Mitte 1944 hatte sich, auf britische und sowjetische Anregung hin, ein Gre- mium in London zusammengefunden, die „European Advisory Commission“ (EAC), deren Mitglieder, Diplomaten der USA, Großbritanniens und der Sowjetunion, sich als interalliier- te politische Planungskommission verstanden und versuchten, zu gemeinsamen Beschlüssen für ein besiegtes Deutschland zu finden. Obwohl die Zusammenarbeit erschwert wurde durch gegenseitiges Mißtrauen1, wurden doch einige wenige Übereinkünfte getroffen. Im Entwurf der Kapitulationsurkunde vom 25.7.1944 hieß es: „...(A)lle deutschen Behörden und das deutsche Volk sollen bedingungslos die Anweisungen der Alliierten Vertreter aus- führen und sollen sich vollkommen den Proklamationen, Befehlen, Verordnungen und Anweisungen unterwerfen.“2 Am 14. November 1944 wurde ein Entwurf über den „Kon- trollmechanismus, dem Deutschland nach dem alliierten Sieg unterworfen werden sollte“, vorgestellt. Danach hatten die „Oberkommandierenden der alliierten Streitkräfte in ihrer jeweiligen Zone allein die höchste Autorität“. Als „gemeinsame Körperschaft der Ober- kommandierenden“ war der Alliierte Kontrollrat vorgesehen.3 Diese Beschlüsse der EAC waren die Grundlage für die Besatzungsherrschaft in Deutschland. In der Berliner Deklaration vom 5.6.1945 waren es dann vier alliierte Mächte, die als Sieger ihren Anspruch auf die oberste Regierungsgewalt in Deutschland geltend machten, da Frankreich einbezogen wurde. Die „Regierungen in Washington, London, Moskau und Paris (hatten) die Hoheitsrechte über Deutschland übernommen ..., einschließlich aller Befugnisse der deutschen Regierung, des Oberkommandos der Wehrmacht und der Regie- rungen, Verwaltungen oder Behörden der Länder, Städte und Gemeinden“.4 In der Prokla- mation Nr. 1 wurde am 14.7.1945 die Einteilung Deutschlands in die Besatzungszonen bekanntgegeben.5 Vom 17. Juli bis 2. August 1945 trafen sich in Potsdam als Vertreter der drei Sieger- mächte Truman, Churchill bzw. Attlee und Stalin, um gemeinsame Ziele Deutschland betref- fend festzulegen. Zum einen wollten sie den Nazismus und Militarismus ausrotten, zum anderen sollten nach erfolgter Denazifizierung und Demilitarisierung die „endgültige Umge- staltung des deutschen politischen Lebens auf demokratischer Grundlage und eine even- tuelle friedliche Mitarbeit Deutschlands am internationalen Leben“6 vorbereitet werden. Dem Erziehungswesen wurde dabei große Bedeutung zugemessen, denn es hieß wörtlich, es müsse „so überwacht werden, daß die nazistischen und militaristischen Lehren völlig entfernt werden und eine erfolgreiche Entwicklung der demokratischen Ideen möglich gemacht wird“7. Allerdings war der Begriff Demokratie mit sehr unterschiedlichen Vorstel- lungen besetzt. Rückblickend meinte dazu das britische Mitglied des Educational Commit- tee im Alliierten Kontrollrat: „We met ... each month at the Educational Committee ... There

1 Fuchs/Pöschl, S. 67 f. 2 Wolfgang Benz: Potsdam 1945. Besatzungsherrschaft und Neuaufbau im Vierzonen-Deutschland. München 1986, S. 36. Er zitiert FRUS (Foreign Relations of the United States): The Conferences of Malta and Yalta 1945. Washington 1955, S. 110 f. 3 Ebda., S. 37. 4 Ebda., S. 69. 5 Hubert Buchinger: Volksschule und Lehrerbildung im Spannungsfeld politischer Entscheidungen 1945 – 1970. München 1975, S. 17 f. 6 Benz, Potsdam, S. 212. 7 Ebda., S. 212 f.

19 we passed splendid resolutions about `democratic` education which did not matter at all as we all had different ideas about what was meant by democracy.“8 Geradezu bestürzt äußer- te sich George F. Kennan, lange Jahre Berater der amerikanischen Botschaft in Moskau, zu diesem Abkommen: „Ich kann mich an kein politisches Dokument erinnern, das mich je so deprimiert hätte. ...die unpräzise Ausdrucksweise, die Verwendung so dehnbarer Begriffe wie `demokratisch`, `friedlich`, `gerecht` in einem Abkommen mit den Russen lief allem direkt zuwider, was 17 Jahre Rußlanderfahrung mich über die Technik des Verhandelns mit der sowjetischen Regierung gelehrt hatten. Die Behauptung z. B., wir würden zusammen mit den Russen das deutsche Erziehungswesen `nach demokratischen Richtlinien` umformen, ließ Rückschlüsse zu, die nach allem, was wir von der Geisteshaltung der sowjetischen Füh- rer und den damaligen russischen Erziehungsgrundsätzen wußten, völlig ungerechtfertigt waren.“9 Die folgenden Jahre zeigten denn auch, daß sich die Alliierten nicht auf ein gemein- sames Konzept zur Umerziehung der Deutschen geeinigt hatten, sondern, da sie ganz unterschiedliche Intentionen verfolgten, auch ganz verschiedene Entwicklungen in Gang setzten.10

8 Hans Borchers/Klaus W. Vowe: Die zarte Pflanze Demokratie. Amerikanische Re-education in Deutschland im Spiegel ausgewählter politischer und literarischer Zeitschriften (1945-1949). Tübingen 1979, S. 17. 9 Theodor Eschenburg: Jahre der Besatzung. 1945-1949. In: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in 5 Bänden. Herausgegeben von Karl Dietrich Bracher, Theodor Eschenburg, Joachim C. Fest, Eberhard Jäckel. Band 1. Stuttgart 1983, S. 51. 10 Zur Umerziehung in der sowjetisch besetzten Zone und der DDR vgl. Brigitte Hohlfelds aufschlußreiche Arbeit: Die Neulehrer in der SBZ/DDR 1945-1953. Ihre Rolle bei der Umgestaltung von Gesellschaft und Staat. Wein- heim 1992.

20 2. DIE DIREKTIVE JCS 1067 Bereits während ihrer Ausbildung wurde den zukünftigen Offizieren der Militärregie- rungen in den besetzten Gebieten die Auffassung vermittelt, daß die Militärregierung „kein Missionsunternehmen sei“, das „den Heiden das Licht“ bringe1. Man solle „der Wohlfahrt der Regierten Aufmerksamkeit widmen“, und „militärische und humanitäre Erwägungen (seien) einander nicht notwendigerweise entgegengesetzt, (könnten) es freilich manchmal sein ...“2 Der Tendenz dieser Aussagen begegnete man in der Direktive JCS 10673 wieder, einem Papier, an dem über ein Jahr gearbeitet worden war und das am 10. Mai 1945 schließlich von Truman unterzeichnet wurde. Sowohl Anhänger Morgenthaus als auch Ver- treter des Kriegsministeriums hatten an seiner endgültigen Fassung mitgewirkt.4 Es wurde viel Aufhebens um diese Direktive gemacht, möglicherweise zu viel.5 Sie war die amerika- nische Grundlage für die Bildungspolitik bei den Konferenzen in Yalta und Potsdam.6 Selbst in den beteiligten Ministerien war sie umstritten, wurde als Strafdokument bezeichnet, ihre Zielsetzung als „Karthagofrieden“ (General Clay); ihr „Morgenthauscher Geist“ wurde angeprangert; sie sei „schmerzhaft negativ“ (Kriegsminister Stimson)7, „weitgehend moti- viert durch Rache“8. Die Direktive war, obgleich bis Mitte 1947 gültig,9 jedoch eigentlich nur wirksam während einer knappen Zeitspanne, nämlich nach Auflösung des alliierten Oberkommandos SHAEF am 14. Juli 1945 bis zur Veröffentlichung der Potsdamer Beschlüs- se am 2. August 1945.10 Die nachträgliche Bewertung des Dokuments durch Historiker ist unterschiedlich. Mayer sieht in ihm immerhin einen Kompromiß, sehr allgemein abgefaßt, der Spielräume offenließ.11 Und während Huelsz die Direktive verantwortlich macht für die Verschärfung der akuten Notlage des Schulwesens,12 da hier die Ziele und Methoden der politischen Säu- berung niedergelegt waren, die dann fast wörtlich in die Beschlüsse der Potsdamer Konfe- renz übernommen wurden,13 weist Mayer vor allem bei Artikel 6 b, „Education“, auf die Ambivalenz der Bestimmungen hin. So sollten Volks-, Mittel- und Berufsschulen „zum frühest möglichen Zeitpunkt“ wiedereröffnet werden, die höheren Schulen erst, „wenn dies ... für die Zwecke der Besatzung als unmittelbar notwendig und nützlich“ gehalten wurde.14 Dieser Passus atme wohl Morgenthauschen Geist. Allerdings hieß es dann, daß alle Gesetze,

1 Henke, Die amerikanische Besetzung, S. 221 f. 2 Ebda., S. 222. 3 JCS (Joint Chiefs of Staff) waren Richtlinien der Besatzungspolitik der US-Militärregierung. JCS 1067 war die „Directive to Commander in Chief of United States Forces of Occupation regarding the Military Government of Germany“. (Henke, S. 116.). 4 Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 50. 5 Henke, Die amerikanische Besetzung, S. 116 f. 6 Boehling, S. 140. 7 Ebda. 8 Bungenstab, S. 47. Er zitiert Harold Zink: The United States in Germany 1944-1955. New York, Toronto, London 1957, S. 94. 9 Volker Dotterweich: Die „Entnazifizierung“. In Josef Becker/Theo Stammen/Peter Waldmann (Hrsg.): Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. München 1979, S. 136. 10 Henke, Die amerikanische Besetzung, S. 116 f. 11 Mayer, S. 263. 12 Huelsz, S. 104 f. 13 Robert Fritsch: Entnazifizierung. Der fast vergessene Versuch einer politischen Säuberung nach 1945. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. B 24 vom 10.6.1972, S. 13. 14 Mayer, S. 264.

21 Erlasse und Verordnungen zu beseitigen seien, die Diskriminierungen aufgrund von „Rassezugehörigkeit, Nationalität, Glaubensbekenntnis oder politischen Einstellungen anordnen“.15 Die Militärregierungen sollten sich auch jeglicher Einmischung in bekenntnis- mäßige Erziehung bzw. in den Religionsunterricht enthalten. Vor Eröffnung der allgemein- bildenden Schulen sollten Lehrpersonal, Lehrpläne und Bücher entnazifiziert werden.16 Jedoch schienen auch in JCS 1067 die Bestimmungen so vage zu sein, daß anfänglich die Militärbehörden auf regionaler und lokaler Ebene kein schlüssiges Konzept zur Verfü- gung hatten.17 Erste Richtlinien, das Schulwesen betreffend, konnte man im SHAEF „Hand- book for Military Government on Germany“ vom Dezember 1944 nachlesen. Hier wurden auch die Belastungen für die Schulpolitik der Alliierten aufgezeigt: Mangel an Schulgebäu- den, Belegung der Schulräume mit Flüchtlingen, Mangel an Lehrern und geeigneten Schul- büchern, niedriger Bildungsstandard durch kriegsbedingte Kürzung der Schulzeit.18 Da die erste, von britischen Autoren konzipierte, Fassung des „Handbook“ viel Eigeninitiative für die Deutschen, auch auf dem Gebiet Bildung und Erziehung, vorsah, wurde den amerika- nischen Bildungsoffizieren seine Verwendung versagt. Es diente jedoch als Richtschnur, besonders für die britische Besatzungspolitik.19

15 Ebda., S. 263. 16 Ebda., S. 264; Huelsz, S. 106; vgl. dazu Müller, S. 121, und Manfred Heinemann: Wiederaufbau aus ameri- kanischer Sicht. In Max Liedtke (Hrsg.), Handbuch der Geschichte des bayerischen Bildungswesens. 3. Bd. 3. Teil: Wiederaufbau: Re-education von 1945-1949. Bad Heilbrunn 1997, S. 477 f und 486 f. 17 Mayer, S. 264. 18 Fuchs/Pöschl, S. 65 f. 19 Ebda., S. 66; Bungenstab, S. 38; Müller, S. 120.

22 3. ERSTE SCHRITTE DER AMERIKANISCHEN MILITÄRVERWALTUNG

Schritt für Schritt griffen die Maßnahmen der Besatzung, je nach dem Datum des Einmarsches der Armeen. Am 7. März 1945 wurde Köln besetzt, am 29. März Frankfurt. Am 18. April waren die Amerikaner in Ansbach, am 20. in Nürnberg, am 22. in Stuttgart, am 30. April in München.1 Nach der Entfernung der Regierung Dönitz fehlte in Deutschland jegliche staatliche Autorität, ein „Zustand politischen Vakuums“ war eingetreten.2 Im Mikrokosmos der unter- sten Ebene politischen Lebens, im lokalen Bereich, wurde der Neuanfang gewagt. Gemäß dem Potsdamer Abkommen, das bei der Verwaltung Deutschlands „Dezentralisation der politischen Struktur“ und „Entwicklung einer örtlichen Selbstverantwortung“ angeordnet hatte3, handelten die örtlichen Militärregierungen, setzten ab, ein, entließen und verhafte- ten. Auf dem Gebiet des Schulwesens galt der Passus der Proklamation Nr. 1 der Militärre- gierung – Deutschland, Kontrollgebiet des Obersten Befehlshabers: „... Alle ... Unterrichts- und Erziehungsanstalten ... werden bis auf weiteres geschlossen. ... die Wiedereröffnung der Unterrichts- und Erziehungsanstalten wird genehmigt, sobald die Zustände es zulas- sen.“4 Wie aber sollte man vorgehen, wenn die Zustände die Öffnung der Schulen erlau- ben würden, und was sollte hierfür vorbereitet werden? Die amerikanische Militärverwaltung im besetzten Deutschland war so organisiert, daß es eine Trennung gab zwischen der zivilen „Militärregierung“ und dem Bereich der Armee. Sie war dem stellvertretenden General Lucius D. Clay unterstellt. Anfang Oktober 1945 erhielt sie die Bezeichnung „Office of Military Government of the United States for Germany“ (OMGUS).5 Die verschiedenen Aufgaben wurden durch „Divisions“, Abteilun- gen, wahrgenommen, die noch über verschiedene Unterabteilungen, „Branches“ und „Sections“, verfügten. Die Maßnahmen der Umerziehung im Schulbereich oblagen, wie bereits vor der Besetzung festgelegt, der „Education and Religious Affairs Section“ in der „Public Health and Welfare Branch“ der „Internal Affairs and Communication Division“. Der Bedeutung der Umerziehung der Deutschen war man sich auf amerikanischer Seite bewußt, aber „trotz aller Lippenbekenntnisse ... erlaubte die offizielle Politik der Ver- einigten Staaten es der Militärregierung nicht, ein ... adäquates Programm durchzuführen“6. Der Mangel an geeigneten Erziehungsoffizieren auf den unteren Ebenen der Militärregie- rung führte dazu, daß andere Offiziere die Aufgaben im Erziehungsbereich übernahmen, oft Angehörige der taktischen Einheiten,7 mit mangelndem Interesse oder wenig Vorbil- dung“, die sich vorrangig mit praktischen Dingen beschäftigten wie der „Erfassung unzer- störter oder unbesetzter Schulgebäude“.8 Verbindliche politische Richtlinien für die Um-

1 Der illustrierte Ploetz. Weltgeschichte in Daten und Bildern von den Anfängen bis zur Gegenwart. Würzburg 1973, S. 482. 2 Benz, Potsdam, S. 67. 3 Ebda., S. 213. 4 abgedruckt in: Diana Fitz, Ansbach unterm Hakenkreuz. Ansbach 1994, S. 207. 5 Mayer, S. 268. OMGUS bestand vier Jahre und wurde nach Gründung der Bundesrepublik durch das Amt des Hohen Kommissars für Deutschland, „Office of the High Commissioner for Germany“ (HICOG) abgelöst. 6 Bungenstab, S. 60. Er zitiert Harold Zink: American Military Government in Germany. New York 1947, S. 158. 7 Ende September 1945 war Brigadegeneral Walter J. Muller Nachfolger General George S. Pattons gewor- den, hatte aber nicht mehr nur das Kommando über die 3. US-Armee, welche Bayern besetzte, sondern stand als erster „Land Director“ an der Spitze der Militärregierung für Bayern, die zu dem Zeitpunkt bereits aus der militärischen Kommandostruktur der Truppe herausgelöst worden war. (Dieter Rossmeissl (Hrsg.): Demokratie von außen. Amerikanische Militärregierung in Nürnberg 1945-1949. München 1988, S. 11 f.). 8 Bungenstab, S. 61.

23 erziehung lagen bei Beginn der amerikanischen Militärregierung in Deutschland nicht vor. Gleichwohl gelang es den Offizieren auch ohne politische Leitlinien, das Erziehungswesen ebenso wie das kulturelle Leben und das Pressewesen wieder in Gang zu setzen.9 Da sie dabei notgedrungen pragmatisch handelten, sich auf ihren gesunden Menschenverstand verließen und auf ideologische Orientierungshilfen verzichten mußten, leisteten sie unge- wollt der Wiedererrichtung alter Strukturen Vorschub. So war „ein guter Teil der Umerzie- hungsideen von Anfang an verspielt“.10 Vor allem fehlte „bei den das Schulrecht betref- fenden Entscheidungen eine klare Linie“.11 Insgesamt genoß die Erziehungsabteilung ein eher geringes Ansehen. Niedrige Offiziersränge gelangten in die freiwerdenden Stellen, obwohl ursprünglich vorgesehen war, die Positionen mit den besten Erziehern aus den Vereinigten Staaten zu besetzen.12 Ande- rerseits verlangte man von den Bewerbern aus dem Zivilbereich hohe berufliche Qualitäten. Spitzenpositionen konnte nur besetzen, wer eine „breite Kenntnis der und Einsicht in die Problematik des Erziehungswesens“ und seiner Demokratisierung vorzuweisen in der Lage war. Wer sich um eine Position auf mittlerer Ebene als „Education Specialist“ bewarb, mußte organisatorisches Talent, „gründliche Kenntnisse aller Details der mit dem Wieder- aufbau des deutschen Erziehungswesens verbundenen Probleme“ nachweisen und in der Lage sein, die beabsichtigte Demokratisierung „unmittelbar an den einzelnen Objekten ... in Gang zu setzen und zu überwachen“.13 Die Diskrepanz zwischen der Einsicht in die Notwendigkeit der Umerziehung der Deutschen und der Vernachlässigung der Erziehungsabteilung der amerikanischen Militär- regierung, zwischen der monatelangen Vorbereitung auf den Universitäten in den USA und in England und dem weitgehend unkoordinierten Vorgehen zu Beginn der Besetzung, zwi- schen der scharf formulierten Direktive JCS 1067 und dem Fehlen verbindlicher Richtlinien sollte nicht ohne Wirkung auf die historisch-politische Umerziehung an den bayerischen Schulen bleiben. Die anfänglichen Bemühungen der Amerikaner beschrieb man nicht ohne Ironie als „Kombination von Strafe, 1000jährigem Kreuzzug und amtlich auferlegter Ame- rikanisierung, die mehrmals die Richtung änderte ...“14 Hermann Höcherl, viele Jahre Bun- desminister in verschiedenen Ressorts, beschreibt die rührende Betriebsamkeit der Besat- zungsbehörde mit dem Satz: „... sie wußte mehr von dem, was sie nicht wollte, als von dem, was sie wollte.“15 Gleichwohl findet man in der Literatur zum Problem der Demokra- tisierung immer das Bildungswesen als zentralen Ansatz. Durch seine Reform sollte die Jugend für die Demokratie gewonnen werden. Denn sie war der nationalsozialistischen Ideologie – nach Meinung der Amerikaner – am meisten ausgesetzt gewesen. Ihre Umer- ziehung wurde verstanden „als ein systematischer Versuch, gewisse geistige und morali- sche Schwächen, die in der deutschen Jugend weit verbreitet sind, abzuschaffen“.16

9 Ebda., S. 29 f. 10 Ebda., S. 29. 11 Huelsz, S. 111. 12 Bungenstab, S. 61. 13 Ebda., S. 62. 14 Daniel P. Huden: Gleichheit und Elitestreben in der Erziehungspolitik der Besatzungszeit. In: Bildung und Erzie- hung. 34. Jg. 1981, S. 151. 15 Rudolf Birkl/Günter Olzog (Hrsg.): Dokumente unserer Zeit. Bd. 4: Erwartungen. Kritische Rückblicke der Kriegsgeneration. München 1980, S. 106. 16 Bungenstab, S. 30. Er zitiert Henry J. Kellermann: The Present Status of German Youth. Department of State Publication 2583, European Series 11 (1946), S. 1.

24 „... und, das Schwerste von allem, unsere Jugend ist in HJ und BdM verderbt“, sagte Fritz Schäffer, der von den Amerikanern eingesetzte bayerische Ministerpräsident, in seiner Regierungserklärung am 14. Juni 1945.17 Die Frage, welches politische Bewußtsein der deutschen Jugend zu eigen war, bewegte also nicht nur die amerikanische Besat- zungsmacht. Die Haltung der Generation, die aus Krieg oder Gefangenschaft zurückkam, und derer, die als Flakhelfer oder Meldegänger noch „gedient“ hatten, ebenso wie die der Jugendlichen, die nach Beendigung ihrer Schulzeit nun an der Schwelle des Erwachsenen- alters standen, konnte eine beabsichtigte Umerziehung ja entscheidend beeinflussen, zumal wenn sie sich für einen Beruf entschieden oder schon entschieden hatten, in dem sie Jün- gere lenkten, z.B. als Lehrer oder Erzieher. Rolf Schörken, der in seinem Buch „Jugend 1945“ Jugendliche zwischen 16 und 24 Jahren zu Wort kommen läßt und aus ihren Aussagen „einige Bausteine ... für ein Gene- rationenprofil“ beisteuern möchte, nennt als eine der geistigen Reaktionen bei Kriegsende das Bewußtsein dieser Altersgruppe: „Das darf nie wieder geschehen, und daran mußt du mitwirken.“18 Dann gab es das Gefühl neuer Identität der eigenen Person, nachdem die gewohnten sozialen Orientierungen plötzlich durcheinandergebracht worden waren.19 Tief- greifende Orientierungskrisen, Ratlosigkeit – „Wem konnte man denn jetzt noch Glauben schenken?“20 – Mutlosigkeit und allgemeines Mißtrauen waren zu beobachten, und der Blick in die Zukunft betraf nur die eigenen Berufswünsche. „... Das Erlebnis des Elends, die Auflösung aller Ordnung war noch nachhaltig, unauslöschlich und sicher nicht sogleich von der Zuversicht jener Älteren begleitet, die noch die Weimarer Zeit gekannt und nun den befreienden neuen Anfang sahen.“21 Kein Thema war die Zukunft des Gemeinwesens. Die Jugend empfand sich als mißbraucht, manch einer war beherrscht vom Haß auf die Sieger, von Selbstmitleid22, und nur sehr zögernd war man – wenn überhaupt – bereit, den Schritt heraus aus dem eigenen Leben in die Politik zu tun.23 Wesentlich war nicht das politische, sondern das kulturelle Leben. Und da wurden die Impulse von jenseits der Grenzen wich- tig.24 Über die Situation der Jüngeren, der „Trümmerjugend“, der wirklichen Opfer, schreibt Hermann Glaser lapidar, sie „war trist“25. Die „Verwahrlosung der Jugend“ wurde zu einem Schlüsselbegriff. Die Väter waren gefallen oder in Gefangenschaft, die Mütter gezwungen, einer Arbeit nachzugehen, die Kinder sich selbst überlassen. Das Ausmaß der psychischen Beschädigungen, sicher unfaßbar, wurde nicht wahrgenommen oder ver- drängt. Die Voraussetzungen für die Erziehung in Richtung auf eine demokratische Gemein- schaft waren sicher nicht die besten.

17 Fritz Baer (Bearb.): Die Regierungen 1945 – 1962. In: Karl Bosl (Hrsg.): Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft in Bayern. Abt. III Bayern im 19. und 20. Jahrhundert. Band 9. München 1976, S. 22. 18 Rolf Schörken: Jugend 1945. Politisches Denken und Lebensgeschichte. Frankfurt a. Main 1994, S. 53. 19 Ebda., S. 137. 20 Ebda., S. 157 f. 21 Birkl/Olzog, S. 110. 22 Ebda., S. 127. 23 Schörken, S. 163. 24 Ebda., S. 179 f. 25 Hermann Glaser: Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. 1. Band. Zwischen Kapitulation und Währungsreform 1945 – 1948. München 1985, S. 166 ff.

25 4. DIE REGIERUNG SCHÄFFER

Bei dem geringen Personalstand in der amerikanischen Militärverwaltung im Bereich der Erziehungsabteilung und weil man ja die Deutschen am Umerziehungsprozeß beteili- gen wollte, legte man sehr bald Verwaltungsaufgaben in deutsche Hände. Am 28. Mai 1945 wurde in Bayern Fritz Schäffer von der Militärregierung zum Ministerpräsidenten beru- fen. Er war weder befragt noch um seine Einwilligung gebeten worden, er folgte der Anord- nung der Besatzungsbehörde. Otto Hipp, ebenfalls Mitglied der früheren Bayerischen Volks- partei, übernahm das Kultusministerium.1 Entsprechend den konfessionellen Verhältnissen in Bayern hatte man mit Hipp nach alter Tradition einen Katholiken an die Spitze des Mini- steriums für Unterricht und Kultus gestellt; der nachgeordnete Staatsrat war Protestant, Hans Meinzolt, früher Vizepräsident des evangelisch-lutherischen Kirchenrats.2 Obwohl zum „Temporary Ministerpresident for Bavaria“ bestellt, stand Schäffer fak- tisch unter Kriegsrecht. Er war der Besatzungsmacht für die gesamte Staatsverwaltung ver- antwortlich, war, sozusagen in Doppelfunktion, „deutsches Vollzugsorgan“ der Besat- zungsmacht3 und Repräsentant seines Landes gegenüber dieser.4 Natürlich haftete der Ernennung einer Landesregierung, einem Verfahren, das auf dem Präsidialprinzip beruhte, etwas Autoritäres an, das dem Ziel der Amerikaner, das deutsche Volk zur Demokratie zu erziehen, zuwiderlief. Jedoch hatte die Notwendigkeit einer effektiven Verwaltung den Vor- rang. Außerdem sollte diese Lösung nur eine Übergangsregelung darstellen.5 „Die Stellung der Minister zum Ministerpräsidenten war die von nachgeordneten Ressortchefs, ähnlich der der Reichsstaatssekretäre gegenüber dem Reichskanzler in der Zeit Bismarcks.“6 Die Regierung Schäffer war nicht unumstritten. Oppositionelle Gruppen, die in ihren politischen Anschauungen links standen, äußerten folgende Kritikpunkte: die Regierung sei „cliquenhaft“ zusammengesetzt, sie zeichne sich durch ihre „milde“ Haltung gegenüber den Nationalsozialisten aus, sei schwerfällig bei Wiederaufbaumaßnahmen, habe zu enge Beziehungen zur katholischen Kirche und davon abhängig ihr kulturelles Programm for- muliert.7 Die Auswahl der Regierungsmitglieder und der Beamten in den Ministerien wurde ebenfalls bemängelt. Vor allem kritisierte man, daß es kaum Bemühungen gebe, Personen heranzuziehen, die zwar wenig Verwaltungserfahrung, sich aber durch aktiven Widerstand gegen die Nazis ausgezeichnet hätten. Kultusminister Hipp habe beispielsweise ausdrücklich erklärt, daß bei seinen Ernennungen erst in zweiter Linie auf die antinationalsozialistische

1 Buchinger, S. 21. 2 Baer, S. 28. 3 Noch im Oktober 1946 charakterisierte sich das Amt der Militärregierung für Bayern als „Amt, das durch den Ministerpräsidenten handelt“. (ACSP München. NL Müller 290. Schreiben APO 170.AG 014 12-2 (LD) am 2.10.1946 an den Bayerischen Ministerpräsidenten. Betreff: Entfernung von wichtigen deutschen Beam- ten.). 4 Theodor Eschenburg: Regierung, Bürokratie und Parteien 1945 – 1949. Ihre Bedeutung für die politische Entwicklung der Bundesrepublik. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte (VfZ), 24. Jg. (1976), S. 59. 5 Ebda., S. 61 und 63. 6 Ebda., S. 60. 7 Ulrich Borsdorf/Lutz Niethammer (Hrsg.): Zwischen Befreiung und Besatzung. Analysen des US-Geheimdien- stes über Positionen und Strukturen deutscher Politik 1945. Wuppertal 1976, S. 185. In Bieberich bei Wies- baden, später in Berlin, hatte OSS (Office of Strategic Services) eine „OSS-Mission for Germany“ eingerichtet, die sich als zentrale Sammelstelle für Berichte von Gewerkschaftsdelegierten, Angehörigen von OSS und PWD (Psychological Warfare Division) und anderer Informanten verstand. Die Berichte wurden zentral aus- gewertet. Man stützte sich auf lokale Memoranden und Einzelmeldungen und erstellte zwischen Juni und Dezember 1945 über 40 sogenannte „Field Intelligence Studies“ (FIS). (Borsdorf/Niethammer, S. 16).

26 Tätigkeit geachtet worden sei; wichtiger sei ihm die fachliche Eignung gewesen.8 Beanstandet wurde, daß die Behörden der Staatsverwaltung überwiegend von „her- kömmlichen Berufsbeamten“ besetzt würden. Viele hätten bereits unter dem bayerischen König, während der Weimarer Republik und schließlich auch unter dem Hitler-Regime gedient.9 Sie waren zwar keine aktiven Nationalsozialisten gewesen, gleichwohl war ihr poli- tischer Standort zumindest konservativ. Schwer verständlich für die Alliierten war die Rolle der Kirche im deutschen Staat.10 Für Bayern war das Beziehungssystem zwischen katholischer Kirche und Staat traditionell nahezu staatstragend. Die amerikanische Militärregierung war zunächst gegen die Ver- sammlungsfreiheit für religiöse Zwecke, witterte einen „willkommenen Deckmantel für eine zukünftige deutsche Untergrundbewegung“ und verbot zu Beginn der Besatzungszeit die Mitarbeit von Geistlichen in ihren Erziehungsabteilungen aus Angst, daß sie zu nachgiebig sein könnten.11 In der Tat machten die beiden Kirchen (ebenso wie die Vertreter der alten Weimarer Parteien) offenkundig, daß sie die „Demokratisierung nicht im amerikanischen Sinn auf- faßten, sondern – unter Wiederaufnahme ihrer konservativen Zielsetzungen – zunächst um die eigene Re-etablierung besorgt waren“12. Ja, Otto Dibelius, Bischof von Berlin-Branden- burg, stellte sich auf den Standpunkt, daß die Demokratie in Deutschland keine Wurzeln schlagen werde, denn „1. ist sie eine ausländische Weltanschauung; 2. ist die Demokratie wegen der Erfahrung Deutschlands mit der schwachen Weimarer Republik im deutschen Bewußtsein mit Arbeitslosigkeit und erfolgloser Außenpolitik verbunden“13. Auch andere Vertreter der evangelischen Kirche, vor allem Martin Niemöller und Bischof Wurm, „mach- ten auf die Amerikaner zwar einen aufrechten, aber auch aggressiven Eindruck – glühen- de deutsche Patrioten mit starkem Selbstbewußtsein“14. Im übrigen hatte die Bekennende Kirche für ein zukünftiges Deutschland nach der Hitler-Zeit nichts bedacht und nichts vor- bereitet, ausgenommen die „Freiburger Denkschrift“ von 1943, deren Inhalte stark natio- nal-konservativ waren.15 Die evangelische Kirche hatte ihre Rolle bei der demokratischen Neuordnung nur vage reflektiert. Sie war ja auch – im Gegensatz zur katholischen Kirche – viel heftiger mit dem Nationalsozialismus verstrickt gewesen, hatte die Deutschen Christen in ihren Reihen und war um Schadensbegrenzung bemüht. Die katholische Seite, weit weni- ger kompromittiert, konnte sich sofort auf ihre alte Stellung in Bayern besinnen und die Rechte von ehedem einfordern, was sie auch tat. Arbeitsminister Rosshaupter, der einzige Sozialist in der Regierung Schäffer, rechnete damit, daß es schon sehr bald über der alten Streitfrage nach dem Verhältnis von Kirche und Staat in Bayern zu Auseinandersetzungen kommen werde. Die politische Einflußnahme der (katholischen) Kirche sei bedeutungsvoll und hier vor allem die Frage, ob die Bekenntnisschule wieder zur Regelschule werden solle.16

8 Die führenden Mitglieder der Schäffer-Regierung wurden einer nach dem anderen entfernt. Kultusminister Hipp wurde als erster entlassen. (Ebda. S. 192.). 9 Ebda., S. 183 ff. 10 Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 223. 11 Ebda. 12 Huelsz, S. 22. 13 Christian Vollnhals: Die Evangelische Kirche zwischen Traditionswahrung und Neuorientierung. In: Martin Broszat/Klaus-Dietmar Henke/Hans Woller (Hrsg.): Von Stalingrad zur Währungsreform. München 1988, S. 122. Er zitiert Report on Conference with Dr. Dibelius, 28.7.1945. NA RG 84, Polad 737/1. 14 Ebda., S. 121 f. 15 Ebda., S. 123. 16 Borsdorf/Niethammer, S. 187.

27 5. SCHULVERHÄLTNISSE UND KULTURPOLITIK BIS ZUR ERÖFFNUNG DER VOLKSSCHULEN IM OKTOBER 1945

5.1. DIE SITUATION BEI KRIEGSENDE

Im Frühjahr 1945 war von den Alliierten die Schließung aller deutschen Schulen angeordnet worden.1 Allerdings gab es in weiten Teilen des Landes bereits keinen geord- neten Schulbetrieb mehr, wenn er überhaupt noch bestand. So war das Unterrichten in Nürnberg seit dem Luftangriff am 2. Januar 1945 und „infolge der weiteren Fliegerangrif- fe nur in einigen Außenbezirken vorübergehend wieder aufgenommen“ worden und hörte im April auf.2 Das wird in den großen Städten überall ähnlich gewesen sein. Auf dem Lande wurde den Kindern der Schulbesuch oft von Tieffliegern unmöglich gemacht. In Langen- altheim in der Nähe Treuchtlingens zum Beispiel endete der Unterricht am 9. April aus die- sem Grunde. Der Schulweg für die Kinder aus den umliegenden Ortschaften wurde zu gefährlich.3 Es gab aber auch Berichte, wonach in „entlegenen Ortschaften ... auch jetzt noch Schule gehalten (wurde) trotz des Verbotes“4. Insgesamt aber hielt man sich an die amerikanischen Befehle. Vielfach blieb gar nicht anderes übrig, da die Schulen vor allem in den Städten zerstört waren. So gab es beispielsweise in Nürnberg von 114 städtischen Schulgebäuden nur zwei kleine Stadtrandschulen ohne Schäden, 44 waren total zerstört, 45 Gebäude hatten bis zu 50 Prozent Schaden, elf weitere mehr als 50 Prozent.5 Vom Dezernat IX der Stadt wurden etwas andere Zahlen genannt. Hier hieß es, daß von den 123 in Nürnberg vorhandenen Schul- und Schulnebengebäuden 56 total zerstört seien, 20 sehr schwer, 21 mittel und 24 leicht beschädigt.6 Die unterschiedlichen Angaben resultierten möglicherweise aus verschiedenen Definitionen des Grades der Zerstörung oder der Begrif- fe „Schulnebengebäude“ und „städtisch“. Zur Situation der Lehrer wurde berichtet, daß sie zum großen Teil an verschiedenen städtischen Ämtern zu Dienstleistungen „abgestellt“ waren; andere wurden für „Ausbes- serungsarbeiten in den leichter beschädigten Schulgebäuden eingesetzt“7. In anderen Orten verfuhr man ähnlich, oder man entließ bei Schließung der Schulen die Lehrer. Bezahlt wur- den sie bis einschließlich Mai 1945.8 Auf lokaler Ebene waren die Besatzungstruppen an einer gewissen Stabilisierung der Lage interessiert. Sicherheit, Versorgung und Kommunikation mußten gewährleistet sein9, und abgesehen davon, daß gleich nach dem Einmarsch „etwa noch vorhandene Behördenleiter“ abgesetzt und Nachfolger eingesetzt wurden10, bestanden zunächst die „traditionellen ... administrativen Strukturen fort“11. Angesichts des „ungeheuren Durch- einanders“12 konnte man gar nicht anders verfahren. Doch zur Öffnung der Schulen wollten die Amerikaner sich trotz der Notlage der Jugend nicht verstehen. Eines der ersten

1 Buchinger, S. 21. 2 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg, F 2, 20.4.1945. 3 Bericht Frau Wilhelmine Hofmann, Treuchtlingen. 4 Landeskirchliches Archiv Nürnberg (LKAN), Bestand: Kreisdekan Nürnberg, 6. Betreff: Einstweiliger Bericht über die Ereignisse im Kirchenkreis Nürnberg vom 28.4.1945 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, Ansbach. 5 Otto Barthel: Die Schulen in Nürnberg 1905 – 1960. Nürnberg, o. J.,S. 62. 6 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg, F 2, 20.4.1945. 7 Ebda. 8 Bericht Frau Wilhelmine Hofmann, Treuchtlingen. 9 Lutz Niethammer: Die Entnazifizierung in Bayern. Säuberung und Rehabilitierung unter amerikanischer Besat- zung. Frankfurt a. Main 1972, S. 148 f. 10 Ebda., S. 148. 11 Benz, Potsdam, S. 119. 12 Niethammer, Die Entnazifizierung, S. 148 f.

28 Schreiben des Regierungspräsidenten von Mittel- und Oberfranken an die neuernannten Bürgermeister und Landräte wies daher besonders darauf hin, „daß der Unterricht an den Schulen erst begonnen werden darf, wenn die Besatzungsbehörden die ausdrückliche Genehmigung dazu erteilt haben. Jede irgendwie geartete unterrichtsmäßige Beschäfti- gung der Jugend ist bis zur Erteilung dieser Genehmigung verboten“13. Jugendliche im Alter von zwölf bis 18 Jahren konnten, „um ihrer Verwahrlosung vorzubeugen, im Wege der Not- dienstverpflichtung zu geeigneten Arbeiten“ herangezogen und, falls sie sich weigerten, einer Aufforderung dazu nachzukommen, durch die Besatzungsbehörden bestraft werden. Die Schulbehörden sollten von dieser Anordnung verständigt werden.14

5.2. ZUR HALTUNG DER EVANGELISCHEN KIRCHE

Im Gegensatz zu den Lehrern, die durch alliierten Befehl an der Berufsausübung gehindert wurden, hatten Pfarrer – im fränkischen Raum im wesentlichen evangelische – relativ viel Freiheit bei ihrer Arbeit. Symptomatisch dürfte ein Bericht über die Ereignis- se im Kirchenkreis Nürnberg sein, der am 28.4.1945 an das Evangelisch-Lutherische Kir- chenamt, Ansbach, ging. Hier las man über das Verhältnis zur Besatzungsmacht: „Am Sonntag, 22.4. wurde ich zusammen mit dem katholischen Dekan zu einer Bespre- chung gebeten. Ein Hauptmann hat mit uns verhandelt. ...Die Verhandlungen waren durchaus sachlich und vornehm gehalten. Er legte uns eine Art Proklamation vor: völlige Freiheit der Kirche, nur Gottes Wort und ehrbares Leben soll gepredigt werden. Die Schulfrage soll baldigst geregelt werden.“1 Mißbilligt wurde in diesem Bericht das Vor- gehen der Besatzungsmacht, die in verschiedenen Orten die Pfarrer aufforderte, Bürger zu benennen, die geeignet waren, Bürgermeister zu werden. Dies wurde als gefährlich betrachtet, da der Berichterstatter sich einmal Sorgen machte um die Eitelkeit seiner Amtsbrüder und außerdem befürchtete, daß diese sich selbst für einen solchen Posten anboten. Seine Bedenken waren nicht unbegründet. In Langenzenn hatte der Pfarrer („... gerade O., der noch bis vor kurzem in der NSKK-Uniform gegangen ist.“) das Bür- germeisteramt übernommen.2 Auch voreilige Überlegungen zur Wiedereinführung der Bekenntnisschule, die man in einem Ort anstellte, wurden abgelehnt mit der Begründung, „es sollen jetzt keine grundsätzlichen Entscheidungen getroffen werden“3. Zu diesem Gegenstand erging am 7. Mai 1945 an sämtliche Dekanate der Landeskirche ein Brief unter dem Betreff „Kirchliche Lage“. Darin hieß es: „...Insbesondere soll ohne Verzug die Jugend in Kindergottesdienst, Christenlehre ... und in den Veranstaltungen der Gemeindeju- gend neu gesammelt werden.“ Religiöse Unterweisung in kircheneigenen Räumen wurde empfohlen, aber die Stellung der Kirche zur Schulfrage könne nur „durch die zentralen Instanzen geregelt werden“. Auf keinen Fall dürften einzelne Pfarrämter eige- ne Schulprogramme verwirklichen4, obwohl andererseits die Sammlung der Jugendli-

13 Staatsarchiv Nürnberg (StAN). Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, 264. Schreiben des Regierungspräsi- denten am 16.5.1945 an den Bürgermeister und Landräte. Az: 211-00/2. Betr.: Fürsorge für die Jugend. 14 Ebda.

1 LKAN. Kreisdekan Nürnberg, 6. Einstweiliger Bericht, gez. Schieder. 2 Ebda. 3 Ebda. 4 LKAN. Kreisdekan Nürnberg, 42. Schreiben Nr. 840 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats, Ansbach, am 7.5.1945 an die sämtlichen Dekanate der Landeskirche.

29 chen unter dem Dach der Kirche als dringendes Anliegen betrachtet wurde. Man fragte sich, wie der „seelische Zusammenbruch im Herzen der Jugend“ überwunden werden könne, in welcher Form die Bünde zum Leben erweckt werden sollten, auf welche Weise man der Jugend, „die einem verwüsteten Garten gleicht, wieder Reinheit und Ehrfurcht ins Herz senken“ könne.5 In Georgensgmünd hatte das evangelische Pfarramt das probate Mittel bereits entdeckt: „Am Sonntag, den 6. Mai, fand nach dem Gottesdienst eine Belehrung der gesamten Jugend der politischen Gemeinde statt, die vom Bürger- meister ... gerufen worden war. Nachdem ... der Wunsch des Bürgermeisters dahin ging, daß vor allen Dingen von kirchlicher Seite ein kräftiger und religiös begründeter Appell an die Jugend gerichtet werde, wurde für diese Belehrung der Jugend die Kirche zur Verfügung gestellt. Es sprach ... der Bürgermeister, indem er unter anderem die Jugend zu regelmäßigem Gottesdienstbesuch und Besuch des Religionsunterrichts ermahnte, danach der Ortsgeistliche und dann kurz der katholische Geistliche ...“6 Aus allen Gemeinden kamen Berichte „über den politischen und militärischen Zusammenbruch und dessen Wirkung auf Kirche und Gemeinde“. Das Pfarramt Fünfbronn (Mfr.) meldete am 11.6.1945 erfreut, daß Religionsunterricht in den Kirchen gegeben und von allen Kindern, „auch von den evakuierten“, regelmäßig besucht werde.7 Zu den angesprochenen Problemen gehörte aber auch das Zurückfluten der Men- schen zur Kirche. Was sollte man tun mit denen, die wieder in die Kirche eintreten woll- ten? Wie sollte man mit einem Amtsbruder umgehen, der es nun für seine Pflicht hielt, in seinen Predigten „die schmutzige Wäsche der NS zu waschen“? Und wie mit einem, der sich in einer christlich-sozialen Gruppierung politisch betätigte? Sollte man dem Gedanken einer evangelischen Partei nähertreten oder auch das Angebot der Stadt (Nürnberg) annehmen, zwei Pfarrer in den Stadtrat zu entsenden?8 Zwei grundsätzliche Gedanken wurden immer wieder vorgebracht: Politische Entscheidungen sollten nicht vorschnell, unter größter Vorsicht und nur vom Landeskirchenrat bzw. höheren Instan- zen getroffen und die Entscheidungen müßten auch mit Blick auf die katholische Kirche gefällt werden. Immer wieder wurde in Berichten darauf hingewiesen, daß „die katholi- sche Seite“ sich beteilige; oder daß „all die Sekretärinnen, die in der Kommandantur (wären), aus der ‚Jesuiten-Pfarrei‘ St. Kunigund stammen“.9 Dieses Fixiertsein auf die Aktivitäten der Katholiken zog sich durch die gesamte Nachkriegs-Arbeit der evangeli- schen Kirche, gerade im Schul- und Bildungsbereich. Dabei lag es sicher nicht nur an der Tatsache, daß in Bayern die Katholiken in der Mehrzahl waren und sich die evangeli- sche Kirche in den meisten Regierungsbezirken in der Diaspora befand. Die Vermutung drängt sich auf, als habe, vielleicht nur unterschwellig, das Gefühl geherrscht, man würde übervorteilt. Dieses Bewußtsein ließ die evangelische Seite nie ruhen, man war „auf dem Sprung“, und wenn ein „katholischer“ Erfolg in Sicht war, forderte man dasselbe für sich – oft im „Nachtarocken“ – und offensichtlich häufig auch dann, wenn man nicht hundertprozentig hinter einer Sache stand und möglicherweise viel liberaler dach- te. Man kann es kaum treffender ausdrücken als Wilhelm Ebert, der langjährige Präsi-

5 Ebda. Evang.-Luth. Landeskirchenamt Ansbach, Nr. 901, am 22.5.1945 an die sämtlichen Pfarrämter der Evang.-Luth. Landeskirche. Kreisdekan Nürnberg, 6. An den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, Ansbach, Betreff: Fortsetzung des Berichtes vom 28.4.1945/11.5.1945. 6 LKAN. Kreisdekan Nürnberg, 6. Evang.-Luth. Pfarramt Georgensgmünd am 8.6.1945 an das Evang.- Luth. Dekanat Roth. 7 Ebda. 8 Ebda. An den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, Ansbach. Betreff: Fortsetzung des Berichtes vom 28.4.1945/11.5.1945. 9 Ebda.

30 dent des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrervereins, der die evangelische Kirche ein- mal als „Wir-auch-Kirche“ bezeichnete.10 In dem Schreiben an das Ansbacher Kirchenamt wurde deutlich, daß der Berichterstatter auch schon Bekanntschaft mit den Mängeln der Militärregierung gemacht hatte, als er schrieb: „In der Kommandantur (Nürnberg) ist leider der Offizier, der bisher für ‚education and religion‘ da war, Hauptmann Sattgast, nicht mehr da. Einen Nachfolger hat er noch nicht bekommen. Sein Amt wird augenblicklich geleitet von einem Oberleutnant ... ich glaube, auch ein frommer Mann ...“11; ein Beweis für die unzulängliche personelle Ausstattung der Militärverwaltung gerade im Bereich der Erziehung.

5.3. ENTLASSUNG VON BEAMTEN AUF BEFEHL DER MILITÄRREGIERUNG

Der Beginn der Besatzungszeit war gekennzeichnet durch mehr oder weniger Improvisation, ad hoc-Entscheidungen im örtlichen Bereich und das Bemühen der Besat- zungseinheiten, das Leben in Trümmern zu organisieren. Mit der USFET1-Direktive vom 7. Juli 1945, die die Durchführungsverordnung zur Direktive JCS 1067 darstellte, wurde der Grund gelegt für die Entnazifizierungsprozedur.2 Hierbei galt für die US-Zone auch der Passus, daß „alle aktiven Anhänger des Nazitums oder des Militarismus und alle anderen Personen, die den Vorsätzen der Alliierten feindlich gesinnt sind ... entlassen und aus den öffentlichen Behörden ausgeschlossen“ werden. Es zählten auch dazu „Personen, ... wel- che zu irgend einer Zeit, irgend einen verantwortlichen Posten innehatten in der NSDAP, von örtlichen NSDAP Einheiten bis zu dem Reichshauptquartier“ (gemeint war die Reichs- leitung), ferner „alle Mitglieder der NSDAP, welche nach 4 Jahren Dienst in der Hitler-Jugend nach Erreichung des 18. Lebensjahres, ausgewählt und in die Partei versetzt wurden“, und „alle Offiziere zu irgend einer Zeit (im) NS-Lehrerbund (NSLB)“, ... „Chefs der Lehrerbil- dungsanstalten“ sowie „Personen, welche nationalsozialistische oder faschistische Weltan- schauung verbreitet haben oder zu deren Verbreitung verwandt wurden“.3 Letztere Kenn- zeichnung ließ auch denjenigen keine Chance, die gezwungenermaßen nationalsozialisti- sches Gedankengut verbreiteten, also auch den Lehrern nicht. Entnazifiziert wurde in der Weise, daß anhand eines umfangreichen Fragebogens, den alle Personen ausfüllen mußten, die eine „relativ genau definierte Schlüsselposition“ des öffentlichen Lebens bekleideten, entschieden wurde, ob der „Antwortende“ mehr als „nomineller Nazi“ gewesen war. Traf dies zu, so mußte er ohne Rücksicht auf personellen Ersatz entlassen werden.4 Eine Schlüsselposition („position of importance“) hatte auch der Lehrer inne: „... the term shall include teachers as well ...“. Und das bedeutete auch, daß Rechtsansprüche, z.B. Ruhegehälter, automatisch erloschen.5 Diese Bestimmung hatte für

10 Gespräch mit Herrn Dr. Wilhelm Ebert, München. 11 LKAN. Kreisdekan Nürnberg, 6. An den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, Ansbach. Betreff: Fortsetzung des Berichtes vom 28.4.1945/11.5.1945.

1 US Forces, European Theater, Headquarters. 2 Niethammer, Die Entnazifizierung, S. 149; Clemens Vollnhals: Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945 – 1949. München 1991, S. 11. 3 Archiv des Deutschen Liberalismus der Friedrich-Naumann-Stiftung (ADL), Gummersbach. Nachlaß Thomas Dehler, N 1 – 338. Office of Military Government for Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Bava- ria. 5.12.1945. 4 Niethammer, Die Entnazifizierung, S. 150. 5 Ebda.

31 die entlassenen Beamten eine verheerende Wirkung. Ein Betroffener schrieb an Minister- präsident Schäffer und den SPD-Politiker Dr. Hoegner: „... Infolge der ... Entlassungsmaß- nahmen ... wird der Großteil der Beamten, die zu 80 bis 90 % Mitglieder der NSDAP waren, in ein furchtbares Unglück und ... unübersehbares Elend gestürzt; die Lebensgrundlage ... charakterlich einwandfreier Beamten mit ihren Familien ... zerstört.“6 Daß diese Klage dem Rechtsempfinden des deutschen Beamten entsprach, zeigt auch ein Gutachten zum „Recht des Beamten auf Gehalt und Pension“ vom 30. Mai 1945. Hier wurde besonders verwie- sen auf „wohlerworbene Rechte“, die durch die Verfassung geschützt und unverletzlich seien. Die Pension sei ein Teil der Bezahlung, weswegen sich der Beamte mit einem niedri- gen Gehalt begnüge. Entfernung aus dem Dienst und Aberkennung des Ruhegehaltes könnten nur von Dienststrafgerichten verhängt werden. Mitgliedschaft bei einer politischen Partei zähle nicht zu den Dienstvergehen, es sei denn, der Beamte habe sich „als Mitglied der NSDAP in einer für den Beamten unwürdigen Weise betätigt“. Der Staat könne zwar auf Verlangen der Militärregierung Beamte aus ihrem Amt entfernen, jedoch werde dadurch der Anspruch auf Pension oder Gehalt nach deutschem Recht nicht beeinträchtigt. „Selbst nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 5.4.33 erhielten Beamte, die gegen die NSDAP eingestellt waren, ... 3/4 der erdienten Pension ...“ Auch wenn der Beamte entlassen werde, so sei er nur in den Wartestand versetzt, mit Anspruch auf 80 % des Gehaltes. Der Begriff „remove“, den die Militärregierung für Entlassung benutze, enthalte nicht die Kürzung der vertragsmäßigen Ansprüche der Beamten.7 Unabhängig von einer Schlüsselposition jedweder Art gehörten zur Gruppe der „Entlassungspflichtigen“ („mandatory removal“) alle Mitglieder der NSDAP, die vor dem 1. Mai 1937, dem Inkrafttreten des Reichsbeamtengesetzes, eingetreten waren. Außerdem wurden Entlassungen in das Ermessen der Militärregierungen gestellt, z.B. bei Mitgliedern des Stahlhelm, Kyffhäuserbundes, der Deutschen Christen, der HJ und des BDM.8 Außer dem „großen“ Fragebogen mußte vorher ein weniger umfangreicher aus- gefüllt werden. Zumindest wurde das für den Bereich Treuchtlingen so gehandhabt, mög- licherweise nur für Lehrkräfte. Frau Wilhelmine Hofmann jedenfalls berichtete dies mit genauer Datumsangabe: „6.7. Ich habe einen Fragebogen der Militärregierung zugestellt bekommen, der meine politische Vergangenheit betrifft. Da ich mich bei manchen Fragen nicht auskenne, suche ich meinen Ex-Rektor in Langenaltheim auf. Ich fülle ihn bei ihm fer- tig aus und gebe ihn ab ... 28.7. Bei Herrn Ex-Rektor Treidtel bekomme ich den ‘großen Fra- gebogen’ ... Ich fülle meinen Riesenfragebogen aus und trage ihn am nächsten Tag zu dem neuen Schulrat ...“9 Bereits am 23.5.1945 erging das Ersuchen des Regierungspräsidenten in Ansbach an die Oberbürgermeister und Landräte seines Regierungsbezirkes Ober- und Mittelfran- ken, die bisherigen und von den örtlichen Militärregierungen aufgestellten Schulräte zum sofortigen Ausfüllen „der anliegenden Fragebogen“ zu veranlassen. Anschließend sollten Oberbürgermeister und Landräte die Fragebogen prüfen und „mit eingehender gutachtli- cher Äußerung über die persönliche, insbesondere politische, und die fachliche Eignung“

6 Archiv für Christlich-Soziale Politik der Hanns-Seidel-Stiftung (ACSP), München. Nachlaß Josef Müller, 252 (Wiedereinstellung entfernter Beamter 1945-48). 7 ACSP München, NL Josef Müller, 251 (Pensionsansprüche 1945-50). Rechtsgutachten des Obermagistrats- rates Prof. Dr. Cahn: Das Recht des Beamten auf Gehalt und Pension. Frankfurt a. Main, 30.5.1945. 8 Vollnhals, Entnazifizierung, S. 11 f. 9 Bericht Frau Wilhelmine Hofmann, Treuchtlingen.

32 vorlegen.10 War diese Aufgabe erledigt, erhielten die in ihrem Amt (vorläufig!) bestätigten Schulräte die Anweisung, ihrerseits die Lehrkräfte zur Ausfüllung eines Fragebogens zu ver- anlassen.11 Wie eine Überprüfung der eingehenden Fragebogen durchgeführt und die Eignung eines Lehrers „für den Lehrberuf in politischer Beziehung“ festgestellt wurde, beschrieb der Landrat in Dinkelsbühl: Es sollte ein Ausschuß gebildet werden, vorgeschlagen von Schul- rat H., der die Fragebögen sichten und die „künftig untragbaren Lehrkräfte“ dem Landrat zu melden hatte. Dann sollten die Ausschußmitglieder, zu denen nach Vorstellung des Land- rats auch ein Geistlicher zählen konnte, „der nicht vom Nazismus infiziert“ war, diejenigen Lehrkräfte vorschlagen, „die Gewähr bieten, daß die künftige Volksschule jeden Nazi-Geist ausschaltet und die Jugend wieder nach den früheren (sic!) und bewährten Grundsätzen im Einvernehmen mit Elternschaft und Kirche erzieht“.12 In Dinkelsbühl hatte die amerika- nische Militärregierung die „baldmöglichste Wiederaufnahme des Volksschulbetriebes, Kl. 1-4“, gewünscht.13 Am 3. Juli erging ein Schreiben des Regierungspräsidenten an die Oberbürgermei- ster und Landräte „-zugleich in ihrer Eigenschaft als Mitglieder der Stadt- bzw. Bezirks- schulämter“ – mit dem Betreff: „Reinigung des Beamtenkörpers“. Es war eine Übersicht auszufüllen für die „männlichen und weiblichen Beamten und männlichen Angestellten des Geschäftsbereiches des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus“, also z.B. Schulauf- sichtsbeamte, Volks- und Hauptschullehrer. Ausgenommen von diesem Auftrag waren „Lehrer an gemeindlichen Schulen, sowie an den unmittelbar dem Unterrichtsministerium unterstehenden staatlichen höheren Schulen und Hochschulen“. Die Übersicht mußte bis spätestens 1.8.1945 vorgelegt werden. Wenn der Dienststellenleiter selbst „aktiver Angehöriger der Partei, alter Kämpfer, Inhaber von Parteiauszeichnungen, Inhaber von Par- teiämtern ...“ war, so sollte sein Stellvertreter oder ein anderer geeigneter Beamter die Liste ausfüllen.14 Sie enthielt u. a. Fragen zum Prozentverhältnis (geschätzt) der Parteigenossen zum oben genannten Personenkreis, aufgeschlüsselt nach Schul- und Hochschulbildung; zu aktiven Parteiangehörigen (geschätzt), aufgeschlüsselt nach „Alte Kämpfer, Inhaber von Parteiämtern, Inhaber von Parteiauszeichnungen, Beamte, die durch die Partei ohne ent- sprechende Leistung befördert worden sind, Beamte, die sich gegen ihre Kollegen oder gegen sonstige Personen gehässig oder gar denunziatorisch benommen haben“, immer auch eingeordnet nach Schulbildung. Weiter wurde gefragt, ob „die sofortige Entfernung der ... aufgeführten Beamten und männlichen Angestellten den Dienstbetrieb v ö l l i g unmöglich“ machen würde. Dann wollte man wissen, wie viele Personen der Partei zwar angehört hatten, „aber ihrer inneren Gesinnung nach und insbesondere ihrer weltan- schaulichen Betätigung nach und nach der Erfüllung ihrer Dienstpflicht und ihrem Verhal- ten gegenüber der Bevölkerung nicht als aktive Angehörige der Partei betrachtet werden können“.15 Natürlich wurde auch nach der Anzahl der Personen gefragt und nach dem „Prozentsatz, in dem diese Gruppe im Verhältnis zur Gesamtzahl der männlichen und weib- lichen Beamten und männlichen Angestellten der gleichen Vorbildungsstufe steht“. In den

10 StAN. Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, 264. 11 Ebda., o. D. 12 Ebda., Vormerkung: Der Landrat in Dinkelsbühl. 30. Mai 1945. 13 Ebda. 14 Ebda., Schreiben des Regierungspräsidenten Nr. 1153 b 1 vom 3. Juli 1945. 15 Ebda.

33 angefügten Erläuterungen fand sich der bemerkenswerte Satz, „daß die Zahlen der Wahr- heit völlig entsprechen müssen, und daß das Möglichste dem Dienstbetrieb und der Auf- rechterhaltung zugemutet werden muß“. Außerdem wurde „ausdrücklich ... bemerkt, daß die Zahlen nicht kleiner angegeben werden dürfen als der Wahrheit entspricht“.16 Drückte sich hier schon die Überlegung aus, daß zugunsten der Aufrechterhaltung der Ordnung die Entfernung der Nationalsozialisten aus ihren Ämtern großzügig gehand- habt werden sollte? Und befürchtete man schon zu diesem Zeitpunkt, daß viele, auch offi- zielle, Stellen versuchen würden, die Mitverantwortung ihres Personals herunterzuspielen? Vom 4. Juli 1945 datierten „Richtlinien über die Ausscheidung der Beamten“.17 Sie wurden den Lehrerbildungsanstalten in Eichstätt, Neuendettelsau, Bayreuth und Windsbach mitgeteilt. Danach wurden ihres Dienstes enthoben alle Lehrer, die „von Militär-, Militärre- gierungs-, Gegenspionage- und anderen Offizieren verhaftet wurden und in Haft gehalten werden“; Lehrkräfte, die vor dem 1. April 33 oder zu irgend einer Zeit hauptamtliche Beam- te oder Angestellte der NSDAP waren, Mitglieder der SS, der SA (ab einem bestimmten Rang), „Offiziere“ der HJ, ebenfalls ab einem höheren Rang (Stammführer), Mädelringfüh- rerinnen, Offiziere des RAD (ab Arbeitsführer), Angehörige der von der Militärregierung bezeichneten NS-Organisationen, Mitglieder des Generalstabs oder des „Generalstabskor- ps“, Angehörige der Gestapo oder des SD und Lehrkräfte, die nach dem 1. Januar 1938 im Auftrag des Reiches oder einer der NS-Organisationen in leitender Stellung im Ausland tätig waren. Außerdem waren Lehrkräfte zu entlassen, die Parteiämter und –auszeichnungen innehatten, die ohne Vorbildung oder ohne entsprechende Leistungen unter Einflußnahme der Partei Stellen einnahmen oder befördert wurden, und solche, „die sich gegen ihre Kol- legen oder gegen sonstige Personen gehässig oder gar denunziatorisch benommen haben“.18 Mit dieser Entschließung wurden ganz offensichtlich Vorgaben der amerikani- schen Militärregierung teils wörtlich übernommen, woraus sich in Deutschland unge- bräuchliche Ausdrücke erklären. Beispiele aus dem Landkreis Dinkelsbühl zeigen, wie sich die Situation in Einzelfällen darstellte. Dort versuchte man, der Militärregierung die Umstände klarzumachen, unter denen eine Lehrkraft in die NSDAP eingetreten war. Da richtete z.B. am 12. Juli 1945 der Bezirksschulrat H. ein Schreiben (No. 2100) an die amerikanische Militärregierung in Din- kelsbühl mit dem Betreff: „Zur Personalfrage in der Volksschule“. Er lehnte eine strenge Überprüfung der Lehrkräfte nicht ab, meinte aber: „Daß die Parteizugehörigkeit allein kei- nen genügenden Aufschluß gibt, ist jedem in die Verhältnisse des 3. Reiches Eingeweihten klar. Denn die Aufnahme in die Partei erfolgte nach 1933 vielfach unter einem solchen star- ken äußeren Druck, besonders in Franken und hier wieder in besonderem Maße im Land- kreis Dinkelsbühl, der vom ‘Musterkreisleiter des Gaues’ geführt wurde ... Nur so ist es zu erklären, daß von den einheimischen männnlichen (sic!) Lehrkräften fast jeder Parteimit- glied ist.“19 Recht selbstbewußt kritisierte er – zwei Monate nach der Kapitulation! – die Entscheidung der Alliierten, das Datum des Parteieintritts als ein Kriterium für Entlassung oder Verbleib im Amt festzusetzen, und bezeichnete eine Terminfestsetzung zwischen 1933 und 1945 als willkürlich, da sie „grobe, unberechtigte Härten“ in sich schließen würde.20 Seinem Vorschlag zufolge sollten alle Lehrer, die vor 1933 der NSDAP beigetreten waren,

16 Ebda. 17 Ebda. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 6607. ME Nr. N 14837. 18 Ebda. 19 Ebda., Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, 264. Bezirksschulrat H. am 12.7.1945 an die Amerikanische Militärregierung Dinkelsbühl. 20 Ebda.

34 entlassen werden, da zu dieser Zeit der Beitritt freier Wille gewesen sei; außerdem diejeni- gen, die sich in besonderem Maße hervorgetan hatten als Ortsgruppenleiter, Schulungslei- ter, Kreis- oder Gauredner. Lehrer aber, die „auch in der Schule sich mit einer formalen Erfül- lung der ihnen durch die Nazi auferlegten Berufspflichten genügten“, sollten „ohne weite- res“ wieder zugelassen werden.21 Damit brachte er aber auf den Punkt, warum den Amerikanern der Bildungs- und Erziehungsbereich besonders wichtig war bei ihrem Umerziehungsansatz: Sie behaupteten ja nicht, daß es an den Schulen ausschließlich stramme Nationalsozialisten als Lehrer gege- ben hatte, die auf spektakuläre Weise die deutsche Jugend vergifteten. Ihnen war daran gelegen, die von ihnen vermutete nationalistische und militaristische Tendenz in der gesam- ten deutschen Erziehung, die ja auch von Lehrern vertreten wurde, die den „auferlegten Berufspflichten genügten“, zu tilgen und mit demokratischen Kräften neu anzufangen. Dem stand die Einrichtung des Berufsbeamtentums naturgemäß im Wege.22 Derselbe Schulrat machte dann noch den Vorschlag, alle Junglehrer, die während ihrer Ausbildung nur „Nazi-Pädagogik“ gelehrt bekommen hatten, nach mehrwöchigen Umschulungskursen auf ihre künftige Eignung für die „neue Schule“ zu prüfen. In seinem Dienstbezirk seien das insgesamt 20 junge Lehrkräfte, denen Gelegenheit gegeben werden müsse, die nationalsozialistischen Erziehungsgrundsätze einer kritischen Betrachtung zu unterziehen, um sie dann aus innerer Überzeugung heraus ablehnen zu können. Schulrat H. hielt auch aus dieser Sicht die Entfernung der erfahrenen Lehrer für ungerecht, denn die jungen Leute würden dadurch bevorzugt, daß sie, eben weil sie jung waren, noch nicht lange in der Partei sein konnten, auf der anderen Seite keine Ahnung von den Ideen vor 1933 hatten und, vollgesogen mit nationalsozialistischem Gedankengut, oft die „Alten“ in die Partei gedrängt hätten.23 Diese Gedankengänge fand man immer wieder, vor allem, als die Jugendamnestie gewährt wurde, und in Berichten über die Rolle der HJ, die sie in den Lagern der Kinderlandverschickung gespielt hatte.24 Am Schluß seines Berichtes über die Personalfrage in der Volksschule wies Schulrat H. darauf hin, daß mit einem Umschulungs- lehrgang sofort begonnen werden könne, da das Arbeitsprogramm vorläge. Man warte nur auf den Befehl der Militärregierung. Ein weiterer Vorschlag von Schulrat H. ging bei der Militärregierung Dinkelsbühl ein: die Bildung von Erziehungsbeiräten im Kreis und in den einzelnen Gemeinden und Vor- schläge für ihre Zusammensetzung. Im Gegensatz zu den „Schulbeiräten“, die es in der Nazizeit gegeben hatte, sollten außer Elternhaus und Schule in ihnen wieder die Kirchen vertreten sein. Denn nur dann würde es gelingen, „unserer Jugend wieder Gehorsam, Zucht und anständiges Benehmen sowie Achtung vor Elternhaus, Schule und Kirche mit Erfolg zu lehren und sie darin zu üben“.25 Möglicherweise waren diese Vorschläge von Schulrat H. auch vorauseilende Selbstrechtfertigung, denn 18 Tage nach seiner Eingabe wurde er ent- lassen.26 Die bereits Ende Mai 1945 von den Militärregierungen befohlene Einforderung von Fragebogen, die jeder bayerische Lehrer abgeben mußte, zeitigte nun, Ende Juli, Konse- quenzen. Am 19.7. hatte der Landrat von Dinkelsbühl dem Schulrat im Auftrag der ameri- kanischen Militärregierung schon Namen von Lehrern mitgeteilt, die nicht mehr in das Ver-

21 Ebda. 22 siehe S. 32. 23 StAN. Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, 264. Bezirksschulrat H. am 12.7.1945 an die Militärregierung Dinkelsbühl. 24 siehe S. 109. 25 StAN. Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, 264. Bezirksschulrat H. am 12.7.1945 an die Militärregierung. 26 siehe S. 38.

35 zeichnis zur Besetzung der Klassen aufgenommen worden waren. Es handelte sich um Lehr- kräfte, die stellvertretende Kreisleiter, Ortsgruppenleiter, Parteimitglieder vor 1933, Aktivi- sten der Nazipartei, zum Teil verhaftet, waren.27 Nach welchem Fragebogen hierbei vorge- gangen wurde, schien unterschiedlich zu sein. Während Wilhelmine Hofmann am 6. Juli ihren ersten Meldebogen ausfüllte und am 28. Juli den „großen Fragebogen“, gab es im Bereich Dinkelsbühl schon Ende Mai einen solchen. Wieder andere Lehrer gaben den berühmten Fragebogen mit 131 Teilfragen erst im Juni 1946 ab.28 Ob die einzelnen Maß- nahmen und Anordnungen zur Erfassung ehemaliger Nationalsozialisten parallel liefen oder wenigsten überschaubar waren, scheint zumindest fraglich; denn in einem Erlaß von Kul- tusminister Hipp, dessen erster Satz lautete: „Jeder männliche und weibliche Beamte und Angestellte der Behörde hat einen Personalfragebogen auszufüllen“, hatte ein entnervter Leser darübergeschrieben: „welchen?“29. Auch Militärregierung und Kultusministerium arbeiteten augenscheinlich nicht eng zusammen, denn während im regionalen Bereich von amerikanischer Seite bereits Entlassungen namentlich bekanntgegeben wurden und schon am 30. Mai ein Gutachten zum „Recht des Beamten auf Gehalt und Pension“ erstellt wurde30, kam erst am 20. Juli eine Anweisung des Kultusministeriums zur Entfernung aller Lehrpersonen, die seit 1.5.1933 in die Partei eingetreten waren. In dieser Anordnung wurde auch nur die Dienstenthebung verfügt, das Dienstverhältnis sollte später geregelt werden. Später, nach der Entlassung von Kultusminister Hipp, mußte das Ministerium auf Befehl der Militärregierung den entlassenen Beamten mitteilen, daß ihre Entlassung endgültig sei.31 Wenige Tage darauf beklagte Kultusminister Hipp, daß fehlende Informationen von den mittleren und örtlichen Instanzen der deutschen Verwaltung und der Militärregierung über die „Ausmerzung der Angehörigen des Nationalsozialismus aus dem Lehr- und Beam- tenkörper“ die Bemühungen des Ministeriums um Wiedereröffnung der Schulen außeror- dentlich hemmen würden. Er habe bei der Militärregierung Bayern einen Rundfunkerlaß beantragt, „wonach alle dem Ministerium unterstellten Lehr- und Unterrichtsanstalten ... zu berichten haben (... über den Regierungspräsidenten oder ... über den Kurierdienst der Regierung), wer die Anstalt zur Zeit leitet, wer von den Lehrkräften Parteigenosse war und ob die Anstaltsgebäude zur Fortführung des Unterrichts geeignet und frei sind.“ Ebenfalls nicht bekannt waren dem Ministerium Anordnungen und Willensbekundungen der mittle- ren und örtlichen Instanzen der Militärregierung bezüglich der Öffnung der Schulen.32 Man- gelnde Kommunikation zwischen deutscher Verwaltung und Militärregierung erschwerte die Arbeit ebenso wie fehlender Kontakt zwischen örtlichen deutschen Ämtern und dem Regierungsbezirk bzw. dem Ministerium.33

27 StAN. Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, 264. Der Landrat Dinkelsbühl am 19.7.1945 an Schulrat H. 28 Privatarchiv Hermann Dehm. 29 StAN. Regierung von Mittelfranken, Kammer des Inneren, Abgabe 1978 Nr. 6607. Schreiben Nr. I 15657 des Bayerischen Staatsministers für Unterricht und Kultus am 20. Juli 1945 an die dem Ministerium unmittelbar unterstellten Behörden außerhalb Münchens. 30 siehe S. 32. 31 Buchinger, S. 25. Im übrigen tat die Militärregierung Deutschland durch „Gesetz Nr. 6“ kund, daß bei Hand- lungen, die von einer bestimmten deutschen Behörde genehmigt werden müßten, um wirksam zu sein, in allen Fällen nun die Ermächtigung oder Genehmigung der Militärregierung genüge. Dies galt z.B. für die Beendigung eines Beamtenverhältnisses. (Amtsblatt des Land- und Stadtkreises Coburg, Nr. 2, 18. August 1945, S. 32). 32 StAN. Regierung von Mittelfranken, K. d. I., Abgabe 1978, Nr. 6607. Schreiben Nr. IV 15514 des Bayerischen Staatsministers für Unterricht und Kultus am 24.7.1945 an alle Regierungspräsidenten. 33 Barthel, S. 61.

36 Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die örtliche Administration so weit etabliert, daß die Militärregierungen, nach Ankunft von Spezialeinheiten („pinpointed detachments“), mit systematischen Überprüfungen und Entlassungen begannen.34 Hierbei wurde rasch klar, daß ihnen mehr an der befohlenen Umerziehung lag als an der Aufrechterhaltung der alten Ord- nung, sei sie auch noch so effektiv. So sandte z.B. „Headquarters Mil. Gov. Detachment I 8 A3 APO 658 US Army“ am 30. Juli 1945 an den Landrat von Dinkelsbühl folgenden Befehl: „Subject: Removal of Personnel. 1. Hiermit wird die Entlassung per 31. Juli 1945 der folgenden Lehrkräfte von der Stel- lung, die sie augenblicklich inne haben angeordnet. Damit hört ihre Einflußnahme und Teil- nahme direkter oder indirekter Art auf das Schulwesen auf. 2. Die oben angeführten dürfen nicht in der Stellung, von der sie entfernt wurden, wiederbeschäftigt werden, noch dürfen sie in andern Stellungen ohne Genehmigung der Militärregierung verwendet werden. 3. Sie wollen Vollzugsmeldung anher geben.“35 Der Landrat hatte noch am 28. Juli der Militärregierung Dinkelsbühl dargelegt, warum er Entlassungen anhand des Termins des Parteieintritts nicht für gut hieß: Es müßte „ein großer Teil unserer wertvollsten und erfahrensten Lehrer ausscheiden, (der) meist ... zum Eintritt in die Partei gepreßt wurde“; es würde zu „nachteiligen Auswirkungen in den schulischen Verhältnissen führen“; man müsse „mit dem noch vorhandenen Lehrermaterial aus der Zeit vor 1933 möglichst sparsam (umgehen), um für das nächste Jahrzehnt einen Stamm wert- voller Lehrkräfte zur Verfügung zu haben, die auf Grund ihrer pädagogischen Ausbildung und ihrer politischen und beruflichen Grundhaltung auch in der Lage sind die kommenden Schwierigkeiten im Schulbetrieb mit meistern zu helfen ...“36 Aber genau auf diese Leute legte die Militärregierung keinen Wert. In der Anlage seines Briefes hatte der Landrat dann Lehrkräfte aufgeführt, deren politische Zuverlässigkeit gemäß Regierungsentschließung vom 23.6.1945, No. 1153 b 2 geprüft worden war. In der Spalte „politisch zuverlässig?“ wurde mit „nein!“ oder „ja!“ geantwortet, und bei „Bemerkungen“ dies begründet. So wurden zur Entlassung vorge- schlagen: „Parteimitglied seit 1928. Ortsgruppenleiter und Kreisleiter; Parteimitglied seit 1931. SA 1932-1934, HJ: stellv. Fähnleinsführer; sturer Nazi; Ortsgruppenamtsleiter der NSV; Parteimitglied seit 1.5.1937. Schon vorher eifrige Nazin. Hat sich durch ihr Verhalten am Dienstort sehr unbeliebt gemacht. BDM-Gruppenführerin. Schulungsbeauftragte der NSDAP.“ Dann gab es eine Gruppe von politisch belasteten Lehrkräften, „deren Entlassung aber nicht ohne weiteres durch die Kommission befürwortet werden kann“, z.B. „Partei- mitglied seit 1933. Kreispresseamtsleiter, z. Zt. verhaftet. Nach dem beigelegten Gutachten ... des Bürgermeisters und Pfarramtes hat F. das vollste Vertrauen der Bevölkerung ...“37 Ein solches Gutachten schrieb z.B. die Gemeinde Gerolfingen am 3. September 1945 an die Militärregierung in Dinkelsbühl: „By the wife of district 1st teacher G. at Gerol- fingen we got to know of the discharge from school service of our first teacher. All the vil- lage deeply regrets this and should like to request the American Military Government to examine this discharge once more till the 1st teacher will be able to present himself perso- nally. The discharge ... would ... rob quite a trustworthy democratic man of the chance to serve to democracy in the best sense of the word. ... That he entered into the Party in 1937 and for some time took over an instruction course in the Ortsgruppe at Wittelshofen, was

34 Niethammer, Die Entnazifizierung, S. 148 f. 35 StAN. Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, 264. 36 Ebda. 37 Ebda.

37 compulsion. Everybody knew that an official was not allowed to say no if he wanted to stay in his post. ... G. also attented to the Church service as an organist up to the last which was often found fault with by the Kreisleitung and again and again caused troubles to him. ... Wherever he could he enlighted people and informed them of what he heard by the for- eign broadcast transmissions. The American Military Government should give at any rate such a man a chance to stay furtheron in the service of a teacher, it would certainly not repent of it.“38 Unterzeichnet war dieses Gesuch mit „The Burgomaster“ und „The communal counsellors“. Zu den als „politisch zuverlässig“ erachteten Lehrkräften zählten solche, die zwar Parteimitglied sein konnten, sogar ab 1.5.1933, die jedoch als „kirchentreu“ bezeichnet wurden, sich geweigert hatten, ein Parteiamt zu übernehmen, NSLB-Abschnittsleiter waren und natürlich diejenigen, die nicht in der Partei waren.39 Zumindest die Militärregierung in Dinkelsbühl war relativ unbeeindruckt von den Empfehlungen, die die Prüfungskommission unter Landrat R. weitergab. Sowohl der Schul- rat als auch der Kirchentreue wurden zur Entlassung befohlen.40 Ob die „Nurnberg Tea- cher´s Association“ mit ihrer „list of personnel whom (we) take the liberty to propose for reinstatement“ Erfolg hatte, ließ sich nicht belegen. Sie legte der Militärregierung eine Auf- stellung mit 50 Namen Nürnberger Lehrer vor, von denen 13 als „non partymember“ ange- geben waren.41 Durch das „Gesetz Nr. 8“ wurde in der amerikanischen Besatzungszone das „Ver- bot der Beschäftigung von Mitgliedern der NSDAP in geschäftlichen Unternehmen und für andere Zwecke mit Ausnahme der Beschäftigung als gewöhnlicher Arbeiter“ bekanntge- geben. Das Gesetz trat am 26.September 1945 in Kraft und sollte die verstärkte Ausschal- tung „des Einflusses der nationalsozialistischen Weltanschauung in Deutschland“ bezwecken. Mit dem Begriff „gewöhnliche Arbeit“ beschrieb man „gelernte, ungelernte und büromäßige Arbeiten und Dienste in einer untergeordneten Stellung, in welcher der Arbeitnehmer weder in einer aufsichtsführenden, leitenden oder organisatorischen Weise tätig ist, noch an der Anstellung und Entlassung von Arbeitnehmern ... mitwirkt“. Aller- dings konnte der Entlassene und von diesem Gesetz Betroffene bei der örtlichen Militärre- gierung vorstellig werden.42 Auch ein entlassener Beamter durfte Einwände gegen die Dien- stenthebung geltend machen und ein Gesuch einreichen, in dem er Gründe und Zeugen nennen sollte, die die Militärbehörde prüfen konnte. Urkunden durften beigelegt werden. Das konnten auch Erklärungen einzelner Personen sein, „in denen diese dartun, daß eine Entlassung des Beamten nach seinen persönlichen Verhältnissen oder seiner Gesinnung nicht gerechtfertigt erscheint“.43 Diese rechtsstaatliche Möglichkeit der Einsprucherhebung löste die Jagd nach „Persilscheinen“ aus, die in manchen Fällen groteske Formen annahm und bei den Amerikanern zuweilen Zweifel aufkommen ließ, ob die Deutschen nicht alle miteinander in dem nationalsozialistischen Netz verstrickt waren und unter einer Decke steckten. Gesuche von Volksschullehrern erforderten die Stellungnahme zweier Mitglieder

38 Ebda., Der Landrat von Dinkelsbühl am 28.7.1945 an die Militärregierung Dinkelsbühl. 39 Ebda. 40 Ebda., Headquarters Mil.Gov. Detachment I 8 A 3 APO 658 US Army am 30.7.1945 an den Landrat in Din- kelsbühl. 41 Archiv der Stadt Nürnberg. Schul- und Kulturreferat. Personalvertretung der Volksschullehrkräfte. Bd. 1 401/30/30. 42 ACSP München NL Josef Müller, 290. 43 StAN. Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, 264. Schreiben P 735 des Regierungspräsidenten am 27.8.1945 an die Stadt- und Bezirksschulämter, z. Hd. der Oberbürgermeister und Landräte. Vollzug der KME vom 9.8.1945, Nr. I 16991.

38 des Schulamtes. Die Basis dafür sollte das Gutachten sein, das die Kommission zur „Prü- fung der politischen Zuverlässigkeit der Lehrkräfte“, gebildet nach RE vom 23.6.1945 Nr. 1153 b 2, erstellt hatte. Die örtliche Militärregierung, die die Dienstenthebung ausgespro- chen hatte, sollte das weitere Verfahren übernehmen.44 In den Wochen und Monaten nach der Besetzung durch die Amerikaner empfin- gen die Lehrer die Briefe, in denen ihnen mitgeteilt wurde, wie ihr weiteres Schicksal aus- sehen würde. Manche nahmen es gleichmütig hin, wenn sie entlassen wurden, fühlten sich nicht ungerecht behandelt, da ihnen ihre nationalsozialistische Vergangenheit zu denken gab.45 Angesichts der Kollegen, die während des Dritten Reiches Nachteile wie Versetzung oder gar Entlassung in Kauf genommen hatten, kam manch einer jetzt zu der Erkenntnis: „So hätte man es auch machen können.“46 Einige erhielten gute Nachrichten: „Durch Entscheid der Militärregierung des Detachments H 267 vom 20.8.1945 sind Sie als Erzie- herin in Ihrer seitherigen Diensteigenschaft bestätigt. Weißenburg i. Bay., den 23.8.1945.“47 Bei vielen war weniger die „immediate suspension of discharge ... from the position he occupies“ und die Anordnung, daß „above mentioned individual may not be re-employed in the position from which he was removed ...“ von Wichtigkeit, sondern die daraus resul- tierende Mitteilung an die Regierungshauptkasse Ansbach, „mit dem Ersuchen um Einbe- haltung der Dienstbezüge ab 1. Juli 1945“, was die Lehrer in tiefste Verzweiflung und Not stürzte.48 Einige Lehrer erhielten ihre Dienstentlassung direkt von der Militärregierung und teilten sie dann der Regierung mit: „Hiermit melde ich, daß ich seit 22.9.1945 durch Verfü- gung der Militärregierung als ‚politisch unzuverlässig‘ erklärt und damit, wie ich annehme, meines Dienstes enthoben bin. Als Stellvertreter im Amt benenne ich ..., der auf seinen Fra- gebogen ... einen bejahenden Bescheid erhalten hat. ...“49 Wieder andere erhielten ihre Bestätigung im Amt vom Schulrat, dem die Militärregierung die Namen genannt hatte, mit der Auflage, „„daß die Genannten genauestens überwacht werden, und der Schulrat wird strengstens dafür verantwortlich gehalten, daß ihre Unterrichtsweise von nationalsozialisti- schen Lehren vollständig frei“ bleibt.50 Ein großer Teil der Lehrerschaft nahm kurz gefaßte Vor- drucke in Empfang, ausgestellt vom Bezirksschulamt mit dem Text: „Betreff: Politische Reini- gung des Beamtenkörpers. Mit Entscheid der Amerikanischen Militärregierung in Ansbach vom 28. Sept. 1945 wurden Sie für die weitere Verwendung im Volksschuldienst nicht zuge- lassen. Gleichzeitig habe ich Sie auf die Verfügung des Gesetzes Nr. 52 der Amerikanischen Militär-Regierung in Deutschland hinzuweisen, wonach Ihr Vermögen der Sperre unterliegt.“51 Ein derartiger Bescheid war oftmals der Auslöser für das Sammeln von Unterschriften gegen die Amtsenthebung. Die Namen der entlassenen Personen wurden in den Amtsblättern ver- öffentlicht.52 Den im Amt verbliebenen Lehrern brachten die Amerikaner großes Vertrauen in ihre Demokratiebereitschaft entgegen, denn schon im Oktober 1945 erhielt die Nürnberger Leh- rerschaft von der örtlichen Militärregierung die Übersetzung der „Bestimmungen für Betriebs-

44 Ebda. 45 Gespräch mit Herrn Professor Hans Glöckel. 46 Ebda. 47 Privatarchiv Frau Wilhelmine Hofmann. 48 StAN. Regierung von Mittelfranken, K.d.I., Abgabe 1978, Nr. 6607. Schreiben Headquarters Mil. Govern- ment Nürnberg CHA/JCT/rjl vom 12.9.1945 an den Regierungspräsidenten, Regierungsbezirk Middle Fran- conia, Ansbach, Bavaria; Regierungspräsident am 6.10.1945 an den Oberbürgermeister von Nürnberg. 49 Ebda., Schreiben Stud. Dir. K., Windsheim, am 5.10.1945 an den Regierungspräsidenten, Ansbach. 50 Ebda., Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, 264. Schreiben Headquarters Military Government Detach- ment H-261 Co.C, 3d Mil. Gov. Regt. APO 403 US Army, am 30.8.1945 an den Landrat in Dinkelsbühl. 51 Privatarchiv Hermann Dehm. 52 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg, F 2. Amtsblatt Nr. 21.

39 ratswahlen“. Nach ordnungsgemäßem Antrag durch das Arbeitsamt an die Militärregierung durften „Betriebsobleute“ gewählt werden. Die Lehrer in Nürnberg konnten drei Obleute wählen, da es sich um einen „Betrieb“ mit 50 bis 199 Beschäftigten handelte. „Mitglieder der NSDAP und verantwortliche Amtswalter von der NSDAP angeschlossenen Formationen“ waren nicht stimmberechtigt. „Nicht wählbar (waren) Mitglieder der NSDAP und ihrer Orga- nisationen (insbesondere keine Beamten der DAF und Militaristen) mit Ausnahme von Perso- nen, die nur dem Namen nach Mitglieder der DAF und NSV waren ...“ Die Tätigkeitsdauer der Gewählten sollte zunächst drei Monate sein. Danach würde eine neue Wahl stattfinden.53 Die „Betriebsratswahl der Nürnberger Volksschule“ fand am 18. Dezember 1945 statt, die drei Gewählten (Oberlehrer Friedrich Trötsch, Hauptlehrer Otto Maas und Lehrer Otto Staab) mußten gleich einen Fragebogen abgeben. 54 Am 12.März 1946 stellte die Volksschullehrerschaft Nürnberg an das Arbeitsamt den Antrag, eine neue Betriebsratswahl genehmigen zu wollen, und gab die Zahl der beschäf- tigten Lehrkräfte mit 246 an, was die Wahl von vier Betriebsvertretern bedeutete.55 Im Dezem- ber hatte die Wählerliste noch 33 Lehrer und 35 Lehrerinnen umfaßt; dazu kam noch eine umfangreiche „Nichtwählerliste“.56

53 Archiv der Stadt Nürnberg. Schul- und Kulturreferat. Personalvertretung der Volksschullehrkräfte. Bd. 1 401/30/30. Bestimmungen für Betriebsratswahlen. 54 Ebda., Schreiben des Stadtschulamts der Stadt Nürnberg am 19.12.1945 an das Arbeitsamt Nürnberg. Betr.: Betriebsratswahl der Nürnberger Volksschule. 55 Ebda., Schreiben des Stadtschulamts der Stadt Nürnberg am 12.3.1946 an das Arbeitsamt Nürnberg. Betr.: Betriebsratswahl. 56 Ebda., Wählerliste/Nichtwählerliste.

40 5.4. DIE WIEDERERÖFFNUNG DER VOLKSSCHULEN

5.4.1.Vorstellungen der Kirchen

Die evangelische Kirche hatte im Juli 1945 begonnen, kirchlich treue Lehrer höhe- ren Orts zu melden. Berichte über Lehrer, die während des Dritten Reiches der Kirche treu geblieben waren, gingen an das Evangelisch-Lutherische Dekanat Nürnberg. Jedes Pfarramt im Dekanatsbezirk machte Angaben.1 Sehr aufmerksam wurde beobachtet, wie die Überprüfung der Lehrkräfte vor sich ging, und der Anspruch erhoben, „daß Pfarrer, die Parteigenossen waren, zum mindesten nicht schlechter behandelt werden dürfen wie Lehrer, die trotz ihrer Zugehörigkeit zur Partei weiter im Schuldienst behal- ten werden“2. In dem Gedächtnisprotokoll über die „Besprechung von Schulfragen im Kultusministerium“ wird auch bestätigt, daß die Maßnahmen zur Entnazifizierung der Lehrer nicht nach einheitlichen Vorschriften durchgeführt wurden. Es heißt dort: „Auf jeden Fall hat das Ministerium keine Anordnungen über den Modus der Überprüfung erlassen, auch liegen keine einheitlichen Richtlinien von seiten der Militärregierung vor. Die Überprüfung erfolgt örtlich und wird offensichtlich auf verschiedene Weise gehand- habt. Davon, daß wie in Ansbach, eigene Kommissionen gebildet werden, zu denen auch Geistliche als Gutachter beigezogen sind, erfuhren die Herren erst durch mich.“3 Unter Nr. 1153 b 2 hatte der Regierungspräsident von Ober- und Mittelfranken, Reich- ard, am 23. Juni 1945 ein Schreiben an die Oberbürgermeister und Landräte herausge- geben, in dem er die Zusammensetzung einer solchen Kommission, die Volksschullehrer überprüfen sollte, bekanntgab. Für Lehrkräfte an Volks- und Hauptschulen sollten ihr angehören „a) der Oberbürgermeister bezw. Landrat b) der Schulrat c) ein Lehrer der beteiligten Schulgattung mit entsprechenden Personalkenntnissen d) je ein Geistlicher der im Kreis vertretenen Konfessionen“.4 Der Regierungspräsident hatte seinen Anwei- sungen vorangestellt: „This has been coordinated with the Regierungsbezirk´s Military Detachment and will also be coordinated with the Military Government Detachment in your area.“ Die Überprüfung der Lehrer lag auch den Teilnehmern der katholischen Bischofskonferenz am Herzen, die Ende Juni 1945 in Eichstätt stattfand. Sie forderten: „Jetzt Säuberungsaktion bei den Lehrern; ... gerechte Einzeluntersuchung jedes Falls!“5 Einig waren sich beide Kirchen in ihrer Forderung nach der Bekenntnisschule. Zu diesem Zeitpunkt schon sagte die katholische Kirche: „Bekenntnisschule die gesetzliche Regel- schule!!“6 Dieser Aspekt wird später ausführlich erörtert. Von evangelischer Seite hörte man zunächst (30. Juli 1945): „Im Gegensatz zur Volksschule werden die höheren Lehran- stalten simultanen Charakter tragen ...“7 In einem „Memorandum zur Neugestaltung des Schulwesens“ vom 22. August 1945, das als Vorlage für die Konferenz in Treysa diente, wurde bereits viel dezidierter formuliert: „ ... im öffentlichen Schulwesen: Bekenntnisschule.“ Vierfach wurde dieser Anspruch begründet. „ ... theologisch: der

1 LKAN. Kreisdekan Nürnberg, 251. 2 Ebda. Landeskirchenrat VI 1100 a (3064). Besprechung von Schulfragen im Ministerium am 30. Juli 1945. Das Protokoll wurde gezeichnet von Landesbischof Meiser. 3 Ebda. 4 StAN. Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, 264. 5 LKAN. Landeskirchenrat VI 1100 a (3064). Schulprogramm der katholischen Bischöfe Bayerns (Besprechung mit Domkapitular Zinkl, Mo. 30.VII.45). 6 Ebda. 7 Ebda. Besprechung von Schulfragen im Ministerium 30. Juli 1945.

41 ganze Mensch, Lehrer und Schüler ... Lehre und Leben der ganzen Schule ... sollen aus- gerichtet sein aufs Evangelium; pädagogisch: ... gestaltende Mitte ... kann für die Kir- che nur das Wort Gottes sein; psychologisch: die Kinder sollen nach dem verwirrenden und zersetzenden Hin und Her der letzten Jahre von einer Einheitsatmosphäre umfan- gen und getragen werden; juristisch: ... die Rechtslage vor 1933 (soll) wieder hergestellt werden, welche die Konfessionsschule als Rechtsschule vorsieht. (vgl. den Staatsvertrag von 1924).“8 Der Begriff der „Rechtsschule“ ist ungewöhnlich und neu und taucht in späte- ren Dokumenten nicht mehr auf. Eine Verwechslung mit dem Terminus „Regelschule“ ist denkbar. Jedoch sagt der Staatsvertrag nichts von der Konfessionsschule als Regel- schule.9 Auf jeden Fall sah sich die evangelische Kirche nur wirklich als „Volkskirche“ ernst genommen durch die Möglichkeit maßgebender Gestaltung im Verhältnis Kirche und Schule durch die Bekenntnisschule.10 In der Frage der Bildung der Volksschullehrer ähnelten sich die Ansichten beider Kir- chen. Die katholischen Bischöfe forderten die konfessionelle Lehrerbildung mit Beto- nung der charakterlichen Erziehung der künftigen Lehrer an Lehrerbildungsanstalten.11 Der evangelische Landesbischof Meiser notierte nach seinem Antrittsbesuch beim Kul- tusminister: „Die Lehrerbildung soll konfessionell getrennt erfolgen, und zwar wieder auf 6kursigen Lehrseminarien. Die Lehrerhochschulbildung hat sich selbst ad absurdum geführt und soll nicht wieder aufgenommen werden. Grundsätzlich wird erstrebt, die Anforderungen an die in der Schule wirkenden Lehrkräfte in sachlicher, methodischer und pädagogischer Hinsicht auf die alte Höhe zu bringen.“12 In seinem drei Wochen später angefertigten „Memorandum zur Neugestaltung des Schulwesens“ formulierte Bischof Meiser seine Forderungen bezüglich der Lehrerbildung sehr interessant: „Die Lehrerbildung hat dem Tatbestand der Bekenntnisschule gerecht zu werden. ...“13 Aus dieser Aussage konnte alles herausgelesen und mit ihr jeder Anspruch befriedigt wer- den. Ebenso weit gefaßt waren Sätze zur Schulpolitik, die er als „die Kunst des Mögli- chen“ sah: „Es gilt Bedacht zu nehmen auf die innere und äußere Lage jetzt und hier, auf die Maßnahmen und Pläne des Staates und der anderen Konfessionen.“14 Man war augenscheinlich bestrebt, nach jeder Richtung offen zu bleiben, der Regierung nicht auf die Zehen zu treten, um im überwiegend katholischen Bayern nicht unter die Räder zu kommen. Wieder fällt auf, daß der Blick zur Vorgehensweise der katholischen Kirche geht, der solche Formulierungen niemals eingefallen wären. Dafür stand sie nach dem Krieg zu selbstbewußt da.15 Sie war nicht so sehr mit dem Stigma der Anbiederung an den Nationalsozialismus behaftet wie große Teile der evangelischen Kirche, die denn auch am 19. Oktober 1945 in Stuttgart sich anklagte, während der Zeit der Anfechtung im Dritten Reich „nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher

8 Ebda. Memorandum zur Neugestaltung des Schulwesens. 22. August 1945. 9 siehe S. 354. 10 LKAN. Landeskirchenrat VI 1100 a (3064). Memorandum zur Neugestaltung des Schulwesens. 22. August 1945. 11 Ebda., Schulprogramm der katholischen Bischöfe Bayerns (Besprechung mit Domkapitular Zinkl, Mo. 30.VII.45). 12 Ebda. Besprechung von Schulfragen im Kultusministerium, 30.7.1945. 13 Ebda. Memorandum zur Neugestaltung des Schulwesens. 22. August 1945. 14 Ebda. 15 Daß Kardinal Faulhaber kein furchtloser Kämpfer gegen den Nationalsozialismus, sondern im Gegenteil „ein Schutzpatron Hitlers“ war und wegen seiner antisemitischen und pronazistischen Predigten und Hirtenbrie- fe in seiner eigenen Kirche Unverständnis und Distanz hervorrief, wurde der breiten Öffentlichkeit erst Jahr- zehnte später bekannt. (vgl. dazu: Süddeutsche Zeitung Nr. 53 vom 4./5.3.2000, S. V3/42).

42 geglaubt, nicht brennender geliebt zu haben“16. Recht bezeichnend für die evangeli- sche Haltung ist eine handschriftliche Notiz auf einer Aktenvormerkung vom 24. August 1945 von Licentiat Schmidt17, der neben seiner Hauptsorge: „Wird ein wirk- licher Aufbau aus dem Trümmerfeld möglich sein? (Lehrkräfte – Schulräume – Lehrmittel + Bücher – Kohlen!)“ als große Gefahren die „bloße Repristination (Ära Kerschenstei- ner)“ und einen „bajuwarischen Separatismus“ beschwor.18 Auf der ersten deutschen evangelischen Kirchenversammlung in Treysa 1945 spielten Schulfragen eine wesentliche Rolle. Hier befaßten sich einige Referate damit. Die Themen lauteten z.B. „Zur Frage der Schulform“, „Schulfrage aus Sicht des RBR19“, „Die kirchliche Unterweisung“. Ein Beschluß zur Schulfrage wurde dort allerdings nicht ver- abschiedet.20

5.4.2. Der gesetzliche Rahmen

Die Kirchen konnten sich in ihren Vorstellungen durch vier kultusministerielle Ent- schließungen vom 23. Juli 1945 bestätigt fühlen.21 Diese sollten „den größten Schaden, der während der nationalsozialistischen Herrschaft auf dem Gebiete des Volksschulwe- sens entstanden ist, wieder gutmachen“. Das Begleitschreiben schloß mit der Zusiche- rung, „etwaigen Wünschen der evang.-luth. Landeskirche auf dem Gebiete des Volks- schulwesens ... im Rahmen des Möglichen Rechnung (zu) tragen“.22 Die Entschließun- gen betrafen als wichtigsten Punkt die Wiederherstellung der Bekenntnisschule. Dabei bezog man sich auf § 7 der VO. vom 26.8.1883 (GVBl. S. 407), in dem festgestellt war, daß in Bayern die Volksschulen regelmäßig konfessionelle Schulen sind. Jede neuerrichtete Schule war grundsätzlich Bekenntnisschule (§ 9 VO. vom 26.8.1883). Konfessionell gemischte Schulen waren in Bayern immer nur eine Ausnahme, und um zu gewährlei- sten, daß tatsächlich nur in ganz besonders gelagerten Fällen konfessionell gemischte Schulen errichtet würden, waren mehrfache Sicherungen eingeschaltet worden: Vorla- ge eines ordnungsgemäßen Stadt- oder Gemeinderatsbeschlusses, Gutachten der kirch- lichen Oberbehörde zur „Erteilung zureichenden Religionsunterrichts“, kein Zwang zum Besuch einer konfessionell gemischten Schule, wenn ein solcher in einer konfessionellen Schule möglich war.23 Auch Artikel 6 des Bayerischen Konkordats und Artikel 9 des Ver- trags zwischen dem Bayerischen Staat und der Evang.-Luth. Landeskirche vom März bzw. November 1924 wurden als übereinstimmend mit dieser Rechtslage genannt. Danach „mußten in allen Gemeinden auf Antrag der Eltern ... konfessionelle Volks- schulen errichtet werden, wenn bei einer entsprechenden Schülerzahl ein geordneter

16 Kleßmann, S. 378. 17 Licentiat = akademischer (vor allem in der Schweiz gebräuchlicher theologischer) Grad. 18 LKAN. Landeskirchenrat (LKR) VI 1100 a (3064). Aktenvormerkung vom 24.8.1945. Repristination = Wie- derherstellung. 19 Reichsbruderrat. 20 Rolf Tyra: Treysa 1945. Neue Forschungsergebnisse zur ersten deutschen Kirchenversammlung nach dem Krieg. In: Kirchliche Zeitgeschichte 2(1989), S. 244, S. 268 f. 21 LKAN. LKR VI 1100 a (3064). Schreiben Evang.-Luth. Landeskirchenrat München am 13.8.1945 an sämtliche Dekanate. Betr.: Gegenwärtige Rechtslage im Schulwesen. ME Nr. IV, 15325 – 15328. gez. D. Meiser. 22 Ebda. Schreiben Staatsminister für Unterricht und Kultus am 23.7.1945 an Landesbischof D. Hans Meiser; gez. Hipp. 23 Ebda. ME Nr. IV 15325.

43 Schulbetrieb – selbst in der Form einer ungeteilten Schule – ermöglicht war“.24 Diese beiden Artikel sollten in den folgenden Jahren zu heftigsten Kontroversen führen und bayerische Eltern, Schüler und Lehrer in einer Zeit der materiellen Not zusätzlichen Bela- stungen aussetzen. Im äußersten Fall führten sie zu den absonderlichsten Winkelzügen, die mit dem vielbeschworenen Geist der wahren Bekenntnisschule nichts mehr zu tun hatten. 25 In der ME vom 23. Juli 1945 wurde bereits vorab, im Angesicht des Trümmer- feldes, billigend in Kauf genommen, „daß dort, wo nach 1933 infolge Zusammenle- gung von verschiedenen Bekenntnisschulen eine teilweise oder voll ausgebaute Schule gebildet wurde, wieder mehrere Schulen mit weniger Klassen oder auch ungeteilte Schulen“ entstanden.26 Auch auf § 12 der VO. von 1883 wurde Bezug genommen und bestätigt, daß an Bekenntnisschulen nur Lehrer des entsprechenden Bekenntnisses tätig sein dürften. Die Zeitumstände hätten es zwar mit sich gebracht, daß Neubesetzungen erforderlich und Versetzungen eine besondere Härte darstellen würden und daß Über- gangsregelungen getroffen werden müßten; aber es sei nie das Ziel zu vernachlässigen, „möglichst bald (einen) mit den rechtlichen Bestimmungen in Einklang“ stehenden Zustand herbeizuführen, nämlich nur solche Lehrer an Bekenntnisschulen zu beschäfti- gen, „die geeignet und bereit sind, in verlässiger Weise in der Religionslehre zu unter- richten und im Geist des betreffenden Glaubens zu erziehen“27. Man bezog sich hierbei auf die Artikel 5 der Kirchenverträge, auf deren Inhalt noch eingegangen wird.28 Die ME Nr. IV 15327 verfügte die „Wiederzulassung der geistlichen Gesellschaften und religiö- sen Vereine zur Erteilung des Volksschulunterrichts“ und bestätigte damit Art. 24, Abs. I und II des SchBG. vom 14. August 1919 (GVBl. S. 489). Obwohl darauf aufmerksam gemacht wurde, daß erst „im neuen Staat“- die Eigenstaatlichkeit Bayerns wurde am 28. September 1945 durch Erlaß Eisenhowers wieder hergestellt29 – die von den Natio- nalsozialisten geänderte Rechtslage rückgängig gemacht werden könne, wurde für die geistlichen Gesellschaften und religiösen Vereine „schon jetzt der frühere Rechtszu- stand“ anerkannt.30 Außerdem wurde Artikel 16 des Schulaufsichtsgesetzes vom 14. März 1938 aufgehoben, mit dem vielen Geistlichen die Genehmigung „zur Ertei- lung des Religionsunterrichts an den öffentlichen Volksschulen versagt und entzogen worden war“31. Mit der ME Nr. IV 15328 setzte Kultusminister Hipp den Vollzug der Hoffmannschen Simultanschulverordnung vom 1. August 1919 aus. Es bedurfte aber erst einer näheren Prüfung, inwieweit Art. 174 der Weimarer Verfassung noch gelten- des Recht war. Nach dieser Verordnung war der Wille der Erziehungsberechtigten maß- gebend „für das Verhältnis, in dem die vorhandenen Volksschulen als gemischte oder als Bekenntnisschulen einzurichten“ waren.32 Es gab nicht viele Gemeinden, in denen die Simultanschulverordnung durchgeführt worden war, da bereits am 22. Juni 1920 der Erlaß der VO. über die Errichtung der Volksschulen und die Bildung von Schulspren-

24 Ebda. 25 siehe S. 417 f. 26 LKAN. LKR VI 1100 a (3064). Schreiben des Bayerischen Staatsministers für Unterricht und Kultus am 23. Juli 1945 an die Herren Regierungspräsidenten. ME Nr. IV 15325. 27 Ebda. 28 siehe S. 340-349. 29 Buchinger, S.18. 30 LKAN. LKR VI 1100 a (3064). Schreiben des Bayerischen Staatsministers für Unterricht und Kultus am 23. Juli 1945 an die Herrn Regierungspräsidenten. ME Nr. IV 15327. 31 Ebda. Evang.-Luth. Landeskirchenrat, München, am 13.8.1945 an sämtliche Dekanate. Betr.: Gegenwärtige Rechtslage im Schulwesen. 32 Ebda., Schreiben des Bayerischen Staatsministers für Unterricht und Kultus am 23.7.1945 an die Herren Regie- rungspräsidenten in München und Ansbach.

44 geln wirksam geworden war. Sie spielte jedoch im Streit um die Bekenntnisschulen im fränkischen Bereich eine Rolle, wie noch darzustellen sein wird. In seinem Begleitschreiben an Landesbischof Meiser, das den übermittelten Entschließungen vom 23. Juli 1945 bei- gelegt war, schrieb Hipp: „Ich habe den Hoffmannschen Schulerlaß beseitigt.“33 Von einer Aussetzung des Vollzugs oder der Prüfung, inwieweit Art. 174 der Weimarer Ver- fassung noch galt, war hier nicht die Rede. Hipp meinte weiter: „Daß in den Städten jedoch viele Erziehungsberechtigte auch konfessionell gemischte Schulen wünschen, verkenne ich nicht. Ich bin aber der Auffassung, daß diesen Wünschen bereits im Rah- men der Verordnung von 1883 und des allgemeinen Organisationsrechts des Staates entsprochen werden kann, ohne daß durch alljährliche Abstimmungen immer wieder neue Unruhe in die Bevölkerung hineingetragen wird.“34 Damit hatte er leider Unrecht, wie der Kampf um die Konfessionsschulen nach Inkrafttreten der Bayerischen Verfassung zeigen sollte.35 Mit seinen Entschließungen hatte Kultusminister Hipp auch schon die Barriere errichtet, an der die neuen, aus amerikanischer Sicht zukunftsweisenden, Ansätze scheiterten. Durch das Wiederanknüpfen an Verordnungen aus dem 19. Jahrhundert wurde er den Ansprüchen der Kirchen gerecht und schwenkte auf Kontinuität in der bayerischen Rechtstradition ein. Die amerikanische Militärregierung erkannte zum damaligen Zeitpunkt nicht die Tragweite dieser Entschließungen. Sie wären sonst wohl kaum genehmigt worden. Die Eröffnung der Volksschulen unter diesen Prämissen setzte einen Prozeß der Gewöhnung an die Verhältnisse aus der „guten alten Zeit“ in Gang, was es später so schwer machen sollte, Veränderungen herbeizuführen. Die Amerikaner jedenfalls begaben sich der Chance, einen wirklichen Neuanfang im bayerischen Schul- wesen auf den Weg zu bringen.

5.4.3. Erste organisatorische Maßnahmen

Bereits im Juni 1945 lagen Zahlen darüber vor, wie viele Schüler für den Besuch der Volksschulen in Nürnberg angemeldet worden waren. Die Schulanmeldung war vom 23. bis 29.Juni durchgeführt worden und vermerkte für die erste Klasse 3773, für die zweite 2829, für die dritte 2830, für die vierte 3069, für die fünfte 3075, für die sechste 1557, für die siebte 1692 und für die achte Klasse 1555 Schüler.36 Viele Nürnberger Kinder waren zu dem Zeitpunkt noch evakuiert. Trotz der frühzeitigen Anmeldung dau- erte es fast überall bis 1. Oktober, bis der Unterricht – häufig nur in den unteren Klas- sen – notdürftig aufgenommen werden konnte. General Eisenhower teilte am 6. August in einer „Botschaft ... An das deutsche Volk in der Amerikanischen Besatzungs- zone“ mit, daß, „sobald Eure ... Schulen von Nazi-Einflüssen gereinigt sind, ... sie wie- der geöffnet werden. Rechtspflege und Erziehungswesen, die auf echten demokrati- schen Grundsätzen beruhen, werden kräftigste Unterstützung finden.“37 Zwei Tage vor- her hatte der bayerische Kultusminister den Regierungspräsidenten bereits Anweisun- gen zum Unterrichtsbeginn an den Volksschulen zukommen lassen. In dem Schreiben

33 Ebda., Schreiben des Staatsministers für Unterricht und Kultus am 23.7.1945 an Landesbischof Meiser. 34 Ebda. 35 siehe S. 375-513. 36 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg, F 2. Dezernat XII. Monatlicher Bericht an den Regie- rungspräsidenten. Juli 1945. 37 Amtsblatt des Land- und Stadtkreises Coburg, Nr. 2 vom 18. August 1945, S. 26.

45 wurde besonders betont, daß auf keinen Fall mit der Wiedereröffnung der Volksschulen gewartet werden dürfe, bis „alle Schwierigkeiten behoben sind und ein völlig normaler Betrieb gewährleistet ist“. Es komme darauf an, „grundsätzlich und überhaupt das gesamte Volksschulwesen wieder anlaufen zu lassen“. Wegen Mangels an Lehrkräften wurde Abteilungsunterricht38 angeordnet. Behelfsmäßige Lösungen wurden auch ange- sichts der fehlenden Unterrichtsräume empfohlen. Die katastrophalen Zustände in die- sem Bereich waren nicht nur das Ergebnis der Bombenangriffe auf die Städte, sondern resultierten auch aus der Beschlagnahme intakter Gebäude für militärische und organi- satorische Zwecke der Besatzungsmacht. Vor allem empfahl der Kultusminister den Regierungen, „die Aktion zur ‚Säuberung‘ der Volksschullehrerschaft unbedingt im Laufe des Monats August zum Abschluß zu bringen“.39 Wie aus der Weiterleitung die- ser Anordnungen durch den Regierungspräsidenten von Ober- und Mittelfranken an die Schulämter hervorgeht, sollten die örtlichen Militärregierungen um die abschließende Säuberung der Volksschullehrerschaft gebeten werden. Und auch die Genehmigung zur Unterrichtsaufnahme an den Volksschulen erfolgte durch die örtlichen Militärbehör- den.40 Dadurch begann der Unterricht an den Schulen zeitversetzt, wenn auch nur geringfügig. In Langenaltheim bei Treuchtlingen z.B. war es der 1. Oktober,41 am 8. Oktober konnten die Schüler der 5.-8. Klassen in Coburg wieder anfangen.42 Im Land- kreis Ansbach begann der Unterricht in den Orten Bruckberg, Büchelbach, Colmberg, Flachslanden, Göddeldorf, Heilsbronn, Hennenbach, Lehrberg, Neuendettelsau, Veits- aurach, Virnsberg, Warzfelden, Wattenbach, Weißenbronn und Windsbach am 10. Oktober.43 Für Nürnberg vermerkte die Stadtchronik, daß „in einer Feier mit Anspra- chen des Erziehungsoffiziers der Militärregierung (Captain Thompson), des Oberbürger- meisters und des Schuldezernenten und mit Vorträgen des Kinderchors der Gartenstadt und des Nürnberger Streichquartetts der Volksschulunterricht eröffnet werden“ konnte. Er begann in den vier Unterklassen am 1. Oktober und in den vier Oberklassen am 4. Oktober.44 Auch in Döbra bei Naila fingen die Jahrgänge 1-4 am 1. Oktober an. Warum jedoch der fünfte Jahrgang erst im Juni 1946 und die restlichen Jahrgänge gar erst mit Beginn des Schuljahrs 1946/47 mit dem Unterricht begannen,45 war aus der Quelle nicht ersichtlich. Es fanden nun überall die ersten Konferenzen statt, zu denen die überprüften und als tragbar eingestuften Lehrkräfte – oft nach stundenlangem Fußmarsch – zusam- menkamen. In Weißenburg sprach der Kommandant der amerikanischen Militärregie- rung zum „kleinen Rest der verbliebenen Lehrer“: „Die USA haben zweimal wegen Deutschland in den Krieg ziehen müssen. An Ihnen liegt es, die Kinder so zu erziehen, daß wir nicht ein drittes Mal in den Krieg müssen.“46

38 Abteilungsunterricht hieß, daß eine Lehrkraft mehrere Klassen versorgte, sie nacheinander in die Schule kom- men ließ, Hausaufgaben besprach und entgegennahm, neue stellte und die abgegebenen bis zum folgen- den Tag korrigierte. 39 Ebda., Schreiben Nr. IV 16578 des Bayerischen Staatsministers für Unterricht und Kultus am 4.8.1945 an die Herren Regierungspräsidenten. 40 StAN. Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, 264. Schreiben Nr. 1142 g 6 des Regierungspräsidenten am 19.8.1945 an die Stadt- und Bezirksschulämter. 41 Bericht Frau Wilhelmine Hofmann, Treuchtlingen. 42 Amtsblatt des Land- und Stadtkreises Coburg, Nr. 10 vom 6.10.1945, S. 116. 43 Amtsblatt der Militärregierung und des Landrats für den Landkreis Ansbach. Nr. 2 vom 9.10.1945, S. 11. 44 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 29.9.1945. Wiedereröffnung des Volksschulunterrichts. 45 Archiv des BLLV München. Erinnerungen des Lehrers Hans D. 46 Bericht Frau Wilhelmine Hofmann, Treuchtlingen.

46 III. Die Schüler

1. ÄUßERE NOT

Die äußeren Verhältnisse bei Wiedereröffnung der Volksschulen in Bayern waren so verheerend und dadurch so bestimmend für die erziehliche Arbeit an den Schulen, daß ihrer Beschreibung breiter Raum eingeräumt werden muß. Die Schüler gingen eben nicht nach ein paar Wochen Ferien wieder in ihre Klassen. Alles hatte sich grundlegend geändert. Bedenkt man, daß sich schon geringere Veränderungen – Lehrerwechsel, Zusammenlegung von Klassen, ein einziger neuer Schüler, ja sogar eine geänderte Sitz- ordnung – gravierend auf das Klima einer Klasse, ja einer Schule und möglicherweise auf den Lernfortschritt einzelner Schüler auswirken können, so mutet die damalige Situation geradezu gigantisch an, bezogen auf die Auswirkungen, die sie zeitigen mußte. Selbst Lehrerin an einer Hauptschule, weiß ich sehr wohl, was äußere Verhält- nisse ausmachen können. In der Zeit nach 1945 waren sie so extrem, daß alle schuli- schen Bemühungen nur vor ihrem Hintergrund betrachtet werden können. Daher wurde bei den folgenden Ausführungen jeder Aspekt, den die Quellen boten, berück- sichtigt.

1.1. SCHULGEBÄUDE UND UNTERRICHTSRÄUME

Lucius D. Clay, 1945 stellvertretender Militärgouverneur, schrieb 1950 rück- blickend auf die ersten Monate: „Nur unter stärksten Anstrengungen wurde es mög- lich, am 1. Oktober die Schulen zu öffnen.“1 Diese Anstrengungen waren vor allem erforderlich bei der Bereitstellung von Schulraum. Besonders die Großstädte hatten damit immense Schwierigkeiten. Das Kultusministerium berichtete am 2. September 1945 der amerikanischen Militärregierung: „Die Schulgebäude ... in den Städten (sind) ... in starkem Umfang beschädigt oder zerstört. Am schlimmsten sind die Verhältnisse in Würzburg (80 % zerstört) und Nürnberg (70 % zerstört) ... Zum Teil sind die benützbaren Schulhäuser von der Besatzungstruppe belegt. ...“2 „Von 72 Gebäuden, die für den Volksschulunterricht (in Nürnberg) vorgesehen waren, waren 41 irreparabel zerstört, 10 waren beträchtlich und 19 leicht beschädigt; nur 2 waren intakt.“3 Aus allen Gebieten Ober- und Mittelfrankens gelangten Schadensmeldungen an die Regierung. So schrieb das Stadtschulamt Ansbach am 7. November 1945: „... schwer beschädigt: Karolinenschule vollständige Dachabdeckung, Einsturz des Ostgie- bels, Putz abgefallen, zertrümmerte Türen und Fenster, Heizung und Wasserleitung zerstört, Fußböden aufgebrochen ...“4 Gleichzeitig wurde die für damalige Verhältnisse utopisch anmutende Menge benötigten Baumaterials angegeben: für die Luitpoldschule „40000 Ziegel, 500 m2 Glas, ... 300 kg Nägel ..., 70 Ztr. Kalk“5.

1 Lucius D. Clay: Entscheidung in Deutschland. Frankfurt (Main) 1950, S. 334. 2 Bayerisches Hauptstaatsarchiv München (BayHStA), MK 62119. Schreiben Nr. IV 20442. 3 Rossmeissl, S. 187. 4 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4680. Stadtschulamt Ansbach an den Regierungs- präsidenten in Ansbach. 5 Ebda.

47 Da durch die Bombardierung häufig die Dächer und fast immer die Fenster zerstört worden waren, waren die Schulhäuser der Witterung preisgegeben, und so faulten Fußböden und Wände durch die eindringende Feuchtigkeit. Ein übriges taten die ver- schiedenen Einquartierungen, die es in den Schulen bereits vor Kriegsende gegeben hatte. Zum Beispiel waren in den Jahren 1944 und 1945 im Schulhaus Wiesenstraße in Nürnberg ausländische Zwangsarbeiter untergebracht, deren Arbeitgeber, die Nüral Aluminiumwerke Nürnberg, mit der Stadt einen Vertrag über die Abgabe von 22 Klas- senzimmern, einem Lehrerzimmer, vier Toiletten und einem Teil des Hofes abgeschlos- sen hatte. Die Einquartierung bestand aus 950 italienischen Militär-Internierten, und der Vertrag galt bis 16. April 1945.6 Nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen belegten diese die Schulhäuser, die sie erst nach und nach räumten und oft in einem beklagenswerten Zustand zurückließen. „Die Closette sind von den Negern in einem Zustand hinterlassen worden, daß der Installateur sich weigert, seine Arbeit aufzuneh- men ...“7, schrieb der Rektor einer Schule. Manche Schulhäuser in Nürnberg wurden erst 1949 von der Militärregierung geräumt, z. B. das Schulhaus an der Sielstraße, in dem bis zum Ende der Nürnberger Prozesse amerikanische Soldaten untergebracht waren.8 Auf der einen Seite wünschte die amerikanische Militärregierung, daß der Unterricht möglichst rasch aufgenommen wurde,9 auf der anderen Seite mußte von den deutschen Behörden oft schnell gehandelt werden, um eine drohende Belegung der Schulhäuser durch amerikanische Truppen zu verhindern.10 Schon vor der Wiedereröffnung der Volksschulen wurde der Militärregierung berichtet, daß „Kolonnen der Lehrer“ eingesetzt seien zur Instandsetzung der Schul- häuser.11 In „Zusammenarbeit von Lehrern und Schülern im Wege der Selbsthilfe“ soll- ten leichtere Bauschäden behoben werden.12 Schulleiter berichteten von Lehrkräften, die Fensterrahmen auskitteten.13 Trotzdem gab es in Nürnberg bei Wiedereröffnung der Volksschulen von den ehemals 1536 Schulzimmern nur noch etwa 100 für 25000 Schüler.14 Andere Zahlen sprachen von 241 Räumen für insgesamt 25 250 Schüler (Stand 1.10.1945).15 Eine dritte Quelle nannte 100 Klassenzimmer für 23 712 Schüler.16

6 Stadtarchiv Nürnberg. C 24, SchV Nr. 190 Bd. 190/11.5.44 Städt. Quartieramt. 7 Ebda. C 24 SchV Nr. 58 Bd. 58. Schreiben des Rektors Wilhelm Vogt am 12.3.46 an die Städt. Schulverwal- tung Nürnberg. 8 Ebda. C 24 SchV Nr. 166 Bd. 166. Schreiben des Vorsitzenden der Schulpflegschaft am 20.9.45 an das Schul amt Nürnberg; ebda., Abendzeitung München vom 28.1.1949. 9 Ebda., C 24 SchV Nr. 178 Bd. 178. Schreiben des Stadtschulamtes Nürnberg am 5.10.1945 an Hauptlehrer Otto Maas, Schulleiter des Schulhauses an der Uhlandstr. 10 Ebda., Nr. 53 Bd.53. Schreiben des Schulverwaltungsamtes Nürnberg an die Hausmeisterin des Schulhauses Grimmstr. 16 am 23.11.1945. „Um eine Belegung des Schulhauses ... durch die amerikanischen Truppen zu verhindern, muß das Gebäude so rasch wie möglich mit Schule belegt werden. Sie werden daher ersucht und angewiesen, die Reinigungsarbeiten sofort durchzuführen, damit das Gebäude ab Montag, den 26. Novem- ber 1945 mit Volksschule belegt werden kann. Sofort!“ 11 BayHStA München. MK 62119. Schreiben IV 20442 des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 2.9.1945 an die Militärregierung. 12 Rossmeissl, S. 185 f. 13 Stadtarchiv Nürnberg. C 24 SchV Nr. 162 Bd. 162. Bericht des Rektors Aumüller, Schulhaus Schweinauer Str. 20, am 20.9.1945 an das Schulamt. 14 Barthel, S. 62. 15 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2, 31.7.1948. 16 Rossmeissl, S. 188. Aus dem Jahresbericht der Militärregierung Nürnberg über 1945/46 vom 28.6.1946. Die unterschiedlichen Zahlen werden von verschiedenen Stellen genannt. Daher rührt möglicherweise die Diver- genz. Auch veränderten sich die Zahlen innerhalb kürzester Zeit, wenn es gelungen war, einen Klassenraum notdürftig wieder herzustellen oder ein Ausweichquartier zu finden. In der Bewertung, ob ein Schulhaus schwer oder leicht beschädigt sei, konnten unterschiedliche Angaben möglich sein, je nach subjektiver Gewichtung des jeweiligen Betrachters.

48 Im Jahr 1946 und in den darauffolgenden Jahren sah es nicht viel besser aus, ja, es schien häufig schlechter zu werden. Die Schulen waren durch amerikanische Truppen belegt, dienten als Krankenhäuser, Lazarette oder Unterkünfte für „displaced persons“ und Flüchtlinge.17 Zeitungsberichte und die Schulverwaltungsakten der Stadt Nürnberg schilderten die unhaltbaren Zustände. Räumungsbefehle konnten nicht befolgt werden, da die Bewohner nicht wußten wohin. Wolkenbrüche verwandelten z. B. das Schulhaus an der Holzgartenstraße in eine Seenlandschaft, da immer noch das Notdach fehlte. Der Nürnberger Stadtobermedizinalrat schlug Alarm, da im Schulhaus am Herschelplatz keine gründliche Reinigung möglich sei, da das Wasserleitungsnetz im Haus und in der Umgebung zerstört sei; und das bei einer täglichen Schülerfrequenz von 900 bis 1000 und einem Unterrichtsbetrieb von 8 bis 12 Uhr und 13 bis 17 Uhr in neun Klassenzim- mern. Wegen der defekten Wasserleitungsrohre müßten die Schüler ihre Notdurft im Freien verrichten.18 Während also die Schulen in den Städten unter Raummangel besonders infolge der Bombenangriffe litten, bestanden die Schwierigkeiten auf dem Lande in der zweckent- fremdeten Nutzung der Schulräume. Zumeist belegten Flüchtlinge die Klassenzimmer, es gab aber auch kleine Hilfskrankenhäuser (meist für Geschlechtskrankheiten) und Nie- derlassungen von Firmen. Der Bürgermeister von Lichtenau (Mfr.) appellierte an die Regierung, die Notstände in seiner Marktgemeinde zu beheben, die sich darin doku- mentierten, daß die Firma Iltis in der Turnhalle Wohnwagenkarosserien für „Zigeuner“ fertigte. Für 280 Schulkinder und drei Lehrkräfte seien nur zwei Schulräume vorhanden, die je 75 Kinder aufnehmen könnten.19 Andere Gemeinden im Regierungsbezirk Ober- und Mittelfranken klagten über zwei Lehrsäle für 600 Schüler (Weißenstadt, Bezirk Wunsiedel; 20.5.1946), fünf Räume für 547 Schüler (Burgkunstadt; 9.5.1946), zehn Schulzimmer für 40 Klassen, „so daß die Schüler täglich nur zwei Stunden Unterricht bekommen können ...“ (Schwabach; 12.3.1946). Häufig waren Volksschulen noch nicht eröffnet worden (Stadeln, Landkreis Fürth, 15.3.1946; Wunsiedel, 10.5.1946, wo noch kein Platz war für die oberen drei Klassen der Volksschule). Manche Schulen hat- ten nach der Wiedereröffnung bald wieder schließen müssen (Leimitz, Landkreis Hof; 15.5.1946), oder die Klassenzimmer konnten wegen Lehrermangels nicht für schulische Zwecke verwendet werden (Höchstadt a. d. Aisch; 14.5.1946). Viele Schüler mußten mit Gastzimmern in Brauereiwirtschaften zufrieden sein (Neustadt a. d. Aisch; 13.3.1946). In einigen Orten wurde Sonntags- und Abendschule erwogen, da die

17 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 8 vom 18.5.1946, S. 1; Nr. 37 vom 28.8.1946, S. 5; Nr. 55 vom 30.10.1946, S. 7; Nr. 40 vom 7.9.1946, S. 6; Nr. 52 vom 19.10.1946, S. 7; Nr. 4 vom 4.5.1946, S. 7; Stadt- archiv Nürnberg. C 24 SchV Nr. 178 Bd. 178, 15.1.1946; Nr. 5 Bd. 5, 22.8.1946 und 25.7.1946; Nr. 36 Bd. 36, 26.5.1946 und 18.7.1946. 18 Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP Nr. 1228, Sitzungsniederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 2.8.1946; Stadtarchiv Nürnberg. C 24 SchV Nr. 73 Bd. 73, Mai 1946; Nr. 64 Bd. 64, 22.1.1946. Siehe auch: Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 9.5.1947, S. 2; am 28.2.1947, S. 2; StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978 Nr. 4688. „Fränkischer Tag“ Nr. 71 v. 6.9.1947; ebda., Erzbischöfliches Ordinariat Bamberg am 15.11.1947 an das Bayerische Staatsministe- rium für Unterricht und Kultus; ebda., Schreiben des Stadtrates von Bamberg am 28.8.1947 an den Regie- rungsbeauftragten für das Flüchtlingswesen in Ober- und Mittelfranken, Ansbach; Stadtarchiv Nürnberg. C 24 SchV Nr. 64 Bd. 64, Schulreferent Dr. Raab am 21.11.1947; Nr. 26 Bd. 26, Gesundheitsamt (Stadtmedizinal- rat) an das Städtische Schulverwaltungsamt am 24.4.1947; Nr. 29 Bd. 29, Schulreferat am 16.7.1947 an Herrn Ref. VIII; Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP Nr. 1306; zur Situation in Bamberg vgl. Dieter Heim: Oberfranken. In: Handbuch der Geschichte des bayerischen Bildungswesens. 3. Bd. 3. Teil: Wiederaufbau: Re-education von 1945-1949. Hrsg. von Max Liedtke. Bad Heilbrunn 1997, S. 627 f. 19 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978 Nr. 4688. Schreiben des Bürgermeisters der Marktge- meinde Lichtenau/Mfr. am 3.12.1946 an die Regierung von Oberfranken und Mittelfranken.

49 Schulraumbeschaffung so schwierig war (Bürgermeisterbesprechung in Feuchtwangen; 6.9.1946). Bei all diesen Meldungen über zweckentfremdete Schulräume wurde immer wieder der unterrichtliche und erziehliche Erfolg bezweifelt. Besonders sorgte man sich um die älteren Schüler, die „vor allem eine Erziehung im Geiste der neuen Zeit nötig hätten ...“ In Windsheim z.B. mußte man, um einen Teil der Flüchtlinge notdürftig unterzubringen, alle drei Schulhäuser zur Verfügung stellen. „Was in den Monaten vorher mühsam auf- gebaut worden war, wird nun wieder in Frage gestellt. Der Sinn für willige Einordnung in feste Lebensformen kommt wieder zum Erliegen. Bei einem Teil der Jugend muß leider die Beobachtung gemacht werden, daß er den Verlockungen der Straße rasch verfällt. Es mehren sich die Felddiebstähle ... und die weibliche Jugend irrt in sexuelle Niederungen ab ...“20 Immerhin hatten im Regierungsbezirk Ober- und Mittelfranken 250 Klassen den Unterricht noch nicht aufnehmen können.21 Es wurde empfohlen zu versuchen, durch Verhandlungen mit den Flüchtlingskommissaren oder mit den Besatzungsbehörden Schulräume freizubekommen.22 Das Beispiel der Oberrealschule für Jungen in Fürth belegt, welche Klippen zu überwinden waren und mit welcher Zähigkeit am Ziel festge- halten werden mußte. Im Juni 1946 erreichte ein Schreiben des Schulleiters, Dr. Hans Cramer, das Kul- tusministerium, in dem er mitteilte, daß die Militärregierung das Gebäude als SS-Laza- rett beschlagnahmt und er selbst keine Erlaubnis mehr habe, es zu betreten. Die bauli- chen Veränderungen, die er wahrnahm, ließen ihn befürchten, daß die Schule später auch als SS-Gefängnis benutzt werden könnte. Cramer schrieb: „Der Gedanke, 800 bis 1300 (bei voller ganztägiger Ausnutzung) jungen studierenden Menschen auf Jahre hinaus 80 Schulräume zu entziehen, um einige hundert SS-Leute aufs beste verpflegen und hermetisch abschließen zu können, streitet so sehr gegen das, was das öffentliche Inter- esse und insbesondere auch die Einstellung der Nürnberg-Fürther Bevölkerung fordert, daß nach Ansicht des Berichterstatters jeder erdenkliche Versuch“ unternommen wer- den müsse, das Schulgebäude wieder seinem ursprünglichen Zweck zuzuführen.23 Im November 1946 teilte Cramer dem Kultusministerium mit, daß das Schulge- bäude nun zwar aus der Aufsicht der amerikanischen Armee entlassen, jedoch dem Staatsministerium für Sonderaufgaben übergeben worden sei. Die Gefahr bestehe, daß es als Lazarett für das politische Lager Nürnberg-Langwasser benutzt werde und auf Jahre hin- aus nicht zur Verfügung stehe. „Eine solche Verwendung wäre eine offene Herausfor- derung der Bevölkerung Nürnberg-Fürths, die, wie dem Staatsministerium bekannt ist, durch Mangel an Raum für die höheren Schulen in der Ausbildung ihrer Söhne und Töchter aufs schwerste beeinträchtigt ist. Es könnte nicht ausbleiben, daß die bereits vorhandene starke Mißstimmung über die Nichtbeachtung dieser wichtigen Belange in unerfreulichem Ausmaß weiter wächst.“24

20 Ebda. StAN. Landratsamt Feuchtwangen, Abgabe 1992, 98; Fränkische Landeszeitung 1. Jg. Nr. 37 vom 28.8.1946, S. 5. 21 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, 14. Jg. Nr. 4, 1. Okt. 1946, o. S. 22 Ebda. 23 Stadtarchiv Fürth. Akten des Stadtrats Fürth Nr. 2/943. Schreiben Dr. Cramers am 15.6.1946 an das Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Anstaltsgebäude. 24 Ebda., Akten der Stadt Fürth Nr. 2/944. Betreff: Oberschule für Jungen in Fürth. Freigabe des Schulgebäudes an der Kaiserstr. 1946. Schreiben Dr. Cramers am 11.11.1946 an das Kultusministerium.

50 Stadtschulrat Schorer, Fürth, drückte anläßlich einer Stadtratssitzung seine Empörung darüber aus, daß die amerikanische Militärregierung das Gebäude zurückge- geben habe, bayerische Behörden es jedoch für schulfremde Zwecke verwendeten. Angesichts der Zerstörung der meisten Nürnberger Schulen könne man nicht zulassen, daß in der Oberrealschule für Jungen auf Weisung des Sonderministeriums ein „SS Krankenhaus des Zivilinterniertenlagers Nürnberg“ etabliert werde, wo doch schon das Maischulhaus vom Innenministerium als Versehrtenkrankenhaus genutzt werde. Der Stadtrat von Fürth billigte eine Resolution, in der es hieß, daß die am 6. November 1946 erfolgte Übergabe des Gebäudes an das Ministerium für Sonderaufgaben und die damit einhergehende Zweckentfremdung „um so mehr als eine Herausforderung der gesamten nichtreaktionären Einwohnerschaft (empfunden werde), als dieses wertvolle Gebäude für eine nicht abzusehende Reihe von Jahren als Dauerlazarett ausgerechnet einer vom Nürnberger Gericht erklärten Verbrecherorganisation zur Verfügung gestellt werden soll, während die 930 politisch unbelasteten Schüler ... auf ein Notquartier in unzulänglichen Räumen angewiesen sind ...“25 Die Mitglieder des Stadtrats regten außerdem an, „für den Fall, (daß) die Resolution von den maßgebenden Stellen in Mün- chen nicht beachtet werden sollte, zu einer Demonstration der Gesamtbevölkerung aufzurufen, an der sich alle Parteien beteiligen würden ...“26 Während der Staatsminister für Sonderaufgaben, Dr. Anton Pfeiffer, die Resoluti- on und die entsprechende Berichterstattung in den Nürnberger Nachrichten als weite- ren Versuch wertete, „die Tätigkeit des Sonderministeriums zu diskreditieren,“27 beschloß der Ministerrat am 20. November 1946 einstimmig, „das Gebäude der Staatli- chen Oberschule für Knaben freizumachen und es wieder für Schulzwecke zur Verfü- gung zu stellen.“28 Auch das Kultusministerium bemühte sich beim Staatsministerium für Sonderauf- gaben um die Freigabe der Schule mit dem Hinweis, daß die Schulverhältnisse in Nürnberg „trostlos“ seien. „Die dank der geringeren Kriegsschäden in Fürth gebotene Möglich- keit, wenigstens einigermaßen dem Schulelend in Nordbayern etwas zu steuern, (werde) durch die jetzige Maßnahme einer deutschen Behörde zunichte gemacht.“ Man wies darauf hin, daß es „ganz undenkbar“ sei, „daß die darüber in der Bevölke- rung ausgebrochene Empörung sich durch eine irgendwie für die Zweckentfremdung der Schule angegebene Begründung niederhalten läßt ...“29 Im Januar 1947 war das Schulgebäude aber immer noch nicht frei, und die Inter- nierten des Lagers Nürnberg-Langwasser „hausten“ dort und montierten ab, was nicht fest saß. So jedenfalls drückte es Dr. Cramer in einem Brief an den Fürther Oberbürgermei- ster aus.30 Die „Nürnberger Nachrichten“ berichteten ebenfalls über dieses Problem und titelten: „Seltsame Räumungs-Vorbereitungen“.31

25 Stadtarchiv Fürth. Akten der Stadt Fürth 2/944. Niederschrift zur Stadtratssitzung am 14.11.1946. 26 Ebda., Schreiben des Oberbürgermeisters Dr. Bornkessel am 18.11.1946 an das Staatsministerium für Unter- richt und Kultus. 27 Ebda., Schreiben Dr. Anton Pfeiffers am 20.11.1946 an den Oberbürgermeister der Stadt Fürth. 28 Ebda., Schreiben Nr. 31544 des Bayer. Ministerpräsidenten Dr. Hoegner am 21.11.1946 an den Oberbürger- meister von Fürth. 29 Ebda., Schreiben Nr. C 81168 des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, gez. Dr. Hans Mein- zolt, am 29.11.1946 an das Staatsministerium für Sonderaufgaben. 30 Stadtarchiv Fürth. Akten der Stadt Fürth 2/944. Schreiben Dr. Cramers am 4.1.1947 an den Oberbürgermei- ster der Stadt Fürth. 31 Ebda., Nürnberger Nachrichten, Fürther Ausgabe, Nr. 4 vom 15.1.1947.

51 Oberbürgermeister Bornkessel wandte sich nun wieder an die Militärregierung und führte aus, daß die „Bevölkerung es als unerträglich und als einen ausgesproche- nen Affront gegen ihre seit Jahrzehnten erwiesene demokratische Gesinnung [sic!] (empfinde), daß ausgerechnet ein Personenkreis, der für seine Sünden im Dritten Reich Stra- fe verdient, ein modernes Schulgebäude belegt, während die förderungswürdige Jugend sich kümmerlich behelfen muß.“32 Wohl durchdacht hatte der Oberbürgermei- ster seine Formulierungen an die Adresse der Amerikaner. Eine „Entschließung fränkischer Schuldirektoren“ wurde am 26. Februar 1947 in den „Nürnberger Nachrichten“ veröffentlicht: „Die Direktoren der höheren Schulen in Ober- und Mittelfranken erklären die Aussperrung der Oberrealschule Fürth aus ihrem Anstaltsgebäude durch politisch Belastete für gänzlich unvereinbar mit der der studie- renden Jugend geschuldeten Rücksicht und bitten den Landtag, gemäß dem einstim- mig gefaßten Ministerialbeschluß das Staatsministerium für Sonderaufgaben zur Her- ausgabe des Anstaltsgebäudes zu zwingen...“ In Nürnberg und Fürth seien etwa 7500 Schülerinnen und Schüler höherer Lehranstalten – mehr als ein Viertel der Gesamtzahl im Regierungsbezirk – zusammengeballt, für die weder in Nürnberg noch in Fürth ein angemessenes Schulgebäude vorhanden sei.33 Die Eingabe an den Landtag zeitigte schließlich Erfolg. „Die Jugend kam zu ihrem Recht“,34 und am 23. April 1947 erfolgte die Übergabe des Schulgebäudes an die Stadt Fürth.35 Die Schülerzahlen in Bayern stiegen infolge der Flüchtlings- und Vertriebenen- ströme. 36 Damit verbunden war die Zweckentfremdung der Schulen. Gleichzeitig gab es Engpässe in der Materialbeschaffung für die Instandsetzung der Gebäude und nur sporadisch die Lieferung von Holz und Kohlen, um ein Unterrichten zu ermöglichen. Letzteres führte zu schweren Rückschlägen in der schulischen Arbeit. Der „Unterricht in der Kälteperiode“ war häufig Gegenstand amtlicher Anweisung: „Für jede Klasse ist täglich mindestens eine Stunde Unterricht anzusetzen, in der die Schüler mit ausrei- chenden Aufgaben versehen werden. Die gefertigten Aufgaben sind von den Lehrkräften zu Hause durchzusehen und in der nächsten Stunde zu besprechen.“37 Es gibt zahlreiche Belege dafür, daß die Großstädte besondere Schwierigkeiten im Schulbetrieb hatten. In Nürnberg z.B. teilten sich im Juni 1947 175 Schüler an den öffentlichen Schulen ein Zimmer38, im August appellierte Regierungspräsident Schregle an die Bürgermeister, nicht immer wieder auf die Schulräume zurückzugreifen, wenn Platzbedarf war, damit die Jugend endlich mehr als sechs bis acht Stunden in der Woche Schule haben könne.39 Die Raumprobleme waren außerordentlich. Hatte es im Schuljahr 1938/39 im rechtsrheinischen Bayern 800 000 Volksschüler gegeben, so waren es 1947/48 1,3 Millionen40, Kinder, die einerseits mit ihren Familien irgendwo untergebracht werden mußten, also auch in Schulen, andererseits unterrichtet werden

32 Ebda., Schreiben Nr. 1480/III/46 des Oberbürgermeisters von Fürth am 29.1.1947 an die Amerikanische Militärregierung, z. Hd. Herrn Major Bunker, Fürth. 33 Ebda., Nürnberger Nachrichten, Fürther Ausgabe, vom 26.2.1947. „7500 Mittelschüler ohne Schulhaus. Ent- schließung fränkischer Schuldirektoren.“ 34 Ebda., Nr. 18 vom 5.3.1947. 35 Ebda., Aktenvermerk Nr. 523 H I. Betreff: Oberschule an der Kaiserstraße, Städt. Hochbauamt. 36 Zu den Zahlen siehe S. 169 ff. 37 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Jg. 1947 Nr. 1/14.1.1947, S. 2. 38 Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 20.6.1947. 39 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 213. Tagung der Regierung von Oberfranken und Mit- telfranken in Dinkelsbühl am 4.8.1947. 40 Huelsz, S. 108 f.

52 sollten, eben auch Unterrichtsräume benötigten. Zusätzlich vergrößerten geburtenstar- ke Jahrgänge die Schülerzahlen. Im Jahr 1947 fielen aber immer noch 30 % der Schul- räume aus.41 Man konnte nicht so schnell instandsetzen, wie es wünschenswert gewesen wäre. Mit jedem Monat Verzögerung stiegen die Schäden durch Plünderungen und Witterungseinflüsse.42 Immerhin ermöglichte die Stadt Nürnberg mit einem Aufwand von 2 Millionen Mark die Wiedergewinnung von 400 Schulräumen im Zeitraum von Mai 1945 bis 31. August 1948, wobei darauf geachtet wurde, daß möglichst geringe Mittel aufgewendet werden durften und die hergestellten Räume dazu beitrugen, lange und gefährliche Schulwege zu vermeiden.43 Die Einführung einer Kulturabgabe half dann dazu, „die Instandsetzung der Schulgebäude in ein neues Stadium“ treten zu lassen.44 Auch in Bamberg gab es 1948 immer noch schwerwiegende Probleme im Bereich der Schulraumbeschaffung. Die Verhältnisse waren so desolat – stark verkürzter Unterricht, überbesetzte Klassen, weite Schulwege – daß nach Angabe des Stadtrats ein Teil der Eltern mit Schulstreik drohte. Zurückzuführen waren die katastrophalen Zustände auf die bereits beschriebenen Faktoren.45 Verschärft wurde die Notsituation außerdem durch die völlig unzureichende Versorgung mit Kohlen, ein Mangel, der sich durch alle Nachkriegswinter zog. Unter- richtsausfälle bis zu 150 Schultagen waren keine Seltenheit, und in den Herbst-, Winter- und Frühjahrsmonaten saßen die „unterernährten, schlechtbekleideten Kinder frostzit- ternd im Unterricht“. Schwerwiegende Erkrankungen und damit verbundene Schulver- säumnisse nahmen zu. Empört schrieb der Oberbürgermeister von Kulmbach an die „Landesstelle Kohlen“, daß Schulen als „unwichtige Betriebe“ von der Brennstoffver- sorgung ausgeschlossen würden.46 Über die allgemeine schulische Situation gaben Berichte der Regierung von Ober- und Mittelfranken im September und Oktober 1948 Aufschluß. Noch immer wur- den in diesem Regierungsbezirk 159 Klassenräume für schulfremde Zwecke verwendet, gab es 192 beschädigte Schulsäle, elf beschädigte und 30 völlig zerstörte Schulhäuser. Die Schüler aus zwölf Schulhäusern waren in Notquartieren untergebracht. Materialmangel und die trostlose Finanzlage der Gemeinden verboten jegliche Planung. Die Schulen waren vom frühen Morgen bis „tief in die Nacht“ von Schülern belegt47, die Reinigung dadurch und durch den Mangel an Seife sehr dürftig, so daß die bedenklichen hygienischen Verhältnisse das Ansteigen ansteckender Krankheiten begünstigten.48 Zum ersten Mal, aber nicht von ungefähr, bemerkte ein Berichterstatter dann abschließend: „Völlig rät- selhaft erscheint, wie die in nahe Aussicht gestellte Schulreform bei den derzeitigen Schulverhältnissen in die Tat umgesetzt werden soll. Sie muß mit aller Bestimmtheit

41 Ebda. 42 Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 7.5.1948. 43 Ebda. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 31.8.1948. 44 Ebda.; C 7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 8.10.1948. 45 ADL Gummersbach. Nachlaß Thomas Dehler N 53. Schreiben des Stadtrats von Bamberg am 5.8.1948 an Kultusminister Hundhammer. 46 BayHStA München. MK 52340. Schreiben des Oberbürgermeisters von Kulmbach am 21.5.1948 an die Lan- desstelle Kohlen, München. 47 Gemäß einer KME vom 5.8.1948 Nr. IV 48952 sollten Schulräume so ausgenutzt werden, „daß unter Beach- tung der gesundheitlichen Forderungen das ... vorgeschriebene Stundenmaß ... erreicht wird ... Es bestehen keine Bedenken, den Unterricht schon vor 8 Uhr morgens zu beginnen und über 16 Uhr ... auszudehnen ...“ (Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken 16. Jg. Nr. 10, 1. Okt. 1948, S. 76 f). 48 BayHStA München. MK 61319, MK 61321. Stand des Volksschulwesens 15.9./8.10.48.

53 schon in ihren Anfängen stecken bleiben, wenn nicht von kompetentester Stelle die Bil- dungs-, Erziehungs- und Unterrichtsarbeit an die vorderste Stelle der Staatsaufgaben gerückt wird.“49 Bezüglich der Schulräume gab es nach der Währungsreform und besonders ab dem Jahr 1949 vorsichtigen Optimismus. Zwar wurde im Schulhaus an der Amberger- straße in Nürnberg noch am 14 März 1949 festgestellt, daß die Fenster nicht verglast seien, die Rückseite des Gebäudes durchlöchert sei und der Sturm das Dach zum größten Teil wieder beschädigt habe;50 zwar wurde die Situation im Schulhaus an der Sperber- straße im September 1949 noch als chaotisch und das Gebäude in einem so schlechten baulichen Zustand beschrieben, daß nur die Schulpflicht die Eltern dazu zwinge, die Kinder überhaupt in eine solche Schule zu schicken;51 immer noch sprach man von den „trostlosen Nürnberger Schulverhältnissen“, aber wenigstens ersetzten allmählich Schulbaracken das Kampieren in Wirtshäusern.52 Und auch von den Landgemeinden kamen die Berichte dergestalt, daß „sämtliche Gemeinden ihren Verpflichtungen gegenüber den Schulen durchweg im Rahmen des Möglichen“ nachkamen.53 Aller- dings gab es nach wie vor Mitteilungen darüber, daß der vom Schulamt angestrebte Vollunterricht wegen der räumlichen Verhältnisse noch nicht möglich sei.54 Laut stenographischem Bericht über die zwölfte Sitzung des Bayerischen Land- tags am 9. Februar 1951 herrschte zu diesem Zeitpunkt immer noch „besondere Schul- raumnot in den Grenzlandkreisen ... (und) in anderen Notstandsgebieten und armen Gegenden Bayerns, wie zum Beispiel in der Rhön und im Spessart...“55 Rührende Bitt- briefe erreichten den Ministerpräsidenten: „Lieber Herr Präsident! Du mußt uns hel- fen!“ In Oberwohlsbach fehlten Schulbänke. Zu viert saßen die Kinder auf wurmstichi- gen, von Nägeln zusammengehaltenen Bänken.56 In Nürnberg sprach man zu Beginn der 50er Jahre noch von Schulraumnot. Meist wurde der „fortwährende Zuzug“ von Schülern dafür verantwortlich gemacht, die Rückwanderung der Evakuierten in die Stadt und die hohe Geburtenrate.57 Noch 1953 war das Schulhaus an der Bartho- lomäusstraße von einer Schreinerei belegt. Die Schüler liefen zur Bismarckstraße, wo 22 Klassenzimmer für über 2000 Schüler bereitstanden und wo sie, dem Diktat der Not gehorchend, nach teilweise unmöglichen Stundenplänen unterrichtet wurden. Bis zu 60 Schüler saßen in den relativ kleinen Räumen, die weder Kindern noch Lehrern Bewe- gungsfreiheit boten.58 Und im Schulhaus Saarbrückener Straße waren die Verhältnisse

49 BayHStA München. MK 61319. Stand des Volksschulwesens 15.9.1948. 50 Stadtarchiv Nürnberg. C 24 SchV Nr. 5 Bd. 5. Stadtrat Otto Bärnreuther an Baudirektor Schmeissner, Hoch- bauamt. Vgl. auch: Stadtarchiv Nürnberg. C 24 SchV Nr. 158 Bd. 158. Schreiben der Schulpflegschaft der Volksschule Schnieglinger Str. 38 an das Stadtschulamt Nürnberg am 4.5.1949; C 24 SchV Nr. 190 Bd. 190; C 7/ IX SRP Nr. 1285. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 27.5.1949, S. 13 f. 51 Stadtarchiv Nürnberg. C 24 SchV Nr. 168 Bd. 168. Leserzuschrift an die Nürnberger Nachrichten am 19.9.1948. 52 Ebda., Nr. 29 Bd. 29. Fränkische Landeszeitung Ansbach vom 1.1.1949 und Abendzeitung München vom 11.1.1949. Vgl. auch: Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP Nr. 1285. Niederschrift über die Sitzung des Schulaus- schusses am 27.5.1949, S. 15 f; C 24 SchV Nr. 73 Bd. 73. Nürnberger Nachrichten vom 18.1.1949. 53 StAN. Landratsamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, Nr. 70. Monatsbericht für Januar 1949 an die Regierung von Mittelfranken am 3.2.1949. 54 Ebda., Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4680. Schreiben des Bürgermeisters von Kaltenbuch am 10.10.1949 an die Regierung in Ansbach. 55 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenographischer Bericht, 12. Sitzung. Freitag, den 9. Februar 1951, S. 224. 56 BayHStA München. StK 113973. Schreiben der Schülerin Elfriede Martin aus Oberwohlsbach (Rödental, nörd- lich Coburg) am 1.9.1953. 57 Stadtarchiv Nürnberg. C 24 SchV Nr. 190 Bd. 190. Schreiben des Schulleiters der Volksschule Wiesenstr. am 19.4.1950 an Bezirksschulrat Trötsch; ebda., Nr. 22 Bd. 22. Notiz des Stadtschulamtes betr. Schulgebäude Bielingplatz 2 vom 3.8.1951; vgl. auch C 24 SchV Nr. 184 Bd. 184. Nürnberger Nachrichten vom 16.11.1951. 58 Ebda., C 24 SchV Nr. 9 Bd. 9. Nürnberger Zeitung vom 1.5.1953.

54 so beengt, daß „die Lehrer ihre Bücher in einem auf dem Fußboden stehenden Papp- karton unterbringen mußten“, da kein Schrank Platz fand in den überfüllten Räumen.59 Erschwert wurde das Unterrichten, auch wenn Schulräume vorhanden waren, durch das Fehlen der notwendigsten Dinge, vor allem der Beheizung und Beleuchtung. Oft nicht vorhersehbare Stromabschaltungen ließen Unterricht in den späten Nachmit- tagsstunden nicht zu.60 Die Lage auf dem „Glühbirnen-Sektor“ war so schwierig, daß Kultusminister Hundhammer persönlich das Wirtschaftsministerium darauf aufmerksam machte und für mögliche Folgen, z.B. Elternproteste wegen Unterrichtsausfalls, jede Ver- antwortung ablehnte.61 Nur zehn Prozent des Bedarfs konnten gedeckt werden, und die Zuteilungen mußten in München abgeholt werden.62 Im Herbst 1945 war man gezwun- gen, die Unterrichtszeiten nach dem Tageslicht zu richten, denn Glühbirnen waren nir- gends zu bekommen.63 Um in der verbleibenden Zeit verschiedene Fächer unterzubrin- gen, gab es „Kurzstunden“: vormittags 45 Minuten, nachmittags 40 Minuten.64 Noch gravierender wirkte sich der Brennstoffmangel auf den gerade wieder begon- nenen Schulbetrieb aus. In kleineren Orten konnte man sich mit „Holztagen“ behelfen. Da hatten an einem bestimmten Wochentag die Schüler etwas Holz in die Schule mitzu- bringen.65 In den größeren und den Großstädten war es nahezu aussichtslos, genügend Brennstoffe bereitzustellen. Ja, es war sogar verboten, das zu tun. Die Militärregierung in Bay- ern hatte mit Wirkung vom 15. Januar 1947 bis 15. März 1947 einen „Kohlenotstand“ erklärt und Prioritäten gesetzt: An erster Stelle standen Elektro-, Gas- und Wasserwerke. Es folgten Lebensmittelbetriebe, zu denen außer Bäckereien auch Gaststätten zählten, eine Einteilung, die manche besorgte Mutter angesichts der frierenden Schulkinder nicht einsehen konnte. Dann kamen Nahrungs- und Düngemittelindustrie an die Reihe, Kran- kenhäuser und Anstalten, Eisenbahnreparaturwerkstätten, Arzneimittelbetriebe, Produk- tionsbetriebe für die US-Armee und Produktionsbetriebe für den zivilen Sektor. Solange der Bedarf in dieser Reihenfolge nicht gedeckt war, durften Brennstoffe nicht an andere Verbraucher abgegeben werden, demgemäß auch nicht an Schulen.66 Die Klagen über die unzureichend oder gar nicht geheizten Klassenräume und die Folgen daraus rissen in den folgenden Jahren nicht ab. Gab es überhaupt kein Heizmaterial, weil die Zuteilungen von Ruhr und Saar zu gering waren oder weil Kohlezüge geplündert, Kohlen aus den Schulen für Bäckereien entnommen wurden und Schulen immer noch hinter mehreren anderen „Vorrangbetrieben“ rangierten,67 so wurden „Kohleferien“ eingeschoben.68

59 Ebda., Nr. 148 Bd. 148. Nürnberger Zeitung vom 15.10.1953. 60 BayHStA München. MK 61322. Bericht der Regierung von Oberbayern am 15.12.1948 an das Staatsmini- sterium für Unterricht und Kultus. Stand des Volksschulwesens. 61 Ebda., MK 52340. Der Bayer. Staatsminister für Unterricht und Kultus am 7.1.1947 an das Wirtschaftsmini- sterium. Az.: 10a 24/9/ Nr. B 84051. 62 StAN. Landratsamt Feuchtwangen, Abgabe 1992, Nr. 98. Niederschrift über die Bürgermeisterversammlung am 6.11.1946 in Feuchtwangen. 63 Ebda., Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Schreiben des Schulrats des Landkreises Ebermann- stadt am 27.11.1945 an die Amerikanische Militärregierung in Ebermannstadt. Wochenbericht 25.11. –1.12.45. 64 Gespräch mit Herrn Prof. Walter Fürnrohr. 65 StAN. Regierung von Mittelfranken , Abgabe 1978, Nr. 4487. Schreiben des Schulrats des Landkreises Ebermann- stadt am 27.11.1945 an die Amerikanische Militärregierung in Ebermannstadt. Wochenbericht 25.11.-1.12.45. 66 BayHStA München. MK 52340. Bayerisches Wirtschaftsministerium am 24.1.1947 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Nr. IV 3196. 67 Ebda., Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Wirtschaft am 24.6.1947 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Brennstoffversorgung Winter 47/48; vgl.: StAN. Landratsamt Feuchtwangen, Abgabe 1992, Nr. 98. Niederschrift über die Bürgermeisterversammlung am 2.12.1946 in Feuchtwangen; BayHStA München. MK 52340. Ständige Konferenz der Kultusminister am 23.11.1951 an die Mitglieder der Kultusminister-Konferenz. Nr. IV 4605. Betr.: Kohlenversorgung der Schulen. 68 Z.B. in Nürnberg vom 29.1. – 24.2.1947 (Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2, 29.1.1947. Stadtratsniederschrift).

55 Wollte man eine Art Unterricht aufrechterhalten, so gab es den „sehr fragliche(n) Ausweg des Betreuungsunterrichts“. Das hieß, daß die Schüler für eine Stunde in die Schule kamen und vom Lehrer Aufgaben erhielten, die bis zum nächsten Tag zu erledigen waren und dann kontrolliert bzw. korrigiert wurden.69 Die Hintansetzung der Schulen bei der Brennstoffzuteilung wurde heftig kriti- siert. Zum einen führte man den gesundheitlichen Aspekt ins Feld. Eine Reihe von Briefen besorgter Eltern und ärztliche Atteste erreichten das Kultusministerium, daß der Gesundheitszustand der Schüler schlecht sei, da viele ja auch nur über ungenügend warme Kleidung verfügten. Die Kinder kämen „... naß und frierend in die Schule und sollen dann, eingehüllt in ihren nassen Sachen, stundenlang mit Aufmerksamkeit dem Unterricht folgen ...“ „Martin R. stand ... wegen Erkrankung an Muskelrheumatismus in meiner Behandlung ... (Es) wird der Aufenthalt in kalten Schulräumen ärztlicherseits als nicht tragbar bezeichnet.“70 In den Beschwerden wurde auch betont , daß es nicht einzusehen sei, wenn gleichzeitig Behörden und Ämter geheizt seien und Brennmaterial für „Vergnügungs- und Unterhaltungszwecke“ abgegeben werde, „während unter- ernährte Kinder und hungernde Lehrkräfte in den Schulen frieren“.71 Eine Nürnberger Lehrerin schrieb: „... bei Beginn des Unterrichts 6o, 7o, höchstens 8o Wärme ... Erst gegen Ende des ... Unterrichts erhöht sich (infolge Anwesenheit der Kinder) die Temperatur auf höchstens 10 – 13o ... Bereits nach zwei Stunden stellt sich ein solches Kältegefühl ein, daß dadurch mein physisches und psychisches Befinden so gestört ist, daß sich eine große Unpäßlichkeit bis zur Dienstunfähigkeit steigert ... Ich habe ... meine Hände erfroren, war dauernd heiser und hatte über zwei Monate eine Mandelentzündung ...“72 Im Bartholomäusschulhaus in Nürnberg lief der Hausmeister mit einer Wärmfla- sche von Klassenzimmer zu Klassenzimmer, damit sich die Lehrer für einige Minuten die Hände wärmen konnten.73 Ein weiteres Argument für die Forderung, die Schulen ordentlich zu heizen, war die häufig beschworene Sorge um den Bildungsstand der Schüler. „Es wird ... nachdrück- lichst ... darauf hingewiesen, daß, wenn dem langen Unterrichtsausfall in der Krieg- und Nachkriegszeit immer wieder langgestreckte schullose Phasen folgen, die ernste Gefahr besteht, daß in den schwer heimgesuchten Großstädten ein Analphabetentum entsteht, das die Jugend ... außerstande setzt, die ihr ... obliegenden ungeheuren Auf- gaben des materiellen und kulturellen Wiederaufbaus auch nur einigermaßen befriedi- gend zu lösen.“74 Im Juli 1944 hatte z. B. der Schulrat des Landkreises Gunzenhausen beklagt, daß in den meisten Schulen seines Aufsichtsbezirks höchst beschränkte Unter-

69 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Bericht über die Schulleitersitzung am 7.1.1947 in Fürth-Stadt; Stadtarchiv Nürnberg. C 24 SchV Nr. 168 Bd. 168. Brief der Schulleitung Sperberstr. 85 am 15.10.1946 an das Stadtschulamt Nürnberg. 70 BayHStA München. MK 52340. Schreiben (Absender nicht leserlich; Unterschrift: vier Vertreter der staatl. Höheren Lehranstalten) am 10.11.1947 an das Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Kohlenmangel an den staatlichen Schulen Nürnbergs; ebda., Schreiben des Franz K. am 27.11.1947 an das Kultusministerium. Betreff: Heizung der Schulen; ebda., Abschrift der Ärztlichen Bescheinigung vom 8.1.1948 des Dr. Fritz Ö., Schnelldorf (Mfr.). 71 Ebda., Schreiben des Franz K. am 27.11.1947 an das Kultusministerium. Betreff: Heizung der Schulen; StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4688. Schreiben des Schulamts Kulmbach am 23.2.1948 an die Regierung von Oberfranken und Mittelfranken. Entschließung des VdK-Ortsverbandes Kulmbach, dem Schulamt Kulmbach als Resolution vorgelegt. 72 Stadtarchiv Nürnberg. C 24 SchV Nr. 168 Bd. 168. Schreiben der Lehrerin Barbara B., Sperberschulhaus, am 9.1.1948 an das Schulamt Nürnberg. Betreff: Heizung von Schulräumen. 73 Gespräch mit Herrn Prof. Dr. Hans Glöckel. 74 Ebda., Schreiben des Stadtrats zu Nürnberg, Dr. Raab, Schulreferent und berufsmäßiger Stadtrat, am 28.8.1947 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Kohlenversorgung der Schulen Win- ter 47/48.

56 richtszeiten – Abteilungsunterricht mit nur 15 Wochenstunden – für die sehr bescheide- nen Leistungen der Schüler verantwortlich seien.75 Der Bayerische Landtag unterstützte Ende 1947 einen Antrag der Abgeordneten Maderer, Dr. Stang und Genossen, durch entsprechende Zuteilung von Heizmaterial an die Schulen „dafür zu sorgen, daß an keiner Schule die Kälteferien (ausschließlich der Weihnachtsferien) mehr als vier Wochen betragen ...“76 Erst ein Jahr später teilte das Kultusministerium mit, „daß eine bessere Berücksichtigung der Schulen im Gegensatz zum Vorjahr dadurch sichergestellt ist, daß die Schulen hinsichtlich der Versorgung mit Kohle in Zukunft unmittelbar nach den Krankenhäusern in die Prioritätenliste eingereiht wurden“.77 Aber noch Ende 1951 gehörten die Schulen zu den „Bedarfsträgern“, die nur mit 45% ihres angemeldeten Bedarfs rechnen konnten. Aus diesem Grund schrieb der Präsident der Ständigen Konferenz der Kultusminister an den Bundeswirtschaftsmi- nister: „Aus politischen, sozialen und pädagogischen Gründen ist ... eine ... Unterbre- chung und Störung der Arbeit der Schule nicht zu verantworten. Die Schulen müßten wegen der hervorragenden staatspolitischen und sozialen Bedeutung ihrer Arbeit bei ... allen ... Versorgungsfragen in die Gruppe der bevorzugt zu beliefernden Bedarfsträger einbezogen werden. Alle Bemühungen um die Überwindung der Jugendnot, alle Bemühungen, eine beruflich hervorragende, leistungsfähige und in ihrer charakterli- chen Haltung gute Jugend heranzubilden, alle Bemühungen um eine gute staatsbürger- liche Erziehung ... sind ... vergeblich, wenn ... die Jugend immer wieder erfahren muß, daß die sie betreffenden Aufgaben bei eintretenden Mangellagen nicht als besonders vordringlich angesehen werden.“78 Neben der Raumnot, dem Mangel an Beleuchtung und Heizmaterial war auch das Fehlen von Reinigungsmitteln ein Grund für Unterrichtsausfall. Da die wenigen Schulräume nahezu von morgens bis abends belegt waren, wäre eine gründliche Reinigung besonders nötig gewesen. Sie mußte aus o. g. Gründen entfallen, denn Putzmittel wur- den bewirtschaftet und konnten den Schulen nicht zugeteilt werden.79 Es herrschte eine „außerordentliche Knappheit an dafür benötigten Fetten und Säuren ...“80

75 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 6451. Schreiben des Schulrats der Landkreise Gun- zenhausen und Feuchtwangen Ost am 31.7.1944 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. 76 BayHStA München. MK 52340. Der Bayerische Landtag an die Bayerische Staatsregierung am 12.12.1947, Nr. 000184. 77 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 16. Jg. Nr. 10, 1. Okt. 1948, S. 79. Versorgung der Schulen mit Brennstoffen. RE. v. 21.9.48 Nr. 1147 b 22; ME. vom 3.9.48 Nr. IV 58438. 78 BayHStA München. MK 52340. Schreiben Nr. IV 4605 der Ständigen Konferenz der Kultusminister am 23.11.1951 an die Mitglieder der Kultusminister-Konferenz. Betreff: Kohlenversorgung der Schulen. 79 Ebda., Schreiben Nr. A 84189 des Staatsministers für Unterricht und Kultus, Hundhammer, am 21.12.1946 an das Bayer. Wirtschaftsministerium. Betreff: Beheizung und Beleuchtung der Schulräume. 80 Ebda., Schreiben Nr. IV 3196 des Bayer. Wirtschaftsministeriums am 24.1.1947 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Beheizung und Beleuchtung, Schuhe der Schulkinder.

57 1.2. ERNÄHRUNGSNOTSTAND UND SCHULSPEISUNG

„Die Folgen des gegenwärtigen wirtschaftlichen Notstandes in Deutschland treten schon in der körperlichen Erscheinung des Volkes, das wir zu erziehen versuchen, deutlich genug hervor ... Im Juli war bereits ersichtlich, daß das Durchschnittsgewicht der 10jähri- gen Knaben beinahe 10 % unter der Altersnorm lag ... Das ... Ansteigen der Tuberkulose ... beleuchtet die Ernährungskrise sehr eindringlich.“ So hieß es in einem Bericht, den eine amerikanische Kommission nach ihrer Inspektionsreise durch Deutschland abgab.1 Auch andere Berichte und Meldungen zeigten die Notlage auf dem Gebiet der Ernährung auf. Über den Gesundheitszustand der Nürnberger Kinder teilte der Schulärzt- liche Dienst am 7. August 1946 mit, daß Wachstum und Ernährungszustand sich ver- schlechtert hätten; daß im Zeitraum 1938/39 43 % der Kinder gut, 49 % „mittel“ ernährt gewesen seien. Im Mai 1946 seien dagegen nur 8,9 % gut, 78 % „mittel“ und die restli- chen Prozent unterernährt gewesen.2 Untersuchungen und Befragungen ergaben, daß „auch die Kinder der ländlichen Bevölkerung in erschreckendem Maße an Unterernährung leiden“,3 daß nur 20 von 80 Schülern einer Dorfschule „regelmäßige Mahlzeiten kennen“, 21 ohne Frühstück zur Schule gingen.4 Während einer Tagung der Oberbürgermeister und Landräte Ober- und Mittelfrankens in Kronach demonstrierten etwa 100 Frauen und Kin- der vor dem Tagungslokal und forderten die ihnen auf Marken zustehenden Lebensmittel, denn „ein Weiterleben unter diesen Umständen (sei) auf keinen Fall möglich“.5 Auf der glei- chen Tagung erhob Landwirtschaftsrat Heck aus Erlangen Vorwürfe gegen die Schlechter- stellung Nordbayerns gegenüber Oberbayern. Franken würde bei der Lebensmittelzuteilung „als eine Art Strafkolonie behandelt“.6 Der Bezirkslehrerverein Fürth machte darauf auf- merksam, daß aufgrund der Ernährungs- und Wohnverhältnisse die Kinder nicht schulreif seien.7 Auch von kirchlicher Seite wurde auf den Ernährungsnotstand hingewiesen. Man sprach vom „auffallend schlechten Gesundheitszustand“ der Kinder, ja sogar von einem Untergewicht bis zu 51 %, mit besonderer Anfälligkeit für Krankheiten und einem vermin- derten Wachstum als Folge.8

1 Erziehung in Deutschland. Bericht und Vorschläge der Amerikanischen Erziehungskommission. Hrsg. v. Die Neue Zeitung, München 1946, S. 14. Mitglieder der Kommission, die von George Zook, President of the Ame- rican Council on Education, geleitet wurde, waren Personen, die an amerikanischen Hochschulen, Schulen, kirchlichen und gewerkschaftlichen Bildungseinrichtungen tätig waren und einen guten Ruf im amerikani- schen Bildungswesen oder in der wissenschaftlichen Pädagogik hatten. Die amerikanische Regierung wollte sich durch sie einen detaillierten Einblick in den damaligen Stand des Erziehungswesens in der amerikani- schen Zone verschaffen. (Bungenstab, S. 48). Zur Zusammensetzung der Kommission und die Wirkung ihres Berichts bei OMGUS Berlin vgl. Müller S. 126 f und 131 f. 2 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. Nürnberger Nachrichten vom 7., 10. und 14.8.1946; Amtsblatt Nr. 56/1946. 3 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Schreiben des Bezirksschulrats Dr. Korff, Lauf, am 31.7.1946 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. 4 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 49 vom 9.10.1946, S. 2. 5 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 316. Zeitungsberichte über die Maitagung der Ober- bürgermeister und Landräte Ober- und Mittelfrankens, Mai 1946, o. D. 6 Ebda. 7 BayHStA München. MK 61204. Schreiben des Vorsitzenden des Bezirks-Lehrervereins Fürth, Heinrich Stößlein, am 9.9.1946 an Kultusminister Dr. Fendt. 8 LKAN. Landeskirchenrat I 102 (57). Schreiben der Kanzlei der Evang. Kirche in Deutschland, Schwäbisch- Gmünd, am 18.12.1946 an den Ökumenischen Rat der Kirchen, Genf.

58 Der Winter 1946/47 wurde allgemein als der katastrophalste beschrieben. Die Ernte des Jahres 1946 war durchschnittlich ausgefallen. Aber bald schon mußte die tägliche Kalo- rienmenge, die von den Amerikanern mit 1550 berechnet worden war, verringert werden. General Clay machte dafür die im Januar 1947 stattgefundene „Verschmelzung der Zonen“ (amerikanische und britische) verantwortlich. „Infolgedessen wurden unsere Reserven einem gemeinsamen Verteilungsplan zur Verfügung gestellt, und die Briten hatten keine Reser- ven.“9 Im April 1947 mußte die offizielle Tagesration in der Bizone auf 1040 Kalorien gesenkt werden. General Clay berichtete über diese Zeit: „Unsere im ganzen Land tätigen Gruppen zur Prüfung des Gewichtes der Bevölkerung berichteten, die Unterernährung im Nachkriegsdeutschland sei noch nie schlimmer gewesen. Die Apathie des deutschen Volkes war beängstigend.“10 Mittelfristig schien eine Verbesserung der Ernährungssituation also nicht in Sicht, im Gegenteil, die täglichen Rationen wurden immer niedriger bemessen. In einer Aufstellung über die Ernährungslage in Nürnberg wurde die tägliche Kalorienmenge für Erwachsene im Dezember 1945 mit 1660, im September 1946 mit 1151, im Februar 1947 mit 1547, im März 1947 mit 1285 und im Mai desselben Jahres mit 1050 angege- ben.11 Entlastungseffekte gab es teilweise durch den Schwarzmarkt, auf dem Ware vom Land und aus amerikanischen Beständen angeboten wurde. Um da mithalten zu können, mußte man allerdings über Tauschobjekte und gewisse verkaufsstrategische Qualitäten ver- fügen. Daß die Ernährungslage in Bayern im Frühjahr 1947 außerordentlich ernst war, geht aus einem Brief des zuständigen Ministers an Ministerpräsident Ehard hervor. Er war in „tief- bewegte (r) Sorge um die Entwicklung der kommenden Monate“ und sah „die Ordnung des Staatswesens ... in großer Gefahr“. Die Brotversorgung war nicht gesichert, Importe aus Amerika – zum größten Teil Mais – gelangten nur verzögert an den Bestimmungsort, da das Transportproblem kaum gelöst werden konnte. Die Versorgung mit Fleisch, vor allem in den Städten, war ebenfalls wegen der Transportverhältnisse empfindlich gestört. Außer- dem hatte Bayern Lieferverpflichtungen vor allem ins Ruhrgebiet und nach Berlin. „Die Lage in der Fettversorgung (war) geradezu trostlos.“ Auch Kartoffeln gab es nicht ausreichend für die Bevölkerung, da ebenfalls ein Großteil der Ernte in die britische Zone und nach Hes- sen ging.12 Die Ernährungskatastrophe, die noch einmal im Januar 1948 als drohende Gefahr beschworen wurde,13 betrachtete man zunehmend im Zusammenhang mit der wün- schenswerten demokratischen Einstellung des besiegten deutschen Volkes. Schon Ende 1945 wurde in einer Denkschrift über das Ruhrgebiet auf die enge Verbindung „einer Durchsetzung der ‚demokratischen Idee‘ mit einer durchgreifenden Besserung der äußeren Lebenssituation“ hingewiesen.14 Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche Deutschlands forderte als Dringlichkeitsstufe eins eines Sofortprogramms zur geistigen, seelischen,

9 Clay, S. 299. 10 Ebda., S. 300. 11 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F2. Ernährungslage in Nürnberg. Tätigkeitsbericht Stadt- rat Glatthaar vom 30.10.1948. 12 ADL Gummersbach. Nachlaß Thomas Dehler, N 53 – 45, S. 1-6; vgl. auch: Amtsblatt des Bayer. Staatsmini- steriums für Unterricht und Kultus, München, Jg. 1947 Nr. 10, 5.8.1947. S. 74. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 12.7.46 Nr. B 28000. 13 Heinrich Troeger: Interregnum. Tagebuch des Generalsekretärs des Länderrats der Bizone 1947-49. Hrsg. v. Benz, Wolfgang/Goschler, Constantin, München 1985, S. 60. 14 Christoph Kleßmann: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955. Göttingen 1982, S. 54.

59 körperlichen und charakterlichen Hebung aller Schüler die Verbesserung der Ernährung.15 Im Bericht der schon erwähnten amerikanischen Erziehungskommission wurde der Zustand, in dem das deutsche Volk sich befand, zwar als erwartete Kriegsfolge gekennzeichnet, aber nicht akzeptiert als Grundlage „für eine Erziehung des deutschen Volkes zur Demokratie“.16 Auch von amerikanischer kirchlicher Seite kam Unterstützung in dieser Richtung. Der katho- lische Weihbischof Shiel aus Chicago, der im Februar 1946 „als persönlicher Abgeordneter des Präsidenten Truman“ in Deutschland weilte, bestätigte „die Gedankengänge, daß die geistige Umerziehung der heranwachsenden Jugend nur dann Erfolg habe, wenn die aller- dringlichsten und notwendigsten geistigen und leiblichen Bedürfnisse gedeckt sind und daß die breitesten Schichten des deutschen Volkes erst dann für die demokratische und christ- liche Erneuerung aufgeschlossen werden (könnten), wenn sie durch eine wirtschaftliche Lebensgrundlage neuen Mut ... gefaßt habe(n).“17 Eine andere amerikanische Stimme, die Arbeitsgemeinschaft für deutsche Fragen an der Universität Chicago, kam in ihrem Memo- randum über den Bericht der amerikanischen Erziehungskommission zu einer ähnlichen Bewertung. Auch „das allerbeste Erziehungssystem (könne) eine demokratische Gesell- schaftsverfassung nicht hervorbringen, solange Deutschland ein chaotisches Land bleibt, das sich nahe am Verhungern befindet und keine Hoffnung für seine Zukunft hat“.18 Und in einem Aufsatz über den Hunger als „physiologisches und politisches Problem“ wurde der- selbe Ansatz vertreten, wenn es hieß: „Jede moralische Erziehungsarbeit zum Gemeinsinn durch Schule, Kirche und Gesetz muß illusorisch bleiben, so lange physiologische Gesetz- mäßigkeiten an vielen Stellen zu Unehrlichkeit und egoistischem Handeln zwingen...“19 Die Überzeugung, daß dort, wo Amerikas Flagge entfaltet worden war, kein Hunger herrschen dürfe, da man in diesen Gebieten ja auch die Verantwortung übernommen habe, und die in den Vereinigten Staaten weit verbreitete Meinung, daß der Kommunismus in einem verzweifelten Deutschland ein Heer von Anhängern finden könne, veranlaßte die amerikanische Regierung, Nahrungsmittel für ein mehrere Jahre dauerndes Projekt freizu- geben, das als Schul- oder Kinderspeisung in die Nachkriegsgeschichte einging und nach Überzeugung General Clays „die Deutschen mehr als jede andere Maßnahme (überzeugte), daß wir die Absicht hatten, ihrem Volk wieder aufzuhelfen“, und das „der deutschen Jugend die Gesundheit rettete“.20 Um einen Überblick über den Ernährungszustand der Schulkinder zu gewinnen, ord- nete die Militärregierung für Bayern eine monatliche Wägung an Volks-, Berufs- und höhe- ren Schulen an.21 Ab diesem Zeitpunkt wurde über die Kinderspeisung berichtet. Die not-

15 LKAN. Landeskirchenrat VI 1100a (3064). Denkschrift der EKD über die Neuordnung des Erziehungswesens in der amerikanisch besetzten Zone Deutschlands. o. D., wahrscheinlich 1947. 16 Erziehung in Deutschland, S. 14. 17 Archiv des Erzbistums Bamberg. Bamberger Pfarrblatt. Mitteilungsblatt für die katholischen Pfarreien der Erz- diözese Bamberg. 2. Jg. Nr. 6 vom 10.2.1946. 18 Dokumente zur Schulreform in Bayern. Hrsg. v. Bayerischen Kultusministerium, bearbeitet von Hans Merkt. München 1952, S. 146 f. 19 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 92 vom 18.11.1946, S. 4. Prof. Dr. F. H. Rein, Göttingen: Hunger – physiologi- sches und politisches Problem. 20 Clay, S. 299 f. 21 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 26 vom 20.7.1946, S. 7.

60 wendigen Lebensmittel waren zum Teil Armeerationen,22 oder sie wurden durch Spenden der amerikanischen Bevölkerung, caritativer Verbände und Kirchen aufgebracht.23 Im Amts- blatt Nr. 56/1946 der Stadt Nürnberg wurde bekanntgemacht, daß 130 000 RM für Kin- derspeisung bewilligt worden seien.24 An anderen Orten war die Speisung bereits früher begonnen worden. Unter dem 12.4.1946 notierte Gerd Kadelbach in seinem Tagebuch: „Jetzt werden alle Kinder versorgt, ganz gleich, ob es sich um Kinder aus Flüchtlingsfamili- en oder einheimische Bauern handelt. ... Den Lehrern wird ebenfalls eine tägliche Portion zugestanden und zwar gegen Bezahlung von 70 Pfennigen ...“25 Dies war allerdings wohl eine Ausnahme, denn seine positive Einschätzung läßt sich aus anderen Quellen nicht bestätigen. Da die Nahrungsmittel zu Beginn der Aktion nicht für alle Kinder ausreichten, wur- den zunächst nur diejenigen in Städten über 20 000 Einwohner gespeist, die im schul- pflichtigen Alter waren und nach ärztlicher Untersuchung als „vordringlich einer Schulspei- sung bedürftig“ erschienen.26 Die Hauptgründe für die Einreihung in diese Gruppe waren: „Schlechter Ernährungs- und Kräftezustand bei besonders ungünstigen und nicht zu bes- sernden häuslichen Verhältnissen.- Flüchtlingskinder!“27 In Nürnberg begann die Speisung am 23. September 1946. In ihren Genuß kamen 10 000 Schulkinder zwischen sechs und 16 Jahren in den Volksschulen und den ersten vier Klassen der Mittelschulen.28 In Ansbach wurden zu Schuljahrsbeginn 1500 Kinder im Alter von sechs bis 14 Jahren gespeist.29 Die Zeit war zunächst auf zwei Monate festgelegt wor- den. Die Schüler erhielten ein weißes Brot und gesüßte Milch, was 400 Kalorien entsprach. In einem Schreiben der Regierung von Ober- und Mittelfranken an die Schulräte hieß es bezeichnenderweise, daß die Auswahl der Kinder nach gesundheitlichen Gesichtspunkten geschehe, „ohne Ansehen der Person, des Standes, der Rasse und der Konfession der Eltern“.30 Im Unterschied zur Quäkerspeisung nach dem Ersten Weltkrieg erhielten die Schulkinder nun statt zweimal wöchentlich an allen Werktagen eine zusätzliche Mahlzeit.31 In einem Ort in Schwaben erhielten die Flüchtlingskinder wohl Schulspeisung, aber immer nur eins pro Familie. So mußten sie sich abwechseln.32 In der gesamten amerikanischen Besatzungszone wurden täglich 200000 Kinder versorgt, in Bayern 100 000.33 Militärre- gierung, Kultusministerium und Regierung drangen auf die korrekte Einhaltung des ange- ordneten „Wiegeprogramms“, um die zusätzlichen Mahlzeiten wirklich an die Bedürftig-

22 Clay, S. 299 f. 23 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 58 vom 22.7.1946, S. 5; Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. Sitzungsniederschrift über die Stadtratssitzung am 18.9.1946. 24 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. Nürnberger Nachrichten vom 7., 10., 14. und 21.8.1946. Amtsblatt Nr. 56/1946. 25 Gerd Kadelbach: Die mageren Jahre. Tagebuch eines unterfränkischen Landlehrers 1945/46. 2. Auflage. Wein- heim 1962, S. 27 f. 26 BayHStA München, MK 62231. An die Schulämter aller Städte über 20 000 Einwohner. 17.8.1946. Betreff: Auswahl der Kinder zur Schulspeisung. 27 Ebda. 28 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. Sitzungsniederschrift über die Stadtratssitzung am 18.9.1946; Amtsblatt Nr. 63 und 64/1946; Nürnberger Nachrichten vom 21. und 25.9.1946. 29 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 43 vom 18.9.1946, S. 5; vgl. auch: BayHStA München. MK 62231. Reso- lution vom 20.2.1947 des Bayerischen Landesausschusses für das Gesundheitswesen. 30 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4516. Schreiben der Regierung von Ober- und Mit- telfranken am 20.8.1946 an die Schulräte. Betreff: Kinderspeisung. 31 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 51 vom 16.10.1946, S. 5. 32 Dannhäuser, S. 358. 33 Fränkische Landeszeitung., 1. Jg. Nr. 58 vom 9.11.1946, S. 1.

61 sten ausgeben zu können. Im Winter1946/1947 war das jedoch kaum möglich, da die Käl- teferien die Schüler von der Schule fernhielten und ein Aufenthalt mit nacktem Oberkörper zum korrekten Wiegen in den eiskalten Schulzimmern nicht verantwortet werden konnte.34 Als die Vorräte für die erste Hilfsaktion zur Neige gingen, hörten die Speisungen auf. Da wurde ein neues, das sog. „Hoover-Programm“35, initiiert, das nun alle schulpflich- tigen Kinder zwischen sechs und 14 Jahren in Städten mit 10 000 Einwohnern und darü- ber (ca. 2,5 Millionen) und ca. 700 000 Schüler aus kleineren Gemeinden nach ärztlicher Beurteilung umfaßte.36 An 250 Tagen im Jahr sollte eine Mahlzeit mit 350 Kalorien an die Kinder ausgegeben werden. Der Bedarf an Lebensmitteln für diese 250 Tage wurde mit 105425 Tonnen angegeben. Die Kosten für die Eltern betrugen 0,25 RM,37 Minderbemittelte erhielten kostenlose Speisung. Die Schulverwaltung war ver- antwortlicher Träger der Schulspeisung, stellte Personal, Küche und Gerät, überwachte die Essensausgabe (durch die Lehrer!), stellte die Speisepläne auf usw. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsministerien der Länder forderten den Lebensmittelbedarf beim Ernährungs- und Landwirtschaftsrat der vereinten amerikanischen und britischen Zone an, der seiner- seits die Verhandlungen mit der „US-British Bipartite Group“ führte wegen der Beschaffung und Bereitstellung der Waren und der Aufteilung auf die Länder.38 Die Nahrungsmittel wur- den von der US-Militärregierung zur Verfügung gestellt, die Kosten von der amerikanischen und britischen Besatzungsmacht getragen.39 Die Organisation der Schulspeisung war beeindruckend, betrachtet man statistische Angaben darüber. Für den Bezirk Ober- und Mittelfranken wurden für den Monat Mai 1947 folgende Zahlen angegeben:

- Zahl der Volksschulen 107340 - Zahl der Schulen mit Schulspeisung 71040 - Zahl der Schüler gesamt 221 63140 - Zahl der gespeisten Schüler in den Schulen mit Speisung 133 47740 - Gesamtzahl der verabreichten Mahlzeiten 1 885 08540 - Gesamtzahl der unentgeltlich verabreichten Mahlzeiten 294 76240

34 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Nr. 2, 22.2.1947, S. 9 f; Amtlicher Schulan- zeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 15. Jg. Nr. 2 vom 24.2.1947, S. 10. 35 Benannt nach dem ehem. US-Präsidenten Herbert Hoover, der bei einem Deutschlandbesuch die Dringlich- keit der Kinderspeisung erkannte. 36 BayHStA München. MK 62231. Ernährungs- und Landwirtschaftsrat der US- und britischen Zone am 29.3.1947. Betr.: Schulspeisung. Hoover-Programm. Die Zahlen galten für die amerikanische und britische Zone. An anderer Stelle wurde von Schülern zwischen 6 und 18 Jahren gesprochen, z.B. Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus Nr. 6 vom 28.4.1947, S. 45: E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 18.4.47 Nr. IV 13060. 37 Andere Quellen nannten 12,5 Pfennige (Müller, S. 94). 38 BayHStA München. MK 62231. Schreiben des Ernährungs- und Landwirschaftsrats der US- und britischen Zone am 29.3.1947. Betreff: Schulspeisung. Hoover-Programm. 39 Die Neue Zeitung, 3. Jg. Nr. 27 vom 4.4.1947, S. 6. 40 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfran- ken am 7.6.1947. Monatlicher Bericht über die Schulspeisung für Monat Mai 1947 (ME. v. 9.6.47 VIII 22227).

62 Die Angaben für die Stadt Ansbach (in Klammer: Landkreis Ansbach) nannten:

- Zahl der Volksschulen 3 (47) - Zahl der Schulen mit Speisung 3 (46) - Gesamtzahl der Schüler 3630 (8292) - Zahl der gespeisten Schüler 2950 (2205) - Gesamtzahl der verabreichten Mahlzeiten 70 800 (16 963) - Gesamtzahl der unentgeltlich verabreichten Mahlzeiten 19 320 (3463)41

Ein Vergleich der Zahlen belegt doch, daß die Ernährungslage auf dem Lande trotz des Zustroms der Flüchtlinge und Vertriebenen besser war als in der (vergleichsweise klei- nen) Stadt, da immerhin im Stadtgebiet Ansbach ca. 81 % der Schüler versorgt wurden, während es im Landkreis nur ca. 27 % waren. Möglicherweise war die letztgenannte Zahl aber mit dem Prozentsatz der Flüchtlingskinder an der Gesamtzahl der Jugend auf dem Land identisch. Die Angaben für Nürnberg im Zeitraum von 10.11. bis 7.12.1947 verdeut- lichen die Not, die in den Großstädten herrschte:

- Zahl der Volksschulen 4840 - Gesamtzahl der Schüler 32 19340 - Zahl der gespeisten Schüler 31 90340 - Gesamtzahl der verabreichten Mahlzeiten 765 72040 - Gesamtzahl der unentgeltlich verabreichten Mahlzeiten 161 49642

Rund 99 % der Schulkinder erhielten die Schulspeisung, ca. 21 % von ihnen unent- geltlich. Verglichen mit kleineren Städten waren die Großstädte „Brennpunkte der Not“43. Der Speisenplan, den das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten aufstellte, sah z. B. für die Zeit vom 28.4. – 3.5.1947 vor:

Montag, 28.4. Grießbrei Dienstag Spaghetti mit Tomatenpuree Mittwoch Kartoffelbrei Donnerstag, 1.5. Feiertag Freitag Haferflocken, gesüßt Samstag 1 Tafel Schokolade (ca. 57 g).44

Die Militärregierung ordnete an, jeweils an einer Schule des Aufsichtsbezirks festzu- halten, ob und in welchem Ausmaß die Schulversäumnisse sich verändert hatten, um so den Erfolg der Schulspeisung sichtbar zu machen.45 Auch das Wiegen der Schüler war bei- behalten worden, und so las man am 17. November 1947 in der Neuen Zeitung: „Wie Dr. E. R. Jenney, der Leiter der Abteilung für öffentliches Gesundheitswesen bei der Militärre-

41 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfran- ken am 7.6.1947. Monatlicher Bericht über die Schulspeisung für Monat Mai 1947. 42 Ebda., Stadt Nürnberg am 9.12.1947. Monatlicher Bericht über die Schulspeisung vom 10.11. bis 7.12.1947. 43 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F2. Sitzungsniederschrift über die Stadtratssitzung am 30.7.1947. 44 BayHStA München. MK 62 231. Speisenplan für die Zeit vom 28.4.-3.5.1947. Aufgestellt durch das Bay. Staatsmin. f. Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Abtlg. Gesundheitswesen. 45 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 10.11.1947 an das Schulamt in Ansbach (u.a.).

63 gierung in Bayern bekanntgibt, haben die bayerischen Schulkinder durchschnittlich vier bis sechs Pfund zugenommen.“ Das wurde dem Schulspeisungsprogramm zugeschrieben.46 Es kann in der Tat den Amerikanern nicht hoch genug angerechnet werden, und die Dank- barkeit der bayerischen Schüler fand ihren Ausdruck in einem Zeichenwettbewerb zum Thema Schulspeisung, dessen beste Arbeiten an den amerikanischen Präsidenten geschickt wurden.47 Seltsam erscheinen vor diesem Hintergrund Berichte von deutscher Seite, in denen die Schulspeisung als störend empfunden wurde: „Sehr unangenehm wirken sich die Schul- speisungen aus, die immer etwa eine halbe Stunde Zeit erfordern und große Unruhe in den geordneten Unterrichtsgang bringen.“48 „Die Zeit von 1 Wochenstunde, die meistens nur 45 Minuten dauert und häufig noch Störungen durch Schulspeisung ... ausgesetzt ist, engt den (Religions) Unterricht unerträglich ein ...“49 „Die Kinder der Normalverbraucher, die meist hungrig zur Schule kommen, richten ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Schulspei- sung, wodurch der Unterricht leidet.“50 Auch als Erziehungsmittel setzte man Schulspeisung ein; im negativen Sinn, wenn ihr Entzug oder ihre Kürzung mangelnden Fleiß bestrafte,51 oder positiv, „wenn wir die Schul- speisung nicht unterschätzen, sondern als einen Teil unserer Erziehungsarbeit anerkennen, der ein Erziehungsmittel zur Wiedervermenschlichung darstellt“. Denn je menschenwürdi- ger die Schüler die Schulspeisung einnähmen, desto wohlgerüsteter würden sie die Schul- arbeit verrichten.52 Zusätzlich zur Schulspeisung wurde die Bizone Ende 1948 in das internationale Kin- dernotstandsprogramm einbezogen, für das aus den USA 569 000 Dollar flossen. Das Geld wurde für den Einkauf von Lebertran, Leder und Wolle verwendet.53 Am 30. Juni 1950 erst zogen sich die Besatzungsmächte aus dem Schulspeisungs- programm zurück. Deutsche Stellen sollten es weiterführen, und 98 % aller Stadt- und Landkreise sprachen sich zunächst für seine Fortführung aus.54 Durch Verfügung des Staats- ministeriums des Innern wurde in Bayern mit Beginn des Schuljahres 1950/51 die Weiter- führung der Schulspeisung genehmigt und es den Gemeinden überlassen, ob sie sie fort- setzen wollten.55 Viele ländliche Gemeinden stimmten für die Aufhebung der Speisung, da ihre Notwendigkeit nicht mehr gesehen und der monatliche Preis von 4 DM als zu hoch erachtet wurde. Sommersdorf im Landkreis Ansbach begründete die Einstellung damit, daß

46 Die Neue Zeitung, 3. Jg. Nr. 92 vom 17.11.1947, S. 6. 47 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus Nr. 3 vom 19.4.1948, S. 38 f. 48 LKAN. Bayer. Dekanat Nürnberg Nr. 942. Akten des Schulbeauftragten Kirchenrat Georg Merkel, Bericht o.D., S. 2. 49 Ebda., HB XII 135. Amtsblatt für die Evang.-Luther. Kirche in Bayern. Amtlich herausgegeben vom Evang.- Luther. Landeskirchenrat in München, Nr. 12 vom 28.6.1948, S. 50. 50 BayHStA München. MK 61319. Regierung von Niederbayern und Oberpfalz am 4.3.1948 an das Staatsmin. für Unterricht und Kultus. Betreff: Stand des Volksschulwesens. Stand vom 15.2.1948. 51 Ebda., MK 62232. Schreiben der Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Ingolstadt, am 1.11.1947 an das Bayer. Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: „Wir sind der Auffassung, daß sich die Schul- speisung nicht auf den Fleiß des Kindes zu beziehen hat, sondern auf den körperlichen Befund.“ 52 Die Bayerische Schule, 2. Jg. 4/April 1949, S. 141 f. 53 BayHStA München. StK 113972. Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten am 18.11.1948 an Ministerpräsident Ehard. Mitteilung des Zweimächtekontrollamtes Frankfurt (Main). 54 Ebda., StK 113973. Schreiben der Landesgeschäftsstelle für Schulspeisung beim Bayer. Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten am 24.11.1949 an Ministerpräsident Ehard. 55 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken, Ansbach. 18. Jg. Nr. 10/1. Okt. 1950, S. 88.

64 „die Kinder nur mehr die Schokolade essen und dadurch verzogen werden“.56 Einige Orte hielten noch an einem täglichen Milchfrühstück fest, während andere, z. B. Bechhofen, Landkreis Ansbach, für die unbedingte Aufrechterhaltung der Schulspeisung eintraten, „da sonst die Radikalisierung bei der ärmeren Bevölkerung zunehme ...“57 Der Kreisausschuß für die Schulspeisung im Landkreis Uffenheim fragte: „Wozu noch Schulspeisung?! – man kann ja alles wieder kaufen!“ Viele Gemeinden hätten sich im Herbst 1950 abgemeldet, „zum Teil unter bewußter Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse. Denn wie kann man es anders bezeichnen, wenn eine Gemeinde trotz dringender Vorstellungen ihres Flücht- lingsvertreters und vieler Flüchtlingseltern und trotz Hinweises auf die vorhandenen 30 Flüchtlingskinder sich auf den Standpunkt stellt: Der Gemeinderat hat die Abschaffung der Schulspeisung beschlossen ...“58 Es gab auch weiterhin eine kostenlose Speisung für Kin- der aus hilfsbedürftigen Familien,59 und noch 1953 wurde die Staatsregierung vom Bayeri- schen Landtag ersucht, „die Schulbehörden zu beauftragen, im Benehmen mit den Gemeinden Vorsorge zu treffen, daß jeder Schüler und jede Schülerin täglich ein Milch- frühstück preiswert erhalten kann“.60 Obwohl nun an die Stelle der aufrichtigen und rührenden Dankbarkeit von Eltern und Kindern61 ein eher mürrisches Desinteresse getreten war, zeigte dieses Verhalten doch, daß erreicht worden war, was man beabsichtigt hatte: die deutsche Jugend durch die Sicherstellung ausreichender Ernährung in die Lage zu versetzen, sich aktiv in der Schule zu betätigen, ohne das ganze Augenmerk auf die nächste Mahlzeit zu richten oder die vor- handene Intelligenz ausschließlich zur Befriedigung des elementarsten Bedürfnisses einzu- setzen. General Clay hatte es also durchaus richtig gesehen, daß die Ernährungslage das zentrale Problem darstellte und nur einigermaßen satte Kinder und Jugendliche sich den Erziehungsbemühungen öffnen konnten. Nur die Kenntnis der häufig aussichtslosen Ernährungslage in dieser Zeit ermöglicht eine realistische Einschätzung der gesamten Schul- situation.

1.3. MANGELHAFTE BEKLEIDUNG

Schulversäumnisse dürfen nicht nur in Zusammenhang mit mangelnder Ernährung gesehen werden. Für viele Familien stellte die unzureichende Bekleidung der Kinder ein erhebliches Problem dar. In den Beschwerden der Eltern über ungeheizte Schulzimmer ist immer der Hinweis auf die dürftig gekleideten Schüler zu finden. Im Jahresbericht der Militärregierung Nürnberg über die Zeit von Juli 1946 bis Juni 1947 wurde unter 5. gefragt: „Wieviel Prozent der Schulkinder benötigen ... Schuhe und

56 StAN. Landratsamt Feuchtwangen, Abgabe 1992 Nr. 98. Niederschrift über die Bürgermeisterversammlung am 17.2.1950 in Kleinried. 57 Ebda.; StAN Landratsamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992 Nr. 60. Fränkische Landeszeitung. Bericht über die Bürgermeisterversammlung am 30.9.1950 in Dinkelsbühl. 58 Stadtarchiv Bad Windsheim. Sammlung von Zeitungsartikeln I/1951. Windsheimer Zeitung. Nr. 38 vom 9.3.1951. 59 BayHStA München. MK 62232. Schreiben des Staatsmin. für Unterricht und Kultus am 20.7.1952 an die Regierungen. Betreff: Kostenlose Kinderspeisung. 60 Ebda., Schreiben des Staatsmin. für Unterricht und Kultus am 6.3.1953 an den Präsidenten des Bayer. Land- tags. Beschluß des Bayer. Landtags vom 16.5.1952, Beilage 2743. 61 Clay, S. 300.

65 Kleidung?“ Für den Stadtkreis Nürnberg wurden für Juni 1946 80 % angegeben und für Juni 1947 65 %. Im Landkreis Nürnberg benötigten im Juni 46 75 % der Schüler und im Juni 47 60 % Schuhe und Kleidung.1 Gleichzeitig zu diesem Jahresbericht gab es auf der Frauentagung der FDP die dringende Bitte an die Militärregierung, „... bei vollkommener Würdigung des Exports von Textilien ... mindestens wieder den ursprünglichen Satz von 40 % der Erzeugung dem zivilen Bedarf der deutschen Bevölkerung zuzuführen. Nicht allein durch Kriegseinwirkungen ... hat der größte Teil der Bevölkerung Bekleidung, Wäsche, Strümpfe, Schuhe eingebüßt, sondern auch seit 8 Jahren kaum die Möglichkeit gehabt, Ersatzanschaffungen vorzunehmen.“2 Eine weitere Frage des Jahresberichtes der Militärregierung Nürnberg lautete: „Gab es eine hohe Fehlquote bei Kindern mit Schulpflicht?“ Die Antwort hieß: Ja, in den Volks- schulen des Stadtkreises. Als Grund wurde Mangel vor allem an Schuhen angegeben, und nur teilweise wurden Unterernährung und Krankheit verantwortlich gemacht.3 Die Zuteilung von Schuhen wurde ein Hauptproblem für die Städte, denn fehlende Schulräume machten z.T. einen langen Schulweg erforderlich, der mit mangelhafter Fußbe- kleidung natürlich nicht angetreten werden konnte.4 In Nürnberg gelang es durch ein Not- programm, im Dezember 1946 2038 Paar Schuhe an Kinder zu verteilen,5 in Fürth standen im September 1946 800 Paar zur Verfügung, vier Paar pro Klasse.6 Im selben Jahr erreichten viele Notrufe die Regierungen: „Kann man Eltern zwingen, die erklären, daß sie ihre Kinder wegen unbrauchbaren Schuhwerks nicht zur Schule schicken wollen?“7 „Der Schulbesuch in den Schulgemeinden leidet in erschreckendem Maße durch den Mangel an geeignetem Schuhwerk ...“8 In Uffenheim gab es „ ... ständig zunehmende Schulversäumnisse, da viele Schüler infolge Fehlens passender Fußbekleidung oder weil das einzige Paar Schuhe in Repa- ratur ist, unfreiwillige Ferien einlegen müssen.“ Eine Umfrage an der dortigen Schule ergab, daß von 586 Schülern 205 ein Paar Schuhe hatten, das im Moment getragen wurde und sie zwang, zu Hause zu bleiben, wenn eine Reparatur erforderlich wurde. Von diesen 205 Schülern waren 74, deren Schuhe nur noch als Fetzen beschrieben werden konnten. Einige Geschwister verfügten gemeinsam über ein Paar, das je zum Vormittags- und Nachmittags- unterricht getragen wurde.9 Dem bayerischen Wirtschaftsministerium gelang es Ende 1946, für 10 % aller Volks- schüler in Bayern je ein Paar Schuhe bereitzustellen, die von Lehrern und Fürsorgepflegern verteilt wurden.10 Aber auch 1947 dauerte der Mangel an. Ende dieses Jahres gab der Für- ther Stadtschulrat bekannt, daß 5500 Schulkinder ohne Fußbekleidung seien,11 und aus Dinkelsbühl meldete das Bezirksschulamt zwei Brüder, die im Schuljahr 1946/47, da sie keine Schuhe besaßen, insgesamt nur sieben Wochen den Unterricht besucht hatten und deren Volksschulpflicht deshalb um ein Jahr verlängert werden sollte.12

1 Rossmeissl, S. 190 f. 2 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1 – 9. 3. Landesparteitag der Freien Demokratischen Partei vom 27. – 30.6.1947 in Bad Aibling. 3 Rossmeissl, S. 190 f. 4 Stadtarchiv Nürnberg. C 24 SchV Nr. 165 Bd. 165. Schreiben der Eltern vom Stadtteil Zabo am 5.3.1947 an den Stadtrat von Nürnberg. 5 Rossmeissl, S. 192. 6 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Niederschrift vom 7.9.1946 über die Schullei- tersitzung am 31.8.1946 in Fürth. 7 Ebda., Nr. 4516. Schreiben des Schulrats für Lichtenfels/Staffelstein am 9.9.1946 an den Regierungspräsi- denten in Ansbach. 8 Ebda., Schreiben des Bezirksschulrats Heim des Landkreises Nürnberg am 6.3.1946 an die Regierung von Mit- telfranken. 9 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 64 vom 30.11.1946, S. 7. 10 Die neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 93 vom 22.11.1946, S. 1. 11 Ebda., 3. Jg. Nr. 99 vom 12.12.1947, S. 2. 12 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Schreiben des Bezirksschulamtes Dinkelsbühl am 2.6.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfranken. Betreff: Verlängerung der Volksschulpflicht.

66 In seinem Bericht über den Stand des Volksschulwesens vermerkte der Regierungs- präsident von Mittelfranken am 4.3.1948 noch immer: „Die meisten Unterrichtsversäum- nisse sind nach wie vor auf den Mangel an warmer Winterbekleidung und vor allem an Schuhwerk zurückzuführen,“13 während er unter dem 8.10.1948 berichtete: „Bekleidung und Schuhe der Kinder sind seit der Währungsreform merklich besser geworden.“14 Mög- licherweise hatte das bereits erwähnte Kindernotstandsprogramm zur Besserung der Ver- hältnisse beigetragen. In einem Lesebuch aus dem Jahr 1950 allerdings wurde die Lage noch etwas anders beschrieben: „... Die Mutter weicht die Strümpfe ein und stellt die Schuhe an den Ofen. ‚Hoffentlich werden sie trocken‘, sagt sie, ‚sonst kannst du morgen nicht in die Schule gehen!‘ O weh, denkt Heinz ...“15

1.4. HÄUSLICHE VERHÄLTNISSE UND PSYCHISCHE BELASTUNGEN

Der Publizist Walter Guggenheimer verglich 1948 den Lebensstandard in Deutschland mit dem vor 1830.1 Vor allem die Wohnverhältnisse – nicht nur in den großen Städten – waren so miserabel, daß sie erschwerend auf die mühsam anlaufende Schularbeit einwirkten. Viele Schüler fanden weder Platz noch Ruhe, ihre Hausaufgaben ordentlich zu erledigen.2 Sie hatten häufig „keine Möglichkeit zur gründlichen Körperreingung“, und die fehlende Sauberkeit verursachte Krätze und andere Hautausschläge.3 Über die sozialen Verhältnisse in der Stadt Fürth berichtete das Stadtschulamt, daß von 11400 Schulkindern 7483 in einem eigenen Bett schliefen, 1651 keine Zahnbürste besäßen und 2017 die „Familienzahnbürste“ benutzten.4 Noch im Jahr 1952 wurden den Lehrern Schullandheimaufenthalte mit ihren Klassen empfohlen, unter anderem, um den Kindern die „gesundheitliche Wohltat“ zu ermöglichen, „für einige Wochen den einen- genden Wohnverhältnissen“ zu entkommen und den Segen des eigenen Betts, der ungestörten Nachtruhe zu erfahren.5 Das größte Problem war aber sicher, daß die Kinder aus unvollständi- gen, auseinandergerissenen oder zerstörten Familien kamen6 und daß daher die Hauptaufgabe – so sahen es jedenfalls die Kirchen – darin bestehen mußte, „die Elternschaft wieder als Erzie- hungsfaktor fähig zu machen“.7

13 BayHStA München, MK 61319. Schreiben der Regierung in Ansbach am 4.3.1948 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Stand des Volksschulwesens (Stichtag: 15.2.1948). 14 Ebda., MK 61321. Bericht der Regierung in Ansbach am 8.10.1948. Stand des Volksschulwesens. 15 Die Silberfracht. Ein Lesebuch. 2. Schuljahr. Hrsg. in Verbindung mit K. E. Berndt und Dr. E. Zickel von Gottfried Stein, Frankfurt (Main) 1950. Genehmigt für den Gebrauch in Schulen durch Education and Religious Affairs Branch Office of Mil. Government (US) 8. November 1949. G-E.- IA 350.01 (German), S.27.

1 Walter M. Guggenheimer: Schulreform und Besatzungsrecht. In: Frankfurter Hefte. Zeitschrift für Kultur und Politik. Hrsg. v. Eugen Kogon. 3. Jg. Heft 6, Juni 1948, Frankfurt (Main), S. 489. 2 BayHStA München. MK 61322. Bericht des Bezirksschulamts Forchheim am 28.10.1948 an die Regierung von Oberfranken. Stand des Volksschulwesens. 3 Stadtarchiv Nürnberg. C 24 SchV Nr. 158 Bd. 158. Schreiben der Schulpflegschaft der Volksschule Schnieg- lingerstr. 38 am 4.5.1949 an das Stadtschulamt Nürnberg. 4 BayHStA München. MK 61322. Bericht der Regierung von Mittelfranken am 13.1.1949 an das Staatsmini- sterium für Unterricht und Kultus. Betreff: Stand des Volksschulwesens. 5 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken, Ansbach. 20. Jg. Nr. 3, 1. März 1952, S. 30. 6 Schule und Gegenwart. Pädag. Monatszeitschrift, herausgeg. vom Education Service Center, München. Nr. 4/1949, S. 46: Lawrence G. Derthick (Chef der Erziehungsabteilung): Die Bedeutung der Erneuerung des deutschen Erziehungswesens für die amerikanischen Schulen. 7 LKAN. LKR z. I 102 (Rat) (60). Niederschrift (auszugsweise) der Verhandlungen bei der Kammertagung in Lebenstedt (Braunschweig) am 1. u. 2. April 1948. „Probleme und Aufgaben der Kammer“, Referat von Prof. Dr. Hammelsbeck.

67 Diese Forderung hatte nicht nur die erschwerenden Umstände der Erziehungsarbeit in der Nachkriegszeit im Blickfeld, sondern auch die Zeit der Erziehung im Dritten Reich. Die mei- sten Jugendlichen „waren damals in Organisationen eingebunden und lebten nicht mehr oder nur noch teilweise, vor allem während des Krieges, in ihrem Elternhaus ... Überall wurde Anpas- sung mit Zwang durchgesetzt, ... de(m) wirksamere(n) und oft auch quälendere(n) Zwang von den Meinungsmachern der Gruppe ..., die den ‚vorherrschenden Ton‘ bestimmten“8, war man unterworfen. Eltern, vor allem die oft alleinstehenden Mütter, mußten jetzt ihre Erzieherrolle wahrnehmen und vielfach neu lernen. Die Zeitumstände erleichterten diese Aufgabe nicht. Not- gedrungen mußten die Mütter arbeiten, die Kinder und Jugendlichen waren sich selbst überlas- sen. Nicht nur, daß sie in den Trümmern und Ruinen der Städte ihre gefährlichen Spiele spielten, sie lebten nach den Gesetzen der Straße, und allenthalben erhoben sich die Klagen. Kirchliche Stellen und die Militärverwaltung waren sich einig in ihrer Beurteilung vor allem der Großstadt- jugend. Sie leide an einem „Mangel an Gemüt, ... Abstumpfung des Gefühles, ...sei ohne Scham, Reue, Kindesliebe, Mitleid“.9 Die Kinder seien unter sich und auch gegen den Lehrer oft unglaub- lich brutal, sie beteiligten sich lebhaft am Schwarzhandel,10 „streiften in den Straßen umher“ und seien auf dem besten Wege, „sich an das Nichtstun und an das Faustrecht“ zu gewöhnen11. Die Gesinnung der Jugend sei niedrig, sie habe keinen „Sinn für Gesetz und Recht, allen- falls Sport und Tanzen“.12 Die „geistige Verwahrlosung“ im Gefolge der nationalsozialistischen Erziehung wurde beklagt, die z.B. das „Organisieren“ in den HJ-Lagern nie mit Stehlen in Zusam- menhang gebracht hatte.13 Das verzerrte Wertgefüge des Dritten Reiches zeige nun verheeren- de Wirkung, so habe z.B. das Gebot der Natur, „lebensunwertes Leben“ zu vernichten, Huma- nität und Nächstenliebe verkümmern lassen.14 Die Jugendkriminalität („Ruinenkriminalität“), Folge der tiefen Erschütterung aller Wertvorstellungen, stieg z.B. in Berlin 1946 im Vergleich zu 1938 um 850 %.15 Ein Großteil der Jugendlichen wurde von amerikanischen Militärgerichten verurteilt, das Hauptdelikt war Diebstahl. Vielfach wurde als Ursache angegeben, daß „Vater und Mutter noch nicht gelernt haben, Ordnung in ihre eigenen sittlichen Vorstellungen zu bringen“.16 Daneben gab es die vielen entwurzelten Jugendlichen, „die in kleinen Gruppen ziellos das Land (durchzogen)“.17 Man sprach von der „herrenlosen Jugend“, die „ohne Anschluß“ sei.18 Sie schaue „aus den korrupten Verhältnissen der Gegenwart ... sehnsüchtig zurück auf jene Jahre, in denen scheinbar ‚Zucht und Ordnung‘ herrschten“. Bei aller sachlichen Unkenntnis verfüge sie über eine „große allgemeine Lebenserfahrung“.19 Schule war für diese Jugend kein Thema. Sie hatte auch schon zur Zeit des Nationalsozialismus zum Leidwesen vieler Pädagogen eine verän- derte Einstellung zu ihr bezogen, da die Inanspruchnahme durch die HJ-Gruppierungen Schule und Lernen hatte nebensächlich werden lassen. Ja, sie war in ihrer Haltung durch die HJ-Führer bestärkt worden, die behauptet hatten, der „Gehirnmensch“ passe nicht in die Zeit.20 Nach dem

8 Schörken, S. 143 f. 9 Archiv des Erzbistums Bamberg. St. Heinrichsblatt 57. Jg. Nr. 18 vom 1.9.1946, S. 3. 10 LKAN. Bayerisches Dekanat Nürnberg, Nr. 942. Akten des Schulbeauftragten Kirchenrat Georg Merkel, o. D. 11 Clay, S. 333. 12 Dorn, S. 77. 13 Diese Einstellung bestätigten ehemalige HJ-Mitglieder, verwahrten sich allerdings gegen die negative Ausle- gung, sondern wiesen auf die allgemeine Mangelsituation hin, die man zu bewältigen suchte. 14 Marie Braeker: Von geistiger Verwahrlosung zu geistiger Ordnung. Aus der Reihe „Bildungsfragen der Gegen- wart“, herausgegeben von Josef Schnippenkötter. Heft 3. Bonn 1946, S. 3 f und 5. Vortrag, gehalten auf der Tagung der höheren Mädchenschulen der Nord-Rheinprovinz in Mülhausen bei Kempen, 23.-24.2. 1946. 15 Kleßmann, S. 53. 16 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 46 vom 10.6.1946, S. 3. 17 Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung (AdsD) Bonn. SPD-Landtagsfraktion Bayern. Frak- tionsunterlagen 1946-47/7. „Vorschläge zum Regierungsprogramm“. Sitzung der Minister und Staatsse- kretäre, Fraktionsvorstand und Parteivorstand in Pfaffenhofen/Ilm am 28.12.1946. 18 Carl Weiß: Jugend zwischen Hoffnung und Gefahr. Von der Gefolgschaftsjugend zur „herrenlosen Jugend“. In: Die Bayerische Schule, 2. Jg. 4/April 1949, S. 134; Dorn, S. 77. 19 LKAN. HB XII 135. Amtsblatt für die Evang.-Lutherische Kirche in Bayern. Nr. 12 vom 28.6.1948, S. 50. Betr.: Bescheid auf die Berichte über den Religionsunterricht an den höheren Schulen im Schuljahr 1946/47. 20 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Tagung der Bayerischen Unterrichtsverwaltung mit Vertretern des Volks- und höheren Schulwesens in Nürnberg, 15.2.1940. Protokoll.

68 Krieg zeigte sich das Verhalten der Schüler dergestalt, daß Beobachter resigniert meldeten: „Das meiste wissen wir und auch die Eltern nicht.“21 Oder sie stellten fest: „Schul- und Schülerleben (sind) ... beide ... leider bei weitem noch nicht identisch.“22 Der Wiederbeginn des Unterrichts in behelfsmäßigen Schulräumen, ohne Lehr- und Lernmaterial, mit viel zu großen Klassen stellte die Lehrer, vor allem die in Kurzausbildung gewonnenen Schulhelfer, vor die schier unlösbare Aufgabe, den unterernährten, unruhigen, an unkindlichen Erfahrungen reichen Schülern Sitte und Anstand, Ordnung, demokratisches Verhalten, Mitmenschlichkeit und Wissen zu vermitteln. Die Klagen rissen nicht ab. „Disziplinlosigkeit“ und „schlimmes Verhalten“ waren noch die harmlosesten Umschreibungen des Benehmens der Schüler. Immer wieder liest man von den Vorkommnissen in den „Ghettos“, der „Evakuiertensiedlung“, in der die Jugend „Schindluder mit der Lehrerin“ trieb23, dem Flüchtlingslager, in dem die „geistige Verfassung der Kinder“ nur geringe Anforderungen erlaubt „und die Schüler nicht mehr an Autorität gewöhnt sind“24. Ganz im demokratischen Sinne hatte Kultusminister Fendt am 21. Juni 1946 jede Form der körperli- chen Züchtigung an den Volksschulen verboten. Untersagt wurden außerdem „alle jene nicht- körperlichen Strafen, die eine Gesundheitsschädigung des Kindes zur Folge haben oder auf seine Ächtung abzielen“.25 Stellungnahmen dazu machen aber deutlich, daß die „unerläßlichen Vor- aussetzungen“ für eine solche Verordnung nicht gegeben waren. Häufig gab es mehr als 100 Schüler pro Lehrer, die Verwahrlosung der Kinder sei unglaublich, während des Schuljahrs gebe es oftmaligen Lehrerwechsel, Unterernährung steigere bei Schülern und Lehrern die Nervosität, es gebe weder Schreibmaterial noch Bücher für die Stillbeschäftigung, ein großer Teil der Lehr- kräfte sei unzureichend ausgebildet.26 Zudem war der Gebrauch der „erlaubten Strafen“ in Praxi weitgehend eingeschränkt. Schularrest war nicht möglich wegen der nahtlos ineinander über- gehenden Unterrichtszeiten der einzelnen „Wechselschichten“ oder weil die Schulräume nicht geheizt werden konnten. Außerdem hätte er, hätte man die mangelhaft gekleideten und ernähr- ten Schüler ein zweites Mal an einem Tag zur Schule kommen lassen, eine unbillige Härte dar- gestellt.27 Während mancher Lehrer „im Interesse der Schüler“ um die Wiedereinführung der kör- perlichen Züchtigung bat, da die Zeiten eben nicht „normal“ seien, forderten andere ganz lapi- dar: „Beseitigt den Hunger und ihr hebt ... die Moral ...(I)hr bekommt mit einem Schlage besse- re Menschen ...“28

21 LKAN. Bayerisches Dekanat Nürnberg Nr. 942. Akten des Schulbeauftragten Kirchenrat Georg Merkel, o. D. 22 Schule und Gegenwart, 5/1949, S. 40. 23 Kadelbach, S. 8 f. 24 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4516. Schreiben des Bezirksschulamts Feuchtwangen am 9.8.1946 an die Regierung in Ansbach. Betreff: Schulische Betreuung im Flüchtlingslager Voggendorf. 25 Fränkische Landeszeitung 1. Jg. Nr. 18 vom 22.6.1946, S. 6. 26 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4677. Schreiben des Bezirksschulrats Kaiser, Lauf, am 27.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfranken, Ansbach. 27 Ebda., Schreiben des Bezirksschulrats Kolb, Kulmbach, am 4.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mittel- franken, Ansbach. 28 Ebda., Schreiben des Bezirksschulrats Kaiser, Lauf, am 27.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mittel- franken; Schreiben des Schulleiters von Affalterthal, Krs. Forchheim, am 18.2.1947 an das Bezirksschulamt Forchheim.

69 2. FLÜCHTLINGSKINDER

Zusätzlich zu den geschilderten Problemen waren Flüchtlingskinder noch ganz anderen Zwängen ausgesetzt: „Das Hausen in dem Bunker1 ist gesundheitsschädlich, vielleicht schadet es auch der Seele, ... In dem Lager an der Schafhofstraße aber geht es menschenunwürdig zu.“2 Etwa ein Dutzend Familien war in einem Klassenzimmer der Schule zusammenge- pfercht, an Schnüren aufgehängte Decken ersetzten die Wände, und es gab „kein Kind, das nicht hören und sehen würde, was die Erwachsenen tun“.3 Unter diesen Bedingungen lebten die Kinder der Flüchtlinge, deren Zustrom vor allem in den Grenzgebieten Bayerns als nicht mehr tragbar für die einzelnen Kreise betrachtet wurde.4 Man fragte sich dort, warum sie nicht in südlicher und westlicher gelegene Gebiete, z.B. nach Schwaben, Oberbayern oder Niederbayern weitergeleitet würden.5 Das Verhalten der Einheimischen gegenüber den Flüchtlingen konnte man im günstigsten Fall als ambivalent bezeichnen. Davon war die Kirche nicht ausgenommen. Von einem Dorfpfarrer wurde berichtet, daß er unglücklich sei, weil seine rein evangelische Gemeinde durch die vielen katholischen Flüchtlinge „auseinandergerissen“ würde; andererseits machten ihn „die Hartherzigkeit und das lieblose Verhalten vieler seiner Gemeindemitglieder sehr traurig“.6 Diese Einstellung übertrug sich natürlich auf die Dorfkinder, so daß die Flüchtlingskinder oft wegen ihrer Art sich anzuziehen und ihrer fremd anmutenden Sprache isoliert waren. Einem Lehrer z.B., der versuchte, Flüchtlinge und Evakuierte zu integrieren, indem er ihnen kleine Rollen im Krippenspiel übertrug, wurde vorgeworfen, daß das Jesuskind die schlesischen Kinder ja gar nicht verstehen könne, „weil sie ihre Verse so fremdartig daherschwätzen“.7 Auch vorgesetzte Behör- den hatten ihre Schwierigkeiten mit der Situation. So war es die Ansicht der Regierung in Regensburg, daß „die Flüchtlingskinder nicht unter das bayerische Schulpflichtgesetz fallen. Die werden deshalb auch nicht zum Besuch der Schule angehalten. Viele Lehr- kräfte laden sie aus eigener Initiative ein. Die Regierung tut aber nichts, um die Flücht- lingskinder zu erfassen. Dagegen werden Anträge um Beschulung von Flüchtlingskin- dern, welche aus Flüchtlingskreisen kommen, von der Regierung wohlwollend behan- delt“.8 Eine Anfrage beim Kultusministerium ergab, daß Schulpflicht bei Flüchtlingskindern nur dann bestünde, wenn sie die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen.9 Ohne Frage ergaben sich aus dem Zustrom von Hunderttausenden von Flüchtlingen und Vertriebe- nen eine Reihe von Schwierigkeiten, nicht zuletzt auf schulischem Gebiet. Statistiken

1 In Nürnberg waren Flüchtlinge in fünf Luftschutzbunkern untergebracht. 2 Die neue Zeitung, 3. Jg. Nr. 93 vom 21.11.1947, S. 5. 3 Ebda. 4 siehe S. 169-171. 5 StAN Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 316. Schreiben des Landrats von Hersbruck am 20.5.1946 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. Betreff: Besprechung der Landräte von Lauf, Altdorf, Pegnitz, Hersbruck, am 15.5.1946. 6 Kadelbach, S. 12. 7 Ebda. 8 LKAN. LKR VI Nr. 1100 a (3064). Schreiben des Dekans des Evang.-Luth. Kirchenbezirkes, Regensburg, am 20.11.1945 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, München. Nr. 648. Betreff: Schulpflicht der Flüchtlings- Kinder. 9 Ebda.

70 verdeutlichen die Zunahme der Schüler an den Volksschulen. 1939 wurde die Schüler- zahl in Bayern mit 848251 angegeben, während es im Jahre 1948 1283208 waren, was einem Plus von 51,3 % entsprach. In Württemberg-Baden waren es 32 %, in Hessen 37,5 %.10 Bei der Zahl der Einheimischen und der Zugewanderten in den Volksschulen nannte die Statistik von 1950 für Bayern 73,9 % Einheimische und 26,1 % Zugewan- derte, während in Württemberg-Baden das Verhältnis 79,3 % zu 20,7 %, in Hessen 75,1 % zu 24,9 % betrug.11 In manchen Bezirken wurden wegen des Ansturms eigene Flüchtlingsschulen gebildet, deren Hauptanliegen zuerst die erziehliche Arbeit war. Aus der Flüchtlings- schule in Marktredwitz wurde berichtet, daß 97 % der Schüler rund zehn Monate nicht „beschult“ worden waren, mehr als die Hälfte von ihnen hatte bereits lange vor der Vertreibung verkürzten oder gar keinen Unterricht mehr gehabt, da sie in kriegsnahen oder luftgefährdeten Gebieten gewohnt hatten.12 Es gab Fälle, daß zwölfjährige Kinder überhaupt noch keine Schule besucht hatten.13 Die bisherige schulische Laufbahn konn- te wegen fehlender Papiere meist nicht festgestellt werden; und die Eltern mußten ein- sichtig genug sein, um Zurückstellungen oder den Besuch einer Hilfsschule anzugeben. Neben der erziehlichen Tätigkeit war die Hauptaufgabe einer Flüchtlingsschule, Anschluß an „Normalverhältnisse“ zu erreichen. Dabei machte sich negativ bemerkbar, daß die Bedingungen in den Wohnbaracken nicht dazu geeignet waren, die Kinder mit Hausaufgaben zu beschäftigen, vor allem in den Wintermonaten. Wo es keine Flücht- lingsschulen gab, wurden sie doch häufig gefordert. Zur Begründung hieß es einmal, daß die Klassenstärken der bestehenden Schulen „bis an die Grenze des Tragbaren“ gestiegen seien14; zum anderen sollten sie „Auffangorganisationen“ sein für land- und oft genug schulfremde Kinder. Kenntnis- und Leistungsstand sollten gesichtet und innerhalb eines Jahres vereinheitlicht werden, so daß die Schüler anschließend an die „bodenständige Schule“ überwiesen werden konnten. Außerdem sollten die in „völlig neue Lebensverhältnisse“ verpflanzten Kinder über die Unterrichtszeiten hinaus erzie- herisch betreut werden.15 Schließlich gab es die Einrichtung von Flüchtlingsschulen in den Lagern, da die oft lan- gen Schulwege von den unterernährten und mangelhaft gekleideten Schulkindern ohne gesundheitliche Gefährdung nicht bewältigt werden konnten.16 Dies war aber manchmal auch der Grund, warum die Kinder in den Lagern überhaupt nicht schulisch betreut werden konnten. Der Weg zu den nächstgelegenen Orten war zu weit, aber in den Lagern gab es keine Schulräume und keine Lehrer, die von der Militärregierung oder der Spruchkammer zugelassen worden wären.17 Das Ziel war jedoch, „daß kein Flüchtlings-

10 Die Bayerische Schule, 3. Jg. 1950, S. 205. 11 Ebda. 12 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4485. Schreiben des Bezirksschulrats in Wunsiedel am 29.4.1946 an die Regierung in Ansbach. Erfahrungsbericht der Flüchtlingsschule Marktredwitz. 13 BayHStA München. MK 62238. Schreiben des Regierungspräsidenten von Oberfranken und Mittelfranken, am 12.7.1946 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Schulische Betreuung der Flücht- lingskinder. 14 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4485. Schreiben des Schulrats in Lauf am 25.5.1946 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. 15 Ebda., Schreiben des Bezirksschulrats in Wunsiedel am 29.4.1946 an die Regierung in Ansbach. „Zweck und Sonderaufgaben von allgemein einzuführenden Flüchtlingsschulen.“ 16 BayHStA München. MK 62001. Schreiben der Regierung von Oberbayern am 31.10.1947 an das Bezirks- schulamt Dachau. Betreff: Einrichtung einer Lager-Volksschule im Regierungs-Durchgangslager Dachau. 17 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4485. Schreiben des Bezirksschulamts Feuchtwangen am 14.6.1946 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. Betreff: Schulische Betreuung von Flüchtlingskin- dern. RE. vom 29.4.1946 Nr. 1074 d 2.

71 kind ohne Unterricht“ bleiben sollte und daß darüber hinaus diejenigen, die „dessen würdig sind, auch eine über die Volksschule hinausführende Ausbildung erhalten“.18 Die Entschließung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 21. Februar 1947 Nr. II 5635 forderte die Direktorate der höheren Schulen auf, zwecks Gewährung von Erziehungsbeihilfen Flüchtlingsschüler zu melden. Die Stadt Fürth nannte z.B. 15 Teil- nehmer des Abiturientenlehrgangs Fürth, die einer Beihilfe bedurften.19 In den jeden zweiten Monat vorzulegenden Berichten20 liest man über die schu- lische Betreuung im Flüchtlingslager Voggendorf, daß am 26.7.1946 drei Lehrer den Unterricht mit 302 Schülern aufgenommen hatten. Es gab vier Schulsäle in einer großen Baracke, ohne Inventar, da der Flüchtlingskommissar keine Holzscheine bewilligt bekam. Es gab keinen regelrechten Unterricht, aber Kopfrechnen, Lesen, Schulhygiene (ein nicht näher definierter Gegenstand), Singen, Heimatkunde, Turnen, heimatkundli- che Gänge, Heilkräuter- und Pilzsammlungen. Die geistige Verfassung der Schüler erlaubte nur geringe Anforderungen. Das Verhalten war zum Teil schlimm. Und dann schrieb der Schulrat: „Den Lehrern habe ich weitgehende Freiheit in der Gestaltung ihrer Aufgabe gewährt.“21 Etwas anderes wäre sicher auch nicht möglich gewesen. Im Flüchtlingslager Schafhof in Nürnberg konnte für 1023 Schulkinder der Unterricht aufgenommen werden, auch wenn die Lehrkräfte von der Militärregierung nicht end- gültig genehmigt waren, „weil die heimatliche Bestätigung über ihre politische Vergan- genheit“ nicht vorgelegt werden konnte. Man verließ sich zunächst auf die Angaben, die sie dahingehend machten, daß sie erst nach dem 1. Mai 1937 zur NSDAP gekom- men seien.22 In den Durchgangslagern, die es in den meisten Landkreisen gab, war eine schulische Betreuung nicht möglich, da die Flüchtlinge nach drei bis fünf Tagen in die Ortschaften verteilt wurden. Aber einzelne Lehrkräfte, die auch im Durchgangslager untergebracht waren, nahmen „von sich aus die schulische Betreuung in die Hand“.23 In den sog. Landratslagern, die als Dauerlager galten, bemühte man sich um Unterricht, der oft genug nach dem Muster des Lagers in den früheren RAD-Baracken in Markt Bibart ausfiel: Die 100 Kinder im Lager wurden in drei Abteilungen betreut. Die erste Abteilung erhielt im geschlossenen Raum Unterricht, die zweite machte im Freien Spiele, während die dritte „auf einem Unterrichtsgang geschult“ wurde.24

18 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 14. Jg. Nr. 6/1. Dez. 1946, S. 2. RE.v. 7.11.1946 Nr. 1074 d 13 über unterrichtliche Betreuung der Flüchtlingskinder in Lagern; Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 9, 12. Sept. 1946, S. 140. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 4.9.46 Nr. IV 44662 über die Förderung der Flüchtlingskinder. 19 Stadtarchiv Fürth. Akten des Stadtmagistrats Fürth Nr. 2/925. Betreff: Höhere Schulen. Allgemeines. Aus- schnitt aus dem Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. Nr. 3 vom 10.3.1947, S. 3; Schreiben Nr. 280 III 47 an das Kultusministerium, Referat 54, von Oberbürgermeister Hans Bornkessel und Stadtschulrat Albert Schorer. 20 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 14. Jg. Nr. 6/1. Dez. 1946, S. 2. RE v. 7.11.1946 Nr. 1074 d 13 über unterrichtliche Betreuung der Flüchtlingskinder in Lagern. 21 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4516. Schreiben des Bezirksschulamts Feuchtwangen, Schulrat Hild, am 9.8.1946 an die Regierung in Ansbach. Betreff: Schulische Betreuung im Flüchtlingslager Voggendorf. 22 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4485. Schreiben des Stadtschulamts Nürnberg, Stadt- schulrat Barthel, am 7.6.1946 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. 23 BayHStA München. MK 62238. Schreiben des Regierungspräsidenten von Mittelfranken und Oberfranken, Ansbach, am 12.7.1946 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Schulische Betreuung der Flüchtlingskinder. 24 Ebda.

72 Trotz mancher Befürworter von speziellen Flüchtlingsschulen,25 trotz des Ansteigens der Schülerzahlen in den Klassen der Volksschulen nach der Einweisung von Flüchtlings- kindern, trotz des Klagens über diese Zustände und trotz versteckten oder offenen Fremdenhasses,26 war man höheren Orts um eine Eingliederung bemüht, und so kün- digte der Regierungspräsident von Oberfranken und Mittelfranken im Juli 1946 an, daß mit Beginn des neuen Schuljahres eine Änderung erfolgen solle, „da die umgesiedelten Kinder der Flüchtlinge ... in den bayerischen Staats- und Volkskörper aufgenommen werden müssen“.27 Die Ausdrucksweise war zwar noch stark dem Nazitum verhaftet, aber der Mann war auf dem richtigen Weg. Ein Problem, das die bayerische Regierung noch jahrelang beschäftigte, waren die jugendlichen DPs, die keine Aussicht auf Auswanderung, aber auch nur behelfs- mäßigen Schulunterricht genossen hatten. Sie verfügten z.T. auch nur über unzurei- chende Kenntnisse der deutschen Sprache. Im Jahr 1953 waren für sie Sonderklassen in Planung.28 Bis in die 50er Jahre kamen auch immer noch Kinder und Jugendliche der Donauschwaben, die in Jugoslawien in Lagern zurückgehalten worden waren und nun zu ihren vor Jahren vertriebenen Eltern ausreisen durften. Sie beherrschten größtenteils weder die deutsche Schrift noch die Sprache und verfügten nicht über die geforderten allgemeinen Schulkenntnisse. Für diese „volksdeutschen“ Kinder richteten meist kirchli- che Gemeinschaften Sonderklassen in Heimen ein, wo sie unterrichtet und auf Berufe vorbereitet wurden.29

25 siehe S. 71. 26 Die höheren Schulen z.B. seien „mit Flüchtlingskindern geradezu überflutet, ... was sich bei beschränkter Auf- nahmemöglichkeit zum Nachteil der Einheimischen auswirken“ müsse. So schrieb der Oberstudiendirektor der Oberschule für Jungen in Dillingen am 19.6.1947 an Kultusminister Hundhammer. (BayHStA München. MK 52193). 27 BayHStA München. MK 62238. Schreiben des Regierungspräsidenten von Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach, am 12.7.1946 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betr.: Schulische Betreuung der Flüchtlingskinder. 28 Ebda., Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 12.1.1953 an die Regierungen. 29 Ebda., Aktenvormerkung der Abt. III am 23.12.1952; Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 4.12.1952 an die Ständige Konferenz der Kultusminister, Frankfurt a. Main.

73 3. BILDUNGSNOTSTAND – LEHR- UND LERNMITTEL

Das Referat für das bayerische Volksschulwesen im Kultusministerium erklärte, daß „die Erfahrungen der ersten Wochen gezeigt (haben), daß die Schuljugend infolge der Unzulänglichkeit des Unterrichts im 3. Reich einen Tiefstand an Können und Wissen auf- zeigt“.1 Ja, es wurde behauptet, daß schon seit dem 1. Weltkrieg der „früher übliche Lei- stungsstand der Volksschule“ ständig zurückgegangen sei.2 Aber jetzt seien die Bildungs- lücken schwerwiegender denn je. So wurde z.B. davon abgeraten, die auf einer Tagung der Kultusminister der Länder der amerikanischen Zone beschlossene Einführung des engli- schen Sprachunterrichts im 5. Volksschuljahr tatsächlich zu verwirklichen, „weil auf dem unsicheren, mangelhaften Wissen unserer Kinder nicht aufgebaut werden kann“.3 Beson- ders den oberen Volksschulklassen in den Großstädten wurden bedenkliche Lücken bescheinigt.4 Immer wieder führte man die Verhältnisse während des Nationalsozialismus als Gründe für den Übelstand an: „Das im 3. Reich bevorzugte Marschieren,“5 die „natio- nalsozialistische Mißwirtschaft“,6 die vielen für die Schüler angeordneten Sammlungen und Aktionen, sowohl während der Herrschaft des Nationalsozialismus – „Erntehilfe, Suchaktio- nen nach Kartoffelkäfern, Pflegearbeiten an Gemeinschaftsflachsfeldern, Reichsstraßen- sammlung der HJ, für das WHW, Sammlung für VDA und Jugendherbergen, ... Altstoff- sammlung, ...Heil- und Teekräutersammlung, Ernährung aus dem Wald, ... Rotes Kreuz, Kriegsgräberfürsorge, Besuch der vorgeschriebenen staatspolitischen Filme der Gaufilmstel- len, ... Sammlung abgeworfener Flugblätter usw.“7 - als auch nach dem Krieg (Kartoffelkäfer, Alttextilien, Heilkräuter),8 die als zusätzliche Last und – nach dem Krieg – als Störung der Aufbauarbeit an den Schulen empfunden wurden. Die schon ausführlich charakterisierten katastrophalen äußeren Verhältnisse trugen ebenfalls dazu bei, daß der Leistungsstand der Schüler so erschreckend niedrig war. Zahlen über die Schüler, die noch nicht unterrichtet wurden, zeigen, daß die Notlage auch 1947 andauerte. Im Oktober 1945 wurde bekannt- gegeben, daß 70 % der schulpflichtigen Jugend in der amerikanischen Zone unterrichtet würden.9 Für den Regierungsbezirk Ober- und Mittelfranken nannte man am 1. Januar 1947 1820 schulpflichtige Kinder, die nicht die Volksschule besuchten, für den 31. Januar 1947 1369. Bei den Berufs- und Fachschulen waren es 9434 bzw. 9433.10

1 Die Neue Zeitung, 1. Jg. Nr. 1 vom 18.10.1945, S. 4. 2 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 58 vom 9.11.1946, S. 2. 3 Ebda. 4 BayHStA München. MK 62115. Schreiben des Stadtschulamts Nürnberg am 24.5.1950 an die Regierung von Mittelfranken, Ansbach. 5 AdsD Bonn. LV Bayern Nr. I/207. Sozialdemokratische Forderungen zur Schulreform unter besonderer Berück- sichtigung der Verhältnisse in Bayern. Entwurf zu einer Broschüre, überreicht am 14.3.1950 von Dr. Siegfried Ziegler an Waldemar v. Knoeringen. 6 BayHStA München. MK 52543. Bericht für Februar 1947 des Ministerialbeauftragten für die höheren Lehran- stalten, Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken. 7 Landesschulordnung. Hrsg. vom Bayer. Staatsminister für Unterricht und Kultus, München 1943. Bek. des Staatsmin. für Unt. u. Kult. vom 15. November 1942 Nr. IV 52759. WHW = Winterhilfswerk; VDA = Verein für das Deutschtum im Ausland. 8 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4688. Schreiben der Schulleitung der Volksschule Neu- stadt a. d. Aisch am 25.4.1946 an das Bezirksschulamt Neustadt a. d. Aisch; Amtsblatt des Bayer. Staatsmini- steriums für Unterricht und Kultus, Nr. 5, 16.6.1948, S. 56; Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 15. Jg. Nr. 4/April 1947, S. 28. RE. v. 12.3.1947. Nr. 119704; Amtli- cher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken, Ansbach. 19. Jg. Nr. 1 vom 1. Januar 1951, S. 4. 9 Die neue Zeitung, 1. Jg. Nr. 1 vom 18. Oktober 1945, S. 4. 10 BayHStA München. MK 52543. Monatlicher Bericht Schulwesen der Regierung von Oberfranken und Mittel- franken am 31.1.1947 an das Landesministerium für Erziehung. Insgesamt gab es am 1.1.1947 an den Volks- schulen dieses Regierungsbezirks 314375, an den Berufs- und Fachschulen 60143 Schüler. Diese Berichte wur- den weitergegeben an den Education Officer der Landes-Militärregierung.

74 Für ganz Bayern gab es am 1. Mai1947 folgende Zahlen: - Schüler in den Volksschulen 1 236 08840 - ohne Unterricht 5 26140 - Schüler an Berufs- und Fachschulen 235 89940 - ohne Unterricht 10 951;4 am 31. Oktober 1947: - Schüler in den Volksschulen 1 272 10640 - ohne Unterricht 3 58640 - Schüler an Berufs- und Fachschulen 248 79740 - ohne Unterricht 3 593.11 An den höheren Schulen erklärte man das Schuljahr 1946/47 zum Wiederho- lungsjahr, da man keine Basis sah, auf der man hätte aufbauen können.12 In den Februarzeugnissen 1947 zeigte sich, daß in den mittleren und oberen Klassen oft die Hälfte, sogar dreiviertel der Schüler einer Klasse im Vorrücken gefährdet waren.13 Noch 1948 wurde bezweifelt, ob die Befähigteren überhaupt für eine Hochschule geeignet sein würden.14 Für diejenigen, welche aufgrund nationalsozialistischer Gesetzgebung, z.B. der Nürnberger Gesetze, an ihrem schulischen Fortkommen gehindert worden waren, gab es Sonderlehrgänge, die zur Reifeprüfung führten. Kriegsteilnehmer besuchten sie ebenfalls.15 Die Stadt Fürth richtete für die durch die Kriegsereignisse und deren Folgen am wei- testen zurückgebliebenen Volksschüler 40 Förderklassen ein, die von den Lehrkräften als zusätzliche – neben den „normalen“ – Klassen mitgeführt wurden.16 Ob das auch in anderen Städten geschah, war aus den vorgefundenen Quellen nicht ersichtlich. Die Jahre unmittelbar nach Kriegsende nannte Adolf Grimme einen „pädagogi- schen Urzustand“, in dem an den Schulen praktisch alles fehlte, was zu den scheinbar unabdingbaren Requisiten gehörte.17 Schon vorher hatte es große Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Schiefertafeln und Griffeln, Heften, Stiften und Federn gegeben.18

11 BayHStA München. MK 52543. Halbjährlicher Bericht für Schulwesen, Bayern, Zeitabschnitt des Berichtes: 1.V.47 – 31.X.47, vom 31.10.1947, an das Ministerium für Erziehung. Der Bericht wurde weitergegeben an den Erziehungsoffizier der Militärregierung in Bayern und dann an die Education and Religious Affairs Branch, OMGUS. 12 Ebda., MK 53203. Wiederaufbau des höheren Schulwesens seit 1945, 8.4.1948. Ref.7; vgl. Müller, S. 92; Jah- resbericht über das Gymnasium Ansbach für das Schuljahr 1946/47, S. 13. (Min.-E. VIII 23881 vom 15.5.1946). Die im Frühjahr 1946 gebildete 1. Klasse des Gymnasiums wurde zu Beginn des Schuljahrs 1946/47, am 3.9.1946, noch einmal als 1. Klasse, und zwar 1 A, geführt, während die im September eingeschulten Kinder die 1 B besuchten. Laut Bericht eines damaligen Schülers konnten diejenigen Schüler, die die 1. Klasse der höhe- ren Schule vom Februar 1946 bis Juli 1947 besucht hatten (also die 1 A), im Schuljahr 1948/49, als das 9. Gym- nasialjahr wieder eingeführt wurde, eine Klasse „überspringen“, d. h. sie ließen bei der Zählung der Jahr- gangsstufen eine Zahl aus. Begründet wurde dies damit, daß sie ja schon einmal ein halbes Jahr zusätzlich absol- viert hätten. Diese Schüler legten 1954 ihre Reifeprüfung ab. Unangenehm war das für die „Sitzenbleiber“, da es keine Klasse darunter gab. Für diese Schüler wurde in Nürnberg am Neuen Gymnasium (damals im Waffen- hof, gegenüber dem Hauptbahnhof gelegen) eine Sammelklasse für sämtliche sitzengebliebenen mittelfränki- schen Schüler eingerichtet. (Bericht von Herrn Udo v. Hunoltstein, Erfahrungsbericht von Dr. Helmut Deffner ). 13 Ebda., MK 52543. Bericht für Februar 1947 des Ministerialbeauftragten für die höheren Lehranstalten. Regie- rungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken. 14 Ebda., MK 53203. Wiederaufbau des höheren Schulwesens seit 1945, 8.4.1948, Ref. 7. 15 Ebda., StK 113972. Kultusminister Fendt am 26.11.1945 an Radio München. 16 Ebda., MK 61321. Stand des Volksschulwesens. Bericht der Regierung von Mittelfranken am 8.10.1948. 17 Glaser, S. 150. 18 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4637. Schreiben des Bezirksschulamts Ansbach am 4.4.1944 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. Betreff: Lernmittel an Volksschulen; Schreiben des Stadt- schulamts Bayreuth am 30.3.1944 an den Regierungspräsidenten in Ansbach.

75 Dieser Engpaß blieb während der Nachkriegsjahre bestehen bzw. verschlechterte sich rapide, vor allem auf dem Gebiet der Schiefer- und Papierzuteilung. Die Schiefertafelfabrik Pensel in Kulmbach konnte im April 1946 noch 20000 Tafeln kleineren Formats an den Regierungsbezirk Mittelfranken liefern, was nicht einmal für den dringendsten Bedarf ausreichte und den Regierungspräsidenten veranlaßte, darauf hinzuweisen, daß die Lehrkräfte anzuweisen seien, die Schüler „auf die schonendste Behandlung der Schie- fertafeln ständig aufmerksam zu machen“. Die Herstellung neuer Tafeln sei wegen Roh- stoffmangels nahezu aussichtslos.19 Nun gab es zwar Schieferbrüche im Kreis Hof, jedoch baute man dort Dachschiefer ab. Nur in kleinem Umfang war die Herstellung von Tafeln aus diesem Material möglich.20 Man hätte Dachschiefer aus dem Kreis Hof gegen Tafelschiefer aus der britischen Zone tauschen können. Dazu brauchte die Abbaufirma jedoch die Genehmigung des Kreisbauamtes Hof, Rohschiefer für diesen Zweck freizugeben. Andererseits versagte die Militärregierung ihr Einverständnis zur Schiefereinfuhr, solange die Möglichkeiten „im Inland“ nicht genutzt wurden.21 Die Devisenlage war gegen die Volksschüler, denn sie ließ ausreichende Einfuhrquoten nicht zu; übrigens auch nicht für Kreide, die so kostbar war, daß man sie noch nicht einmal auf dem Schwarzen Markt einhandeln konnte, was der Schulleiter der Volksschule Bai- ernrain heftig bedauerte. Er hätte sie dort erworben.22 Im Januar und Februar 1948 baten Flüchtlingseltern direkt beim Kultusminister um Schiefertafeln für ihre Kinder, da ihnen die „Beziehungen“ fehlten, um sie zu kriegen. In seiner Antwort wies der Mini- ster auf einen „Dollarkredit zur Einführung von Rohschiefer aus der Schweiz (hin), der die Schultafelnot im Laufe der nächsten Monate beheben“ sollte.23 Aber Mangel an Schiefertafeln gab es weiterhin. Im Januar 1949 machte der Abgeordnete Kübler (CSU) im Landtag eine Anfrage, des Inhalts, daß die Versorgung der bayerischen Volksschulen mit Schiefertafeln „katastrophale Formen angenommen“ habe. Auf die „Schulen eines Landkreises treffen z. Zt. monatlich rund 36 Schieferta- feln“.24 Eine ungewöhnliche Art der Beschaffung von Schiefertafeln schildert ein ehe- maliger Lehrer in einem Dorf an der Zonengrenze: Er kannte einen illegalen Grenzgän- ger aus einem Gebiet Thüringens, wo Tafeln hergestellt wurden. Im Dorf sammelte man eine stattliche Zahl Eier, die der Lehrer nachts an der Grenze gegen Schiefertafeln und Griffel eintauschte.25 Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, als Schule und pädagogi- sche Ziele nicht mehr von Einfuhrquoten dominiert wurden, wendete sich das Blatt, und das Kultusministerium „unterstützte“ die Schiefertafelindustrie im oberfränkischen

19 Ebda., Schreiben des Regierungspräsidenten in Ansbach am 12.4.1946 an die Stadt- und Bezirksschulämter. Betreff: Lieferung von Schiefertafeln. 20 Abhängig vom Abbauniveau des Steinbruchs kann es Qualitätsunterschiede beim Schiefer geben. Verwitte- rungserscheinungen an der Oberfläche oder Kluftöffnungen infolge Druckentlastung sind möglich. Ebenso kann in den verschiedenen Abbauniveaus durch die Existenz von Störungen die Eignung des Schiefers für Tafeln nicht mehr gegeben sein. (Auskunft: Alexander Spinn, Diplomgeologe, Nürnberg). 21 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Schreiben der Schiefertafelfabriken Gottfried Pensel & Sohn, Kulmbach, am 27.9.1947 an Regierungsschulrat Salffner, Regierung von Oberfranken und Mittelfranken, Betreff: Schiefertafeln für den Volksschulunterricht. 22 BayHStA München. MK 62122. Schreiben des Leiters der Volksschule Baiernrain, Post Linden bei Otterfing, am 17.10.1947 an das Kultusministerium München und Antwort des Kultusministeriums am 19.11.1947. 23 Ebda., Schreiben H.E. Haferkamp, Königshofen i. Grabfeld, am 30.1.1948 an den Bayer. Kultusminister und Antwort des Kultusministers am 19.2.1948. 24 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenograph Bericht. 99. öffentl. Sitzung am 26.1.1949, S. 542. 25 Dannhäuser, S. 292.

76 Grenzgebiet, indem es neben dem Schreibheft die Tafel tolerierte, obwohl „in der Schu- le die pädagogischen Gesichtspunkte vor den wirtschaftlichen den Vorrang besitzen“ und aus „arbeitshygienischen Gründen das Schreibheft der harten Tafel vorzuziehen ist“.26 Papierknappheit war die Ursache für die fehlenden Schulhefte. Zur Erbitterung mancher Lehrer wurden zwar laufend Lizenzen für die Herausgabe von Zeitungen und Zeitschriften erteilt, doch die Schulkinder schrieben auf die abgeschnittenen Ränder der Zeitungen. Sie schrieben auch auf Pappschachteln aus dem Lebensmittelladen und auf Feldpostbriefpapier.27 Und in Döckingen im Hahnenkamm rannten sie nach jedem stärkeren Wind zur Kirche, um die heruntergefallenen Schieferziegel als Heft- oder Tafelersatz für die Schule zu sammeln.28 Schulhefte gab es für 1,50 RM auf dem Schwarzmarkt.29 Manchmal erhielten die Schüler geringe Stückzahlen, z.B. gab es 1947 in Nürnberg für jeden Volksschüler zwei, für jeden Mittelschüler vier Hefte vom „Staats-Verlag“.30 Zu Beginn des Schuljahres 1948/49 war die Not offensichtlich besonders groß. Es gelangten Spenden mit dringend benötigtem Schulbedarf nach Bayern. Nürnberger Schulen erhielten über das Rote Kreuz 8000 Schulhefte, die amerikanische Kinder geschickt hatten.31 Von der Militärregierung in Nürnberg kamen, da aus München keine Zuteilung erfolgt war, wei- tere Lernmittel: „1000 kg Schreibpapier, 2870 Blatt Löschpapier, 5800 Schreibfedern, 892 Federhalter, 372 Bleistifte, 127 Blaustifte, 170 Bleistiftverlängerer und 150 kurze Handtücher.“32 Der amerikanische Quäkerdienst schickte pro Regierungsbezirk in Bay- ern 40 Pakete mit Schulbedarf, der besonders in Schulen mit vielen Flüchtlingskindern verteilt werden sollte. Zum Inhalt gehörten auch eine Beschreibung von Kanada und vier kleine Landkarten.33 Auch letztere gehörten zu den Kostbarkeiten an den Schulen. Die Karten nämlich, die nicht durch Plünderungen abhanden gekommen oder durch eindringende Nässe in die zerstörten Schulhäuser ruiniert worden waren, entbehrten der Aktualität. Amtliche bayerische topographische Karten gab es nur in geringster Stückzahl; die „Überarbeitung“ der vorhandenen Landkarten, von der Militärregierung genehmigt, dauerte etliche Monate – verständlich, wenn man die vielen auszubessern- den Grenzen bedenkt.34 An Lehrmitteln und Unterrichtsmaterial fehlte fast alles. Gera- dezu rührend erscheint die Erlaubnis, an den Volksschulen ein Schaukästchen über Kar- toffelkäfer zu vertreiben.35 Die Schüler brachten ihr Anschauungsmaterial mit, z.B. Löf- fel aus dem mütterlichen Haushalt zum Rechnen.36 Dem gleichen Zweck diente der

26 Mittelfränkischer Schulanzeiger mit den amtlichen Mitteilungen der Regierung von Mittelfranken. 20. Jg. Nr. 9/1. Sept. 1952, S. 121. ME. v. 8.8.52 Nr. IV 59455 (RE. v. 13.8.1952 Nr. 1134 a 56). 27 Bericht Frau Wilhelmine Hofmann, Treuchtlingen. 28 Bericht Frau Huter, Treuchtlingen. 29 BayHStA München. MK 62122. Schreiben des Leiters der Volksschule Baiernrain, Post Linden bei Otterfing am 17.10.1947 an das Kultusministerium. 30 Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 9.5.1947, S. 2. 31 Ebda., Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 31.8.1948, S. 9. 32 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2, 14. – 17.9.1948; Nürnberger Nachrichten vom 15.9.1948. 33 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4638. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 15.11.1948 an alle Regierungen. 34 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 14 vom 24. November 1947, S. 118 f. 35 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4637. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 19.4.1946 an Dr. Erwin Müller, Illertissen. 36 Gespräch mit Frau Dr. Domandl, Salzburg.

77 Holzvorrat des Herrn Hauptlehrers, den die schwachen Rechner der 1. und 2. Klasse um eine vorgeschriebene Anzahl von Holzscheiten erleichtern mußten.37 In den „Lichtbild- apparaten“, dem „ausgezeichnete(n) und bedeutende(n) Hilfsmittel neuzeitlicher Bil- dungsarbeit“, fehlten die Birnen,38 und das Material für die „Strickliesel“ im Handar- beitsunterricht war aufgedröselter Bindfaden.39 Das Fehlen von Tintengläsern für die Schulbänke schien gravierend zu sein, denn zu Beginn des Schuljahres 1947/48 meldete das Stadtschulamt Fürth, daß das Maischulhaus freigegeben worden sei und in Betrieb genommen werden könne, wenn „Tintengläser beschafft werden könnten“.40 Aber das hing von der Landesstelle für Glas, Porzellan und Keramik ab. Im Jahr 1949 beantragte in Nürnberg der Fachberater für Lehr- und Lernmittel 430000 DM, um das wieder zu beschaffen, was vor dem Krieg da war; aber selbst der rigoros gekürzte Etat-Antrag von 36 000 DM zur Lernmittelbeschaffung wurde vom Haushalts- ausschuß wegen nicht vorhandener Mittel gestrichen.41 Wieviel Trost mochte da ein Büchlein spenden, das den verheißungsvollen Titel „Überwindung der Lehrmittelnot von heute“ trug und „wertvolle Hinweise für die praktische Kleinarbeit in der Volks- schule im Sinne der Arbeitsschule“ brachte. Es wurde vom Staatsministerium für Unterricht und Kultus empfohlen.42 Außerordentlich erschwerend für den Unterricht war das Fehlen von Büchern. Zunächst hatte die amerikanische Militärregierung generell den weiteren Gebrauch der bis- her verwendeten Schulbücher verboten, dann detaillierte Listen herausgegeben, die aufzeigten, was nicht mehr benutzt werden durfte43 und was gestattet war.44 Bei Wie- dereröffnung der Volksschulen gab es in geringem Umfang Notausgaben, z. B. Lese- und Rechenbücher.45 1946 erschien das erste Nachkriegs-Schulbuch, ein Lesebuch für die zweite Volksschulklasse, in einer Auflage von 180000 Stück im Verlag des Bayeri- schen Erziehungsministeriums.46 Kultusminister Fendt betonte bei der Überreichung des Buches an den Chef der amerikanischen Militärregierung für Bayern, General Walter J. Muller, das neue Lesebuch sei „ein glücklicher Anfang, ‚ein Versuch, den neuen politi- schen Menschen zu bilden‘“.47 Es enthielt Texte von Heinrich Hoffmann, den Gebrüdern Grimm,. eine „Volksauslese“, eine Auswahl aus Des Knaben Wunderhorn. „Glücklich die Kinder, denen ein solch köstlich ausgestattetes Buch in die Hand gegeben wird. Und das ein Jahr nach dem Zusammenbruch!“48 Viele waren nicht so glücklich, mußten sich mit „entnazifizierten“ Büchern zufriedengeben, in denen die Lehrer die abgebildeten

37 Erfahrungen d. Verf. 38 BayHStA München. MK 61322. Schreiben des Bezirksschulamts Stadtsteinach am 15.11.1948 an das Staats- ministerium für Unterricht und Kultus. Stand des Volksschulwesens. 39 Bericht Frau Wilhelmine Hofmann, Treuchtlingen. 40 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Schreiben des Stadtschulamts Fürth am 11.9.1947 an die Regierung von Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 41 Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP Nr. 1285. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 27.5.1949, S. 14 f und am 17.6.1949. 42 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 4/31.5.1948, S. 47. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 27.4.48 Nr. VIII 20203 über Empfehlung von Büchern. 43 siehe S. 44 Amtsblatt der Militärregierung und des Landrats für den Landkreis Ansbach, Nr. 9 vom 9. Nov. 1945, S. 82. 45 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 15. Jg. Nr. 4, April 1947, S. 27. RE. v. 20.3.1947 Nr. 1134 a 16. 46 Fränkische Landeszeitung 1. Jg. Nr. 48 vom 5.10.1946, S. 6; Die neue Zeitung 2. Jg. Nr. 80 vom 7.10.1946, S. 4. 47 Fränkische Landeszeitung 1. Jg. Nr. 50 vom 12.10.1946, S. 6. 48 Ebda.

78 Hakenkreuze überklebt und aus denen sie die anstößigen Seiten entfernt hatten.49 Allerdings lernte noch so manches Kind das Einmaleins aus einem Rechenbuch, in dem die „Pimpfe“ in Dreier-, Vierer- oder Fünferreihen aufmarschierten.50 Die lange Zeit anhaltende Papierknappheit war einer der Gründe für die verhee- rende Schulbuchsituation. Man versuchte, durch Altpapiersammlungen an den Schulen die prekäre Lage zu verbessern. Auch die eingezogenen Bücher sollten der Schulbuchher- stellung dienen.51 Die Erziehungskommission Zook hatte empfohlen, die Richtlinien für die Papierzuteilung in Deutschland zu überprüfen, damit nicht nur der Informations- strom nach, sondern auch von Deutschland fließen könne. Die amerikanische Öffent- lichkeit sollte über die Lage der deutschen Erziehung etwas erfahren.52 In einer Stellung- nahme General Clays dazu hieß es aber, daß in Deutschland ein außerordentlicher Man- gel an Papier herrsche und strengste Rationierung der Vorräte auf mehrere Jahre geboten sei.53 Allenthalben wurde die Papierknappheit beklagt.54 Außerdem fehlte Bindematerial, Karton und Leim,55 und die Kohle- und Stromversorgung der Druckereien reichte nicht aus, um den Schulbuch-Bedarf auch nur annähernd zu decken.56 Das genannte Lese- buch für die 2. Klasse gelangte selbst bis Frühjahr 1947 in viele Klassenzimmer nicht, wegen der mangelhaften Energieversorgung.57 Verschiedentlich beklagte man, daß alles Mögliche an Druckerzeugnissen zu haben sei, Modezeitschriften und Unterhal- tungsblätter, aber keine Schulbücher.58 Die amerikanische Militärregierung stellte aus Beständen der Armee 30 Tonnen Bücher für die bayerischen Schulen kostenlos zur Ver- fügung, allerdings in englischer Sprache,59 die in den Volksschulen keine Verwendung finden konnten,60 so daß weiterhin bis zu vier Kinder ein Buch in Benutzung hatten61 oder der Lehrer nur ein einziges Exemplar, aus dem er sich Anregungen holte, diktierte

49 Bericht Frau Wilhelmine Hofmann, Treuchtlingen. 50 Gespräch mit Frau Dr. Domandl, Salzburg. 51 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 13/24. Oktober 1947, S. 106 f. E.d. Staatsmin.f.Unterr.u.Kult.v.9.10.47 Nr. IV 48540 über Schulbücher. 52 Erziehung in Deutschland, S. 37. 53 BayHStA München. MK 53201. Entwurf des Amtes der Militärregierung für Deutschland (U.S.). Amt des Militärgouverneurs APO 742. Stellungnahme zum Bericht der U.S. Erziehungskommission für Deutschland, Zook-Kommission, an Generalmajor O.P. Echols, Abteilung für Zivilangelegenheiten, Kriegsministerium, Was- hington D.C. (Director, Civil Affairs Division). Unterzeichnet von Lucius D. Clay, stellvertr. Militärgouverneur. o.D. 54 Amtsblatt des Land- und Stadtkreises Coburg, Nr. 10, 1. März 1946, S. 113. 55 LKAN. HB XII 133. Amtsblatt für die Evang.-Lutherische Kirche in Bayern rechts des Rheines, München. Nr. 9 vom 14. Mai 1947, S. 34. 56 BayHStA München. MK 52340. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 30.12.1951(!) an die Arbeitsgemeinschaft der Schulbuchverleger der Bundesrepublik Deutschland, Braunschweig, Nr. VIII 74 112; Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 15. Jg. Nr. 4/April 1947, S. 27. RE. v. 20.3.1947 Nr. 1134 a 16. 57 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4638. Schreiben des Schulrats in Coburg am 11.3.1947 an die Regierung von Oberfranken und Mittelfranken. 58 ACSP München. NL Seidel. Beilage 434 vom 23.6.1947, Dringlichkeitsantrag der SPD; Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des Bayer. Landtags. 42. öffentl. Sitzung, 11.12.1947, S. 477. 59 Fränkische Landeszeitung 1. Jg. Nr. 23 vom 10.7.1946, S. 3. 60 Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP Nr. 1228. Sitzungsniederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 2.8.1946, S. 3 f. 61 Fränkische Landeszeitung 1. Jg. Nr. 50 vom 12.10.1946, S. 7.

79 oder Rechenaufgaben mündlich lösen ließ, wenn kein Schreibpapier vorhanden war.62 Die Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Schulbüchern veranlaßten deutsche und amerikanische Erziehungsfachleute der US-Besatzungszone, zu einer Konferenz in Stuttgart zusammenkommen. Hier wollte man Weichen für die weitere Entwicklung stellen. Als Ersatz für die noch nicht vorhandenen neuen Schulbücher wollte man eine „Schulzeitung“ herausgeben, ähnlich der in den Vereinigten Staaten erscheinenden „current events“.63 Zu einer Verwirklichung dieses Planes schien es in Bayern nicht gekommen zu sein, jedenfalls gibt es dazu keine weiteren Informationen. Einige Jahre lang mußten Manuskripte zu neuen Schulbüchern der amerikani- schen Militärregierung vorgelegt und von ihr genehmigt werden, was den Ablauf bis zu ihrem Erscheinen nicht gerade beschleunigte.64 Zudem machten fehlende Schreibma- schinen, Quellenmaterialien, Bibliotheken und die Ungewißheit über künftige Lehrpläne und Schulsysteme den Anfang nicht leicht. Bis Ende 1948 gab es dann an einigen Orten in der amerikanisch besetzten Zone, z.B. auch in Nürnberg, „Curriculum and Textbook Writing Centers“. Sie waren den „Education und Religious Officers der Länder-Militärre- gierungen“ unterstellt und dienten dazu, „deutschen Erziehern zu helfen, neue demo- kratisch orientierte Schulbücher zu schreiben und Lehrplan-Reformen zu planen ...“65 Ihre Hilfe bezog sich auf moderne Arbeitsplätze und auf Referenz- und Quellenmaterial.

62 Bericht Frau Wilhelmine Hofmann, Treuchtlingen; Gespräch mit Frau Dr. Domandl, Salzburg. 63 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 55 vom 30.10.1946, S. 3. 64 Verhandlungen des Bayer. Landtags, Stenographischer Bericht. 42. öffentl. Sitzung am 11.12.1947, S. 467; siehe S. 537 f. 65 Bungenstab, S. 110 f; siehe S. 545.

80 4. AMERIKANISCHE BEMÜHUNGEN UM AUßERSCHULISCHE JUGENDARBEIT UND NEUGRÜNDUNG VON JUGENDVERBÄNDEN

Der Wert der Jugendarbeit außerhalb der Schule wurde im Bericht der Erzie- hungskommission der Vereinigten Staaten für Deutschland besonders hervorgehoben: „Organisierte Arbeit mit Jugendgruppen, gleichlaufend mit der systematischen formel- len Erziehungsarbeit, ist von besonderer Bedeutung für die Umerziehung des deutschen Volkes.“1 Mehrere Gründe wurden genannt, vor allem die mißliche Tatsache, daß die Jugendlichen zum Zeitpunkt des Berichts nur einen Bruchteil ihrer Zeit, vielleicht 15 – 20 Stunden wöchentlich, in der Schule verbrachten. Dann nahm man zu Recht an, „daß die Haltung und die Anschauungen junger Menschen leichter im Sinne einer demokrati- schen Lebensweise geändert werden können als die ihrer Eltern.“ Außerdem stellte man fest, daß die Teilnahme an irgendeiner Organisation für die Zehn- bis Achtzehn- jährigen in Deutschland „eine alte Tradition“ sei, und als außerordentlich pragmati- schen Grund nannte man das starke Interesse der Amerikaner für Sport und Erholung, was die Gewinnung amerikanischer Soldaten und Zivilisten für eine „Mitarbeit am Wie- deraufbau der Jugendarbeit in Deutschland“ erleichtern würde.2 Grundlegender Zweck der Jugendarbeit sollte einmal sein, für eine schöpferische Verwendung der Freizeit zu sor- gen, und außerdem die Jugendlichen zu unterweisen in demokratischer Organisation und Lebensführung.3 Die amerikanische Regierung investierte bis Herbst 1950 60 Millionen DM für die Jugendarbeit, deren Herzstück die Heime der GYA (German Youth Activities) waren. Die Anfangszeit, in der die amerikanischen Soldaten spontan Kontakt zu deutschen Kindern herstellten, wurde später von der GYA-Organisation die „Schokolade-Bonbon-Ära“ genannt.4 Die amerikanischen Soldaten veranstalteten Spielnachmittage und Sport- wettkämpfe. Letztere nicht unter dem Gesichtspunkt der „körperlichen Ertüchtigung“, sondern es sollte der deutschen Jugend etwas vermittelt werden, was in Amerika „wor- king democracy“ genannt wurde, und dazu gehörte der Gedanke des „fair play“ als Grundlage des Sports.5 Der Lehrer in einer Dorfschule nahe der Zonengrenze berichtete, daß eines Tages ein amerikanischer Soldat an seiner Klassenzimmertür klopfte, einen Fußball zeigte und verständlich zu machen suchte, daß er auf Befehl seines Offiziers den Kindern Fußballspielen beibringen sollte. Von dem geringen Engagement der Schüler beim Spiel war er enttäuscht, bis der Lehrer ihm klarmachte, daß nicht Desinteresse, sondern Leistungsschwäche infolge der Unterernährung die Ursache sei. Bei seinem nächsten Besuch brachte er folglich Süßigkeiten mit, auf die die Kinder sich stürzten.6 Das Jugendprogramm der amerikanischen Armee wurde als außerordentlich wichtig eingestuft, gerade von den ranghöchsten Offizieren (z.B. General Joseph T. McNarney, Kommandeur der amerikanischen Streitkräfte in Europa), denn es werde, so sagte man, über die zukünftige Entwicklung Deutschlands und auf weite Sicht über den Erfolg der amerikanischen Besatzung entscheiden.7

1 Erziehung in Deutschland, S. 42. 2 Ebda. 3 Ebda., S. 43. 4 Glaser, S. 173. 5 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 75 vom 20.9.1946, S. 5. 6 Dannhäuser, S. 356. 7 Die Neue Zeitung, 3. Jg. Nr. 80 vom 6.10.1947, S. 5.

81 Die amerikanischen Soldaten waren zur Teilnahme verpflichtet,8 und es wurde erwartet, daß sie wöchentlich vier Stunden ihrer Dienstzeit für die „Arbeit an der deutschen Jugendfrage“ zur Verfügung stellten. Man erhoffte sich dadurch eine Beschleunigung bei der Umerziehung der Jugend.9 Clay untertrieb stark, als er später sagte, man habe den Kindern den Sinn für Sport und Spiel erhalten wollen.10 Im Dezember 1946 berichtete die Zeitung, daß bereits zu 90 % der „Plan der amerikanischen Armee, in jeder Gemeinde ein Jugendheim einzurichten“, durchgeführt sei und daß an den Veranstaltungen der dritten amerikanischen Armee im November rund eine halbe Million Jugendlicher teilgenommen habe.11 Dabei verfuhr man nach dem Motto: „We don´t want to teach them, we just want to live with them.“12 Es sollte ein zwangloser Anschauungsunterricht in Verständigung und Demokratie durch bloßes Zusammensein geboten werden. Ehemalige Schüler der Oberrealschule Fürth (Abitur- jahrgang 1950) erinnerten sich, daß sie gerne zu den GYA in die Jahn-Turnhalle gingen. In verschiedenen Stadtteilen hatten sich Clubs, meist in Gastwirtschaften, etabliert. Zu den amerikanischen Soldaten hatte man ein freundschaftliches Verhältnis – noch nach über 50 Jahren war der Name des leitenden Offiziers präsent! Zu Hause hatte man wenig Platz, aber in den Clubs wurden Tischtennis und Boxen angeboten. Es gab Klei- nigkeiten zu essen, es war warm, aktuelle Musik wurde gespielt. Man hatte die Mög- lichkeit, „live“ englisch zu sprechen. Ganz wichtig war den Schülern auch, daß es hier die Bücher zur Ausleihe gab, die man im Kern-Kurs-System ihrer Schule13 benötigte, z.B. für Chemie oder Astrophysik. Im Rückblick betrachteten die ehemaligen Schüler vor allem den Sport als das Mittel, über das die Amerikaner die Jugendlichen an sich zogen.14 In Ansbach hatte die amerikanische Flugplatzbesatzung Katterbach am Unteren Markt 20 ein Jugendheim eingerichtet. Tagsüber gab es für die Zehn- bis Vierzehnjährigen „allgemeinbildende Frage- und Antwortspiele“, Tischtennis und Unterhaltungsspiele . Die Räume waren geheizt. Bastelstunden wurden angeboten; und abends, wenn die Älteren kamen, gab es Arbeitsgemeinschaften, amerikanische Zeitschriften und – ganz wichtig! – „freie Diskussionsabende ... zwischen jungen Deutschen und Angehörigen der Besatzungsmacht“15 Das Ziel dieser Gespräche sollte es sein zu lernen, für eine Überzeugung einzustehen und gleichzeitig die Meinung des anderen gelten zu lassen, Meinungsverschiedenheiten durch sachliche Aussprache beizulegen und letztendlich dadurch zu einem politischen Menschen zu werden. Auf keinen Fall sollte es eine Erziehung zum unpolitischen Menschen geben,16 denn die „Unwissenheit über politische Zusam- menhänge und die von den Eltern ererbten Vorurteile“ hatten sich so verhängnisvoll in Deutschland ausgewirkt.17 Wie wichtig den Amerikanern diese Um-Erziehung der Jugend war, machte die Ankündigung einer großen Diskussion über Gegenwartsfragen mit

8 Ebda., 2. Jg. Nr. 65 vom 16.8.1946, S. 2. 9 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 42 vom 14.9.1946, S. 4. 10 Clay, S. 337. 11 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 66 vom 7.12.1946, S. 4. 12 Die Neue Zeitung, 3. Jg. Nr. 80 vom 6.10.1947, S. 5. 13 siehe S. 257-262. 14 Gespräch mit Herrn Alfred Faul, Nürnberg, Herrn Alfred Fischer, Fürth, Herrn Robert Rieger, Fürth, Herrn Wal- ter Weichlein, Oberasbach. 15 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 41 vom 11.9.1946, S. 1 und 7; Ebda., Nr. 51 vom 16.10.1946, S. 5. 16 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 75 vom 20.9.1946, S. 5. 17 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 62 vom 23.11.1946, S. 4.

82 hochrangigen Persönlichkeiten deutlich. Der Militärgouverneur für Bayern, Murray D. van Wagoner, eröffnete die Veranstaltung in Nürnberg, an der z.B. Dr. Joseph Müller, Landtagspräsident Horlacher, Wilhelm Hoegner, Prof. Carlo Schmid, Thomas Dehler, Nachrichtenkontrolloffiziere und Wirschaftsberater von OMGUS teilnahmen.18 Die Ausarbeitung eines Jugendprogramms eigens für deutsche Mädchen wurde Ende 1946 in Angriff genommen. Dafür hatte man Miss Georgia Lightfood in das ame- rikanische Hauptquartier berufen.19 In den Städten gab es Mädchenclubs; der Club in Nürnberg lag in den Händen „der Gattin des amerikanischen Jugendoffiziers“, die Zusammenkünfte fanden im Armeejugendhaus in der Erlenstegenstraße statt, und zum Programm gehörten die Einrichtung einer – möglicherweise speziellen – Bücherei, Näh- kurse, Sport und die unvermeidlichen Diskussionen.20 Manche der amerikanischen Bemühungen kollidierten mit der Befindlichkeit der Mädchen: Eine damalige Schülerin der Oberrealschule für Mädchen in Fürth erinnerte sich an den Besuch zweier Amerika- nerinnen in ihrer Klasse. Es war im Schuljahr 1946/47 kurz vor Weihnachten. Die etwa 15jährigen Schülerinnen sollten das Weihnachtslied „Jingle Bells“ lernen. Sie fanden das ganze Unternehmen ziemlich albern und sangen nur zögerlich mit. Hemmend wirk- te auf sie auch der offensichtliche krasse Unterschied zwischen den ihrer Meinung nach reichen Amerikanerinnen und ihrer eigenen Armut. Oberflächlich kamen sie ihnen vor. Das einstudierte Lied wurde dann während einer Weihnachtsfeier bei den Amerikanern gesungen. Beeindruckend waren die großen Weihnachtsbäume; es gab Geschenke für die Schülerinnen und Verpflegung. Aber die Feier erschien ihnen zu weltlich und „unre- ligiös“.21 Das Nonplusultra der Umerziehung außerhalb der Schule aber war die „Kinder- stadt“ bzw. „Jugendregierung“. In Ingolstadt beispielsweise plante die Stadtverwaltung in Zusammenarbeit mit der Militärregierung eine von Jungen selbständig verwaltete Gemeinde, in der nach amerikanischem Vorbild zu Gemeinschaftssinn und Verantwor- tungsgefühl erzogen werden sollte. Die Jugendlichen sollten Bürgermeister und Stadt- räte, Polizeichef und Polizisten und Verwaltungsspitzen aus ihren eigenen Reihen wählen. In München sollte eine Jugendregierung gebildet werden, die aus selbstge- wählten jugendlichen Bürgermeistern und Stadträten, Flüchtlingskommissaren und anderen Beamten bestand und wöchentlich in einer Sitzung im Rathaus Probleme besprach, mit denen sich auch der „alte“ Stadtrat beschäftigte. Gute Vorschläge sollten Oberbürgermeister Scharnagl vorgelegt werden. Bei der Bekanntgabe dieser anspruchs- vollen Pläne erklärten die Amerikaner immer, daß alle Jugendlichen dazu aufgerufen seien, unabhängig von Konfession, Parteizugehörigkeit oder Mitgliedschaft in einem der neuen oder wiedererstandenen Jugendbünde.22 Von den Jugendbünden gab es schon bald nach dem Krieg wieder eine erstaun- lich große Anzahl. Schätzungsweise ein Viertel der zwei Millionen Jugendlichen zwi- schen zehn und 18 Jahren gehörte im September 1946 einer katholischen oder evange- lischen (40 %) oder einer sportlichen Vereinigung (37 %) an. Außerdem gab es hand- werkliche, kulturelle, gewerkschaftliche und andere Gruppen.23 Bereits im Dezember

18 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 22.-24.4.1949; Nürnberger Nachrichten vom 19.3., 2., 21., 25., 27.4.1949; „The Young World“ vom 1.4.1949. 19 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 95 vom 29.11.1946, S. 6. 20 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 3.5.1947; Nürnberger Nachrichten vom 3. und 10.5.1947. 21 Gespräch mit Frau Ingrid Dehm, Ansbach. 22 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 56 vom 2.11.1946 und Nr. 26 vom 20.7.1946, jeweils S. 3. 23 Erziehung in Deutschland, S. 43.

83 1945 wurde in München „eine sozialistische Erziehungskonferenz der Sozialdemokrati- schen Partei für die gesamte amerikanische Zone“ durchgeführt, auf der man sich mit dem Wiederaufbau der „sozialistischen Jugendarbeit, die auf eine jahrzehntelange Tradition zurückblicken kann“, befaßte.24 Die amerikanische Militärregierung hatte rasch erkannt, daß die Jugendorganisationen ihr die Plattform für die Beeinflussung der Jugendlichen boten, die ihr die Schulen wegen der dort zum Teil herrschenden unmögli- chen Verhältnisse oder weil sie noch nicht wieder eröffnet waren, nicht bieten konnten. Mit einer Verordnung gestattete sie am 25. Oktober 1945 die Bildung und Tätigkeit von Jugendorganisationen, deren Überwachung durch Jugendausschüsse mit Vertretern städtischer, kirchlicher und kultureller Organisationen wahrgenommen wurden. Die Überwachung diente dem Zweck aufzupassen, daß der „HJ- und BDM-Geist“ keinen Zutritt in die neuen Vereinigungen fände.25 Die Neue Zeitung nannte die genehmigten Jugendverbände, zu denen neben den konfessionellen die „Falken“, die überkonfessio- nellen „Pfadfinder“ und die „Freie Deutsche Jugend“ gehörten. Letztere hatte auch in den westlichen Besatzungszonen Zulauf, war jedoch bald umstritten durch den Umstand, daß die Kommunisten sie sehr unterstützten.26 Überparteilich und überkon- fessionell sah sich die „Schwäbische Volksjugend“. Es gab außerdem in der amerikani- schen Zone die „Deutsche Jungenschaft“, die „Sport-Jugend“ und den „Katholischen Schwabenbund“.27 Neue Richtlinien für Jugendverbände wurden im April 1946 veröffentlicht. Die amerikanische Militärregierung wollte „alle freiwilligen Jugendbewegungen, die sich der kulturellen und religiösen Erziehung oder der Erholung der Jugend“ widmeten, unterstützen. Verboten blieben Organisationen, die „den Charakter der Hitler-Jugend“ hatten. Die Mitgliedschaft mußte freiwillig sein und durfte nicht von Rasse, Religion oder wirtschaftlichen Verhältnissen abhängig gemacht werden. Besondere Abzeichen waren nicht gestattet. Bevor die Jugendverbände ihre Tätigkeit aufnehmen durften, mußten sie von der Militärregierung geprüft und genehmigt werden.28 In den neuen Jugendbünden sollte ein „neues heldisches Ideal, das des Forschers, des Wissenschaftlers, des Künstlers“ vor Augen gestellt werden; dort sollte zur Achtung vor den Eltern, zu Toleranz, tiefer Religiosität und wahrer Menschlichkeit erzogen wer- den, und „die Jugend müsse sich wieder für Zeitfragen interessieren“.29 Wesentlich sei auch, daß die verschiedenen Gruppierungen Berührung untereinander hätten, um die „herkömmliche Spaltung der deutschen Gesellschaft“ zu mildern.30 Das bayerische Kultusministerium erachtete ebenfalls Jugendverbände für förde- rungswürdig, da sie einen „besonders wichtigen Erziehungsfaktor“ darstellten. „Kame- radschaftliche(r) Zusammenhalt und die gegenseitige Erziehung (erschienen) als eines der besten Mittel, der heute so überaus gefährdeten Jugend wieder Halt und Vertrauen zu sich selbst zu geben ...“31 Eine Lehrkraft jeder Schule sollte Verbindung zum örtli- chen Kreisjugendring herstellen.32

24 Die Neue Zeitung, 1. Jg. Nr. 17 vom 14.12.1945, S. 4. 25 Ebda., 2. Jg. Nr. 30 vom 15.4.1946, S. 2. 26 Ebda. 27 Ebda. 28 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 1 vom 24.4.1946, S. 3. 29 Ebda., 1. Jg. Nr. 28 vom 27.7.1946, S. 7. 30 Erziehung in Deutschland, S. 43. 31 Bereinigte Sammlung der Verwaltungsvorschriften des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kul- tus 1865- 30.6.1957. 1. Bd. 1865-1954. München 1958, S. 286. Entschließung über Förderung der Jugend- verbände vom 30.11.1946 (KMBl. 1946 S. 208 – Nr. I 53 686). 32 Ebda.

84 Die rasche und von höchster Stelle empfohlene Wiedererrichtung von Jugend- gruppen erscheint zumindest erstaunlich, nachdem erst ein gutes Jahr vorher die NS- Organisationen mit ihrem Grundsatz, daß Jugend am besten von Jugend erzogen werde, verdammt worden waren. Man hätte annehmen sollen, daß von staatlicher Seite nicht so bald eine Ermunterung dazu gekommen wäre. Offensichtlich machte man sich aber Gedanken darüber, wie man, da besonders in den Städten lediglich sporadisch Unterricht stattfand, die Jugend unter Kontrolle und auf den richtigen Weg bringen könne. Trotzdem mußte manchem Zeitgenossen die Ankündigung großer Pfandfinder- Zeltlager fatal erscheinen. Da diese Treffen für Pfadfinder aus allen Ländern der ameri- kanischen Zone veranstaltet und hohe Offiziere erwartet wurden, gab es wohl keine Proteste.33 Unterschiedlich war die Zieldefinition für die neuen Jugendorganisationen. Während – im Anschluß an die kultusministerielle Entschließung vom 30.11.1946 – über den tatkräftigen Einsatz von Lehrkräften bei der Gründung von Jugendgruppen berichtet und gleichzeitig versichert wurde, „Politik von den Zusammenkünften der Jugend fernzuhalten“,34 betonte man auf amerikanischer Seite, daß auf keinen Fall eine Erziehung zum unpolitischen Menschen stattfinden solle.35 Wie bereits erläutert, hatten die Amerikaner ganz handfeste Umerziehungsabsichten, die sich in ihren Verordnungen für die Jugendverbände niederschlugen, aber die bayerischen Stellen hatten ein konträres Verständnis von Jugendarbeit. Auf dem flachen Land, wo ohnehin durch das Einströ- men der Flüchtlinge die Gemeinden nun „bunt zusammengewürfelt“ waren, protestier- ten viele Dorfpfarrer heftig gegen die Einflüsse der Militärregierung, „die im Rahmen ihres Youth-Programs durch Sportveranstaltungen und Zeltlager aktiv wurde und sich in die – bisher als kirchliche Domäne verstandene – Jugendarbeit im Dorf ‚einmischte‘. Die Amerikaner würden die Landjugendgruppen nach ‚städtischen Mustern‘ organisieren“, und es gab Pfarrer, die den Jugendlichen im Dorf die Teilnahme an den Sportangeboten der Besatzungsmacht verboten.36

33 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 35 vom 21.8.1946, S. 6. 34 Ebda., Nr. 67 vom 11.12.1946, S. 5. 35 vgl. Anm. 13, 25 und 26. 36 Paul Erker: Revolution des Dorfes? Ländliche Bevölkerung zwischen Flüchtlingszustrom und landwirtschaftli- chem Strukturwandel. In: Broszat, Martin/Henke, Dietmar/Woller, Hans (Hrsg.), Von Stalingrad zur Währungs- reform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland, München 1988, S. 408.

85 IV. Die Lehrer

Will man dem Ziel, die historisch-politische Umerziehung an den bayerischen Schulen in der Nachkriegszeit aufzuzeigen, gerecht werden und den Schulalltag in Beziehung setzen zu den Anliegen und Anordnungen der amerikanischen Besatzungs- macht und den Weisungen der bayerischen Kultusbehörden, so nimmt hierbei der Lehrer eine zentrale Stellung ein. Er hatte sämtliche Forderungen umzusetzen; die der Militär- regierung, des Kultusministeriums, der Kommunen, der Eltern und natürlich die Erfor- dernisse der Schüler. An seiner Person prallten manche Gegensätze aufeinander, er war das Zentrum des Spannungsfeldes. Er bemühte sich um Ausgleich, selbst meist unausgeglichen in seiner Haltung zur nationalsozialistischen Vergangenheit, zur chaotischen Gegenwart und zur demokratischen Zukunft. Dazu kamen die äußere Not und häufig die Entwur- zelung. Und er war in besonderem Maße strengster Entnazifizierung unterworfen, die damit gerechtfertigt wurde, daß es unmöglich sei, „to permit a confirmed Nazi to have the opportunity to teach the coming generation of Germans …”1 Vor diesem Hintergrund ist es unerläßlich, der Person und der Rolle des Lehrers große Aufmerksamkeit zu widmen und die vorhandenen Quellen auf Informationen zu untersuchen, ob und inwieweit er, einer Vielzahl von Zwängen unterworfen, Träger neuer, demokratischer Ideen sein konnte, ob er wirklich an einem Wandel beteiligt oder einfach nur ausführendes Organ einer bayerischen, an die Zeit vor 1933 anknüpfenden, kulturpolitischen Kontinuität wurde. Da die Entnazifizierung von den Amerikanern als unerläßliche Voraussetzung für Umerziehung zur Demokratie propagiert wurde, soll zunächst deren Planung und Durchführung allgemein betrachtet werden, bevor ausführlich ihre Umsetzung im Bil- dungsbereich dargestellt wird. Ausführlich deshalb, da hier ja anschließend Reformen geplant waren - wenigstens von amerikanischer Seite - und die Entnazifizierung sozusa- gen den ersten Akt einer personellen Schulreform darstellte. Pädagogik hat tendenziell eine spezifische Nähe zu Herrschaft, die ihr hoheitliche Befugnisse überträgt;2 deshalb konnte es der amerikanischen Besatzungsmacht nicht gleichgültig sein, wer die Han- delnden waren. Auch soll untersucht werden, ob die Behauptung, daß besonders viele Lehrer Nationalsozialisten waren, aufrechterhalten werden kann, und die Auswirkun- gen der Entnazifizierung auf die persönlichen Verhältnisse der Betroffenen. Breiter Raum wird der Situation der Flüchtlingslehrer gewidmet, die spezifischen Schwie- rigkeiten ausgesetzt waren.

1 Bungenstab, S. 71 f. Er zitiert Major Keith Wilson, Removal of Nazis and Militarists, MGWIB Nr. 8 (15. Sept. 1945). 2 Hans-Jochen Gamm: Führung und Verführung: Pädagogik des Nationalsozialismus. Eine Quellensammlung. Frankfurt (Main), New York, 2. Aufl. 1984, S. 38.

86 1. ENTNAZIFIZIERUNG

1.1. ALLIIERTE BESCHLÜSSE UND IHRE DURCHFÜHRUNG IN DEN EINZELNEN BESATZUNGSZONEN

In Potsdam war von den drei Siegermächten der Adressatenkreis für die Entnazifi- zierung, die als politischer Reinigungsprozeß und damit als Vorbedingung für die Rück- führung Deutschlands in den Kreis friedliebender Nationen gesehen wurde, festgesetzt worden: „Alle Mitglieder der nazistischen Partei, welche mehr als nominell an ihrer Tätigkeit teilgenommen haben ... sind aus den öffentlichen und halböffentlichen Ämtern ... zu entfernen. Diese Personen müssen durch Personen ersetzt werden, wel- che nach ihren politischen und moralischen Eigenschaften fähig erscheinen, an der Ent- wicklung wahrhaft demokratischer Einrichtungen in Deutschland mitzuwirken.“3 Diese Festlegungen wurden in das Ermessen der Besatzungsmächte gestellt und ließen je eigene Interpretierung zu. Gleichwohl wird in der Literatur der Ablauf der Entnazifizie- rung in mehreren Phasen gesehen, meist in drei, aber auch in vier.4 Obgleich charakteri- stische Unterschiede ausgemacht werden, wird dieses Schema allen Besatzungszonen zugeschrieben.5 Für die drei Westzonen wird folgender Ablauf herausgearbeitet: 1. Vorläufige Maßnahmen der einziehenden alliierten Armeen; 2. Bemühungen, diese Maßnahmen zu einem geregelten Verfahren auszubauen; Höhe- punkt der Entnazifizierung; 3. „rückläufige Bewegung“: Erleichterungen, Amnestien; Maßnahmen zur Beendi- gung der Entnazifizierung.6 Daneben habe es einen zweiten, auch in drei Phasen einteilbaren Prozeß gegeben, die Mitwirkung der Deutschen betreffend: 1. Entnazifizierung nur durch die Besatzungsmächte; 2. Beteiligung der Deutschen. Sie wurden mit der Durchführung des sog. Befreiungs- gesetzes betraut. Dies war der Höhepunkt der Entnazifizierung. 3. Vollständige Übertragung der Verantwortung auf deutsche Instanzen. Beendigung der Entnazifizierung durch die Gesetzgebung der Länder.7 Zur zeitlichen Einordnung gibt Walter Dirks, der angesehene Publizist, Mitheraus- geber der Frankfurter Hefte, an, daß die erste Phase bis zum Erlaß der Kontrollratsdirek- tive Nr. 24 am 12. Januar1946 andauerte und gekennzeichnet war von Verhaftungs- und Entlassungsaktionen aus Sicherheitsgründen und Blockierung nationalsozialisti- schen Vermögens.8 Niethammer, der die US-Zone betrachtet, sieht den Beginn der zweiten Phase bereits im September 1945,9 als mit dem Gesetz Nr. 8 der amerikani-

3 Benz, Potsdam, S. 171. 4 Walter Dirks: Folgen der Entnazifizierung. Ihre Auswirkungen in kleinen und mittleren Gemeinden der drei westlichen Zonen. In: Sociologica. Festschrift für Max Horkheimer. Frankfurt (Main) 1953, S. 445 – 470; Volker Dotterweich: Die „Entnazifizierung“. In: Josef Becker/Theo Stammen/Peter Waldmann (Hrsg.), Vorgeschich- te der Bundesrepublik Deutschland. München 1979, S. 123 – 161; Lutz Niethammer: Zum Verhältnis von Reform und Rekonstruktion in der US-Zone am Beispiel der Neuordnung des öffentlichen Dienstes. In: Vier- teljahreshefte für Zeitgeschichte 21 (1973). S. 177-188. (Niethammer nennt vier Phasen.). 5 Dirks, Folgen, S. 450. 6 Ebda. 7 Dotterweich, S. 138 f. 8 Dirks, Folgen, S. 451 f. 9 Niethammer, Zum Verhältnis, S. 181.

87 schen Militärregierung vom 28. September 1945 Anweisungen gegeben wurden zur Beschäftigung entlassener Personen „in untergeordneter Stellung ..., die ohne jeden Einfluß auf andere Arbeitnehmer ist“.10 Da die Militärregierung noch weitgehend selbst Verwaltungsaufgaben wahr- nahm, fiel zunächst die Aushöhlung der deutschen Administration nicht so auf.11 Außerdem lagen Produktion und Erziehungswesen noch darnieder. Später änderte sich das und führte in den Besatzungszonen zu je unterschiedlicher Handhabung der Entnazifi- zierung. Die Kontrollratsdirektive Nr. 24 vom 12. Januar 1946 nannte 99 Kategorien von Nationalsozialisten, Beamten und Militaristen, die entlassen werden mußten. Dazu zählten auch „Amtsträger“ des NS-Lehrerbundes, „alle Personen, die in Schulen irgend- welcher Art die Stellung eines Vertrauenslehrers (oder vor 1937 die eines Jugendwal- ters) innehatten; ... Personen, die zu irgendeinem Zeitpunkt Beamte, Lehrer oder Schüler in Nationalpolitischen Erziehungsanstalten – NAPOLAS oder NPEA, Adolf-Hitler- Schulen oder Ordensburgen – gewesen sind“, und „alle Personen, welche nationalso- zialistische oder faschistische Lehren verbreitet haben“12, zu denen ja zwangsläufig alle Leh- rer gezählt werden mußten, auch wenn sie innerlich widerstrebt hatten. Als ganz wesentlich wurde noch angemerkt, daß die Entlassungen durchzuführen seien, „selbst wenn dies die Anstellung von Personen nach sich zieht, deren Eignung, ihren Aufga- benkreis zu erfüllen, geringer ist“13. Damit wurden mögliche Unzulänglichkeiten billi- gend in Kauf genommen. Der Beginn der dritten Phase der Entnazifizierung, in der Amnestien, Erleichterun- gen und Maßnahmen zu ihrer Beendigung getroffen wurden, liegt im Juli 1946, als die Amerikaner die Jugendamnestie bekanntgaben. Durch sie wurden alle Personen, die nach dem 1. Januar 1919 geboren waren, von der Entnazifizierung befreit. Die briti- schen Besatzungsbehörden schlossen sich an, die französischen erst ein Jahr später.14 Durch eine „Weihnachtsamnestie“15 erledigten sich Ende 1946 in der amerikanischen Zone drei Viertel aller Fälle; in den Jahren 1947 und 48 gab es die „Heimkehreramne- stie“, Schnellverfahren für alle Mitläufer und eine Aufhebung des Beschäftigungsver- bots für letztere, ausgenommen leitende Stellungen.16 Die Administration der seit 1947 bestehenden Bizone verlangte Führungskräfte, und die wirtschaftliche Sanierung wurde immer wichtiger.17 Die westlichen Besatzungsmächte zogen sich aus der Kontrolle der Entnazifizierung zurück. In der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) hatte es eine andere Entwicklung gege- ben. Im Befehl Nr. 2 der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) vom 11. Juni 1945 hieß das erste Ziel: „... endgültige Ausrottung der Überreste des Faschismus“, was einen

10 Amtsblatt des Land- und Stadtkreises Coburg Nr. 21 vom 15. Dezember 1945, S. 234. „12.12.1945. Ausle- gung des Begriffes ‚gewöhnliche Arbeit‘ nach Gesetz Nr. 8“. 11 Niethammer, Zum Verhältnis, S. 179 f. 12 Direktive Nr. 24 mit Richtlinien des Kontrollrats über die Entfernung von Nationalsozialisten aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen. Abgedruckt in: Baer, S. 380 und 385. „Ordensburgen“ waren nach den Äuße- rungen eines SS-Führers „die wahren Hochschulen der kommenden nationalsozialistischen Aristokratie“. (Eugen Kogon: Der SS-Staat. Stockholm 1947, S. 21 f.) Die zukünftigen hohen Parteifunktionäre wurden hier ausgebildet. 13 Baer, S. 388. 14 Dirks, Folgen, S. 451. 15 Robert Fritsch: Entnazifizierung. Der fast vergessene Versuch einer politischen Säuberung nach 1945. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24 vom 10.6.1972, S. 17; siehe S. 155. 16 Dirks, Folgen, S. 451. 17 Niethammer, Zum Verhältnis, S. 185.

88 weitreichenden Auslegungsspielraum bot. Es war die Einleitung der grundlegenden Umstrukturierung der bisherigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse.18 Die Entnazifizierung wurde zum Instrument einer Politik zur Ausschaltung bürgerlich- liberaler und konservativer Kräfte.19 Von Anfang an arbeiteten in der SBZ deutsche Kommunisten mit den Besatzungsbehörden zusammen. Kommissionen legten z.B. fest, welcher Unternehmer „Naziaktivist“ gewesen war, um dann zu enteignen. Der öffentli- che Dienst und das gesamte Erziehungswesen wurden besonders rigoros gesäubert, 80 Pro- zent der Beschäftigten in Schulen und Verwaltung entlassen.20 Von 28179 (8. Mai 1945) Lehrern der allgemeinbildenden Schulen in der sowjetisch besetzten Zone hatten fast drei Viertel der NSDAP angehört. Etwa 20000 wurden in den nächsten Jahren entlassen und durch „Neulehrer“ ersetzt.21 Versorgungsrechtliche Probleme gab es dabei nicht, da das Berufsbeamtentum bereits vorher abgeschafft worden war.22 Relativ schnell wurde der ganze Entnazifizierungsprozeß zu Ende gebracht. Bereits im Oktober 1945 hatten Parteien der antifaschistischen Einheitsfront gefordert, die „kleinen“ Parteigenossen der NSDAP von Bestrafung und Sühneleistung auszunehmen, damit sie sich, nach Distanzierung von ihrer Vergangenheit, mit ganzer Kraft dem Auf- bau des Landes widmen könnten. Und die SED hielt am 20. Juni 1946, bei Bekanntgabe des Termins für die Gemeindewahlen, die Zeit für gekommen, „die einfachen Mitglie- der und Mitläufer der ehemaligen Nazipartei in den demokratischen Aufbau einzuglie- dern“23. Mit SMAD-Befehl vom 16. August 1947 wurde diese Forderung erfüllt. Der genannte Personenkreis erhielt sein aktives und passives Wahlrecht zurück.24 Die sowjetische Militäradministration ordnete am 27. Februar 1948 die Beendi- gung der Entnazifizierung an, die eigentlich die totale wirtschaftliche und gesellschaftli- che Vernichtung der bürgerlichen oppositionellen Kreise war. Die Volkskammer der DDR erließ am 11. November 1949 ein dementsprechendes Gesetz.25 Direktiven des Alliierten Kontrollrats waren in der sowjetisch besetzten Zone weitgehend eigenständig interpretiert worden. Aber auch die westlichen Verbündeten hatten keine einheitliche Linie. Die Franzosen beispielsweise hatten die Erfahrungen der „épuration“ von Kollaborateuren in ihrem eigenen Land hinter sich und waren frei von per- fektionistischem Eifer und schematischem Denken. Sie übernahmen von den amerikani- schen Bestimmungen, was ihnen nützlich erschien, bedachten bei ihren Maßnahmen die französische Öffentlichkeit und das Parlament und ordneten ihre Entnazifizierung den Hauptzielen unter, die ihnen wichtig waren: „Wiederaufbau Frankreichs zum Rück- gewinn seiner Großmachtstellung auf deutsche Kosten und ... Sicherung gegen erneute Bedrohung von deutscher Seite.“26 Automatische Verhaftung oder Entlassung wurde nicht durchgeführt, so daß wichtige Ämter nicht „leergesäubert“ waren, und die Franzosen rührten nicht an die Institution des Berufsbeamtentums.27 Die deutsche Bevölkerung in der französisch besetzten Zone klagte zwar über die ungerechte Behandlung, die Unbe-

18 Fritsch, S. 21. 19 Vollnhals, Entnazifizierung, S. 48 f; Dotterweich, S. 133 f. 20 Fritsch, S. 21. 21 Hohlfeld, S. 44, Anm. 1; vgl. dazu Hohlfeld, S. 95 – 121. 22 Fritsch, S. 22 f. 23 Ebda., S. 22. 24 Kleßmann, S. 84. 25 Fritsch, S. 22. 26 Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 118; Fritsch, S. 19. 27 Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 118 f.

89 rechenbarkeit und Willkür, aber insgesamt schien sie sich mit dieser Art der Besatzung weitgehend identifizieren zu können, denn dem ganzen Vorgehen haftete das „Menschliche“ an; dazu gehörte, daß die französischen Truppen als bestechlich galten, daß die Entnazifizierten nach Beendigung des Verfahrens nicht wirtschaftlich ruiniert waren und daß die französische Militärregierung das Gnadenrecht großzügig anwandte.28 Aller- dings mußten ehemalige Nazis in Internierungslagern oft schwere körperliche Quälereien erdulden.29 Während führende Nationalsozialisten und Rüstungsindustrielle mit harten Konsequenzen rechnen mußten, gab es im November 1947 und Juli 1948 Amnestien der Militärregierung, durch welche die nur nominellen Pg´s aus dem Entnazifizierungs- prozeß, der nach amerikanischem Vorbild Spruchkammerverfahren und Einteilung in fünf Belastungskategorien vorsah, herausgenommen wurden. Mit der Verordnung Nr. 79 vom 27. Februar 1947 hatte man den Deutschen die Durchführung der Entnazifizierung überantwortet. Nach der Gründung der Bundesrepublik zog sich die französische Militärregierung aus der Entnazifizierung zurück.30 Auch die Briten gingen nicht so verbissen zu Werke. Sie standen – im Gegensatz zu den Amerikanern – nicht unter einem so starken Druck der öffentlichen Meinung. Angesichts der unvergleichbar schwierigen Zustände im Ruhrgebiet bedachten sie vor- rangig wirtschaftliche und Verwaltungsbedürfnisse und besetzten die in ihrer Zone ein- gerichteten Zentralämter mit ehemaligen Reichsbeamten, zwar nicht bei den Spitzen- positionen der Staatssekretäre und Ministerialdirektoren, aber bei den nächstniedrigen Rängen.31 Manche Prinzipien der US-Zone wurden übernommen, z.B. Spruchkammer- verfahren und Einteilung der Betroffenen in Kategorien. Aber erst relativ spät waren die Briten bereit, den Entnazifizierungsprozeß in einem gewissen Umfang den Deutschen zu überlassen, nämlich mit der Verordnung Nr. 110 „Zur Übertragung der Entnazifizie- rungsaufgaben auf die Regierungen der Länder“ vom 1. Oktober 1947.32 Schließlich geriet dieses Thema in den „Sog der Weststaatsgründung“. Ministerielle Verordnungen der Länder der britischen Zone machten aus dem Entnazifizierungsprozeß eine Art „Rehabi- litierungsveranstaltung“.33 Während Franzosen und Briten der Entnazifizierung eine geringere Bedeutung zumaßen, sie den wirtschaftlichen und/oder eigenen nationalen Interessen unterordneten und die sowjetische Besatzungsmacht sie als Instrument zur Durchsetzung der sozialisti- schen Gesellschaftsordnung benutzte, stellte sie für die Amerikaner einen Grundpfeiler ihrer Besatzungspolitik dar.34 Die amerikanische Militärregierung arbeitet mit missionari- schem Eifer, unerbittlicher Strenge und Perfektionsstreben. Vor allem bei den Entlassun- gen wurde die von USFET erlassene Entnazifizierungsdirektive vom 7. Juli 1945, die sich der Kontrollrat zu eigen machte und als Kontrollratsdirektive Nr. 24 am 12. Januar 1946 herausbrachte,35 streng befolgt. Mit Hilfe umfangreicher Fragebogenerhebungen wur- den danach vermeintliche Aktivisten aus der Bevölkerung ausgesiebt, wobei unter anderem auch das Eintrittsdatum in die NSDAP bewertet wurde. Alle Beamten, die vor

28 Dirks, Folgen, S. 452 und 463; Fritsch, S. 19; Dotterweich, S. 143 und 146 f. 29 Dirks, Folgen, S. 463. 30 Fritsch, S. 19. 31 Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 118; Dotterweich, S. 143; Fritsch, S. 18 f; Dirks, Folgen, S. 452. 32 Fritsch, S. 18. 33 Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 118. 34 Vollnhals, Entnazifizierung, S. 8 f. 35 Dorn, S. 120.

90 dem 1. Mai 1937, dem Datum des Erlasses des Reichsbeamtengesetzes, Parteimitglie- der geworden waren, oder unabhängig vom Eintritt in NS-Organisationen ein Parteiamt innehatten, wurden entlassen. Aus diesem Grund verlor z.B. von rund 18 000 Volks- schullehrern in Bayern die Hälfte ihre Stelle.36 Bevor die Direktive vom 7. Juli 1945 wirksam wurde, lautete die Anweisung, daß jeder im öffentlichen Dienst Stehende, der vor dem 1. Mai 1933 Mitglied der NSDAP geworden war, zu entlassen sei.37 Die neue Anordnung bedeutete also eine nicht unerhebliche Verschärfung. Es durfte laut Direktive JCS 1067 niemand „aus Gründen administrativer Notwendigkeit, Bequemlichkeit oder Nützlich- keit“ in irgendwelchen Stellungen verbleiben.38 Das wurde auch den Lesern der Neuen Zei- tung bekanntgegeben. In ihrer ersten Ausgabe schrieb Dwight D. Eisenhower, General of the Army: „Es gibt nirgends ‚unentbehrliche‘ Nationalsozialisten.“39 Trotzdem gab es auf Seiten der Armee auf wirtschaftlichem und kommunikativem Gebiet Durchbrechungen der Vorschriften, die sich am Effektivitätsbedürfnis orientier- ten. So wurde der Ermessensspielraum z.B. in der Dritten Armee General Pattons in wei- teren Einzeldirektiven denkbar weit ausgedehnt.40 Andere Kommandeure einzelner Truppenteile erließen, erschreckt durch heftige Kritik aus der amerikanischen Öffentlich- keit, auf eigene Faust verschärfte Richtlinien.41 Es gab deshalb auch eine Reihe lokaler Aktionen, wie Beschlagnahme von Wohnungen ehemaliger Nazis, Schutträumungsar- beiten wie in Würzburg,42 oder in Coburg die „Braunhemden-Brigade“, Arbeitskom- mandos, in denen die ehemaligen Nationalsozialisten in ihren alten Uniformen zu „in der Öffentlichkeit besonders sichtbaren Beschäftigungen“ herangezogen wurden. „Die Amerikanische Militärpolizei beabsichtigt(e) mit dieser Maßnahme ... die vollständige Sinn- und Nutzlosigkeit der früheren Tätigkeit ... sinnfällig vor Augen zu führen.“43 Die Juli- Direktive war demnach „der entscheidende Schritt zu einer unsystematischen Eskalati- on der Säuberungsvorschriften“.44 Am Jahresende 1945 gab es „volle Internierungsla- ger und leere Ämter“.45 Zahlen belegen das besonders gründliche Vorgehen der Ameri- kaner. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es in der US-Zone 117 512 Inhaftierte, in der briti- schen 68 500, in der französischen 18 963 und in der sowjetischen 67 179.46 Die hohe Zahl der Internierten wurde von den Amerikanern dahingehend begründet, daß sie alle, die sie für verdächtig hielten, zur Überprüfung zusammengezogen hätten, da sie die Zahl der verbrecherischen oder gefährlichen Deutschen nicht hätten übersehen können.47

36 Dotterweich, S. 143; siehe S. 110 ff. 37 Fritsch, S. 14; dieses Datum bezog sich auf die Alt-Parteimitglieder und diejenigen, die nach dem Inkrafttre- ten des Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Staat („Ermächtigungsgesetz“) vom 24. März 1933 Mitglieder der NSDAP geworden waren. In ironischer Anspielung auf die im März 1848 in Berlin gefallenen Aufständischen wurde damals von den „Märzgefallenen“ gesprochen. 38 Ebda. 39 Die Neue Zeitung, 1. Jg. Nr. 1 vom 18.10.1945, S. 1. 40 Niethammer, Die Entnazifizierung, S. 150. Allerdings zog Pattons fehlende Konsequenz seine Entlassung nach sich. Ebenso erging es Fritz Schäffer im September 1945. 41 Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 112. 42 Fritsch, S. 13 f. 43 Amtsblatt des Land- und Stadtkreises Coburg, Nr. 13 vom 20. Oktober 1945, S. 142. 44 Hans Woller: Gesellschaft und Politik in der amerikanischen Besatzungszone. Die Region Ansbach/Fürth. Mün- chen 1986, S. 99. 45 Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 112. 46 Kleßmann, S. 87. Fritsch gibt für die US-Zone 95 250 Verhaftete und für die britische 64 500 an, während die Zahlen für die französische und russische Zone exakt übereinstimmen. Er spricht dabei von den „ersten Monaten“ der Säuberung. Möglicherweise haben Franzosen und SMAD später keine weiteren Zahlen her- ausgegeben. (Fritsch, S. 13 f). 47 Benz, Potsdam, S. 164.

91 Ab Frühjahr 1946 beteiligten die Amerikaner deutsche Stellen an der Entnazifi- zierungsprozedur. Im Rahmen eines feierlichen Staatsaktes verkündete man am 5. März 1946 im großen Rathaussaal in München das „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozia- lismus und Militarismus“, landläufig „Befreiungsgesetz“ genannt, das von den Mini- sterpräsidenten Hoegner für Bayern, Maier für Württemberg-Baden und Geiler für Groß-Hessen unterzeichnet wurde.48 In einer Rede am 16. Juli 1946, während der zwei- ten Fraktionssitzung der CSU, berichtete der Staatsminister für Sonderaufgaben, Dr. Anton Pfeiffer, zuständig für diese „Befreiung“, daß das Gesetz von ihm, Hans Ehard, Ministerpräsident Hoegner und Minister Schmitt stamme und unter seiner Mithilfe während der Länderrat-Tagung am 7. und 8. Januar 1946 Zonengesetz geworden sei. Danach habe es Beratungen in Stuttgart gegeben, wo den deutschen Politikern erklärt worden sei, daß die Grundbedingungen in einem nicht änderbaren Kontrollratsgesetz verankert seien und daß die deutsche Seite sich um einen „erträglichen Weg der Aus- führung“ bemühen müsse. Nach „qualvollen Gewissensüberlegungen“ habe man von deutscher Seite beschlossen, das Gesetz anzunehmen. 49 Man hoffte, daß durch die Mitwirkung von Deutschen die Entnazifizierung „gleichsam als ‚Selbstreinigung‘ ver- standen werden“ konnte. Auch wollte man „auf das Verfahren Einfluß gewinnen und die schlimmsten Folgen“ möglicher Fehleinschätzungen abschwächen.50 Als positiv betrachtete man die Möglichkeit der Berufung und des Gnadenrechts, man erhoffte sich „individuelle Gerechtigkeit“ und konnte mit Hilfe des Gesetzes Beamtenentlassungen nachprüfen, also die „schweren Folgen des summarischen Verfahrens ... soweit dieses ungerecht war,“ mildern und ausmerzen.51 Jeder Bürger über 18 Jahre mußte einen neuen Fragebogen ausfüllen, von dessen Abgabe der Empfang von Lebensmittelmarken abhing. Er war insofern neu, als er nicht nur, wie nach den vorhergehenden Direktiven, Organisationszugehörigkeit und Position als Kriterien betrachtete. Jetzt kam die Feststellung individueller Tatbestandsmerkmale und deren Beurteilung hinzu.52 Spruchkammern wurden – ziemlich schleppend – gebildet,53 die die Betroffenen in Schuldkategorien einteilten.54 Monatelang ging die Auswertung der Meldebogen vor sich, begleitet von heftigen Diskussionen in der Öffentlichkeit über die all- gemeine Schuldvermutung für alle Deutschen und die daraus resultierende Umkehrung der Beweislast, die dem traditionellen Strafrecht widersprach.55 Damit wurde das Gesetz Nr.

48 Kleßmann, S. 89 ff; Fritsch, S. 16. 49 ACSP München. LTF Protokolle I/23. Rede des Staatsministers für Sonderaufgaben, Dr. Anton Pfeiffer, in der 2. Fraktionssitzung der CSU am 16.7.46. Heinrich Schmitt (KPD) war Pfeiffers Vorgänger an der Spitze des Sonderministriums. 50 Dotterweich, S. 144 f. 51 ACSP München. LTF Protokolle I/23. Rede Dr. Pfeiffer am 16.7.46. 52 Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 113. 53 In Ansbach beispielsweise hatte man neun Monate nach Erlaß des Gesetzes noch immer keinen Spruchkam- mervorsitzenden gefunden. (Woller, S. 122). Und in ganz Bayern fehlten im Juli 1946 noch 42 von 215 vor- gesehenen Kammern. (ACSP München. LTF Protokolle I/23. Rede Dr. Pfeiffer am 16.7.46). Allerdings lagen die Ursachen für die Verzögerung beim Aufbau der Spruchkammern auch bei den Amerikanern selbst, die der Aufgabe, das vorgeschlagene Personal zu überprüfen, „nicht ganz gewachsen“ waren. (Woller, S. 125). Außerdem zeigten sich große Schwierigkeiten im technischen Bereich, d.h. es gab keine Räume und keine Schreibmaschinen, und es fehlten die Autos für Dienstfahrten. (ACSP München. LTF Protokolle I/23. Rede Dr. Pfeiffer am 16.7.46) An anderer Stelle verhinderten politische Gegensätze den raschen Beginn der Arbeit in den Kammern. (Ebda.). 54 Kleßmann, S. 89 f. 55 Vollnhals, Entnazifizierung, S. 18 f.

92 10 vom 24. Dezember 1946 in vollem Umfang wirksam, das – wiederum zur Empörung der Deutschen – rückwirkend galt.56 Außerdem durften nach dem Gesetz Nr. 8 der Militärregierung alle ehemaligen Mitglieder der NSDAP und ihrer Gliederungen bis zum Spruchkammerurteil nur in „gewöhnlicher Arbeit“ tätig sein, was besonders den Mittel- stand betraf und vor allem auch Beamte aus ihren Amtsstuben fernhielt. Eine Fälschung des Fragebogens war nicht anzuraten, denn durch Zufall war eine amtliche Kartei mit den Namen von acht Millionen Parteimitgliedern und solchen, die es werden wollten, in einer Münchener Papierfabrik aufgefunden worden.57 Wurden falsche Angaben gemacht, so zog das Gefängnisstrafe und Geldbuße nach sich, Maßnahmen, die, z.T. mit Namensnennung, veröffentlicht wurden.58 Allerdings konnten nach Artikel 2 des Befreiungsgesetzes auch Personen ohne Parteibuch NS-Aktivisten sein.59 Das Gesetz teilte die Betroffenen akribisch in einzelne Kategorien ein und schrieb die Bestrafung vor. So galt z.B. für Minderbelastete, daß sie sich in einer Probezeit zu bewähren hatten und dadurch beweisen konnten, daß sie Bürgerpflichten in einem friedlichen demokratischen Staat erfüllen würden. Während dieser Bewährungsfrist durften sie z.B. nicht als „Lehrer, Prediger, Redakteur, Schriftsteller oder Rundfunkkom- mentator“ tätig sein. Zu den Sühnemaßnahmen gehörten bei Beamten: „Kürzung des Ruhegehaltes, Versetzung in den Ruhestand oder in ein Amt mit geringerem Rang oder an eine andere Dienststelle unter Kürzung der Bezüge, Rückgängigmachung einer Beför- derung, Überführung aus dem Beamtenverhältnis in ein Angestelltenverhältnis.“60 Die Fragebogen- und Entnazifizierungspraxis wurde allenthalben kritisiert. Der schweizerische Kammerpräsident Dr. Mauter schrieb im Juni 1946 in der „Züricher Tat“ unter der Überschrift „Gedanken zum Entnazifizierungsgesetz“, es sei eine „rechtliche Absurdität“, „eine juristische Perversität“, „logischer Unsinn“, eine „moralische Nieder- tracht“.61 Bespöttelt wurde die Sinnlosigkeit mancher Fragen, zum Beispiel nach Augen- oder Haarfarbe. Spott konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß das ganz Verfahren, obwohl als „politisch dumm, menschlich infam und juristisch unmög- lich“62 beurteilt, für viele zur Existenzfrage wurde. Allein die Masse der zu prüfenden Fragebogen – in der US-Zone insgesamt 13 Millionen, von denen 3,5 Millionen Fälle verhandelt werden mußten – verhieß einen immensen Zeitaufwand. Außerdem geriet die personelle Besetzung der Spruchkammern zum ständigen Ärgernis. Es gab zu wenig unbelastete Fachleute, und es meldeten sich nur sehr wenige zu diesem undankbaren Geschäft. Vielfach kamen die öffentlichen Kläger aus linken Gruppierungen, der SPD und KPD. Das war jedenfalls im Gebiet Fürth und Ansbach so. Sie hatten Monate und Jahre in „Schutzhaft“ oder im Konzentrationslager verbracht und waren dadurch mora- lisch legitimiert, nicht jedoch fachlich. Auch für den „Ermittlungsdienst“, der die Vorun- tersuchungen zu den Spruchkammerverfahren durchführen sollten, fand man nur sehr schwer Leute, da sie politisch und charakterlich einwandfrei, kriminalistisch befähigt, betont antinationalsozialistisch und antimilitaristisch gesinnt und 25 bis 45 Jahre alt sein sollten. Die Aufgabe der Ermittler war in der Öffentlichkeit nicht geschätzt, und z.B. in

56 Dirks, Folgen, S. 451. 57 Fritsch, S. 14; Die Neue Zeitung, 1. Jg. Nr. 1 vom 18.10.1945, S. 2. 58 Amtsblatt des Land- und Stadtkreises Coburg, Nr. 9 vom 22.2.1946, S. 110. 59 Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus. Abgedruckt im Amtsblatt des Land- und Stadtkreises Coburg, Nr. 11 vom 8.3.1946, S. 126. 60 Ebda., S. 128. 61 ACSP München. NL Josef Müller Nr. 293. 62 Ernst von Salomon: Der Fragebogen. Hamburg 1951, S. 50 und 53 f.

93 Ansbach gab es keine Konservativen und Liberalen (Leute, die der CSU und FDP nahe- standen) unter ihnen.63 Häufig legten gerade die entschiedensten Antifaschisten ihre Ämter in den Spruchkammern nieder, „um der Gerechtigkeit und Menschlichkeit wil- len, die sie zu Antifaschisten gemacht hatten“.64 Die zu breite Anlage des Gesetzes ver- führte zum Mißbrauch für andere Zwecke. Unschuldige wurden denunziert, und daraus entstandene Fehlurteile führten dazu, daß sich die Anständigen gegen jedes Mitma- chen sperrten, sei es als Zeugen, sei es als Kläger oder Vorsitzende bei den Spruchkam- mern.65 Der personelle Engpaß war so gravierend, daß am 6. Dezember 1946 durch ein Gesetz das Ministerium für Sonderaufgaben die Dienstverpflichtung geeigneter Perso- nen verfügte.66 Einzelne Stimmen in Bayern behaupteten, daß die Spruchkammern ihre Ent- scheidungen nicht unparteiisch fällten, daß jemandem, der sich als „‘untadelige christli- che Persönlichkeit‘ ausweisen kann ... unwidersprochen zugestanden (wird), daß er einen starken inneren Widerstand gegen die ‚Nazi‘ geleistet“ habe. Sei jemand aber der Kirche fern oder indifferent gegenübergestanden, so werde er „mit kaum verhehltem Sarkasmus in die Gruppe der Betroffenen gestoßen“.67 Reinhold Maier, Württemberg, beurteilte das Spruchkammerpersonal als „überra- schend korrekt“68, während die amerikanische Militärregierung häufig die Aufhebung zu milder Urteile verlangte. Der Leiter der Militärregierung für Bayern, General Walter J. Muller, sah sich veranlaßt, am 27. September 1946 noch einmal die Zusammenarbeit zwischen seiner Dienststelle und dem Ministerium für Sonderaufgaben zu definieren, und wies besonders darauf hin, daß die Militärregierung das „volle und uneinge- schränkte Recht (besitze), Fehlentscheidungen zu ändern und korrupte Beamten zu ent- lassen ... Wenn derartige Zustände nicht von den deutschen Behörden geändert wer- den, so wird die Militärregierung die betreffenden Angelegenheiten regeln.“69 Ja, General Clay kritisierte speziell auf Bayern bezogen das „schlechte Fortschreiten der Entnazifizierung ... und drohte, diese notfalls durch das Besatzungsheer durchführen zu lassen. ‚Bayern wird dann im Herbst keine Wahlen haben und kein Recht, sich selbst zu regieren‘“.70 Die Militärregierung baute im Sommer 1946 das „Delinquency and Error Report System“ auf, das jede Spruchkammerentscheidung der Nachprüfung durch die Besat- zungsmacht unterwarf. Außerdem schuf man sog. „Special Branch Advisory Teams“ für jeden Regierungsbezirk, die die Arbeit der Kammern inspizieren sollten. Ihre Berichte übertrafen die schlimmsten Befürchtungen, und ein Memorandum vom 17. September 1946 nannte die Tätigkeit der Spruchkammern „ein großangelegtes ‚white-washing‘“.71

63 Woller, Gesellschaft, S. 122 und 124 f. 64 Dirks, Folgen, S. 447; ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler N 53 – 14. Übersetzung eines „Eingesandt“ aus der New York Times vom 8.12.1946. Entnazifizierungsbericht. 65 Karl-Heinrich Knappstein: Die versäumte Revolution. Wird das Experiment „Denazifizierung“ gelingen? In: Die Wandlung 2(1947), S. 674 f. 66 Mitteilungsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Sonderaufgaben, 1. Jg. Nr. 12/13 vom 6.12.1946, S. 45; Dotterweich, S. 145 f; Fritsch, S. 16. 67 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler N 53 – 1. Schreiben der Hedwig R., München, am 30.11.1946 an Thomas Dehler. 68 Reinhold Maier: Erinnerungen 1948 – 1953. Tübingen 1966, S. 226. 69 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler N 53 – 1. Schreiben des Office of Military Government for Bavaria. APO 170. AG 014.311 MGBASA (Übersetzung) am 27.9.1946 an Herrn Generalkläger Dr. Dehler. 70 Barbara Fait: „In einer Atmosphäre von Freiheit“. Die Rolle der Amerikaner bei der Verfassunggebung in den Ländern der US-Zone. 1946. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte. Herausgegeben von Karl Dietrich Bracher u.a., 33. Jg. 1985, Heft 3, S. 445. Sie zitiert Vormerkung vom 11.6.1946, NL Pfeiffer 144 (BayHStA). 71 Woller, Gesellschaft, S. 138.

94 Am 5. November desselben Jahres übte General Clay vor dem Länderrat scharfe Kritik am Stand der Denazifizierung in der gesamten US-Zone. Er behauptete, daß das Verfahren benutzt werde, um möglichst viele wieder in ihre ursprünglichen beruflichen Positionen einzureihen, anstatt die Schuldigen zu finden und zu bestrafen; und daß die Deutschen „noch immer nicht den politischen Willen und die Entschlossenheit gefunden haben, die Leute zu bestrafen, die Strafe verdienen“.72 In seinem Rechenschaftsbericht vom 16. Dezember 1946 sagte Wilhelm Hoegner: „Gegenwärtig machen wir eine Probezeit von 60 Tagen durch. Wenn nach ihrem Ablauf keine Besserung eingetreten ist, wird die ameri- kanische Militärregierung die Entnazifizierung wieder in die eigene Hand nehmen ...“73 Insgesamt verlief die Aktion sehr zögerlich, und die Betroffenen mußten oft jah- relang auf ihre Verhandlung warten. Sie wurden bereits vorher bestraft, da sie ja, auch wenn sie schließlich als „entlastet“ oder „nicht betroffen“ aus dem Verfahren hervor- gingen, mit Beschäftigungsverbot und, im Falle der entlassenen Beamten, mit der Ver- weigerung von Gehalt oder Pension belegt wurden. Im übrigen brachte es die Entnazifi- zierung durch die Deutschen mit sich, daß politisch Unbelastete, die eigentlich öffentliche Ämter hätten bekleiden können, nun häufig in den Spruchkammern tätig waren, nicht immer ein gutes Ansehen genossen und obendrein mögliche „längerfristige Chancen“ verspielten, da sie, absorbiert von der Entnazifizierungsarbeit, sich nicht um ein Fort- kommen in ihrem Beruf kümmern konnten.74 Mit der Entnazifizierung und vor allem mit dem Gesetz zur Befreiung von Natio- nalsozialismus und Militarismus beabsichtigten die Amerikaner die „Rehabilitierung derer, die sich als würdige Bürger in einer friedlichen demokratischen Gesellschaft beweisen können“.75 Der Effekt war vielfach überraschend, obgleich die Absicht, politische, rechtliche und moralische Impulse zu setzen, sicher hervorragend war.76 Einerseits beob- achtete man, daß die Notwendigkeit der Rechtfertigung der eigenen Vergangenheit Aggressionen freisetzte und viele Deutsche sich selbst freisprachen und die anderen für schuldig erklärten.77 Das Denunziantentum nahm unabsehbare Ausmaße an,78 und es wurde konstatiert, daß die Amerikaner „den Zankapfel ins deutsche Volk geworfen“ hätten79. Andererseits gab es eine unbeabsichtigte Solidarisierung,80 die sich z.B. am „Persilschein“-Unwesen festmachen ließ, an dem alle Gruppen, von den Gewerkschaften bis zur Geistlichkeit, beteiligt waren.81 Auch ein „erschreckendes Anwachsen antidemo- kratischer und reaktionärer Kräfte in der gesamten amerikanischen Besatzungszone“ wurde festgestellt.82

72 BayHStA München. StK 113976. Schreiben der Christlich-Sozialen Union in Bayern am 25.11.1946 an den Staatsminister für Sonderaufgaben, Dr. Pfeiffer; Mitteilungsblatt des Bay. Staatsministeriums für Sonderauf- gaben 1. Jg. Nr. 11 vom 19.11.1946, S. 41 f. 73 Baer, S. 50. 74 Niethammer, Zum Verhältnis, S. 182. 75 Boehling, S. 144. Sie zitiert OMGUS: Denacification and Public Safety, Monthly Report No. 4, 20.11.1945, S. 1. 76 Dirks, Folgen, S. 446. 77 Ebda. 78 ACSP München. NL Josef Müller 200. Brief Dr. Josef Müller am 13.6.1946 an General W. J. Muller, Militärre- gierung von Bayern. 79 Dirks, Folgen, S. 462. 80 Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 114. 81 Klaus-Dietmar Henke: Die Grenzen der politischen Säuberung in Deutschland nach 1945. In: Ludolf Herbst (Hrsg.), Westdeutschland 1945-1955. München 1986, S. 131. Mit dem Begriff „Persilschein“ umschrieb man salopp den Versuch, sich von jeglicher Schuld „reinzuwaschen“. Schriftliche Bestätigungen, die man sich von ausgewiesenen Gegnern des Nationalsozialismus erbat, sollten das bewirken. 82 Hans Woller: Zur Demokratiebereitschaft in der Provinz des amerikanischen Besatzungsgebietes. Aus den Stimmungsberichten des Ansbacher Oberbürgermeisters an die Militärregierung 1946-1949. In: Vierteljah- reshefte für Zeitgeschichte 31(1983), Heft 2, S. 342 f.

95 Die Bewußtseinslage der Deutschen während der unmittelbaren Nachkriegszeit und ihre Einstellung zur Entnazifizierung ist von Historikern vielfach betrachtet worden, und nach Begründungen hat man sowohl in der damaligen Zeit als auch über die Jahre hinweg immer wieder gesucht. Das häufig konstatierte Desinteresse am politischen und kultu- rellen Geschehen erklärte man damit, daß man müde war, zerbrochen, den Sinn auf Banalitäten gerichtet hatte.83 Die unmittelbare Existenznot verhinderte auch die genaue, gründliche und produktive Auseinandersetzung mit den Ursachen der Not. „Solange das Elend sie beherrscht(e), wie soll(t)en sie zur Erkenntnis jenes anderen Elends kommen, das ihr Volk über die halbe Welt gebracht hat?“84 Die vom Hitler-Regime Verfolgten, die die Träger einer Säuberung hätten sein müssen, konnten moralische Stärke für sich beanspruchen, hatten jedoch nicht die politische Macht und sehr oft nicht die seelische und körperliche Kraft, um selbst handeln zu können.85 Hatte die Forderung nach Entnazifizierung ganz zu Anfang noch Zustimmung gefunden, so wuchs doch schnell die Abneigung dagegen, denn ihre Durchführung schien den Deutschen die weitgehende Unvertrautheit der Amerikaner mit deutschen Gegebenheiten zu offenbaren. Als besonders abwegig beurteilte man die Einteilung von überzeugten Nazis nach dem Eintrittsdatum in die Partei. Warum wurde nicht genügend berücksichtigt, daß mancher „alte“ Nazi sich von der Realität des Regimes schaudernd abgewandt hatte? Hätten nicht viel eher Deutsche den Unterschied zwi- schen Parteigenossen und „Karteigenossen“ gewürdigt?86 Auch ganz entschiedene Gegner des Nationalsozialismus wandten sich gegen das Ansinnen der Besatzungs- mächte, Ausschreitungen, Verbrechen und Korruptionen Deutscher gegen Deutsche als ihr Rechtsressort zu betrachten.87 Nur Deutsche seien in der Lage, differenziert eine Ein- teilung in Nazi oder Nicht-Nazi vorzunehmen,88 denn die Amerikaner hätten ihrer Dena- zifizierung einen völlig falschen „Nazi“-Begriff zugrundegelegt. Sie seien dadurch mit der Wirklichkeit im Widerspruch, denn sie betrachteten als Nationalsozialisten alle Angehörigen der Partei oder einer ihrer zahlreichen Organisationen, unabhängig von Gesinnung, Haltung und Taten. Und sie würden nicht erkennen, daß das Volk mit Hilfe zweier deutscher Traditionen hereingelegt worden war: mit Kommiss und Vereinsmeierei. Legionen kleiner Ämter seien von den Machthabern geschaffen worden, um die Sehn- sucht nach Verantwortung in überschaubarem Rahmen zu stillen.89 Die Praxis der Spruchkammern ging dahin, daß zuerst die Masse der als „kleine Pg´s“ eingestuften Deutschen verhandelt wurde, um sie möglichst schnell wieder in den Arbeitsprozeß einzugliedern, während die Fälle der wirklich Schuldigen auf später ver- schoben wurden. Davor warnten schon damals die Zeitgenossen, die zu Recht vorher- sagten, daß, je länger ein Urteil hinausgezögert werde, es umso milder ausfallen würde, „denn die Zeit läßt vergessen“90. In der Tat hatte sich in dem „langwierigen Entnazifi- zierungsprozeß ... das Personal der NS-Diktatur mehr oder weniger in Nichts aufge- löst“.91

83 Vilma Sturm: Barfuß auf Asphalt. München 1985, S. 200 f. 84 Borchers/Vowe, S. 19. 85 Henke, Die Grenzen, S. 127. 86 Fritz René Allemann: Bonn ist nicht Weimar. Köln 1956, S. 32. 87 Fritsch, S. 25. Er zitiert Theodor Heuß, Aufzeichnungen 1945-1947. Tübingen 1966, S. 76. 88 Vollnhals, Entnazifizierung, S. 15. 89 Knappstein, S. 667 ff. 90 Ebda., S. 675. 91 Vollnhals, Entnazifizierung, S. 23.

96 Nicht vergessen darf man auch, daß sich die Gesellschaft insgesamt sehr weit mit dem Nationalsozialismus eingelassen hatte. Irgendwie fühlten die meisten sich angreifbar, denn wer konnte schon von sich behaupten, während der zwölf Jahre Nazi- Herrschaft nie Zugeständnisse an das Regime gemacht zu haben. Im lokalen Bereich gab es viele gegenseitige Verflechtungen, die eine tiefgreifende personelle Säuberung wirksam verhinderten. Ein allgemeiner antinationalsozialistischer Volkszorn blieb aus,92 ja, die drohende Gefahr einer Solidarisierung mit den Verurteilten und Entlassenen wurde beschworen.93 Man befürchtete sicher nicht zu Unrecht, daß das Chaos, das vie- lerorts aufgrund der Entnazifizierung herrschte, als Versagen der Demokratie betrachtet wurde.94 Und viele nur nominelle Parteigenossen, „die vom ‚ehrlichen Willen beseelt‘ waren, ihre nationalsozialistischen ‚Fehler durch fleißige Arbeit für den Wiederaufbau und durch Bekundung einer wahrhaft demokratischen Gesinnung‘ wiedergutzuma- chen, konnten ihre innere Distanz zur Demokratie nur schwer überwinden, in deren Namen sie aus ihren Ämtern entlassen wurden. Durchaus vorhandene Ansätze einer politischen Neubesinnung wurden so bei der Masse der ehemaligen Parteigenossen ver- schüttet.“95 Da die meisten Familien von den Entnazifizierungsmaßnahmen erfaßt wurden, sah man in ihnen den wesentlichen Inhalt vornehmlich der amerikanischen Besatzungs- politik, die das ohnehin schwierige Nachkriegs-Dasein zusätzlich erschwerten. Die Stim- mung war entsprechend. Zeitgenössische Beobachter stellten fest, daß die Menschen den Begriff Demokratie mit allem gleichsetzten, was nach ihrer Ansicht unfähig war. Sie würden „vergleichende Geschichtsbetrachtung“ betreiben und jegliche aus der Terror- herrschaft resultierende Beschwernis der Demokratie anlasten. Und wenn das Wort Denazifizierung fiel, dann klang es nach „Entlausung“. Man betrachtete sie als anstößig, unsauber und Gipfelpunkt der Ungerechtigkeit.96 Im Jahr 1948 sagte der Abgeordnete Haußleiter (CSU) im Landtag: „Was weiß denn mancher deutsche Akade- miker heute von der Demokratie? Daß gewählt wird und daß Korruption herrscht.“ Er bedauerte die „Symbolschwäche der Demokratie“ und stellte fest, daß die Begeisterung für den demokratischen Staat nicht zugenommen habe. Eine Fragebogenaktion der CSU in Kulmbach habe nämlich ein erschreckendes Ergebnis gezeigt. Auf die Frage: „Halten Sie die Demokratie für die geeignete Staatsform in Deutschland?“ hätten 53 % der Befragten mit Nein, 47 % mit Ja geantwortet.97 Je länger die Entnazifizierung fortdauerte, umso mehr geriet sie zu einem uner- freulichen Kapitel. Vor allem von kirchlicher Seite erfuhr die amerikanische Militärregierung keine Unterstützung, hatte sie in dieser Frage von Anfang an nicht gehabt. Im Mai 1945

92 Henke, Die Grenzen, S. 129 ff. 93 Peter Rühmkorf schrieb 1972 dazu: „An Abrechnung, wie wir sie uns in schweren Stunden einmal vorgestellt hatten, war ... nicht zu denken ... und (der) Kampf ums bloße physische Überleben war es denn auch, der mich meinem Volk wieder sehr nahe brachte.“ (Peter Rühmkorf: Notizen zwischen den Kriegen. In: Heinrich Böll (Hrsg.), Niemands Land. Kindheitserinnerungen an die Jahre 1945 bis 1949. 2. Aufl. Juni 1988. Mün- chen, S. 37 f). 94 ACSP München. NL Müller 200. Schreiben Dr. Josef Müller am 13.6.1946 an General W. J. Muller, Militärre- gierung von Bayern; Baer, S. 30 f. 95 Woller, Zur Demokratiebereitschaft, S. 341. 96 Hans Werner Richter: Unterhaltung am Schienenstrang. In: Der Ruf 1 (1.10.46), Nr. 4, S. 6 f. Abgedruckt in: Klaus R. Scherpe (Hrsg.), In Deutschland unterwegs. Reportagen, Skizzen, Berichte 1945 – 1948. Stuttgart 1982, S. 96 f und 99. 97 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenographischer Bericht, II. Bd. Nr. 48. 48. Sitzung vom 29.1.1948, S. 689.

97 erklärte der Bischof von Holstein, Wilhelm Halfmann, in einem Rundbrief an die Pfarrer der Bekennenden Kirche: „... was wir einem heidnischen Nationalsozialismus nicht zugeste- hen durften, werden wir freiwillig dem unsäglich gedemütigten Volk geben, nämlich: Anwalt und Fürsprecher und Stimme für unser Volk zu sein.“98 Diese Einstellung schien weitgehend die Bereitschaft der Pfarrer zu erklären, Entlastungsschreiben für die Spruchkammerverfahren auszustellen, ohne daß dabei sofort an deren eigene Ver- strickung mit dem Regime gedacht werden muß. Der sofortige Einspruch des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland gegen Teile des Befreiungsgesetzes vom 5. März 1946 begünstigte zudem die allgemeine ablehnende Haltung. Der Vorsitzende, Bischof Wurm, erklärte General Clay am 26. April, warum der Rat das Gesetz nicht gutheißen konnte. Er gab zu bedenken, daß es nicht „im Einklang mit dem natürlichen Rechts- empfinden“ stehe und wies auf den Grundsatz „nulla poena sine lege“ hin. Außerdem lägen „die unter Strafe gestellten Tatbestände ... in vielen Fällen ... mindestens an der Grenze der Gesinnung. Es ist aber für einen menschlichen Richter außerordentlich schwierig, wenn nicht unmöglich, eine Gesinnung betrafen zu wollen“. Durch die Umkehrung der Beweislast sei das Gesetz „nicht geeignet, das Gewissen des deutschen Volkes zu treffen,“ eine Anschauung, die, sehr frühzeitig formuliert, sich als durchaus zutreffend erweisen sollte. Angeprangert wurde ferner, daß unterschieden wurde zwi- schen „Parteigenossen, die vor und nach dem 1.5.1937, und den Mitgliedern der SA, die vor und nach dem 1.4.1933 beigetreten sind“. Immerhin sei der NS-Staat in seinen ersten Jahren auch „im diplomatischen Verkehr mit dem Ausland voll anerkannt“ wor- den; viele Deutsche seien aus „idealistischen Motiven“ in die Partei eingetreten, von der sie sich später wieder abwandten; aber auch sachliche Gründe hätten „einen Austritt aus der Partei verboten, z.B. den Pfarrern, die sich ihr Recht zur Erteilung von Religions- unterricht in der Schule so lange wie irgend möglich erhalten mußten“. Und gar die kleinen Amtsträger in den NS-Berufsverbänden, z.B. im NS-Lehrerbund, zu den Belasteten zu zählen, entspreche nicht dem wirklichen Sachverhalt. Bezogen auf die Kirche bekun- dete Bischof Wurm keinerlei Verständnis für den Anspruch des Gesetzes, ein Predigtver- bot aussprechen zu können, Das habe es im NS-Staat nicht gegeben, und auch eine neue Obrigkeit werde das nicht in eigener Regie entscheiden.99 Clays Antwort vom 25. Mai negierte die Forderung nach Änderung des Geset- zes, betonte, daß nur „denjenigen, die sich schwerer Vergehen schuldig gemacht haben, ... für eine fühlbare Zeit das Recht abgesprochen (werde), als Lehrer, Prediger, Herausgeber, Schriftsteller und Rundfunksprecher tätig zu sein“, und wies zum Schluß ausdrücklich darauf hin, daß die amerikanische Militärregierung von den Kirchen- führungen doch erwartet hätte, „daß sie mithelfen, alle diejenigen aus führenden Stel- lungen in Deutschland zu beseitigen, die sich mit einer Parteiorganisation verbunden haben, die den Gesetzen Gottes nur äußerste Verachtung entgegengebracht und die Menschenrechte mitleidlos zu Boden getreten haben“.100

98 Vollnhals, Die Evangelische Kirche, S. 113. Er zitiert Kurt Jürgensen: Die Stunde der Kirche. Die Evang.-Luther. Landeskirche Schleswig-Holsteins in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Neumünster 1976, S. 261 ff. 99 LKAN. HB XII 132. Amtsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern rechts des Rheins. 33. Jg. 1946, Nr. 15 vom 2.8.1946, S. 77-80. 100 Ebda., S. 80 f.

98 Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Leitungen aller Landes- kirchen, die sich in Treysa versammelt hatten, schickten am 2. Mai 1946 noch einmal ein Schreiben zur Frage der Entnazifizierung an den Kontrollrat, die Militärregierungen der vier Besatzungszonen und die deutschen Länderregierungen, in dem sie die Not- wendigkeit einer Reinigung vom Nationalsozialismus anerkannten, aber ernste Beden- ken gegen das Verfahren aussprachen. Vor allem dürfe man „Menschen nicht um ihrer äußeren Zugehörigkeit oder einer vermuteten Gesinnung willen zunächst bestrafen und es ihnen erst danach ermöglichen, sich zu rechtfertigen“. Die Entlassung so vieler führe zu wirtschaftlicher Verelendung und schaffe die Grundlage für Nihilismus. Der Fragebogen ver- führe zur Lüge und fördere das Denunziantentum, das Studienverbot für Jugendliche, die belanglose Führerposten in den NS-Organisationen innehatten, schaffe eine hoff- nungs- und ziellose Jugend, „Verzweiflung und Verhärtung (wüchsen) bereits überall aus der enttäuschten Hoffnung“.101 Ermutigt durch die Kritik der Kirchenleitung, nahmen auch die einzelnen Pfarrer kein Blatt vor den Mund. Wurde beispielsweise aus Ansbach noch im Mai 1946 berichtet, daß sich die „Geistlichkeit in politischer Beziehung einer neutralen Haltung“ befleißige, so stufte man im September die Äußerungen von Oberkirchenrat Kern, die er in seinen Predigten machte, als „nicht gerade ungefährlich“ ein, da er bezüglich der Spruchkammern erklärte, daß nicht die Menschen, sondern Gott zu richten habe. Solche Aussagen erleichterten das „Entnazifizierungswerk“ nicht.102 Die evangelische Kirche hörte nicht auf, ihre scharfe Ablehnung der Entnazifizie- rung öffentlich kund zu tun. Zum Osterfest 1947 vernahmen die Gläubigen das Wort des Landesbischofs Meiser: „... Wir gedenken des unübersehbaren Heeres derer, die ohne besondere Schuld aus ihren Stellungen verdrängt, beim Aufbau unseres wirt- schaftlichen und geistigen Lebens unentbehrlich sind und zur Erziehung unserer aufs Schwerste gefährdeten Jugend in Schulen aller Art ... dringend gebraucht werden ...“103 Ferner vertrat der Landesbischof die Ansicht, „daß es ... einem Christen kaum möglich sei, in den Spruchkammern mitzuwirken. Die derzeitige Besetzung biete keine ausrei- chende Gewähr dafür, daß hier nach den Grundsätzen des Rechts“ verfahren werde;104 eine Anschuldigung, die schärfer kaum sein konnte. Wiederholt gingen besorgte Schreiben beim Staatsministerium für Sonderaufgaben ein,105 wurden von den evan- gelischen Bischöfen Erklärungen abgegeben, die Abänderungen des Entnazifizierungs- prozesses vorschlugen,106 nannten einzelne Kirchenmänner die „sog. ‚Entnazifizie- rung‘“ ein Trauerspiel, einen unblutigen Bürgerkrieg, einen „uns aufgezwungene(n) Bürgerkrieg, in dem wir gehorsam die uns zugemutete Selbstzerfleischung betrieben ...“107

101 LKAN. HB XII 132. Amtsblatt für die Evang.-Lutherische Kirche in Bayern rechts des Rheins. 33. Jg. 1946, Nr. 12 vom 21.6.1946, S. 67 f. 102 Woller, Zur Demokratiebereitschaft, S. 350. 103 LKAN. Bestand: Kreisdekan Nürnberg Nr. 42. Evang.-Luth. Landeskirchenrat, München, 20.3.1947, Nr. 3363. 104 ACSP München. NL Müller 5 (Verhältnis der Konfessionen 1945-51). Aktenvermerk betr. Besprechung mit Landesbischof D. Meiser am Mittwoch, dem 29. Mai 1946, 11 Uhr. 105 Ebda. NL Müller 293 (Entnazifizierung Korr. A-Z, 1945-48). Evang.-Luth. Landeskirchenrat ec. Nr. 163, am 10.1.1947 an das Bayer. Staatsministerium für Sonderaufgaben. 106 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N 53 – 4. Erklärung der Bischöfe D. Wurm, D. Meiser, D. Wüstemann, D. Bender, D. Niemöller D.D. vom 6.2.1948. 107 Vollnhals, Die Evangelische Kirche, S. 141.

99 Die Kritik der evangelischen Kirche war nicht konstruktiv und verstärkte Emotio- nen und Vorbehalte.108 Auch auf amerikanischer Seite sah man dies so und konstatierte außerdem einen bemerkenswerten Unterschied zwischen der katholischen und den evangelischen Kirchen. Aufgrund ihrer nationalistischen und konservativen Traditionen seien die evangelischen Kirchen besonders empfänglich für den Nationalsozialismus gewesen. Die Mitglieder der Bekennenden Kirche innerhalb der Landeskirchen hätten zwar die Entlassung einiger hundert der bekanntesten Nazi-Geistlichen veranlaßt, das seien aber bei weitem nicht alle gewesen, die vom Befreiungsgesetz betroffen waren. Der Rat der Evang. Kirche forderte, daß die Verbliebenen von den Bestimmungen des Gesetzes ausgenommen würden, denn die Behinderung eines Geistlichen in seinem Amt seitens der Militärregierung sei ein unberechtigter Eingriff in Kirchenangelegenheiten. Die Besatzungsmacht wollte allerdings nicht zulassen, daß ein Geistlicher einem Laien gegenüber im Vorteil sei.109 Gleichwohl erließ General Clay den Befehl, daß den ehema- ligen Nazi-Geistlichen ein „Vorzugsverfahren“ gewährt werde, das bis zum 20. Oktober 1946 abgeschlossen sein mußte.110 Im Mitteilungsblatt des Ministeriums für Sonderauf- gaben erschien die Verfügung, daß die Spruchkammern die Verfahren gegen sämtliche Geistliche der protestantischen und katholischen Kirchen bis zum 25. September 1946 durchzuführen hätten.111 General Clay nannte später als einzige größere Meinungsver- schiedenheit mit den Kirchenführern die „offene ... Opposition einiger evangelischer Geistlicher gegen unser Entnazifizierungsprogramm und die Amtsenthebung nazisti- scher Pfarrer. Wir waren gezwungen, unser Programm ohne die Unterstützung durch- zuführen, die sie uns hätten leihen sollen“.112 Anfang 1948 gab es bei den Spruchkammern im Bereich der amerikanischen Besatzungszone noch 450 000 unerledigte Fälle und 17 000 Internierte, die auf ihre Verhandlung warteten. Da änderte die Militärregierung nahezu übergangslos ihre Hal- tung: Hatte es bis dato immer geheißen, daß die Entnazifizierung eine unverzichtbare Voraussetzung für den wirtschaftlichen Wiederaufbau in Deutschland sei, so wurde jetzt gesagt, ihr rascher Abschluß sei seine Basis. Gründe für diesen Umschwung waren in der veränderten weltpolitischen Lage zu suchen und in der Wandlung der öffentlichen Meinung in den USA. Im März 1948 begründete Theo Hall, der neue Chef der Public Safety Division, diesen Schritt folgendermaßen: „Die Militärregierung vertritt hier die Politik der USA ...“ Man könne in Deutschland keine Politik betreiben, die der Gesun- dung der Verhältnisse entgegenstehe, denn der Kongreß der USA habe 800 Millionen Dollar in die Zone geschickt. Die Weisungen hießen nun, daß für Personen in der privaten Wirtschaft und den freien Berufen keine Beschränkungen mehr gelten sollten; ausgenommen war der öffentliche Dienst!113 Im Mai 1948 erklärte das Repräsentanten- haus die Entnazifizierungspolitik als verfehlt.114 Als Datum für ihre Beendigung wurde der 8. Mai 1948 festgesetzt, nachdem schon am 25. März das zweite Änderungsgesetz zum Befreiungsgesetz die Einstufung aller Belasteten (Gruppe II) in Schnellverfahren zu Mitläufern erlaubt und das Beschäftigungsverbot auf verurteilte Hauptschuldige

108 Vollnhals, Die Evangelische Kirche, S. 141. 109 Dorn, S. 122. 110 Ebda., S. 123. 111 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N 1 – 338. Mitteilungsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Sonderaufgaben, 1. Jg. Nr. 5 vom 30.8.1946, S. 18. 112 Clay, S. 339. 113 Niethammer, Die Entnazifizierung, S. 512 f. 114 Fritsch, S. 17.

100 beschränkt hatte, was einer Amnestie der Schwerbelasteten gleichkam.115 Die Militärre- gierung stellte auch die Überwachung der Spruchkammerbescheide ein. Nicht verzich- tet wurde jedoch auf die in der 14. Durchführungsverordnung zum Befreiungsgesetz befohlene „Eintragung der Einreihung des Betroffenen und die ... Sühnemaßnahmen in seinem Personal-Ausweis“.116 Diese Verordnung erfuhr zwar im September 1947 eine Neufassung, aber die Weisung blieb bestehen, mindestens bis Herbst 1948. Nach einem bestimmten Schema mußte auf Seite 4 der Kennkarte in den Fächern 1 – 15 gelocht werden. Die Lochung im Fach Nr. 12 besagte: „Verbot als Lehrer, Prediger, Redakteur, Schriftsteller oder Rundfunkkommentator tätig zu sein.“ Die Meldebehörde hatte auf derselben Seite außerdem den vollständigen Inhalt der Mitteilung des Öffentlichen Klägers einzutragen und mit Unterschrift und Dienstsiegel zu versehen.117 Nun waren aber die deutschen Behörden mit den allzu weit reichenden Erleich- terungen nicht einverstanden – General Clay übrigens auch nicht. Er erwirkte für schwerwiegende Einzelfälle eine Aufschiebung.118 Denn das schien der Gipfel der Unge- rechtigkeit zu sein.119 Allerdings zeigten die neu- oder wiedergegründeten Parteien ein immer stärkeres Interesse an der Entnazifizierungsfrage und vor allem – im Hinblick auf die anstehenden Wahlen – am Abschluß der ganzen Angelegenheit. Linke Gruppierungen hatten auf eine umfassende gesellschaftliche Strukturreform gehofft, die u.a. die Abschaffung des Beamtentums beinhalten sollte.120 Die Kommunisten beteiligten sich anfangs eifrig am Entnazifizierungsprozeß, distanzierten sich aber, als die von ihnen gewünschte Systemänderung sich in den Westzonen nicht abzeichnete. Beständig und tatkräftig arbeiteten die Sozialdemokraten mit, auch dann noch, als das Verfahren von der Mehrheit des Volkes nicht mehr gebilligt wurde.121 Die deutsche Rechte wollte keine Säuberung, die auf eine gesellschaftliche Neuordnung abzielte, sie strebte nach Konti- nuität122 und war gegen alle sozialrevolutionären Tendenzen, und zwar, je länger der Entnazifizierungsprozeß andauerte, umso entschiedener.123 Sie konnte dabei durchaus mit amerikanischer Zustimmung rechnen, da sich in der internationalen Politik die Polari- sierung der Weltmächte abzuzeichnen begann. Am 31. Dezember 1949 erbat der bayerische Ministerpräsident Ehard vom Prä- sidenten des Landtags die Behandlung eines „Gesetzes zum Abschluß der politischen Befreiung“,124 und im Oktober des darauffolgenden Jahres verabschiedete der Bundestag Richtlinien, nach denen die Länder Gesetze erlassen sollten.125 Darin enthalten waren Empfehlungen zur Aufhebung von Berufs- und Tätigkeitsbeschränkungen und zur

115 Vollnhals, Entnazifizierung, S. 23. 116 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1 – 338. Mitteilungsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Sonderaufgaben, 1. Jg. Nr. 9 vom 14.10.1946, S. 34. 117 Ebda.; vgl. dazu Mitteilungsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Sonderaufgaben, 2. Jg. Nr. 3/4 vom 3.9.1947, S. 13 f; StAN, Landratsamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, Nr. 60. Niederschrift über die am 4.9.1948 in Dinkelsbühl stattgefundene Bürgermeisterversammlung; Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürn- berg F 2 vom 1.3.1948 (Amtsblatt 27.2.1948; NN vom 28.II., 3. und 13. III. 1948). 118 Vollnhals, Entnazifizierung, S. 23. 119 Fritsch, S. 17. 120 Dotterweich, S. 128 ff, 131 f, 151; Fritsch, S. 19 f.; Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 114. 121 Fritsch, S. 20. 122 Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 114; Niethammer, Zum Verhältnis, S. 179. 123 Fritsch, S. 21. 124 ACSP München. NL Müller 294 (Beendigung der Entnazifizierung 1949). 125 Fritsch, S. 23.

101 Anwendung des Gnadenrechts.126 Lange vorher schon war nach einem Gesetz gerufen worden, um das „nationale Unglück“, als welches die Entnazifizierung bezeichnet wurde, zu überwinden, die Vergangenheit zu liquidieren und dadurch „breite Schichten des Volkes zur freiwilligen und freudigen Mitarbeit am Aufbau des neuen Staates zu gewinnen“.127 Eine letzte Beschränkung für „Hauptschuldige“ gab es noch im Bundes- wahlgesetz vom 8. Juli 1953, das ihnen das passive Wahlrecht verwehrte. 1956 entfiel auch das.128 Von den 53 000 nach 1945 entlassenen Beamten in den Westzonen gab es 1950 noch 1701, die laut Spruchkammerurteil kein öffentliches Amt mehr führen durf- ten.129 Über den Erfolg der Entnazifizierung wird nicht gestritten. Sowohl bei Zeitge- nossen als auch bei späteren Betrachtungen überwog das negative Urteil. Erbitterung rief z.B. die unterschiedliche Handhabung der Prozedur in den verschiedenen Besat- zungszonen hervor, die sich an Zahlen festmachen läßt.130 Die Entpolitisierung der deut- schen Nachkriegsgesellschaft wurde ihr angekreidet.131 Ferner habe sie das gute Einver- nehmen zwischen Deutschen und Alliierten negativ beeinflußt, das Vertrauen zur Demokratie und den inneren Frieden der Bevölkerung gestört.132 Je nach Standort und Zone habe man als Kommunist bzw. Nichtkommunist unter den Personenkreis fallen können, der „den alliierten Zielen feindlich gegenüberstand“.133 Man habe statt der Denazifizierung die Renazifizierung erreicht und die Entnazifizierten der jungen deut- schen Demokratie „heillos entfremdet“.134 Das Schicksal des einzelnen habe davon abgehangen, in welcher Phase der politischen Entwicklung er entnazifiziert worden sei.135 Ein Gesinnungswandel sei weniger durch die Entnazifizierungsmaßnahmen als durch den Zusammenbruch der NS-Herrschaft eingetreten.136 1953 bemerkte Walter Dirks, es sei nicht gelungen, „uns in der Entnazifizierung vom Nationalsozialismus zu reinigen“.137 Von amerikanischer Seite lautete ein Urteil, daß die Entnazifizierung „eine durch nichts gemilderte Niederlage der Militärregierung“ gewesen sei.138 Vielfältige Gründe für den Mißerfolg wurden angegeben. Einfacher strukturierten Gemütern genügte sicher die Feststellung, daß das deutsche Volk, „von einigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen, einfach unzugänglich für moralische Zweifel“ sei, daß es „ganz unverbesserlich“ sei und „keine Spur einer ‚Allgemein-Schuld‘“ zu erkennen sei, die

126 Ebda. 127 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1 – 1034. Freie Deutsche Presse, Coburg, Nr. 9 vom 4.3.1950, o.S. 128 Fritsch, S. 23. 129 Niethammer, Zum Verhältnis, S. 185. 130 Während in der US-Zone bei der Einstufung nur 18 454 Entlastete angegeben wurden, waren es in der briti- schen Zone 1 191 930. Hauptschuldige gab es in der US-Zone 1654, in der französischen nur 13. (Kleßmann, S. 91) Für die Einstufung in den Gruppen I, II und III verzeichnete die US-Zone 13,7 %, die britische 1,3 %, die französische 2,6 %; und die Gruppe V wurde in der US-Zone mit 34,2 % angegeben, in der britischen mit 88,7 %, in der französischen mit 52,7 %. (Dotterweich, S. 147). 131 Fritsch, S. 29. Er beruft sich auf Alfred Grosser: Deutschlandbilanz, München 1970, S. 74 f. 132 Dirks, Folgen, S. 445. 133 Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 51. 134 Allemann, S. 34. 135 Dirks, Folgen, S. 447. 136 Ebda., S. 454. 137 Ebda., S. 447. 138 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N 53 – 14. Übersetzung eines „Eingesandt“ aus der New York Times vom 8.12.1946 (Verfasser war der deutsch-amerikanische Politologe Karl Loewenstein.).

102 amerikanische Moralisten erwartet hatten.139 Eine andere Erklärung lautete, daß viele ihre politische Einstellung nicht „so schnell wie ein Hemd wechseln“ konnten und „innerlich ‚in Treue fest‘“ standen.140 Auch sei es psychologisch falsch gewesen, daß „man jede politische Leistung des deutschen Volkes und Staates, von der Ostsiedlung des Mittelalters über Friedrich den Großen bis zu Bismarck, in die Ahnengalerie des Nationalsozialismus“ eingereiht habe. Denn das habe das Gegenteil des erstrebten Zieles bewirkt.141 Ein ganz gewichtiger Grund für das Mißlingen der personellen Säuberung wurde aber vor allem darin gesehen, daß die Amerikaner nahezu allumfassende Absich- ten verfolgten: Sie wollten „nicht nur entnazifizieren, entmilitarisieren, entflechten, demokratisieren ... reorientieren, sie waren auch im Interesse der Wahrnehmung ihrer eigenen Sicherheit darauf bedacht, Deutschland und Europa wieder wirtschaftlich gesunden zu lassen ... Sie wollten den Sozialismus verhindern, dem Kommunismus zuvorkommen, das Geld des amerikanischen Steuerzahlers sparen, französische Pläne zur Zerstückelung Deutschlands vereiteln und die Sowjetunion in Mitteleuropa in Schranken halten.“142 Auf jeden Fall wurde nicht erreicht, daß die Deutschen in der Mehrzahl ihr Bewußtsein für die politische Mitverantwortung am nationalsozialistischen Unrecht schärften, und statt Selbstbesinnung traf man eher Selbstrechtfertigung an.143 Die Ent- nazifizierung hatte den darin Involvierten das Risiko politischen Engagements aufge- zeigt, so daß sie nun – und das war für Jahre hinaus symptomatisch – den Rückzug ins Pri- vatleben und, nach Überwindung des Beschäftigungsverbots, in den Beruf antraten.144

139 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N 53 – 14. Übersetzung eines „Eingesandt“ aus der New York Times vom 8.12.1946. 140 Henke, Die Grenzen, S. 129. 141 Allemann, S. 40. 142 John Gimbel: Amerikanische Besatzungspolitik in Deutschland 1945-49. Frankfurt (Main) 1971; zitiert nach Kleßmann, S. 87 und 89. 143 Dotterweich, S. 154. 144 Kleßmann, S. 92.

103 1.2. DAS BERUFSBEAMTENTUM

Die Tradition des Berufsbeamtentums in Deutschland war eine Einrichtung, die den Amerikanern schwer verständlich war. Seine Struktur widersprach ihrer Vorstellung von Demokratie, Leistung und Wettbewerb, und nicht wenige neigten dazu, seine Grundsätze als Hemmnis für eine wirksame Umerziehung im Bereich des öffentlichen Dienstes zu betrachten.1 Eine besondere Schwäche schien ihnen die mögliche aktive Teilnahme der Beamtenschaft an der Parteipolitik zu sein,2 also eine Verletzung des Prin- zips der Gewaltentrennung. Weitere Einwände machten sie gegen die „mangelnde Öffentlichkeit“ und gegen die Nichteinhaltung des Gleichstellungsgrundsatzes geltend. Es gab ja keine Kontrolle durch unabhängige Kommissionen, und es gab die Unterschei- dung zwischen den Beamten in einem lebenslänglichen öffentlichen Dienst- und Treue- verhältnis und den Angestellten mit privatrechtlichen Anstellungsverträgen.3 Im Gegensatz zur sowjetisch besetzten Zone, wo am 17. September 1945 durch SMAD-Befehl Nr. 66 das Beamtengesetz von 1937 aufgehoben und das Berufsbeamtentum als „Strukturprinzip des öffentlichen Dienstes“ beseitigt worden war,4 behauptete es sich in den westlichen Zonen, so wie es das auch 1918 und 1933 getan hatte. Die starke Kontinuität des Berufsbeamtentums wird von Kleßmann „geradezu als ein generelles Merkmal aller großen Umbrüche der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts“ verstanden.5 Aber während man in der Weimarer Reichsverfassung den Beamten wegen ihrer Loyalität gegenüber der Systemveränderung 1918/19 die Unverletzlichkeit der „wohlerworbe- nen Rechte“ (Status und Besitzstand) garantiert hatte (Art. 129,1 WV), machte man ihnen 1945 ihre Loyalität zum NS-Regime zum Vorwurf.6 Und die Alliierten betrachteten das Beamtentum als Teil des nationalsozialistischen Herrschaftsapparates.7 Sie verstan- den seine Grundidee nicht, die besagte, daß ein Beamter integraler Bestandteil der „Staatspersönlichkeit“ sei und „Repräsentant der Staatsidee“, in einem öffentlich- rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis zu seinem Dienstherrn stehend, „auf metaphysi- sche Weise mit dem Staat, dem er dient und den er verkörpert, verbunden“.8 Folgt man dieser Idee, dann ist es dem Beamten möglich, „unter jedem in Deutschland herrschen- den politischen System, in der absoluten und konstitutionellen Monarchie, in der demo- kratisch-parlamentarischen Republik ebenso wie im nationalsozialistischen Führerstaat, in vorbildlicher Pflichttreue und Selbstlosigkeit zu dienen“.9

1 Niethammer, Zum Verhältnis, S. 183; Fait, S. 438. 2 Fait, S. 438. 3 Wolfgang Benz: Versuche zur Reform des öffentlichen Dienstes in Deutschland 1945 – 1952. Deutsche Oppo- sition gegen alliierte Initiativen. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 29. Jg., Heft 2/1981, S. 217 ff. 4 Ebda., S. 218 f. 5 Kleßmann, S. 252. Er bezieht sich auf Theodor Eschenburg: Regierung, Bürokratie und Parteien 1945 – 49. Ihre Bedeutung für die politische Entwicklung der Bundesrepublik. In: VfZ 24 (1976), S. 58 – 74. 6 Benz, Versuche, S. 216. 7 Ebda., S. 218 f. 8 Ebda., S. 218. Er zitiert Carl Heyland: Das Berufsbeamtentum im neuen demokratischen Staat. Eine staats- rechtliche Studie. Berlin 1949, S. 32. 9 Benz, Versuche, S. 218. Er zitiert Carl Heyland: Das Berufsbeamtentum im neuen demokratischen deutschen Staat. Eine staatsrechtliche Studie. Berlin 1949, S. 33; vgl. dazu: Franz Dräger/Peter Schumacher/Gustav Tie- mann (Hrsg.), Die Amtsführung des Lehrers (Schulrecht). Düsseldorf 1941. Hier wird systemtypisch die nachträgliche Einschätzung von Benz formuliert.

104 Die Amerikaner konnten an diesen Idealen nicht viel Positives finden und bemängelten u.a., daß die Loyalität des deutschen Beamten nur nach oben gerichtet sei, die Anstellung auf Lebenszeit ihn zu sicher mache, die Öffentlichkeit nicht gut auf diese „Kaste“ zu sprechen und bei der Rekrutierung der Beamten Diskriminierung nach Geschlecht, Rasse, Religion und politischer Überzeugung an der Tagesordnung sei.10 Und sie durchbrachen mit ihrer Auffassung, daß mit der Entlassung belasteter Beamter ihr Dienstverhältnis ersatzlos beendet werde und versorgungsrechtliche Ansprüche an den Staat entfielen, die Tradition des deutschen Berufsbeamtentums.11 Die Entwicklung in den folgenden Jahren zeigte, daß, trotz nationalsozialistischer Instrumentalisierung und Korrumpierung, die Tradition des Berufsbeamtentums erhalten blieb; aber zumindest in Bayern wurde die günstige Gelegenheit genutzt, mißliebige Beamte, natürlich auch Lehrer, z.B. diejenigen, die aus der Kirche ausgetreten waren, oder Flüchtlinge, die man nicht so gerne wollte, jahrelang hinzuhalten, bevor man sie nolens volens wieder ein- stellte.12 Schon am 28. Oktober 1946 war ein Bayerisches Beamtengesetz (GVO Bl. S. 349) erlassen worden, das zwar einige Änderungen gegenüber dem alten erfahren hatte, dennoch von der amerikanischen Militärbehörde kritisiert wurde. Vor allem for- derten die Amerikaner die Gleichstellung von Beamten und Angestellten, und es wurde ihnen zugesichert, in den Ausführungsbestimmungen die Mängel des Gesetzes auszu- gleichen.13 Dann gelang es, nicht nur in Bayern, durch Verzögerungstaktik die Besat- zungsmächte hinzuhalten, „bis die neue staatliche Ordnung den Deutschen freie Hand geben würde“.14 Aber noch vor Inkrafttreten des Grundgesetzes erließen Amerikaner und Briten am 15. Februar 1949 das Militärregierungsgesetz Nr. 15 für Verwaltungsan- gehörige des Vereinigten Wirtschaftsgebietes. Hierin wurde u.a. das Leistungsprinzip gegenüber den Ansprüchen an die Vorbildung betont, ebenso die Gleichstellung von Mann und Frau; und es gab die Entlassung bei Unfähigkeit.15 Auf die strenge Anmah- nung eines verbesserten bayerischen Beamtengesetzes durch den Chef der Militärregie- rung, van Wagoner, kam es zu einem fast noch reaktionäreren Entwurf, der das Militär- gesetz Nr. 15 der Bizone ebenso mißachtete wie die Empfehlungen der Militärregierung für Bayern.16 In einer Besprechung van Wagoners mit Ministerpräsident Ehard betonte dieser, daß das traditionelle Beamtensystem die Seele einer guten Regierung sei. Die Standpunkte waren unvereinbar. Die Amerikaner wollten eine Änderung durchsetzen, da sonst die Gefahr da sei, daß, wie in der Vergangenheit, eine reaktionäre, einflußrei- che Clique, gegen demokratischen Fortschritt eingestellt, loyal nur gegenüber dem Staat, anfällig für totalitäre Einflüsse von innen und außen, das ganze System beherr- schen würde.17 Da aber die Alliierten im Frühjahr 1949 ihre Zustimmung zum Grundge- setz gaben, welches die Beamtenfrage längst im traditionellen Sinn entschieden hatte, war das Militärgesetz Nr. 15 aus dem Rennen,18 man kehrte zum Berufsbeamtentum von vor 1933 zurück, ohne zu fragen, ob dessen Tradition nicht auch entscheidend zum

10 Benz, Versuche, S. 219 f. 11 Niethammer, Zum Verhältnis, S. 183; siehe S. 119. 12 siehe S. 160, 178, 184. 13 Benz, Versuche, S. 220 f. 14 Ebda., S. 228. 15 Ebda., S. 230 f. 16 Benz, Versuche, S. 222 ff. 17 Ebda., S. 224 f. 18 Ebda., S. 235.

105 Faschismus beigetragen hatte.19 Nun galt es nur noch, beamtenrechtliche Regelungen zu finden für Personen, die, da die Behörden nicht mehr bestanden, keinen Dienstherrn mehr hatten; die, da sie heimatvertrieben waren, ihre Versorgungsansprüche nicht mehr beim gewohnten Dienstherrn geltend machen konnten; und diejenigen, die durch die Entnazifizierung nicht mehr im öffentlichen Dienst standen.20 Die beiden letzten Gruppen waren gut beraten, wenn sie sich in Bayern mit Geduld wappneten.

19 Niethammer, Zum Verhältnis, S. 184. 20 Benz, Versuche, S. 239.

106 1.3. DAS ENTNAZIFIZIERUNGSVERFAHREN FÜR LEHRER

1.3.1. Kontroverse Begründungen

Nicht nur von amerikanischer, häufig von deutscher Seite kam die Forderung, bei der Entnazifizierung der Lehrer strenge Maßstäbe anzulegen. Sie seien nämlich „besonders scharfe Anhänger des NS-Regimes gewesen“, „an allem schuld“, „die wahren Jugendverderber“, „die schlimmsten Nazis“.1 Sie hätten – qua Amt – vor allen anderen zur Ausbreitung der nationalsozialistischen Ideologie beigetragen und müßten sich nun verantworten. Viel zu viele hätten in zentralen Lebensfragen, z.B. der Weltanschau- ung, „liebedienerisch und unwürdig“ nachgegeben.2 Und der Lehrerstand sei in der Hierarchie des Beamtentums insofern eine Ausnahme, als nur bei ihm die Durchsetzung mit nationalsozialistischen Elementen sich bis in den einfachen Dienst erstreckt habe.3 Man warf den Lehrern außerdem vor, daß sie sich nicht zu ihrer großen Schuld, die sie durch ihr Tun und Lassen während der Nazi-Zeit auf sich geladen hatten, bekennen würden, wie es z.B. die evangelische Kirche getan hatte,4 und ihre „Pilatusnatur“ wurde angeprangert, die es ihnen ermögliche, ihre vormalige nationalsozialistische Gesinnung zu leugnen.5 Daß die Lehrerschaft das Vertrauen des christlichen Elternhauses, der Kirche und mehr und mehr des ganzen Volkes eingebüßt habe, liege daran, daß sie in einem schlecht getarnten Kampf gegen den christlichen Glauben „vergiftete Waffen“ geführt habe.6 So war es nicht verwunderlich, daß das „Erziehungswesen der entlassungsinten- sivste Verwaltungszweig (war); in manchen Städten blieb fast kein Lehrer übrig“.7 Die Alliierten hatten schon im Sommer 1944 begonnen, anhand von Mitglieder- karteien deutscher Lehrerverbände weiße und schwarze Listen anzufertigen und etwa 5000 Lehrer in Entnazifizierungsklassen einzureihen.8 Es gab Schulen, deren Lehrer automatisch dem Naziregime zugerechnet wurden, z.B. „Adolf-Hitler-Schulen“ und die „Napolas“; ferner wurden die „Hauptschulen“ aufgelöst. Hauptschulen waren damals eine nationalsozialistische Einrichtung. Grundsätzlich hatten nur „rein parteimäßig ein- gestellte Lehrer“ Zugang zu ihnen. Sie boten verdienten Parteigenossen die Möglich- keit, in eine höhere Besoldungsgruppe zu gelangen. Es wurden aber auch Lehrkräfte zum Erteilen von Unterricht an die Hauptschule abgeordnet. An manchen Orten, z.B. in Coburg, wurde die Hauptschule als „Schule des Führers“ besonders gepflegt; die Aus- wahl der Lehrkräfte unterlag der besonderen Aufsicht des Kreisleiters. Da vielen Partei- genossen eine gehobene Stellung zukommen sollte, wurden auch solche mit schlechter Anstellungsprüfung eingestellt, und auch sehr mäßig begabte Schüler wurden aufge- nommen, wenn sie nur besonders eifrige Mitglieder der Hitlerjugend waren. Aus

1 Mitteilungen des Bayerischen Lehrervereins, München 1947, Nr. 5/6, S. 6; Januar/Februar 1948, S. 1. 2 Josef Schnippenkötter: Rede zu der Wiedereröffnung der höheren Schulen in der Nord-Rheinprovinz, gehal- ten am 1. Oktober 1945 in der Aula der Universität Köln. In: Josef Schnippenkötter (Hrsg.), Bildungsfragen der Gegenwart. Heft 1. Bonn 1945, S. 5. 3 Die neue Zeitung, 1. Jg. Nr. 12 vom 26.11.1945, S. 15. 4 Walter Dirks: Der Weg zur Freiheit. Ein Beitrag zur deutschen Selbsterkenntnis. In: Frankfurter Hefte. Zeit- schrift für Kultur und Politik. Hrsg. von Eugen Kogon und Walter Dirks. 1. Jg. Heft 4, Juli 1946, S. 53. 5 Schnippenkötter, S. 5. 6 Martin Haug: Kirche und Schule. Schriftenreihe der Evang. Akademie. Reihe III Heft 1. Tübingen-Stuttgart 1946, S. 15. 7 Niethammer, Die Entnazifizierung, S. 186 f. 8 Huelsz, S. 102; Bungenstab, S. 70.

107 Coburg wurde berichtet, daß die Oberstufe der Volksschulen so sehr ausgeräumt war, daß ein normaler Unterricht nicht mehr stattgefunden hatte. So hatte es neben Volks- schulklassen mit 90 Schülern an Hauptschulen Klassen mit weniger als 30 Schülern gegeben.9 Breite Diskussionen in der Öffentlichkeit über die Gründe, warum gerade Lehrer – und unter ihnen besonders die Volksschullehrer – dem Nationalsozialismus in so großem Ausmaß verfallen waren, ließen diesen Stand, der sich in seiner Imagepflege immer schwer getan hatte, in besonderen Mißkredit geraten. Mit bösen Worten wurde nach dem Krieg über Lehrer geurteilt: „... man solle die Lehrer an Stelle der Wetterfahnen und Wetterhähne auf die Türme setzen; sie würden leichter jedem Wind nachgeben.“10 Weniger hämisch ausgedrückt, wurde dennoch die politische Unzuverlässigkeit der Leh- rer hervorgehoben: „Vorher war die Lehrerschaft liberal, im Jahre 1918 waren sie alle rot ..., und im Jahre 1932 waren sie alle braun.“11 Aus anderer Sicht lautete die resig- nierte Erkenntnis: „Jede Zeit und jedes Regierungssystem fordert, daß der Lehrer sich für sie einsetzt, und keiner tut es genug; und jede folgende Zeit und jedes folgende Regierungssystem verflucht ihn dann, wenn er es getan hat.“12 Eine verständliche Reak- tion, die allerdings von den Vertretern des neuen Staates wiederum angeprangert wurde, war die reservierte Haltung und fehlende Zivilcourage bei den meisten Lehrern. Es mangele ihnen an der „nötigen Aufgeschlossenheit“; an ihrer „Grundeinstellung, die von jeher als eine Neigung zum überwiegend Materiellen bekannt ist,“ habe sich „in der werdenden Demokratie“ nichts, auch nicht das Geringste geändert. Sie täten zwar pflichtgemäß ihren vorgeschriebenen Dienst, es sei auch nichts darüber bekannt geworden, daß sie noch „irgendwelchen Naziideologien huldigen, doch muß bedauerli- cherweise eine gewisse Skepsis gegenüber den staatspolitischen Geschehnissen festgestellt werden ... Zu einem Teil dürfte das zurückhaltende Verhalten gewisser Erzieher die Ursache dafür sein, daß es bislang absolut nicht gelungen ist, die Jugend in größerem Maße für den demokratischen Staatsgedanken zu gewinnen“.13 „Sträflichste Passivität“ wurde nun den Lehrern angekreidet, und mancher Berichterstatter bemängelte, daß den „Schulmännern der jungen Demokratie bei ihren ersten neuen Gehversuchen auch sonst gar oft die rechte Haltung“ fehle.14 In öffentlicher Sitzung wurde auch im Landtag die positive Einstellung zum neuen Staat vermißt.15 Es wurde der Lehrerstand eben doch mit anderen Augen betrachtet. Auch wenn er sich in der Spruchkammerverhandlung entlasten und nachweisen konnte, daß er nicht „nationalsozialistisch gewirkt“ hatte, blieb ein Lehrer „doch Aktivist und Vergifter der Kinderseelen; denn er hat aus Büchern

9 Amtsblatt des Land- und Stadtkreises Coburg Nr. 10, 6. Oktober 1945, S. 116; StAN Regierung von Mittel- franken, Abgabe 1978, Nr. 4452. Schreiben des Bezirksschulamts Coburg am 14.12.45 an den Regierungs- präsidenten in Ansbach; ebda., Niederschrift zur Vereidigung der Lehrerin Julie Sch., Neuendettelsau, am 27.1.44; ebda., Schreiben des Stadtschulamtes Bamberg am 16.11.45 an den Regierungspräsidenten in Ansbach; Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenographischer Bericht, II. Bd. Nr. 83. 83. Sitzung am Freitag, dem 30. Juli 1948, s. 1842. 10 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenographischer Bericht, II.Bd. Nr. 42. 42. Sitzung am Donnerstag, dem 11. Dezember 1947. Fortsetzung der Beratung des Haushalts des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus für das Rechnungsjahr 1947, S. 467. 11 Buchinger, S. 505. 12 Franz Xaver Hartmann: Eine notwendige Abwehr. In: Mitteilungen des Bayerischen Lehrervereins. München 1947, Nummer 5/6, S. 7. 13 Woller, Zur Demokratiebereitschaft, S. 354 und 358. Berichte vom 13.5.47 und 19.5.1948. 14 Die neue Zeitung, 3. Jg. Nr. 33 vom 25.04.1947, S. 7. 15 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenographischer Bericht, II. Bd. Nr. 42. 42. Sitzung am 11.12.1947. Fortsetzung der Beratung des Haushalts des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus für das Rechnungsjahr 1947, S. 467.

108 Unterricht erteilt, die das Dritte Reich herausgegeben hat“.16 Die neue Zeitung vertrat ebenfalls die Ansicht, daß die Vergangenheit des Lehrers ganz anders geprüft werden müsse „als etwa die des Gastwirts oder des Schreinermeisters“. Es sei falsch zu glau- ben, daß „politische Irrtümer der Jugenderzieher ... nicht schwerer wögen als das Mit- läufertum von Angehörigen anderer Berufe“.17 Auch die regionale Zeitung erläuterte ihren Lesern diese Einstellung anhand einer fiktiven Lehrkraft. Es sei durchaus möglich, daß der Bürgermeister eines Ortes Leh- rer X als nicht belastet betrachte, da er die Kinder Lesen, Schreiben und Rechnen gelehrt, den besten moralischen Einfluß auf sie ausgeübt, niemanden malträtiert oder denunziert habe. Er sei nur Parteimitglied gewesen. Der Pfarrer desselben Dorfes bestätige den einwandfreien Charakter des Lehrers, der auf Schüler und die gesamte Einwohnerschaft großen Einfluß gehabt habe. Aber das sei der Grund, weshalb sein politisches Wirken während der Nazi-Zeit besonders verderblich gewesen sei. Er habe als Parteimitglied die Dogmen der Partei den Kindern eingetrommelt, nazistische Zeit- schriftenbilder und Aufrufe in der Schule angebracht. Das wäre nicht so schlimm gewe- sen, wenn man es mit einem charakterlosen Menschen zu tun gehabt hätte, dem man nicht vertraut und geglaubt hätte. So aber sei sein Einfluß außerordentlich groß gewe- sen, und der Lehrer müsse in besonderem Maße als politisch belastet betrachtet wer- den.18 Erschwerend für den Lehrer gegenüber den anderen Beschäftigten des öffentli- chen Dienstes oder in der Wirtschaft Tätigen kam nämlich hinzu, daß er nach Anwei- sung zur „freudige(n) Bejahung der nationalsozialistischen Weltanschauung“ verpflich- tet gewesen war und durch „sein überzeugendes Vorbild“ und „das klare, begeisternde Lehrerwort“ die Jugend auf den erwünschten Weg hatte bringen müssen.19 Ein gravierender Umstand, der dem Lehrer nahezu kein Entrinnen ermöglicht hatte, war neben der behördlichen Schulaufsicht – „Ich vermisse auf dem Land den Lehrer, der die Gesetze von Blut und Boden kennt.“ (Schulrat Röstelhuber, Kulmbach)20 – das Wirken der HJ an den Schulen gewesen. Aus den „Leitgedanken zur Schulord- nung“ aus dem Jahre 1934 las man als klare Anordnung: „Die HJ. ergänzt diese Arbeit durch Stählung des Charakters, Förderung der Selbstzucht und körperliche Schu- lung.“21 Neben der „deutschen Schule“ hatte man die „anderen nationalsozialistischen Erziehungsmächte“ betont. Schüler, die Mitglieder der HJ oder SA waren, hatten deren Uni- formen und Abzeichen in der Schule tragen dürfen, „Vertrauenslehrer“, die der NSDAP angehören und möglichst aus der HJ hervorgegangen sein sollten, waren bestellt wor- den. Sie hatten die „Verständigung“ zwischen Schule und Staatsjugend übernommen und bei Prüfungen oder Versetzungen das Verhalten des Schülers in der HJ zur Sprache zu bringen. Die Volksschule hatte in ihrem Unterricht Rücksicht nehmen müssen auf die von der HJ angestrebten Ziele zur Gemeinschaftserziehung.22 Umso größer war nach Kriegsende die Erbitterung vieler Lehrer, die in ständigem Kampf mit der HJ gelegen hatten, der sich in den Heimen der Kinder-Landverschickung häufig zu offener Feindse- ligkeit gesteigert und zu gefährlichen Mißhelligkeiten und sogar Amtsenthebungen

16 Franz Xaver Hartmann: Eine notwendige Abwehr. In: Mitteilungen des Bayerischen Lehrervereins, Nr. 5/6, München 1947, S. 7. 17 Die Neue Zeitung, 3. Jg. Nr. 33 vom 25.4.1947, S. 7. 18 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 63 vom 27.11.1946, S. 2. 19 Tiemann, S. 352. 20 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Bericht über die Tagung der Bayerischen Unter- richtsverwaltung am 15.2.1940, mit Vertretern des Volks- und höheren Schulwesens, in Nürnberg. 21 Tiemann, S. 155. 22 Tiemann, S. 156 f, 349, 351.

109 geführt hatte, da die Mitglieder der HJ unter die Jugendamnestie fielen, während sie selbst um ihre Wiederanstellung rangen.23 Der Zwang, der in den späteren Jahren der Nazi-Herrschaft auf Lehrer ausgeübt worden war, war zu ihrem Beginn noch nicht spürbar gewesen, und doch hatte es nach dem 30. Januar 1933 einen Masseneintritt in die Partei gegeben. Lehrer waren bei diesem Prozeß stärker beteiligt gewesen als andere Beamtengruppen. Vor dem 14. September 1930, dem Datum der Reichstagswahlen nach der ersten großen Notverordnung des Reichspräsidenten aufgrund Art. 48 der Reichsverfassung zur „Sicherung von Wirt- schaft und Finanzen“, die eine Kürzung der Beamtengehälter mit sich gebracht hatte24 - Wahlen, bei denen die NSDAP einen sensationellen Anstieg ihrer Mandate von 12 auf 107 hatte verzeichnen können25-, waren reichsweit nur 2,4 % der Lehrer Parteimitglieder gewesen.26 Bis zum 30. Januar 1933 waren dann noch 10879 eingetreten, das ent- sprach 12,9 %. Während also bis zu diesem Zeitpunkt 15,3 % der Lehrer der NSDAP angehört hatten, waren das bei den übrigen Beamten 19,8 %. Es wurde also der niedri- ge Anteil der Beamten noch unterschritten, während andere Berufsgruppen damals mit einem hohen Prozentanteil in der Partei vertreten waren, z.B. 31,4 % der Selbständigen und 41,9 % der Bauern.27 Nach der „Machtübernahme“ betrug die Anzahl der Partei- eintritte bei den Beamten das Vierfache, bei den Lehrern sogar das Sechsfache, wobei die Partei-Statistik vom 1. Januar 1935 diese Leute als „Konjunkturritter“ bezeichnete.28 84,7 % der Lehrer waren nun Parteimitglieder.29 Für diesen Umschwung sind verschiedene Erklärungen möglich: Die besondere Beziehung der Lehrer zum Staat und ihre „Loyalitätsbereitschaft gegenüber jeder Form staatlicher Herrschaft“30 hatten es vor dem 30. Januar 1933 verboten, Anhänger einer umstürzlerischen Bewegung zu sein, und machten es nun erforderlich, sich der neuen Ordnung zuzuwenden. Mit dieser Anpassungsbereitschaft verknüpften sich evtl. auch Hoffnungen zum Aufstieg eines einzelnen oder sogar zum größeren Ansehen eines ganzen Standes. Die Absicherung des Beschäftigungsverhältnisses, also der Beitritt aus sozialer Unsicherheit, dürfte wohl ein starker Motor für den Beitritt vieler Lehrer in die Partei gewesen sein, vor allem der verheirateten.31 Dieser Ansatz wird erhärtet durch die Entnazifizierungszahlen. Denn 90 % der Spruchkammer-Betroffenen waren verheirate- te Männer. Es fand eine „Säuberung der Familienväter“ statt.32 „Der Mensch ist kein Held, vor allem der Deutsche nicht, wenn er Familienvater ist ...“33. Unverheiratete Leh- rerinnen waren weniger leicht erpreßbar gewesen. Sie hatten eher schwere berufliche Nachteile in Kauf genommen. Der katholisch orientierte Lehrerinnenverein z.B. hatte 1933 jeglichen Kompromiß mit dem Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB) und

23 Mitteilungen des Bayerischen Lehrervereins, Januar/Februar 1948, S. 3; vgl. dazu: Schule und Gegenwart, August 1949, S. 39 f, und Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenographischer Bericht, II. Bd. Nr. 42. 42. Sit- zung am 11. Dezember 1947. Fortsetzung der Beratung des Haushalts des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus für das Rechnungsjahr 1947, S. 477. 24 Der Illustrierte Ploetz. Weltgeschichte in Daten und Bildern von den Anfängen bis zur Gegenwart. Würzburg 1973, S. 441. 25 Ebda. 26 Manfred Heinemann: Der Lehrer und seine Organisation. Stuttgart 1977, S. 335. 27 Ebda. 28 Ebda. 29 Ebda., S. 334 f. 30 Ebda., S. 335. 31 Niethammer, Die Entnazifizierung, S. 560 f. 32 Ebda., S. 561. 33 Knappstein, S. 670.

110 dem neuen Regime strikt abgelehnt.34 Dazu muß angemerkt werden, daß katholische Lehrer allgemein weniger geneigt waren, sich den Parteiforderungen oder –drohungen zu unterwerfen.35 Zahlreich waren die Rechtfertigungsgründe der Lehrer, die sie nach 1945 für ihre NS-Vergangenheit, auch unter dem Zwang der Entnazifizierung, angaben: Ein Landlehrer war bezüglich Dienstwohnung und Schulbedarf vom Wohlwollen der Gemeinde bzw. des Bürgermeisters abhängig; mit viel Idealismus übernahm er „Volks- bildungs“- und Erziehungsarbeit, z.B. auf dem Gebiet der Heimatforschung, um so am Auf- bau des Vaterlandes mitzuwirken; eine relativ gesicherte Position in der Partei ermög- lichte ihm die Abwehr von Angriffen der HJ.36 Ein bemerkenswertes Argument für den wohlüberlegten Parteieintritt kam sicherlich auch nicht selten vor: Demonstration von Wohlverhalten, wenn man vor 1933 als „leicht rot“ bekannt war.37 Vielleicht war es gut, zunächst einen Schritt mehr zu tun als gefordert. Ferner kam es häufig vor, daß Jugendliche, also auch junge Lehrer, nach ihrer BDM- oder HJ-Zeit ohne ihr Zutun auto- matisch in die NSDAP übergeführt wurden, es z.T. gar nicht wußten, oder, wenn es ihnen bekannt wurde, ohne persönliche Nachteile nicht protestieren konnten.38 Der zwangsweise oder durch Täuschung herbeigeführte Eintritt in die Partei oder wenigstens in den NSLB ist durch zahlreiche Dokumente belegt. Besonders signifikant war die sog. Schemm-Aktion.39 Ihr verdankten über 90 % aller Beamten in der „Bayeri- schen Ostmark“ die zwangsweise Mitgliedschaft in der NSDAP im Jahre 1935. Ohne ihr Wissen waren sie Parteimitglieder geworden und fanden zu ihrem Entsetzen ihre Namen in der Mitgliedskartei wieder.40 Die Rechtfertigungsversuche der von der Entnazi- fizierung betroffenen Lehrer ergeben ein differenziertes Bild von den Gründen ihrer

34 Gerhard Storz: Konfessionsschulen? (I) In: Frankfurter Hefte, 1. Jg. Heft 2/Mai 1946, S. 10 f; vgl. dazu Müller, S. 73 ff. 35 Walter Dirks: Konfessionsschulen? (II) In: Frankfurter Hefte, 1. Jg. Heft 2/Mai 1946, S. 15. 36 ACSP München. NL Müller 293 (Entnazifiz. Korrespondenz A-Z 1945-48). Kleine Denkschrift betreffend die Entnazifizierung der Lehrer. Von F.H., seit 2 Jahren dienstenthobener Rektor, ehem. Politischer Leiter. 15 Mona- te Zivilinternierungslager Moosburg. 28.7.1947. 37 Gespräch mit Prof. Hans Glöckel, Nürnberg. 38 StAN. Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, 264. Schreiben des Landrats von Dinkelsbühl am 8.8.1945 an die Amerikanische Militärregierung Dinkelsbühl. Betr.: Prüfung der politischen Zuverlässigkeit der Lehrkräfte. Zur RE. v. 23.6.45 No. 1153 b 2; vgl. dazu: Albin Dannhäuser (Hrsg.), Erlebte Schulgeschichte 1939-1955. Bayerische Lehrerinnen und Lehrer berichten. Bad Heilbrunn 1997, S. 208 ff und 215. 39 Hans Schemm war Gründer des Lehrerbundes und „Reichswalter“ bis 1935. Er schreckte vor Gewaltandro- hungen nicht zurück. Bei der „Überführung“ des Deutschen Lehrervereins (DLV) in den NSLB im Juni 1933 konstatierte er: „Sie haben den Fahneneid auf das Hakenkreuzbanner ... abgelegt mit Ihrer Unterschrift. Das läßt Sie in Ihrem Leben nie mehr los. ...Und wer ... es wagen würde, dieser wundervollen Einigung Abbruch zu tun, oder auch nur dagegen anrennen zu wollen, oder auch nur den Versuch zu machen – glauben Sie mir, der wird vom Volk dafür gerichtet. Die Art der Durchführung dieses Richterspruches überlassen Sie ruhig der Brutalität des Nationalsozialismus ...“ (Christian Zentner/Friedemann Bedürftig (Hrsg.): Das Große Lexi- kon des Dritten Reiches, München 1985, S. 410; Heinemann, S. 336). 40 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler. N 53 – 94. Schreiben des Franzheinrich N. am 24.4.1947 an Gene- ralstaatsanwalt Dr. Thomas Dehler, Bamberg; Mitteilungen des Bayerischen Lehrervereins, München, 1947, Nr. 7/8, S. 11. Von 1933 bis 1945 wurden Oberfranken und die Oberpfalz um Bayreuth als Bayerische Ost- mark bezeichnet, doch hatte dieser Name keine historische Grundlage. (Rössler/Franz: Sachwörterbuch der deutschen Geschichte Bd. 2, S. 874 f.). Wenn ein Beamter erklärte, parteilos bleiben zu wollen, hieß es: „Wir sind keine politische Partei, wir sind die staatserhaltende Bewegung.“ (ADL Gummersbach. NL Thomas Deh- ler, N1 – 918. Betr.: Notlage der entfernten Beamten, 15.1.1948. War ein Lehrer nicht Mitglied im NSLB, wurde an seinem „Willen zur Staatsbejahung“ gezweifelt. Und um ihn zu erzeugen, sollte der Lehrer alljähr- lich eine wehr- und nationalpolitische „Überholung“ mitmachen. Das Ideal war „ein hartes Erzieherge- schlecht“. (Heinemann, Der Lehrer, S. 336 ff; StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Bericht über die Tagung der Bayerischen Unterrichtsverwaltung am 15.2.1940 mit Vertretern des Volks- und höheren Schulwesens, in Nürnberg).

111 Zugehörigkeit zur NSDAP oder angeschlossener Organisationen. Daher wirkt ihre Eintei- lung als Nazi oder Nicht-Nazi nach dem Datum ihres Parteieintritts höchst schematisch. Sie widersprach dem Anspruch einer gerechten Beurteilung. Das subjektive Gefühl man- cher Lehrer, „falsch“ eingeordnet worden zu sein, führte in ihren Augen und den Augen einer breiteren Öffentlichkeit zur Diskreditierung der Entnazifizierungsverfahren. Ebenso angreifbar erschien den Zeitgenossen die von den Amerikanern prakti- zierte Methode, einen Nazi zu entlarven anhand der von ihm innegehabten Ämter in der Partei oder angeschlossenen Organisationen. Hier hatten die Beamten, vor allem die Lehrer in den Landgemeinden, besonders schlechte Karten. Schon von jeher, so argu- mentierten ihre Fürsprecher, „nach der Gepflogenheit eines 100jährigen Herkommens von staatlichen und gemeindlichen Behörden“, wurden dem Lehrer viele kleine und große Ämter und Verpflichtungen aufgehalst.41 Das hatte sich in den Jahren zwischen 1933 und 1945 gehäuft, als viele neue Posten und Pöstchen geschaffen worden waren und sich die Lehrer zu ihrer Verbitterung ständig neuen Anforderungen von Bürgermeistern, Ortsgruppenleitern oder Ortsbauernführern ausgesetzt sahen. Im Jahre 1940 bezeich- nete z.B. Schulrat Kaeser aus Gunzenhausen die Arbeit an den Landschulen „zur Zeit gräßlich“.42 Mangels anderer Kräfte mußte der Lehrer den „alleinigen Parteikuli spie- len“43. Es schien wohl ungeheuer schwierig, wenn nicht gar unmöglich gewesen zu sein, sich den Ansprüchen der Behörden zu entziehen. „‘Sie sind Beamter, Sie müssen für den Führer etwas Besonderes tun, deshalb müssen Sie wenigstens als Blockleiter die Gelder kassieren!‘ Gab es dagegen einen Widerspruch? Hinter dem ‚Sie sind Beamter‘ stand doch, ausgesprochen oder nicht, die Drohung: ‚Noch sind Sie es ...‘“.44 Der Druck zur Übernahme eines Parteiamtes wurde ferner auch ausgeübt, weil der Lehrer auf dem flachen Land neben Bürgermeister und Pfarrer nicht selten der einzige war, der wegen seiner Schreib- und Redefähigkeit dazu in der Lage war.45 Außerdem gab es natürlich auch damals die landläufige Meinung, daß „Lehrer nicht viel zu arbeiten und also Zeit für solche Ämter hätten“.46 Nicht als gering einschätzen darf man zudem die Einstel- lung der Lehrer, die stets willig waren, über den Schulunterricht hinaus „selbstlos“ am Gemeinwesen mitzuarbeiten.47 Und es gab auch Lehrer, die die ungeliebten Ämter übernahmen, „um Kinder und Einrichtungen gegen unerwünschten direkten NS-Ein- griff abzuschirmen oder um Einblicke zu verhindern“.48 All diese Begründungen vermochten die Amerikaner aber nicht davon abzuhalten, eine große Anzahl von belasteten Lehrern, häufig Ortsgruppenleiter oder kommissari- sche oder stellvertretende Ortsgruppenleiter, in Lagern festzuhalten.49 Es hatten sich die Lehrer auch den vielen zusätzlichen Aufgaben nicht entziehen können, den Altwaren- und Heilkräutersammlungen, dem Verkauf von Abzeichen für das Winterhilfswerk, den Haus- und Straßensammlungen.50 Sie aber deswegen als Amtsträger zu bezeichnen,

41 Mitteilungen des Bayerischen Lehrervereins, Januar/Februar 1948, S. 4. 42 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Bericht über die Tagung der Bayerischen Unter- richtsverwaltung am 15.2.1940 in Nürnberg, mit Vertretern des Volks- und höheren Schulwesens. 43 ACSP München. NL Müller, 27.1. Bericht vom Pädagogischen Kongreß der CSU in Rothenburg, 13.- 17.8.1947. Referent Kiener, Cham. 44 Knappstein, S. 669. 45 Niethammer, Die Entnazifizierung, S. 186. 46 Die Neue Zeitung, 3. Jg. vom 25.4.1947, S. 7; vgl. dazu Müller, S. 76 f; vgl. dazu Dannhäuser, S. 151 f, 212 f, 215. 47 Franz Xaver Hartmann: Nationalsozialismus und Bayerischer Lehrerverein. Beilage zur „Bayerischen Schule“, o.D., o.J., S. 8. 48 Ebda. 49 Amtsblatt der Militärregierung und des Landrats für den Landkreis Ansbach Nr. 16 vom 28.6.1947, S. 111 f. 50 Heimatbuch Treuchtlingen. Herausgegeben vom Heimat- und Bäderverein Treuchtlingen e. V., Treuchtlingen 1984, S. 268.

112 erschien den Zeitgenossen als ungerecht, zumal sofort nach Kriegsende wiederum die Lehrer, und wieder verstärkt auf dem flachen Land, zu Diensten herangezogen wurden, z.B. als Helfer bei der „Bodenbenutzungserhebung“ 1946, wo sie „sich in jeder ... geeigneten Weise nachdrücklichst dafür (einsetzen sollten), daß im Bereich ihrer zustän- digen Gemeinde ein einwandfreies Ergebnis erzielt wird“.51 Auch die altbekannten Nebentätigkeiten, wie z.B. das Sammeln von Heilkräutern und Bucheckern, oder neu hinzugekommene, wie die Suche nach Tannenzapfen für die Beheizung der Schulräume oder nach Kartoffelkäfern („unter Führung ihres Lehrers“!) sowie die Ausgabe von Schulspeisung und die von den Eltern eifersüchtig beobachtete Verteilung gespendeter Schuhe und Kleidungsstücke gehörten wieder wie selbstverständlich zum Aufgabenbereich der Lehrer.52 Und es mutet schon seltsam an, wenn einerseits in einer öffentlichen Sit- zung des bayerischen Landtags Lehrer mit Wetterfahnen verglichen wurden, anderer- seits im Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen aus dem Jahr 1950 zu lesen war: „Die wesentlichen Verhältnisse, Bedürfnisse und Probleme der Zeit bestimmen Inhalt und Form der Schule mit.“53 Verständlich wird daher eine Einschätzung aus der Nach- kriegszeit, daß sich ein Lehrer in einer „gefährliche(n) und tragische(n) Situation“ befin- de, da er zugleich „Treuhänder der Eltern und des Staates“ sei und daß darin das „tiefe Leid“ dieses Berufes zu sehen sei.54 Mit Recht forderte der Verfasser damals vom Staat Schutz „dieser soziologisch komplizierten und daher so empfindlichen Funktion“.55 Gerade die Volksschullehrer auf dem Land befanden sich während der Nazi-Zeit in die- ser tragischen Situation, und der Hinweis, „daß unter der Gesamtlehrerschaft die Lehrer der höheren Schulen bei weitem nicht am schlechtesten abschneiden“56 bei der Betrachtung ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit, mochte zwar den Tatsachen entsprechen, jedoch hatten sich diese Lehrer sehr viel leichter den Anfechtungen entzie- hen können. Unbeeindruckt von dieser Diskussion hielt die amerikanische Militärregierung daran fest, beim geplanten Aufbau eines demokratischen Erziehungssystems in Deutschland den Lehrern ihre erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Anhand der Altersstruktur57 konnten sie feststellen, daß ein Großteil von denen, die weiterhin im Dienst bleiben durften, bereits während des Dritten Reiches unterrichtet hatte und daß die neugewonnenen oder noch zu gewinnenden jungen Leute durch die Staatsjugend, also HJ und BDM, geprägt waren. Beide Möglichkeiten setzten nicht unbedingt voraus, daß nun die engagiertesten Befürworter der Demokratie ans Werk gingen. Hier sollten Umerzie- hungsmaßnahmen greifen. Diejenigen aber, die aufgrund ihrer Aktivität in den vergan- genen zwölf Jahren nicht mehr tragbar schienen, traf nicht nur das ganze Ausmaß des Entnazifizierungsprozesses; sie mußten sich außerdem mit der spezifischen bayerischen Ver- fahrensweise bei ihrer angestrebten Wiedereinstellung auseinandersetzen, wie noch dargestellt werden wird.

51 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4516. Schreiben der Regierung in Ansbach an alle Landräte und Oberbürgermeister, z.Hd. der Schulräte am 23.5.1946; Amtsblatt der Militärregierung und des Landrats für den Landkreis Ansbach Nr. 31 vom 28.5.1946, S. 331, Nr. 1049 a 69. An die Herren Bürgermei- ster. Betr.: Mitwirkung der Lehrerschaft bei der Bodenbenutzungserhebung 1946. 52 Fränkische Landeszeitung 1. Jg. Nr. 26 vom 20. Juli 1946, S. 7; Bericht von Frau Wilhelmine Hofmann. 53 Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen. Wallenburg-Stiftung Kempfenhausen. Bad Heilbrunn 1950, S. 18. 54 Erich Hermann: Der Lehrer in der neuen Schule. In: Die neue Volksschule. Wallenberg-Stiftung Kempfenhau- sen. München 1950, S. 172 f und 176 f. 55 Ebda., S. 176. 56 Schnippenkötter, S. 5. 57 53 % der Lehrer waren 1945 über 38 Jahre alt. (Glaser, S. 151).

113 1.3.2. Vorgehen im Anschluß an das Befreiungsgesetz vom 5. März 1946

Wie bereits mehrfach erwähnt, gab es mit dem Einmarsch der Amerikaner die ersten „automatischen“ Entlassungen, die aufgrund vorhandener Listen oder des ersten Meldebogens ausgesprochen wurden und die Wiedereröffnung der Schulen erschwerten bzw. den Unterricht auf ein Minimum beschränkten. Teilweise waren die Suspendierungen natürlich erwartet worden, wie in den Fällen der aktiven Partei- mitglieder, die z.B. an den Hauptschulen unterrichtet hatten.1 So gab es in Nürnberg laut Bericht des Stadtschulamtes vom 5. Dezember 1945 keinen Hauptschullehrer, der von der Militärregierung für den weiteren Dienst genehmigt worden wäre.2 Teilweise kamen die Amtsenthebungen aber auch ziemlich überraschend, zu den unterschied- lichsten Zeitpunkten und für manche Schulbehörden ganz unerwartet insofern, als man sich einer besonders intensiven Zusammenarbeit mit der amerikanischen Militärregierung gerühmt3 und davon möglicherweise den Anspruch abgeleitet hatte, ins Vertrauen gezogen zu werden. Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus mußten sich die Lehrer dem gleichen Spruchkammerverfahren unter- werfen, wie es auch für die anderen Berufsgruppen – ausgenommen Geistliche – galt. Zwar sprach sich im Herbst 1946 die amerikanische Erziehungskommission angesichts der Unterrichtsmisere dafür aus, daß die Länderministerien ermächtigt werden sollten, diejenigen Lehrer zu überprüfen, deren Entlassung nicht zwangsläufig gewesen war, und davon alle, die politisch „am wenigsten ungeeignet und beruflich besonders tüchtig“ seien, sofort probeweise anzustellen. Während einer Bewährungsfrist sollten Fortbildungslehrgänge die politische Einstellung der Kandi- daten in die richtigen Bahnen lenken. General Clay allerdings hegte ernste Bedenken gegen diese Empfehlung, da besonders im Bereich der Erziehung höchste Anforde- rungen gestellt werden müßten und schärfstens gesiebt werden müsse, bis ein „neues Geschlecht von Berufserziehern“ herangereift sei.4 Von deutscher Seite erhob sich die Frage, warum die Spruchkammern nicht die Lehrer, so wie die Geistlichen, bevorzugt behandeln könnten, um diejenigen, die voraussichtlich als Mitläufer ein- gestuft würden, nach erfolgter Sühneleistung rasch wieder in ihren Beruf einzuglie- dern. Die verheerende Situation an den Schulen könne so erleichtert werden.5 Dieser Vorschlag wurde nicht aufgegriffen; die Entnazifizierung der Lehrer durch die

1 siehe S. 107 ff. 2 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4452. Schreiben des Stadtschulamts der Stadt Nürn- berg am 5.12.1945 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. Betreff: Stand der Hauptschulen. RE. vom 16.11.45 Nr. 750 a 14; ME. v. 10.11.45 Nr. IV 292 19. 3 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Schreiben des Schulrats des Landkreises Eber- mannstadt am 6.12.1945 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. Betreff: Monatsbericht über den Schul- betrieb im Schulaufsichtsbezirk Ebermannstadt (Landkreis), 20.9.-30.11.45. 4 BayHStA München. MK 53201. Entwurf des Amtes der Militärregierung für Deutschland (U.S.). Amt des Militärgouverneurs APO 742. Stellungnahme zum Bericht der U.S. Erziehungskommission für Deutschland, Zook-Kommission, an Generalmajor O.P. Echols, Abteilg. f. Zivilangelegenheiten, Kriegsministerium, Was- hington D.C. (Director, Civil Affairs Division); unterzeichnet Lucius D. Clay, stellvertr. Militärgouverneur, S. 45; vgl. dazu Huelsz, S. 114 f. 5 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 57 vom 6.11.1946, S. 5.

114 Spruchkammern nahm, wie bei allen anderen Beamten, ihren gesetzlichen Gang. Man machte sich auf Tagungen mit dem Wortlaut des Gesetzes vertraut.6 Daß die Militärregierung sich die Kontrolle über die Spruchkammerurteile vorbehielt, belegen die Schreiben an den Regierungspräsidenten von Ober- und Mittelfranken, in denen „vorläufige Ernennungen“ oder „zwingende Entlassungen“ von Volks- schullehrern ausgesprochen wurden, wobei in letzteren Fällen gleich mit angegeben wurde, daß die Entlassung im Personalakt vermerkt werden müsse und dabei anzu- geben sei, daß sie wegen früherer Verbindungen zu Parteiorganisationen erfolge. Der Entlassene dürfe „in amtlicher Eigenschaft nicht mehr verwendet“ oder in irgendeiner Weise in der Verwaltung beschäftigt werden. Auch Vollzugsmeldung wurde verlangt.7 Dafür war ein Formblatt vorgesehen, das z.B. in Nürnberg zu Händen des Offiziers für das Erziehungswesen zu leiten war, unterschrieben vom Regierungs- präsidenten (in diesem Bereich Schregle). Der entscheidende, lapidare passus lautete: „Amtshandlung vorgenommen durch ...“ Hier war der Beamte mit Titel zu nennen.8 Daß Lehrkräfte nach Inkrafttreten des Gesetzes vom 5. März 1946, wenn sie unter die „zwingenden Entlassungen“ fielen, keine Chance zur Weiterbeschäftigung hat- ten, war selbstverständlich, da die einzige Möglichkeit eines Verbleibens am Arbeitsplatz die Tätigkeit in „gewöhnlicher Arbeit“ gewesen wäre. Und so konnte man Unter- richt nicht einstufen. Jeder Zweifel darüber wurde durch amtliche Verlautbarung behoben.9 Am 3. Mai 1946 erging eine Anweisung des Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner an alle Stellen des öffentlichen Dienstes, die die Durchführung von Art. 58 und 59 des Gesetzes bei Angehörigen des öffentlichen Dienstes betraf, also noch einmal die Frage um den Verbleib im Amt bei einer Tätigkeit, die mehr war als „gewöhnliche Arbeit“.10 Es sollten Übersichtslisten angefertigt werden über die in höherer als gewöhnlicher Arbeit beschäftigten Beamten und Angestellten. Gefragt waren dabei Personen, „für die ein Fragebogen noch bei keiner Stelle der Militärre- gierung eingereicht wurde“, und Personen, „für die der Fragebogen zwar einge- reicht aber bisher von der Militärregierung noch nicht schriftlich verbeschieden

6 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Schreiben 1075 b2 der Regierung von Ober- franken und Mittelfranken am 11.3.1946 an alle Schulräte der Stadt- und Bezirksschulämter. Betreff: Schul- ratstagung am 20.3.46 in Nürnberg. Tagesordnung: 1. Entnazifizierungsgesetz. 7 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 6451. Schreiben der Militärregierung für Bayern APO 170, AG 014.311-MGBAE am 23.5.1946 an den Bayerischen Ministerpräsidenten, München, z.Hd. des Regie- rungspräsidenten von Oberfranken/Mittelfranken; ebda., Militärregierung für Bayern AG 210.- MGBAE am 15.5.1946 an denselben Adressaten. Gezeichnet waren die Schreiben von Robert A. Reese, Oberstltn., Chef der Abteilung für Inneres und Nachrichten. 8 Ebda., Nr. 4637. Schreiben der Dienststelle der Militärregierung Nürnberg, CHA/JCT/rjl, am 20.11.1947, an den Regierungspräsidenten, Regierungsbezirk Ober- und Mittelfranken, Ansbach, Bayern. 9 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München, 12.9.1946, Nr. 9, S. 143. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 30.8.46 Nr. B 70502. 10 Artikel 63 des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus definierte „gewöhnliche Arbeit“: „... eine Tätigkeit in gelernter oder ungelernter Arbeit oder als Angestellter in einer Stellung von untergeordneter Bedeutung, in der der Beschäftigte nicht irgendwie in aufsichtsführender, leitender oder organisierender Weise tätig wird oder an der Einstellung oder Entlassung von Personal und an der sonstigen Personalpolitik beteiligt ist.“ (Amtsblatt des Land- und Stadtkreises Coburg, Nr. 11 vom 8. März 1946, S. 131). Auch die tarifliche Einstufung und die Höhe der Entlohnung wurden herangezogen, um festzustellen, wer in mehr als gewöhnlicher Arbeit tätig war. Als kritische Grenze sah man ein Monatseinkommen von 250 bis 300 RM. (Amtsblatt des Land- und Stadtkreises Coburg, Nr. 21 vom 15.12 1945, S. 234).

115 wurde“. Es wurde auf rasche Erledigung dieser Anweisung gedrungen, damit die Militärregierung die eingereichten Listen „sofort mit ihren Special-branch-Akten ... vergleichen und das Ergebnis den ... deutschen Stellen“ mitteilen könne. Schnell mußte das alles geschehen, da nur bei Einhalten des Termins von der Militärregie- rung die Erledigung der noch ausstehenden Genehmigungen bis 31. Mai 1946 erwartet werden könne. Merkwürdigerweise mußten die Listen mit den Übersichten „oben auf der ersten Seite in großer roter Blockschrift“ die Bezeichnung „Operation Zebra“ tragen.11 Vielleicht war das ein Hinweis, daß es sich hier um die Unterschei- dung von weiß und schwarz, also von gut und böse, handelte, daß Zwischenstufen nicht gewünscht waren, daß Eindeutigkeit gefragt war. Die Schulen und Schulämter, die die Listen einreichten, konnten für ihre Lehrer höchstens eine beschleunigte Abwicklung des Genehmigungsverfahrens erreichen. Außergewöhnliche Genehmi- gungen für widerrufliche Weiterbeschäftigung gab es für Lehrer sicherlich nicht, denn die wurden nur ausgesprochen, wenn sie „wegen der Spezialkenntnisse des Betroffenen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Gesundheit oder Sicherheit unbedingt erforderlich“ waren.12 Und diese Prämisse war für Lehrer nicht gegeben bzw. wurde von der Militärregierung für Lehrer abgelehnt.13 Im übrigen waren nun alle gezwungen, ihre Fragebogen abzugeben. Nach Inkrafttreten des Befreiungsgesetzes – im Regierungsbezirk Oberfran- ken und Mittelfranken laut RE. Nr. 1153 b 98 am 6. Mai 194614 – bildeten sich bei verschiedenen Behörden, z.B. bei Eisenbahn- und Postverwaltung und im Arbeitsgebiet des Kultusministeriums Fachausschüsse, die für die Verfahren gegen Angehörige ihres Verwaltungszweiges Material sammelten, das der Arbeit in den Spruchkam- mern dienlich sein sollte. Laut Bericht des Zeitzeugen Alfred Angermeyer hatte Wil- helm Baumann, BLV-Mitglied und Mitarbeiter im Kultusministerium, die Einführung der sog. Vorprüfungsausschüsse „zur Entschärfung von Härten“ im Kultusministeri- um zuwege gebracht.15 Vorsitzende der Ausschüsse im Bereich dieses Ministeriums waren häufig Schulräte, die bei Arbeitstagungen auch mit dieser Aufgabe vertraut gemacht wurden.16 Betroffene konnten zur persönlichen Befragung einberufen wer- den, oder es wurde in ihrer Abwesenheit verhandelt.17 Offensichtlich differierten jedoch die Auffassungen über die Aufgaben der Vorprüfungsausschüsse. Denn während der Amtliche Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Ober- und Mittelfran- ken von „Gutachten“ der Ausschüsse sprach,18 sah sich das Staatsministerium für

11 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 6415. Anweisung des Ministerpräsidenten vom 3. Mai 1946, Nr. 1022 ab 30. 12 Amtsblatt des Land- und Stadtkreises Coburg, Nr. 11 vom 8.3.1946, S. 131. 13 BayStA München. MK 53201. Entwurf des Amtes der Militärregierung für Deutschland (U.S.). Amt des Militär- gouverneurs APO 742. Stellungnahme zum Bericht der U.S. Erziehungskommission für Deutschland, Zook- Kommission, an Generalmajor O. P. Echols, Abteilg. f. Zivilangelegenheiten, Kriegsministerium, Washington D. C.; unterzeichnet von Lucius D. Clay, stellvertr. Militärgouverneur. 14 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Schreiben der Regierung von Oberfranken und Mittelfranken Nr. 1075 b 9 am 13.8.1946 an das Bezirksschulamt Lauf. Betr.: Vorprüfungsausschüsse. 15 Dannhäuser, S. 223. 16 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Schreiben der Regierung von Oberfranken und Mittelfranken Nr. 1075 b 5 am 5.7.1946 an alle Schulämter. 17 Dannhäuser, S. 223. 18 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach, 14. Jg. Nr. 5 vom 1.11.1946, s. 2. RE. v. 14.10.1946 Nr. 1153 b 284 über Gutachten und Spruchkammerentscheide.

116 Sonderaufgaben am 12. August 1946 genötigt, eine „Verordnung betr. Neurege- lung der Mitarbeit von fachlichen Berufsausschüssen bei der Vorbereitung von Spruchkammerverfahren“ in seinem Mitteilungsblatt zu veröffentlichen. Darin hieß es, daß die Erfahrung gelehrt habe, daß diese Ausschüsse als „ausgesprochene Ver- tretung von Standesinteressen“ zu betrachten seien und also „vollständig außerhalb der Einrichtungen des Staatsministeriums für Sonderaufgaben zur Durchführung des genannten Gesetzes“ stünden. Um die Unabhängigkeit der Rechtsprechung bei den Spruchkammern zu wahren, wurde verordnet, daß die Tätigkeit der Ausschüsse auf das Sammeln von Tatsachenmaterial zu beschränken sei, um ein klares Bild über das politische Verhalten des Betroffenen zu gewinnen. Jegliche Anregung über Einrei- hung in eine bestimmte Gruppe oder aufzuerlegende Sühnemaßnahmen müsse unterlassen werden, ebenso eine berufliche Würdigung.19 Die Verordnung wurde zu Recht erlassen, da die aufgefundenen „Gutachten“ der Vorprüfungsausschüsse für die Entnazifizierung im Bereich des Kultusministeriums Empfehlungen wie folgt aus- sprachen: „Einreihung in die Gruppe der Entlasteten“, „Einreihung in Gruppe 4“, „Sühnemaßnahmen: 400 M (Gehaltsverlust und kränklich)“, Einreihung „in die Gruppe der Mitläufer“, „ein hervorragend qualifizierter christlich gesinnter Lehrer“ ...20 Als „nützliche Einrichtung“ bezeichnete ein damaliger Lehrer die Ausschüsse, da vorsitzender Schulrat und beratende Lehrer von vornherein Sorge trugen, „einem Entlassenen den Marsch durch die Spruchkammer zu erleichtern“.21

1.3.3. Die persönliche Situation der Betroffenen

Das Los der entlassenen Lehrer war außerordentlich schwierig. Sie hatten über- haupt keine Möglichkeit, in ihrem alten Beruf irgendwie tätig zu werden, was anderen Beamten eher gelingen konnte. Angehörige des Verwaltungsdienstes z.B. fanden in „gewöhnlicher Arbeit“ als Boten bei einem Unternehmen eine Anstellung und erle- digten „diskret die komplizierte Behördenkorrespondenz“.1 Aber keiner der Entlas- senen hatte die Chance, im öffentlichen Dienst tätig zu sein, nachdem die amerika- nische Militärregierung schon im Herbst 1945 eine strikte Anweisung „über das Ver- bot der Weiterbeschäftigung entlassener Beamter“ herausgegeben hatte. Demnach mußten angeordnete Entlassungen innerhalb einer befohlenen Frist, in der Regel sie- ben Tage, vollzogen werden, und die „Überschreitung dieser Frist auch nur um einen Tag“ war unzulässig. Entlassene Beamten durften „unter keinen Umständen, auch nicht unentgeltlich oder als ungelernte Arbeiter gegen Stundenlohn, weiter beschäf- tigt werden“. Das Betreten ihres Dienstgebäudes war ihnen verboten.2

19 Mitteilungsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Sonderaufgaben, 1. Jg. Nr. 3 vom 16.8.1946, S. 10. 20 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 6607. Schreiben des Vorprüfungsausschusses für den Geschäftsbereich des Staatsministeriums für Unterricht und Erziehung des Bezirks Scheinfeld am 2.7.46 an den öffentlichen Kläger der Spruchkammer des Bezirks Scheinfeld; ebda., Vorprüfungsausschuß für die Ent- nazifizierung im Bereich des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Landkreis Naila, am 4.7.46 an die Spruchkammer des Landkreises Naila; BayHStA München. MK 53203. Vorprüfungsausschuß ... am 15.9.46 an die Spruchkammer in Neuburg a. D. Hier fügte der Ausschuß noch die Bewertung „überzeugend“ hinzu. 21 Dannhäuser, S. 223. 1 Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 116. 2 Amtsblatt der Militärregierung und des Landrats für den Landkreis Ansbach, Nr. 9 vom 9. Nov. 1945, S. 80; Amtsblatt des Land- und Stadtkreises Coburg, Nr. 15 vom 3.11.1945, S. 159; Bungenstab stellt dazu fest, daß in manchen Bereichen, „vor allem in der öffentlichen Versorgung, Nationalsozialisten wegen ihrer Fach- kenntnisse in ihren Ämtern belassen wurden“. (Bungenstab, S. 73).

117 Die Zielsetzung der Amerikaner, die demokratische Beeinflussung der Jugend, veranlaßte sie zur rigorosen Ausschaltung belasteter Lehrer, und hier ließen sie sich auf keinen Kompromiß ein. Und während ein Handwerker oder der Inhaber eines kleinen Betriebes nach Abgabe seines Fragebogens den Tag des Spruchkam- merentscheids arbeitend und Geld verdienend abwartete, standen die Lehrer zunächst einmal unter einem Berufsverbot, hatten daher nur eine begrenzte Mög- lichkeit, durch Hilfsarbeiten ihre Familie zu versorgen und wußten auch nicht, wie sich nach dem Spruchkammerurteil ihr Leben weitergestalten würde.3 Schon die Zeitgenossen stellten fest, daß das Beschäftigungsverbot „für die an ihrem Beruf hängenden Deutschen“ eine „staats- und besatzungsfeindliche ‚Partei der Mitläu- fer‘“ und die „geistige Renazifizierung“ gebracht habe,4 daß eine „Welle der Ableh- nung“ gegen alles, „was Politik oder Demokratie oder Regierung oder Besatzung heißt“, entstanden sei und daß bei den Spruchkammerverfahren – sei es aus Rache, sei es aus Not – die Belastungszeugen auf der Lauer lägen, um Konkurrenten abzu- schießen, „Lehrer gegen Lehrer ... Universitätsprofessoren gegen Universitätsprofesso- ren ...“.5 In den Berichten der Bürgermeister, die sie zunächst monatlich, später in größeren Abständen an die amerikanische Militärregierung zu geben hatten, wurde ebenfalls die Beunruhigung „unter der Erzieherschaft“ mitgeteilt, die damit begründet wurde, daß die des Amtes Enthobenen „sehnlichst eine baldige Entscheidung über ihr Schicksal“ erhofften und daß die Ersatzlehrkräfte enttäuscht darüber seien, daß sie nicht übernommen würden und keine Pensionsansprüche hätten.6 Die Erbitte- rung bei den des Amtes enthobenen Lehrern wuchs, je länger der Zustand des Beschäftigungsverbots andauerte, und es mußte den Betroffenen als Hohn erschei- nen, wenn der bayerische Staatsminister für Sonderaufgaben das Befreiungsgesetz als die Voraussetzung für eine „allgemeine Atmosphäre der Rechtssicherheit“ anpries, geeignet, „viele Unklarheiten und auch den Anlaß zu mancher tiefen Unruhe“ zu beseitigen; denn jetzt wüßte jeder einzelne, „womit er zu rechnen“ habe.7 Das wußte man eben nicht und ließ nichts unversucht, diese beschämende, für viele von der Angst vor Statusverlust und drohendem Absinken gekennzeichnete Situation8 zu ändern, auch wenn man dabei Verbote der Militärregierung mißachtete, die z.B. Gesuche um Weiterverwendung trotz Entlassung strikt untersagte bzw. vom Regie- rungspräsidenten in Ansbach untersagen ließ.9 Übrigens sprach auch der 1946 wie- dergegründete Bayerische Lehrerverein von Willkür, schreiender Ungerechtigkeit, Ungleichheit vor dem Gesetz und unzulässiger Sippenhaftung, da Strafe und Sühne direkt auch die Angehörigen träfen.10

3 Woller, Gesellschaft, S. 119; ACSP München. NL Müller 252. Darstellung „Die Beamten und die NSDAP“ eines Münchner Amtsrats an Dr. Müller, 15.7.1946. 4 Knappstein, S. 671 f. 5 Ebda., S. 672 f. 6 Woller, Zur Demokratiebereitschaft, S. 347. Er zitiert aus den Berichten des Oberbürgermeisters von Ansbach Ernst Körner. 7 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler N 1 – 338. Mitteilungsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Sonderaufgaben 1. Jg. Nr. 1/2 vom 8.8.1946, S. 2. 8 Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 116. 9 Amtsblatt des Land- und Stadtkreises Coburg, Nr. 13 vom 22.3.1946, S. 162. 10 Mitteilungen des Bayerischen Lehrervereins, München 1947, Nr. 7/8, S. 12 f.

118 Mit fortschreitender Entnazifizierung der Lehrer verstärkte sich der Eindruck der Ungerechtigkeit, wie dem Bericht der Regierung von Oberfranken und Mittelf- ranken aus dem Jahr 1948 zu entnehmen ist: „Bei der Durchführung der Entnazifi- zierung wurde die Wahrnehmung gemacht, daß die in letzter Zeit ergangenen Spruchkammerentscheide gegenüber denen der früheren Jahre bedeutend günstiger sind.“11 Unterstützung, die darauf abzielte, den entlassenen Lehrern möglichst schnell wieder den Weg zurück in den Beruf zu ebnen, kam von etlichen Seiten. Wiederholt forderte die evangelische Kirche, das Berufsverbot für Lehrer aufzuhe- ben, da ein Berufswechsel nicht möglich sei und die Gefahr eines neuen Massenpro- letariats, das sich mehrheitlich als unschuldiges Opfer fühle, das Land erschüttern könne.12 Auf dem pädagogischen Kongreß der CSU in Rothenburg im Jahr 1947 sprach man vom Befreiungsgesetz als einer in der Praxis durchgeführten „scharfe(n) Leh- rerverfolgung“.13 Auch die Stimme aus dem Volke fehlte nicht, die das Problem der Beamten bzw. Lehrer thematisierte. Unter der Überschrift „Ansbacher Moritaten“, abgedruckt in der Fränkischen Landeszeitung am 8. März 1947, parlierten „Hanni und Gerch“ im schönsten Fränkisch: „... Wenn aaner scho amoel entnazifiert is, dann soll er aa sei Ruh hoom – obber wie is des bei die Beamtn: die senn in der Beziehung ganz iebl droh. Mancha senn scho fast zwaa Joehr ohna Schdellung und Verdienst ... In d e r Beziehung gschicht meiner Meinung noech a Unrecht – denn des is mit zweierlei Moeß gmessn. Debei hat mer grood die Beamtn und die Lehrer am leichtestn zur Bardei zwinga kenna. Es is oft tatsächli a Wunder, daß si trotzdem mancha so durchschlengln homm kenna. – Also do is nach mein Derfierhaltn a großer Fehler im Entnazifizierungsgesetz und es wär scho im Interesse der Demokra- tie guet, wenn in der Beziehung is Gesetz a Änderung erfoehrn dät ...“14 In der Tat war das finanzielle Problem besonders gravierend, auch für pensio- nierte Lehrer. Die Anordnung, sich jeder weiteren dienstlichen Tätigkeit an der „Anstalt“ zu enthalten, beinhaltete auch die Anweisung an die Regierungshauptkas- se, die Auszahlung der Bezüge einzustellen.15 Die Dienstanweisung des bayerischen Ministerpräsidenten vom 1. Dezember 1945 lautete: „Alle(n) Beamte(n), die von der Militärregierung entlassen sind, darf kein Gehalt, Wartegeld, Ruhegehalt oder Hin- terbliebenenversorgung ausbezahlt werden.“16 Es durften auch Beamte, die so schwer belastet waren, daß mit ihrer Entlassung zu rechnen war, nicht bis zur Ent- scheidung über ihre weitere Verwendung in den Ruhestand oder auf Wartegeld versetzt werden.17 Anscheinend fiel die Durchführung dieser Verordnung nicht zur Zufrieden- heit aus, da man sich von höchster Stelle veranlaßt sah, noch einmal nachzuhaken,

11 BayHStA München. MK 61319. Bericht der Regierung von Oberfranken und Mittelfranken am 8.7.1948 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Stand des Volksschulwesens. 12 Niethammer, Die Entnazifizierung, S. 495. Er nennt die Denkschrift Bischof Wurms vom 21.4.1947 an Militär- regierung, Länderregierungen und Länderrat und die Erklärung der evangelischen Kirchenleitungen der US- Zone vom 6.2.1948, die Bischof Meiser am 16.2.1948 an van Wagoner, Direktor der Militärregierung für Bay- ern, überreichte. 13 ACSP München. NL Müller 27. 1. Bericht vom Pädagogischen Kongreß der CSU vom 13.-17.8.1947 in Rothenburg o.T. 14 Fränkische Landeszeitung, 2. Jg. Nr. 20 vom 8.3.1947, S. 5. 15 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 6607. Der Bayerische Staatsminister für Unterricht und Kultus am 13.2.1946 an Frau Marta W., Neustadt/Aisch; ebda. am 24.6.1946 an Johann Gg.L., Leutzdorf b. Gößweinstein. 16 Amtsblatt der Militärregierung und des Landrats für den Landkreis Ansbach, Nr. 3 vom 10.1.1946, S. 35. 17 Ebda.

119 als „gerüchteweise“ verlautete, daß entlassene Beamte weiterhin bezahlt wurden. Zuwiderhandelnde wurden mit einem Militärgerichtsverfahren bedroht.18 Besonders schwierig war die Situation der älteren und nicht mehr arbeitsfähi- gen Betroffenen. Die Militärregierung hatte Ende 1945 verfügt, daß sämtliche Pen- sionszahlungen gesperrt würden, bis der Empfänger politisch überprüft war. Wurden die Fragebogen als in Ordnung befunden, so wurden die einbehaltenen Beträge nachbezahlt.19 Die Sperre wurde durch eine Verfügung der Militärregierung für Bayern am 2. Mai 1946 gelockert, dergestalt, daß Pensionen an diejenigen wieder gezahlt wurden, die „nach Feststellung der eingerichteten Überprüfungsausschüsse für Pen- sionisten“ nicht in die Klassen I oder II eingereiht werden mußten.20 Die Versor- gungsansprüche von Hauptschuldigen oder Belasteten erloschen, und auch die Hin- terbliebenenversorgung kam nicht zur Geltung, auch dann nicht, „wenn die Hin- terbliebenen weder Hauptschuldige noch Belastete“21 waren. Diese Regelungen führten in Einzelfällen zu besonderen Härten, und wenn auch der Regierungspräsi- dent in Ansbach offiziell bekanntgegeben hatte, daß für „übertriebene Sentimentalität“ gegenüber ehemaligen Nationalsozialisten „die Stunde nicht geeignet“ sei,22 so mußte in krassen Fällen durch Weiterzahlungen auf dem Gnadenwege die physische Existenz gesichert werden. Je länger sich die elende Lage hinzog, umso schwieriger und existenzbedro- hender wurde sie auch für die noch arbeitsfähigen Lehrer. Und daß sie sich hinzog, belegen Zahlen vom Dezember 1947. Zu diesem Zeitpunkt waren von den 1 815 518 als betroffen befundenen bayerischen Einwohnern 458 364 noch unerledigt, 23 506 Nichtbetroffene waren noch nicht verständigt und 4366 Meldebogen noch nicht sortiert. In den bayerischen Internierungslagern befanden sich 15 721 Perso- nen, von denen 6093 20 bis 40 Jahre, 9041 40 bis 60 Jahre alt waren, also Männer im berufsfähigen Alter. Bei den Berufungskammern gab es noch 20 415 schweben- de Verfahren.23 Bei den Lehrern an bayerischen Volksschulen, die durch die Spruch- kammern entnazifiziert und wieder eingestellt worden waren, nannte man am 31. Oktober 1947 eine Zahl von 5373 von insgesamt 20 589, wobei nichts über ihre Ein- reihung in die fünf möglichen Gruppen angegeben wurde.24 Die Hauptschwierigkeit war, folgt man den aufgefundenen Quellen, die „zermürbende Wartezeit“, die

18 StAN. Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, Nr. 259. Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 12.4.1946 an die dem Staatsministerium nachgeordneten Stellen und Behörden. Abschrift. Entschließung des Herrn Bayerischen Ministerpräsidenten vom 6.3.1946, Nr. 5765. 19 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken. 14. Jg. Nr. 5 vom 1.11.1946, S. 8. Bek. des Bayer. Staatsministeriums des Innern v. 8.2.1946 Nr. 5401 a 2 über Notstandsbei- hilfen und Unterstützungen. 20 ACSP München. NL Müller 251. Gesetzentwurf zur Regelung der Rechtsverhältnisse der vom Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus betroffenen Angehörigen des öffentlichen Dienstes und ihrer Hinterbliebenen ... 1950. 21 Ebda. Überblick über die versorgungsrechtlichen Verhältnisse der politisch belasteten Pensionisten. o.D. 22 Amtsblatt des Land- und Stadtkreises Coburg, Nr. 15 vom 3.11.1945, S. 159. Behandlung der ehemaligen Nationalsozialisten. 23 AdsD Bonn. SPD – LTF Bayern, Nr. 3. Fraktionsunterlagen 12/48. Stand der Entnazifizierungsarbeiten. 17.12.1947. 24 BayHStA München. MK 52543. Halbjährlicher Bericht für Schulwesen (Bayern). Zeitabschnitt des Berichts: 1.V.47 – 31.X.47.

120 finanziell und seelisch kaum zu bewältigen zu sein schien.25 Zwar hatte der bayeri- sche Ministerpräsident Hans Ehard in seiner Regierungserklärung am 16. Januar 1947 die Notwendigkeit betont, „die Bestimmungen für die Wiederverwendung von Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes den Bestimmungen für die Angehörigen des freien Wirtschaftslebens besser als bisher anzupassen“,26 aber besonders im Jahr 1948, dem Jahr der Währungsreform, wurden zahlreiche Einga- ben gemacht, die die prekäre Lage der Lehrer verdeutlichen. So schrieb ein Haupt- lehrer a.D. an Waldemar von Knoeringen, er sei längst als Mitläufer entnazifiziert, seit drei Jahren außer Dienst, habe mit seiner Frau bisher von Ersparnissen gelebt, stehe aber nun, nach der Währungsreform, vor dem Nichts und bitte um Hilfe.27 Besonders eindrucksvoll ist die Schilderung eines Lehrers, der an der einklassigen Volksschule in Azendorf, Kreis Kulmbach, tätig gewesen war. Er war Ortsgruppenlei- ter der Ortsgruppe Azendorf mit 21 Mitgliedern gewesen und aus der Kirche ausge- treten. 35 Monate hatte er in Internierungslagern verbracht, aus denen er 1948 ent- lassen worden war. Von der Spruchkammer als Mitläufer eingereiht, zahlte er 50 DM Sühne. Gesuche um Wiedereinstellung in den Schuldienst stellte er im August 1948 bei der Regierung von Oberfranken und, als keine Antwort kam, im Dezember 1948 beim Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Auch von dort sei keine Reaktion erfolgt. Um seine wirtschaftliche Lage zu verbessern, arbeitete er als Gemeindeschreiber für monatlich 25 DM und als Hilfsarbeiter in einem Betrieb, der Steine herstellte. Auf sein Gesuch um einen Unterhaltsbeitrag bei der Regierung von Oberfranken erhielt er keinen Bescheid. „Was hat,“ fragte der Lehrer, „für mich die Entnazifizierung zu bedeuten ...? Warum diese entsetzliche Qual des Hoffens und Wartens, der Ungewißheit und der Enttäuschung? Hat man nicht durch das Spruch- kammerurteil unser Tun und Lassen ver- und beurteilt? Oder gilt dies Urteil nicht für einen ... Lehrer? ... so hält man uns hin, sagt nicht zu und lehnt nicht ab. Ist diese Behandlung nicht schlimmer und vernichtender als jedes klare Spruchkammerurteil! Daher unsere Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit!“28 Die Situation wurde auch in einer Denkschrift über die „Notlage der entfernten Beamten“ im Januar 1948 dokumentiert, die der bayerischen Staatsregierung, dem Landtag und dem Senat des Landes Bayern zugesandt wurde. Darin betonten die Verfasser, daß die infolge des Zusammenbruchs zuerst als vorübergehend betrachteten Maßnahmen zu einem „lebensbedrohenden, gefährlichen Dauerzustand“ geworden seien. Die Not der Familien sei schlimm, da die Ersparnisse aufgebraucht und die wirtschaftliche und finanzielle Kraft erschöpft seien. Beamte arbeiteten als Zeitungs- austräger, Platzanweiser, Adressenschreiber, Hilfsarbeiter oder Bauernknechte. Die Wohlfahrtsunterstützung für Erwerbsunfähige betrage 30 bis 50 Reichsmark. Die Verbitterung bei den Betroffenen gehe tief.29 Vom September 1948 datiert ein Auf-

25 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler N1 – 1046. Schreiben eines Parteifreundes am 15.9.1950 an die Freie Demokratische Partei, Neumarkt. 26 Ebda., NL Thomas Dehler N1 – 375. Regierungserklärung Dr. Hans Ehard vom 16.1.1947, S. 34. 27 AdsD Bonn. SPD – LTF Bayern Nr. 165. Korr. N-Z. Schreiben Sch., HL a. D., am 24.6.1948 an Waldemar v. Knoeringen. 28 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler N1 – 349. Schreiben eines Lehrers am 21.7.1949 an Dr. Thomas Deh- ler. 29 Ebda., NL Thomas Dehler N1 – 918. Schreiben am 15.1.1948 an die Bayerische Staatsregierung, den Bayeri- schen Landtag, den Senat des Landes Bayern. Betreff: Notlage der entfernten Beamten; gez. Im Auftrag, unter anderem: Eisenmann, Lehrer; Staudigl, Studienrat.

121 satz in „Die Bayerische Schule“, der die Fehlleistungen des Entnazifizierungsverfah- rens noch einmal aufs Korn nahm, z.B. daß man die Akten von Nichtparteimitglie- dern, die zwei Jahre oder noch länger dienstentfernt warteten, zufällig wieder her- vorgekramt hatte, um dann festzustellen, daß es sich um einen Nichtbetroffenen handelte. Auch die Verschleppung der Rechtsverfahren durch organisatorische Mängel bei den Spruchkammern wurde angeprangert.30 Ende Dezember 1949 gab der inzwischen gegründete Beamtenschutzbund e. V., Landesverband Bayern, Zahlen zur Notlage der immer noch entfernten Beamten bekannt, eingeteilt nach Personen, die vorzeitig aus Not oder Depression über das ihnen zugefügte Unrecht starben (z.B. ein Rektor nach Entlassung aus dem Internierungslager, ein Oberlehrer durch Nervenzusammenbruch nach Pensionsentzug, usw.); ferner Personen, die Selbst- mord begingen (z.B. ein Hauptlehrer erhängt, ein Lehrer ließ sich vom Zug überfah- ren, usw.); außerdem Personen, die Selbstmordversuche unternommen hatten.31 Auch wenn die Zahl der genannten Lehrer – 21 von 177 aufgeführten Fällen – nicht sig- nifikant ist, so ist sie doch in dieser Aufstellung die größte Gruppe der eindeutig bezeichneten Berufe, von denen z.B. 17 städtische Beamte und elf Reichsbahnbe- dienstete genannt werden. Bei vielen Namen steht nur „Beamter“ oder „Inspektor“ ohne nähere Angabe des Verwaltungszweiges. Nicht selten, da öfters in den Quellen erwähnt, war es auch zu wiederholten Dienstenthebungen gekommen. So gab das Kultusministerium am 6. Februar 1947 bekannt, daß die Militärregierung angeordnet habe, daß niemand, den sie von sei- nem Posten entfernt habe, ohne ihre Zustimmung wiederangestellt werden könne. Das bezog sich auch auf Personen, „die bereits infolge von rechtskräftigen Spruchkammerentscheidungen wiederangestellt“ worden waren. Die Sicherheitsof- fiziere der örtlichen Militärregierungen überprüften die zu Meldenden, die bis zu einem Entscheid im Amt bleiben durften. Fiel dieser negativ aus, wurden sie wieder entlassen.32 Die Militärregierung hatte auch „vorläufige Ernennungen“ ausgespro- chen, die jederzeit widerrufen werden konnten und vielfach auch wurden.33 Nach der Erklärung General Clays in Stuttgart im November 1946, in der er die Entnazifi- zierung durch die deutschen Spruchkammern scharf angegriffen hatte, ging ein Schreiben des bayerischen Ministerpräsidenten Hoegner an alle Behörden, daß für sämtliche entnazifizierten Beamten, die bereits wiederangestellt waren, eine nachträgliche Genehmigung einzuholen sei bzw. daß „sämtliche Entlastete und Mit- läufer, die bisher ... entgegen den erlassenen Anordnungen beschäftigt oder einge- stellt worden sind, sofort zu entlassen“ seien.34 Die betreffenden Lehrer waren in einem solchen Fall wiederum von Zahlungen irgendwelcher Art auszuschließen, was als

30 Die Bayerische Schule. 1. Jg., September 1948. „Entnazifizierung und kein Ende“, S. 90. 31 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler N1 – 68. Beamtenschutzbund e.V. Landesverband Bayern. Denkschrift über die Notlage der entfernten Beamten, Angestellten und Arbeiter in Bayern. München, 18.12.1949; vgl. dazu Dannhäuser, S. 212 f. 32 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Nr. 3 vom 10.3.1947, S. 17. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 6.2.47 Nr. 5023; StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Schreiben des Schulrats von Ebermannstadt (R 45/10) am 1.10.1945 an alle Schulleitungen. 33 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 6451. Schreiben der Regierung von Oberfranken und Mittelfranken am 28.5.1946 an Babette V., Erlangen; gemäß Anordnung der Mil.Reg. v. 15.5.1946, AG 210.1 – MGBAE. 34 ACSP München. NL Müller Nr. 290. Schreiben des Bayer. Ministerpräsidenten Nr. 30450 am 9.11.1946; Schrei- ben der Regierung von Ober- und Mittelfranken I. V. Nr. F 2866 am 21.11.1946.

122 besondere Härte empfunden wurde. Ausnahmen vom Zahlungsverbot gab es nicht.35 Es war ausgesprochen worden nach Ziffer 2 Buchstabe f der Kontrollrats- Direktive Nr. 24 vom 12. Januar 1946 und § 1 Abs. 3 der Verordnung 113 vom 29. Januar 1947 (GVBl. Nr. 7, S. 82). Unter dem Eindruck dieser Unsicherheiten wundert es nicht, daß viele Lehrer „mit Demokratie nichts am Hut“ hatten.36 Vergleicht man die Situation der Lehrer mit der der übrigen Beamten, so hatten sie unter der Entnazifizierung offenbar besonders zu leiden, da sie nicht in „einfa- cher Arbeit“ in ihrem Bereich beschäftigt werden konnten. Andererseits darf man aber nicht außer acht lassen, daß ihr relativ hoher Organisationsgrad in der NSDAP (s. S. 107-113) auch eine relativ hohe Entnazifizierungsrate bedeuten mußte, wollten doch die amerikanischen Besatzungsbehörden erklärterweise mit solchen Lehrern nicht die demokratische Umerziehung betreiben. Im übrigen darf auch nicht vergessen werden, daß Lehrer sich geschickter als andere Betroffene artikulieren konnten, um ihrer persönlichen Lage in Briefen und Gesuchen an die entsprechenden Stellen Aus- druck zu verleihen.

35 Ebda., NL Hanns Seidel. Beilage 1098. Bayer. Staatsministerium der Finanzen am 13.2.1948 an den Herrn Präsidenten des Bayerischen Landtags; Mitteilungen des Bayerischen Lehrervereins, Nr. 9/10 1947, S. 7; StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 6612. Schreiben der Regierung von Mittelfranken am 7.2.1946 an die Regierungshauptkasse Ansbach. 36 Gespräch mit Herrn Fritz Thoma, Ansbach.

123 2. ERSATZLEHRER UND SCHULHELFER

Als das dringendste Problem der geistigen Erneuerung betrachtete Hans von Eckardt, Delegierter des bayerischen Ministerpräsidenten im Staatsministerium für Unterricht und Kultus, die Beschaffung von adäquatem Personal. „Wir brauchen“, schrieb er im Oktober 1945, „Lehrer; es fehlt uns an jungen, frischen, begeisterten Kräften, die hel- fen, die Kinder von der Straße zu holen, zu erziehen und mit Gedanken vertraut zu machen, wie: Man muß tüchtig lernen, um ein Mensch zu sein ...“1 Die aus dem Lehramt entfernten Nationalsozialisten durch angemessenes Perso- nal zu ersetzten, war auch die conditio sine qua non für die amerikanischen Pläne auf dem Gebiet des Erziehungswesens. Der Austausch der Elite sollte die Demokratisierung vor- antreiben. Aber bezüglich der Lehrerschaft stand eine ausreichende Anzahl entspre- chender Ersatzleute nicht zur Verfügung, so daß „Hilfskräfte ... oft buchstäblich von der Straße“ geholt werden mußten.2 Auch Angehörige anderer Berufsgruppen sollten zu Lehrern umgeschult werden, vorausgesetzt sie hatten eine gute Allgemeinbildung und waren fähig, „die Jugend in demokratischem Geist zu erziehen“.3 Schon vor der Wie- dereröffnung der Volksschulen, im September 1945, spielte neben den Schwierigkeiten, geeignete Unterrichtsräume zu finden, der Ersatz für entlassene Lehrkräfte eine große Rolle bei den Überlegungen im bayerischen Kultusministerium. Da nach der damaligen offiziellen Einschätzung der Prozentsatz der Entlassenen zwischen 90 % und 30 % (in den einzelnen Schulaufsichtsbezirken?) betrug und weitere Suspendierungen zu erwarten waren, sorgte man sich um die Rekrutierung von Ersatzleuten. In Frage kamen dafür „Lehrer an höheren Lehranstalten, Fachschulen und anderen Anstalten, die noch nicht wieder eröffnet wurden; Lehrer im Ruhestand; klösterliche Lehrkräfte, die aus der Schu- le verdrängt waren (in Oberbayern ca. 3204); Lehrerinnen, die wegen Verheiratung aus- geschieden waren; im Notfall auch Geistliche oder sonstige pädagogisch vorgebildete Personen“.5 Soweit Lehrkräfte der genannten Kategorien nicht vorhanden waren, wollte man Personen verwenden, „die nach Fähigkeiten und Charakter zur Erteilung von Unterricht geeignet“ erschienen. Diese „Schulhelfer“ sollten vorher einer „kurzen Schulung (2-6 Wochen)“ unterzogen werden. Eine handschriftliche Randnotiz bemerkte: „Außerbayerische Lehrkräfte sind nicht ausgeschlossen.“6 Die Not schien doch groß zu sein, wenn man sich in Bayern zu letzterem Zugeständnis durchringen konnte! Nur einige Tage später, am 10. September 1945, wurden die der Militärregierung gemachten Vor- schläge in einer Bekanntgabe des bayerischen Kultusministers präzisiert, wobei die fei- nen Unterschiede doch ein bezeichnendes Bild für die bayerische Befindlichkeit abga- ben.

1 Die Neue Zeitung, 1. Jg. Nr. 3 vom 25.10.1945, S. 1. 2 Zur Entwicklung des Erziehungs- und Bildungswesens in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Ein Bericht der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland. Horb 1952, S. 15 f. 3 Bungenstab, S. 79. Er zitiert OMGUS Report Education No 7 (20.2.46), S. 4. 4 1933 waren in ganz Bayern von ca. 6200 mit weiblichen Lehrkräften besetzten Schulstellen ca. 1600 mit klö- sterlichen Lehrkräften besetzt. Von ihnen blieben nur 170. (BayHStA München. StK 113972. Rundschreiben Nr. 123 der Arbeitsgemeinschaft katholischer Klöster in Bayern am 23.8.45). 5 BayHStA München. MK 62119. Schreiben Nr. IV 20442 des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 2.9.1945 an die Militärregierung. Betreff: Vorbereitungen für die Wiedereröffnung der Volks- schulen. 6 Ebda.

124 „1. Mit der Wiedereröffnung der Volksschulen ist unverzüglich zu beginnen ... 3. Soweit infolge Entlassung von Lehrern und Lehrerinnen oder aus anderen Gründen die erforderlichen Lehrkräfte mangeln und durch Einrichtung von Abteilungsunterricht7 nicht Abhilfe geschafft werden kann, sind bis auf weiteres als Ersatzlehrkräfte heranzu- ziehen: a) Lehrer und Lehrerinnen an bayerischen staatlichen und nichtstaatlichen höheren Lehranstalten, Fachschulen und anderen Anstalten, die noch nicht wieder eröffnet wurden; b) bayerische Lehrer und Lehrerinnen im Ruhestand; c) bayerische Lehrkräfte, die aus dem Schuldienst ausgeschieden waren (wegen Ver- heiratung) oder von der nationalsozialistischen Regierung verdrängt waren; d) außerbayerische Lehrkräfte, die ihr Stammland verlassen haben und denen die Rückkehr dorthin zur Zeit nicht zugemutet werden kann; e) sonstige geeignet erscheinende Personen ...“8 Bei der Verwendung außerbayerischer Lehrkräfte mußte beachtet werden, daß die Bezirksschulräte sie innerhalb der ersten vier Wochen zu besichtigen hatten und in dem zu verfassenden Bericht Stellung dazu nehmen mußten, inwieweit es den Lehr- kräften gelungen sei, „sich in die besonderen Verhältnisse des Schulortes und ihrer Beschäftigung einzuleben“. Die Lehrkräfte mußten die deutsche Sprache im schrift- lichen und mündlichen Sprachgebrauch soweit beherrschen, „daß die Schularbeit erfolgversprechend“ war. Außerdem konnten diese Lehrer „nur in den drei- oder mehr- teiligen Schulen ...“ verwendet werden.9 Bemerkenswert ist die Auflistung der Möglich- keiten insofern, als lieber Abteilungsunterricht in Kauf genommen, bevor an Ersatzkräfte gedacht wurde. Das hatte möglicherweise aber ganz pragmatische Gründe, wenn man bedenkt, daß die Wohnraumbeschaffung für diese Aushilfskräfte ein kaum zu bewälti- gendes Problem darstellen konnte. Auch der Gedanke an die Bezahlung konnte für das Ministerium ein Grund sein, erst einmal Abteilungsunterricht einzurichten, bevor eine Ersatzkraft eingestellt wurde. Rossmeissl bemängelt an der Reihenfolge, daß NS- Geschädigte erst lange nach den Lehrern im Ruhestand rangierten, wobei er letzteren unterstellt, daß sie „nach erfolgter Anpassung an die Ideologie des NS-Staates“ in Pension gegangen seien.10 Ob man das so krass beurteilen sollte, ist fraglich, da bereits vor dem Datum dieser Bekanntgabe die unbelasteten Lehrer und Lehrerinnen durch die Ameri- kaner in ihrem Amt bestätigt worden waren.11 Daß aber die außerbayerischen Lehrkräf- te erst knapp vor den „sonstigen“ Personen und hinter den bayerischen Lehrern jeg- licher Couleur eingereiht waren, kritisiert Rossmeissl zu Recht. Bei ihnen wurde erst gar nicht unterschieden zwischen den vom Nationalsozialismus verdrängten, Pensionisten, weiblichen oder Lehrern von höheren Schulen. Wahrscheinlich traute man ihnen alle- samt nicht! Der Einsatz von Gymnasiallehrern an Volksschulen mußte schon bald wieder beendet werden, da mit der Eröffnung der höheren Schulen diese Lehrkräfte wieder gebraucht wurden. Zum Teil war das bereits im Januar 1946 der Fall.12 Arbeiteten sie an

7 siehe S. 46. 8 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach, 14. Jg. Nr. 1 vom 1.7.1946, S. 2f. Bek. d. Bayer. Staatsmin. für Unt.u.Kult.v.10.9.45 Nr. IV 20152 über Lehrkräfte an den bayerischen Volksschulen. 9 Ebda. 10 Rossmeissl, S. 192. 11 siehe S. 39. 12 StAN. Regierung vom Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 6612. Schreiben der Regierung von Mittelfranken am 11.1.1946 an die Regierungshauptkasse Ansbach.

125 einer Volksschule, so erhielten sie „ihre bisherigen Dienstbezüge ... voll ... vom 1. des Dienstantrittsmonats“.13 Die bereits im Ruhestand stehenden Lehrkräfte erhielten zusätzlich zur Pension 120 Reichsmark monatlich.14 Für bayerische Lehrkräfte, die wegen Verheiratung aus dem Schuldienst ausgeschieden waren, für außerbayerische und unglaublicherweise auch für diejenigen Lehrer, die von der nationalsozialistischen Regierung verdrängt worden waren, gab es die Anstellung auf Dienstvertrag. Sie wur- den als „Aushilfsangestellte“ beschäftigt, hatten keinen Anspruch auf eine Dienstwoh- nung, die den „ordentlichen Volksschullehrern“ vorbehalten war, und eine Kündigungs- frist von zwei Wochen. Die als „sonstige geeignet erscheinende(n) Personen“ erhielten, wenn sie nicht pädagogisch vorgebildet waren, 180 Reichsmark.15 Eine weitere Möglich- keit, Lehrpersonal an den Schulen zu halten, war ein Pensionierungsstop. So wurde z.B. in der Schulleitersitzung in Fürth am 21. April 1947 verkündet, daß vor dem 31. März 1948 keine Pensionierungen möglich seien, ausgenommen bei Krankheit.16 Die Lücken an den Gymnasien nach Wiedereröffnung versuchte man zu schließen, indem man Pen- sionisten, „auch solche hohen Alters“, anstellte oder versuchte, als Ersatzkräfte Akade- miker anderer Fächer wie Physiker, Ingenieure, Zoologen zu gewinnen.17 Die Besetzung der Stellen im Schulaufsichtsdienst wurde schon sehr bald in Angriff genommen, brauchte man doch Leute, die die Wiedereröffnung der Schulen organisieren mußten. Bezüglich deren Eignung wünschte man, daß sie möglichst schon Schulräte gewesen sein sollten; wegen der außergewöhnlichen Verhältnisse (August 1945!) könne aber „ausnahmsweise davon abgesehen werden“. Wie solche Personen zu finden waren, wurde nicht gesagt, aber immerhin kam man von Seiten des Kultusministeriums den nach geeigneten Kandidaten Ausschau Haltenden insofern entgegen, als eine „strikte Bindung an die konfessionellen Verhältnisse des Regierungsbezirks nicht erforderlich“ war.18 Was allerdings unverzichtbar als Voraussetzung postuliert wurde, war die „Rost- freiheit“, wie es Kultusminister Hundhammer später nicht sehr geschmackvoll bezeich- nete.19 Die Vorgesetzten, die im Zuge der neuen Ordnung ihre Posten antraten, wurden durchaus kritisch betrachtet. Drei Typen habe es gegeben: tapfere, aufrechte, die im Dritten Reich widerstanden hatten. Sie waren tadellos im Verhalten. Für Mittelfranken wurden dazu Hans März, Staudt und Salffner genannt. Dann gab es die hochge- schwemmten Unbedeutenden, auf die auch die Nazis keinen Wert gelegt hätten. Sie seinen dumm und unangenehm gewesen. Die dritte Kategorie waren die „Durchge- kommenen“, die zwar Nazis gewesen, aber „durchgerutscht“ waren. Nach 1945 seien sie Heuchler gewesen.20

13 Ebda., Nr. 6606. Schreiben des Regierungspräsidenten von Oberfranken und Mittelfranken am 27.12.1945 an die Regierungshauptkasse Ansbach. Betreff: Besoldung für Unterrichtserteilung an der Volksschule. 14 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach, 14. Jg. Nr. 1 vom 1.7.1946, S.3. Bek. d. Bayer. Staatsmin. f. Unt. u. Kult.v.10.9.1945 Nr. 20152 über Lehrkräfte an den bayerischen Volksschulen. 15 Ebda. 16 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Bericht über Schulleitersitzung am 21.4.1947 (Fürth-Stadt). 17 Die Neue Zeitung, 1. Jg. Nr. 1 vom 18.10.1945, S. 4; Glaser, S. 152. 18 BayHStA München. StK 113972. Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 6.8.1945 an die Regierungspräsidenten. Betreff: Besetzung der Stellen im Schulaufsichtsdienst der Regie- rungsinstanz. 19 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenographischer Bericht. 42. Sitzung vom 11.12.1947, S. 469. 20 Gespräch mit Prof. Dr. Hans Glöckel, Nürnberg.

126 Personen, die sich für einen Schulhelfer-Lehrgang bewarben, mußten natürlich einen makellosen Fragebogen haben, der der örtlichen Militärregierung zugesandt wurde. Diese fertigte daraufhin ein „Fragebogenprüfungsblatt“ aus, das an den Schul- rat geschickt und von ihm unterzeichnet wurde. Je nach Inhalt wurde der Bewerber akzeptiert oder abgelehnt. Einstellungen geschahen aber immer nur „unter Vorbehalt der endgültigen Genehmigung seitens des Schulreferates des Regierungspräsidenten“.21 Soweit die offiziellen Anordnungen! In der Erinnerung einiger damaliger Bewerber für Schulhelferlehrgänge schien das Verfahren nicht ganz so streng gehandhabt worden zu sein. Gerd Kadelbach z.B. schilderte seine „Aufnahmeprüfung“ folgendermaßen: Er mußte das Büro eines amerikanischen Offiziers aufsuchen, der ihn einem „Spezialtest“ unterzog, indem er eine Melodie aus Paul Hindemiths Oper „Mathis der Maler“ pfiff. Da der Prüfling die Melodie erkannte, rief der Offizier die Lehrerbildungsanstalt an, wo der Schulhelferkurs stattfinden sollte, und sagte: „... hat bestanden, kann Lehrer werden.“22 Da Hindemiths Musik im Dritten Reich als verpönt galt – er war „Neutöner“ und Emi- grant – war natürlich das Erkennen dieser Musik in amerikanischen Ohren ein Qualitäts- merkmal besonderer Güte. Ein anderer Kandidat, der ehemalige Schulhelfer Hermann Dehm, hatte sich zum Schulhelferlehrgang in Windsbach gemeldet und war genommen worden, ohne daß ihn jemand nach dem militärischen Rang gefragt hätte, den er während des Krieges innegehabt hatte.23 Sein Kurs dauerte offiziell vom 1. September bis 25. Oktober 1945, jedoch wurde Dehm bereits am 10. Oktober zur Unterrichtsaus- hilfe an die Volksschule in Windsbach abgeordnet. Mit Bescheid vom 17. September 1945 war ihm die Zulassung zum Volksschuldienst von der amerikanischen Militärregierung in Ansbach bestätigt worden. Die Kurzausbildung umfaßte Unterricht in Psychologie, Geschichte der Pädagogik, Erziehungslehre und Schulpraxis, die durch Hospitation erworben wurde. Einblicke in die allgemeine und besondere Unterrichtslehre erhielt Dehm im Rahmen der Hospitation. In Schulpraxis legte er eine Prüfung ab, d.h. er hielt eine Lehrvorführung. Er erhielt ein Zeugnis, das ihm die erfolgreiche Teilnahme am Schulhelferlehrgang bestätigte.24 Kadelbach bemerkte zu seiner Prüfung, sie sei einfach gewesen, „aber dann kam der Kontroll-Offizier der amerikanischen Militärregierung und verteilte vierseitige Fragebogen ... die mit größter Eile ausgefüllt werden mußten. ... (J)eder mußte Testfragen beantworten.“25 Bei Dehms Prüfung war kein Mitglied der Militärregierung in irgend einer Weise tätig. Es kam also auch hier auf die Einstellung der örtlichen Militärbehörde an. Am 16. Juli 1946 erhielt der Schulhelfer Hermann Dehm, der immer noch aus- hilfsweise an der Volksschule in Windsbach beschäftigt war, einen Dienstvertrag, der die Zahlung der Sozialversicherungen regelte und die Aushändigung einer Steuerkarte vor- schrieb.26 Mit Wirkung vom 1. Dezember 1946 wurde ihm die „Eigenschaft als Schulhel- fer im engeren Sinne ... zuerkannt“, womit sein bisheriges Vertragsverhältnis als Ersatzkraft

21 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4739. Schreiben ITT/GAP/ns der Militärregierung von Ober- und Mittelfranken. Bayern. Abteilung für Unterricht und Kultus, am 29.11.1945 an die Chefs sämtlicher Militärregierungen im Regierungsbezirk Ober- und Mittelfranken. Bayern. 22 Gerd Kadelbach: Die mageren Jahre. Tagebuch eines unterfränkischen Landlehrers 1945/46. 2. Aufl., Wein- heim 1962, S. 3 f. 23 Gespräch mit Herrn Ltd. Reg. Dir. Hermann Dehm, Ansbach. In Mittel- und Unterfranken hatte man am ehe- sten mit diesen Lehrgängen begonnen. (BayHStA München. MK 62119. Schreiben Nr. IV 20442 des Bayeri- schen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 2.9.1945 an die Militärregierung. Betreff: Vorberei- tungen für die Wiedereröffnung der Volksschulen). 24 Privatarchiv Hermann Dehm. 25 Kadelbach, S. 3. 26 Privatarchiv Hermann Dehm. Schreiben (Abdruck) Nr. 1151 b D 250 des Regierungspräsidenten am 16.7.1946 an das Bezirksschulamt, z. Hd. des Landrats in Ansbach.

127 endete. Die Rechtsstellung eines Schulhelfers wurde so definiert: „Die Schulhelfer sind weder Angestellte noch Beamte, sondern gelten während ihrer Verwendung im öffent- lichen Volksschuldienst als in der Vorbereitung auf ihre spätere öffentlich-rechtliche Beamtenstellung stehend. Sie bekommen bei entsprechender Eignung das Recht auf Vollendung ihrer Ausbildung zum Volksschullehrer in einem Abschlusslehrgang, der in der Regel 9 Monate dauert und mit der 1. Lehramtsprüfung für den Volksschuldienst beendet wird. ... Die Zulassung zum Abschlusslehrgang wird zu gegebener Zeit beson- ders gewürdigt werden. Sie hängt von einer eingehenden Beurteilung durch die Schulaufsichtsbehörde sowohl im Hinblick auf die Bewährung in der Schule wie auf den Charakter des Bewerbers ab. Wenn die Schulhelfer die 1. Lehramtsprüfung abgelegt haben, werden sie den Absolventen der ordentlichen Lehrerbildung gleichgeachtet.“27 Bezüglich der Vergütung wurden in dem Schreiben vier Kategorien aufgelistet: „ledige Schulhelfer monatlich 170.— RM ledige Schulhelferinnen monatlich 153.— RM verheiratete Schulhelfer monatlich 220.— RM verheiratete Schulhelferinnen monatlich 198.— RM“ Kinderzuschläge wurden gewährt, jedoch kein Wohnungsgeldzuschuß.28 Der Amtliche Schulanzeiger für Ober- und Mittelfranken hatte schon im Februar 1946 mitgeteilt: „Die Beträge für die Schulhelfer i n n e n werden um 10 v.H. gekürzt.“29 Angesichts der Nachkriegsverhältnisse war diese Anordnung nicht einfach nur frauenfeindlich. Hätte man über die unterschiedliche Bezahlung lediger Schulhelfer und -helferinnen noch den Kopf schütteln können, da beide Gruppen ja völlig gleiche Voraussetzungen hatte, beispielsweise das Wohnen bei den Eltern oder in einem kleinen Zimmer, die Abgabe von Marken, wenn man, in Untermiete lebend, nicht kochen konn- te, usw., so war die Gehaltskürzung bei verheirateten Frauen, die auch oft Kinder hat- ten, häufig eine Existenzfrage. Denn man konnte doch nicht davon ausgehen, daß nun die arbeitende Frau zum Haushalt beisteuerte und die Doppelverdiener sich ein schönes Leben machten. Es war ja meist so, daß die Frauen alleine mit den Kindern dastanden, der Mann war gefallen oder vermißt, in Kriegsgefangenschaft oder im Internierungsla- ger; oder er war arbeitslos, da er als ehemaliger Parteigenosse aus dem Beruf entfernt war. Gründe für die Gehaltskürzung bei Frauen wurden nicht angegeben, lassen sich aber in tradierten Rollen-Klischees - an denen man auch in einer Zeit, in der die gewohn- te Ordnung nicht mehr gelten konnte, festhielt - vermuten: Ein Mann braucht sein tägliches Quantum an Tabak (Eine deutsche Frau raucht nicht!). Ein Mann muß die Wäsche außer Haus geben; er kann nicht waschen. Er kann auch nicht kochen; folglich muß er für Ernährung mehr aufwenden, da er auf das Gasthaus angewiesen ist. Erfahrene, im Amt verbliebene, Lehrer wurden beauftragt, „die Schulhelfer in ihren Klassen zu besuchen und ihnen Rat und Hilfe zu gewähren“ und monatlich an die Regierung von Ober- und Mittelfranken „über ihre Erfahrungen“ zu berichten. Diese Arbeit sei „nach vorliegenden Berichten dringend notwendig“.30 Der Schulhelfer Her- mann Dehm erwies sich während seines Einsatzes an der öffentlichen Volksschule in Windsbach als geeignet und durfte daher vom 6. Mai1947 bis 19. März 1948 den Abschlußlehrgang an der Lehrerbildungsanstalt Schwabach besuchen. Während dieses

27 Ebda., Schreiben Nr. 1191 bd 148 der Regierung von Ober- und Mittelfranken am 30.11.1946 an Herrn Her- mann Dehm, Windsbach. Betreff: Schulhelfer. 28 Ebda. 29 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 14. Jg. Nr. 1 vom 1.7.1946, S. 5. 30 Ebda., S. 7.

128 Lehrgangs, der mit der ersten Prüfung für das Lehramt an Volksschulen endete, hatte er die Pflichtfächer Erziehungslehrer/Geschichte der Erziehung/Psychologie, Allgemeine und besondere Unterrichtslehre, Schulpraxis, Schriftliche Hausarbeit, Religionslehre und Religionsmethodik, Deutsche Sprache, Geschichte bzw. Staatsbürger- und Gesellschafts- kunde, Musik, Zeichnen und Kunsterziehung.31 Ob in diesen und in den vorher absol- vierten Kurzlehrgängen das in der Neuen Zeitung besonders betonte Ziel, die neuen Volksschullehrer zu „freiheits- und friedensliebenden Menschen zu erziehen, damit sie ihre Liebe zu den Errungenschaften der Demokratie an die Kinder weiterzugeben ver- mögen“,32 erreicht bzw. wenigstens angebahnt wurde, ist nicht nachprüfbar. Hermann Dehm jedenfalls hat keine Erinnerung an eine spezielle Aus- oder Fortbildung im Hin- blick auf demokratischen Unterrichtsstil oder Lerninhalte und verneint die Frage, ob amerikanische demokratische Ideen für den Unterricht übernommen wurden.33 Auch eine in Steppach bei Pommersfelden in Oberfranken tätige „vollbeschäftigte Aushilfs- angestellte im öffentlichen Volksschuldienst“, Dr. Johanna Mayer, die ein Germanistik-, Geschichte- und Geographiestudium abgeschlossen und sich im Oktober 1945 um die Beschäftigung an der Volksschule beworben hatte,34 unterrichtete munter vor sich hin, ohne Wissen um die Theorie des Unterrichtsgesprächs und ohne Störung durch eine Fortbildung in demokratischen Unterrichtsverfahren. Niemand hatte ihr gesagt, was zu tun sei, niemals kam ein Schulrat zu Besuch. Sie konnte machen, was sie machen wollte. Und an eine nachmittägliche Lehrertagung erinnert sie sich deshalb, weil die Lehrer mit einem offenen Lastwagen an den Tagungsort gebracht wurden.35 Bei der Bevölkerung standen die Schulhelfer und Ersatzlehrkräfte oft nicht in hohem Ansehen. Zum einen wurde ihnen ihre mangelnde Erfahrung vorgeworfen, die sie ja auch in den zwei- bis sechswöchigen Schnellkursen nicht sammeln konnten. Zum anderen bemängelte man, daß zahlreiche junge Mädchen oder Frauen an die Stelle fachlich gut ausgebildeter, „im jahrelangen Dienste ergraut(er)“Lehrer gesetzt wurden, vor allem „preußische Evakuierte“.36 Das Kultusministerium befürchtete sogar, das Vor- gehen der Amerikaner bei der Suche nach Ersatzleuten könne den Widerstand der Bauern hervorrufen und ihre Weigerung, Lebensmittel abzuliefern.37 „Dem Generalvikar des Bistums Passau waren die Nazi-Lehrer sogar noch lieber als die jetzt verwendeten Laien (‚Lieber ein bekehrter Nazi als zehn Nazihasser, die von Erziehung ... gar nichts ver- stehen.’38), und der Würzburger Schuldechant meinte, die Agenten der Militärregierung gingen bei der Überprüfung der Lehrer und der Suche nach Ersatzkräften nur zu den ‚verrufensten Elementen‘, wo er doch seine Geistlichen als die besten Auskunfts- personen angeboten habe.“39

31 Privatarchiv Hermann Dehm. 32 Die Neue Zeitung, 1. Jg. Nr. 9 vom 15.11.1945, S. 3. 33 Gespräch mit Herrn Hermann Dehm, Ansbach. 34 Ihre Bewerbung sah so aus, daß sie zum Schulamt nach Höchstadt ging, um mitzuteilen, daß sie gerne unter- richten wolle. Das gestattete man ihr ohne große Formalitäten. Einen Dienstvertrag, demzufolge sie als „voll- beschäftigte Aushilfsangestellte“ tätig werden durfte, erhielt sie erst am 17. Mai 1946, also sieben Monate später. Das Dienstverhältnis lief „auf unbestimmte Zeit“ und wurde mit wöchentlich 30 Unterrichtsstunden festgelegt. Somit betrugen auch die Dienstbezüge 30/30 von 180.— RM. Wichtig war der Satz: „Die Anstel- lung als Beamter sowie die Bewilligung von Wartegeld oder Ruhegehalt bleiben ausgeschlossen.“ (Privatarchiv Dr. Domandl). 35 Gespräch mit Frau Dr. Domandl, Salzburg. 36 BayHStA München. StK 113972. Schreiben eines Dr. Hartmann aus Bergersee/Schnaitsee bei Wasserburg am 12.8.1945 an die Bayerische Landesregierung, z.Hd. Herrn Reichsminister Dr. Gessler. 37 Niethammer, Die Entnazifizierung, S. 187. Er zitiert ein Schreiben des Kultusministers an den bayerischen Mini- sterpräsidenten vom 24.9.45. BStK 3615. 38 Ebda., S. 170. 39 Ebda., S. 187. 129 Pädagogisch vorgebildete Ersatzkräfte wurden bei der Einstellung von Aushilfs- lehrern bevorzugt, z.B. Erzieherinnen, Kindergärtnerinnen oder Werk- und Handarbeits- lehrerinnen.40 Häufig waren diese, wenn außerbayerische Kräfte, gezwungen, sich ihren Lebensunterhalt zunächst einmal durch jegliche Art von Arbeit zu verdienen, etwa als Hausmädchen oder Bauernmagd. Dieser Umstand war Ansatzpunkt für böse Kritik. Es sei, so hieß es, ein Unding, eine preußische Hausgehilfin als Lehrerin einzustellen.41 Und die Frau eines Landarztes in einem Dorf im Steigerwald meinte arrogant: „Volksschullehrer werden heutzutage ja schon die Dienstmädchen.“42 Allgemein hieß es, daß die Schul- verhältnisse, vor allem auf dem Land, zu Beanstandungen Anlaß gäben, und ganz offizi- ell berichtete die Zeitung über die Tagung der Landbürgermeister im Landkreis Ansbach, „daß nur ein kleiner Teil der Bürgermeister restlos mit den Schulen ihrer Gemeinden zufrieden“ und daß zu hoffen sei, „daß nach erfolgter Entnazifizierung wieder ein größerer Teil bewährter Lehrkräfte in den Schuldienst zurückkehren“ könne.43 So war man also ein Jahr nach der Kapitulation bereits der Ansicht, daß die derzeitigen Verhält- nisse nur ein Interim darstellten, und zwar nicht so sehr eine Vorstufe zu neuen Ideen und demokratischem Neuanfang, sondern eine Übergangszeit, bis man mit den alten Kräften in gewohnten Bahnen weitermachen konnte. Das Ziel, endlich wieder „geord- nete Verhältnisse“ zu haben, schien eine Rückkehr zur „guten alten Zeit“ zu werden. Natürlich spielte aber auch eine Rolle, daß die Männer als Ernährer der Familie wieder einen Arbeitsplatz erhielten. Neben der Lehrerbeschaffung durch alle möglichen Ersatzkräfte, legte das Kul- tusministerium großen Wert darauf, wieder Absolventen von Lehrerbildungsanstalten zu bekommen. Es begrüßte darum die Meldung von Abiturienten zur Abschlußklasse der LBAs, die nach einem Jahr als Lehrer mit 1. Examen zur Verfügung stehen würden.44 Außerdem wurden an verschiedenen Orten Bayerns Lehrgänge für „Jugendliche mit Hochschulreife bis zum Alter von 30 Jahren zur Ausbildung für das Volksschullehramt“ eingerichtet. Auch diese Kurse sollten ca. ein Jahr dauern. Der Nachweis der Hochschul- reife konnte auch der Reifevermerk im Zeugnis sein oder eine Bestätigung des früheren Schuldirektors oder Lehrers. Die Aufnahme in einen solchen Lehrgang wurde von einer Prüfung abhängig gemacht.45 Einer der Teilnehmer an einem solchen Kurs war Hans G., der infolge der Kriegs- ereignisse und kurzer amerikanischer Gefangenschaft erst im Juni 1946 das Abitur nachholte, nachdem er fünf Monate an der Oberrealschule für Jungen in Fürth unter- richtet worden war. Er war der jüngste Bewerber für diesen Kurs; andere Teilnehmer, im Krieg Offiziere, zählten schon mehr als 30 Jahre. Der Lehrgang fand in Fürth statt, da dort die Zerstörungen nicht so gravierend waren wie in Nürnberg. Er dauerte vom 1. September 1946 bis zum 19. Juli 1947. Der Schwerpunkt der Ausbildung lag eindeutig im pädagogischen Bereich. Alles in allem bewertete G. im Rückblick den Kurs nicht als

40 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken. Ansbach, 14. Jg. Nr. 1 vom 1.7.1946, S. 5. 41 BayHStA München. StK 113972. Schreiben eines Dr. Hartmann aus Bergersee/Schnaitsee bei Wasserburg am 12.8.1945 an die Bayerische Landesregierung, z.Hd. Herrn Reichsminister Dr. Gessler. 42 Gespräch mit Herrn Ingo Hümmer, Ansbach. 43 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 36 vom 24.8.1946, S. 7. 44 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken. Ansbach, 14. Jg. Nr. 1 vom 1.7.1946, S. 4. 45 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Jg. 1946, Nr. 12 vom 15.10.1946, S. 165. Abiturientenlehrgänge für künftige Volksschullehrer. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 9.10.46 Nr. IV 48581.

130 solide Ausbildung, sondern als „pädagogisches Impfen“.46 Einen Abiturientenkurs in Erlangen besuchte Manfred Schlepp. Er bewarb sich im Jahr 1946 mit einem Zeugnis, das nach siebeneinhalb Jahren Gymnasium den Reifevermerk enthielt. Er bestand die Aufnahmeprüfung und wurde zugelassen, obwohl er von der Militärregierung bzw. Spruchkammer noch keinen Bescheid über seine Unbedenklichkeit erhalten hatte. Erst vierzehn Tage nach Kursbeginn konnte Schlepp ihn nachreichen. Hoch und heilig hatte er versprechen müssen, freiwillig auf den Lehrgang zu verzichten, falls seine (Jugend)amnestie nicht vorgenommen würde. Mit ihm waren es ca. 150 Bewerber, von denen schließlich 56 in den Kurs aufgenommen wurden, 23 Mädchen waren dabei. Man setzte Fachwissen voraus, und unterrichtet wurden Allgemeine Pädagogik, Psycho- logie und Fachdidaktik. Schlepp erinnerte sich an keine bestimmte pädagogische Rich- tung, aber daran, daß an frühere Reformpädagogen angeknüpft wurde: Kerschenstei- ner, Gaudig, Scheibner, auch Dewey.47 Die Stadt Nürnberg richtete auch 1947 einen Abiturientenlehrgang für Volks- schullehrer ein.48 Und im Jahr 1950 gab es noch solche Kurse für Spätheimkehrer, denen man die bevorzugte Einstellung in Aussicht stellte. Unterhaltszuschüsse sollten wohl- wollend gewährt werden, und die Fortbildungsleiter wurden angewiesen, durch besondere Maßnahmen, z.B. Sonderkonferenzen und Schulvorführungen in allen Altersklassen, die Einführung in die Volksschulpraxis für diesen Personenkreis besonders wirkungsvoll zu gestalten. Das Kultusministerium wollte mit dieser Entschließung vor allem die Benach- teiligung der Spätheimkehrer gegenüber den weiblichen Lehramtsanwärtern mildern.49 Die vielgestaltige Zusammensetzung der bayerischen Lehrerkollegien brachte etliche Probleme mit sich. Beklagt wurde vor allem die unzulängliche Qualität des Ersatz- personals, das am Rückgang der Leistungen in den Volksschulen die Schuld habe. Für den Landkreis Feuchtwangen beispielsweise wurde noch 1950 angegeben, daß von 132 Lehrkräften 35 nicht die erforderliche Bildung besäßen.50 Aus gegebenem Anlaß erließ die Regierung von Ober- und Mittelfranken an die Schulämter die Verfügung, daß „Lehrkräfte, die das elementare Rechnen, wie es von jedem Volksschüler verlangt wer- den muß, nicht beherrschen, ... aus der Schule zu entfernen“ seien und daß ebenso Lehrer unmöglich seien, „die die einfachsten Regeln des Rechtschreibens nicht selbst beherrschen“.51 Und nicht nur das wurde verlangt; auch Bildung müsse der Lehrer ver- mitteln, „d.h. den Unterrichts- und Übungsstoff so an das Kind heranbringen, ‚daß ein Höchstmaß von seelenformender Ergriffenheit erreicht wird‘“.52 Da ein großer Teil der Ersatzlehrkräfte nicht in der Lage sei, ordnungsgemäßen Unterricht zu erteilen, schien amtliche Fortbildung dringend geboten. Zwei besonders gravierende Fälle im Regie- rungsbezirk Ober- und Mittelfranken wurden zur Begründung genannt: Eine Frau Dr. v. W.,

46 Gespräch mit Prof. Dr. Hans Glöckel, Nürnberg. 47 Gespräch mit Herrn Manfred Schlepp, Heilsbronn. 48 Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 9.5.1947, S. 2. 49 BayHStA München. MK 62004a. Schreiben Nr. IV 32182/5/1A I des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 12.5.1950 an alle Regierungen. Betreff: Verwendung der Teilnehmer an den Abiturientenlehr- gängen für Spätheimkehrer im Volksschuldienst; hier: bevorzugte Einstellung. 50 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4776. Bericht des Bezirksschulamts Nürnberg-Land am 27.5.1949 an die Regierung von Mittelfranken, Schulabteilung. Betreff: Amtliche Fortbildung. RE. v. 21.4.1949. Nr. 1168a 5; StAN. Landratsamt Feuchtwangen, Abgabe 1992, Nr. 98. Niederschrift über die Bür- germeisterversammlung am 20.1.1950 in Bechhofen. 51 Ebda., Abgabe 1978, Nr. 4621. Schreiben der Regierung von Ober- und Mittelfranken am 10.5.1946 an die Stadt- und Bezirksschulämter. 52 Ebda.

131 außerbayerische Lehrerin in Erlangen, habe an der Tafel ein Diktat vorgeschrieben, das die Kinder nicht verstanden, aber hätten abschreiben müssen, das „irgendeinem Schmöker“ entnommen worden sei und in keinem Zusammenhang zum Sachstoff gestanden habe. Eine Lehrerin in Markt Erlbach habe folgende Rechenaufgabe gestellt: 3 7/28 + 5 6/94. Die Lehrerin habe selbst zugegeben, daß sie nicht in der Lage sei, die Auf- gabe zu rechnen. Und wenn die meisten Ersatzlehrkräfte auch die Schulfertigkeiten Lesen, Schreiben, Rechnen beherrschten, so seien sie doch nicht fähig, „Bildung zu ver- mitteln und die Kinder zu erziehen“.53 Zu diesem Zeitpunkt waren etwa 200 Schulhelfer mit 8-wöchiger Ausbildung - das Beispiel des Schulhelfers Hermann Dehm zeigt, daß man auch mit wesentlich weniger Ausbildungszeit auskam! - und rund 300 Lehrkräfte ohne jede pädagogische Ausbildung an den ober- und mittelfränkischen Volksschulen tätig.54 Grotesk fanden es auch entlassene Lehrer, daß der alte, erfahrene Pädagoge im Schulhof stand und „als Gemeindearbeiter ... das Holz klein(machte) und droben im Schulzimmer ... sich die Ersatzkraft mit den Kindern (abstritt), ob man ‚königlich‘ mit g oder ch schreibt“.55 Daß die Kinder „Wildwuchs“ wurden, lastete man diesen Lehrkräften außerdem an, da „durch den Neulehrer vor allem die systematische Einführung des Kin- des in die Schule, das Hineinwachsen in den Pflichtkreis, die peinliche Erfüllung zunächst kleiner Aufgaben versäumt“ werde.56 Von anderer Seite kam aber auch der Bericht, daß die verschiedenen Ersatzlehrkräfte großen Fleiß, „hingebende Liebe zum Kinde und auch überraschendes Geschick“ an den Tag legten, wobei ihre Arbeit erschwert werde durch eine Durchschnittsschülerzahl von 97 je Lehrkraft (Ende März 1946) bzw. 77 (1. Juni 1946).57 Immerhin gab es nach der Entlassung von fast 12 000 Lehrern im Volks- schulbereich ca. 4000 Ersatzlehrkräfte,58 die einen angemessenen Unterricht erteilen sollten. Daher wurde vom Ministerium zunächst „erwünscht“, später angeordnet, daß „die Lehrkräfte aller Kategorien in pädagogischen Arbeitstagungen zusammenzufas- sen“ seien.59 Für die von der amerikanischen Militärregierung genehmigten Lehrer in Nürnberg gab es schon ab Mitte Juni 1945 wöchentliche Konferenzen mit grundlegen- den Referaten, z. B. über die „Bildungssituation der Gegenwart“. Als Referenten traten u.a. Regierungspräsident Schregle, Dr. v. Eckhart vom Kultusministerium, Regierungsschulrat Ritter v. Rudolph und hohe Beamte des Kultusministeriums auf.60

53 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4776. Schreiben des Regierungspräsidenten von Ober- und Mittelfranken am 30.1.1946 an das Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Amtli- che Fortbildung für die Volksschullehrer. Zur RE. v. 12.12.1945 Nr. 1168a 5. Bezug: ME v. 9.1.1946 Nr. IV 815. 54 Ebda. 55 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N 1 - 882. Ein entlassener Schulrat aus Dinkelsbühl am 10.11.1947 an Regierungsschulrat Wimmer im Staatsministerium für Unterricht und Kultus, München. 56 Paul Erker: Vom Heimatvertriebenen zum Neubürger. Sozialgeschichte der Flüchtlinge in einer agrarischen Region Mittelfrankens 1945-55. Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Wiesbaden 1988, S. 153. Er zitiert aus dem Bericht eines Flüchtlingsseelsorgers vom Juni 1950. LKAN. LKR Nr. 3749. 57 BayHStA München. MK 62006. Schreiben des Schulrats Weiß vom Bezirksschulamt Miesbach am 3.6.1946 an den Regierungspräsidenten in München. Betreff: Durchführung des Arbeitsplanes für 45/46. 58 ACSP München. NL Müller 268 (StMUK 1946-50). Etatrede des Staatsministers für Unterricht und Kultus, Hundhammer, am 8.11.1950. 59 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken. Ansbach, 14. Jg. Nr. 1 vom 1.7.1946, S. 4. 60 Barthel, S. 64.

132 Vom Ministerium kamen wiederholt Aufforderungen zur Fortbildung der Ersatz- lehrkräfte vor allem in der „praktischen Pädagogik“.61 In Konferenzen wurden die Über- gangsrichtlinien für Volksschulen, ebenso Fragen des Erst- und Deutschunterrichts besprochen. Befreit von diesen Veranstaltungen waren nur Lehrer, die vom Nationalso- zialismus verdrängt worden waren, „solche, die sich als Lehrer bewährt“ hatten und „denen eine Fortbildungspflicht nicht mehr zugemutet werden“ konnte. Ausdrücklich zum Erscheinen verpflichtet wurden Lehrer an Schulen, die noch nicht wieder eröffnet waren, bayerische Lehrer im Ruhestand, bayerische Lehrer, die aus dem Schuldienst aus- geschieden waren, z.B. wegen Heirat, außerbayerische Lehrer, Lehramtsanwärter ohne zweite Dienstprüfung, Schulhelfer und sonstige Personen ohne genügende pädagogi- sche Vorbildung.62 Ferientagungen für Junglehrer wurden angeordnet, z.B. am 3. und 4. Januar 1947, wobei der erste Tag verpflichtend war, der zweite „freiwillig für alle, die in München Unterkunft finden“. Die verbindliche Teilnahme galt für die Absolventen von „Kriegssonder-, Abiturienten-, Einführungs- und Abschlußlehrgängen des Jahres 46, dazu alle Ersatzlehrer“.63 Auch die unfreiwilligen Schulschließungen wegen der Kohlennot sollten die „freien Lehrkräfte ... möglichst zur Fort- und Weiterbildung ... verwenden. Unter der Leitung von erfahrenen Lehrkräften sollen die wichtigsten Unterrichts- und Erziehungsaufgaben durchgesprochen werden“. Besonderer Wert sollte auf die berufli- che Förderung der jungen und meist nur kurz ausgebildeten Lehrer verwendet wer- den.64 Die verbindliche Teilnahme an den Fortbildungsveranstaltungen war offensicht- lich für manche Ersatzlehrkraft eine besondere Härte, da vom Stadtschulamt Nürnberg eine Entscheidung darüber erbeten wurde, ob verheiratete wiederverwendete Lehrerin- nen nicht von dieser Pflicht befreit werden könnten, da sie fast alle zwei oder drei Klassen führten und außerdem durch die Haushaltführung stark in Anspruch genommen wür- den.65 Und Haushaltführung bedeutete in den Jahren 1946 und 47 ja stundenlanges Anstehen nach Lebensmitteln, Hamsterfahrten aufs Land, Organisieren von Heizmateri- al, Kochen in sehr beengten Verhältnissen, war also mit Umständen verbunden, die zusätzliche Belastungen nur bedingt zuließen. Dieser Antrag wurde allerdings nicht befürwortet, denn „es darf nicht der Eindruck entstehen, daß man auf eine leichte Weise Lehrer werden kann. Der Eindruck besteht schon weithin, weil die Zeitumstände sein Aufkommen, veranlaßt haben“.66 Obwohl man also gezwungen war, alle verfügbaren Kräfte für den Schuldienst einzustellen, war man nicht bereit, diese Ersatzlehrer auf Dauer ohne Weiterbildung zu beschäftigen. Im selben Schreiben wurde nämlich ausdrücklich hervorgehoben, daß man denjenigen Ersatzleuten, die nicht beabsichtigten, eine Prüfung zu machen, deut- lich sagen müsse, daß sie, sobald die Umstände es erlaubten, durch ausgebildete Lehr- kräfte ersetzt würden. Es bestünde die Gefahr, daß sich sonst das Bewußtsein bilde, daß

61 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4776. Schreiben des Regierungspräsidenten von Ober- und Mittelfranken am 21.12.1945 an alle Schulräte. Betreff: Fortbildung der Volksschullehrer im Jahre 1945/46. 62 BayHStA München. MK 62016. Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 15.10.1945 an die Regierungspräsidenten. Betreff: Allgemeine Konferenz für die Lehrkräfte an den bayeri- schen Volksschulen. Bezug: ME. v. 10.9.1945 Nr. IV 20152 Ziff. 8. 63 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4785. Erlaß des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 19.11.1946. 64 Ebda., Nr. 4776. Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 17.1.1947 an die Regierungen. Betreff: Schulschließung Winter 46/47. 65 BayHStA München. MK 62006. Schreiben Nr. 1045 DEZ. IX des Stadtschulamtes der Stadt Nürnberg am 20.12.1946 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. Betreff: Fortbildungspflicht der Ersatzlehrkräfte. 66 Ebda., Schreiben Nr. 1168a 87 der Regierung von Ober- und Mittelfranken am 31.1.1947 an das Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus.

133 sie „aus Gründen der Gewohnheit und der Billigkeit einen Anspruch auf Weiterverwendung im Schuldienst“ erworben hätten. Anzeichen dafür seien schon vorhanden.67 Im bayerischen Landtag diskutierte man im Dezember 1947 das Problem der Schulhelfer und fand - auch von seiten des Kultusministeriums - wenig freundliche Worte für sie. Die Kurse bezeichnete man als „pädagogische Schnellbleiche“; das „System als Ganzes“ habe sich nicht bewährt, da man „wahllos irgendwelche Leute nach sechs- bis achtwöchigen Kursen in die Schule setzte“. „Der größte Teil“ sei den Aufgaben nicht gewachsen. Ministerialrat Vogelhuber sagte, daß Abschlußkurse von einjähriger Dauer eingerichtet worden seien, zu denen man erst nach einer Eignungs- prüfung zugelassen würde, auch wenn ein Schulhelfer schon zwei Jahre Praxis habe; denn etliche von ihnen seien nicht sicher in der Rechtschreibung und im Rechnen und besäßen auch die charakterliche Eignung nicht. Vogelhubers Ausführungen gipfelten in dem Satz: „Diese Elemente werden rücksichtslos ausgemerzt.“68 In der Sache hatte der Herr Ministerialrat vermutlich recht, seine Wortwahl allerdings erinnerte stark an die Sprache des Nationalsozialismus, und das zweieinhalb Jahre nach Kriegsende! Statistiken über den „Stand des Volksschulwesens“ zeigen, daß auf Ersatzlehrer mit und ohne pädagogische Vorbildung aber noch nicht verzichtet werden konnte. Sie geben auch Aufschluß über die qualitative Abstufung der verschiedenen Lehrer. Die Stadt Nürnberg z.B. verzeichnete unter dem Stichtag 1. Mai 1946 folgendes Personal: 1. Lehrpersonal a) ständige bayerische Lehrkräfte (planmäßige und außerplanmäßige), einschließ- lich klösterliche Lehrkräfte: 190 b) Lehrer im Angestelltenverhältnis einschließlich diensttuende Pensionisten: 2 c) außerbayerische Lehrkräfte: 8 2. Schulhelfer a) nur mit Einführungslehrgang, bayerische: 8 b) mit abgebrochenem Abschlußlehrgang, bayerische: 1, außerbayerische: 169 c) Schulhelfer „neuer Ordnung“, bayerische: 1770 3. Aushilfslehrkräfte (pädagogisch vorgebildet71) bayerische: 23, außerbayerische: 1 4. Ersatzkräfte (ohne pädagogische Vorbildung), bayerische: 472 Zum selben Stichtag gab das Stadtschulamt Ansbach folgende Volks- und Berufs- schulstatistik bekannt:

67 Ebda. 68 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenographischer Bericht Nr. 42. 42. Sitzung am 11. Dezember 1947, S. 469. 69 Diese Schulhelfer waren „Schulhelfer alter Ordnung“, die noch zur Zeit des Naziregimes einen dreimonati- gen Einführungslehrgang und nach einem Jahr praktischer Tätigkeit einen neun Monate dauernden Abschlußlehrgang absolviert hatten. Die Abschlußprüfung wurde der 1. Prüfung für das Lehramt an Volks- schulen gleichgesetzt, der Schulhelfer wurde zum Lehramtsanwärter. Durch die Kriegsereignisse hatten zwar manche Anwärter den Abschlußlehrgang begonnen, aber nicht mehr beendet. Sie blieben „Schulhelfer alter Ordnung“. (StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4516. Schreiben Nr. 1094a 31 der Regie- rung von Oberfranken und Mittelfranken am 20. Februar 1946 an die Stadt- und Bezirksschulämter, z.Hd. der Schulräte im Regierungsbezirk. Betreff: Verschiedenes in organisatorischen Angelegenheiten). 70 Deren Lehrgänge waren ab August 1945 in Gang gekommen. (Ebda.). 71 Pädagogisch vorgebildet war, „1) Wer die 1. Prüfung für das Lehramt an Volksschulen bestanden hat. 2) Wer die Studienassessorenprüfung abgelegt hat. 3) Wer das Lehrziel einer Frauenschule in Bayern erreicht hat und das Prüfungszeugnis für Erzieherinnen besitzt, z.B. vom Mädchenlyzeum mit Erziehungsinstitut in Nürnberg, Zeltnerstr. 19 (Nach 4 Jahren Volksschule folgen 6 Jahre Lyzeum und 2 Jahre Frauenschule).“ (Ebda.). 72 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4659. Volksschulstatistik. Stichtag: 1.5.1946. Stadt Nürnberg. An das Staatsministerium für Unterricht und Kultus.

134 1. Lehrkräfte a) ständige bayerische (planmäßige und außerplanmäßige) einschließlich klöster- liche Lehrkräfte: 19 b) bayerische im Angestelltenverhältnis, einschließlich der z.Zt. diensttuenden Pensionisten: 3 2. Schulhelfer („alter Ordnung“) a) bayerische, nur mit Einführungslehrgang: 7, außerbayerische: 1 b) mit abgebrochenem Abschlußlehrgang, bayerische: 2 c) mit Einführungslehrgang seit August 45 (= „neuer Ordnung“) bayerische: 1, außerbayerische: 1 3. Aushilfskräfte (pädagogisch vorgebildet) bayerische: 3, außerbayerische: 2 4. Ersatzkräfte (ohne pädagogische Vorbildung) außerbayerische: 273 Der Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken gab folgende Zahlen zum Stichtag 22. Januar 1946 an: 83 Schulhelfer neuer Ordnung 152 Schulhelfer alter Ordnung (bayerische) 58 Schulhelfer alter Ordnung (außerbayerische).74 Diese Zahlen bedeuteten aber nicht, daß die Genannten an Volksschulen Dienst taten, denn Ansbach hatte z.B. 9 Schulhelfer und zusätzlich 9 Lehramtsanwärter ohne zweite Prüfung; von diesen 18 waren aber nur acht von der Militärregierung zugelassen. In Nürnberg gab es insgesamt 15 fortbildungspflichtige Lehrkräfte, von denen nur neun unterrichten durften.75 Unter dem Stichtag vom 25. September 1946 nannte die Regierung von Ober- franken und Mittelfranken eine Gesamtzahl von 5063 Volksschullehrern, 2618 dienst- entlassene Lehrer und 456 Schulhelfer.76 Es konnten also bei weitem nicht so viele Ersatzkräfte gefunden werden, wie es erforderlich gewesen wäre, und so überrascht es nicht, wenn in derselben Aufstellung 24 823 Schüler mit Vollunterricht genannt wur- den, aber 277 843 mit gekürztem und 6735 ohne Unterricht. Dabei stand dieser Regie- rungsbezirk noch recht gut da, denn in der Oberpfalz waren zu dem Zeitpunkt 24 784 Schüler ohne Unterricht.77 Diese grenznahe Region Bayerns hatte sicher erheblich größere Schwierigkeiten bei der Versorgung der Flüchtlingskinder mit Unterricht oder bot erst gar keinen an, da diese nach kurzer Zeit in die anderen bayerischen Regierungs- bezirke weitergeleitet wurden. Dieses Problem gab es in Oberfranken allerdings auch.78 Über den Stand des Volksschulwesens wurde zum 15. September 1947 für Ober- und Mittelfranken ausgesagt, daß von insgesamt 5056 Lehrern 228 Schulhelfer, 224 Aushilfskräfte und 47 Ersatzkräfte tätig waren. Als fortbildungspflichtig wurden 1665 genannt, zu denen auch ein Teil der 2499 angestellten Lehrer gehörte. Zur letzteren Gruppe zählten auch die Flüchtlingslehrer.79 In seiner Etatrede am 9. November 1947 nannte Kultusminister Hundhammer für Bayern 20 290 Volksschullehrer im Dienst; davon 6900 Beamte, also im Sinne des Befreiungsgesetzes Unbelastete, 9746 Angestell- te, davon ca. 5600 Flüchtlingslehrer, 999 Schulhelfer, 927 Aushilfslehrkräfte und

73 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4659. Volks- und Berufsschulstatistik zur ME. vom 11.3.1946 Nr. IV 12605. 74 BayHStA München. MK 62016. Schreiben der Regierung in Ansbach am 22.1.1946 an das Staatsministeri- um für Unterricht und Kultus. Mitteilung über fortbildungspflichtiges Lehrpersonal. 75 Ebda. 76 Ebda., MK 61314. Statistik des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. Stand: 25.9.1946. 77 Ebda. 78 siehe S. 71 ff. 79 BayHStA München. MK 61319. Stand des Volksschulwesens, 15.9.1947.

135 370 Ersatzkräfte.80 Im Januar 1948 wurden 80 Schulhelfer ohne Abschlußlehrgang für Oberfranken und Mittelfranken genannt und interessanterweise auch 100 Schulhelfer, die zu entlassen seien, da sie sich nicht bewährt hätten. Auch 50 noch zu entlassende Ersatzlehrkräfte führte man auf.81 Zu diesem Zeitpunkt konnte oder wollte man sie anscheinend noch nicht entlassen, obwohl im Regierungsbezirk 341 Flüchtlingslehrer auf Anstellung warteten.82 Möglicherweise gehörten diese nicht der gewünschten Kon- fession an, oder es wurde versucht, die „Außerbayerischen“ fernzuhalten. Es gab aber auch schon Verabredungen über Quotenregelungen für Flüchtlingslehrer.83 Auch im Juni 1948 zählten zu den 5865 Volksschullehrern in Ober- und Mittelfranken noch 51 Hilfs- kräfte mit und neun ohne pädagogische Vorbildung. Außerdem gab es 670 vorgemerkte Flüchtlingslehrer.84 Kurioserweise erhielten aber schon im November 1947 die Regierungen vom Kultusministerium die Mitteilung, daß „nun genügend vollausgebildete Lehrkräfte zur Verfügung“ stünden. Es wurde um Mitteilung gebeten, ob es noch Orte gebe, in denen Volksschulkinder ohne Unterricht seien.85

80 Huelsz, S. 110. 81 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4659. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 29.1.1948 an die Regierungen. 82 Ebda. 83 siehe S. 173. 84 BayHStA München. MK 61314. Statistik: Stand des Volksschulwesens, 15.6.1948. 85 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 3.11.1947 an alle Regierungen. Betreff: Volksschulunterricht.

136 3. LEHRERMANGEL

Die Behauptung des Kultusministeriums, daß genügend „vollausgebildete“ Lehrkräfte vorhanden seien, muß ebenso angezweifelt werden wie die Feststellung, es seien „genügend“, denn Berichte und Statistiken zeigten ein ganz anderes Bild. Wie bereits dargelegt, war die Situation bei Wiedereröffnung der Volksschulen besonders schwierig. In Bayern gab es im Schuljahr 1945/46 viele Klassen mit 150 Schülern und Wechselunterricht, wobei ein Lehrer bis zu 250 Schüler betreute, die oft nur sechs bis acht Wochenstunden hatten.1 Und auch wenn durch die Vertriebenen und Flüchtlinge, die ja zunächst auf dem Land Platz fanden, manche einklassige Dorfschule eine Differenzierung in mehrere Klassen erfuhr, so sah die Unterrichtsrealität doch weit- gehend so aus, daß ein Lehrer in bis zu vier Schichten die einzelnen Klassen im verkürzten Unterricht hintereinander betreute.2 In Nürnberg belegen Zahlen die verheerenden Verhältnisse. Die örtliche Militär- regierung nannte am 27. Juli 1945 20380 Kinder, für die 236 Volksschullehrer verfügbar seien.3 Pro Lehrer wären das etwa 86 Schüler gewesen. Allerdings kehrten laufend eva- kuierte Kinder in die Stadt zurück, so daß die Stadtchronik bei Unterrichtsaufnahme am 1. Oktober 1945 25250 Schüler für 234 Lehrkräfte meldete, also ca. 108 für jeden Lehrer.4 Andere Zahlen zu diesem Zeitpunkt sprachen von 25000 Schülern und 188 Lehrern, die von der Militärregierung zugelassen worden waren. Die genannte geringere Anzahl der Leh- rer hing möglicherweise damit zusammen, daß nur ca. 100 Räume zur Verfügung standen, so daß gar nicht so viele Lehrer unterrichten konnten, wie evtl. vorhanden waren. Jedenfalls betreute jeder der eingesetzten Erzieher drei bis vier Klassen.5 Lehrermangel wurde aus dem ganzen Land gemeldet, z.B. waren im Kreis Eichstätt 16 von 128 Leh- rern übriggeblieben.6 Ein Schreiben des Bezirksschulrats in Naila meldete, daß von 32 Schulstellen im Bezirk Naila fünf nicht besetzt seien, daß alle Lehrer zwei Klassen führten und daß das Zusammenlegen von mehreren Schulstellen benachbarter Gemeinden auch nicht so ohne weiteres durchgeführt werden könne, da „bei den gegenwärtigen hiesi- gen Schneeverhältnissen den kleineren Schulkindern der Weg in die Nachbargemeinde nicht mehr zugemutet werden“ könne.7 Hausgemacht schien dagegen der Lehrerman- gel im Landkreis Zwiesel zu sein. Ein Zeitungsbericht über eine Kreisausschußsitzung legte die Zwangslage dar: „... Man muß sich also entscheiden, ob ein Teil der Schulen geschlossen bleiben soll, oder ob vorübergehend aushilfsweise einige evangelische Lehr- kräfte in den Schulen beschäftigt werden sollen.“ Der Schulrat trat für diese Regelung ein, da die amerikanische Militärregierung verlangte, daß die Kinder von den Straßen wegkommen sollten. „Der Kreisausschuß nahm die Ausführungen ... an, gab jedoch zum Ausdruck, daß evangelische Lehrkräfte ausschließlich in größeren Schulen, in denen sich mehrere Lehrkräfte befinden, einzusetzen seien.8

1 Buchinger, S. 23. 2 Achim Leschinsky: Volksschule zwischen Ausbau und Auszehrung. Schwierigkeiten bei der Steuerung der Schulentwicklung seit den zwanziger Jahren. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte. 30. Jg. 1982, Heft 1, S. 27-81 (S. 59). 3 Rossmeissl, S. 186. 4 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2 vom 31.7.1948. 5 Barthel, S. 62. 6 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4779. Niederschrift über den vierten amtlichen Fort- bildungstag 1947/48 am 13.7.1948. Eichstätt I und II. Schreiben an die Regierung von Mittelfranken. 7 Ebda., Nr. 4516. Schreiben des Schulrats Eisner, Bezirksschulamt Naila, am 9.12.1945 an den Regierungs- präsidenten in Ansbach. Betreff: Mangel an Lehrern. 8 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Zeitungsausschnitt v. 14.12.1945, Landkreis Zwiesel (keine näheren Angaben). Lic. Schmidt notierte als Anmerkung: „... nicht ohne Interesse, bes. wenn man in Betracht zieht, daß im Bereich des Pfarramts Zwiesel ca. 15 000 evangelische Flüchtlinge wohnen.“

137 Im Jahr 1946 zeigte sich eine nahezu unveränderte Situation bei der Zahl der Lehrer. In der Stadt Nürnberg kam auf 100 Schüler ein Lehrer, der jede Klasse wöchentlich 12 bis 20 Stunden in Abteilungen unterrichtete.9 Offenbar war die Situation aber nicht überall so gravierend, wie man an den Verhältnissen in Fürth sah. Im November 1946 konstatierte Stadtschulrat Schorer zwar, daß die „Anstellungsverhältnisse ... eine Ver- schärfung erfahren (hätten). Lehrkräfte dürfen nicht wieder beschäftigt werden, auch wenn das Spruchkammerurteil rechtskräftig geworden ist, ebensowenig solche, die nicht unter das Entnazifizierungsgesetz fallen, auch nicht Flüchtlingslehrer, die vollstän- dig unbelastet sind,“10 aber die Zusammensetzung der Lehrerschaft in der Stadt Fürth wurde folgendermaßen angegeben: Planstellen: 192, tätige Lehrer: 142, davon bayerische: 69, davon Parteigenos- sen: 42, Nichtparteigenossen: 27; bayerische im Angestelltenverhältnis: 33, außerbayeri- sche im Angestelltenverhältnis: 29; bayerische Schulhelfer: 10, außerbayerische Schul- helfer: 1. Von den 142 Lehrern waren 69 Parteigenossen, 71 Nichtparteigenossen und 2 Anwärter.11 Die Aufstellung der Fürther Lehrerschaft ist insofern erstaunlich, als 69 Par- teigenossen aufgeführt werden. Andererseits wurde in der Sitzung beklagt, daß auch Nichtbetroffene nicht angestellt wurden. Eine mögliche Erklärung wäre, daß die Militär- behörden angesichts der auf den Straßen herumlungernden Kinder Sondergeneh- migungen für den Verbleib der Parteigenossen in ihren Ämtern erteilt hatten. Die Klas- senzahl wurde in dem Bericht mit 225 angegeben, so daß auf jeden Lehrer im Stadtbezirk Fürth 1,58 Klassen entfielen, also mehr als die Hälfte der Lehrer zwei Klassen führte. Schüler gab es 10 276, für jeden Lehrer durchschnittlich 73; eine Zahl, die zum damali- gen Zeitpunkt nicht außerordentlich hoch war. Da Fürth im Vergleich zu Nürnberg relativ unversehrt war, konnten auch mehr Schulräume zur Verfügung gestellt und mehr Lehrer beschäftigt werden. Auf einer Bürgermeisterbesprechung am 6. September 1946 in Feuchtwangen verkündete der Landrat, daß entnazifizierte Beamte bis zu einer kommenden Regelung nicht wieder eingestellt werden dürften, „des weiteren auch keine Lehrer“. Und das, obwohl der Schulrat erklärte, es müßten im Landkreis Feuchtwangen mindestens 135 Lehrer unterrichten, um eine einigermaßen gediegene Ausbildung für die Kinder zu gewährleisten; man habe aber nur 85.12 Die Verhältnisse in den einzelnen Städten und Bezirken konnten sich also beträchtlich unterscheiden. Die steigenden Flüchtlingszahlen ließen den Regierungspräsidenten von Ober- franken und Mittelfranken um einen geordneten Schulbetrieb fürchten, da 1100 Plan- stellen fehlten, wenn man den Klassendurchschnitt mit 50 annahm.13 Vom bayerischen Kultusminister Hundhammer wurde die Klassendurchschnittszahl für 1946 mit 70 Schülern angegeben;14 allerdings ohne einen Hinweis auf die Anzahl der Lehrer, die Zahl der Unterrichtsschichten und die tatsächliche Unterrichtszeit. In den Großstädten stieß die Forderung nach mehr Lehrern auf zusätzliche Schwierigkeiten: Zwar benötigte man beispielsweise in Nürnberg Stadt weitere 215 Lehrer, man hätte sie jedoch wegen des

9 Fränkische Landeszeitung. 1. Jg. Nr. 60 vom 16.11.1946, S. 3. 10 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Bericht über die Schulleitersitzung am 30.11.1946, Fürth. Anwesend: Sämtliche Schulleiter des Stadtbezirks Fürth. Vorsitz: Stadtschulrat Schorer. 11 Ebda. 12 StAN. Landratsamt Feuchtwangen, Abgabe 1992, Nr. 98. Niederschrift über die Bürgermeisterbesprechung am 6.9.1946 in Feuchtwangen. 13 BayHStA München. MK 62238. Schreiben des Regierungspräsidenten von Ober- und Mittelfranken am 12.7.1946 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Schulische Betreuung der Flüchtlings- kinder. 14 Ebda., MK 61220. Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht 168. Sitzung am 5.7.1950, S. 610.

138 Mangels an Schulräumen gar nicht beschäftigen können. Auch der Wohnraummangel beeinflußte die Einstellung. So wurde z.B. die Zahl der Flüchtlings- bzw. Vertriebenen- lehrer mit 5 % für die Stadt, dagegen mit 30 % für den Landkreis Nürnberg angegeben, während 31 % der Stadtlehrer aus Abgängern von Lehrerbildungsanstalten bestanden, aber nur 9 % im Landkreis.15 Es war eben einfacher, in der zerbombten Stadt einen Junglehrer unterzubringen als einen Flüchtlingslehrer, der auch für seine Familie Wohn- raum benötigt hätte. Die Relation Lehrer : Schüler betrug demnach für den Stadtkreis Nürnberg 1 : 78, für den Landkreis 1: 59.16 An Vollunterricht war nicht zu denken. Der Lehrer- und Raummangel ließ laut Ausführungen von Stadtrat Raab am 13. November 1946 etwas mehr als die Hälfte der normalen Stundenzahl zu.17 Gravierend für den Unterrichtsbetrieb war aber auch die Tatsache, daß das Durchschnittsalter außerordentlich hoch war; es lag z.B. in München bei den männlichen Lehrkräften bei 54 und bei den weiblichen bei 51 Jahren. Für das Schulamt war der daraus resultierende hohe Kran- kenstand von Bedeutung,18 die Amerikaner waren eher besorgt über den Mangel an geeigneten Lehrkräften für die Umerziehung zur Demokratie. Denn obgleich die alten Lehrer, die im Amt verblieben waren, eine meist einwandfreie politische Vergangenheit vorweisen konnten, zweifelten Erziehungsoffiziere der Militärregierung und amerikani- sche Beobachter, ob ihre pädagogischen Methoden zeitgemäß seien und ob sie das rich- tige Verständnis für die amerikanischen Umerziehungspläne hätten. Von ihrer Befähi- gung, daran effektiv mitzuwirken, war man nicht überzeugt. Deutlich wurde das in einem ironischen Kommentar in der New York Times vom 1. April 1946, in dem gesagt wurde, „daß die Militärregierung in Deutschland versuchte, mit übriggebliebenen ‚dried-up spinsters‘ deutsche Schulkinder mit neuen Ideen zu inspirieren“. Noch im April 1947 sprach man im OMGUS Report Education No. 22, S. 1, von der Lehrerknappheit als dem „most significant problem“.19 Zu den Reformvorschlägen der Christlich-Sozialen Union zur inneren und äuße- ren Gestaltung des Schulwesens, vorgelegt im September 1947, gehörte angesichts des Lehrermangels der Vorschlag, die „Lehrer“fälle bei den Spruchkammern vordringlich zu behandeln, um dadurch „erfahrene und für gute demokratische Erziehung geeignete Lehrkräfte“ zu gewinnen.20 Noch einmal, im Dezember 1947, kam diese Forderung zur Sprache. Kultusminister Hundhammer wollte mit dem Sonderministerium in Verhand- lungen eintreten, um die Lehrkräfte beschleunigt zu entnazifizieren. Denn 60 bis 100 Schüler in einer Klasse erschienen auch dem bayerischen Landtag zu hoch.21 Die Bela- stung der im Amt belassenen Lehrer, die sich mit dieser kräftezehrenden Aufgabe abrackerten, war hoch, und es kam vor, daß sogar erwiesene NS-Gegner „die Erzie- hungsoffiziere der amerikanischen Militärregierung baten, dreiviertel der Entlassenen wieder einzusetzen“, so daß sich in der Erziehungsabteilung von OMGUS das Gefühl breit machte, „daß die Entlassenen und die Neueingestellten, aufs Ganze gesehen, in ihrem geistigen Zuschnitt gleich seien“.22 Anders als die Pfarrer erfuhren die Lehrer jedoch keine beschleunigte Entnazifizierung.23

15 Rossmeissl, S. 190. Aus dem Jahresbericht der Militärregierung Nürnberg vom 20.8.1947 über die Zeit von Juli 1946 bis Juni 1947. 16 Ebda., S. 189. 17 Ebda., S. 209. 18 BayHStA München. StK 113976. Bericht des Stadtschulamtes München vom 2.5.1946 zu den Stellen im Volksschulwesen. 19 Bungenstab, S. 75 f. 20 Bayerisches Kultusministerium (Hrsg.): Dokumente zur Schulreform. Bearbeitet von Hans Merkt. München 1952, S. 113. 21 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenograph. Bericht. 42. Sitzung vom 11.12.1947, S. 470. 22 Niethammer, Die Entnazifizierung, S. 188. 23 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenograph. Bericht. 42. Sitzung vom 11.12.1947, S. 470.

139 Berichte zum Stand des Volksschulwesens im Jahr 1947 zeigten die erheblich wachsende Zahl der Schüler. Sie stieg im Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken vom 1. November 1946 bis 30. April 1947 um 10 774; das entsprach ca. 3,5 %. Im glei- chen Zeitraum war die Zahl der Lehrkräfte von 3741 auf 4383 angewachsen, was etwa 17,2 % ausmachte. Trotzdem wurden 1207 zusätzlich benötigte Lehrkräfte angegeben und 359 schulpflichtige Kinder, die keinen Unterricht hatten. Die Steigerung bei der Schülerzahl wurde mit dem Zustrom der Flüchtlingskinder erklärt.24 Auf ganz Bayern bezogen wurde für den Zeitraum vom 1. Mai 1947 bis 31. Oktober 1947 ein Lehrer- zuwachs von ebenfalls 17,2 % angegeben und ein Anstieg der Schülerzahlen um 36 018, etwa 2,9 %.25 Die Einstellung der Schulhelfer machte sich offenbar positiv bemerkbar. Da Oberfranken sehr häufig die erste westliche Region für die Flüchtlings- und Vertriebenentransporte war, kann die vergleichsweise höhere Prozentzahl bei den Schülerzahlen damit erklärt werden. Häufig dauerte es einige Zeit, bis die Ankommen- den auf die weiter westlich gelegenen Regierungsbezirke umverteilt wurden. Eine ande- re Aufstellung vom März 1948 belegte ebenfalls den immer noch herrschenden Lehrer- mangel; denn sie enthielt Angaben über das Alter der Unterrichtenden. Insgesamt wurde für den Zeitpunkt eine Zahl von 5299 Lehrkräften an den Volksschulen in Ober- und Mittelfranken genannt. Von diesen waren 290 sechzig bis 65 Jahre, 137 sogar über 65 Jahre alt. Ihr Anteil an den verschiedenen Lehrergruppen betrug bei den Beamten, einschließlich der Lehramtsanwärter, 8 %, bei den Lehrern im Angestelltenverhältnis ca. 8,6 %, bei den Hilfskräften mit pädagogischer Vorbildung etwa 4,7 % und bei den klö- sterlichen Lehrern 17 %.26 Für den Januar 1948 war vom Kultusministerium eine Gesamtzahl von 5330 Lehrkräften im Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken genannt worden, wobei 61,4 Schüler auf einen Lehrer kamen. In Oberbayern waren es 56, in der Oberpfalz 59, in Unterfranken 63,4 und in Schwaben 64,3.27 Man empfand das offenbar als Schritt zur Konsolidierung und stellte nur noch Lehrkräfte ein, „also Personen, die die entsprechenden Lehramtsprüfungen für den Volksschuldienst nach- weisen und die übrigen Voraussetzungen (einschl. der politischen) für die Verwendung im Volksschuldienst mitbringen“.28 Auch Kündigungen wurden jetzt forciert, und zwar sollte für sie die Reihenfolge gelten: Ersatzkräfte (ohne pädagogische Vorbildung) - Aus- hilfskräfte (mit pädagogischer Vorbildung) - verheiratete Lehrerinnen. Letzterer Perso- nenkreis konnte entlassen werden, „soweit die wirtschaftliche Versorgung ihrer Familie nicht gefährdet erscheint“.29 Die Folge dieser Kündigungen waren immer wieder Klagen über fehlende Lehrer, z.B. in Nürnberg. Hier bemängelte man die Entfernung von Lehrkräften, die Doppelverdiener waren, ohne daß Ersatz vorhanden gewesen wäre; daß die Regierung sich aber auf den Standpunkt stelle, es seien genügend Lehrkräfte da, vor allem Jung- lehrer.30 Diese Behauptung muß insofern angezweifelt werden, als für die Volksschulen der Stadt Nürnberg am 1. August 1948 32707 Schüler und 568 Lehrer angegeben

24 BayHStA München. MK 52543. Halbjährlicher Bericht für Schulwesen. Regierungsbezirk Ober- und Mittel- franken vom 5.5.1947. 25 Ebda. Halbjährlicher Bericht für Schulwesen für Bayern vom 31.10.1947. 26 Ebda., MK 61319. Stand des Volksschulwesens. Regierung von Ober- und Mittelfranken am 3.3.1948 an das Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 27 Ebda. Stand des Volksschulwesens am 1.1.1948. München, 26.1.1948, Ref.1. 28 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München, Nr. 3 v. 19.4.1948, S. 39 f. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 5.3.48 Nr. IV 575. An alle Regierungen u. alle Schulämter. Bezug: ME. vom 10.9.1945 Nr. IV 20152. 29 Ebda. 30 Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift der Sitzung des Schulausschusses am 7.5.1948.

140 wurden, was einer Durchschnittszahl von 57,6 Schülern für einen Lehrer entsprach. Diese für die damalige Zeit recht gute Zahl wird allerdings relativiert bei Betrachtung des Unterrichtsmaßes für eine Woche, das 17 - 18 Stunden für die Schüler betrug.31 Zum selben Zeitpunkt wurden in Nürnberg 150 Schulhelfer und Lehramtsanwärter angestellt, und laut Aussage von Stadtschulrat Barthel waren ältere Kräfte „ebenfalls genügend“ vorhanden. Lehrer im mittleren Alter fehlten allerdings, und er bedauerte die Pensionie- rungen, die rücksichtslos durchgeführt und dadurch „wertvollste Kräfte in den Ruhe- stand versetzt“ würden.32 Der „Stand des Volksschulwesens“ vom 15. September 1948 wartete mit fol- genden Zahlen auf: In Ober- und Mittelfranken gab es für 166 987 Schüler 3072 Lehrer, also ca. 54 Schüler pro Lehrer. Die Schulklassen bzw. Abteilungen betrugen 3750, also 44,5 Schüler je Abteilung. 2376 Lehrer führten laut Aufstellung nur eine Klasse, 688 zwei Klassen und immer noch 15 Lehrer drei Klassen. Zählt man hier die Klassen zusam- men, dann sind es 3797, also 47 mehr als angegeben. Möglicherweise hatte man den 48 Schulhelfern im Abschlußlehrgang auch je eine Klasse zugeteilt, die dann von den Kollegen noch übernommen wurden. Auch in den nächsten Monaten war die Schüler- Lehrer-Relation ähnlich.33 Mit den Zahlen zum Stand des Volksschulwesens schien kräftig jongliert worden zu sein, je nachdem, welcher Politiker sich ihrer bemächtigt hatte. Der Pressedienst der SPD vermeldete Ende 1948, Kultusminister Hundhammer habe im Landtag bekanntgege- ben, daß es in Bayern etwa 1 290 000 Volksschüler und 19000 Lehrer gebe. Die Volks- schulen seien „soweit ausgebaut, daß auf eine Klasse nicht mehr als 53 Kinder kom- men“... „Dann hat Pitroff (MdL, SPD) zum Erstaunen des Hauses ... vorgerechnet, daß es ein Unterschied ist, ob 53 Kinder auf eine Klasse oder 50 Kinder auf einen Lehrer kommen.“ Hundhammer hatte nicht verraten, „daß bei seiner Rechnung die Klassen im Abteilungs- und Schichtunterricht geführt werden und ein und derselbe Lehrer häufig einige Stunden die eine und anschließend einige Stunden die andere Klasse unterrichten muß, so daß auf einen Lehrer über 100 Kinder kommen“.34 Hier bedienten sich aller- dings beide Politiker willkürlich der Zahlen, denn legt man die Hundhammerschen Angaben über Schüler- und Lehrerzahl zugrunde, so ergibt sich ein Schnitt von 67,9 Schülern pro Lehrer. In Einzelfällen konnte es aber durchaus zutreffen, daß auch noch 1948 oder 49 ein Lehrer 90 bis 100 Kinder unterrichtete. Schärfsten Protest legte der Kreisausschuß des Landkreises Nürnberg gegen eine Kürzung der Stellen ein, die offen- sichtlich aus finanziellen Gründen erfolgt war. Man beschwerte sich darüber, daß eine erhebliche Zahl von Klassen über 60 Schüler aufwies und daß von 135 Einzelklassen im Landkreis Nürnberg 18 im Wechselunterricht mitgeführt werden mußten. Der unter- zeichnende Landrat wies darauf hin, daß vor allem die Oberklassen die Folgen von Kriegs- und Nachkriegszeit noch nicht überwunden hätten und daß darüber hinaus die Bevölkerung „für eine derartige Schulpolitik im Zeitalter der Schulreform ... kein Ver- ständnis“ habe.35 Eine Aufstellung über die Schulverhältnisse im Schulaufsichtsbezirk

31 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 32 Ebda., C 7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 13.8.1948. 33 BayHStA München. MK 61321. Stand des Volksschulwesens am 15.9.1948. Regierungsbezirk Ober- und Mit- telfranken; ebda., MK 61322. Stand des Volksschulwesens vom 15.12.1948. Aufstellung des Bayer. Staats- ministeriums für Unterricht und Kultus. 34 AdsD Bonn. LV Bayern I/212. Partei-Dokumentation (1948). Pressedienst der SPD spk./9.11.1948, Blatt 3. 35 Ebda., SPD-LTF Bay Nr. 114. Korrespondenz von/mit Bez. Franken (OV, Kreise) 1949. Schreiben Nr. 935 des Kreisausschusses des Landkreises Nürnberg am 2.2.1949 an das Ministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Kürzung der Schulstellenzahl im Landkreis Nürnberg. Bezug: RE. v. 29.11.1948 Nr. 1136 a 192.

141 Nürnberg-Land verdeutlichte die Situation. Dabei war die Höchstzahl der Schüler, die auf eine Lehrkraft trafen, 94. Die schlechtesten Schulverhältnisse hatte man in Penzen- hofen, wo immer noch 270 Kinder in vier Klassen zusammengedrängt werden mußten, da nur zwei Räume zu Verfügung standen, so daß die Klassen 58, 83, 70 und 59 Schüler umfaßten. „Der notwendige Abteilungsunterricht (war) für jede Klasse zeitlich so einge- schränkt, daß sich die Lehrziele unmöglich erreichen“ ließen.36 In seiner Antwort bezeichnete Kultusminister Hundhammer die Beschwerde als nicht begründet; denn der Finanzhaushalt 1949/50 habe für den Bezirk Mittelfranken anstelle der geforderten 3190 nur 3128 Lehrerstellen vorsehen können. Als Klassenstärke sei eine Meßzahl von 55 zugrundegelegt worden. Außerdem gebe es mittelfränkische Landkreise, die durch die haushaltsmäßige Kürzung noch schlechter dran seien. Ansbach-Land habe z.B. 17 Stellen weniger, als dem Kreis bei der o.e. Meßzahl eigentlich zustünden.37 Ob ein Leh- rer, der täglich 70 Schüler unterrichtete und deren Arbeiten korrigierte, und ob ein Schüler, der mit 70 Klassenkameraden in drangvoller Enge sein Pensum absolvierte, von die- sen Rechenexempeln beeindruckt war, mag dahingestellt sein. Das Problem des Lehrer- mangels blieb bestehen, auch nach der unmittelbaren Nachkriegszeit. Im Januar 1950 richtete die SPD-Fraktion eine Interpellation an den Präsidenten des Bayerischen Land- tags und fragte nach den Maßnahmen, welche die Staatsregierung bezüglich des Aus- baus der Volksschulen in den kriegszerstörten Städten und der überfüllten Volksschulen in den Landgemeinden ergreifen würde.38 1952 beklagte die Schulpflegschaft Almoshof in Nürnberg, daß mit dem Ausscheiden des Schulleiters Ludwig Wagner „die beiden [sic!] Klassen, die Herr Wagner hätte übernehmen sollen, ... nun schon fast vier Wochen praktisch keinen Unterricht“ mehr hätten.39 Und im Februar 1954 schickte die Eltern- schaft der Stadt Nürnberg eine Resolution an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus „wegen sofortiger Beseitigung des Lehrermangels an den Nürnberger Volks- schulen“.40

36 Ebda. 37 AdsD Bonn. SPD-LTF Bay Nr. 114. Korrespondenz von/mit Bez. Franken (OV, Kreise) 1949. Schreiben Nr. IV 84594 des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 13.12.1949 an den Landesverband Bay- ern - Landtagsfraktion der SPD München. Betreff: Volksschulstellen im Landkreis Nürnberg. 38 Ebda., LV Bayern I/168. Landtag (Anträge, Schreiben, Sitzungsprotokolle) 1949-1950. 39 Stadtarchiv Nürnberg. C 24 SchV Nr. 4 Band 4. Schreiben der Schulpflegschaft Almoshof am 24.9.1952 an das Stadtschulamt. 40 BayHStA München. StK 113977. Schreiben der Elternschaft der Stadt Nürnberg am 12.2.1954 an das Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus.

142 4. WIEDEREINSTELLUNG ENTNAZIFIZIERTER LEHRER

4.1. FORDERUNG NACH WIEDEREINSTELLUNG UND DIE VERORDNUNG 113 VOM 29. JANUAR 1947

Die Forderungen von deutscher Seite nach Wiedereinstellung und Wiederverbe- amtung der Lehrer gingen erstaunlich selten von der Fürsorge für die Schulkinder aus. Zwar gab es die Hinweise auf die schlechten Bedingungen an den Schulen und zuweilen auch auf das allgemeine Ziel der demokratischen Umerziehung, aber im Vordergrund standen Formulierungen wie Gleichberechtigung mit anderen Berufsgruppen, Not der Entlassenen, Unrecht, das man den Lehrern angetan. Der Modus für das ganze Verfah- ren stand immer wieder zur Debatte, und der schien in Bayern seine eigene Art zu haben. In seiner Regierungserklärung am 10. Januar 1947 meinte Ministerpräsident Ehard, daß es ihm dringend notwendig erscheine, „die Bestimmungen für die Wieder- verwendung von Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes den Bestimmun- gen für die Angehörigen des freien Wirtschaftslebens besser als bisher anzupassen“.1 Immer wieder auch lenkten Hilfesuchende und Beschwerdeführer den Blick auf andere Berufe, auf Geschäftsleute, Gewerbetreibende, Landwirte, die zwar als Mitläufer oder Minderbelastete auch die Geldsühne bezahlten, aber „der Betrieb geht weiter. Oder war er Aktivist und kommt in Gruppe 2. Er erhält Arbeitslager und 40 % seines Vermögens werden eingezogen. Mit den anderen 60 % kann seine Frau oder Kinder weiter arbeiten ... Der Beamte ... hat Stellung und damit Einkommen und Altersversorgung nach viel- leicht 30 bis 40jähriger Dienstzeit auf Lebenszeit verloren“.2 Auch innerhalb der Beam- tenschaft gab es unterschiedliche Regelungen seitens der Regierung. Laut Verfügung des bayerischen Finanzministers vom 11. Juni 1947 (Nr. I 16780I -Cg.935), Durch- führungsverordnung zur Verordnung Nr. 113 vom 29. Januar 1947 (Wiederverwendung im Beamtenverhältnis) galten für die entfernten Beamten von Post und Bahn, die als Min- derbelastete eingestuft worden waren, „abweichende, günstigere Regelungen ..., die ... nicht auf die sonstigen bayerischen Staats- und Gemeindebeamten angewendet werden können“.3 Dieser Personenkreis schien bessere Bedingungen zu haben als die Lehrer; jedenfalls wurde das in einem Bericht der Regierung von Oberbayern ausgesagt, in dem es hieß, daß die Lehrerschaft beunruhigt sei, da die Wiederverbeamtung bei Post, Eisen- bahn und Gemeinden rascher vonstatten gehe und daß man das eigene Warten als Zurücksetzung empfinde.4 Beschäftigte im Verkehrswesen waren im Nachkriegsdeutsch- land mit seiner desolaten Infrastruktur verständlicherweise besonders gefragt. Aber vor allem der moralische Aspekt wurde betont, als im Landtag der CSU-Abgeordnete Stang meinte: „Naturgemäß wird bei der Wiederindienststellung eines Lehrers ein strengerer

1 Baer, S. 109. 2 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N 53 - 14. Schreiben des Anton K., Ellingen, am 28.11.1946 an die Freie Demokratische Partei, Landesverband Bayern, z.Hd. ihres Präsidenten Herrn Generalstaatsanwalt Dr. Dehler. Ist das Recht? Wo bleibt die Gerechtigkeit?; ACSP München. NL Müller 293 (Entnazif. Korr. A-Z 1945- 48). Schreiben des Bürgermeisters K. aus Hacklberg b. Passau am 12.7.1947 an Dr. Müller; ebda., Kleine Denkschrift, betreffend die Entnazifizierung der Lehrer, S. 3 f; ADL Gummersbach. Derselbe am 12.7.1947 an Thomas Dehler (NL Thomas Dehler N1 - 876). 3 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler N1 - 910. Voraussetzungen zur Wiedereinstellung von Beamten. Rechnungsamt des Oberlandesgerichts Bamberg, 13.2.1948. 4 BayHStA München. MK 61319. Bericht der Regierung von Oberbayern am 13.5.1948 an das Staatsministe- rium für Unterricht und Kultus. Stand des Volksschulwesens.

143 Maßstab angelegt als etwa bei einem Eisenbahner; denn die Tätigkeit eines Lehrers hat andere Auswirkungen als die eines technischen Beamten.“5 Er befand sich mit dieser Ansicht im Einklang mit den Vorstellungen der amerikanischen Besatzungsmacht.6 Die auf dem Verwaltungswege entstandene7 Verordnung Nr. 113 und die Durch- führungsverordnungen vom 11. Juni und 30. November 1947 hatten vor allem die Lehrer schwer getroffen und wurden von ihnen als zusätzliche, speziell auf sie gemünzte Bestrafung angesehen, die weit über das Befreiungsgesetz hinausging.8 Diese Verord- nung enthielt die Grundsätze für die Wiedereinstellung der aus politischen Gründen entlassenen und die Regelung der Rechtsverhältnisse der vom Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus betroffenen Beamten. Ausgangspunkt der Grundsätze war, daß mit Entfernung des Beamten das Dienstverhältnis beendigt war und der Anspruch auf Dienstbezüge, Versorgung und Hinterbliebenenversorgung ent- fiel; außerdem, und das war für einen Beamten besonders schmerzlich, wenngleich nicht existenznotwendig, durfte er „die Amtsbezeichnung und die im Zusammenhang mit dem Amt verliehenen Titel“ nicht mehr führen.9 Wollte ein Beamter wieder einge- stellt werden (im Beamten- oder Angestelltenverhältnis), mußte er die rechtskräftige Entscheidung der Spruchkammer vorlegen, daß er weder in Gruppe I (Hauptschuldiger) noch in Gruppe II (Belasteter/Aktivist/Militarist/Nutznießer) eingestuft worden war. War der Beamte durch die Militärregierung entfernt worden, mußte eine schriftliche Zustimmung zur Wiedereinstellung von dieser Instanz vorliegen. Eine dritte Forderung lautete dahin- gehend, daß der Bittsteller - und in dieser Rolle sahen sich die Lehrer oft - „die persönliche und die sachliche Eignung für die Wiedereinstellung“ zu besitzen habe.10 Mit dieser For- mulierung wurde die Anwendung der Verordnung dehnbar; denn damit kamen Gesichtspunkte ins Spiel, die sich nicht an Daten festmachen ließen. Der zuständige Schulrat mußte für den antragstellenden Lehrer eine Erklärung darüber abgeben, ob diese Eignung gegeben war. Die sachlichen Voraussetzungen ließen sich leicht feststel- len; es handelte sich um die Ausbildung und die vorgeschriebenen Prüfungen. Bei der Bestätigung der persönlichen Eignung bzw. Nichteignung war alles möglich, denn hier mußte bescheinigt werden, „daß der Wiedereinzustellende Gewähr dafür bietet, daß er am Ausbau und der Sicherung dauernder Grundlagen eines demokratischen Staatsle- bens positiv mitwirken wird und, wenn er in höherwertiger Tätigkeit als in gewöhnlicher Arbeit verwendet werden soll, auch über die politischen, liberalen und moralischen Eigenschaften verfügt, die erwarten lassen, daß er zur Entwicklung und Förderung der Demokratie in Deutschland beitragen wird“.11 Außerdem wurde im Amtlichen Schul- anzeiger vom 10. September 1947 verfügt, daß auch „das Verhalten des Beamten während der Zeit der Entfernung“ geprüft werden solle.12 Diese Anordnung konnte ein schweres Hindernis für einen Antragsteller werden, hatte auch offensichtlich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit nichts zu tun. Hieß das, daß man als undemokratisch

5 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenograph. Bericht Nr. 42. 42. Sitzung vom 11.12.1947, S. 468. 6 siehe S. 16, 86, 116. 7 Archiv des BLLV München. Entschließung der Hauptausschußsitzung vom 14./15. 2.1948. Betreff: Entnazifi- zierungs-Verordnung Nr. 113, Wiedereinstellung und Wiederverbeamtung. 8 BayHStA München. StK 113976. Schreiben des Bezirkslehrervereins Straubing am 16.5.1948 an das Staats- ministerium für Unterricht und Kultus; Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 7/1947, S. 82-85. 9 Ebda. 10 ACSP München. NL Müller 252. Überblick über die Wiedereinstellung der aus politischen Gründen entlasse- nen Beamten. 11 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 15. Jg. Nr. 9 vom 10.9.1947, S. 54. RE. v. 1.9.47 Nr. 1151 b a 39. 12 Ebda.

144 eingestuft wurde, wenn man sich über Maßnahmen der Besatzungsmacht geäußert hatte? War man möglicherweise ein Querulant, wenn man zu viele Bittgesuche um Ein- stellung geschrieben hatte? Wer lieferte die Informationen über das Verhalten? Hätte man sich besser mit dem Bürgermeister oder dem Pfarrer stellen sollen? In der „Bayeri- schen Schule“, dem Organ des Bayerischen Lehrvereins, ging man darauf ein: „Bei der Wiedereinstellung von Lehrern wurden bekanntlich meist auch die Gemeinden gehört. Dabei zeigte sich, daß häufig völlig schulfremde, ja schulfeindliche Gesichtspunkte, poli- tische Motive, sogar persönlich feindschaftliche Gesinnung in den Vordergrund traten.“13 Art. 7 Ziffer 2 der VO 113 war so formuliert, daß bei Wiedereinstellung der Lehrer keinen Anspruch auf seinen Einsatz an der alten Schulstelle hatte: „Ein wieder- eingestellter Beamter darf nicht mehr an seinem früheren Dienstort und in seinem früheren Dienstbereich verwendet werden, wenn aus dieser Verwendung Unzuträglich- keiten für die Verwaltung oder für den Beamten zu erwarten sind ...“14 Dieses Problem gab es nicht nur in Bayern. Nach Beschluß des Staatsministeriums Württemberg-Baden vom 5. Dezember 1946 über die Wiedereinstellung im öffentlichen Dienst, sollten besonders Beamte „in exponierter Stellung (z.B. Lehrer)“ möglichst auf eine andere Stelle versetzt werden, zumal, wenn sie als Mitläufer eingestuft worden waren. Es ent- stehe sonst das „optisch ungünstige Bild, ... (es) sei im wesentlichen ‚alles beim alten geblieben‘. Ein derartiger Eindruck läge weder im Interesse des neuen Staates noch der Beamtenschaft selbst ... Dies gilt in erhöhtem Maß für Beamte in exponierter Stellung, wobei die Lehrer das Schulbeispiel bieten. Es geht nicht an, daß ein Lehrer, der seinen Schülern während des ‚Dritten Reiches‘ die Nazithesen mit Überzeugung lehrte, nun- mehr ohne Übergang denselben Schülern mit gleicher Überzeugungskraft die Ideen der Demokratie vermitteln will.“15 „Die Bayerische Schule“ wertete die Anwendung von Art. 7 Ziffer 2 der VO 113 als Strafversetzung, die ihrer Meinung nach „nach deutschem Beamtenrecht bei Beamten auf Lebenszeit nur durch ein disziplinargerichtliches Verfah- ren verhängt werden“ dürfe. Ein Unrecht sei es, „wenn Lehrkräfte, die ... mit der Scholle auf innigste verwachsen sind, ... versetzt werden, weil einzelne Personen in der Gemein- de das aus oft recht fadenscheinigen, meist gar nicht in der politischen Tätigkeit des Lehrers liegenden Gründen wünschen“. Man beschwor die „Rache der letzten Bank“, die den verdienten Lehrer in die Fremde trieb.16 Gespräche mit Lehrern, die in der dama- ligen Zeit in Bayern beschäftigt waren, bestätigten, daß es Spannungen gab; deren Ursachen waren ganz unterschiedlich. In einem Fall - der Lehrer war zunächst im benachbarten Dorf eingestellt worden und kam bald an seine alte Schulstelle zurück - kam es von etwa vier Familien zu Anfeindungen. Das seien späte Ressentiments gegen den ehemaligen stellvertretenden Ortsgruppenleiter gewesen, der schon vor Kriegsende die Zwangseinweisung von Evakuierten durchgesetzt hatte.17 Es ging den Lehrern ver- ständlicherweise um Verbleib in ihren Dienstwohnungen, da sie zu Recht glaubten, ein- gebunden in die ihnen bekannten Sozialstrukturen, die Nöte der Zeit besser bewältigen zu können. Die Verordnung Nr. 113 bestimmte weiter, daß als Hauptschuldige oder Belastete

13 Die Bayerische Schule, 2. Jg. 11/Nov. 1949, S. 410. 14 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 15. Jg. Nr. 9 vom 10.9.1947, S. 54. 15 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N 53 - 9. 16 Die Bayerische Schule, 1. Jg. September 1948, S. 94. 17 Gespräch mit Prof. Dr. Hans Glöckel, Nürnberg.

145 eingereihte Beamte nicht wieder eingestellt werden durften und den Anspruch auf Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung verloren.18 Minderbelastete durften während der Dauer der Bewährungsfrist, wenn die öffentliche Verwaltung dies erforder- te, als Angestellte wiederbeschäftigt werden, aber nur in nicht selbständiger Stellung und in gewöhnlicher Arbeit. „Nach Ablauf der Bewährungsfrist und Einreihung in die Gruppe der Mitläufer oder Entlasteten“ konnten sie zu Beamten auf Probe in höherwer- tiger Arbeit berufen werden.19 Dieser Passus spielte bei Lehrern, die ja in ihrem erlernten Beruf tatsächlich nur in höherwertiger Arbeit tätig sein konnten, eine untergeordnete Rolle, aber an den folgenden Formulierungen entzündeten sich die Proteste: „Als Mit- läufer erklärte vormalige Beamte können in ihrer früheren Besoldungsgruppe wiederein- gestellt werden ...“; und: „Als entlastet erklärte vormalige Beamte sollen in ihrer früheren Stelle wiedereingestellt werden...“20 Für den Bereich des Kultusministeriums gab es am 6. Februar 1947 eine Entschließung. Danach konnten in nichtgewöhnlicher Arbeit beschäftigt werden: „a) Personen, die entlassen waren und nun rechtskräftig entnazifiziert sind, d.h. einen Spruchkammerbescheid oder die Mitteilung des öffentl. Klägers, daß sie vom Gesetz nicht betroffen sind, vorlegen können und die Zustimmung der Militärregierung zur Wiederbeschäftigung erhalten haben, b) Personen, die, ohne von der Militärregierung zugelassen oder entlassen zu sein, rechtskräftig entnazifiziert und der Militärregierung gemeldet sind, c) Personen, die noch nicht entnazifiziert sind und aufgrund ihrer Angaben im Melde- bogen vom Gesetz nicht betroffen sind und deshalb die widerrufliche Beschäfti- gungsgenehmigung des Sonderministeriums21 erhalten haben, d) Personen, die von der Militärregierung im Dienst belassen und einstweilen oder endgültig bestätigt wurden (und ebenfalls noch nicht entnazifiziert sind).“22 Die Ministerialentschließung vom 13. November 1946 Nr. I 52988 verbot die Wiederein- stellung von Lehrkräften, die von der Militärregierung entlassen worden waren.23 Abgesehen von der überraschenden Vielzahl der Möglichkeiten, nach welchen Personen im Bereich des Kultusministeriums entlassen worden waren oder auch nicht und die erkennen ließen, daß das ganze Entnazifizierungsverfahren nicht von ungefähr kritisiert wurde, war es die Formulierung „können ... beschäftigt werden“, die die Gemüter erhitzte. Auch ein Entlasteter hatte keinen Anspruch auf Wiedereinstellung. Für ihn hieß es, er „solle“ beschäftigt werden (Art. 8 Abs. 1 VO 113). Und hier setzte die massive Kritik am Vorgehen des Kultusministeriums an. Man warf ihm vor, daß es, im Gegensatz zu anderen Ministerien, in „äußerst willkürlicher Weise“ den Begriff „kön- nen“ mißbrauche und für seine Beamten ein Sonder- bzw. Ausnahmerecht schaffe.24 Das wurde auch gar nicht in Abrede gestellt. Bereits im Oktober 1946 war bezüglich der Wiedereinstellung von Lehrkräften verkündet worden, daß „die Wiedereinstellung von

18 ACSP München. NL Müller 252. Überblick über die Wiedereinstellung der aus politischen Gründen entlasse- nen Beamten. 19 Ebda. 20 Ebda. 21 Gemeint ist das Bayerische Ministerium für Sonderaufgaben. 22 StAN. Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, Nr. 259. Schreiben der Regierung von Ober- und Mittelfranken Nr. 1153 b 23 vom 21.3.1947 an die Stadt- und Bezirksschulämter. Betreff: Entnazifizierung. Bezug: ME. Nr. I 5023 vom 6.2.1947. 23 Ebda. 24 BayHStA München. StK 113976. Schreiben des Bundesverbandes der Heimkehrer, Kreis- und Ortsverband Kulmbach, am 19.6.1950 an Ministerpräsident Ehard.

146 entlassenen Beamten ... ganz im Ermessen der Anstellungsbehörde“ liege. Es bestehe in keinem Fall ein gesetzlicher Anspruch darauf.25 Kurz vorher hatte das Amt der Militär- regierung für Bayern dem Ministerpräsidenten eben dies mitgeteilt und der bayerischen Regierung die Verantwortung dafür übertragen, daß nur solche Beamte eingestellt oder im Amt behalten würden, die positive politische, liberale und moralische Eigenschaften besäßen, unabhängig von einem möglicherweise günstigen Spruchkammerurteil.26 Ministerpräsident Hoegner verpflichtete daraufhin durch eine Anordnung sämtliche Behörden, bei Ernennung oder Wiedereinsetzung strengstens auf die o.e. Eigenschaften zu achten, „die für die Entwicklung der Demokratie in Deutschland erforderlich sind“.27 Nicht genug damit, wies er die Behörden an, „dem zuständigen Minister eine schrift- liche Verpflichtung einzureichen, daß sie die Vorschrift ... auf das Strengste beobachten wer- den“. Der Text lautete: „Hiermit versichere ich auf Dienstpflicht, daß ich als Beamter nur solche Personen einstellen oder wiedereinstellen werde, die positive politische, liberale und moralische Eigenschaften besitzen, wie sie der Entwicklung der Demokratie in Deutschland förderlich sind.“28 Anschließend schickte der Regierungspräsident von Oberfranken und Mittelfranken am 12. November 1946 beide Schreiben - das der Militärregierung und das des Ministerpräsidenten - an sämtliche untergeordneten Dienststellen und Behörden, Landratsämter und Stadträte und betonte noch einmal, daß „die rein formelle Durchführung des Gesetzes zur Befreiung vom Nationalsozialis- mus und Militarismus vom 5.3. ... keineswegs“ ausreiche. Nur Personen mit den von der Militärregierung postulierten Eigenschaften, „an deren Bereitwilligkeit für die Entwick- lung der Demokratie in Deutschland einzutreten und mitzuarbeiten nicht der geringste Zweifel bestehen kann“, könnten beschäftigt bzw. wiederbeschäftigt werden.29 Die Eindringlichkeit, mit der die amerikanischen Forderungen wiederholt wur- den, zusätzlich zur Übersendung der Abschrift des Briefes an den Ministerpräsidenten, läßt darauf schließen, daß es nicht nur darum ging, völlig freie Hand - obwohl sicher hochwillkommen - bei der Wiedereinstellung der Beamten zu haben, die dem „deut- schen Elektorat“30 von Seiten der Amerikaner ausdrücklich zugebilligt wurde. Ganz offensichtlich hatte man auch die erhoffte Genehmigung der neuen bayerischen Verfas- sung durch die amerikanischen Besatzungsbehörden im Auge, die wenige Tage später erfolgen sollte. Demonstrativer Eifer in der Ausführung amerikanischer Anordnungen bzw. Befehle war zu diesem Zeitpunkt wohl angebracht, wollte man diese Genehmi- gung nicht gefährden. Außerdem gab es gerade zu der Zeit die Drohung der Ameri- kaner, die Entnazifizierung wieder selbst in die Hand zu nehmen, da sie mit ihrer Durch- führung keineswegs zufrieden waren.31 Da sich auch das Kultusministerium an die Anweisungen halten mußte, waren

25 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 14. Jg. Nr. 5 vom 1.11.1946, S. 2 f. RE. v. 14.10.1946 Nr. 1151 ba 281; ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1 - 918. Schreiben entlassener Beamter am 15.1.1948 an die Bayerische Staatsregierung, den Bayerischen Landtag, den Senat des Landes Bayern; gez. u. a. im Auftrag: Eisenmann, Lehrer; Staudigl, Studienrat. 26 ACSP München. NL Müller 290. Schreiben des Amtes der Militärregierung für Bayern. APO 170, AG o14 12- 2 (LD) vom 2.10.1946 an den Bayerischen Ministerpräsidenten. gez. Walter J. Muller, Direktor. 27 Ebda., Anordnung des Bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Wilhelm Hoegner Nr. 28038 vom 14.10.1946. 28 Ebda. 29 Ebda., NL Müller 290. Schreiben Nr. P 2712 der Regierung von Ober- und Mittelfranken am 12.11.1946. 30 Ebda., Schreiben des Amtes der Mil. Reg. für Bayern. APO 170, AG o14 12-2(LD) vom 2.10.1946 an den Bayerischen Ministerpräsidenten. 31 siehe S. 95.

147 Gesuche, Vorwürfe und Anträge, die häufig die Ungerechtigkeit bei der Behandlung der Lehrer ins Spiel brachten, zum Scheitern verurteilt. Der Bayerische Lehrerverein sprach von „Ausnahmebehandlung“, von „Nachentnazifizierung“, „zusätzliche(n) Sühnemaß- nahmen“32. „Beamtenverfolgung“, „Vergeltung“ der Dienststellenleiter, Unverständnis für eine nochmalige Prüfung durch den Dienstvorgesetzten nach dem rechtskräftigen Spruchkammer-Urteil, „Beeinflussung durch Dritte“, mangelndes „Wohlwollen“ der Behördenleiter und Kollegen - das alles machte ein privater Absender in einem Brief an Landesbischof Meiser geltend.33 Der Bezirkslehrerverein Straubing sprach vom „Unrecht“ für die Beamten, das sich auf Lehrer doppelt bitter auswirke, da im Raum Niederbayern/Oberpfalz bis Mai 1948 „nicht ein einziger Volksschullehrer wieder als Beamter übernommen“ worden war.34 Die amerikanische Militärregierung für Bayern ließ sich vom Kultusministerium für alle Lehrkräfte, „die nach rechtskräftigem Spruchkammerentscheid eingestellt wur- den, eine periodische Beurteilung der positiven politischen, liberalen und moralischen Haltung“ vorlegen, die für Volksschullehrer vom zuständigen Schulrat gefertigt werden mußte.35 Die erste dieser Beurteilungen mußte dem Gesuch zur Wiederanstellung, das an die Regierung gereicht wurde und außerdem Meldebogen, Abschrift des Spruchkam- merbescheides und die Genehmigung der Militärregierung enthielt, beigelegt werden.36 Die weiteren Berichte sollten in vierteljährlichem Abstand erfolgen. Die örtlichen Militärre- gierungen überprüften, ob die Spruchkammerentscheide „irrtümlich“ oder rechtens waren.37 Das Bayerische Staatsministerium für Sonderaufgaben machte zum 31. März 1948 bekannt, daß die Militärregierung ihre Anordnung, „daß keine Person, die von der Militärregierung entfernt worden ist, ohne die Genehmigung der Militärregierung wie- dereingestellt werden darf“, aufgehoben habe. Es wurde demnach bestimmt, „daß nach durchgeführtem Spruchkammerverfahren die schriftliche Genehmigung der Militärregierung zur Wiedereinstellung entfernter Personen im Sinne des Art. 4 der VO. Nr. 113 nicht mehr erforderlich ist. Maßgebend ist künftig lediglich die rechtskräftige Entscheidung der Spruchkammer“. Auch erteilte die Militärregierung ab April 1948 nicht mehr „die Zustimmungs- oder Nichtzustimmungserklärungen zum Spruchkam- merurteil“.38 Allerdings wurden die übrigen Bestimmungen der VO.113 und die Durch- führungsbestimmungen dazu, die für die Wiedereinstellung maßgebend waren, nicht

32 Die Bayerische Schule, 1. Jg. Sept. 1948., S. 93. „Entnazifizierung und kein Ende“ (S. 88-96). 33 ACSP München. NL Müller 252. Abschrift eines Briefes eines Münchner Amtsrats am 14.2.1948 an den evan- gelischen Landesbischof Meiser. 34 BayHStA München. StK 113976. Schreiben des Bezirkslehrervereins Straubing am 16.5.48 an das Staatsmi- nisterium für Unterricht und Kultus. 35 StAN. Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, Nr. 259. Schreiben der Regierung von Ober- und Mittelfranken Nr. 1153 b 23 vom 21.3.1947 an die Stadt- und Bezirksschulämter. Betreff: Entnazifizierung. Bezug: ME. Nr. I 5023 vom 6.2.1947. 36 Ebda.; BayHStA München. StK 113976. Schreiben des Office of Military Government for Bavaria APO 170. AG 350-MGBAE vom 6.1.1947. Subject: Re-employment of School Employees Classified by Spruchkammer as „Followers“, „Exonerated“, „Case Quashed“ or „Not Affected“. To: Minister President for Bavaria, ... (Attention: Minister of Education and Religious Affairs ...). (Followers = Mitläufer; Exonerated = Entlastete; Case quashed = Verfahren eingestellt; Not affected = Nicht betroffen). 37 Ebda.; Die Schreiben der Militärregierung lauteten: „Concurrence with Spruchkammer Decisions ... In accor- dance with Directives issued by the Deputy Military Governor, that no person removed by Military Govern- ment and subsequently erroneously cleared by a Spruchkammer decision, may be reinstated, you are hereby notified that Military Government does not consider the Spruchkammer decision erroneous on the following named persons: ...“ (Privatarchiv Hans Heise. Schreiben Military Government Liaison and Security Office. 3rd MGR, APO 170. US Army. 18 February 47 to Arbeitsamt - Windsheim). 38 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Ober- und Mittelfranken, Ansbach. 16. Jg. Nr. 5 vom 3.5.1948, S. 28.

148 berührt.39 Und das bedeutete immer noch, daß eine Verpflichtung zur Anstellung nicht bestand. Die hatte es im übrigen auch vor Inkrafttreten der VO. 113 nicht gegeben; auch bei Zulassung durch die amerikanische Militärregierung konnte die Einstellung ver- weigert werden.40 Am 4. Oktober 1946 hatte es eine Rundentschließung von Regie- rungspräsident Schregle von Ober- und Mittelfranken gegeben, in der es hieß, daß „politisch und rassisch Verfolgte in erster Linie, alsdann Unbelastete, zuletzt erst poli- tisch irgendwie Belastete beschäftigt werden dürfen, auch dann, wenn sie eine Geneh- migung der Militärregierung ... vorlegen können. Insbesondere ist auf das Schärfste zu prüfen, ob irgendwie belastete Personen durch Verfolgte oder Unbelastete ersetzt wer- den können.“41 Selbstverständlich mußte das Staatsministerium für Unterricht und Kul- tus der Wiedereinstellung zustimmen, und dessen Entscheidung bedurfte des Einver- nehmens mit dem Finanzministerium.42 Eine Ausnahme wurde auch im Bereich des Kul- tusministeriums gemacht: „Auf Wunsch der Militärregierung (waren) die in England demokratisch geschulten Kriegsgefangenen ... bevorzugt in Behördenstellen unterzu- bringen.“43 Man erhoffte sich damit sicher eine schnellere Durchdringung des jeweiligen Amtes mit demokratischem Geist.

39 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus Nr. 6 vom 30. Juni 1948, S. 61 f. Durch- führung der Verordnung Nr. 113. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 31.5.48 Nr. I 32 355. E. d. Bayer. Staats- min. der Finanzen vom 13.5.1948 - Nr. I 22369 I - Cg 945 -. 40 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4516. Anfrage des Schulrats von Lichtenfels-Staffel- stein am 27.2.1946 an die Reg. in Ansbach. Betreff: Anstellung von Lehrern. Antwort der Regierung am 6.3.1946. 41 ACSP München. NL Müller 290. Schreiben Nr. P 2712 des Regierungspräsidenten von Ober- und Mittelfran- ken am 12.11.1946 an die Landratsämter und Stadträte. 42 Ebda., NL Müller 252. Abschrift des Ministerratsbeschlusses vom 17.3.1947. 43 Amtsblatt des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Nr. 3 vom 10.3.1947, S. 29. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 10.3.47 Nr. I 6984 über bevorzugte Unterbringung der in England demokratisch geschulten Kriegsgefangenen.

149 4.2. SCHLEPPENDE ABWICKLUNG

Die amerikanische Militärregierung hatte in ihrem bereits erwähnten Schreiben an Ministerpräsident Hoegner1 auf die kritische Situation aufgrund des Mangels an Schulpersonal aufmerksam gemacht und das Kultusministerium angewiesen, ihre, der Militärregierung, Mitteilung unverzüglich an die verantwortlichen Stellen weiterzuleiten und ohne Verzögerung Anordnungen zu treffen, die die Instruktionen in die Tat umsetzen sollten. Insgesamt wurde jedoch allenthalben die schleppende Abwicklung bei der Wie- dereinstellung entlassener Lehrer beklagt, zumal es immer wieder Verlautbarungen gab, die auf eine rasche Durchführung hoffen ließen. So hatte z.B. der Staatsminister für Sonderaufgaben, Anton Pfeiffer, im Juli 1946 erklärt, daß man, wenn erst die Spruch- kammern eingerichtet seien, „spielend innerhalb von zwei bis drei Monaten mit der ganzen Mitläuferfrage fertig“ sei; und wenn es vielleicht drei oder vier Wochen länger dauere, so sei das auch nicht schlimm, „denn wenn die Leute sehen, daß es nach klaren Rechtsgrundsätzen geht, dann wartet der einzelne gern noch 14 Tage, bis er dran- kommt“.2 Diese optimistische Erwartung konnte nicht erfüllt werden. Aus dem Bezirk Weißenburg z.B. wurde die Rückkehr einer „erste(n) Welle dienstentlassener Lehrer“ zum 1. Februar 1947 vermeldet,3 doch im Bayerischen Landtag erachtete man anläßlich der Beratungen des Haushalts des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus für das Rechnungsjahr 1947 den Prozentsatz der wiedereingestellten Lehrer als „verhältnis- mäßig niedrig“. Von 11 900 entlassenen Lehrern seien nur 2500 wieder in Dienst gestellt worden. „Der größte Teil der Lehrer sei noch nicht durch die Spruchkammer gegangen.“4 Die Statistik über den Stand des Volksschulwesens im Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken verzeichnete zum Stichtag 15. Juni 1948 eine Zahl von 2309 wiederverwendeten Lehrern, die bereits durch die Spruchkammern beurteilt worden waren.5 Hierbei wurde nichts darüber ausgesagt, ob sie im Angestellten- oder Beamtenverhältnis standen. Hoffnung schöpften die Entlassenen durch verschiedene Aufforderungen, sich um ihre Wiederverwendung zu bemühen. Der Schulrat des Land- kreises Ebermannstadt, ein nach Tonlage seiner Rundbriefe offensichtlich sehr forscher Vertreter der neuen Ära, gab am 1. Oktober 1945 „neue Anordnungen für die Wieder- einstellung Entlassener“ heraus und forderte „von all denen, die glauben, daß nach den besonderen Umständen ihres Falles begründete Aussicht auf Erfolg besteht, sofort eine einwandfreie Beweisführung, daß sie ... obwohl Parteimitglieder, Gegner des Nazismus waren ...“6 Auch in der Zeitung wurde dieser Personenkreis angesprochen, allerdings mit Einschränkungen. So las man im Mai 1946 in der Fränkischen Landeszeitung: „Rehabilitierung möglich ... Alle Beamten und nichtbeamteten Personen des Geschäfts- bereiches des Bayerischen Unterrichtsministeriums, die von der amerikanischen Militär- regierung ihres Postens enthoben wurden und ihren Dienstsitz in München hatten, können im Vorstellungsverfahren ihre Rehabilitierung mit dem Ziel der Wiederein-

1 siehe S. 148, Fußnote 36. 2 ACSP München. Rede des Staatsministers für Sonderaufgaben Dr. Anton Pfeiffer in der 2. Fraktionssitzung der CSU am 16.7.1946. 3 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4776. Schreiben des Bezirksschulrats in Weißenburg i. B. am 27.5.1949 an die Regierung von Mittelfranken. 4 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenographischer Bericht Nr. 42. 42. öffentliche Sitzung am 11.12.1947, S. 470. 5 BayHStA München. MK 61314. 6 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Schreiben des Schulrats des Landkreises Eber- mannstadt (R 45/10) am 1.10.1945 an alle Schulleitungen.

150 setzung beim Vorprüfungsausschuß in München beantragen.“7 Anscheinend war die Schulsituation in der Stadt München besonders miserabel, wenn sogar in einer fränki- schen Zeitung mögliche „tragbare“ Lehrkräfte angesprochen wurden. Daß die Wiederverwendung im Schuldienst auch nach dem abgeschlossenen Spruchkammerverfahren oft so lange dauerte, hatte verschiedene Ursachen. Zum einen bestanden die Besatzungsbehörden auf der Vorlage von Listen mit Angaben über die Lehrer, die wiederbeschäftigt werden sollten, Listen, die vorher schon dem Kultus- und dem Finanzministerium zur Prüfung eingereicht werden mußten.8 Die Militärregierung behielt sich das Recht vor, ein endgültiges Urteil über Wiedereinstellung oder Verweigerung derselben auszusprechen.9 Für Schulpersonal, das durch die amerikanische Direktive vom 21. September 1946 („Removal of Important German Officials“, File No. AG 014.12-2 (LD)) entfernt und im Spruchkammerverfahren als Mitläufer, Entlasteter, Nicht- betroffener eingestuft oder dessen Verfahren eingestellt worden war, verlangte die Militärregierung für Bayern die Übertragung dieser Fälle in ihr Ressort, um sie noch einmal zu prüfen.10 Das alles kostete Zeit, ebenso der Gang in die Berufung oder die Anrufung des Kassationshofes, wo Anfang 1948 ca. 30 000 Fälle auf ihre Erledigung warteten.11 Zum anderen verlangte das Finanzministerium, das bei der Wiederanstellung von Beamten einvernehmlich mitzuentscheiden hatte, daß dabei möglichst „Zurückhaltung“ zu üben sei, da der gefährdete Staatshaushalt dies „gebieterisch“ fordere. Eingehend sei zusätzlich zum Spruchkammerbescheid die Personalakte zu betrachten, und es sollten Angehörige der Behörde, an der der Beamte vorher war, gehört werden, bevor eine Anstellung - unter Umständen zuerst als Angestellter oder in niedrigerer Besoldungsgruppe - in Betracht gezogen wurde.12 Eine dritte Verzögerung gab es durch eine Einstellungssper- re, die zu Beginn des Schuljahrs 1948/49 ausgesprochen und vor allem da als besondere Härte empfunden wurde, „wo Lehrkräfte unter der Ungunst nicht in ihrer Person liegen- den Verhältnisse nach 31/2 Jahren immer noch nicht zum Einsatz kommen“ konnten.13

7 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 10 vom 25.5.1946, S. 6. 8 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 3 vom 10.3.1947, S. 18; ACSP München. LTF/Protokolle (I/24). Niederschrift zur Fraktionssitzung am 29.1.1947 im Wirtschaftsmini- sterium, S. 1 f. 9 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 3 vom 10.3.1947, S. 19. 10 BayHStA München. StK 113976. Schreiben des Office of Military Government for Bavaria APO 407. AG 014.311-MGBAE am 20.2.1947 an den Ministerpräsidenten für Bayern. 11 Archiv des BLLV München. Entschließung der Hauptausschußsitzung vom 14./15.2.1948. Betreff: Entnazifi- zierung - Verordnung Nr. 113. Wiedereinstellung und Wiederverbeamtung. 12 ACSP München. NL Müller 252. Abschrift: Bayer. Staatsministerium der Finanzen. Nr. I 27694I - Cg 937. 31.7.1947. 13 BayHStA München. MK 61322. Bericht der Regierung von Niederbayern am 7.1.1949 an das Staatsministe- rium für Unterricht und Kultus. Stand des Volksschulwesens am 1.1.1949.

151 4.3. MITLÄUFER UND AMNESTIERTE

Die Gruppe der Mitläufer stellte bei der Wiedereinstellung ein besonderes Problem dar, nicht nur, weil sie die große Mehrzahl der Beamten umfaßte, sondern auch, weil sie „in Bezug auf den Grad der politischen Belastung des Einzelnen eine besonders große Spannweite“ hatte.1 Laut ME Nr. IV 50777 vom 17. August 1948 konnten in Bayern in erster Linie eingesetzt werden: „Nominelle Parteigenossen, die durch passive Resistenz oder durch aktiven Widerstand ihre Ablehnung des Nationalso- zialismus bekundet haben, nominelle Parteigenossen, die außer durch ihre Mitglied- schaft den Nationalsozialismus nicht gefördert haben. In zweiter Linie können folgende Mitläufer eingestellt werden: Parteigenossen, Mitglieder der Gliederungen, die der nationalsozialistischen Propaganda aus Leichtgläu- bigkeit oder politischer Unerfahrenheit erlegen sind, die den Beitritt als Beamtenpflicht erachteten, die einem Zwang gehorchend oder im Glauben an eine gute Sache Amtsträ- ger der Partei wurden, die heute aber völlig vom nationalsozialistischen Gedankengut abgerückt sind. Ihre charakterliche Gesamthaltung muß stets untadelig gewesen sein.“2 Eine andere Beschreibung lautete: eingestellt werden könne, wer nicht „wesentlich belastet“ war, was aufgrund der Personalakten von Fall zu Fall festgestellt werden soll- te.3 Die Beobachtung, daß eine große Anzahl erheblich belasteter Lehrer in die Gruppe der Mitläufer eingereiht wurde, machte man im Kultusministerium seit Herbst 1947. Man fürchtete, daß die notwendigen positiven politischen, moralischen und liberalen Eigenschaften fehlten, obwohl Mitläufer generell wieder in den Schuldienst zurückkeh- ren konnten.4 Die angeordnete „strenge“ Prüfung verzögerte naturgemäß eine rasche Wiedereinstellung dieses Personenkreises. Das Beispiel eines Windsbacher Hauptlehrers verdeutlicht den langen Weg eines Entlassenen bis zur Wiederanstellung im Schuldienst: Am 28. September 1945 wurde er entlassen und auch nicht wieder eingestellt, nachdem er am 15. November 1945 an das Bezirksschulamt um seine Wiederaufnahme in den Volksschuldienst nachgesucht hatte. Trotz zahlreicher Entlastungsschreiben von mehreren Gemeinden, der Kirche und auch von jüdischer Seite und trotz der Tatsache, daß er während der gesamten Nazi-Zeit sein Amt als Organist und Kantor beibehalten hatte, gelang es ihm nicht, zu der Zeit wieder ein- gestellt zu werden. Zu schwer wogen seine Mitgliedschaft bei der NSDAP ab 1. Mai 1933, bei der SA-Reserve von Juli 33 bis August 39, bei der NSV ab Mai 1935, beim NS- Lehrerbund ab Juli 1933, beim NS-Reichskriegerbund ab 1932,5 beim Reichskolonial- bund ab November 1938, beim Volksbund für das Deutschtum im Ausland seit 1938, bei der Deutschen Jägerschaft ab 1934. Außer einem Posten als Kassier hatte er kein Amt bei diesen Vereinigungen innegehabt.6 Am 15. Juni 1946 gab der Lehrer seinen

1 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N 53 - 9. Grundsätze für die Wiedereinstellung im öffentlichen Dienst. Beschluß des Staatsministeriums Württemberg-Baden vom 5.12.1946. 2 AdsD Bonn. SPD - LTF Bay Nr. 160. Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus Nr. IV 50777 am 17.8.1948 an alle Regierungen und Schulämter. Betreff: Wiedereinstellung und Verbeamtung ent- lassener Lehrkräfte. 3 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenographischer Bericht Nr. 80. 80. öffentl. Sitzung am 23.7.1948, S. 1712. 4 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1 - 958. Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus IV vaw, am 15.6.1948 an alle Regierungen. 5 Tatsächlich wurde das Datum der Mitgliedschaft beim NS-Reichskriegerbund mit 20.11.1932 angegeben. In Klammer hatte der Lehrer, der bereits im 1. Weltkrieg Leutnant gewesen war, „Militärverein“ dazugeschrie- ben. Offensichtlich war der ländliche Soldatenverein in den NS-Reichskriegerbund übergeführt worden. 6 Privatarchiv Hermann Dehm, Ansbach.

152 Fragebogen ab. Der öffentliche Kläger bei der Spruchkammer Ansbach-Land reihte ihn unter dem 5. März 1947 in die Gruppe III der Minderbelasteten (Bewährungsgruppe) ein, die Spruchkammer fällte am 18. März 1947 ihr Urteil: „Der Betroffene ist Mitläufer (Gruppe IV).“7 Die Militärregierung, Liaison and Security Office, schickte am 20. Mai 1947 an den Landrat des Landkreises Ansbach folgende Mitteilung: „Subject: Non-Con- currence with Spruchkammer Decisions“, also keine Übereinstimmung mit dem Spruch. Gemäß den Direktiven des Stellvertretenden Militärgouverneurs, daß keine Person, die von der Militärregierung entlassen und nachfolgend fälschlich durch eine Spruchkam- merentscheidung freigesprochen („cleared“) wurde, wieder eingestellt werden durfte, wurde der Bezirksschulrat angewiesen, für diesen Lehrer anzuordnen, daß er, falls bereits wieder angestellt, zu entlassen und ihm der Zugang zu Stellen öffentlichen oder halböffentlichen Charakters zu verbieten sei. Ebenso zu Positionen, in welchen er Ver- antwortung in einem wichtigen privaten Unternehmen, festgelegt in der Kontrollratsdi- rektive Nr. 24, hätte.8 Der 57jährige lebte nun von seinen Ersparnissen, nachdem die Kontosperrung aufgehoben und die Sühne von RM 2180.- gezahlt worden war. Da diese Hauptlehrer- stelle mit dem Kantorat verbunden war, kam durch den Organistendienst und das Sin- gen bei „Kasualfällen“ (Beerdigungen, Taufen, ...) etwas Geld ins Haus, z.B. brachte das Orgelspiel bei Taufen 5 RM, bei Hochzeiten 20 RM. Außerdem war die Stelle verknüpft mit dem Recht des Eiereinsammelns bei bestimmten Bauernhöfen zweimal im Jahr. Auch die Dienstwohnung mit dem Garten brauchte nicht geräumt zu werden.9 Das war keine Selbstverständlichkeit. So schrieb z.B. das Städt. Grundstücksamt Nürnberg am 24. Mai 1948 an das Schulamt: „Nach § 19 des Mietvertrages erlischt das Mietverhältnis sofort und ohne vorherige Kündigung an dem Tag, an welchem das Dienstverhältnis des Herrn S. als Lehrer in Eibach erlischt. Das Dienstverhältnis ist durch die Suspension tatsächlich erloschen und damit auch das Mietverhältnis. ...“10 Eine Eingabe des Windsbacher Lehrers beim Kassationshof im Bayerischen Staatsministerium für Sonderaufgaben hatte den Erfolg, daß die Entscheidung der Spruchkammer am 7. Januar 1948 bestätigt wurde.11 Der Bezirksschulrat für Ansbach - Stadt und Landkreis reichte am 21. November 1947 ein Gutachten ein, das dem Kassati- onshof die schwierigen Schulverhältnisse in Windsbach darlegte. 625 Schüler wurden dort von sieben Lehrern betreut, von denen nur drei vollausgebildet waren. Schulrat Kie- ner meinte: „Der Einsatz bewährter bayerischer Lehrkräfte erscheint unbedingt notwen- dig, um die Leistungshöhe der Schule halbwegs auf normale Höhe zu bringen.“12 Aus „schulischen und persönlichen Gründen“ bat er um die beschleunigte Behandlung des Falles. Da ein entsprechender Vergleich fehlt, ist heute nicht mehr auszumachen, ob das Schreiben tatsächlich die ganze Prozedur antrieb. Positiv war eine Mitteilung des Office of Military Government for Bavaria, Det. B-228, Ansbach, vom 24.Februar 1948 an den Leh- rer, die besagte, daß die Militärregierung die Entscheidung des Kassationshofs in seinem Fall anerkenne und die Einschränkungen bezüglich seiner Anstellung zurückziehe. „Letter of Non-Concurrence with Spruchkammer decision, dated 20 May 1947, is hereby revo- ked and rescinded.“13 Diese Nachricht machte gemäß Art. 4 Abs. 1 der VO. Nr. 113 vom 29. Januar 1947 (schriftliche Zustimmung der Militärregierung)14 den Weg frei für eine

7 Privatarchiv Hermann Dehm, Ansbach. 8 Ebda. 9 Ebda. 10 Stadtarchiv Nürnberg, C 24 SchV Nr. 117, Bd. 117. 11 Privatarchiv Hermann Dehm, Ansbach. 12 Ebda. 13 revoked and rescinded = widerrufen und annulliert. 14 Amtsblatt des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München, Nr. 6 vom 30.6.1948, S. 61 f.

153 Wiedereinstellung in den Schuldienst. Tatsächlich wurde der ehemalige Hauptlehrer am 3. Mai 1948 als Angestellter auf Dienstvertrag von der Regierung von Mittelfranken ein- gestellt. Die Anstellung erfolgte „auf Grund von Art. 7 und 9 der VO. Nr. 113 vom 29.1.1947 vorbehaltlich der nachträglichen Zustimmung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus unter Wahrung seines im Zeitpunkt der Entfernung erdienten Anspruchs auf Versorgung und Hinterbliebenenversorgung im Dienst der öffentlichen Volksschule ...“15 Zum 1. Juli 1949 erfolgte die Berufung in das Beamtenverhältnis, d.h. der Lehrer wurde Beamter auf Probe, erhielt eine freie Planstelle in Windsbach, und offiziell wurde ihm „die Dienstwohnung I. Ordnung“, die er ja zu keinem Zeitpunkt hatte verlas- sen müssen, übertragen. Er war berechtigt, den Titel Hauptlehrer zu führen, und der Beginn seines Besoldungsdienstalters wurde auf den 5. August 191816 festgesetzt. Die Urkunde für diesen Akt hatte folgenden Text: „Im Namen der Bayerischen Staatsregie- rung wird der vormalige Lehrer mit dem Titel Hauptlehrer ... unter Berufung in das Beamtenverhältnis zum Lehrer ernannt.“17 Am 22. Januar 1951 erhielt der Lehrer die Berufung ins Beamtenverhältnis auf Lebenszeit.18 Diesem Lehrer waren seine „erdienten“ Versorgungsansprüche zugestanden worden, er hatte Titel und Dienstwohnung behalten, und die Dienstaltersstufe bemaß sich ab 1918. Die Zeitspanne zwischen seiner Wiedereinstellung am 3. Mai 1948 und seiner Berufung ins Beamtenverhältnis auf Probe am 1. Juli 1949 betrug 14 Monate. Er war im Vergleich gut dran, denn andere Kollegen verharrten bis zu zwei Jahren im Angestelltenverhältnis, ja es gab Fälle, z.B. Lehrer H. in Schwabach, die noch im Jahr 1950 auf eine Berufung zum Beamten warteten.19 Im bayerischen Landtag wurde das Problem mehrmals besprochen, z.B. am 16. März 1949. Der Abgeordnete Meixner (CSU) beklagte, daß im Stadtkreis Bamberg von 70 „vor langer Zeit schon wieder einge- stellten Lehrkräften erst 19 wieder verbeamtet“ seien. Die Regierung in Ansbach komme mit der Arbeit nicht nach, aber die Betroffenen hätten einen jährlichen Schaden von rund 1000 DM, da sie monatlich weniger Gehalt bezögen.20 Kultusminister Hund- hammer meinte dazu, daß ein halbes Jahr die „normale Frist“ sei, daß es aber auch zu Verzögerungen kommen könne, da die Behörden, die die Gehaltsberechnung und -aus- zahlung vornähmen, nicht so schnell arbeiteten.21 Noch einmal wurde diese Frage am 6. April 1949 behandelt. Hundhammer nannte nun Zahlen: 5118 bayerische Volksschul- lehrer seinen ins Beamtenverhältnis übergeführt worden, 3000 Anträge für ganz Bayern erwarte man noch. Etwa vier Wochen dauere die Bearbeitung der Anträge im Kultusmi- nisterium. Es gebe „aber auch manchmal Fälle, in denen gewisse Probleme noch ungeklärt“ seien, z.B. sei auch der Eintritt in die NSDAP schon 1933 ein Grund, daß eine Lehrkraft später ins Beamtenverhältnis gelange als jemand, der erst 1940 Parteimitglied gewor- den sei.22 Kultusminister Hundhammer hatte schon im Juni 1948 die beschleunigte

15 Privatarchiv Hermann Dehm, Ansbach. 16 Abschluß des Lehrerseminars am 14.7.1910, Anstellungsprüfung als Lehrer am 12.6.1919 (Privatarchiv Her- mann Dehm, Ansbach). 17 Ebda. Nach Art. 1 Abs. 1 der VO.113 vom 29.1.1947 war das Dienstverhältnis der entfernten Beamten erlo- schen. Die Wiedereinzustellenden bekamen eine Ernennungsurkunde ausgehändigt. 18 Ebda. Ca. 19 Monate hatte er darauf warten müssen, während laut Ministerratsbeschluß vom 17.3.1947 die Berufung auf Lebenszeit für „Mitläufer-Beamte“ erst nach drei Jahren möglich sein sollte. (ACSP München. NL Müller 252. Abschrift des Ministerratsbeschlusses vom 17.3.1947). 19 LKAN. Kreisdekan Nürnberg 251. Schreiben des Lehrers H., Schwabach, am 24.4.1950 an Oberkirchenrat Schieder. 20 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenographischer Bericht Nr. 104. 104. öffentl. Sitzung am 16.3.1949, S. 765. 21 Ebda., S. 765 f. 22 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenographischer Bericht Nr. 106. 106. öffentl. Sitzung am 6.4.1949, S. 872 f.

154 Wiederverbeamtung angeordnet und, da nicht überall mit der von ihm gewünschten Schnelligkeit gearbeitet wurde, sich veranlaßt gesehen, „am 27. Dezember 1948 eine ernste Mahnung an die betreffenden Regierungen hinauszugeben“.23 Schwierig, und für die Betroffenen oft nicht nachvollziehbar, gestaltete sich die Wiederanstellung derjenigen, die unter die „Weihnachtsamnestie“ fielen. Dazu gehör- ten laut Verordnung zur Durchführung der Weihnachtsamnestie, veröffentlicht im Bayerischen Staatsanzeiger 10/8. März 1947, „1. Personen, deren steuerpflichtiges Gesamteinkommen weder im Kalenderjahr 1943 noch 1945 den Betrag von RM 3600.- überstiegen hat und deren Vermögen am 1.1.1945 den Betrag von RM 20000.- nicht überstiegen hat. 2. Körperbeschädigte, die auf Grund der bestehenden Versorgungs- oder Unfallfürsorgegesetze zu 50 und mehr Prozent als versehrt gelten oder der Versehrtenstufe II, III und IV angehören.“24 Weihnachtsamnestie galt allerdings nicht für Personen, die als Hauptschuldige oder Belastete eingereiht worden oder verdächtig waren, vom Öffentlichen Kläger dort eingestuft werden zu müssen. Die Spruchkammer mußte das Verfahren einstellen, sofern der Betreffende aufgrund mündlicher Verhand- lung weder Hauptschuldiger, Belasteter oder Minderbelasteter zu sein schien. War er bereits rechtskräftig als Mitläufer eingereiht, so mußte der Öffentliche Kläger dem Minister für Sonderaufgaben die Entscheidung zur Aufhebung und Einstellung des Verfahrens vorlegen. „Weihnachtsamnestierte“ fielen nicht unter das Beschäftigungsverbot.25 Wer als Beamter unter die Weihnachtsamnestie - oder die Jugendamnestie (geboren nach dem 1. Januar 1919) - fiel, galt als nicht betroffen, und vormalige Beamte, die als Nicht- betroffene eingereiht worden waren, sollten an ihrer früheren Stelle wiedereingestellt werden. Beamtenrechtlich erhob sich damit die Frage, ob diese Bestimmung tatsächlich für die Amnestierten gelten sollte oder ob sie „nach dem Grad ihrer tatsächlichen Belastung wie Mitläufer bzw. Entlastete zu behandeln“ seien.26 Zunächst gab es einen Beschluß des Ständigen Rechtskollegiums zur einheitlichen Auslegung des Befreiungsgesetzes in der US-Zone, der besagte: „Wird ein Verfahren auf Grund einer Amnestie eingestellt, so steht der Amnestierte einem vom Gesetz nicht Betroffenen gleich und ist als solcher zu bezeichnen.“27 In seiner Entschließung vom 29. März 1947 kündigte das Bayerische Staatsministerium der Finanzen an, daß die beamtenrechtliche Wirkung der Weihnachtsamnestie in weiteren Bestimmungen festgelegt werde, und gab mit der Ent- schließung Nr. 16780 I CG 935, Abschnitt III, Ziff. 2e vom 11. Juni 1947 bekannt, daß Jugendamnestierte den Anspruch auf Wiedereinstellung hätten, da sie unter die Bestim- mungen der VO. 113 für die Nichtbetroffenen fielen. Weihnachtsamnestierte waren in der Frage der Wiederanstellung grundsätzlich wie Mitläufer zu behandeln und hatten damit keinen Anspruch auf Einstellung.28 Ergab die Überprüfung eines Falles, daß der Beamte ohne die Amnestie als „nichtbetroffen“ oder daß er als „entlastet“ erklärt worden wäre, so fanden im ersten Fall die Bestimmungen für die Nichtbetroffenen, im zweiten Fall die Bestimmungen für die Entlasteten Anwendung. Bei der Wiederanstellung wur- den Weihnachtsamnestierte, die als Mitläufer zu behandeln waren, den Mitläufern, die

23 Franz Xaver Hartmann: Nationalsozialismus und Bayerischer Lehrerverein. Beilage zur Bayerischen Schule, o.D. 24 Baer, S. 392. 25 Ebda., S. 392 f; Mitteilungsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Sonderaufgaben, München. 2. Jg. Nr. 1/2 vom 26.8.1947, S. 1. 26 ACSP München. NL Müller 252. Überblick über die Wiedereinstellung der aus politischen Gründen entlasse- nen Beamten. o.D. 27 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1 - 13. Schreiben eines Privatmanns aus Helmbrechts am 25.8.1947 an Thomas Dehler. 28 Ebda.

155 nicht unter die Amnestie fielen, vorgezogen.29 Das Datum des Parteieintritts spielte bei der Übernahme ins Beamtenverhältnis auch wieder eine Rolle, denn die ME. Nr. IV 58311 vom 3. Dezember 1947 sah vor, daß zuerst die „vom Gesetz ‚Nichtbetroffenen‘, die ‚Jugendamnestierten‘, die ‚Entlasteten‘ und jene ‚Mitläufer‘ und ‚Weihnachtsamnestierten‘, die frühestens 1937 Mitgl. der NSDAP waren, in das Beamtenverhältnis überführt wer- den“ sollten.30 Das Datum wurde sogar je nach Herkunftsort genauer definiert: Das Jahr 1937 war gültig für „frühere bayerische Beamte oder ... Flüchtlinge aus dem ehemali- gen Alt-Reichsgebiet“. Für Beamte aus der ehemaligen „bayerischen Ostmark“31 galt das Jahr 1935. Flüchtlinge aus dem Sudetenland „oder aus einem sonstigen Gebiet außerhalb des ehemaligen Altreichs“ durften erst ab 1940 Mitglieder der NSDAP gewesen sein, um wenigstens als Beamte auf Probe berufen zu werden.32 Weihnachtsamnestierte erfreuten sich im übrigen anscheinend keines großen Ansehens, sonst hätte das Mitteilungsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Son- deraufgaben sicher nicht folgenden Absatz in die Ausführungsbestimmungen für Jugend- und Weihnachtsamnestie aufgenommen: „Bei der Durchführung der Jugend- und Weihnachtsamnestie haben häufig Personen, die vom Befr.-Gesetz nicht betroffen sind, oder für ‚entlastet‘ im Sinne des Art. 13 Befr.-Ges. erklärt werden müßten, eine Nichtbetroffenenkarte mit dem Amnestiestempel erhalten. Alle diese Personen haben ein berechtigtes Interesse daran, daß ihre Nichtbetroffenheit oder Entlastung beschei- nigt wird. Daher können sie bei der Spruchkammer beantragen, daß ihnen - unter Ein- ziehung der Amnestiekarte - ihre Nichtbetroffenheit bescheinigt oder ein Verfahren mit dem Ziel ihrer Entlastung durchgeführt wird.“33 Proteste der um Wiederanstellung bemühten vormaligen Beamten richteten sich vor allem dagegen, daß Jugendamnestierte den Vorteil der sofortigen Einstellung genießen und Weihnachtsamnestierte wie die Mitläufer unter die „Kann“ - Bestimmung fallen sollten. Amnestie sei Amnestie, argumentierten sie, ob sie für Jugendliche oder für Ältere erfolge, sei gleich.34 Dieser Ansicht konnte man - berechtigterweise - nicht folgen. Personen, die unter die Jugendamnestie fielen, waren zum Zeitpunkt der „Machtübernahme“ höch- stens 14 Jahre alt gewesen. Fairerweise mußte man ihnen die geringere Schuld an den Vorkommnissen während der Zeit des Nazi-Terrors zubilligen. Die Älteren, die vor dem Unrecht der Naziherrschaft oft die Augen verschlossen, es verdrängt und stillschweigend hingenommen hatten, auch aus Angst vor dem Verlust der Arbeitsstelle in die Partei ein- getreten waren, mußten wohl oder übel den größten Teil der Verantwortung auf sich nehmen. Die Entschließung des Finanzministeriums stellte sicherlich auch in Rechnung - und zwar wörtlich - daß unter den Jugendamnestierten bei weitem nicht so viele vormalige Beamte sein konnten wie bei den älteren Weihnachtsamnestierten, da sie ja zum großen Teil von der Schulbank zum Arbeitsdienst und zur Wehrmacht eingezogen worden waren und auch während des Krieges kaum Gelegenheit gehabt hatten, eine Beamten-

29 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 213. Dienstbesprechung der Landräte und Oberbür- germeister 1945-1950, Dinkelsbühl, 4.8.1947, S. 11. 30 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 16. Jg. Nr. 3 vom 15.3.1948, S. 25. RE. vom 12.3.1948 Nr. 1151 ba 19. 31 siehe S. 111. 32 BayHStA München. MK 62001. Schreiben Nr. IV 58311 des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kul- tus am 3.12.1947 an die Regierungen. Betreff: Wiederanstellung der entnazifizierten Lehrkräfte und Anstel- lung der Flüchtlingslehrer. 33 Mitteilungsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Sonderaufgaben, München. 2. Jg. Nr. 1/2 vom 26.8.1947, S. 2. 34 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1 - 13. Schreiben eines Privatmanns aus Helmbrechts am 25.8.1947 an Thomas Dehler.

156 laufbahn zu beginnen oder weiterzuverfolgen. Die Genehmigung zur sofortigen Wie- deranstellung der Jugendamnestierten im öffentlichen Dienst tat also der bayerischen Staatskasse nicht so weh. Es war wenig Geld da, vor allem kurz nach der Währungsre- form. Aber die Ansprüche kamen von allen Seiten, und jeder nahm für sich eine besondere Notlage in Anspruch. Härten traten auf. Ähnliche Bestimmungen wie bei der Weih- nachtsamnestie gab es für Kriegsgefangene, die nach dem 8. Mai 1947 aus der Gefan- genschaft entlassen worden waren. Auch für diese sog. „Heimkehrer“ galt, falls sie nicht in die Gruppe der Hauptschuldigen oder Belasteten fielen, daß der Öffentliche Klä- ger keine Klage zu erheben bzw. ein bereits eingeleitetes Verfahren einzustellen habe.35 Wie auch Mitläufer und Weihnachtsamnestierte hatten diejenigen, die unter die Heimkeh- reramnestie fielen, Schwierigkeiten, als Lehrer wieder eingestellt zu werden, da, wie oben erläutert, das Kultusministerium die „Kann-Regelung“ weitestgehend anwendete und vor allem die Wiederverbeamtung lang hinzögerte.36

35 Baer, S. 393. 36 BayHStA München. MK 62004a. Schreiben des Bundesverbandes der Heimkehrer, Kreis- und Ortsverband Kulmbach, am 19.6.1950(!) an Ministerpräsident Ehard. Betreff: Wiederverbeamtung von Volksschullehrern a. D.V., die aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt sind.

157 4.4. KIRCHENAUSTRITT UND WIEDEREINSTELLUNG

Lange Zeit, wenn nicht gar für immer, war es für einen Personenkreis im Bereich des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus völlig unmöglich, wieder Zugang zu sei- nem Arbeitsplatz an den Schulen zu bekommen, für die aus der Kirche Ausgetretenen. Bei der Prüfung der sog. Mitläufer, ob deren positive politische, moralische und liberale Eigenschaften vorhanden seien, eine Prozedur, bei welcher die „Schulräte ... im Beneh- men mit einigen einwandfreien Lehrkräften des Kreises, welche die entsprechenden Per- sonalkenntnisse besitzen, die politisch Ungeeigneten festzustellen“ hatten, schrieb das Staatsministerium vor, daß folgende Mitläufer „unter keinen Umständen“ zur Wieder- anstellung kommen durften: „Parteigenossen und Nichtparteigenossen, die sich mit oder gegen ihre Überzeugung mit ihrer ganzen Person dem Nationalsozialismus oft bis zur letzten Konsequenz zur Verfügung gestellt haben. Ferner Ehrgeizlinge, Nutznießer, Denunzianten, gefährliche Propagandisten, aus der Kirche Ausgetretene, Propagandi- sten für die Deutschen Christen oder für die Gottgläubigen. Solche Mitläufer müssen im Gesamturteil als charakterlich unzuverlässig, heute noch als offene oder geheime Ideen- träger des Nationalsozialismus oder Militarismus bezeichnet werden. ...“1 Bittgesuche verschiedener Lehrer an Politiker hatten unter dieser Prämisse keinerlei Aussicht auf Erfolg, auch wenn die Betreffenden ihre Gründe für den Kirchenaustritt erläuterten. So schrieb „eine Lehrerin a.D.“, daß sie mit ihrem Austritt aus der Kirche nicht „den Natio- nalsozialismus bis in seine letzte Konsequenz leben wollte, sondern weil ich von kirchli- cher Seite verärgert und gekränkt wurde und von dieser Richtung her wegen einer Klei- nigkeit sogar die Aufforderung zum Kirchenaustritt kam“.2 Ein anderer Lehrer gab an, sich schon früh von der evangelischen Kirche abgewendet zu haben. Seine beiden Söhne habe er schon vor 1933 nicht taufen lassen. Er sei aber jetzt, nach Ansicht des Pfarrers in Feucht, „eine wertvolle Hilfe und Stütze der kirchlichen Erziehungsarbeit“.3 Eine weitere Begründung lautete: „Der Austritt geschah aus weltanschaulichen Grün- den, die allerdings eine starke Stütze durch die Angriffe von Seiten der kath. Kirche auf den Betroffenen fanden,“ und wurde „erst längere Zeit nach Beendigung des Schulkamp- fes“ vollzogen.4 Sämtliche Bittsteller scheiterten, was in einem Antwortschreiben Thomas Deh- lers (FDP) deutlich wurde: „Nach dem augenblicklich im Kultusministerium herrschen- den Standpunkt haben Sie nach meiner Überzeugung keine Aussicht auf Wiedereinstellung, da hier der Kirchenaustritt als schwerste Belastung erachtet wird. Ich kann Ihnen leider keinen anderen Trost geben als den, zuzuwarten, bis sich hier eine politische Änderung ergibt, ...“5 Das Kultusministerium rückte von seiner starren Haltung in dieser Frage nicht ab. Nach der Verfügung vom 17. August 1948, in der die Wiederanstellung der Mitläufer geklärt worden war, wurde am 20. Dezember desselben Jahres eine weitere „Verfügung

1 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1 - 958. Schreiben des Bayer. Staatsmin. für Unterricht und Kultus, IV vaw, vom 15.6.1948 an alle Regierungen; AdsD Bonn. SPD - LTF Bay 160. Allg. Korrespondenz J-R 4/-8/51. Schreiben des Bayer. Staatsmin. f. Unterricht und Kultus, IV 50777, vom 17.8.1948, an alle Regierungen und Schulämter. Betreff: Wiedereinstellung und Verbeamtung entlassener Lehrkräfte. 2 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1 - 886. Schreiben einer Lehrerin aus Speiersberg, Post Mürsbach über Bamberg, am 13.8.1948 an Thomas Dehler. 3 AdsD Bonn. SPD - LTF Bay. 114. Gesuch des Lehrers Rudolf B., Feucht b. Nbg., am 22.11.1949 „an die SPD“. 4 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1 - 984. Schreiben einer Münchner Studienrätin wegen des entna- zifizierten und nicht mehr beschäftigten Stadtschulrats B., 28.10.1950 an Thomas Dehler. 5 Ebda., N 1 - 349. Schreiben des Dr. Thomas Dehler, Oberlandesgerichtspräsident, am 12.8.194. (unleserlich) an einen Lehrer in Azendorf Kreis Kulmbach.

158 grundsätzlicher Art“ erlassen: „Es besteht außerdem Anlaß, erneut darauf hinzuweisen, daß Kirchenaustritte aus politischen Gründen, aktive Tätigkeit in der Deutschen Chri- stenbewegung sowie in den weltanschaulichen Gruppen, die dem Nationalsozialismus nahegestanden haben, wie der Ludendorff-Bund, eine Wiedereinstellung in der Regel ausschließen.“6 Im bayerischen Landtag wurde die Einstellung des Kultusministeriums (oder Kultusministers?) in öffentlicher Sitzung ganz deutlich. Eine offensichtlich abge- sprochene7 Anfrage des Abgeordneten Meixner (CSU) befaßte sich mit einem Artikel aus der „Südpost“, dem „Nachrichtenblatt der SPD, Landesverband Bayern, Nr. 10 vom 12.3.1949, mit der Überschrift ‚Bayerns Kulturpolitik im Krebsgang‘“. Darin hieß es: „Wir denken an eine neuerliche Verfügung seines (Hundhammers) Ministeriums, nach der ehemals aus der Kirche ausgeschiedene Parteigenossen auch nach ihrer Entnazifizie- rung eine eidesstattliche Erklärung beizubringen haben, daß sie nicht aus politischen Gründen ausgetreten und jetzt erneut wieder eingetreten sind. Diese eidesstattliche Erklärung muß obendrein vom ortsansässigen Pfarrer als glaubwürdig gegengezeichnet sein. So bringt Herr Dr. Hundhammer auch die Geistlichen Herren in arge Konflikte. Wer kriecht hinter die hintergründigen Seelen der Betroffenen und findet sich dort zurecht?“8 Hundhammer wies diesen Artikel als Falschmeldung zurück und beantworte- te die Frage Meixners, wie er grundsätzlich zur Wiedereinstellung der aus der Kirche ausgetretenen Lehrer stehe, dahingehend, daß er auf die Verfügungen vom 17. August und 20. Dezember 1948 hinwies, von denen er glaubte, daß „das hohe Haus“ mit ihnen konform ginge. Er jedenfalls hielt sie für richtig. Die Wiedereinstellung „von aus der Kir- che ausgetretenen Lehrern bedarf in allen Fällen einer besonders gründlichen Prüfung; denn es ist normalerweise anzunehmen, daß solche Persönlichkeiten mit ihrem damali- gen Schritt dem Nationalsozialismus in besonderem Maße nachgegeben und eine schwache Haltung gezeigt haben.“9 In „geeigneten Fällen“ mußte die Entscheidung des Ministeriums eingeholt werden, und der Minister pries die Möglichkeit, daß hier „ein Weg ... offen gelassen“ worden sei. Für die Prüfung dieser Einzelfälle gab er die Rich- tung vor: „Soweit Wiedereintritte in die kirchliche Gemeinschaft von vor 1945 festzu- stellen sind, ist eine andere Beurteilung möglich als bei denen, die erst nach 1945 ihren Wie- dereintritt angemeldet haben, obwohl ich auch da nicht in jedem Fall unbedingt eine ablehnende Haltung einnehmen möchte.“10 Anfragen an das Kultusministerium, warum Lehrer immer noch auf ihre Wiedereinstellung warten müßten, wurden dahingehend beschieden, daß Kirchenaustritte aus politischen Gründen - sie galten als „schwerere politische Belastung“11 - in der Regel keine Wiederbeschäftigung zuließen12 und daß das Kultusministerium sich für jeden einzelnen dieser Fälle die Einstellungsgenehmigung vorbehalten habe.13 Das galt bis ins Jahr 1951. Daneben bestand die „Weisung des

6 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenographischer Bericht Nr. 104. 104. öffentliche Sitzung am 16.3.1949, S. 766; ME. vom 20.12.1948 Nr. IV 85838. 7 Der Fragesteller Prälat Meixner (CSU) war der Vorsitzende des schulpolitischen Ausschusses. 8 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenographischer Bericht Nr. 104. 104. öffentliche Sitzung am 16.3.1949, S. 766. 9 Ebda. 10 Ebda. 11 BayHStA München. MK 62004a. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 20.7.1950 an den Bundesverband der Heimkehrer, Kreis- und Ortsverband Kulmbach. 12 Ebda., MK 62017. Schreiben des Bezirksschulamtes Ebermannstadt am 31.3.1949 an die Regierung von Ober- und Mittelfranken. 13 Ebda., StK 113976. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 11.10.1950 an die Staats- kanzlei. Betreff: Wiedereinstellung des Lehrers Josef M., Bayreuth. 159 Herrn Staatsministers, ... die Wiederverbeamtung dieser Lehrkräfte bis zum Erlaß des Gesetzes zum Abschluß der Entnazifizierung zurückzustellen“.14 Die starre Haltung des Kultusministeriums in der Frage der Kirchenaustritte schien der evangelischen Kirche zu weit zu gehen. Das belegen verschiedene Schreiben an Oberkirchenrat Schieder in Nürnberg. Da bat der CVJM-Sekretär Hans Meister im Jahr 1949 für Lehrer L. in Beerbach bei Lauf, der, 58 Jahre alt, gerne wieder „irgendwo die- nen“ würde, obwohl er, da er sich von der Nazi-Partei hatte drängen lassen, aus der Kir- che auszutreten, wisse, daß er draußen sei.15 Schärfere Töne schlugen zwei Pfarrer an, die Anfang 1951 für den ehemaligen Lehrer L. in Langenzenn baten. Dieser sei während des Krieges aus der Kirche ausgetreten, habe fürchterliche Erlebnisse in französischer Gefangenschaft gehabt, war 1948 heimgekehrt, unter die Heimkehreramnestie gefallen und sei 1949 wieder in die Kirche eingetreten. Bis heute - 27. Januar 1951 - habe er keine Anstellung, und „für alle, die den Fall kennen, war die einzige Erklärung, daß Herr Hundhammer eben nicht wollte“. Die Gefahr bestehe, daß der Mann an seiner Deklas- sierung innerlich zugrundegehe, denn er sei hervorragend qualifiziert als Lehrer.16 Der Amtsbruder aus Hilpoltstein betrachtete diesen Fall als Politikum. Er schrieb: „Wenn wir sogar den ehemaligen Thüringer DC17 in unserer Landeskirche ein Pfarramt geben, dann dürfte der Staat nicht ‚päpstlicher sein wollen als der Papst‘. Aber in diesem Fall will er es anscheinend tatsächlich sein - wenigstens seine katholischen Politiker z. T. gegenüber unserer Kirchenleitung. Herr Staatsrat Meinzolt konnte sich zu seinem Bedauern auch in diesem Fall nicht durchsetzen. Also muß der Versuch letzten Endes wirklich an der Sturheit des Ministers Hundhammers gescheitert sein. Diese ... Erfahrung gab mir die Möglich- keit, das vielfach gehörte Urteil über ihn bestätigt zu finden. ...“18 Hundhammers Prinzipien wirkten über seine Amtszeit als Kultusminister hinaus fort. Sein Nachfolger Dr. Schwalber schien moderater zu sein, blieb aber in der Frage der Kirchenaustritte gleichermaßen hart. Das belegen zwei Quellen: Am 3. April 1951 beantwortete Schwalber im Bayerischen Landtag eine darauf abzielende Anfrage des Abgeordneten Becker (DG19) in folgender Weise: Bis zu seiner, Schwalbers, Amtsüber- nahme hätte sich im Kultusministerium die Praxis herausgebildet, daß man grundsätz- lich davon ausgegangen sei, daß die Regierungen, als die Anstellungsbehörden, die Wiederanstellung der Lehrer vorgenommen hätten. Schwerer belastete Lehrer hätten sich an das Kultusministerium wenden müssen. „Zu diesen schwerer belasteten Lehrern wurden meines Wissens auch diejenigen gerechnet, die ihren Kirchenaustritt vollzogen haben. ... Soweit ich aus den Akten feststellen konnte, wurde aber nicht der Kirchen- austritt schlechthin als Belastungsmoment gewertet, sondern nur dann, wenn er nicht aus religiöser Überzeugung vollzogen wurde, sondern wenn es sich um einen politi- schen Akt gehandelt hat.“20 Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus hatte am 21. Februar desselben Jahres an die Regierungen ein Schreiben,

14 Ebda., MK 62004a. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 20.7.1950 an den Bun- desverband der Heimkehrer, Kreis- und Ortsverband Kulmbach. Das Gesetz zum Abschluß der politischen Befreiung datiert vom 27.7.1950 (GVBl. S. 107). 15 LKAN. Kreisdekan Nbg. 251. Schreiben des CVJM-Sekretärs Hans Meister am 1.4.1949 an Oberkirchenrat Schieder, Nürnberg. 16 Ebda., Schreiben des Pfarrers Beltinger, ev. luth. Pfarramt Langenzenn am 27.1.1951 an Oberkirchenrat Schie- der, Nürnberg. 17 DC = Deutsche Christen. 18 LKAN. Kreisdekan Nbg. 251. Schreiben des Pfarrers Bayer, Hilpoltstein, am 8.2.1951 an Oberkirchenrat Schie- der, Nürnberg. 19 DG = Deutsche Gemeinschaft; eine rechtsradikale Vereinigung, 1949 von einem Nürnberger Rechtsanwalt gegründet; sehr bald wieder bedeutungslos. 20 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenographischer Bericht. 16. Sitzung am 3.4.1951, S. 383.

160 gez. Dr. Schwalber, herausgegeben mit dem Betreff: „Wiedereinstellung von entnazifi- zierten einheimischen Lehrkräften (Mitläufern).“ Darin wurde „die Entscheidung über die Wiedereinstellung von entnazifizierten Lehrkräften (Mitläufern) nunmehr wieder den Regierungen als Anstellungsbehörden für die Lehrkräfte an den Volks- und landwirt- schaftlichen Berufsschulen zurückgegeben“.21 Allerdings war das kein Freibrief für die Regierungen, nun zu schalten und zu walten, wie sie es für richtig hielten. Der Kultusmi- nister gab die Richtlinien vor. Nach wie vor wurde der Anspruch auf Wiedereinstellung für Mitläufer verneint. Außerdem bezog man sich auf das Gesetz zum Abschluß der politischen Befreiung vom 27. Juli 1950, in dem es hieß: „ ... bei der Berufung in ein öffentliches Amt, bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst ... ist die frühere Verbindung des Bewerbers mit dem Nationalsozialismus im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens entsprechend zu berücksichtigen.“22 Bei der Entscheidung, ob eine Wiedereinstellung verantwortet werden könne, hatten sich im Kultusministerium bestimmte Grundsätze herausgebildet. Sie mußten „im Hinblick auf die besonderen Erfordernisse des Erzieher- berufes“ beibehalten werden. Diese Grundsätze wurden den Regierungen als verbindliche Richtlinien an die Hand geben: „Nicht wieder eingestellt werden dürfen Lehrkräfte, bei denen nach ihrer politischen Betätigung oder charakterlichen Haltung in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft oder seitdem begründete Besorgnis besteht, daß sie sich nicht durch ihr gesamtes Verhalten zum demokratisch-konstitutionellen Staat bekennen, oder daß sie die Jugend nicht im Sinne der Bayer. Verfassung erziehen. Hierunter fallen insbesondere: ... Lehrkräfte, die in der Zeit des Nationalsozialismus nachweislich aus nutznießerischen Gründen (z.B. Beförderung oder Berufung in ein Parteiamt) aus der Kirche ausgetreten sind. Hierzu rechnen nicht Lehrkräfte, die den Kirchenaustritt unter solchem Druck vorgenommen haben, daß andernfalls ihre Belassung im Dienst gefährdet gewesen wäre. Ferner fallen nicht darunter Kirchenaustritte aus persönlichen - oder Überzeugungsgründen ...“23 Verglichen mit der ME. vom 20.Dezember 1948, in der es hieß, daß „Kirchenaustritte aus politischen Gründen“ eine Wiedereinstellung aus- schlössen, hatte man jetzt die Richtlinie doch dahin nuanciert, daß Kirchenaustritte, die unter solchem Druck geschehen waren, daß der Betreffende andernfalls um seine Belas- sung im Dienst fürchten mußte, kein Hindernis zur Wiedereinstellung sein sollten. Nur nutznießerische Gründe für diesen Schritt sollten mit einem Beschäftigungsverbot geahndet werden. Hier abzugrenzen war sicher sehr schwierig und führte wohl auch dazu, daß in Zweifelsfällen letztendlich für die Wiedereinstellung plädiert wurde. Wer konnte schließlich „hinter die hintergründigen Seelen der Betroffenen“ kriechen?24 Das Schreiben des Kultusministers vom 21. Februar 1951 bestimmte außerdem, daß sich die Reihenfolge bei der Wiedereinstellung im Rahmen der vorhandenen Planstellen nach dem Grad der politischen Belastung zu richten habe. Außerdem sollte zunächst in das „Beamtenverhältnis auf Probe“ berufen werden.25 Auch die Forderung nach dem Grad der Belastung beinhaltete Unwägbarkeiten, denn es ging rein formal ja nur um die Gruppe der Mitläufer, über deren Wiedereinstellung verhandelt wurde. Zwar war mit ME. Nr. IV 50777 vom 17. August 1948 eine Gewichtung der Belastung innerhalb dieser Gruppe vorgenommen worden, aber ganz präzise hatte man auch damals nicht eintei-

21 AdsD Bonn. SPD - LTF Bay 160. Allg. Korrespondenz J-R 4/-8/51. Schreiben Nr. IV 1499 des Bayer. Staatsmi- nisteriums für Unterricht und Kultus am 21.2.1951 an die Regierungen. 22 Ebda. 23 Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 17/29.8.1950, S. 107 ff: Gesetz zum Abschluß der politischen Befreiung vom 27. Juni 1950. 24 siehe S. 159. 25 AdsD Bonn. SPD - LTF Bay 160. Allg. Korrespondenz J-R 4/-8/51. Schreiben Nr. IV 1499 des Bayer. Staatsmi- nisteriums für Unterricht und Kultus am 21.2.1951 an die Regierungen.

161 len können. Nur annähernd war ja sicherlich zu beurteilen, ob jemand gutgläubig, durch Zwang, aus politischer Unerfahrenheit in eine bestimmte politische Richtung ein- schwenkt. Und wer hätte während des Dritten Reiches laut gesagt, er sei zwangsweise in die Partei eingetreten? Hinterher ließ sich das leicht behaupten. Ob die Höhe der Süh- nezahlung, die Anzahl der Jahre im Internierungslager, die Zahl der Mitgliedschaften bei NS-Organisationen mit in die Beurteilung einflossen, ist aus den Anordnungen und Ent- schließungen nicht ersichtlich. Das Verfahren lag nun im Ermessen der Regierungen, und sie wurden aufgefordert, den Prozeß möglichst beschleunigt durchzuführen, gleich- zeitig aber sehr sorgfältig jeden einzelnen Fall zu prüfen.

4.5. KRITIK AM VERFAHREN UND ABSCHLUß

In der allgemeinen Diskussion um die Wiederbeschäftigung entnazifizierter Lehrer waren die Stimmen, die sich über die Wiedereinstellung bzw. -verbeamtung entrüste- ten, in der Minderzahl. Aber es wurde hier und da doch Unmut laut darüber, wie schnell und reibungslos mancher Lehrer wieder seinen Posten besetzte. So beschwerte sich Landrat T. aus Schwabach, daß „nahezu sämtliche Nationalsozialisten des Landkreises Schwabach wieder in das Lehrfach zurückgeführt worden“ seien. Er halte diese Leute für wenig geeignet, „nachdem sie vorher jahrelang in ausgeprägtem Maße nationalso- zialistische Lehren gepredigt hatten“, die demokratische Erziehung der Jugend in die Hand zu nehmen.1 In dieselbe Kerbe schlug der Schreiber eines Leserbriefes an die Neue Zeitung, der bemängelte, daß ein Lehrer nach zweijähriger Bewährungsfrist, die ihm die Spruchkammer eingeräumt hatte, wieder die Möglichkeit haben sollte, seinen Beruf auszuüben. Wie könnten solche „Elemente“ mit Überzeugung „die Ideale der Demo- kratie ... preisen“?2 Die Verwendung der entnazifizierten Lehrer am gleichen Dienstort war ebenfalls ein Stein des Anstoßes. So wurde bei einer Dienstbesprechung von Land- räten und Oberbürgermeistern der Regierungsbezirke Oberfranken und Mittelfranken massiv dagegen gewettert: „Jetzt wollen sie (die Lehrer) wieder an ihrem geliebten Dienstort in Demokratie machen, wo sie früher Hitlergebete gelehrt haben. In dieser Beziehung scheint bei der Regierung ein Versager zu liegen. Mein Schulrat hat seit 1.1.1947 nicht weniger als 11 Pg., davon 6 33er und einen 32er Pg. an dem gleichen Schulort wieder in den Dienst gebracht.“3 Die Landräte waren sich mit dem Regierungs- präsidenten darüber einig, „daß bei der Wiedereinstellung von Schulkräften unter allen Umständen darauf Rücksicht genommen werden soll, daß nur dann ein Belasteter oder Mit- läufer wieder in sein Amt kommt, wenn er nicht am gleichen Platze Verwendung fin- det“.4 Ein Jahr später hieß die Weisung - etwas weniger scharf formuliert - : „Sogen.

1 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4519. Schreiben des Landrats T. in Schwabach am 8.10.1948 an die Regierung von Mittelfranken. 2 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 70 vom 2.9.1946, S. 7. 3 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 213. Dienstbesprechung der Landräte und Oberbür- germeister 1945-1950. Tagung der Regierung von Ober- und Mittelfranken in Dinkelsbühl am 4.8.1947, S. 11. 4 Ebda.

162 Mitläufer (sollen) nicht gerade wieder auf ihrem früheren Tätigkeitsort beschäftigt wer- den ... Aktionen hiewegen, die zwecklos sind, sollen unterlassen werden.“5 Allerdings zeigen viele Fälle, daß die Lehrer doch wieder an ihren früheren Dienstort zurückge- schickt wurden.6 Der Münchberger Landrat bemängelte, daß die Schulbehörden sich nicht um Art. 7 der Verordnung 113 kümmerten, in dem betont wurde, daß aus der Wiederindienststellung eines Beamten keine Unzuträglichkeiten entstehen dürften. Scharf merkte er an: „Man scheint in den Kreisen der Lehrer den Begriff Besatzung nicht mehr zu kennen ... Es kann jederzeit umgezogen werden, aber die guten Milchbezie- hungen scheinen bei den Herren eine größere Rolle zu spielen als die ... Wiederverwendung an einem andern Schulort.“7 Die Wohnungsknappheit stand jedoch in der Tat einer Versetzung oftmals hindernd im Wege.8 Kritiker des Wiederanstellungsverfahren lenkten auch den Blick auf die Unbe- lasteten. Es hatte Anfang 1946 eine „gemeinsame Dienstanweisung sämtlicher Staats- ministerien zur Beseitigung nationalsozialistischen Unrechts an Beamten“ gegeben, nach der bayerische Beamte, die durch „typisch nationalsozialistische Gesetze9 und Maßnahmen durch Entlassung, durch vorzeitige Ruhestandsversetzung oder durch Ruhestandsversetzung mit geringerem als dem gesetzlichen Ruhegehalt geschädigt“ worden waren, Anspruch auf Wiedergutmachung hatten. Entlassene Beamte, wenn sie noch dienstfähig waren, mußten in ihr früheres oder ein gleichwertiges Amt berufen werden, die Zeit der Entlassung wurde auf das Besoldungsdienstalter angerechnet. Beförderungen mußten nachgeholt werden.10 Eine Wiedergutmachung für diesen Per- sonenkreis war selbstverständlich, für einen anderen dagegen wurden Schwierigkeiten befürchtet, so daß er in der VO. 113 vom 29. Januar 1947 herausgehoben wurde: „... die Rechte und Anwartschaften der politisch nichtbelasteten Beamten und Angestellten, die sich am Tage des Inkrafttretens der VO. im Dienst befinden und am Aufbau eines demokratischen Staatswesens mitgearbeitet haben, (dürfen) nicht beeinträchtigt wer- den.“11 Und die Durchführungsverordnung vom 11. Juni 1947 besagte: „Die Wiederein- stellung entfernter Beamter darf nicht dazu führen, daß inzwischen eingestellte unbelastete und geeignete Personen wieder entlassen werden oder daß ihre in Aussicht genomme- ne Übernahme in das Beamtenverhältnis oder ihre Beförderung unterbleibt.“12 Damit war die Zukunft der für den Lehrerberuf gewonnenen Schulhelfer gesichert, und man- cher Flüchtlingslehrer (beileibe nicht jeder!) konnte auf seiner Schulstelle bleiben. Für die Mitglieder des Spruchkammerpersonals, das sich aus Antifaschisten aus allen Berufen zusammensetzte, war diese Anweisung meist bedeutungslos. Niethammer schreibt, daß die auf Dienstvertrag eingestellten Mitarbeiter mit einer Übergangsbeihilfe entlassen wurden, während man die entnazifizierten Pensionsanwärter in den aktiven Dienst

5 Ebda., Landratsamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, Nr. 60. Niederschrift über die am 20.8.1948 in Dinkelsbühl stattgehabte Bürgermeisterversammlung. 6 siehe S. 7 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 213. Dienstbesprechung der Landräte und Oberbürger- meister 1945-1950. Tagung der Regierung von Ober- und Mittelfranken in Dinkelsbühl am 4.8.1947, S. 12. 8 Ebda., S. 9. 9 z.B. Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4.1933 und das Änderungsgesetz vom 26.9.1934. 10 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 14. Jg. Nr. 1 vom 1.7.1946, S. 12. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. v. 26.2.46 Nr. I 6003. 11 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 213. Dienstbesprechung der Landräte und Oberbür- germeister 1945-1950. Tagung der Regierung von Ober- und Mittelfranken in Dinkelsbühl am 4.8.1947, S. 10. 12 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 15 Jg. Nr. 9 vom 10.9.1947, S. 53.

163 übernahm. So standen viele Antifaschisten „in der schweren sozialen Krise, die der Währungsreform folgte, wieder auf der Straße ... während nach dem Zustrom der Flüchtlinge und Vertriebenen in etlichen Behörden 1948/49 mehr Pgs als selbst unter Hitler waren“.13 Parteien und auch die Kirchen forderten die Wiederanstellung entnazifizierter Beamter bzw. Lehrer. Die WAV beispielsweise verlangte Anfang 1948, daß als „entla- stet“ eingereihte Personen auf ihre früheren oder gleichwertige Posten zurückkehren müßten, denn sie hätten beweisen können, daß sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegen den Nationalsozialismus gekämpft hatten.14 Die FDP Bayern forderte im Juni 1947 „die baldige Wiederanstellung solcher entnazifizierter Lehrkräfte, welche auf Grund ihrer früheren Haltung als Erzieher den Beweis ihrer Eignung erbracht und beste Erziehungserfolge erzielt haben“.15 Die Begründung mutet angesichts der parallel laufenden kultusministeriellen Einstellungspraxis reichlich utopisch an. Diese Forderung wurde jedoch von der Frauentagung der FDP gebracht, die angesichts der „katastropha- len Verwahrlosung der Jugend“ den bayerischen Landtag zu diesem Beschluß bewegen wollte. Das Fehlen der Väter und der Arbeitseinsatz der Mütter hatte in ganz Deutsch- land zur Verwilderung der Kinder geführt, zumal auch der Schulunterricht - wie oben dargelegt - in vielen Gemeinden auf ein Minimum beschränkt war. Kein Wunder also, wenn die Frauen den Einsatz erfahrener Erzieher verlangten! Die CSU forderte im November 1948, daß bei der Wiederanstellung von entnazifizierten Beamten „die heuti- ge demokratische und sachliche Eignung zur Grundlage zu nehmen“ sei.16 Dieses Ver- langen unterlief die Intentionen der amerikanischen Militärregierung, die auf Umerzie- hung gedrängt hatte. Schließlich forderte die evangelische Kirche die Wiedereinstellung der entlassenen Lehrer, „soweit sie sich nicht als aktive Förderer des Nationalsozialismus betätigt ... haben,“ und die „Schulung aller Lehrkräfte im neuen Geist und für die ... innere Reform des Bildungswesens“.17 Detaillierte Vorschläge wurden jedoch nicht gemacht, auch Begründungen fehlten. Die allgemeine weltpolitische Lage, der beginnende Ost-West-Konflikt war der entscheidende Faktor, der die Entnazifizierung beeinflußte. Die SMAD erklärte sie am 26. Februar 1948 für die sowjetisch besetzte Zone als beendet. Von da an wurde die gesellschaftliche Wiedereingliederung der ehemaligen „kleinen“ Parteigenossen betrie- ben.18 In den USA befand das Repräsentantenhaus das Entnazifizierungskonzept als gescheitert. Die amerikanische Militärregierung für Deutschland sollte nun die Bedin- gungen für einen politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau der US-Zone schaffen, und das verlangte eine funktionsfähige Verwaltung, die Sanierung der Wirtschaft und Men- schen, die sich mit der neuen Politik identifizieren konnten.19 Die Entnazifizierungsbe- stimmungen wurden trotz des Protestes von General Clay gelockert.20 Es konnte nicht

13 Niethammer, Zum Verhältnis, S. 185 f. 14 ACSP München. NL Seidel. Beilage 978. Antrag an den Bayerischen Landtag vom 5.1.1948 (WAV). 15 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N 1 - 9.3. Landesparteitag der Freien Demokratischen Partei vom 27.- 30.6.1947 in Bad Aibling. 16 ACSP München. NL Seidel. Beilagen, Band III. Beilage 1970. Antrag an den Bayerischen Landtag vom 3.11.1948 (CSU). 17 LKAN. Ev.-luth. Landeskirchenrat (LKR) VI 1100a (3064). Denkschrift der EKD über die Neuordnung des Erzie- hungswesens in der amerikanisch besetzten Zone Deutschlands, o.D., wahrscheinlich aber 1947. 18 Niethammer, Die Entnazifizierung, S. 514. 19 Dotterweich, S. 147 f. 20 Niethammer, Die Entnazifizierung, S. 514. In Bayern allerdings schützte Art. 184 BV den Fortbestand des Befreiungsgesetzes bis zum Jahr 1954. Als letztes Land der Bundesrepublik Deutschland verkündete es am 11.8.1954 die endgültige Beendigung der Entnazifizierung. (Dotterweich, S. 148). „Das sog. Befreiungsmi- nisterium wird mit Wirkung vom 30. Oktober 1954 ab aufgehoben,“ hieß es in der Bayerischen Schule, 7. Jg. Nr. 25/15.9.1954, S. 399.

164 ausbleiben, daß in der Bevölkerung nun die Meinung herrschte: Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen. Als die Amerikaner die Überwachung der Spruchkammern ein- stellten, waren noch 540 000 unerledigte Fälle zu bearbeiten, 4/5 davon der Kategorie I und II zuzurechnen.21 Die deutschen Behörden, die sich dem Konzept der Amerikaner, die Entnazifizierung schnell zu Ende zu bringen, anpassen mußten, hatten immer weniger Zeit, die einzelnen Fälle gründlich zu prüfen,22 und die amerikanischen Besatzungs- behörden hatten das Interesse daran verloren. Eine Entschließung des Kultusministeri- ums machte das deutlich: Am 5. Mai 1948 wurde mitgeteilt, daß die bisher vorgeschrie- benen Vierteljahresmeldungen für neu- oder wiedereingestellte Personen entfielen. Anstelle der namentlichen Verzeichnisse mußte nun nur mitgeteilt werden, „daß alle an der Schule ... beschäftigten Personen die positiven politischen, liberalen und moralischen Eigenschaften, die zur Entwicklung der Demokratie in Deutschland beitragen, besit- zen“.23 Es taten sich immer mehr Schlupflöcher auf. Das Gesetz zum „Abschluß der politischen Befreiung“ legte z.B. in § 2 (1) fest, daß Betroffene, die in der Gruppe der Minderbelasteten eingereiht worden waren, deren Nachverfahren aber noch nicht ent- schieden war, „mit Inkrafttreten des Gesetzes in die Gruppe der Mitläufer eingereiht“ waren. Sühnemaßnahmen und Verfahrenskosten, die im Nachverfahren entstanden waren, wurden erlassen. Alle Mitläufer unterlagen nicht mehr irgendwelchen Tätigkeits- beschränkungen.24 Im Bereich des Kultusministeriums beschleunigte man die Übernahme der ange- stellten Lehrer in das Beamtenverhältnis, und zwar ermächtigte eine ministerielle Ent- schließung die Regierungen, „ohne weitere Entnazifizierungsvorbehalte“ die Lehrer ins Beamtenverhältnis zu überführen. Das war bei Mitläufern möglich, die sich wenigstens über ein halbes Jahr bewährt hatten. Entlastete, Jugend- und Heimkehreramnestierte konnten „ohne weiteres“ in ein Beamtenverhältnis übergeführt werden, was beim letzt- genannten Personenkreis nicht selbstverständlich gewesen war. Zur Begründung für all diese Maßnahmen sagte der Abgeordnete Engel (BP) im bayerischen Landtag, „dem Lehrer müsse die berufliche Freude zurückgegeben und die geheime Opposition, mit der er dem Staat noch gegenübersteht, genommen werden“.25 Als Grund für mögliche Ver- zögerungen bei der Übernahme ins Beamtenverhältnis gab Kultusminister Schwalber die Bestimmungen an, die für die Unterbringung der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen vom 11. Mai 1951 beachtet werden müßten.26 Durch das Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom 10. Juni 1950 war die Verordnung Nr. 113 vom 29. Januar 1947 zur Regelung der Rechtsverhältnisse der vom Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus betroffenen Beamten aufgehoben worden, und das Gesetz zum Abschluß der politischen Befreiung vom 27. Juli 1950 wurde, da in entscheidenden Punkten die Rechtsverhältnisse der entfernten Beamten ungeklärt geblieben waren, eher als Notbehelf gesehen.27 Das Ausführungsgesetz zu Artikel 131

21 Dotterweich, S. 148. 22 Woller, Gesellschaft, S. 152 f. 23 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 4 vom 31.5.1948. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 5.5.48 Nr. I 27969. 24 Baer, S. 394 f. 25 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenographische Berichte Nr. 1-32. I. Band. 26. Sitzung am 29.5.1951, S. 702. 26 Ebda.; siehe S. 166, Fußnote 30. 27 ACSP München. NL Müller 251. Schreiben des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen Nr. I 97896I - Cg 950 - 5. am 9.10.1950 an den Bayerischen Ministerpräsidenten. Betreff: Regelung der Rechtsverhältnisse der vom Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus betroffenen Angehörigen des öffentlichen Dienstes und ihrer Hinterbliebenen.

165 verpflichtete Bund, Länder und Gemeinden, diejenigen Beamten wieder einzustellen, die bis zu dem Zeitpunkt noch nicht wieder beschäftigt waren. Eine Ausnahme bildeten Per- sonen, die von den Spruchkammern als untragbar für den öffentlichen Dienst erachtet worden waren. Kamen die Behörden dieser Pflicht, eine Mindestquote von „131ern“ einzustellen, nicht nach, so mußten sie mit Einstellungssperren für andere Personen und Beitragszahlungen zum Unterhalt rechnen.28 Etwa 150 000 ehemalige Angehörige des öffentlichen Dienstes erhielten „ihre Versorgungsansprüche und Arbeitsmöglichkeiten im Staatsdienst zurück“. Die öffentlichen Arbeitgeber mußten 20 % ihres Etats zur Wie- dereinstellung dieser Leute verwenden.29 Mit diesem „äußerst umstrittenen“30 Gesetz gelangten bis auf einen geringen Rest die meisten Entnazifizierten in den öffentlichen Dienst zurück, ja sie wurden Ländern und Gemeinden geradezu aufgezwungen.31 Im Schul- und Kulturausschuß der Stadt Nürnberg wurde das Dilemma offenbar: Man beschloß am 3. Dezember 1951, daß aushilfsweise angestellte Lehrkräfte, die sich bewährt hatten, während des laufenden Schuljahres nicht entfernt werden dürften, auch wenn die 131er zurückkehrten. Begründet wurde der Beschluß mit schulischen Notwendigkeiten.32 Noch 1953 klagte man über die Schwierigkeiten bei der Anstellung von Lehrkräften, solange die „zwingenden Bestimmungen des Gesetzes nicht gelockert“ würden. Von sechs neu einzustellenden Lehrkräften habe man drei 131er und drei Nachwuchskräfte gewählt. „Das ganze Problem (werde) auf den Rücken der Schule abgewälzt.“ Es bleibe den Verantwortlichen nichts anderes übrig, „als die Suche nach 131ern fortzusetzen“.33 Einige Zahlen belegen, daß der Status quo ante nahezu wieder erreicht war. Eine Statistik vom 1. Dezember 1949 besagte, daß im Bereich der bayeri- schen Staatsverwaltung von insgesamt etwa 45 000 entfernten Beamten 2669 noch nicht wieder eingestellt waren, ca. 6 %.34 In Nürnberg wurden zum 13. Dezember des- selben Jahres von 176 evangelischen Lehrkräften, die entlassen worden waren, sechs als

28 Fritsch, S. 23. 29 Kleßmann, S. 253 f. 30 ACSP München. NL Müller 251. Schreiben des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen Nr. I 97896I - Cg 950 - 5. am 9.10.1950 an den Bayer. Ministerpräsidenten. Art. 131 GG war die von allen Grundgesetzartikeln am meisten diskutierte Bestimmung. Sie bedeutete nicht zuletzt die Lösung eines eminent sozialen Problems. Die unterschiedlichen Bestimmungen in den einzelnen Besatzungszonen und Ländern hatten die Notwendigkeit einheitlicher Regelung durch den Bundesgesetzgeber erforderlich gemacht. Kontrovers diskutiert wurde Art. 131 deswegen, weil mit ihm unterschiedliche Personengruppen erfaßt wurden, die nach der Beschaf- fenheit ihrer Rechtsverhältnisse „nicht als gleichgelagert“ angesehen werden konnten: Personen einschließ- lich der Flüchtlinge und Vertriebenen, die am 8. Mai 1945 im öffentlichen Dienst standen und aus anderen als beamten- und tarifrechtlichen Gründen ausgeschieden waren, oder keine Versorgungen erhielten. Gemeinsam war den Personengruppen des Art. 131 ihre Nichtbeschäftigung, entweder aufgrund ihrer Ent- nazifizierung oder des Verlustes ihres früheren Dienstherrn. Entgegen der z.T. vertretenen Meinung, daß es sich bei diesem Gesetz um einen Teil des notwendig gewordenen Lastenausgleichs handele, unterschied man bei den Beratungen, daß es die Erfüllung vorhandener Rechtsansprüche sei im Gegensatz zum Lastenaus- gleich, bei dem es „um die Verdichtung moralischer Ansprüche zu Rechtsansprüchen“ gehe. Vor allem soll- ten mit dem Gesetz vermögensrechtliche Ansprüche der Beamten bzw. Angestellten geregelt werden, nicht Ansprüche auf Ämter. (Hans Holtkotten: Art. 131. In: Rudolf Dolzer/Klaus Vogel (Hrsg.), Bonner Kommentar (BK). 11. Ordner: Art. 131-146, S. 1- 47.). 31 Niethammer, Zum Verhältnis, S. 187. 32 Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP Nr. 1285. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 3.12.1951. Beschluß (Beilage 6). 33 Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP Nr. 1306. Niederschrift über die Sitzung des Schul- und Kulturausschusses am 4.9.1953 (nichtöffentlich). 34 ACSP München. NL Müller 251. Schreiben des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen Nr. I 97896I - Cg 950 - 5 am 9.10.1950 an den Bayer. Ministerpräsidenten. Betreff: Regelung der Rechtsverhältnisse der vom Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus betroffenen Angehörigen des öffentlichen Dienstes und ihrer Hinterbliebenen. Beilagen: ... 2) Begründung zum Gesetzentwurf, S. 2.

166 noch nicht wieder eingestellt gemeldet. (Von den 176 waren in der Zwischenzeit zwölf in den Ruhestand versetzt worden, und 13 waren gestorben.) Für den Regierungsbezirk Mittelfranken wurden 938 entlassene bayerische evangelische Lehrkräfte angegeben und 749 wiedereingestellte entnazifizierte evangelische bayerische.35 Da auch hier in den Ruhestand versetzte und gestorbene Lehrer zu vermuten sind, kann die Prozentzahl nicht genannt werden. Der Regierungsbezirk Mittelfranken gab zum Stichtag 1. Okto- ber 1950 78 nicht wiedereingestellte Lehrkräfte an. 1051 bayerische Lehrer seien vom Dienst entfernt gewesen, davon 919 Beamte und 132 Angestellte.36 Hier würde sich ein Prozentsatz von ca. 7,5 % ergeben, allerdings wären die in den Ruhestand versetzten bzw. verstorbenen Lehrkräfte dabei nicht berücksichtigt. Ebenfalls aus dem Jahr 1950 stammen Zahlen für ganz Bayern, die Kultusminister Hundhammer in seiner Etatrede nannte: Danach seien rund 11 310 Lehrer entlassen worden. Mit Pension in den Ruhe- stand versetzt wurden 1206. Aus anderen Gründen, z.B. Wegzug oder Tod, seien 632 ausgeschieden. Zum o.g. Zeitpunkt seien 8820 wieder in Dienst gestellt, 711 nicht wieder verwendet worden. Das seien 6,28 %.37 Insgesamt war das ein geringer Anteil, und in den folgenden Jahren verringerte er sich noch mehr. Die Diskussionen verlagerten sich dementsprechend auf die Frage des Angestellten- oder Beamtenverhältnisses, wobei die Bezahlung eine Rolle spielte. Als Lehrer Angestellter zu sein, war traditionsgemäß in Bayern nicht üblich. Im Bayerischen Landtag wurde denn auch im Mai 1951 der Antrag gestellt, Lehrer, „die bereits vor der Kapitulation bayerische Beamten gewesen sind und im Angestelltenverhältnis wiederum Lehrtätigkeit ausüben, baldmöglichst ins Beamtenver- hältnis“ zurückzuführen. Weitere Begründungen dazu lauteten, daß ein angestellter Lehrer für die Staatskasse nicht billiger sei und daß das Angestelltenverhältnis nur aus „politischen Gründen“ geschaffen worden sei.38 Und dann argumentierte der Abgeord- nete Pittroff (SPD) weiter: „Da aber diese Lehrer im Angestelltenverhältnis die fachli- chen, charakterlichen und demokratischen Eigenschaften aufweisen sowie die gesund- heitlichen und allgemein beamtenrechtlichen Voraussetzungen erfüllen müssen und da sie sich beruflich und außerberuflich im Geist der konstitutionellen Demokratie bewähren müssen, dürften die in den Jahren 1945 und 1946 maßgebenden Gründe für die Beschäftigung im Angestelltenverhältnis weggefallen sein.“39 Ein paar Jahre später betrachtete man einen Lehrer im Angestelltenverhältnis oder auf Dienstvertrag, einen sog. Vertragslehrer, schon als besondere Ausnahme, denn es herrschte ganz allgemein die Ansicht, daß auch die „alten Nazis“ wieder verbeamtet worden waren. In der Stadt Ansbach traf dies in der Tat auf den stellvertretenden Standartenführer der SA zu, während der Standartenführer selbst Vertragslehrer blieb.40 Auch die Rückkehr der Lehrkräfte an ihre alten Schulstellen schien trotz einzelner begründeter Vorbehalte und ministerieller Anweisungen insgesamt kein Problem gewesen zu sein, denn sehr oft verlangte die Bevölkerung ihre „alten Dorflehrer“ wieder zurück. Es erschienen verein- zelt sogar Delegationen von Schülern bei den örtlichen Militärbehörden, die um die Rückkehr ihrer ehemaligen Lehrer baten.41 Die Militärregierung registrierte bereits im

35 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4659. Schreiben der Regierung von Mittelfranken am 13.12.1949 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: ME. vom 24.11.1949 Nr. IV 82351. 36 BayHStA München. MK 61314. Stand des Volksschulwesens, 1.10.1950. Regierungsbezirk Mittelfranken. 37 ACSP München. NL Müller 268. (St MUK) (1946-50). Etatrede des Staatsministers für Unterricht und Kultus am 8.11.1950. 38 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenographischer Bericht. 26. Sitzung am 29.5.1951, S. 702. 39 Ebda. 40 Gespräch mit Herrn Ingo Hümmer, Ansbach. 41 Paul Erker: Revolution, S. 422; BayHStA München. MK 61321. Bericht über den Stand des Volksschulwesens, 16.10.1948. Schreiben der Regierung von Oberbayern an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus.

167 August 1948, „daß in den meisten der von ihr untersuchten 114 bayerischen Landkreise zwischen 50 Prozent und 60 Prozent der Lehrerämter wieder mit ehemaligen NSDAP- Mitgliedern besetzt waren“.42 Walter Dirks konstatierte 1953 äußerst kritisch, daß sich „nichts wesentlich geändert“ habe, die „alten Zustände“ entweder wieder hergestellt oder die „Folgeerscheinungen ... kompensiert oder überdeckt“ worden seien.43 Ein anderes Resümee lautet, daß die im Bereich des Erziehungswesens sich zunächst gravie- rend auswirkenden Veränderungen weitgehend durch das 131er-Gesetz rückgängig gemacht bzw. ausgeglichen wurden. Denn außer den strafrechtlich Verurteilten kehrten die Entlassenen in ihre innegehabten Ämter zurück, und zwar ohne soziale Diskriminie- rung.44 Das bestätigen auch die interviewten pensionierten Lehrer. Die Frage nach der Aufnahme in den Kollegien nach der Entnazifizierung beantworteten sie mit „keine Pro- bleme“45, „hervorragend wieder aufgenommen“46, „unproblematisch“47, „es herrschte ein gutes, kollegiales Verhältnis“48. Es blieben also nur wenige Lehrer übrig, die nicht wieder in Dienst gestellt wurden und sich eine andere Beschäftigung suchen mußten. In Aus- nahmefällen gewährte ihnen der bayerische Staat ab dem Haushaltsjahr 1951 einmalige Unterstützungen.49 Was Lutz Niethammer generell für die Entnazifizierung in Bayern festgestellt hat, daß schließlich praktisch alle Belasteten als Mitläufer gewertet und somit wieder eingestellt wurden,50 gilt für den sensiblen Bereich der Schule uneinge- schränkt.

42 Erker, Revolution, S. 422. Wer zu dem Zeitpunkt - nach der Währungsreform - nicht „drin“ war, ging hin- sichtlich der Ernährung schweren Zeiten entgegen. Auf Erspartes konnte nun nicht mehr zurückgegriffen werden. 43 Dirks, Folgen, S. 448. 44 Dotterweich, S. 153. 45 Gespräch mit Herrn Hermann Dehm, Ansbach. 46 Gespräch mit Prof. Hans Glöckel, Nürnberg. 47 Gespräch mit Herrn Siegfried Gerlach, Ansbach. 48 Gespräch mit Herrn Kurt Gemählich, Nürnberg. 49 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken, Ansbach. 19. Jg. Nr. 6 vom 1. Juni 1951, S. 60. RE. v. 30.4.1951 Nr. V - 1151 m 1. 50 siehe S. 164.

168 5. FLÜCHTLINGSLEHRER

5.1. FLÜCHTLINGE UND VERTRIEBENE UND IHRE VERTEILUNG IN BAYERN

Mit dem Begriff Flüchtling kennzeichnete man „alle Personen deutscher Staats- und Volkszugehörigkeit, welche am 1. Januar 1945 ihren dauernden Wohnsitz außer- halb der Grenzen des Deutschen Reiches nach deren Stand vom 1. März 1938 hatten und von dort geflüchtet oder ausgewiesen oder aus der Kriegsgefangenschaft entlassen sind, in ihre Heimat nicht zurückkehren können und ihren ständigen Wohnsitz in Bayern genommen haben“; ebenso „Personen deutscher Staatsangehörigkeit, die am 1. Januar 1945 in den deutschen Ostprovinzen östlich der Oder und Görlitzer Neiße (Gebietsstand 1. September 1939) beheimatet waren ...“1 Nach dieser Definition unterschied man nicht - wie in „Flüchtlings“kreisen üblich - zwischen Geflohenen und Vertriebenen, und dort, wo sie schließlich ankamen, legte man auch keinen Wert auf eine Unterscheidung, denn in den bayerischen Gemeinden waren sie eine weitere Gruppe von Fremden, die, ebenso wie die Evakuierten, die Wohnungs- und Ernährungsprobleme vergrößerten. Schon vor Kriegsende, Anfang 1945, waren Flüchtlinge von jenseits Oder und Neiße in die nordöstlichen Grenzgebiete Bayerns geströmt, nachdem die Fronten zusammengebrochen waren. Bis Dezember 1945 befanden sich rund 968 000 in Bay- ern, und da sie noch ungelenkt ins Land kamen, waren die Regierungsbezirke Oberfran- ken-Mittelfranken und Niederbayern-Oberpfalz besonders belastet. Neben den sog. „reichsdeutschen“ Flüchtlingen kamen noch vor der organisierten Ausweisung, also vor den Vereinbarungen der Potsdamer Konferenz, ca. 220 000 Deutsche aus dem Ausland, davon etwa 99 000 Sudetendeutsche, Opfer der ersten „wilden“ Vertreibungswelle.2 Für Dezember 1945 wurden neben einer einheimischen Bevölkerung von 6510000 1562000 Fremde angegeben, zu denen die Flüchtlinge, die Evakuierten - Bayern war der „Luftschutzkeller des Reiches“ - und ca. 360 000 ausländische Fremdarbeiter und deutsche Kriegsgefangene gehörten.3 Der Alliierte Kontrollrat wies - laut Verteilungsplan vom 20. November 1945 - der amerikanischen Zone die Aufnahme von 2,25 Millionen der Ausgewiesenen aus der Tschechoslowakei und aus Ungarn zu, und der Länderratsausschuß Flüchtlingsfürsorge legte auf seiner ersten Sitzung fest, daß davon Bayern 50 %, Hessen 27 % und Würt- temberg-Baden 23 % aufzunehmen hätten.4 Ab Januar 1946 lief die organisierte Aus- weisung der Sudetendeutschen, und während des Jahres 46 gelangten 786 000 in 764 Eisenbahntransporten nach Bayern, wobei der Kulminationspunkt mit 132 Transporten im Juni erreicht wurde.5 Daneben kamen noch 176 000 Einzelgänger über die Grenze. Ab Dezember 1946 hörten die Transporte weitgehend auf.6 Zum Jahresende 46 lebten in Bayern 557 000 Flüchtlinge aus deutschen Gebieten östlich Oder-Neiße, 942 000 aus dem Sudetenland, 42 000 Ungarndeutsche und 153 000 Volksdeutsche aus dem übri- gen Ausland. Die Gesamtbevölkerung war auf 9 053 000 angewachsen.7 Am 29. Oktober 1946 ergab eine Volkszählung in Bayern, daß 1,66 Millionen Flüchtlinge 19 % der

1 Gesetz Nr. 59 über die Aufnahme und Eingliederung deutscher Flüchtlinge (Flüchtlingsgesetz) vom 19. Febru- ar 1947. GVBl. S. 51. 2 Franz Bauer: Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik in Bayern 1945-1950. Stuttgart 1982, S. 22 f. 3 Ebda., S. 23 f. 4 Ebda., S. 24 f. 5 Ebda., S. 25 f. 6 Ebda. 7 Ebda., S. 26.

169 Gesamtbevölkerung ausmachten, von denen 53 % aus dem Sudetenland und 26 % aus Schlesien kamen. Letztere „belegten“ den nordöstlichen Teil Bayerns, also Niederbay- ern, Oberpfalz und Oberfranken, während zwei Drittel der Sudetendeutschen in die Regierungsbezirke Mittelfranken, Oberbayern und Schwaben eingewiesen wurden.8 1947 wuchs die Zahl der Flüchtlinge noch einmal um 128 000 und 1948 um 86 000. Ende 1948 zählte man 9,34 Millionen Einwohner in Bayern, und die Volkszählung am 13. September 1950 ergab, daß 21,1 % der Bevölkerung Flüchtlinge und Vertriebene waren, nämlich 1 924 000. Aus den deutschen Ortsgebieten stammten 594 000, davon 458 000 aus Schlesien, und von den 1,33 Millionen Volksdeutschen aus dem Ausland waren 1 025 000 Sudetendeutsche.9 Schlesier und Sudetendeutsche waren also zahlen- mäßig der dominierende Teil der Flüchtlinge. Für Mittelfranken wurde der Flüchtlingsan- teil an der Gesamtbevölkerung im Jahr 1947 mit 185 896 (=^ 15 %), im Jahr 1949 mit 17,9 % angegeben.10 Die Flüchtlinge suchten sich zu Beginn des Jahres 1945 noch selbst ihre Bleibe, dann, als die organisierte Ausweisung einsetzte, wurden sie von der inzwischen einge- richteten staatlichen Zentralbehörde verteilt; und das Tempo der Vertreibung erforderte eine rasche Unterbringung. Sie richtete sich nach vorhandenem Wohnraum. Den gab es nicht in den Städten, und so gelangte der Großteil der Flüchtlinge - obwohl z.B. Schle- sier und Sudetendeutsche in ihrer Heimat zu etwa zwei Drittel in „urban-industriellen“ Bereichen beschäftigt gewesen waren11 - in Kleinstädte und Dörfer. Die prozentuale Ver- teilung von Einheimischen und Flüchtlingen sah 1946 so aus: In Gemeinden mit über 100 000 Einwohnern lebten 18 % der Einheimischen, 5% der Flüchtlinge, 20 000-100 000 Einw. 11 % der Einheimischen, 7 % der Flüchtlinge, 10 000 - 20 000 Einw. 5 % der Einheimischen, 4 % der Flüchtlinge, 4 000 - 10 000 Einw. 11 % der Einheimischen, 10% der Flüchtlinge, unter 4 000 Einwohnern 55 % der Einheimischen, 74% der Flüchtlinge.12 Noch 1949 lebten 70,1 % der Flüchtlinge auf dem flachen Land.13 Die Wohndichte, also das Verhältnis von Bewohnern je Wohnraum, war Ende 1945 in der Oberpfalz mit 1,38 am höchsten, gefolgt von Niederbayern mit 1,35 und Oberfranken mit 1,17. Mittelfranken verzeichnete 1,06 und Schwaben 0,98. Der Lan- desdurchschnitt betrug 1,16. Im November 1946 war der Landesdurchschnitt auf 1,82 Personen angewachsen, in der Oberpfalz auf 2,14, in Oberfranken auf 1,75, in Mittel- franken auf 1,62. Die Notstandsgebiete Nordostbayerns waren stark belastet, die Flüchtlinge saßen in Dörfern, die kaum Industrie im Umfeld aufwiesen, ihre produktive Eingliederung gelang nur zögernd.14 Zahlenbeispiele aus einigen Städten und Landkrei- sen in Ober- und Mittelfranken verdeutlichen das Anwachsen der Bevölkerung innerhalb kürzester Zeit: Der Landkreis Uffenheim meldete zum 1. April 1946 2714 aufgenommene Ausgewiesene, dazu 7438 Flüchtlinge, die aus den verschiedensten Besatzungszonen in den

8 Ebda. 9 Ebda., S. 26. 10 Erker, Revolution, S. 369. 11 Ebda., S. 380. 12 Bauer, S. 28. Er bezieht sich auf: Amtliches Zahlenmaterial zum Flüchtlingsproblem in Bayern, hrsg. vom Bayerischen Staatsministerium des Innern. Bearbeitet von Martin Kornrumpf. München. III. Folge: Mai 1947, S. 9, Tab. 3. 13 Ebda. 14 Bauer, S. 163 f und 166 f.

170 Landkreis gewechselt waren. Am 15. Mai betrug die Zahl der Ausgewiesenen 5739, die der Flüchtlinge aus anderen Zonengebieten 5608; am 1. Juli waren es 6072 bzw. 6421 aus den Zonen; am 15. August 6504 und 6620 aus anderen Zonen. Zu diesem Zeitpunkt wurden als Stand der zivilen Bevölkerung folgende Zahlen gemeldet: Flüchtlinge aus der englischen Zone: 432, aus der französischen Zone: 104, aus der russischen Zone: 1800, aus östlich Oder und Neiße: 2247, aus Ungarn und der Tschechoslowakei: 5357, andere Ausländer: 935 (Diese Zahl enthielt nicht die registrierten UN-DPs.). Die Zivil-Einwohnerzahl betrug 34 666; zu ihr zählten 1223 Ausgewiesene aus Rumänien. Die gesamte Ein- wohnerzahl im Landkreis Uffenheim belief sich nun auf 45 541. 12 098 Personen aus allen möglichen Teilen Deutschlands und des Auslands hatten dort Zuflucht gefunden.15 Die Zahlen für den Landkreis Nürnberg machen ganz deutlich, daß die Sudeten- deutschen in das Gebiet Mittelfranken eingewiesen wurden, denn nur 656 Flüchtlinge von östlich Oder und Neiße fanden ein Unterkommen, im Gegensatz zu 6210 aus Ungarn und der Tschechoslowakei. War die Zivilbevölkerung vorher mit 33 283 angege- ben, so betrug sie - ohne Flüchtlinge, die aus der US-Zone in den Landkreis Nürnberg gekommen waren, aber mit allen anderen Flüchtlingen - nun 42 642.16 Die Stadt Nürnberg gab zwischen dem 1. April und dem 15. Mai 1946 sechs Flüchtlinge ab, so daß ihre Zahl nun bei 5632 lag. Bis zum 30. Juni waren es 6297 und bis 15. August 6450 aufgenommene Ausgewiesene. Seit dem 1. April waren insgesamt nur 812 aufgenommen worden. Interessanterweise gab es aber in Nürnberg 4784 Flüchtlin- ge von östlich Oder und Neiße und nur 1666 aus Ungarn und der Tschechoslowakei. Die Bevölkerung in der Stadt ohne alle Flüchtlinge zählte 303 553 Personen und war mit ihnen auf 310 455 angestiegen.17 Der Landkreis Kronach meldete am 13. August 1946 13 427 Aufgenommene,18 und der Landkreis Bamberg 10 752, dazu 1240 aus der russi- schen Zone, davon 547 aus Berlin. Die Einwohner des Landkreises Bamberg waren am 15. August 1946 um 14 439 auf 75 429 angestiegen.19 In den Landkreis Bamberg waren mehr Ausgewiesene von östlich der Oder und Neiße als aus Ungarn und der Tschechoslowakei gelangt, nämlich 8241 im Vergleich zu 2511.20 Für die Statistik waren die Zahlen maßgebend, für die Situation der Menschen wurde ihre Herkunft bedeutungsvoll und entschied über ihr weiteres Dasein.

15 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 599. Schreiben Nr. I/Ka.Nr. I 400 vom 24.5.1946, vom 10.7.1946, Nr. 1400/5831 vom 20.8.1946, Nr. R/5911 vom 27.8.1946 des Landrats in Uffenheim an den Regierungspräsidenten in Ansbach. 16 Ebda., Schreiben des Landrats des Landkreises Nürnberg am 10.8.1946 an den Regierungspräsidenten in Ansbach; Office of Military Government for Germany (US). Civilian Population Status. MG/DP/I/F. Revised 1 August 1946. (Die Zahl der aus der russischen Zone Geflohenen differiert in beiden Berichten erheblich, ohne ersichtliche Ursache.). 17 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 599. Schreiben R II/354 E/Vwp. der Städt. Polizeidi- rektion Nürnberg vom 15.5.1946 und Nr. E/Vwp. R II/354 vom 16.8.1946 an den Regierungspräsidenten in Ansbach; Office of Military Government for Germany (US). Civilian Population Status. MG/DP/I/F (Revised 1 August 1946). 18 Ebda. 19 Ebda., Schreiben des Landrats in Bamberg am 16.5.1946 und 13.8.1946 an den Regierungspräsidenten in Ansbach; Office of Military Government for Germany (US). Civilian Population Status. MG/DP/I/F (Revised 1 August 1946). 20 Ebda.

171 5.2. STELLUNG UND PERSÖNLICHE SITUATION

5.2.1. Integration durch Quotenregelung

Das bayerische Flüchtlingsgesetz vom 19. Februar 1947 (Gesetz Nr. 59 über die Aufnahme und Eingliederung deutscher Flüchtlinge) sah unter § 2 vor, daß ein „organisches Aufgehen in der einheimischen Bevölkerung“ gewährleistet sein sollte, und gab außer- dem in § 9 bekannt, daß „für die Arbeits- und Berufslenkung der Flüchtlinge ... die glei- chen Grundsätze wie für die einheimische Bevölkerung“ gelten sollten; ferner wurden „die zuständigen Behörden ... verpflichtet ... die Berufsausbildung nach Möglichkeit zu berücksichtigen“ und „die Eingliederung ... mit allen Mitteln zu fördern, insbesondere bei der Einstellung der Beamten, ... sie als der einheimischen Bevölkerung unter den gleichen Voraussetzungen gleichberechtigt zu behandeln“.1 Am einfachsten war es noch, die Flüchtlingslehrer ziemlich unbürokratisch in den Lagern einzusetzen, denn man war froh, daß die Kinder dort wieder an geregelte Schulzeiten gewöhnt wurden und sich nicht nur herumtrieben. Unter diesem Gesichts- punkt hatte manche örtliche amerikanische Militärregierung den Lehrern, die in den Lagern untergekommen waren, vorläufige Genehmigungen zum Unterrichten erteilt, wenn diese angegeben hatten, erst nach dem 1. Mai 1937 in die Partei eingetreten zu sein. Schon vor ihrer Entnazifizierung erteilten z.B. in den Lagerschulen Witschelstraße und Schafhof in Nürnberg Flüchtlingslehrer Unterricht; zwar nur gegen eine geringe Beschäftigungsprämie, „immerhin aber noch höher als der Verdienst jener entlassenen Lehrkräfte, die als Hilfsarbeiter tätig waren, ganz abgesehen vom Vorteil der Beschäfti- gung im erlernten Beruf“.2 Die Besoldung erfolgte „auf Anlaß des Flüchtlingskommis- sars“ nicht aus Staatsmitteln, sondern „aus Mitteln des Flüchtlingslagers selbst“3, was aber eigentlich auch Staatsmittel bedeutete, nur von anderer Stelle. Reaktionen auf eine Regierungsentschließung vom April 1946, die die schulische Betreuung der Flüchtlings- kinder zum Thema hatte, offenbarten ebenfalls, daß Flüchtlingslehrer an etlichen Schu- len eingesetzt waren, auch außerhalb der Lager,4 was z.B. für den Landkreis Nürnberg bestätigt wurde: Flüchtlingslehrer seien dort „schon seit längeren Monaten an vielen Schulen ... auf Dienstvertrag eingesetzt. (Zur Zeit 20)“5. Das Lager Voggendorf bei Feuchtwangen dagegen konnte keine schulische Betreuung anbieten, da „über die Militärregierung oder Spruchkammer keine Zulassung von Lehrern erreicht“ worden war.6 Solche Notstände schienen keine Ausnahme gewesen zu sein, denn Kultusminister Fendt gab noch einmal im Oktober 1946 eine Anordnung heraus, daß die Kinder in den Lagern gut unterrichtet werden müßten und daß, wenn es nicht gelänge, in den nächst- gelegenen Volksschulen Klassen für sie einzurichten, im Lager selbst Unterricht angeboten

1 GVBl. Nr. 5/1947, S. 51 f. 2 BayHStA München. MK 62001. Schreiben der Regierung von Ober- und Mittelfranken am 11.5.1948 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus; StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4485. Schreiben des Stadtschulrats Barthel am 7.6.1946 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. Bericht über die schulische Betreuung der Flüchtlingskinder in Nürnberg. 3 Ebda. 4 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4485. Schreiben des Bezirksschulamtes Eichstätt am 8.5.1946 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. Betreff: Schulische Betreuung der Flüchtlingskinder. RE. v. 29.4.1946 Nr. 1074 d 2. 5 Ebda., Schreiben des Bezirksschulamtes des Landkreises Nürnberg am 27.5.1946 an den Regierungspräsi- denten in Ansbach. 6 Ebda., Schreiben des Bezirksschulamtes Feuchtwangen am 14.6.1946 an den Regierungspräsidenten in Ansbach.

172 werden müsse. Das Ziel sei, jedes Flüchtlingskind zu unterrichten.7 Aufgrund fehlender Unterlagen und Zeugnisse gestatteten die Behörden vielen Flüchtlingslehrern jedoch nicht zu unterrichten. Infolge der überstürzten Flucht bzw. Ausweisung hatten sie wichtige Akten nicht mitnehmen können, und vielen waren unterwegs die Papiere gestohlen worden, und nun konnten sie keinen Nachweis über Prüfungen oder die Berechtigung zur Berufsausübung als Lehrer erbringen.8 Insgesamt aber klang die Berichterstattung im Jahr 1946 recht positiv. Bis Ende 1946 sei „der größte Teil der Flüchtlingslehrer wie- der im Amt“ gewesen, nachdem sie im Dezember 1946 „durch ein vereinfachtes ‚B‘- Verfahren für einsatzfähig erklärt“ worden waren.9 Über 7000 der etwa 21 000 bayerischen Volksschullehrer waren Flüchtlinge, an höheren Schulen waren es circa 25 %.10 Der Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken nannte zum 4. Oktober 1946 1413 „gegenwärtig im Volksschuldienst“ eingestellte Flüchtlingslehrer, von denen 478 Sude- tendeutsche, 438 Schlesier und 100 Ostpreußen waren. 627 warteten noch auf eine Anstellung, 196 waren eingestellt und bereits wieder entlassen worden.11 Die Ausführungsbestimmungen zum Flüchtlingsgesetz vom 8. Juli 1947 ordne- ten dann an, daß „die Zahl der als Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst ... tätig gewesenen Flüchtlinge zu ermitteln und ihr die Zahl der entsprechenden Kräfte der einheimischen Bevölkerung gegenüberzustellen(sei). In dem hieraus sich ergebenden Verhältnis sollen die Flüchtlinge ... untergebracht werden“. Die Quote wurde mit 4 : 1 angegeben.12 Bei der Besetzung freier oder frei werdender Stellen sollten Flüchtlinge „bei gleicher fachlicher Eignung grundsätzlich so lange vorzugsweise“ berücksichtigt werden, bis das ermittelte Verhältnis erreicht wäre.13 Vom Kultusministerium kam der wiederholte und dringende Hinweis, daß auf keinen Fall Schulstellen „künstlich“ freige- halten werden dürften für präsumptive Mitläufer oder Entlastete aus den Reihen der entlassenen Lehrer. Diese Stellen sollten Flüchtlingslehrkräfte einnehmen.14 Es wurde von der „sittlichen Pflicht, den Flüchtlingslehrkräften eine Heimat zu bieten“, gespro- chen und von der Rücksicht, die man bezüglich des „vielleicht unvollständigen Bildungs- gang(s) und fehlende(r) Lehramtsprüfungen“ zu nehmen habe.15 Zumindest bei den Lehrern aus dem Sudetenland hätte man diese Bedenken nicht zu haben brauchen. Viele hatten eine Prüfung für die dortigen Bürgerschulen abgelegt, die etwa den Anforderungen für das Mittelschulexamen entsprach. Bürger- schulen waren eine Einrichtung noch aus der Habsburger Zeit; sie waren im Zuge des Reichsvolksschulgesetzes von 1869 als neuer Schultyp geschaffen worden. Schüler ab dem 6. Schuljahr konnten sie besuchen, sie vermittelten eine über das Lehrziel der Volksschule hinausgehende Bildung und hatten an manchen Orten schon ein 9. Schul-

7 BayHStA München. MK 62001. Anordnung des Staatsministers für Unterricht und Kultus, Dr. Fendt, am 24.10.1946. 8 Ebda., MK 52193. Schreiben des Flüchtlingskommissars für den Stadt- und Landkreis Erlangen am 25.10.1946 an den Regierungskommissar für das Flüchtlingswesen, Ansbach. 9 Johannes Guthmann: Ein Jahrhundert Standes- und Vereinsgeschichte. Der Bayerische Lehrer- und Lehrerin- nenverein. Seine Geschichte, Bd. II. München 1961, S. 356. 10 BayHStA München. MK 62003. Bayerischer Lehrerverein. Rundschreiben an die Flüchtlingslehrkräfte Nr. 1, o.D.; Bauer, S. 209. 11 Ebda., MK 62001. Aufstellung der Regierung von Oberfranken und Mittelfranken vom 4.10.1946 über Flüchtlingslehrer (ME. 13.9.1946 Nr. IV 45576). 12 GVBl. Nr. 12/1947, S. 155. 13 Ebda. 14 BayHStA München. MK 62001. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 9.11.1946 an alle Regierungen und Schulämter. Betreff: Verwendung von Flüchtlingslehrkräften. 15 Ebda., Entwurf eines Schreibens (des Kultusministeriums?) Nr. 04711. (unleserlich) am 25.9.1946 an die Regie- rungen.

173 jahr aufzuweisen.16 Die Lehrer, die dort unterrichteten, hatten eine Lehrbefähigung für bestimmte Fachgruppen, z.B. für Deutsch/Geschichte/Erdkunde, für die Naturwissen- schaften oder für Deutsch, eine Fremdsprache und Sport.17 Volksschullehrer erhielten ihre Ausbildung an Lehrerbildungsanstalten oder bereiteten sich als Externe auf die Prü- fungen vor, nachdem die deutschen Anstalten zum großen Teil geschlossen worden waren. Als sich Ende der 20er Jahre die Lage des neuen tschechischen Staates konsoli- diert hatte und die deutsche Minderheit dann weniger Pressionen erdulden mußte, wurde in Prag im Jahr 1932 eine private deutsche Lehrerakademie gegründet. Die Hörer waren Abiturienten, die gleichzeitig alle als ordentliche oder Gasthörer an der deutschen Universität Prag eingeschrieben waren. Mit dieser Akademie wurden für angehende Bürgerschullehrer zweisemestrige Hochschulkurse verbunden. Der Flüchtlingslehrer Alfred Gläsel hatte nach dem Abitur diese Ausbildung durchlaufen, 1934 die erste Lehr- amtsprüfung absolviert und unter der Bezeichnung „literarischer Lehrer“ auf eine freie Stelle gewartet. Da eine solche erst nach zwei Jahren in Asch angeboten wurde, hatte er vor dem „Kirchenrat“ eine Prüfung abgelegt und die Wartezeit als Religionslehrer über- brückt.18 Es hatten also viele sudetendeutsche Lehrer eine wenigstens eingeschränkte Hochschulbildung erhalten, und die Bemerkung des Abgeordneten Stang (CSU) im Bayerischen Landtag, daß „die Anforderungen an die Schüler im Sudetenland wohl nicht die gleichen gewesen sein (dürften) wie in Bayern“,19 zeugte von Unwissenheit und Mißtrauen. Die Schließung von deutschen Volksschulen in der Tschechoslowakei aufgrund des Minderheitsschulgesetzes von 1919 - Man zwang sudetendeutsche Staatsangestellte, ihre Kinder in tschechische Schulen zu schicken. Deutsche Schulen, die dann weniger als 40 Schüler aufwiesen, wurden geschlossen, für tschechische Kinder gab es „Minder- heitsschulen“ sogar schon für drei Zöglinge.20 -, der Schülerrückgang und die Tatsache, daß sehr viele Kinder an die Bürger- und höheren Schulen gingen, führte dazu, daß die Volksschulen auf dem Land immer weniger gegliedert waren. 1930 gab es bei insge- samt 3299 deutschen Volksschulen 1050 ein- und 999 zweiklassige, also fast zwei Drittel kaum gegliederte Landschulen.21 Die Lehrer, die nach Bayern ausgewiesen wurden, waren also erprobt in der Organisation der einklassigen Dorfschulen und hätten den Behörden hochwillkommen sein müssen. Daß sie das an manchen Orten auch waren, zeigte ein Bericht über „nichtamtliche Fortbildung“, in dem es hieß, daß viele Junglehrer zur Klasse des sudetendeutschen Lehrers Jakob Becker nach Elbersroth „pilgerten“, „um sich ... an seinem Unterricht ein Beispiel zu nehmen“.22 Im übrigen wurden gerade die Lehrer aus dem Sudetenland in Bayern gegenü- ber ihren anderen Kollegen bevorzugt. Die Ausführungsbestimmungen zum Flüchtlings- gesetz sahen nämlich ein Verhältnis unter den Flüchtlingen selbst von 5 : 3 : 1 vor „für Flüchtlinge aus dem Sudetenland, aus den Gebieten östlich der Oder und Neisse und

16 Archiv der Arbeitsgemeinschaft Sudetendeutscher Lehrer und Erzieher e. V. München. Sudetendeutscher Erzieherbrief, 11. Jg. Folge 3/1964, S. 16-19; Ebda., 12. Jg. Folge 3/1965, S. 10 f. 17 BayHStA München. MK 52193. Schreiben der Flüchtlings-Lehrergemeinschaft Amberg. Zonenzentrale der US-Zone am 9.5.1949 an das Kultusministerium; Theo Keil (Hrsg.): Die deutsche Schule in den Sudetenlän- dern. Form und Inhalt des Bildungswesens. München 1967, S. 60 f. 18 Gespräch mit Herrn Rektor Alfred Gläsel, Neusitz b. Rothenburg; Keil, S. 104. 19 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht Nr. 42. 42. Sitzung am 11.12.1947, S. 468. 20 Fritz Peter Habel: Die sudetendeutsche Frage. Kurzdarstellung und Dokumentation. Hrsg.: Sudetendeutscher Rat, München. München 1983, S. 6. 21 Keil, S. 84 f und 95. 22 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4776. Schreiben des Bezirksschulamts Feuchtwangen am 27.5.1949 an die Regierung von Mittelfranken.

174 den übrigen Flüchtlingen“.23 Die Wertschätzung gerade der sudetendeutschen Lehrer geht aus verschiedenen Quellen hervor. Z.B. sollten diese Lehrer den Schulräten „zur Beratung in schulischer Betreuung der Flüchtlinge zur Seite stehen“, und erst wenn kein sudetendeutscher Lehrer „als Fachberater in Betracht“ käme, so könne auch „eine andere Flüchtlingslehrkraft“ als Referent benannt werden.24 Im September 1946 war der Abteilung V des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus der „Abschnitt ‚Flücht- lingslehrer und Flüchtlingskinder‘“ angegliedert worden. Als Sachbearbeiter war Prof. Dr. Franz Longin, vorm. Prag, berufen worden. Auch für jede Regierung sollte es „einen Leh- rer aus dem Sudetenland als Berater ... geben“.25 Auch Aufstellungen über Flüchtlings- lehrer, die das Kultusministerium in Abständen einforderte, spiegelten den Vorrang der Sudetendeutschen wider. Die Auflistung der im Regierungsbezirk Oberfranken und Mit- telfranken im Volksschuldienst stehenden Flüchtlingslehrer sollte nach folgender Ord- nung geschehen: „1. Aus der Tschechoslowakei (Böhmen, Mähren-Schlesien, Slowakei26) 2. Andere Ostflüchtlinge, die nicht mehr in ihre frühere Heimat zurückkehren können: a) Aus Gebieten, die zu Polen gehören. b) Aus Gebieten, die zu Rußland gehören. c) Aus Gebieten, die zu Ungarn gehören. d) Aus Gebieten, die zu Rumänien gehören. e) Aus Gebieten, die zu Jugoslawien gehören. f) Aus anderen europäischen Staaten. g) Aus außereuropäischen Staaten ...“27 Klagen an das Kultusministerium, warum ein Unterschied gemacht werde zwischen den Sudetendeutschen und „uns anderen (Schlesier, Ostpreußen, Auslandsdeutsche, usw.)“, wurden von dort mit dem Hinweis auf die Ausführungsbestimmungen zum Flüchtlings- gesetz beantwortet,28 was natürlich keine befriedigende Begründung darstellte. Ein Rundschreiben zur Erfassung der Flüchtlingslehrer „mit allen persönlichen und dienstli- chen Angaben“ verlangte den genauen Herkunftsort. (Bei Orten in „Preuß.-Schlesien, Brandenburg und Pommern“ mußte öON oder wON angegeben werden, war östlich der Oder-Neiße-Linie bzw. westlich davon bedeutete.)29 Das Beispiel des Lehrers Hans Heise zeigt, daß auch die „preußischen“ Lehrer eine profunde Ausbildung genossen hatten. Nach Abitur und drei Semestern Studium in Rostock wechselte er auf die Pädagogische Akademie in Stettin, wo er 1932 nach vier Semestern die erste Prüfung für das Lehramt an Volksschulen ablegte. Diese Prüfung umfaßte einen schriftlichen und einen mündlichen Teil; Erziehungswissenschaft und fachliche Unterrichtslehre wurden geprüft. Praktische Arbeit leistete er an der angeglie- derten Akademieschule, die Lehrbefähigung für Religion und Musik wurde bescheinigt und die Weiterbildung in einer Arbeitsgemeinschaft Biologie vermerkt. An der Akade- mie lehrten acht ordentliche Professoren. Die 60 Studenten und 20 Studentinnen

23 Ausführungsbestimmungen zum Flüchtlingsgesetz vom 8.7.1947, GVBl. Nr. 12/1947, S. 156. 24 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 15. Jg. Nr. 1 vom 20.1.1947, S. 2 f. RE. v. 15.1.1947 Nr. 1191 f 4 über schulische Betreuung von Flüchtlingen. 25 BayHStA München. MK 62001. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus im September 1946 an alle Regierungen. 26 Beachtenswert auch hier die Reihenfolge! 27 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 15. Jg. Nr. 1 vom 20.1.1947, S. 3. RE. v. 15.1.1947 Nr. 1151 b 3 über Flüchtlingslehrkräfte für Volksschulen. 28 BayHStA München. MK 62001. Schreiben des Lehrers L. Wolf, Obereßfeld Krs. Königshofen (Ufr.), früher Glatz, Schlesien, am 8.12.1947 an das Staatsmin. d. Innern, Staatssekretär f. das Flüchtlingswesen; Schrei- ben des Staatsmin. f. Unt. u. Kultus am 8.3.1948. 29 Ebda., Rundschreiben der Regierung von Ober- und Mittelfranken am 4.3.1948.

175 gingen regelmäßig zur Hospitation in die umliegenden Dorfschulen, und auch während der Zeit bis zur zweiten Lehramtsprüfung 1937 war Heise meist auf dem Land tätig gewe- sen und hatte sämtliche Jahrgangsstufen unterrichtet.30 Den Flüchtlingslehrern wehte ab 1947 ein rauherer Wind aus dem Kultusmini- sterium entgegen. Kultusminister Hundhammer trat, wie schon zur Jahreswende 1945/46 die Vertreter beider Kirchen, für die Berücksichtigung der Konfession bei der Verteilung der Ausgewiesenen ein. Man war besorgt um die „konfessionelle Reinheit“, die ja in der Tat nirgends mehr anzutreffen war.31 Für die Menschen hätte das ein erneu- tes Weiterschicken bedeutet, was allerdings nicht von allgemeinem Interesse zu sein schien. Solche Pläne wurden denn auch verworfen.32 Einstellungen in den Schuldienst wurden schwieriger, an ein Weiterunterrichten als Beamter war sowieso nicht zu den- ken. Eine offizielle Einstellungssperre gab es zwar nicht, da jedoch etwa 33 % der Volks- schullehrerstellen durch Flüchtlinge abgedeckt - noch Mitte 1948 war jeder dritte ein Flüchtlingslehrer33 - und die Quote weit niedriger war, stellte man sie nicht mehr ein, ja reduzierte ihren Anteil.34 Einen Rechtsanspruch auf Wiedereinstellung in Bayern hatten sie nicht, da das Land sich zunächst nicht als Nachfolgestaat des zusammengebroche- nen Reiches sah.35 Allmählich gelangte die Situation der einheimischen Bevölkerung auch auf offizieller Seite wieder stärker ins Bewußtsein. So gab es beispielsweise am 26. Juni 1946 auf Vorschlag Hoegners einen Ministerratsbeschluß, der den Vertriebenen und Flüchtlingen „bei der Anstellung im öffentlichen Dienst ... nur soweit die Gleichstel- lung mit einheimischen Bewerbern gewährt, als dies ohne Benachteiligung der boden- ständigen Bevölkerung geschehen könne“.36 Flüchtlingslehrer konnten sich, da Lehrer auf Dienstvertrag, nicht um freie Plan- stellen bewerben, ja, mußten gewärtig sein, daß die Stellen, die sie verwalteten, als Planstellen ausgeschrieben wurden, um die sie sich nicht bemühen durften.37 Die Unter- zeichner einer dies betreffenden Anfrage vermuteten zu Recht, daß man die Flüchtlings- lehrer, nachdem sie sich in schwierigster Zeit dem bayerischen Staat zu Verfügung gestellt hatten, nun nach und nach entfernen und von der Besetzung von Planstellen ausgeschlossen sehen wollte; und auch spätere Betrachtungen bestätigten, daß ein großer Teil der Flüchtlingslehrer nach einigen Jahren wieder seinen Platz räumen mußte, z.B. wenn der entnazifizierte ehemalige Stelleninhaber wieder zurückkehrte.38 Die FDP hatte im Februar 1947 noch einen Antrag im Bayerischen Landtag gestellt, daß dieser beschließen möge, „das Kultusministerium ... anzuweisen, Flüchtlingslehrer und -lehre- rinnen bei Vergebung von Plan- und Schulleiterstellen im bayerischen Schulwesen grundsätzlich in gleicher Weise wie Einheimische zu berücksichtigen“ und „Flüchtlings- lehrkräfte, die länger als sechs Monate auf Angestelltendienstvertrag beschäftigt sind,

30 Gespräch mit Herrn Rektor Hans Heise und Privatarchiv Heise. 31 Bauer, S. 181, Martin Kornrumpf: In Bayern angekommen. Die Eingliederung der Vertriebenen. Zahlen - Daten - Namen. München-Wien 1979, S. 191. 32 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenographischer Bericht Nr. 42. 42. öffentl. Sitzung am 11.12.1947, S. 483. 33 Bauer, S. 209. 34 BayHStA München. MK 62003. Bayerischer Lehrerverein. Der Beauftragte für Fragen der Flüchtlingslehrer. Rundschreiben an die Flüchtlingslehrkräfte Nr. 1, o.D. 35 Guthmann, S. 256 f. 36 BayHStA München. MK 62001. Mitteilung der Christlich-Sozialen Union, München, 2. Jg. Nr. 4 vom 22.2.1947, Ausgabe München. 37 Ebda., StK 113976 und MK 62001. Schreiben der Christlich-Sozialen Union in Bayern, Flüchtlingsausschuß, am 7.2.1947 an Kultusminister Hundhammer. 38 Bauer, S. 209; vgl. S. 167 f.

176 ... unverzüglich in das Beamtenverhältnis überzuführen“.39 Der Antrag wurde später zurückgezogen, da man wohl zu viele mißbilligende Briefe dazu bekam. Es wurde z.B. erwähnt, daß viele Flüchtlingslehrer nur deshalb angestellt worden seien, „weil sie angeblich politisch unbelastet sind. Es sind aber wiederholt Fälle bekannt geworden ... in denen sich dieser weiße Fragebogen darauf stützt, daß es zunächst und manchmal für immer unmöglich sein wird, genaue Nachforschungen anzustellen ... Es geht ... nicht, daß man Lehrer ins Beamtenverhältnis überführen will, bei denen zu einem großen Teil mit der Redewendung ‚alle Papiere verloren‘ sowohl die politische als auch die fachliche Befähigung nachgewiesen werden soll. Hierin läge eine schwere Ungerech- tigkeit gegenüber den ... Lehrern, die heute noch auf ihre Wiederindienststellung war- ten, weil sie ihre Papiere und damit ihre politische Vergangenheit eben nicht ‚verlieren‘ konnten.“40 Das Mißtrauen gegenüber Flüchtlingen, deren Fragebogen einen „auffal- lend guten Eindruck“ machte41 oder die sich in den Spruchkammern als „höchst zwei- felhafte ... nicht bodenständige ... Elemente zu Klägern oder Richtern über rechtschaffe- ne, heimatverdiente Staatsbürger aufspielen und dabei Existenzen vernichten konn- ten“,42 war nach Kriegsende schnell da und verstärkte sich und wurde auch gar nicht hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen. Nichtbayern wurden „in erhöhtem Maße“43 verdächtigt, ihre Parteizugehörigkeit zu verschweigen, und besonders im Kultusministeri- um versuchte man, sich gegen diese Leute abzusichern, ebenso wie gegen jene, die ohne Papiere versuchten, in den Schuldienst zu gelangen. Man unterstellte den Flücht- lingslehrern von vornherein betrügerische Neigungen, denn in einem Rundschreiben der Regierung von Oberfranken und Mittelfranken, mit dem deren Erfassung verlangt wurde, lautete eine Rubrik: „Wiedereinstellung/evtl. Fragebogenfälschungen auf geson- dertem Blatt ausführlich erläutern.“44 Hatte man noch im September 1946 die Einstel- lung der Flüchtlingslehrer als „sittliche Pflicht“ bezeichnet und Nachsicht gefordert bei unvollständigem Bildungsgang, so verlangte man im April 1947 nach „unliebsamen Erfahrungen“ anstelle einer eidesstattlichen Erklärung verschärfte Maßnahmen. Nur ein ein- wandfrei erbrachter Vorbildungsnachweis war nun Voraussetzung für eine mögliche Verwendung im Schuldienst. Konnten die Lehrer keine Originalzeugnisse oder beglau- bigten Abschriften, Gehaltsbescheide oder andere behördliche Urkunden beibringen, so wurden eidesstattliche Erklärungen dreier Zeugen (Amtskollegen, Vorgesetzte, erwach- sene Schüler, usw.) notwendig, daß der Betreffende die Lehramtsprüfungen abgelegt oder im Lehrfach tätig gewesen war.45 Eine Flüchtlingslehrerin aus der Gegend von Saaz bestätigte, daß es zu den glücklichen Umständen gehörte, wenn man seine Papiere voll- ständig über die Grenze bringen konnte. Die Urkunden über die abgelegten Prüfungen oder Berufungen in das Lehramt an Schulen waren häufig auf Karton mit eingeprägtem Hakenkreuz gedruckt. Wenn man sie aus Furcht nicht schon selbst verbrannt hatte, wur- den sie von den Tschechen vernichtet, sofern sie sie entdeckten. Ihr selbst gelang es, eine Abschrift, mit Schreibmaschine auf unauffälliges Papier geschrieben, mitzunehmen und

39 ACSP München. NL Seidel. Beilage 86/Antrag vom 20.2.1947. 40 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N 53 - 94. Schreiben des Franzheinrich N., Regensburg, am 24.4.1947 an Thomas Dehler. 41 Die Neue Zeitung, 1. Jg. Nr. 12 vom 26.11.1945, S. 3. 42 Die Bayerische Schule, 1. Jg. September 1948, S. 89. 43 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenographischer Bericht Nr. 42. 42. öffentl. Sitzung am 11.12.1947, S. 483. 44 BayHStA München. MK 62001. Rundschreiben der Regierung von Ober- und Mittelfranken am 4.3.1948. 45 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 15. Jg. Nr. 5 vom 1.5.1947, S. 32. RE. v. 24.4.1947 Nr. 1151 b 32. Nachweis der Vorbildung bei Flüchtlingslehrkräften.

177 trotz zahlreicher Leibesvisitationen in den Westen zu retten.46 Nichtsdestoweniger schil- derten befragte Lehrer die damalige Stimmung der einheimischen Lehrkräfte gegenüber den Flüchtlingslehrern oft als schlecht, ja, die fränkischen Lehrer hätten z.T. „fürchterli- che Wut“ gehabt, da sich die Flüchtlinge gegenseitig alles bescheinigten.47 Eine ganz differenzierte Wortwahl machte das Mißtrauen offenkundig: In einem Antwortschreiben des Kultusministeriums auf eine Anfrage, warum Flüchtlingslehrer in Bayern nicht das werden könnten, was sie jahrelang gewesen waren, nämlich Beamte,48 war die Formulierung „Selbstverständlich wird die Übernahme der Flüchtlingslehrer ins Beamtenverhältnis in jedem einzelnen Fall vorbereitet“ ersetzt worden durch „... in jedem einzelnen Fall überprüft“.49 Zwar wurde im selben Schreiben gesagt, daß der „Herr Staatsminister ... bereit (sei), die Bestrebungen der Flüchtlingslehrer im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten zu unterstützen ...“,50 aber dieser Rahmen wurde doch ziemlich eng gezogen. Anfragen, die die beamtenrechtliche Stellung der Flüchtlingslehrer in Bayern betrafen, wurden zunächst mit dem Hinweis auf die Durchführungsbestim- mungen zum Flüchtlingsgesetz beantwortet, auf die man noch warte.51 Damit gewann man Zeit. Dann wurde die in diesen Bestimmungen festgelegte bevorzugte Einstellung der Flüchtlinge dadurch gestoppt, daß dieser Vorzug nur so lange galt, bis das ermittelte Verhältnis zwischen Einheimischen und Flüchtlingen erreicht war.52 Im Dezember 1947 wurde die Zahl der für die ausgewiesenen Lehrer vorbehaltenen Planstellen mit 1/5 aller Planstellen angegeben.53 Dieses Verhältnis war schnell erreicht. Schon im August 1947 war z.B. für den Regierungsbezirk Niederbayern und Oberpfalz mitgeteilt worden, daß die Aufnahmefähigkeit „für Flüchtlingslehrer beider Konfessionen“ erschöpft sei.54 Auch der Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken meldete am 16. Oktober 1947, daß der vom Kultusministerium vorgesehene Prozentsatz überschritten sei und die stellensuchenden außerbayerischen Lehrkräfte nur noch in Vormerklisten aufgenom- men werden könnten. Anträge von Schulämtern wären nur dann noch vertretbar, „wenn in dem Wohnorte der außerbayerischen Lehrperson oder in ganz geringer Ent- fernung von demselben einen Einstellung dringend notwendig geworden“ sei.55 Eine weitere Verzögerung bei der Einstellung bzw. Verbeamtung der Flücht- lingslehrer gab es durch die vom Kultusministerium angeordnete Überprüfung der Fra- gebogen durch die Dokumentenzentrale in Berlin. Aufgeschreckt durch die Fragebogen- fälschungen fühlte das Ministerium sich legitimiert, diese Überprüfungen durchführen zu lassen. Dazu übergaben die Schulämter die mit den Daten der Flüchtlingslehrer aus- gefüllten Formblätter den örtlichen Militärregierungen, die sie an die Dokumentenzen- trale weiterleiteten.56 Entdeckte man Fälschungen, wurde der Lehrer, der bis dahin auf

46 Gespräch mit Frau Maria Heinisch, Milkau. 47 Gespräch mit Herrn Schulrat Fritz Thoma, Ansbach. 48 BayHStA München. MK 62001. Schreiben des R. Vejchodsky, Kirchdorf Post Bruckmühl (Obb), am 8.4.1947 an Radio München, „Der Hörer hat das Wort.“. 49 Ebda., Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 17.5.1947. Verfügung Dr. Hund- hammers. 50 Ebda. 51 Ebda., Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 3.6.1947 an die Zentralstelle für Flücht- lingslehrer, Hannover. 52 Ausführungsbestimmungen zum Flüchtlingsgesetz vom 8.7.1947. GVBl. Nr. 12/1947, S. 155. 53 BayHStA München. MK 62001. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Nr. IV 58311, am 3.12.1947 an die Regierungen. Betreff: Wiederanstellung der entnazifizierten Lehrkräfte und Anstellung der Flüchtlingslehrer. 54 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 15. Jg. Nr. 9 vom 10.9.1947, S. 59. RE. v. 27.8.1947 Nr. 1191 f 78. 55 Ebda., 15. Jg. Nr. 11 vom 25.11.1947, S. 66. RE. v. 16.10.1947 Nr. 1191 f 96. 56 Amtlicher Schulanzeiger für die Regierungsbezirke Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach/Bayreuth. 16 Jg. Nr. 11 vom 1.11.1948, S. 85 f. RE. v. 13.10.1948 Nr. 1191 f 100.

178 Dienstvertrag oder gar schon als Beamter auf Probe eingestellt war, sofort entlassen.57 Häufig dauerte die Prüfung mehrere Monate, und es kam auch vor, daß sich die zustän- digen Militärbehörden weigerten, die Formblätter weiterzureichen - möglicherweise waren es zu viele -, so daß ein Großteil der Anträge über längere Zeit nicht bearbeitet wurde.58 Die Regierung von Mittelfranken berichtete am 20. Oktober 1948 dem Kultus- ministerium, daß bis zu diesem Zeitpunkt nur wenige Gesuche zur Übernahme in das Beamtenverhältnis eingegangen seien, weil „die Überprüfung durch die Dokumenten- zentrale oft recht lange auf sich warten“ lasse.59 Diese Begründung wirkt nicht überzeu- gend. Man schloß aber auch nicht aus, „daß manche ... die Überprüfung durch die Dokumentenzentrale fürchteten“.60 Das Kultusministerium ließ dann ein Schreiben an die Regierungen herausgehen, dem eine gewisse Befriedigung über die von mancher Seite angezweifelte Berechtigung zur Überprüfung abzulesen war: „... nach Auskunft der Dokumentenzentrale in Berlin (haben) Flüchtlingslehrkräfte in zahlreichen Fällen falsche Angaben über ihre Parteizugehörigkeit gemacht ...“61 Dieses Fehlverhalten beur- teilte der Abgeordnete Korff (FDP) im Bayerischen Landtag als sehr leicht verständlich, denn welcher Bayer würde schon in Bayern verschweigen, was leicht nachzuweisen war.62 Der höhere Anteil an Fragebogenfälschern bei den Flüchtlingen war wohl wirklich nur eine Frage der menschlichen Natur und weniger der Zugehörigkeit zu einem Volks- stamm! Außer der Fragebogen-Kontrolle gab es für die Verbeamtung der vertriebenen Lehrer noch die Auflage, „Belege über den Nichtaustritt aus der Kirche und die gegen- wärtige Religionszugehörigkeit“ beizubringen,63 was sicher besonders schwierig war, wenn es nicht gelang, glaubwürdige Zeugen unter den ebenfalls Ausgewiesenen zu fin- den, denn die „Zusammenarbeit“ zwischen Bayern in der US-Zone und der Tschechoslo- wakei war sicher nicht von übermäßigem Entgegenkommen der letzteren Stelle geprägt. Amtshilfe gab es nicht. So berechtigt in manchen Fällen die Überprüfungen gewesen sein mochten, so rational man sie auch begründen konnte, die Situation der Flüchtlingslehrer, besonders in den Jahren zwischen 1948 und 1950, war vielfach bedrückend. 1948 erreichte eine Reihe von Resolutionen stellenloser Flüchtlingslehrer und deren Verbände das Kultusmi- nisterium. Man führte dabei oft die Benachteiligung gegenüber Junglehrern, verheirate- ten beschäftigten Lehrerinnen, einheimischen Kollegen ins Feld, machte Vorschläge, wie man durch Pensionierung, Herabsetzung der Klassenstärke, Gewinnung von Schulraum oder Verzicht der eingestellten Lehrer auf einen Teil ihrer Besoldung mehr Lehrer einstel- len könne. Markante Beispiele, die man anführte, sollten die Ungerechtigkeiten und Schikanen verdeutlichen.64 Unterstützt wurden die Anliegen der Flüchtlingslehrer auch

57 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 16 Jg. Nr. 9 vom 1.9.1948, S. 68. RE. v. 11.8.1948 Nr. 1191 f 76. Diese Vorschriften galten natürlich auch für Einheimische. 58 BayHStA München. MK 62001. Schreiben der Regierung von Oberbayern am 12.10.1948 an das Staatsmi- nisterium für Unterricht und Kultus. Betreff: Überführung von Flüchtlingslehrern ins Beamtenverhältnis. ME. v. 16.9.1948 Nr. IV 62144. 59 Ebda., Schreiben der Regierung von Mittelfranken am 20.10.1948 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Übernahme von Flüchtlingslehrern in das Beamtenverhältnis. 60 Ebda. 61 Ebda., Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 9.11.1948 an alle Regierungen. 62 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenographischer Bericht Nr. 42. 42. öffentl. Sitzung am 11.12.1947, S. 483. 63 Ebda. 64 BayHStA München. MK 62001. Schreiben „Für sämtliche stellenlose Flüchtlingslehrer des Kreises Lands- berg/Lech“ am 24.7.1948 an das Kultusministerium; Resolution des Förderungsverbandes Eingliederung der Flüchtlinge (FEF), Stadt- und Landkreis Lichtenfels, am 22.5.1948; Denkschrift und Entschließung der hei- matvertriebenen Lehrkräfte, Kreis Wertingen-Schwaben, am 10.7.1948 an das Regierungsschulamt in Augs- burg.

179 durch Parteien und Behörden, z.B. wenn gefordert wurde, daß ein Lehrer, auch wenn er das 50. Lebensjahr schon hinter sich hatte, ins Beamtenverhältnis übernommen werden müsse, oder wenn es um die Anerkennung des tatsächlichen Besoldungsdienstalters ging.65 Unverständnis wurde z.B. auch da geäußert, wo Studienräte, die aus Südosteu- ropa kamen, Ungarn- oder Jugoslawiendeutsche, die im bayerischen Volksschuldienst tätig waren, entlassen wurden, da ihre Ausbildung „nicht den gesetzlichen Vorausset- zungen (entspräche), die bei der Anstellung des Volksschullehrers erforderlich“ seien.66 Das sei eine unbillige Härte, vor allem, da viele angestellte bayerische Kräfte, die Ersatzlehrer, ebenfalls nicht die gesetzlichen Erfordernisse erfüllten, insbesondere hinsichtlich der Lehramtsprüfungen. Das Kultusministerium verwies in seinen Antwortschreiben immer wieder auf Zahlen, die den Anteil der Flüchtlingslehrer an der gesamten Volksschullehrerschaft nannten. Das Innenministerium hatte im März 1948 für die Übernahme in jedem Berufs- zweig ein Verhältnis von 4 : 1 (Einheimische : Flüchtlinge) festgesetzt und innerhalb der Flüchtlinge selbst an dem Verhältnis 5 : 3 : 1 (Sudetenland : Reichsgebiete östlich der Oder und Neiße : übrige Flüchtlinge) festgehalten.67 Die Verhältniszahlen galten also auch für die Verbeamtung der Lehrer; aber das Kultusministerium konnte sich zugute- halten, neben Finanz- und Justizministerium diejenige Verwaltung zu sein, die den höch- sten Prozentsatz von Flüchtlingen beschäftigte, jedenfalls im Jahr 1948.68 Die Regierung von Oberbayern meldete z.B. im Oktober 1948, daß die Quote längst überschritten sei und in den einzelnen Landkreisen zwischen 30 und 46 % schwanke.69 Für Januar 1948 wurde ein Stand von 21 521 Volksschullehrern in ganz Bayern angegeben, davon 7315 Flüchtlinge.70 Die Klage einzelner änderte nichts an der Tatsache, daß die Quote weit übertroffen und es der Administration ernst war mit der Integration der Flüchtlingslehrer und damit der Flüchtlinge allgemein.

5.2.2. Bemühungen um den Beamtenstatus

Ein Bericht der Regierung in Ansbach teilte im Mai 1948 dem Kultusministerium mit, daß die Übernahme der im Angestelltenverhältnis verwendeten Lehrkräfte ins Beam- tenverhältnis noch nicht erfolgen konnte, was dazu geführt habe, daß die Verstimmung der Lehrer sich zur Erbitterung auswachse. Der Lehrerberuf erfordere aber „arbeitsfreudige Kräfte, die innerlich bereit sind, der Schule und dem Staate zu dienen“. Der bemerkens-

65 ACSP München. NL Seidel. Beilage 1876. Antrag an den Bayerischen Landtag am 4.10.1948. Dr. Beck und Fraktion (SPD); BayHStA München. MK 62001. Schreiben der Regierung von Niederbayern und der Oberpfalz am 5.4.1948 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Besoldungsdienstalter der Flücht- lingslehrer; AdsD Bonn. SPD - LTF Bay (Korresp. 1948) 163. Schreiben der SPD, Kreisvorstand Vohenstrauss, am 27.11.1948 an die SPD-Landtagsfraktion. Betreff: Beschäftigung von Flüchtlingen im öffentlichen Dienst. 66 BayHStA München. MK 62001. Schreiben der Kirchlichen Hilfsstelle, Beratungsstelle für Jugoslawiendeut- sche und Ungarndeutsche, am 30.12.1948 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Ent- lassung der Studienräte aus dem Volksschuldienst. 67 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 16 Jg. Nr. 6 vom 1.6.1948, S. 45. Übernahme der Flüchtlingslehrkräfte ins Beamtenverhältnis. RE. v. 20.5.1948 Nr. 1191 f. 32. Erlaß des Bay. Staatsmin. d. Innern v. 31.3.1948 Nr. 1156 abd 323. 68 AdsD Bonn. SPD-LTF Bay/2. Fraktionsunterlagen 8/48 (Korr., Rdsch. Anträge, Eingaben 1948). Schreiben der SPD-Landtagsfraktion (Fr. Zietsch) am 29.10.48 an den Kreisverband SPD, Miltenberg. 69 BayHStA München. MK 61321. Bericht über den Stand des Volksschulwesens der Reg. von Obb. am 16.10.1948 an das Staatsmin. für Unterricht und Kultus zu RE. Nr. 4000/45 vom 12.10.48. 70 Ebda., MK 62001. Schreiben des Staatsmin. für Unterricht und Kultus am 6.7.1948 an die Bayerische Staats- kanzlei.

180 werteste Satz des Berichtes lautete: „Entlassene Stammlehrkräfte, Flüchtlingslehrer und Junglehrer kämpfen um die letzten Stellen.“1 Nicht in diesen Kampf eingreifen durften Lehrer, die aus den verschiedenen Besat- zungszonen nach Bayern gekommen waren, einschließlich der Flüchtlinge aus der sowjet- isch besetzten Zone,2 und evakuierte oder ausgebombte Personen, auch wenn sie - irrtüm- lich - im Besitz eines Flüchtlingsausweises waren.3 Schärfster Protest kam aus den Reihen der Flüchtlinge, als sich angeblich die Fälle mehrten, daß evakuierte oder umgesiedelte Jun- glehrer, die die „Flüchtlingseigenschaft“ nicht besaßen, „bevorzugt im bayerischen Schul- dienst untergebracht und ... nach kurzer Dienstzeit ins Beamtenverhältnis übernommen“ wurden.4 Der „Flüchtlingsstand“ spielte eine große Rolle; man war nicht einfach Flüchtling, sondern z.B. „amtlich nach Bayern ausgesiedelt“; „nach Bayern geflohen“; „amtlich nach ... ausgesiedelt, wegen der Angehörigen nach Bayern gezogen“; „wegen Verschickungsge- fahr von ... nach Bayern geflohen“; „mit ausgebombter Familie nach Bayern evakuiert“.5 Die Zahlen, die von den Behörden über die Einstellung von Flüchtlingslehrern ange- geben wurden, bestätigten einerseits, daß in Bayern überdurchschnittlich viele Lehrer Flüchtlinge waren (Mittel- und Oberfranken am 8. Oktober 1948 26 %;6 Bayern am 21. November 1949 30 %7); andererseits war ihr Anteil an den Beamtenstellen gering (Bayern am 15. November 1949: 24,2 % der Flüchtlingslehrer waren als Beamte, 70,5 % als Angestellte, 5,3 % auf Stundenvergütung beschäftigt.8 Eine Aufstellung - Stand 31. Dezember 1948 - nannte folgende Zahlen: Von den im Geschäftsbereich des Kultusministeriums beschäftigten 16 189 Beamten waren 1111 Flücht- linge, von den 17 396 Angestellten 8527 Flüchtlinge, die nach dem 1. Mai 1945 eingestellt und von denen 24 Beamte und 1226 Angestellte bereits wieder entlassen worden waren. Interessanterweise gab es aber auch nicht entlassene Parteigenossen, und zwar 2195 Beamte und 486 Angestellte. Auch gab es ehemalige Parteigenossen, die nach dem 1. Mai 1945 entlassen und wiedereingestellt worden waren, nämlich 3827 Beamte und 6367 Angestellte. Von diesen waren bis zum 31. Dezember 1948 36 Beamte und 121 Angestellte erneut entlassen worden. 119 politisch Verfolgte waren als Beamte und 85 als Angestellte übernommen worden. Auch hier hatte man insgesamt 15 wieder ent- lassen. 53 verbeamtete und 37 angestellte rassisch Verfolgte waren nach dem 1. Mai 1945 eingestellt, elf von ihnen wieder entlassen worden.9 Erstaunlich ist bei dieser Über-

1 Ebda., MK 61319. Bericht der Regierung in Ansbach am 10.5.1948 an das Staatsmin. für Unterricht und Kul- tus über den Stand des Volksschulwesens. Einen Monat später enthielt die Statistik über den Stand des Volks- schulwesens für Ofr. und Mfr. eine Zahl von 670 erst vorgemerkten Flüchtlingslehrern. (BayHStA München. MK 61314. Statistik vom 15.6.1948). 2 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 3 vom 19.4.1948, S. 36. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 5.3.1948 Nr. IV 575. 3 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 16. Jg. Nr. 6 vom 1.6.1948, S. 45. RE. v. 20.5.48 Nr. 1191 f 32. 4 BayHStA München. MK 62002. Schreiben der Flüchtlings-Lehrergemeinschaft, Zonenzentrale der US-Zone, Amberg, am 27.5.1949 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 5 Ebda., MK 62001. Rundschreiben der Regierung von Ober- und Mittelfranken am 4.3.1948. 6 Ebda., MK 61321. Bericht der Regierung von Ober- und Mittelfranken am 8.10.1948. Stand des Volksschul- wesens. Zur ME v. 1.6.1948 Nr. IV 33876. 7 Ebda., MK 52199. Zentralstelle für Flüchtlingslehrer, Hannover. Vorläufige Übersicht über die im Bundesge- biet vorhandenen beschäftigten und noch nicht beschäftigten Flüchtlingslehrer. (Für NRW wurden 14 %, für Rheinland-Pfalz 3 % angegeben.). 8 Ebda., MK 62004. Schuljahr 1949/50, Stichtag 15.11.1949. (Von den einheimischen Lehrern waren 77,5 % als Beamte, 17 % als Angestellte und 5,5 % auf Stundenvergütung angestellt.). 9 ACSP München. NL Seidel. Beilage 2403. Bayerische Staatskanzlei am 1.4.1949 an den Herrn Präsidenten des Bayerischen Landtags. Betreff: Kurze Anfrage Nr. 90. Übersicht über die in der Staatsverwaltung beschäf- tigten bzw. wieder entlassenen ehemaligen Mitglieder der NSDAP und deren Gliederungen, der politisch und rassisch Verfolgten und der Flüchtlinge - unterteilt nach den einzelnen Geschäftsbereichen - nach dem Stand vom 31. Dezember 1948.

181 sicht die doch verhältnismäßig große Zahl der nach Kriegsende weiterbeschäftigten NSDAP-Mitglieder als Beamte. Die Inkonsequenz oder die Unwissenheit der amerikani- schen Besatzungsmacht könnten die Gründe dafür sein. Ca. 8 % der Beschäftigten aus dem Bereich des Kultusministeriums waren nicht entlassen worden. Im Vergleich dazu waren es beim Innenministerium ca. 7 %, beim Justizministerium und beim Finanzministerium ca. 10%, beim Wirtschaftsministerium ca. 2 %, beim Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ca. 15,7 %, beim Arbeitsministerium ca. 5 %, beim Ver- kehrsministerium ca. 1 %, beim Staatsministerium für Sonderaufgaben naturgemäß nie- mand; in der Staatskanzlei waren es ca. 9 %.10 Die Zahlen belegen, daß die Ernährung der Bevölkerung das Hauptproblem war und die amerikanische Militärregierung offen- sichtlich auf die Fachleute nicht verzichten konnte. Ähnliche Motive ließen sich im Finanz- und Innenministerium vermuten. Warum jedoch das Justiz- und auch das Kul- tusministerium in ihren Bereichen einen derart hohen Anteil an weiterbeschäftigten Par- teigenossen aufwies, ist schwerer einzusehen. Hatten die Angehörigen der Besatzungs- macht Schwierigkeiten gehabt, alte Seilschaften zu durchschauen? Im September 1950 nannte das Statistische Taschenbuch über die Heimatvertrie- benen in der Bundesrepublik Deutschland und in West-Berlin folgende Zahlen: An den staatlichen Volksschulen gab es 22 444 Heimatvertriebene als Beamte (18,6 %) und 6517 als Angestellte (56,3 %). Auf das Land Bayern bezogen waren 3742 Flüchtlingsleh- rer aller Schulgattungen Beamte (15,4 %) und 4308 Angestellte (63,4 %).11 Vielleicht kann man dies ungleiche Verhältnis damit erklären, daß man die Flüchtlingsfrage als Inte- rim betrachtete und nichts Endgültiges festlegen wollte. In der Praxis wurde die Übernah- me von Flüchtlingslehrkräften in das Beamtenverhältnis durch eine weitere Bestimmung erschwert. Schon die von den Flüchtlingsorganen als „Sonderentnazifizierung“ apostro- phierte Nachprüfung der Fragebogen durch die Dokumentenzentrale Berlin war heftig angegriffen worden. Diffamierung sei sie; sie bedeute eine Benachteiligung der Flücht- lingslehrer vor allem in finanzieller Hinsicht, da sie bis zu zwölf Monate dauere,12 und sie beweise auch angebliche Fälschungen nicht, da z.B. Sudetendeutsche und Deutsche aus Danzig ohne Antrag in die NSDAP aufgenommen worden waren, ein einseitiger Akt der Partei, von dem die Betroffenen keine Ahnung gehabt hätten.13 Kultusminister Hund- hammer antwortete kühl: „Mit Rücksicht auf die vielen Fälle von Fragebogenfälschun- gen,14 die nur mit Hilfe der Dokumentenzentrale ... aufgedeckt werden konnten, sehe ich mich nicht veranlaßt, meinen Standpunkt in dieser Angelegenheit zu ändern.“15 Und es

10 Ebda. 11 Archiv der Arbeitsgemeinschaft sudetendeutschen Erzieher, München. Statistisches Taschenbuch über die Heimatvertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland und in West-Berlin, hrsg. vom Statistischen Bundes- amt Wiesbaden 1953, S. 78 f. Heimatvertriebene Lehrkräfte waren im übrigen immer noch größtenteils auf dem Land tätig. In Bayern gab es an den Volksschulen im Mai 1951 984 von ihnen in Stadtkreisen, aber 6553 in Landkreisen. (Ebda., S. 80). 12 Die RE. zur Nachprüfung der Flüchtlingslehrer datierte vom 20.1.49 (Nr. P 139). Im November desselben Jah- res meldete das Landratsamt Schwabach drei Fälle an die Regierung von Mittelfranken. (BayHStA München. MK 62004. Schreiben des Landratsamts Schwabach am 18.11.1949. Betreff: Nachprüfung der politischen Vergangenheit sämtlicher Beamten und Angestellten aus dem Kreise der Flüchtlinge). 13 BayHStA München. MK 52193. Schreiben des Hauptausschusses für Flüchtlinge und Ausgewiesene in Bayern am 9.2.1949 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 14 Bis zu 33 % der bis zum Januar 1949 nachgeprüften Fragebogen sollen teilweise oder ganz gefälscht gewe- sen sein. (BayHStA München. MK 52193. „Der Gerade Weg“, Ausgabe A, Nr. 3 vom 21.1.1949, S. 2). 15 BayHStA München. MK 62003. Schreiben des Staatsministers für Unterricht und Kultus am 10.9.1949 an den Hauptausschuß für Flüchtlinge und Vertriebene in Bayern. Das Festhalten an der Überprüfung durch die Dokumentenzentrale wurde auf Weisung des Ministers auch 1950 noch beibehalten. (BayHStA München. MK 52193. Staatsministerium für Unterr. und Kultus am 14.4.1950 an alle Referate). Auch noch 1951 war die „Auskunftseinholung aus der Dokumentenzentrale Berlin“ Thema des amtlichen mittelfränkischen Schulanzeigers. (Amtl. Schulanzeiger f. den Regierungsbezirk Mfr., Ansbach. 19. Jg. Nr. 11 vom 1.11.1951, S. 127. KME. v. 10.10.1951 Nr. IV 71010; RE. v. 16.10.1951 Nr. V/1153 b 16).

182 wurde nachdrücklich betont, daß bei „wesentlichen“ Frage- oder Meldebogenfälschun- gen - Verschweigen der Mitgliedschaft bei der NSDAP oder ihrer Gliederungen, bei der SS, von Ämtern in der NSDAP und ihren Gliederungen oder Nichtangeben des Kirchen- austritts - Lehrer fristlos zu entlassen seien.16 Zusätzlich kam nun noch das Verlangen des Kultusministeriums nach einem Straf- registerauszug (Auszug aus dem Auslandsstrafregister).17 Dagegen gab es sofort Ein- sprüche, die einsichtig begründet waren. Die Flüchtlings-Lehrergemeinschaft bemerkte, daß die Verwendung im Schuldienst bis zur Vertreibung per se den Beweis für die Unbe- scholtenheit des Lehrers in sich schloß.18 Das Office of Military Government for Bavaria, Field Operations Division Area Augsburg, wurde aktiv und fragte an, warum das Staatsmi- nisterium den Strafregisterauszug fordere, da doch bekannt sei, „daß keine deutsche Lehrkraft im Sudetenland beschäftigt oder tätig sein konnte, wenn Vorstrafen vorlagen“. Außerdem seien doch in 90 von 100 Fällen sämtliche Unterlagen infolge der Kriegsereignisse vernichtet worden. Die Militärregierung erwarte eine „zufriedenstellende Antwort dar- auf“.19 Von der Regierung von Schwaben gelangte ein Schreiben ins Ministerium, das drohende außenpolitische Auswirkungen beschwor, da der Generalkonsul der tschecho- slowakischen Republik auf das Ersuchen der Regierung „um Zuleitung von Strafregister- auszügen für Flüchtlingslehrkräfte aus der CSR“ über das bayerische Justizministerium geantwortet hatte, daß die Ansuchen nicht an die tschechischen Behörden weitergereicht werden könnten, da aus ihnen nicht hervorgehe, „welche Staatsangehörigkeit die Betref- fenden z. Zt. besitzen. Handelt es sich z.B. um tschechisch slowakische Angehörige, so kann die Zusendung der Strafregisterauszüge erst nach Angabe des Grundes ... erfol- gen“. Außerdem sei nicht in jedem Fall geklärt, ob ein ausgewiesener Flüchtling als Deut- scher oder als Staatenloser zu gelten habe.20 Die tatsächliche Ausführung der kultusmini- steriellen Entschließung vom 12. April 1949 war so nicht möglich. Es wurde dem Ministe- rium mitgeteilt, daß „im Strafregister in Berlin ... weder die Strafen eingetragen (seien), die ostpreußische oder schlesische Lehrkräfte vor der Ausweisung erlitten“ hätten, denn die seien nur in den in der Heimat zurückgebliebenen Heimatstrafregistern zu finden. Auch Strafen von Sudetendeutschen von vor Mai 1945 fände man nicht verzeichnet, da in der Zeit von 1938 bis 1945 Strafen in den sudetendeutschen Heimatstrafregistern ein- getragen wurden, die zurückgeblieben seien. Vor 1938 waren die Strafen nicht in deut- schen Strafregistern verzeichnet worden.21 In diesem Schreiben wurde ebenfalls angeregt, von Erklärungen über einen Kirchenaustritt abzusehen; „denn eine Gewähr dafür, daß gerade in besonders wissenswerten Fällen die Wahrheit gesagt wird, ist nicht gegeben“.22 Das Kultusministerium gab denn auch am 10. Mai 1949 bekannt, daß der in der ME. vom 12. April verlangte Strafregisterauszug durch zwei eidesstattliche Erklärungen „glaubwür- diger“ Zeugen ersetzt werden könne,23 bzw. es genüge ein Nachweis darüber, „daß eine Ver- wendung im Schuldienst bis zum Verlassen des früheren Aufenthaltsortes erfolgt ist“.24

16 Ebda., MK 62004. Entwurf einer Erklärung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus im März 1950. 17 Die Bayerische Schule, München. 2. Jg. Nr. 9/Sept. 1949, S. 357. 18 BayHStA München. MK 62002. Schreiben der Flüchtlings-Lehrergemeinschaft, Zonenzentrale der US-Zone, Amberg, am 9.5.1949 an das Staatsmin. f. Unterr. u. Kultus. Betreff: Einspruch gegen Vorlagezwang des Strafregisterauszuges bei der Übernahme in das Beamtenverhältnis. KME. v. 12.4.49 Nr. IV - 23.138. 19 Ebda., Abschrift zu Nr. I 1383. Office of Military Government for Bavaria. Field Operations Division. Area Augs- burg. APO 178, US Army, am 31.5.1949 an die Regierung von Schwaben. 20 Ebda., Schreiben Nr. I 1523 der Regierung von Schwaben am 20.6.1949 an das Staatsministerium für Unter- richt und Kultus. 21 Ebda., „Vorschläge aus Regensburg“ (Regierung?) am 7.5.1949, IV 6/N; vgl. dazu aber S. 194, Fußnote 27. 22 Ebda. 23 Ebda., Abdruck des Schreibens des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus Nr. IV 29937 am 10.5.1949 an die Regierungen. 24 Die Bayerische Schule, 2. Jg. 9/September 1949, S. 357.

183 Dennoch war die Erfüllung der Voraussetzungen, um in das Beamtenverhältnis über- nommen zu werden - Nachweis des einwandfreien politischen Leumunds durch die Dokumentenzentrale in Berlin, Klarstellung der „moralischen Haltung“ im Einverneh- men mit Schulämtern und Kirchenbehörden, fachliche Beurteilung durch den Schulrat in Form eines Visitationsberichtes - eine sehr zeitraubende Angelegenheit, und vielen Schulräten waren diese Überprüfungen kurzfristig nicht möglich.25 Unsicherheit über die Anerkennung von Prüfungen herrschte anscheinend zudem; denn während der Amtli- che Schulanzeiger die „Anerkennung der sogenannten Bürgerschullehrerprüfung bei Flüchtlingslehrkräften“ mitteilte, die bewirkte, daß die Zulassung zu einer „vereinfach- ten 2. Lehramtsprüfung“ möglich war,26 klagte die Interessengemeinschaft der Flücht- lingslehrer beim Hauptausschuß der Flüchtlinge und Ausgewiesenen in Bayern, daß „bei der Ausschreibung von Stellen an bayerischen Lehranstalten die Bedingung beigefügt wird, die Bewerber müßten bayerische Prüfungen abgelegt haben“.27 So überrascht es nicht, daß die Verbeamtung der Flüchtlingslehrer immer wieder angemahnt wurde, häu- fig mit dem Hinweis auf die inzwischen verbeamteten einheimischen Lehrkräften und auf die einschlägigen Zahlen. Die Regierung von Mittelfranken meldete unter dem 11. Februar 1950 286 verbeamtete von insgesamt 967 nicht aus Bayern stammenden Lehr- kräften und fügte hinzu, daß von diesen 612 weitere verbeamtet werden könnten, was der vorgeschriebenen 20 %-Quote entsprechen würde.28 Ein Jahr später berichtete dieselbe Behörde, daß von den 664 in Dienst stehenden Flüchtlingslehrern 348 ins Beamtenver- hältnis übernommen worden seien.29 Der Flüchtlingslehrer Hans Heise wurde zum 25. April 1950 „unter Berufung in das Beamtenverhältnis zum Lehrer“ ernannt, obwohl er bereits im Juni 1938 die „endgültige Anstellung als Lehrer an Volksschulen“ - das ent- sprach der Verbeamtung - erhalten hatte. Am 25. Oktober 1951 erfolgte die Berufung in das „Beamtenverhältnis auf Lebenszeit“.30 Im Vergleich zu dem einheimischen Lehrer Michael D.31 war Heise ein Jahr früher, nämlich am 1. Mai 1947, als Lehrer auf Dienst- vertrag eingestellt worden. Während jener aber bereits nach 14 Monaten zum Beamten auf Probe bestellt wurde, wartete Heise drei Jahre darauf. Von seiten der Regierung wurde immer wieder betont, daß Bayern nicht ver- pflichtet sei, in die Beamtenrechtsverhältnisse aller früheren Beamten des Reiches und anderer außerbayerischer Dienstherrn einzutreten, daß die Verwaltungen nur 20 % ihrer Beschäftigten mit Flüchtlingen zu besetzen hätten, da das dem Anteil der Flüchtlinge an der Gesamtwirtschaft entspreche, und daß in Bayern 28,4 % der Gesamtlehrerschaft Flüchtlinge seien, bei den Volksschullehrern sogar 35 %.32 Mit einem Einstellungsstopp 1948 senkte man den prozentualen Anteil und stellte erst 1949, nachdem die Quote

25 BayHStA München. MK 62002. Schreiben der Regierung von Oberfranken, Bayreuth, am 18.2.1949 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 26 Amtlicher Schulanzeiger für die Regierungsbezirke Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach/Bayreuth, 17. Jg. Nr. 4 vom 1.4.1949, S. 36. KME. v. 22.3.1949 Nr. IV 17570 (RE. v. 31.3.1949 Nr. 1150 a 50). 27 BayHStA München. MK 62002. Interessengemeinschaft der Flüchtlingslehrer beim Hauptausschuß der Flücht- linge und Ausgewiesenen in Bayern am 30.6.49 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus, z.Hd. Herrn Prof. Dr. Longin. 28 Ebda., MK 62004. Schreiben der Regierung von Mittelfranken am 11.2.1950 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Übernahme von Flüchtlingslehrkräften in das bayerische Beamtenverhältnis. 29 Ebda., Schreiben der Regierung von Mittelfranken am 26.2.1951 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Überführung der Flüchtlings-Volksschullehrer in das bayerische Beamtenverhältnis. 30 Privatarchiv Hans Heise. 31 siehe S. 154. 32 BayHStA München. StK 113976. Schreiben des Bayer. Landespersonalamtes am 30.9.1949 an das Amt der Militärregierung für Bayern, Civil Administration Division. Zur Entschließung des Bezirkslehrerverbandes Din- kelsbühl vom 30.4.1949.

184 unter 25 % gefallen war, wieder Flüchtlingslehrer ein, wobei die besondere Schwierig- keit darin lag, daß in Franken zu viele katholische, in Südbayern zu viele evangelische Lehrer waren. Über die Anstellung einzelner ließen die kirchlichen Stellen mit sich reden, da die Notlage der Betroffenen zu offensichtlich war und man es aus Christenpflicht nicht über sich brachte, „den Lehrern mit ihren Familien die Rettung aus größter Not zu ver- sagen“,33 insgesamt jedoch erklärte sich die evangelische Kirche mit derartigen Stellen- besetzungen nicht einverstanden, wenn im mittelfränkischen Raum katholische Flücht- lingslehrer eingestellt und in Südbayern evangelische unbeschäftigt waren.34 Ohne Anstellung waren Anfang 1950 in Mittelfranken noch 171 Flüchtlingslehrer,35 ein Jahr später waren 91 zwar vorgemerkt, aber noch nicht verwendet.36 In die Vormerk- liste aufgenommen werden konnten laut RE. vom 15. Dezember 1950 „stellenlose ver- triebene, evakuierte und Flüchtlingslehrkräfte“, wenn die Beilagen zu den Bewerbungs- gesuchen den Bestimmungen entsprachen, das hieß, daß man außer Lebenslauf, beglaubigten Zeugnisabschriften, Spruchkammerbescheid, „Meldebogen, wie er bei der Spruchkammer eingebracht wurde,“ auch die eidesstattliche Erklärung über den even- tuellen Kirchenaustritt und bei Flüchtlingslehrern aus der russischen Zone die Bescheinigung über Asylrecht in Bayern vorweisen mußte.37 Echte äußere Not war es, die zu häufigen Appellen an das Ministerium führte oder ihren Ausdruck in Resolutionen und Aufrufen fand. Einen Verstoß gegen demokratische Rechte nannte man die Nichtbeschäftigung der Flüchtlingslehrer,38 denen die Existenzgrundlage dadurch fehlte. „Verzweifelte, ergraute“ Erzieher schrieben, daß sie dem Erhängen näher seien als dem Leben, daß sie ihren Kindern keine Ausbildung ermöglichen könnten,39 daß z.B. „ein 58-jähriger schle- sischer Hauptlehrer mit Frau und 16-jährigem Sohn (Schüler) mit einer Fürsorgeunter- stützung von 18,60 DM und einer K-B.-Rente40 von 59,40 DM ... monatlich auskom- men“ müsse,41 daß das Dasein „elender und hoffnungsloser als das des Industrieprole- tariats des 19. Jahrhunderts“ sei,42 daß auch vier Jahre nach Kriegsende Flüchtlingsleh- rer als Land- oder Hilfsarbeiter ihr Brot verdienten und eine Steigerung der Not nicht mehr möglich sei.43 „Stöße von Jammerbriefen“ erreichten die einzelnen Bezirksregie- rungen, 30 bis 50 Bittsteller gaben sich täglich bei der Regierung von Mittelfranken die Klinke in die Hand;44 um die Bereitstellung von Mitteln für eine Zuwendung an Weih- nachten für nichtangestellte Flüchtlingslehrer wurde gebeten.45 Wartegeld konnte nur

33 Ebda., MK 62003. Schreiben Nr. 1136 a 165 der Regierung von Mittelfranken am 1.11.1949 an das Staats- ministerium für Unterricht und Kultus. 34 Ebda., Schreiben Nr. 10771 des Evang.-Luth. Landeskirchenrates, München, am 3.9.1949 an das Staatsmi- nisterium für Unterricht und Kultus. 35 Ebda., MK 62004. Schreiben der Regierung von Mittelfranken am 11.2.1950 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 36 Ebda., Schreiben der Regierung von Mittelfranken am 26.2.1951 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 37 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken, Ansbach. 19. Jg. Nr. 1 vom 1.1.1951, S. 5. 38 BayHStA München. MK 62003. Resolution der Flüchtlings-Lehrergemeinschaft Marktredwitz am 14.7.1949 an die Amerikanische Militärregierung für Bayern, Abtlg. Erziehung. 39 Ebda., MK 62002. Schreiben der Flüchtlings-Lehrergemeinschaft, KV Rosenheim Stadt/Land, am 18.6.1949 an Dr. Alois Hundhammer. 40 = Kriegsbeschädigtenrente. 41 BayHStA München. MK 62002. Schreiben der Flüchtlings-Lehrergemeinschaft, Ortsverein Ansbach/Mfr., am 23.7.1949 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Entschließung. 42 Ebda. 43 Ebda., Schreiben der Flüchtlings-Lehrergemeinschaft, Ortsverein Sulzbach-Rosenberg, am 23.7.1949 an Staatsminister Alois Hundhammer. 44 Ebda., MK 62001. Schreiben der Regierung von Mittelfranken am 19.4.1948 an den Ministerialreferenten für das Flüchtlings-Schulwesen. 45 Ebda., MK 62003. Ausschuß für Kulturpolitische Fragen des Bayerischen Landtags am 31.10.1949 an das Kultusministerium.

185 Beamten gewährt werden, fehlende gesetzliche Grundlagen verhinderten die Gewährung einer Unterhaltshilfe an Flüchtlinge, die früher Beamte gewesen waren,46 und so hungerten manche „buchstäblich in einer unbeschreiblichen Verzweiflung“.47 Besonders die Währungsreform brachte für die Flüchtlingsfamilien große Not und die Abhängigkeit von Wohlfahrtsunterstützung mit sich.48 Ein Einsatz der Flüchtlingslehrer für erkrankte Lehrer wurde auch nicht genehmigt, da das „haushaltrechtlich unzuläs- sig“ sei. Die eingesetzten Junglehrer konnten nämlich „stündlich entlassen werden, ... während man bei Flüchtlingslehrern eine Kündigungsfrist“ einhalten mußte.49 Bekamen sie keine Anstellung als Lehrer, wurden sie an die Arbeitsämter verwiesen. Waren sie, da schon älter, nicht vermittelbar oder gab es in abgelegenen Regionen keine wie auch immer geartete Arbeit, erhielten sie Unterstützung. Da sie aber dienstfähig waren, was durch amtsärztliches Zeugnis bestätigt wurde, so betrug die Fürsorgeunterstützung für ein Ehepaar den geringsten Satz, nämlich 46 DM.50 Ein Umzug in wirtschaftlich günsti- gere Gebiete erübrigte sich aufgrund der schwierigen Wohnraumverhältnisse, und so befanden sich etliche Flüchtlingslehrer in einer nicht lösbaren Zwickmühle.

5.2.3. Vorurteile

Hatte ein Flüchtlingslehrer eine Anstellung bekommen, so war seine Existenz zunächst gesichert, allerdings focht er oft manchen Kampf gegen Vorurteile und Anfein- dungen, vor allem, wenn er konfessionsfremd war. „Die Auseinandersetzungen um die Flüchtlingslehrer in den Konfessionsschulen waren ein ständiger Konfliktherd.“1 Die Pfarrer klagten, daß die neuen Lehrer der Kirche recht gleichgültig gegenüberständen, sie seien nicht in das Sozialgefüge des Dorfes eingebunden.2 „Ostlehrer“ wurden sie in den Landkreisen Ansbach und Rothenburg genannt, und dort sorgten die Vorurteile der Eltern für erhebliche disziplinäre Schwierigkeiten im Unterricht.3 „Konfessionslose Preußen“4 schimpfte man sie, die natürlich auch aus sprachlichen Gründen Schwierig- keiten hatten, das Vertrauen der bäuerlichen Eltern zu gewinnen. „Militaristisch-hyper- national-egoistisches Verhalten“ wurde ihnen nachgesagt; sie seien bereit, diese Eigen- schaften auf unterstellte Personen, insbesondere auf Kinder, zu übertragen. Bayerns Lehrerschaft müsse „gesäubert werden von allen fremdartigen, d.h. preußischen, milita- ristischen Einflüssen“.5 Der Lehrerstand „müsse auf dem Boden gewachsen sein, auf

46 BayHStA München. MK 62002. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 13.6.1949 an die Flüchtlings-Lehrergemeinschaft Amberg. 47 Ebda., Schreiben der Flüchtlings-Lehrergemeinschaft, Amberg, am 25.5.1949 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 48 Ebda., Schreiben des Kultusministers von Nordrhein-Westfalen am 27.3.1949 an das Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 49 Ebda., MK 62004. Schreiben des Bundestagsabgeordneten Hans Tichl, Bürgermeister in Kulmbach, am 3.1.1950 an Alois Hundhammer. Antwort des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 1.2.1950. 50 AdsD Bonn. SPD-LTF Bay. 96. Korr. D-R 1949. „Dringende Angelegenheit stellenloser Lehrer.“ Viktor Kappel am 4.3.1949 an SPD-Abgeordnete. 1 Erker, Revolution, S. 421. 2 Ebda. 3 Jörg Lippert: Die Auswirkungen des Flüchtlingszustroms im Gebiet der Gemeinden Gastenfelden und Hagenau 1945-1949. In: Die Linde. Beilage zum Fränkischen Anzeiger für Geschichte und Heimatkunde von Rothenburg/Tbr. Stadt und Land. Nr. 8/August 1998, 80. Jg., S. 58. 4 Erker, Vom Heimatvertriebenen, S. 40; vgl. auch Dannhäuser, S. 282-289. 5 BayHStA München. StK 113972. Schreiben des Privatmanns Dr. Hartmann, Bergersee/Schnaitsee bei Was- serburg, am 12.8.1945 an die Bayer. Landesregierung, z.Hd. Herrn Reichsminister Dr. Gessler (sic!).

186 dem er lehrt und arbeitet“, und daher forderte man für die Bayern bayerische Lehrer.6 Die Sprache dieses Verfassers war deutlich ein Relikt aus der Nazi-Zeit, inhaltlich unter- schied sich seine Ansicht nicht wesentlich von der, die man bis in die höchsten Stellen fand. Namentlich Evangelische aus dem Osten erfuhren manche Zurücksetzung, auch durch das Kultusministerium,7 und diese Tatsache blieb auch der amerikanischen Besat- zungsmacht nicht verborgen, denn die Intelligence-Division berichtete am 3. März 1948: „Detachments report that Protestant teachers ... who are refugees face uncertain teaching futures since the trend of local administrators is to dismiss these teachers on unfounded accusations and replace them with an all-Catholic staff, even though a large percentage of Protestant pupils reside in the locality.“8 Der Abgeordnete Knott von der Bayernpartei verwahrte sich gelegentlich einer Diskussion um den Inhalt von Schulbüchern dagegen, daß die Bayern auf die Zugerei- sten warten müßten, um zu lernen, was kulturell außerhalb des Hofbräuhauses geschehe, und formulierte, zwar verklausuliert, aber deutlich und mit positivem Zuruf bedacht, daß die heimatvertriebenen Lehrkräfte speziell geschult werden müßten, „damit sie die bayerischen Verhältnisse kennenlernen und unsere bayerischen Kinder entsprechend unterrichten können“.9 Nicht ohne Grund ermahnte man die Flüchtlingslehrer aus den eigenen Reihen, sich zu bemühen, „in Art und Sprache ihrer jetzigen Heimatgebiete sich einzuleben. Die Eigenart ihres Berufes verlang(e) diese Umlernung und Umformung ...“, und wer dieser Forderung nicht nachkommen könne oder wolle, werde angestellt auf Dienstvertrag bleiben.10 Auch müsse der Flüchtlingslehrer, der eine „ungeheuer wichtige völkische Aufgabe“ (sic!) erfüllen solle, die Hemmungen überwinden, die sich bei der Annäherung an andere „deutsche Altstämme“ ergäben. Das Unterrichtsfach Heimat- kunde zwinge schon dazu, da ja die neue Heimat im Mittelpunkt stünde, und eine „spröde Abkapselung“ sei der Erziehung und dem Unterricht abträglich.11 Diese Ratschläge waren auch deshalb angebracht, weil zur Übernahme der Flüchtlingslehrer ins Beamtenverhältnis „eine kurze Beurteilung über die persönliche und sachliche Eignung auf Grund eines Schulbesuches“ durch den Schulrat verlangt wurde.12 Auch schickten die Schulräte Berichte über Flüchtlingslehrer an die Regierung, die Zeugnis gaben über das allgemeine Verhalten und nicht immer sehr freundlich aus- fielen. Es wurden „unvernünftige Forderungen“ bemängelt, Angeberei oder das Verlan- gen, sofort an der Gemeindepolitik aktiv mitwirken zu wollen; ferner eine „unpassende Lebensführung“, z.B. „nächtliche Herrenbesuche“. Auch die Versuche, „weitschichtige Verwandte“ in den Dienstwohnungen unterzubringen, wurden mißtrauisch beäugt.13 Spannungen zwischen Elternhaus und Schule gab es dort, wo Lehrer aus ehemals preußischen Gebieten tätig waren, da „die dem fränkischen Volksstamm fremde Aus- drucksweise“ den Kontakt zwischen Lehrer und Schülern verhindere.14 Schulrat Keller aus Rothenburg bemängelte das schlechte Deutsch der Lehrer aus Siebenbürgen, die

6 Ebda. 7 Bauer, S. 236. 8 Erker, Revolution, S. 423. Er zitiert NA, RG 260,7/36 - 2/4 vom 3.3.1948. 9 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenograph. Bericht. 18. Sitzung am 5.4.1951, S. 464. 10 Mitteilungen des Bayerischen Lehrervereins, München. Nr. 9/10 1947, S. 6. 11 Die Bayerische Schule, 1. Jg. Juli/August 1948, S. 35-38 (Peter Schneider: „Verweht und vertragen“). 12 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Ober- und Mittelfranken, Ansbach. 16. Jg. Nr. 5 vom 3.5.1948. Anstellung von Flüchtlingslehrern ins Beamtenverhältnis. RE. v. 12.4.1948 Nr. 1191 f 26. 13 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Schreiben des Bezirksschulrats in Wunsiedel am 21.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfranken. RE. Nr. 1094 a 23 v. 13.3.1947. Berichterstattung über die Flüchtlingslehrer. 14 Ebda., Schreiben des Schulrats des Kreises Schwabach am 31.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mit- telfranken.

187 mit Grammatik und Orthographie auf dem Kriegsfuß stünden, und die „schwer ver- ständliche Sprache“ derer aus Norddeutschland.15 Auch der Schulrat des Landkreises Pegnitz meldete die schwierige „Einbayerung“ (sic!) der nord- und nord-ostdeutschen Flüchtlinge, deren preußische „Lebens- und Sprachform“ die Eingliederung in die beste- henden Verhältnisse erschwere, da sie offensichtlich auch eine bessere Lebenshaltung gewöhnt waren.16 Übel vermerkt wurde im Schulamt Hof, daß ein Flüchtlingslehrer sofort eine Schulleiterstelle forderte mit der Begründung, daß er aus einem Land komme, „dessen Schulwesen fortschrittlicher sei als das bayerische (Preußen!) ...“17 Manche sähen in ihren Schulstellen eine „Melkkuh“ und forderten Lebensmittel über das ihnen zustehende Maß,18 andere seien zu anspruchsvoll bei der Auswahl der Schul- stellen, die „selbst nach bayerischen Begriffen“ gut seien; aber sie vermuteten zu viel Arbeit.19 Der Stadtschulrat von Bayreuth vermißte die Berufsbegeisterung,20 und sein Kollege aus Bamberg befürchtete „Minderleistungen im Deutschen“ in den Unterklas- sen wegen der anders klingenden Dialekte21. Aus dem Landkreis Bamberg kam sogar die Beschwerde wegen der „unartikulierten Aussprache“ der Schlesier.22 Eine besonders interessante Berichterstattung lieferte der Schulrat aus Ebermannstadt: „Er (der ‚Neubürger-Lehrer‘!) muß sich klar darüber sein, daß er sich in unser Volkstum ein- schmelzen lassen muß, daß er jedoch nie dazu berufen ist, unser Volkstum umzuschmel- zen. Volkstum, Mundart, Sitte, Brauch und tiefreligiöses Empfinden sind Werte an sich, ... denen er sich je früher desto besser unterwirft ... Lehrer aus anderen Stammländern (Schlesien, Berlin usw.) wollen meist bei uns Bayern Heilverkünder und Beglücker wer- den, spielen sich als wortbeschlagene Besserwisser auf, verletzen unser Volksempfinden und werden deshalb mit Recht abgelehnt, sofern sie es nicht verstehen, um der nahrhaften Vorteile willen, sich meisterhaft zu beherrschen.“23 Diese Berichterstattung erinnert peinlich an die gerade überwundenen zwölf Jahre, in denen unliebsame Randgruppen in dieser Art beschrieben wurden. Diesem Schulrat wäre nach Unterwerfung, Verletzung des gesunden Volksempfindens, Ablehnung durch das Volk und Verstellung die „Aus- merzung“ vielleicht willkommen gewesen. Jedenfalls bezeugt sein Bericht, daß die Behauptung, man habe nach dem Zusammenbruch mit der Stunde Null angefangen, auch hier nicht zutraf.

15 Ebda., Schreiben des Bezirksschulrats in Rothenburg o. T. am 31.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mit- telfranken. Derselbe Schulrat nahm aber bereitwillig sudetendeutsche Lehrer auf; bot z.B. dem Flüchtlings- lehrer Gläsel aus Asch, der in Schöllkrippen b. Aschaffenburg Aufnahme gefunden und 10 Gesuche um Wie- deranstellung an verschiedene bayerische Gemeinden geschickt hatte, schon im März 1946 vier Schulstellen zur Auswahl an. Und er nahm ihn am 26.3.1946 als Lehrer a. DV. in Dienst, obwohl Gläsel erst 1947 durch Weihnachtsamnestie entnazifiziert wurde. (Gespräch mit Herrn Alfred Gläsel, Neusitz). 16 Ebda., Schreiben des Schulrats Sarmatzki des Landkreises Pegnitz am 31.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfranken. 17 Ebda., Schreiben des Schulamtes Hof am 27.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfranken. 18 Ebda., Schreiben des Bezirksschulamtes Neustadt a. d. Aisch am 31.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfranken. 19 Ebda., Schreiben des Bezirksschulrats Feuchtwangen am 27.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mittel- franken. 20 Ebda., Schreiben des Stadtschulrats von Bayreuth am 27.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfran- ken. 21 Ebda., Schreiben des Stadtschulamtes Bamberg am 29.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfran- ken. 22 Ebda., Schreiben des Schulrats des Landkreises Bamberg am 3.4.1947 an die Regierung von Ober- und Mit- telfranken. 23 Ebda., Schreiben des Schulrats von Ebermannstadt am 29.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mittel- franken.

188 Aber auch weniger drastisch formulierte Aussagen über Flüchtlingslehrer ver- hehlten in ihrem Grundtenor nicht ein latentes Mißtrauen, das sich z.B. in der Forderung des Regierungspräsidenten von Mittelfranken, Schregle, zeigte, daß es „dringend erfor- derlich“ sei, nicht nur die jungen Lehrkräfte, sondern auch die Flüchtlingslehrer „dau- ernd unter einer gewissenhaften Aufsicht und wohlwollenden Führung (zu) ... halten ...“24 Und selbst der Kultusminister konnte nicht umhin zu bemerken, daß so viele Flüchtlingslehrer „um die Genehmigung zur Übernahme von Nebenämtern wie Gemeindeschreiberei und Organistendienst“ nachsuchten,25 wobei vor allem letzterer traditionell zum Aufgabenbereich des Dorflehrers zählte und eigentlich nicht einzusehen war, warum nicht auch ein Flüchtlingslehrer diese Tätigkeit ausüben sollte. Hundham- mer witterte wohl ein Hereindrängen in Bereiche, die er lieber in den Händen der Einhei- mischen sah. Jedenfalls ordnete er an, daß eine Genehmigung nur dann widerruflich erteilt werden dürfe, „wenn durch eingehende Erhebungen“ festgestellt worden sei, „daß ... kein geeigneter anderer Bewerber zur Verfügung“ stehe.26 Seine kultusministeri- elle Entschließung begann mit den Worten: „Es fällt auf ...“, eine Formulierung, die es ihm ersparte, denjenigen zu nennen, dem es aufgefallen war, und die den Flüchtlings- lehrern klarmachte, daß sie beobachtet wurden. Auf die Idee, daß der Organistendienst noch etwas Geld brachte, wenn ein befristeter Dienstvertrag in der Schule abgelaufen war, schien der Minister nicht gekommen zu sein. Er sah auch nicht, daß durch diese Abschottung eine schnellere Integration gehemmt wurde. Versammlungen eigens für Flüchtlingslehrer waren ebenfalls nicht gern gesehen. Man erwartete von den Lehrern „das ehrliche Bestreben ... sich möglichst bald in die Verhältnisse der neuen Heimat einzuleben und mit den bayerischen Stammlehrpersonen so zusammenzuarbeiten, daß eigene Flüchtlingslehrerversammlungen recht bald gänz- lich entfallen“ könnten.27 In der Berichterstattung über Flüchtlingslehrer finden sich aber auch Hinweise auf „strebsame, fähige Flüchtlingslehrer, die alles daran setzen ..., die Kinder zu verste- hen“,28 die beachtliche künstlerische Begabung und Geschicklichkeit im Kunsthandwerk hätten,29 die, und zwar die Sudetendeutschen, eine „unverkennbare Verwandtschaft mit dem österreichischen Menschen“ hätten, besondere Herzensbildung, ein sonniges Wesen und eine weiche Gemütsveranlagung besäßen und „beste deutsche Stammes- veranlagung“ repräsentierten.30 Das Mißtrauen, das besonders den Norddeutschen aus der Bevölkerung entgegengebracht werde, habe weniger mit dem Flüchtlingsstatus zu tun, sondern beruhe auf dem traditionellen Gegensatz zwischen Preußen und Bayern,31 und man könne feststellen, „daß das, was man in früheren Jahren nie für möglich gehalten hätte, nämlich, daß sich bayerische Eltern gefallen lassen, ihre Kinder zu einem

24 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 213. Tagung der Regierung von Oberfranken und Mit- telfranken am 4.8.1947 in Dinkelsbühl. Anwesend: Regierungspräsident Schregle, Herren der Regierung, sämtliche Oberbürgermeister, Landräte und Presse. 25 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 16. Jg. Nr. 8 vom 1.8.1948, S. 55. KME. v. 21.6.1948 Nr. IV 19663. 26 Ebda. 27 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 15. Jg. Nr. 11 vom 25.11.1947, S. 68. 28 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Schreiben des Stadtschulamtes Bamberg am 29.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfranken. 29 Ebda., Schreiben des Schulrats von Gunzenhausen am 1.4.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfran- ken. 30 Ebda., Schreiben des Stadtschulamtes Bamberg am 29.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfran- ken. 31 Ebda., Schreiben des Bezirksschulrats in Feuchtwangen am 27.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mit- telfranken.

189 ‚Preußen‘ in die Schule schicken zu müssen, heute anstandslos in Ordnung“ gehe.32 Der Schulrat des Landkreises Pegnitz lobte die 44 Flüchtlingslehrer seines Bezirks (das waren 2/3 des Lehrpersonals, und sie kamen aus der CSR, West- und Ostpreußen, Posen, Nieder- und Mittelschlesien, Ostpreußen, Karpatho-Rußland, Siebenbürgen, Österreich und der russischen Besatzungszone) als „allesamt arbeitsfreudig und pädagogisch vorgebildet“. Sie würden „unter außerordentlich kritischer und oft nicht gerade freundlicher Kontrolle einer Einwohnerschaft arbeiten ..., die an und für sich den Flüchtlingen ... sehr unfreundlich gegenübersteht, und dazu sehr oft von den ... entlassenen Lehrkräften des Dienstortes und dem Anhang derselben einer geradezu gehässigen Beobachtung und Bekämpfung ausgesetzt sind“.33 Wenn nur erst die Ernährungs- und Wohnungssituati- on verbessert sei, die sich derzeit lähmend auf die Arbeitsfreudigkeit auswirke, und wenn der Mangel an Büchern behoben sei, dann könne man in den meisten Fällen ein Heimischwerden und eine „Einbürgerung im geistigen Sinne in absehbarer Zeit“ erwarten. Außerdem müsse man den Flüchtlingslehrern die Gewißheit geben, daß sie nicht nur als vorübergehende Aushilfe, sondern gleichberechtigt mit den einheimischen Lehrern im Schuldienst eingesetzt würden.34 Es gab also auch Beispiele dafür, daß die Qualifikation der Flüchtlingslehrer anerkannt und als Bereicherung für die vorhandene Schullandschaft angesehen wurde.

5.2.4. Regionaler Austausch und die Zentralstelle für Flüchtlingslehrer

Da aber nicht nur die Entnazifizierung der einheimischen Lehrer, sondern auch die nach der Verfassung geregelte Beachtung der Konfessionen bei der Anstellung zu einem Überhang an Flüchtlingslehrern führte, konnte die Forderung nach Einstellung aller nicht leicht erfüllt werden. Man versuchte, unter den Regierungsbezirken Lehrer auszutauschen, da z.B. in Franken ein Mangel an evangelischen Lehrkräften bestand, während im südbayerischen Raum ein Überschuß herrschte.1 Andere Bundesländer hatten ähnliche Probleme. Im März 1947 richtete das Kultministerium in Stuttgart eine Anfrage an die Amtskollegen in München, ob man nicht sudetendeutsche und ungarndeutsche katholische Lehrer aufnehmen und dafür evangelische abgeben könne, da die Unter- bringung „der noch zu Hunderten vorhandenen katholischen Bewerber ein unlösbares Problem“ darstelle.2 Zu dem Zeitpunkt versuchte man in Bayern aber noch, durch Tausch innerhalb des Landes die eigenen Probleme in den Griff zu bekommen. Eine glei- chermaßen abschlägige Antwort erhielt auch der Evangelische Kirchenrat Stuttgart vom bayerischen Evang.-Luth. Landeskirchenrat, der durch Lic. Schmidt mitteilte, daß der innerbayerische Tauschversuch begrüßt werde, und zwar im Interesse der evangelischen Schüler. Werde nämlich der Austausch zwischen Bayern und Württemberg in die Wege geleitet, „so würde vermutlich in gewissen streng katholischen Kreisen die Bereitschaft

32 Ebda., Schreiben des Bezirksschulrats Unger aus Rehau am 31.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mit- telfranken. 33 Ebda., Bericht des Schulrats des Landkreises Pegnitz am 31.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mittel- franken. 34 Ebda., Schreiben des Schulrats in Coburg I am 31.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfranken. 1 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Schreiben Nr. 6267 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats München am 8.6.1947 an den Evang. Oberkirchenrat, Stuttgart. Betreff: Austausch von Flüchtlingslehrern. 2 BayHStA München. MK 52193. Schreiben des Kultministeriums Stuttgart am 21.3.1947 an das Bayer. Staats- ministerium für Unterricht und Kultus; LKAN. LKR VI 1100a (3064). Schreiben Nr. A.6143 des Evangelischen Oberkirchenrats, Stuttgart, am 16.5.1947 an das Evang.-Luther. Landeskirchenamt München.

190 bestehen, die evangelischen Lehrer ohne Rücksicht auf die starken Minderheiten von evangelischen Schülern abzustoßen. Im Ergebnis würde es so zu einem ausgesproche- nen Mangel an evangelischen Lehrkräften kommen“.3 Die Schwierigkeiten, die sich aus der Wiedereinführung der Bekenntnisschulen in Bayern ergeben sollten,4 wurden hier sehr deutlich: Auf evangelischer Seite herrschte die latente Furcht vor der Übermacht der katholischen Kirche, der man immer wieder entgegenarbeiten wollte. Auch andere Bun- desländer schienen in Bayern die rein katholische Macht zu sehen, denn z.B. Hessen und Schleswig-Holstein boten ihre katholischen Flüchtlingslehrer an. Während man in Hes- sen dafür evangelische Kräfte aus Bayern übernehmen wollte,5 sprach der Minister für Volksbildung in Schleswig-Holstein von der Überführung einer beschränkten Anzahl katholischer Lehrkräfte nach Bayern. Er begründete sein Ansinnen damit, daß in seinem Land 48 % aller Lehrerstellen mit Flüchtlingen besetzt seien und in rein evangelischen Gemeinden Schwierigkeiten bestünden, katholische Lehrer unterzubringen, die sich größtenteils dort auch nicht wohlfühlten.6 Das Bayerische Staatsministerium lehnte am 21. Juli 1948 mit der Begründung ab, daß noch ca. 2000 Flüchtlingslehrer in Bayern nicht in Dienst gestellt seien. Inzwischen hatte sich in Hannover die Zentralstelle für Flüchtlingslehrer (ZfF) etabliert, die zunächst dem Zonenerziehungsrat der britischen Zone beigeordnet war, später jedoch die Vermittlung von Flüchtlingslehrern in alle Bundesländer organisierte. Die Zentralstelle arbeitete in der Folgezeit in Sarstedt bei Hannover, bis die Bundesaus- gleichstelle in Köln sie im Jahr 1952 ablöste.7 Mit einem ihrer ersten Schreiben an das Kultusministerium in München nahm sie die bayerischen Besonderheiten bei der Behandlung der Flüchtlingslehrerfrage aufs Korn. Häufig, hieß es da, bäten die Lehrer um eine Schulstelle in der britischen Zone mit der Begründung, daß sie in Bayern keine Aussicht auf Anstellung hätten, da bereits 10 % mehr Flüchtlingslehrer angestellt seien, als es der Zahl der Flüchtlingskinder ent- spreche. Außerdem würden sie von den bayerischen Behörden abgewiesen, da die „Erhaltung der bayerischen Eigenart ... nicht durch zu starke norddeutsche Überfrem- dung gefährdet werden (dürfe)“ und „Schlesier und Ostpreußen ... in die britische Zone (gehörten) und ... durch die Länder des ehemaligen Preussens untergebracht werden“ müßten.8 Gegen diese Begründung verwahrte sich die Zentralstelle, da in der britischen Zone die Herkunft der Flüchtlingslehrer keine Rolle spiele, viel mehr Flüchtlingslehrer eingestellt seien, als nach dem Verhältnis zu den Flüchtlingskindern möglicherweise erforderlich, und schließlich das Problem der Überfremdung der einheimischen Bevölkerung durch die Flüchtlinge in allen Ländern, am stärksten wohl in Schleswig-Holstein und Nie- dersachsen, vorhanden sei. Das sei aber „eine Folge des verlorenen Krieges“, und alle Länder hätten sich „mit der Tatsache der allmählichen Wandlung des Volkscharakters abzufinden“.9

3 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Schreiben Nr. 6267 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats München am 8.6.1947 an den Evang. Oberkirchenrat in Stuttgart. Betreff: Austausch von Flüchtlingen. 4 siehe S. 485-499. 5 BayHStA München. MK 62001. Schreiben des Hessischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 6.7.1948 an das Bayerische Kultusministerium. Betreff: Austausch von Flüchtlingslehrern nach konfessionel- len Gesichtspunkten. 6 Ebda., Schreiben der Landesregierung Schleswig-Holstein, Minister für Volksbildung, am 1.7.1948 an den Kultusminister in Bayern. Betreff: Unterbringung von Flüchtlingslehrern. 7 Ebda., MK 52194. Bekanntmachung der Zentralstelle für Flüchtlingslehrer am 27.2.1952. 8 Ebda., MK 62001. Schreiben des Zonenerziehungsrats, Zentralstelle für Flüchtlingslehrer der britischen Zone, Hannover, am 30.7.1948 an das Kultusministerium in München. 9 Ebda.

191 Die Ständige Konferenz der westdeutschen Kultusminister stimmte auf ihrer Tagung am 17. und 18. Oktober 1949 der Erweiterung des Arbeitsgebietes der Zentralstelle für Flüchtlingslehrer auf die Länder der amerikanischen und französischen Zone zu. In der britischen Zone hatte sie bereits 22 000 Flüchtlingslehrer in Schulstellen einweisen können, wobei diejenigen, die erst nach dem 1. April 1948 in das Bundesgebiet einge- wandert waren oder deren Schulstelle in einem Bereich lag, der noch unter deutscher Verwaltung stand, erst an zweiter Stelle vermittelt wurden.10 Die Zentrale konnte auch nur Dienstverträge versprechen, da die Beamtenrechte der Flüchtlinge ruhten; die ein- zelnen Bundesländer betrachteten sich nicht als Rechtsnachfolger des Reiches. Die ZfF beschrieb ihre Aufgaben folgendermaßen: Lehrkräfte für höhere Schulen wurden in einen Katalog aufgenommen, „der allen zuständigen Schulaufsichtsbehörden zugeleitet und laufend ergänzt“ werden sollte. Lehrkräfte berufsbildender Schulen informierte man über freie Stellen, die die Schulträger der ZfF meldeten. Volks- und Mittelschulleh- rer wurden in eine Bewerberliste aufgenommen und den Regierungen nach Bedarf zur Einstellung überwiesen. Die Zentralstelle versicherte den Bewerbern, alles zu unterneh- men, um Härten zu vermeiden und die Gleichstellung mit den einheimischen Lehrern zu erreichen.11 Sie hatte es sich z.B. auch angelegen sein lassen, in einem Aufruf an alle in der britischen Zone beschäftigten Lehrer um Spenden zu bitten für diejenigen, die noch stel- lungslos waren. Monatlich 50 Pfennige erbat sie zur „Selbsthilfe der Lehrerschaft“, um „schreiende Not beschäftigungsloser Flüchtlingslehrer lindern“ zu können.12 Der Flüchtlingslehrer Otto B., wohnhaft in Ansbach, wandte sich am 10. Okto- ber 1949 zum ersten Mal an die ZfF. Er war Oberschlesier, evangelisch, als Mitläufer ent- nazifiziert worden und zur Zeit der Antragstellung Lohnbuchhalter bei einer Ansbacher Baufirma; sein monatlicher Verdienst betrug 200 DM. In seinem Lebenslauf beschrieb er seinen schulischen und beruflichen Werdegang, der einmal mehr bewies, daß die Flüchtlingslehrer entgegen der landläufigen Meinung in Bayern eine mindestens ebenso gute Ausbildung hatten wie die bayerischen Lehrer. Nach acht Jahren evangelischer Volksschule war er von 1916 bis 1919 Schüler der Präperantenanstalt in Pless/Oberschle- sien gewesen und hatte dann das Staatliche Lehrerseminar in Kreuzburg/OS. besucht. Die erste Lehramtsprüfung hatte er 1922 abgelegt. Die politischen Verhältnisse in Ober- schlesien - Abtretung Ost-Oberschlesiens an Polen im Oktober 1921, obwohl die Abstimmung ergeben hatte, daß 60 % der Einwohner für ein Verbleiben beim Deut- schen Reich votiert hatten13 - machten B. stellungslos, und er begann eine Bergmanns- lehre. Gleichzeitig war er für den „Deutschen Volksbund“ in Kattowitz tätig und unter- richtete zwei Jahre lang unentgeltlich an der deutschen Minderheitsschule in Laurahüt- te. Am sog. Polen-Putsch im Mai/Juni 1921 nahm B. als Freiwilliger im deutschen Frei- korps teil, optierte gemäß Art. 26 § 1 des deutsch-polnischen Abkommens über Ober- schlesien vom 15. Mai 1922 für die deutsche Reichsangehörigkeit und wurde wieder preußischer Staatsangehöriger.14 Die Entlassung aus dem Minderheitsschuldienst erfolgte sofort durch die Wojewodschaft Kattowitz; B. fand Arbeit bei der „Laurahütte-Siemia- nowitzer Zeitung“ und setzte sich als „aufrechter Deutscher“ im „Deutschen Volksbund für Polnisch-Schlesien“ ein.15 Von März 1925 bis Dezember 1928 besuchte er die

10 Privatarchiv Dietrich B., Ansbach. 11 Ebda. 12 Ebda. Aufruf der Zentralstelle der Flüchtlingslehrer der britischen Zone am 9.7.1949. ZfF. Nr. 402/17. 13 Der illustrierte Ploetz. Weltgeschichte in Daten und Bildern von den Anfängen bis zur Gegenwart. Würzburg 1973, S. 425. 14 Privatarchiv Dietrich B., Ansbach. 15 Ebda.

192 „pädagogische Arbeitsgemeinschaft“ für „deutsche Lehrer vor der Zweiten Lehrerprü- fung“ in Kattowitz und legte dort eine theoretische Abschlußprüfung ab, die u.a. Kenntnisse erforderte über „Schülerpsychogramme“ und „didaktische Prinzipien bei der Vorbereitung auf den arbeitsbetonten Unterricht“. Diese Arbeitsgemeinschaft schien - folgt man den Unterschriften auf der Prüfungsurkunde - eine Einrichtung des Deutschen Lehrervereins zu sein.16 Ab 1927 konnte B. als Lehrer in Beuthen tätig sein, legte 1931 die zweite Lehramtsprüfung ab und wurde 1934 auf Lebenszeit verbeamtet. Unterrichts- erteilung an Berufsschulen war obligatorisch. Zusätzlich war B. von 1936 bis 1939 Prakti- kumslehrer für die Studierenden der Hochschule für Lehrerbildung in Beuthen. Nach kurzer Kriegsteilnahme wurde B. zum „Aufbau des deutschen Schulwe- sens“ nach Laurahütte beordert. Er unterrichtete auch an der „NS.-Volkspflegeschule“ in Michalkowitz und an der bergmännischen Berufsschule. Nach Teilnahme an „Ausrich- telagern für reichsdeutsche Schulleiter“ wurde er am 14. März 1944 zum Rektor ernannt. Seine Ernennungsurkunde enthielt den Satz: „Zugleich darf er des besonderen Schutzes des Führers sicher sein.“17 Das Gehalt betrug netto 533,93 RM. Es bedarf der Kenntnis diese Lebenslaufs, um zu verstehen, daß B. sich schwer tat, sich mit den veränderten Verhältnissen als unerwünschter Flüchtlingslehrer in Bay- ern abzufinden. Immerhin hatte er für das Deutschtum in Oberschlesien gekämpft und von diesem Gesichtspunkt aus die Wiederinbesitznahme durch das zwar nationalsoziali- stische, aber für die Bewohner jener Region willkommene deutsche Reich sicher begrüßt. Und nun mußte er in Ansbach feststellen, daß er selbst unter Deutschen nicht will- kommen war. Er konnte keine Anstellung als Lehrer finden. Zunächst arbeitete er als „Notstandsarbeiter“ am Baukontrollamt in Ansbach. Nach seiner Entnazifizierung am 29. Oktober 1947 - Mitläufer / NSDAP-Mitglied seit 1.5.1937/Geldsühne: 50 RM - arbei- tete er bei einer Baufirma. Durch die Teilnahme an Wochenendkursen, z.B. einem Bie- nenzucht- und einem Hühneraufzuchtlehrgang bei den Landwirtschaftlichen Lehr- und Versuchsanstalten in Triesdorf, nahe Ansbach, versuchte er, weitere Perspektiven der Versorgung zu finden.18 Warum B. in Franken keine Anstellung im Schuldienst fand, obwohl er evange- lisch war, ist aus den Unterlagen nicht ersichtlich. Da er aber Schlesier und als Mitläufer ein- gestuft war, gehörte er nicht zu der Gruppe von Flüchtlingslehrern, die man in Bayern gerne einstellte. Jedenfalls füllte er im Oktober 1949 einen Meldeschein für die Zentralstelle für Flüchtlingslehrer aus. Bayern wurde vom Plenum der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder am 11./12. Februar 1950 neben Schleswig-Holstein und Niedersachsen zum „Abgabe- land“ bestimmt, und so konnten „stellenlose Lehrpersonen“, die zu den Flüchtlingen zählten, ab dem 1. Juni 1950 nicht mehr mit einer Anstellung in Bayern rechnen, son- dern mußten sich durch die ZfF vermitteln lassen.19 „Das mit Flüchtlingen überflutete Bayern“20 gab ab Herbst 1949 bis Anfang März 1951 431 Flüchtlingslehrer an andere Länder ab; aus dem Bezirk Mittelfranken waren es 28, von denen die meisten, nämlich 13, nach Rheinland-Pfalz Baden vermittelt wurden.21

16 Ebda. 17 Ebda. 18 Ebda. 19 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken, Ansbach. 18 Jg. Nr. 6 vom 1.6.1950, S. 39. RE. v. 10.5.1950 Nr. 1191 f 54. 20 Ebda. 21 BayHStA München. MK 52194. Schreiben des Staatsministeriums des Innern, Staatssekretär für das Flücht- lingswesen, am 6.3.1951 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus.

193 Der Flüchtlingslehrer B. bat um Aufnahme in die Bewerberliste der ZfF und fügte den geforderten Unterlagen am 24. März 1950 noch den Satz bei: „Für den Fall, daß berechtigte Wünsche vorzubringen gestattet ist, wäre ich mit Rücksicht auf meine bis- herige Tätigkeit an Schulen des Industriegebietes und bergmännischer Berufsschulen für eine Wiedereinweisung in ein Industriegebiet dankbar.“22 Am 30. März erhielt er den Bescheid, daß er „nach den von der Kultusminister-Konferenz gegebenen Richtlinien zu der Gruppe der bevorzugt zu beschäftigenden Flüchtlingslehrer“ gehöre, und bereits am 14. April teilte ihm die ZfF mit, daß seine Bewerbungsunterlagen der Regierung in Aurich/Ostfriesland zugeschickt worden seien, die beabsichtige, in absehbarer Zeit eine Anzahl von Lehrern einzustellen. Da B. bei der Ansbacher Baufirma beschäftigt war, konnte er die Wiederanstellung als Lehrer finanziell unbedrängt abwarten. Am 1. Juni 1951 wurde er jedoch arbeitslos, da der Firmeninhaber nach Kanada auswanderte. Inzwischen war aber das Gesetz zu Artikel 131 GG. für verdrängte Angehörige des öffentlichen Dienstes wirksam geworden, wonach B. ab 1. Juni 1951 in den Genuß von Überbrückungshilfe von monatlich 115 DM kam.23 Ab November 1951 erhielt er Versor- gungsbezüge24 von zunächst 189,08 DM, dann 202,90 DM und ab Juli 1952 279,34 DM.25 Dieses Übergangsgeld betrug vor Vollendung des 50. Lebensjahres 1/3 des Ruhe- gehalts, nach dem 50. Lebensjahr - und das traf bei B. ab Juli 1952 zu - 1/2 des Ruhege- halts.26 Der Rektor z. Wv. (zur Wiederverwendung) B. erhielt am 20. Juli 1951 vom Regierungspräsidenten in Aurich die Nachricht, daß man ihn unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf in den Dienst des Landes Niedersachsen übernehmen wolle, und zwar in Timmel, Kreis Aurich.27 B. schrieb daraufhin an den zuständigen Schulrat in einer Weise, die heftig mißbilligt wurde. Zwar bat er um nähere Auskünfte über den Ort Timmel, z. B. darüber, ob sein Sohn dort weiterhin ein Gymnasium besu- chen könne, aber ein weiterer Abschnitt des Briefes gab dem Schulrat „nicht den Ein- druck, als ob B. in ostfriesischen Verhältnissen mit der notwendigen Berufsliebe arbei- ten“ werde. B. hatte geschrieben: „Ich habe in den mir zur Verfügung stehenden Atlan- ten und an verschiedenen Landkarten nun versucht, besagten Ort ausfindig zu machen, lei- der vergeblich. Selbst die Bundesbahn war nicht in der Lage, mir eine Aufklärung geben zu können. Nur durch die findige Bundespost, die jede Einöde kennt, erhielt ich Aus- kunft darüber, daß der Ort Timmel ein Örtchen ist, das von der Kleinbahnstation Grosse- fehn aus nach 5 km Fußmarsch zu erreichen ist, und daß dieser Ort bei der Personen- standsaufnahme 1949 ganze 569 Einwohner zählte. Die von mir bis 1945 als Rektor geleitete Gustav-Freytag-Schule in Laurahütte hatte ca. 780 Schüler.“28 Schulrat Christ teilte dem Regierungspräsidenten in Aurich am 28. Juli 1951 mit, daß er es „(b)ei der Art dieser Anfrage ... für richtig (halte), den Lehrauftrag für den Rek- tor z. Wv. B. zurückzuziehen“. B. erhielt vom Regierungspräsidenten die Nachricht, daß er unter Bezugnahme auf dessen Schreiben an den Schulrat den Lehrauftrag für Timmel zurückziehe. Dasselbe wurde auch der ZfF angezeigt.29

22 Privatarchiv Dietrich B., Ansbach. 23 Ebda., FM Bek. vom 11.8.1950 Nr. I 73 939 - A I 479 (B.StAzg. 1950/Nr. 33). 24 Ebda., Rundschreiben der Bundesministerien des Innern und der Finanzen vom 21.5.1951 (Gemeinsames Ministerialblatt S. 123). Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen vom 11. Mai 1951 (Bundesgesetzblatt S. 307). 25 Ebda. 26 Ebda. 27 In B.´s Unterlagen befand sich übrigens auch die „Auskunft aus dem Strafregister der Staatsanwaltschaft zu Berlin“, die der Regierungspräsident in Aurich beim Auslandsstrafregister Berlin beantragt hatte. Also war das nicht ein Verfahren, auf dem nur der bayerische Kultusminister bestand. 28 Privatarchiv Dietrich B., Ansbach. 29 Ebda.

194 B. bat die Zentralstelle noch einmal um die Vermittlung in eine Industrieregion, nachdem er dem Regierungspräsidenten in Aurich geschrieben hatte, daß er ihm „auf- richtig“ danke für die Zurücknahme des Lehrauftrages in Timmel. Der Zentralstelle emp- fahl er, seine Unterlagen „gründlichst“ zu studieren, „damit weitere Fehlzuweisungen“ in Zukunft vermieden würden. Diese Tonart mißfiel beiden Adressaten, und der Auricher Regierungspräsident teilte der ZfF mit, daß er es nicht für vertretbar halte, „die Anmaßungen des Herrn B. ohne weiteres hingehen zu lassen“. Auch die ZfF nahm an dem „anmaßenden und ironischen Schreiben“ Anstoß und informierte B. am 15. August 1951, daß sie „bis auf weiteres von (der) Vermittlung Abstand“ nehme, da er ja „weitere Fehlzuweisungen der ZfF“ befürchte. B. wurde empfohlen, sich selbst um einen Unterbringungsschein zu bemühen, was insofern schwierig sei, als er evangelisch sei und man ihn im Bezirk Aurich in eine der wenigen evangelischen Regionen hätte vermit- teln können.30 B.´s Rechtfertigung an die Zentralstelle konnte diese nicht überzeugen, und sie kündigte am 15. September an, die Vermittlung so lange zurückzustellen, „bis Anforderungen von Regierungen des Industriegebietes“ eingingen.31 B.´s Sohn hat in rückblickender Erinnerung den Eindruck, daß sein Vater sich mit durchaus positiver Einstellung all diesen Schwierigkeiten stellte. Er sei eine Kämpferna- tur und sich seiner Führungsqualitäten bewußt gewesen. Keinesfalls deprimiert, habe er auf die ihm widerfahrenen Zurücksetzungen eher aggressiv reagiert und nicht nachge- lassen, sein Ziel, die erneute Beschäftigung als Rektor, zu verfolgen.32 B. bemühte sich nun selbst um eine Schulstelle, z.B. schrieb er auf eine Anzeige, in der ein Rektor für eine 15klassige evangelische Schule in Lüdenscheid gesucht wurde; bevorzugt sollten „Unterbringungsteilnehmer nach dem Gesetz zu Artikel 131 Grund- gesetz“ eingestellt werden. Auf seinem Schreiben vom 5. Juni 1952 an die Bundesaus- gleichsstelle beim Bundesinnenministerium, der die Zentralstelle für Flüchtlingslehrer angeschlossen worden war, in dem er darum bat, dem Schulamt in Lüdenscheid zuge- wiesen zu werden, fand sich der Vermerk: „bis auf weiteres von Vermittlung zurückge- stellt; unpassendes Verhalten im Schreiben an R.pr. Aurich.“ Die Bundesausgleichsstelle teilte am 18. Juni 1952 mit, daß das Vermittlungsver- fahren sich geändert habe, Einzelzuweisungen nicht mehr stattfänden, vielmehr die noch unbeschäftigten bzw. noch nicht entsprechend ihrem Rechtsstand vom 8. Mai 1945 verwendeten Lehrkräfte in einem von der BAst herausgegebenen Katalog aufge- nommen würden. Der Lehrer müsse dazu einen Unterbringungsschein bei der für seinen Wohnsitz zuständigen Regierung beantragen. Der Katalog werde dann den Schulbehör- den der Bundesrepublik zur Kenntnis bzw. Auswahl der Bewerber zugeleitet.33 B. erhielt vom bayerischen Staatsministerium der Finanzen, Abtlg. „Unterbrin- gungsstelle des Landes Bayern“, am 16. Oktober 1952 seinen „Unterbringungsschein gemäß dem Bundesgesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen vom 11. Mai 1951“. Ein Merkblatt für die „Teil- nahme an der Unterbringung“ wies darauf hin, daß die Dienstherren (Bund, Länder, Gemeinden, usw.) „durch einschneidende Verpflichtungen zu Gunsten der Unterbrin- gungsteilnehmer (gehalten seien) ... möglichst bald die Pflichtanteile am Besoldungsauf- wand und an den Beamtenplanstellen zu erfüllen, sie sind aber bei der Auswahl der Bewerber im einzelnen nicht gebunden“. Auch bestehe kein klagbarer Anspruch auf Wiederverwendung. Neue Planstellen zur Unterbringung würden nicht geschaffen. Für

30 Ebda. 31 Ebda. 32 Gespräch mit Herrn Dietrich B., Ansbach. 33 Privatarchiv Dietrich B., Ansbach.

195 Bayern - so hieß es in dem Merkblatt - seien die Verpflichtungen aus dem Gesetz nahezu erfüllt und Einstellungen in größerer Zahl aus dem Kreis der Unterbringungsteilnehmer nicht mehr möglich. Zumutbare Tätigkeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes in Bayern oder die Umsiedlung in eines der Aufnahmeländer wurden empfohlen.34 Nach erfolgter Aufnahme in den Bewerber-Katalog erhielt B. Anfragen aus ver- schiedenen Städten, z.B. Dortmund, Lüneburg, Münster, Koblenz, Aachen und Ham- burg. Und in Hamburg konnte er schließlich an der Schule am Rhiemsweg als Lehrer im Angestelltenverhältnis mit Sonderdienstvertrag und Besoldung A 4c 2, Endstufe, tätig werden.35 Er wurde „mit dem Ziel der Ernennung zum Beamten a. W. mit Wirkung vom 29. Oktober 1952“ eingestellt. Die Ernennungsurkunde zum Lehrer, unter Berufung in das Beamtenverhältnis, erhielt B. am 10. Februar 1953 und besetzte damit eine Planstel- le.36 Bei Otto B., Rektor aus Oberschlesien, dauerte die Unterbringung im erlernten Beruf relativ lange. Andere Flüchtlingslehrer, die vielleicht weniger anspruchsvoll waren, konnten schneller vermittelt werden. Bis 10. Juni 1951 fanden laut ZfF insgesamt 611 Flüchtlingslehrer, die in Bayern wohnten, in anderen Bundesländern eine Anstellung, davon 494 Lehrer an Volks-, Mittel- und berufsbildenden Schulen und 117 Studienräte. Nordrhein-Westfalen nahm die Mehrzahl auf, dann folgten Rheinland-Pfalz, Niedersach- sen, Südbaden und Württemberg-Hohenzollern. Als stellenlos gab die Zentralstelle noch 1058 zur Vermittlung anstehende, aus Bayern gemeldete, Lehrer aller Schularten an.37 Abgelehnt wurde die Unterbringung von Flüchtlingslehrern, die in Bayern bereits eine Stelle hatten, da die Zahl der Unbeschäftigten noch zu hoch war und außerdem befürchtet wurde, daß die freiwerdende Stelle mit einem Einheimischen besetzt würde.38 Ob dahingehende Anträge von Flüchtlingslehrern gestellt worden waren oder ob vom bayerischen Kultusministerium mit dieser trickreichen Variante versucht worden war, Flüchtlingslehrer loszuwerden, läßt sich aus der vorliegenden Quelle nicht entnehmen. Die Zentralstelle vermittelte auch nur ganz bestimmte Personen, nämlich diejeni- gen, die vom Plenum der Kultusministerkonferenz am 10./11. Februar 1950 als Flücht- lingslehrer definiert worden waren. Der Bewerber mußte seine Schulstelle „durch den Zusammenbruch oder kriegsbedingte Umstände oder nach dem 30. Januar 1933 aus politischen Gründen verloren haben“,39 und er mußte Flüchtling, d. h. Verdrängter oder Ver- triebener sein. Lehrer, deren Schulstelle am 8. Mai 1945 in der russischen Zone lag, sog. „R- Flüchtlinge“, konnten nur dann eingestellt werden, wenn ihnen „im Bundesgebiet Asyl- recht als politischen Flüchtlingen gewährt“ worden war40 und sie eine Bescheinigung der entsprechenden Behörden vorweisen konnten, „daß sie zur Abwendung einer ihnen drohenden Gefahr für Leib und Leben oder für die persönliche Freiheit die Ostzone verlassen mußten“.41 Sie gehörten aber nicht zu den bevorzugt behandelten Lehrern. Auch sog.

34 Privatarchiv Dietrich B., Ansbach. 35 Ebda. 36 Ebda. 37 BayHStA München. MK 52194. Schreiben der Zentralstelle für Flüchtlingslehrer, Sarstedt b. Hannover, am 3.7.1951 an das Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 38 Ebda., MK 52194. Schreiben der ZfF am 11.1.1951 an die Unterrichtsministerien der Länder. 39 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Jg. 1950 Nr. 10 vom 5.8.1950, S. 147. 40 Ebda. 41 BayHStA München. MK 52194. Bekanntmachung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 13.4.1951 Nr. VIII 82 399 über Vermittlungsbestimmungen der ZfF in Hannover. In dieser Bekanntmachung wurde als neuer Stichtag der 23.5.1949 (Tag des Grundgesetzes) angegeben. Das hieß, daß alle Heimatver- triebenen, die bis zu diesem Zeitpunkt ihren Wohnsitz im Bundesgebiet ordnungsgemäß begründet hatten, in die Bewerberliste aufgenommen wurden.

196 Nachzügler, die erst nach dem 1. April 1948 ihren ständigen Wohnsitz in der Bundesrepublik genommen hatten, wurden nicht berücksichtigt, sofern sie keine Spätheimkehrer waren.42 Bei den Lehrern aus der Sowjetzone war man mißtrauisch; einmal bezüglich ihrer zumeist vermuteten ungenügenden Ausbildung,43 aber besonders wegen gearg- wöhnter unlauterer Absichten. Man teilte sie in drei Gruppen ein, wobei man zur ersten Gruppe Leute zählte, die aus Furcht für Leib und Leben hatten fliehen müssen, zur zwei- ten Leute, „die es in der Westzone besser haben“ wollten. Und dann vermutete man als dritte Gruppe Spitzel, „die mit allen nötigen Ausweisen in die Westzone geschickt“ worden waren.44 Daß die Zentralstelle für Flüchtlingslehrer sich um mehr als nur die Unterbrin- gung ihrer Klientel bemühte, zeigt folgende Aktennotiz ihres Leiters: Er wies darauf hin, daß Flüchtlingslehrer aus allen Bundesländern, auch aus Bayern, sich vielfach über die Art der Behandlung durch einzelne Mitarbeiter der Behörden beschwerten. Er bat darum, mehr Rücksicht walten zu lassen, „da die Leute seit fünf Jahren ohne Verdienst leben müssen“.45 Solche Hinweise bezeugen doch, wie ernst bundesweit das Problem der Flüchtlingslehrer genommen wurde.

42 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Jg. 1950 Nr. 10 vom 5.8.1950, S. 147. 43 vgl. Brigitte Hohlfeld, passim. 44 BayHStA München. MK 52194. Gesamtdeutsche Erziehungsprobleme. Bericht der Abt. II, gez. Karnbaum, vom 28.8.1952. Tagung des Schulausschusses der Ständigen KMK am 22./23.8.1952. 45 Ebda., MK 52199. ZfF. Aktenvermerk über Besprechung des Leiters der ZfF, v. Radecki und Min. Dir. Dr. J. Meyer am 22.7.1950 im Bayer. Staatsmin. f. Unterricht und Kultus.

197 6. DIE SITUATION DER LEHRER IN DEN SCHULEN

6.1. ÄUßERE GEGEBENHEITEN

Zu den Vorstellungen, Pläne und Zielsetzungen der Amerikaner, die sie für die Behandlung des besiegten Deutschlands hegten, gehörte im Besonderen die Absicht, der Jugend die demokratische Lebensweise nahezubringen.1 Dazu waren natürlich Erzieher notwendig, die diesen demokratischen Geist auch vermitteln konnten. Die Ungeeigneten hatte man durch die Entnazifizierung - so glaubte man - entfernt, und geblieben waren die Unbelasteten und somit auch demokratisch Gesinnten. Wo diese nicht ausreichten, versuchte man, den riesigen Kahlschlag durch Ersatz- und Aushilfs- kräfte zu ersetzen, auf deren demokratischen Aufbauwillen man hoffte. Sicher gab es viele tausend Lehrer, die nach zwölf Jahren Zwang und Unter- drückung mit großer Energie den Neubeginn wagten. Zahlreich sind die Zeugnisse, die von enormer allgemeiner Aufbruchstimmung sprechen, von Optimismus und Opferbe- reitschaft,2 obwohl die Annäherung an eine demokratische Lebensweise nicht einfach war, denn es hatte sie in den Schulen in Deutschland weitgehend nicht gegeben.3 Auch die- jenigen, die nicht explizit Gegner des Nationalsozialismus gewesen waren, nach dem Zusammenbruch aber unbelastet an die Schule zurückkehrten, und auch junge Leute konnten die Zielsetzung, Schule zu demokratisieren, unterstützen. Die äußeren Gege- benheiten hierfür waren jedoch denkbar ungünstig, und zwar so sehr, daß die amerika- nische Erziehungskommission für Deutschland in ihrem Bericht vom September 1946 die Frage stellte, wie die überlasteten deutschen Lehrer die physische Kraft finden soll- ten, „sich mit frischem Mut hineinzuwagen in jene Wildnis von Dunkelheit und Unsi- cherheit, als die die neue geistige Welt“ ihnen erscheinen mußte.4

6.1.1. Ernährung und Wohnverhältnisse

Der physischen Beschaffenheit der Beamten und Angestellten war in der Tat von der amerikanischen Militärregierung wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Das bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hatte mit Ent- schließung Nr. B 174/46 vom 20. Mai 1946 das „Handbuch über berufliche Einstufung“ herausgegeben, das laut Entschließung Nr. A/II 260/46 vom 10. August 1946 auch von OMGUS genehmigt worden war. Darin hieß es, daß die geistige Arbeit für eine Zulagen- gewährung an Lebensmitteln ausscheide.5 Das bedeutete, daß dem „geistig schaffen- den Menschen“ 900 Kalorien täglich zugestanden wurden.6 Der Unterschied zwischen der Zuteilung für „Normalverbraucher“ und der für „Schwerarbeiter“ (erste bzw. vierte von fünf Kategorien) war beträchtlich. So erhielt der Normalverbraucher z.B. in der 101. Zuteilungsperiode 4000 g Brot, 150 g Fett, 600 g Fleisch und 600 g Nährmittel, der

1 siehe S. 15. 2 Gespräch mit Frau Anni Sand, Ansbach und Herrn Kurt Gemählich, Nürnberg. 3 Gespräch mit Herrn Prof. Glöckel, Nürnberg. 4 Erziehung in Deutschland, S. 17. 5 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Entwurf einer Eingabe an das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sowie an das Staatsministerium für Arbeit um Gewährung von Lebensmittelzulagen für Beamte und Angestellte. Eingereicht vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund Nürnberg. o. D. 6 Ebda.

198 Schwerarbeiter 10 000 g Brot, 550 g Fett, 1400 g Fleisch und 2600 g Nährmittel.7 Die Entschließung Nr. A/II 244/46 des Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 26. Juli 1946 enthielt jedoch eine Abänderung des Passus, daß die „in der Liste nicht aufgeführten Arbeitergruppen ... für die Gewährung von Zulagen nicht berück- sichtigt werden können ...“8 Nun hieß es: „Die folgenden Listen enthalten keine erschöpfende Auskunft der Arbeitergruppen oder Tätigkeiten, für welche Lebensmittel- zulagen gewährt werden können ...“9 So waren also nicht aufgeführte Gruppen nicht mehr von vornherein von Zulagen ausgeschlossen, und auf diese Tatsache stützten sich dann viele der Gesuche, die eine Lebensmittelzulage für „geistige Arbeiter“ erbaten. Ärzte und das gesamte Hilfspersonal im Gesundheitswesen hatten allerdings Anspruch auf Zulagen.10 Die amerikanische Erziehungskommission gab im September 1946 als Normal- verbraucherration 1300 Kalorien pro Person und Tag an und meinte, daß auch eine für Oktober angekündigte Erhöhung auf 1550 Kalorien nicht ausreiche, „um ein Volk bei guter Gesundheit zu erhalten“.11 Ein Jahr später schien sich die Lage der geistigen Arbeiter aufgrund der schlechten Kartoffelernte noch mehr zugespitzt zu haben. Jedenfalls erhielt der Regierungspräsi- dent in Ansbach von Schulrat Barthel in Nürnberg den dringenden Hinweis, daß er nicht wisse, wie der Großstädter den herannahenden Winter und Frühling überstehen solle.12 Der unmittelbare Anlaß für diesen Brief war der „Notschrei“ eines Nürnberger Lehrers, der dem Schulamt mitteilte, daß der Fett- und Eiweißmangel beim Normalverbraucher zu einem „katastrophalen Abnehmen der Gedächtniskraft, zu Körperschwäche, Schweiß- ausbrüchen während des Unterrichts, Schwächung der Herzkraft, Hungerkoliken“ und natürlich Untergewicht führe. „Hunger und nochmals Hunger sei die Losung“ beson- ders der Flüchtlingslehrer, die keine Beziehungen zum Land hätten und denen in diesem Jahr das Hauptnahrungsmittel Kartoffeln fehle. Behörden und die amerikanische Militär- regierung müßten darauf hingewiesen werden, daß „jegliches geistiges Leben“ zum Erliegen komme. Um die Teilnahme der Lehrer an der Schulspeisung wurde gebeten.13 Diese Bitte vertrat auch die FDP in ihrem Antrag an den Bayerischen Landtag, da „der Unterricht infolge des Absinkens der Spannkraft der Lehrenden notleide(t) oder infolge von Schwächeanfällen unterbrochen werden“ müsse, und das in beunruhigendem Aus- maße.14 Der Ministerialbeauftragte für die höheren Schulen in Ober- und Mittelfranken konstatierte, daß die „pflichtgetreuen Lehrkräfte“ oft „mit dem Aufgebot ihrer letzten Kraft“ arbeiteten. Er forderte Ernährungszulagen, denn immerhin bestimmten doch die Leh- rer Geist und Erfolg der Erziehungsarbeit, und sie seien weder gewillt noch in der Lage, „sich des schwarzen Marktes zur Besserung ihrer Lebenshaltung zu bedienen“.15 Er sowie Vertreter anderer Schularten forderten, da die Lehrer beauftragt seien, die Durch- führung der Schülerspeisung zu überwachen, sie auch daran teilnehmen zu lassen. Es sei zwar begrüßenswert, daß die bayerischen Schüler eine - wenn auch unbefriedigende -

7 Ebda. Eine Zuteilungsperiode entsprach etwa einem Monat. 8 Ebda. 9 Ebda. 10 Ebda. 11 Erziehung in Deutschland, S. 13. 12 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Schreiben des Stadtschulamts Nürnberg am 5.9.1947 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. 13 Ebda., Schreiben des Lehrers E. Hlubek, Nürnberg, am 3.9.1947 an das Stadtschulamt Nürnberg. 14 ACSP München. NL Seidel. Beilage 842. Antrag der FDP vom 12.11.1947. 15 BayHStA München. MK 52543. Bericht des Ministerialbeauftragten für Ober- und Mittelfranken, Dr. Cramer, am 28.5.1947.

199 Gewichtszunahme verzeichnen könnten; aber eine Gewichtskontrolle der Lehrer, „die leider nicht angeordnet ist, dürfte noch wesentlich ungünstigere Ergebnisse zu Tage för- dern“.16 Die Lehrkräfte erhielten jedoch, obwohl sie von amtlicher Seite verpflichtet wurden, das Einnehmen des „verabreichte(n) Essen(s) in den Schulräumen zu beaufsich- tigen“,17 nicht die Erlaubnis, daran teilzunehmen, auch die „Beteiligung von Lehrkräften oder deren Familienangehörigen an der Zubereitung der Speisen“ war nicht erwünscht.18 Begründet wurde das Verbot der Teilnahme damit, daß 695 000 Portionen für ganz Bayern ausgegeben werden könnten, die nicht einmal für die speisungsbedürfti- gen Kinder ausreichten.19 Eine gemeinsame Eingabe der Schulleiter der Stadt Kulmbach ver- deutlichte die ihrer Meinung nach ungerechte Behandlung der Lehrer. Sie argumentier- ten, daß aufgrund der schlechten Ernährungslage die Arbeitszeit allgemein auf 40 Stun- den herabgesetzt sei, auch für Arbeiter, die im Besitz der Teilschwerarbeiterkarte oder der Schwerarbeiterkarte seien, während Lehrer ohne Zusatzkarten den „friedensmäßi- gen Mindestsatz“ von 30 Stunden abzuleisten hätten. Es sei ungerecht, angesichts der Nervenbelastung „die volle Friedensleistung bei einer derart verringerten Nahrung zu verlangen, wie sie den geistigen Arbeitern zugeteilt wird“. Sie forderten daher eine Kür- zung des Pflichtstundenmaßes auf 25, wobei die Lehrer immer noch schlechter dran sein würden als die Arbeiter, da diese auch bei gekürzter Arbeitszeit ihre Zulagenkarten behielten.20 Das Schulamt Kulmbach unterstützte die Bitte und begründete das damit, daß die „Tätigkeit des Lehrers ... aufreibender als reine Büroarbeit“ sei, „übergroße Klassen“ müßten in „dumpfen, gesundheitsschädlichen“ Räumen unterrichtet werden, Doppelführung und Abteilungsunterricht seien eine außerordentliche Belastung, die „Veränderungen in der psychologischen und soziologischen Struktur der Schüler“ erfor- derten vor allem für die Aufrechterhaltung der Disziplin ein gesteigertes Maß an Ener- gie. Die ernährungsmäßige Einstufung zumindest in die Gruppe der Normalarbeiter wurde gefordert, ebenso das verminderte Stundenmaß.21 Stadtschulrat Barthel aus Nürnberg bat in einem Schreiben an das Kultusministe- rium um eine Lebensmittelzulage für Lehrer, deren Kräfteverbrauch durch das Unterrichten „von 50-100 unruhigen, nervösen, rasch ermüdenden, seelisch ... ungünstig beeinfluß- ten Kindern“ größer sei als bei jedem anderen Beruf. Die psychische und physische Bela- stung sei sehr hoch, das Elternhaus gewähre keine Unterstützung, der Kampf mit den Schulversäumnissen, die umfangreichen Korrekturen bei Abteilungsunterricht, die Mitar- beit bei Untersuchungen, das Messen und Wiegen der Schulkinder, das Überwachen der Schülerspeisung - all das bedeute eine ungeheure Nervenbelastung, und es mehrten sich die Fälle, daß Lehrer „mitten im Dienst“ zusammenbrächen.22 Diese Eingabe wurde zur

16 Ebda., Bericht des Ministerialbeauftragten für Ober- und Mittelfranken am 27.9.1947 über den Stand des höheren Schulwesens; ebda., März-Bericht 1947, Oberfranken und Mittelfranken, für alle Schulen, an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 17 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Jg. 1947 Nr. 8 vom 13.6.1947, S. 61. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 29.5.47 Nr. IV 21631. 18 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken. Ansbach. 15. Jg. Nr. 6 vom 10.6.1947, S. 34 f. RE. v. 4.6.47 Nr. 1094 a 56. 19 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten am 14.7.1947 an Frl. Paula Neumaier, Bad Reichenhall; Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken. Ansbach. 15. Jg. Nr. 10 vom 20.10.1947, S. 62 f. E. des Bayer. Staatsmin. f. Ern., Landw. u. Forsten vom 14.7.1947. LG Nr. 99/47. 20 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Schreiben der Schulleitungen der Stadt Kulmbach am 15.9.1947 an das Schulamt Kulmbach und Oberbürgermeister Hagen. Betreff: Stundenmaß der Lehrkräfte. 21 Ebda., Schreiben Nr. 330 des Bezirksschulamts Kulmbach am 6.10.1947 an die Regierung von Ober- und Mit- telfranken. 22 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Schreiben des Stadtschulamts Nürnberg am 19.6.1947 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betrifft: Lebensmittelzulagen für Lehrkräfte.

200 Kenntnis genommen, mehrere diesbezügliche Anträge des Bayerischen Lehrervereins wurden abgelehnt.23 Auch im Jahr 1948 wurde die „jämmerliche Ernährungslage“ beklagt, die man als Hauptursache für die häufige Erkrankung der Lehrer ansah.24 Besonders enttäuscht waren die Lehrer, wenn ihre Vorstellungen beim Kultusministeri- um keine Beachtung fanden, nicht einmal beantwortet wurden. Sie beklagten die Geringschätzung ihrer Arbeit, verwiesen auf die „Ostzone“, wo Lehrer in der zweiten Kategorie der Versorgungsberechtigten eingereiht waren und argumentierten, daß es beschämend für ein Kulturvolk sei, „wenn qualifizierte Geistesarbeiter als Bettler oder Tauschhändler mit dem Rucksack auf dem Rücken beim Bauern von Türe zu Türe zie- hen“ müßten. Dies sei außerdem eine maßlose Vergeudung an Kraft und Arbeitszeit.25 Gesuche wurden deshalb auch den Parteien, „einem größeren Kreis der deutschen Behörden ... und zahlreichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“ sowie der ameri- kanischen Militärregierung vorgelegt.26 Mehrmals dagegen bestand für das Kultusmini- sterium Veranlassung, darauf hinzuweisen, „daß Lehrkräfte an der Schulspeisung nicht teilnehmen“ dürften.27 Die Behandlung dieser Frage im Bayerischen Landtag machte deutlich, daß nicht aus bösem Willen den Lehrern die Teilnahme an der Speisung verboten wurde, vielmehr reichten die von den Amerikanern „kaufweise zur Verfügung“ gestell- ten Lebensmittel nicht einmal aus, um alle Kinder daran teilhaben zu lassen. Nur etwa zwei Drittel der Schüler könnten bedacht werden. Die Militärregierung habe gegen eine Beteiligung der Lehrer an der Speisung grundsätzlich nichts einzuwenden, aber solange Kin- der diese nicht erhalten könnten, übernähmen die deutschen Behörden nicht die Ver- antwortung für eine Umverteilung; denn die Militärregierung könne nicht weitere Lebensmittel zur Verfügung stellen.28 Die Hochschulspeisung erhielt dagegen die Lebensmittel aus deutschen Beständen, und bis sie wegen der allgemeinen knappen Versorgungslage wieder eingestellt werden mußte, konnten auch die Dozenten, da fast alle Studierenden einbezogen waren, daran teilnehmen.29 Dringende Eingaben von verschiedener Seite klangen allerdings besorgniserre- gend. Die Widerstandskraft der Lehrer nehme - im März 1948 - stärker ab als in den Vormonaten,30 die täglich von weit her angereisten Lehrkräfte seien aufgrund ihres erhöhten Kräfteverschleißes mit ihrer Normalverbraucherkarte besonders benachtei- ligt.31 Der Bezirkslehrerverein Neustadt bei Coburg entschloß sich zu einer Meß- und Wiegeaktion, deren Ergebnis er außer der Regierung von Oberfranken auch der Bayeri- schen Landesregierung und dem Wirtschaftsrat in Frankfurt/Main zukommen ließ. So hatten von den 26 männlichen Mitgliedern 25 ein Untergewicht von 4-32%, von den neun Lehrerinnen hatten sieben ein Untergewicht von 4-23%. Aus eigener Kraft könne ein

23 Mitteilungen des Bayerischen Lehrervereins. München. Jan./Febr. 1948, S. 5 f; Ebda., Nr. 9/10, S. 8. 24 BayHStA München. MK 61319. Schreiben des Regierungspräsidenten in Ansbach am 4.3.1948 an das Staats- ministerium für Unterricht und Kultus. Stand des Volksschulwesens. Stichtag: 15.2.1948. Bezug: ME. v. 18.7.47 Nr. IV 23593. 25 AdsD Bonn. SPD-LTF Bay Nr. 2. Fraktionsunterlagen 5/48. Brief des Ministerialbeauftragten für die höheren Lehranstalten im Reg. Bez. Ober- und Mittelfranken am 26.4.1948 an den Herrn Fraktionsführer der SPD im B. Landtag. 26 Ebda. 27 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Jg. 1948 Nr. 1 vom 8.2.1948, S. 5. ME. v. 7.1.48 Nr. VIII 592. 28 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht Nr. 71. 71. öffentliche Sitzung am 13. Mai 1948, S. 1431 f. 29 Ebda., S. 1432. 30 BayHStA München. MK 61319. Bericht der Regierung von Oberbayern über den Stand des Volksschulwesens am 9.3.1948 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 31 Ebda., MK 53203. Bericht: Wiederaufbau des höheren Schulwesens seit 1945. 8.4.1948, Ref. 7.

201 Lehrer, der in der Stadt unterrichtet, die Verhältnisse nicht ändern, denn einmal fehle das Gehalt, um Schwarzmarktkäufe zu tätigen; er habe außerdem keine „Kompensati- onsobjekte“ zum Tausch; seine besondere Mitarbeit am Kulturschaffen (sic!) des Volkes ließe ihm weder Zeit noch begünstige sie eine Mentalität, „die Voraussetzung ist, um bei obi- gen Geschäften erfolgreich zu sein“.32 Der Bezirkslehrerverein Neustadt sah außerdem seinen Glauben an das demokratische System erschüttert, da er in Erfahrung gebracht hatte, daß sowohl der Bayerische Landtag als auch die bayerische Regierung Lebensmit- telzulagen für die Mitglieder erhielten, „die weit über Schwerabeiterzulagen“ hinaus- gingen, und daß sich der Frankfurter Wirtschaftsrat „als geistig schaffende Körperschaft täglich Zulagen in Höhe von 30 g Fleisch u. a. aus eigener Machtvollkommenheit geneh- migt, Zulagen, die er uns als gleichfalls geistig Schaffende verweigert“.33 Als ausgespro- chene Zumutung empfand die Lehrerin Elisabeth Galitz aus Augsburg, daß Lehrer auch in den Ferien mit hungrigem Magen die Schülerspeisung überwachen sollten.34 Als mit RE. vom 10. November 1948 die Teilnahme der Lehrer an der Schulspeisung in den Regierungsbezirken Oberfranken und Mittelfranken schließlich erlaubt wurde, geschah das mit der Begründung, daß im Rahmen der Studentenspeisung alle Dozenten zugelassen worden waren und nun vom Arbeitsausschuß für Schulspeisung kein Ein- wand mehr erhoben würde, wenn Lehrkräfte gegen Bezahlung auch daran teilhätten. Auf die Gesuche oder den schlechten Gesundheitszustand der Lehrer ging man nicht ein, gab aber folgende interessante Anweisung: „Die Entgegennahme der Speisung muß von Lehrkräften in der selben Form erfolgen wie von Kindern, d. h. Ausgaben in Naturalien oder Sonderabholung zum Verzehr im Lehrerzimmer etc. sind nicht statt- haft.“35 Ob man mit dieser Anordnung von vornherein mißgünstigen Bemerkungen der Bevölkerung begegnen oder sicherstellen wollte, daß die Zuteilung tatsächlich die Schaffenskraft des Lehrers erhielt und nicht seiner hungrigen Familie zugute kam, ist aus der Entschließung nicht ersichtlich. Ebenso problematisch wie die Ernährung war die Unterbringung der Lehrkräfte. Die mangelhaften Wohnverhältnisse wirkten zwar nicht so unmittelbar auf die körperliche Verfassung der Betroffenen, sie hatten jedoch für den Schulbetrieb weitreichendere Konsequenzen. Abgesehen von der Einquartierung von Flüchtlingen und Evakuierten, mußten auch die Ersatzlehrkräfte untergebracht werden, was zu unerquicklichen Ver- hältnissen führte, wenn ein entlassener Lehrer mit Familie nicht aus der Dienstwohnung ent- fernt werden konnte und der neu ernannte zusätzlich in dieser Wohnung untergebracht werden mußte. Häufig gelangten letztere aber gar nicht in den Genuß eines Zimmers, da auch Dienstwohnungen der Kontrolle des Wohnungs- oder Flüchtlingskommissars unterlagen.36 Zwar wurde geltend gemacht, „daß dem Lehrer als geistigem Arbeiter die Möglichkeit einer stillen, unbehelligten Hausarbeit gelassen wird“,37 aber das war wohl illusorisch angesichts der Tatsache, daß 27,9 % der Lehrerwohnungen Notunterkünfte

32 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4519. Schreiben des Bezirkslehrervereins Neustadt b. Coburg am 14.6.1948 an den Wirtschaftsrat in Ffm., die Reg. v. Bayern in München, die Reg. v. Ofr. in Bay- reuth, den Bayer. Lehrerverein in München. 33 Ebda. 34 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1 - 976. Schreiben der Lehrerin Elisabeth Galitz, Augsburg, am 14.7.1948 an Thomas Dehler. 35 Amtlicher Schulanzeiger für die Regierungsbezirke Oberfranken und Mittelfranken. Ansbach/Bayreuth. 16. Jg. Nr. 12 vom 1.12.1948, S. 87. RE. v. 10.11.1948 Nr. 1094 a 147. 36 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4680. Schreiben Nr. 791 des Bezirksschulrats des Land- kreises Nürnberg, Heim, am 25.1.1946 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. Betreff: Lehrerdienst- wohnungen in den ländlichen Schulgemeinden. 37 Ebda.

202 mit nur einem Zimmer waren,38 wobei nicht die Anzahl der Personen in diesem Zimmer genannt wurde. In Nürnberg war die Wohnungssituation jahrelang so schlecht, daß ca. die Hälfte der Lehrer Junglehrer waren, die keine Wohnung beanspruchen konnten, oder sie kamen von auswärts und reisten täglich in die Stadt, wobei in einem Fall das Wort reisen zu Recht benützt wurde, da ein über 60 Jahre alter ehemaliger sudetendeutscher Rek- tor täglich 95 km Weg zurücklegen mußte.39 Wie ein solches Unternehmen aussehen konnte, schilderte Studienprofessor Josef Rosenberger, der, von der amerikanischen Militärregierung als Landlehrer in Riedenheim bei Ochsenfurt a. Main eingesetzt, nach seiner Entnazifizierung vom Realgymnasium Würzburg angefordert wurde. Da im fast völlig zerstörten Würzburg kein möbliertes Zimmer aufzutreiben war, wurde ihm bei der ersten Lehrerkonferenz am 14. Mai 1946 mitgeteilt, er müsse täglich hin- und herfah- ren. Das bedeutete für ihn: Um 4 Uhr aufstehen, eine Stunde zur Bahnstation laufen, mit der Bahn nach Würzburg fahren, dort um 7.30 Uhr ankommen. Abends verließ der Zug um 18 Uhr Würzburg. Nach 2 Stunden Bahnfahrt und einem erneuten einstündigen Fußmarsch war er um 21 Uhr zu Hause, nahm dann sein Abendessen ein und konnte von ca. 22 Uhr bis 4 Uhr früh schlafen. Er meinte, er könne das gesundheitlich nicht durchhalten. Er wolle erst in Würzburg unterrichten, wenn er dort ein möbliertes Zim- mer beziehen könne. Im übrigen würde er gerne in Riedenheim bleiben. Die Leute seien nett, und er habe einen ruhigen Lebensabend.40 In etlichen Fällen beeinträchtigte die prekäre Wohnungslage unmittelbar den Schulbetrieb, wenn nämlich Diensträume entweder mit „schulfremden Personen“, z.B. einem Schuster samt seiner Werkstatt oder mit den unterrichtenden Lehrern belegt wur- den, wie das an der Volksschule Nürnberg-Eibach der Fall war, wo jahrelang das Lehrer- zimmer und das Dienstzimmer des Rektors bewohnt wurden.41 Noch gravierender war die Störung des ordnungsgemäßen Schulbetriebes, wenn die Schulämter die Stellen deshalb nicht besetzen konnten, weil die Unterbringung der Lehrer ein nicht zu lösen- des Problem darstellte.42 Bereits ernannte Lehrkräfte konnten den Dienst wegen fehlender Wohnungen nicht antreten.43 Da schien auch die Anordnung, „daß die Bürgermeister verpflichtet sind, für Aushilfskräfte entsprechende Unterkunft - heizbares mit Beleuch- tung ausgestattetes Zimmer - und ausreichende Verpflegung sicherzustellen,“44 an man- chen Orten nichts genützt zu haben. Es kam aber auch vor, daß ein Bürgermeister sich weigerte, Wohnraum für eine ernannte Lehrkraft bereitzustellen, weil der ganze Ort auf die Rückkehr des entnazifizierten ehemaligen, sehr beliebten Lehrers wartete.45

38 BayHStA München. MK 52543. Bericht des Ministerialbeauftragten für die höheren Schulen für den Regie- rungsbezirk Ober- und Mittelfranken am 28.5.47. 39 Gespräch mit Herrn Kurt Gemählich, Nürnberg; BayHStA München. MK 62115. Schreiben des Stadtschul- amtes Nürnberg am 24.5.1950 an die Regierung von Mittelfranken. Bericht über die Beispielschule Amber- gerstraße, Nürnberg. 40 BayHStA München. MK 52311. Schreiben des Studienprofessors Josef Rosenberger, z. Zt. Landlehrer in Rie- denheim über Ochsenfurt/Main, am 17.5.1946 an Reg. Dir. Karnbaum, München. 41 Ebda., MK 61319. Bericht der Regierung von Oberbayern am 9.3.1948 an das Staatsministerium für Unter- richt und Kultus über den Stand des Volksschulwesens; Stadtarchiv Nürnberg. C 24 SchV Nr. 117, Band 117. Bericht des Rektors der VS Eibach am 18.2.1949. 42 BayHStA München. MK 61319. Bericht der Regierung von Ober- und Mittelfranken am 4.3.1948 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus über den Stand des Volksschulwesens. 43 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4659. Schreiben des Bezirksschulamtes Feuchtwan- gen am 14.8.1947 an die Regierung in Ansbach. Ob die in diesem Schreiben getroffene Feststellung, daß in den Dienstwohnungen diejenigen Flüchtlinge untergebracht seien, „die man in Bauernhäuser nicht legen wollte und für die die Schulhäuser gerade noch gut genug waren“, Rückschlüsse auf die Qualität der Dienst- wohnungen oder die Qualität der Flüchtlinge zuläßt, sei dahingestellt. 44 Amtsblatt der Militärregierung und des Landrats für den Landkreis Ansbach. Nr. 2 vom 9.10.1945, S. 11. 45 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Schreiben des Gemeinderats Heidenheim am 25.10.1947 an die Regierung von Mittelfranken. Schreiben des Bezirksschulrats von Gunzenhausen am 23.11.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfranken.

203 6.1.2. Probleme mit der Nachkriegsjugend

Hehre Ansprüche an die Lehrerschaft wurden bald nach dem Zusammenbruch artikuliert. Die Seelenheilung der betrogenen Jugend müsse angebahnt werden, wozu der Erzieher als wichtigste Seelenhaltung neben der Liebe der Geduld bedürfe.1 Außer- dem wurde Mut gefordert.2 Und der schien wichtig zu sein, wollte man in den Klassen bestehen, in denen „die gutausgeruhten, kräftigen, kessen und mundschnellen (evaku- ierten) ... Kinder schon tatendurstig und erwartungsvoll“ dem Lehrer entgegenharrten.3 Nicht alle Lehrkräfte konnten so humorvoll ihren täglichen Kampf aufnehmen, vor allem dann nicht, wenn sie unerfahrene Schulhelfer oder reaktivierte Pensionäre oder doch schon in einem Alter waren, wo das Unterrichten mühsam wurde. Immerhin waren 1947 nahezu 50 % der Lehrer in der US-Zone über 60 Jahre alt.4 Bei vielen von ihnen forderte die disziplinäre Seite des Unterrichts unter den oben geschilderten Verhältnis- sen einen so erheblichen Kräfteverbrauch, daß für die eigentliche Unterrichtsarbeit kaum genügend Konzentration verblieb.5 Die steigende Verrohung der Jugend, die immer umfangreichere notwendige Fürsorgeerziehung - „Wo Neger sind, üben sie auch auf die älteren Schulmädchen ... ihre geheime Anziehungskraft aus.“6 - und die geringe Wochenstundenzahl in der Schule wurden beklagt, denn dadurch sei der erziehliche Ein- fluß auf die Kinder „gleich Null“.7 Gleichwohl waren die Lehrer bereit, unter „freudigem Auferbieten ihrer ganzen Ein- satzkraft“ die Schwierigkeiten zu meistern, wie Schulrat Bregenzer aus Ebermannstadt das forderte.8 Dem Problem der überfüllten Klassen stellten sie sich.9 Häufig führten sie zwei oder drei Klassen; wenn in Landschulen zusätzlicher Raum vorhanden war, auch parallel. Das hieß, daß eine Klasse einer Stillarbeit überlassen wurde, während der Lehrer sich mit der anderen beschäftigte.10 Im Januar 1950 vermerkte eine Aufstellung über Klassenstärken der Nürnberger Volksschulen, daß von den 686 Klassen 49 noch 60 bis 69 Schüler aufwiesen, drei Klassen 70 und mehr Schüler hatten.11 Die Zustände waren derart, daß sich auch Eltern an die Stadt wandten. So bemängelte die Schulpflegschaft der Volksschule an der Bauernfeindstraße, daß in der ersten Klasse 68 Kinder zusam- mengedrängt säßen, in der fünften Klasse sogar 75.12 Und das Schuljahr 1950/51

1 Hans Berendt: Das Bildungsziel der höheren Schulen. Rede bei der Wiedereröffnung der höheren Schulen in Bonn. 21.10.1945. In: Josef Schnippenkötter (Hrsg.), Bildungsfragen der Gegenwart. Reden und Aufsätze. Heft 2. Bonn 1945, S. 3 f. 2 Ebda., S. 4. 3 Kadelbach, S. 9 f. 4 Kleßmann, S. 92. 5 BayHStA München. MK 61319. Bericht der Regierung von Unterfranken am 7.5.1948 an das Staatsministe- rium für Unterricht und Kultus über den Stand des Volksschulwesens. 6 LKAN. Bayerisches Dekanat Nürnberg Nr. 492. Akten des Schulbeauftragten Kirchenrat Georg Merkel, o.D. 7 BayHStA München. MK 61322. Bericht des Stadtschulamtes Bamberg am 23.10.1948 an die Regierung v. Ofr., Bayreuth, über den Stand des Volksschulwesens. 8 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Rundschreiben R 45/9 von Schulrat Bregenzer, Ebermannstadt, am 16.9.1945 an sämtliche Schulleitungen im Schulaufsichtsbezirk Ebermannstadt. 9 In Gunzenhausen gab es für 1000 Schüler 12 Lehrer (Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 42 vom 14.9.1946, S. 6), im Landkreis Ansbach für 8060 Schüler 88 Lehrer. (Ebda., 1. Jg. Nr. 50 vom 12.10.1946, S. 6). Manche fränkische Dorfschule wies weit über 100 Schüler für einen Lehrer auf: Dottenheim 108, Gollhofen 114, Hem- mersheim 118, Ickelheim 122, Weigenheim 127, Seubersdorf 152 (Barthel, S. 577; Rossmeissl, S. 189 u. 201; Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 54 vom 26.10.1946, S. 7; StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Regierungsschulrat Salffner am 11.7.1947 an das Bezirksschulamt Neustadt/Aisch; Guth- mann, S. 339). 10 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 49 vom 9.10.1946, S. 2. 11 LKAN. Bayer. Dekanat Nürnberg, Nr. 942. Bericht am 16.1.1950 über „Die Nürnberger Volksschulen“. 12 Stadtarchiv Nürnberg. C 24 SchV Nr. 13 Bd. 13. Schreiben der Schulpflegschaft Bauernfeindstraße am 27.3.1950 an den Stadtrat zu Nürnberg.

204 begann in Nürnberg wieder mit der Bekanntgabe, daß 44 Lehrkräfte zwei Klassen zu führen hätten, 13 wobei die Schülerzahl, die auf einen dieser Lehrer traf, bis zu 108 sein konnte.14 Berichte aus der ersten Nachkriegszeit lauteten beispielsweise: „So unterrich- tete ... eine sudetendeutsche Lehrerin täglich am Vormittag eine Klasse mit 61 Schülern und nach einer Stunde Mittagspause eine weitere Klasse mit 69 Schülern am Nachmittag.“15 „In Unterweilersbach ist eine der beiden Lehrkräfte erkrankt. Da ... keine Aushilfe beige- bracht werden kann, hat die eine Lehrkraft täglich 220 Kinder zu unterrichten ...“16 „ ... Ich führe schon das ganze Jahr 4 Oberklassen, 2 siebte und 2 achte, dazu Schulleitung von 28 Klassen, korrigiere in jeder Woche ca. 1000 Seiten ...“17 Die Klassenfrequenz von etwas mehr als 50, die Kultusminister Hundhammer z.B. 1948 laut verkündete,18 hatte mit den Kraftanstrengungen der Lehrer, die diese Klassen in zwei oder drei Schichten nacheinander unterrichteten, nichts zu tun und war eher dazu angetan, Nichteingeweihten fast normale Verhältnisse vorzugaukeln.19 Verursacht durch die Erziehungsnöte und forciert durch Kultusminister Hund- hammer, wurde die Frage der körperlichen Züchtigung aktualisiert und sehr kontrovers diskutiert. Hundhammer glaubte, daß „der Stand der Disziplin in den heutigen Volks- schulen ... es zweckmäßig erscheinen (lasse), dem Lehrer die Möglichkeit zu geben, zu (deren) Aufrechterhaltung ... einmal auch zum Stock zu greifen“.20 Er begründete seine Auf- fassung damit, daß die Klassen übermäßig groß seien, die Jugend während der vergan- genen zehn Jahre keine Erziehung in der eigenen Familie erfahren habe und z.T. jahre- lang schulisch nicht erfaßt worden sei.21 Lehrer, Eltern und Schulleitungen argumentierten völlig uneinheitlich. Diejenigen, die sich für die körperliche Strafe aussprachen, begrün- deten dies mit den katastrophalen Schulverhältnissen, die „eine volle Entwicklung der

13 Ebda., C 7/IX. Nr. 1285. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 29.9.1950. 14 Ebda., Klassen der Volksschule Nürnberg im Schuljahr 1950/51. 15 Heimatbuch Treuchtlingen, S. 269. 16 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Wochenbericht des Schulrats des Landkreises Ebermannstadt am 6.12.1945 an die amerikanische Militärregierung Ebermannstadt. 17 Stadtarchiv Nürnberg. C 24 SchV Nr. 73 Bd. 73. Schreiben des Leiters der Volksschule Holzgartenstraße, Nürn- berg, Mai 1946 an Schulrat Barthel. 18 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenographischer Bericht Nr. 48. 48. öffentl. Sitzung am 29.1.1948, S. 667. 19 Zu den Schülerzahlen vgl. z.B.: Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 39 vom 4.9.1946, S. 5; Ebda., Nr. 50 vom 12.10.1946, S. 7; StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4485. Schreiben des Bezirksschulrats Hans Florian, Wunsiedel, am 29.4.1946 an die Regierung von Mittelfranken, Schulabteilung; Ebda., Nr. 4487. Wochenbericht des Schulrats des Landkreises Ebermannstadt am 27.11.1945 an die amerikanische Militär- regierung in Ebermannstadt; Ebda., Nr. 4518. Bericht über die Schulleitersitzung am 7.1.1947 in Fürth-Stadt; Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2 vom 13.11.1946; Ebda., Niederschrift der Stadtrats- sitzung am 19.1.1949; Ebda., C 7/IX SRP Nr. 1285. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 7.1.1949; Ebda., Chronik der Stadt Nürnberg F 2. Stadtratssitzung am 24.9.1947. Lage der Schulen. Bericht des Schulreferenten Stadtrat Dr. Raab; ACSP München. NL Seidel. Beilage 2134. Antrag der FDP am 13.1.1949; Ebda., Beilage 2032/ Antrag, und Beilage 2557/ Dringlichkeitsantrag an den Bayerischen Land- tag am 23.11.1948 und 7.6.1949, beide CSU; LKAN. Bayer. Dekanat Nürnberg, Nr. 942. Bericht über „Die Nürnberger Volksschulen“ am 16.1.1950; BayHStA München. MK 61322. Schreiben des Bezirksschulamts Wunsiedel am 28.10.1948 an die Regierung von Oberfranken. Stand des Volksschulwesens; Ebda., MK 62016. Bericht der Regierung von Niederbayern und der Oberpfalz über die amtlichen Konferenzen an ver- schiedenen Orten am 4.1.1946 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus; Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 14. Jg. Nr. 2 vom 23.8.1946, S. 4. RE. v. 23.8.46 Nr. 1136 a 67; Kadelbach, S. 5 f; Die Bayerische Schule, 2. Jg. Nr. 3/März 1949, S. 102; Verhandlun- gen des Bayerischen Landtags. Stenograph. Bericht Nr. 25. 25. öffentl. Sitzung am 17.7.1947, S. 805, und Nr. 42. 42. öffentl. Sitzung am 11.12.1947, S. 484. 20 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 10. Sitzung am 21.3.1947, S. 262. 21 Ebda.

205 Lehrerpersönlichkeit und damit ... die Gewähr für entsprechende disziplinäre Maßnah- men“ nicht zuließen.22 In einer Zeit, da die Auswirkungen der „überstandenen Nazi- und Kriegszeit“ zu einer Verwilderung eines Großteils der Jugend geführt hätten, dürfe man die Möglichkeit der körperlichen Züchtigung den Lehrern nicht nehmen.23 Erst wenn die Kinder wieder an Zucht und Ordnung gewöhnt seien, könne auf den Stock verzichtet werden. Nun aber seien sie noch von der Hitlerjugend-Erziehung verdorben, deren Ziel es war, jegliche elterliche und Lehrer-Autorität zu zerstören.24 Der Schulleiter von Affal- terthal hatte eine ganz pragmatische Begründung für sein Eintreten für die körperliche Züchtigung: „Jede andere Strafe ... fällt weg! Strafarbeiten kann ich des Papiermangels wegen nicht aufgeben. Nachsitzenlassen geht nicht, da entweder eine andere Abteilung die Schulklasse füllt oder diese kalt ist. Mir bleibt also nur ein mehr oder minder freundli- ches Reden. Das wird mir bei dem Grad der Verwahrlosung unserer Jugend von den Erwachsenen als Schwäche ausgelegt. ‚Die früheren Lehrer waren doch ganz andere Kerle! Die hätten da schon gründlich zwischengehauen!‘, heißt es.“25 Andere Stimmen aus Lehrerkreisen meinten, man könne auf die körperliche Züchtigung in dem Moment verzichten, wenn wieder genügend pädagogisch ausgebildete und erfahrene Erzieher vorhanden seien, wenn kleinere Klassen in ausreichenden Schulräumen, wenn Lehr- und Lernmittel da seien, um die Schüler sinnvoll zu beschäftigen, und wenn eine erziehlich bessere Basis erreicht worden sei.26 Gegen die Körperstrafe sprach nach Ansicht des Schulrates des Landkreises Fürth eben der Umstand, daß zu viele Personen ohne pädagogische Vorbildung vor den Klassen stünden, die der Gefahr erlägen, sie als All- heilmittel anzusehen.27 In einen umfassenderen Zusammenhang stellten überzeugte Gegner die körperli- che Züchtigung in der Schule. Ihrer Meinung nach hatte sie sich als Erziehungsmittel nicht bewährt, und der frühest mögliche Zeitpunkt zu ihrer Beseitigung sei gerade noch rechtzeitig. Sie müsse in einem demokratischen Deutschland abgelehnt werden; denn der den Deutschen anhaftende Ruf, Untertanengeist zu fördern, sei nicht zuletzt auf die Erziehungsmethoden „und teilweise auch auf die Prügelstrafe ... zurückzuführen“.28 Ausländische Beobachter hätten mit ihr sogar die „unbegreiflichen Unmenschlichkeiten in den KZs“ begründet. Man müsse zwar soweit nicht gehen in der Argumentation, aber es sei ja wohl unbestritten, daß trotz Anwendung der Prügelstrafe der Erfolg der deut- schen Erziehungsarbeit nicht zufriedenstellend sei.29 Standespolitisch sei das Festhalten an der körperlichen Züchtigung auch nicht zu vertreten, da sie dem Image des Volks- schullehrerstandes schade.30

22 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4677. Schreiben des Stadtschulamtes der Stadt Bay- reuth am 13.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfranken. Betreff: Verbot der körperlichen Züchti- gung. 23 Ebda., Schreiben des Bezirksschulamts Forchheim am 26.3.1947 an die Regierung von Oberfranken und Mit- telfranken. 24 Ebda., Schreiben des Schulrats von Gunzenhausen am 1.4.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfran- ken. 25 Ebda., Schreiben des Schulleiters von Affalterthal, Kreis Forchheim, am 18.2.1947 an das Bezirksschulamt in Forchheim. 26 Ebda., Schreiben des Bezirksschulrats von Hilpoltstein am 28.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mittel- franken. 27 Ebda., Schreiben des Schulamts des Landkreises Fürth am 28.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mit- telfranken. 28 Ebda., Schreiben des Bezirksschulrats Glas, Hersbruck, am 26.5.1947 an die Regierung von Ober- und Mit- telfranken. 29 Ebda. 30 Ebda.

206 In der Diskussion um sie im Bayerischen Landtag ging der Abgeordnete Georg Hagen (SPD) sogar so weit, daß er in ihr den „historischen Rest einer überlebten Auffassung von Herren und Knechten“ sah.31 Eine „Elternbefragung zur körperlichen Züchtigung“ wurde mit Erlaß vom 15. April 1947 angeordnet.32 In der Zeit vom 23. bis 29. Mai sollte die Meinung der Erzie- hungsberechtigten darüber eingeholt werden, „ob die körperliche Züchtigung als Erzie- hungsmittel in den Volksschulen unter allen Umständen zu verbieten oder aber als äußerstes Strafmittel, beschränkt auf schwere Verfehlungen (nicht bei mangelnden Lei- stungen und nicht bei Mädchen), zuzulassen sei“.33 Stimmzettel waren vorbereitet worden, auf die zunächst die Namen der Schüler einzutragen waren (sic!) und auf denen die Eltern ankreuzen sollten, ob „(d)ie körperliche Züchtigung ... zur Aufrechterhaltung der Schuldisziplin bei schweren Verfehlungen, wie grober Unbotmäßigkeit oder Rohheit, in maßvollem und vernünftigem Umfang zulässig“, oder ob sie „in allen Fällen als Erzie- hungsmittel in der Volksschule unzulässig“ sein solle.34 Der Abstimmzettel war nur gül- tig mit Unterschrift der Erziehungsberechtigten und dann ungültig, „wenn er nicht zweifelsfrei die Meinung der Eltern (Erziehungsberechtigten) erkennen läßt, (oder) wenn begründete Zweifel bestehen, ob der Stimmzettel von den Eltern (Erziehungsberechtig- ten) selbst ausgefüllt oder unterschrieben worden ist“.35 Die Elternbefragung ergab auch kein einheitliches Bild. Waren z.B. im Bereich der Stadt Ansbach 2190 dafür und 1058 dagegen, so votierten in Nürnberg Stadt 10094 dafür und 16419 dagegen. Im Bereich des Bezirksschulamts Bamberg waren 7784 Eltern für körperliche Züchtigung, 4166 dagegen; in Wunsiedel aber nur 2457 dafür und 7249 dagegen. Insgesamt überwog im Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken die Anzahl der Elternstimmen gegen die körperliche Züchtigung (141 261 dagegen, 138 583 dafür; 34 536 Eltern hatten sich der Stimme enthalten, oder die Stimmzettel waren ungültig).36 Interessanterweise überwogen in den anderen Regie- rungsbezirken die Stimmen für die körperliche Züchtigung, und zwar z.T. ganz beträcht- lich,37 so daß das Ergebnis für ganz Bayern so aussah, daß 681 704 Erziehungsberech- tigte dafür und 432 550 dagegen waren. Das entsprach einem Prozentsatz von 61,2 % zu 38,8 %.38 Die näheren Umstände, die zu diesem Ergebnis führten, sind nicht klar auszuma- chen. Die Ergebnisse wurden z.T. verfälscht, da die Schüler die von den Eltern ausgefüllten Fragezettel ausbesserten. Es hatten nicht alle Eltern mitgestimmt, und ihre Meinung war auch von den örtlichen Schulverhältnissen abhängig, die den Blick auf größere Zusam- menhänge verstellen konnten. Jedenfalls ist die Materialbasis für eine generelle Aussage zu gering. Interessant ist aber wohl, daß der Regierungsbezirk, in dem FDP und SPD ein hohes Maß an Zustimmung fanden, der einzige war, in dem die Erziehungsberechtigten sich

31 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 42. öffentl. Sitzung am 11.12.1947, S. 479. 32 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 6 vom 28.4.1947, S. 42 ff. E.d. Staatsmin.f. Unt.u.Kult. vom 15.4.47 Nr. IV 12810. 33 Ebda., S. 42. 34 Ebda., S. 44. 35 Ebda., S. 43 f. 36 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4677. Elternbefragung über körperliche Züchtigung in der Volksschule (ME.v.15.4.1947 Nr. IV 12810); Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 29.5.1947 (NN vom 28.5. und 4.6.1947); Dokumente zur Schulreform, S. 90. 37 Oberbayern: 151 704 (59,6 %) dafür, 102 762 (40,4 %) dagegen; Schwaben: 106 997 (71,2 %) dafür, 43 345 (28,8 %) dagegen; Unterfranken: 80 181 (61,2 %) dafür, 50 891 (38,8 %) dagegen; Niederbayern und Oberpfalz: 204 239 (68,4 %) dafür, 94 291 (31,6 %) dagegen (Dokumente zur Schulreform, S. 90). 38 Ebda.

207 mehrheitlich gegen die körperliche Züchtigung aussprachen. Wieweit die konfessionelle Prä- gung der jeweiligen Regierungsbezirke ausschlaggebend war, bedürfte einer differen- zierteren Quellenanalyse. Zumindest aber drängt sich der Eindruck auf, daß in katholisch dominierten Sozialmilieus autoritärere Erziehungsmethoden favorisiert wurden. Die Berichterstattung der Neuen Zeitung zu diesen Vorgängen war eindeutig negativ. Sie erinnerte daran, daß Kultusminister Fendt (SPD) im Juni 1946 die „Prügel- strafe“, wie sie allgemein genannt wurde, aufgehoben hatte. Jede Form körperlicher Züchtigung an den Volksschulen sei verboten worden, da sie gegen die „allgemeinen Auffassungen von den Menschenrechten und der Menschenwürde“ verstoße.39 Fendt sei zu Recht besorgt gewesen, daß durch die „überfüllten Klassen und die durch die Kriegs- und Nachkriegsereignisse hervorgerufene ungewöhnliche Undiszipliniertheit der Schüler“ sowie in Anbetracht der häufig nur ganz kurz angelernten Lehrkräfte, deren fehlende pädagogische Fähigkeiten durch den Gebrauch des Stocks ersetzt würden, das Prügeln überhand nehmen könne.40 Er habe empfohlen, anstelle der „militanten Erzie- hungsmittel und des Prinzips des absoluten Gehorsams“ ein Vertrauensverhältnis zwi- schen Schülern und Lehrerschaft aufzubauen, und obwohl er sich bewußt gewesen sei, daß seine Verordnung die Aufgabe der Erzieher nicht unbedingt erleichtern würde, habe er mit der Hebung des Ansehens und der Achtung des Lehrerstandes gerechnet.41 Nun wurde die Entschließung vom 5. Juni 1946, soweit sie die körperliche Züch- tigung verbot, aufgehoben,42 und es wurde erlaubt, körperlich zu züchtigen, wenn alle anderen Erziehungsmittel versagt hätten, und zwar in gleicher Weise wie vor dem Fendtschen Erlaß. Wörtlich hieß es dann: „Sie ist nur gestattet zur Aufrechterhaltung der Schuldisziplin bei schweren Verfehlungen, insbesondere bei grober Unbotmäßigkeit oder Rohheit.“43 Pädagogisch nicht vorgebildete Lehrkräfte mußten ein „Strafverzeichnis“ führen „und darin jede vollzogene Züchtigung nebst kurzer Begründung ihrer Notwendigkeit für jeden Schultag eintragen“. Die Schulräte sollten Einblick nehmen. Außerdem mußte das Verzeichnis monatlich dem Fortbildungsleiter und dem Schulleiter vorgelegt werden. Somit sollte es Anlaß sein, „den jungen Lehrkräften in ihren unterrichtlichen und erzieh- lichen Schwierigkeiten beratend zu helfen“.44 Die Neue Zeitung mißbilligte das Vorgehen des Kultusministers entschieden. Sie warf ihm vor, daß eine Volksbefragung mit Handzetteln nicht demokratisch sei, obwohl Hundhammer sich wohl demokratisch vorkomme. Die bayerische Bevölkerung sei „auf Herrn Hundhammer angewiesen“ und wisse nicht, „daß es jenseits von ihren Grenzen längst keinen Prügelstock mehr“ gebe.45 Die Zeitung berichtete auch, daß die Beteili- gung der Erziehungsberechtigten an der Abstimmung zwischen 50 und 70 Prozent gelegen habe, daß der Bayerische Lehrerverein sich gegen die Wiedereinführung der Prügelstrafe ausgesprochen und mancher Schulrat sich gegen die Abstimmung gewehrt habe. Sie habe eher politischen Charakter gehabt, denn ein pädagogisches Anliegen verfolgt, was man an den Ergebnissen ablesen könne, die ziemlich genau die politische Struktur der Gemeinden widerspiegelten. In etlichen Fällen hätten Geistliche in den „Wahlkampf“ eingegriffen und seien von Haus zu Haus geeilt, um die Eltern zu einer

39 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 48 vom 17.6.1946, S. 3; KME. vom 5.6.1946 Nr. IV 26770 (KMBl. 1946, S. 48). 40 Ebda. 41 Ebda. 42 Dokumente zur Schulreform, S. 91; Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 30.6.1947 Nr. IV 27227. 43 Ebda. 44 Ebda. 45 Die Neue Zeitung, 3. Jg. Nr. 40 vom 19.5.1947, S. 7.

208 Zustimmung zu veranlassen. Körperliche Züchtigung habe ja ihnen selbst auch nicht geschadet.46 Alle Schulen hätten von Fällen berichtet, in denen die Schüler das „Fehlurteil“ ihrer Eltern ausradiert hätten. Manche Eltern hätten dem Fragezettel hinzugefügt, „man solle den Kindern lieber Schreibhefte geben statt sie zu züchtigen“. Ein Vater habe geschrieben, er als Steuerzahler verbäte es sich, „daß von mir bezahlte Kräfte meine Kinder schlagen“. Manchmal seien Vater und Mutter entgegengesetzter Ansicht gewe- sen. Viele Eltern, vor allem auf dem Land, hätten „aus Höflichkeit ... dem Lehrer gegenüber mit ‚ja‘ gestimmt“. In einem Fall sei deutlich geworden, daß der Terminus „körperliche Züchtigung“ gar nicht verstanden worden sei, denn die Mutter habe geschrieben: „Ich bin gegen das Züchtigungsrecht ... Aber Prügel soll er schon haben, wenn er was ausgefressen hat.“47 Auch von anderer Seite kam Kritik. Im besonderen die bayerische FDP machte Front gegen die Prügelstrafe und die sog. Abstimmung der Eltern. Am 28. Mai 1947 stellte sie den Antrag im Landtag, das Verfahren zu mißbilligen und die Staatsregierung zu veranlassen, „beschleunigt alle Maßnahmen zu treffen, um durch Intensivierung der Lehrerbildung und -fortbildung, Neu- und Wiedereinstellung von Lehrkräften, Herabset- zung der Klassenstärken und schleunige Wiedereinführung der örtlichen Elternbeiräte die Möglichkeit zu schaffen, Schulzucht und Schülerleistungen in den bayerischen Schu- len ohne Rückgriff auf Maßnahmen zu heben, welche nicht geeignet sind, unsere Jugend zu freiheitsbewußten, demokratischen Staatsbürgern heranzubilden“.48 Diesem Antrag, dessen Behandlung nach Auffassung der Liberalen zu lange hin- ausgeschoben wurde, folgte am 17. Juli eine Interpellation von FDP-Abgeordneten, in der gefragt wurde, ob die Staatsregierung das Vorgehen des Kultusministers billige, eine Elternbefragung zur Prügelstrafe zu veranstalten, und ob sie das Ergebnis „in Anbe- tracht des Mangels an Aufklärung der Eltern über die psychologischen und pädagogi- schen Bedingungen und Voraussetzungen für maßgeblich“ halte.49 Zu dieser Fragestel- lung kam die FDP auch aufgrund der Anweisung an die Lehrer, daß sie „über die Forma- litäten der Abstimmung aufzuklären ... sich dabei aber jeder Stellungnahme zur Abstim- mung zu enthalten“ hätten. Dabei seien vor allem in kleineren Orten die Lehrerin oder der Lehrer die Personen, die imstande gewesen wären, Klarheit über die pädagogischen und psychologischen Voraussetzungen zu verschaffen.50 Bedauerlich fand der Abgeordnete Korff (FDP), daß auch die Schulkinder „in dieser Tragikomödie“ ihre Rolle gespielt hät- ten, indem sie „aus Furcht vor der Strafe unterwegs radierten und fälschten“.51 Mitglieder der CSU aus dem fränkischen Raum sorgten sich um den Bestand der Partei in ihrem Bereich. Dr. Elisabeth Meyer-Spreckels, Mitglied des Kulturausschusses der Partei, fragte bei Josef Müller an, ob dieser Ausschuß „öffentlich zu Hundhammers ‚Prügelstrafe‘ Stellung genommen“ habe und ob er „Gegenvorschläge einer neuen Pädagogik (ausarbeite), die sich wohl vom amerikanischen ‚selfgovernment‘ und ‚honour-system‘ befruchten lassen könnten“.52

46 Ebda. 47 Ebda. 48 ACSP München. NL Seidel. Beilage 347/Antrag (FDP). München, 28.5.1947. 49 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 25. Sitzung am 17.7.1947, S. 802. Beilage 551/Interpellation des Abgeordneten Dr. Linnert und Genossen. 50 Ebda., S. 806. 51 Ebda. 52 ACSP München. NL Müller 27 (Kulturpolitischer Ausschuß 1946-48). Schreiben Dr. Elisabeth Meyer-Spreckels, Fürth, am 29.5.1947 an Dr. Josef Müller.

209 Daß der Bayerische Lehrerverein geschlossen gegen die Wiedereinführung der körperlichen Züchtigung auftrat, wie das durch Korffs Rede im Landtag vermittelt und in der Neuen Zeitung berichtet wurde, stimmte nicht. Einzelne Kreisverbände verlangten die Prügelstrafe,53 Schulräte und Lehrer sahen in ihr eine Hilfe für ihre Arbeit.54 Aus dem Jahr 1951 stammte eine Schrift des BLLV, in der er dem Lehrer das Recht auf körperliche Züchtigung zusprach. Drei Begründungen wurden angeführt. Erstens müsse der Lehrer „die arbeitswilligen Schüler, die Schul-, Arbeits- und Lerngemeinschaft schützen“; zweitens dürfe man „die Arbeit des Lehrers, das Werk des Erziehers nicht stören lassen“; drittens könne man den Lehrer nicht schutzlos „gerade den Elementen (ausliefern), welche unwillig, böswillig, roh, gewalttätig, asozial, bildungs- und kulturfeindlich sich gebär- den ...“55 Die SPD proklamierte 1950 in ihren kulturpolitischen Forderungen neben der Abschaffung der Prügelstrafe gleichzeitig die „Vermeidung überfüllter Klassen“56 und hatte damit eine der Ursachen für die Disziplinschwierigkeiten genannt. Kultusminister Hundhammers Beweggründe für das Aufgreifen der Thematik und die angeordnete Abstimmung mochten darin liegen, daß er die populistische Bestätigung seiner konservativen Grundhaltung suchte, daß er dem allenthalben beklagten Werteverfall mit Erziehungsgrundsätzen wie „hart, aber gerecht“ oder „nur der strenge Lehrer kann der gütige sein“ begegnen wollte. Er verfolgte möglicherweise bewußt auch die Abhebung gegen seinen Vorgänger oder gegen amerikanische Einflüs- se. Vielleicht hatten die Klagen einzelner ihn auch zum Eingreifen bewogen.

53 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 25. Sitzung am 17.7.1947, S. 806. 54 siehe S. 206. 55 AdsD Bonn. LV Bayer I/181 (Regierung. KuMi 1951). Schrift des BLLV, Verfasser: F.X. Hartmann, o.J. 56 Ebda., LV Bayern I/158 (1950). Landtagswahlen (Entwürfe, Vorwürfe für das Wahlprogramm der SPD). „Wel- che Forderungen stellt die Sozialdemokratie zur Kulturpolitik?“.

210 6.2. LEHRERBESOLDUNG

Natürlich bedeutete die Anstellung als Lehrer nach der Entnazifizierung für den Betroffenen eine - relativ1 - sichere monatliche Einnahme, was aber die Höhe der Vergü- tung anging, so litt der bayerische Volksschullehrerstand seit dem Jahr 1920, als ein Sonderüberleitungsrecht ihn als Staatsbeamten in die Gruppe einreihte, die dem Ober- sekretär entsprach, an dieser ungerechten Einteilung. Dazu war 1940 der Wegfall von Beförderungsmöglichkeiten gekommen,2 so daß der Verdienst, gemessen an der Ausbil- dung, ziemlich gering war, und es fehlte nicht an Eingaben, das Besoldungsgesetz für die Volksschullehrer dahingehend zu ändern, daß die während der Nazizeit eingeführte Besoldungsordnung aufgehoben und allen Volksschullehrern der Aufstieg in höhere Besoldungsgruppen ermöglicht werde.3 In den Monaten nach der Wiederaufnahme des Unterrichts kam es häufiger vor, daß dieses Wenige gar nicht ausgezahlt wurde, daß Lehrer, wie das z.B. im Bezirk Naila geschah, monatlich nur Vorschüsse von 100 RM erhielten.4 Es kam sogar vor, und das war bei der Regierungshauptkasse Ansbach der Fall, daß die Gehaltszahlungen monate- lang in Verzug gerieten, so daß die Lehrer Fürsorgeunterstützung beziehen mußten.5 Diese Zustände legten sich nach Auffassung der Vorgesetzten lähmend auf die Arbeits- freudigkeit, die doch für die Lehrer so wichtig sei. Und gerade sie hätten „wie kaum ein anderer Stand unter dem ... Übel zu leiden“.6 Daß Schulhelfer mit ihrem Entgelt keine großen Sprünge machen konnten, war ohnehin klar. Außerdem hing die Zahlung bei ihnen auch davon ab, ob sie eine Schul- stelle verwalteten oder nicht. In letzterem Fall wurde kein Unterhaltszuschuß gewährt.7 Eine Unterhaltsbeihilfe während der Teilnahme an Schulhelfer-Abschlußlehrgängen, die nach „Bedürftigkeit und Würdigkeit“ bezahlt wurde (80 RM für Ledige, 120 RM für Ver- heiratete)8 mußte eingestellt werden.9 Bald erwies sich die Beschäftigung im Angestell- tenverhältnis als nachteilig, da diese Lehrer nach der Zahl der gegebenen Unterrichts- stunden - eigentlich Tagelöhnerarbeit - bezahlt wurden,10 wobei Stundenausfall infolge der Kälteferien großzügigerweise nicht abgezogen wurde.11 Nicht von ungefähr wurde deshalb die Übernahme ins Beamtenverhältnis immer wieder, vor allem auch von den Flüchtlingslehrern, angemahnt, denn der Verbleib im Angestelltenverhältnis konnte ein Leben am Existenzminimum bedeuten.12 Eine besondere Härtesituation brachte auch die

1 Im Folgenden gibt es Beispiele, daß die Gehaltsauszahlung eben nicht mit schöner Regelmäßigkeit stattfand. 2 Buchinger, S. 533 ff. 3 ACSP München. NL Seidel. Beilage 1707/Beschluß. Der Bayerische Landtag am 30. Juli 1948 an die Bayeri- sche Staatsregierung; Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenographischer Bericht Nr. 83. 83. öffentl. Sit- zung am 30.7.1948, S. 1843. 4 BayHStA München. StK 113 976. Schreiben des Staatsministeriums der Finanzen am 12.7.1946 an den Regie- rungspräsidenten in Ansbach. 5 Verhandlung des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht Nr. 89. 89. öffentliche Sitzung am 13.10.1948, S. 142. 6 BayHStA München. MK 61322. Bericht des Schulrats des Landkreises Pegnitz am 20.12.1948 an die Regie- rung von Oberfranken über den Stand des Volksschulwesens. 7 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 15. Jg. Nr. 6 vom 10.6.1947, S. 34. 8 Ebda., S. 40. RE. v. 9.6.1947 Nr. 1193 a b 3. 9 Ebda., S. 34. 10 AdsD Bonn. SPD - LTF Bay. Nr. 5 (Korresp. von/mit Landtagsamt). Schreiben des SPD Landtagsabgeordneten Zietsch am 21.5.1948 an die Landtagsfraktion der SPD, München. 11 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 4 vom 21.3.1947, S. 28. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 14.3.47 Nr. B 60 476. 12 BayHStA München. MK 61322. Bericht des Bezirksschulamts Kronach am 27.10.1948 an die Regierung von Oberfranken, Bayreuth, über den Stand des Volksschulwesens; siehe S. 180-186.

211 Umstellung der Währung am 20. Juni 1948. Maßnahmen des Kultusministeriums, z.B. die gleichmäßige Verteilung der Lehramtsanwärter auf die Schulämter, wurden mit dem „durch die Währungsreform hervorgerufene(n) allgemeine(n) Notstand“ begründet.13 Die unmittelbaren Folgen der Umstellung waren nicht unbedingt positiv, denn die Preise stiegen infolge des aufgestauten Nachholbedarfs und der wachsenden Nachfrage sehr rasch. So verfünffachten sich z.B. die Eierpreise in der zweiten Jahreshälfte, und Beklei- dung wurde um 35 % teurer. Die Marktwirtschaft wurde heftig kritisiert, bis die allmäh- liche Konsolidierung die Lage beruhigte.14 Lehramtsanwärter, die das Pech hatten, gerade zu diesem Zeitpunkt keinen Schuleinsatz zu haben, sich im „Praktikantenstand“ befan- den und daher keinen Anspruch mehr auf Gehalt hatten, litten unter der Währungsum- stellung besonders, vor allem auch deshalb, weil ein Praktikant während der Ferien natürlich auch nicht bezahlt wurde. Die Klage des Lehramtsanwärters Josef Drescher aus Velden bei Hersbruck über diese Regelung war also nur allzu berechtigt. Die Durch- führung der Währungsreform, so schrieb er, bedeute für ihn das Ende der Ausbildung im Lehrerberuf, da er es sich nicht leisten könne, ohne Gehalt zu praktizieren. Er müsse sofort versuchen, eine Arbeitsstelle zu finden, um für seine und seiner Frau Unterhalts- kosten aufzukommen.15 Die „Notstände im Volksschullehrerberuf“16; das „Lehrerelend“17 wurden gängi- ge Schlagworte in den auf die Währungsreform folgenden Jahren. Abgesehen von all- gemeinen Hinweisen auf die „deprimierende wirtschaftliche Lage der Junglehrer“, ihre „finanzielle Not“, ihre „bedrückenden Einkommensverhältnisse ..., die kaum einen Vergleich mit den Löhnen von Hilfsarbeitern aushalten“,18 wurden immer wieder ganz konkret die Nöte beschrieben. „Der Volksschullehrer“, so hieß es in einem Artikel in der Bayerischen Schule, „kann sich nicht einmal die Bücher für seine berufliche Fortbildung anschaffen. Er kann es nicht, falls er nicht ein Bienenzüchter oder Pomologe im Nebenberuf ist und aus den Erträgnissen des Honigs und der Äpfel die Studiengebühren erlöst.“19 Nebenamtli- che Lehrkräfte, die gezwungen waren, per Bahn ihren Dienstort zu erreichen, konnten keinen Kostenersatz beanspruchen.20 Hier die Erstattung des Fahrgelds mit dem Hinweis auf die „Residenzpflicht“ des Lehrers an seinem Dienstsitz zu verweigern war rechtlich sicher möglich, grenzte angesichts der Wohnverhältnisse in jenen Jahren mitunter aber an Zynismus. Die freiwillige Weiterbildung war - laut Bericht des Fortbildungsleiters Emmert aus Nürnberg - wegen der miserablen Entlohnung der Junglehrer gefährdet. So könne ein 28jähriger verheirateter Junglehrer mit Kind, der im April 1949 150 DM Gehalt für drei Personen erhalten habe, dafür aber täglich zehn bis zwölf Stunden für die Schule und in der Schule arbeite, keine freiwillige Fortbildungsveranstaltung besu- chen, da er, um die Straßenbahnfahrt zu bezahlen, seinem Kind die Milch nicht

13 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 16. Jg. Nr. 8 vom 1.8.1948. RE. v. 21.7.1948 Nr. 1155 a 100, S. 56. 14 Fränkische Landeszeitung Nr. 100 vom 1./2./3. Mai 1998, S. 2. 15 AdsD Bonn. SPD - LTF Bayern, Nr. 163 (Korresp. 1948). Schreiben vom 20.6.1948; vgl. dazu Dannhäuser, S. 348-351. 16 Ebda., Schreiben der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Kreisverband Hersbruck, am 1.7.1948 an die SPD, Landesverband Bayern, Landtagsfraktion, München. 17 Ebda., Landesverband Bayern I Nr. 18 (1947-1950). PV-Rundschreiben SPD, Landesverband Bayern. Vorbe- reitender Ausschuß Sozialdemokratischer Lehrer, i. A. Claus Pittroff. Rundschreiben an alle sozialdemokrati- schen Lehrer Bayerns, 3.11.1948. Betr.: Gründung der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Lehrer. 18 Schule und Gegenwart. Pädagogische Monatszeitschrift. Hrsg. vom Education Service Center München. Abtlg. f. Erziehung im Office of Land Commissioner for Bavaria. 3. Ergänzungsheft 1950, S. 40; Die Bayerische Schule, 2. Jg. 4/April 1949, S. 137; Stadtarchiv Nürnberg. C 24 SchV Nr. 73. Bd. 73. Bericht des Schulrefe- rats. Betr.: Schulhaus Holzgartenstraße. 19 Die Bayerische Schule, 3. Jg. 1950, S. 206. 20 Schule und Gegenwart Nr. 8/Sept. 1949, S. 4.

212 mehr kaufen könne.21 Der Begriff des Junglehrers schien wohl immer wieder die Asso- ziation eines jungen Menschen, der noch wohlversorgt im Elternhaus lebte, hervorzurufen. Offensichtlich vergaß man an verantwortlicher Stelle einfach, daß es sich häufig um gestandene Familienväter handelte, die nach dem Krieg neu anfangen mußten. Ein Dreißigjähriger war da keine Ausnahme. Arbeitsdienst, Wehrdienst, Krieg und Gefan- genschaft hatten manchen jungen Mann zehn Jahre seines Lebens gekostet, noch bevor er irgendeine Berufsausbildung begonnen hatte. Anträge an den Landtag verdeutlichten die unmöglichen finanziellen Verhältnisse der Junglehrer, die mit einem Nettogehalt zwischen 145 und 185 DM auskommen, dabei aber bis zu 120 Kinder unterrichten mußten.22 Der Schulausschuß der Stadt Nürn- berg faßte am 7. Januar 1949 den Beschluß, daß der Schul- und Kulturreferent versu- chen solle, beim Kultusministerium „für die bessere Besoldung der Junglehrer einzutre- ten“. Außerdem wollte man die Erhöhung der Planstellen in Nürnberg erreichen. Sollten greifbare Ergebnisse nicht erzielt werden können, wollte der Stadtrat mit einer Ent- schließung den Forderungen öffentlich Nachdruck verleihen.23 Nicht nur in Bayern war die Not der Lehrer groß. Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände stellte fest, daß das Realeinkommen der Beamten einschließlich der Leh- rerschaft auf die Hälfte des Vorkriegsstandes gesunken sei, daß man aber bei der „in der Anfangsbesoldung stehenden Lehrerschaft“ von einer Verelendung sprechen müsse.24 Als blanker Hohn mußte da manchem Lehrer ein Entwurf des Psychologen des Landes- arbeitsamtes Südbayern erscheinen, der über die Eignung zum Beruf des Volksschullehrers schwadronierte und forderte, daß dieser eine „werterfüllte, in sich geschlossene, orga- nisch entwickelte Persönlichkeit“ sei, ausgestattet mit einer „ausgesprochen sozialen Einstellung“, verbunden mit „vielseitigen Interessen“. Das Verlangen, ein Volksschullehrer müsse zu „Opferfreudigkeit“ bereit sein, war aber sicher anders gemeint, als sich die aktuelle Situation darbot.25 Auch die Jahre 1951/52/53 brachten keine Besserung. In der gesamten Bundes- republik war die finanzielle Not besonders der Junglehrer groß. Die Berichte über ihr Gehalt und die Kunst, damit zu leben, sind unglaublich, z. T. grotesk: „Nach Arbeits- dienst, Wehrmacht und Gefangenschaft stehe ich nun seit Herbst 1945 in der Schulstube ... Noch immer bin ich LAA ...; ausgezahlt werden 207,51 DM.“ 118,71 DM blieben ihm und seiner Frau zum Lebensunterhalt.26 „... Wir (können) uns keine Tageszeitung leisten ... einmal (ging ich) von Haus zu Haus ..., um Brot zu sammeln, allerdings nur einmal.“27 „Ich sitze verwandtschaftlich in Bauern- und Handwerkerkreisen, kann mich mit ihnen wirtschaftlich nicht messen. Ich kann nicht an ihren Familienfeiern teilnehmen, da mir das Geld für Geschenke fehlt.“ „Ich trage eine Brille, die längst durch eine andere hätte ersetzt werden müssen, da sie nicht mehr den Augen entspricht. Ich scheue aber die Kosten.“ „Mit meinem Gehalt kann ich nicht einmal die Ausgaben fürs tägliche Leben

21 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4776. Bericht des Fortbildungsleiters Fritz Emmert, Nürnberg, am 25.5.1949 an die Regierung von Mittelfranken über die freiwillige Fortbildungsarbeit der Jung- lehrer im Fortbildungsbezirk Nürnberg - Stadt II. 22 ACSP München. NL Seidel. Beilage 2133/Antrag der FDP an den Bayerischen Landtag am 13.1.1949. 23 Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 7.1.1949, Beilage 4. 24 BayHStA München. MK 61212. Vertreterversammlung der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände (ADLLV) am 1.-3.6.1950 in Goslar. Anträge und Entschließung. Betr.: Wirtschaftliche und rechtliche Lage der Lehrerschaft. 25 Die Bayerische Schule. 2. Jg. 10/Oktober 1949, S. 368 ff. „Die Eignung zum Volksschullehrer“ (Albert Huth). 26 Die Bayerische Schule, 5. Jg. Nr. 10 vom 20.5.1952, S. 163 ff. 27 Ebda.

213 bestreiten. Mein Schwiegervater hat ... mir in der letzten Zeit monatlich 100 DM zu- gesteuert.“ „In den Ferien habe ich mit zwei meiner Kinder bei dem benachbarten Bauern Erntearbeiten verrichtet und habe mir als Entgelt Kartoffeln und Hühnerfutter geben lassen.“ „Ich habe den Vorteil, nicht mehr befürchten zu brauchen, ins Proletariat abzu- sinken; denn schon lange liege ich unten ...“28 Vergleiche mit dem Verdienst in anderen Berufen fielen sehr zu Ungunsten der Lehrer aus. In Hamburg war es so, daß ein Junglehrer nach Abitur und drei Jahren Studi- um an der Hochschule 113 DM weniger verdiente als der ungelernte Bauarbeiter, „der Steine trägt“.29 Im niedersächsischen Landtag prangerte die Abgeordnete Sehlmeyer an, daß ein Junglehrer 140 DM netto erhalte, während ein Straßenbahnschaffner nach 14tägiger Anlernzeit mehr verdiene.30 Das Anfangsgehalt eines Volksschullehrers nach bestandener zweiter Prüfung wurde mit 220 DM brutto angegeben, was aber auch der Ver- dienst einer Stenotypistin nach einer halbjährigen Ausbildung an einer Handelsschule sei.31 Der Flüchtlingslehrer auf Dienstvertrag, Hans Heise, erhielt im Oktober 1948 brutto 331,14 DM, wobei das Kindergeld von 20 DM durch eine Gehaltskürzung von 6 % bis auf 14 Pfennige aufgehoben wurde. Ausgezahlt wurden ihm 298,49 DM. Die Kürzung erschien auch noch auf dem Gehaltszettel vom Juni 1949. Dank erhöhter Sozialversiche- rungsbeiträge, höherer Steuern und des Notopfers Berlin, hatte er zu diesem Zeitpunkt nur 286,79 DM netto. Ab Januar 1950 entfiel die Gehaltskürzung, so daß 303,88 DM verblieben. Nach Heises Berufung ins Beamtenverhältnis auf Probe im April 1950 hatte er erheblich mehr, nämlich 390,15 DM, und nachdem er im April 1952 Hauptlehrer der Besoldungsgruppe A 4 b 1 geworden war, konnte er 448,82 DM entgegennehmen.32 Ein lediger Lehramtsanwärter, der in Nürnberg tätig war, erhielt im November 1947 netto 177,08 RM, eine Gehaltskürzung vom 12,67 RM abgerechnet, und im Oktober 1949 202,98 DM.33 Als der Lehramtsanwärter Hermann Dehm zum Lehrer im Probe- dienst ernannt wurde, teilte man ihm mit, daß er ab 1. Februar 1949 mit „Diäten“ von 2000 DM und einem Wohngeldzuschuß von 258 DM jährlich rechnen könne. Mit seiner Ernennung zum planmäßigen Lehrer am 1. Oktober 1952 wurde sein Grundgehalt mit jährlich 3300 DM zuzüglich einer 20 %igen Zulage festgelegt. Dazu kam der Woh- nungsgeldzuschuß.34 Der Bundesrichtsatz für den Unterhaltszuschuß an die Junglehrer (nach der ersten Prüfung) betrug 150 DM für Ledige und 210 DM für Verheiratete. Trotzdem konnte es passieren, daß Unterhaltszuschüsse gekürzt wurden, wie z.B. im Regierungs- bezirk Schwaben von 120 DM auf 80 DM im Jahr 1951.35 Ein Drittel weniger Geld war natürlich für die meisten eine Katastrophe, ebenso die Tatsache, daß Zuschüsse kein Gehalt darstellten, auf keinem ordentlichen Arbeitsvertrag beruhten und daher während der unterrichtsfreien Zeit nicht vergütet zu werden brauchten.36 Ebenso nie- derschmetternd mußte es für die bayerischen Lehramtsanwärter im Vorbereitungsdienst gewesen sein, daß mit der Neuregelung der Vorschriften für das Beamtengesetz vom 29. Dezember 1950 die Vorbereitungszeit von drei auf sechs Jahre verlängert wurde und damit die wirtschaftliche Notlage für sie sehr viel länger andauerte. Es gab auch Fälle,

28 Ebda. 29 Ebda. 30 Ebda., 4. Jg. Nr. 6 vom 20.3.1951, S. 95. 31 Ebda., 5. Jg. Nr. 14 vom 20.7.1952, S. 235. 32 Privatarchiv Hans Heise, Ansbach. 33 Gespräch mit Prof. Hans Glöckel, Nürnberg. 34 Privatarchiv Hermann Dehm, Ansbach. 35 Die Bayerische Schule, 5. Jg. Nr. 7 vom 5.4.1952, S. 103; Ebda., Nr. 10/20.5.1952, S. 163. 36 AdsD Bonn. SPD - LTF Bay Nr. 160 (Allg. Korresp. I-R 4/ -8/51) Schreiben des Lehramtsanwärters Karl Kisslin- ger aus Velden/Vils am 10.6.1951 an Waldemar v. Knoeringen.

214 daß Anwärter, die einen Lehrauftrag hatten, 80 oder 90 Prozent der Hilfslehrerdiäten erhielten (200 DM für Ledige, 216 DM für Verheiratete), nun aber wieder zurückgestuft wurden und bedeutend weniger Unterhaltszuschuß bekamen, dessen Gewährung ja auch nur eine Kann-Bestimmung darstellte und die Prüfung der familiären und persönli- chen Verhältnisse voraussetzte37, während ein Lehrling in der freien Wirtschaft sein Geld in jedem Fall bekam.38 Um möglichst ohne Schulden über die Runden zu kommen - Befragungen in Niedersachsen und Hessen hatten ergeben, daß Lehrer z.T. mit acht, manche mit über 20 Monatsgehältern verschuldet waren39 - nahmen Junglehrer und Lehramtsanwärter, auch in Bayern, Nebenbeschäftigungen aller Art an. Sie wurden Kaffeehausmusiker und Bauhilfarbeiter,40 Nachtwächter, Milchfahrer, Limonadenverkäufer, Wäscheflickerinnen, Chauffeure, Zeitschriftenwerber, Hilfsarbeiter oder Verkäufer.41 Diese Nebenjobs waren kein Geheimnis. Etwa drei Stunden täglich veranschlagten die jungen Lehrer dafür.42 Es fehlte nicht an warnenden Stimmen, die das Absinken des Lebensstandards der deutschen Lehrerschaft anprangerten, die „unchristliche Besoldung“43, die Ver- säumnisse in der Sicherstellung einer angemessenen Bezahlung, die im Interesse der Schulkinder sei,44 geißelten. Keine Generation habe je „den Lehrerstand wirtschaftlich so tief sinken lassen wie die heutige“.45 Müsse es denn sein, so fragte man, „daß zum Lehrersein ein Nebenberuf“ gehöre? Beanspruche „die Arbeit eine Lehrers nicht die ganze Arbeitskraft eines Menschen“?46 Die Bekenntnisse der Betroffenen waren erschreckend. Einer schrieb: „Man darf es uns nicht übelnehmen, wenn wir diesen unseren Staat hassen. Die Zeit der russischen Gefangenschaft hat mir psychisch nicht so zugesetzt, wie die sechs Jahre im bayerischen Schuldienst.“47 Und ein anderer, ein Leh- rer in Niedersachsen, bekannte: „Ich hasse die Demokratie, die ihre Beamten so unwürdig bezahlt. Die Regierenden mögen nicht denken, daß ich die gegenwärtige Staatsform meinen Kindern als etwas Erstrebenswertes hinstelle. Ich habe genug von ihr.“48 Diese Lehrer waren nicht nur nicht geeignet, den Anspruch zu erfüllen, vor allem in den Schulen den Grund zu legen für Umerziehung in Richtung Demokratie. Sie arbei- teten den Absichten, die die Besatzungsmächte mit dem besiegten Deutschland hatten, bewußt entgegen. Zu ihrer Rechtfertigung muß man aber zugeben, daß sie sich im Laufe der Jahre zunehmend als „Stiefkinder des Staates“49 degradiert fühlten. Der Satz des ABJ50-Vorsitzenden von Nürnberg, Kurt Gemählich, „Am Wiederaufstieg der Bun- desrepublik haben wir keinen Anteil“51, konnte zweifach interpretiert werden. Einmal machte er deutlich, daß sich die Lehrerschaft ausgeschlossen von den Segnungen der vielgepriesenen Sozialen Marktwirtschaft und des Wirtschaftswunders sahen. Sie konn- ten nicht teilhaben am wachsenden Wohlstand. Andererseits signalisierte er aber auch,

37 siehe S. 211. 38 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 26. Sitzung am 29.5.1951, S. 703. 39 Die Bayerische Schule, 5. Jg. Nr. 10 vom 20.5.1952, S. 164; Ebda., 4. Jg. Nr. 6 vom 20.3.1951, S. 95. 40 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 26. Sitzung am 29.5.1951, S. 703. 41 Die Bayerische Schule, 6. Jg. Sondernummer, Februar 1953, S. 87; vgl. dazu Dannhäuser, S. 242 f. 42 Ebda., 4. Jg. Nr. 6 vom 20.3.1951, S. 95. 43 Ebda., 5. Jg. Nr. 14 vom 20.7.1952, S. 235. 44 Stadtarchiv Nürnberg. C 24 SchV Nr. 64, Bd. 64; Nürnberger Zeitung vom 8.5.1953. 45 BayHStA München. StK 113977. Entschließung des Verbandes der Katholischen Lehrerschaft Deutschlands am 27.1.1953 zur Nachwuchskrise und Besoldungsfrage. 46 Die Bayerische Schule, 5. Jg. Nr. 1 vom 5.1.1952, S. 7. 47 Ebda., 4. Jg. Nr. 14 vom 18.7.1951, S. 232. 48 Ebda., Nr. 6 vom 20.3.1951, S. 95. 49 Ebda., 6. Jg. Sondernummer, Februar 1953, S. 87. 50 ABJ = Arbeitsgemeinschaft bayerischer Junglehrer. 51 Die Bayerische Schule, 6. Jg. Sondernummer, Februar 1953, S. 87.

215 daß der Anteil, den die Schule für dieses Wachstum leistete, von den Lehrern als so unbedeutend angesehen wurde, daß sie ihn gleich Null setzten. Das bedeutete dann aber, daß sie ihre Arbeit als unerheblich eingeschätzt sahen, daß die florierende Wirt- schaft ihre Anstrengungen übersah, daß sie sich schließlich selbst als unwichtig betrach- teten. Lehrer, deren Selbstwertgefühl von derart nihilistischen Tendenzen beherrscht wurde, waren keine Hilfe für den demokratischen Wiederaufbau. Dabei muß auch bedacht werden, daß es sich um die Generation handelte, deren Idealismus im Dritten Reich ausgenutzt und die in sechs Jahren Krieg um ihre Jugend betrogen worden war. Viele wollten nur noch unbehelligt vom Staat, zurückgezogen in ihre Privatsphäre, leben.

6.3. LEHRERINNEN

Den Lehrerinnen wurde vom Staat - nicht nur bezüglich ihrer Bezahlung - eine ganz andere Rechnung aufgemacht. Im Herbst 1945 hatte man noch betont, daß „weiblichen Bewerbern ... alle Tore geöffnet (würden), weil man aus dem Beispiel der anglo-sächsischen Länder gelernt (habe) und gewiß (sei), daß weibliche Lehrkräfte, besonders im Elementarunterricht, ausgezeichnete Resultate erzielen“.1 Den Schulhelfe- rinnen war dann schon 1946 mitgeteilt worden, daß ihr Grundgehalt von vornherein um 10 % weniger betrüge als das ihrer männlichen Kollegen.2 Aber auch die auf Dienst- vertrag oder als Hilfslehrerinnen angestellten weiblichen Lehrkräfte mußten Minderun- gen in Kauf nehmen, wie aus verschiedenen Quellen hervorgeht. Im April 1947 veröf- fentlichte die Nürnberger Zeitung unter dem Titel „Sonderbare Gehaltsregelung“ den Brief einer Lehrerin: „An der Volksschule ... , an der ich Lehrerin bin, praktiziert ein Schulhelfer. Er hört zu und hält in der Woche einige Übungsstunden und gibt ein bis zwei Unterrichtsstunden, auf die er sich vorbereiten muß. Eine auf Dienstvertrag ange- stellte Lehrerin, die einige Jahre älter ist als dieser Schulhelfer, leitet selbständig zwei Klassen im Abteilungsunterricht mit 30 Wochenstunden. Beide stehen auf gleicher Lohnstufe, was schon verwunderlich ist. Da der Herr aber dem besser bezahlten Geschlecht angehört, erhält er monatlich 170 Mark, die Lehrerin aber nur 158 Mark.“3 Ein Antrag der SPD an den Bayerischen Landtag befaßte sich ebenfalls mit dieser Unge- rechtigkeit. Hier hieß es: „Der Landtag wolle beschließen: ‚Die Bestimmungen der Besol- dungsordnung A und der Diätenordnung, nach denen die Grundgehälter und Diä- tensätze für Lehrerinnen um 10 v.H. gegenüber den für Lehrer gültigen Gehaltsbezügen zu kürzen sind, sind mit Wirkung vom 1. Dezember 1946 nicht mehr anzuwenden.‘“4 Die Rückdatierung - der Antrag wurde im April 1947 gestellt - hing sicher mit dem Inkrafttreten der Bayerischen Verfassung am 2. Dezember 1946 zusammen, in der nach Artikel 118 (1,2) vor dem Gesetz allen die gleichen Rechte zugesprochen und Männern und Frauen grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten auferlegt bzw.

1 Die Neue Zeitung, 1. Jg. Nr. 9 vom 15.11.1945, S. 3. 2 siehe S. 128. 3 Die Neue Zeitung, 3. Jg. Nr. 28 vom 7.4.1947, S. 7. 4 BayHStA München. MK 53202. Beilage 237/Antrag vom 24.4.1947 (Stock und Genossen, SPD).

216 zuerkannt wurden.5 Weitere, Lehrerinnen betreffende Entscheidungen zeigten, daß, zumindest während der Ära Hundhammer, die Gleichberechtigung von Mann und Frau in Bayern nicht zur demokratischen Tagesordnung gehörte. So geschah es beispielsweise, „daß von der Militärregierung eingesetzte weibliche Schulräte durch die bayerischen Stellen nicht bestätigt“ wurden. Zur Begründung wurde angeführt, „daß es in Bayern bisher keine weiblichen Schulräte gegeben habe“. Kultusminister Hundhammer bean- spruchte zwar für sich, Neuerungen selbstverständlich zugänglich zu sein, „wir wollen doch aber das natürliche Verhältnis von Mann und Frau nicht umkehren und Männer nicht der Leitung von Frauen unterstellen“.6 Er trug sich aber mit der Absicht, in Mün- chen eine Schulratsstelle einer weiblichen Lehrkraft anzuvertrauen, „der selbstverständlich nur weibliche Lehrkräfte und weibliche Unterrichtsklassen unterstellt werden würden“.7 Lehrerinnen, die nicht befördert werden, sondern ganz alltäglich nur unterrich- ten wollten, sahen sich auch an überkommene (Vor-)Urteile gebunden. Ein Beschluß des Landtags aus dem Jahre 1949 sah vor, daß bei Verwendung von Lehrkräften an staatli- chen höheren Schulen darauf geachtet werden mußte, daß an Knabenschulen vorwie- gend männliche, an Mädchenschulen vorwiegend weibliche Erzieher tätig waren. In gemischten Schulen war das Zahlenverhältnis zwischen Schülern und Schülerinnen bei der Auswahl der Lehrkräfte zu berücksichtigen.8 Ursprünglich hatte das Kultusministerium „an höheren Schulen, die auch von Knaben besucht werden, keine Frauen beschäfti- gen“ wollen.9 Erst als die SPD im kulturpolitischen Ausschuß gemäß der Verfassung die Gleichberechtigung forderte, einigte man sich auf den o.g. Kompromiß.10 Das geplante Ausscheiden von 200 Studienassessorinnen und Studienrätinnen wurde vom Aus- schußvorsitzenden Meixner (CSU) damit begründet, daß man Stellen brauche für 1300 männliche Assessoren, die demnächst ihre Examina ablegen würden. Kultusminister Hundhammer erklärte dazu während der Landtagsdebatte, man müsse „Logik und soziale Gerechtigkeit bei diesem Problem walten lassen. Wo z.B. eine 20- bis 30-jährige Leh- rerin eine Stellung innehabe, um die sich auch ein 5 Jahre älterer Lehrer mit Familie bewerbe, müsse die Lehrerin dem älteren Kollegen den Platz räumen“.11 Ohne weiteres wollte er also auf erfahrene Kräfte verzichten, um Männern ohne Praxis im Unterrichten in gesicherte Positionen zu verhelfen. Was man von Seiten der SPD auch fürchtete, war, daß Minister Hundhammer „zufällig“ evangelische Lehrerinnen zur Entlassung auswählen würde.12 Traditionsgemäß war die Bereitschaft evangelischer Familien, ihren Töchtern eine qualifizierte Ausbildung zu ermöglichen, größer als in katholischen. Deswegen war es

5 Verfassung des Freistaates Bayern (GVBl. vom 8.12.1946, S. 333-346). In einem späteren Kommentar zu Art. 118 (2) heißt es: „Abs. 2 erstreckt sich ... nur auf ein Teilstück des Gleichberechtigungsproblems: er handelt nur von staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten. Sie sind für Männer und Frauen grundsätzlich, d.h. nach Maßgabe der Gesetze ... gleich; Differenzierungen sind jedenfalls statthaft, wenn sie im Hinblick auf biologi- sche oder funktionale Unterschiede geboten sind ...“ (Theodor Meder: Die Verfassung des Freistaates Bayern. Handkommentar. 4. Aufl., Stuttgart, München, Hannover, Berlin, 1992, S. 450). Rückwirkend ab 1.4.1947 wurde der Antrag vom Haushaltsausschuß des Landtags einstimmig genehmigt (Mitteilungen des Bayerischen Lehrervereins, München 1947, Nr. 7/8, S. 15.) und im GVBl. Nr. 10/28.4.1948, S. 59 als Gesetz Nr. 113 über den Wegfall der 10prozentigen Kürzung der Grundgehalts- und Diätensätze der weiblichen Lehr- kräfte vom 18.3.1948 veröffentlicht. Die Rückdatierung auf den 1.4.1947 wurde bestätigt. 6 Die Neue Zeitung, 3. Jg. Nr. 19 vom 7.3.1947, S. 5. 7 Ebda. 8 BayHStA München. StK 113976. Beschluß des Bayer. Landtags vom 9.11.1947, Beilage 3034. 9 AdsD Bonn. SPD - LTF Bay Nr. 114 (Korresp. von/mit Bez. Franken 1949). Schreiben des Landtagsabgeordne- ten Claus Pittroff am 8.11.1949 an die Frauengruppe SPD Nürnberg und Forchheim. Betr.: Entlassung von 200 Lehrerinnen. 10 Ebda. 11 Ebda., Schreiben der ersten Vorsitzenden der sozialdemokratischen Frauen im KV Nürnberg, Frieda Görres, am 2.11.1949 an die Landtagsfraktion der SPD. 12 Ebda.

217 auch nicht verwunderlich, wenn der Anteil evangelischer Lehrerinnen prozentual höher war als der katholischer. Im Jahr 1951 stellte die SPD-Abgeordnete Hillebrand den Antrag, den Beschluß von 1949 aufzuheben. Nun wurde im Landtag darüber diskutiert, wobei sich folgende Gesichtspunkte gegen den Antrag ergaben: „Keine Verfassung der Welt (könne die) Ungleichheit der Geschlechter beseitigen.“ Aus „pädagogischen Grün- den“ könne „die Frau“ Knaben der oberen Klassen nicht unterrichten. „Die beste Rechtstheorie“ könne durch „natürliche Voraussetzungen zu Fall gebracht werden“. Die Verfassung könne „den Frauen nicht geben, was sie von Natur aus nicht haben“. Hund- hammer, damals Präsident des Landtags, nicht mehr Kultusminister, meinte, es dürfe „nicht übersehen werden, daß, wie bei einem Konzert, die Stimmen dort zum Einsatz kommen, wo sie am Platz sind“. Die Beseitigung der bisherigen Bestimmungen werde seiner Überzeugung nach „für die Frauen keine Besserung bringen“, außerdem sei es ihm richtig erschienen, „Männer, die Kriegsteilnehmer und Kriegsgefangene waren, bevorzugt anzustellen“. Der Antrag wurde an den Rechts- und Verfassungsausschuß überwiesen.13 Die in der Diskussion geltend gemachten Begründungen waren von Männern geäußerte frauenfeindliche Allgemeinplätze, die an keinem konkreten Beweis festge- macht wurden, oder scheinheilige Fürsorge, derer die Frauen nach sechs Jahren Krieg, in denen sie Familie, Arbeitseinsätze, Sorge um den Mann und Schutz der Kinder während der Bombenangriffe bewältigen mußten, nicht bedurften. Allerdings hatte die Erzie- hung dieser Frauengeneration meistens nicht genügt, um kämpferisch gegen diese tra- dierten Ansichten vorzugehen. Und wo letztere nicht ausreichten, wurde der Kriegsteil- nehmer bzw. -gefangene vorgebracht, um die Frauen, die sich, der Not gehorchend, in der Männerwelt durchgesetzt hatten, aus ihren Positionen zu verdrängen. Auch als Kul- tusminister Hundhammer im Jahr 1950 Studienassessorinnen an höheren Knabenschu- len entließ, argumentierte er, die nur aushilfsweise von ihnen besetzten Planstellen müßten für „dienstältere Kriegsteilnehmer freigemacht werden“. Bleiben sollten diejeni- gen Frauen, die sich während des Krieges „voll bewährt“ hätten.14 Ihr Verbleib im Amt lag also im Ermessen eines (männlichen) Vorgesetzten, denn was hieß schon „voll bewährt“? Entlassen wurden ab 1948 verheiratete Lehrerinnen, zu einem Zeitpunkt also, als die Klassenfrequenzzahlen einen geregelten Unterricht oft in Frage stellten, viele Lehrer noch zwei oder drei Klassen im Abteilungsunterricht führten und pensionierte Lehrer wieder in den Dienst gerufen worden waren. Vergeblich beantragte die FDP im Landtag den Aufschub dieser Maßnahme mit den o. g. Argumenten.15 Eine der Betroffenen, die jedoch dann auf eine rasche Heirat zugunsten ihrer Anstellung verzichtete, schrieb, daß ihr gesagt worden sei, eine verheiratete Lehrerin sei „untragbar“. Warum das so sein sollte, wurde ihr aber nicht verraten. 16 In den Städten, die mit viel Aufwand Schulräume wie- derhergestellt hatten, fehlte das Verständnis dafür, daß aus Ersparnisgründen die verhei- rateten Lehrerinnen ausgestellt wurden.17 Denn nun hätte man ja die Wochenstunden- zahl für die Schüler erhöhen können. Im übrigen betrafen die Entlassungen nur die im Angestelltenverhältnis beschäftigten verheirateten Lehrerinnen. Beamtinnen waren unkündbar. Somit wirkte sich die Maßnahme vor allem auf Flüchtlinge aus, die ja

13 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 30. Sitzung am 20.6.1951, S. 878 ff. 14 BayHStA München. StK 113976. Schreiben Kultusminister Hundhammers am 7.2.1950 an Ministerpräsident Ehard. 15 ACSP München. NL Seidel. Beilage 1456. Antrag der FDP am 2.6.1948. 16 Dannhäuser, S. 352. 17 Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 13.8.1948, S. 3.

218 „durchwegs als Angestellte verwendet“ wurden und „denen ohne weiteres gekündigt werden“ konnte.18 Die Regierung von Oberbayern meldete dem Kultusministerium, daß die Kündigungen zwar nicht „reibungslos“ vor sich gingen, „aber ohne größere Schwie- rigkeiten“.19 Um Härten zu vermeiden, hatte das Kultusministerium verfügt, daß Entlas- sungen nur ausgesprochen wurden, wenn der Mann ein ausreichendes Einkommen hatte. Allerdings begannen die Kündigungen gerade sechs Wochen vor der Währungs- reform,20 und wenn man davor durchaus von Erspartem hatte leben können, begann für viele Familien mit der Währungsumstellung eine wahre Notzeit. Als unmoralisch betrachteten viele Entlassene auch die Tatsache, daß sie bis zu 15 Jahren, vor allem auch in den Kriegsjahren, als man sie als Ersatz für die Kriegsteilnehmer dringend gebraucht hatte, dem Staat treu gedient hatten, um jetzt auch der Straße zu stehen.21 Bedenkt man außerdem die Verdienstsituation der Lehrer, besonders der nur angestellten Flücht- lingslehrer,22 so fragt man sich, ob das Kultusministerium solche Einkommen als ausrei- chend für eine Familie einstufte. Über die erforderliche Höhe des Familieneinkommens fanden sich keine Angaben. Gekündigt werden konnte auch Lehrerinnen, die, ohne verheiratet zu sein, schwanger wurden. Kultusminister Hundhammer forderte in einem persönlich unter- zeichneten Schreiben die Regierung von Oberfranken und Mittelfranken auf zu prüfen, ob „unverheiratete weibliche Aushilfskräfte, die sich in anderen Umständen und zum Teil sogar schon im fortgeschrittenen Zustand der Schwangerschaft“ befanden und noch Dienst taten, weiter verwendungsfähig seien. Die Prüfung sollte „unter eingehender Würdigung des Einzelfalles mit dem gebotenen Ernst“ vorgenommen werden. Unnötige Schärfe, aber auch „großzügiges Hinwegsehen über ein Verhalten, das nach allgemei- ner Anschauung zu verurteilen ist“, sollten dabei vermieden werden. Gekündigt werden sollte der Lehrerin, wenn sie „bei der Bevölkerung berechtigten Anstoß erregt und wenn ihre Autorität bei der Schuljugend sowie ihr Erziehungserfolg gefährdet“ seien. In Aus- nahmefällen könne eine solche Lehrerin „für eine angemessene Zeit vor und nach der Geburt des Kindes“ beurlaubt und dann versetzt werden. Bei etwaigen Zweifeln hatte die Regierung die Entscheidung des Kultusministeriums einzuholen.23 Die „uneheliche Mutterschaft der Lehrerin a. DV. E.“ war dann auch der Anlaß, daß von ihrer weiteren „Verwendung im Schulaufsichtsbezirk Hilpoltstein abgesehen“ wurde.24 Die „angemessene Zeit“ vor und nach der Entbindung war - auch für verheiratete schwangere Lehrerinnen - nach den bis dahin geltenden Bestimmungen (§ 2 Abs. 3 Mutterschutzgesetz vom 17.5.1942, RGBl. I S. 321 Rd. Erlaß des vorm. RMWEV. vom 13.3.194325) mit sechs Wochen vor und nach der Geburt angegeben worden. Vom Standpunkt der Gesundheit für Mutter und Kind aus war das, abgesehen von komplizierten Fällen, sicher ausrei- chend. Bayerische Lehrerinnen hatten sich aber vornehmlich dem sittlich-moralischen

18 BayHStA München. MK 62001. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 30.10.1948 an das Landtagsamt. 19 Ebda., MK 61321. Bericht der Regierung von Oberbayern am 16.10.1948 an das Staatsmin. für Unterricht und Kultus. Stand des Volksschulwesens. Zur RE. Nr. 4000/45 vom 12.10.48. 20 Die Bayerische Schule. 6. Jg. Sondernummer Februar 1953, S. 89. 21 Ebda. 22 siehe S. 211. 23 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4519. Schreiben Nr. IV 18590 des Bayer. Staatsmini- steriums für Unterricht und Kultus am 31.7.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfranken, Ansbach. Betreff: Dienstverhältnis von weiblichen Aushilfslehrkräften. 24 BayHStA München. MK 61220. Schreiben der Regierung von Mittelfranken am 5.3.1949 an das Bezirks- schulamt in Hilpoltstein. 25 Amtlicher Schulanzeiger für die Regierungsbezirke Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach/Bayreuth. 17. Jg. Nr. 1 vom 1.1.1949, S. 4 f. KME. v. 2.8.1948 Nr. IV 49234.

219 Gesichtspunkt zu beugen, denn unter der Überschrift „Mutterschutz für Lehrerinnen“ hieß es, daß diese Regelung den „besonderen Verhältnissen, die bei der Berufsausü- bung der Lehrerinnen, die werdende Mütter sind, berücksichtigt werden müssen, nicht hinreichend Rechnung“ trüge.26 Daher bestimmte die kultusministerielle Entschließung vom 21. August 1948, „daß die einer Entbindung entgegensehenden Lehrerinnen grundsätzlich nach Beendigung des 5. Schwangerschaftsmonats zu beurlauben sind ...“ Für die Zeit nach der Entbindung blieb die bestehende Frist gültig.27 Über die „Rechts- stellung der weiblichen Lehrkräfte bei Mutterschaft; hier Mutterschaftsurlaub“, der übri- gens auch 1952 noch „aus erziehlichen Gründen“ nach Beendigung des 5. Schwanger- schaftsmonats angetreten werden mußte, hieß es, daß die Anordnung „nunmehr für die weiblichen Lehrkräfte sämtlicher staatlicher Volks-, Berufs- und Mittelschulen sowie höheren Lehranstalten, Lehrer(innen)bildungsanstalten und Erziehungsanstalten“ gelte. Für die Dauer der Dienstbefreiung wurden die bisherigen Bezüge weitergewährt, aber, falls kein ärztlich angeordnetes Beschäftigungsverbot bestand, konnten die solcher- maßen vom Dienst Befreiten „durch ihre Dienstvorgesetzten zu zumutbaren Arbeiten in der Schulverwaltung, z.B. zu häuslichen Arbeiten für die Schule, wie Ausstellung von Zeug- nissen, Eintragungen in die Schülerbögen usw., zur Erledigung schriftlicher Arbeiten beim Schulamt oder bei der Regierung, Schulabteilung, herangezogen werden, wenn dadurch der Zweck der gewährten Dienstbefreiung nicht gefährdet wird“.28 Der Zweck war, den sittenverderbenden Anblick der Schwangeren vor den unschuldigen Augen der Schulkinder bis hinauf zu den Zöglingen der Lehrerbildungsanstalten zu verbergen.

6.4. LEHRERORGANISATIONEN

Die erneute Sammlung der Lehrerschaft in einer möglichst alle Schularten umfassenden Organisation war schon sehr bald das Ziel ehemaliger Mitglieder des 1938 gewaltsam aufgelösten Bayerischen Lehrervereins. Auf drei Ebenen verliefen die Neu- gründungen: Kreis, Bezirk und Land. Für Nürnberg vermeldete die Stadtchronik bereits am 23. November 1945 den Zusammenschluß der Volks-, Berufs- und Fachschullehrer zu einem „paritätischen Lehrerverein“.1 Schon im August 1945 hatte die amerikanische Militärregierung in München die vorläufigen Satzungsbestimmungen für den „Nürnber- ger Lehrerverein“ (NLV) genehmigt, deren erster Abschnitt folgendermaßen lautete: „Der Nürnberger Lehrerverein stellt den Zusammenschluß aller durch die Militärregie- rung genehmigten Nürnberger Volksschullehrer ohne Unterschied des Bekenntnisses und der Parteizugehörigkeit dar ...“2 Ursprünglich hatte Dr. Nüchter, Schulpolitiker und bis 1933 Schriftleiter der Bayerischen Lehrerzeitung, bei der Neugründung des Vereins vor allem „die Pflicht gefühlt, die gräßlich zerstreute, hilf- und hoffnungslos gewordene Schar wieder zu sammeln, auch in der Hoffnung, daß die Not der Zeit die Herzen und Hirne für den Gedanken der Einigkeit aller Lehrenden öffnen werde“.3 Denselben Gedanken hatte Oberstleutnant John Taylor von der Militärregierung. Die Genehmigung

26 Ebda. 27 Ebda. 28 Mittelfränkischer Schulanzeiger mit den amtl. Mitteilungen der Regierung von Mittelfranken. 21. Jg. Nr. 2 vom 1.2.1953, S. 15 f. KME. v. 17.6.1952 Nr. IV 34486.

1 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2 vom 23.11.1945. 2 Barthel, S. 497. Eine Neugründung wurde von der Militärregierung zunächst nur auf örtlicher Ebene geneh- migt. (Ebda.). 3 Guthmann, S. 344.

220 zur „Wiederaufrichtung des Bayerischen Lehrervereins“ wurde am 20. März 1946 von der „Abteilung für Erziehung und religiöse Angelegenheiten. Zweig für öffentliche Gesundheit und Fürsorge, interne Angelegenheiten und Verbindungen. Amt der Militär- regierung für Deutschland (US) APO 742 US-Army“ erteilt. Allerdings wurde im zweiten Abschnitt des Schreibens ausgeführt: „Der Bayerische Lehrerverband beschränkt sich auf Volksschullehrer. Dies bedeutet, daß das undemokratische Kastenschulsystem mögli- cherweise in der amerikanischen Zone fortgesetzt wird. Deutsche Schulen wurden im Interesse bestimmter sozialer Gruppen organisiert: die Volksschule für die niedrigeren Klassen, die Mittelschulen für die niedrigeren bürgerlichen Klassen und die höheren Schulen für die reichen Klassen und höheren Berufsstände. Die Lehrer wurden in ver- schiedenen Anstalten auf verschiedenem sozialem und akademischem Niveau ausgebildet. Es gab für jede soziale Gruppe einen besonderen Lehrerverband. Die Lehrerverbände hatten keine gemeinsamen Interessen. Ihre Mitglieder trafen sich selten gesellschaftlich, und sie trafen sich nicht, um gemeinsame Berufsprobleme zu erörtern. Es ist die Politik dieses Amtes, die Deutschen zu unterstützen, in dem Versuch, das herkömmliche Kastenschul- system zu zerstören, das vieles dazu beitrug, die Entwicklung einer echt demokratischen Gesellschaft zu verhindern. Der genehmigte Antrag bedeutet, daß seine Gründer nach dem alten Rezept denken.“4 Trotzdem wurde der Antrag genehmigt, wobei die telefoni- sche Intervention Wilhelm Baumanns, des Leiters der Schulabteilung im bayerischen Kul- tusministerium, beim Office of Military Government for Germany, Berlin, als bedeu- tungsvoll hervorgehoben wurde.5 Über den Inhalt des Telefongesprächs wird in den vor- gefundenen Quellen nichts ausgesagt. Hatte man möglicherweise angedeutet, daß ein Zusammenschluß nur der Volksschullehrer ein erster Schritt sei zu einem Gesamtlehrer- verband? Oder war die Überzahl der Volksschullehrer gegenüber Lehrern anderer Schularten ausschlaggebend? Im Schreiben der Militärregierung hieß es: „Wäre es nicht klug, die Gründung eines allumfassenden Lehrerverbandes anzuregen, zur Förderung der Erziehung und des Unterrichts im allgemeinen und darnach die Organisation von Unterabteilungen oder angegliederten Verbänden zur Förderung spezieller Interessen zu unterstützen?“6 Verglichen mit den kraftvollen Beteuerungen, Deutschland mit dem Wesen des demokratischen Lebens vertraut zu machen, und angesichts der Tatsache, daß man auf amerikanischer Seite das deutsche Schulsystem immer als besonders undemokratisch eingestuft hatte und noch einstufte, legte man mit dieser Formulierung eine unglaubli- che Vorsicht an den Tag; und das zu einem Zeitpunkt, da die amerikanischen Behörden noch durchaus demokratische Befehle hätten geben können, da sie noch keine Bindung an eine durch sie genehmigte Verfassung hatten und viele Gymnasiallehrer wegen der geschlossenen höheren Schulen an den Volksschulen unterrichteten. Auf bayerischer Seite hing die Entwicklung hin zu einem bloßen Volksschulleh- rerverein offensichtlich mit der Einstellung der Protagonisten zusammen. Zwar sprach Nüchter die Hoffnung auf Einigkeit aller Lehrenden aus, aber zu den vorbereitenden Arbeiten zur Gründung eines umfassenden Lehrerverbandes wurden Kollegen der Volks-, Berufs- und Sonderschulen, nicht aber der höheren Schulen eingeladen. Das habe daran gelegen, daß deren Anschriften nicht bekannt waren. So jedenfalls lautete eine - ziemlich lahme - Erklärung.7 Außerdem gab es Uneinigkeit darüber, ob sich die Lehrerverbände zu einer Erziehergewerkschaft zusammenschließen sollten. Bei der Bil-

4 Ebda., S. 345 f. 5 Buchinger, S. 31. 6 Guthmann, S. 346. 7 Ebda., S. 344.

221 dung eines Organisationsausschusses für die Planung einer Erziehergewerkschaft hatten sich bereits im Oktober 1945 262 Mitglieder angemeldet, wobei die rege Beteiligung von Kollegen der staatlichen und städtischen höheren Schulen erfreut zur Kenntnis genommen wurde.8 Nüchter jedoch lehnte einen Beitritt des Lehrervereins zu einer Gewerkschaft ab, da seiner Meinung nach Lehrervereine mehr seien als eine Gewerk- schaft. Sie seien nämlich „zugleich Kulturvereine und als solche an sich schon über die Gewerkschaften hinausgewachsen“.9 Es müßten sich die Gewerkschaften „in der Rich- tung des Idealen erweitern, in der wir (der bayerische Lehrerverein) schon längst gear- beitet haben“. Nüchter hatte möglicherweise seine Auffassung über die Gewerkschaft dem Statuten-Entwurf, der der Militärregierung vorgelegt wurde, beigegeben. Für ihn konnte ein Lehrerverein kein Kampfverein im gewerkschaftlichen Sinne sein, da das Mit- tel des Streiks ihnen als Beamte verwehrt war.10 Und Beamte sollten Lehrer bleiben; denn ihre Aufgaben waren eng mit den Interessen des Staates verknüpft. Vielleicht hatte eine derartige Argumentation die Militärregierung veranlaßt, trotz aller Bedenken ihre Zustimmung zur Gründung eines bayerischen Lehrerverbandes, auf Volksschullehrer beschränkt, zu geben. Schließlich sollten die Lehrer die Umsetzung demokratischer Ideen an den Volksschulen, die von der Masse der Kinder besucht wurden, verwirkli- chen. Ausgehend von früherem und späterem Verhalten bekundeten möglicherweise die Gymnasiallehrer in ihrer Mehrzahl kein Interesse an einem allgemeinen Lehrerverein. Die Organisation der bayerischen Volksschullehrer müsse wieder stark werden, meinte Nüchter, um dann, „komme was wolle, ... etwas in die Waagschale zu legen (zu) haben“.11 Obwohl der damalige Kultusminister Fendt grünes Licht für einen gemeinsamen Lehrerverband gegeben hatte und auch am 28. Juni 1946 ein „Aufruf zum Zusammen- schluß aller bayerischen Lehrer und Erzieher“ erfolgt war, entschlossen sich nur der Katholische Lehrerverein, der Katholische Lehrerinnenverein und der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverein, sich zu einem Verband zu vereinigen. Der Versuch, einen Lehrer- verband für alle Schularten zu gründen, war, nach einer wohl ziemlich unverbindlichen Besprechung im Kultusministerium am 8. Februar 1946, gescheitert. In den Ausschüssen des am 26. August 1946 in Nürnberg neu gegründeten Verbandes arbeiteten Lehrer der Volks-, Berufs- und Sonderschulen; die Lehrer und Erzieher der Hochschulen, höheren Schulen, Mittel- und Fachschulen, der Kindergärten und Horte hatten die Einladung der ersten Schriftführerin, Bühler - „Darum kommt herein, alle, die ihr in irgend einer Art Erzieher und Lehrer seid!“ - nicht wahrgenommen.12 Die Bezeichnung Bayerischer Leh- rerverein wurde vorläufig beibehalten, bis am 20. Juli 1951 der Name „Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnen-Verein“ festgelegt wurde.13 Im Gegensatz zur frauenfeindlichen Politik der Schulverwaltung kam der Verein dem Verfassungsauftrag der Gleichberechtigung also schon früh nach. Der Verband verpflichtete sich zu „unbedingter politischer und weltan- schaulicher Neutralität und Toleranz“.14 Immerhin gab es gewichtige Stimmen, die das Nichtzustandekommen eines ein- heitlichen Lehrerverbandes bedauerten. Z.B. vermißte die FDP den Kontakt zwischen den Lehrern der verschiedenen Schulgattungen außer im Landesschulbeirat.15 Die Chronik

8 Ebda., S. 344 f. 9 Ebda., S. 345. 10 Ebda., S. 345. 11 Ebda. 12 Ebda., S. 347 f. 13 Ebda., S. 355. 14 Ebda., S. 346. 15 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler N1 - 56. Freie Demokratische Partei Bayern. Hauptgeschäftsführung. Protokoll der Tagung des Landeskulturausschusses am 12.3.1950 in Nürnberg, S. 3.

222 der Stadt Nürnberg vermerkte am 14. August 1950, daß sich der „Bayerische Lehrerver- ein, der Bayerische Philologenverband, der Verband Bayerischer Berufsschullehrer, der Verband Landwirtschaftlicher Berufsschullehrer Bayerns sowie der Verband der Diplom- handelslehrer Bayerns ... auf Anregung des Leiters der Erziehervereinigung von Pennsylvania (USA), A. Clair Moser, auf einer gemeinsamen Tagung in Nürnberg zu einer Arbeitsge- meinschaft Bayerischer Lehrer- und Erziehungsverbände“ zusammengeschlossen und somit 23 000 bayerische Lehrer sich zusammengefunden hätten.16 Zu mehr war man, nachdem man 1945/46 versäumt hatte, in größeren Zusammenhängen und neuen Kategorien zu denken, wohl nicht in der Lage.

6.5. GEISTIGE NOT

Die amerikanische Erziehungskommission, die im Spätsommer 1946 Deutschland bereist und General Clay Ende September ihren Erfahrungsbericht zugesandt hatte, wies auf einen gravierenden Mangel hin, an welchem die Lehrer vor allem litten und der zwar auch, aber nicht nur von den materiellen Gegebenheiten abhing: die völlige Abgeschnit- tenheit „von der geistigen Welt draußen“.1 Und sie sei nicht erst symptomatisch für das Nachkriegs-Deutschland, sondern habe auf manchen Gebieten bereits 1933 begonnen mit der Unterbindung aller von außen kommenden Mitteilungen. Durch die Devisenkontrolle sei die Einfuhr von Büchern und Fachzeitschriften aus dem Ausland eingeengt worden, und die Kriegsjahre hätten außerdem persönliche Kontakte zu Fachkollegen in anderen Ländern unterbrochen. Die Verluste an Büchern durch die Luftangriffe seien unabschätzbar. Der Papiermangel verhindere den raschen Ersatz.2 So sei der Lehrer nun in der mißlichen Situation, seine und der Schüler Wißbegier überhaupt nicht adäquat befriedigen zu können. Von eben dieser Not sprachen auch Zeugnisse von deutscher Seite. Der Mangel an Fachliteratur z.B. auf dem Gebiet der Sozialpädagogik mache sich bei der Bearbeitung dieser Thematik bemerkbar. Den jungen Lehrkräften fehle es, laut Aussage eines Fortbil- dungsleiters, an den wissenschaftlichen Grundlagen.3 Freiwillige Fortbildungsarbeit, z.T. während der Ferien, die den jungen Lehrern die „geistige Fundierung“ ermöglichen sollte, indem philosophische, psychologische, geschichtliche und pädagogische Vorträge ange- boten wurden,4 scheiterte oft infolge des unverhältnismäßig langen Anmarschweges aus den Dörfern.5 Bei ungünstiger Witterung verhinderten schlechtes Schuhwerk und nicht aus- reichende Kleidung die Teilnahme. Die Schulverwaltungen und die Regierungen versuchten, durch die Einrichtung von Lehrerbüchereien dem Mangel an Fachwissen abzuhelfen, wofür ein Brief des Ansbacher Regierungspräsidenten Zeugnis gibt. Er benötige, so schrieb er an den Landesverband der Buchhändler für Hannover, Braunschweig und Oldenburg, „für die Bücherei meiner Schulabteilung, die 5000 fränkische Lehrer mit geistiger

16 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2 vom 14.8.1950 (Nürnberger Nachrichten vom 18.8.1950).

1 Erziehung in Deutschland, S. 16 f. Man liest „Erziehungskommission“ oder „Erziehungsmission“ in den Quel- len. Die Amerikaner verstanden ihre Arbeit durchaus als Mission und verfügten über das notwendige Sen- dungsbewußtsein. 2 Ebda., S. 15 f. 3 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4779. Jahresbericht über die Fortbildungsarbeit 1947/48 von Fortbildungsleiter Horn, Nürnberg, am 9.9.1948 an die Regierung von Mittelfranken. 4 Ebda., Nr. 4785. Schreiben des Schulrats des Landkreises Uffenheim am 2.7.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfranken. Betreff: Ferienkurs für die Lehramtsbewerber des Landkreises Uffenheim vom 18.- 22.8.1947. 5 Ebda., Nr. 4776. Schreiben des Bezirksschulamtes Gunzenhausen am 9.6.1949 an die Regierung von Mittel- franken.

223 Nahrung versorgt, ... alle wichtigen Neuerscheinungen, die zur Aus- und Weiterbildung von Volksschullehren geeignet sind“.6 Eminent wichtig wurden die von der amerikanischen Militärregierung in ganz Bayern eingerichteten Information Centers. Im November 1946 eröffneten Oberst McMahon, Chef der Nachrichtenkontrolle von Bayern, und Eric Feiler, Leiter der Nach- richtenkontrolle in Nürnberg, im Gebäude der Militärregierung eine amerikanische Bibliothek.7 Bis Oktober 1947 gab es in Bayern sieben Information Centers, die nach amerikanischer Aussage an dem Ziel arbeiteten, „vor allem die deutsche Jugend wieder mit dem geistigen Leben des Auslands bekanntzumachen“.8 Diese Einrichtungen hießen ab Oktober 1947 dann Amerika-Haus.9 Neben München und Augsburg wurden im Früh- jahr 1948 auch in Nürnberg die „Pädagogischen Arbeitsstätten“ im Amerika-Haus ein- gerichtet, die vorwiegend amerikanische und schweizerische pädagogische und wissen- schaftliche Werke aller Gebiete anboten, „die dem Lehrernachwuchs einen Überblick über die fortschrittlichen Erziehungsmethoden anderer Länder“ geben sollten.10 Im Juli 1949 wurde das „Pädagogische Institut“ (Education Service Center) im Amerika-Haus in Nürnberg, das eine Bibliothek von 6000 Bänden umfaßte, der Öffentlichkeit überge- ben.11 Durch Umbau des ehemaligen „Zeugenhauses“ am Justizpalast hatte man Platz geschaffen zur Durchführung umfangreicher Programme. Als besonders interessant bezeichnete der damalige Direktor des neuen Education Service Centers, Dr. M. Acker- mann, die „deutschen Arbeitsausschüsse“, in denen „alle Gesichtspunkte der gegen- wärtigen Schulprobleme erörtert“ wurden: Reform, Frauenbildung, neue Lehrgänge, Unterrichtsmethoden, psychologische Beratungsmethoden. Ein Vortragssaal erlaubte größere Zusammenkünfte, z.B. im Jahr 1949 die Volksschulmusikwoche für 120 Lehrer. Bis zu 30 Personen konnten dort auch übernachten und in nahegelegenen Gasthäusern verpflegt werden, ein Vorteil, der zur damaligen Zeit nicht unterschätzt werden durfte.12 Für die Junglehrer waren diese Einrichtungen wahre Segnungen. Deutsche Insti- tutionen ähnlicher Art wurden erst später etabliert, z.B. in München die „Süddeutsche Lehrerbücherei“. Allerdings hatten die Lehrer, die in den Dorfschulen außerhalb des Großraums der Städte unterrichteten, weniger Nutzen davon, konnten jedoch auch Bücher über Versand ausleihen, sofern sie bei ihrem kärglichen Lohn das Porto dafür erübrigen konnten.13 Und das war offensichtlich ein Problem, ebenso wie die Teilnahme an Ferienkursen,14 das Abonnement einer Fachzeitschrift,15 die Teilhabe am kulturellen Leben,16 ein Theater- oder Vortragsbesuch, der Kauf eines Buches17 oder eine Fahrt zu einer Kunstaustellung.18 So sollte der Lehrer auf dem Lande „Mittelpunkt des dörflichen Kulturlebens“ sein, Kultur vermitteln, und konnte doch selbst nicht daran teilnehmen. Klein werde er dadurch gemacht19 und sein Selbstbewußtsein nicht gefördert.

6 Ebda., Nr. 4638. Schreiben des Regierungspräsidenten in Ansbach am 23.11.1946. 7 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 14.11.1946 (Nürnberger Nachrichten vom 16.11.1946). 8 Ebda., 6.10.1947 (Nürnberger Nachrichten vom 16.8.1947 und 8., 15. und 29.10.1947). 9 Ebda. 10 Ebda., 7.4.1948 (Nürnberger Nachrichten vom 10.4.1948). 11 Ebda., 18.7.1949 (Nürnberger Nachrichten vom 16. und 23.7.1949); Schule und Gegenwart, September 1949, S. 21 f. 12 Schule und Gegenwart, September 1949, S. 21 f. 13 Die Bayerische Schule. 4. Jg. Nr. 14 vom 18.7.1951, S. 232 f. 14 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4776. Schreiben des Schulrats für den Kreis Schwa- bach am 9.6.1949 an die Regierung von Mittelfranken. Betr.: Amtliche Fortbildung. 15 Die Bayerische Schule. 5. Jg. Nr. 10 vom 20.5.1952, S. 163. 16 BayHStA München. MK 61212. Entschließung des Niederbayer. Kreislehrervereins vom 7.8.1952. 17 Die Bayerische Schule. 4. Jg. Nr. 6 vom 20.3.1951, S. 87. 18 Ebda., 3. Jg. 1950, S. 206. 19 Ebda.

224 Er konnte sich anscheinend auch nicht lösen von den Ansprüchen verschiedener Stellen, die den Lehrer als Handlanger für ihre Forderungen betrachteten. Hatte er im Dritten Reich Posten und Pöstchen in den Parteiorganisationen übernommen oder über- nehmen müssen, die dann zu Fallstricken bei der Entnazifizierung wurden, so besann man sich nun allenthalben wieder auf die Lehrer und Schüler, wenn z.B. gesammelt wer- den mußte. Ein Gesuch um Mithilfe bei der Sammlung von Mohnkapseln wurde vom Kultusministerium zwar abgelehnt,20 aber die Altkorksammlung war erwünscht, „unter der Voraussetzung, daß der Unterricht nicht Schaden leidet“.21 Heilkräutersuche und Brennholzbeschaffung waren sowieso Aufgabe von Lehrer und Schülern, wobei der Schulrat des Landkreises Ebermannstadt in einem seiner markanten Rundschreiben bis- sig bemerkte, letztere solle besser durchgeführt werden als die Sammlung der Kräuter, denn sonst würde der nachlässige Lehrer frieren.22 Daß aber Schüler das Brennholz unter Beaufsichtigung des Lehrers vom Schulhof auf den Dachboden oder in die Schul- zimmer zu tragen hätten, wie ein Bürgermeister das erheischte, wurde von der Regie- rung in Ansbach abgelehnt.23 Selbstverständlich war es dagegen, daß die Schüler „unter Führung der Lehrkräfte“ auf Antrag der zuständigen Landwirtschaftsämter „zum Kar- toffelkäfersuchdienst“ einzusetzen waren, wobei Unterrichtsausfall nach Möglichkeit einzubringen war,24 und da mit Ministerialerlaß im Jahr 1947 die Beaufsichtigung der Schulspeisung den Schulbehörden zur Pflicht gemacht worden war, mußte der Lehrer auch da mitwirken; ebenso bei der Einziehung der Spendenbeiträge zur Speisung. Außerdem wurde er „ersucht“, durch entsprechende, „sich immer wiederholende Belehrungen der Schulkinder die noch zahlungsfähigen Eltern aufzufordern, mit Spen- den die Finanzierung ... zu ermöglichen“.25 Städtische Stellen und auch Schulämter beurteilten diese außerunterrichtliche Tätigkeit, zu der die Lehrkräfte oft genug gezwungen waren, in manchen Fällen als ziemlich diffamierend. Als „elende Bettlerei“ bezeichnete der Nürnberger Schulausschuß die Sammlungen, zu denen die Lehrer her- angezogen wurden, wenn Kreide oder Glühbirnen fehlten.26 Dem Schulamt in Nördlin- gen war weniger die zusätzliche Arbeit anstößig als vielmehr das Ansehen seiner Lehrer wichtig. Sie wurden nämlich häufig zur Warenverteilung herangezogen. „Zunächst wurde die Verteilung von Schuhen über die Lehrkräfte vorgenommen. Nun wird die Ausgabe von Schulheften (Amtsblatt Nr. 3/47/37) den Lehrkräften übertragen. Es han- delt sich dabei nicht einmal so sehr um die zusätzliche Arbeit ... Schwerer wiegt ... daß durch diese Zwischenschaltung der Lehrkräfte das Verhältnis zu den Kindern wie zum Elternhaus oft schwer getrübt wird. Weil der Lehrer einem Kind keine Schuhe zugäng- lich machen konnte, wird er angefeindet, beschimpft und verdächtigt. Wenn die Hefte zu Ende sind, wird es ihm die Mutter nicht glauben, daß ausgerechnet ihr Kind kein Heft mehr bekommen kann ...27 Schwer vorstellbar ist auch ein Zuwachs an Ansehen für die

20 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus Nr. 11 vom 20.8.1947, S. 90. E.d.Staatsmin.f.Unt.u.Kult.v. 19.7.47 Nr. IV 22217. 21 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 14. Jg. Nr. 5 vom 1.11.1946, S. 6. RE.v.22.10.1946 Nr. 1197 e 20. 22 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Rundschreiben des Schulrats des Landkreises Ebermannstadt (R 45/10) am 1.10.45 an alle Schulleitungen. 23 Ebda., Nr. 4518. Schreiben des Bezirksschulamtes Naila am 12.8.1947 an die Regierung von Oberfranken und Mittelfranken. 24 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 5 vom 22.3.1949, S. 43. E. d. Staatsmin. f. Unter. u. Kult. vom 10.3.1949 Nr. VIII 13195. 25 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken, Ansbach. 17. Jg. Nr. 12 vom 1.12.1949, S. 97. RE. v. 24.11.1949 Nr. 1194 aa 59. Mitarbeit der Lehrkräfte bei der Schulspeisung. 26 Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP Nr. 1285. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 7.1.1949. 27 BayHStA München. MK 62122. Schreiben des Bezirksschulamtes Nördlingen am 25.3.1947 an die Regierung in Augsburg. Betreff: Lehrer als Warenverteiler.

225 Lehrer, wenn sie als Hauptakteure bei der Lumpensammlung gelobt wurden und der Bericht die Überschrift „Der Landkreis trieb die Lumpen zusammen“ trug. Anerkennend hieß es, daß sich einige Schulklassen - „mit ihrem Lehrer an der Spitze“ - in Lumpen gekleidet und in diesem Aufzug gesammelt hätten.28 Angriffe auf die Lehrer kamen von höchster Stelle. Sie fühlten sich „durch die Schulaufsicht alliierter und deutscher Ämter, aber auch der Elternbeiräte, belastet und verunsichert“.29 Der mittelfränkische Regierungspräsident Schregle z.B. wandte sich wiederholt „scharf gegen die Lehrerschaft, die ... anscheinend ... nicht genug über die Lösung des Jugendproblems“ nachdenke,30 da sie nicht so zahlreich, wie er es gewünscht hätte, an einer Morgenfeier des Jugendausschusses für den Stadt- und Land- kreis Ansbach teilgenommen hatte. Oder er bemängelte, daß die Lehrer während der Nazizeit gerne jedes Amt übernommen hätten, jetzt aber nur wenige bereit seien, „über ihre wenigen Stunden in der Woche hinaus sich in den Dienst ihrer Gemeinde zu stel- len“.31 Diese Aussage allerdings wurde von verschiedenen Schulämtern nicht unwider- sprochen hingenommen.32 Dennoch schwang in vielen Äußerungen eher ein verächtli- cher Ton mit; z.B. wenn ein Bürgermeister meinte: „Bei uns sorgen die Lehrer dafür, daß von dem im Etat ausgeworfenen Betrag nichts übrigbleibt.“33 Und der Oberbürgermei- ster der Stadt Kulmbach empfahl, daß die Bezirksschulräte die Lehrerschaft „beaufsichti- gen“ sollten bezüglich ihres Charakters, ihrer Leistung und ihrer politischen Haltung. Auch die Forderung, durch Lehrgänge die kurzausgebildeten Lehrkräften von „Pfu- schern zu Lehrern“ zu machen,34 mochte inhaltlich durchaus zu Recht bestehen, die Wortwahl signalisierte Mißachtung. Aus den Reihen der Lehrer kamen Töne, die an Märtyrerschicksale erinnerten: Sie, die „dienstbeflissenen ... Knechte im Weinberg des Herrn“, seien mit Schmach behaftet, „verschüchtert gegen alles Behördliche ... angstgestört ... mit schmerzvoller Entsagung erfüllt ... unter dem Druck der politischen und seelischen Belastung“ schmachtend.35 Anstelle einer vor Jahrzehnten genossenen Achtung komme die öffentli- che Geltung „fast einer Ächtung gleich ...“36 Angesichts solcher - sicher stark überzoge- nen - Aussagen, stellte man nicht zu Unrecht die Frage, ob das die Lehrer sein konnten, mit denen die Demokratisierung gewagt werden sollte. Diese enttäuschten Existenzen betrachtete man auch nicht als die geeigneten Protagonisten, um in die Diskussion um die Schulreform einzugreifen.37 Andererseits wurde ihnen bescheinigt, daß sie, obwohl „oft verkannt und mißachtet“, tagtäglich mit „unerschöpflicher Liebe und Geduld“ ihrer Beschäftigung nachgingen,38 daß sie Idealisten seien,39 daß der allseitige Mangel, vor allem der Mangel

28 Amtsblatt der Militärregierung und des Landrats für den Landkreis Ansbach. Nr. 29 vom 21.5.1946, S. 307 f. 29 Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 252. 30 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 28 vom 27.7.1946, S. 7. 31 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Fränkischer Tag Nr. 84 vom 22.10.1947. „Bür- germeisterversammlung/Der Regierungspräsident sprach“. 32 Ebda., Schreiben Nr. B 2822 des Bezirksschulamtes Forchheim am 30.10.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfranken, Ansbach. 33 Ebda., Landratsamt Feuchtwangen, Abgabe 1992, Nr. 98. Niederschrift über die Bürgermeisterversammlung am 26.7.1951 in Bechhofen. 34 BayHStA München. MK 62006. Schreiben des Oberbürgermeisters der Stadt Kulmbach am 22.1.1947 an das Staatsmin. für Unterricht und Kultus. Betreff: Bezirksschulräte und Lehrerfortbildung. 35 Die Bayerische Schule. 3. Jg. 1950, S. 16-19. 36 Ebda., 4. Jg. Nr. 20 vom 20.10.1951, S. 335. 37 Ebda., 3. Jg. 1950, S. 16-19. 38 BayHStA München. MK 61321. Bericht der Regierung von Unterfranken am 6.10.1948 an das Staatsmini- sterium für Unterricht und Kultus. 39 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenograph. Bericht Nr. 42. 42. öffentl. Sitzung am 11.12.1947, S. 474.

226 an „produktiven Lehrkräften“ an ihren Kräften zehre,40 daß sie aber dennoch in „Tau- senden von freiwillig besuchten Konferenzen, Arbeitsgemeinschaften und Ferienkursen ... um den pädagogischen Fortschritt“ rängen.41 Eine Schwierigkeit nach der anderen hätten sie mit „anonymer Tüchtigkeit“ überwunden,42 und die Fülle der Gedankenar- beit, die geleistet worden war, wurde auch als „pädagogischer Frühling“ gepriesen43. Und es wurde davor gewarnt, Schule und Lehrerstand mit der gleichen Unterbewertung zu begegnen, wie das in den Zeiten der Diktatur üblich gewesen war. Die Schule müsse „von einem Randproblem des Staatslebens, von einem stummen Objekt für Sparsam- keitsexperimente, wieder zum Zentralproblem“ werden, „mit dessen Lösung die Demo- kratie steht oder fällt“.44 Diese Aussage deckte sich mit der Einschätzung der Schule als wichtigem Nährboden für das Wachstum demokratischen Gedankenguts, wie sie auch auf amerikanischer Seite gesehen wurde.45 Eine ganz andere Art geistiger Not litten diejenigen Lehrer, die in den Internie- rungslagern ausgeschlossen waren von den Diskussionen um Schule und Erziehung. Gleichwohl bemühte sich ein Teil von ihnen, aus der Entfernung daran teilzuhaben. Im Internierungs- und Arbeitslager Regensburg hatte sich eine Pädagogische Arbeitsge- meinschaft gebildet, die im Januar 1948 dem Staatsministerium für Sonderaufgaben einen Tätigkeitsbericht für das Jahr 1947 zuschickte. Die Arbeitsgemeinschaft hatte ihren Ursprung 1945 im Lager Natternberg und wurde in den Lagern Plattling, Langwas- ser (Nürnberg) und zuletzt in Regensburg aufrechterhalten. Sie versuchte, „durch gemeinsame Aussprache über allgemein orientierende und pädagogische Fragen die Einsamkeit zu überwinden und ... den Anschluß an die Außenwelt zu gewinnen. ... Prü- fung des Vergangenen und ... Aufbau eines Neuen nach dem Zusammenbruch waren der Inhalt“ der Bemühungen.46 Die im Bericht aufgeführten 17 Themen zeigten, daß die amerikanische Besat- zungsmacht Interesse an dieser Selbsthilfegruppe hatte, da sie die Unterlagen zur Verfü- gung stellte, z.B. den Bericht der amerikanischen Erziehungskommission, pädagogische Zeit- schriften, die Mitteilung des Bayerischen Lehrervereins, Bücher über demokratische Erziehung (in der Schweiz erschienen) und Schriften zur Pädagogik, z.B. von Theodor Litt. Außerdem war gestattet worden, im Lager eine Kulturbaracke einzurichten. Der Berichterstatter betonte, daß der Diskussion breiter Raum eingeräumt worden sei und daß Lehrer aller Schulgattungen teilgenommen hätten. Eine Aufstellung nannte die Teilnehmerzahl: Im Frühjahr 1947 befanden sich ca. 8000 Internierte im Lager Regensburg, 350 davon waren Lehrer. Etwa 22% von diesen nahmen an der Arbeitsgemeinschaft teil. Ende 1947 waren noch 2700 Personen im Lager, davon 170 Lehrer, von denen ungefähr 25 an den Veranstaltungen teilnahmen. Der Rückgang der Teilnehmer auf etwa 14 % wurde mit der Ermüdung nach dem täglichen Arbeitseinsatz und der Vorbereitung auf die Spruchkammerverfahren begründet.47

40 A. Fingerle: Zur Schulreform in Deutschland. In: Europa-Archiv 1 (1946), S. 306. 41 Die Bayerische Schule. 4. Jg. Nr. 3 vom 5.2.1951, S. 33 f. Offener Brief an Herrn Staatsminister Dr. Josef Schwalber. 42 Glaser, S. 150. 43 Fingerle, S. 306. 44 BayHStA München. MK 62006. Schreiben des Oberbürgermeisters der Stadt Kulmbach am 22.1.1947 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 45 siehe S. 15, 113, 286 f. 46 BayHStA München. MK 52543. Bericht der Pädagogischen Arbeitsgemeinschaft des Internierungs- und Arbeitslagers Regensburg am 15.1.1948 an das Bayer. Staatsministerium für Sonderaufgaben, München. Betrifft: Tätigkeitsbericht über das Jahr 1947. 47 Ebda.

227 Der Bericht verdeutlicht mehrere Gedankengänge: Man zeigte Einpassung in die Zeichen der Zeit und berichtete über Diskussionen und die Gemeinschaft von Lehrern aller Schulgattungen. Man sprach über unpolitische Lerninhalte, z.B. „Erste Hilfe bei Kindern und Jugendlichen“ oder „Heimatgeschichte mit Jugend erarbeitet“, und ließ - anders als während der Nazi-Zeit - den feinsinnigen Einzelmenschen zu Wort kommen und Teilnehmer aus eigenen Dichtungen lesen. Man wollte wiederum auch zeigen, daß man nun nicht apolitisch eingestellt, sondern bereit war mitzugestalten, z.B. bei der Bearbeitung der Themen „Sind Hänsel und Gretel und das Nibelungenlied noch zeitgemäß?“ oder „Das pädagogische Denken und Wollen der Gegenwart“. Auch fehlte nicht das „mea culpa“ bei Themen wie „Der Einsatz des Lehrers in der Partei und ihren Gliederungen“ oder „Referat über ‚Hitler in uns selbst‘“. Man wollte auf dem laufenden bleiben und den Anschluß nicht verpassen und bemühte sich um „Gewinnung einer auswärtigen Kraft zwecks ... Referat über das gegenwärtige Schulleben in Bayern und Deutsch- land ...“48 Also rechnete man sich doch eine Zukunft als Lehrer aus; und die Jahre zeig- ten, daß man sich nicht verrechnet hatte. Auch diese Lehrer kehrten in die Schulen zurück.

48 BayHStA München. MK 52543. Bericht der Pädagogischen Arbeitsgemeinschaft des Internierungs- und Arbeitslagers Regensburg am 15.1.1948 an das Bayer. Staatsministerium für Sonderaufgaben, München. Betrifft: Tätigkeitsbericht über das Jahr 1947.

228 V. Schulreform und Lehrerbildung

1. DIE BESATZUNGSMÄCHTE

In der sowjetisch besetzten Zone arbeitete man seit Mai 1945 an der Verwirklichung einer Schulreform, deren Ziele, Säuberung und Umgestaltung des Erziehungs- und Bil- dungswesens „im Geiste wahrhaft freiheitlicher und fortschrittlicher Ideen“, von der Exil- KPD in Moskau bereits im Jahr 1944 genannt worden waren.1 KPD und SPD kündigten in einem gemeinsamen Aufruf am 18. Oktober 1945 die Schaffung eines einheitlichen Schul- systems an. Konkretisiert wurde diese Absicht im „Gesetz zur Demokratisierung der deut- schen Schule“, das zwischen dem 22. Mai und dem 2. Juni 1946 verkündet wurde. Die Ein- heitsschule sollte die Erziehung vom Kindergarten bis zur Hochschule umfassen und jedem die gleichen Bildungschancen garantieren. Eine gemeinsame 8-klassige Grundschule mit einer darauf aufbauenden 4-klassigen Oberschule bzw. einer 3-klassigen Berufsschule soll- te diesem Anspruch gerecht werden. Das Gesetz war noch geprägt von den reform- pädagogischen Vorstellungen der Weimarer Zeit, da die Verfasser, erfahrene Schulfachleute, ihre alte Träume verwirklichten. Ab dem fünften Schuljahr der Einheitsschule war eine moderne Fremdsprache - Russisch - vorgesehen, ab der siebten Klasse die zweite Fremd- sprache und verstärkt Unterricht in Mathematik und Naturwissenschaften. Der Besuch der Hochschule sollte außer nach dem Abschluß an der Oberschule auch nach Berufs- und Fach- schule möglich sein. Bildungseinrichtungen für Erwachsene sollten allen Volksschichten die Kenntnisse vermitteln, um ein Hochschulstudium beginnen zu können.2 Obwohl aus dem bürgerlichen Lager kritische Stimmen gegen die Gleichmacherei, die zu einem Verfall des Leistungsniveaus führe, laut wurden, war die Einheitsschule, hinter der Besatzungsmacht, KPD und SPD standen, beschlossene Sache.3 Auf vier pädagogischen Kongressen, die bis zum Jahr 1949 stattfanden, rückte man immer mehr von den reformpädagogischen Idee ab, um schließlich die ideologische Aus- richtung auf den Marxismus-Leninismus zu erreichen.4 Keine der Besatzungsmächte war so erfolgreich wie die Sowjetunion bei der Umstrukturierung des Erziehungswesens.5 Den Franzosen, die ohne Schulreformkonzept ihren Teil Deutschlands besetzten, war vor allem an einer nachhaltigen Schwächung jedweder deutscher Machtstellung gelegen.6 Letztendlich fehlte es auf dem Gebiet des Erziehungswesens aber wohl an der nötigen Kon- sequenz und dem rücksichtslosen Willen zur Umstrukturierung, wie das in der SBZ der Fall war. Zudem war das elitäre französische Schulsystem dem deutschen nicht so unähnlich,7 so daß die Änderung gar nicht so radikal sein konnte. Es gab intensive Bemühungen um eine Änderung der Lehrerbildung, wobei man an den neuen Lehrerseminaren neben deut- schen Ausbildern immer auch französische Lektoren einsetzen wollte.8 Auch bestimmte fran- zösische Schulbücher sollten verwendet und bereits ab dem fünften Volksschuljahr Franzö- sisch - zumindest fakultativ - unterrichtet werden.9 Französisch war auch an den höheren Schulen, die laut Befehl der Militärregierung vom 1. Oktober 1946 zu einer Schulform zu

1 Zur Schulreform in der SBZ vgl. Hohlfeld, S. 27, 33 f, 84 ff, 89 ff. 2 Fingerle, S. 306; vgl. auch: Manfred Overesch: Die gesamtdeutsche Konferenz der Erziehungsminister in Stutt- gart am 19./20. Februar 1948. In: VfZ 28. Jg. 1980, Heft 2, S. 248 - 285, S. 250 f. 3 Fuchs/Pöschl, S. 151 f. 4 Ebda., S. 106 f, 157 ff; vgl. dazu Hohlfeld, S. 171 - 209. 5 Huden, S. 152. 6 Fuchs/Pöschl, S. 143 f. 7 Huden, S. 152. 8 Fingerle, S. 307. 9 Huden, S. 150; Fingerle, S. 307.

229 vereinigen waren, immer als erste Fremdsprache vorgesehen. Humanistische Gymnasien wollte man auflösen und Latein und Griechisch zugunsten Französisch begrenzen. Eine zen- trale Prüfung, ähnlich dem „Baccalaureat“ in Frankreich, war als Zugang zur Hochschule geplant.10 Die entschieden vorgetragenen Pläne scheiterten weitgehend. Zum einen prote- stierten die Kirchen heftig dagegen. Besonders die katholische Kirche fürchtete um ihren Einfluß im Schulbereich und nutzte ihre Machtposition nach dem Zusammenbruch, als sich politische Parteien noch nicht formiert hatten, um die Maßnahmen der französischen Militär- regierung zu unterlaufen.11 Denn wenn die Franzosen auch, wie in ihrem eigenen Land, die strikte Trennung von Kirche und Staat vertraten, so kamen sie, zumal im Rheinland, nicht an der katholischen Kirche vorbei. Es ging so wie in der amerikanischen Zone: Hatte die Besat- zungsmacht erst einmal Provisorien geschaffen, um die Kinder von der Straße zu holen, so wurde sie nach kurzer Zeit mit deren zäher Verteidigung konfrontiert, die Reformpläne wur- den von den deutschen Behörden verschleppt, bis die Besatzungsmacht kein Zugriffsrecht mehr auf die Schulpolitik hatte.12 Vergleichsweise unspektakulär verliefen die Bemühungen um eine Schulreform in der britischen Besatzungszone. Das lag sicher daran, daß die Briten es mit Schulfachleuten zu tun hatten, die ihnen in ihren Bemühungen entgegenkamen, Adolf Grimme in Niedersach- sen und Heinrich Landahl in Hamburg, beide SPD. Außerdem formulierten sie weniger eng gesteckte Ziele, sondern wollten einfach „politische Anständigkeit in der erzieherischen Struktur“ wieder herstellen und waren klug genug und voll guten Willens, all das zu för- dern, was auf deutscher Seite als „Hinwendung zu Wissen, Methode und Willenskraft“ zu erkennen war.13 Sie verließen sich dabei auf die Deutschen, die sie als angenehm und wün- schenswert betrachteten, ohne im einzelnen auf spezielle soziale oder erzieherische Ansich- ten dieser Leute zu achten.14 Und da ihnen Elitedenken aus ihrem eigenen Schulsystem nicht fremd war, war ihnen gewiß auch das deutsche Schulsystem nicht so unsympathisch wie vielleicht den Russen oder Amerikanern. So beschränkten sie sich auf die wohlwollende Unterstützung der bildungspolitischen Vorstellungen der SPD,15 betonten, daß nicht die glei- che Art von Erziehung für alle Kinder richtig sei,16 und waren unglücklich über die „restau- rierungsfreundliche Leitung“ in Nordrhein.17 Wie bereits dargelegt, waren die amerikanischen Planer der Re-education davon überzeugt, daß durch geeignete Erziehung eine auf Dauer erfolgreiche Demokratisierung in Deutschland möglich sei. Die Umerziehungsbemühungen sollten deshalb auch primär im Bereich des Schulwesens ansetzen. „Educated citizenry“, also die wohlinformierte und gebil- dete Bürgerschaft, war schon für Jefferson und Washington die Voraussetzung für wahre Demokratie gewesen,18 und dieses Bewußtsein veranlaßte die Amerikaner zu ihren Forde- rungen nach Strukturänderungen im deutschen Bildungswesen, also einer Schulreform. Dabei sollten - gemäß demokratischen Spielregeln - die deutschen Erziehungsfachleute die Reform bewerkstelligen. Die Konflikte waren vorauszusehen. Einmal hatten die von Mor- genthau-Anhängern zu Beginn der Besatzungszeit verbreiteten radikalen Umerziehungs- vorschläge zu „emotionalen Sperren“ geführt, bevor die Militärregierung noch eine Schul-

10 Fuchs/Pöschl, S. 146 f. 11 Ebda., S. 145. 12 vgl. dazu Overesch, Die gesamtdeutsche, S. 251. 13 Huden, S. 150 f. 14 Ebda., S. 153. 15 Fuchs/Pöschl, S. 120 (6-jährige Primarstufe für alle Schüler und anschließend dreigliedrig angelegte Sekun- darstufe, je nach Begabung, genauso wie in Großbritannien seit der „Education Act“ von 1944). 16 Ebda., S. 140. 17 Huden, S. 153; vgl. auch: Overesch, Die gesamtdeutsche, S. 251. 18 Bungenstab, S. 18.

230 oder Bildungsreform in Angriff genommen hatte.19 Zum anderen bezweifelte man gerade für die Bildungspolitik, ob Amerika das Land sein könne, aus dem die Heilsbotschaft einer idealen Erziehungspolitik komme. Möglicherweise konnte sich ein Teil der Betroffenen zu der Haltung durchringen, die Eschenburg recht locker so charakterisiert: „Zwar fielen die Amerikaner den besetzten Deutschen mit ihrem Umerziehungs-Kreuzzug auf die Nerven, ..., man hielt die ‚Amis‘ im allgemeinen wohl für etwas ungebildet und verrückt, doch sonst für ganz akzeptabel.“20 Die meisten jedoch - betrachtet man die Reaktionen - setzten sich ernsthaft mit den Vorschlägen auseinander, um erbittert und verbittert die „Amerikanisie- rung“ zu beklagen, die „moralisierende Proselytenmacherei“, die „Neuausgabe Deutsch- lands nach amerikanischem Ebenbilde“.21 Man sprach den „geschichtslosen“ Amerikanern das Recht ab, das amerikanische Schulsystem auf Deutschland zu übertragen - „auf Grund unserer Tradition und ... geistigen Struktur“22 - und das Bewußtsein des „1000-jährigen Kul- turbeitrags Bayerns“23 ließ eine Abqualifizierung amerikanischer Vorschläge, z.B. zur Besei- tigung ungeteilter Dorfschulen, als „Methoden Kaliforniens“ zu.24 Historisch betrachtet, gab es tatsächlich Unterschiede zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Schulsystem: Schulen in den USA entstanden „von unter her ..., aus den Erfordernissen der Kinder und der Nation heraus“. Die Schüler mußten darauf vorbe- reitet werden, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu nutzen. Verfassungstreue und demokratische Spielregeln waren zu erlernen, um den Zusammenhalt des Staatswesens zu garantieren. In Deutschland und vielen anderen europäischen Staaten kam im Schulwesen die ständische Gliederung der Gesellschaft zum Ausdruck. Hohe und höhere Schulen gab es lange vor den Volksschulen, und die Zulassung zu ihnen war die Überwindung einer Schranke vor dem privilegierten Stand.25 Man stellte sowohl die Berechtigung der Militärre- gierung zum Eingreifen in Bayern in Frage als auch ihre fachliche Kompetenz. Im übrigen waren nicht wenige überzeugt, daß vor dem Krieg das deutsche „und besonders das bayeri- sche (Erziehungswesen) zu den besten der Welt“ gezählt hatte.26 Ein deutscher Schüler suche in der Schule „eine Bildungsstätte, keinen Kindergarten und auch keinen Jugend- club“.27 So standen die Amerikaner mit ihrem demokratischen Sendungsbewußtsein, ihrer Überzeugung, daß das amerikanische Erziehungssystem das einzige sei, „das zu einer indu- striellen Demokratie“ passe, ihrem Glauben an die Gerechtigkeit und die Überlegenheit die- ses Systems,28 in Bayern Politikern gegenüber, die knapp „zwei Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Barbarei um die Rettung der überlegenen abendländischen Traditi- on“29 kämpften. Und obwohl die Amerikaner ihre eigene Rolle im Anregen, Helfen, Über- wachen sahen und ansonsten die Durchführung einer Schulreform den Deutschen überlas- sen wollten,30 schien besonders in Bayern eine von außen gewünschte Reform eine Art Belei- digung zu sein. Völker würden zwar „nach schweren Umbruchzeiten“ ihre Bildungsein-

19 Mayer, S. 258. 20 Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 70. 21 Mayer, S. 254. 22 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 21 vom 15.3.1946, S. 3. „Gespräch mit Stadtschulrat Anton Fingerle“. 23 Huelsz, S. 193. Sie zitiert A. Hundhammer in der 48. Sitzung vom 29.1.1948 im Bayer. Landtag (LT Bd. II/2, S. 654). 24 Ebda. 25 Hartmut von Hentig: Bilanz der Bildungsreform in der Bundesrepublik Deutschland. In: Neue Sammlung 30 (1990), S. 366-384, S. 368. 26 Schule und Gegenwart 5/1949, S. 41. 27 Ebda. 28 Huden, S. 153 f. 29 Wolfgang Benz: Föderalistische Politik in der CDU/CSU. Die Verfassungsdiskussion im „Ellwanger Kreis“ 1947/48. In: VfZ 27 (1977), S. 776-820, S. 787. 30 Bungenstab, S. 85 f.

231 richtungen überprüfen (z.B. Comenius nach dem 30jährigen Krieg)31, aber Kultusminister Hundhammers „Erziehungsplan auf weite Sicht“ begann mit den Sätzen: „Das Schulwesen eines Landes und Volkes kann nicht losgelöst werden von der Gesamtkultur, aus der es erwachsen ist und die es der nachwachsenden Generation zu überliefern hat. Das Grund- gesetz jeder Schulreform lautet: Schulreform hat ... die in der Natur und Geschichte eines Landes und Volkes begründete Eigenart seiner Schulkultur zu wahren und darum unorga- nische Neuerungen zu vermeiden ...“32 Anschließend hieß es zwar, daß das Schulwesen in Einklang zu bringen sei mit dem Wandel des kulturellen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und staatlichen Lebens, um dann aber zu sagen, auch mit den „gesicherten“ Ergebnissen der pädagogischen Wissenschaft und Erfahrung. Und als gesichert wurden die Resultate der amerikanischen Erziehung nicht angesehen. Jedenfalls überzeugten sie, wie folgend darge- legt wird, nicht nur nicht den Kultusminister, sondern auch eine Reihe wichtiger Personen- kreise - sogar im Ausland.

2. VERSUCHE GEMEINSAMER GRUNDLEGUNG IM BILDUNGSBEREICH IN DEN BESATZUNGSZONEN

Daß im November 1945 eine gemeinsame Tagung von Schulleuten in Bad Salza stattfand, belegt die Eingabe von Staatssekretär Pfeiffer an die Militärregierung für Bayern, in der er um die Teilnahmeerlaubnis für Minister Fendt, Staatsrat Meinzolt und Oberstudi- enrat Karnbaum bat. Eine Einladung von Adolf Grimme, dem Kultusminister von Nieder- sachsen, war im bayerischen Kultusministerium eingetroffen. Alle Schulreferenten der Regie- rungsbezirke des britischen Besatzungsgebietes sollten zusammenkommen und Gäste - zumindest aus Bayern. Themen der Tagung waren unter anderem der Schulaufbau, Lehr- bücher, Erwachsenenbildung, Pädagogische Hochschulen und - beachtlich zu diesem Zeit- punkt - die Zentrale für Flüchtlingslehrer.1 Eine von Kultusminister Fendt angekündigte Besprechung der drei Unterrichtsmini- ster Bayerns, Württemberg-Badens und Großhessens sollte der „Herbeiführung einheitli- cher Richtlinien für die Gestaltung des Bildungswesens“ und weniger der Schaffung gemein- samer Einrichtungen dienen.2 Über die „Zukunft der Höheren Schule“ unterhielten sich die Unterrichtsminister der drei Länder der US-Zone Anfang Februar 1946 in München. Hier war der bayerische Kul- tusminister Fendt der Ansicht, daß eine Schulreform von den Ländern gemeinsam beraten und durchgeführt werden solle, wobei man gewisse Eigenheiten bestehen lassen könne, sich aber so einigen solle, daß ein reibungsloser Schulwechsel von Land zu Land garantiert sei.3 Noch bei der vierten Schulreferententagung vom 23. bis 26. Juli 1946 in Godesberg stellten Fendt, Schramm (Großhessen) und Grimme eine „weitgehende Übereinstimmung ... für ein neuaufzubauendes Schulwesen“ fest.4 Auf einer weiteren Tagung in Hohenwehrda (südlich Bad Hersfeld, Niedersachsen) im Oktober 1946 gab es Verhandlungen über Schultypen, Dauer der Grundschulzeit, Lehrer-

31 Adolf Strehler: Die Schulreform in Bayern. In: Die neue Volksschule. Wallenburg-Stiftung Kempfenhausen. München 1950, S. 7. 32 ACSP München. NL Müller 271 (Schulreform 1947-48). Erziehungsplan auf weite Sicht. München, 31.3.1947.

1 BayHStA München. StK 113972. Schreiben des Staatssekretärs Dr. Anton Pfeiffer am 3.11.1945 an die Militär- regierung für Bayern, Col. Jackson. Tagung vom 15.-17.11.1945 in Bad Salza. 2 Ebda., Schreiben Fendts am 28.12.1945 an die Bayerische Staatskanzlei. 3 Die Neue Zeitung 2. Jg. Nr. 10 vom 4.2.1946, S. 3. 4 Ebda., Nr. 70 vom 2.9.1946, S. 6.

232 bildung, finanzielle Gleichstellung der Lehrerinnen und Urlaub zu Fortbildungszwecken.5 Teilnehmer waren Personen aus den bayerischen, württemberg-badischen, hannoverischen, großhessischen Kultusministerien, aus der Landesdirektion für Kultus und Unterricht Karls- ruhe, außerdem die Kultusminister Fendt und Schramm von Großhessen. Eine einzige wirklich gesamtdeutsche Konferenz der Erziehungsminister kam, auf Adolf Grimmes Initiative hin, am 19. und 20. Februar 1948 in Stuttgart zustande. Die Mini- ster aller Zonen stellten nun fest, daß die bildungspolitischen Ansätze weit auseinander- klafften. Es gab nicht nur beträchtliche Unterschiede zwischen der SBZ und den westlichen Besatzungszonen; auch innerhalb der amerikanisch besetzten Länder tat sich eine tiefe Kluft auf zwischen der im Sinne der Amerikaner fortschrittlichen Schulpolitik in Hessen und der im Reformkampf befindlichen in Bayern. Eine Verständigung über Bildungsziele war ange- sichts der Gegensätze schon nicht mehr möglich.6 Da zu Beginn der Besatzungszeit die zentrale Organisation gemeinsamer Bildungs- ziele gar nicht durchführbar war, weil die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen und innerhalb derselben der Wiederaufbau auf unterster Ebene sie unmöglich machte, war es allerdings nicht verwunderlich, daß sich bei der Stuttgarter Konferenz die bildungspolitische Landschaft so facettenreich darbot.7 Dabei war man in Bayern sicher nicht böse über diesen Umstand, denn er begünstigte - nach der Befreiung von großdeutschem Zwang - die för- deralistischen, vielleicht sogar separatistischen Tendenzen in einem Land, das ja - im Gegen- satz zu anderen Gebieten - seine Grenzen nicht neu zu definieren brauchte. Das Anknüp- fen an alte bayerische Traditionen, auch auf dem bildungspolitischen Gebiet, fiel hier also viel leichter als in Ländern, die qua Siegerbeschluß neu zusammengewürfelt wurden. Und da in den entscheidenden, die schulpolitische Richtung bestimmenden Monaten mit Alois Hundhammer eine Person an der Spitze des Kultusministeriums stand,8 die sich freudig zum traditionellen bayerischen Sonderweg in der Schulpolitik bekannte, konnte es nicht ausblei- ben, daß die Schulreform zum Schulkampf verkam, dessen Ausgang sich die amerikanische Militärregierung sicher so nicht vorgestellt hatte.

5 BayHStA München. MK 53201. Verhandlungen über Schulfragen in Hohenwehrda, 22.-25.10.1946. 6 Benz, Potsdam, S. 190 f; Overesch, Die gesamtdeutsche, S. 249 f. 7 vgl. dazu Benz, Förderalistische Politik, S. 777 f. 8 Ministerpräsidenten, Kultusminister und Staatssekretäre im Kultusministerium ab 1945: 28.5.1945 bis 28.9.1945: Ministerpräsident Dr. Fritz Schäffer (CSU), ab 16.6.1945 Kultusminister Dr. Otto Hipp (CSU), 28.9.1945 bis 20.12.1946: Ministerpräsident Dr. Wilhelm Hoegner (SPD), Kultusminister Dr. Franz Fendt (SPD), Staatssekretär Dr. Hans Meinzolt (parteilos), 21.12.1946 bis 18.12.1950: Ministerpräsident Dr. Hans Ehard (CSU), Kultusminister Dr. Dr. Alois Hundhammer (CSU), bis September 1947 Staatssekretär Claus Pittroff (SPD), ab September 1947 Staatssekretär Dr. Dieter Sattler (CSU), 18.12.1950 bis 14.12.1954: Ministerpräsident Dr. Hans Ehard (CSU), Kultusminister Dr. Josef Schwalber (CSU), Staatssekretär Dr. Eduard Brenner (SPD), 14.12.1954 bis 16.10.1957: Ministerpräsident Dr. Wilhelm Hoegner (SPD), Kultusminister Professor August Rucker (parteilos), Staatssekretär Dr. Hans Meinzolt (parteilos), 16.10.1957 bis 9.12.1958: Ministerpräsident Dr. Hanns Seidel (CSU) Kultusminister Prof. Dr. Theodor Maunz (CSU).

233 3. SCHULREFORMVORSCHLÄGE AUS DEN JAHREN 1945 UND 1946

Zur Zersplitterung des Schulwesens hatte Walter Guggenheimer gesagt, daß es ebenso viele Reformpläne wie Besatzungsmächte gebe.1 Damit berücksichtigte er nicht annähernd die Unzahl der Vorschläge für eine Erneuerung im bildungspolitischen Bereich. Am 26. November 1945 hatte Kultusminister Fendt die Nürnberger Lehrerschaft um Mitar- beit am neu zu schaffenden Lehrplan ersucht. Mit Eifer ging man ans Werk. Zahlreiche Kon- ferenzen fanden statt, die Lehrer aller Schulen und die Öffentlichkeit Nürnbergs wurden zur Mitarbeit aufgerufen. Die Universität Erlangen leistete ihren Beitrag. Dem Nürnberger Schul- amt kam es - wie ein Schreiben an das Kultusministerium belegte - darauf an, möglichst viele Lehrer in die Aufgabe einzubinden, denn das betrachtete man als Zusammenarbeit im demokratischen Sinn. Bis 1. Februar 1946 konnte ein erster Entwurf vorgelegt werden. Die Endfassung, die dann nach Überarbeitung entstand, fand ihren Weg nach Wallenburg- Kempfenhausen2 und wurde später dem Schulamt zurückgegeben. Einzelrichtlinien für die verschiedenen Fächer kamen von Prof. v. Pöllnitz, Franz Seitz, Prof. Seiler und W. Albert (Geschichte). Für Erdkunde wurden genannt: Prof. Berninger, Dr. Stritzke und K. Knoll; für Naturkunde Dr. Rißmann. Auch Vorschläge zur Schulbuchgestaltung wurden eingereicht, und „einen wohlbedachten, gerundeten Gesamtvorschlag lieferte ... Stadtrat F. Haas (später Bürgermeister) von Seiten der SPD“.3 Erste Vorstellungen über die höheren Schulen entwickelten die Kultusminister der amerikanischen Zone im Februar 1946 bei ihrem Treffen in München. Aus württembergi- scher Sicht fehlte für eine „Einheitsschule mit gymnasialem Charakter“ die Lehrerschaft. Vielmehr sollte das Gymnasium der geistigen Elite vorbehalten bleiben, die Oberrealschule eine Bildungsstätte für die breite Schicht sein. Dazwischen könne man das Realgymnasium mit Latein und Mathematik ansiedeln.4 Schramm, Großhessen, wünschte aus wirtschaftli- chen Gründen ein Reformschulsystem mit zwei oder drei Abzweigungen; Auslese erst nach der zweiten und vierten Gymnasialklasse. Interessant war sein Vorschlag, auf dem flachen Land Progymnasien zur Vorbereitung anzusiedeln und neben Gymnasien mit humanisti- schem, realgymnasialem und naturwissenschaftlichem Zweig auch ein musisches mit zwei Fremdsprachen vor allem für zukünftige Lehrer an Volksschulen zu schaffen.5 Franz, Baden, wollte die Mädchenbildung speziell berücksichtigt wissen,6 während Fendt aus Bayern aus politischen und sozialen Gründen eine „Bildungsanstalt ... konstruieren (wollte), die es auch den weniger Bemittelten ermöglicht(e), ihre begabten Kinder in die Höhere Lehranstalt zu schicken“. Ein „Einheitstyp“ der höheren Schule sollte überall im Land errichtet werden, damit aus der Land- und Kleinstadtbevölkerung den Universitäten „frisches Blut“ zugeführt werden könne. Ein einheitlicher Lehrplan für die ersten sechs Gymnasialklassen und huma- nistischer Unterricht ab der siebten erschienen ihm sinnvoll, ebenso die Auflockerung in Arbeitsgemeinschaften anstelle der starren Einteilung der Unterrichtsfächer in der Oberstu- fe.7 Hier verwies er auf die englischen und amerikanischen Highschools mit ihrer Aufteilung der Fächer je nach Neigung und Berufsabsicht. Im Verlauf des Jahres 1946 legte Kultusmi- nister Fendt noch seinen Bildungsplan vor,8 der starke Beachtung fand, wegen der Verän-

1 Benz, Potsdam, S. 190. 2 siehe S. 290-295. 3 Barthel, S. 65 ff. Leider konnte kein Exemplar des hier vorgestellten Lehrplans aufgefunden werden. 4 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 10 vom 4.2.1946, S. 3. 5 Ebda. 6 Ebda. 7 Ebda. 8 Franz Fendt: Aufriß eines deutschen Bildungsplanes. In: Kultur und Politik. Eine Schriftenreihe. Hrsg. vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus. München 1946.

234 derung der politischen Mehrheiten jedoch nicht zum Tragen kam.9 Er betonte darin die Not- wenigkeit, die Zahl der Schultypen zu verringern, um in die kleinsten Städte vordringen und den Nachwuchs der Bauern-, Bürger- und Arbeiterschaft erfassen zu können.10 Fendt schlug ein interessantes Auswahlverfahren vor: Nach dem vierten Grundschuljahr sollte ein Über- gang ins sechsjährige Progymnasium möglich sein, nach sechs Jahren Grundschule der Über- tritt in die vier Jahre dauernde Mittelschule. Mit dem Abschluß an diesen Schulen war dann eine mittlere Bildungsebene erreicht, von der aus man über Gymnasium oder Fachschule zur gehobenen Bildungsebene gelangte und von dort zur Hochschule. Wer bis zur achten Klas- se in der Volksschule blieb, hatte nach weiteren drei Jahren in der Berufsschule die einfache Bildungsebene erreicht. Mit diesem Abschluß begab er sich entweder in den Beruf oder in die Volkshochschule, die eine Zubringerschule zur Hochschule werden konnte, sofern die Absolventen einen benoteten Studiennachweis erbrachten. Sie bildeten an der Hochschule dann die sog. Hörerschaft, „die sich aus Bildungsstrebenden mit einem Mindestalter von 19 Jahren ohne Unterschied der Vorbildung zusammensetzt“. Eine Begabtenprüfung nach drei- jähriger Studienzeit ermöglichte dann den Übergang von Hörer- zu Studentenschaft.11 An den sog. Ausleseschulen empfahl Fendt ein reichhaltiges Angebot an Pflichtwahlfächern neben den Kernfächern, damit die Schüler auch wirklich wählen könnten. Dabei sollte sowohl jahrgangsübergreifend vorgegangen als auch die Berücksichtigung lokaler Gege- benheiten einbezogen werden; und die „besondere(n) Fähigkeiten und Neigungen der Leh- rerschaft (sollten) lebendig nutzbar“ gemacht werden.12 Hier wurde ein Ansatz vorgetra- gen, der heute, über 50 Jahre später, in der Forderung nach dem je eigenen Profil einer Schule wieder propagiert wird. Fendt forderte die individuellen Wahlmöglichkeiten, um die Jugendlichen „unaufdringlich“ an den Zwang zur häufigen und folgenschweren Entschei- dung zu gewöhnen und damit zur Stärkung ihrer demokratischen „Grundhaltungen“ bei- zutragen. Verantwortungsbereite Selbstbestimmung werde dadurch gefestigt. Auf natürli- che Weise würden so auch die im besten Sinne demokratischen „debating clubs“ entste- hen, die es an allen Ausleseschulen geben müsse.13 Im „Entwurf einer bayerischen Verfassung“ lautete der Art. 96: „Das öffentliche Schulwesen wird organisch ausgestaltet.“14 So allgemein und unverbindlich dieser Satz auch klang, er hätte ein positives Signal auch für die Militärregierung und offen für jegliche Reformdiskussion sein können, wurde jedoch nicht in die Verfassung aufgenommen. Der Kultusminister von Württemberg-Baden,15 Theodor Heuß, sah in der Volksschule die zentrale Bildungsanstalt des deutschen Volkes. Er konnte sich Aufbauschulen vorstellen:

9 Die Landtagswahl vom 1. Dezember 1946 hatte der CSU die Mehrzahl der Sitze im Parlament gebracht. Die Regierung Hoegner mit Kultusminister Fendt trat zurück, und das Kabinett Ehard bildete sich. Nun hieß der Kultusminister Alois Hundhammer. Aber die SPD war Koalitionspartner in diesem Kabinett, obwohl die CSU aufgrund ihrer Mehrheit allein hätte regieren können. Sie wollte die Sozialdemokraten an der Regierung betei- ligen, nicht zuletzt deswegen, weil sie heillos zerstritten und ihre Mehrheit nur eine arithmetische war. So gab es von der SPD den Justizminister und stellvertretenden Ministerpräsidenten Hoegner, Innenminister Seifried, Wirtschaftsminister Zorn, Arbeitsminister Roßhaupter. Claus Pittroff wurde Staatssekretär im Kultusministe- rium. Am 9. September 1947 trat die SPD aus der Regierung aus. (Kritzer, S. 258-261). 10 Fendt, S. 18. 11 Ebda., S. 16, 23-27, 41. 12 Ebda., S. 29 f. 13 Ebda., S. 31 f. 14 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler N1 - 370. Entwurf einer bayerischen Verfassung zur Vorlage an die Verfassunggebende Landesversammlung. Nicht zur Veröffentlichung in der Presse und im Rundfunk bestimmt. Als Manuskript gedruckt im Juni 1946. München, Bayerische Staatskanzlei. S. 22. 15 Zu diesem Zeitpunkt gehörte Württemberg-Baden zur amerikanischen, Württemberg-Hohenzollern-Südba- den zur französischen Besatzungszone. (Der illustrierte Ploetz, S. 537). 1951 wurde mit Volksentscheid für die Schaffung des „Südweststaates“ Baden-Württemberg votiert. (Werner Stein: Kulturfahrplan. Die wich- tigsten Daten der Kulturgeschichte von Anbeginn bis 1963. Stuttgart 1964, S. 1194).

235 Nach sieben Jahren Volksschule sechs Jahre Gymnasium bis zur Reifeprüfung, und dabei eine Teilung in altsprachlich, neusprachlich und mathematisch-naturwissenschaftlich.16

4. REFORMVORSTELLUNGEN DER PARTEIEN

Die Neuordnung des Bildungswesens war das Anliegen aller Parteien, und sehr bald schon formulierten sie ihre Vorstellungen über die Zukunft der Schulen. Von bahnbrechen- den neuen Erkenntnissen zu sprechen, wäre allerdings verfehlt. Die SPD stellte ihr Nach- kriegsprogramm in die Tradition der Weimarer Reformpädagogen, nannte vor allem Ker- schensteiner und Paul Oesterreich1 und wollte endlich den „Klassencharakter“ des Schul- wesens überwinden und die Chancengleichheit für alle Kinder gewährleisten. Die differen- zierte Einheitsschule sollte die geeignete Form „für alle Kinder des Volkes - ohne jede Rück- sicht auf Herkunft und Besitz der Eltern“2 werden. Die USPD hatte sie in den wenigen Jah- ren ihres Bestehens (1919-1922) noch „sozialistische Einheitsschule“ genannt und sie gefor- dert, da die bestehenden Schulen „... ein Machtinstrument in den Händen der herrschen- den Klasse zur Unterdrückung der proletarischen Schichten“ seien.3 Und auch im August 1947 war man von dieser Sichtweise nicht weit entfernt, zumal auch die führenden Kultur- politiker der SPD, Adolf Grimme und Heinrich Landahl, in der Tradition der „Entschiedenen Schulreformer“ standen.4 Die nun „differenzierte Einheitsschule“ genannte Bildungsstätte sollte der Verwirklichung der obersten Bildungsziele dienen: „Selbstbeherrschung, Verant- wortungsgefühl und Verantwortungsfreudigkeit, Achtung vor der Würde des Menschen, Selbstlosigkeit, Dienst an den höchsten Werten der menschlichen Gemeinschaft und Frie- densgesinnung.“ Besonders die staatsbürgerliche, demokratische und soziale Gesinnung und Verständnis für andere Kulturen und Völker waren zu fördern.5 Drei Bildungsebenen sollten diese Schule bestimmen: die Grund-, Mittel- und Oberstufe. Die Grundstufe sollte für alle Kinder gemeinsam die Klassen eins bis sechs umfassen. Das sei wesentlich für eine „demokratisch verfaßte Gesellschaft“, weil dadurch der „‘Sozialgewinn‘ des Gemein- schaftserlebnisses“ gewährleistet werde.6 Außerdem könne die „Begabtenauslese auf eine breitere und gesündere Basis gestellt“ werden. Kinder nämlich, die einen „milieubedingten Leistungsrückstand“ hätten, wären nach sechs Jahren in ihrer sprachlichen Ausdrucks- fähigkeit so weit wie die Kinder aus gesellschaftlich gehobenen Kreisen, „und ihre Kri- tikfähigkeit (habe) sich auch den geistigen Gütern zugewandt“.7 Anschließend sollte dann die Differenzierung je nach Begabung in strenger Auslese erfolgen, um die Entstehung eines intellektuellen Proletariats zu vermeiden, das für politische Extreme sehr anfällig sei. Aber die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Schularten sollte gewährleistet sein.8 Die Mit- telstufe würde die Klassen 7 - 9 umfassen, für die es folgende Differenzierung geben sollte:

16 Die Neue Zeitung. 2. Jg. Nr. 70 vom 2.9.1946, S. 6.

1 Der Schulreformplan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Bearbeitet von Staatssekretär Claus Pitt- roff, MdL, in Gemeinschaft mit dem schulpolitischen Ausschuß der SPD. Erschienen im August 1947. In: Dokumente zur Schulreform in Bayern, S. 95. 2 Ebda. 3 Manfred Abelein: Die Kulturpolitik des Deutschen Reiches und der Bundesrepublik Deutschland. Köln und Opladen 1968, S. 71 f. 4 Fuchs/Pöschl, S. 96. 5 ACSP München. NL Seidel. Bayerischer Landtag. Tagung 1946/47, Beilage 561. Antrag zur Durchführung des Art. 128 der Verfassung des Freistaates Bayern am 17. Juli 1947 durch Stock und Fraktion (SPD). 6 Huelsz, S. 53. 7 Dokumente zur Schulreform in Bayern, S. 97. 8 AdsD Bonn. LV Bayern I/207. Dr. Siegfried Ziegler am 14.3.1950 an Waldemar von Knoeringen. Entwurf zu einer Broschüre.

236 Einmal könne die Betonung auf dem Arbeitsunterricht liegen, durch den „der praktische Mensch“ sich entfalte und die bildende Kraft nicht in erster Linie im Stoff, sondern in der Arbeit am Lernstoff liege. Schüler, die diesen Zweig besucht hätten, würden dann in die drei Jahre dauernde beruflich differenzierte Oberstufe eintreten. Hier sollte Wert gelegt werden auf die „staatsbürgerliche Erziehung der werktätigen Jugend“. Vertiefung der Allgemein- bildung werde durch Wahlfächer ermöglicht. Theoretisch und künstlerisch begabte Kinder würden sich nach der sechsten Grundschulklasse der höheren Schule zuwenden. Eine gemeinsame Unterstufe (7.-9. Klasse) diene der erneuten Auslese und bereite entweder für die wissenschaftliche oder für die eher beruflich differenzierte Oberstufe vor. Diese Klassen müßten in den Kleinstädten eingerichtet werden, um die begabten Landkinder an sich zu ziehen, die dann nicht so frühzeitig das Elternhaus verließen. Die Oberstufe der höheren Schule (10.-12. Klasse) sollte nur nach strenger Auslese besucht werden dürfen. Sie würde differenziert werden in einen geisteswissenschaftlichen, einen naturwissenschaftlich-mathe- matischen und einen musischen, evtl. einen technischen Zweig. Kern- und Pflichtwahlfächer würden den Begabungen und Neigungen der Schüler gerecht werden. Besondere Bedeu- tung sollte der Volkshochschule zukommen, die für „spät erwachte Begabungen“ plan- mäßige Förderkurse einrichten und zur Hochschulreife führen würde.9 Schon im Juni 1946 hatte die CDU als erste Partei ihre pädagogischen Vorstellun- gen formuliert. In ihrem Berliner Aufruf betonte sie vor allem die Garantie des Elternrechts, das ja im Dritten Reich durch den Staat ebenso begrenzt worden war wie der nun wieder zugestandene Einfluß der Kirchen auf die Erziehung. Der Zugang zur höheren Schule sollte aus verschiedenen Gründen erschwert werden. Einmal gedachte man der Methoden während der Zeit des Nationalsozialismus, als der Staat die höhere Schule „zugunsten ras- sistischer Ideologie nivelliert hatte“.10 Diese Erleichterung sollte es künftig nicht mehr geben. Zum anderen sagte man, es liege im Interesse des Volkes, in den folgenden Jahrzehnten der Armut und harten Arbeit „führende Berufe“ quantitativ zu beschränken, wenngleich sie qualitativ gefördert werden müßten.11 Vom 20. September 1947 datiert der Antrag der CSU an die Bayerische Staatsre- gierung, das Schulwesen nach den von der Partei als wesentlich erachteten Grundsätzen zu überprüfen bzw. neu zu gestalten. Dabei wurde im Abschnitt über die allgemeinen Grundsätze betont, daß der „Geist ..., der die Schule beherrscht, ... die innere Erneuerung ... wichtiger als eine bloße äußere ... Umgestaltung“ sei.12 Zweifach war dieser Hinweis inter- essant. Zum einen wollte man anscheinend die Auseinandersetzungen mit der amerikani- schen Militärregierung, die sich während dieser Zeit abspielten und die äußere Schulreform sehr wohl betrafen, herunterspielen.13 Zum anderen war gerade die organisatorische äuße- re Umgestaltung des bayerischen Schulwesens - unter dem Reizwort „Bekenntnisschule“ - jahrelang Zankapfel nicht nur unter den Parteien, und sie wirkte sich bis in die kleinsten Gemeinden, die Familien und die Situation der Lehrer aus, und natürlich auch auf die inne- re Erneuerung.14 Die höhere Schule sollte auf der vierten Volksschulklasse aufbauen. Zur Begründung hieß es, daß entwicklungspsychologisch das zehnte Lebensjahr der geeignete

9 Dokumente zur Schulreform, S. 97-100. 10 Glaser, S. 148. 11 Günter Scharfenberg (Hrsg.): Dokumente zur Bildungspolitik der Parteien in der Bundesrepublik 1945-75. Bd. 2: CDU/CSU. Berlin 1976, S. 6 f. Er schreibt hier über die Frankfurter Grundsätze der CDU vom Frühjahr 1946 und nennt als Quelle: Politisches Jahrbuch der CDU 1950. Hrsg.: CDU Deutschlands. Bonn (um 1951), S. 232 ff. 12 ACSP München. Bayer. Landtag. Tagung 1946/47. Beilage 689 vom 20.9.1947. Antrag von Meixner und Frak- tion (CSU). 13 siehe S. 243-265. 14 siehe S. 352-513.

237 Zeitpunkt sei für den Beginn der höheren Schule und daß auch die Gefahr der Zeitnot bei der Vermittlung der Lerninhalte diese Einteilung rechtfertige.15 Die CSU forderte ebenfalls strenge Auslesemaßnahmen, da eine Überfüllung der höheren Schulen verhängnisvolle sozi- alpolitische Folgen habe.16 Die höheren Schulen sollten differenziert werden in ein humani- stisches und ein realistisches Gymnasium, letzteres in einen neusprachlichen und einen mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig.17 Damit wurde nichts Neues geschaffen, son- dern die Tradition des humanistischen Gymnasiums - ebenfalls eine in diesen Jahren umstrit- tene Einrichtung - festgeschrieben.18 Man war in der CSU überzeugt, daß das Schulwesen keine Experimente vertrage, da sonst das Kind zugrundegehe.19 Schon im Grundsatzpro- gramm der CSU vom Dezember 1946 hatte man das Recht der Kirchen auf einen ange- messenen Einfluß auf die Erziehung der Jugend bekräftigt.20 Die „Rechristianisierung des Volkes“ war als einzig wirksame Maßnahme gegen die Gefahren des 20. Jahrhunderts, Kol- lektivismus und Totalitarismus, erklärtes Ziel der CSU,21 und das wirkte sich tatsächlich bis zur schulischen Basis aus, denn der kritische Bürger konnte so nicht das Bildungsziel sein.22 Die FDP stellte mit ihrem Schulreformplan vom 3. Dezember 1947 die „allgemeine organisch gegliederte Schule“ vor.23 Die umstrittene Frage nach der Grundschuldauer wurde darin nicht explizit behandelt, sondern sollte in einem noch zu bildenden Erziehungsbeirat entschieden werden. Im übrigen sah der Plan eine differenzierte Mittelstufe vor: einen gei- steswissenschaftlichen, naturwissenschaftlichen und allgemeinbildenden Zweig. Letzterer war mit der Volksschule vergleichbar und die Basis für die dreijährige Berufsschule. Die Schüler der beiden anderen Zweige hatten ab dem zehnten Schuljahr auf der Oberstufe die Möglichkeit, auch einen technischen oder musisch-pädagogischen Zweig zu besuchen. Es sollte immer auch die horizontale Durchlässigkeit zwischen allen Zweigen auf der Mittel- und Oberstufe gewahrt bleiben, also auch die Möglichkeit, vom allgemeinbildenden Zweig oder der Berufsschule in die zur Hochschulreife führenden Zweige zu gelangen.24 Der o. g. Beirat für Erziehungsfragen war der FDP wichtig. Er sollte das Kultusministerium beraten und sich wie folgt zusammensetzen: Vertreter aller bisher in Bayern bestehenden Schulgat- tungen, Pädagogen und Psychologen der Hochschulen, Vertreter der Religionsgemein- schaften.25 Die Forderung nach einem Erziehungsbeirat machte deutlich, daß die FDP mißtrauisch gegenüber dem Kultusministerium war und besonders den „Münchner Kultur- zentralismus“26 bekämpfte. Sie näherte sich andererseits den Vorstellungen des Kultusmini- steriums, indem sie die lebendige „Anknüpfung an die Tradition der historisch gewordenen

15 ACSP München. NL Müller 27. Antrag der CSU-Fraktion zur Neugestaltung des Schulwesens. 16 Ebda. 17 Ebda. 18 siehe S. 282 ff. 19 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 42. Sitzung vom 11.12.1947, S. 475. 20 Scharfenberg, S. 8 f. 21 Huelsz, S. 201. Sie zitiert Prälat Meixner, 41. Sitzung vom 10.12.1947/LT Bd. II/1, S. 395. 22 siehe S. 366 ff. 23 Der Plan war erst entstanden, nachdem die CSU ihren zweiten Reformplan im Haushaltsausschuß vorgelegt hatte. Die Freien Demokraten glaubten zu erkennen, daß er nicht als echte Schulreform gedacht war, son- dern nur den Zweck verfolgte, die anderen Parteien zu überfahren. Der FDP-Plan mußte so rasch dem Land- tag vorgelegt werden, daß er erst nachher dem kulturpolitischen Ausschuß der Partei präsentiert werden konnte, wo es „überraschenderweise gelang, in allen Punkten zu einer Einigung zu gelangen und die Zustim- mung der Lehrer, die anwesend waren, zu bekommen“. (ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler N1 - 21. Protokoll Landeshauptausschußsitzung. Schwabach, 10. u. 11.1.1948. VII a). 24 Buchinger, S. 320 f. 25 Der Schulreformplan der Freien Demokratischen Partei. Landtagsbeilage 916 vom 3.12.1947. Dr. Korff, Dr. Dehler und Fraktion (FDP). In: Dokumente zur Schulreform, S. 164-169. 26 Huelsz, S. 64.

238 Schulformen“ und deren Übernahme in die organisch gegliederte allgemeine Schule for- derte, vorausgesetzt, daß das der Einheitlichkeit der Schule keinen Abbruch täte.27 Der Schulreformplan der FDP stellte also eine Verquickung traditioneller restaurativer und reform- pädagogischer Vorstellungen dar. Er erlangte allerdings keine Bedeutung. Obwohl die Kon- troverse zwischen amerikanischer Militärregierung und Kultusministerium bezüglich der Schulreform ihren Höhepunkt erreicht hatte, wurde er von keiner Seite als möglicher Kom- promiß herangezogen.

5. REFORMVORSTELLUNGEN DES BAYERISCHEN LEHRERVEREINS

Überhaupt keinen Einfluß gewannen die drei Eingaben zur Schulreform des Bayeri- schen Lehrervereins (BLV) an das Kultusministerium. Die vom BLV gewünschte Zusammen- arbeit wurde wohl gar nicht in Erwägung gezogen, die Vorschläge waren möglicherweise schon bei den unteren Chargen hängengeblieben, denn Kultusminister Hundhammer behauptete später einmal, er habe die Denkschrift vom Juni 1947 nie gesehen.1 Den ersten Schulreformplan reichte der Bayerische Lehrerverein am 24. März 1947 dem Kultusministe- rium und der amerikanischen Militärregierung ein.2 Er lehnte sich eng an die „Vorschläge der Lehrer- und Lehrerinnenvereine der amerikanischen Zone zur Schulreform (Stuttgart, 25./26. März)“ an. Diese proklamierten die „organisch gegliederte Einheitsschule ..., wie sie von der pädagogisch fortschrittlichen Welt Deutschlands seit Jahrzehnten gefordert wird“.3 Die Favorisierung von sechs Jahren gemeinsamer Grundschule wurde mit den sozialen und wirtschaftlichen Umschichtungen der Zeit begründet. Zwei weitere Schuljahre böten Eltern und Lehrern eine erhöhte Einsicht in die Begabung des Schülers und somit eine „größere Sicherheit in der Wahl der weiteren Schulform“. Das bisherige starre deutsche Schulsystem habe das verhindert.4 Angestrebt wurde mit der „differenzierten Einheitsschule“ eine „mög- lichst hohe Ausbildung aller Kinder des Volkes, damit sie ... Träger des demokratischen Staa- tes werden können; ... die Überbrückung sozialer Gegensätze und Standesunterschiede ...; Berücksichtigung aller Begabungen ...“5 Die vorgeschlagenen Maßnahmen waren u. a. ab dem fünften Schuljahr fakultativ eine Fremdsprache, eine auf die Grundstufe folgende drei- jährige Mittelstufe mit gemeinsamen Kernfächern und differenzierten Wahlfächern, eine drei- bis vierjährige Oberstufe, in der gleichberechtigt neben die bisherigen höheren Schulen „Handelsoberschulen, gewerbliche und landwirtschaftliche Oberschulen, musische ...“ und Oberschulen für soziale Berufe und „für die besonderen Bedürfnisse der Frau“ treten soll- ten.6 Eine organische Verbindung all dieser Oberschulen sollte angestrebt werden, und die sich anschließenden Hochschulen sollten „der Allgemeinbildung im Sinne einer wahren Menschlichkeit erhöhte Beachtung schenken ...“7 Einen außerordentlich detaillierten Schulreformplan legte der Bayerische Lehrerver- ein am 29. Juni 1947 dem Kultusministerium vor (wo er, wie erwähnt, irgendwo ver- schwand) und der amerikanischen Militärregierung. Neben Gedanken zur inneren Reform enthielt er Vorschläge zur Organisation der Schule, wobei der BLV der damals häufig vorge-

27 Dokumente zur Schulreform, S. 167.

1 Buchinger, S. 54; Archiv des BLLV München. Niederschrift über die Sitzung des Hauptausschusses des Bayerischen Lehrervereins in München am 14.2.1948. 2 Huelsz, S. 85. 3 Mitteilungen des Bayerischen Lehrervereins. München 1947, Nr. 5/6, S. 2 f. 4 Ebda. 5 Ebda., S. 3. 6 Ebda., S. 3. 7 Ebda., S. 4.

239 schlagenen Auflösung des Klassensystems eine Absage erteilte; denn das erfordere eine lange und gründliche Erprobung. Vorgeschlagen wurde wiederum die sechsjährige Grund- schule, die so umfassend differenziert werden sollte, daß den begabten Kindern das zu bie- ten war, was bisher die ersten Jahre der höheren Schule vermittelt hatten. Eine „völlige Koor- dination der Hauptfächer“ sollte den Wechsel von der wissenschaftlich in die praktisch ori- entierte Abteilung gewährleisten und umgekehrt. Der BLV dachte in diesem Zusammenhang auch an die Landschulen, die sich zusammentun und einen „wissenschaftlichen Förderkurs“ an zwei Tagen in der Woche an einem zentralen Ort einrichten sollten, um so, wie in der Stadt, eine gute Vorauslese der begabten Schüler leisten zu können. In der Mittelstufe (sieb- te bis neunte Klasse) würde die klare Scheidung zwischen vorwiegend praktischen und vor- wiegend theoretischen Schulzügen stattfinden. Erstere stellten die neue Form der Volks- schule dar, da die Schüler gemäß ihren Neigungen und Begabungen Pflichtwahlkurse bele- gen und somit selbst schon eine berufsorientierte Wahl treffen sollten. Interessant war der Vorschlag, Schulen nicht mehr nach ihrer Art zusammenzufassen, sondern auch auf der Mit- telstufe alle Schüler der Jahrgänge 7 bis 9 in einem Schulhaus zu vereinigen. Man versprach sich davon eine „geistig und entwicklungspsychologisch gleichmäßigere Schülerschaft für Erziehung, Feste und Feiern“.8 Auf dem Land sollte in kleinen, verkehrsmäßig gut erreich- baren Städten die Mittelstufe der höheren Schule (akademischer Zug I) den Volksschulen angeschlossen werden. Diese „Progymnasien“ böten den Vorteil der elterlichen Erziehung bis zum neunten Schuljahr, sofern sie in einem dichten Netz das Land überzögen und tägli- ches Hin- und Herfahren ermöglichten.9 Nach Ende der Mittelstufe würden die Schüler dann getrennt in solche, die noch drei weitere Jahre wissenschaftlich geschult würden, in diejeni- gen, die eine Fachschule besuchen wollten, und die große Zahl derer, die eine Lehre mit Berufsschule vorzögen. Eine Zusammenfassung dieser Stufe wäre z.B. möglich in den zahl- reich vorhandenen Kasernenkomplexen (sic!). Differenzierung konnte sich der BLV im wis- senschaftlichen Bereich nach sprachlicher, naturwissenschaftlicher, künstlerischer und tech- nischer Begabung auf der Oberstufe vorstellen. Der Plan sah außerdem auch vor, auf den Volkshochschulen nicht nur freie Fortbildung, sondern gezielt die „Nachholung von Bil- dungswegen“ zu ermöglichen.10 Den Vorteil der von ihm vorgeschlagenen Einheitsschule sah der BLV in der Möglichkeit der besseren, da länger dauernden, Auslese, der weitgehen- den Differenzierung und der Chance, durch den „langen, gemeinsamen Schulbesuch sozia- le Abstände“ zu überbrücken.11 Ganz prononciert erfolgte eine Zweiteilung in Stadt- und Dorfschüler. Für letztere führte die Ausbildung in der Regel nur in die „Landwirtschaftliche Hochschule“, eine Vorstellung, die man angesichts des sozialen Umbruchs auf dem Land heute als anachronistisch bezeichnen würde. Kinder von Flüchtlingen und Evakuierten, die auf das flache Land gewiesen worden waren, waren sicher nicht gewillt, sich auf „dorfge- mäß praktische Pflichtwahlkurse“ oder „Meisterschulen für bodenständiges Handwerk“ festlegen zu lassen. In einer zweieinhalb Seiten umfassenden Beilage wiederholte der Bayeri- sche Lehrerverein die Vorschläge seines Plans vom März 1947 und begründete die Forde- rung der Einheitsschule und der sechsjährigen Grundschulzeit: Begabungen würden klarer erkannt, die fragwürdigen Aufnahmeprüfungen entfielen, nur die wirklich Tauglichen ver- blieben in der höheren Schule, der beschämende Rücktritt entfiele, der „verführerische Glanz“ der akademischen Ausbildung würde verblassen, das Niveau der Volksschule geho- ben, die Öffentlichkeit könne bei den Festen und Feiern die Gleichwertigkeit der Bildungs-

8 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Schulreform und Lehrerbildung. Reformplan des Bayerischen Lehrervereins. München, 29.6.1947, S. 4 f. 9 Ebda., S. 5. 10 Ebda., S. 6. 11 Ebda.

240 wege erkennen. So hätte man im Bildungswesen „Demokratisierung“ erreicht.12 Eine neuerliche Vorlage des BLV Reformplans erfolgte am 15. September 1947, wurde aber ebensowenig beachtet.13 In der Auseinandersetzung um die Schulreformpläne wurden die Vorschläge des Bayerischen Lehrervereins in die Nähe des SPD-Plans gerückt; Mitglieder der CSU meinten sogar, daß er sich kaum vom Entwurf des Staatssekretärs Pittroff (SPD) unterscheide und außerdem eng an die amerikanische Schule angelehnt sei.14 Den Vertretern der Volksschu- le wurde sogar vorgeworfen, daß sie geneigt seien, sich bedingungslos an das amerikani- sche Vorbild anzupassen.15 Dieser Vorwurf erscheint ausgesprochen überzogen, denn aus den Plänen ging hervor, daß der BLV den traditionellen Vorstellungen einer ständisch geglie- derten Gesellschaft keine Absage erteilte; man betrachte nur die unterschiedlichen Vor- schläge für Stadt- und Landschulen. Unbestritten ist, daß SPD- und BLV-Pläne den amerika- nischen Plänen sehr nahe kamen, auch wenn die Intentionen sich unterschieden. Hatten die Amerikaner die dauerhafte Demokratisierung der Deutschen im Sinn und legte auch der Lehrerverein die Betonung vor allem auf die „Selbstbehauptung des Individuums in der demokratischen Leistungsgesellschaft“16, so stellte die SPD ihr Nachkriegsprogramm bewußt in die Reformtradition der Weimarer Republik und versuchte mit ihm, den unterprivilegierten Schichten die soziale Gleichstellung zu garantieren. Und da sie sich inhaltlich weitgehend an Kerschensteiner orientierte, der sich an die Dewey´sche Erziehungsphilosophie anlehnte, war die Nähe zu den Plänen der Militärregierung nicht zu vermeiden. Vielleicht war es für die SPD und auch den BLV in Bayern deshalb so schwierig, ihre Konzepte populär zu machen, da sie damit gleichzeitig die amerikanischen Demokratisierungspläne im Erzie- hungswesen verteidigten; und gegen die hatte man nicht nur im Kultusministerium etwas. Daß zur gleichen Zeit in der sowjetisch besetzten Zone die Einheitsschule ohne Rücksicht auf bestehende Schultraditionen eingeführt worden war, machte das SPD-Programm zusätzlich nicht akzeptabler. Eine Reihe unterschiedlichster Schulreformvorschläge gelangte zur Veröffentlichung bzw. wurde dem Kultusministerium oder den Parteien zugesandt und machte deutlich, daß die pädagogisch interessierte Öffentlichkeit in Stadt und Land sich stark mit dieser Thematik beschäftigte. Darunter waren neben ernstzunehmenden Plänen, wie z.B. von Oskar Vogel- huber aus dem Kultusministerium17, auch recht skurrile Eingaben, etwa ein Plan speziell für den „Huosigau“18, oder Vorschläge, die die verschiedenen Schularten, z.B. das humanisti- sche Gymnasium, favorisierten.19

12 Ebda., S. 9-11. 13 Huelsz, S. 86; Buchinger, S. 54. 14 ACSP München. NL Müller 27. 1. Bericht vom Pädagogischen Kongreß der CSU vom 13.-17.8.1947 in Rothenburg o. T. 15 Ebda. 16 Huelsz, S. 89 f. 17 Oskar Vogelhuber: Gründliche Schulreform. Ein Beitrag zur Geschichte der Schulreformen. München 1947. 18 ACSP München. NL Müller Nr. 271. Plan des bayerischen Schulwesens: „Huosigau“. Hans Mathäser, Rot- tenbuch, Weihnachten 1947. 19 Schnippenkötter, S. 7; Die Neue Zeitung. 2. Jg. Nr. 22 vom 18.3.1946. „Die neue Schule“ von Prof. Dr. Paul Hildebrandt; BayHStA München. StK 113972. Schreiben des Dr. Hartmann, Bergersee/Schnaitsee b. Was- serburg am 12.8.45 an die Bayer. Landesregierung; ACSP München. NL Müller Nr. 271. „Der Schulreform- plan“, o.V., o.D.; BayHStA München. MK 53204. Ständige Konferenz der Kultusminister am 7.4.1949. Weitergabe einer Pressenotiz des „Freideutschen Kreises e.V.“, Hamburg.

241 6. KULTUSMINISTER HUNDHAMMER UND DIE REFORMANSPRÜCHE DER AMERIKANISCHEN MILITÄRREGIERUNG

6.1. VORSCHLÄGE DER AMERIKANISCHEN ERZIEHUNGSKOMMISSION

Die amerikanische Erziehungskommission, die im August und September 1946 das Gebiet ihrer Besatzungszone bereiste, empfahl, zur Entwicklung der Demokratie an den Schulen darauf hinzuarbeiten, daß alle Kinder ohne Unterscheidung der sozialen Klassen zugelassen werden, Achtung für jede Art von Arbeit gewinnen und daß niemand zu einer vorzeitigen Entscheidung gezwungen wird, die sich fatal auf die Berufswahl auswirken könnte.1 Das Ziel, der demokratische Mensch, werde in Deutschland nicht erreicht, solange es der Schule nicht gelinge, nach und nach die patriarchalische, antidemokratische Struktur der Familie unwirksam zu machen2 und die fatale Zwei-Klassen-Gesellschaft zu überwinden, in die die Schüler bereits ab dem zehnten Lebensjahr einsortiert würden.3 Die Kommission schlug daher vor, Elementar- und höhere Schule nicht qualitativ zu unterscheiden, sondern sie als zwei aufeinanderfolgende Schulabschnitte zu betrachten, wobei die Elementarschu- le für alle Kinder sechs Jahre gemeinsamer Arbeit bedeuten und die höhere Schule bis zum zwölften Schuljahr zwar differenziert, aber auch nicht räumlich getrennt werden sollte. So wäre denn auch eine Berufsschule eine höhere Schule, und die Schüler aller Zweige hätten immer noch ein gemeinsames Schulleben, eine wichtige Voraussetzung für die anzustre- bende demokratische Lebensform.4 Gleichzeitig warnte die Erziehungskommission davor, dem offensichtlichen Bemühen der deutschen Lehrer, das Erziehungswesen der Weimarer Republik wiederherzustellen, nachzugeben,5 und auch General Clay war besorgt, daß mög- liche Reminiszenzen neue Ideen im Schulwesen behindern könnten. Er wollte nicht, daß da angeknüpft werde, wo 1933 aufgehört worden war;6 sahen doch die Amerikaner im tradi- tionellen deutschen Bildungswesen eine der Voraussetzungen, die den Aufstieg eines ver- brecherischen Diktators ermöglicht hatten. Man müsse also, so verlangte der Bericht der amerikanischen Erziehungskommission, die geistige und methodische Erneuerung fordern, aber im Interesse Deutschlands und Amerikas müsse man „mit Verständnis und Mitgefühl“ zu Werke gehen.7

1 Erziehung in Deutschland, S. 22. 2 Ebda., S. 21. 3 Ebda., S. 27. 4 Ebda., S. 29 f. 5 Ebda., S. 17. 6 Vogelhuber, S. 5. 7 Erziehung in Deutschland, S. 17; vgl. dazu: Gimbel, S. 311; Fuchs/Pöschl, S. 126 ff; Die Neue Zeitung, 2. Jg. vom 20.9.1946, S. 27 und 30; Mayer, S. 328 f; Bungenstab, S. 48-52 und 92 f; Benz, Potsdam, S. 188; Mül- ler, S. 128-131.

242 6.2. AMERIKANISCHE UND BAYERISCHE AKTIONEN UND REAKTIONEN VON JANUAR 1947 BIS ENDE 1948

Der Nachfolger von SPD-Kultusminister Fendt, Alois Hundhammer (CSU), war während dieser zwei Jahre die entscheidende politische Persönlichkeit in der Auseinander- setzung um die Schulreform. Verwurzelt im niederbayerischen katholischen Bauerntum, überzeugt von der Eigenständigkeit Bayerns und davon, daß es in kulturellen Fragen ver- hängnisvoll sei, wenn der „Berliner Geist“ vorherrschen würde,1 und deshalb auf die födera- listische Neugestaltung des Staates pochend, gab er der traditionellen konfessionellen Erzie- hung in der Volksschule den Vorrang vor dem demokratischen Erziehungsziel des mündi- gen Menschen. Er hatte bereits während der Weimarer Republik deutlich gemacht, daß die Idee der Demokratie, daß alle Staatsgewalt vom Volk ausgehe, letztlich die Leugnung des Prinzips sei, „daß der Urquell aller Gewalt Gott“ sei.2 Gegenüber den Vertretern der Militär- regierung betonte er kompromißlos den Primat der christlich-abendländischen Kultur, was in letzter Konsequenz auf das unbedingte Festhalten am humanistischen Gymnasium hinaus - und allen Bemühungen um eine Einheitsschule zuwiderlief.3 Seine Position als christlicher Kulturpolitiker bekannte er ohne Abstriche,4 und da er in der Zeit des Nationalsozialismus ebenso aufrecht seine Überzeugung vertreten und die Haft im KZ Dachau durchlitten hatte, konnten ihm seine politischen Gegner den Respekt nicht versagen, und die amerikanische Militärregierung sah sich der schweren Aufgabe gegenüber, einen Mann von dieser Inte- grität zu einer Gesinnungsänderung zu bewegen, der noch die Vertreter der Kirchen und der Hochschulen hinter sich wußte und im bayerischen Landtag Mitglied der Regierungs- partei war.5 Als die amerikanische Erziehungskommission ihre Empfehlungen veröffentlichte, waren die Volksschulen in Bayern schon ein Jahr in Betrieb, und viele höhere Schulen hat- ten ihre Pforten wieder geöffnet oder taten es zu Beginn des Schuljahrs 1946/47.6 Das bedeutete, daß die Amerikaner die Schulverhältnisse genehmigt hatten, gegen die sie nun versuchten anzugehen. Die Sorge um die Kinder, die offensichtlich zu verwahrlosen droh- ten, hatte sie bereits im Jahr 1945 zu ihrer Erlaubnis bewogen, obwohl sie dem damaligen Kultusminister Hipp aber auch gesagt hatten, daß sie nicht beabsichtigten, zur Etablierung eines Schulsystems beizutragen, das nicht später wieder geändert werden könne, falls die Bevölkerung dies wünsche. Man wollte also weder vorgreifen noch den Deutschen irgend- ein Schulsystem oktroyieren.7 Nun hatten sich die Verhältnisse stabilisiert, und die Absicht, durch Überzeugen und nicht durch Befehlen zu wirken,8 ließ sich nicht mehr so ohne wei- teres verwirklichen. Vielleicht hatte die Erziehungskommission das bereits geahnt, als sie die „Fortdauer der beratenden Tätigkeit ... und des Vetorechts“ der Militärregierung empfahl, falls das „Ziel der Entwicklung eines demokratischen Erziehungswesens gefährdet“ erschei- ne.9 Die „Gewalt der Militärregierung“ sollte dann so schnell wie möglich „unter zivile Wahrzeichen gestellt“ werden, denn, so lautete die durchaus richtige Begründung, „Macht

1 ACSP München. Alois Hundhammer: Staatsbürgerliche Vorträge. 1. Der Staat. Regensburg2 1931, S. 12. 2 Ebda., 3. Staat und Kirche. S. 33. 3 vgl. dazu: Alois Hundhammer: Mein Beitrag zur bayerischen Politik 1945-1965. In: Bayerische Profile, H.1. Historisch-politische Schriftenreihe des Neuen Presseclubs, München. München 1965, S. 5-17; Huelsz, S. 47- 49, 141 f, 191-194; Fuchs/Pöschl, S. 137 f. 4 Benz, Föderalistische Politik, S. 788. 5 Landtagswahl 1.12.1946: CSU 104 Sitze, SPD 54, WAV 13, FDP 9 (A. Hundhammer, Mein Beitrag, S. 8). 6 In seinem Rechenschaftsbericht vom 16.12.1946 verkündete W. Hoegner: „Es ist gelungen, bis zum Mai 1946 alle Oberschulen für Knaben und fast alle für Mädchen wieder in Betrieb zu setzen; das von der Naziregie- rung zurückgedrängte humanistische Gymnasium wurde wieder in seinen Stand eingesetzt ...“ (Baer, S. 58). 7 Müller, S. 89. 8 Gimbel, S. 310; Bungenstab, S. 90; Huelsz, S. 143. 9 Erziehung in Deutschland, S. 52.

243 (sei) am wirksamsten ..., wenn der Eindruck des Zwanges vermieden wird“.10 Wie im Fol- genden dargetan wird, zeigten auch derartige sublime psychologische Finessen keine Wir- kung in Bayern. Zur Jahreswende 1946/47 wurden die Empfehlungen der Erziehungskommission von OMGUS in Direktiven umgearbeitet und die Militärregierungen der Länder Groß-Hes- sen, Bayern, Württemberg-Baden und Bremen-Enclave angewiesen, die deutschen Schul- behörden zu veranlassen, ihre Erziehungsziele und -programme darzustellen und der Militär- regierung vorzulegen.11 In diesem sog. OMGUS-Telegramm vom 10. Januar 1947 wurde gefordert, daß die zuständigen deutschen Erziehungsbehörden bis zum 1. April 1947 eine Aufstellung ihrer Aufgaben und Ziele und bis 1. Juli 1947 einen Erziehungsplan auf lange Sicht für die Gebiete des praktischen Unterrichts einzureichen hätten.12 Die Billigung durch die Militärregierung wurde von der Einhaltung einer Reihe von Leitsätzen, die in dem Tele- gramm aufgeführt waren, abhängig gemacht. Der erste Grundsatz verlangte: Erzielung demokratischer Lebensformen13 durch die Betonung sozialer Fächer in allen Schulen. Der Punkt aber, an dem sich die Geister scheiden sollten, lautete: „Schulen müssen ein allum- fassendes System bilden und allen Kindern dienen. Ein doppelspuriges System und ein Über- schneiden von Schulen sind auszumerzen. Volksschulen und höhere Schulen sollen zwei auf- einanderfolgende Ebenen und nicht zwei verschiedene Typen oder Qualitäten von Erziehung bilden. ... Alle Schulen für siebente bis zwölfte Klassen sollen als höhere Schulen gelten. ... Wo notwendig sollen Kindergärten ein Teil des regelmäßigen Schuldienstes sein. Wo mög- lich sollen einklassige Schulen in Klassen eingeteilt werden. ...“14 Ob der bayerische Kultusminister nach Erhalt dieser Richtlinien um Rücksprache gebeten hatte, ob Dr. Taylor von OMGUS Berlin zufällig in München war oder ob die ameri- kanischen Militärbehörden sich schon zu dem Zeitpunkt der bayerischen Zustimmung nicht sicher waren, war aus Quellen nicht ersichtlich. Jedenfalls erläuterte Taylor am 19. Februar die „Grundlinien der Bildungspolitik der amerikanischen Militärregierung“ im Staatsmini- sterium für Unterricht und Kultus in München.15 Dabei betonte er die Eigenständigkeit der Länder im Bereich des Bildungswesens, aber auch deren notwendige Einigung über Grund- fragen der Erziehung. Daher empfahl er - erstaunlich zurückhaltend - auch dem bayerischen Kultusminister die Mitarbeiter im Kulturausschuß des Länderrats. Er sehe darin nicht die Gefahr der Zentralisierung. Bezüglich der Schulfragen im engeren Sinne erklärte er, daß die deutsche Schule die undemokratische Spaltung des deutschen Volkes in soziale Gruppen und Klassen spiegele und daher die differenzierte Einheitsschule angesagt sei. Eingedenk amerikanischer Gepflogenheiten wünschte er die Teilnahme der Gemeinden am „Leben der Schule in mannigfacher Form und im großen Umfang“. Den Schulkindergarten empfahl er als Unterbau des Schulwesens, die gegliederte Grundschule sei „am besten auf 6 Jahre fest- zulegen“. Anschließend solle jedes Kind in die ihm gemäße weiterführende, also „höhere“

10 Ebda. 11 Gimbel, S. 311. OMGUS veranlaßte die Militärregierungen der Länder zur „Bewertung“ (evaluation), nicht wie in vielen anderen Fällen zur „Genehmigung“ (approval) oder „Überprüfung“ (review), ein Anzeichen dafür, daß die Amerikaner vorsichtig den Anschein des Zwangs vermeiden wollten. (Ebda.). 12 BayHStA München. StK 113968. Übersetzung TWX von OMGUS an die vier Länder, eingelaufen OMGB 10.1.1947; Dokumente zur Schulreform, S. 53 f; LKAN. LKR VI 1100a (3064). Abschrift einer Übersetzung. Vertraulich! Nur für den innerdienstlichen Gebrauch. 13 Dokumente zur Schulreform, S. 53. In anderen Übersetzungen hieß es: „Erreichung demokratischer Lebens- art“ (LKAN, s.o.), „Erreichung demokratischer Lebensweisen“ (BayHStA. StK 113968, s.o.), „Einübung demo- kratischer Lebensformen“ (Huelsz, S. 117). 14 BayHStA München. StK 113968. Übersetzung TWX von OMGUS an die vier Länder, eingelaufen OMGB 10.1.1947. An: Abteilung für Erziehung und religiöse Angelegenheiten. Bezug: Anordnung der Militärregie- rung Nr. 8-100.2, 8-101, 8-102. 15 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Ansprache von Major Taylor von der OMGUS - Berlin, Febr. 1947 in München; Dokumente zur Schulreform, S. 54-59.

244 Schule übertreten. In der „akademischen“ höheren Schule solle auf einen „im wesentlichen gemeinsamen dreijährigen Unterbau“ eine gefächerte dreijährige Oberstufe folgen, in wel- cher „reiche Möglichkeit für die Pflege der Humaniora“ gegeben sei. Völlig gleichwertig seien die berufsgerichteten höheren Schulen, die er unter einem Dach mit den akademi- schen vereinigt sehen wollte. Dringend empfahl Taylor die Zusammenlegung einklassiger Schulen zum Zwecke der Differenzierung und betonte abschließend, daß die jahrhunder- tealte Tradition der deutschen Schulformen der Wirklichkeit nicht mehr entspreche. Sie sei ein „Anachronismus in einer demokratisch werdenden Welt“ und „ein Unrecht gegen die Massen des deutschen Volkes“. Sie zu überwinden sei sicher besonders schwierig, aber er habe das Zutrauen, daß die bayerische Regierung den amerikanischen demokratischen Richtlinien gerne folgen werde und daß die Mitglieder der amerikanischen Erziehungsab- teilung in Berlin und in den Ländern gerne alle erdenkliche Hilfe gewähren würden.16 Am 7. März 1947 gab Kultusminister Hundhammer auf Ersuchen der Militärregie- rung einen Zwischenbericht darüber, mit welchen Punkten des OMGUS-Telegramms volle Übereinstimmung herrschte, wo man noch kein endgültiges Urteil und wo die bayerische Kultusbehörde abweichende Auffassungen hatte.17 Darin betonte er - was wohl am leich- testen fiel - die Übereinstimmung mit den amerikanischen Forderungen bezüglich der inne- ren Erneuerung, d. h. auch der bayerische Kultusminister wollte die sozial-staatsbürgerliche Erziehung zum beherrschenden Erziehungsprinzip machen, außerdem das schulische Gemeinschaftsleben fördern, das Arbeitsschulprinzip bevorzugen und Schulpflegschaften an den Volksschulen einführen. Die Kritik der Amerikaner, daß in Deutschland nur die privi- legierten Stände in den Genuß höherer Bildung gekommen seien, wies Hundhammer für Bayern zurück. Hier habe niemals ein Vorrecht der wirtschaftlich und sozial begünstigten Klasse bestanden. Auch ein Artikel in der Neuen Zeitung betonte, daß in Süddeutschland eine „alte, gesunde Tradition demokratischer Haltung bestehe“, daß in den Wirtshäusern tatsächlich der Minister neben dem Arbeiter säße. Man habe das vor allem Kerschensteiner zu verdanken, der die allgemeine Volksschule für die ersten vier Schuljahre energisch durch- gesetzt habe.18 In der Tat schien es einen Unterschied zur preußischen Klassengesellschaft gegeben zu haben, denn immer wieder wurde auf den aus dem Bauernstande aufgestie- genen Akademiker hingewiesen. Allerdings legte man nie explizit dar, daß es sich in den meisten Fällen um die Förderung von Jungen handelte, die der Dorfpfarrer gerne im Prie- steramt gesehen hätte. Hundhammer war auch daran gelegen, „Unbefähigte“ von höheren Bildungswegen fernzuhalten, denn sie würden, sofern das unterbliebe, das „soziologisch gefährliche Bildungsproletariat“ bilden, „das in Halbbildung steckengeblieben und darum mit sich selbst und mit der Umwelt immer unzufrieden gewesen ist, wie die vergangene Epoche des Nationalsozialismus gelehrt“ habe. Die Schulpflicht auf neun Jahre zu erhöhen, lehnte Hundhammer ab, da der Zeitpunkt dafür im Nachkriegsdeutschland nicht gegeben sei, und er konnte sich nicht vorstellen, wie die differenzierte Einheitsschule ohne Herab- minderung des Bildungsniveaus verwirklicht werden sollte. Er hob hervor, daß der Beginn der höheren Schule nach dem vierten Schuljahr erfolgen solle und daß das amerikanische Bildungswesen nicht geeignet sei, auf das deutsche übertragen zu werden, da die in Jahr- hunderten gewachsene Schulkultur keinen Bruch erfahren dürfe, daß man vielmehr die berechtigte Eigenart und den Eigenwert „unserer deutschen Kultur“ wahren müsse.19

16 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Ansprache von Major Taylor von der OMGUS - Berlin, Febr. 1947 in München. 17 Ebda., Schreiben Nr. B 61327 des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 7.3.1947 an die Militärregierung. Betreff: Schulreform (Az. A 10a/1). 18 Die Neue Zeitung, 3. Jg. vom 2.5.1947, S. 4. Die Argumentation des Verfassers war eine Bestätigung der amerikanischen Begründung! 19 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Schreiben Nr. B 61327 des Bayer. Staatsministeriums f. Unterr. und Kultus am 7.3.1947 an die amerikanische Militärregierung. Betreff: Schulreform (Az. A 10a/1).

245 Hundhammers Vorschläge zur Schulreform, die er übrigens auch an die Kultusmini- ster von Württemberg und Großhessen zur Kenntnis - und eventueller Stellungnahme - schickte,20 schienen der Militärregierung wohl zu zögerlich und im Grunde keineswegs refor- matorisch, denn postwendend erschienen am 14. März „Military Government Regulations“, in denen Sachgebiete aufgezählt wurden, die die deutschen Stellen nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Militärregierung entscheiden durften.21 Hatten die Amerikaner vorher eine eher abwartende Haltung eingenommen, schien es ihnen jetzt geraten, bestimmte Dinge mitzugestalten. Noch bevor der bayerische Kultusminister seinen Erziehungsplan auf weite Sicht am 31. März 1947 an die Militärregierung übermittelte, machte er am 21. März im Landtag kurz darauf aufmerksam, daß dieser sich möglicherweise mit dem Problem befassen müsse, vor allem, wenn es um Entscheidungen ginge; denn, sagte er, „nach unserer Verfassung hat in solchen Dingen der Landtag die Entscheidung in der Hand“.22 Dieser Satz mochte manchem Abgeordneten noch im Ohr sein, als die Schulreform tatsächlich im Parlament verhandelt wurde. Der Erziehungsplan auf weite Sicht, den Hundhammer sicher nicht gerne eingereicht hatte - was hatten schließlich Fremde über bayerische Angelegenheiten zu befinden -, wurde als reaktionär und undemokratisch abgelehnt; ja, er löste bei den Verantwortlichen der Militärregierung, die ihn lasen, geradezu Empörung aus. Vor allem wurde konstatiert, daß es ihm an der Ehrfurcht ermangele, die man dem weltanschaulichen Gegner schulde.23 Schärfste Kritik sprach General Clay aus, der den bayerischen Kultusminister aufforderte, die Sitzungen des Erziehungsausschusses im Länderrat zu besuchen, um von seinen Kollegen aus Hessen und Württemberg-Baden zu lernen. Hundhammer wurde vorgeworfen, daß er nichts dazu beitrage, die Situation zu erleichtern, sein Plan erfülle nicht einmal die Mindest- anforderungen.24 Mißfallen mußte der Militärregierung an diesem Plan schon der allgemei- ne erste Teil, der „unorganische Neuerungen“ anprangerte und die Persönlichkeit forderte, die ihr „Gewissen ausrichtet an der gottgegebenen Welt- und Lebensordnung“, was als Festhalten an der traditionellen Gesellschaftsordnung übersetzt werden konnte, also unver- einbar war mit der Demokratisierung des Landes. Die christliche Religion sollte die Grund- lage für die gesamte Erziehungsarbeit bilden, und anstatt die Überwindung der Klassen- schranken zu postulieren, sollten „Vornehmheit und Duldsamkeit ... von Stand zu Stand, von Klasse zu Klasse, von Nation zu Nation“ Ziel aller Bildungsarbeit sein. Der Aufbau des Schulwesens könne nicht bestimmt sein durch ein Einheitsschema, da jedes Land geogra- phische, historische, kulturelle, wirtschaftliche, gesellschaftliche und staatliche Eigenarten besitze. Außerdem habe ein Bildungsplan sich nach der Finanzkraft eines Landes zu richten, und daher verbiete die Armut, die in Bayern herrsche, die Verlängerung der Schulpflicht, die Gliederung einklassiger Schulen, das Einstellen zusätzlicher Lehrer, die Errichtung pädago- gischer Fakultäten und Akademien, die Schulgeld- und Lernmittelfreiheit.25 Damit waren auf einer knappen Seite alle Forderungen der Amerikaner hinweggefegt worden und deren Empörung nur allzu verständlich. Gegen die inneren Reformvorschläge war nicht viel ein-

20 BayHStA München. MK 53202. Er schrieb dazu, daß er einen einheitlichen Standpunkt der süddeutschen Staaten begrüßen würde, wenn er auch „unter allen Umständen“ an dem Grundsatz festhalte, „daß jeder Staat die Belange der Bildung und Kultur als seine eigenste Angelegenheit zu betrachten“ habe. 21 Huelsz, S. 117. Sie zitiert Control and Supervision of Education. MG. Regulations Title 8, Part 2, Sec A, March 14, 1947. In: Germany 1947-49. The Story in Documents, Department of State Publications 3556, Europe- an and British Commonwealth Series 9, Washington DC 1950. 22 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 10. Sitzung am 21.3.1947, S. 262. 23 Guthmann, S. 340; Benz, Potsdam, S. 189; Bungenstab, S. 94. 24 Gimbel, S. 313; Bungenstab, S. 94. 25 ACSP München. NL Müller 217. (Schulreform 1947-48).

246 zuwenden, z.B. sollte der geplante Geschichtsunterricht nicht mehr unter dem Vorzeichen der „brandenburgisch-preußischen Geschichts- und Staatsauffassung“ stehen. Betont wurde auch, daß Religionsunterricht „nicht etwa bloß die Interessen einer Religionsge- meinschaft (vertreten), sondern das grundlegende Bildungsinteresse überhaupt“ sein soll- te.26 Der dritte Teil der bayerischen Vorschläge war vollends eine Enttäuschung für die amerikanische Militärregierung, denn die von ihr dringend vorgeschlagene differenzierte Einheitsschule wurde vom bayerischen Kultusminister als „im gegenwärtigen Zeitpunkt, wenn überhaupt durchführbar, ein sehr gewagtes Unternehmen“ bezeichnet, das „zwei- fellos den weiteren Verfall“ des Schulwesens und den „völligen Umsturz und radikalen Bruch mit einer in jahrhundertelangem Wachstum gewordenen Kultur bedeuten“ würde. Hundhammer sah „keine Veranlassung zu solch grundstürzende(r) organisatorische(r) Schul- reform“.27 Die Einrichtung von Pflichtkindergärten sei ein unberechtigter Eingriff in die elter- liche Erziehungsgewalt, die wenig gegliederte Landschule sei der zentralen Verbandsschule vorzuziehen, da sie „den besonderen Aufgaben und Bedürfnissen der Landwirtschaft, bäu- erlichen Kultur und Dorfgemeinschaft dienen“ müsse. So wurde also die Volksschule unter dem Gesichtspunkt des agrarischen Flächenstaates betrachtet. Man konnte sich Bayern überhaupt nicht anders vorstellen, und die Schule als dörfliches Kulturzentrum war durchaus ein ernst zu nehmender Gesichtspunkt. Der Beginn der höheren Schule, eingeteilt in das humanistische und realistische Gymnasium, für die wirklich Begabten wurde mit dem zehn- ten Lebensjahr festgesetzt. Das entspreche „den Begabungsunterschieden und den Erfor- dernissen von Wissenschaft und Kultur“. Mit dem Ausbau der Volksschul-Oberstufe beab- sichtigte man die Förderung der dort verbliebenen Begabten.28 Ziffer 6 der Ausführungen war besonders geeignet, die Angehörigen der amerikanischen Militärregierung gegen die Bayern aufzubringen, denn dort hieß es ziemlich süffisant: „Obwohl die bayerische Unter- richtsverwaltung aus den oben dargelegten Gründen es sich versagen muß [sic!], den OMGUS-Plan der differenzierten Einheitsschule allgemein durchzuführen, gedenkt sie die ‚differenzierte Einheitsschule‘ als Reformversuch in einigen größeren Schulsystemen Süd- und Nordbayerns zu erproben und die gemachten Erfahrungen auszuwerten.“29 Die Militärregierung lehnte die Reformpläne der Länder - bis auf Bremen - ab, wobei der bayerische Plan besonders vernichtend beurteilt wurde, da er nur vier der 15 geforder- ten Grundsätze berücksichtigt habe.30 General Clay kritisierte anläßlich einer Sitzung des Länderrats in Stuttgart ganz entschieden die Haltung Bayerns. Es verschanze sich hinter sei- nem bisherigen System, und obwohl es auf seine kulturellen Leistungen stolz sein könne, müsse es bedenken, daß schon manche Völker vom Schauplatz der Geschichte abgetreten seien, da sie sich zu sehr an ihre Vergangenheit geklammert hätten. Er riet den Bayern, sich nicht in „Schwärmerei für Reminiszenzen“ zu verlieren, sondern in die Zukunft zu blicken.31 Eine Besprechung im bayerischen Kultusministerium am 21. Mai 1947 diente offen- sichtlich dem Ziel, eine gemeinsame Basis zu finden. Die Teilnehmer waren hochkarätig, denn auf amerikanischer Seite nahm kein geringerer als Tom Alexander, der neue Leiter der Erziehungsabteilung bei OMGUS, daran teil.32 Ebenfalls vertreten war der Leiter der Erzie-

26 Ebda. 27 Ebda. 28 Ebda. 29 Ebda. 30 Bungenstab, S. 94; Gimbel, S. 312. 31 Die Neue Zeitung, 3. Jg. Nr. 37 vom 9.5.1947, S. 1. 32 BayHStA München. StK 113968. Vormerkung. Dr. Gl./A vom 23. Mai 1947. Prof. Dr. Tom Alexander von der Columbia Universität war einer der profundesten Kenner des deutschen Schulwesens. Er hatte es in den Jah- ren 1926 bis 1933 aus eigener Anschauung kennengelernt; und er galt als emphatischer Vertreter der ame- rikanischen Modellvorstellungen, „die er nicht nur - wie bereits Taylor - befürwortete, sondern von oben her aufzwingen wollte“. Er legte bereits Ende November 1947 das Amt im Zusammenhang mit dem bayerischen „Schulkampf“ nieder. (Mayer, S. 269 f und 329).

247 hungsabteilung Bayern, Bergmann. Kultusminister Hundhammer und die Staatssekretäre Pittroff und Sattler gehörten zur bayerischen Abordnung. Man einigte sich darauf, die strit- tigen Fragen unter Zuziehung weiterer Sachverständiger zu erörtern. Was die Dauer der Grundschulzeit betraf, betonte Alexander, daß den Amerikanern daran gelegen sei, „daß Arm und Reich die gleiche Chance hätten“, daß gemeinsame Schulfächer für alle Kinder vorgesehen würden, auch wenn eine Differenzierung in einen humanistischen, realen und Berufsschulzweig vorgesehen sei. Ein Überwechseln von einem Zweig zum anderen solle möglich sein; auf eine solche horizontale Verbindung werde sehr großer Wert gelegt, und hier erwarte man vor allem Vorschläge. Zum Problem der Dorfschulen meinten die Ameri- kaner, daß eine Zusammenlegung das Ziel sein müsse, auch wenn das vielleicht erst in 50 Jahren durchführbar sei, da im Augenblick die Schwierigkeiten finanzieller und technischer Art wohl zu groß seien. Schließlich erwartete die amerikanische Delegation eine bessere Unterrichtung der Eltern und der Öffentlichkeit über diese Probleme. „Die Verhandlungen wurden von beiden Seiten in freundschaftlicher Weise geführt.“33 Vielleicht rührte die ame- rikanische Freundlichkeit daher, daß es am 10. Mai einen kultusministeriellen Erlaß zur „Errichtung von Zubringerschulen für die höheren Lehranstalten“34 gegeben hatte. In ihm wurden die bayerischen Bezirksregierungen aufgefordert, bis 1. Juli 1947 Gemeinden zu melden, die diese Versuchsschulen einrichten wollten. Zur Begründung hieß es immerhin: „Zur Vorbereitung der künftigen Schulreform sollen versuchsweise an einigen vollausge- bauten Volksschulen in der 5. und 6. Klasse Abteilungen mit fremdsprachlichem Unterricht (Latein oder Englisch)35 eingerichtet werden, deren Schüler nach der 6. Klasse den Anschluß an die 3. Klasse der entsprechenden höheren Lehranstalt finden sollen ... Am Schluß der 6. Klasse können die Schüler nach Bestehen einer ... Aufnahmeprüfung ... übertreten. Der Besuch dieser Abteilungen ist ... kostenlos. Die benötigten Lehrkräfte werden vom Staats- ministerium ... zur Verfügung gestellt. ... Es kommen nur solche Gemeinden in Betracht, die keine höhere Schule, aber eine voll ausgebaute Volksschule besitzen ...“ Hier schien sich eine Differenzierung anzubahnen, die die Amerikaner wohl akzeptieren konnten, denn die Schüler blieben bis zum sechsten Schuljahr Mitglieder ihrer Schule, auch räumlich. Allerdings stimmte der letzte Satz doch wieder nachdenklich, denn wenn keine höhere Schule am Ort war, mußte ein Besuch der Versuchsklasse den Eltern nicht sehr aussichtsreich vorkommen. Wozu sollte ein Kind sie besuchen, wenn die höhere Schule dann doch nicht möglich war, weil sie zu weit entfernt oder das erforderliche Fahrgeld nicht aufzubringen war? In verschiedenen Orten Bayerns wurden diese Versuchsklassen eingerichtet, u. a. in Grafenau, Ochsenfurt, Pfaffenhofen und Lauf. Sie wurden auch im Schuljahr 1948/49 als sechste Klassen weitergeführt mit dem Ziel, die Schüler der Sprachenabteilungen so weit zu fördern, daß der Übertritt nach einer Aufnahmeprüfung in die dritte Klasse der höheren Schule gelingen konnte. Auch sollten wieder fünfte Klassen an diesen Orten eingerichtet werden. Für diese jedoch galt nicht mehr als Hauptzweck die Vorbereitung zum Übertritt an die höhere Schule, sondern „Wege für die Neugestaltung der Volksschul-Oberstufe zu

33 Ebda. 34 Veröffentlicht im Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus Nr. 8 vom 13.6.1947, S. 57 f. 35 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 42. Sitzung am 11.12.1947, S. 468. Der Abgeord- nete Stang (CSU) berichtete, daß acht Zubringerschulen eingerichtet worden seien, in jedem Regierungsbe- zirk mindestens eine. „An ihnen erhalten die Volksschüler von der 5. Klasse ab einen zusätzlichen Unterricht in Latein oder Englisch nach Wahl des Schülers, damit die Schüler von der 6. oder 7. Klasse der Volksschule in die 2. oder 3. Klasse der höheren Lehranstalt übertreten können. Auf diese Weise könne ein größerer Kreis von Kindern noch zwei oder drei Jahre länger im Elternhaus bleiben. Sollte sich der Versuch bewähren, dann plane man einen weiteren Ausbau dieses Systems ... Diese Zubringerschulen sollen gerade den unteren Schichten der Bevölkerung den Weg zur höheren Schule öffnen.“

248 suchen. Zunächst soll(te) in diesen Klassen für Sprachbegabte die Möglichkeit eines fremd- sprachlichen Unterrichtes, für praktisch Begabte die Möglichkeit eines Werkunterrichtes geboten werden“.36 So hatte der unterzeichnende Kultusminister Hundhammer die von den Amerikanern dringend gewünschte horizontale Durchlässigkeit auf einen Schülerjahrgang an wenigen Schulen beschränkt. Lehrer Martin Ringel, später Lehrer an einer Realschule, führte ab Januar 1948 die gemischte Zubringerklasse in Lauf in Mittelfranken. Diese Klasse besuchten 46 Schülerinnen und Schüler. Es waren etwas mehr Mädchen als Jungen. Ringel war bereits planmäßiger Leh- rer; er hatte zwei Monate vor Kriegsbeginn mit dem Schuldienst begonnen. Er übernahm die Zubringerklasse von einem älteren Kollegen, einem etwa 60 Jahre alten Rektor, der den vorgesetzten Behörden zu alt und verknöchert erschien, denn man hatte ihm, unter Hinweis auf die große Belastung, nahegelegt, die Klasse abzugeben. Nur ungern hatte sich dieser der Aufforderung gebeugt; aber das Ministerium wollte sichtlich nicht den Eindruck erwecken, als würde dieser zaghafte Schulversuch mit überaltertem Personal durchgeführt.37 Der Lehrerwechsel erfolgte zwei Monate nach dem Besuch einer großen Kommission, der neben Vertretern aus dem Kultusministerium Education Officers der überörtlichen und ört- lichen Militärregierung mit ihren Dolmetschern und Schulrat Kaiser angehörten. Nach Rin- gels Einschätzung geschah der Wechsel nicht unmittelbar nach diesem Besuch, um nicht den Eindruck zu erwecken, das sei das einzige Ergebnis der Kommission gewesen.38 Vor- aussetzung für die Aufnahme in die Zubringerklasse war die Bestätigung des Lehrers des vierten Jahrgangs, daß der Schüler „geeignet zum Besuch einer weiterführenden Schule“ war. Eine Aufnahmeprüfung wurde nicht verlangt.39 Die Eltern schickten ihre Kinder gerne in die Versuchsklasse, denn sie ersparten ihnen die lange Bahnfahrt in die zerbombte Groß- stadt Nürnberg. Allerdings waren in Lauf doch etliche Gastschüler (ca. ein Fünftel), die von Rückersdorf, Behringersdorf oder Schnaittach mit dem Zug kamen.40 Die Versuchsklassen waren vom Kultusministerium aber sicher nicht als zentrale Klasse eines Landkreises geplant worden. Der Erlaß vom 2. Juni 1948 bekundete unter 5: „In die neuen 5. Klassen werden Schüler der betreffenden Schule aufgenommen. Wenn besondere Gründe vorliegen, kann der Schulrat auf Ansuchen der Erziehungsberechtigten Aufnahme von Gastschülern in Ver- suchsklassen genehmigen.“41 Viele Eltern nutzten aber auch nur die Möglichkeit, ein gutes Bildungsangebot für ihre Kinder wahrzunehmen, denn als nach zwei Jahren die Aufnah- meprüfung für die höhere Schule anstand, nahm nur etwa die Hälfte der Schüler daran teil, obwohl nahezu alle dazu in der Lage gewesen wären. Es besuchten auch nicht signifikant viele Flüchtlingskinder diese Klasse; bodenständige Handwerker zeigten großes Interesse daran, ihre Kinder mehr lernen zu lassen.42 Auch Lehrer Ringel selbst dachte wie die Eltern in erster Linie, daß die Versuchsklasse den Kindern die Strapazen der Bahnfahrt ersparen soll- te. Nie kam ihm der Gedanke, daß seine Klasse einen Reformversuch in Richtung auf eine differenzierte Einheitsschule darstellen könnte. Niemand ließ dahingehend etwas verlauten; nie erhielt er auch eindeutige Weisungen. Das Ziel, die Schüler auf das Gymnasium vorzu-

36 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4519. Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 2.6.1948 an die Schulräte der Orte, an denen Versuchsklassen bestehen. Betr.: Ver- suchsklassen im Schuljahr 1948/49. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 2.6.1948 Nr. III 34313. 37 siehe S. 124, 139. 38 Gespräch mit Herrn Martin Ringel, Feuchtwangen. 39 Ebda. 40 Ebda. 41 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4519. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 2.6.1948 Nr. III 34313. 42 Gespräch mit Herrn Martin Ringel, Feuchtwangen.

249 bereiten, kannte er nur „vom Hörensagen“.43 Ob sein Schulleiter irgendeine „gesonderte Entschließung ... über die Gestaltung der Lehrpläne“ erhalten hatte, wie das Ministerium es angekündigt hatte44, wußte Ringel nicht, denn er führte, da sein Schulrat so tat, als wisse er von nichts, ohne zu fragen das gymnasiale Sprachbuch (Krell) und das Rechenbuch ein, nachdem er sich „umgehört hatte, was im Gymnasium üblich war“. Außerdem mußten seine Schüler den neuen Wenschow-Atlas mit Profilkarten kaufen (der interessanterweise Mitteleuropa ohne Grenzen zeigte!).45 Den Englischunterricht - sechs Stunden Englisch plus zwei Stunden Grammatik auch für den Deutschunterricht - erteilte ein bereits pensionierter Studienrat aus Schlesien. Eine Stundentafel hat Ringel im übrigen nie gesehen, doch seien es mindestens 34 Stunden für die Schüler gewesen. Im Frühjahr 1948 wurden die Lehrer der Zubringerklassen mit ihren Schulräten nach München einberufen. Etwa 20 Personen kamen zu der Besprechung ins Kultusministerium. Den einführenden Worten von Staatssekretär Meinzolt und Ministerialrätin Dr. Wilhelmine Böhm entnahm Ringel, daß sie wirklich hinter dem Versuch standen und die Lehrer unterstützen wollten; was aber danach folgte, war nicht geeignet, in ihm irgendein „erhebendes Gefühl“ zu erzeugen, im Gegenteil, er war nach der Besprechung genauso schlau wie vorher und kam zu dem Entschluß, weiterhin so zu handeln, wie er es sich dachte. Ministerialrat Braun fiel ihm besonders auf, denn als Rin- gel etwas fragte, kam von diesem die Gegenfrage, wie er es denn bisher gemacht habe. Ringel erklärte sein Vorgehen und erhielt dann als Antwort, genau so habe er auch handeln müssen, das verstehe sich ja von selbst. Von da an fragte er nichts mehr.46 Im Juni 1948 kam die Entschließung, daß nun nach dem Lehrplan der Volksschule unterrichtet werden müsse.47 Unsicher, wie zu verfahren sei, fragte Ringel seinen Schulrat, was er tun solle, und erhielt die wenig hilfreiche Antwort: „Tun Sie, was Sie wollen.“48 Mit Beginn des Schuljahrs 1948/49 war die nächste Versuchsklasse gebildet wor- den, deren Zielrichtung geändert, den Lehrern an der Schule aber unklar war. Die Weisungen aus dem Kultusministerium zum Lehrplan klangen nun sehr strikt, sehr befehlsmäßig: Es gelte der Lehrplan der Volksschule und nichts anderes. Jetzt machte sich offensichtlich schon die durch die Amerikaner selbst geänderte Interpretation ihrer eigenen Direktiven bemerk- bar,49 die einerseits unter dem Gesichtspunkt des sich verschärfenden Ost-West-Konflikts zu sehen war, andererseits eine leicht resignative Haltung gegenüber der unbeugsamen Wil- lenskraft Hundhammers erkennen ließ. Das Reorientierungsprogramm wurde nun im Sinne von „persuasion“ forciert. Des Kultusministers selbstbewußtes Agieren war die Folge. Da aber die ministeriellen Weisungen stets nur „An die Versuchsklassen“ gerichtet waren, wußte Ringel nicht, ob seine oder nur die geänderte neue Klasse gemeint sei. Er entschied sich dafür, weiter nach den Anforderungen des Gymnasiums zu unterrichten. Etwa Mitte des Jahres 1949 - es mußte ungefähr Anfang Juni gewesen sein, jeden- falls nach dem 12. Mai, denn die Berliner Blockade war, wie Ringel sich erinnerte, aufgeho- ben - sagte sich eine Kommission aus München an. Es war der erste Besuch einer vorge- setzten Stelle seit Übernahme der Versuchsklassen; auch der zuständige Schulrat war nie erschienen. Der Kommission gehörten zwei Beamte des Kultusministeriums an, einer davon

43 Ebda. 44 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4519. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 2.6.1948 Nr. III 34313. 45 Gespräch mit Herrn Martin Ringel, Feuchtwangen. 46 Ebda. 47 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4519. Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 2.6.1948 an die Schulräte der Orte, an denen Versuchsklassen bestehen. Betr.: Ver- suchsklassen im Schuljahr 1948/49. 48 Gespräch mit Herrn Martin Ringel, Feuchtwangen. 49 siehe S. 87, 265, 273.

250 war Ministerialrat Braun, der Ringel schon von München her bekannt war. Außerdem kamen zwei amerikanische Offiziere von der Erziehungsabteilung mit ihren Dolmetscherinnen. Rin- gel zeigte, da die Kommission verspätet eingetroffen war und alles sehr schnell gehen mußte, je zehn Minuten Unterricht in Deutsch, Rechnen und Erdkunde. Und da die Berliner Blockade gerade aufgehoben worden war, erregte er mit seinem Erdkunde-Thema „Ver- kehrswege nach Berlin“ großes Interesse und vollste Zufriedenheit bei den amerikanischen Offizieren. Sein Kollege zeigte 20 Minuten Englischunterricht. Eine Besprechung im Sit- zungssaal des Laufer Rathauses schloß sich an. Braun vom Kultusministerium eröffnete sie mit den Worten: „Es steht fest: Der Schulversuch mit den Zubringerklassen kann als geschei- tert gelten.“ Ringel war empört über die seiner Meinung nach völlig aus der Luft gegriffe- ne Aussage, wagte jedoch als junger Lehrer nicht zu widersprechen. Möglicherweise hatte die Kommission bei den anderen Versuchsklassen diese Erfahrung gemacht. Im Verlauf des Gesprächs fragte Braun, wie weit er gekommen sei, und als Ringel antwortete, er habe den Lehrstoff der höheren Schule „so ziemlich“ behandelt, wurde gefragt, was das heiße, so ziemlich. Ringel sagte daraufhin: „Ich habe den Stoff behandelt,“ worauf Braun ihm erwi- derte, daß das ja auch verlangt worden sei. Daß ab September 1948 nur nach dem Volks- schullehrplan unterrichtet werden sollte, wurde nicht erwähnt. Insgesamt notierte Ringel in seinen autobiographischen Aufzeichnungen: „Offenbar gab es in München Leute, die die- sem Schulversuch ablehnend gegenüberstanden, und das Urteil war schon im voraus fer- tig.“50 Davon war bei der Besprechung in München im Frühjahr 1948 noch nichts zu merken gewesen. Lehrer Ringels Zubringerklasse in Lauf war ein einmaliger Versuch; die folgende Klas- se erhielt laut Erlaß vom 2. Juni 1948 verstärkt Werkunterricht. Aber auch diese Erprobung wurde wieder abgebrochen.51 Nach dem sechsten Schuljahr blieben in Ringels Klasse 25 Schüler übrig. Zunächst war nicht klar, was weiter mit ihnen geschehen solle; ein Elterngre- mium, das mögliche Ziele hätte durchsetzen können, gab es nicht. Aber Ringel gelang es, diese Restklasse ein weiteres Jahr zu unterrichten, was in der damaligen Zeit ein Geschenk war. Bereits 46 Schüler waren ideal, nachdem Ringel vorher zweimal täglich 63 Schüler im Wechsel unterrichtet hatte. Zudem waren die Schüler der Versuchsklasse gut bis sehr gut begabt, so daß das Unterrichten Spaß machte. Nach der siebten Klasse wechselten einige seiner Schüler in die Mittel- und Handelsschule, elf Mädchen blieben übrig, besuchten dann ein „normales“ achtes Schuljahr und erzielten Spitzenergebnisse, denn nach Ringels Ein- schätzung bedeutete die Note 3 in der Zubringerklasse eine 1 in der Normalklasse. Von den in die höhere Schule übergetretenen Schülern blieben zwei Jungen in der siebten Klasse sit- zen. Sie hatten Schwierigkeiten mit der zweiten Fremdsprache, Latein. Insgesamt waren die Schüler aber sehr erfolgreich. Die meisten schlossen ein Studium ab.52 Über das Ergebnis des Schulversuchs hieß es später amtlich, daß ein Teil der Schüler die Aufnahmeprüfung in die zweite bzw. dritte Klasse einer höheren Schule bestanden und sich dort bewährt habe und daß mit Ausnahme von Lauf an den Orten mit Zubringerklas- sen Mittelschulen errichtet worden seien, „wodurch sich die Fortführung der Zubringer- klassen“ erübrigt habe.53 Diese Begründung ging allerdings an der ursprünglichen Intenti- on, Schülern der Volksschule das Überwechseln ins Gymnasium noch nach der sechsten Klasse zu ermöglichen, vorbei, denn dieses Ziel war mit dem Besuch der Mittelschule nicht zu erreichen; dort wurde in der Regel keine zweite Fremdsprache angeboten, und die Tren-

50 Privatarchiv Martin Ringel. 51 Gespräch mit Herrn Martin Ringel, Feuchtwangen. 52 Ebda. 53 Dokumente zur Schulreform, S. 232.

251 nung zwischen den einzelnen Schultypen war so nicht zu überwinden. Das dreigliedrige Schulsystem etablierte sich. Ein Mittel, um den Bemühungen um die Schulreform Nachdruck zu verleihen, schuf der Alliierte Kontrollrat mit seiner Direktive No. 54, die die Grundprinzipien für die Demo- kratisierung der Erziehung in Deutschland enthielt. Diese „Basic Principles for Democratiza- tion of Education in Germany“, beschlossen auf der 126. Sitzung am 25. Juni 1947, bilde- ten das Minimalprogramm und die Richtschnur der alliierten Besatzungsmächte. Die Direk- tive bekräftigte, daß für alle gleiche Bildungsmöglichkeiten bestehen sollten, Schulgeld- und Lernmittelfreiheit wurden gefordert, die Schulen sollten ein einheitliches Erziehungssystem bilden, „Grundschule“ und „Höhere Schule“ sollten „zwei aufeinander folgende Erzie- hungsebenen bedeuten“ und nicht zwei Arten der Unterweisung, „die sich überschneiden“. Das Volk sollte bei Reform, Aufbau und Verwaltung des Erziehungswesens mitwirken.54 Mit JCS 1779 vom 11. Juli 1947 erhielten die amerikanischen Militärregierungen eine verschärfte Aufforderung einzugreifen in das Erziehungssystem der Länder, und noch einmal wurde betont, daß Erziehung „primary means of creating a democratic and peace- ful Germany“ darstelle.55 Der Befehl lautete: „Von den Behörden der deutschen Länder wer- den Sie verlangen, ein Erziehungsprogramm anzunehmen und auszuführen, das bestimmt ist, ein gesundes, demokratisches Erziehungssystem, das allen entsprechend ihrer Qualifi- kationen gleiche Möglichkeiten bietet, zu entwickeln.“56 Am 30. September reichte Kultusminister Hundhammer seinen zweiten Schulreformplan ein, auf den General Clay ziemlich heftig reagierte und der ihn veranlaßte, an Ministerpräsident Ehard zu schreiben: „Ich muß Sie bitten, dieser Frage sofort Ihre per- sönliche Aufmerksamkeit zuzuwenden.“57 Hundhammer hatte in seinen Vorerwägungen wiederum betont, daß „die Regelung des Schulwesens ... in einem demokratischen Staate ureigenstes Beratungsgebiet und Recht der Volksvertretung (sei). An deren Beschlüsse und Weisungen ist das Ministerium - abgesehen von den zwingenden Vorschriften der Verfas- sung - bei seinen Maßnahmen, insbesonders bei der Planung und Durchführung von ein- schneidenden Reformmaßnahmen und Neuerungen gebunden“.58 Der fünfte Abschnitt der unter A aufgeführten allgemeinen Grundsätze lautete - ungeachtet der amerikanischen For- derungen - : „Mehr als auf die Form kommt es auf den Geist an, der die Schule beherrscht. Darum ist die innere ... Erneuerung unseres Schulwesens wichtiger als eine bloß äußere (organisatorische) Umgestaltung.“ Neben dieser Formulierung, die von amerikanischer Seite so recht als Ohrfeige verstanden werden konnte, mißfiel die Absicht, an allen Schulen ab dem zehnten Lebensjahr die Trennung der Geschlechter durchzuführen, Kindergärten wei- terhin nicht in den Schulbetrieb einzugliedern, die Landschulen zu belassen, wie sie waren, um den Bedürfnissen des bäuerlichen Lebens und der Dorfkultur zu dienen, die Schulgeld- freiheit nicht für alle einzuführen, den Beginn der höheren Schule nach dem vierten Schul- jahr beizubehalten und verstärkt Mittelschulen, auch für Jungen, einzurichten, anstatt die Schultypen zu beschneiden. Mit der sehr unpräzisen Formulierung, daß durch „möglichste Angleichung der Lehrpläne ... begabten Schülern der Übergang von der 5., 6., 7. Klasse der Volksschule in entsprechende Klassen der höheren Schulen erleichtert werden“ solle, wurde

54 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Abschrift. Alliierte Kontrollbehörde Kontrollrat. Directive No. 54. 25.6.1947. COMP/P (47) 135 Final; Dokumente zur Schulreform, S. 87 f; Bungenstab, S. 54. 55 Bungenstab, S. 54. 56 Ebda. 57 BayHStA München. MK 53202. Schreiben des Amtes der Militärregierung für Deutschland (U.S.). Amt des Militärgouverneurs, am 18.11.1947 an Ministerpräsident Ehard. 58 Ebda., Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 30.9.1947 an die Militärregie- rung für Bayern, München. Betrifft: Schul- und Unterrichtswesen.

252 die geforderte Durchlässigkeit nur vage ins Auge gefaßt. Das Kultusministerium akzeptierte zwar die Forderung der Amerikaner, daß neue Wege beschritten werden müßten, wollte aber nicht, „daß deswegen in allem die Tradition, auf der die deutsche Bildung bisher auf- gebaut war und sich segensreich auch für andere Völker ausgewirkt hat,“ aufgegeben würde.59 Die Tendenz, Entscheidungen möglichst lange hinauszuschieben, wurde offen und als selbstverständlich dargelegt. Jeder Schritt müsse sorgfältig bedacht werden, da die Erzie- hungsreform wesentlich sei für Deutschlands Wiederaufbau und seine Rückkehr in die Völ- kerfamilie. Sachverständige aus dem In- und Ausland, die Erziehungsberechtigten, die Militärregierung müßten doch gehört werden, und all das erfordere sorgfältige Beratun- gen.60 Die mit Beginn des Schuljahres 1947/48 errichteten acht Versuchs-(„Zubringer-“)schu- len61 wurden der amerikanischen Militärregierung als Trost mit auf den Weg gegeben. Neben dem Brief von Clay an Ministerpräsident Ehard reagierte die Militärregierung mit einer „Erläuterung der Kontrollratsdirektive No. 54 unter Bezugnahme auf bestimmte Gesichtspunkte in der Schulorganisation“. Der Leiter der Erziehungsabteilung, Tom Alexan- der, teilte den Ländern mit, daß „während der ersten sechs Schuljahre keine Differenzierung der Lehrpläne erlaubt (werde), durch die die Kinder in verschiedene Schultypen eingeglie- dert werden“.62 Die Empörung über Bayern schlug Wellen bis in die USA, denn die „New York Times“ veröffentlichte am 28. November 1947 einen Artikel mit der Überschrift „Die Bayern ignorieren amerikanische Konferenz über Schulen.“63 Darin wurde berichtet, daß in Bayern ein Reformplan eingereicht worden sei, der „den alten aristokratischen Aufbau des preußischen Systems vom Jahre 1911 wieder aufrichten“ würde. Man erwartete, daß er von der Militärregierung vollständig abgelehnt werde, „auch wenn er vom bayerischen Landtag angenommen werden sollte“ (sic!). Das Kastensystem werde nicht aufgegeben, im Gegen- teil noch um einen neuen Schultyp erweitert, so daß es dann eine Schule für niedrige Stän- de, eine für den unteren Mittelstand und eine für die oberen Stände geben werde. Der Ver- fasser ging davon aus, daß Minister Hundhammer, der „diejenigen Mitglieder seines Mini- steriums ausgeschaltet oder entfernt (habe), die eine liberale und fortschrittliche Reform im Schulwesen“ vorgeschlagen hatten, von der Militärregierung entfernt werde. Das trat jedoch nicht ein, muß aber wohl ernsthaft besprochen worden sein, denn Hundhammer selbst schrieb später, daß es im Büro des amerikanischen Generalkonsuls Woods in München eine Besprechung gegeben habe, ob man ihn als Kultusminister nicht absetzen solle. Eine Wei- sung aus Washington lautete dann aber, daß das bayerische Schulwesen von den maßge- benden bayerischen Stellen selbst geregelt werden solle.64 Allerdings signalisierte General Clay in dem o. e. Brief an Ministerpräsident Ehard seine Verstimmung. Unverständlich war für ihn, daß der Öffentlichkeit mitgeteilt worden war, daß der Minister „‘keine wesentliche Änderung in der Schulorganisation für Bayern beabsichtige‘, trotz der Tatsache, daß der Minister bei der Ablehnung seines ersten Vorschlags ausdrücklich davon in Kenntnis gesetzt worden war, daß Änderungen notwendig seien“.65 Die Auseinandersetzungen um den zweiten von der Militärregierung abgelehnten Schulreformplan fanden ihren Abschluß darin, daß der Landesdirektor der Militärregierung

59 Ebda. 60 Ebda. 61 siehe S. 248 ff. Eigentlich hätte man statt Schulen Klassen schreiben müssen. 62 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Abschrift. Amt der Militärregierung für Deutschland (U.S.). Internal Affairs and Communications Divisions. APO 742. Berlin, Deutschland. 1.12.1947. 63 BayHStA München. MK 53202. Übersetzung aus „New York Times“ vom 28.11.1947. 64 Hundhammer, Mein Beitrag, S. 11. 65 BayHStA München. MK 53202. Schreiben des Amtes des Militärgouverneurs am 18.11.1947 an Minister- präsident Ehard.

253 für Bayern, van Wagoner, dem Kultusministerium das Versagen in der Beachtung der Vor- schriften bescheinigte und es anwies, bis spätestens 1. Februar 1948 einen verbesserten Plan vorzulegen, der mit den Vorschriften und Direktiven der Militärregierung übereinstimmte und für den der abgelehnte Plan nicht Grundlage sein durfte.66 Erneut wünschte man, den Beamten des Kultusministeriums Personal der amerikanischen Education Branch zur Unter- stützung zur Seite zu stellen. Es sollte Minister Hundhammer die Politik der Militärregierung ständig klar vor Augen führen. Im einzelnen enthielt der Brief die Aufstellung aller Punkte, die man von bayerischer Seite nicht beachtet hatte. Bezeichnenderweise wurde nicht nur die geplante Aufrechterhaltung des gewohnten Schulsystems bemängelt, sondern auch die undemokratische Verfahrensweise des Ministeriums: „...Das Ministerium hat keine wirksa- men Ausschüsse zur Aufstellung von Schulreformplänen ... organisiert ... Die Praxis des Mini- steriums, das wöchentliche Amtsblatt zum Erlaß und zur Verordnung größerer Revisionen im Erziehungsprogramm zu benützen, ohne auf die Richtlinien der Militärregierung Bezug zu nehmen, wurde ... beanstandet.“67 Hundhammer bevorzugte den Verwaltungsweg zur Durchsetzung seiner Intentionen, obwohl er gegenüber der Militärregierung den Landtag ins Spiel brachte, wenn es beispielsweise um die Einhaltung von Fristen bzw. um die Begrün- dung des Widerstands gegen amerikanische Pläne ging.68 Im Parlament wiederum führte er das Drängen der Militärregierung ins Feld, wenn für die Vorlage seiner Reformpläne keine Zeit war.69 Wiederholt wurde ihm dort vorgeworfen, daß er seine Schulreformpläne ohne Heranziehung seines Staatssekretärs, ohne Beachtung der Reformvorschläge des Lehrerver- eins und ohne Kontrolle durch den Landtag konzipiert habe und daß seine Berater anonyme, „bis heute nicht ans Tageslicht getretene“ Personen gewesen seien.70 Das Schreiben van Wagoners aber mußte den Kultusminister alarmieren, denn Punkt 6d lautete: „Solange die Reformvorschläge nicht vorgelegt und für annehmbar befunden werden, sind ohne Zustim- mung der Militärregierung keine weiteren Änderungen im Lehrplansystem zu genehmigen oder zu gestatten.“71 Der Kultusminister wurde angewiesen, „die Vorschriften und Direkti- ven der Militärregierung durchzuführen und die volle Durchführung in den bis zum 1. Febru- ar 1948 vorzulegenden Reformvorschlag aufzunehmen.“72 Hatte die Militärregierung bis- her versucht, Überzeugungsarbeit zu leisten, verwandelte sich angesichts der Verzöge- rungstaktik der bayerischen Behörden Überredung in Druck, und schließlich lösten Befehle die meist indirekten Druckmittel ab.73 Letztendlich sollte immer weiterreichende Unabhän- gigkeit die Zusammenarbeit mit den Deutschen kennzeichnen, und da war es gut, die Demokratisierungspläne rechtzeitig unter Dach und Fach zu bringen. Ministerpräsident Ehard antwortete van Wagoner am 31. Dezember 1947, gab an (oder vor?), daß man offenbar die Politik der Militärregierung bisher mißverstanden habe, und fragte an, welche Punkte in van Wagoners Schreiben als Befehle zu betrachten seien.74 Am 14. Januar 1948 schrieb dieser: „... 2. In Beantwortung der grundsätzlichen Frage in obiger Korrespondenz bestätigt das unterzeichnete Hauptquartier von neuem die Tatsache,

66 BayHStA München. StK 113968. Schreiben des Amtes des Landesdirektors, München. APO 407 US Armee. AG 000.8 - MGBAE am 23.12.1947 an den Ministerpräsidenten für Bayern. Betrifft: Ablehnung des Schul- reformplanes für Bayern; gez. Murray D. van Wagoner, Landesdirektor. 67 Ebda. 68 siehe S. 263 f. 69 siehe S. 256 u. 262. 70 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 42. Sitzung am 11.12.1947, S. 484. 71 BayHStA München. StK 113968. Schreiben des Amtes des Landesdirektors München, Deutschland. APO 407 US Armee. AG 000.8 - MGBAE am 23.12.1947 an den Ministerpräsidenten für Bayern. 72 Ebda. 73 Gimbel, S. 312. 74 Buchinger, S. 58.

254 daß Titel 8, Vorschriften der Militärregierung,75 die Direktive des Generals Clay vom 10. Janu- ar 1947 und die Kontrollratsdirektive No. 54 der Alliierten Kontrollbehörde Befehle darstel- len ...“76 Nun war Kultusminister Hundhammer in Zugzwang. Zunächst ließ er keine Gele- genheit aus, intern und öffentlich seine Bedenken darzutun. In einer Fraktionssitzung der CSU räsonierte er über den jährlichen Mehraufwand von 50 bis 100 Millionen Mark, den die amerikanischen Pläne erfordern würden.77 Die finanziellen Lasten betonte er auch in einer Rundfunkansprache.78 Hier schlüsselte er den Betrag auf und meinte, daß 27 Millio- nen für Gehälter und Pensionen, 8 Millionen für Schulgelder, 12 Millionen für Lernmittel, 3 Millionen für Lehrerausbildung jährlich veranschlagt werden müßten, wobei Bauten, Neu- einrichtungen und Universitäten noch nicht berücksichtigt seien. Diese Summe wiege auch deshalb besonders schwer, da die Besatzungslasten und andere mit dem verlorenen Krieg zusammenhängende Ausgaben von ca. 1 Milliarde Mark sowie die Sorge um die Heimat- vertriebenen und natürlich das gesunkene Steueraufkommen des bayerischen Volkes kaum zu verkraften seien. Außerdem führte er aus, daß auch ein besiegtes Volk das Recht behal- te, „Angelegenheiten nichtmilitärischen Charakters weitgehend selbständig zu regeln,“ daß in der britischen Besatzungszone ebenfalls „beachtliche Bedenken“ herrschten, daß bloß äußerliche, organisatorische Formen - er hatte die amerikanische Idee der differenzierten Einheitsschule kurz skizziert - nur nachrangige Bedeutung gegenüber inhaltlichen Verände- rungen haben könnten, daß akademische und kirchliche Kreise mit ihm einer Meinung seien, daß nach der Bayerischen Verfassung, die die Militärregierung ja genehmigt habe, Schulwesen zu den innerbayerischen Angelegenheiten zähle, daß die teilweise verletzende Kritik „insbesondere von Kommunisten und linksradikaler Seite“ komme, die glaubten, „die Meinung der Mehrheit übertönen zu müssen“.79 In dieser Rede war es Hundhammer gelun- gen, auf sehr subtile Art all das anzusprechen, was die Menschen damals bewegte: den dumpfen Groll gegen die Anmaßung der Besatzung, Zukunftsangst, wirtschaftliche Not, die Existenz der Spruchkammern mit ihrem häufig sozialdemokratischen und kommunistischen Personal, das Problem der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen. Und als er abschließend betonte: „Umfassender als der Begriff der Erziehung zur Demokratie ist die Erziehung zum

75 Titel 8 enthielt grundsätzliche Richtlinien der Militärregierung für die Ausarbeitung des Erziehungsprogramms, die teilweise eine Erweiterung der ursprünglichen Anordnungen vom 10.1.1947 bedeuteten. Diese Richtlini- en wurden am 10.6.1947 erlassen und forderten: - gleiche Bildungsmöglichkeiten für alle - kostenlosen Unterricht, Schulbücher, Materialien; Unterrichtsbeihilfen für Bedürftige - ganztägigen Unterricht für alle Kinder zwischen 6 und 15 Jahren - die Pflichtschulen sollten ein umfassendes Erziehungssystem bilden; Volks- und höhere Schulen sollten zwei - aufeinanderfolgende Unterrichtsebenen, nicht Unterrichtstypen oder Werte beschreiben - Erziehung an allen Schulen zur Verantwortlichkeit als Staatsbürger - Lehrpläne sollten dem Verständnis unter den Völkern dienen - Beratungsstellen für Bildung und Beruf - Gesundheitskontrolle und -erziehung - jede Lehrerbildung auf Universitätsebene - Verwaltung der Schulen demokratisch und den Wünschen der Bevölkerung zugänglich (Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 47. Sitzung am 28.1.1948, S. 644 f; Dokumente zur Schulreform, S. 80 ff). 76 BayHStA München. StK 113968. Schreiben des Amtes der Militärregierung für Bayern, Amt des Landesdi- rektors, München, Deutschland. APO 407 US Armee. AG 000.8 - MGBAE am 14.1.1948 an den Minister- präsidenten für Bayern. Betrifft: Forderung der Militärregierung in Bezug auf die Bayerische Schulreform. 77 ACSP München. LTF Protokolle. Niederschrift über die Fraktionssitzung der CSU am 14.1.1948 im Landwirt- schaftsministerium, S. 2. 78 Ebda., NL Müller 271. Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Pressereferat. Nachrichtendienst Nr. 2 vom 21.1.1948. Dr. Hundhammer zur Schulreform. Rundfunkvortrag des Herrn Staatsministers Dr. Hundhammer am Mittwoch, 21.1.1948, 19.45 Uhr, über Radio München. 79 Ebda.

255 sittlich verantwortungsbewußten Menschen,“80 da hatte er es fertiggebracht, den von den Amerikanern sicher überstrapazierten Demokratie-Begriff ein kleines bißchen zu diffamie- ren. An der Forderung der Militärregierung, endlich einen adäquaten Vorschlag zur Schul- reform vorzulegen, änderten Hundhammers Appelle allerdings nichts. Ebenfalls ohne Ein- fluß blieb die dreitägige Schulreform-Debatte im Bayerischen Landtag, da sie vom 28. bis 30. Januar 1948 stattfand und der Abgabetermin von der Militärregierung ja für den ersten Februar festgesetzt worden war. Der Landtag, von dessen letztem Wort bei der Durch- führung der Maßnahmen Hundhammer im Rundfunk gesprochen hatte,81 konnte zu dem Zeitpunkt nichts mehr bewirken. Bemerkenswert war die Debatte aber dennoch in man- nigfacher Hinsicht, denn sie erhellte die bildungspolitische Situation in Bayern und offen- barte die Reibungspunkte zwischen den Parteien.82 Es gab z.B. zu der Zeit keinen kulturpo- litischen Ausschuß. Kultusminister Hundhammer befand den Haushaltsausschuß des Land- tags als „noch zuständiger für die endgültigen Beschlüsse“,83 was vor allem von der FDP in Abrede gestellt wurde, denn in einem solchen Ausschuß hätte man Gelegenheit gehabt, vorliegende Schulreformpläne gegeneinander abzuwägen und vielleicht zu einem gemein- samen Plan zu gelangen. Nun, da er fehle, habe der Kultusminister sich in die Lage bege- ben, daß er den Landtag „nicht in jeder Phase seines Kampfes“ hinter sich habe.84 An die- sem Schulterschluß mit den Liberalen oder auch Sozialdemokraten war Hundhammer bzw. auch sein Parteiflügel sicher nicht sonderlich interessiert. Die Mehrheit, die die CSU im Land- tag hatte, machte ihn auch gar nicht erforderlich. Die Angriffe auf seine Mitarbeiter beim Reformplan, Domkapitular Zinkl und Prälat Meixner, also katholische Geistliche, wies er ebenfalls zurück. Beide seien Fachleute in Schulfragen, der erstere der maßgebende Mann der katholischen Schulorganisation in Bayern beim Ordinariat in München, Meixner Frakti- onskollege im Landtag.85 In der Frage der äußeren Schulreform forderte die SPD-Fraktion traditionsgemäß die differenzierte Einheitsschule und vermutete in der Ablehnung durch Hundhammer andere als wissenschaftlich-pädagogische Gründe.86 Damit hatte sie durch- aus recht, denn wieviel schwerer wäre es geworden, in einer Einheitsschule die nach der Ver- fassung einzurichtende „regelmäßige“ Bekenntnisschule, die die Schüler auch noch nach dem Glauben separierte, durchzuführen. Diese Absicht kam in der Debatte noch nicht zur Sprache, wenn auch der Entwurf schon vorlag, denn Hundhammer kündigte das neue Schulorganisationsgesetz - beiläufig - an.87 Im Verlauf der Diskussion im Landtag nahm erneut auch das Plädoyer für das humanistische Bildungsideal breiten Raum ein. Es könne nur dann verwirklicht werden, wenn der Übertritt in die höhere Schule nach der vierten Grundschulklasse erfolge, meinten die Vertreter der CSU. Die Grundlagen der abendländi- schen Kultur würden bedroht, wenn man sechs Jahre Grundschule gutheiße.88 Die „zeitlo- sen Werte“ für die Erziehung müsse man gegen „Neuerungssucht“ schützen;89 auch die

80 Ebda. 81 Ebda. 82 vgl. dazu Buchinger, S. 60-67. 83 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 47. Sitzung am 28.1.1948, S. 646. 84 Ebda., S. 645, 666, 686. Erst am 1.6.1948 hielt der neu gebildete Kulturpolitische Ausschuß unter dem Vor- sitz von Prälat Meixner (CSU) seine erste Sitzung ab. Nach ständigen Interventionen vor allem der FDP war er eingerichtet worden. (Buchinger, S. 69). Allerdings war seine Besetzung selbst manchem CSU-Mitglied suspekt. Der Abgeordnete Dr. Stürmann meinte Anfang 1950, es sei aus Prinzip nicht gut, in dem Ausschuß „dauernd ... lauter Pfarrer und Priester ... erscheinen zu lassen“. (ACSP München. LTF Protokolle I/24. Nie- derschrift über die Fraktionssitzung am 7.2.1950, S. 8). 85 Ebda., S. 645. 86 Ebda., S. 675. 87 Ebda., S. 648. 88 Ebda., S. 663 f. 89 Ebda., S. 680.

256 Demokratie verlange die „Aristokratie des Geistes“90. Die Auslassungen eines Dr. Rief (WAV) mußten auch der CSU peinlich sein, obwohl er ihre Ansicht teilte. Seine Einwendungen gegen die Einheitsschule lauteten, daß „geistige Unterernährung“ die Folge sei, „daß der Intelligenzquotient für deutsche und amerikanische Kinder ein völlig anderer“ sei und infol- gedessen die Schulbildung auch eine andere sein müsse. Außerdem sei der amerikanische Plan schon deshalb unannehmbar, „weil wir ein altes Kulturvolk und keine Mongolen und Indios sind.“91 Weniger rassistisch, aber seltsam genug begründete Meixner (CSU) die Ableh- nung, zentrale Schulen anstelle der dorfeigenen zu schaffen. Sie seien „utopisch und ... der deutschen Art ... völlig fremd“.92 Zwanzig Jahre später hatte man ihren Wert glücklicher- weise doch erkannt. Kultusminister Hundhammer betonte, für ihn gelte, daß für die demokratische Erzie- hung eines Volkes „der Geist der Lehrer“ von entscheidender Bedeutung sei, ebenso der Inhalt der Schulbücher und der Lehrpläne, weniger die äußere Organisation. Für letztere fehle das Geld, und zwar - ein Seitenhieb auf die Amerikaner - unter anderem aufgrund der Besatzungskosten, die für Bayern einen Milliardenbetrag ausmachten.93 Daß er in Ansätzen den Befehlen der Militärregierung gehorchte, belegte er durch die Aufzählung von Maß- nahmen: Ab 1. September 1947 gälten für sämtliche höheren Schulen, Knaben oder Mädchen, dieselben Lehrpläne; Oberrealschulen seien in einen neusprachlichen und einen naturwissenschaftlichen Zweig gegabelt worden; Staatsbürgerkunde und Gesundheitslehre seien nun Unterrichtsfächer; an Versuchsschulen werde Werkunterricht als Wahlfach ange- boten, und in einem Fall, an der Oberrealschule in Fürth, habe man, „unter Auflockerung der Fächer in der Oberklasse in Kern- und Wahlfächer das zu erproben begonnen, was als ‚Einheits-Höhere-Schule‘ seitens der Besatzungsbehörden angestrebt“ werde.94 Im Jahresbericht der Oberrealschule Fürth aus dem Schuljahr 1948/49 berichtete der Schulleiter, Dr. Hans Cramer95, über das „Kern-Kurs-System“. Er begründete das Vorgehen damit, daß es wegen der größeren Anpassungsfähigkeit an die Bedürfnisse und Fähigkei- ten des einzelnen eine wesentlich bessere Lösung darstelle als die bloße Gabelung in einen neusprachlichen und einen mathematisch-naturwissenschaftlichen Weg. Der Oberstufen- unterricht war in Kern- und Kursunterricht aufgeteilt worden. Im besten Fendtschen Sinne gab es die Möglichkeit der eigenen Entscheidung, was man insofern als erziehlich wertvoll betrachtete, als der Schüler die Folgen selbst zu tragen hatte. Auch würde ein solches Ver- fahren „der verderblichen deutschen Neigung entgegenwirken, fremde Entscheidungen ergebungsvoll hinzunehmen“.96 „Das natürliche und berechtigte, wenn auch erst halb bewußte Streben des Jugendlichen nach der ihm eigenen Form“ sei mit Beginn der Ober-

90 Ebda., S. 661. 91 Ebda., S. 697 f. 92 Ebda., S. 661. 93 Ebda., S. 657. 94 Ebda., S. 648. 95 Dr. Hans Cramer war zu der Zeit in Franken eine herausragende Persönlichkeit. Außer seiner Schulleitertätig- keit versah er das Amt des Ministerialbeauftragten für das höhere Schulwesen Mittelfrankens und war Vor- sitzender des Direktoriums der Wallenburg-Stiftung (siehe S. 290-295). Außerdem hatte er Lehraufträge an der Universität Erlangen und der Nürnberger Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Für den 1949 von der Militärregierung genehmigten gesamtbayerischen Philologenverband übernahm er die Her- ausgabe der Zeitschrift „Neues Land“. Die Amerikaner hatten ihn bereits im Juni 1945 über den Wiederauf- bau des höheren Schulwesens zu Rate gezogen. Möglicherweise verdankte er diesen Gesprächen sein Ein- treten für das Kern-Kurs-System in der Oberstufe des Gymnasiums. (Archiv des Hardenberg-Gymnasiums, Fürth. Jahresbericht über das Schuljahr 1950/51, S. 38 ff). 96 Archiv des Hardenberg-Gymnasiums, Fürth (Bay.). Jahresbericht über das Schuljahr 1948/49 (116. Schuljahr) der Oberrealschule Fürth i. B., S. 52-59.

257 stufe so weit entwickelt, „daß er eine für ihn wertvollere und begieriger aufgenommene Bil- dung empfängt, wenn er sich in einem weiteren Kreis von Bildungsstoffen das für ihn Geeig- nete aussuchen“ dürfe.97 22 allgemein verbindliche Kernstunden sollten durch acht Wahlpflichtstunden ergänzt werden. Hier erhoffte man sich, da die Schüler frei wählen konnten, echte Arbeits- gemeinschaften. Es durften nicht alle vier der je zweistündigen Kurse der gleichen Hauptrich- tung angehören, um eine zu frühe Spezialisierung zu vermeiden. Man konnte sich sogar vorstellen, daß das Vorrücken in die nächste Jahrgangsstufe „unschematisch ... nicht mehr starren Regeln folgen(d)“ entschieden werden könne und daß „bei der Aufgabenstellung für die Reifeprüfung ... der Lehrkörper der Schule einzuschalten (sei), dem die Entscheidung über die Hochschulreife von Rechts wegen“ gebühre. Das Kern-Kurs-System des Oberstu- fenunterrichts sollte keinesfalls den Zugang zur Hochschule erleichtern, sondern besser vor- gebildete Studenten heranbilden.98 Ab dem 20. Oktober 1947 verfuhr man in folgender Weise an der Oberrealschule für Jungen in Fürth: Der Kernunterricht beinhaltete je drei Stunden Deutsch, Geschichte mit Erdkunde, Mathematik, Chemie mit Biologie, je zwei Stunden Religionslehre, Englisch, Latein, Physik, je eine Stunde Kunsterziehung und Musik. Der Wahlpflichtunterricht umfaß- te acht Stunden, „gegeben in je 2stündigen Kursen, mit Ausnahme von Französisch und Griechisch, wofür 4stündige Kurse angesetzt“ waren. Die Kurse sollten den Kernunterricht ergänzen, ein Kurs mindestens 15 Schüler haben, um durchgeführt zu werden; die Tren- nung nach Parallelklassen wurde aufgehoben; Kursunterricht fand mittwochs und samstags statt; es gab Halbjahres- und Ganzjahreskurse.99 Das Kursangebot Geschichte für die 6. Klasse100 lautete: „Griechische Verfassung; römische Revolution; Wirtschaftsreformen und Revolutionen im Altertum. Das Mittelmeer im Altertum. Karls des Großen Bedeutung für Westeuropa und Deutschland.“ Im 7. Schul- jahr folgten: „Karl V. in abendländischer und deutscher Schau; Bayern in der großen Politik des 17. und 18. Jahrhunderts. Wirtschaftsformen und ihre Bedeutung für die staatliche Organisation. Die Ostsee im Mittelalter und in der Neuzeit.“ Für die Kurse der 8. Klasse gab es folgende Themen: „Die Verfassungen von 1848, 1871 und 1919 in ihrer Bedeutung für die heutige Verfassung. Völkischer und übervölkischer Staat im 19. und 20. Jahrhundert. Marxismus; Gegenwartsfragen.“ Alle Kurse für Geschichte waren für ein Schuljahr vorge- sehen.101 Die Kurse in Englisch boten an: In der sechsten Klasse „Lektüre moderner Kurzge- schichten. Zeitungslektüre. Debattierübungen. (Anleitung zu englischen Referaten)“. In der 7. Klasse gab es „Quellenlektüre zur Literatur- und Kulturgeschichte des 17. und 18. Jahr- hunderts. Shakespeare-Dramen. Zeitungslektüre. Debattierübungen und englische Refera- te.“ Die 8. Klasse bot an: „Quellenlektüre zur Literatur- und Kulturgeschichte des 18.102 und 20. Jahrhunderts. Zeitungslektüre. Debattierübungen und englische Referate.“ Alle Eng- lischkurse sollten Ganzjahreskurse sein.103 Eine Auflistung der angebotenen und tatsächlich durchgeführten Kurse zeigte, daß Geschichte nicht ausreichend viele Interessenten fand, während in der sechsten Klasse

97 Ebda. 98 Ebda., S. 53 f. 99 Ebda. 100 Die 6. Klasse entsprach der heutigen 10. Klasse. Nach acht Klassen war das Gymnasium beendet. Erst ab Mitte der 60er Jahre wurde die 1. Klasse der höheren Schule als 5. Jahrgangsstufe bezeichnet, also nach der Grundschule weitergezählt. 101 Archiv des Hardenberg-Gymnasiums, Fürth. Jahresbericht über das Schuljahr 1948/49 der Oberrealschule Fürth, S. 55. 102 Wahrscheinlich war das ein Druckfehler. Es hat wohl „19. und 20. Jahrhundert“ geheißen. 103 Archiv des Hardenberg-Gymnasiums, Fürth. Jahresbericht über das Schuljahr 1948/49 der Oberrealschule Fürth, S. 55.

258 besonders viele Schüler an Englisch, in der siebten die meisten an Physik („Aufbau der Mate- rie“) interessiert waren.104 Ursprünglich waren nur die sechsten Klassen vorgesehen worden, an dem Versuch teilzunehmen, aber auf Bitten der siebten Klassen wurden diese mit einbe- zogen.105 Nach Ende des ersten Schulhalbjahres kamen Lehrer und - bemerkenswert - die „Obmänner“ der Schüler zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen und berichteten bzw. regten neue Pläne an. Die Reifeprüfung 1949 berücksichtigte den Kursunterricht dergestalt, daß für Schüler, die nur englischen Kernunterricht besucht hatten, die Nacherzählung fakultativ war. Stattdessen mußten sie, wenn sie die Nacherzählung nicht gewählt hatten, Prüfungen aus den Kursfächern schreiben, die die Schule dem Ministerium eingereicht hatte (Latein, Astro- physik, Geschichte der Philosophie, Kunstgeschichte oder politische Geschichte).106 Im Schul- jahr 1948/49 wurde z.B. in Kunstgeschichte nach den Unterschieden zwischen dem roma- nischen und gotischen Baustil gefragt, wobei auch Skizzen verlangt wurden. In Geschichte hieß die Aufgabe: „Das kommunistische Manifest in seiner Zeitbedingtheit und politischen Auswirkung.“ Die Frage aus der Geschichte der Philosophie lautete: „Welche Bedeutung kommt in der Geschichte des abendländischen Denkens der Philosophie Immanuel Kants zu?“107 Der Abiturjahrgang 1950 konnte ebenfalls Themen aus dem Kursunterricht bear- beiten. Außer Aufgaben zum Französischkurs und den Kursen „Analysis II“ und „Ergän- zungen zur Infinitesimalrechnung“ standen Abiturthemen zu den Kursen „Weltanschauung des 19. Jahrhunderts und der Gegenwart“ (Die Sozialisierung: Für und wider.), „Deutsche Dichtung der Gegenwart“ (Inwiefern zeigen sich in den Werken von Ernst Wiechert, Werner Bergengruen und Wolfgang Borchert wesentliche Züge unserer heutigen geistig-seelischen Lage?) und „Staatstheorien“ (Die Lehre von der Dreiteilung der Gewalten und das Grund- gesetz) zur Auswahl.108 Wahlpflichtkurse im Schuljahr 1949/50 hatte es außerdem in den Bereichen „Mittelalterliche deutsche Geschichte mit besonderer Berücksichtigung Fran- kens“, „Amerikanische Geschichte“, „Ein Jahrhundert deutsche Verfassungsgeschichte“, „Geschichte der Philosophie“, „Die Weltanschauung der Bibel im Kampf durch 2000 Jahre“, „Soziallehre“, „Englische Handelskorrespondenz“, „Wirtschaftsgeographie“, „Wetterkun- de“, „Übungen im Bestimmen von Pflanzen“ und „Mikroskopierübungen an einfachen Objekten“ gegeben. Darüber hinaus gab es etliche Kurse als Ergänzung zu Mathematik, Physik und Chemie, und es wurden Französischkurse angeboten.109 Die meisten Teilnehmer verzeichnete der Kurs Wirtschaftsgeographie mit 35 Schülern, aber auch Ergänzungskurse zu Mathematik und Physik und Staatstheorien ebenso wie englische Handelskorrespondenz waren begehrt (jeweils 24 bis 26 Schüler aus den Klassen 6 bis 9).110 Im Schuljahr 1950/51 wurde der Kursunterricht auf die Klassen 8 und 9111 beschränkt. 19 Wahlpflichtkurse standen zur Auswahl. Ihre Inhalte waren im wesentlichen die bereits bekannten; es gab aber auch einen Kurs zur Geschichte der Erde und des Lebens mit Heimatgeologie und über Entwicklung der abendländischen Musik mit kulturhistori- schen Ausblicken. „Staatstheorien“ und „Deutsche Dichtung der Gegenwart“ verzeichne- ten die meisten Teilnehmer.112 Im darauffolgenden Jahr gab es 16 Wahlpflichtkurse (Im

104 Ebda., S. 57. 105 Ebda. 106 Ebda. S. 58. 107 Ebda., S. 64. 108 Ebda., Jahresbericht über das Schuljahr 1949/50, S. 40. 109 Ebda., S. 29. 110 Ebda. 111 Mit Bekanntmachung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 5.6.1951 war die Wiederein- führung der 9. Klasse angeordnet worden, und die Klassen 6, 7 und 8 waren in 7, 8 und 9 umbenannt wor- den. (Archiv des Hardenberg-Gymnasiums Fürth. Jahresbericht über das Schuljahr 1950/51, S. 36.). 112 Archiv des Hardenberg-Gymnasiums Fürth. Jahresbericht über das Schuljahr 1950/51, S. 32.

259 Schuljahr 1949/50 waren es 30 gewesen!) für die zwei achten Klassen und die neunte Klas- se. Die Themen waren die bekannten; neu waren ein Kurs „Umgangsenglisch“ und einer über biblische und außerbiblische Weltanschauung.113 Abituraufgaben über Kursthemen gab es über „Deutsche Dichtung der Gegenwart“ (Welcher deutsche Dichter der Gegen- wart hat Ihnen besonders viel zu sagen und inwiefern?), „Biblische und außerbiblische Welt- anschauung“ (Welche weltanschaulichen Auffassungen vom Menschen sind mir bekannt, zu welchen ethischen Systemen haben sie geführt?), „Weltanschauung der Gegenwart“ (Der Kapitalismus) und „Englische Literatur“.114 Auch in Astrophysik, Kunstgeschichte (Schil- dere anhand der verschiedenen Deckenkonstruktion die Entwicklung der christlichen Kir- chenbaukunst von der frühchristlichen Basilika bis zum Barock!), Musiktheorie (Die Ent- wicklung des europäischen Tondramas) und Infinitesimalrechnung konnten die Schüler sich einer Abiturprüfung unterziehen.115 Das Kern-Kurs-System der Oberrealschule Fürth wurde von den Teilnehmern an den Schulreformberatungen in Wallenburg-Kempfenhausen gutgeheißen. Die Mitglieder des Ausschusses für die höheren Schulen gaben ihre ungeteilte Zustimmung, und der Antrag vom 14. September 1948 lautete: „1. Der Ausschuß bittet das Ministerium das an der Ober- realschule Fürth bestehende Kern-Kurssystem bereits jetzt für alle Gymnasien (Gymnasium hier für alle höheren Lehranstalten) zur Einführung zu empfehlen, an denen die Möglichkeit dazu besteht. 2. Der Ausschuß bittet ferner, das Kern-Kurssystem möglichst bald a l l g e - m e i n einzuführen und die dazu gehörigen Voraussetzungen so schnell als möglich zu schaffen. Dazu gehört vor allem auch eine entsprechende Entlastung aller Kurslehrer hin- sichtlich ihrer Stundenzahl. Die wesentlichen Grundsätze des Kern-Kurssystems sind die fol- genden: 1. In den drei obersten Klassen des Gymnasiums verteilen sich die etwa 30 Wochenstunden auf etwa 22 Pflichtstunden („Kernunterricht“) und 8 Wahlpflichtstunden („Kursunter- richt“). 2. Der Kursunterricht ergänzt und vertieft die Gegenstände des Kernunterrichts und stützt sich in verstärktem Maß auf die selbständige Mitarbeit der Schüler. Die einzelnen Kurse verfolgen ein in sich geschlossenes Ziel. 3. Die Lehrkräfte bieten von sich aus die von ihnen geplanten Kurse den Schülern zur Aus- wahl an und unterrichten sie am Schluß des Schuljahres über die mit den Kursen des nächsten Jahres verfolgten Absichten.“116 Dem Antrag, das Kern-Kurs-System für alle höheren Schulen einzuführen, wurde nicht entsprochen. In Fürth konnte man es jedoch weiterführen, und der Jahresbericht über das Schuljahr 1952/53 vermeldete wiederum 21 Wahlpflichtkurse, unter denen z.B. der Kurs „Discussing and Debating“ angeboten wurde, den immerhin 36 Schüler der Vorabiturklas- se belegten, übertroffen nur von „Aufbau der Materie“ (42 Teilnehmer) und „Deutsche Dichtung der Gegenwart“ (39).117 Hier wurde dem Fendtschen Vorschlag der „Debating Clubs“118 neue Bedeutung verliehen. Zu den Abituraufgaben über Wahlpflichtkurse gehör- ten u.a. „Mittelalterliche fränkische Geschichte“ mit dem Thema: „Franken besitzt weder einen politischen noch kulturellen Mittelpunkt, sondern eine Vielzahl derartiger Kristallisa- tionspunkte. Diese Tatsache ist aus dem geschichtlichen Werdegang Frankens zu begrün-

113 Ebda., Jahresbericht über das Schuljahr 1951/52, S. 32. 114 Ebda., S. 45. 115 Ebda., S. 46 f. 116 Ebda., S. 58 f. 117 Ebda., Jahresbericht über das Schuljahr 1952/53, S. 32. 118 siehe S. 610-613.

260 den.“119 Auch im Schuljahr 1953/54 wurden 21 Wahlpflichtkurse angeboten120 und Abi- turthemen daraus gestellt, von denen bemerkenswerterweise eines aus dem Kurs „Welt- anschauung der Gegenwart“ lautete: „Massendasein und Persönlichkeit. Wesen und Wur- zeln der Vermassung. Wege zu ihrer Überwindung.“121 Das darauffolgende Schuljahr bot 17 Wahlpflichtkurse zur Auswahl, von denen einer bewies, daß an der Oberrealschule Fürth neueste Geschichte kein Tabu war, denn „Geschichte von 1870-1950, unter besonderer Berücksichtigung Deutschlands“ lautete sein Thema. 18 Schüler der Abiturklasse belegten ihn.122 Die Abituraufgabe für diesen Kurs hieß - doch recht vorsichtig! - : „Worin erblicken Sie die Krise des ausgehenden 19. Jahrhunderts?“123 Eine Analyse der jüngsten Vergangen- heit war im Abitur 1955 noch nicht möglich. Mit dem Schuljahr 1955/56, möglicherweise auf Drängen des Kultusministeriums, gab es eine Änderung in der „Auflockerung der Ober- stufe“. Eine „gewisse Wahlfreiheit“ sollten die Schüler nun in einem „Schwerpunktsystem“ beibehalten können, das den allgemeinen bayerischen Prüfungsbestimmungen so angepaßt wurde, „daß keine Ausnahmeregelungen von den allgemeinen Prüfungsanforderungen nötig waren“.124 Neben einer Fächergruppe, die man als „Studium generale“ bezeichnen konnte (Religionslehre, Deutsch, Geschichte, Sozialkunde, Erdkunde bzw. Biologie), wurden die übrigen Fächer, mit Ausnahme von Kunsterziehung, Leibeserziehung und Musik, in einer „beschwerten (4stündigen), daneben in einer erleichterten (2stündigen) Form geführt“.125 Die Auswahlmöglichkeit bestand also vor allem bei den Sprachen und den mathematisch- naturwissenschaftlichen Fächern. Diese erneute Reform der Oberstufe, auch „Fürther Modell“ genannt, betrachtete man später als wichtigen Impuls für die Kollegstufe.126 Ehemalige Schüler der Oberrealschule für Jungen in Fürth127, Abiturjahrgang 1950, berichteten über ihre Teilnahme am Kern-Kurs-System: Um eine zu frühe Spezialisierung zu vermeiden, mußten sie Kurse aus verschiedenen Bereichen wählen, z.B. Staatstheorien und Infinitesimalrechnung mit je drei und Ethik mit zwei Wochenstunden. Beliebt war Unterricht in Französisch, das mit vier Wochenstunden angesetzt war. Die Schüler nahmen die Wahl- möglichkeit ab der 6. Klasse gerne wahr. Das lag vor allem daran, daß sie völlig freie Ent- scheidung hatten und dementsprechend motiviert den Unterricht besuchten. Sie sahen aber auch schon, daß sie hier eine große Chance zur Horizonterweiterung hatten. Die Auswahl der Kurse war ihrer Meinung nach personenbezogen und hing zum großen Teil von der Beliebtheit des Lehrers ab. Weniger ausschlaggebend sei die spätere Studienrichtung gewe- sen. Man habe noch nicht gewußt, was man studieren oder beruflich angehen wollte, habe aber gelernt zu entscheiden. Hier bestätigte sich der Ansatz des Fendtschen Bildungsplans, der die überlegte Entscheidung als wesentlichen Faktor für „verantwortungsbereite Selbst- bestimmung“ nannte.128 Die Lehrer hätten mit Freude das Kurssystem getragen, da sie den Rahmen selbst festlegen und ihren Neigungen folgen konnten. Lehrbücher habe man keine gehabt, aber das große Engagement der Lehrer und die Aufbruchstimmung habe man gespürt. Am Schuljahrsende seien die Kurse vorgestellt worden, und mancher Lehrer sei ent- täuscht gewesen, wenn sein Kurs mangels Anmeldungen nicht zustandekam. Da die Kurse

119 Archiv des Hardenberg-Gymnasiums Fürth. Jahresbericht über das Schuljahr 1952/53, S. 46. 120 Ebda., Jahresbericht über das Schuljahr 1953/54, S. 34. 121 Ebda., S. 55. 122 Ebda., Jahresbericht über das Schuljahr 1954/55, S. 31. 123 Ebda., S. 45. 124 Ebda., 150 Jahre Hardenberg-Gymnasium Fürth. Festschrift und Jahresbericht 1982/83, S. 16. 125 Ebda., S. 51. 126 Ebda., S. 51 und S. 103. 127 Gespräch mit Herrn Alfred Faul, Nürnberg, Herrn Alfred Fischer, Fürth, Herrn Robert Rieger, Fürth, Herrn Wal- ter Weichlein, Oberasbach. 128 siehe S. 234 f.

261 auch schon mit acht oder neun Teilnehmern stattfanden, konnten Gruppenarbeit und Arbeitsunterricht gut verwirklicht werden. Die ehemaligen Schüler erinnerten sich an leb- hafte Diskussionen, z.B. im Kurs „Staatstheorien“. In einem der belegten Kursfächer wurde Abitur geschrieben, das Abiturzeugnis enthielt den benoteten Nachweis über mindestens zwei Wahlpflichtfächer.129 Interessant war in der Landtagsdebatte am 28. Januar 1948 auch die Forderung des Abgeordneten Pittroff (SPD): „... wir wollen aber nicht nur gute Menschen ... wir wollen auch wissende Menschen durch die Schule bekommen, ...“130 Im Kampf um die Bekennt- nisschule wurde diese Forderung von seiten ihrer Befürworter als zweitrangig eingestuft.131 Am Schluß der dreitägigen Debatte forderte Linnert (FDP) Einblick in Hundhammers dritten Reformplan, was aber mit der Begründung abgelehnt wurde, er sei noch nicht abgeschlos- sen und müsse doch in zwei Tagen vorgelegt werden.132 Während noch die Debatte im Landtag geführt wurde, ließ die Militärregierung für Bayern am 30. Januar 1948 Informationen bekanntgeben unter dem Titel: „Die Militärre- gierung äußert sich zur Schulreform.“133 Darin hieß es u. a., der Zweck der Reform sei, daß der „Durchschnittsbürger ... voll aufgeklärt zur Wahlurne gehen“ könne, wobei Bildung und Kultur „des alten Bayern“ nicht gemindert werden sollten.134 Das erhöhte erzieherische Niveau des Durchschnitts bringe keine Beeinträchtigung der Begabten mit sich, die im übri- gen nicht auf die Differenzierung in Real- oder humanistische Gymnasien zu verzichten brauchten und bereits in der fünften und sechsten Klasse der Grundschule mit Fremdspra- chen beginnen könnten. Lediglich die Kernfächer sollten gemeinsamer Unterricht für alle sein. Der Vorwurf, die Militärregierung verhindere erhöhte Leistungsanforderungen zum entwicklungspsychologisch richtigen Moment, sei also falsch. Für die Landschulen forderte die Militärregierung, daß die auf sechs Grundschuljahren aufbauenden drei Jahre den Cha- rakter einer höheren Schule hätten. Bemerkenswerterweise hatte auch für die Militärregie- rung die innere Schulreform Priorität vor der äußeren Neuorganisation; aber, so schrieb man, es „verbleibt manchmal die innere Reform in den Bereichen schöner Worte und hoher Vor- sätze, besonders wenn die Struktur des Systems die wirkliche Durchführung der inneren Reform unmöglich oder unwahrscheinlich macht“.135 Abschließend betonte die Militärre- gierung, daß sie nicht die Absicht habe, den deutschen Schulen das amerikanische Erzie- hungssystem aufzuzwingen.136 Die Information der Militärregierung für Bayern mochte meh- rere Absichten verfolgen: Zum einen konnte man die Konfrontation entschärfen, die zwi- schen Besatzungsmacht und Besetzten entstanden war, indem man wieder und wieder den guten Willen betonte, mit dem die Amerikaner zu Werke gehen wollten, damit nicht der Eindruck undemokratischer Verfahrensweise entstehe. Den Fachleuten bewies man erneut die Möglichkeit, daß der amerikanische Ansatz mit den bayerischen traditionellen Vorstel- lungen vereinbar war. Dem breiten Publikum erläuterte man, daß es nicht nur um vier oder sechs Jahre gemeinsamer Grundschule ging, wie der Streit in der Öffentlichkeit - bewußt oder aufgrund fehlender Kenntnisse - oft verkürzt dargestellt wurde. Der gewählte Zeitpunkt

129 Gespräch mit Herrn Alfred Faul, Nürnberg, Herrn Alfred Fischer, Fürth, Herrn Robert Rieger, Fürth, Herrn Wal- ter Weichlein, Oberasbach. 130 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 47. Sitzung am 28.1.1948, S. 672. 131 siehe S. 352, 417 f. 132 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 47. Sitzung am 28.1.1948, S. 706. 133 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Office of Military Government for Bavaria. Public Information Branch. APO 407. OMGB Release No. 31. 29.1.1948. 134 Ebda. Es wurde hier keine in naher Zukunft durchzuführende Wahl angesprochen, sondern auf demokrati- sche Wahlen im allgemeinen, die es zukünftig in Bayern geben würde, hingewiesen. 135 Ebda. 136 Ebda.

262 der Information diente wohl der Vorbeugung, denn Hundhammers dritter Reformvorschlag stand unmittelbar bevor. Außerdem war die öffentliche Debatte im Parlament im Tenor nicht so amerikafreundlich. Schließlich wappnete man mit der Information - vornehmlich mit ihrer Strukturierung in Fragen und Antworten („Wird der Reformplan das bayerische Schulwe- sen ‚amerikanisieren‘? Gewiß nicht ...“) - die Verfechter des Standpunktes der Besatzungs- macht mit einem wohlüberlegten Diskussionspapier. Kultusminister Hundhammers dritte Schulreform-Vorlage kam termingerecht. Am 31. Januar 1948 legte er den verlangten Plan vor, nicht ohne wortreich darauf hinzuweisen, daß er einer Anordnung nachkomme, der von ihm vorher eingereichte Plan durchaus geeig- net gewesen sei, die amerikanischen Ziele der Entnazifizierung und Demokratisierung im Erziehungswesen zu verwirklichen, daß die innere Reform wichtiger sei als die äußere, daß es „ein Verlust für die Gesamtkultur der Menschheit“ sei, wollte Bayern sich aus der Wei- terentwicklung der abendländischen Kultur zurückziehen, daß sein, des Kultusministers, Ansatz übereinstimme mit dem von Fachleuten des In- und Auslands und der Kirche. Hund- hammer betitelte seinen dritten Versuch „Plan für eine Schulreform in Bayern nach den Anweisungen der Militärregierung“137, und er führte alles auf, was gewünscht worden war: Das bayerische Schulsystem sei die Einheitsschule, gliedere sich horizontal von unten nach oben in Kindergarten (4.-6. Lebensjahr), Grundschule (1.-6. Schuljahr), Mittelschule (7.-9. Schuljahr), Oberschule (10.-12. Schuljahr), Hochschule (14.-17. Schuljahr). Mittel- und Ober- schulen seien in A, B und C gegliedert. Zweig A sei für die praktischen Lebensberufe, geglie- dert in gewerbliche, kaufmännische, landwirtschaftliche und hauswirtschaftliche Abteilun- gen. Zweig B war für jene Schüler geplant, die zu ihrem mittleren Abschluß eine umfang- reichere theoretische Ausbildung benötigten. Die Oberschule des Zweiges B sollte Fach- oberschule heißen. Sie sollte z.B. Voraussetzung sein für den Beruf des „technischen Leh- rers“, der Hauswirtschafts- und Handarbeitslehrerin. Ein „Pädagogisches Institut“ würde dann die hochschulmäßige Ausbildung sicherstellen. Außerdem war die Zulassung zu ande- ren Hochschulstudien nach erfolgreicher Ergänzungsprüfung möglich. Zweig C war für die überdurchschnittlich Begabten gedacht, die die Hochschulreife anstrebten. Drei Züge waren vorgesehen: geisteswissenschaftlich-altsprachlich, naturwissenschaftlich-neusprachlich und ein „Reformzug“. In den dafür geeigneten Fächern, z.B. Gesundheitslehre oder Religion, war nach Möglichkeit gemeinsamer Unterricht für alle drei Züge vorgesehen.138 Die wesentlichen Veränderungen in diesem Plan waren die Eingliederung der Kin- dergärten in das Schulsystem, die Verlängerung der Vollschule auf neun Jahre, der Übertritt aus der Grundschule auf Zweig C nach der sechsten Klasse. Um die verkürzte höhere Schu- le auszugleichen, sollte ein 13. Schuljahr, das „Philosophikum“, angegliedert werden. Alle bisher getrennten Schularten würden zur differenzierten Einheitsschule zusammengefaßt.139 Hundhammer bezeichnete diesen von ihm vorgelegten Plan als „umstürzend“ für die gesamte äußere Organisation des Schulwesens und machte Schwierigkeiten geltend: den Mangel an Schulräumen, Einrichtung, ausgebildeten Lehrkräften; dazu die Notverhältnisse im landwirtschaftlichen Bereich, die z.T. noch nicht einmal überall das achte Volksschuljahr erlauben würden. Er entwickelte deshalb Übergangsregelungen für die schrittweise Durch- führung der Reform. Schließlich fügte er an: „Ich möchte ... darauf aufmerksam machen, daß nach dem Verlauf der im Bayerischen Landtag bereits geführten ... Debatten die Beschlußfassung zu einzelnen strittigen Punkten besonderen Schwierigkeiten begegnen würde und unter Umständen eine Zustimmung nicht zu erreichen sein wird.“140 Daß er

137 ACSP München. NL Müller 271. Beilage 1066. Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus Nr. VIII 3003 am 31.1.1948 an die Militärregierung für Bayern. Abtlg. Erziehung und Religion, München. 138 Ebda.. 139 Ebda. 140 Ebda.

263 selbst voraussichtlich die treibende Kraft des Widerspruchs sein würde, verschwieg er wohl- weislich; es schien ihm zu diesem Zeitpunkt wohl nicht opportun, die Geduld der Militärre- gierung über die Maßen zu strapazieren. Kaum hatte jedoch der Schulreformplan das Kultusministerium verlassen, schickte Ministerpräsident Ehard am 5. Februar ein Schreiben hinterher, in dem er der Militärregie- rung für Bayern mitteilte, daß weder der Minister noch die Staatsregierung „für alle Teile dieser Vorschläge die Verantwortung“ übernähmen, und darauf hinwies, daß Kirchenkreise, einige Fraktionen des Landtags und „weite Kreise der Bevölkerung“ schwere Bedenken hät- ten, ja, daß die bayerische Bevölkerung beunruhigt sei. Er bat daher noch einmal um ein Gespräch, an dem Vertreter der Kirchen und „anderer interessierter Volkskreise“ sowie Bera- ter der Militärregierung, wenn möglich General Clays Berater für Erziehungsfragen, Dr. Wells, teilnehmen sollten. Die Besprechung sollte stattfinden, bevor ausgearbeitete Gesetz- entwürfe, basierend auf des Kultusministers Vorschlägen, dem Landtag zugingen.141 Wel- che Landtagsfraktionen außer der CSU diese Bedenken hätten, teilte Ehard nicht mit, aber in der Sitzung am 6. Februar 1948 bemängelte Linnert (FDP), daß der Schulreformentwurf von Hundhammer noch nicht im Landtag vorgelegt worden sei, obwohl in der Neuen Zei- tung der Pressereferent des Kultusministeriums schon auf den Inhalt eingegangen sei. Die Fraktionen hatten keinen Abdruck der Vorlage erhalten.142 Die Militärregierung schrieb am 1. April 1948 an Ministerpräsident Ehard, daß der „gegenwärtige, auf Anordnung der Militärregierung aufgestellte Schulreformplan für Bayern“ seine, Ehards, und seines Unter- richtsministers „aktive Unterstützung“ erfordere und daß sofort Schritte zur Durchführung des Planes unternommen werden müßten, damit die wichtigsten Punkte bis September ver- wirklicht werden könnten. Aufgeführt wurden die Schulgeldfreiheit, kostenlose Lehr- und Lernmittel, die Bildung einer „Kommission zur Planung des fünften Jahres der neuen sechs- klassigen Grundschule“ - sie sollte bis 1. Januar 1949 einen detaillierten Plan für die Ein- führung dieses neuen Grundschuljahres im Jahre 1949 vorlegen - und die Bildung einer Kommission zur Planung der ersten Lehrerbildungsanstalt auf Universitätsniveau.143 Obwohl Hundhammer wiederum viele Vorbehalte geltend machte, die er in einem Brief an die Militärregierung für Bayern aussprach, berichtete diese der Militärregierung für Deutsch- land, daß der Minister anläßlich einer Zusammenkunft seine Unterstützung versprochen habe. Und obwohl er wiederholt gezeigt habe, „daß er nicht mit ganzem Herzen“ bei der Umgestaltung der Schulen sei, „glaubt dieses Hauptquartier, ... da Dr. Hundhammer ein Mann von Charakter ist, ... daß seine Unterstützung“ als Minister und als Fraktionsführer der Mehrheitspartei im Landtag gewährt sei.144 Eine Hilfe bei der Verwirklichung der gewünschten Schulreformpläne sollte die „Stif- tung zum Wiederaufbau des bayerischen Erziehungs- und Bildungswesens“, die sog. „Wal- lenburg-Stiftung“, sein, die am 5. April 1948 ins Leben gerufen wurde und die „Förderung des Erziehungs- und Bildungswesens in Bayern, insbesondere die Planung der auf diesen Gebieten durchzuführenden Reformen“ zum Ziel hatte.145

141 ACSP München. NL Müller 271. Schreiben Nr. 2959 des Bayer. Ministerpräsidenten am 5.2.1948 an das Amt der Militärregierung für Bayern. Amt des Landesdirektors. Betrifft: Schulreform; BayHStA München. StK 113968. Die Besprechung fand am 16.2.1948 im Haus der Kunst in München statt. Ein Vertreter der Militär- regierung empfahl hierbei, daß das Kultusministerium die Schulreform möglichst in eigener Zuständigkeit durchführen solle, während auf bayerischer Seite betont wurde, man werde sie Landtag und Senat vorlegen und wolle im übrigen nichts überstürzen. (Dokumente zur Schulreform, S. 209). 142 BayHStA München. MK 53203. Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 52. Sitzung am 6.2.1948, S. 816-818. 143 Dokumente zur Schulreform, S. 216 f. 144 BayHStA München. MK 53203. Schreiben des Amtes der Militärregierung für Bayern. Education and Cultu- ral Relations Division. München. APO 407 - US - Armee. AG 000.8-MGBDE am 19.4.1948 an den Direktor der Erziehungsabteilung beim Amt der Militärregierung für Deutschland. Betrifft: Stand der bayerischen Schul- reform am 1. April 1948. 145 Dokumente zur Schulreform, S. 217 f; vgl. dazu S. 290-295.

264 Daß es der Militärregierung sehr ernst war mit der Durchführung der Schulreform, zeigte ein Schreiben an Ministerpräsident Ehard, durch welches die Befürwortung einer Reise Hundhammers nach Den Haag zur Konferenz der Europaunion zurückgenommen und der Minister angewiesen wurde, in München zu bleiben, damit er jederzeit erreichbar sei. „Gewisse im Zusammenhang mit der bayerischen Erziehung ... auftauchende Fragen“ erfor- derten „ständige Besprechungen“.146 Der Kultusminister konnte guten Mutes an diesen Besprechungen teilnehmen, denn er wußte nicht nur die Mehrheit des Landtags hinter sich, sondern hatte Ende Februar während eines USA-Aufenthaltes die Bestätigung seiner politischen Linie erfahren, als er einer Sitzung eines Unterausschusses des amerikanischen Senats beiwohnte. Hier wurde die deutsche Frage behandelt, und der Ausschuß unter Leitung von Senator Francis Case for- derte von der Militärregierung, „die demokratischen antikommunistischen Kräfte in Deutschland wirksam zu unterstützen, nicht aber ihnen ein fremdes, in Amerika selbst nicht unumstrittenes Schulsystem aufzuzwingen“.147 Der Militärregierung wurde Mangel an Ein- sicht vorgeworfen, als sie „gebieterisch“ forderte, höhere Schulbildung zu verallgemeinern, „wobei sie weniger nützlich als Vorbereitung für das Universitätsstudium würde,“ und Schul- geld für höhere Schulen abzuschaffen, was den bayerischen Steuerzahler Millionen kosten würde. Überdies wunderte sich der Ausschuß, daß amerikanische Behörden den Deutschen überhaupt die Reformen aufzwingen wollten. Er habe „von vielen Fällen gehört, in denen die Begeisterung der Deutschen, die sich um den moralischen Wiederaufbau bemühten, zerstört wurde, weil sie statt Unterstützung wirklichkeitsfremde Befehle und statt Ermuti- gung schlecht überlegte Kritik erhielten ...“148 Der amerikanischen Politik kam es offenbar jetzt darauf an, Westdeutschland schrittweise in ein westliches, gegen den Ostblock gerich- tetes Bündnissystem einzugliedern. Es wurde alles unterlassen, was antiamerikanischen Stim- mungen hätte Vorschub leisten können. Damit wurden auf allen Gebieten restaurative Strö- mungen gestärkt. So war Hundhammers Taktik des Hinauszögerns durchaus erfolgreich gewesen. Im Landtag war es vornehmlich die kleine Fraktion der FDP, die sich stets aufs neue mit Anfragen zur Schulreform hervortat und die Diskussion aufrechterhielt,149 während die SPD zu dem Zeitpunkt eine eher resignative Haltung einnahm. Während der 5. Landeskon- ferenz der bayerischen SPD in Fürth im Juni 1948 berichtete Jean Stock, MdL, über die Arbeit der Landtagsfraktion, daß sie einen „scharfen Kampf“ in der Kulturpolitik geführt habe, daß die CSU sich aber einig gewesen sei. Wörtlich sagte er: „So ist heute eine Schulreform durch- geführt worden, die bestimmt nicht unsere Zustimmung hat ...“150 Die SPD schien sich bereits im Juni 1948 mit den Tatsachen abgefunden zu haben. Sie machte auf der Konfe- renz auch deutlich, wo für sie die Schwerpunkte der Politik lagen: Die Referate befaßten sich vor allem mit Wirtschaftsfragen. Plan „A“ wurde hier verkündet: Anfang, Aufbau, Auf- stieg.151

146 Ebda., S. 224. 147 Huelsz, S. 125. 148 Dokumente zur Schulreform, S. 209 f. 149 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 76. Sitzung am 1.7.1948, S. 1586. 150 AdsD Bonn. LV Bayern. 5. Landeskonferenz 11.-13.6.1948 in Fürth. 151 Ebda.

265 6.3. SCHULGELD- UND LERNMITTELFREIHEIT

In sämtlichen amtlichen Schreiben und Dokumenten, sowohl amerikanischen als auch deutschen, die die Schulreform betrafen, wurde die Schulgeld- und Lernmittelfreiheit angesprochen. Die Bayerische Verfassung hatte den Schülern der Pflichtschulen unentgelt- lichen Unterricht zugesichert, die Frage der Unentgeltlichkeit der Lernmittel wurde durch die Verfassung nicht geregelt.1 Die amerikanische Erziehungskommission empfahl die Schul- geldfreiheit auch für höhere Schulen, so daß künftig - im Sinne der Demokratisierung des Landes - nicht nur den Besitzenden der Zugang zu ihnen ermöglicht werde.2 In den ande- ren amerikanisch besetzten Ländern entsprachen die Schulreformvorschläge zwar auch nicht gänzlich den Vorstellungen der Militärregierung, jedoch gab es hier „more progressive ten- dencies“3, so daß von amerikanischer Seite in der Frage der Schulgeldfreiheit Kompromisse akzeptiert wurden, da man sie in den Ländern prinzipiell befürwortete, sie wegen der Finanznot jedoch nicht sofort durchführen konnte. Dagegen legte der bayerische Kultusmi- nister in seinem „Erziehungsplan auf weite Sicht“ dar, daß die Unentgeltlichkeit des Unter- richts und der Lernmittel „gewiß erstrebenswerte Ziele“ seien, „soweit eine Aussicht auf Durchführung besteht. Sie verbieten sich leider großenteils angesichts der Armut unseres Landes.“4 Und obwohl durch die Direktive No. 54 noch einmal kostenloser Unterricht und unentgeltliche Lernmittel gefordert wurden, enthielt der bayerische Reformplan vom 30. September 1947 den Satz: „Schulgeldfreiheit genießen die Schüler, wenn das steuerpflich- tige Einkommen und Vermögen ihrer Eltern eine noch näher zu bestimmende Höhe nicht überschreitet.“5 In ihrer „Ablehnung des Schulreformplanes für Bayern“ kritisierte die Militärregierung denn auch diesen Punkt scharf: „d. Das Ministerium hat die Übernahme des Prinzips der kostenlosen Ausbildung für alle Schüler der höheren Schulen nicht unter Beweis gestellt. e. Das Ministerium hat nicht für kostenlose Schulbücher für die Schulkinder gesorgt ...“6 Und die Bekanntmachung „Militärregierung äußert sich zur Schulreform“ beantwortete die Frage 10 „Wird für alle Schulen Schulgeldfreiheit bestehen?“ so: „Es wird verlangt, daß alle regelmäßigen Volks-, Mittel- und höheren Schulen schulgeldfrei sind.“7 Schließlich gab es in diesem Punkt für den bayerischen Kultusminister kein Entrinnen mehr. In seinem dritten „Plan für eine Schulreform in Bayern nach den Anweisungen der Militär- regierung“ lautete Punkt 8 der „wesentlichen Veränderungen“: „... Nach vorliegendem Plan genießen die Schüler aller öffentlichen Schulen mit Ausnahme der Hochschulen und der Spezialfachschulen unterschiedslos Schulgeldfreiheit, alle Schüler der öffentlichen Grund- schulen und des Zweiges A8 der Mittel- und Oberschulen unterschiedslos Lernmittelfrei- heit.“9 Die Militärregierung legte außerordentlich großen Wert auf Schulgeld- und Lern- mittelfreiheit, sah sie doch darin eine Verbesserung der Chancengleichheit. Sie hielt die Aus-

1 Nawiasky, Hans/Leusser, Claus: Die Verfassung des Freistaates Bayern. Systematischer Überblick und Hand- kommentar. München 1948, S. 210. 2 Erziehung in Deutschland, S. 30. 3 Huelsz, S. 143. 4 ACSP München. NL Müller 271 (Schulreform 1947-48). 5 BayHStA München. MK 53202. Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 30.9.1947 an die Militärregierung für Bayern. Betrifft: Schul- und Unterrichtswesen. 6 Ebda., Schreiben des Amtes der Militärregierung für Bayern. Amt des Landesdirektors, München. APO 407 US Armee. AG 000.8-MGBAE, am 23.12.1947 an den Ministerpräsidenten für Bayern. 7 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Office of Military Government for Bavaria. Public Information Branch. APO 407. OMGB Release No. 31. 29.1.1948. 8 siehe S. 263. 9 ACSP München. NL Müller 271. Bayer. Staatsmin. für Unterricht und Kultus Nr. VIII 3003 am 31.1.1948 an die Militärregierung für Bayern. Abtlg. Erziehung und Religion, München. Betreff: Schulreform.

266 gaben für Bayern tragbar: „Nach vorsichtigen Schätzungen der Militärregierung sind diese zusätzlichen Kosten alles andere als untragbar. Solche Ausgaben sind geringfügig im Ver- gleich zu dem Gewinn an Sicherheit, den die Heranziehung verantwortungsbewußter Füh- rer und Bürger für eine demokratische Gesellschaft bedeutet.“10 In ihrem Schreiben, in dem sie den Schulreformplan vom September 1947 ablehnte, nannte die Militärregierung einen weiteren Grund für Lernmittelfreiheit: Die Papierknappheit verlange kostenlose Schulbücher. Denn nur wenige Bücher könnten veröffentlicht werden, und wenn sie gekauft würden, gingen sie in das Privateigentum der Schüler über. Nachfolgende Klassen hätten sie nicht zur Verfügung, und wenn die ersten Auflagen vergriffen seien, stünden viele Schüler ohne Schulbücher da.11 Auch der stets wiederkehrende Hinweis des Kultusministers, daß in Bay- ern für Begabte immer Stipendien bereitgehalten worden seien, konnte nicht überzeugen, und die Praxis zeigte ja, daß vor allem Mädchen bei fehlendem finanziellem Hintergrund keine Möglichkeit einer über die Volksschule hinausgehende Bildung hatten. Berichte bezeu- gen dies. So hieß es im Erfahrungsbericht der Flüchtlingsschule Marktredwitz: „Nachdem ... die meisten Flüchtlingsfamilien von der Wohlfahrtsunterstützung leben und ... die Väter noch nicht bei ihren Familien sind, können die Kinder die höheren Schulen nicht weiter besu- chen ...“. Sie waren deshalb „Gastschüler“ an der Flüchtlings-Volksschule.12 Eine Lehrerin, vertrieben aus der Tschechoslowakei, berichtete über ihre Schwierigkeiten, ihre Ausbildung zu finanzieren: Angesiedelt in der Nähe Gunzenhausens, war sie darauf angewiesen, in einem Heim oder Internat zu wohnen, um eine Lehrerbildungsanstalt besuchen zu können. Die Lehrerbildungsanstalten bauten damals auf der siebten Volksschulklasse auf. 1946 bestand sie zwar die Aufnahmeprüfung für die LBA in Erlangen, konnte aber nicht dort anfangen, da Kost und Logis unbezahlbar waren. Geld und die geforderten Naturalien waren für den arbeitslosen Vater unerschwinglich. Nach erneuter Prüfung kam sie an der LBA Ingolstadt unter, wo katholische Lehrerinnen ausgebildet wurden. Die monatlichen Internatskosten von etwa 150 Mark wurden unter großen Opfern von den Eltern aufge- bracht, bis im Jahr 1949 - auch hier wirkte sich die Währungsreform negativ aus - keine Mit- tel mehr vorhanden waren. Zuschüsse wurden nur unter der Bedingung gewährt, daß sie später zurückgezahlt würden. Da die damals herrschende Lehrarbeitslosigkeit nicht ohne weiteres einen sofortigen Einstieg in den Beruf erwarten ließ, entschied sich die Familie gegen einen Antrag auf Zuschuß. Es gelang aber, an der LBA Eichstätt unterzukommen, wobei die Unterstützung durch die Caritas eine Beendigung der Ausbildung ermöglichte.13 Auch für die Flüchtlingskinder, die eine höhere Schule am Ort besuchen konnten, war das Schulgeld oft ein unüberwindbares Hindernis. Hatten die Gemeinden vor der Währungsreform noch großzügig Entgegenkommen gezeigt, so wurde mit der Geldver- knappung danach oft rigoros das Schulgeld eingetrieben, und mancher Vater war gezwun- gen, der Schule mitzuteilen, „daß ich das Schulgeld für Juli für meine Tochter ..., welche die 8. Klasse der Theresien-Oberrealschule besucht, in der alten Höhe von DM 20.- nicht zah- len kann. Als Ausgewiesener habe ich in der Tschechei alles restlos verloren. Durch die Währungsreform bin ich jetzt noch um den letzten ... ersparten Groschen gekommen. Wei- ters ... werde (ich) wahrscheinlich am 1. August arbeitslos. Außerdem muß ich noch für mei- nen Jungen, der ... die Oberrealschule besucht, ebenfalls Schulgeld bezahlen ... Irgendwel- che Studienbeihilfen beziehe ich weder von der Gemeinde Lehrberg noch sonst von irgend

10 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Office of Military Government for Bavaria. Public Information Branch. APO 407. OMGB Release No. 31. 29.1.1948. 11 BayHStA München. MK 53202. Schreiben des Amtes der Militärregierung für Bayern. Amt des Landesdirek- tors München, Deutschland. APO 407 US Armee. AG 000.8 - MGBAE., am 23.12.1947 an den Ministerprä- sidenten für Bayern. 12 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4485. Schreiben des Bezirksschulrats, Wunsiedel, am 29.4.1946 an die Regierung von Mittelfranken. Erfahrungsbericht der Flüchtlingsschule Marktredwitz. 13 Gespräch mit Frau Hedwig Ponath, Herrieden.

267 jemandem. Aus vorstehenden Gründen ... bitte ich um eine, den heutigen Verhältnissen Rechnung tragende Ermäßigung des Schulgeldes und um eine ... Ratenzahlung, da ich sonst keine andere Möglichkeit sehe.“14 Das Schreiben, das an die Stadt Ansbach gerichtet war, wurde an die Schule übersandt mit der Bitte um Stellungnahme, ob „auf Grund der schuli- schen Leistungen der Schülerin das Gesuch befürwortet werden“ könne. Bei einer Ableh- nung hätte das Mädchen ein Jahr vor dem Abitur die Schule verlassen müssen. Der Bericht eines ehemaligen Zöglings des Klosters und Progymnasiums Schäftlarn bestätigte diese Handhabung: Schulgeldermäßigung bei Bedürftigkeit gab es, aber die Noten mußten gut sein. Immerhin kosteten Schulgeld und Internatsgebühren dieser staatlich anerkannten Schule 125 DM monatlich im Jahr 1949.15 Die „Vermehrung von Stipendien“, die Ministerpräsident Ehard in seiner Regie- rungserklärung vom 24. Oktober 1947 zusicherte, um neben anderen Maßnahmen breite- ren Schichten eine höhere Bildung zukommen zu lassen,16 konnte in solchen Fällen oft eben- sowenig wirksam werden wie die staatliche Ausbildungsbeihilfe für minderbemittelte Jugendliche, die gemäß der Art. 128 und 132 der Bayerischen Verfassung gewährt wurde, denn in den Ausführungsbestimmungen hieß es deutlich, daß Beihilfen „nicht zu einer wei- teren Verstärkung des Andrangs zu den höheren Schulen führen“ sollten. Ein „besonders strenger Maßstab“ wurde gefordert.17 Es ist daher verständlich, daß der Militärregierung dieses System nicht genügte. War es denn gerecht, daß unter den Mittellosen streng aus- gewählt wurde, wenn durchschnittlich begabte, aber finanziell abgesicherte Schüler ohne jegliche Behelligung die begehrten Plätze an den höheren Schulen einnahmen? In dem bereits erwähnten Schreiben der Militärregierung für Bayern vom 1. April 1948 an Mini- sterpräsident Ehard wurde die Unentgeltlichkeit des Unterrichts und der Lernmittel ab Sep- tember zwingend vorgeschrieben. Die „aktive und durchgreifende Unterstützung“ der bayerischen Regierung wurde angemahnt, einmal, um einen Betrag von 5,9 Millionen Reichsmark zur Deckung der Kosten für Schulgeldfreiheit im Haushalt, zum zweiten, um die eventuelle Umlegung der Kosten auf die Gemeinden zu sichern.18 Wenn Kultusminister Hundhammer mit seinen „Stipendien für besonders Begabte“19 möglicherweise vorhatte, die Vertreter der Militärregierung in diese Richtung zu lenken, so war das vergeblich, denn die Amerikaner ließen verlauten, sie würden alles andere in der Schulreform fallen lassen (sic!), „nur in der Schulgeldfrage seien sie festgelegt“.20 General Clay persönlich hatte bestätigt, daß „diese Angelegenheit grundsätzlich entschieden“ sei; ab dem 1. Oktober 1948 gelte Schulgeld- und Lernmittelfreiheit, und wenn die bayerische Regierung dem Land- tag nicht befehlen könne, so werde die Militärregierung gezwungen sein, ihre Forderung per Militärgesetz durchzubringen.21 Sie ließ auch die verschiedensten Begründungen nicht gelten, die Hundhammer vorbrachte: Etwa 20 Millionen Mark Mehrbelastung jährlich bei Lernmittelfreiheit; ein Schüler habe ein anderes Verhältnis zum eigenen Buch als zum gelie- henen; die Papierverteilung könne besser gesteuert werden: Wenn Papier vorhanden sei für Dinge wie den „Simplizissimus“, so könne man erwarten, daß es erst recht für Schulbücher

14 Erker, Vom Heimatvertriebenen, S. 154. 15 Gespräch mit Herrn Dr. Gramsamer, Ansbach. 16 Baer, S. 150. 17 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus Nr. 8 vom 17. August 1948, S. 95 ff. Bekanntmachung der Staatsministerien für Unterricht und Kultus und des Innern vom 10. August 1948 Nr. II 50475. 18 BayHStA München. StK 113968. Schreiben des Amtes der Militärregierung für Bayern. Amt des Landesdi- rektors, am 1.4.1948 an Ministerpräsident Ehard. 19 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus Nr. 5 vom 16.6.1948, o. S. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. v. 25.5.48 Nr. VIII 28613. 20 ACSP München. LTF Protokolle I/23. Niederschrift über die Fraktionssitzung vom 27.7.1948, Max., S. 9. 21 Ebda., Niederschrift über die Fraktionssitzung vom 20.7.1948, S. 6 u. 7.

268 da sei.22 Hundhammers Fraktionskollege Meixner hatte weitere Bedenken: Belastung der Schulverwaltung durch Kauf, Aufbewahrung und Ausgabe der Materialien; die Bücher stün- den während der Ferien nicht zur Nacharbeit zur Verfügung; die Freude am schönen Buch fehle; gesundheitliche Gefahren lauerten in den weitergegebenen Büchern, und außerdem sei das alles viel zu teuer. Überdies sei die gewünschte Lehr- und Lernmittelfreiheit „ein wei- terer Schritt auf dem Wege zur Sozialisierung und Kollektivierung“.23 Bei der Festlegung des benötigten Betrages rechnete man mit 6 Mark pro Schüler, 1,7 Millionen Schülern und einer Einkommenseinbuße von 8 Mill. Mark für den bayerischen Staat.24 Im Haushaltsausschuß begannen die Beratungen über Schulgeld- und Lernmittel- freiheit, und während man am 16. Juni eine Entscheidung bis nach der Währungsreform verschob, hielt man am 14. Juli 1948 die Durchführung eines diesbezüglichen Gesetzes für absurd und vertagte die Beratung auf Oktober.25 Immer noch wollte die CSU eine Staffe- lung des Schulgelds nach Einkommen der Eltern, während SPD und FDP die Forderungen der Militärregierung unterstützten.26 Auch der bayerische Landtag vertagte sich am 31. Juli, ohne ein Gesetz zur Schulreform verabschiedet zu haben.27 Danach handelte die Militärre- gierung schnell. Sie erließ am 4. August „Orders of Military Government Requiring Free Text- books and Other Learning Aids and Free Tuition“.28 Zur Begründung dieser Befehle, die am 4. August 1948 um 11 Uhr in Kraft traten, hieß es, daß der Landtag sich auf den 1. Oktober vertagt habe, die Schulen jedoch bereits vorher begännen und man deshalb fürchte, daß Schulgeld- und Lernmittelfreiheit auf unbestimmte Zeit verzögert würden. Die Militärregie- rung hätte sich bisher der Erwartung hingegeben, daß die bayerische Regierung aus freiem Entschluß Maßnahmen zum Wohle des bayerischen Volkes durchführen werde. Seit Januar 1947 habe es aber nichts als Verschiebungen gegeben, und offensichtlich wolle man den bayerischen Kindern diese Erleichterungen auf unbestimmte Zeit vorenthalten. Jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, „wo die Militärregierung einer weiteren Verzögerung nicht mehr zusehen kann“.29 Da die bayerische Regierung und der Landtag es „gänzlich verabsäumt“ hätten, die Anweisung Nr. 54 des Alliierten Kontrollrats, Abschnitt 2, und die Ausführungs- bestimmungen vom 17. März 1948 (OMGUS, AG 46 [EC]), die die Schulgeldfreiheit, kosten- lose Schulbücher und kostenloses anderes Unterrichtsmaterial forderten, auszuführen, befahl die Militärregierung: „1. Mit Wirkung vom 1. September 1948 soll kein an den öffentlichen Volks- und Höheren Schulen Bayerns eingeschriebener Schüler Schulbücher oder andere Lernmittel kaufen müs- sen. ... 3. Mit Wirkung vom 1. September 1948 sollen von Schülern, die an öffentlichen Volks- und Höheren Schulen Bayerns eingeschrieben sind, keine Schulgelder verlangt ... wer- den. 4. Mit sofortiger Wirkung dürfen keine ... Schulbücher oder andere Lernmittel einzeln oder anderweitig an Erwachsene, Schüler, Körperschaften, Vereinigungen, Gesellschaften oder irgendwelche andere Einheiten, ... verkauft werden, außer an private Volks- und Höhe- re Schulen. Die Schulbücher und Lernmittel gelten hiermit als von der Militärregierung beschlagnahmt ...“30 Mit letzterer Bestimmung wollte man vermeiden, daß der Befehl unter- laufen würde. Die Nichtbeachtung zog gemäß der Verordnung der Militärregierung Nr. 1,

22 Ebda., LTF Protokolle I/24. Protokoll über die Fraktionssitzung am 17.6.1948, Max., S. 2-7. 23 Ebda. 24 Ebda., LTF Protokolle I/23. Niederschrift über die Fraktionssitzung vom 20.7.1948, S. 6 und 7. 25 Huelsz, S. 131 (57. Sitzung des Haushaltsausschusses am 16.6.1948, S. 1 ff und 59. Sitzung am 14.7.1948, S. 28). 26 Ebda. (HA, 59. Sitzung, S. 36 f, 10, 28, 30). 27 Gimbel, S. 313. 28 Ebda. Er zitiert OMG Bavaria, to Min. Pres., Aug. 4, 1948, WW II RC 102-2/15. 29 Dokumente zur Schulreform, S. 245-248. 30 Ebda.

269 Art. II, Abs. 21 und Art. III Verfolgung und Bestrafung nach sich.31 Wieder einmal hatte „der Widerwille der bayerischen Regierung, von sich aus die Durchführung dieser Reform in die Hand zu nehmen, ... es notwendig gemacht,“ Termine zu setzen.32 Einen Tag nach Inkrafttreten des Befehls erging ein Schreiben des Kultusministeri- ums an alle Regierungen, in dem die Schulen (außer Volksschulen, landwirtschaftlichen Berufsschulen und Mädchen-Mittelschulen) aufgefordert wurden, bis 25. August Zahlen vorzulegen für das abgelaufene Schuljahr 1947/48, und zwar über Schülerzahl, Schulgeld, Zahl der vom Schulgeld befreiten Schüler, Einnahmen aus Prüfungs-, Zeugnis- und Beschei- nigungsgebühren, ferner eine Aufstellung über die Auslagen bei Gewährung von Lernmit- telfreiheit (Bücher, Hefte, Schreib-, Zeichen-, Handarbeits- und Schulküchenmaterial). Von den nichtstaatlichen höheren Schulen verlangte man eine Äußerung darüber, ob die Fort- führung der Schule bei Schulgeld- und Lernmittelfreiheit gesichert sei.33 Letzteres forderte einen empörten Aufschrei geradezu heraus, nicht nur der Schulträger, sondern auch der besorgten Eltern, die um die Ausbildungsmöglichkeit ihrer Kinder bangten, und die Defini- tion der Lernmittel - nicht nur Bücher - suggerierte Schulen, Gemeinden oder anderen, pri- vaten, Trägern, auch Heft- und Schreibmaterial falle unter das Gesetz der Lernmittelfreiheit, was keineswegs der Fall war. Im staatsministeriellen Erlaß vom 2. Oktober 1948 war nämlich zu lesen: „...5. Die ... Schreibmaterialien und übrigen Lernmittel sind ... durch die Erzie- hungsberechtigten wie bisher zu beschaffen.“34 Negative Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Schon im Juli hatte der Bayerische Städteverband darauf aufmerksam gemacht, daß 72 höhere Schulen der Gemeinden mit rund 30 000 Schülern und neun städtische Mädchen-Mittelschulen mit ca. 1500 Schülerinnen, dazu acht Frauen- und Kindergärtnerinnenschulen von dem Gesetz betroffen seien und etwa 4,3 Millionen DM fehlen würden bei der Durchsetzung der Lern- mittel- und Schulgeldbefreiung.35 Manche Gemeinden legten „schärfsten Protest“ ein, so z.B. der Stadtrat von Eichstätt, der einstimmig beschloß, daß in Zeiten besonderer finanzi- eller Not nicht die Gemeinden, sondern diejenigen Stellen die Kosten zu übernehmen hät- ten, „die für diese Anordnung die Verantwortung“ trügen.36 Der Bürgermeister von Burg- hausen fürchtete um den Fortbestand der Städtischen Mädchenmittelschule, da mit den Schulgeldeinnahmen die Kosten für die hauptamtlichen Lehrkräfte gedeckt werden konn- ten. Erhebliche Einbußen habe man auch durch die Flüchtlingskinder, die ja vom Schulgeld befreit seien, und die Währungsreform habe das gesamte Vermögen der Stadt vernichtet.37 Für den Landesverband des Katholischen Frauenbundes bedeutete der Befehl der Militärre- gierung den „vollkommenen Staatssozialismus“ und keinen Fortschritt in der Demokratie,38 Franz M. aus Bamberg empörte sich über die „geradezu erpresserische Haltung der Besat- zungsmacht“, die durch die Ermöglichung des kostenlosen Schulbesuches der Heranzüch- tung eines „geistigen Proletariats ..., das dem Kommunismus anheimfallen wird“, Vorschub

31 Ebda., S. 248. 32 Bungenstab, S. 96. Er zitiert Monthly Report of the Military Government No. 35 (May 1948), S. 24. 33 BayHStA München. MK 52262. Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 5.8.1948 an alle Regierungen. Betr.: Schulgeld-, Lehr- und Lernmittelfreiheit. 34 Ebda., Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus Nr. 11 vom 5.10.1948, S. 125. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 2. Okt. 48 Nr. VIII 66296. 35 Ebda., StK 113968. Schreiben des Bayerischen Städteverbandes am 14.7.1948 an Ministerpräsident Ehard. Betreff: Schulreform, hier: Gemeindliches Schulwesen. 36 Ebda. MK 52262. Schreiben des Stadtrats Eichstätt am 24.11.1948, Sitzungsprotokoll, an das Staatsministe- rium für Unterricht und Kultus. 37 Ebda., Schreiben des Bürgermeisters von Burghausen am 11.8.1948 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 38 Ebda., StK 113972. Schreiben des Katholischen Frauenbundes am 18.8.1948 an Ministerpräsident Ehard.

270 leiste,39 und Professor B., Schulrat a.D., fürchtete, daß nun wieder ein Befehl nach Gehor- sam verlange, wo doch bei den Nürnberger Prozessen die „würdelose Charakterschwäche der Deutschen, die bei jedem Befehl widerspruchslos in die Knie sänken,“ gebrandmarkt worden sei.40 Die von Regierungsseite und von der Öffentlichkeit oft beschworene Gefahr des Kommunismus durch Unentgeltlichkeit von Schulbesuch und Lernmitteln sprach Kultusmi- nister Hundhammer wieder an, als er auf einer Fraktionssitzung seiner Partei mitteilte, „die überraschende Ankündigung der amerikanischen Forderung habe eine außerordentliche Steigerung der Schulzugänge zur Folge gehabt“.41 Kampflos wollte er im übrigen das Feld nicht räumen, und diesmal fand er Verbündete im Lager seiner Widersacher, nämlich die FDP. Thomas Dehler, der den „Keulenschlag der Militärregierung“ befürchtet hatte, hielt es für „untragbar, daß der Landtag oder die Staatsregierung sich einer Weisung beugen, die nicht im Einklang mit unserer Verfassung steht“.42 In einem Schreiben versicherte er den Kul- tusminister „bei der Durchsetzung dieses Standpunktes“ seiner uneingeschränkten Unter- stützung.43 Er war der Meinung, daß dem Befehl der Militärregierung jede Rechtsgrundlage fehle und daß daher der „Kampf mit Härte“ durchgestanden werden müsse. Für ihn han- dele es sich nicht nur um die Schulgeld- und Lernmittelfreiheit, „sondern um die Frage unse- rer staatlichen Souveränität überhaupt“.44 Hundhammer zögerte nicht, juristische Gutachten zu dieser Frage einzuholen, die sich mit der völkerrechtlichen Seite des Befehls über Schul- geld- und Lernmittelfreiheit befaßten.45 Einer dieser Gutachter, Dr. Eugen Mayer aus dem Kultusministerium, kam zu dem Schluß, daß in der Bayerischen Verfassung ein Gesetzge- bungsrecht der Militärregierung durch Befehle nicht vorgesehen sei. Allerdings habe Gene- ral Clay in seinem Genehmigungsschreiben für die BV bestimmt, daß sie übereinstimmen müsse „... mit der Viermächtegesetzgebung und mit den Vollmachten, die sich die Militär- regierung vorbehalten muß, um die grundlegenden Richtlinien für die Besatzung in die Tat umzusetzen“. Daher sei die Frage, „ob der Befehl der Militärregierung auf Grund der im Genehmigungsschreiben des Generals Clay erwähnten Vollmachten ergeht und somit die einschlägigen Verfassungsbestimmungen außer Kraft setzt, ... eine Frage von weitgehender politischer Bedeutung ...“46 Während dies diskutiert wurde, war der Befehl bereits modifiziert worden. Mini- sterpräsident Ehard hatte so „abrupt“ reagiert, daß man bei OMGUS schon glaubte, er werde den Abschluß der Verhandlungen über die Bildung einer westdeutschen Regierung stören.47 Entrüstet fragte er, „wie die Amerikaner von den Deutschen erwarten könnten, daß sie eine Verfassung machten, wenn sie demokratisch gesinnten Männern ständig ins Gesicht schlügen“.48 Schließlich aber mußte er einer Einladung Clays nach Berlin folgen, und dort konnte man sich auf einen allmählichen Übergang zur völligen Schulgeld- und Lern- mittelfreiheit im Jahr 1951 einigen; bis dahin würden die Amerikaner keine Befehle zur Schulreform mehr erlassen.49 Der Befehl vom 4. August 1948 wurde dahingehend abge-

39 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler. N1 - 911. Schreiben des Franz M. am 29.7.1948 an Thomas Dehler. 40 BayHStA München. MK 52262. Schreiben des Prof. Th. Blum, Oberregierungs- und Schulrat a.D., Miesbach, am 31.8.1948 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 41 ACSP München. LTF Protokolle I/24. Niederschrift über die Fraktionssitzung am 17.8.1948, Max., S. 6. 42 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler. N1 - 903. Schreiben Dr. Thomas Dehlers, Oberlandesgerichtspräsi- dent, am 12.8.1948 an den Staatsminister für Unterricht und Kultus. 43 Ebda. 44 Ebda., Schreiben Dr. Thomas Dehlers am 6.9.1948 an den Staatsminister für Unterricht und Kultus. 45 Ebda., Schreiben Kultusminister Hundhammers am 28.8.1948 an Th. Dehler. 46 BayHStA München. MK 52 262. Juristisches Gutachten zu den Gesetzen über Lernmittel- und Schulgeldfrei- heit. 30.10.1948. 47 Gimbel, S. 314. 48 Ebda. 49 Ebda.; vgl. dazu Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 254, der allerdings schreibt, Ehard habe nachgeben müssen.

271 schwächt, daß die bayerische Staatsregierung für das Schuljahr 1948/49 „50 % der Kosten für Schulgeld, Lehrbücher, Lehr- und Lernmittel für die an den öffentlichen Volks- und Mit- telschulen Bayerns eingeschriebenen Schüler“ übernahm. Für das Schuljahr 1949/50 sollten es 75 % sein, ab 1950/51 die gesamten Kosten. Eltern, die das wünschten, konnten die Schulbücher kaufen. Über die höheren Schulen wurde nichts ausgesagt, allerdings erschien in einer anderen Übersetzung des Befehls anstelle des Wortes Mittelschulen „höhere Schu- len“,50 und der Erlaß des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus über die Lernmittel- freiheit erging an die Regierungen, Schulämter, Leitungen der Volks-, Berufs-, Berufsfach- und Mittelschulen, die Direktorate der höheren Lehranstalten und Lehrerbildungsanstalten.51 Der Erlaß über die 50 %ige Ermäßigung des Schulgeldes erging an die Direktorate der staat- lichen und gemeindlichen höheren Lehranstalten.52 Der geänderte Befehl trat am 22. Sep- tember um 18 Uhr in Kraft.53 Der Passus, nach dem Eltern die Bücher, falls sie es wünsch- ten, weiterhin selbst kaufen konnten, sorgte für Diskussionsstoff. In Nürnberg fürchteten Mitglieder des Stadtrats, daß die Kinder wieder in zwei Gruppen gespalten würden, vor allem, wenn, um der Stadt Kosten zu sparen, auf die Eltern Druck ausgeübt würde, die Bücher selbst zu kaufen.54 Die Gemeinden waren durch das Kultusministerium ersucht wor- den, „die anfallenden Kosten vorschußweise zu übernehmen, bis der Landtag über die end- gültige Regelung der Tragung der Kosten für diese neue Aufgabe Beschluß gefaßt haben“ würde.55 Die Entscheidung des Nürnberger Schulausschusses lautete, daß durch das Schul- referat die Lehrkräfte anzuhalten seien, „jeglichen Druck zum Kauf von Lernmitteln zu unter- lassen“.56 Die Diskussion um das bevorstehende Gesetz riß in der Folgezeit nicht ab. Sowohl im Landtag als auch in der Öffentlichkeit und in Lehrerkreisen wurde es erörtert. Am 9. Dezember 1948 sah sich die Militärregierung für Bayern veranlaßt, Ministerpräsident Ehard wiederum darauf hinzuweisen, daß der Landtag noch keinen Beschluß über Schul- geld- und Lernmittelfreiheit gefaßt habe, daß Ende September versichert worden sei, inner- halb vier bis sechs Wochen sei die Entscheidung gefallen, daß aber die entsprechenden Gesetze zwischen Ausschuß und Landtag hin- und hergeschoben würden, daß die Gesetz- entwürfe entgegen den Vereinbarungen zwischen Clay und Ehard nur das Schuljahr 1948/49 umfaßten. Alles in allem machte sich van Wagoner, der Landesdirektor der Militär- regierung „große Sorgen“, formulierte jedoch vorsichtig: „Wäre es Ihnen nicht möglich, den Landtagspräsidenten zu ersuchen, diesem Schulreformgesetz die höchste Dringlichkeitsstu- fe zu geben? Könnte es nicht vom Haushaltsausschuß in einer Sitzung verabschiedet wer- den? Könnte es der Landtag nicht in seiner nächsten Plenarsitzung am 15. Dezember erle- digen?“57 Es hatten in der Zwischenzeit in Berchtesgaden Erziehungskonferenzen der Militär- regierung für Bayern (August 1948) und der OMGUS Education and Cultural Relations Divi- sion (7. - 12. Oktober 1948) stattgefunden. Während man im August - in Unkenntnis oder Leugnung der Tatsache, daß das überkommene System sich bereits wieder etabliert hatte -

50 Dokumente zur Schulreform, S. 257. 51 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus Nr. 11, vom 5.10.1948, S. 125. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult vom 2. Okt. 1948 Nr. VIII 66296. 52 Ebda., Nr. 13 vom 8.11.1948. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult vom 13. Okt. 1948 Nr. VIII 68623. 53 BayHStA München. StK 113968. Abschrift Übersetzung. v.W./M - Ko 2529. Militärregierung - Deutschland. Befehl. 54 Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 9.11.1948, S. 2. 55 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus Nr. 11 vom 5.10.1948, S. 125. 56 Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses vom 9.11.1948. 57 Dokumente zur Schulreform, S. 262 f.

272 Referate hörte, die das bayerische Erziehungssystem - „wie wir es vorfanden“ und „wie wir es uns wünschen“ - zum Gegenstand hatten,58 war im Oktober eine Wendung in der ame- rikanischen Schulpolitik sichtbar geworden, „from Direktive to Persuasion“. Der neue Leiter der Erziehungsabteilung, Alonzo G. Grace, meinte, Organisation und Struktur der Schule seien nicht so wichtig. Es komme vielmehr auf die Art und den Inhalt der Stoffvermittlung und auf den Lehrer an.59 Und damit befand er sich auf der Linie des bayerischen Kultusmi- nisters.60 Im Landtag erregte man sich immer noch über den „Befehl“ der Militärregierung, jammerte über das unterschiedliche Vorgehen der Amerikaner in den einzelnen Ländern, ja wollte von ihnen Aufklärung erbitten, warum sie in Bayern einen so starken Druck ausüb- ten - ein Ansinnen, das Hundhammer wohlweislich zurückwies - und schlug vor, einem Gesetzentwurf die Präambel vorauszuschicken: „Die Durchführung des Befehls der Militär- regierung vom 22. September 1948 über die Einführung der Schulgeldfreiheit geschieht in folgender Weise: ...“61 Regierungspartei und Opposition übten sich in Anklage oder Vertei- digung der Politik der Militärregierung. Schließlich rang man sich am 15. Dezember 1948 zu einem Beschluß durch, der besagte, daß an allen öffentlichen Schulen für Jugendliche unter 18 Jahren kein Schulgeld erhoben werden solle, „mit Ausnahme des Schuljahres 1948/49, in dem 50 %, und des Schuljahres 1949/50, in dem 25 % des bisherigen Schul- geldes erhoben werden“ sollten.62 Wie unsinnig man die Schulgeldfreiheit ansah, berichte- te Walter Dorn, dem Hundhammer die „leidvolle und widerstrebende Annahme“ mitteilte. Es sei früher Tradition des Landadels gewesen zu zahlen, und das habe eine bedeutende Finanzquelle dargestellt. Man habe höhere Lehrergehälter bezahlen können, „und zwar im Verhältnis auch höhere, wie er hinzuzufügen sich nicht versagen konnte, als die Lehrer in vielen Staaten der USA bezögen“.63 Für den Einnahmeausfall würde, so war geplant, der Staat den Gemeinden angemessene Zuschüsse gewähren. Bezuschußt werden sollten die Gemeinden auch bei Ausgaben für Lehr- und Lernmittel, und zwar bis zu 66 2/3 % des Auf- wandes. Weiterhin zu zahlen hatten die Schüler aber Hefte, Schreibgeräte und den „Beitrag für den Unterrichtsfilm“.64 Die Städte und Gemeinden zeigten sich nicht ohne weiteres mit diesen Regelungen einverstanden. So fragte die Fachberaterin für Handarbeitsunterricht an Volksschulen, Bezirksschulamt Hilpoltstein, am 25. Februar 1949 bei der Regierung von Mittelfranken an, ob Lernmittelfreiheit auf dem Lande genauso bestehe wie in den großen Städten, da in einer Gemeinde sich ein Bürgermeister weigere, das Geld für Handarbeitsmaterial für einige Flüchtlingskinder bereitzustellen. Zumindest in solchen Fällen, sollte man annehmen, müsse Lernmittelfreiheit gewährt werden.65 Auch das Schul- und Kulturreferat der Stadt Nürnberg schrieb im Mai 1949 an das Kultusministerium, daß gemäß Art. 83 Abs. 3 (BV) „bei Über- tragung staatlicher Aufgaben an die Gemeinden gleichzeitig die notwendigen Mittel zu erschließen“ seien. Man rechne anstelle von 66 2/3 % mit einem hundertprozentigen Ersatz. Dieser Wunsch war verständlich bei 711 194 DM veranschlagter Kosten für Bücher für das Rechnungsjahr 1949.66 Auch schien der Kostenersatz nicht reibungslos vor sich zu gehen bzw. überhaupt nicht angemessen zu sein. Der Landrat des Landkreises Wasserburg betrach-

58 Rossmeissl, S. 210. 59 Bungenstab, S. 97. 60 vgl. dazu Müller, S. 134-137. 61 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 91. Sitzung am 3.11.1948, S. 332 ff. 62 ACSP München. NL Seidel. Beilage 2095. 15.12.1948. 63 Dorn, Inspektionsreisen, S. 148. 64 Dokumente zur Schulreform, S. 271 f. 65 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4638. 66 BayHStA München. MK 52262. Schreiben des Stadtrats zu Nürnberg, Schul- und Kulturreferat, am 19.5.1949 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus.

273 tete es z.B. nicht als seine Aufgabe, Zuschüsse für den Fortbestand von Schulen oder Schul- geld zu zahlen oder Genehmigungen für öffentliche Sammlungen zu erteilen, um die immer mehr Direktorate und Elternbeiräte höherer Schulen baten.67 Der Bayerische Philologenver- band legte Ministerpräsident Ehard die Folgen der Schulgeld-, Lehr- und Lernmittelfreiheit dar: Einem Teil des Lehrpersonals werde gekündigt und das Pflichtstundenmaß für die Ver- bliebenen hinaufgeschraubt. Lehrer ohne Vorbildung erteilten den Unterricht, z.B. werde in der Oberrealschule Füssen Mathematik vom Zeichenlehrer gegeben. Der Schulbedarf werde auf ein unmögliches Mindestmaß herabgedrückt, Klassen würden zusammengelegt, die Aufnahmeprüfung erschwert, um den Schülerzulauf zu beschränken. Es würden auswärti- ge Schüler nicht mehr aufgenommen. Gemeindliche höhere Schulen würden in Privatschu- len umgewandelt, für die man dann drei- bis viermal höheres Schulgeld als vorher verlange. Das Gegenteil der beabsichtigten Demokratisierung sei eingetreten, denn nun könnten wie- derum nur Begüterte ihre Kinder an höhere Schulen schicken. Vor allem in kleinen Gemein- den drohe die Schließung der Schulen, wo doch gerade dort viele Flüchtlinge und Evakuier- te wohnten. Wolle man sein Kind in die nächste staatliche Schule schicken, hätte es als Fahr- schüler unzumutbar weite Wege. An einigen Schulen versuchten die Lehrer, durch Gehalts- verzicht die Schulgeldfreiheit zu ermöglichen. So würden die Lehrer an der Realschule in Scheinfeld seit Beginn des Schuljahrs 1948/49 um ca. 28,5% unter der TOA arbeiten und hätten auf diese Art 11000 DM zum Ausgleich für die Schulgeldfreiheit erarbeitet. Also bezahlten die Lehrer diese glorreichen Errungenschaften, und, glaubt man den Ausführun- gen des Philologenverbandes, es schien die Schulgeld- und Lernmittelfreiheit zu einer Farce zu verkommen. Man bat um die Gleichbehandlung nichtstaatlicher, staatlicher und klöster- licher Schulen.68 Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 28. September 1949, daß von „28 gemeindlichen (Ober-)Realschulen in mittleren und kleineren Orten ... 14, von den vier städ- tischen Handelsschulen zwei ernstlich gefährdet“ seien. Die Kündigung von Lehrern, Gehaltskürzungen und Unterricht durch Lehrer ohne Vorbildung seien die Folge, ebenso das Hinaufschrauben der wöchentlichen Pflichtstundenzahl und Zusammenlegung von Klassen. Letzten Endes seien es „die von den Gemeinden angestellten Lehrer - und zwar fast alle - die die Schulgeldfreiheit bezahlen. Sie haben keine Wahl, denn es geht um ihre Existenz.“69 In einigen nordbayerischen Orten, z.B. Lichtenfels, Neustadt b. Coburg, Sulzbach-Rosenberg und Hof war die Bedrängnis sehr hoch, so daß die Lehrer alle unter Tarif bezahlt wurden. In der Stadt Schrobenhausen (Obb) betrugen die Gehaltskürzungen ca. 18 %, und über die in eine Privatschule umgewandelte höhere Schule in Herrsching wurde geschrieben: „Durch die Opferbereitschaft der in Aussicht genommenen Lehrkräfte konnte das Schulgeld auf dem niedrigen Monatssatz von 30 DM gehalten werden.“70 Eine kurze Notiz in der Schül- erzeitung der Oberrealschule Starnberg machte deutlich, daß auch ein paar Jahre später, nämlich 1951, die Lehrer aus eigener Tasche zahlten, wenn die Zuschüsse der Städte nicht kostendeckend waren. Unter der Überschrift „Der Chemieunterricht“ hieß es: „Wer ahnt aber nur im mindesten, daß alle diese zu den Versuchen nötigen Chemikalien von der betref- fenden Lehrkraft selbst bezahlt werden müssen? daß die Stadt nur sehr geringe Zuschüsse gibt? Wer kann wissen, daß ein solcher ‚Versuchstag‘ dem Lehrer gut 3 DM kostet?“71 Der Kultusminister selbst nannte in einem Brief die Erhaltung des Bestandes von höheren Schu-

67 BayHStA München. MK 52262. Schreiben des Landrats des Landkreises Wasserburg am 4.3.1949 an die Regierung von Oberbayern und das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 68 Ebda., StK 113968. Schreiben des Bayerischen Philologenverbandes am 21.7.1949 an Ministerpräsident Ehard. Betreff: Staatliche Zuschüsse für die Gemeinden zur Durchführung der Gesetze über Schulgeldfreiheit und Lehr- und Lernmittelfreiheit. 69 Die Bayerische Schule, 2. Jg. Nr. 11/November 1949, S. 409. 70 Neuer Seebote vom 25.6.1949 (abgedruckt in: Die Bayerische Schule, 2. Jg. Nr. 11/1949, S. 409). 71 „Die Meinung“. Schülerzeitung der Oberrealschule Starnberg. 1.Jg. Nr. 4 Juli 1951.

274 len, die von Städten und Gemeinden betrieben würden, eines der schwierigsten Probleme des Schulwesens und machte dafür die Amerikaner verantwortlich: „Der Befehl der Militär- regierung, das Schulgeld zu beseitigen, wirft die Etats dieser Schulen über den Haufen.“ Zwar habe er, Hundhammer, für das Haushaltsjahr 1949/50 staatliche Mittel in Höhe von über 10 Millionen DM beantragt, das Finanzministerium habe aber nur 4,6 Millionen zuge- standen.72 Für einen Schüler an einer staatlichen Schule waren jährliche 400 bis 500 DM vor- gesehen, während die Zuschüsse für einen Schüler an einer gemeindlichen Schule nur 200 DM betrugen, die noch nicht einmal gezahlt worden waren.73 Die Militärregierung für Bayern zeigte sich unzufrieden über die Art und Weise, wie die bayerische Regierung bzw. die Schulen die gesetzlich verordnete Schulgeld- und Lern- mittelfreiheit umsetzten. Unzählige Beschwerden habe es gegeben, weil die Eltern gezwun- gen worden seien, doch die Lehrbücher zu kaufen, und weil viele nichtstaatliche Schulen für das Schuljahr 1948/49 noch keine Ersatzzahlungen vom bayerischen Staat erhalten hät- ten. Die Militärregierung habe nach Prüfung des Haushalts festgestellt, daß die Durch- führung geltender Gesetze keine untragbare finanzielle Belastung sei, denn die Schulgeld- verpflichtungen betrügen nur 1 % des gesamten bayerischen Staatshaushalts. Hessen und Bremen hätten diese Probleme vollständig gelöst, Württemberg-Baden werde sie noch im Herbst lösen. „Ich glaube bestimmt, daß auch Bayern dieses Problem lösen kann,“ schrieb Murray van Wagoner.74 Bayern schob die völlige Schulgeldfreiheit aber dann durch Geset- zesänderung noch einmal um ein Jahr hinaus,75 so daß erst mit Beginn des Schuljahrs 1951/52 die Unentgeltlichkeit des Unterrichts konstatiert werden konnte.76 Trotzdem hör- ten die Diskussionen darüber nicht auf und waren auch die Ungerechtigkeiten nicht besei- tigt worden. Die FDP hatte immer freien Zugang zu allen Schulen gefordert,77 aber der Bezirkskulturausschuß von Mittelfranken bat im September 1951 die Landtagsfraktion der Freien Demokraten, „von ihrer bisherigen konsequenten Forderung nach absoluter Schul- geld- und Lernmittelfreiheit abzusehen,“ da man es für sozial gerechtfertigt hielt, wenn die Eltern „einen ihren wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechenden Beitrag leisten“ würden, der nicht den staatlichen oder städtischen Schuletat entlasten, sondern der Ausstattung der Schulen und der Förderung bedürftiger Schüler „im Sinne der Startgerechtigkeit“ zugute kommen sollte.78 Die „verheerende(n) Folgen“ der Schulgeldfreiheit, die untragbare Situa- tion des „‘freiwilligen‘ Schulgeldzwangs“ wurden in der CSU beklagt. Die völlige Schul- geldfreiheit wirke nicht sozial; über ein sozial gestaffeltes Schulgeld solle man nachdenken.79 Auch die „Aussperrung von ländlichen Kindern aus städtischen höheren Lehranstalten“ wurde angeprangert,80 eine Praxis, die anscheinend üblich war, denn erst zum August 1952 war es beispielsweise möglich, die Mädchen-Oberrealschule in Ansbach zu besuchen, wenn man nicht in der Stadt wohnte. Und Schulgeldfreiheit galt für diese Kinder nicht, denn es

72 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1 - 947. Schreiben Kultusminister Hundhammers am 10.8.1949 an Dr. Thomas Dehler, Bamberg. 73 Schule und Gegenwart 8/1949, S. 5. 74 BayHStA München. StK 113968. Schreiben des Amtes der Militärregierung für Bayern, Amt des Landesdi- rektors, am 22.9.1949 an Ministerpräsident Ehard. 75 Dokumente zur Schulreform, S. 334. 76 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2 vom 1.9.1951 (NN vom 3.10.1951). 77 Huelsz, S. 135 f. 78 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1 - 86. Entschließungen des Bezirkskulturausschusses von Mittel- franken. Verabschiedet in der Sitzung am 8. u. 9. September 1951, S. 2. 79 ACSP München. LTF Protokolle I/24. Niederschrift über die Fraktionssitzung vom 22.10.1952 und 14.7.1952. 80 Ebda.

275 hieß: „Es ist ein Zuschuß von den Eltern in Höhe von 40 DM erforderlich.“81 Der Landtags- beschluß, völlige Schulgeldfreiheit erst zum Schuljahr 1951/52 zu gewähren, beinhaltete auch die Entscheidung einer Schulgeldnachzahlung ab 1. September 1950 in Höhe von 5 DM monatlich.82 Für viele unbemittelte Eltern war das zu viel, hatten sie doch geglaubt, daß mit Beginn des Schuljahrs 1950/51 kein Schulgeld mehr verlangt würde. Die Bedrängnis, in welche die Schulgeldzahlung Eltern bringen konnte, wurde deutlich in dem Gesuch des Josef J. aus Urfersheim, der um die Ermäßigung für seine Tochter bat. Sie wurde ihm von der Stadt Windsheim gewährt, da er Rußlandheimkehrer war, aber „unter Auflage der Ver- schwiegenheit“.83 Ob der vom Stadtrat Nürnberg im Mai 1953 beschlossene „Schulbeitrag“ für die Auswärtigen84 von den Eltern zu zahlen war oder von den Landgemeinden getragen wurde, war aus den Unterlagen nicht ersichtlich. Die Aufwendungen für die Lehr- und Lern- mittel, die die Stadt Nürnberg im Schuljahr 1952/53 erbrachte, beliefen sich auf 182 595 DM für Bücher, 163 450 DM für Tafeln, Griffel, Farbkästen, Bleistifte usw. und 70 000 DM für Lehrmittel (Wandkarten, physikalische Geräte, Anschauungsbilder). Der Vorsitzende des Schul- und Kulturausschusses, Bürgermeister Loßmann, stellte fest, „daß der Stadtrat damit seine Pflicht in vollem Maße erfüllt hat“.85

81 StAN. Landratsamt Feuchtwangen, Abgabe 1992, Nr. 98. Niederschrift über die am 8.8.1952 in Feuchtwan- gen stattgefundene Bürgermeisterversammlung. 82 Der Landtagsbeschluß datierte vom 27.11.1950 (Stadtarchiv Bad Windsheim. Sammlung von Zeitungsarti- keln I/19/51. Windsheimer Zeitung Nr. 11 vom 20.1.1951. Eltern gegen Nachzahlung des Schulgeldes.). 83 Stadtarchiv Bad Windsheim. Stadtrat Windsheim. Sitzungs-Buch 1950. Niederschrift über die Stadtratssit- zung am 3.2.1950, 19 Uhr. Beschluß Nr. 101. 84 Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP Nr. 1307. Niederschrift über die Sitzung des Schul- und Kulturausschusses am 4.9.1953 (Beschluß vom 27.5.53). 85 Ebda.

276 7. ECHO AUF DIE SCHULREFORMDISKUSSION

7.1. DIE KIRCHEN

Hatte die katholische Kirche von Beginn an im Hundhammerschen Sinn durch Prälat Meixner und Domkapitular Zinkl an den Schulreformentwürfen mitgewirkt, so hörte sie nun nicht auf, diese gegen die Militärregierung zu verteidigen und die amerikanischen Pläne abzuwehren. Katholische Schulpolitiker waren in jeder Phase der Auseinandersetzung prä- sent und kampfbereit.1 Auch vor einer unmittelbaren Einflussnahme auf die Gläubigen, wei- sungsgemäß oder nicht, schreckte man nicht zurück. Im Bayerischen Landtag monierte der Abgeordnete Marx (SPD), daß in der Johanniskirche in München ein Priester in seiner Sonn- tagspredigt am 11. Januar 1948 erklärt habe, „die amerikanische Schulreform ändere zunächst die äußere Form und dann komme der Freigeist; alle Gläubigen sollten Briefe an den Herrn Kardinal schreiben und dartun, daß sie mit dem Reformplan nicht einverstanden seien“.2 Zu einem sehr frühen Zeitpunkt hatte die katholische Kirche sich mit den Plänen der Besatzungsmacht auseinandergesetzt. So definierten die Teilnehmer der Fuldaer Bischofs- konferenz 1946 den Begriff der Einheitsschule: In ihr müßten Kinder, Eltern und Lehrer in ihrer Glaubensüberzeugung übereinstimmen und der gesamte Unterricht und die gesamte Erziehung auf einer einheitlichen Grundlage ruhen, auf dem katholischen Glauben. So könne die „wahre“ Einheitsschule nur die katholische Bekenntnisschule sein.3 Außerdem - so versuchte man die Amerikaner mit ihren eigenen Waffen zu schlagen - nähme wohl die Gewissensfreiheit die erste Stelle im freiheitlich-demokratischen System ein; und wenn die Eltern gezwungen würden, ihre Kinder dem amerikanischen Schulsystem anzuvertrauen, so würden sie vielfach gehindert, ihrem gläubigen Gewissen zu folgen.4 Bedeutende Stimmen gegen die Reformpläne der Militärregierung erhoben sich auch im Jahr 1947. Der Abt des Benediktinerklosters Ettal wandte sich gegen die „umstür- zende Reform“, die er als „ernste Gefahrenquelle während der gegenwärtigen Krisenzeit“ betrachtete, da er in ihrem Gefolge eine „gärende Verbitterung“ fürchtete. Darüber hinaus warnte er, da die Militärregierung mehr deutschen Jugendlichen als bisher Allgemeinbildung zukommen lassen wollte, vor der „Gefahr einer Vielwisserei und Halbbildung ohne ... Ver- tiefung“, denn vor allem die halbgebildeten Männer seien dem Naziregime anheimgefal- len.5 Schließlich forderte der Abt „unbedingt eine Volksbefragung“ über die Neugestaltung des bayerischen Schulwesens. Seine Schlußgedanken formulierte er nicht ohne Raffinesse: „ ... selbst wenn die Deutschen durch Vorstellungen keinerlei Erfolg erreichen sollten, müß- ten sie doch freimütig ihre Meinung äußern, damit ihnen später nicht wieder ein Vorwurf gemacht werden kann, wie er jetzt so oft wegen ihres Verhaltens während der Naziherr- schaft erhoben wird, daß sie nämlich entgegen ihrem besseren Wissen und Gewissen geschwiegen hätten.“6 „Katholische Schulleute aus den süddeutschen Ländern“ bezeich- neten im selben Jahr die differenzierte Einheitsschule als „Widerspruch in sich selbst“ und warnten vor den „kollektivistischen Tendenzen“, denen sie Vorschub leisten würde.7 Einen

1 vgl. dazu Huelsz, S. 12; Buchinger, S. 59. 2 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 49. Sitzung am 30.1.1948, S. 693. 3 Fuchs/Pöschl, S. 100. 4 Huelsz, S. 71. 5 BayHStA München. StK 113968. Schreiben des Abtes des Benedictinerklosters Ettal, Dr. Angelus Kupfer, am 15.3.1947 an die Bayerische Staatskanzlei, München. Gedanken zur geplanten Schulreform in Bayern. 6 Ebda. 7 Ebda., Schreiben des Oberstudiendirektors Alois Lehmann, Stuttgart-Vaihingen, am 3.12.1947 an die Bayeri- sche Staatsregierung. Betreff: Stuttgarter Treffen katholischer Schulleute der süddeutschen Länder am 27./28.11.1947. Bei diesem Treffen war der bayerische Domkapitular Zinkl führend, und die Resolutionen trugen seinen Stempel, was die Wortwahl belegte. (Buchinger, S. 59).

277 Höhepunkt der Aktivitäten von katholischer Seite, der durch seine rhetorische Schärfe an Kulturkampf gemahnte, stellte ein Schreiben Kardinal Faulhabers an den Apostolischen Dele- gaten, Bischof Aloysius Muench, dar. In diesem Brief sprach Faulhaber von der „angeord- nete(n) Schulreform“, die in der von der Militärregierung lizensierten Presse ausgiebig und einseitig gewürdigt werde. Das „befohlene Schulreformprogramm“ enthalte Anweisungen, die in „keinem ... auch nur mittelbaren Zusammenhang“ mit dem politischen Ziel der Demo- kratisierung stünden. Eine „Überspannung der Staatsgewalt“ führe, „auch wenn sie im Namen der Demokratie (erfolge), in das Verderben eines neuen Staatstotalismus [sic!] und menschenentwürdigenden Kollektivismus“. Man wolle nicht das Für und Wider der didak- tischen und pädagogischen Probleme erörtern, aber man stelle fest, „daß hier die Besat- zungsmacht offensichtlich in ein Gebiet eingreift, das man als eine innerdeutsche Angele- genheit, vom Standpunkt des Föderalismus aus als innere Angelegenheit der Einzelländer bezeichnen muß“. Die Militärregierung habe schließlich die bayerische Verfassung geneh- migt. „Es möge daher von der Militärregierung anerkannt werden, dass das Erziehungs- und Schulwesen unseres Landes zu den inneren Angelegenheiten gehört, die von unserem Volk ... selbständig zu gestalten sind ...“8 In einem vertraulichen Schreiben an die bayerischen Bischöfe wenige Tage später geißelte er noch schärfer die „Anweisung“ der Militärregie- rung als „Schuldiktatur“, zu der die bayerischen Bischöfe nicht schweigen könnten.9 Man könne es nicht als Demokratie bezeichnen, daß der Jugend der Brotverdienst um zwei Jahre hinausgeschoben werden solle, jetzt, wo die Eltern arm sind. Auch die unentgeltlichen Schulbücher, die weitergegeben werden müßten, könnten seine Zustimmung nicht finden, da, abgesehen von den hygienischen Bedenken, die Bischöfe fordern müßten, „daß der Katechismus nicht bloß als Schulbuch für die Schuljahre, sondern als Lebensbuch für die Lebensjahre den Familien zugeteilt werden“ solle.10 Auf einer Tagung der „Katholischen Schulorganisation in Bayern“ am 23./24. Oktober 1948 enthielt die zusammenfassende Ent- schließung die Erklärung, daß eine Schulreform nicht „anbefohlen (sein könne) durch Dik- tate der Besatzungsregierung“, daß auch ein besiegtes Volk sein Erziehungswesen in eige- ner Verantwortung gestalten dürfe und daß für den Aufbau des Schulwesens kein „unifor- mierendes Einheitsschema maßgebend“ sein könne.11 Die evangelische Kirche tat sich schwerer mit ihrem Protest. Einerseits wollte auch sie ihre Interessen gegenüber der Besatzungsmacht wahren, andererseits sahen weite Krei- se in Kultusminister Hundhammer den entschiedenen Vertreter eines dogmatischen Katho- lizismus in der bayerischen Politik mit verdächtigen hegemonialen Absichten.12 Und beson- ders im fränkischen Bereich beobachtete man, wie noch darzutun sein wird, Pläne aus dem Münchner Ministerium mit mißtrauischer Aufmerksamkeit, immer gewärtig, die evangeli- sche Kirche in ihrer Diaspora-Situation zu schützen. Die Grundsätze für den von der Militär- regierung geforderten Erziehungsplan auf weite Sicht betrachtete Oberkirchenrat Lic. Schmidt mit ganz eigenen Augen. Er verdächtigte die Amerikaner subtiler, schließlich jedoch sehr wirkungsvoller Methoden zur Erreichung ihrer Besatzungsziele. Morgenthauschen Geist schienen ihm die Forderungen zu atmen: „Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Besat- zungsmacht nicht ein wohlhabendes, sondern ein armes deutsches Volk wünscht. Das ist

8 ACSP München. NL Müller 271. Schreiben des Erzbischofs von München am 7.1.1948 an Se. Exzellenz den Hochwürdigsten Herrn Bischof Aloysius Muench, Kronberg i. Taunus. Betreff: Die von der Besatzungsregie- rung angeordnete Schulreform in Bayern. 9 BayHStA München. StK 113968. Schreiben des Erzbischofs von München am 10.1.1948 an die Hochwür- digsten bayerischen Bischöfe. 10 Ebda. 11 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Tagung der Katholischen Schulorganisation in Bayern. 23./24.10.1948 in Mün- chen. Die Tagung fand zum ersten Mal nach dem Krieg statt. 12 Alf Mintzel: Die CSU. Anatomie einer konservativen Partei 1945-1972. Opladen, 1975, S. 221.

278 durch konkludente Handlungen der Besatzungsmacht erwiesen (Zuweisung von Millionen von Flüchtlingen, Exportforderungen, Demontagen usw.).“ Es bestehe ein Widerspruch zwi- schen der allgemeinen Politik der Amerikaner, die das deutsche Volk auf niedriger Stufe hal- ten wollten, und den Grundsätzen des geforderten Schulprogramms, welches so nur von einem reichen Volk verwirklicht werden könne. Denn ein armes Land sei beispielsweise außerstande, einem Schulabschluß erst mit 18 Jahren zuzustimmen, da zu viele Jugendliche erst Jahre später in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden könnten.13 Schmidt verdäch- tigte die Militärregierung auch, die durch Staatsvertrag vom 15. Januar 1925 zugesicherten Bekenntnisschulen vereiteln zu wollen, indem sie erstens durch ihre Schulreformforderun- gen die Einrichtung sehr großer Schulen voraussetzte, denn nur dann wäre ja die gewünsch- te Differenzierung möglich. Und bei solch riesigen Schulkörpern frage man sich vergeblich, wie das Prinzip der Bekenntnisschule gewahrt werden könne, besonders, nachdem - zwei- tens - „die Besatzungsmacht durch die Einweisung der Flüchtlinge die konfessionelle Mischung der Bevölkerung erheblich gesteigert hat“.14 Das geforderte Schulsystem mache seinem ganzen Charakter nach die Bildung von Bekenntnisschulen und damit die Einhal- tung des Staatsvertrages fraglich. Während Schmidt seine Gedanken dem bayerischen Kultusministerium zukommen ließ, verständigten sich die von den Landeskirchen der amerikanischen Zone entsandten Ver- treter auf einer Besprechung in Stuttgart darauf, ohne Verhandlungen mit den Unterrichts- verwaltungen der Militärregierung ihren Standpunkt klarzumachen. Eine helfende Hand für die Institution Schule wurde deshalb abgelehnt, weil „die Lehrerschaft nicht einheitlich“ sei und eine verfrühte Stellungnahme für die Kirche gefährlich sein könnte. Außerdem herrsche bei den deutschen Unterrichtsverwaltungen keine Klarheit. Die Tagung am 20. März 1947 wurde von Landesbischof Wurm, Württemberg, geleitet und befaßte sich ebenfalls mit der „Schulreform nach den Anordnungen von OMGUS“.15 Ein Vertreter der bayerischen evan- gelischen Landeskirche war in der Aktennotiz nicht aufgeführt. Als Ergebnis wurde festge- halten, daß eine Denkschrift ausgearbeitet werden solle, die den Amerikanern vor allem klar- machen würde, daß sie „eine völlig falsche Kenntnis“ des deutschen Schulsystems hätten und daß sie sich „nicht irritieren lassen sollten von überlebten Volksschullehrern alter Zei- ten“.16 Außerdem sollte die Kirche ein entscheidendes Wort sagen zum „amerikanischen Utopismus“. Es wurde bei dieser Besprechung aber auch deutlich, daß beispielsweise das hessische Kultusministerium sich der Militärregierung gegenüber weitaus konzilianter ver- hielt als das bayerische; denn über ein hessisch-amerikanisches Treffen wurde berichtet, daß die Amerikaner erfreulicherweise nicht auf ihrer Art bestanden, sondern meinten, daß das „Schulwesen ... durchaus organisch wachsen müsse“, und auf deutscher Seite sei Entge- genkommen spürbar gewesen. Zwar hätten sich Vertreter der höheren Schulen mit elf zu drei Stimmen gegen eine sechsjährige Gemeinschaftsgrundschule ausgesprochen, aber sie betonten, daß, falls ihre Forderung nach vierjähriger Grundschule sich nicht durchsetzen könne, sie zur sechsjährigen bereit seien, unter der Voraussetzung, für das fünfte und sech- ste Schuljahr „Lehrer mit Facultas ... vor allem in Englisch ...“ einzusetzen. Nach dem sech- sten Schuljahr wolle man allerdings eine „Höhere Schule in unserem Sinne“.17 Das Beispiel

13 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Schreiben des Oberkirchenrats Lic. Schmidt am 7.3.1947 an das Staatsministe- rium für Unterricht und Kultus. Betr.: Erziehungsprogramm entsprechend der Zuschrift der OMGUS. 14 Ebda. 15 Ebda., Aktennotiz. Betr.: Schulreform nach den Anordnungen der OMGUS. Schwäbisch Gmünd, 20.3.1947, gez. Dr. Siegel. 16 Letzteres ist in der Aktennotiz leider nicht erläutert. Vielleicht waren damit die Lehrer aus der Schulreform- bewegung der Weimarer Republik gemeint. 17 LKAN. LKR VI 1100a (3064) Aktennotiz. Betr.: Schulreform nach den Anordnungen der OMGUS. Schwäbisch Gmünd, 20.3.1947.

279 zeigt, daß die Amerikaner nachgeben konnten, wenn sie ein bißchen Konzessionsbereit- schaft spürten. Die Denkschrift der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) vom August 1947 umfaßte über 80 Seiten und betrachtete nahezu jeden Aspekt des Erziehungs- und Bil- dungswesens.18 Man verwies darauf, daß die süddeutschen Länder von jeher „eine starke Neigung zur Demokratie“ gehabt hätten, was durch die vergleichsweise sehr frühe Ein- führung der allgemeinen Schulpflicht bewiesen sei (in den USA erst 1852, aber in Bayern bereits Mitte des 17. Jahrhunderts [sic!]). Also herrsche in den amerikanisch besetzten Län- dern „geistesgeschichtlich gesehen“ eine „alte demokratische Überlieferung“. Man warn- te die Militärregierung vor ihrem zweifachen Irrtum, nämlich zu glauben, daß die Schule einen neuen Geist schaffen könne. Vielmehr schaffe der neue Geist eine neue Schule. Und es sei falsch, „wenn man das deutsche Bildungswesen von einem Geist aus reformieren wollte, der dem deutschen Volk und Wesen nicht angemessen oder in den es noch nicht hineingewachsen sei“.19 Zum „vieldeutigen und vielmißbrauchten“ Wort Einheitsschule steuerte die Denkschrift eine neue Variante bei: Das gesamte Schulwesen, als Einheit ver- standen, werde zusammengehalten von der „vom demokratischen Bildungsideal getra- gene(n) Idee der Allgemeinbildung“.20 Dabei würde die Besatzungsmacht „die Bedeutung äußerer Organisationsformen für die Entwicklung des demokratischen Lebensgefühls“ sicher überschätzen.21 Man sehe z.B. in der achtjährigen gemeinsamen Grundschule, wie sie in der Sowjetunion bestehe und in der russisch besetzten Zone eingeführt worden sei, keinen besonderen Beweis dafür, daß in diesen beiden Gebieten die demokratische Gesinnung in besonderem Maße gewährleistet sei.22 Nach diesen allgemeinen Vorerwägungen enthielt die Denkschrift auch einen Vorschlag zur Organisation des Schulwesens: Nach dem Kinder- garten als freiwilliger Vorstufe der Schule sollte die „Schule 1. Grades“ vier Jahre Grund- schule umfassen, evtl. gegliedert nach Bekenntnissen. Die anschließende „Schule 2. Gra- des“ begänne mit dem fünften Schuljahr und ende mit der Pflichtschulzeit. Hier sei eine Dif- ferenzierung möglich mit gemeinsamem Kernunterricht und fakultativen Kursen. Auch hier sei bei Kooperation von Schule und Kirche eine bekenntnismäßige Gliederung möglich.23 Mit dem neunten Schuljahr sollte die „Schule 3. Grades“ beginnen, die, bis zum 18. Lebens- jahr dauernd, weitere Differenzierung und Spezialisierung erfordern würde, je nach Berufs- absichten. Dieser Schulabschnitt entspräche den bisherigen Mittel-, Berufsfach- oder auch Berufsschulen für diejenigen Jugendlichen, die nach der Pflichtschulzeit eine Berufsausbil- dung begonnen hätten.24 Schließlich sollte die „Schule 4. Grades“ anleiten zu wissen- schaftlicher Forschung, künstlerischer Meisterschaft, wirtschaftlicher Organisation oder tech- nischer Gestaltung. Sie sei nicht verpflichtend, hochspezialisiert und umfasse Hoch- und Fachschulen.25 Dieser in der Denkschrift skizzierte Aufbau der „sozialen Einheitsschule“ würde nach Ansicht der Verfasser keine revolutionäre Umwälzung bedeuten, sondern eine organische Entwicklung darstellen, da die traditionellen Schulformen weitergeführt würden, eingegliedert in ein einheitliches System.26 Für die Schulen 2. und 3. Grades forderte man Durchlässigkeit in die einzelnen parallelen Zweige.27

18 Ebda., Denkschrift der EKD. 19 Ebda., S. 31 ff. 20 Ebda., S. 53. 21 Ebda., S. 57. 22 Ebda., S. 59 f. 23 Ebda., S. 64. 24 Ebda., S. 64 f. 25 Ebda., S. 65. 26 Ebda., S. 67. 27 Ebda., S. 72.

280 Mit den Vorschlägen in der Denkschrift der Evangelischen Kirche Deutschlands schien man in Bayern nicht so viel anfangen zu können, da das im Landeskirchlichen Archiv Nürnberg vorliegende Exemplar mit etlichen Fragezeichen versehen war. Die Denkschrift schien auch wirklich jeder Zielgruppe gerecht werden zu wollen: traditionelle Schulformen in der Einheitsschule, horizontale Durchlässigkeit und Bekenntnisschule, vier Grundschuljahre und humanistische Bildung. In Bayern war diesem Entwurf kein Erfolg beschieden. Landesbischof Meiser sah sich veranlaßt, genauso wie die katholische Seite seinen Standpunkt der Militärregierung für Bayern vorzutragen. Am 26. Januar 1948, knapp drei Wochen nach Kardinal Faulhabers scharfem Protest, erging sein Schreiben, in dem er zusam- menfaßte, was von evangelischer Seite den Angehörigen der Education and Religious Affairs Abteilung bereits mündlich vorgetragen worden war: Die „geistige Beeinflussung des nach- wachsenden Geschlechts (sei) ureigenste(s) Gebiet der Selbstbestimmung“ eines Volkes. Die „jahrhundertealte Überlieferung des deutschen höheren Bildungswesens (werde) durch die Anordnungen der Militärregierung ... ohne Rücksicht auf den Willen der Nächstbeteiligten, nämlich der Eltern, auch ohne Rücksicht auf den Willen der bayerischen Volksvertretung ... durchstrichen“.28 In seiner Argumentation gegen die differenzierte Einheitsschule versuchte Meiser, die Militärregierung mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, indem er ausführte, daß sich aus dem Wunsch nach erzieherischer Gleichberechtigung der Jugendlichen als Einzel- personen nicht die Forderung nach der Einheitsschule ableiten lasse. Nur wenn es erforder- lich sei, „einen möglichst einheitlichen Menschentypus heranzubilden, ... wäre über die Ein- führung der Einheitsschule zu reden“. Dann hätte man aber mit diesem Menschentyp „die Voraussetzung für einen totalitären Staat, für die Diktatur, für den Führerstaat ... Wir möch- ten aber annehmen, daß die Militärregierung mit uns nicht ein Volk von Massenmenschen, sondern von individuellen Persönlichkeiten wünscht.“29 Es wurde der Militärregierung also unterstellt, sie wolle mit ihrer Forderung nach der differenzierten Einheitsschule den Deut- schen die nächste Diktatur oktroyieren. Ein weiteres Argument erscheint geradezu als Umkehr dessen, was die Amerikaner beabsichtigt hatten.30 Es wurde nämlich beklagt, daß „durch grundlegende Veränderungen“ die Schulen wieder „in einen Zustand jahrelanger Unruhe versetzt“ würden, nachdem sie doch mit Genehmigung der Militärregierung „in Anknüpfung an die Zeit vor 1933“ wieder aufgebaut worden seien. Daß die Genehmigung zur Eröffnung der Schulen nur unter dem Vorbehalt gegeben worden war, daß vorläufige Provisorien im Interesse einer umfassenden Schulreform damit nicht festgeschrieben wer- den dürften, hatte man nach zweieinhalb Jahren vergessen. Meiser beklagte außerdem die durch Wahlfächer und wechselnde Klassenzusammensetzung zu erwartende Unruhe, das „Hin und Her“ der Erziehung, das sich schädlich auf „das junge Geschlecht, das den unge- heueren Umwälzungen der Zeit ohnehin weithin mit erschütternder innerer Ratlosigkeit“ gegenüberstehe, auswirken werde.31 Die Allgemeinbildung könne in einer Einheitsschule auch nicht sehr tiefgehend sein. Die Frage der Schulgeld- und Lernmittelfreiheit wurde von evangelischer Seite vor allem auf das Privatschulwesen bezogen. Man sah es gefährdet und fürchtete, daß der Abstand zum katholischen Schulwesen noch größer würde.32 Im Hinblick auf die traditionsreichen, von Klöstern unterhaltenen katholischen Privatschulen mochte die

28 BayHStA München. StK 113968. Schreiben des Evang.-Luth. Landeskirchenrats Nr. 1238 (gez. Meiser) am 26.1.1948 an die Militärregierung, München. Betreff: Schulreform. Mit „durchstrichen“ ist wohl gemeint: mißachtet oder eliminiert. 29 Ebda. 30 siehe S. 243. 31 BayHStA München. StK 113968. Schreiben des Evang.-Luth. Landeskirchenrats Nr. 1238 am 26.1.1948 an die Militärregierung, München. 32 Huelsz, S. 80. Sie zitiert Synodalberichte, Tagung XII, S. 31 ff.

281 Sorge berechtigt sein. Jedenfalls hörte man nicht auf, diese Frage immer wieder anzuspre- chen und der Militärregierung, da sie auf ihrer Forderung bestand, vorzuwerfen, sie wolle die ganze Reform durch Diktat erzwingen.33

7.2. DIE DISKUSSION UM DAS HUMANISTISCHE GYMNASIUM

Aus der Debatte um eine vier- oder sechsjährige Grundschuldauer entwickelte sich zunehmend die Frage um das Schicksal der höheren Schulen, die im Falle von sechs Jahren gemeinsamer Grundschule verkürzt werden mußten. Es erhob sich vor allem der Protest gegen eine Verminderung der alten Sprachen; ja, zeitweise schien in der Öffentlichkeit jeg- liche Schulreformdiskussion reduziert zu sein auf die Frage: humanistisches Gymnasium oder nicht? Für Kultusminister Hundhammer war die Beibehaltung bzw. Stärkung der humani- stischen Gymnasien ein wichtiges Anliegen. Später schrieb er dazu: „Die amerikanische Vor- stellungswelt ... stand im höheren Schulwesen einer Wiedereinführung der alten Sprachen, also von Latein und Griechisch, skeptisch gegenüber. Viele im Lande, auch ich selber, erkann- ten jedoch das Festhalten am klassischen alten Kulturgut Europas als zweckmäßig und rich- tig... (S)o schien doch eine Loslösung vom griechisch-römischen Kulturgut, auf dem der europäische Geist und die europäischen Kulturen beruhen, nicht zu verantworten zu sein.“1 Noch in dem am 31. Januar 1948 vorgelegten, mit den Anweisungen der Militärregierung übereinstimmenden Schulreformplan versuchte er, das altsprachliche Gymnasium zu retten, indem er zu prüfen bat, ob der Zweig C einer differenzierten Einheitsschule nicht mit geson- derten Lehrplänen geführt und der Übertritt von der Grundschule in den Zweig C nicht schon nach dem fünften Schuljahr ermöglicht werden könne, denn das würde die Ausbil- dung in Zweig C auf sieben Jahre verlängern und die „Weiterführung einer dem bisherigen Humanistischen Gymnasium entsprechenden Bildung wesentlich erleichtern“.2 Hundham- mer bestätigte auf der gesamtdeutschen Konferenz der Erziehungsminister in Stuttgart Ende Februar 1948, daß er „noch nicht ganz die Hoffnung aufgegeben (habe), daß es möglich sein könnte, das Gymnasium und den realistischen Zug als eine gesonderte Anstalt mit einem eigenen Lehrplan fortführen zu können. Mir scheint die große Bedeutung des huma- nistischen Bildungsguts durchaus eines sehr ernsten Bemühens um seine Erhaltung wert zu sein.“ 3 Außerdem bekundete er an gleicher Stelle, „daß gerade der Kreis der humanistisch Gebildeten - ... – dem Nationalsozialismus gegenüber die stärkste Widerstandskraft bewies ... und daß die frei Gebildeten am stärksten anfällig gewesen sind“.4 Den Beweis für diese Behauptung trat er nicht an. Auch in der zeitgleich stattfindenden Debatte im Bayerischen Landtag wurde die Bedeutung dieses Gymnasiums beschworen, dessen Vernachlässigung bzw. Abschaffung in letzter Konsequenz „eine Bedrohung der Grundlagen unserer abendländischen Kultur“ dar- stellen würde. Der Schulreformplan der Militärregierung träfe „unsere“ humanistische Bil- dung in der Wurzel, und freiwillig könne man dazu „in diesem Land mit seiner tausend-

33 BayHStA München. MK 53203. Schreiben des Evang.-Luth. Kirchenrats am 27.7.1948 an das Amt der Militär- regierung in Bayern. 1 Hundhammer, Mein Beitrag, S. 10. 2 ACSP München, NL Müller 271. Beilage 1066. Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus Nr. VIII 3003 am 31. Januar 1948 an die Militärregierung für Bayern, Abtl. Erziehung und Religion, München. Betreff: Schulreform. 3 Overesch, Die gesamtdeutsche Konferenz, S. 261. 4 Ebda., S. 268.

282 jährigen christlichen und abendländischen Kultur“ die Zustimmung nicht geben.5 Dieser Aussage des Abgeordneten Meixner (CSU) pflichtete die FDP insofern bei, als ihr Abgeord- neter Korff sagte, daß der Schulreformvorschlag seiner Partei, die „organisch aufgeglieder- te Schule“, geeignet sei, das humanistische Gymnasium weiterzuführen.6 Es kam gegen Ende der Debatte sogar zu einem Antrag, daß die bayerische Staatsregierung mit der ame- rikanischen Militärregierung erneut Verhandlungen aufnehmen solle „mit dem Ziel, im Rah- men der notwendigen demokratischen Erziehungsreform die Kulturtraditionen des huma- nistischen Gymnasiums und unseres höheren Schulwesens aufrechtzuerhalten“.7 Zu diesem Zeitpunkt fürchtete man in Bayern noch die Reform qua Befehl der Militärregierung und wollte nichts unversucht lassen, um das altsprachliche Gymnasium zu retten. Auch die Kirchen waren sehr daran interessiert. Alois Hundhammer berichtete spä- ter, daß von kirchlicher Seite „eine starke Berücksichtigung der humanistischen Grundlinie nachdrücklichst erbeten“ worden sei.8 In seinem Schreiben vom 7. März 1947 an das Kul- tusministerium betonte Kirchenrat Lic. Schmidt, daß es ein spezifisch kirchliches Interesse an der höheren Schulbildung gebe, da „in erster Linie an die Ausbildung der Geistlichen zu den- ken“ sei. Aufgrund dieser Überlegungen habe die Kirche „ein vitales Interesse an der Erhal- tung der humanistischen höheren Lehranstalten“.9 Die Einführung einer Einheitsschule sei ein Schlag gegen die Pfarrerausbildung.10 Schmidt begründete sein Eintreten für das huma- nistische Gymnasium auch damit, daß sich „(d)as Herrenmenschentum des Nationalsozia- lismus ... unter bewußter Abkehr von dem Bildungsprinzip der überlieferten höheren Schu- le, besonders des Gymnasiums, entwickelt“ habe.11 Katholischerseits führte man ins Feld, daß das humanistische Gymnasium unentbehrlich sei „für das deutsche Kultur- und Gei- stesleben, das mit tausend Wurzeln mit der Antike verbunden“ sei. Humanistische Bildung aber erfordere Zeit, um gründlich vermittelt zu werden. Betrachte man die jüngste deutsche Geschichte, so könne belegt werden, daß die „gründlich humanistisch gebildeten Männer“ – von Frauen ist in diesen Briefen nie die Rede – viel weniger dem Nazismus verfallen seien als andere Menschen.12 Unterstützung erhielten Kultusminister und kirchliche Kreise auch aus den Reihen der Wissenschaft. Eine „Arbeitsgemeinschaft für deutsche Fragen“ an der Universität Chi- cago, deren Mitglieder emigrierte deutsche Professoren waren, veröffentlichte ein Memo- randum, das sich mit den Empfehlungen der Zook-Kommission auseinandersetzte, sich aber besonders des höheren Schulwesens in Deutschland annahm. Die Überzeugung der Unter- zeichneten (u. a. Ludwig Bachhofer, Arnold Bergstraesser, Max Rheinstein, Hans Rothfels, Hans Stefan Schultz) war es, daß die humanistische Tradition verstärkt werden solle „als einer der wertvollsten Wege zur Erziehung des Verstandes und des Gewissens und zur Weckung des Bewußtseins von den gemeinsamen Grundlagen der abendländischen Kul- tur“.13 Zur weiteren Begründung hieß es, „daß mit der Schwächung der humanistischen Bil- dung ein entschiedener Schritt in der Vorbereitung des totalen Staates getan wurde, und

5 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 48. Sitzung am 29.1.1948, S. 664. 6 Ebda., S. 666. 7 Ebda., 49. Sitzung am 30.1.1948, S. 708. Der Antrag wurde mit großer Mehrheit (CSU) bei Stimmenthaltung der SPD, FDP, WAV und des Deutschen Blocks angenommen. 8 Hundhammer, Mein Beitrag, S. 10. 9 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Schreiben des Oberkirchenrats Lic. Schmidt am 7.3.1947 an das Staatsministe- rium für Unterricht und Kultus. Betr.: Erziehungsprogramm entsprechend der Zuschrift der OMGUS. 10 Huelsz, S. 80; BayHStA München. MK 53203. Schreiben des Evang.-Luth. Landeskirchenrats am 27.7.1948 an das Amt der Militärregierung f. Bayern. 11 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Schreiben des Oberkirchenrats Lic. Schmidt am 7.3.1947 an das Staatsministe- rium für Unterricht und Kultus. Betr.: Erziehungsprogramm entsprechend der Zuschrift der OMGUS. 12 BayHStA München. StK 113968. Schreiben des Abtes des Benedictinerklosters Ettal, Dr. Angelus Kupfer, am 15.3.1947 an die Bayerische Staatskanzlei, München. Gedanken zur geplanten Schulreform in Bayern. 13 ACSP München. NL Müller 271. Höheres Schulwesen in Deutschland. Ein Memorandum über den Bericht der United States Education Mission to Germany. Chicago, Illinois. Oktober 1947, S. 7.

283 daß die Erziehungspolitik des nationalsozialistischen Regimes dem humanistischen Zweig der höheren Schulen nicht nur unfreundlich gegenüberstand, sondern die Anzahl dieser Schulen verringerte und ihren Einfluß auf die Unabhängigkeit des Denkens zu untergraben bestrebt war“.14 Zu diesem Memorandum meinte der Direktor der Erziehungsabteilung der Militärregierung, Alexander – ihm wurde nachgesagt, er stehe „unter dem Einfluß von radi- kalen Beratern“15 -, es hätte sehr gut vom bayerischen Erziehungsminister geschrieben sein können; denn in der Tat gab es genau dessen Standpunkt zur Schulreform wieder.16 Auch von den in Deutschland lebenden Wissenschaftlern und Fachleuten kamen kritische Schreiben. Die Fakultäten der Universität München beschworen die Gefahr einer Zerschlagung des Aufbaus der höheren Schulen, an denen nun nicht genügend Zeit bleibe für das ernsthafte Studium vor allem der alten Sprachen, wo doch gerade sie benötigt wür- den, um dem Ruf nach Erneuerung der abendländischen Kultur gerecht zu werden.17 Das humanistische Gymnasium mit „grundständigem Latein“ dürfe, nach Ansicht der Landes- verbände der Lehrer an Höheren Schulen in der amerikanischen Zone, „unter keinen Umständen fehlen“.18 Die Lehrer der höheren Lehranstalten Bayreuths warfen der differen- zierten Einheitsschule vor, sie mache „die Pflege des antiken Erbes unmöglich“; und da Latein für alle und Griechisch für viele Akademiker unerläßlich sei, würde dieser Mangel Deutschland „aus der höheren geistigen Gemeinschaft mit anderen Kulturnationen aus- schalten“.19 Im Gutachten der Bayerischen Akademie der Wissenschaften zur Schulreform wurde erläutert, daß der Erhalt des humanistischen Gymnasiums ein „sehr ernsthaftes natio- nales Anliegen“ sei, denn abgesehen davon, daß ein tieferes wissenschaftliches Verständ- nis von Antike und Christentum nicht zuletzt an den klassischen Sprachen hänge, komme für die Deutschen hinzu, „daß ohne humanistische Bildung das Verständnis unserer Klassi- ker sehr erschwert“ sei. Diese Kulturwerte seien aber vor allem wichtig für die „innere Gesundung unseres Volkstums“, und die „Fundamente der abendländischen höheren Bil- dung“ blieben nur dann tragfähig, „solange der geistig führende Teil des Volkes mit ihnen in unmittelbarer Verbindung“ bleibe.20 Im Gutachten der Universität München verlangte man schließlich, daß dem humanistischen Gymnasium der ihm gebührende Platz belassen und nicht ein Traditionsbruch nach Art des Nationalsozialismus vollzogen werde. Das sei, betrachte man die deutsche Kultur und ihre antiken Wurzeln, eigentlich eine Selbstver- ständlichkeit.21 Daß sich die Beiträge der Universität München und der Bayerischen Akade- mie der Wissenschaften so ähnelten, war kein Zufall, denn federführend zeichnete jeweils Professor Albert Rehm von der Philosophischen Fakultät.

14 ACSP München. NL Müller 271. Höheres Schulwesen in Deutschland. Ein Memorandum über den Bericht der United States Education Mission to Germany. Chicago, Illinois. Oktober 1947, S. 4. Bestätigt wird diese Argu- mentation z.B. von dem Schriftsteller Horst Krüger, von 1930 bis 1939 Schüler des Grunewald-Gymnasiums in Berlin, der berichtet, wie diese „elitär-liberale Kadettenanstalt für Humanisten ... preußisch und protestan- tisch“ sich ab 1933 unter dem neuen Direktor, Parteimitglied, lautlos wandelte. Nun, so wurde den Schülern erklärt, sei es vorbei mit der „humanistischen Gefühlsduselei, die diese Schule lange genug der nationalen Revolution entfremdet habe ...“ (Horst Krüger: Das Grunewald-Gymnasium. Eine Erinnerung an die Banalität des Bösen. In: Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.), Meine Schulzeit im Dritten Reich. Köln 1982, S. 41 ff). 15 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Schreiben des Oberkirchenrats Lic. Schmidt am 27.4.1948 an Hans Steinmeyer, Öttingen. Betr.: Schulreform. 16 Bungenstab, S. 53. 17 Dokumente zur Schulreform, S. 177 f. Rundschreiben der Fakultäten der Universität München, Januar 1948, betreffend Erklärung zur Schulreform. 18 LKAN. LKR VI 1100 (3064). Entschließung der Landesverbände der Lehrer an Höheren Schulen in der ameri- kanischen Zone, Heidelberg, am 4.5.1948. 19 BayHStA München. StK 113968. Die Lehrer der höheren Lehranstalten Bayreuths am 16.1.1948 an die Bayeri- sche Staatsregierung. Zur Frage der beabsichtigten Schulreform. 20 Dokumente zur Schulreform, S. 80. Der Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München, am 13.6.1947 an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Schulreformfragen. 21 Ebda., S. 84. Schreiben der Universität München am 14.6.1947 an das Bayerische Staatsministerium für Unter- richt und Kultus. Betreff: Schulreformfragen.

284 7.3. DIE FRAGE DER SECHSJÄHRIGEN GRUNDSCHULZEIT UND DER VERLÄNGERUNG DER SCHULPFLICHT

In engem Zusammenhang mit der Diskussion darüber, ob die differenzierte Ein- heitsschule oder das Gymnasium, vor allem das humanistische, die Deutschen zur wahren demokratischen Einstellung führen würde, stand für die Gegner der amerikanischen Schul- reformpläne die Frage der gemeinsamen Grundschulzeit für alle Kinder. Das „Absinken der Bildungshöhe“ würde nach ihrer Ansicht die unausbleibliche Folge einer sechsjährigen Grundschule sein, denn es bleibe zu wenig Zeit, in den wenigen Jahren der differenzierten höheren Schule profunde Kenntnisse zu erwerben.1 Kenner des amerikanischen Schulsy- stems monierten, daß die Zook-Kommission und in ihrem Gefolge die amerikanische Militär- regierung gleichsam das High-School-System nach Deutschland verpflanzen wollten, ohne zugleich die in den USA üblichen, der High School folgenden Colleges einzuführen. Hier nämlich würden die Aufgaben wahrgenommen, die in Deutschland bisher in den oberen Klassen der höheren Schulen erfüllt worden waren: eine vertiefte allgemeine und fachliche Bildung mit hohen Anforderungen, die zur Vorbereitung auf die Universitäten unverzicht- bar seien. Selbst in Amerika wachse die Kritik an den High Schools, die zwar befriedigende Erfolge in der Erziehung zu demokratischer Lebensweise im Maschinenzeitalter verzeichnen könnten, aber „weder eine angemessene Vorbereitung für höhere Studien vermittelt(en), noch (den Schüler) mit den grundlegenden Erfordernissen einer allgemeinen Bildung aus- stattet(en)“. Ein Mangel an „geistiger Disziplin“ und eine „unzureichende Ausbildung in klassischen und modernen Sprachen“ seien die Folgen der nicht systematisch aufgebauten Lehrpläne, der übertriebenen Anzahl von Wahlfächern und des Rechts des Schülers, sich unzusammenhängende Kurse auszuwählen. Ohne die Ergänzung durch Colleges oder pri- vate höhere Schulen würde das Erziehungssystem unvollständig bleiben.2 Und dazu fehlte es in Deutschland am Geld. Ein weiteres Argument gegen die gemeinsame längere Grund- schulzeit war die Sorge um die befähigten Schüler, für die man eine Vergeudung wertvollster Zeit3 und Unterdrückung ihrer Begabung befürchtete. Zugunsten des Mittelmäßigen wür- den „dem Begabten und Genialen unerträgliche Fesseln angelegt“ werden,4 der befähigte Schüler würde sich im Unterricht langweilen und „verbummeln“,5 und das soziale Moment rechtfertige „keineswegs eine Benachteiligung der begabten Zehnjährigen durch Verlänge- rung der Grundschulzeit“.6 Denn wenn es „bei der Entwicklung sozial-ethischer Anlagen nur auf das rein äußerliche Beisammensein ankäme, dann müßten gerade im Dritten Reich wahre Wunder an sozialer Erziehung vollbracht worden sein.“7 Weite Kreise auch in der Bevölkerung lehnten die sechsjährige Grundschulzeit ab, weil man eine Beeinträchtigung

1 Dokumente zur Schulreform, S. 77. Der Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften am 13.6.1947 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus; BayHStA München. StK 113968. Schreiben der Lehrer der höheren Lehranstalten Bayreuths am 16.1.1948 an die Bayerische Staatsregierung; ACSP Mün- chen. NL Müller 271. Memorandum der Arbeitsgemeinschaft für deutsche Fragen über den Bericht der Uni- ted States Education Mission to Germany. Oktober 1947. 2 ACSP München. NL Müller 271. Memorandum der Arbeitsgemeinschaft für deutsche Fragen über den Bericht der United States Education Mission to Germany. Oktober 1947; vgl. dazu: Gustav König: Bildungspolitische Probleme der Gegenwart (Zum Umbau des deutschen Schulwesens). Hrsg. von dem Presseausschuß des Lan- desverbands Nordbaden für Lehrer an Höheren Schulen, o.J., S. 7 (LKAN. LKR VI 1100a [3064]). 3 BayHStA München. StK 113968. Schreiben der Lehrer der höheren Lehranstalten Bayreuths am 16.1.1948 an die Bayerische Staatsregierung. 4 ACSP München. NL Müller 27. Oberstudienrat Wolfgang Kiener, Cham, auf dem Pädagogischen Kongreß der CSU in Rothenburg o.T., 13.-17.8.1947. 5 Dokumente zur Schulreform, S. 79. Der Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften am 13.6.1947 an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 6 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Gustav König: Bildungspolitische Probleme der Gegenwart, S. 7. 7 Ebda., S. 6.

285 des Niveaus der höheren Schule befürchtete8 und meinte, daß Gleichmacherei und Nivellie- rung der Ansprüche immer dazu führen würden.9 Die Frage der neun Jahre dauernden Schulzeit, die ebenfalls von der Militärregie- rung gefordert worden war, war – im Gegensatz zu den Überlegungen in Verbindung mit dem humanistischen Bildungsideal und der Auslese der Zehnjährigen – Gegenstand prag- matischerer Erörterungen. Der bayerische Senat beispielsweise legte in einem Beschluß nie- der, daß Schulreform nicht nur von pädagogischen und weltanschaulichen Erwägungen her zu bedenken sei, sondern daß die herrschenden schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse und praktischen Bedürfnisse ebenso grundlegend seien. Ein neuer Schulreformplan solle den wirtschaftlichen und kulturellen Erfordernissen weitgehend gerecht werden.10 Die Arbeits- gemeinschaft der bayerischen Industrie- und Handelskammern gab zwar zu, daß im Augen- blick erschreckend mangelhafte Volksschulleistungen zu verzeichnen seien, lehnte aber trotzdem ein neuntes Schuljahr ab, „weil es aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen für weite Kreise unseres Volkes nicht tragbar“ sei. Wolle man die Schulpflicht erweitern, müsse man zuvor die Personal- und Raumverhältnisse entsprechend verbessern. Außerdem werde durch ein zusätzliches neuntes Schuljahr ein ganzer Jahrgang Jugendlicher der praktischen Ausbildung in den Betrieben vorenthalten; die Verhältnisse seien aber derzeit so, daß das Land sich einen späteren Eintritt von ca. 100 000 Jugendlichen in das Berufsleben nicht lei- sten könne. Infolge des Krieges fehlten in Bayern 550 000 männliche Arbeitskräfte im Alter von 20 bis 40 Jahren.11 Vor allem auch in den Landgemeinden fand das neunte Pflicht- schuljahr keine Freunde, sondern schroffe Ablehnung.12 Die Bauern fürchteten den Arbeits- kräfteausfall der Kinder.13

7.4. AMERIKANISCHE BEMÜHUNGEN UM AKZEPTANZ

Im Herbst 1948 unternahm die amerikanische Militärregierung noch einmal ver- stärkt Bemühungen, um ihr Reorientierungsprogramm durch „persuasion“ durchzusetzen. Sie war ermächtigt worden, eine kleine Zahl von Offizieren für die Arbeit einzusetzen, die für kulturelle Angelegenheiten, also Demokratisierung im Bildungsbereich, erforderlich war. 2,4 Millionen Dollar aus dem Regierungsfonds wurden für die folgenden zwei Jahre bewil- ligt.1 van Wagoner, Landesdirektor der Militärregierung für Bayern, erklärte das Vorhaben im November 1948 bei einem Seminar für Militärregierungsoffiziere: „Wir sind jetzt damit beschäftigt, dem Verlauf der Geschichte und der Tradition eine neue Richtung zu geben ... Das Volk ist die Hoffnung unserer Mission, wir müssen unsere Hoffnungen auf das Volk set- zen .... Es ist schwierig, das Denken eines Bürokraten, eines Politikers der alten Schule [sic!] und des professoralen bemoosten Hauptes zu verändern.“ Die Reorientierungsoffiziere soll- ten wie christliche Missionare arbeiten. Auch jene bemühten sich um die Ausbreitung einer

8 Kleßmann, S. 94. 9 Braeker, S. 9. 10 BayHStA München. StK 113968. Antrag der Senatoren Dr. Michel und Thoma betreffend Schulreformplan, am 21.10.1949 in öffentlicher Sitzung beschlossen. 11 Dokumente zur Schulreform, S. 234 ff. Schreiben der Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Industrie- und Handelskammern, München, am 18.6.1948 an Ministerpräsident Ehard. Betrifft: Schulreform. In diesem Schreiben sprach man sich auch gegen eine „nebenamtliche“ Wahrnehmung der Berufsberatung an den Schulen aus. Die amerikanische Militärregierung hatte dies gewünscht. 12 BayHStA München. MK 61322. Bericht der Regierung von Mittelfranken am 13.1.1949 an das Staatsmini- sterium für Unterricht und Kultus. Betreff: Stand des Volksschulwesens. 13 Erker, Vom Heimatvertriebenen, S. 41.

1 Gimbel, S. 324.

286 Religion, „deren Grundlage die Menschenwürde sei“. Zu dem geplanten Programm gehör- ten öffentliche Foren und Bürgerversammlungen.2 Überall liefen die Diskussionsabende an. Bereits im Mai fanden sich zum ersten Mal in Nürnberg zahlreiche Zuhörer ein, als ein fünfköpfiges Gremium, bestehend aus Oberst Barnett von der Militärregierung, Rektor Dr. Brenner, Stadtschulrat Barthel und je einem Ver- treter von Eltern- und Schülerschaft, einen Meinungsaustausch über den Schulreformplan für Bayern anbot. Diskutiert wurde der amerikanische Plan, „der die sechsklassige allge- meine Grundschule und je drei Klassen Mittel- und Oberschule für die verschiedenen Inter- essengebiete“ vosah.3 Im weiteren Verlauf des Jahres 1948 berichteten die Schulämter über diese Veranstaltungen. So schrieb der Bezirksschulrat aus Naila, daß die Amerikaner „(i)m Rahmen des Demokratisierungsprogramms“ Schmaltonfilmvorführungen in den Schulen des Bezirks anbieten würden. Außerdem hätten in Naila und Bad Steben „gut besuchte Dis- kussionsabende über die Schulreform“ stattgefunden, auf denen deutschsprechende Ame- rikaner referierten. Es sei zu „lebhaften Aussprachen und Debatten“ gekommen.4 Auch der Schulrat des Landkreises Pegnitz berichtete vom regen Anteil der Bevölkerung an den Aus- sprachen. In Verbindung mit der Militärregierung waren dort „Sprechabende“ zum Thema Schulreform abgehalten worden.5 Im unterfränkischen Mellrichstadt bereitete die Militärre- gierung durch ein Rundschreiben auf die Diskussionsabende vor, denn es schien ihr „nutz- los“, über Schulreform zu debattieren, „ohne daß die Bevölkerung über die erzieherischen Absichten der Militärregierung in Bezug auf die Schule ins Bild gesetzt wurde ...“6 In diesem Informationsschreiben wurde den Lesern mitgeteilt, daß die Schulreform-Prinzipien nicht amerikanischen Ursprungs seien, sondern daß der Plan selbst von bayerischen Beamten im Erziehungsministerium (sic!) vorbereitet worden war. Es handelte sich um den am 1. Febru- ar 1948 von Hundhammer so widerwillig abgegebenen dritten Reformplan, und die örtli- che Militärregierung sagte dazu, daß „ein Minimum grundsätzlicher Prinzipien der Erzie- hungsreform durch die alliierten Kontroll-Dienststellen abgestimmt“ worden sei,7 ohne zu erwähnen, wie zäh und zögerlich die Verhandlungen verlaufen waren. Vom Landratsamt Dinkelsbühl wurde mitgeteilt, daß in fast allen Gemeinden des Kreises vom Schulrat „Ver- sammlungen über die Schulreform abgehalten“ worden seien, die sehr gut besucht waren.8 Aus demselben Bezirk wurde mitgeteilt, daß in „6 größeren Schulgemeinden mehrstündige Diskussionsabende über die kommende Schulreform durchgeführt“ worden seien. „Nur ver- einzelt, in der Regel, wenn der Bürgermeister schulfreundlich eingestellt ist, wurden die Min- destforderungen der Schulreform begrüßt oder nicht bekämpft.“9 Es schien bei diesen Veranstaltungen sehr wichtig zu sein, wer das Reformprogramm vertrat und wie es vertreten wurde. Das zeigte sich auch in Kommentaren aus dem Ausland. Der „Socialist Leader“, eine sozialistische britische Wochenzeitschrift, bemängelte das Vor-

2 Ebda., S. 325. 3 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 3.5.1948. Diskussion über die Schulreform. (NN 5.5.1948). 4 BayHStA München. MK 61322. Bericht des Bezirksschulamtes Naila am 28.10.1948 an die Regierung von Oberfranken. Stand des Volksschulwesens. 5 Ebda., Bericht des Schulrats des Landkreises Pegnitz am 29.10.1948 an die Regierung von Oberfranken. Stand des Volksschulwesens. 6 Ebda., MK 53203. Rundschreiben der Militärregierung in Mellrichstadt (Ufr) am 1.7.1948. Betr.: Schulreform. An: Alle interessierten Personen. 7 Ebda. 8 StAN. Landratsamt Dinkelsbühl. Abgabe 1992, Nr. 70. Schreiben des Landratsamts Dinkelsbühl am 5.1.1949 an die Regierung von Mittelfranken. Betr.: Monatsbericht für Dezember 1948. 9 BayHStA München. MK 61322. Bericht der Regierung von Mittelfranken am 13.1.1949 an das Staatsmini- sterium für Unterricht und Kultus.

287 gehen der Amerikaner. Generell sei es so, daß die Bayern den Aktivitäten der Militärregie- rung mit derselben Ablehnung begegneten wie denen des Nazi-Systems, da diese erneute Einmischung von außen von einem Volk käme, das sie „als genau so materialistisch und gottlos betrachteten wie die Nazis“. Die Autorin des Artikels bezeichnete es als grotesk, daß ein Erziehungsoffizier nach Eichstätt geschickt worden war, um die Schulreform zu ver- deutlichen, der selbst nicht deutsch sprach. Seine Rede sei „Satz für Satz ... für die Leute, deren Erziehungssystem er neu zu organisieren vorschlug,“ übersetzt worden. Er hätte aber zwei Dinge mitbringen müssen, damit die dort versammelten Lehrer ihn ohne Vorurteile hät- ten anhören können: die deutsche Sprache beherrschen und Katholik sein. Denn, so fragte sie, „wie soll ein Nicht-Katholik die Erziehungsprobleme eines katholischen Volkes verste- hen“?10 Sie verglich das Vorgehen der Franzosen in deren Zone, die sich weniger einmisch- ten und sich damit begnügten, Besatzungsmacht zu sein und die Besatzungszone dafür zah- len zu lassen. Trotzdem seien sie nicht so unbeliebt. Man verachte sich gegenseitig, aber wenigstens hätten die Franzosen eine katholische Tradition und ersparten den Deutschen eine ungeschickte Patronage. Die in Eichstätt zu schulenden Lehrer hätten zugegeben, daß sie ohne Vertrauen die freundlichen Reden hörten, denn solche hätten sie auch von den Nazis vernommen. Sie glaubten, daß ein Erziehungssystem zerstört werde, von dem sie überzeugt seien, es sei das beste. Die amerikanischen Ideen seien nicht für Bayern geeignet, denn sie seien materialistisch, die Bayern aber katholisch. Und so wollten sie ihre Jugend erziehen. Für die amerikanische Lebensweise hegten sie wenig Sympathie, und die demo- kratischen Ideen stießen nicht auf Gegenliebe. Wer keine Tradition habe, habe auch keine Autorität; und wo der „geistige Hintergrund“ fehle, könne kein Vertrauen entstehen. Die bayerischen Lehrer, resümierte die Autorin, hätten, wie sie selbst bestätigten, Vorurteile und seien konservativ; aber diese Haltung verlange Achtung und Sympathie.11 Pointierter noch urteilte Wilhelm Röpke in der Neuen Züricher Zeitung. Er brach Kul- tusminister Hundhammer eine Lanze, indem er erklärte, es müsse erlaubt sein, „bayerisch, katholisch und konservativ zu sein, andernfalls man aufhören soll(e), weiterhin von Födera- lismus in Deutschland zu reden“.12 Unerträglich fand er es, daß die von den Nationalsozia- listen begonnene Zerstörung der humanistischen Bildung nun vollendet werde, da man im Namen des Fortschritts und der Demokratie das Schulwesen zerstöre. Gerade in Bayern seien am wenigsten „Reserveoffizierstypen, ... künftige Korpsstudenten ... und Hugenbergdeut- sche“ an den humanistischen Gymnasien gediehen. Auch könne man die „deutsche Fehl- entwicklung“ nicht einer elitären Schulbildung anlasten, denn das deutsche Schulsystem sei das in ganz Europa vorherrschende, und einzelne Länder würden an Exklusivität das Schul- wesen Deutschlands weit übertreffen. „Der Zugang zu den sozial führenden Schulen (sei) in Deutschland von jeher außerordentlich viel billiger gewesen als in der gesamten angel- sächsischen Welt.“13 Der bayerische Kultusminister, meinte Röpke, vertrete kulturpolitische Ansichten, die sich nicht wesentlich von denen der Partei De Gasperis unterschieden.14 Eine Stimme aus dem Volke vermerkte, daß die von der Militärregierung befohlene Schulreform

10 Ebda., MK 53203. Übersetzung des Artikels von Ethel Mannin: Bayern und die Schulreform. In: The Socialist Leader, London, 20.11.1948. Mannin war Pazifistin, Schriftstellerin und Mitarbeiterin der Zeitschrift. Sie hatte zum Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels eine Studienreise durch die US-Zone hinter sich. 11 Ebda. 12 Ebda., Neue Züricher Zeitung Nr. 77 vom 18.3.1948. Auszugsweise abgedruckt im Rheinischen Merkur Nr. 14 vom 3.4.1948. 13 Ebda. 14 Ebda.

288 nicht nur mangelhaft sei, sondern auch despotisch aufgezwungen werde.15 Andere Kom- mentatoren verurteilten das „kulturelle Chaos“ und den Partikularismus in dem „zerrisse- nen Vaterlande“.16 Es gab auch die Frage, ob die Besatzungsmächte das Recht hätten, Schulreformen zu verfügen und bis in Einzelheiten gehende Forderungen zu stellen. Walter Guggenheimer antwortete ambivalent: Ja, solange sie die Ersatzregierung auf Zeit darstellten und die demo- kratische Entwicklung zu kontrollieren hätten; nein, wenn deutsche Instanzen wieder arbei- teten; und weil erkannt worden sei, daß „die Entwicklung die alliierte Praxis teilweise wider- legt“ habe.17 Für manche Angehörigen der Militärregierung allerdings reichte das, was die Bayern zum Schluß vorgelegt hatten, noch gar nicht aus, schien die „Absonderung der Schüler voneinander ... immer noch größer (zu sein) als in einer demokratischen Schule wün- schenswert“.18 Von anderer Seite wurde davor gewarnt, sich zurück in die „pädagogische Steinzeit“ zu begeben, die bereits auf dem Pädagogischen Weltkongreß in Helsingör 1929 für das bayerische Erziehungswesen konstatiert worden war.19 Insgesamt gab es also ein dif- ferenziertes Bild: Die Stellungnahmen bewegten sich zwischen vorsichtiger Akzeptanz und Ablehnung der bayerischen bzw. Verständnis für die amerikanische Haltung.

15 Ebda., Schreiben der Maria-Theresia Putz, München, am 30.1.1948 an die Militärregierung. 16 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Gustav König: Bildungspolitische Probleme der Gegenwart, S. 5. 17 Walter M. Guggenheimer: Schulreform und Besatzungsmacht. In: Frankfurter Hefte. Zeitschrift für Kultur und Politik (Hrsg. Eugen Kogon). 3. Jg. Heft 6, Frankfurt (Main), Juni 1948, S. 488. 18 BayHStA München. MK 53203. Schreiben des Dr. L. J. Brueckner und Dr. W. L. Wrinkle am 31.1.1948 an den Chef der Abtlg. für Erziehung und religiöse Angelegenheiten, Dr. E. T. Alexander. Gutachten über den Schul- reformplan. 19 Die Neue Zeitung, 3. Jg. Nr. 67 vom 22.8.1947. „Keine ‚Pädagogische Steinzeit‘“. Dr. Leo Weismantel spricht zur Erziehungsreform in Rothenburg.

289 8. DIE WALLENBURG-STIFTUNG

Seinen dritten Schulreformplan, der die Forderungen der Militärregierung nun end- lich erfüllte, hatte Kultusminister Hundhammer nur unter schwersten Bedenken abgeliefert, und auch Ministerpräsident Ehard teilte seine Befürchtungen den Amerikanern wiederholt mit. Während eines Gesprächs zwischen der bayerischen und der Militärregierung zur Ver- ständigung über die Probleme, das am 16. Februar 1948 in München stattfand, konnte man sich in einem offensichtlich kritischen Stadium der Verhandlungen darauf einigen, daß ein Gremium von Schulfachleuten, unabhängig von Militärregierung und Kultusministerium, nur dem pädagogischen Gewissen unterworfen, die strittigen Fragen bearbeiten und Lösungsvorschläge unterbreiten sollte.1 Die „Stiftung zum Wiederaufbau des Bayerischen Erziehungs- und Bildungswesens Wallenburg-Kempfenhausen“ wurde mit Stiftungsurkun- de vom 5. April 1948 ins Leben gerufen. Der Zweck der Stiftung war „die Förderung des Erziehungs- und Bildungswesens in Bayern, insbesondere die Planung der auf diesem Gebiet durchzuführenden Reformen“.2 Die Abteilung Erziehungswesen der Militärregierung stell- te einen Betrag von vorerst 500 000 Reichsmark - die Stiftungsurkunde nannte ein „Grund- stockvermögen“ von 25 000 RM -3 zur Verfügung, der aus Mitteln der Neuen Zeitung ent- nommen wurde. Damit sollten insbesondere die Umerziehung im demokratischen Sinne und die Vorbereitung der Durchführung der Schulreform finanziert werden. Außerdem drängte die Militärregierung darauf, daß diese Arbeit an einem Ort in der Nähe Münchens aufge- nommen würde, der sich zur Aufnahme von Kommissionen und zur Veranstaltung von Tagungen eignete.4 Mit dem Schloßgut Wallenburg bei Miesbach hatte man bald diesen Ort gefunden. Das Schloß war aus jüdischem Besitz (Dr. Richard Gans) im April 1943 zwangs- weise enteignet und Staatseigentum geworden. Alliierte Truppen hatten es bis Dezember 1947 belegt.5 Das Direktorium der Wallenburgstiftung tagte zunächst in München, dann in dem hergerichteten Schloß und ab dem 1. Dezember 1948 in Kempfenhausen am Starn- berger See.6 Die Militärregierung hatte ursprünglich gewünscht, die Stiftung „Wilhelm-von- Humboldt-Stiftung“ zu benennen,7 jedoch wurde sie unter dieser Bezeichnung nicht bekannt und in der Stiftungsurkunde auch nicht so benannt. In dieser Urkunde wurde fest- gelegt, daß der Vorstand ein Kuratorium aus fünf Mitgliedern sein solle, drei Mitglieder ernannt vom Staatsministerium für Unterricht und Kultus, zwei von der Militärregierung.8 Die vom Ministerium bestimmten Mitglieder waren zunächst Oberstudiendirektor Küspert, Bamberg, Stadtschulrat a.D. Weigl, Gräfelfing, und Staatsrat Emmert.9 Die Militärregierung wollte als Kuratoriumsmitglieder den jeweiligen Leiter ihrer Abteilung für Erziehung und reli- giöse Angelegenheiten und den Abteilungsleiter bestimmen.10 Paragraph 6 der Stiftungs- urkunde besagte: „Die Stiftung untersteht der unmittelbaren Aufsicht des Staatsministeri-

1 Buchinger, S. 68. 2 BayHStA München. MK 49729. Stiftung zum Wiederaufbau des Bayer. Erziehungs- und Bildungswesens Wal- lenburg-Kempfenhausen. Stiftungsurkunde. 5.4.1948. 3 Ebda. 4 Ebda., Schreiben des Ministers für Unterricht und Kultus am 8.3.1948 an das Finanzministerium. 5 Ebda., Schreiben des Dr. Wilhelm Diess, Testamentsvollstrecker des verstorbenen Richard Gans, am 16.12.1947 an das Kultusministerium. 6 Buchinger, S. 70. 7 BayHStA München. MK 49729. Vormerkung vom 30.3.1948 zur Stiftungsurkunde. Staatsrat Meinzolt an das Referat 12. 8 Ebda., Stiftung zum Wiederaufbau des Bayer. Erziehungs- und Bildungswesens Wallenburg-Kempfenhausen. Stiftungsurkunde. 5.4.1948. 9 BayHStA München. MK 49729. Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Nr. 23354 A vom 16.4.1948. 10 Ebda., Besprechung bei der Militärregierung am 15.4.1948.

290 ums für Unterricht und Kultus.“11 Abweichend davon teilte das Ministerium ein Jahr später der Landtagsfraktion der SPD auf Anfrage mit, daß es sich bei der Stiftung „nicht um eine Angelegenheit des bayerischen Staates, sondern um eine Einrichtung der amerikanischen Militärregierung ...“ handele. Das Staatsministerium sei zwar vertreten, „aber nur um sich zu orientieren. Die Leitung des Ganzen (sei) einem Ausschuß übertragen ...“12 Auch Mit- glieder des Ausschusses betonten ihre Unabhängigkeit, sowohl von der Militärregierung als auch vom Ministerium,13 aber in dem zunächst gebildeten, sehr wichtigen Zielausschuß wirkten z.B. Ministerialrat Vogelhuber und Domkapitular Zinkl mit, die gewiß im Interesse des Kultusministers arbeiteten. Andererseits sollte die Anwesenheit der Erziehungsoffiziere doch wohl den amerikanischen Einfluß auf die bayerische Schulpolitik sicherstellen. Zu den weiteren Mitgliedern des Zielausschusses gehörten „Professor Dr. Wilpert, Passau, Hoch- schule/Dr. Fuchs, München, Berufsschule/ Dr. Bachmeier, München, Berufsschule/ Stadt- schulrat Ederer, München, Volksschule/ Dr. Reichert, Regensburg, Volksschule/ ... Dr. Streh- ler, München, Volksschule/ Fräulein Raab, Freyung, Volksschule/ Dr. Baudrechsel, Kaufbeu- ren, Volkshochschule/ Herr Kopp, Tutzing, Volksschule/ Dr. Lehner, Aschaffenburg, Lehrer- bildung/ Frau Bezzel, München, Elternvertreter/ Herr Weidenbacher, Augsburg, Volksschule/ Dr. Köberlin, München, Höhere Schule/ ... Professor Dr. Lersch, München, Universität.“14 Vogelhuber wurde in diesem Ausschuß für Lehrerbildung genannt, Zinkl für das Ordinariat. In einem Zwischenbericht legte das Direktorium - es setzte sich zu dem Zeitpunkt zusammen aus OStDir. Dr. Weber, München, Stadtschulrat a.D. Weigl, Prof. Dr. Wilpert, Phi- los.-Theolog. Hochschule Passau, OStDir. Dr. Cramer, Fürth,15 R.C. Wooton, Militärregierung - seine Vorgehensweise dar: Der Schulreformplan vom 31. Januar 1948 wurde in Teilgebie- te zerlegt und sieben Ausschüssen zugeordnet. Deren Beratungsergebnisse wurden dann aufeinander abgestimmt und als Gesamtbericht dem Kultusministerium vorgelegt.16 Die Ausschüsse befaßten sich mit den allgemeinen Zielen der Erziehung, Fragen der Volksschu- le, der Berufsschule, der Lehrerbildung auf pädagogischen Instituten von Hochschulrang, der „Höheren Lehranstalten“ und mit der Organisation der neuen Schultypen Realschule und Fachoberschule mit Fachabitur.17 Mitglieder des Volksschulausschusses waren Dr. Rei- chert, Regensburg, Dr. Strehler, München, Frau Wittmann, Augsburg, Rektor Stautner, Mün- chen, Fräulein Schönhuber, München, Rektorin Henn, Würzburg, Rektorin Dr. Zink, Amberg, Schulrat Trötsch, Nürnberg, Rektor Jäger, Würzburg, Dr. Hermann, Vorderbreitenthann b. Feuchtwangen, Herr Kiesewetter, Kleinschwarzenbach, Fräulein Fischer, München, Fräulein Kaiser, Nesselwang b. Kempten, Domkapitular Zinkl, München. In der überwiegenden Zahl waren das Volksschullehrer.18

11 Ebda. Stiftung zum Wiederaufbau des Bayerischen Erziehungs- und Bildungswesens Wallenburg-Kempfen- hausen. Stiftungsurkunde. 5.4.1948. 12 AdsD Bonn. LV Bayern I/168. Landtag (Anträge, Schreiben, Sitzungsprotokolle). Schreiben des Bayer. Staats- ministeriums für Unterricht und Kultus am 20.9.1949 an die Sozialdemokratische Fraktion des Bayer. Land- tags. 13 Adolf Strehler: Die Schulreform in Bayern. In: Wallenburg-Stiftung Kempfenhausen. Die neue Volksschule. München 1950, S. 8. 14 Schule und Gegenwart 2/1949, S. 3. 15 siehe S. 257. 16 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus Nr. 14 vom 16.11.1948, S. 146 f. 17 Schule und Gegenwart 2/1949, S. 2 f. 18 Ebda., S. 5.

291 Eine zunehmende Übereinstimmung zwischen den Absichten des Ministeriums und der Militärregierung wurde festgestellt, wobei letztere sich besonders verständnisbereit zeig- te, als sie dem Wallenburg-Direktorium eine neuerliche Interpretation ihrer Direktiven zukommen ließ, in der es hieß: „Es ist nicht das Ziel der Militärregierung, das deutsche Schul- wesen durch die angestrebte Erziehungsreform zu amerikanisieren.“19 Kultusminister Hund- hammer tat ein übriges und lud Vertreter der Kultusministerien der Länder der amerikani- schen Besatzungszone zu einer Aussprache nach Schloß Wallenburg ein, da es zweckmäßig erscheine, die „in den einzelnen Ländern durchgeführten Planungen aufeinander“ abzu- stimmen oder „mindestens ... gegenseitige Kenntnis über die wesentlichsten Gesichts- punkte der Planungen“ zu erhalten. Die Aussprache fand am 14./15. Dezember 1948 statt. Teilnehmer waren Vertreter der Unterrichtsverwaltungen von Bayern, Baden, Hessen und Württemberg, die Mitglieder des Direktoriums Wallenburg, der Direktor des hessischen Lan- desschulbeirats und ein Vertreter der Militärregierung für Bayern.20 Über das Ergebnis lagen keine Unterlagen vor. Die schwierige Frage der Dauer der gemeinsamen Grundschulzeit konnte aber auch im Zielausschuß der Wallenburgstiftung nicht übereinstimmend gelöst werden. Man fand die Formulierung: „Die Dauer der Grundschule muß so festgelegt werden, daß sie zu kei- nerlei Schädigung der sich allmählich entwickelnden und absetzenden Begabungen führt. Eine unnötige Verlängerung würde den Anspruch der Jugendlichen auf eine ihren Fähig- keiten entsprechende Ausbildung beeinträchtigen, aber auch dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufen, das eine gründliche Ausbildung der wirklich Begabten verlangt.“21 Diese sehr vorsichtig formulierte Aussage konnte ihre Nähe zum Kultusministerium nicht verhehlen. Im Volksschulausschuß wurde zu dem Zeitpunkt jedoch noch die sechsjährige gemeinsame Grundschule postuliert, obwohl man in einem früheren Beschluß eine Differenzierung fest- legen wollte mit einem fakultativen Übertritt in eine höhere Schule nach dem vierten Grund- schuljahr.22 Diese Entscheidungen wurden möglicherweise noch vom Veto der Militärregie- rung bestimmt. Auch der Ausschuß für die Neugestaltung der Gymnasien behandelte ein- gehend die Frage der Grundschuldauer und kam zu dem Ergebnis, daß die Ausdehnung der undifferenzierten Grundschule auf sechs Jahre das Recht der Begabten auf optimale Förde- rung ihrer Fähigkeiten verletzen und damit Art. 128 Abs. 1 (BV) widersprechen würde. Sowohl Volksschul- als auch der Ausschuß für höhere Schulen setzten auf Schulversuche, Erfahrungen und wissenschaftliche Untersuchungen, um die Meinungsverschiedenheiten zu beseitigen.23 Zu diesem Zweck schlug man vor, ein wissenschaftliches Institut zu grün- den. Es war auf amerikanisches Verlangen hin sehr bald ein „Ausschuß für die Gestal- tung der 5. und 6. Volksschulklasse“ gebildet worden. Fast erleichtert klang der Satz über dessen Ergebnisse, nämlich, daß es sich im Falle der Aufnahme von Englischunterricht an der Volksschule „nur um eine Art Gebrauchsenglisch mit wenigen Stunden“ handeln würde. „Die Einführung eines lateinischen Elementarunterrichtes in der 5. und 6. Volksschulklasse wurde als dem Wesen der Volksschule widersprechend abgelehnt.“24 Damit war eigentlich

19 Buchinger, S. 325. 20 Dokumente zur Schulreform, S. 258. 21 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus Nr. 14 vom 16.11.1948, S. 148. 22 Ebda., S. 149. 23 Ebda., S. 156. In seiner Rede „Die Oberrealschule Fürth im Aufbau des bayerischen Bildungswesens nach dem Krieg“, die Dr. Cramer anläßlich der 125-Jahr-Feier der Oberrealschule Fürth im Jahr 1958 hielt, berichtete er: „In dem Ausschuß für höhere Schulen konnten Dr. Wrinkle und Mr. Wooton trotz heftigster Beeinflussungsversuche die 6-jährige Grundschule für Bayern n i c h t durchsetzen; der durch 4 Vertreter der Voksschule erweiterte Aus- schuß für höhere Schulen lehnte bei n a m e n t l i c h e r Abstimmung, die ich forderte, e i n s t i m m i g das amerikanische Verlangen ab.“ (Archiv des Hardenberg-Gymnasiums, Fürth. Festschrift, S. 52.) 24 Ebda., S. 158.

292 die Frage nach Differenzierung und Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Schularten schon beantwortet. Im nächsten „Bericht des Direktoriums für die bayerische Schulreform“, dem Schlußbericht, hieß es immer noch, daß die gemeinsame Grundschule „grundsätzlich 6 Jahre dauern“ solle, daß aber auch „Gründe für eine vierjährige Grundschule geltend gemacht werden können“ und daß „zur Klärung der widersprechenden Meinungen ... (der) Weg des Schulversuchs zu beschreiten“ wäre.25 Vorher (September 1948) hatte sich das Direktorium Wallenburg an die bayerischen Hochschulen gewandt und um gutachtliche Äußerungen gebeten. Sämtliche Hochschulgutachten forderten die vierjährige Grund- schuldauer und lehnten die sechsjährige ab.26 Der Schlußbericht sollte als Grundlage für ein Gesetz über den Ausbau des bayeri- schen Schulwesens dienen, und Staatsrat Meinzolt vom Kultusministerium arbeitete es auch aus. Es lag nach intensiven Gesprächen mit Vertretern des Direktoriums Wallenburg und des Ministeriums bereits in seiner vierten Fassung vor, gelangte jedoch nicht zur Vorlage in den Landtag; unverständlich, da alle Beschlüsse „in enger Fühlungnahme mit den sachverstän- digen Vertretern der Militärregierung und den zuständigen Referenten des Kultusministeri- ums zustande gekommen waren ...“27 Adolf Strehler schrieb später: „Da sich in Bayern die Vorlage an den Landtag verzögerte, wurden ab Schuljahr 49/50 auf dem Verwaltungswe- ge verschiedene Maßnahmen durchgeführt.“28 Kultusminister Hundhammer kündigte dem Landesdirektor des Amtes der Militärregierung für Bayern die Vorbereitung dieser Maßnah- men Ende März 1949 an. Er teilte mit, daß die Aufstellung eines Gesetzentwurfs über den Aufbau des Schulwesens unter Prüfung der Vorschläge geplant sei, daß aber die vordring- lichsten Maßnahmen bereits ohne Verzögerung vorbereitet werden müßten, ohne daß damit der Gesetzgebung vorgegriffen werden sollte. Ob die Maßnahmen aber durchgeführt würden, machte er von den verfügbaren Mitteln abhängig.29 In seinem Schreiben pries er u. a. den Versuch mit den Zubringerklassen an, den er drei Monate später als für geschei- tert erklären ließ.30 Die Militärregierung für Bayern drückte ihrerseits gegenüber Minister- präsident Ehard ihre Genugtuung darüber aus, daß das Schulreformprogramm in Bayern solche Fortschritte gemacht habe, daß das zurückzuführen sei auf die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Kultusministerium und Militärregierung und daß „demokratische Zusammenarbeit die wirkungsvollste Arbeitsmethode“ sei.31 Kultusminister Hundhammer hatte besonders darauf hingewiesen, daß es den „Versuchskreis Weilheim“ geben solle, in dem einige der beabsichtigten Neuerungen, z.B. ein freiwilliges neuntes Volksschuljahr oder die Einführung von Arbeits- und Werkunterricht, erprobt würden.32 Dem Schulrat von Weil- heim wurde am 14. März 1949 mitgeteilt, daß sein Bezirk als „Beispielkreis“ ausgewählt worden sei,33 und eine „Aufklärungsschrift der Stiftung für den Wiederaufbau des bayeri- schen Erziehungs- und Bildungswesens“ informierte über dessen Bedeutung.34 Weilheim

25 Schule und Gegenwart, Nr. 2/1949, S. 2-10. 26 Dokumente zur Schulreform, S. 259. 27 Buchinger, S. 75; Strehler, S. 10. 28 Strehler, S. 10. 29 Dokumente zur Schulreform, S. 281 ff. 30 siehe S. 251. 31 Dokumente zur Schulreform, S. 284 f. Schreiben des Amtes der Militärregierung für Bayern. Amt des Lan- desdirektors MGBEC/E am 15.4.1949 an Ministerpräsident Ehard. 32 Ebda., S. 282. 33 Buchinger, S. 76. 34 Dokumente zur Schulreform, S. 277-281.

293 war ausgesucht worden, da dort „im ganzen eine Grundlage (vorliege), wie sie für ganz Bay- ern auch in Frage (komme).“35 Das ganze Volk müsse sich für diese Aufbauarbeit interes- sieren, natürlich besonders die Eltern, die Geistlichkeit (sic!), „da man von der Wiederauf- bauarbeit vor allem auch umfassende erziehliche Maßnahmen erwarte (...),“ die Lehrer und alle Schulaufsichts- und Verwaltungsbeamten.36 Um die Lehrkräfte des Kreises auf ihre Auf- gabe vorzubereiten, wurden sie nach Kempfenhausen zu einwöchigen Lehrgängen einge- laden, die sich ausschließlich mit den Fragen der inneren Schulreform beschäftigten.37 Das Interesse der Öffentlichkeit schien gering zu sein, denn aus dem Kreis erhoben sich Vor- würfe, daß kein Geld da sei für den Schulversuch und daß auch der Staat nicht viel mehr als moralische Unterstützung gewähre und zudem glaube, bereits nach acht Wochen sichtba- re Ergebnisse auffinden zu können, denn da seien schon die ersten Kommissionen aufge- treten.38 Möglicherweise rührte das Desinteresse bzw. auch Skepsis daher, daß zu wenig Information über die Arbeit im Beispielkreis weitergegeben wurde. Wie wäre sonst eine Le- serzuschrift im Organ des Bayerischen Lehrervereins, der „Bayerischen Schule“, zu verste- hen, in der es hieß, daß man „im Kreis Weilheim ... mit geheimnisvollen neuen ‚Bildungs- waffen‘ ... Versuche“ mache, daß aber niemand wisse, was vor sich gehe.39 Der anonyme Briefschreiber fragte, ob es schon wieder so weit sei, daß Schulreform und ähnliches „Gehei- me Kommandosache“ geworden sei. Insgesamt läßt sich sagen, daß sich die Wallenburgstiftung sehr verdienstvoll um die innere Reform an den bayerischen Schulen bemühte,40 daß jedoch der eigentliche Zweck, der zu ihrer Gründung geführt hatte, nämlich die Ansichten der Militärregierung und des Kultusministeriums über die organisatorische Neugliederung des Schulsystems auf einen Nenner zu bringen, nicht sehr lange explizit im Vordergrund stand. Das hatte seinen Grund sicher auch darin, daß Kultusminister Hundhammer sich wohl gezwungen gesehen hatte, der Gründung der Stiftung zuzustimmen, weil er zu dem Zeitpunkt noch verschärfte Aufla- gen der Militärregierung fürchten mußte. Nachdem wesentliche Gefahren wie die 6jährige Grundschuldauer beseitigt worden waren, hatte sich das Ministerium eher distanziert gezeigt, was auch vom nachfolgenden Kultusminister Schwalber bestätigt wurde, der sagte, daß eine „unmittelbare Verbindung zwischen der Stiftung und dem Kultusministerium (nicht) bestehe ...; daher könne auch das Kultusministerium für die dort gefaßten Beschlüs- se nicht verantwortlich gemacht werden“.41 Die Vorschläge der Stiftung, sagte Schwalber, „würden auf irgendwelchen Wegen an die Regierung oder an den Landtag herangetra- gen“.42 Die Wallenburgstiftung war bald von ihrer Auflösung bedroht, und am 1. Dezem- ber 1952 war es dann soweit. Anträge von seiten der bayerischen Lehrer- und Erzieherver- bände und des Direktoriums der Stiftung, die Einrichtung weiterzuführen, lehnte das Kul- tusministerium unter Hinweis auf die angespannte Haushaltslage ab.43 Einen Antrag Wal- demar von Knoeringens, eine „dauernde Tagungsstätte für die Weiterarbeit an der bayeri- schen Schulreform“ in Fortführung der Wallenburgstiftung einzurichten, fand im Kultusmi-

35 Ebda., S. 280. 36 Ebda. 37 BayHStA München. StK 113968. Schreiben des Landrats des Kreises Weilheim, des Vorsitzenden des Berufs- schulzweckverbandes Weilheim/Obb. u. a. am 9.11.1949 an den Bayerischen Landtag. 38 Ebda. 39 Die Bayerische Schule, 3. Jg. 1950, S. 121. „Eine Leichenrede wird gewünscht.“ 40 siehe S. 567-581. 41 Buchinger, S. 77. Kultusminister Schwalber am 27.11.1951 im Kulturpolitischen Ausschuß. 42 Ebda. 43 Buchinger, S. 78.

294 nisterium keine Gegenliebe, denn ein ständiges Gremium für Schulreform war nicht erwünscht. Das sei die Aufgabe des Parlaments und der Staatsregierung. Das Kultusmini- sterium sei „mit allen Fachleuten ausgestattet, die eine Verbesserung des Schulwesens pla- nen können“.44 Einer Einrichtung zur Bearbeitung wichtiger pädagogischer Fragen, „etwa hinsichtlich des Bildungsgutes der einzelnen Schularten ...“, war man nicht so abgeneigt. Eine solche Tagungsstätte, wie es sie auch in anderen Bundesländern gab, würde dann auch Aufgaben der Forschung auf pädagogischem Gebiet wahrnehmen.45 Die Fortbildung der Lehrer sei begrüßenswert, auch eine zentrale Arbeitsstätte dafür läge durchaus im Interesse des Ministeriums, nicht aber die Beratung von Schulreformfragen. In Kempfenhausen sei genug beraten worden, nun solle die Verwaltung entscheiden.46 Das Restvermögen der Wal- lenburgstiftung von DM 1625 wurde für Kommissionen verwendet, die in anderen Bun- desländern Einrichtungen für Lehrerbildung besichtigten, den Bildungsplan für die Volks- schulen fertig überprüften, sich mit organisch-genetischen Lehrplänen für die Landschulen befaßten und die Frage der Deutschen Schrift an den Schulen berieten.47

44 BayHStA München. MK 49729. Ref. 20 am 1.12.1953 an Ref. 12a. 45 Ebda., Ref. 19 (Böhm) am 30.11.1953 an Ref. 12a. 46 Ebda., Ref. 12a (Kessler) am 2.12.1953 an den Staatsminister für Unterricht und Kultus, Schwalber. 47 Ebda., MK 49729. Wallenburg-Stiftung. 25.2.1955.

295 9. „VOLK UND ERZIEHUNG“

Da der Landesdirektor der Militärregierung, Murray van Wagoner, im November 1948 erklärt hatte, man müsse die Hoffnungen auf das Volk setzen,1 kam ihm die Bewegung „Volk und Erziehung“ sicher sehr gelegen. Im Herbst 1948 war der amerikanische Erzie- hungsfachmann Ralph P. Gallagher nach Deutschland gekommen, dessen Ziel es war, die Öffentlichkeit in Entscheidungsprozesse, die das Schulwesen betrafen, stärker einzubezie- hen. Fünf bayerische Gemeinden, unter ihnen das oberfränkische Forchheim, wurden benannt, in denen „Aufklärungsarbeit von unten“ betrieben werden sollte.2 Auch in ande- ren bayerischen Gemeinden entstanden Gruppen, die sich erst später zu einer gesamt- bayerischen Arbeitsgemeinschaft vereinigten. Es gab auch schon Zusammenkünfte von Ver- tretern einzelner Gruppen, z.B. wurde von einer Arbeitstagung in Nürnberg vom 12. bis 14. September 1949 berichtet,3 die im „Pädagogischen Institut“4 stattfand. Über die Ziele hieß es: „‘Volk und Erziehung‘ hat die Aufgabe, Öffentlichkeit und Schule einander näherzu- bringen, und hierbei ist es unser Hauptanliegen, zunächst einmal kleinere und dann weite- re Kreise der Öffentlichkeit zu der Erkenntnis zu führen, daß Schule ... nicht aus Gesetzen und Bestimmungen von oben allein wachsen, sondern nur in enger Zusammenarbeit von oben und unten sich gesund entwickeln“ kann.5 „Volk und Erziehung“ sei keine Organisa- tion, kein Verein, sei nicht irgendwie politisch ausgerichtet, nicht konfessionell gebunden, sondern sei eine „Bewegung der Schule zum Volk und vor allem des Volkes zur Schule und zu der Erkenntnis seiner Rechte und Pflichten ihr gegenüber, die die Bereitschaft und den Willen nach sich zieht, selber mitzudenken und mitzubauen“.6 Die Militärregierung unter- stützte die Aktion von Beginn an und tat dies über einige Zeit hinweg in jeder erdenklichen Weise.7 Der Boden für die Gründung einer „VuE“-Arbeitsgemeinschaft wurde bereitet durch Diskussionsabende über die Schulreformpläne der Militärregierung, öffentliche Vorträge bei der Volkshochschule und Pressemitteilungen.8 Um die Verbindung zu allen wichtigen Stel- len zu sichern, holte man in die Arbeitsgemeinschaften Vertreter der Eltern, der Lehrerschaft, der Jugend (z.B. vom Kreisjugendring), der Behörden (Kulturreferenten, Stadträte), der Geist- lichkeit, Militärregierung, Schulbehörden, Gesundheits- und Arbeitsamt und Gewerkschaft.9 Auf der Nürnberger Tagung wählten die anwesenden örtlichen Arbeitsgruppen ein Gremium als Vermittlerstelle untereinander, das sich als Büro bezeichnete und Kempfen- hausen Nr. 22 als Sitz wählte, also in enger Verbindung mit der Wallenburgstiftung stand. Auch der Kontakt zur Militärregierung war eng, denn zum Büro gehörte außer Professor Wilpert von der Wallenburgstiftung Richard C. Wooton als Vertreter der Militärregierung für Bayern.10 Die Amerikaner sahen in der Bewegung eine einzigartige Chance zur Forcierung ihrer Schulreformideen, denn die leitenden Offiziere ließen es sich angelegen sein, selbst in kleineren Orten Vorträge zu halten über „Die Erziehung der Jugend als der vornehmsten Aufgabe des Staatsbürgers“ oder „Schulleben in Amerika“.11 Ob das Kultusministerium der

1 siehe S. 286. 2 Dieter Heim: Oberfranken. In: Handbuch der Geschichte des bayerischen Bildungswesens. 3. Bd. 3. Teil. Wie- deraufbau: Re-education von 1945-1949. Hrsg. von Max Liedtke. Bad Heilbrunn 1997, S. 628 f. 3 Schule und Gegenwart, 1. Jg. Nr. 9/10 1949, S. 41; Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 12.-14.9.1949. 4 Das „Pädagogische Institut Nürnberg“ war, laut Bericht eines Nürnberger Lehrers, aus Arbeitskreisen hervor- gegangen, die Schulrat Barthel zur Fortbildung der Lehrer geschaffen hatte. (Dannhäuser, S. 381). 5 Schule und Gegenwart, 1. Jg. Nr. 9/10 1949, S. 41. 6 Ebda. 7 Ebda. 8 Ebda., Nr. 8/1949, S. 19f. 9 Ebda., S. 20. 10 Ebda., Nr. 9, 10/1949, S. 41. 11 Ebda., Nr. 8/1949, S. 20. „‘Volk und Erziehung‘ in Kaufbeuren.“ Diese Arbeitsgemeinschaft berichtete von insgesamt vier Auftritten hochrangiger amerikanischer Offiziere im Zeitraum von nur vier Wochen.

296 Bewegung sehr positiv gegenüberstand, wurde bezweifelt, doch wählte man auf der Nürn- berger Tagung immerhin Regierungsdirektor Braun von dieser Behörde in das Gremium. Er brachte zum Ausdruck, daß Minister Hundhammer sich der Aktion nicht verschließe, regte in seinen Ausführungen an, nicht große Fernziele anzustreben, sondern sich praktischen Aufgaben zuzuwenden und z.B. die Eltern mit Weihnachtsfeiern, Puppenspielen und Eltern- abenden in die Schulen zu holen, und versuchte, „Volk und Erziehung“ für die Ziele des Ministeriums einzuspannen, indem er die anwesenden Arbeitsgemeinschaften aufforderte, die Gemeinden über den Sinn ministerieller Maßnahmen aufzuklären. Als Beispiel erwähn- te er die Gemeinde Waldsassen, die eine höhere Schule plane und nichts davon wissen wolle, „daß mit der Errichtung einer Realschule viel mehr gedient“ sei.12 Auf der Tagung in Nürnberg war man sich auch einig darüber, daß VuE nicht Begleitaktion der Wallenburger Schulreformplanungen sein, sondern die Bürger anregen solle, sich damit auseinanderzu- setzen. Braun vom Kultusministerium war so leichtsinnig, der Versammlung mitzuteilen, daß das Schulaufbaugesetz - von Staatssekretär Meinzolt bereits in die vierte Fassung gebracht - demnächst dem Landtag zugeleitet werde, was aber das Volk nicht weiter berühre, da nur verhältnismäßig wenige Vertreter der Öffentlichkeit Einsicht nehmen dürften. Da waren sich aber alle Anwesenden einig, daß in diesem Fall die Beratung von der Anteilnahme des ganzen Volkes getragen werden müsse. Das Ministerium solle den Gesetzentwurf, „sobald er seine Schwelle verlasse,“ veröffentlichen und zur Meinungsbildung auffordern. „Die exi- stierenden pädagogischen Organe“- sie wurden nicht näher definiert - sollten „die Vermitt- lung dieser Diskussion übernehmen“.13 Solche Zumutungen fanden gewiß nicht den Beifall Brauns bzw. Hundhammers. Da favorisierten sie schon eher die Arbeit von VuE im kleinen: Freigabe von Klassenzimmern und Schulen durch Militärbehörden oder zivile Nutzer, Einsatz für Schulhausneubauten oder eine bessere Schulausstattung, „Zusammenführung der Lehr- kräfte über alle Schulgattungen hinweg zu gemeinsamer Besinnung auf die schulischen ... erziehlichen Aufgaben,“ Absteckung des Rahmens, in welchem die Öffentlichkeit an der inneren Schulreform mitwirken dürfe, ohne den Lehrern durch ihren Dilettantismus lästig zu fallen, Anpassung der elterlichen Erziehung an die neuen schulischen Methoden, damit diese wirkungsvoller würden, Zusammenkünfte von Lehrer und Gemeinde in geselligem Rahmen, „Fühlungnahme mit der Geistlichkeit, weil sie in der Predigt die besten Möglichkeiten habe, auf die große Bedeutung und Sendung der Erziehungsmission hinzuweisen“.14 Letzteres hielt Kultusminister Hundhammer sicher für eine sehr gute Idee, die im Februar 1950 auf einer weiteren Arbeitstagung in Nürnberg erneut vorgetragene Bitte um Veröffentlichung von Gesetzen „im Augenblick der Weitergabe an den Landtag“ wohl eher nicht . VuE mein- te, Gesetze, die das Schulwesen beträfen, sollten, sobald sie das Ministerium verließen, zur Meinungsäußerung des Volkes freigegeben werden.15 Niemals fand sich in den Quellen ein Hinweis darauf, daß das geschehen wäre. Ebenfalls im Februar 1950 trafen sich in München Vertreter aller bayerischen Erzie- herverbände, die eine Arbeitsgemeinschaft Volk und Erziehung für das Land Bayern grün- deten und vor allem auch die Mitwirkung der Eltern sicherstellen wollten, die zu dem Zeit- punkt noch keine gewählte Landesvertretung hatten. Den Vorsitz übernahm Professor Wil- pert von der Hochschule Passau, Mitglied der Wallenburgstiftung. Sein Stellvertreter wurde der Vorsitzende des Philologenverbandes, Karl Bosl, München.16

12 Ebda., Nr. 9, 10/1949, S. 41. 13 Ebda., S. 42. 14 Ebda., S. 42 f. 15 Ebda., 2. Jg. Nr. 3/1950, S. 41 f. 16 Ebda., S. 42.

297 Die Zielsetzungen von VuE, die die äußere Schulreform betrafen, erübrigten sich mit der Re-Installierung des organisatorischen Rahmens, wie ihn die bayerischen Schulen vor 1933 hatten. Über die Neuorientierung in Unterricht und Schulleben berichteten Lehrer, viele aus dem Raum Forchheim, im Heft „Volk und Erziehung“: „Wie versuche ich die Kinder zu guten Staatsbürgern zu erziehen?“, „Selbsterziehung-Selbstverwaltung im Schülerkreis.“, „Lernt Englisch auch im Mathematik- und Physikunterricht.“, „Erziehung zur Verantwor- tung und zu Staatsbürgern.“, „Selbstbeurteilung in der Klassengemeinschaft.“17

10. LANDESSCHULBEIRAT UND SCHULPFLEGSCHAFT

Die Idee zur Bildung eines Beirates beim Staatsministerium für Unterricht und Kultus war nicht neu. Ähnliches hatte es schon einmal in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg und der Zeit des Nationalsozialismus gegeben.1 In der Vormerkung vom 28. Januar 1947 hatte man im Kultusministerium die Vorstellung, daß sich ein Landesschulbeirat zusammensetzen soll- te aus Sachbearbeitern des Ministeriums und vom Ministerium ernannten Personen mit Kenntnissen auf dem Gebiet des Unterrichts- und Erziehungswesens, also Vertretern aller Schulgattungen, Internatsvorständen, Vertretern der Kirchen, Ärzteschaft, Eltern, Gewerk- schaften, Berufsorganisationen usw.2 Auch in seinem zweiten Schulreformplan vom Sep- tember 1947 nahm Kultusminister Hundhammer die Idee auf. Unter der Rubrik Schulver- waltung hieß es bei 1.: „Als mitwirkendes Organ der Unterrichtsverwaltung für die Neuge- staltung des Schulwesens und für seine Weiterentwicklung ist ein beratendes Kollegium zu schaffen, das sich aus Vertretern der Bildungsträger, der pädagogischen Wissenschaft und Praxis, der Eltern und Lehrer aller Schulen und der Religions- und Weltanschauungsge- meinschaften zusammensetzt.“3 Dieses Gremium vorzuschlagen fiel Minister Hundhammer nicht schwer, denn wie es aussehen sollte, war im Bayerischen Staatsanzeiger bereits veröf- fentlicht worden: Außer den beteiligten Sachbearbeitern aus dem Kultusministerium sollten Personen, „die sich auf dem Gebiete des Unterrichts- und Erziehungswesens besondere Kenntnisse erworben haben und Erfahrungen besitzen,“ für fünf Jahre vom Ministerium ernannt werden. Neben den bereits in der Vormerkung genannten führte man nun auch noch Vertreter des Bayerischen Städteverbandes und Landgemeindenverbandes auf. „Den Vorsitz bei den Beratungen führt der Staatsminister für Unterricht und Kultus oder ein von ihm jeweils bestimmter Vertreter.“4 Das war natürlich eine Einrichtung ohne Risiko, die in wichtigen Angelegenheiten der Hochschulen, höheren Lehranstalten, Lehrerbildungsan- stalten, Mädchen-Mittel- und Mädchen-Fachschulen, Fachschulen, Volks- und Berufsschulen zur „fachmännischen, gutachtlichen Beratung“ zusammengerufen werden sollte.5 Dennoch

17 Heim, S. 629 f.

1 BayHStA München. MK 52270. Bildung eines Landesschulbeirates beim Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 28.1.1947. 2 Ebda. 3 Ebda., MK 53202. Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht u. Kultus am 30.9.1947 an die Militärregierung für Bayern. Betrifft: Schul- und Unterrichtswesen. 4 Ebda., MK 52270. Bay. Staatsanzeiger Nr. 37, 13.9.1947, S. 2. Bildung eines Landesschulbeirates. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. v. 8.9.47 Nr. VIII 11923. 5 Ebda.

298 schien es zunächst bei der Ankündigung geblieben zu sein, da im dritten Schulreformplan noch einmal zu lesen war: „Zur Beratung und Begutachtung in Erziehungs- und Unter- richtsangelegenheiten wird ein Landesschulbeirat gebildet, der sich aus Vertretern der Eltern- schaft, der einzelnen Schularten, der Kirchen, der Ärzteschaft, der Berufsstände und der Gemeindeverwaltungen zusammensetzt.“6 Das Amt der Militärregierung für Bayern mußte dann aber im April 1948 daran erinnern, daß „noch ein Schritt unternommen werden (müsse), nämlich die Errichtung eines Landesschulbeirats“. Die Mitgliederliste für dieses bera- tende Organ mußte bis 1. Mai eingereicht werden.7 Da meldete Hundhammer die Mitglie- der zweier Kommissionen für die Planung des fünften Volksschuljahres und für die Planung des ersten Pädagogischen Instituts. Für erstere nannte er Vertreter von städtischen, mittel- großen und Dorfschulen sowie je ein Mitglied der Lehrerbildungsanstalten und einen Bezirksschulrat. Die andere Kommission sollte sich zusammensetzen aus Vertretern der Uni- versitäten, der Philosophisch-Theol. Hochschule Passau, der Augustana Hochschule Neuen- dettelsau, der Lehrerbildungsanstalten, des Bayerischen Lehrervereins, der Katholischen Erziehergemeinschaft (KEG), städtischen und ländlichen Volksschulen, der Kindergärten, Berufs- und Fachschulen, des landwirtschaftlichen Staatsinstituts, der Handwerkskammern, des Städteverbands, der Landgemeinden, Gewerkschaft, Kirchen und Landwirtschaft.8 Wie sich zeigen sollte, waren diese Beiräte ohne Bedeutung, obwohl sie ja vom Kul- tusministerium ernannt worden waren. Der Landesverband der SPD Bayern jedenfalls pran- gerte im Jahr 1949 an, daß der Landesschulbeirat seit seiner Bildung ein Jahr zuvor nur zwei- mal einberufen worden sei, daß unter den 59 Mitgliedern nur vier Volksschullehrer seien, daß er nur beratende Funktion und „praktisch nicht den geringsten Einfluß“ habe.9 Auch der BLV sah sich veranlaßt, in der „Bayerischen Schule“ zur Rolle des Landesschulbeirats Stel- lung zu nehmen. Carl Weiß führte aus, daß „gerade die heutige politische Situation nach versachlichenden, moralisch hochwertigen Instanzen“ verlange. Er verglich den Beirat mit dem Senat, forderte ein demokratisches Wahlverfahren und die Unabhängigkeit von Legis- lative und Exekutive. Dies schien ihm beim Landesschulbeirat nicht ausreichend gewahrt, und er bezweifelte seinen Einklang mit dem Geist der Verfassung. Ein unabhängiger Rat sei auch nicht dazu da, nur zu bereits fixierten Gesetzentwürfen Stellung zu nehmen. Außer- dem bemängelte Weiß die Zusammensetzung des Beirats, vor allem das Zahlenverhältnis der Vertreter der einzelnen Körperschaften, denn die Lehrer seien in nicht vertretbarer Weise in der Minderzahl. Abschließend konstatierte er, daß es sich um ein Gremium handele, das in der Öffentlichkeit wenig Bedeutung habe. Das allerdings wunderte ihn nicht, da „von allen öffentlichen Fragen die Schulfrage am dilettantischsten behandelt“ werde, und ein Landesschulbeirat, vom Kultusminister ernannt, könne keine öffentliche Aufmerksamkeit und Achtung gewinnen, wenn er keinen „merkbaren Einfluß“ auf das schulpolitische Geschehen habe.10 Ein Antrag der FDP Landtagsfraktion lautete im gleichen Sinne, daß an die Stelle des bisherigen Beirates, dessen Mitglieder vom Kultusminister bestimmt werden, ein Landesschulbeirat trete, „dessen Mitglieder von den Lehrern frei und nach Maßgabe der

6 ACSP München. NL Müller Nr. 271. Beilage 1066. Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus Nr. VIII 3003, am 31.1.1948 an die Militärregierung für Bayern. Abtlg. Erziehung und Religion, München. 7 BayHStA München. StK 113968. Schreiben des Amtes der Militärregierung für Bayern, gez. van Wagoner, am 9.4.1948 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 8 Ebda., Schreiben Kultusminister Hundhammers am 22.4.1948 an die Militärregierung für Bayern. 9 AdsD Bonn. LV Bayern I/11. Der Kochel-Brief. Mitteilungsblatt der Georg-von-Vollmar-Schule. Nr. 12/Dezem- ber 1950. Die Kulturpolitischen Forderungen der SPD in Bayern, S. 128. 10 Die Bayerische Schule, 2. Jg. Nr. 10/Okt. 1949, München 1949, S. 371-378.

299 Bedeutung der einzelnen Schularten gewählt“ würden. Eine Art „Fachparlament auf dem Gebiet des Schulwesens“ schwebte der liberalen Partei vor.11 Im Bayerischen Landtag verhandelte der kulturpolitische Ausschuß über die Frage eines Landesschulbeirats, dessen Zusammensetzung durch Gesetz geregelt werden sollte. Der Ausschuß beantragte die Ablehnung eines solchen Gremiums, da auch die übrigen Ministerien „kein beratendes Organ zur Seite (hätten), dessen Zusammensetzung durch Gesetz geregelt ist“.12 Noch einmal machte der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverein in einem Schreiben an Hundhammers Nachfolger, Kultusminister Schwalber, deutlich, daß der Landesschulbeirat in seiner derzeitigen Form keine demokratische Institution, sondern eine Einrichtung eher „im Stile einer autokratischen Kabinettsverfassung“ sei. Der Lehrerverein werde nicht aufhören, einen gesetzlich verankerten „Lehrerrat“ oder eine „Lehrerkammer mit Senatscharakter“ zu fordern.13 Offensichtlich gab es jedoch auf diesem Gebiet keine Fortschritte, denn einem Schreiben aus dem Jahr 1954 ist zu entnehmen, daß man „in Bay- ern im Moment über neue Bestimmungen zur Schaffung eines Landesschulbeirats“ nach- denke. Abschließend hieß es: „Zur Zeit besteht ein Landesschulbeirat in Bayern praktisch nicht.“14 Die Frage der Elternbeiräte und Schulpflegschaften an den einzelnen Schulen war für Kultusminister Hundhammer von nicht so einschneidender Bedeutung wie der Landes- schulbeirat. Den Einfluß der Eltern in einem begrenzten Rahmen konnte man mit einigem Geschick in die gewünschte Richtung lenken, und wo sich das eventuell als schwierig erwei- sen sollte - und z. T. erwies es sich in der Tat als schwierig15 -, so würde die Geistlichkeit im Sinne des Kultusministers wirken, zumal in der Schulpflegschaft. Hundhammers Schulreformplan vom September 1947 kündigte unter Punkt II.3. an: „Den Eltern ist durch Einrichtung von Elternbeiräten und Schulpflegschaften Gelegenheit zu bieten, am Wohl und Wehe der Schule tätig Anteil zu nehmen.“16 Manche Schule, auch Volksschule, hatte zu die- sem frühen Zeitpunkt schon einen Elternbeirat, wie z.B. die Volksschule Nürnberg-Reichels- dorf. Das war aber etwas Besonderes, denn es hieß in der Stadtchronik: „Als erste Nürn- berger Schule wählt die Volksschule ... Reichelsdorf im Beisein von Oberbürgermeister Zieg- ler einen Elternbeirat von fünf Personen. Damit ist der Anfang gemacht zu einer Vertiefung der Verbindung zwischen Elternhaus und Schule, die die gemeinsame Erziehung der Kinder zum Ziel hat. ...“17 Im Gegensatz zu dieser positiv klingenden Meldung zeigte sich Stadtrat Loßmann (SPD) während einer Schulausschußsitzung Anfang Dezember 1947 überrascht, mit welcher Eile die Wahlen an den übrigen Volksschulen angesetzt worden waren: „Es ist bezeichnend, daß die Eltern nichts wußten und nur die Geistlichen informiert waren. ... Als dann die Gegenseite Vorschläge machte, erklärte man, über die ersten Vorschläge (die von Geistlichen vorgeschlagen waren) wird abgestimmt und der Fall war erledigt.“18 Der dritte Schulreformplan verankerte mit etwas modifizierten Worten die Bildung von Elternbeiräten

11 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1 - 56. Protokoll der Tagung des Landeskulturausschusses am 12.3.1950 in Nürnberg. Tätigkeit der FDP-Landtagsfraktion auf kulturpolitischem Gebiet. 12 BayHStA München. MK 52270. Beilage 3298/Landtag, vom 17.1.1950 und Beilage 3768 vom 10.5.1950 (o. D., o. V.). 13 Die Bayerische Schule, 4. Jg. Nr. 3 vom 5.2.1951, S. 35. 14 BayHStA München. MK 52270. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 1.6.1954 an den Niedersächsischen Kultusminister. 15 siehe S. 398, 414, 424 f. 16 BayHStA München. MK 53202. Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 30.9.1947 an die Militärregierung für Bayern, München. 17 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 26.10.1947; NN vom 15.11.47. 18 Ebda., C 7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 5.12.1947.

300 und Schulpflegschaften an den Schulen. Die Eltern sollten danach „an der Arbeit und dem Leben der Schule tätigen Anteil ... nehmen“.19 Und das „Gesetz über Schulpflege an den Volksschulen“ wurde am 27. Juli 1948 im Gesetz- und Verordnungsblatt (S. 157) verkün- det. Es sollte „zwischen Familie und Schule ein Bindeglied“ herstellen, „zwischen Eltern- und Lehrerschaft eine lebendige Gemeinschaft im Dienste der Erziehung“ anbahnen und befestigen. So könne der in Art. 126 (BV) festgelegte Grundsatz verwirklicht werden, „daß Eltern das natürliche Recht und die oberste Pflicht haben, ihre Kinder zur leiblichen, geistigen und seelischen Tüchtigkeit zu erziehen und daß Staat und Gemeinde sie darin zu unterstüt- zen haben“.20 Die Aufgabe der Schulpflege war „die Mitwirkung an der Gestaltung des Schullebens nach Maßgabe der bestehenden Vorschriften“; z.B. Anteilnahme an der Erzie- hung der Schüler, Pflege des außerunterrichtlichen Schullebens, Mitwirkung an der Gestal- tung der äußeren Schulverhältnisse; nicht aber Angelegenheiten der Schulleitung und Schulaufsicht. Ganz interessant war Ziffer 18 der Vollzugsvorschriften zum Schulpflegege- setz vom 14. Dezember 1948. Dort hieß es: „Die gutachtliche Stellungnahme bei Errichtung neuer Schulen oder der Umbildung von Schulsprengeln ... trägt der verfassungsmäßig (Art. 126) den Erziehungsberechtigten zukommenden stärkeren Einflußnahme auf staatliche Schulorganisationsverfügungen in besonderer Weise Rechnung. Die Regierungen haben deshalb vor der Durchführung solcher in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Maßnahmen die Schulpflegschaft gutachtlich zu hören.“21 Schulpflegschaften im fränkischen Raum machten hier ihren Einfluß geltend.22 Die Schulpflegschaft mußte aus je drei Volksschulleh- rern und Gemeindevertretern und sechs Elternvertretern sowie den katholischen und evan- gelischen Pfarrvorständen, aus deren Sprengel Kinder dieser Schule kamen, bestehen. Auch ein Rabbiner konnte Mitglied sein.23 Damit hatte man im Hinblick auf die Konfessionsschu- len Gremien geschaffen, die außerordentlich lähmend auf die Schulentwicklung bzw. kämp- ferisch untereinander wirken konnten. Waren, wie das an manchen Orten der Fall war, drei Schularten - evangelische Bekenntnisschule, katholische Bekenntnisschule und Gemein- schaftsschule - mit je einer Schulpflegschaft unter einem Dach, so stand „die Mitwirkung an der Gestaltung der äußeren Schulverhältnisse“ vielleicht nicht unter dem günstigsten Stern, und die Mitgliedschaft der jeweiligen Pfarrherren mochte zum Zeitpunkt der Kämpfe um die Konfessionsschulen24 auch nicht immer nur segensreich gewesen sein. Den Wahlen zu den Schulpflegschaften, die in der ersten Hälfte des Monats Februar 1949 durchzuführen waren,25 maß man von kirchlicher Seite erhebliche Bedeutung zu. Das katholische St.-Heinrichsblatt des Erzbistums Bamberg veröffentlichte im Januar den Artikel „Was ist Schulpflege?“, in dem die Aufgaben dieser Einrichtung dargelegt wurden und dar- auf hingewiesen wurde, daß sie außerordentlich wichtig sei „für die Erhaltung und Neuer- richtung von Bekenntnisschulen ...“26 Aber auch Elternvereinigungen sahen sich veranlaßt, für ihre Sache zu werben. In Nürnberg gaben die Anhänger der Gemeinschaftsschule zu den Wahlen zur Schulpflegschaft ein Plakat heraus, das man polemischer kaum hätte gestalten

19 ACSP München. NL Müller 271. Beilage 1066. Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus Nr. VIII 3003. An die Militärregierung für Bayern, Abtlg. Erziehung und Religion, München. Betreff: Schulreform. 20 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 16 vom 29.12.1948, S. 169 f. Vollzugsbekanntmachung zum Schulpflegegesetz. Bek. d. Bayer. Staatsmin. f. Unt. u. Kult vom 14.12.1948 Nr. IV 84 529. 21 Ebda., S. 173. 22 siehe S. 451. 23 BayBSVK - Bereinigte Sammlung der Verwaltungsvorschriften des Bayer. Staatsministeriums für Unterr. und Kultus. Bd. I 1865-1954. München 1958, S. 311-316. 24 siehe S. 437-456. 25 StAN. Landratsamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, Nr. 70. LRA Dinkelsbühl am 5.1.1949 an die Regierung von Mittelfranken. Betr.: Monatsbericht für Dezember 1948. X. Schulwesen. 26 Archiv des Erzbistums Bamberg. St.-Heinrichsblatt Nr. 5 vom 30.1.1949, S. 3.

301 können. Zwei Fotos waren darauf zu sehen; eins zeigte eine Schulklasse, und die Unterschrift lautete: „Diese fröhlichen Kinder aus einer Gemeinschaftsschule, in der es keine konfessio- nelle Kluft gibt, rufen Euch zu ...“ Dann folgte eine Lobpreisung der Gemeinschaftsschule. In dem Text hieß es z.B.: „In unserer Gemeinschaftsschule werden wir so erzogen, daß wir uns gegenseitig achten lernen ... Wenn wir das schon in der Jugend lernen, können wir das auch als Erwachsene. Wenn wir auch noch Kinder sind, so begreifen wir doch schon, daß es zu diesem furchtbaren Krieg nur kommen konnte, weil sich die Menschen nicht vertra- gen konnten ...“ Unterschrieben war das Machwerk mit „Eure Kinder“. Das zweite Foto zeigte den Kopf Kultusminister Hundhammers, und die groß gedruckte Überschrift lautete: „Eltern, seid Ihr auch der Meinung, wie dieser Mann mit dem finsteren Blick?“ Dann wurden zwei bekannte evangelische Persönlichkeiten zitiert, die in Hundhammers Schulpolitik „kein Glück für unser Volk, sondern den Weg zurück in das Mittelalter“ sahen, Senator Meinzolt und Senator Kirchenrat Breit. Anschließend wurde den Eltern mitgeteilt, wie in Nürnberg und Fürth zu wählen sei, nämlich in den Schulen per Stimmzettel. „Auf diesen Stimmzettel müßt Ihr den Buchstaben ‚A‘ eintragen. Dann habt Ihr Eure Stimme für die Bewerber der Liste ‚Gemeinschaftsschule‘ abgegeben.“ Groß gedruckt folgten die Sätze: „Eltern, vertei- digt Euere Kinder gegen Dr. Hundhammers Schulreaktion! Gebt Euere Stimme nur den Bewerbern der Liste ‚Gemeinschaftsschule‘.“27 Die Lehrer sahen möglicherweise noch gar nicht diese weitreichende Dimension der Schulpflegschaften. Ein Artikel in „Schule und Gegenwart“ befaßte sich jedenfalls lediglich mit den Vorzügen der Zusammenarbeit zwischen Lehrer und Elternhaus zum Wohle des Kin- des.28 Die Wahl der Elternvertreter zu den Schulpflegschaften an 42 Nürnberger Volksschu- len hatte laut Stadtchronik folgende Ergebnisse: Wahlvorschlag A - das war die Elternverei- nigung Gemeinschaftsschule - erhielt 11 127 gültige Stimmen. Das entsprach 128 Sitzen. Wahlvorschlag B - Evangelische Elternschaft und Katholische Elternvereinigung - erhielt 10 306 Stimmen und damit 124 Sitze. Zur nachfolgenden Wahl der Stadtschulpflegschaft wurde mitgeteilt, daß in Nürnberg die zulässige Höchstzahl zu wählen sei, nämlich je fünf Vertreter des Stadtrats und der Lehrerschaft und zehn Vertreter der Eltern aus den Schul- pflegschaften. Die Wahl der Eltern hatte folgendes Ergebnis: von 194 abgegebenen Stimm- zetteln entfielen „auf den Wahlvorschlag A (Elternvereinigung der Gemeinschaftsschule) 91 und auf den Wahlvorschlag B (Unpolitische Liste) 103 Stimmen, so daß nach den Grundsät- zen des Verhältniswahlrechts je 5 Mitglieder und 5 Ersatzpersonen jedes Vorschlags gewählt sind ...“29 Die „Unpolitische Liste“ scheint die vereinigte katholische und evangelische Eltern- schaft gewesen zu sein. Zu den Schulpflegschaftswahlen gab es auch eine Meldung aus dem Landkreis Dinkelsbühl. Landrat Kußwetter teilte der Regierung in Ansbach mit, daß die Beteiligung der Eltern an den Wahlen am 13. Februar 1949 gering gewesen sei.30

27 LKAN. KRD Nürnberg 238. Plakat. Samstag, den 19. Februar 1949. 28 Schule und Gegenwart 3/1949, S. 19 f. 29 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 26.2.1949 Schulpflegschaften; 2.3.1949 Stadtschul- pflegschaft; 5.4.1949 Stadtschulpflegschaft. 30 StAN. Landratsamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, Nr. 70. Schreiben des Landratsamts Dinkelsbühl am 3.3.1949 an die Regierung von Mittelfranken. Betreff: Monatsbericht für Febr. 1949. X. Schulwesen.

302 11. GEMEINDE UND SCHULE

Kurz nach den ersten Schulpflegschaftswahlen luden die Amerikaner Schulleute der Trizone zu einer Tagung nach Wiesbaden ein, auf der ein Themenbereich aufgegriffen wurde, der aus späterer Sicht eher marginal erscheint, dennoch zum damaligen Zeitpunkt kurze Zeit für Aufregung gesorgt und zu kontroversen Debatten geführt hatte, nämlich die Frage, ob Schule eine staatliche oder den Gemeinden zukommende Einrichtung sein solle. Auf der Wiesbadener Tagung lauteten die Thesen der Amerikaner, Schule solle frei sein von Staat, Ministerium und Kreis, sie solle ein selbstverantwortlicher Organismus sein, für den je nach Schülerzahl Geld vom Staat zur Verfügung gestellt werde, der aber auch Geldzuwen- dungen von der Gemeinde erhalten solle. So werde der Aufbau des Schulwesens „von der Begeisterung und dem Ehrgeiz der Gemeinde getragen“.1 Diese Vorschläge rührten aus der Tradition des amerikanischen Schulwesens her, in der die Gemeinden stark interessiert waren an der Erziehung ihrer jungen Mitglieder, wo die Schule ein Zentrum mit erstrangiger Bedeu- tung darstellte, da sie als Ort gelebter Demokratie betrachtet wurde. Enorme Geldsummen stellten die Gemeinden bereit, auch unter erheblichen Opfern, denn man war überzeugt, daß durch Zentralisierung die Schule „politisch mißbraucht werden könne, wie es im natio- nalsozialistischen Deutschland geschah“. So schrieben die Regierungen der einzelnen ame- rikanischen Staaten Minimalstandards vor, ließen aber den örtlichen Schulbehörden größte Freiheit auch in der Lehrplangestaltung.2 Dieser Ansatz stieß in Deutschland bzw. in Bayern auf wenig Gegenliebe, sondern wurde, zumal von den Volksschullehrern, die in Bayern erst im Jahre 1919 unmittelbare Staatsbeamte geworden waren, mit größtem Mißtrauen und schweren Befürchtungen betrachtet.3 Eine Auslieferung dieses Berufsstandes an die Gemeinden sah man als Rück- schritt in längst überwunden geglaubte Zeiten an, als das gemeindliche Mitspracherecht, wie z.B. in der Pfalz, bei Bewerbungen von Lehrern auf eine Schulstelle häufig nicht den Tüchtigen an den rechten Platz stellte, sondern Fakten berücksichtigte, die mit Unterricht und Erziehung nicht das geringste zu tun hatten.4 Auch Beispiele aus der Nachkriegszeit zeigten, daß die Gemeinden nicht immer unbedingt schulfreundlich waren, und hätten sie das Wahlrecht der Lehrer gehabt, so wäre sicher der größte Teil der Flüchtlingslehrer vor ver- schlossenen Schultüren gestanden. Auch die Ideen des Arbeitsunterrichts, die fortschrittli- che Pädagogen u. a. nach beweglichem Mobiliar in den Klassenzimmern rufen ließen, wären in vielen Landschulen sicher nicht verwirklicht worden, denn häufig argumentierten Bür- germeister und Gemeindemitglieder bei solchen Forderungen, daß schon die Urahnen auf den gewohnten Schulbänken gesessen und auch etwas gelernt hätten.5 Man war aber von der drohenden Gefahr der „Gemeindeschule“ gar nicht so weit entfernt, denn es gab in der Bayerischen Verfassung den Artikel 83, I: „In den eigenen Wirkungskreis der Gemeinden fallen ... örtliche Kulturpflege, Volks- und Berufsschulwesen und Erwachsenenbildung ...“, und die amerikanische Militärregierung konnte daraus durchaus ableiten, daß Volks- und Berufsschulen den Gemeinden zur Selbstverwaltung übertragen werden könnten. Auch Art. 133 (BV), der besagte, daß Staat und Gemeinde bei der Einrichtung öffentlicher Bildungs- anstalten zusammenwirken sollten, konnte dahingehend interpretiert werden, daß nicht nur die Errichtung von Schulgebäuden und deren Ausstattung, sondern auch das „innere Leben der Schule“ Gemeindeangelegenheit sei.6 Wilhelm Hoegner (SPD) vertrat die Ansicht, daß

1 BayHStA München. MK 53204. Bericht des Dr. A. Weiher über die Tagung in Wiesbaden am 10./11.3.1949 mit Schulmännern der Trizone. 2 Schule und Gegenwart, 2. Jg. Nr. 9/1950, S. 45. 3 Die Bayerische Schule, 2. Jg. Nr. 11/1949, S. 408. 4 Ebda., S. 407 f. 5 vgl. dazu: Dannhäuser, S. 295, 404, 407, 410, ... 6 Die Bayerische Schule, 2. Jg. Nr. 11/November 1949, S. 403.

303 durch Art. 83 - von ihm selbst in fast identischem Wortlaut entworfen - tatsächlich das Volks- schulwesen grundsätzlich den Gemeinden übertragen werde, was folgerichtig den Lehrer als Gemeindebeamten vorsah. Gleicher Meinung waren Korff (FDP), Zietsch und Hille (beide SPD).7 Dagegen wandten sich andere SPD-Vertreter, z.B. Beck und Pittroff; außerdem Kul- tusminister Hundhammer und die CSU. Es wurde darauf hingewiesen, daß der vormalige Kultusminister Fendt (SPD) bei den Beratungen der Verfassungsartikel erklärt hatte: „Am Charakter der Volksschule als Staatsschule soll nichts geändert werden.“8 Die amerikanische Militärregierung für Bayern bemerkte dazu, daß die Entscheidung, wie die Artikel zu ver- stehen seien, die Sache der bayerischen Regierung sei und daß man vorsichtig sein müsse, wenn man die Erfahrungen eines Landes auf ein anderes übertragen wolle. Im übrigen seien durch die Schulpflegschaften den Eltern schon beträchtliche Rechte eingeräumt worden.9 Die Ausführungen Becks (SPD) waren besonders interessant. Die SPD habe immer eine staat- liche Volksschule gewollt. Man könne sich kaum vorstellen, daß eine Gemeinde einen Leh- rer anstelle, dessen Gesinnung von der der übrigen Gemeindemitglieder abweiche. Außer- dem gebe es bestimmt Gemeinden, die einem Lehrer aus Sparsamkeitsgründen die Anstel- lung verweigerten, weil er mehr als zwei Kinder habe. Und nur, weil ein Dr. Hundhammer vorübergehend Kultusminister sei, solle man dem Staat die Anstellung der Volksschullehrer nicht entziehen. Das ginge wohl auch in der Politik zu weit!10 Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverein sprach sich selbstverständlich für die Volksschule als Staatsschule aus, da nur dann die „unsachliche und unpädagogische Behandlung der Schulfragen vermieden ..., ... die Einheitlichkeit des Schulwesens, die bei der heutigen Tendenz zur Dezentralisation gefährdet ist, erhalten, ... die Bildung undemokratischer Einflüsse ausgeschaltet“ werde.11 Eine Entschließung des Hauptausschusses des BLV in Nürnberg vom 23.10.1949 lautete ent- sprechend.12 Der Schulausschuß des Deutschen Städtetages hatte andere Vorstellungen. Er for- derte, daß den Gemeinden die „vielfach im Lauf der Zeit genommenen Rechte der Selbst- verwaltung auf dem Schulgebiet, welche ihnen organisch erwachsen waren,“ zurückgege- ben werden müßten.13 Schulträger für die Volksschulen sollten „regelmäßig die Gemein- den“ sein, bei allen anderen Schulen ebenfalls die Gemeinden „nach ihrer Leistungsfähig- keit“. Die hauptamtlichen Lehrer sollten Beamte des Schulträgers, also der Gemeinden, sein, wobei dem Land „ein anteilmäßiger Einfluß auf die Anstellung und Beförderung der Lehr- kräfte eingeräumt werden“ könne. Die Schulaufsicht wollte man dem Bereich des Landes belassen, das aber die Gemeinden angemessen beteiligen sollte.14 Beim Streit um die Kon- fessionsschulen, der in einigen fränkischen Gemeinden erbittert geführt wurde, spielte auch die Frage des Selbstverwaltungsrechts eine wichtige Rolle.15

7 Buchinger, S. 98. 8 Ebda., S. 98 f; vgl. dazu: Wilhelm Geiger, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Verhältnisses von Schu- le und Staat. In: Arndt/Geiger/Pöggeler, Schule und Staat. Studien und Berichte der Katholischen Akademie in Bayern. München 1959, S. 16. 9 Die Bayerische Schule, 2. Jg. Nr. 11/November 1949, S. 403. 10 Ebda., S. 404. 11 Ebda., S. 406 f. 12 Ebda., S. 412. 13 Der Städtetag, 1(1948)6. Kommunale Wünsche zur Schulreform (Entschließungen des Schulausschusses des Deutschen Städtetages), Stuttgart 1948, S. 123 f. 14 Ebda. 15 siehe S. 443-479.

304 12. VOLKSHOCHSCHULEN

Die amerikanische Erziehungskommission hatte in ihrem Bericht vom September 1946 ein Kapitel der Erwachsenenbildung gewidmet. Sie erschien deshalb so wichtig, weil durch sie das Ziel der Demokratisierung der Deutschen so viel schneller erreicht werden konnte. Würde man sie vernachlässigen, so müßte man mit der wirklichen Überwindung national- sozialistischen Gedankenguts so lange warten, bis „die jetzige Schuljugend erwachsen ist“.1 Wollte man aber in naher Zukunft verantwortungsbewußte, demokratische Selbstverwal- tung in Deutschland sichern, so müsse man die Erwachsenen darin schulen und dafür sor- gen, daß das Informationsdefizit sowohl hinsichtlich deutscher Angelegenheiten als auch des internationalen Geschehens abgebaut würde. Auch die Berichtigung der von den Nazis so geschickt verbreiteten Unwahrheiten müßte ein bevorzugtes Anliegen sein.2 Die Kom- mission schlug deshalb vor, neben den Angeboten der Kirchen, Parteien oder Gewerk- schaften die Volkshochschule, wie sie vor der Zeit des Nationalsozialismus gute Tradition in den Städten war, wieder einzurichten. Dabei sollte ihr nicht nur die Rolle zufallen, die sie vorwiegend in der Weimarer Republik innehatte, nämlich die idealistische, schöngeistige Bil- dung, tendenziell auf Innerlichkeit gerichtet,3 sondern es wurde empfohlen, „auf die wirt- schaftlichen und sozialen Fragen im nationalen und internationalen Leben mehr Gewicht zu legen (und) der Diskussion als einer Lehrmethode eine viel wichtigere Stellung einzuräu- men“.4 Das kritische Denken der Teilnehmer sollte so entwickelt und die „Technik der gegen- seitigen Befruchtung durch eigene Meinungsäußerungen“ geschult werden.5 Um die gesamte deutsche Bevölkerung zu erfassen, forderte man Erwachsenenbildung vor allem auch in den ländlichen Gebieten, die sich derartiger Einrichtungen noch nicht hatten erfreu- en können, sie gleichwohl bitter benötigten, da der Zustrom der Flüchtlinge besonders bren- nende soziale Probleme heraufbeschwören würde.6 Bereits 1945, also ein ganzes Jahr bevor die amerikanische Erziehungskommission ihre Vorschläge unterbreitete, gab es in Bayern zahlreiche örtliche Initiativen zur Erwachsenenbildung, z.T. von früheren, während der NS- Zeit nicht tätigen Volkshochschul-Mitarbeitern ins Leben gerufen. Die Militärregierung unter- stützte sie - auch finanziell.7 Im Herbst 1945 wurde z.B. in Ansbach das Haus der Volksbil- dung wiedereröffnet, dessen Vorsitz Regierungspräsident Schregle übernahm.8 Zur gleichen Zeit belebten auch die Kirchen und die Gewerkschaften ihre Volksbildungswerke.9 Eine der wichtigsten Persönlichkeiten im Bereich der Volksbildung war Professor Eduard Brenner, spä- ter auch Staatssekretär im Kultusministerium,10 der vor 1933 Leiter der Nürnberger Volks- hochschule gewesen war und nun in Erlangen einen Universitätsausschuß für Volksbildung begründete und als Vorsitzender des „Bayerischen Landesverbandes für freie Volksbildung“ versuchte, die alltäglichen Schwierigkeiten der angeschlossenen Institutionen zu beheben, indem er sich auch um die Beschaffung von Radio- und Filmgeräten, Papier und Glühbirnen bemühte.11

1 Erziehung in Deutschland, S. 46. 2 Ebda. 3 Glaser, S. 163. 4 Erziehung in Deutschland, S. 46. 5 Ebda. 6 Ebda. 7 Walter Fürnrohr: Geschichte der Erwachsenenbildung. In: Handbuch der Geschichte des bayerischen Bil- dungswesens. 4. Bd. 2. Teil: Geschichte der Universitäten, der Hochschulen, der vorschulischen Einrichtun- gen und der Erwachsenenbildung in Bayern. Hrsg. von Max Liedtke. Bad Heilbrunn 1997, S. 831. 8 Ebda. 9 Ebda., S. 831 f. 10 siehe S. 233, Fußnote 8. 11 Fürnrohr, S. 832.

305 Von den neuen Volkshochschulen in den großen Städten berichtete die Neue Zeitung bereits im Frühjahr 1946, z.B. von München. Dort hatten sich Arbeitsgemeinschaften gebil- det, die exakt das verwirklichten, was die Erziehungskommission später forderte: „Erziehung zu selbständigem Urteil durch freie Aussprache ... nach dem Muster der englisch-amerikani- schen Debating Clubs ...“12 Da diese Debating Clubs ein bevorzugtes Anliegen des damals amtierenden Kultusministers Fendt waren, war es nicht verwunderlich, daß deren frühe Ein- richtung vom zuständigen Referenten des bayerischen Kultusministeriums initiiert wurde.13 Die amerikanische Militärregierung stellte gerne ihre Offiziere oder Beamten zur Verfügung, die an den Volkshochschulen Kurzvorträge über verschiedene Gebiete des amerikanischen Lebens hielten - übrigens bevorzugt in deutscher Sprache - und dann „in längerer Wechsel- rede zur Aussprache ... zur Verfügung ...“ standen.14 Erst am 28. Oktober 1947 gab es die Kontrollratsdirektive Nr. 56 zur Erwachsenenbildung, die noch einmal empfahl, sich in Abkehr von der Vergangenheit neuen sozialen, wissenschaftlichen und politischen Erkenntnissen zu öffnen, und betonte, daß eine „demokratische Weltanschauung und intelligente Teilnahme an öffentlichen Angelegenheiten“ anzustreben seien.15 Interessant war auch der Vorschlag, an „jedem Institut für Pädagogik ... das Studium der Methoden des Erwachsenenunterrichts“ zu organisieren.16 Allerdings wurde nicht erreicht, was die Amerikaner und z.B. auch Kultus- minister Fendt als ideal vorgeschlagen hatten: der Brückenschlag zur Universität. Die Erzie- hungskommission hatte angeregt, die Volkshochschule „in die Arbeit der Universität und der höheren Schulen organisch einzugliedern, und zwar durch Einrichtung von staatlich aner- kannten Lehrgängen für frühere Volksschüler, durch die Zulassung zum regelrechten Univer- sitätsstudium erworben werden kann“.17 Kultusminister Fendt hatte in seinem Bildungsplan aus dem Jahr 1946 vorgeschlagen, die Volkshochschule als „Zubringerschule“ zur Hoch- schule auszubauen.18 Diese Gedanken wurden nicht aufgegriffen. In der Folgezeit entstanden Volkshochschulen und Volksbildungswerke, die sich das Ziel setzten, „... nach dem Zusammenbruch des 3. Reiches ... die freie Selbsterziehung der Erwachsenen im Sinne einer neuen Staatsgesinnung und mitbürgerlichen Verantwortung ...“ heranzubilden.19 Die Regierung von Mittelfranken forderte die Lehrerschaft zur freiwilligen Mitwirkung auf, da ihrer Meinung nach diese Einrichtungen Berufslücken füllten, Kulturgü- ter vermittelten, Gegensätze ausglichen und die Heimatliebe vertieften. Die Lehrerschaft auf dem Lande sei besonders berufen, „befruchtend“ mitzuarbeiten, da dann „das Schulhaus noch stärker als bisher zum kulturellen Mittelpunkt der Gemeinden“ werde.20 Ein Bericht der Neuen Zeitung vom November 1946 vermeldete eine überdurchschnittlich hohe Zahl an Spra- chenschülern, aber geringe oder nahezu keine Teilnahme bei politischen oder speziellen Jugend-Themen. Als bedenklich wurde die generelle Ablehnung zeitkritischer Gegenstände erachtet, während praktische, berufsbezogene Kurse und kulturgeschichtliche und philoso- phische Vorträge stark besucht waren.21 Der Rückzug auf die eigene Person, in unpolitische Nischen, bestätigte sich auch hier. Überhaupt nicht verwirklicht wurde das Konzept der Ame- rikaner und angelsächsisch beeinflußter deutscher Bildungspolitiker, wie z.B. Fendt, das Volks- hochschulwesen nicht nur inhaltlich, sondern auch formal in das allgemeine Bildungssystem zu integrieren.

12 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 32 vom 22.4.1946, S. 3. 13 Ebda. 14 Ebda., Nr. 83 vom 18.10.1946, S. 4. 15 Fürnrohr, S. 835. 16 Ebda. 17 Erziehung in Deutschland, S. 47. 18 siehe S. 235. 19 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken, Ansbach. 18. Jg. Nr. 6 vom 1.6.1950, S. 41. Volkshochschulen - Erwachsenenbildung. RE. v. 25.4.1950 Nr. 643 a 56. 20 Ebda. 21 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 89 vom 8.11.1946. „Diskussion um die Volkshochschule“; Glaser, S. 164 f.

306 13. RESÜMEE ZUR SCHULREFORM

John Gimbel schrieb später, daß das eigentliche Ziel der amerikanischen Besatzungs- politik die Verwirklichung amerikanischer Ideale gewesen sei und Restriktionen, Kontrollen und die Anwendung von Druckmitteln notwendig geworden seien, um in einem künftigen Deutschland Einheitlichkeit zu gewährleisten, z.B. im Erziehungswesen.1 Eschenburg unter- schied bei der Nachkriegs-Regierungstätigkeit zwischen Ordnungs- und Zielpolitik und rech- nete die Schulgesetzgebung mit ihren Gestaltungszielen der zweiten Art zu.2 Und der Bericht der Ständigen Konferenz der Kultusminister aus dem Jahr 1952 vertrat die Auffassung, daß auf dem Gebiet des Erziehungswesens vor allem der Druck der Besatzungsmächte und die verschiedenartigen Wünsche der Eltern die Gefahr der Auseinanderentwicklung mit sich brachten. Dazu sei das „Verlangen der deutschen Bevölkerung nach innerer und äußerer Schulreform“ gekommen.3 Diese Aussagen sollten, soweit sie Bayern mit einbezogen, doch differenziert betrachtet werden. In der Tat hatten die Amerikaner Idealvorstellungen bei der Planung und Durch- führung der Re-education in Deutschland. Gleichwohl bewirkte die sich abzeichnende welt- politische Lage, daß die USA zunehmend bestrebt waren, ein Bollwerk gegen den Kommu- nismus zu errichten, und die vorher anti-nationalsozialistischen Demokratisierungsziele erhielten nun eine antisowjetische Tendenz.4 Diese sog. Containment-Politik konnte folge- richtig keine Spannungen in den Beziehungen zum Vatikan erlauben, so daß die Forderun- gen der bayerischen Bischöfe, zumindest der katholischen, nicht unbeachtet bleiben durf- ten.5 Wenn also Rossmeissl schreibt, daß auf der Berchtesgadener Konferenz der Erzie- hungsabteilung der Militärregierung für Bayern im August 1948 die Ohnmacht der Ameri- kaner beim Kampf gegen den vorherrschenden Konservativismus klar zutage trat,6 muß man doch mitbedenken, daß die bildungspolitischen Ziele vor dem Hintergrund der Weltpolitik eine geänderte Richtung genommen hatten, die den amerikanischen Referenten auch bewußt war. Das Erreichte entsprach, wie eigene amerikanische Studien belegten, dem Erhoff- ten bei weitem nicht. Das lag auch daran, daß die Amerikaner neben der Eindämmung des Kommunismus auch der wirtschaftlichen Einheit West-Deutschlands, der Kostendämpfung bei ihren Besatzungsaufgaben, der Zusammenarbeit mit Frankreich und der Marktwirtschaft den Vorrang vor der Durchsetzung erziehungspolitischer Ziele einräumten.7 Der Vorwurf, die Amerikaner hätten ihre Konzeptionen im Bildungsbereich nicht energisch genug in die Praxis umgesetzt,8 müßte daher dahingehend differenziert werden, daß gefragt würde, ob sie dies absichtlich nicht getan hatten, zumindest ab einem bestimmten Zeitpunkt. Ganz sicher waren ihnen auch durch eigenes Handeln bzw. Nichthandeln, verursacht durch die ambivalenten Ziele im Namen der Demokratie, nun die Hände gebunden. Relativ spät wurde ja die Schulreform in Angriff genommen, und da hatten sich, auch durch Zutun der Besat- zungsmacht, die Verhältnisse an den Schulen in traditioneller Weise wieder gefestigt. Es wurde z.B. den örtlichen Militärregierungen von ihrer vorgesetzten Dienststelle im Novem- ber 1945 die Anweisung erteilt, „(i)m Interesse der Vermeidung unnötiger Beeinträchtigung

1 Gimbel, S. 314 f. 2 Eschenburg, Regierung, Bürokratie, S. 17 f. 3 Bericht der Ständigen Konferenz der Kultusminister, S. 17 f. 4 Huelsz, S. 126. 5 Ebda. 6 Rossmeissl, S. 210. 7 Gimbel, S. 320 f. 8 Borchers/Vowe, S. 11. Sie zitieren Otto Schlander: Reedukation - ein politisch-pädagogisches Prinzip im Wider- streit der Gruppen. Frankfurt (Main) 1975.

307 der Arbeit der Schulbehörden“ sich Zurückhaltung aufzuerlegen, wenn es darum ging, von einem Schulrat mündlich oder schriftlich Berichterstattung zu verlangen.9 Wichtig war zum damaligen Zeitpunkt, die Kinder von den Straßen zu holen. So gesehen war alliierte Politik im Bildungswesen auch ein Stück Ordnungspolitik. John D. Riedl, Chef der Education Branch (HICOG) schrieb dazu 1951: „Die Kinder waren da und sie wuchsen auf, mit oder ohne Schule. Einiges mußte man mit ihnen und für sie tun. Die Öffnung der Schulen schien die logische Schlußfolgerung dieses Problems zu sein.“10 Ab Herbst 1946 verzichtete die Militärregierung dann auf ihre Kontrolle bei der Wie- dereröffnung bzw. Zulassung von Schulen, so daß der Weg frei wurde zur Reetablierung des traditionellen Schulsystems, personell und organisatorisch.11 Schließlich genehmigte die Besatzungsmacht Ende 1946 die neue bayerische Verfassung, mit der das Recht auf die Ein- richtung von Bekenntnisschulen festgeschrieben und den Kirchen der große Einfluß auf das Schulwesen wieder in die Hand gegeben wurde. Die Militärregierung hatte damit selbst zur Etablierung des traditionellen bayerischen Schulsystems beigetragen. Als sie nun daranging, ihre Schulreform durchzusetzen, war es schon zu spät, „weil die Deutschen ihre Aufge- schlossenheit ... schon verloren hatten ..., weil etablierte Interessen geschaffen worden waren ..., weil der Einfluß der Besatzungsstreitkräfte ... geschwunden war“.12 Sie drangen auch nicht auf die Erfüllung ihrer Anordnungen (ausgenommen Schulgeld- und Lernmittel- freiheit),13 konnten das guten demokratischen Gewissens auch nicht mehr. Sie versuchten, Umwandlungen vorzunehmen, ohne darauf zu bestehen, daß sie streng durchgezogen wur- den,14 so daß ihre Bemühungen Stückwerk blieben. In Bayern fanden sie zudem in der Per- son Alois Hundhammers einen Kultusminister vor, der den „Kampf und die Auseinander- setzung um die Schulreform ... mit einer Hartnäckigkeit, ... Systematik und Kompromiß- losigkeit“ führte, „daß man praktisch von einem organisierten Widerstand sprechen“ konn- te.15 Seine Widerspenstigkeit veranlaßte die amerikanische Militärregierung zu manch einer Anordnung, die sie in den anderen Ländern ihrer Besatzungszone nicht benötigte, aber Hundhammer benutzte geschickt die bestehenden Machtverhältnisse im Landtag und die Möglichkeit, diesen auszuschalten, indem er auf dem Verordnungsweg diejenigen Frag- mente der Schulreform durchsetzte, die ihm zusagten.16 Und er bewerkstelligte auf virtuo- se Weise, daß die Militärregierung damit völlig einverstanden war, da sie annahm, daß die Verwaltungsmaßnahmen, die Hundhammer ihr angekündigt hatte, „mit den gesetzgeberi- schen Befugnissen des Landtags nicht kollidieren“ würden. Sie war „sehr befriedigt vom Fortschritt des gesamten Schulreformprogramms“.17 Vielleicht war es aber tatsächlich so, wie Hildegard Hamm-Brücher später schrieb, daß „selbst die Amerikaner ... sich vor diesem ‚schwarzen Mann‘ (fürchteten)“18 und es aufgegeben hatten, ihre demokratischen Ideale in der Schulpolitik durchzusetzen. Sie hätten sich „an ihm und seiner klerikalen Hausmacht die

9 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4637. Schreiben der Militärregierung für Ober- und Mittelfranken, Bayern, am 29.11.1945 an die Chefs sämtlicher Militärregierungen im Regierungsbezirk Ober- und Mittelfranken, Bayern. JTT/GAP/us. General Policy. 10 Manfred Heinemann: Wiederaufbau aus amerikanischer Sicht. In: Handbuch der Geschichte des bayerischen Bildungswesens. 3. Bd. 3. Teil: Wiederaufbau: Re-education von 1945-49. Gesamtdarstellung. Hrsg. von Max Liedtke. Bad Heilbrunn 1997, S. 474-548. 11 Rossmeissl, S. 198. 12 Gimbel, S. 318. 13 Benz, S. 189; siehe S. 268. 14 Huden, S. 154. 15 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 49. Sitzung am 30.1.1948, S. 692. 16 BayHStA München. MK 53204. Landtags-Beilage Nr. 2594. Interpellation von FDP und SPD am 22.6.1949. 17 Ebda., Schreiben des Amtes der Militärregierung für Bayern am 15.4.1949 an Ministerpräsident Ehard. Betr.: Vorbereitende Maßnahmen; siehe S. 293. 18 Hildegard Hamm-Brücher: Freiheit ist mehr als ein Wort. Eine Lebensbilanz 1921-1996. Köln 1996, S. 123 f.

308 Zähne ausgebissen und ... aus dem (v)erbitterten Streit zurückgezogen ...“19 Hundhammer selbst meinte später, daß die permanente bayerische Opposition den Reformwillen der Ame- rikaner „ermüdet“ habe.20 So kann man feststellen, daß das von Gimbel vermutete Ziel der Einheitlichkeit des Erziehungswesens in Deutschland nicht nur in den verschiedenen Besat- zungszonen nicht erreicht worden war, sondern auch innerhalb der amerikanisch besetzten Zone nicht. Ebenso kann man die bayerische Schulpolitik unter Hundhammer getrost der Ord- nungspolitik zuweisen, denn die Gestaltungsziele der bayerischen Schulgesetzgebung waren auf Restauration der früheren bayerischen Verhältnisse gerichtet: Wiederherstellung der gewohnten Ordnung. Buchinger schreibt zwar, daß die Genehmigung des Grundgesetzes durch die Alli- ierten keine wesentliche Lockerung der großen Einflußnahme der Militärregierung auf die bayerische Kulturpolitik mit sich brachte;21 aber eine qualitative Veränderung war doch gege- ben, dadurch daß das beinahe zeitgleich in Kraft tretende Besatzungsstatut (8. bzw. 11. April 1949) die Möglichkeit des direkten Eingreifens in das deutsche Erziehungswesen nicht mehr vorsah. Die Erziehungsabteilung der zivilen amerikanischen Hohen Kommission, High Com- missioner of Germany (HICOG), beschränkte sich auf „observe, advise, assist“.22 Alonzo Grace, ab Mai 1949 Leiter der Erziehungsabteilung, hatte demgegenüber empfohlen, „die Schulpolitik als Vorbehaltsrecht der Amerikaner in das Besatzungsstatut aufzunehmen,“23 denn er hatte z.B. für Bayern festgestellt: „... there is where we have made terrific mistakes and where a tremendous job remains to be done ...“24 Doch damit setzte er sich nicht durch, den Deutschen wurde vielmehr 1949 die volle Aufsicht über ihr Erziehungssystem und die kulturellen Angelegenheiten gegeben.25 Wo waren die Fehler der amerikanischen Besatzungsmacht speziell in Bayern zu suchen? Vieles hing sicher von den einzelnen Menschen ab, sowohl auf Landes-, als auch auf örtlicher Ebene. Manchen amerikanischen Verbindungsoffizieren - Walter Dorn nannte z.B. Oberst Whittaker in Ansbach - gelang es, nach der ersten Zeit der Befehle und Anord- nungen, die Behörden wirklich zu beraten und „durch moralische Überzeugungskraft dafür zu gewinnen, bestimmte Dinge zu tun“.26 Es kam dann auch auf das Gegenüber an, und im Falle Hundhammer wurde die Geduld der Amerikaner bis aufs Äußerste strapaziert, so daß mögliche Fehler dabei entstanden, daß manche Entscheidungen aus der Verärgerung resultierten oder aus Resignation getroffen wurden. Wenn allerdings die Ständige Kultusministerkonferenz behauptete, daß die deutsche Bevölkerung nach innerer und äußerer Schulreform gelechzt habe, so ist das für Bayern sicher nicht zutreffend. Die aufgefundenen Berichte und Quellen geben höchst selten Zeug- nis ab für ein solches Verlangen. Was man zumeist wollte, war die ordnungsgemäße Unter- richtung der Kinder durch fähige Lehrer, gleich welcher politischen Vergangenheit, und vor allem die Versorgung mit Nahrung, Kleidung und Wohnungen.

19 Ebda., S. 124. 20 Huelsz, S. 127. 21 Buchinger, S. 20. 22 Bungenstab, S. 56. 23 Mayer, S. 270. 24 BayHStA München. StK 113968. Schreiben des Alonzo G. Grace, Commissioner of Education, am 14.5.1948 an Mr. H. Kenaston Twitchell, Los Angeles. 25 Mayer, S. 270. 26 Dorn, S. 55

309 14. DIE LEHRERBILDUNG

Auch in der Frage der Lehrerbildung war es die amerikanische Erziehungskommission unter ihrem Vorsitzenden George Zook, die die wichtigsten Forderungen nannte: Beseitigung des zweiteiligen Systems, in welchem die Ausbildung der „höheren Lehrer“ von der der Volks- schullehrer fast völlig getrennt und letztere geringer geschätzt und demzufolge geringer bezahlt wurden. Auf lange Sicht verlangte die Kommission einen Ausbildungsplan für Volks- schullehrer, der „mindestens drei, wenn möglich vier Jahre nach der Reifeprüfung der höhe- ren Schule“ umfassen sollte.1 Auf keinen Fall dürfe die Lehrerbildung „innerhalb des Niveaus der höheren Schule durchgeführt werden“, wie das in Bayern geschehe.2 Man bezog sich da auf die Lehrerbildungsanstalten (LBA), deren Besuch auch nach dem Verlassen der Volksschule möglich war. Bemängelt wurde, daß die Universitäten in der amerikanischen Zone bisher nicht die Verantwortung für Fragen und Forschung in der Pädagogik übernommen hätten, und die Empfehlung lautete, daß sie die „geistige Führung in der Ausarbeitung besserer Methoden und Praktiken in Volks- und höheren Schulen“ auf sich nehmen müßten.3 Beim Neuaufbau der Lehrerbildung solle beachtet werden, daß ein Staatsbürgertum geschaffen würde, „das an der friedlichen Besserung der Lage des kleinen Mannes“ interessiert sei. „Die Lebens- wichtigkeit der Volksschule und des Volksschullehrers im deutschen Erziehungswesen (müsse) durch höhere Gehälter und höhere Forderungen an seine Allgemeinbildung anerkannt wer- den.“ Alle Lehrer müßten Interesse an der „Hebung der einfachen Volksschichten“ haben; vor allem der Einsatz der Frauen in den Schulen sei wertvoll, da sie zum einen die natürlichen Anlagen zum Umgang mit Kindern hätten, zum anderen besonders geeignet seien, „in den Volksschulen die Liebe zum Frieden“ zu fördern.4 Auch General Clay befürwortete grundle- gende Veränderungen in der Lehrerbildung. Allerdings war das für ihn nur die Konsequenz aus der Forderung der Amerikaner nach einer sechjährigen Grundschule und einer daran anschließenden „umfassenden“ höheren Schule.5 Clay bemerkte dazu, daß die Militärregierung bereits seit über einem Jahr, also offen- sichtlich schon seit Ende 1945, versucht habe, eine wirklich demokratische Lehrerbildung, d.h. die Beseitigung der zweigeteilten Ausbildung für Volksschule und Gymnasium zu errei- chen, daß deutsche Stellen aber dagegen seien und den Mangel an Geldmitteln und die fehlende Tradition einer solchen Lehrerbildung als Begründung anführten.6 Als „die deutschen Stellen“ machte die New York Times im November 1947 nicht nur das bayerische Kultusministerium aus, sondern auch „Hoch- und Mittelschullehrer“, die Minister Hundhammer deswegen unterstützten, weil sie ihr „Vorrecht auf einen bevorzug- ten Stand und eine bevorzugte Besoldung schützen“ wollten. Dr. Alexander, zu diesem Zeit- punkt Chef der Abteilung für Erziehung und religiöse Angelegenheiten bei OMGUS Berlin, habe die Zeitung in dieser Art unterrichtet und angegeben, daß der bayerische Unter- richtsminister „diejenigen Mitglieder seines Ministeriums ausgeschaltet oder entfernt (habe), die eine liberale und fortschrittliche Reform im Schulwesen vorschlugen“.7 Dem Ziel am

1 Erziehung in Deutschland, S. 33 f. 2 Ebda., S. 34. 3 Ebda. 4 Ebda., S. 33. 5 BayHStA München. MK 53201. Entwurf des Amtes der Militärregierung für Deutschland (U.S.). Amt des Militärgouverneurs. APO 742. Stellungnahme zum Bericht der U.S. Erziehungskommission für Deutschland, Zook-Kommission. An Generalmajor O.P. Echols, Abtlg. f. Zivilangelegenheiten, Kriegsministerium. Was- hington D.C. (Director, Civil Affairs Division); unterzeichnet von Lucius D. Clay, stellvertr. Mil. Gouverneur. 6 Ebda. 7 BayHStA München. MK 53202. Übersetzung aus „New York Times” vom 28.11.1947. „Die Bayern ignorie- ren amerikanische Konferenz über Schulen. Das vorgeschlagene Schulprogramm wird mit dem jahrelang von Preußen verwendeten System verglichen.” (von Edward A. Morrow).

310 nächsten sei man in Hessen und Württemberg-Baden, in Bayern dagegen gebe es einige führende Männer, die für die Volksschullehrerbildung auf Universitätsniveau plädierten, „aber der Erziehungsminister selbst (sei) ihr nicht günstig gesinnt. Es (stehe) zu erhoffen, daß andauernder, nachdrücklicher Einfluß der Militärregierung zu einer Lehrerbildung auf höherem Niveau auch in Bayern führen“ werde.8 Noch unter Kultusminister Fendt, im November 1945, hatte es eine Entschließung zur Aufnahme des Unterrichts an den Lehrerbildungsanstalten9 und Aufbauschulen10 gegeben. Man bemerkte zwar einführend, daß über die endgültige Neuordnung der Lehrerbildung noch nicht entschieden sei und die Anordnungen übergangsweise für das Schuljahr 1945/46 ergingen, aber die Bedingungen waren dergestalt, daß sie keinerlei Ähnlichkeit mit einer universitären Ausbildung hatten: In die erste Klasse der LBAs wurden Schüler auf- genommen, die 8 Jahre Volksschule bzw. die entsprechende Ausbildungszeit an einer höhe- ren Schule hinter sich hatten.11 Auch weitere Klassen sollten gebildet werden, damit nach kriegsbedingten Unterbrechungen die Ausbildung fortgesetzt werden konnte. Neben der charakterlichen Eignung und der politischen Gesinnung sollte beachtet werden, ob der Kan- didat „artikuliert und verständlich für bayerische Kinder“ sprechen könne.12 Von der „streng schulmäßigen Form“ der Ausbildung durfte nur in einer eventuell gebildeten fünften Klas- se abgewichen werden, in die Kriegsteilnehmer und Schüler mit Hochschulreife aufge- nommen werden konnten.13 In der Fränkischen Landeszeitung wurde im Herbst 1946 bestätigt, daß die Lehrer- ausbildung „ein wesentlicher Faktor (sei), der gerade in der heutigen Zeit bei der Umerzie- hung unserer Jugend von großer Tragweite“ sei. Die Zeitung begrüßte es daher, daß die Lehrerbildungsanstalten so umgestaltet wurden, „wie sie vor der Änderung durch den Nationalsozialismus bestanden hatten“.14 Diese Art von Entnazifizierung hatten die Amerikaner durchaus nicht im Sinn. Sie wollten ja eine völlige Abkehr von der Lehrerbildung alten Stils, die einen 5-jährigen Besuch der LBA vorgesehen hatte, wobei während der ersten drei Jahre allgemeiner Unterricht statt- gefunden und die eigentliche Fachausbildung im vierten Schuljahr begonnen hatte. Das bedeutete die Vermittlung von Methodik, pädagogischer Psychologie, Harmonielehre, Kla- vier- und Orgelspiel und Unterricht in Fächern, die der Lehrer später erteilen mußte.15 Auf einer ebenfalls zu diesem Zeitpunkt stattfindenden Tagung über Schulfragen in Hohenwehrda sprach Kultusminister Fendt für Bayern von der beabsichtigten 6-semestri- gen Ausbildung an Lehrerbildungsanstalten mit angeschlossenen Übungsschulen. Er nann- te als Voraussetzung den erfolgreichen Besuch eines Progymnasiums oder einer Mittel- schule, wie sie nach dem bayerischen Bildungsplan eingerichtet werden solle. Abiturienten, die Lehrer werden wollten, hätten die Möglichkeit, in das letzte Studienjahr einer LBA auf- genommen zu werden.16 Also war Fendt auch zufrieden mit dem mittleren Bildungsab- schluß für die Ausbildung der Lehrer. Bemerkenswert auf dieser Tagung war die Forderung,

8 BayHStA München. MK 53201. Entwurf des Amtes der Militärregierung für Deutschland (U.S.). Stellun- gnahme zum Bericht der U.S. Erziehungskommission für Deutschland, gez. Lucius D. Clay, an Generalmajor O.P. Echols. 9 München-Pasing, Freising, Bayreuth, Eichstätt, Würzburg, Weißenhorn. 10 Freising, Straubing, Amberg, Bamberg, Coburg, Erlangen, Schwabach, Aschaffenburg, Lauingen. 11 Dokumente zur Schulreform, S. 43 f. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult vom 30.11.1945 Nr. II 31057. 12 Ebda., S. 44. 13 Ebda. 14 Fränkische Landeszeitung. 1. Jg. Nr. 55 vom 30.10.1946, S. 2. 15 Ebda. 16 BayHStA München. MK 53201. Verhandlungen über Schulfragen, Hohenwehrda, 22.-25.10.1946.

311 nach einer bestimmten Anzahl von Dienstjahren, vielleicht sechs oder sieben, einen „halb- jährigen Urlaub“ einzuführen, der zur Fortbildung genutzt werden sollte.17 In Hohenwehrda, ebenso wie zwei Monate später in Wiesbaden, wo sich die Kultus- minister der drei Länder der amerikanischen Zone trafen, wurde keine Einheitlichkeit der Lehrerbildung erzielt, man hielt das auch gar nicht für erforderlich.18 In Wiesbaden kam man immerhin zu der Erkenntnis, daß „(d)ie Pädagogik... als Wissenschaft an den Universitäten stärker als bisher zur Geltung kommen“ müsse.19

14.1. DISKUSSION DER LEHRERBILDUNG ZWISCHEN AMERIKANISCHER MILITÄRREGIERUNG UND BAYERISCHEM KULTUSMINISTERIUM

Das OMGUS-Telegramm vom 10.Januar 1947,1 wonach die Unterrichtsministerien der Länder der amerikanischen Besatzungszone eine „Aufstellung der allgemeinen Aufga- ben und Ziele“ und einen „Erziehungsplan auf lange Sicht“ den Militärregierungen der Län- der vorzulegen hatten, enthielt den Passus, daß die Lehrerbildung sich an die höheren Schu- len anschließen solle und die Verantwortung für sie die pädagogischen Fakultäten der Uni- versitäten „oder entsprechende Anstalten“ zu übernehmen hätten.2 In seinem Zwi- schenbericht vom 7. März 1947 teilte Kultusministerium Hundhammer dazu ziemlich vage mit: „Einer zweckmäßigen und der kulturellen Bedeutung der Volksschule angemessenen Ausbildung des Volksschullehrerstandes wird die bayerische Unterrichtsverwaltung ihre ganz besondere Sorge zuwenden. Die Allgemeinbildung des Volksschullehrers muß eine der höheren Schulbildung, wenn auch nicht gleichartige, so doch gleichwertige sein. Einer Aus- lese von Volksschullehrern soll das Universitätsstudium eröffnet werden, um sie für den Schulaufsichtsdienst und für die Aufgaben der Lehrerbildung und Lehrerfortbildung beson- ders zu befähigen.“3 Im selben Bericht wurde unter II.4 jedoch gleichzeitig darauf hinge- wiesen, daß die „Beratungen über die künftige Volksschullehrerbildung“ noch nicht abge- schlossen seien, daß man Erfahrungen zu Reformversuchen in der Vergangenheit nicht unberücksichtigt lassen dürfe, die vor allem gezeigt hätten, „daß die allgemeine Verlegung der Volksschullehrerbildung auf die Universitäten und Hochschulen weder quantitativ noch qualitativ den Nachwuchs sichert, den eine zahlenmäßig so starke und kulturell so wichtige Beamtengruppe ... erfordert“. Hundhammer wies darauf hin, daß in Bayern über 70 % aller Schulen Landschulen seien, daß also die Volksschullehrerschaft überwiegend auf dem Lande zu wirken habe und „mit dem Landvolk und der Dorfkultur innerlichst verbunden sein“ müsse. Er leitete daraus ab, daß aus dem „Landvolk“ der Zustrom zum Volksschullehrerbe- ruf erhalten bleiben müsse,4 was anscheinend bei einer Hochschulausbildung nicht gewähr- leistet war.

17 Ebda. 18 Ebda.; Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 99 vom 13.12.1946, S. 6. 19 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 99 vom 13.12.1946, S. 6.

1 siehe S. 244. 2 BayHStA München. StK 113968. Übersetzung. Betrifft: TWX von OMGUS an die vier Länder, eingelaufen OMGB 10. Januar 1947. Anordnung der Militärregierung Nr. 8-100.2, 8-101, 8-102. 3 LKAN. LKR VI 1100 (3064). Schreiben B. 61327 des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kul- tus am 7.3.1947 an die Militärregierung. Betreff: Schulreform. (Az. A 10 a/1), S. 5. 4 Ebda., S. 6. Die Herkunft der Schüler der Lehrerbildungsanstalten wurde für 1946/47 so angegeben: Die Väter von 16,6 % waren mittlere Beamte und Angestellte (einschließlich Lehrer ohne akademische Vorbildung), von 15,9 % Handel- und Gewerbetreibende, von 12,7 % Arbeiter, von 13,1 % mittlere und Kleinlandwirte und von 0,2 % Großlandwirte. (Guthmann, S. 507). Der Anteil des „Landvolks“ war danach nicht signifikant bedeutender als der anderer Berufsgruppen und konnte also kaum als Begründung angeführt werden.

312 In seinem „Erziehungsplan auf weite Sicht“ präzisierte Hundhammer die Ausführun- gen vom 7. März und behauptete, daß der Nachwuchsbedarf quantitativ nicht gesichert sei, da die akademische Ausbildung der Volksschullehrer die Gefahr berge, daß die Stu- denten in erheblicher Zahl „zu anderen, verlockenderen akademischen Berufen“ abwan- dern würden. Und da unter diesen die gut Qualifizierten die Mehrheit bilden würden, sei auch die qualitative Sicherung nicht mehr gegeben.5 Diese Gefahr wurde vom Abgeordne- ten Stang (CSU) während der Landtagsdebatte am 29. Januar 1948 noch einmal beschwo- ren, der glaubte, daß die Hochschulbildung für Lehrer dahin führen werde, daß man bald keine Lehrer mehr habe, da ein hohes Maß an Idealismus dazugehöre, „mit einer abge- schlossenen Gymnasialbildung und mit einer abgeschlossenen Hochschulbildung sich auf ein weltentrücktes, schneeverwehtes Dorf zu setzten und den Dorfschullehrer zu machen“.6 Die Ausbildung der Volksschullehrer solle „auf besonderen Bildungsanstalten“ erfolgen und sieben Klassen Volksschule voraussetzen, denn „die Bekanntschaft mit der Volksschule aus eigenem Erleben“ sei eine wichtige Vorbildung.7 Ein siebenjähriger Lehrgang - „organisa- torisch und innerlich geschlossen“ - solle eine dem Bildungsziel der höheren Schule völlig gleichwertige Allgemeinbildung und die erforderliche theoretische und praktische Berufs- bildung vermitteln. Die letzten zwei Klassen sollten „vorwiegend der pädagogisch-wissen- schaftlichen und pädagogisch-technischen Berufsbildung gewidmet sein“, in hochschul- mäßiger Arbeitsweise und in lebendiger, auch personeller Verbindung mit einer Hochschu- le geführt werden.8 Da der Volksschullehrer wieder „Träger und Pfleger der Musikkultur“ des Landes wer- den solle, sei musische, besonders musikalische Ausbildung von besonderer Bedeutung. Mit dem Abschlußzeugnis dieser siebenjährigen Bildungsanstalt hätten besonders qualifizierte Absolventen die Berechtigung zum Hochschulstudium, „um sie für den Schulaufsichtsdienst und für die Aufgabe der Lehrerbildung und Lehrerfortbildung zu befähigen“.9 Die Behaup- tung, daß bei hochschulmäßiger Ausbildung die quantitative Nachwuchssicherung gefähr- det sei, da die Kandidaten aus dem „Landvolk“ vor ihr zurückschreckten, war aus der Luft gegriffen und wurde in einer späteren Denkschrift vom Kultusministerium selbst widerlegt. Dort hieß es nämlich, daß die Schüler der Lehrerbildungsanstalten „durchwegs aus einfa- chen Kreisen“ stammten, der Nachwuchs aus bäuerlichen Kreisen jedoch selten 20 % erreichte, im Durchschnitt sogar nicht viel höher als 10 % war.10 Die qualitative Minderung des Volksschullehrerstandes damit zu begründen, daß die akademische Ausbildung zur Abwanderung der qualifiziertesten Kandidaten führen werde, konnte nur dann zwingend sein, wenn man eine adäquate Bezahlung umgehen wollte, was ja in der Tat große Proble- me heraufbeschwören sollte.11 Und das Argument, daß sieben Jahre Volksschulzeit eine besonders gute Voraussetzung sei für die Ausbildung zum Volksschullehrer, konnte inso- fern nicht stichhaltig sein, als z.B. dem Dorfpfarrer sehr wohl die akademische Bildung, auf- bauend auf dem humanistischen Gymnasium, abverlangt wurde, obgleich er dadurch bereits nach der vierten Volksschulklasse seine möglicherweise dörfliche Umgebung verlas- sen und sich nach seiner Priesterweihe zurück in die dörflichen niederen Gefilde begeben mußte.

5 ACSP München. NL Müller 271 (Schulreform 1947-48). Erziehungsplan auf weite Sicht. 31.3.1947. 6 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenograph. Bericht. 48. Sitzung am 29.1.1948, S. 685. 7 ACSP München. NL Müller 271 (Schulreform 1947-48). Erziehungsplan auf weite Sicht. 31.3.1947. 8 Ebda. 9 Ebda. 10 Buchinger, S. 501 f. Er zitiert eine vom Kultusministerium 1954 herausgegebene Denkschrift. 11 siehe S. 349 f.

313 Kultusminister Hundhammers Erziehungsplan auf weite Sicht entsprach nicht den Vorstellungen der amerikanischen Militärregierung, so daß eine Besprechung im Kultusmi- nisterium am 21. Mai 1947 anberaumt wurde, auf der Einigkeit darüber erzielt wurde, daß „die strittigen Fragen in den nächsten Monaten in Ruhe und unter Zuziehung weiterer Sach- verständiger“ erörtert werden sollten. Dr. Alexander, der Leiter der Erziehungsabteilung bei OMGUS, wollte dabei Vorschläge zu den Fragen der Lehrerbildung machen.12 Diese liefen darauf hinaus, daß Alexander ein groß angelegtes Austauschprogramm bekanntgab13, das Lehrer, Beamte des Kultusministeriums und Studenten ins Ausland, vornehmlich in die USA, führen sollte und daß in Aussicht genommen wurde, die Errichtung neuer Lehrerbildungs- anstalten auf etwa zwei Jahre hinauszuschieben, um mit Hilfe der im demokratischen Aus- land gesammelten Erfahrungen und Erkenntnissen, die man an deutschen Musterschulen gewinnen würde, einen möglichst vollkommenen Plan auszuarbeiten.14 Für die Amerikaner gab es dabei keinen Zweifel darüber, daß alle Lehrer auf Hoch- schulniveau ausgebildet werden müßten, was auch in der Kontrollrat-Direktive Nr. 54 vom 25. Juni 1947 noch einmal bekräftigt wurde: „All teacher education should take place in a university or in a paedagogical institution of university rank“.15 Hundhammers Schulreformplan vom 30. September 1947 teilte zur Lehrerbildung nahezu unverändert mit: „Einer zweckmäßigen und der kulturellen Bedeutung der Volks- schule angemessenen Ausbildung des Volksschullehrerstandes ist ganz besondere Sorge zuzuwenden. Sie soll eine dem Bildungsziel der höheren Schule gleichwertige Allgemein- bildung und die für die Volksschularbeit erforderliche erziehungswissenschaftliche und schulpraktische Ausbildung in hochschulmäßiger Form umfassen“. Erneut wurde die musi- kalische Ausbildung des Lehrers zum Zwecke der Pflege der Musikkultur betont; außerdem sollte die Volksschullehrerbildung so gestaltet werden, daß der Zustrom zu diesem Beruf aus dem Landvolk nicht erschwert werde. Im übrigen wollte man „die Ergebnisse der von der bayerischen Unterrichtsverwaltung zum Studium des Lehrerbildungswesens in außer- deutsche Länder“ gesandten Kommission abwarten, bevor man sich zur künftigen Gestal- tung der Volksschullehrerbildung äußern wollte.16 Es war also der Bildungsweg für Volks- schullehrer auch jetzt nicht näher konkretisiert worden, und man hatte sehr bereitwillig Dr. Alexanders Vorschlag einer Aufschiebung der Frage der Volksschullehrerbildung um zwei Jahre aufgegriffen. Da Kultusminister Hundhammer ein gewiefter Taktiker war, konnte man davon ausgehen, daß er die geschenkte Zeit nicht dazu nutzen würde, die universitäre Lehrerbildung vorzubereiten. Viel eher konnte er, nach bewährter Manier, vollendete Tatsa- chen schaffen, die später eine Änderung erschweren würden.17 Die Amerikaner stellten verärgert fest, daß ein zukünftiger Volksschullehrer wieder- um nur eine „dem Bildungsziel der höheren Schule gleichwertige Allgemeinbildung“, dazu die schulpraktische Ausbildung genießen würde, also keines Hochschulstudiums für wür- dig befunden wurde, auch wenn die Formulierung „in hochschulmäßiger Form“ ihnen das

12 BayHStA München. StK 113968. Vormerkung vom 23.5.1947, Dr. GI/A. 13 siehe S. 650 f. 14 BayHStA München. StK 113968. Vormerkung vom 23.5.1947, Dr. GI/A. 15 Bungenstab, S. 184 f. Basic Principles for Democratization of Education in Germany: Control Council Directive No. 54, June 25, 1947; LKAN. LKR VI 1100a (3064). Übersetzung COMP/P (47) 135 Final. Gundprinzipien für die Demokratisierung in Deutschland (Note des Alliierten Sekretariats) 126. Sitzung. 16 BayHStA München. MK 53202. Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 30.9.1947 an die Militärregierung für Bayern. Betrifft: Schul- und Unterrichtswesen. Mit dem Schulreform- plan identisch war die Frage der Lehrerbildung im „Antrag der CSU-Fraktion zur Neugestaltung des Schul- wesens“ vom 20.9.1947, S. 7, Abschnitt 23. (ACSP München. NL Müller 27). 17 vgl. Müller S. 182. Müller gelangt zur gleichen Einschätzung. Sie wird vor allem dadurch belegt, daß Kultus- minister Hundhammer die Mitglieder der Kommission, die in Schweden die Volksschullehrerbildung studieren sollte, erst im Januar 1948 der Militärregierung mitteilte. (Ebda.).

314 möglicherweise vorgaukeln wollte. Lucius D. Clay teilte Ministerpräsident Ehard mit, daß Hundhammers zweiter Reformplan auch deshalb abgelehnt werde, weil wiederum „eine vollkommene Trennung der Ausbildung von Volksschullehrern von der der Lehrer an höhe- ren Schulen“ vorgesehen sei.18 Die „New-York Times“ griff in einem Bericht vom 28. November die bayerische Ignoranz auf und kennzeichnete als besondere Schwäche des Schulreformplans vom 30. September „die Ausbildung der Volksschullehrer ... auf der Ebene der Mittelschule..., während ein höherer Typ von Lehrern für die Schulen der Elite“ ausge- bildet werde.19 Das Amt der Militärregierung für Deutschland (US) erläuterte am 1. Dezember den Ämtern der Militärregierungen der Länder der amerikanischen Zone noch einmal eindring- lich und kategorisch die Kontrollratsdirektive Nr. 54: Alle Lehrerbildungsanstalten müßten mit Absatz 9 der Direktive20 in Einklang stehen. „Lehrerbildungsanstalten für die Ausbildung von Lehrern für öffentliche Volksschulen, Berufsschulen und Kindergartenschulen, die jetzt in Ihrem Lande bestehen ohne das Abitur für die Zulassung zu verlangen und ohne in ihrer Organisation und in ihrem Verfahren auf der Ebene einer Universität zu stehen, werden durch die Direktive Nr. 54 verboten und dürfen nicht weitergeführt werden. Sie haben des- halb innerhalb von dreißig Tagen dem hiesigen Hauptquartier Pläne für die Auflösung aller derartigen Anstalten in ihrer Eigenschaft als Lehrerbildungsanstalten und Pläne für ihre Ablö- sung durch Institute, die den Forderungen der Direktive Nr. 54 entsprechen, vorzulegen. Unter den gegenwärtigen Genehmigungsbedingungen sollen keine Studenten mehr in diese Anstalten aufgenommen werden.“21 Das Amt der Militärregierung für Bayern, das am 23. Dezember 1947 Ministerpräsident Ehard die Ablehnung des Schulreformplans vom 30. September mitteilte, machte folgerichtig dem Kultusministerium zum Vorwurf, es habe versäumt, „Schritte zu unternehmen, um für eine auf dem Universitätsniveau liegende Aus- bildung aller Lehrer einschl. Volksschullehrer zu sorgen“.22 Ehard brachte in seiner Antwort auf dieses Schreiben zum Ausdruck, daß die Staatsregierung offenbar die Politik der ameri- kanischen Militärregierung bisher mißverstanden habe, da man geglaubt habe, nicht in ein- zelnen Punkten an die Anweisungen gebunden zu sein. Darüber hinaus glaubte er, daß unter den aufgeführten Beanstandungen sich ein Punkt befinde, dessen Durchführung nach seiner festen Überzeugung große Gefahren in sich berge, und zwar die geforderte auf Uni- versitätsniveau liegende Ausbildung aller Lehrer, auch der Volksschullehrer. „Hier besteht die berechtigte Sorge, daß die für die demokratische Erziehung des deutschen Volkes wich- tigste Schicht angesichts der im deutschen Charakter liegenden Überschätzung und Über- bewertung der sogenannten höheren Bildung ihrer Aufgabe, die Kinder zu brauchbaren Menschen zu allen Berufen vorzubereiten, nicht gerecht werden wird, weil sie nach ver- meintlich höheren Zielen strebt. Gerade die bereits durch die bisherigen Reformen herbei- geführte Halbbildung der Lehrerschaft hat sie gegenüber den verschwommenen national-

18 BayHStA München. MK 53202. Schreiben des Amtes der Militärregierung für Deutschland (U.S.), Amt des Militärgouverneurs, am 18.11.1947 an Dr. Hans Ehard. 19 Dokumente zur Schulreform, S. 160 f. 20 siehe S. 314. 21 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Abschrift. Amt der Militärregierung für Deutschland (US). Internal Affairs and Communications Division. APO 742. Berlin, Deutschland. 1. Dez. 1947. Betreff: Erläuterung der Kontrollrats- direktive Nr. 54 unter Bezugnahme auf bestimmte Gesichtspunkte in der Schulorganisation. An: den Direktor der Abteilung Education und Religious Affairs im Amt der Militärregierung für Bayern... gez. Richard T. Alex- ander. 22 BayHStA München. MK 53202. Schreiben des Amtes der Militärregierung für Bayern. Amt des Landesdirek- tors. München. Deutschland. APO 407 US Armee. AG 000.8-MGBAE, am 23.12.1947 an den Ministerpräsi- denten für Bayern. Betrifft: Ablehnung des Schulreformplanes für Bayern, gez. Murray D. van Wagoner, Lan- desdirektor.

315 sozialistischen Parolen besonders wenig widerstandsfähig gemacht.“23 Da wurde also den Lehrern die ihnen verwehrte akademische Bildung zum Vorwurf gemacht; und Ehard glaub- te, daß die „Schicht“ der Volksschullehrer tunlichst von „vermeintlich“ höheren Zielen fern- zuhalten sei, eine Ansicht, die er möglicherweise aus der bayerischen Lehrordnung von 1836 übernommen hatte, die bestimmte, „daß die Schullehrerbildung ‚von jeder ungeeig- neten Steigerung fernzuhalten sei‘“.24 Abgesehen von der Dreistigkeit einer solchen Behauptung, hatten die Amerikaner ganz offensichtlich Schwierigkeiten, dieser Begrün- dung zu folgen. Ihre Antwort war der Befehl, innerhalb eines Monats einen Plan zur Neu- ordnung der Lehrerbildung vorzulegen, der den Vorstellungen der Militärregierung ent- sprach.25 Kultusminister Hundhammer bildete am 29. Dezember 1947 im Ministerium einen Ausschuß unter Leitung von Oskar Vogelhuber. Zu seinen Mitgliedern zählten u. a. Franz Xaver Hartmann vom BLV, Schulrat Ederer, München, OStR Bögl von der Lehrerbildungsan- stalt Freising, Univers.-Prof. Dr. Lersch, München, und der unvermeidliche Domkapitular Zinkl.26 Vogelhuber hatte in seiner 1947 veröffentlichten Schrift zur Schulreform gefordert, die Lehrerseminare in Universitätsseminare umzubilden. Die Lehrenden sollten vollqualifi- zierte Hochschullehrer sein, die Ausbildungszeit sechs Semester betragen. Der Volksschul- lehrer solle nicht Fachspezialist sein, sondern „der ganzheitliche pädagogische Charakter und Volksmann“ bleiben, als der er „eine so bedeutsame Kraft im Volke gewesen“ sei, aber das sei erreichbar auch bei akademischer Vorbildung.27 Das „Armenstudium“ für Lehrer solle der Vergangenheit angehören, die Forderung der Lehrerschaft aus dem Jahr 1848 „Mehr Licht...“, das hieß akademische Bildung, müsse endlich erfüllt werden.28 Mit Vogel- huber schien also der richtige Mann mit der Leitung des Ausschusses betraut worden zu sein. Am 16. Januar 1948 wurde der Militärregierung der „neue Plan für die Reform der Lehrerausbildung“ vorgelegt, der den Ausführungen der amerikanischen Behörden vom 1. und 23. Dezember 1947 Rechnung tragen sollte. Die wichtigsten Punkte waren: Zulas- sungsvoraussetzung zur pädagogisch-beruflichen Ausbildung zum Volksschullehrer war das Abitur; die Ausbildung sollte an pädagogischen Instituten auf Universitätsebene stattfinden; die Zulassung zur Promotion wurde zugesichert; die Ausbildungsdauer würde sechs Seme- ster umfassen; sie sollte „hochschulmäßig“ erfolgen; an den pädagogischen Instituten soll- ten Lehrkräfte „von der Qualität der Hochschullehrer“ unterrichten.29 Die allgemeine Aus- bildung der künftigen Volksschullehrer sollte nach sechs Jahren Grundschule an einer höhe- ren Schule mit abschließendem Abitur erfolgen; die bestehenden Lehrerbildungsanstalten würden in allgemeinbildende Schulen umgewandelt, daher sollten sie ab dem Schuljahr 1948/49 keine Schüler mehr aufnehmen. Übergangslehrpläne für die in Aussicht genom- menen allgemeinbildenden Schulen würden vorbereitet. Artikel 5 des Bayerischen Konkor- dats und Artikel 6 des Staatsvertrages mit der Evanglisch-Lutherischen Kirche in Bayern müßten berücksichtigt werden, das hieß, daß der Staat „für Einrichtungen sorgen“ würde, die den Grundsätzen zur Ausbildung „der für katholische Volksschulen bestimmten Lehr- kräfte“ bzw. „derjenigen Lehrkräfte (entsprächen), die für die Erteilung des evangelischen Religionsunterrichts in Betracht kommen“.30 Während in der Landtagsdebatte über die

23 BayHStA München. StK 113968. Schreiben des Bayer. Ministerpräsidenten Dr. Hans Ehard am 31.12.1947 an das Amt der Militärregierung für Bayern, Amt des Landesdirektors. 24 Vogelhuber, S. 8 f. 25 Müller, S. 182. 26 BayHStA München. MK 53202; Müller, S. 184. 27 Vogelhuber, S. 28 f. 28 Ebda., S. 27. 29 Dokumente zur Schulreform, S. 185. 30 Ebda., S. 186 ff.

316 Schulreform am 28. und 29. Januar 1948 sehr kontrovers über die Ausbildung aller Lehrer, also auch der Fachlehrkräfte für Kochen und Handarbeiten und der Lehrkräfte für Kinder- gärten, diskutiert wurde, wobei Kultusminister Hundhammer vor allem die drohenden Kon- sequenzen ausführlich schilderte,31 veröffentlichte die Militärregierung für Bayern „auf- klärendes Material“, bekanntzugeben am 30. Januar 1948, 12 Uhr, mit dem Titel: „Militär- regierung äußert sich zur Schulreform“. Unter Punkt 18 und 19 wurde die Lehrerbildung erörtert und festgestellt, daß nicht alle Lehrer die Universität besuchen müßten, daß aber von allen „‘regelmäßigen‘ Lehrern aller Stufen eine gründliche universitätsmäßige Ausbil- dung verlangt werden“ würde, z.B. auch auf pädagogischen Hochschulen.32 Die Frage, ob eine solche Ausbildung für Volksschullehrer nicht zu weit gehe, wurde verneint: „Diese zusätzlichen Anforderungen an die Berufsausbildung für Volksschullehrer sind nötig, um allen Kindern gleich gute Ausbildungsmöglichkeiten zu gewährleisten. Zweifellos verdienen die kleinen bayerischen Kinder, zumal die 92 % unter ihnen, die nicht die Absicht haben, sich rein akademisch ausbilden zu lassen, das Beste, was Bayern zu bieten hat, da diese Kin- der später bei jeder Wahl den Ausschlag geben werden. In diesen Kindern ruht die wirkliche Zukunft Bayerns, und in der klugen und verständigen Haltung ihrer Lehrer liegt eine der größten Verantwortungen, die Bayern einer Gruppe seiner Bevölkerung anvertrauen kann.“33 Dieser Standpunkt machte die unbeugsame Haltung der Militärregierung und ihre als Befehle zu verstehenden Anweisungen verständlich. So mußte Kultusminister Hund- hammer in seinem dritten Schulreformplan vom 31. Januar 1948 „nach den Anweisungen der Militärregierung“ auch für die Lehrerbildung für ihn schmerzhafte Zugeständnisse machen: Die Ausbildung aller Lehrer solle auf Hochschulebene erfolgen, auch Lehrer für berufstechnische Fächer (Berufsschullehrer), Hauswirtschaft und Handarbeit und Kinder- gärtnerinnen sollten in dieser Weise ausgebildet werden.34 Unter Punkt IV wurden Termine und Schwierigkeiten aufgeführt, und da hieß es, daß in Lehrerbildungsanstalten ab Herbst 1948 keine Schüler in eine erste Klasse aufgenommen und keine Abiturientenkurse mehr begonnen würden. Bis zum Sommer 1949 sollten alle Schulhelferlehrgänge abgeschlossen sein. Die LBAs würden ab Herbst 1948 in allgemeinbildende Schulen („Reformschule des Zweiges C“) umgewandelt werden. Mit Beginn des Schuljahrs 1949/50 sollten Pädagogi- sche Institute für die Ausbildung von Volksschullehrern eingerichtet werden.35 Landesdirektor van Wagoner schrieb am 1. April 1948 an Ministerpräsident Ehard und forderte ihn auf, bis spätestens 1. Mai eine Kommission zur Planung der ersten Lehrer- bildungsanstalt auf Universitätsniveau zu bilden, die bis zum 1. Januar 1949 detaillierte Pläne für die Eröffnung dieser neuen Einrichtungen bereits im Jahr 1949 vorzulegen hatte.36 Dem von der Militärregierung vorgetragenen zügigen Tempo konnte sich der Kultusmini- ster zunächst nicht entziehen, und er gab daher die notwendigen Änderungen und Schrit- te der neuen Volksschullehrerbildung im Amtsblatt vom 31. Mai 1948 bekannt.37 Die Über-

31 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 48. Sitzung am 29.1.1948, S. 655. 32 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Office of Military Government for Bavaria. Public Information Branch. APO 407. 29.1.1948. Zur Bekanntgabe um 12.00 h, 30. Jan. 48. „Militärregierung äußert sich zur Schulreform“. 33 Ebda. Eine nahezu identische Begründung fand sich in Verlautbarungen örtlicher Militärregierungen, mit denen die Bevölkerung für die neue Schulreform gewonnen werden sollte, z.B. im Rundschreiben der Militär- regierung in Mellrichstadt/Ufr. vom 1.7.1948. (BayHStA München. MK 53202). 34 ACSP München. NL Müller 271. Beilage 1066. Schreiben Nr. VIII 3003 des Bayer. Staatsmin. für Unterricht und Kultus am 31.1.1948 an die Militärregierung für Bayern, Abtlg. Erziehung und Religion. Betreff: Schul- reform, S. 6. 35 Ebda. 36 BayHStA München. StK 113968. Schreiben des Amtes der Militärregierung, Amt des Landesdirektors, am 1.4.1948 an Ministerpräsident Ehard. 37 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 4 vom 31.5.1948, S. 43. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult vom 20.4.48 Nr. II 24275.

317 gangsmaßnahmen wurden verbindlich gemacht, die Lehrerbildungsanstalten hießen nun „Oberschule in Kurzform“, später, mit Wirkung vom 19. August 195438,„Deutsches Gym- nasium“. Grundsätzlich sollte die Aufnahme nach der 6. Volksschulklasse erfolgen und in sieben Jahren zur Hochschulreife führen. Besonderes Gewicht wurde auf das Fach Deut- sche Sprache und die musischen Fächer gelegt. Die Anforderungen in Latein und Englisch, den beiden Fremdsprachen, sollten „annähernd denen eines Realgymnasiums“ entspre- chen. Die neue Oberschule war „von jeder ausdrücklichen Rücksichtnahme auf den Volks- schullehrerberuf befreit, (bot) aber eine besonders zweckmäßige Vorbereitung gerade für diesen Beruf“.39 Offenbar wollte Landesdirektor van Wagoner noch rascher als ursprüng- lich geplant zu hochschulmäßiger Ausbildung der Lehrer gelangen. Ein Gespräch mit Mini- sterpräsident Ehard und Hundhammer im April hatte ihn zu der Überzeugung kommen las- sen, daß der Kultusminister bereits bis zum 1. Oktober 1948 die Möglichkeit sah, Lehrer- bildungsanstalten zu Universitäten zu erheben. So drückte er in einem Schreiben an Ehard am 10. Juni seine Enttäuschung darüber aus, daß Hundhammer „... has reported negati- vely on the possibility of elevating the teacher training institute to university level...“, und er verlangte einen „Bericht über die ausführliche Untersuchung ..., auf die der Erziehungs- minister Bezug nimmt und die es ihm notwendig erscheinen ließ, Maßnahmen zu treffen, die im Gegensatz zu früher eingegangenen Verpflichtungen stehen“.40 Kultusminister Hundhammer verwies in seiner Antwort darauf, daß die Errichtung pädagogischer Institute von Anfang an erst mit Beginn des Schuljahrs 1949/50 vorgesehen, daß die Militärregierung damit einverstanden war und die umfangreiche Vorbereitung nicht vorher abgeschlossen sein könne.41 Hundhammer hatte in diesem Fall recht. Möglicherweise hatte aber die kultusministerielle Taktik des Verzögerns und Hinausschiebens bis zum letzt- möglichen Tag van Wagoner veranlaßt, ein schnelleres Resultat anzustreben. Wie sich her- ausstellen sollte, waren seine Befürchtungen in dieser Richtung nicht unbegründet. Zwar waren der Militärregierung am 21. März 1949 vorbereitende Maßnahmen für das Schul- jahr 1949/50 mitgeteilt worden, zu denen auch die Einrichtung von pädagogischen Institu- ten in Verbindung mit den Universitäten München und Erlangen und der Phil.-Theol. Hoch- schule Passau sowie einer solchen Institution in Schwaben zählte,42 aber schon im August desselben Jahres erhielt die Militärregierung einen abschlägigen Bescheid. Die Errichtung der angekündigten zunächst viersemestrigen pädagogischen Institute erschien dem Kul- tusminister „im heurigen Jahre aus inzwischen aufgetretenen besonderen Gründen weder unbedingt zwingend noch den Umständen nach möglich“.43 Nicht erforderlich seien die Institute, da im Volksschulbereich ein „Überangebot an verfügbaren Lehrern“ bestehe, her- vorgerufen durch die große Zahl der Flüchtlingslehrer, der Absolventen von Lehrerbil- dungsanstalten und der wiederverwendeten entnazifizierten Lehrer. Den mehr als ausrei- chend vorhandenen Kräften stünden die fehlenden Klassenräume gegenüber. 6000 seien nötig, wozu aber die finanziellen Mittel fehlten.44 Die finanzielle Seite der hochschulmäßigen

38 Die Bayerische Schule, 7. Jg. Nr. 25 vom 15.9.1954, S. 399. 39 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken. Ansbach. 18. Jg. Nr. 5 vom 7.5.1950, S. 34 und 42 f; Ebda., 20. Jg. Nr. 5 vom 1.5.1952, S. 65. 40 BayHStA München. StK 113968. Schreiben des Amtes der Militärregierung, Amt des Landesdirektors, am 10.6.1948 an Ministerpräsident Ehard. 41 Ebda., Schreiben Nr. 38882 des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 21.6.1948 an Mini- sterpräsident Ehard. 42 Dokumente zur Schulreform, S. 282. Schreiben Nr. VIII 15251 des Staatsmin. für Unterricht und Kultus am 21.3.1949 an den Landesdirektor des Amtes der Militärregierung für Bayern, van Wagoner. 43 Ebda., S. 293 f. 44 Ebda., Schreiben des Staatsmin. für Unterricht und Kultus am 4.8.1949 an den Herrn Ministerpräsidenten mit der Bitte um Weiterleitung an die Militärregierung. Betreff: Schulreform; hier Vorbereitung von Maßnah- men für das Schuljahr 1949/50.

318 Lehrerbildung wurde noch einmal betont in bezug auf die zu erwartende höhere Besol- dung, die auf den Staatshaushalt zukomme. Hundhammer erwartete nicht, daß der Land- tag die erforderlichen Geldmittel für die Errichtung pädagogischer Institute bewilligen würde, da er wisse, daß das nur der Anfang sei.45 Der Kultusminister wies auch darauf hin, daß er ohne Landtagsbefragung keine Maßnahmen auf dem Verwaltungsweg anordnen wolle, da die Fraktionen von FDP und SPD „gegen die Durchführung von Teilen der Schul- reform auf dem Verordnungswege ohne Einholung von Landtagsbeschlüssen Einwände erhoben“ hätten.46 Daß er die ihm genehmen und wichtigen Verordnungen seit Beginn sei- ner Amtszeit sehr wohl auf dem Verwaltungsweg durchsetzte, erwähnte er natürlich nicht.47 Van Wagoner bewahrte in seinem Antwortschreiben bewundernswerte Contenan- ce und versuchte, die genannten Vorwände sachlich zu entkräften. Ein Überangebot an ord- nungsgemäß ausgebildeten Lehrkräften sah er nicht; seiner Meinung nach waren die Lehr- kräfte insgesamt überaltert und z.T. ungenügend ausgebildet.48 Die in den nächsten zehn Jahren zu erwartenden Pensionierungen verlangten ebenfalls mehr Lehrer in der Ausbil- dung. Die Belastung des bayerischen Staatshaushalts durch erhöhte Lehrergehälter wurde auch nicht anerkannt. Dieses Problem könne ja wohl nicht als aktuelles, sondern höchstens als zukünftiges betrachtet werden. Die volle Auswirkung einer höheren Bezahlung besser ausgebildeter Lehrer sei frühestens nach 35 Jahren zu erwarten. Bis dahin seien dann die gegenwärtig beschäftigten pensioniert.49 Durch die Einstellung des Notausbildungspro- gramms für Lehrer seien 1949 Haushaltsmittel eingespart worden in Höhe von 967 970 DM. Diese könne man für einen bescheidenen Anfang hochschulmäßiger Ausbildung der Volksschullehrer nutzen, z.B. auf Versuchsbasis. Dazu müsse auch nicht sofort die Anglie- derung an eine Universität erfolgen; sie könne allmählich durchgeführt werden. Zum Schluß wies van Wagoner noch darauf hin, daß die Interpellationen von SPD und FDP im Landtag nicht die Absicht verfolgt hätten, die Lehrerbildung auf Universitätsniveau zu verhindern.50 Offensichtlich durchschaute die Militärregierung die Winkelzüge Hundhammers sehr wohl, wollte sich jedoch nicht entschließen, gemäß ihrer geänderten Besatzungspolitik - Über- zeugung anstelle des Befehls51 - schärfere Töne anzuschlagen. Der bayerische Ministerprä- sident wurde beschworen, das verbesserte Lehrerbildungsprogramm aktiv zu unterstützen, da die Militärregierung die Ansicht vertrat, daß „gegenwärtig keine Maßnahme auf dem Gebiet der Schulreform von größerer Wichtigkeit (sei) als die Verbesserung der Ausbildung für Volksschullehrer“.52 Die Frage der Errichtung pädagogischer Institute wurde in einem zweiten Brief des Amtes des Landesdirektors, ebenfalls vom 8. September 1949, noch einmal angesprochen. Man verneinte von dort die zwingende Notwenigkeit der Verbindung eine pädagogischen Instituts mit einer bestehenden Universität. Da Hundhammer die Errichtung eines Instituts auch für Schwaben angekündigte habe, wo keine Universität bestehe, sei er selbst ja wohl auch dieser Meinung. Die von ihm erwähnten baulichen Schwierigkeiten beruhten daher „auf einer völlig irrtümlichen Annahme“.53

45 Ebda., S. 294. 46 Ebda. 47 siehe S. 308. 48 BayHStA München. StK 113968. Schreiben Ha/22 Ko 4275 des Amtes der Militärregierung, Amt des Lan- desdirektors, am 8.9.1949 an Dr. Hans Ehard. 49 Ebda. 50 Ebda. 51 siehe S. 273. 52 BayHStA München. StK 113968. Schreiben Ha/22 Ko 4275 des Amtes der Militärregierung für Bayern, Amt des Landesdirektors, am 8.9.1949 an Dr. Hans Ehard. 53 Ebda., Schreiben des Amtes der Militärregierung für Bayern, Amt des Landesdirektors, am 8.9.1949 an Dr. Hans Ehard.

319 Neue, vorbildliche Gebäude mit besonderen Einrichtungen seien nicht das Wesent- liche, sondern die Einleitung einer akademischen Lehrerausbildung, wie sie unter den gege- benen Umständen möglich sei. Dazu genüge es, an drei oder vier Orten mit dem Lehrbetrieb zu beginnen. Die Militärregierung schlug vor, „als ein(en) Anfang und als Beweis des guten Willens und des ehrlichen Glaubens an jedem dieser Orte 100 bis 150 Studenten“ aufzu- nehmen. Wenn der Kultusminister seine Entscheidung amtlich umgehend bekanntgeben würde, dann könne der Unterrichtsbetrieb noch rechtzeitig zum Herbst aufgenommen wer- den. „Diejenigen Hochschulvorlesungen und erforderlichen Lehrer, auf die man sich einig- te, können durch eine Direktive auf Wunsch des Kultusministers immer noch vorgeschrie- ben werden. Diese Angelegenheit erfordert keine Gesetzgebung“.54 In diesem Punkt Skrupel bei Hundhammer zu vermuten, war allerdings völlig abwegig; hatte er doch unzählige Male auf dem Verwaltungsweg seine Vorstellungen von Schulreform auf den Weg gebracht.55 Auch das Angebot, durch eine Direktive der Militärregierung das Procedere zu beschleuni- gen, verkannte die Situation und den Politiker Hundhammer. Gestützt auf die CSU-Mehr- heit im Landtag hätte er alles durchsetzen können, was er beabsichtigte; und die Militärre- gierung als Helfer anzufordern, das wäre ihm sicher nie in den Sinn gekommen. Erst am 20. Dezember beantwortete Ministerpräsident Ehard das Schreiben der Militärregierung vom 8. September und teilte Kultusminister Hundhammers Stellungnah- me mit: Die Umstellung der Lehrerbildung auf Hochschulbasis sei im laufenden Schuljahr „technisch“ nicht möglich. Die Schaffung der pädagogischen Institute erfordere einen Mehraufwand an Personen und Sachwerten, also Geldmittel, die der Landtag genehmigen müsse. Akademische Lehrkräfte und Räume seien nicht vorhanden, ungenügende Voraus- setzungen würden die Schulreform belasten; die „überhastete Einführung unter schweren Mängeln würde dem Gedanken einer akademischen Ausbildung mehr schaden als nützen... An anderen Orten als an Hochschulorten erste Lehrgänge einzurichten, würde ein wenig aussichtsvolles Experiment bedeuten“.56 Der Kultusminister betonte, daß genügend Lehrer da seien, daß man Mühe habe, sie alle unterzubringen und daß die Not der Junglehrer groß sei. Die Zahl der Lehrer ohne Vollausbildung sei außerdem auch zurückgegangen: Von 900 am 1. Mai 1948 sei die Zahl auf 190 (1. März 1949) gesunken. Lehrer ganz ohne Ausbildung gebe es gar nicht mehr.57 Da die Militärregierung 1948 den Fortbestand der Lehrerbildungsanstalten verbo- ten hatte und diese in allgemeinbildende höhere Schulen in Kurzform umgewandelt wor- den waren, mußte auf Dauer eine Lösung zur Ausbildung der Volksschullehrer gefunden werden. Im April 1950 legte Kultusminister Hundhammer den Entwurf zu einem Lehrerbil- dungsgesetz vor, den er als „Kernstück der Schulreform“ (sic!) bezeichnete und in dem er den Beginn des Lehrbetriebs für Herbst 1950 forderte, um den Lehrernachwuchs sicherzu- stellen. Die Begründung überrascht, da noch im Herbst 1949 die Unterbringung der Lehrer ein so großes Problem zu sein schien. In dem Entwurf wurde die Berufsausbildung an einer Pädagogischen Hochschule vorgeschlagen; sechs Semester Studium sollten nach dem Abitur an einer höheren Schule eine „Lehrer- und Erzieherpersönlichkeit“ heranbilden, „die das ... anvertraute Amt mit innerer Hingabe, fachlichem Wissen und Können und sittlichem Verantwortungsbewußt- sein ausüben“ würde.58

54 BayHStA München. StK 113968. Schreiben des Amtes der Militärregierung für Bayern, Amt des Landesdi- rektors, am 8.9.1949 an Dr. Hans Ehard. 55 siehe S. 308. 56 BayHStA München. StK 113968. Schreiben Nr. 22769/Ko 4274/75 des Bayer. Ministerpräsidenten am 20.12.1949 an den Landeskommissar für Bayern, Clarence M. Bolds. Bezug: Schreiben vom 8. September. 57 Ebda. 58 Dokumente zur Schulreform, S. 317.

320 Zur Aufgabe der Pädagogischen Hochschule gehörte demnach neben der wissen- schaftlichen Einführung in die theoretischen Grundlagen der Unterrichts- und Erziehungs- arbeit und der praktischen Tätigkeit auch, die Studierenden „mit dem Ethos des Erziehers und Lehrers zur erfüllen“.59 In Vorlesungen und Übungen sollten Philosophie, allgemeine und pädagogische Psychologie, System und Geschichte der Pädagogik und Didaktik und Religionspädagogik gelehrt werden, die beruflich-praktische Ausbildung war an der Übungsschule vorgesehen, die jeder Pädagogischen Hochschule eingegliedert würde. Dane- ben gab es die Ausbildung in Musik, Zeichnen und „Handfertigkeiten“.60 Artikel 7 des Ent- wurfs betonte die besondere Beachtung des Art. 135, Absatz 2 (BV) und die Art. 5 §3 des Bayerischen Konkordats und Art. 6 Abs. 2 des Vertrages mit der Evang.-Luther. Landeskir- che.61 Das war eine schwere Hypothek, wie sich noch herausstellen sollte. Für die wissen- schaftlichen Lehrfächer sollten nur solche Lehrkräfte verwendet werden, „gegen die hin- sichtlich ihrer Eignung im Sinne ... der Bestimmungen des Konkordates und des Kirchen- vertrages... von der zuständigen kirchlichen Oberbehörde keine Erinnerung zu erheben“ sei,62 auch das ein zukünftiges Konfliktpotential. Ausdrücklich wurde zur äußeren Organisation der Pädagogischen Hochschule bemerkt, daß es eine wissenschaftliche Hochschule mit dem Recht der Selbstverwaltung sein solle.63 Bevor noch dieser Entwurf im Ministerrat wegen finanzieller Bedenken zurückge- stellt wurde64 und die Lehrerbildungsreform eine erneute Verzögerung erfuhr, war ihm die- ses Schicksal bereits vorausgesagt worden. Der Münchner Merkur vermerkte, daß Schulre- form in Bayern nicht zu den Dingen zählte, die mit Elan betrieben würden. Gerade die Lehrerbildung sei aber so wichtig, da jede Schulreform davon abhänge, „ob es möglich wird, die echte Lehrerpersönlichkeit vor die Schüler zu stellen“.65 Immerhin wurden ab Oktober 1950 Abiturientenlehrgänge zur Ausbildung für den Volksschuldienst eingerichtet, die zum ersten Mal das Reifezeugnis voraussetzten und 18 Monate dauern sollten.66 Im April 1951 gab es dann eine kultusministerielle Entschließung über „Volksschullehrerausbildung“, die die Übergangsregelung betonte, indem sie von den „‘vorerst‘ 18-monatigen Lehrgängen“ sprach, die für Bewerber mit Hochschulreife regel- mäßig im Herbst beginnen würden. Zur Berufsorientierung konnten die Interessenten um eine Genehmigung zur Hospitation nachsuchen, die jedoch eine Ausnahme und auf eine Woche beschränkt sein sollte.67 Für Mittelfranken konnten männliche evangelische Bewer- ber in Schwabach, weibliche in Neuendettelsau aufgenommen werden.68 Die vordem evan- gelische Lehrerinnenbildungsanstalt in Erlangen, die nun eine neue Oberschule in Kurzform war, gab aber auch Knaben aus Erlangen und Umgebung die Möglichkeit zur Aufnahme in die Eingangsklasse und auch katholischen Schülerinnen und Schülern, wenn sie dadurch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung, die in einer weiter entfernten Stadt anfallen würden, ersparten.69

59 Dokumente zur Schulreform, S. 317. 60 Ebda., S. 318. 61 Ebda. 62 Ebda. 63 Ebda., S. 318 f. 64 Müller, S. 187. 65 AdsD Bonn. LV Bayern I/207 (1950). Münchner Merkur Nr. 20, S. 4, o.D. 66 Dokumente zur Schulreform, S. 323. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult vom 8.7.1950 Nr. II 40671. 67 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken. Ansbach. 19. Jg. Nr. 7 vom 2.7.1951, S. 71. KME. v. 16.4.1951 Nr. II 21469. 68 LKAN. HB XII 136. Amtsblatt für die Evang.-Luth. Kirche in Bayern. Hrsg. v. Evang.-Lutherischen Landeskir- chenrat. München. Nr. 18 vom 12.8.1950, S. 89. Betreff: Lehrerbildung. 69 Amtl. Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken. Ansbach. 18. Jg. Nr. 5 vom 7.5.1950, S. 34.

321 14.2. DIE LEHRERBILDUNG IM WIDERSTREIT DER ÖFFENTLICHEN MEINUNG

14.2.1.Die Parteien

Für die Sozialdemokratische Partei zählte der Lehrer zu den „wichtigsten Personen des Volkes“. Seiner Leistung wegen stehe er mit dem Wissenschaftler und Künstler auf einer Stufe, seiner Aufgabe wegen aber noch vor ihnen.1 Nur ein Unverständiger könne daher behaupten, daß der Lehrer durch eine Universitätsausbildung dem Volke entfremdet werde. Im Gegenteil sei ein Höchstmaß an Wissensvermittlung zu fordern, und das erhalte der Leh- rer nur an den Universitäten. Die Sonderbedürfnisse der Lehrerbildung erforderten pädago- gische Institute mit Übungsschulen, an Universitäten angegliedert.2 Bereits in ihrem Schul- reformplan vom Juli 1947 hatte die SPD die Ausbildung der Lehrer für die Grund-, Mittel- und Oberstufe und für die höheren Fachschulen an pädagogischen Seminaren in Verbin- dung mit den Universitäten gefordert, der Lehrerbildung die Priorität jeder Schulreform zuer- kannt und betont, daß sie „für alle Lehrenden in einheitlichem Geiste“ durchzuführen sei.3 Das Argument, es sei kein Geld vorhanden für die Hochschulbildung, wollte die SPD nicht gelten lassen. In der Landtagsdebatte am 29. Januar 1948 schlug der Abgeordnete Pittroff einen „Kulturbeitrag“ vor, der als mögliche Sondersteuer zur Finanzierung beitragen soll- te. Es gehe nicht an, Forstbeamten oder Tierärzten akademische Ausbildung vorzuschrei- ben und für Kinder, „die das Ebenbild Gottes“ seien, Leute in die Klassen zu stellen, die ihr Wissen aus zweiter und dritter Hand bezögen.4 1950 befaßte sich die SPD erneut mit der Lehrerbildung, forderte z.B. eine pädago- gische Grundausbildung für alle Lehrer und dann erst die Fachstudien,5 aber auch, daß pädagogisch begabte Menschen ohne Reifezeugnis Lehrer werden könnten.6 Dieses Ver- langen, sicher sozial gedacht und gut gemeint, konnte den Anspruch auf Universitätsbil- dung auch für Volksschullehrer wieder hemmen und die Partei unglaubwürdig erscheinen lassen. Im SPD-Entwurf eines Lehrerbildungsgesetzes aus dem Jahr 1950, Landtagsbeilage 4219, war davon auch nicht mehr die Rede. Dort hieß es: „Die Hochschulreife erlangen die Volksschullehrer auf einer die Hochschulreife vermittelnden allgemeinbildenden höheren Schule.“7 Vorgeschlagen wurde, daß an jeder bayerischen Universität ein pädagogisches Institut eingerichtet würde, das den Fakultäten der Universität gleichgestellt sein sollte. Zum Studium, das sechs Semester dauern würde, wollte man nur Bewerber mit persönlicher und gesundheitlicher Eignung für den Lehrerberuf zulassen.8 Zur Begründung der Universitäts- bildung für Volksschullehrer meinte Claus Pittroff, MdL (SPD), daß sie Gelegenheit haben

1 AdsD Bonn. LV Bay I/207. Dr. Siegfried Ziegler am 14.3.1950 an Waldemar v. Knoeringen. „Sozialdemokrati- sche Forderungen zur Schulreform unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Bayern.“ (Entwurf zu einer Broschüre), S. 16. 2 Ebda., S. 17. 3 Dokumente zur Schulreform, S. 103 u. 107. Schulreformplan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, bearbeitet von Staatssekretär Claus Pittroff in Gemeinschaft mit dem schulpolitischen Ausschuß der SPD. 17.7.1947. 4 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 48. Sitzung am 29.1.1948, S. 677. 5 Bemerkenswerterweise wurde hier, wenige Jahre nach dem Krieg, etwas gefordert, das es bereits im NS- System gegeben hatte. (Bericht Prof. Dr. Fürnrohr, Gauting. Frau Gerda Kersten, Liebenburg i. Niedersachsen, bestätigte, daß an der Pädagogischen Hochschule in Hannover im 1. Semester Studierende für das Lehramt an höheren Schulen an den Veranstaltungen teilgenommen hatten.). 6 Scharfenberg, Bd. 1. Protokoll der Verhandlungen des Parteitages der SPD vom 21.-25.5.1950 in Düsseldorf, o. Erscheinungsort und -jahr, S. 281 f. 7 Dokumente zur Schulreform, S. 330. SPD-Entwurf eines Lehrerbildungsgesetzes. Landtagsbeilage 4219 vom 4.9.1950 (Dr. Beck und Fraktion, SPD). 8 Ebda.

322 müßten, auf einem Spezialgebiet selbständig wissenschaftlich arbeiten zu lernen.9 Sein Par- teigenosse Dr. Beck glaubte, daß die Forderungen der Arbeitsschule nur erfüllt würden, wenn die Lehrerbildung an die Hochschulen verlegt würde.10 Und die „wohlverstandene Ein- heitsschule“ verlange eo ipso das Miteinanderarbeiten aller Lehrer aller Schularten.11 Noch einmal, im Jahr 1953, legte die SPD Gedanken zur Lehrerbildung vor. Im Hand- buch sozialdemokratischer Politik bemängelte sie die Vernachlässigung der Volksschullehrer- ausbildung durch den „Obrigkeitsstaat“ und forderte die Gleichrangigkeit mit den übrigen akademischen Studienzweigen. Da es sich um einen der „menschenführenden Berufe“ han- dele, könne die Ausbildung nicht anders sein als beispielsweise bei Pfarrern oder Richtern,12 wobei man sicher an die qualitative Gleichwertigkeit dachte. Ende des Jahres 1952 stellte die SPD-Fraktion im bayerischen Landtag den Antrag zum Gesetzentwurf über die Ausbildung für das Lehramt an Volksschulen. Das Studium von sechs Semestern sollte an den Landesuniversitäten München, Würzburg und Erlangen erfol- gen „sowie innerhalb der Philosophischen Fakultäten oder der Allgemeinen Abteilungen an der Technischen Hochschule München und der Wirtschaftshochschule Nürnberg“.13 Vor- geschlagen wurde ein Wahlfach, in dem die Befähigung zu selbständiger wissenschaftlicher Arbeit erworben würde. Das Zeugnis der Hochschulreife, die Ableistung eines Vorprakti- kums von vier Wochen und „eine musikalische Vorbildung in Gesang und einem Instru- ment“ mußten nachgewiesen werden.14 Das Recht zur Promotion wurde zugestanden, während es im Entwurf von 1950 noch geheißen hatte: „Promotions- und Habilitations- recht stehen dem pädagogischen Institut nicht zu.“15 Die FDP begründete den hohen Stellenwert, den die Lehrerbildung für sie hatte, mit dem Ziel der Überwindung der Untertanenmentalität und der notwendigen Festigung der neuen deutschen Demokratie. Der Mittelpunkt eines Schulreformplanes müsse daher die Lehrerbildung sein.16 Während der Landtagsdebatte am 29. Januar 1948 forderte der Abge- ordnete Schneider das Universitätsstudium der Lehrer, um endlich den „freien“ Lehrer zu haben, „der einmal im starken Wind der reinen Wissenschaft, des freien Geistes“ gestanden habe und nicht mehr „jene devote und subalterne Person (sei), die sich beugt und beugen muß vor jedem Vorgesetzten“. Es gebe wohl keinen Berufsstand, „der der oft mutwilligen ... Kritik der Öffentlichkeit mehr ausgesetzt“ sei. Von solchen Fesseln müsse man die Lehrer befreien; erst dann erhalte man die Persönlichkeiten, „die von innen her eine neue Schule zu schaffen fähig“ seien.17 Das Scheitern der Weimarer Demokratie führte die FDP nicht zuletzt auf ein Ver- sagen der Lehrerschaft zurück.18 In ihrem vorgelegten „Gesetz über die Neuordnung des Schul- wesens“ forderte sie denn auch die Auslese und Ausbildung der Lehrer aller Zweige und Stu- fen des Schulaufbaues als „Wurzel einer Neugestaltung des Schulwesens“.19

9 Schule und Gegenwart, 8/1949, S. 12. 10 AdsD Bonn. LV Bayern I/207. Schreiben des Dr. Heinz Beck, MdL, am 16.3.1950 an das Landessekretariat der SPD, z. Hd. v. Genosse Kröller. 11 Schule und Gegenwart 3/1950, S. 3. 12 Scharfenberg, Bd. 1, S. 16. Handbuch sozialdemokratischer Politik. Hrsg.: Vorstand der SPD. Bonn 1953, S. 130 f. 13 Archiv des BLLV, München. Schulpolitischer Informationsdienst. Hrsg. vom Pressereferat des Bayerischen Leh- rer- und Lehrerinnenvereins. München. 5.1.1953, Nr. 7/1953. Beilage 3765. Bayerischer Landtag. Tagung 1952/53. 17.12.1952. von Knoeringen, Pittroff und Fraktion (SPD). 14 Ebda. 15 Dokumente zur Schulreform, S. 330. 16 Huelsz, S. 59 f. 17 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 48. Sitzung am 29.1.1948, S. 687. 18 Huelsz, S. 60. Sie zitiert Fritz Linnert: Das Problem Volksschule. In: Echo, 2. Jg. Nr. 1/1947. 19 ACSP München. NL Seidel. Bayer. Landtag. Tagung 1947/48. Beilage 916. Antrag Dr. Korff, Dr. Dehler und Fraktion (FDP) zur Durchführung des Art. 128 der Verfassung. Gesetz über die Neuordnung des Schulwesens. 3.12.1947.

323 Die Zulassung zum Lehrerberuf sollte geknüpft sein „an die Voraussetzung eines min- destens viersemestrigen Studiums der Erziehungswissenschaften“, wobei der erfolgreiche Besuch des musisch-pädagogischen Zweiges einer allgemeinen Schule mit zwei Semestern angerechnet werden konnte.20 Während der Tagung des Landeskulturausschusses der FDP in Nürnberg 1950 wurde betont, daß die Lehrerausbildung eine „vollwertige akademische... an den Universitäten“ sein müsse. Da aber die bayerische Verfassung vorschrieb, daß „die Lehrer an den Bekenntnisschulen den Unterricht in der entsprechenden Konfession“ halten müßten, befürchtete man, „daß die Lehrerausbildung an den bestehenden Universitäten in die Hände der theologischen Fakultät“ gerate.21 Es wurden daher einstimmig ein Antrag angenommen, mit dem der kulturpolitische Ausschuß der Freien Demokratischen Partei die Landtagsfraktion bat, „dahin zu wirken, daß die Lehrerausbildung sowie die pädagogischen Institute den bestehenden Universitäten als pädagogische Fakultäten eingegliedert wer- den.“22 Der Abgeordnete Korff schlug darüber hinaus vor, eine „interkonfessionelle“ Leh- rerausbildung auch in Nürnberg an der wirtschaftswissenschaftlichen Hochschule durchzu- führen.23 Zu den Inhalten der Lehrerbildung führten die Freien Demokraten aus, daß sie nicht „engstirnig“, nur auf den Lehrerberuf gerichtet sein sollten, sondern Allgemeinwis- sen und politische Bildung vermitteln müßten. Nichts sei verhängnisvoller gewesen als der „unpolitische Lehrer“ 1933.24 Die Querelen um eine adäquate Ausbildung der Volksschullehrer25 und die Sorge um einen drohenden Lehrermangel veranlaßten die Delegierten des Landesparteitags im Mai 1952 zu der Forderung, „binnen kürzester Frist das Lehrerbildungsgesetz im Landtag zu beraten und zu verabschieden“.26 Auch im Jahr 1953 bekräftigte der Kulturpolitische Aus- schuß das Festhalten der Partei an der Ausbildung der Lehrer an den bestehenden Univer- sitäten und gleichwertigen Hochschulen.27 Die CSU befand sich in der Frage der Lehrerbildung in einem Dilemma, in das sie sich selbst heineinmanövriert hatte. Unter Kultusminister Hundhammer hemmten Verzögerun- gen die erforderlichen Maßnahmen zur Errichtung der Pädagogischen Hochschulen, wie man sie im Gesetzentwurf vom April 1950 angepriesen hatte, während die Weiterführung der Lehrerbildungsanstalten von der Militärregierung verboten worden war. Hundhammers Nachfolger im Amt, Schwalber, hatte die schwierige Aufgabe, die Lehrerausbildung endlich aus dem Stadium der Übergangslösungen heraus- und einem befriedigenden Ergebnis zuzuführen. Eine Schrift vom Februar 1951, Betreff: Lehrerbildung, Übergangsmaßnahmen, wahr- scheinlich im Kultusministerium erstellt, möglicherweise von Kultusminister Schwalber selbst, befaßte sich mit der offensichtlich drängenden Frage. Bezugnehmend auf den Gesetzentwurf vom April 1950 wurden die hauptsächlichsten Einwände und Gegenvor- schläge aufgelistet und festgestellt, woher Widerstände zu erwarten seien, nämlich aus Finanzkreisen, von politischer Seite, von den Lehrern und den bestehenden Hochschulen. Wiederum wurde auch die „Ungunst der Zeit“ beschworen, die immer herhalten mußte, wenn es um die Volksschulen und Volksschullehrer ging. Im Jahr 1951 schien die besonde- re Ungunst von der Polizeivermehrung und der Aufrüstung herzurühren (sic!).28

20 Ebda. 21 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1-56. Protokoll der Tagung des Landeskulturausschusses am 12.3.1950 in Nürnberg, S. 3. 22 Ebda., S. 8. 23 Ebda., S. 3. 24 Ebda., S. 6. 25 siehe S. 312-321. 26 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1-97. Landesparteitag in Augsburg. 24./25.5.1952. Kulturpoliti- sche Entschließungen, S. 6. 27 Ebda., N1-118. Entschließungen des Kulturpolitischen Ausschusses. Lohr/Main, 17.4.1953. 28 Archiv des BLLV. Betreff: Lehrerbildung, Übergangsmaßnahmen. Schrift vom Februar 1951, o.V., S. 1.

324 Auf der ersten Seite dieser Denkschrift wurde bezweifelt, ob eine Neuregelung der Lehrerbildung noch im selben Jahr bewerkstelligt werden könne. „Trotzdem sollte etwas geschehen. Völlige Passivität könnte für das Ministerium mißliche Folgen haben.“ Durch die fortwährende Verschiebung der Reform könne man aber Zeit gewinnen, die genutzt wer- den müsse, denn „für die Neuregelung ist eigentlich nichts vorbereitet, es fehlt an allem.“29 Wichtig erschienen dem Verfasser Zwischenmaßnahmen zur Beruhigung weiter Kreise. Dazu gehörte „(e)in klares, bei einem betonten Anlaß ausgesprochenes Bekenntnis zur hochschulmäßigen Lehrerbildung“, daß an sich nicht neu und von Dr. Hundhammer schon abgegeben worden sei,30 das aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt und durch die richtige Formulierung wirkungsvoll sein würde, wobei alle Einzelheiten offen bleiben könnten. Wesentlich sei, das Ziel als unverrückbar anzugeben. Eine Reihe vorbereitender Maßnah- men sollte angegangen werden, wobei „die besondere Situation... wohl das Recht (gebe), bis an die Grenze des administrativ Zulässigen zu gehen“, ohne der Zuständigkeit des Land- tags vorzugreifen.31 Dazu gehörten organisatorische Vorbereitungen, die endgültige Umwandlung der LBAs betreffend, das Abitur als zwingende Voraussetzung und die Berufs- bildung in 24 Monaten. Eine Verringerung der 25 Lehrerbildungsanstalten auf sieben Pädagogische Hochschulen war vorgesehen, ebenso die Verankerung der geplanten musi- schen Gymnasien auf dem flachen Land, da sie mit ihren Heimen ihre Schüler vor allem aus der Landbevölkerung aufnehmen sollten. Das sei der richtige Lehrernachwuchs. Kinder aus Akademiker- oder Großindustriellenkreisen erwarte man nicht, die Schulen würden immer „scholae pauperum“ (sic!) bleiben.32 Der Lehrerberuf wurde vom Verfasser soziologisch als „Durchgangsberuf im gesellschaftlichen Aufstieg“ gewertet, und vor allem begabte Bau- ernkinder sollten für diese Schule geworben werden, von der gesamten Volksschullehrer- schaft und vor allem von den Schulräten. Die Errichtung Pädagogischer Hochschulen sei für die Städte München, Würzburg, Augsburg, Passau (alle katholisch) und für Erlangen (evan- gelisch) vorgesehen. Dazu könne man auch Bamberg oder Eichstätt und Bayreuth oder Coburg ins Auge fassen.33 Die personelle Vorbereitung sei ein weiterer wesentlicher Punkt, und der Verfasser vertrat die Ansicht, daß jeder Lehrende die Volksschularbeit „aus mehrjähriger, unmittelba- rer Erfahrung“ kennen solle. Der Großteil der hochschulmäßigen Lehrkräfte müsse dem- nach aus den Reihen der Volksschullehrer kommen. Dazu wurden etliche Maßnahmen zur Förderung eines Hochschulstudiums für tüchtige Lehrer vorgeschlagen, zu denen z.B. auch die Versetzung an einen Hochschulort zählte; bei den Verkehrsanbindungen damals ein berechtigter Vorschlag. Einzelwünsche sollten berücksichtigt und bedeutende schriftstelle- rische Leistungen gefördert werden.34 Für die Lehrer der Ausbildungsschulen, die Fortbil- dungsleiter oder auch für Schulaufsichtsbeamte schwebte dem Verfasser eine besondere Pädagogische Staatsprüfung vor, die im Anschluß an acht Semester Studium mit verbindli- chem Fächerkanon, der den Bedürfnissen der Lehrerbildung Rechnung tragen müßte, abge- legt werden könne.35

29 Ebda., S. 1. Diese Aussage könnte Winfried Müllers Frage, ob Hundhammer im Sinn hatte, nach dem Rück- zug der Besatzungsmacht aus der Schulpolitik zum früheren System der Lehrerbildungsanstalten zurückzu- kehren, verifizieren. (Müller, S. 188). 30 Auch Prälat Meixner (CSU) hatte sich der Empfehlung, Pädagogische Institute an Hochschulen und Univer- sitäten einzurichten, angeschlossen. 31 Archiv des BLLV. Betreff: Lehrerbildung, Übergangsmaßnahmen. Schrift vom Februar 1951, o.V., S. 2. 32 Ebda., S. 4 f. 33 Ebda., S. 5 f. 34 Ebda., S. 7 ff. 35 Ebda., S. 10 f.

325 Als wesentlich bezeichnete der Autor der Schrift die Hebung der Besoldung der Leh- rer, da der herrschende Zustand „wohl nicht mehr lange erträglich sein“ könne, bedenke man die staatspolitische Bedeutung des Lehrerstandes, das Reifezeugnis als Voraussetzung und die drei Jahre dauernde amtliche Fortbildung. Allerdings erschien dem Verfasser das Aufrollen der Besoldungsfrage als „gefährlich“, da die Finanzminister sie „als Einleitung eines Generalangriffs auf die gesamte Besoldungsordnung betrachten...(und) der gering- sten Änderung geschlossenen Widerstand entgegensetzen“ würden. Die Frage sei aber von entscheidender Bedeutung, denn ein schlecht bezahlter Lehrerstand würde in einer mögli- chen Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs den Abiturienten keine Alternative bieten.36 Anscheinend wollte der Verfasser sehr behutsam vorgehen, denn er schrieb, daß es zunächst bei einer „moralischen Anerkennung der Forderung der Lehrer nach besserer Besoldung“ bleiben müsse. Hundhammers Vorschlag der Wiedereinführung des alten bayerischen Oberlehrers sollte aufgegriffen werden.37 Zu den sonstigen Maßnahmen die- ser Schrift gehörten die Hebung des Ansehens des Lehrerstandes und der Schule, die Hebung der pädagogischen Forschungsstätten, besonders der pädagogischen Lehrstühle an den Universitäten. Es sei „kein Segen für die Entwicklung der Pädagogik, daß alle Uni- versitätsprofessoren primär Philosophen sein“ müßten. Die „Verstiegenheit, Lebensferne und Wirklichkeitsscheu unseres pädagogischen Schrifttums“ sei z.T. die Folge davon.38 Angeregt wurde auch, die aus den bisherigen Lehrerbildungsanstalten hervorgegangenen Oberschulen deutlicher ins Bewußtsein der Bevölkerung zu rücken und sie in das System der höheren Schule einzugliedern.39 Alles komme darauf an, „daß die Übergangsmaßnah- men nicht den Eindruck erwecken, daß der Plan der Akademisierung der Lehrerbildung auf- gegeben sei“. Die neue Ausbildung dürfe auch nicht die Einheit des Lehrerstandes gefähr- den. Hierin sah der Verfasser eine sehr wichtige Aufgabe des Staatsführung.40 Insgesamt macht die Denkschrift einen etwas schizophrenen Eindruck. Der Leser weiß nicht, ob in ihr Möglichkeiten einer vordergründigen Beruhigung unzufriedener Lehrer oder ob tatsächlich ins Auge gefaßte Planungen aufgelistet wurden. Unverkennbar war sie aber eine vorsichtige Gratwanderung. Verschiedene Quellen bezeugen, daß die CSU das unbedingte Festhalten am kon- fessionellen Charakter der Lehrerbildung als unverzichtbar für eine „wahrhaft christliche Kulturpolitik“ hielt und das vor allem damit begründete, daß die konfessionelle Lehrerbil- dung bedingt sei durch die Natur der Bekenntnisschule.41 Gegen die Ausbildung der Volks- schullehrer auf Hochschulebene konnte auch die CSU nicht mehr auftreten, obwohl der Abgeordnete Donsberger behauptete, daß nur die Führung des Lehrervereins „und einige Giggerl“ die Hochschulbildung wollten; das Gros der Lehrer sei desinteressiert.42 Aber die CSU hatte erkannt, daß sie sich nicht dem Vorwurf aussetzen könne, sie wolle die Lehrer- schaft gesellschaftlich und wirtschaftlich herabdrücken. Allerdings trat sie für das Studium an pädagogischen Hochschulen ein und nicht „wie die SPD es will, an und in den Univer- sitäten.“43 Der Gesetzentwurf der CSU zur Lehrerbildung vom 18. Dezember 1952 war dann nahezu identisch mit Hundhammers Entwurf vom April 1950.44

36 Ebda., S.12. 37 Ebda., S.13. 38 Ebda. 39 Ebda. 40 Ebda., S. 14. 41 AdsD Bonn. LV Bayern I/208. Süddt. Zeitung vom 18.7.1951; ACSP München. LTF Protokolle. Niederschrift der Fraktionssitzung vom 9.1.1952. Lehrerbildungsgesetz, S. 3. 42 ACSP München. LTF Protokolle. Niederschrift der Fraktionssitzung vom 9.1.1952. Lehrerbildungsgesetz, S. 4. 43 Ebda., S.3 f. 44 Archiv des BLLV. Schulpolitischer Informationsdienst. München. Herausgegeben vom Pressereferat des Bayer. Lehrer- und Lehrerinnenvereins. Nr. 7/1953, 5.1.1953.

326 14.2.2.Kirchen und andere gesellschaftliche Kräfte

Noch bevor die amerikanische Erziehungskommission sich im Herbst 1946 mit der Frage der Volksschullehrerbildung befaßt hatte, hatte es - im Juli 1945 -Besprechungen von Schulfragen im bayerischen Kultusministerium gegeben, zu einem Zeitpunkt, als Dr. Otto Hipp (CSU) noch Kultusminister war. Landesbischof Meiser vermerkte in seinem Protokoll darüber, daß die Lehrerbildung konfessionell getrennt in sechskursigen Lehrerseminaren nach der „früheren Ordnung“ erfolgen solle. Die Lehrerhochschulbildung habe sich selbst ad absurdum geführt und werde daher nicht wieder aufgenommen.1 Eine nähere Erklärung für dieses Verdikt wurde nicht geliefert, es war aber wohl eine Anspielung auf die Pädago- gischen Hochschulen während der NS-Zeit. In seinem „Memorandum zur Neugestaltung des Schulwesens“, das Meiser für die Konferenz von Treysa vorbereitet hatte, forderte er, daß die Lehrerbildung „dem Tatbestand der Bekenntnisschule gerecht werden“ müsse und daß die angehenden Lehrkräfte „für die Erteilung des evangelischen Unterrichts äußerlich und innerlich auszurüsten“ seien;2 wohlgemerkt, nicht für den evangelischen Religionsun- terricht! Vielfältig wurde die „radikale und totale Erneuerung der Lehrerschaft“ verlangt, das Volk wurde aufgefordert zu sehen, „welch ein großes Ding es ist um einen guten ‚Schul- meister‘ und eine rechte Lehrerin“.3 Der zukünftige Erzieher müsse in einem Geist erzogen werden, der „unserer Demokratie“ entspreche;4 „reich gebildete Lehrer und ehrfurchtge- bietende Erzieher“ sollten den Schulen geschenkt werden.5 Es wurde aber auch gefordert, dem Lehrer die Möglichkeit der „eigenen Begegnung mit der lebendigen geistigen Welt“ zu geben und ihn zu befähigen, durch Aus- und Fort- bildung „mutig seine Stellung im Bildungsvorgang einzunehmen und auszufüllen“.6 Die „freie Persönlichkeit des Lehrers“, der etwas verspüren solle von der Freiheit der Wissen- schaft und ihrer Lehre, der vom Kleinbürger zum Weltbürger, „vom Untertan zum Herrscher in seinem Bereich, vom Befehlsempfänger zum Treuhänder des Geistes“ sich wandeln solle, das waren die Anliegen einer eher kleinen Anhängerschar der universitären Lehrerbildung.7 Sie fürchtete, daß die politisch einflußreichen Kräfte in Bayern „die Freiheit mißtrauisch“ umschleichen und den Lehrer wieder einmal „in den ‚Dienst stellen‘ wolle anstatt in die hohe Dienerschaft des Geistes“.8 Der Erzieher sei der „Gärtner seines Volkes“, dessen sozia- le Herabdrückung nur negative Folgen haben könne.9 Gemäß dem jeweiligen Standort, der den Wert der Lehrerpersönlichkeit bestimmte, variierten die Empfehlungen für die Ausbildung. Von der evangelischen Kirche kam z.B. die Feststellung, daß „die Lehrerschaft einen Nachwuchs braucht, der mit seinem Berufsbe-

1 LKAN. LKR VI 1100a (3064). „Besprechung von Schulfragen im Kultusministerium“. 30.7.1945, gez. D. Mei- ser. 2 Ebda., Memorandum zur Neugestaltung des Schulwesens“. 22.8.1945. Vervielfältigt für die Konferenz in Treysa, gez. D. Meiser. 3 Haug, S. 22. 4 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 42. Sitzung am 11.12.1947, S. 475 (Abg. Gromer, CSU). 5 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Tagung der katholischen Schulorganisation in Bayern. 23./24.10.1948 in Mün- chen. 6 Erich Weniger: Wie kann die pädagogische Theorie der Praxis im Streit um die Schulreform helfen? Sonder- druck aus „Pädagogische Beiträge“. 4. Jg. Heft 7/1952, S. 344. 7 Schule und Gegenwart, 6/1950, S. 17. 8 Ebda. 9 BayHStA München. MK 61212. „Die Quelle“. Funktionärorgan des deutschen Gewerkschaftsbundes, Köln. 1. Jg. Heft 9/Sept. 1950. Referat von Dr. h.c. Hans Böckler, 1. Vors. des Dt. Gewerkschaftsbundes auf der Tagung des ADLLV in Goslar, S. 58 f.

327 wußtsein ganz entschieden auf die Volksschule ausgerichtet ist... (N)iemand, der den Lehr- betrieb unserer Universitäten kennt, (wird) bezweifeln können, daß derselbe für die Heran- bildung eines Standes von wirklichen Volksschullehrern sehr ungeeignet ist...“10 Diese Behauptung mußte natürlich erhärtet werden, und so verfaßte Lic. Schmidt die „Gedanken zur Lehrerbildung“.11 Für ihn war es unzweifelhaft, daß der „innere Trieb“ für die Erzieher- tätigkeit beim Volksschullehrer das Wichtigste sei. Unbestreitbar sei aber auch, daß sowohl eine gediegene Berufsausbildung pädagogischer und unterrichtlicher Art, als auch eine „umfassende Zurüstung“ für die moderne, durch die Technik so vehement veränderte Kul- tur erforderlich seien. Die Erweiterung der Lehrerbildung weise daher zur Hochschule.12 Bis hierher konnte niemand widersprechen, aber dann versuchte Schmidt zu beweisen, warum diese Hochschule nicht die Universität sein konnte (oder durfte?). Er bestritt nicht, daß auch ein Volksschullehrer „an irgendeinem Punkt die Methode der wissenschaftlichen Arbeit ken- nenlernen soll“; dazu böten sich ihm Pädagogik, Psychologie und Methodik an. Noch ein weiteres Fach wissenschaftlich zu betreiben, sei unmöglich in der zwei- bis dreijährigen Stu- dienzeit.13 Aber die Universität sei dennoch nicht die richtige Ausbildungsstätte für den Volks- schullehrer. Sie pflege als Ort der wissenschaftlichen Forschung „eine ganz andere Denk- weise ... als sie der Volksschullehrer braucht. Durch das universitätsmäßige Denken wird der Student aus der pädagogischen Haltung geradezu herausgedrängt“. Wenn er aber mit Kin- dern reden wolle, müsse er „die unbeteiligte, objektive, sachlich forschende Einstellung“, die das Ideal des Studiums gewesen sei, aufgeben.14 Ein weiterer Einwand bestand darin, daß Schmidt zu Recht bezweifelte, daß eine Universität mit ihrer „‘voraussetzungslosen‘ Wissenschaftlichkeit“ Raum habe für ein Insti- tut mit den „notwendigen weltanschaulichen Einrichtungen“, wie sie von Konkordat und Staatsvertrag gefordert würden. Es sei eine ständige Zerreißprobe zu erwarten zwischen wissenschaftlicher und politischer Welt.15 Für Schmidt gehörten also die Kirchenverträge zur politischen Welt. Diese Einstellung erklärte zwar den heftigen Kampf um die Konfessions- schulen, den beide christlichen Kirchen führten,16 nicht aber den häufigen Hinweis auf die innere Berufung, die ein Volksschullehrer mitbringen müsse, um den Schülern gerecht zu werden. Schmidts Einstellung entlarvte die von der Kirche immer wieder bemühte pädago- gische Aufgabe des Lehrers als Verbrämung ihrer Machtansprüche. Unerträglich war ihm auch, wenn die im Konkordat und im Staatsvertrag vereinbarten Einrichtungen zur Sicher- stellung der konfessionellen Lehrerbildung dadurch eine „starke Herabminderung“ ihres Wertes erfahren würden, daß sie nur „zusätzlich“ außerhalb der Fakultät bestehen wür- den.17 Eine weitere Begründung für die Ablehnung des Universitätsstudiums für Volks- schullehrer kam nicht nur von kirchlicher Seite. Schmidt befürchtete „die schwierige Spal- tung“, in die der Lehrerstudent komme, angesichts des „ungeheure(n) geistige(n) Speise- zettel(s)“ der Universität. Vor allem die bestbenoteten angehenden Lehrer würden in kür- zester Zeit ihr Lieblingsfach finden, die praktische Vorbereitung am Lehrer-Institut vernach- lässigen, aus der Lehrerbildung ausscheiden und eine andere Studienrichtung einschlagen.

10 LKAN. Kreisdekan Nbg. 42. Schreiben Nr. 13627 des Evang.-Luther. Landeskirchenrats, München, am 27.10.1950 an Herrn Hauptlehrer K. Knoll, Nürnberg, Hainstr. 22. 11 Archiv des BLLV München. „Gedanken zur Lehrerbildung“. o.D. 12 Ebda., S. 2. 13 Ebda., S. 3. 14 Ebda., S. 4. 15 Ebda., S. 6. 16 siehe S. 358-364, 384-390, 435-479. 17 Archiv des BLLV München. „Gedanken zur Lehrerbildung“. o.D., S. 6.

328 Es sei geradezu ein Vabanquespiel, die Lehrerbildung von vornherein so einzurichten, daß sie „in das Kraftfeld eines großen Magneten gerät“, der die besten Studenten, die vielleicht gar nicht auf diesen Gedanken gekommen wären, herausziehen würde.18 Ließ sich diese Vorsichtsmaßnahme mit Art. 128 (1) BV vereinbaren, wo es hieß, daß jeder Bewohner Bay- erns Anspruch darauf habe, eine seinen Fähigkeiten und seiner inneren Berufung entspre- chende Ausbildung zu erhalten? Stellten Schmidts Überlegungen nicht das bewußte Fern- halten der Lehrerstudenten von der Freiheit der wissenschaftlichen Lehre dar? Offensicht- lich fürchtete er doch den Vergleich, den zu ziehen die künftigen Volksschullehrer imstande sein würden, wenn sie die wissenschaftliche Lehre an der Universität und die Ausbildung an einem pädagogischen Institut „entsprechend den Staatsverträgen“ betrachteten. Infol- gedessen empfahl Schmidt die pädagogische Hochschule, an der ein Großteil der Schwie- rigkeiten gar nicht erst auftauchen konnte. Anstatt also die Studenten „in den Garten der weitausgreifenden objektiven Wissenschaften zu führen, in dem sie sich in zwei bis drei Stu- dienjahren nicht zurechtfinden“ könnten (bzw. in dem sie sich gar nicht zurechtfinden durf- ten), sollte ihnen an der pädagogischen Hochschule die Erfahrung vermittelt werden, „daß echte pädagogische Gesinnung letztlich von konkreten religiösen Entscheidungen lebt“.19 Die Lehrer der pädagogischen Hochschule sollten „die vorzüglichsten Kräfte der Volksschullehrerschaft“ sein. Ihr Vorteil sei, daß sie aufgrund ihrer Mitarbeit im Religions- unterricht während ihrer Zeit als Volksschullehrer das rechte innere Verhältnis zur christli- chen Erziehung hätten und das Ihre tun könnten, daß an den pädagogischen Hochschulen „der Geist christlicher Erziehung“ herrscht. So hätte man bald Junglehrer, die sich auch „aktiv an der kirchlichen Unterweisung im Religionsunterricht“ beteiligten.20 Alles in allem hatte Lic. Schmidt eine Schrift vorgelegt, deren Inhalt vielen Zeitge- nossen aus dem Herzen sprach, natürlich auch denjenigen, die politisch an der Macht waren: eine kurze Studienzeit verhinderte die gründliche wissenschaftliche Ausbildung, war allenfalls geeignet, sich mit den Hilfswissenschaften zu beschäftigen, und erlaubte dem zukünftigen Lehrer keine echte Auseinandersetzung mit der freien Lehre. Das bedeutete die bewußte Kleinhaltung des gesamten Lehrerstandes und die geringere Bezahlung. „Uni- versitätsmäßiges“ Denken und pädagogische Haltung wurden als Widerspruch betrachtet, wobei letztere wiederum mit abwertender Konnotation versehen wurde. Die Gefahr des fehlenden Lehrernachwuchses für das Land wurde bereits erkannt, und ihr sollte dadurch gesteuert werden, daß der zukünftige Dorfschullehrer gar nicht erst die „Stadtluft“ schnuppern konnte, die ihn frei machen würde. Er wurde sorgsam verwahrt an konfessionell geprägten pädagogischen Hochschulen, wo er von seinesgleichen belehrt werden würde, um dann in die Idylle der Zwergschule zurückzukehren, vornehmlich zum Zwecke der kirchlichen Unterweisung der Schulkinder, da nicht genügend Pfarrer zur Ver- fügung standen. Daß hochqualifizierte Volksschullehrer die Dozenten sein sollten, war inso- fern günstig, als die Bezahlung niedrig gehalten werden konnte. Ohne deren Verdienste schmälern zu wollen, mit einer derartigen Ausbildung konnte die Volksschullehrerbildung einer verordneten Anspruchslosigkeit nicht entkommen.

18 Ebda., S. 6. 19 Ebda., S. 7. 20 Ebda., S. 7.

329 14.2.3. Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverein

Der Bayerische Lehrerverein befaßte sich im Rahmen seiner Reformpläne im Jahr 1947 auch mit der Lehrerbildung. Zur Begründung wurde aufgeführt, daß nur eine „sehr sorg- fältig ausgebildete Lehrerschaft“ fähig sei, die vorgestellte Schulreform auch durchzu- führen.1 Die Ausbildung müsse außer Psychologie und Pädagogik besonders Studien in Anthropologie und Soziologie umfassen, und das sei nur auf Universitäten möglich. Dane- ben forderte der BLV für alle Lehrer eine gleiche 6semestrige erziehungswissenschaftliche Ausbildung „auf psychologisch-pädagogischen Erziehungsinstituten der Universität“. Erst die gleichartige und gemeinsame pädagogische Ausbildung aller Lehrer ermögliche eine „organische Einheit der Schulen und Unterrichtsmethoden durch eine organisch zusam- menarbeitende Lehrerschaft“.2 Speziell für Volksschullehrer lautete die Forderung des Leh- rervereins, mindestens ein wissenschaftliches Fach in sechs Semestern auf der Universität zu studieren, denn ein Volksschullehrer müsse wissenschaftlich arbeiten können, und je stadtferner er eingesetzt sei, umso notwendiger sei dies. Außerdem müsse endlich begon- nen werden, ihn von der „völlig ungerechtfertigten und unnötigen Sonderausbildung in die Gemeinschaft all derer (zu holen), die im Mittelpunkt der geistigen Strömungen der Zeit, also an der Universität, sich vorbereiten zu den kulturellen Führungsaufgaben (Akad. Lehrer, Juristen, Geistliche, Ärzte usw.)“.3 Ein praktisches Jahr in Verbindung mit einer „Pädagogischen Akademie“ für alle Leh- rer hielt man für unverzichtbar, ebenso die „Ausscheidung der pädagogisch Ungeeigneten“ nach dem zweiten Semester.4 Als Ort der Ausbildung kamen für den BLV zunächst die drei Landesuniversitäten in Frage, anzustreben sei aber „in Zusammenarbeit mit anderen deut- schen Ländern die Möglichkeit des Studiums von 1-2 Semestern auf einer außerbayerischen Universität“.5 Das waren geradezu revolutionäre Vorschläge angesichts der vom damaligen Kultusminister vertretenen Ansicht, daß Bayern sich vor allem von norddeutschen Schul- verhältnissen unterschied und sich schon immer unterschieden habe. Derartige Reform- ansätze waren zum Scheitern verurteilt. Zur wissenschaftlichen Ausbildung der Volksschullehrer merkte der BLV-Vorschlag an, daß die Universität für sie weniger den Zweck habe, das notwendige Fachwissen zu erar- beiten, als „wissenschaftliches Arbeiten und Forschen zu zeigen, das fachliche Wissen zu vertiefen und in psychologisches, pädagogisches Erkennen einzuführen“. Neben der Erzie- hungswissenschaft sollten nicht mehr als zwei Fächer belegt werden. Vorgeschlagen wur- den Gruppierungen wie Deutsch und Geschichte oder Deutsch und Zoologie.6 Die Ein- führung der Studenten in die Praxis sollte in der „Pädagogischen Akademie“ geschehen, die keine Schule oder ein Institut darstellte, sondern „die Vereinigung aller Lehrkräfte, die in der entsprechenden Universitätsstadt und in den umliegenden Dörfern ... aufgestellt sind“. Weitere Mitglieder würden sein: „der Leiter des Schulwesens der Stadt, ein Bezirks- schulrat der Stadt und einer des umliegenden Landkreises, der Fachberater für den Zei- chenunterricht, die Leiter der Turnausbildung oder des Werkseminars, die Leiterin der städt. Kindergärten und Horte, die Leiter des Berufsschulwesens, je 1 Leiter der Jugendfürsorge und der Fürsorgeanstalten des Stadt- und Landbezirkes“.7 Die Pädagogische Akademie, für

1 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. „Schulreform und Lehrerbildung“. Reformplan des Bayerischen Lehrervereins. München, 29.6.1947, S. 7. 2 Ebda. 3 Ebda. 4 Ebda., S.11. 5 Ebda., S.12. 6 Ebda. 7 Ebda., S.13.

330 die man einen geringen finanziellen Rahmen ansetzte, da mit ehrenamtlicher Tätigkeit bzw. der Verminderung der Pflichtstundenzahl für die leitenden Positionen gerechnet wurde, soll- te auch für die musische, vor allem musikalische Ausbildung der Studenten Sorge tragen. Die kirchlichen Behörden würden für die Aufgaben des Religionsunterrichts Studienplan und -führung festsetzen, sicher in enger Verbindung mit dem religiösen und kirchlichen Leben. Daher könne die „Beteiligung an diesem Zweig der Lehrerbildung“ auch nur frei- willig sein. Man konnte sich aber auch Vorlesungen ohne Befähigung zur Erteilung des Reli- gionsunterrichtes vorstellen, um das religiös-sittliche Moment der Schulerziehung zu berück- sichtigen.8 Der Lehrerverein glaubte, daß die Reform der Lehrerbildung sofort einsetzen könne; zumindest an einer Landesuniversität solle man die Durchführung erproben. Gleichzeitig müsse in Kursen die vorhandene Lehrerschaft „erziehungswissenschaftlich gefördert und theoretisch und praktisch auf die Methoden der vorwiegenden Selbständigkeit der Schüler vorbereitet werden. Dann wäre mit dem Jahr 1951 die für die volle Reform notwendige Leh- rerschaft bereit.“9 Noch einmal, im September 1947, legte der BLV seinen identischen Schulreformplan mit Reform der Lehrerbildung dem Kultusministerium vor, nicht ohne zu betonen, daß es sich dabei nicht um die opportunistische „Angleichung an die bekannten acht amerikani- schen Forderungen“ handele, sondern um die Erkenntnisse aus der langen pädagogischen Tradition des Lehrervereins.10 Den Vorschlägen war kein Erfolg beschieden, ja, sie wurden einfach ignoriert.11 Nachdem die amerikanische Militärregierung die Fortführung der Lehrerbildungsan- stalten mit Beginn des Schuljahres 1948/49 verboten hatte, diese in Oberschulen in Kurz- form umgewandelt und Pädagogische Lehrgänge von 18monatiger Dauer als Übergangs- lösung eingerichtet worden waren,12 stand die endgültige Lehrerbildungsreform lange Jahre aus,13 geriet jedoch immer wieder ins Bewußtsein, vor allem dann, wenn Nachwuchsman- gel drohte, aber auch, wenn die Junglehrer ihre Arbeitsbedingungen kritisch beleuchteten und u. a. die Ausbildungsmängel dafür verantwortlich machten. Ihre Kritik richtete sich bei- spielsweise gegen die unzureichende erziehungs-wissenschaftliche Ausbildung der Fortbil- dungsleiter für die amtliche Fortbildung nach der ersten Lehramtsprüfung, gegen die „Sub- alternhaltung“ der Lehrer, insbesondere auf dem Land, einhergehend mit der zusätzlichen Beauftragung des Lehrers „mit allerlei Nebenaufgaben“, und die überalterten Berufsbe- zeichnungen, z.B. Hilfslehrer.14 Ein Circulus vitiosus wurde aufgezeigt: Die Geringschätzung des Lehrers resultiere aus der fehlenden akademischen Ausbildung. Ein Volksschullehrer werde finanziell benachteiligt und in seinen geistigen Ansprüchen unterdrückt oder belächelt, da ihm die Universität ver- weigert werde. Wer wolle unter diesen Umständen schon Lehrer werden? Die Folge könne sein, daß fehlender Nachwuchs Maßnahmen von staatlicher Seite nach sich ziehe, z.B. Auf- nahme in die Lehrerbildung ohne den Nachweis der Hochschulreife. Das wiederum würde die Bestrebungen nach Hochschulbildung zunichte machen und zu einem neuerlichen Niveauverlust des Lehrerstandes führen, wie das in den Jahren 1941 bis 1949 der Fall gewe-

8 Ebda. 9 Ebda., S. 8. 10 Dokumente zur Schulreform, S. 119-135. 11 siehe S. 239 und 241. 12 siehe S. 321. 13 Erst am 2.6.1958 verabschiedete der Bayerische Landtag einstimmig das längst überfällige Lehrerbildungs- gesetz (ohne ausdrückliche Stellungnahme des Vatikans!). (Bayerische Schule 13/1993, S. 12). 14 Archiv des BLLV. Anträge an den BLLV, wahrscheinlich ausgesprochen im Anschluß an die Tagung der ABJ am 24./25.2.1951 in Nürnberg.

331 sen sei.15 Die Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Junglehrer forderte den BLLV auch auf, die vom Kultusministerium eingerichteten pädagogischen Lehrgänge als wichtige realpolitische Maßnahme gegen die widerstrebende Haltung in seinen eigenen Reihen zu verteidigen, da sie „durchaus in der Linie der angestrebten Weiterentwicklung“ lägen, und auch dafür zu sorgen, daß die Lehrgänge, die an den Oberschulen in Kurzform stattfänden, nicht länger diesen untergeordnet seien. Die Leistung der Lehrgänge (und sicher auch ihre Wirksamkeit nach außen) würde dadurch gehemmt.16 Bezüglich der Neugestaltung der Lehrerbildung wurde beantragt, darauf zu achten, daß „erfahrene Lehrerbildner der erziehungswissenschaftlichen Fachrichtung“ gehört wür- den.17 Eine verzweifelte Suche nach einem neuen Berufsprofil spiegeln diese Anträge wider, was von dem kultusministeriellen Beobachter der ABJ-Tagung, Braun, jedoch nicht so wahr- genommen wurde. Er resümierte, „daß die ... versammelten Junglehrer, maßlos in ihren Forderungen, den Begriff der Pflicht für die Berufsarbeit und des Taktes im Benehmen gegen Behörden überhaupt nicht mehr kennen“.18 Immer wieder mahnte aber der Bayerische Lehrerverein die Gesetzgebung zur Lehrer- bildung an, z.B. in einem Offenen Brief an den neuen Kultusminister Schwalber,19 fragte „Wie lange noch Verzögerungspolitik?“20, begründete sein Drängen mit der Aussage der Fachleute, die Lösung der Lehrerbildungsfrage sei das Kernstück jeder Schulreform, und mit Ministerpräsident Ehards Regierungserklärung vom Januar 1951, in der er gesagt hatte, daß die Staatsregierung die Kernfrage jeder Schulreform „(i)n der rechten Auslese und Ausbil- dung der Lehrerschaft“ sehe und daß er „eine bedeutende Hebung der Volksschullehrer in berufswissenschaftlicher, berufspraktischer und berufsethischer Hinsicht durch Ausbildung der Lehramtsanwärter auf Hochschulebene“ beabsichtige.21 Die Koalitionsparteien griffen die Gedanken Ehards jedoch nicht auf. Das Informationsblatt der Bayernpartei, der „Bay- erndienst“, meldete dazu: „Der SPD dürfte daran gelegen sein, um möglichst lang eine Gefährdung der Koalition zu vermeiden, die Lehrerbildung vorerst auf Eis zu legen.“22 Da von den Regierungsparteien kein neuer Gesetzentwurf zur Lehrerbildung vorge- legt wurde, versuchte die Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Lehrer- und Erzieherverbände im März 1951 durch einen eigenen Entwurf, das Thema erneut auf die Tagesordnung zu brin- gen.23 Zu den wichtigsten Grundsätzen gehörte die Hochschulreife als Voraussetzung für die Ausbildung zum Volksschullehrer, die Studiendauer von sechs Semestern und ein Stu- dium an Universitäten „oder gleichwertigen wissenschaftlichen Hochschulen, nicht an pädagogischen Sonderhochschulen“. Zusätzliche Einrichtungen sollten geschaffen werden, um den Bedingungen des Konkordats und des Kirchenvertrages zu entsprechen, z.B. durch eigene Lehraufträge.24 Die Eingabe zeitigte zunächst keinerlei wie auch immer geartete Reaktionen, bis die Lehrerverbände es unternahmen, an einzelne Abgeordnete heranzutreten und sie um Unterstützung zu bitten. Es gab nun verschiedene Verlautbarungen der Parteien, aber letzt- endlich behielten diejenigen Recht, die prophezeit hatten, daß bei der derzeitigen politi-

15 Ebda. 16 Ebda. 17 Ebda. 18 BayHStA München. MK 62007. Bericht über die Tagung des ABJ am 24./25.2.1951 in Nürnberg. 19 Die Bayerische Schule. 4. Jg. Nr. 3 vom 5.2.1951, S. 33-35. 20 Ebda., 5. Jg. Nr. 6 vom 20.3.1952, S. 86 ff. (Wilhelm Ebert: Wie lange noch Verzögerungspolitik?). 21 Ebda., Regierungserklärung vom 9.1.1951, nachdem SPD und CSU zusammen mit BHE/DG eine Koalition gebildet hatten. 22 Ebda. 23 Ebda.; Dokumente zur Schulreform, S. 359 f. 24 Dokumente zur Schulreform, S. 359.

332 schen Zusammensetzung der Regierung die Behandlung der Lehrerbildungsfrage aus- sichtslos sei. Offenbar glaubte nur der Vertreter des Bayerischen Lehrervereins, daß es Lösungsmöglichkeiten gebe, ohne daß die Koalition in die Brüche ginge.25 Im Jahr 1953 versuchte Carl Weiß vom BLLV noch einmal, das Thema Lehrerbildung zu aktualisieren, diesmal anhand von Zahlenmaterial. Erhebungen des Statistischen Lan- desamtes vom November 1952 hatten ergeben, daß immer noch an 25 Anstalten Studen- ten und Studentinnen für den Volksschuldienst ausgebildet wurden. Von diesen waren neun staatliche Lehrerbildungsanstalten und fünf staatliche Lehrerinnenbildungsanstalten. Dazu gab es sieben klösterliche Ausbildungsstätten für Lehrerinnen, drei Lehrerinnenbildungsan- stalten für den Ordensnachwuchs und eine evangelische Lehrerinnenbildungsanstalt in Neu- endettelsau. Zu den Kuriositäten zählte, daß in Weißenhorn (Endstation einer Nebenbahn auf der Strecke Ulm-Kempten) 21 Studentinnen und in Ursberg (ohne nähere Ortsangabe!) sechs Studentinnen ausgebildet wurden.26 Für den „Pädagogischen Lehrgang“ 1951/53 wurden insgesamt 1004 Studierende angegeben, der Lehrgang 1952/54 zählte nur noch 424. Der Rückgang betrug 57,7 %. Die Zahl der Studenten sank von 448 auf 225, die Zahl der Studentinnen von 556 auf 199. Überall waren die Pädagogischen Lehrgänge mit einer „Oberschule in Kurzform“ verbunden, und die Lehrkräfte unterrichteten alle, Schüler und Studenten.27 Weiß merkte an, daß unerträglicher Provinzialismus, aber auch eine unmögliche Zersplitterung der Kräfte und Geldmittel herrsche. Ursberg bezeichnete er als „einzig daste- hendes Kuriosum“. Hier zählte die Oberschule in Kurzform vier Klassen mit insgesamt 17 Schülerinnen und sechs Studentinnen des Pädagogischen Lehrgangs 1951/53. Sechs haupt- amtliche und acht nebenamtliche Lehrkräfte unterrichteten also insgesamt 23 Mädchen und junge Frauen. Seine Kritik an der bestehenden Lehrerbildung war nur zu berechtigt. Auch die Koppelung von Oberschule und Lehrerbildung war unhaltbar. Unprofessioneller hätte man gar nicht vorgehen können, und die Freiheit der Lehre war so sicher nicht gewährleistet. Der Rückgang der Anzahl der Studierenden machte Weiß ebenfalls Sorge, denn wenn die Entwicklung anhielt, würde es eine ernste Nachwuchskrise geben.28 Allerdings, wer konnte damals wirklich Lehrer oder Lehrerin werden wollen, wo die Bezahlung so mise- rabel, das Ansehen so schlecht und die Abhängigkeit von so vielen Einflußfaktoren so nach- teilig waren? 1953 konnte der BLLV kein offenes Ohr für seine berechtigten Anliegen fin- den. Erst die Koalitionsvereinbarung der sog. Viererkoalition, bestehend aus SPD, Bayern- Partei, des Gesamtdeutschen Blocks BHE und der FDP, die am 10. Dezember 1954 zustan- dekam, verzeichnete auf der ersten Seite die Übereinkunft bezüglich der Kulturpolitik, die als wichtigster Gegenstand der Koalitionsvereinbarung genannt wurde: „1. Tolerante und loya- le Durchführung der Verfassungsbestimmungen über Schule und Erziehung. Keine Benach- teiligung der verfassungsmäßigen Schulformen. 2. Loyale Durchführung des Konkordats und der Kirchenverträge. 3. Lehrerbildung an Universitäten oder gleichwertigen wissen- schaftlichen Hochschulen auf der Grundlage des Vorschlags der Arbeitsgemeinschaft der Bayerischen Lehrer- und Erzieherverbände.“29 Endlich - so schien es jedenfalls - kam Bewe- gung in die Lehrerbildung.

25 Die Bayerische Schule, 5. Jg. Nr. 6 vom 20.3.1952, S. 86 ff. 26 Ebda., 6. Jg. Nr. 2 vom 20.1.1953, S. 23. Es gibt einen Ort Ursberg an der Bundesstraße 300 zwischen Augs- burg und Memmingen gelegen. Möglicherweise ist er mit dem von Carl Weiß genannten Ort identisch. 27 Ebda. 28 Ebda. 29 Kritzer, S. 332 ff.

333 14.3. EMPFEHLUNGEN DER WALLENBURG-STIFTUNG

Der Abgeordnete Dr. Heinz Beck (SPD) hatte zwar gegen die Wallenburgstiftung Kempfenhausen die Einwendung erhoben, daß viele Köche den Brei verdürben,1 aber im Bericht über die Arbeitsergebnisse der Stiftung wurde bezüglich des Lehrerbildungsaus- schusses gesagt, die Beschlüsse seien „mit seltener Einmütigkeit“ gefaßt worden.2 Dem Ausschuß gehörten Vertreter der Hochschulen, Kirchen, höheren Lehr- und Lehrerbil- dungsanstalten und Volksschulen an.3 Unter ihnen waren Prof. Lersch, München, Domkapitular Zinkl, Ministerialrat Vogel- huber, Dr. Strehler, München, Stadtschulrat Ederer, München, Domdekan Dr. Eggersdorfer, Passau, Oberkirchenrat Lic. Schmidt.4 Ende November 1948 legte der „Ausschuß zur Neu- gestaltung der künftigen Lehrerbildung in Bayern“ seinen 22 Seiten starken Plan vor, ergänzt durch mehrere Beilagen.5 An den Anfang stellte man eine Auflistung der Vor- und Nachteile der seminaristi- schen Lehrerbildung. Zu den Vorzügen wurden gezählt: das kurze und nicht zu teure Stu- dium für begabte Kinder weniger begüterter Volksschichten und aus der Landbevölkerung; die Anknüpfung an die Volksschule mit der damit verbundenen eigenen Schulerfahrung für den zukünftigen Wirkungsort; die künstlerische Bildung vor allem im Bereich der Musik, die den Volksschullehrer vor allem auf dem Land zum „naturgegebenen Musiklehrer des Volkes“ machte. Das Lehrerseminar habe außerdem „aufs beste das Handwerkliche des künftigen Berufs“ gesichert.6 Dagegen wurden die Mängel gesetzt: Eine zu frühe und zu endgültige Berufsent- scheidung sei verlangt worden, die zu einer „Abseitsbildung“ der Volksschullehrer geführt habe. Allgemein- und Berufsbildung seien zum Schaden von beiden vermengt worden. Viele Lehrgebiete seien verfrüht an die Seminaristen herangetragen worden, für „Seelen- kunde und Erziehungsdenken“ seien die Voraussetzungen noch nicht vorhanden gewesen. Die Seminarausbildung habe in dem von ihr betonten deutschen Bildungsgut „nicht bis an die Quellen“ geführt. Insgesamt seien die Lehrer zu jung in den verantwortungsvollen Beruf entsandt worden.7 In einem interessanten zweiten Abschnitt wurde erörtert, wie es zu der Behauptung gekommen sei, daß die Akademisierung der Lehrerbildung nicht erfolgreich gewesen sei. Bayern habe 1936 die Lehrerbildung akademisiert, was nach der Weimarer Verfassung von 1923 an für das Deutsche Reich einheitlich geregelt werden sollte,8 1941 aber neuerdings die seminaristische Form eingeführt mit der Begründung, die akademische Ausbildung habe zu Lehrermangel geführt, sei zu teuer und nicht zufriedenstellend hinsichtlich der Ausbil- dungsergebnisse gewesen.9 Der Wallenburg-Ausschuß legte andere Gründe für den damals herrschenden Lehrermangel vor: Zu Beginn der dreißiger Jahre habe es einen Junglehrer- überschuß gegeben, aber nach 1933 habe durch NSDAP und HJ eine derartige Diffamie- rung der Schule und des Lehrerstandes eingesetzt, daß sich die Jugend vom Lehrerberuf

1 AdsD Bonn. LV Bayern I/207. Schreiben des Landtagsabgeordneten Dr. Heinz Beck am 16.3.1950 an das Lan- dessekretariat der SPD, z.Hd. v. Genosse Kröller. 2 Cramer/Strehler, S. 66. 3 Ebda. 4 Schule und Gegenwart 2/1949, S. 12. 5 BayHStA München. MK 49729. „Die Neugestaltung der Lehrerbildung in Bayern“. 25.11.1948. gez. Dr. Streh- ler. 6 Ebda., S. 1. 7 Ebda., S. 2. 8 Die Verfassung des Deutschen Reiches. Vom 11. August 1919. Den Schülern und Schülerinnen zur Schul- entlassung. Änderungen bis zum 1. August 1930 sind berücksichtigt. Berlin, o. J., S. 43. 9 BayHStA München. MK 49729. „Die Neugestaltung der Lehrerbildung in Bayern“. 25.11.1948, S. 2.

334 abwandte, ja sich gar schämte, einen Beruf zu ergreifen, der von maßgebenden Stellen lächerlich gemacht und von der Partei als Werkzeug für ihre weltanschaulichen Ziele benutzt wurde. Der Beruf des Lehrers sei verachtet worden, und die Einführung der Schulhelfer- ausbildung - nicht zu verwechseln mit den Nachkriegs-Schulhelfern - und die reichseinheit- liche Gehaltsregelung, die eine Verschlechterung bedeutete, hätten nichts zu seinem Anse- hen beigetragen.10 Hinsichtlich der Behauptung, daß die akademische Lehrerbildung sich nicht bewährt habe, kam der Lehrerbildungsausschuß zu dem Ergebnis, daß es eine „verwirrende Vielzahl von Fächern und Interessenlinien“ gegeben habe und daß vor allem durch die besondere Prägung, die die Ausbildung im Dritten Reich erfahren habe, Mängel aufgetreten seien. Wesentlich seien die Ausrichtung auf die Politik und die zeitraubende Betätigung in der HJ gewesen. Die Übungsschulen seien von den Lehrerhochschulen abgelöst und die berufs- praktische Ausbildung sei vernachlässigt worden. Das Ziel der Lehrerbildung sei nicht der für Jugend und Bildung aufgeschlossene Lehrertyp gewesen, sondern die Sicherung des HJ- Führernachwuchses. Schule und Lehrerschaft sollten in die HJ übergeführt werden, und man konnte von einem „Sieg der Reichsjugendführung über das Reichserziehungsministe- rium“ sprechen.11 Die Abschaffung des akademischen Lehrerstudiums geschah also, so fol- gerte der Ausschuß, um die Pläne der Staatsführung, die Politisierung der Jugend, durch- führen zu können. „Die Lehrer sollten in erster Linie HJ-Führer und die Lehrerbildungsan- stalten Ausbildungsstätten dafür werden“.12 Gleichwohl habe es bestimmte Erfahrungen beim akademischen Studium für Volks- schullehrer gegeben, und die müßten nun bei der Neugestaltung berücksichtigt werden. Das Reifezeugnis sollte Voraussetzung sein, und obwohl der Zugang zum Studium für die Absolventen jeder Art von Gymnasium offen sein sollte, was auch einer „Abseitsbildung“ der Volksschullehrer gegensteuern würde, hielt man doch das Deutsche Gymnasium - die- ser Terminus wurde vom Ausschuß im Jahr 1948 schon verwendet - für den Volksschul- lehrerberuf als besonders geeignet, und zwar, weil es auf der sechsten Klasse der Volks- schule aufbauen und daher ein längeres Verweilen an der späteren Wirkungsstätte gestat- ten würde; weil die deutsch- und sozialkundlichen Fächer im Mittelpunkt stehen und „die gegenwärtigen Bemühungen um ein neues Menschenbild berücksichtigt“ würden; weil die Fremdsprachen Latein und Englisch vorgesehen seien, erstere wichtig für das „Vordringen zu den Geschichtsquellen des deutschen Volkes“, letztere wesentlich für die Eröffnung eines neuen Ausblicks „in das Denken und die Kultur der englisch-amerikanischen Welt“; und schließlich, weil die musische Ausbildung besonders betont werde.13 Der Ausschuß schlug vor, die bestehenden Lehrerbildungsanstalten in Deutsche Gym- nasien überzuführen. Um an einem „pädagogischen Institut“ studieren zu können, sollte der Bewerber neben seinem Reifezeugnis auch ein Gutachten des Direktorats seines Gym- nasiums vorlegen, um einen „vorläufigen Einblick in (seine) charakterliche und soziale Eig- nung“ zu ermöglichen. Ein Vorpraktikum in der Zeit zwischen Abitur und Studienbeginn sollte dazu dienen, die Eignung für den Lehrerberuf zu prüfen, wozu auch der zuständige Schulrat bzw. Lehrer berechtigt war. Auch an eine laufende Überprüfung der Eignung während des Studiums dachte man.14 Diese Maßnahme war insofern recht vernünftig, da der Lehrerstudent auf diese Weise rechtzeitig von einer Fortsetzung des Studiums abgehal-

10 Ebda., S. 2. 11 Ebda., S. 3. 12 Ebda. 13 Ebda., S. 4. 14 Ebda., S. 5 f.

335 ten wurde. Zu den „Pädagogischen Instituten“ schrieb der Ausschuß, daß sie „bei Wah- rung einer gewissen Selbständigkeit in der Regel in organischer Verbindung mit einer Uni- versität oder einer anderen bestehenden Hochschule“ stehen sollten, was bedeutete, daß der Studierende an der Universität oder Hochschule immatrikuliert würde, der Direktor des PI ordentlicher Professor an der Universität sein sollte, bedeutsame Studiengebiete des PI „an der das Institut tragenden Hochschule“ gehört werden könnten, die Leitung des PI „und weltanschaulich bedeutsame Studiengebiete“ Professoren der betreffenden Hoch- schule übertragen würden, „die in weltanschaulicher Hinsicht die notwendige Gewähr bie- ten“.15 Die Pädagogischen Institute sollten gemäß den Kirchenverträgen und der Verfas- sung konfessionellen Charakter haben. Ein sechssemestriges Studium sei erforderlich, und auch wenn Ministerium und Landtag zunächst vier Semester planen sollten, so seien sechs Semester das Ziel, zumal der Ausschuß der einmütigen Meinung war, daß sie sachlich erfor- derlich seien.16 Zu den Studieninhalten legte der Ausschuß dar, daß die Fachwissenschaft des Volksschullehrers „die Wissenschaft von der Menschenbildung“ sei, „Erziehungskun- de“ müsse zur „Erziehungswissenschaft“ werden, die an den Pädagogischen Instituten „ihre selbständige Entfaltung“ finden solle. Der Vertiefung der Allgemeinbildung würden entsprechende Vorlesungen und ein Wahlfach dienen, das „zur Bereicherung der Persön- lichkeit und des Wissens“ beitrage.17 Ausbildung in Musik, Sport und Kunst und die tech- nische Ausbildung - Sprecherziehung, Basteln, Werkunterricht, Tafelschreiben und -zeich- nen und die Herstellung einfacher Lehrmittel - sollten ebenfalls zu den Studienfächern gehören.18 Natürlich wurden zuerst Pädagogik, Psychologie, Philosophie und Religions- pädagogik genannt; außerdem Unterrichtslehre und Schulkunde (z.B. Schulrecht und -ver- waltung).19 Die Form der gesamten Ausbildung müsse „hochschulmäßig“ sein, forderte der Ausschuß. Außerdem sah er in den Pädagogischen Instituten Forschungsstätten auf dem Gebiet der Erziehungswissenschaft, der Didaktik und der pädagogischen Psychologie, und zu diesem Zweck sollten sie enge Verbindung „mit Versuchsklassen und Versuchsschulen in Stadt und Land aufnehmen“.20 Vorgesehen war auch die „institutseigene Übungsschule“, nach Herkunft und Begabung der Schüler eine „normale“ Schule. Zweimal acht Klassen sollten vorhanden sein, z.T. in Koedukation geführt; die Schülerzahl pro Klasse sollte 30 nicht überschreiten. Die Lehrer der Übungsschule sollten „erfahrene Volksschulpraktiker“ sein. Da sie die Studen- ten einzuführen hätten in die besondere Unterrichtslehre, würden sie nicht nur über eine vertiefte pädagogisch-wissenschaftliche, sondern auch eine bestimmte fachwissenschaftli- che Bildung verfügen müssen. Beispiele von Fächergruppierungen wurden angegeben: Pädagogik und Psychologie waren verpflichtend, dazu kam dann ein vertieftes Fach, Deutsch oder Geschichte/Erdkunde oder Mathematik/Physik oder Werklehre oder fremd- sprachlicher Unterricht. Die Lehrer der Übungsschule würden „im Range von Studienräten“ sein. Zur Unterstützung sollten der Übungsschule „Assistenten“ beigegeben werden.21 Es wurde die engste Verbindung zwischen Theorie und Praxis gefordert. Zu den auf- geführten Tätigkeitsfeldern der Studenten gehörte natürlich, daß „in den oberen Klassen

15 Ebda., S. 6 f. 16 Ebda., S. 7. 17 Ebda., S. 8. 18 Ebda., S. 9. 19 Ebda., S. 8 f. 20 Ebda., S. 9. 21 Ebda., S. 10.

336 der Beobachtung aller Formen und Maßnahmen der beginnenden Selbstregierung der Schüler“ besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden war.22 Bei der „Einführung in das selb- ständige Unterrichten“ wurde auf die „besondere Wichtigkeit“ des Arbeitens in Gruppen nach den Prinzipien der Arbeitsschule hingewiesen. Verlangt wurde auch ein sechswöchi- ges Landschulpraktikum,23 eine Forderung, die angesichts der Schulverhältnisse in Bayern zu dem Zeitpunkt nur zu verständlich war. Für das Pädagogische Institut sah der Ausschuß für Lehrerbildung drei Lehrstühle vor, die die Bereiche Philosophie, Erziehungswissenschaft und Didaktik, „Geschichte der Erzie- hung im Rahmen der allgemeinen Geistesgeschichte“ und einzelne Zweige der Psycholo- gie abdecken sollten. Ferner wurde eine Theologe verlangt, der „den Bedingungen für das Hochschulamt entsprechen“ müsse, aber neben den Vorlesungen über Religionswissen- schaft und -pädagogik an der Übungsschule tätig sein würde. Etwa zehn Dozenten im Range von Studienräten für die einzelnen Unterrichtsfächer wurden vorgeschlagen. Diese sollten an der Übungsschule für eine Klasse verantwortlich sein. Eine Reihe von Assistenten wurde ins Auge gefasst sowie die Vergabe von Lehraufträgen für Einzelgebiete des Studi- enplanes.24 Im Weiteren machten die Mitglieder des Ausschusses Vorschläge für Werkräume, Seminare mit Handbüchereien, Übungsräume für die einzelnen Unterrichtsfächer, z.B. Che- mie oder Musik, eine Sporthalle, Bibliothek, Lehrmittel, Jugendschriftensammlung, Film- raum und einen Schulgarten. Auch Richtlinien für die Gestaltung des Studentenheimes, in dem für wenigstens zwei Semester zu wohnen den Studenten empfohlen wurde, gab es. Dabei lag das Hauptaugenmerk auf dem Heimleben, das „in verantwortlicher Zusammen- arbeit“ von den Studenten gestaltet werden sollte. Jede Maßnahme müsse „zur Selbstän- digkeit, zum rechten Gebrauch der Freiheit und zur freiwilligen Einordnung in die Gemein- schaft führen“.25 Die Vorschläge des Ausschusses richteten sich außerdem auf die Prüfungsordnung für die erste Staatsprüfung für das Lehramt an Volksschulen und auf die Fortbildung und die zweite Staatsprüfung.26 Interessant war dabei der Gedanke, daß die Lehramtsanwärter, die durch ihre akademische Ausbildung größere Freiheit gewöhnt waren, bei der Aufstel- lung des Fortbildungsplanes Gelegenheit zur Mitgestaltung haben sollten.27 Dem gesamten Plan des Lehrerbildungsausschusses der Wallenburgstiftung konnte man ein vielfaches Bemühen entnehmen: Die Gleichstellung der Ausbildung mit der der übrigen Studenten sollte offensichtlich eine selbstbewußtere Generation von Lehrern her- vorbringen. Auch die Anhebung des Ranges, z.B. bei den Lehrern der Übungsschulen, die dann auch ein besseres Gehalt erwarten konnten, war ein Schritt in diese Richtung. Man strengte sich an, um den Volksschullehrern zu größerem Ansehen zu verhelfen und auf diese Weise auch den Nachwuchs zu sichern. Nicht ohne Grund hatte man am Anfang der Vorschläge ausführlich dargestellt, wie und warum die Achtung des Lehrerstandes so gesun- ken war. Mit den Absolventen der Pädagogischen Institute würde in den Volksschulbereich frischer Wind gebracht werden und die Demokratisierung der Schulen vorangebracht. Die Hinweise auf arbeitsschulgemäßen Gruppenunterricht und auf die Selbstverwaltung in den Studentenheimen zeigten das an.

22 Ebda., S. 11. 23 Ebda., S. 12. 24 Ebda., S. 12 f. 25 Ebda., S. 13 ff. 26 Ebda., S. 15-19. 27 Ebda., S. 18.

337 Einige Abschnitte des Plans befaßten sich mit der Weiterbildung der Lehrer während ihrer Berufstätigkeit, für die Schulräte und Berufsorganisationen, in Verbindung mit den Pädagogischen Instituten, tätig werden sollten. Als wünschenswert wurde ein Zentralinsti- tut für Erziehung und Unterricht für Bayern angeregt.28 Abschließend empfahl der Ausschuß für die Neugestaltung der Lehrerbildung Ände- rungen in der Besoldung. Dabei zeigte er Verständnis für die Forderung nach gleicher Bezah- lung für alle Arten von Lehrern, gleichwohl gelangte er zu dem Entschluß, Abstufungen vorzunehmen, und zwar „mit Rücksicht auf die finanzielle Gesamtlage des Staates“. Die immer noch kürzere Ausbildungszeit für Volksschullehrer sollte der Maßstab sein. Der Aus- schuß warnte aber davor, aus der Neugestaltung der Lehrerbildung keine Folgerungen für die Besoldung zu ziehen. Lehrermangel und das Fernbleiben der Begabten von diesem Beruf wären die Folgen.29 Vorgeschlagen wurde ein Grundgehalt von 4500 DM jährlich, das vier Jahre nach der zweiten Lehramtsprüfung wirksam würde, sofern der Lehrer eine Planstelle besetze. Bis dahin sollte ein gewisser Prozentsatz des Grundgehalts vergütet werden, dessen Höhe in Anlehnung an die Praxis in den höheren Schulen bestimmt würde. Das Endgehalt von 7800 DM sollte in elf Vorrückungsstufen im 21. Besoldungsdienstjahr erreicht sein. Zu dieser Regelung war man unter Heranziehung der Besoldung gekommen, die in den Län- dern Thüringen, Sachsen und Hamburg seit 1922/23 bzw. 1926 praktiziert worden war. Wenn man davon ausginge, daß 1949 ein Teil der PI eröffnet würde, dann würden im Jahr 1959 die ersten Lehrer in die Grundstufe der neuen Besoldungsordnung einrücken. Bis dahin, glaubte man, habe sich der Staatshaushalt in Bayern konsolidiert.30 In der Beilage 3 zum Bericht, die detailliert die künftige Volksschullehrerbesoldung behandelte, rechnete der Verfasser aus, daß die Höchstbelastung des Haushalts erst mit Erreichen der Zahl von 24000 neu ausgebildeten Volksschullehrern zum Tragen komme, und das sei im Jahr 1977 zu erwarten.31 Der Entwurf des Ausschusses für die Neugestaltung der Lehrerbildung in Bayern war fortschrittlich und - zunächst sicher in Grenzen - machbar. Er war auch insofern erstaunlich, als er die geforderten Pädagogischen Institute an den Universitäten ansiedelte, obwohl in dem Ausschuß Domkapitular Zinkl, Oberkirchenrat Lic. Schmidt und Ministerialrat Vogel- huber vertreten waren, die eher eine pädagogische Hochschule als Sonderform akademi- scher Ausbildung favorisierten, da sie die Freiheit der Lehre für Volksschullehrer fürchteten.32 Diesen Plan umzusetzen gelang aber jahrelang nicht. Heftig umstritten war die Frage, wo die Lehrerbildung stattfinden solle. Pädagogische Akademie oder Pädagogisches Insti- tut? hieß die Streitfrage,33 die die Neuregelung der Lehrerbildung über das Stadium von Empfehlungen und ministeriellen Beratungen nicht hinauskommen ließ. Zwar wurden die Empfehlungen des Ausschusses als Grundlage für den Entwurf der Bayerischen Lehrer- und Erzieherverbände34 sowie für den Gesetzentwurf der FDP aufgegriffen,35 aber anläßlich einer Tagung in Kempfenhausen im Juni 1952, die die Lehrerbildung zum Thema hatte, sagte Dr. Strehler vom Direktorium Wallenburg, daß Bayern als letztes Land die Einführung einer neu-

28 Ebda., S. 20 f. 29 Ebda., S. 21. 30 Ebda., S. 21 f. 31 Ebda., Beilage Nr. 3 zum Schlußbericht (P.I.). „Die künftige Volksschullehrerbesoldung“. Von Oberstudiendi- rektor Dr. Jakob Weber, S. 5. 32 siehe S. 327 f. 33 Schule und Gegenwart, 3/1950, S. 26 ff. 34 siehe S. 332. 35 BayHStA München. MK 49729. Tätigkeitsbericht der Stiftung zum Wiederaufbau des bayerischen Erziehungs- und Bildungswesens (Wallenburgstiftung). o. D., wahrscheinlich März 1952, S. 4.

338 gestalteten Lehrerbildung in Angriff nehme,36 eine Formulierung, die deutlich machte, daß bis dahin nichts Definitives geschehen war. Die Referenten forderten - immer noch! - die Lösung der Pädagogischen Lehrgän- ge aus der organisatorischen Verbindung mit den Oberschulen in Kurzform und die Ver- bindung mit den Universitäten und Hochschulen, um der Gefahr der Verengung und des Absinkens des wissenschaftlichen Niveaus entgegenzuwirken.37 Eine interessante Begrün- dung für die Lehrerbildung an Hochschulen lautete, daß die Schule den innerlich selbstän- digen und geistig beweglichen Menschen brauche, der die Gründe für die Sozial- und Kul- turkrise kenne und „mitverstehend“ und „mitberatend“ Erziehungsaufgaben leisten könne. Früher habe die Schule in einer „durch unerschütterte Tradition gesicherten Lebens- und Erziehungsordnung“ ergänzende Funktion gehabt. Familie, Kirche, Gesittung und Sitte des öffentlichen Lebens seien die Haupterziehungsmächte gewesen. Die Schule habe sich auf die „Methode“ zurückziehen können. Das sei nicht mehr möglich.38 Dr. Strehler sprach im übrigen während einer Aussprache bei dieser Tagung schon wie selbstverständlich von der „Pädagogischen Hochschule“, die um ihre Anerkennung ringe, im Gegensatz zur Univer- sität!39 Der bei dieser Tagung anwesende Professor Weniger aus Göttingen betonte in sei- nem Referat, daß Koedukation bei der Lehrerausbildung wichtig sei, da die spätere berufli- che Zusammenarbeit auch nicht nach Geschlecht getrennt werden könne; und er warnte: „Konfessionalität einer Hochschule dürfe auf gar keinen Fall zu einer Niveausenkung führen... und nicht auf einer durch politische Machtmittel herbeigeführten Entscheidung basieren.“40 Das war ein Rat, der in Bayern wohl angebracht war. Der Forderung nach einem wissenschaftlichen Wahlfach stand er skeptisch gegenüber, meinte, daß man sich auf die Erziehungswissenschaft beschränken solle, um der Gefahr des Dilettantismus zu entgehen.41 Weniger betonte auch, daß die Pädagogische Hochschule die ideale Form der Lehrerbildung sei, da sie „eine spezifische Art der Humanität, nämlich die Humanität des einfachen Men- schen, zum Gegenstand ihrer Bemühungen“ mache.42 Die Diskussion um diese These war kontrovers, wobei vor allem Prof. Seiler für ein Institut an der Universität eintrat.43 Das würde einen Prestigegewinn bedeuten, und der „Schmalspurkomplex“ bei Studenten und Dozen- ten wäre überwunden. Strehler meinte, ein kleiner Schritt in diese Richtung sei schon, wenn das bayerische Kultusministerium die Teilnehmer der derzeitig laufenden Abiturientenlehr- gänge nicht als „Schüler“, sondern als „Studierende“ bezeichnen würde. Möglicherweise könne diese geringfügige Änderung ein Anreiz für Abiturienten sein, sich für die Ausbil- dung zu interessieren.44 In einem einstimmigen Beschluß baten die Tagungsteilnehmer das Ministerium auch, den nächsten Pädagogischen Lehrgang auf vier Semester zu erweitern.45 Das hätte ihm den Charakter einer Übergangslösung nehmen können. Vorerst hatte sich die Diskussion jedoch an der Frage der Konfessionalität der Lehrerbildung festgefahren.

36 BayHStA München. MK 53210. Tagung in Kempfenhausen vom 14.-16. Juni 1952. Lehrerbildung. (Teilneh- mer u.a.: MinRt. Vogelhuber, Staatsrat Meinzolt, Dr. Wilhelmine Böhm vom Kultusministerium, Prof. Dr. Sei- ler, Erlangen, Prof. Dr. Huth, München; Leiter verschiedener LBAs, die 1952 immer noch so genannt wurden). 37 Ebda., S. 7. 38 Ebda., S. 9. 39 Ebda., S. 12. 40 Ebda., S. 18. 41 Ebda., S. 19. 42 Ebda., S. 20. 43 Ebda., S. 22. 44 Ebda., S. 44. 45 Ebda.

339 14.4. DER STREIT UM DIE KONFESSIONALISIERUNG DER LEHRERBILDUNG UND DER „GERECHTE LOHN“

So wie es einen „Kampf“ um das Für und Wider der Bekenntnisschule gab, so gab es den „Streit“ um die adäquate Volksschullehrerbildung. Und das eine war mit dem ande- ren eng verknüpft. Daß die Ausbildung an einer Hochschule erfolgen müsse, war seit dem Plan des Lehrerbildungsausschusses der Wallenburgstiftung nicht mehr die zentrale Frage, hatten doch auch Vertreter der Kirche dafür gestimmt.1 Prälat Meixner, Vorsitzender der CSU-Fraktion im Landtag, erklärte im September 1949, daß er sich die Empfehlungen des Ausschusses, die Lehrerbildung auf Hochschulbasis zu stellen „und an den Universitäten und Hochschulen pädagogische Institute einzurichten“ zu eigen machen und bei den Bera- tungen über die Reform der Lehrerbildung im Landtag „nach Kräften vertreten“ werde.2 Kultusminister Hundhammers Gesetzentwurf vom 11. April 1950 sprach dann aber schon von „Pädagogischen Hochschulen“, und Artikel 7 (2) forderte, „(f)ür die wissenschaftlichen Lehrfächer (dazu gehörten die Einführung in die Philosophie, allgemeine und pädagogische Psychologie, System und Geschichte der Pädagogik und Didaktik)... nur solche Lehrkräfte (anzustellen), gegen die hinsichtlich ihrer Eignung im Sinne der ... Bestimmungen des Kon- kordats und des Kirchenvertrages mit der Evang.-Luth. Landeskirche von der zuständigen kirchlichen Oberbehörde keine Erinnerung zu erheben ist“.3 Damit war er über den Vor- schlag der Wallenburgstiftung weit hinausgegangen. Er forderte für sämtliche Professoren die Zustimmung der Kirchen, während der Ausschuß sich darauf geeinigt hatte, die Leitung des Pädagogischen Institutes und weltan- schaulich bedeutsame Studiengebiete Professoren zu übertragen, die „in weltanschaulicher Hinsicht“ die notwendige Gewähr böten.4 Hundhammer beschränkte sich also nicht auf die Erfüllung der Vereinbarungen zwischen Staat und Kirchen, sondern weitete sie aus im Sinne eines noch stärkeren Zugeständnisses an die Kirchen. Im Nachhinein gewannen allgemein gehaltene Forderungen der CSU ihre ganz eigene Bedeutung, z.B. die Aussage in den kul- turpolitischen Zielen der Partei, daß die Lehrerausbildung „dem Charakter der Schule ent- sprechend gestaltet werden“ müsse.5 Nach Bildung der großen Koalition nach der Land- tagswahl von 1950 setzte Kultusminister Schwalber (CSU) den Kurs Hundhammers fort, obwohl mit Staatssekretär Prof. Eduard Brenner ein Sozialdemokrat Einzug ins Ministerium hielt. Der nunmehrige Fraktionsvorsitzende Hundhammer äußerte 14 Tage nach Ehards Regierungserklärung, die zum Bereich der Lehrerbildung nur eine ziemlich vage Aussage enthielt6: „Wenn im prinzipiellen Fragen nicht alles beim alten bleiben würde, dann wür- den die neuen Herren auf den Ministerstühlen kaum vier Jahre älter werden“.7 Die Lehrer- bildungsfrage war für die Koalition ein so heikles Thema, daß während ihres Bestehens kaum daran gerührt wurde. Sie hätte zum Scheitern des Regierungsbündnisses führen kön- nen, und die CSU fühlte sich stark mit der Macht der Kirchen, besonders der katholischen, im Rücken. Hundhammer machte das im März 1951 deutlich, als er, laut Treuchtlinger Ku- rier, sagte, daß die Lehrer „so herangebildet werden müßten, ... daß sie ihrer Aufgabe in der Konfessionsschule gerecht“ würden. Die simultane Ausbildung der Lehrer, die die SPD gemäß der von ihr favorisierten Simultanschule anstrebe, mache die CSU-Fraktion nicht mit.8 Auch Kultusminister Schwalbers Aussage im April 1951 ließ diesen Kurs erkennen. Als

1 siehe S. 338. 2 Die Bayerische Schule, 6. Jg. Nr. 1 vom 5.1.1953, S. 7. 3 Dokumente zur Schulreform, S. 318. 4 Strehler in: Die neue Volksschule, S. 16. 5 ACSP München. NL Müller 27 (kulturpolit. Ausschuß 1946-48). 6 siehe S. 332. 7 Buchinger, S. 115. Er zitiert Stenograph. Bericht, 1951, S. 46. 8 Treuchtlinger Kurier, 64. Jg. Nr. 34 vom 22.3.1951, S. 3.

340 „natürliche Voraussetzung der in der Verfassung verankerten Bekenntnisschule“ bezeich- nete er die bekenntnismäßige Ausbildung der Lehrer.9 Er forderte Lehrer, die „gediegenes pädagogisches Handwerkszeug“ mitbrächten, keine Wissenschaftler (sic!). Um diese „Gefahr“ zu vermeiden, müsse den Studenten einer „Pädagogischen Fakultät“ ein so genauer Studienplan vorgeschrieben werden, daß diese „zumal in Verbindung mit einem pädagogischen Institut und den dazu gehörenden Übungsschulen zu einem Fremdkörper im Universitätsrahmen“ würde. Erst recht sei das der Fall bei einer konfessionellen Lehrer- bildung.10 Und dann sprach Schwalber aus, was zu den größten Sorgen der Universitäten zählte. Diese würden es „als ihrem Charakter widersprechend ablehnen, einen Einbruch in ihre weltanschauliche Neutralität“ hinzunehmen.11 Zwei Jahre später war dies Problem ent- schieden.12 Schwalber sagte aber im Frühjahr 1951 bereits voraus, woran der Streit sich ent- zünden würde: „Lehrerbildung an Universitäten und damit bekenntnisfreie Ausbildung, oder Errichtung von bekenntnisgebundenen eigenen pädagogischen Hochschulinstitu- ten“.13 Das Wort von der „simultanen“ Lehrerbildung, das das Odium der Indifferenz impli- zierte, wurde bei der CSU eine beliebte Floskel; man unterschlug - beabsichtigt oder nicht - daß auch bei simultaner Ausbildung die weltanschaulichen Fächer von weltanschaulichen Dozenten gelehrt werden würden, getreu den Forderungen von Konkordat und Kirchen- vertrag. Wider besseres Wissen sprach Prälat Meixner während einer CSU-Fraktionssitzung also davon, daß der „Entwurf des Bayer. Erzieherverbandes, wonach die gesamte Lehrer- bildung simultan gestaltet wird, geradezu als Verhöhnung der Bekenntnisschule“ bezeich- net werden müsse.14 Ein Jahr später bekundete Meixner vor dem gleichen Gremium, daß zwischen den Koalitionspartnern zwar Übereinstimmung herrsche hinsichtlich des geforderten Reife- zeugnisses für die zukünftigen Volksschullehrer (und verteidigte diese Voraussetzung gegen verschiedene Einwände seiner eigenen Fraktion), aber es bestehe keine Einigung über die eigentliche Berufsausbildung.15 Ob eine erneute Koalitionsbesprechung einen gemeinsa- men Weg eröffnen würde, erschien fraglich,16 denn Meixner bekannte sich zu der Auffas- sung, daß die Universitäten nicht geeignet seien, jährlich 3000 Lehrerstudenten17 aufzu- nehmen, weder räumlich noch nach Art des ganzen Studienbetriebs. Auch im internen Kreis bekräftigten Abgeordnete der CSU, daß die Gegner der Partei mit dem beantragten Einbau der Lehrerbildung in die Universitäten „die Entkonfessionalisierung“ bezweckten, „um die Schule des bekenntnismäßigen Charakters zu berauben“.18 Im Bereich der Lehrerbildung waren die Positionen der Koalitionsparteien unverrückbar, was Ritter von Rudolph (SPD) anläßlich der Verabschiedung des Haushaltsplans des Kultusministeriums durch den Landtag im Frühjahr 1952 in lapidarer Kürze ausdrückte: „Ich möchte nicht versäumen zu sagen, daß auch die SPD an diese Fragen mit Grundsätzen herantritt, die aufzugeben sie nicht gewillt ist“.19 Beide Koalitionspartner taten also gut daran, an diese Probleme nicht zu tat- kräftig heranzugehen, um die Regierungseinheit nicht zu gefährden. Umgekehrt war dies Verhalten natürlich nicht geeignet, sie zu lösen.

9 Dokumente zur Schulreform, S. 344 f. Rede des Bayer. Kultusministers Dr. Josef Schwalber am 15.4.1951 vor dem Landesausschuß der Christlich-Sozialen Union in Würzburg. 10 Ebda., S. 345. 11 Ebda. 12 siehe S. 345 f. 13 Dokumente zur Schulreform, S. 345. 14 ACSP München. LTF Protokolle. Niederschrift der Fraktionssitzung vom 12.12.1951, S. 1. 15 Ebda., Niederschrift der Fraktionssitzung vom 17.12.1951, S. 2. 16 Ebda., Niederschrift der Fraktionssitzung vom 10.12.1952, S. 2. 17 Woher er diese Zahl hatte, verriet er nicht. Das Statistische Landesamt legte für 1952 andere, weit geringe- re, Zahlen vor. (siehe S. 333). 18 ACSP München. LTF Protokolle. Niederschrift der Fraktionssitzung vom 10.12.1952, S. 2 f. 19 Die Bayerische Schule, 5. Jg. Nr. 7 vom 5.4.1952, S. 102.

341 Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverein wurde nicht müde, seine Sicht der Dinge immer wieder vorzustellen und dabei wechselnde Argumente in die Diskussion zu werfen. Anfang Januar 1953 schrieb Carl Weiß in der „Bayerischen Schule“, daß alle Uni- versitäten sich bemühten, Lehrstühle für Politik zu errichten. Es verstehe sich von selbst, daß alle Studierenden an der politischen Erziehung teilhaben müßten, damit dann über die Leh- rer aller Schulen „das Volk zu politischer Reife erzogen werden“ könne.20 Im selben Heft schrieb er gegen Pädagogische Hochschulen, getrennt nach Konfessionen, da die ange- henden Studenten von einer höheren Lehranstalt kämen, die keine konfessionelle Trennung habe. So könne die organische Fortsetzung nicht die konfessionelle Akademie sein, son- dern nur die interkonfessionelle Hochschule.21 Das war eine logische Schlußfolgerung. Schärfer hatte Gerhard Storz, der spätere Kultusminister von Baden-Württemberg (CDU), das bereits 1946 in den Frankfurter Heften formuliert. Er stellte fest, daß nicht alle „pädago- gisch begabten und zum Lehramt geschickten Jünglinge homines religiosi“ seien. „Wehe ihnen und wehe dem künftigen Religionsunterricht, wenn es für sie keinen anderen Weg zum Lehrberuf geben sollte als den über das konfessionelle Lehrerseminar!“ Zumindest müsse es neben diesen staatliche Anstalten geben, um die Freiwilligkeit zu gewährleisten, „die allein den trüben Erscheinungen des alten Lehrerseminars ein Ende“ mache.22 Storz warnte: „Wer etwa glaubte, mit der Wiedereinführung des früheren Zustandes durch einen Verwaltungsakt, den vielleicht der Einfluß einer christlich orientierten Partei vom Staat erzwingen könnte, sei es getan, der fiele einer unentschuldbaren Täuschung zum Opfer. Was damit erreicht würde, wäre auf der einen Seite unberechtigte Genugtuung, auf der anderen berechtigte Verstimmung - mehr nicht“.23 Sieben Jahre später wurde die konfessionelle Lehrerbildung immer noch heftig ver- teidigt, denn mit dem konfessionell gebildeten Lehrer stehe und falle die Konfessionsschu- le,24 und das Konkordat fordere sie gebieterisch. Etliche Artikel erschienen, um letztere Behauptung zu belegen, und es war bezeichnend, daß die Autoren - Dr. Joseph Mayer, Ministerialdirektor im Kultusministerium, oder Prälat Dr. Johannes Zinkl, Domkapitular in München - glaubten, mit ihrer Art der Beweisführung Zustimmung erzwingen zu können für eine Ausbildung, die mit Freiwilligkeit nichts mehr zu tun hatte. „Lehrerbildung und Kon- kordat“ war der Titel gleich mehrerer Schriften,25 in denen versucht wurde nachzuweisen, daß konkordatsgemäß sämtliche Studienfächer mit Ausnahme der „Schulkunde“ weltan- schaulich bestimmt seien. Zinkl schrieb z.B., daß die Lehrerausbildung eine „berufswissen- schaftliche“ (Einführung in Philosophie, Psychologie und Soziologie, System und Geschich- te der Pädagogik und Didaktik, ...), eine „berufspraktische“ und „berufsethische“ sein müsse. Ohne Zweifel sei erstere im Sinne des Konkordats „für den Glauben und die Sitten“ bedeutungsvoll, also müsse diese Ausbildung je nach Konfession durchgeführt werden. Und da die Forderung der bekenntnismäßigen Lehrerbildung - genauso wie bei der Bekenntnis- schule - auf dem „Grundsatz der unteilbaren Ganzheit und Einheit des Menschen“ beruhe und das „innerste Zentrum dieser Ganzheit und Einheit ... die im Persönlichkeitskern ver- ankerte Religion und Weltanschauung“ sei, müsse auch die berufspraktische und beruf- sethische Ausbildung bekenntnismäßig sein.26 Um eine solche Ausbildung zu garantieren,

20 Ebda., 6. Jg. Nr. 1 vom 5.1.1953, S. 3. 21 Ebda., S. 3 f. 22 Storz, Konfessionsschulen?, S. 11 f. 23 Ebda. 24 Die Bayerische Schule, 6. Jg. Nr. 9 vom 5.5.1953, S. 163. Äußerung des Vorsitzenden der CSU-Landtags- fraktion, Prälat Meixner, vor der KEG, München. 25 Archiv des BLLV, München. Bayerische Staatszeitung Nr. 2 vom 10.1.1953, S. 4 f; Juristische Beilage zu Kle- rusblatt Nr. 23 vom 1.12.1953 (Mayer); Juristische Beilage zu Klerusblatt Nr. 5 vom 1.3.1953 (Zinkl). 26 Ebda,. Juristische Beilage zu Klerusblatt Nr. 5 vom 1.3.1953, S. 6.

342 schrieb Art. 5 §3 des Konkordats vor, daß der Staat entsprechende „Einrichtungen“ zu schaffen habe. Um die Ergründung des Begriffes Einrichtungen ging es in den zahlreichen Schriften pro und contra die konfessionelle Lehrerbildung. Zinkl zog den italienischen Vertragstext heran, in dem an der fraglichen Stelle „istituti“ stehe, was „Anstalten“ bedeute, und nicht „istituzioni“, was Einrichtungen im allgemeinen seien. Auch die lateinische Ausgabe der Konkordate Pius´ XI. spreche von „instituta“, nicht von institutiones“. Man müsse den ein- deutigen italienischen Text zur Interpretation des nicht eindeutigen deutschen Textes her- anziehen.27 Wichtiger als die Wortinterpretation war für Zinkl jedoch die „Sinnauslegung“ unter Berücksichtigung des Kontextes und der Konkordatsverhandlungen selbst. Diese Prü- fung lasse keinen Zweifel aufkommen, daß die Vertragspartner die Einrichtung konfessio- neller Lehrerbildungsanstalten beabsichtigt hatten.28 Den Beweis für diese Behauptung legte Zinkl in seinem Aufsatz allerdings nicht nieder. Angesichts der Neuordnung der Lehrerbil- dung, die eine Trennung der Allgemein- von der Berufsbildung vorsah, da erstere an jeder simultanen höheren Schule stattfinden könne, hielt Zinkl es umso bedeutsamer, die Berufs- ausbildung in vollem Umfang dem Charakter der katholischen Bekenntnisschule entspre- chend durchzuführen.29 Zu dem Schluß, daß der Staat verpflichtet sei, „vollkonfessionali- sierte Ausbildungsstätten“ zur Lehrerausbildung zu schaffen, kam auch Ministerialdirektor Mayer vom bayerischen Kultusministerium. Die Staatsregierung sei vertragsmäßig gebun- den, das zu tun; denn bereits die Staatsregierung, die das Konkordat abgeschlossen hatte, der damalige Nuntius und die evangelische Kirche, die ja auch einen Staatsvertrag mit Bay- ern abgeschlossen hatte, hätten unter „Einrichtungen“ Anstalten verstanden.30 Wenn also die an den Vertragsabschlüssen Beteiligten das Wort so verstanden hätten, dann bedürfe es keines weiteren Nachweises dafür, daß man es auch heute so verstehen müsse. Der damalige Landtag habe außerdem das Gesetz ratifiziert, ohne für das Wort „Einrichtun- gen“ eine andere Auslegung zu wünschen.31 Im übrigen habe Artikel 15 des Konkordats festgelegt, daß bei zukünftigen Auslegungsschwierigkeiten gemeinsam vom Hl. Stuhl und dem bayerischen Staat eine freundschaftliche Lösung herbeigeführt werde. Eine erneute Genehmigung des Vertrages durch den Landtag sei dabei nicht vorgesehen worden.32 Diese ausführlichen Begründungen für die Berechtigung konfessioneller Lehrerbil- dungsanstalten waren Antworten auf entsprechende Gutachten, die der BLLV vorstellte bzw. selbst angefordert hatte. Staatsrat Meinzolt verneinte die Feststellung, daß sich kon- fessionelle Lehrerbildungsanstalten aus dem Konkordat herleiten ließen. Professor Weber, Göttingen, stützte diese Aussage;33 und der Lehrerverein versuchte, auch die Öffentlichkeit von dieser Sichtweise zu überzeugen.34

27 Ebda., S. 7. 28 Ebda. 29 Ebda., S. 8. 30 Der Landeskirchenrat der Ev.-Luth. Landeskirche r. d. Rh. hatte allerdings 1928 zur Lehrerbildungsfrage fest- gelegt, daß nach Art. 6 des Staatsvertrages zuverlässige Sicherungen verlangt würden, die gewährleisteten, daß evangelische Schulkinder im Geiste des evangelischen Bekenntnisses erzogen werden könnten, ohne daß man daraus die Konfessionalisierung der Lehrerbildung ableiten würde. Im Gegenteil hieß es wörtlich: „Für die Berufsfachbildung wird der engste Anschluß an die Landesuniversitäten gefordert“. (Die Bayeri- sche Schule, 3. Jg. 1950, S. 150. „Müssen die künftigen Hochschulen für die Lehrerbildung auf Grund des Konkordats und der Verfassung konfessionell sein?“). 31 Archiv des BLLV, München. Juristische Beilage zu Klerusblatt Nr. 23 vom 1.12.1953, S. 5 f. 32 Ebda. 33 Die Bayerische Schule, 6. Jg. Nr. 8 vom 20.4.1953, S. 144. 34 Ebda.; Archiv des BLLV, München. Material- und Nachrichten-Dienst („MUND“) der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände, 5. Jg. Nr. 57 vom 10.7.1954. „Elternrecht, Volksschule und Lehrerbildung“. Vortrag, gehalten am 20.3.1954 von Wilhelm Ebert in der Techn. Hochschule, München.

343 Unter den verschiedenen Stellungnahmen war eine, die den tieferen Sinn der Rechts- frage offenbarte. Sie wurde von Professor Wenzel, Erlangen, ausgeführt: „Wenn Hoch- schule, dann simultan; wenn nicht simultan, dann keine Hochschule“.35 Das war der Punkt, der für den Lehrerverein die große Bedeutung hatte, weshalb er auch so vehement das angeblich falsch verstandene Wort „istituti“ diskutierte. Er befürchtete, daß die zukünfti- gen Volksschullehrer trotz Reifezeugnis erneut vor den verschlossenen Toren der Alma mater stehen und wiederum zur Zweitklassigkeit einer Sonderausbildung verurteilt sein würden. Die Universitäten hatten im Prinzip gegen die künftige Lehrerbildung in ihrem Bereich nichts einzuwenden. Der Rektor der Universität München, Professor Gerlach, bekräftigte das während eines Colloquiums im Bayerischen Rundfunk am 5. Dezember 1950.36 Er gab aber bei dieser Gelegenheit auch zu bedenken, daß „der Anschluß an die Universität ... im grundsätzlichen Widerspruch zur Konfessionalisierung“ stehe. „Wer von wissenschaftlicher Ausbildung sprechen (wolle), (könne) nicht über Konfessionalisierung der Ausbildung spre- chen, denn Wissenschaft und Konfession (seien) zwei Dinge, die einander widerspre- chen“.37 Gerlach fügte hinzu: „Gegen eines wende ich mich leidenschaftlich: Daß man junge Studenten zwingen will, nur einen bestimmten weltanschaulich ausgerichteten Pro- fessor zu hören!“38 Dieses Bekenntnis ließ Hundhammer - zu dem Zeitpunkt nicht mehr Kul- tusminister - nicht unbeantwortet. „Mit scharfen Worten wies er den Vorschlag des Rek- tors der Universität München zurück, der die Lehrerbildung in die Obhut der Universitäten gestellt sehen wollte. ‚Niemals eignet sich der Rektor der Universität München zur Heran- bildung von Lehrkräften für Konfessionsschulen‘ ... Zur Bekräftigung seiner Behauptung führte er an, daß bei der Rektorswahl in München der Wahlspruch ‚cave ecclesiam‘ Pate gestanden habe. Er selbst habe ihn auf einem von den Professoren abgegebenen Stimm- zettel gelesen ...“39 Seine Haltung bekräftigte Hundhammer noch einmal kurz darauf während einer Ansprache auf dem Diözesan-Katholikentag in Regensburg. Zur Frage der Lehrerbildung sagte er: „‘Das entscheidende Charakteristikum ist nicht die Bildung, son- dern das gläubige Festhalten am Glauben.‘ Wohl sei es notwendig, eine neue akademische Form der Lehrerbildung zu ermöglichen, doch müsse es verhindert werden, daß Geistes- kräfte, wie sie durch den Rektor der Münchner Universität repräsentiert werden, die Heran- bildung des Lehrerstandes entscheidend in die Hand bekommen ...“40 Möglicherweise waren diese Angriffe nicht in Vergessenheit geraten, als drei Jahre später - die Regierungskoalition CSU/SPD/BHE hatte Bestand – von Kultusminister Schwal- ber an die drei Landesuniversitäten vertraulich eine Anfrage gestellt wurde, ob sie „grundsätzlich bereit und in der Lage sind, die Ausbildung des Volksschullehrers ... auf die Universitäten zu übernehmen“. Bei positivem Bescheid sollte eine überschlägige Aufstel- lung bezüglich zusätzlich benötigten Personals, Raum- und Sachbedarfs angefertigt wer- den.41 Schwalber fügte vier Gesetzentwürfe zur Lehrerbildung bei.42 Die Hochschulreife war

35 Die Bayerische Schule, 6. Jg. Nr. 8 vom 20.4.1953, S. 144. 36 Ebda., 4. Jg. Nr. 2 vom 20.1.1951, S. 27 . 37 Ebda. 38 Ebda. 39 Treuchtlinger Kurier, 64. Jg. Nr. 58 vom 17.5.1951, S. 3. „Dr. Hundhammer gegen Simultan-Lehrerbildung in Bayern.“ (Hauptfest der Marianen-Männer- und Jungmänner-Kongregation in Cham). 40 AdsD Bonn. LV Bayern I/208. Flugblatt des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, Hochschulgruppe München. Aus Meldungen des Bayerischen Rundfunks vom 1. und 2. Juni 1951. 41 Archiv des BLLV München. Schulpolitischer Informationsdienst, hersg. vom Pressereferat des Bayer. Lehrer- und Lehrerinnenvereins. Nr. 24/1953 vom 28.10.1953. Abschrift des Schreibens des Bayer. Staatsministeri- ums für Unterricht und Kultus am 30.3.1953 an die Rektorate der drei Landesuniversitäten München, Würzburg, Erlangen. Betreff: Reform der Lehrerbildung. 42 Entwurf der FDP v. 13.2.1952, Drucksachenbeilage 2285; der BP v. 17.11.1952, Beilage 3555; der SPD v. 17.12.1952, Beilage 3765; der CSU v. 18.12.1952, Beilage 3772. (Ebda.).

344 bei allen Entwürfen unbestritten, aber bei der Berufsausbildung gab es unterschiedliche Möglichkeiten. Die Vorschläge von FDP, BP und SPD sahen die Ausbildung an den drei Lan- desuniversitäten vor. In einem sechssemestrigen Studium sollte die theoretisch-wissen- schaftliche Ausbildung in Vorlesungen und Übungen, „teils im freien Studium innerhalb der Phil. Fakultät, teils an Pädagogischen Instituten der Phil. Fakultät erfolgen, die beruflich prak- tische Ausbildung an dem Pädagogischen Institut und der Institutsschule“. Hinsichtlich den Anforderungen des Konkordats und des Staatsvertrags (Art. 5 bzw. 6) wollte die FDP „(z)ur Einführung in das religiöse Welt- und Menschenbild und für Religionspädagogik ... je eine außerplanmäßige Professur ... schaffen“. Die BP formulierte: „An Päd. Instituten sind für Studierende, die an einer Konfessionsschule Verwendung finden wollen, Einrichtungen zu schaffen, die den Bedingungen des Konkordats ... und des Vertrages (mit) ... der Evang.- Luth. Kirche ... entsprechen, nötigenfalls durch eigene Lehraufträge“. Die SPD machte den interessanten Vorschlag, daß die konfessionelle Ausbildung der Volksschullehrer „in enger Verbindung mit der Schulpraxis in einem über 2 Jahre sich erstreckenden Kursus während des vorgeschriebenen Vorbereitungsdienstes“ erfolgen solle, wofür die Einrichtungen gemäß der Kirchenverträge geschaffen werden müßten.43 Das war nun eine sehr elegante Lösung, bedeutete sie doch die Auflösung sämtlicher Diskussionen um Wissenschaftlich- keit und Weltanschauung an den Universitäten. Der Plan der CSU war der bekannte: Sechs Semester Studium an einer Pädagogischen Hochschule mit Bekenntnischarakter und Lehr- kräften für die wissenschaftlichen Lehrfächer (also alle!), gegen die hinsichtlich ihrer Eig- nung von den zuständigen Kirchen-Oberbehörden keine Erinnerung zu erheben sei.44 Schwalber fügte noch sog. „Weitere Erwägungen“ hinzu, „die sich noch nicht zu einem förmlichen Antrag verdichtet haben“. Sie gingen dahin, daß die Ausbildung „an besonde- ren Päd. Fakultäten, die an den drei Landesuniversitäten eingerichtet und mit einer Semi- narschule verbunden werden sollen“ stattfinden würde. Die Pädagogische Fakultät trete mit allen Rechten und Pflichten zu den bestehenden hinzu und erhalte eigene Professuren (z.B. Erziehungswissenschaft, Didaktik, Psychologie, päd. Anthropologie, Soziologie, Welt- anschauungs- und Religionspädagogik, Kultur- und Volkskunde).45 Dieser Plan erinnerte an die Vorschläge der Wallenburgstiftung. Zu den personellen Anforderungen gab Schwalber bekannt, daß etwa 1000 Studierende jährlich zu erwarten seien, gleichzeitig also 3000 Leh- rerstudenten die Hochschule besuchen würden.46 Das Universitätsgutachten Erlangen, vom Kleinen Senat in seiner Sitzung am 24. Juni 1953 einstimmig gebilligt, war am ausführlichsten. Der Senat war einhellig davon über- zeugt, daß eine Übernahme der Ausbildung der Volksschullehrer durch die Universität, so wie das in den Plänen von SPD, FDP und BP vorgeschlagen worden war, „weder sachlich durchführbar noch zweckdienlich wäre“.47 Begründet wurde diese Aussage damit, daß „die bereits jetzt völlig unzulänglichen Einrichtungen“ der Philosophischen Fakultät in den besonders in Frage kommenden Studienfächern „in keiner Weise ausreichen würden“. Das betreffe sowohl Räume und Institute als auch Bibliothek und Verwaltung und die Schaffung von mindestens drei neuen Lehrstühlen mit der entsprechenden Anzahl wissenschaftlicher Hilfskräfte. Besonders aber hatte der Senat grundsätzliche Bedenken: Die deutsche Univer- sität könne nur „bei strenger Aufrechterhaltung ihres wissenschaftlichen und universellen Charakters als Stätte zweckfreier Forschung und Lehre ihr Ansehen in In- und Ausland wah- ren. Die im Zuge der fortschreitenden Akademisierung praktischer Berufe an sie herantre- tenden Ansprüche kurzfristiger Berufsschulen [sic!] müssen diesen Charakter gefährden und

43 Ebda. 44 Ebda. 45 Ebda. 46 Ebda. 47 Ebda., S. 6.

345 enthalten in sich die Gefahr der Senkung des wissenschaftlichen Niveaus der Universität.“48 Ganz wichtig war auch das Argument, daß „die Beschränkung der Forschungs-, Lehr- und Lernfreiheit durch konfessionelle Bindungen von Lehrstühlen und bei der Zulassung zum akademischen Studium dem Geist der Universität“ widerspreche.49 Zu den weiteren Grün- den der Ablehnung zählte auch, daß man nicht überzeugt war, daß die Universitätsausbil- dung der Volksschullehrer „dem echten Anliegen einer wissenschaftlich vertieften Persön- lichkeitsbildung des Lehrers“, die begrüßenswert sei, gerecht werden würde; denn der Schwerpunkt sei hier ja die „Berührung mit der Erziehungswirklichkeit“ und die „weltan- schaulich-sittliche Formung“. Erstaunlicherweise lehnte der Senat das sechssemestrige Uni- versitätsstudium für Lehrer auch deshalb ab, weil man erwarten könne, „daß nicht wenige der Verlockung, durch Zusatz weniger Semester einen vollen Universitätsabschluß zu errei- chen, nachgeben und der Lehrerbildung überhaupt verloren gehen“ würden.50 Offenbar fürchtete man eine Flut von Studenten, deren Reifezeugnis man nicht ganz traute (Deut- sches Gymnasium als Oberschule in Kurzform!), für die die Kapazitäten der Universität aber auf keinen Fall ausreichen würden. Der Senat lehnte gleichermaßen den Vorschlag ab, eine besondere Pädagogische Fakultät an der Universität zur Lehrerausbildung einzurichten. Schwalber hatte sie als „weitere Erwägung“ ohne „förmlichen Antrag“ angeboten.51 Grundsätzlich begrüßt wurde der von der CSU eingebrachte Antrag einer organisa- torischen Trennung von Universität und Pädagogischer Akademie, man hatte aber Beden- ken gegen „ein Institut von akademischem Rang“, da die äußere Analogie zur Universität den „Eindruck eines wirklichen Hochschulstatus“ erwecken könnte, bevor noch sicherge- stellt sei, daß diese Akademie tatsächlich eine Stätte wissenschaftlicher Forschung und Lehre sei. Bevor man von akademischem Rang sprechen könne, sei es unerläßlich, wenigstens die wissenschaftlich zu betreibenden Disziplinen - Pädagogik, Psychologie, Soziologie, Philoso- phie - mit an Universitäten habilitierten Lehrkräften zu besetzen. Da an einer solchen Insti- tution das Schwergewicht nicht auf dem Gebiet der Forschung liegen könne („jedenfalls, was die Studierenden betrifft“), müsse der Senat auch vor einer etwa beabsichtigten Ver- leihung des Promotions- und Habilitationsrechts warnen. Eine „unaufhaltbare Entwertung des deutschen Doktor-Titels“ sei zu erwarten.52 Vorgeschlagen wurde schließlich eine Beteiligung der Universität an der akademi- schen Lehrerbildung in Grenzen, „ein Verhältnis lockerer Verbindung und Ergänzung zwi- schen Universität und Pädagogischer Akademie“. Letztere sollten an Universitäts- bzw. Hochschulstädten angesiedelt werden, die Lehrerstudenten hätten die Berechtigung, ein- schlägige wissenschaftliche Vorlesungen an der Universität zu hören. Ein Studium generale würde so ihren geistigen Horizont erweitern. Universitätsdozenten und -professoren könn- ten an der Akademie Vorlesungen und Übungen abhalten und zur Prüfung in den theore- tischen Fächern der Lehrerbildung herangezogen werden, um so den Hochschulcharakter der Lehrerbildung zu gewährleisten.53 Als die „vielleicht ... bitterste Enttäuschung in der langen und enttäuschungsreichen Geschichte unseres Standes“54 bezeichnete der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverein diese Stellungnahme, zumal sich Würzburg in vollem Umfang dem Gutachten der Univer- sität Erlangen anschloß und auch der Akademische Senat der Universität München am

48 Ebda. 49 Ebda. 50 Ebda. 51 Ebda., S. 7. 52 Ebda. 53 Ebda. 54 Die Bayerische Schule, 6. Jg. Nr. 25 vom 5.12.1953, S. 412.

346 16. Juni 1953 feststellte, „daß die Universitäten ihm nicht als die geeigneten Stätten für die Lehrerausbildung erscheinen ... (und) die Errichtung selbständiger Hochschulen für zweck- mäßig (hält)“.55 Obwohl der BLLV an seiner grundsätzlichen Forderung nach Universitäts- bildung für Volksschullehrer festhielt, mußte er akzeptieren, daß die Situation sich geändert hatte und es nicht mehr in die alleinige Entscheidung des Landtags gegeben war, sie gesetz- lich zu verankern. So jedenfalls schrieb Waldemar von Knoeringen (SPD) etwas ungehalten an den Lehrerverein.56 Man mußte daran gehen, aus der erneut bestätigten Zweitrangig- keit, aus der man sich aufgrund des konfessionellen Ballastes und des exklusiven Anspruchs der etablierten universitären Wissenschaft nicht hatte befreien können, das Beste zu machen, und forderte nun für die offensichtlich angestrebten Pädagogischen Hochschulen keine Trennung nach Konfessionen, eine eigene Hochschulverfassung, ihre Errichtung an Universitätsstädten, an Universitäten habilitierte Lehrkräfte für die wissenschaftlich zu betrei- benden Disziplinen.57 Waldemar von Knoeringen versicherte öffentlich, daß seine Partei, obwohl sie mit ihrem Vorschlag zur Lehrerbildung gescheitert sei, darauf achten werde, „daß nicht auf dem Verwaltungswege Zug um Zug die Forderungen der CSU erfüllt werden, deren gesetzlicher Festlegung die SPD ihre Zustimmung nicht geben konnte“. Er bekräftigte auch, daß Lehrer- bildung „an Kernfragen unserer ganzen kulturellen Entwicklung“ rühre und seine Partei daher Kompromisse, die die Aufgabe von Prinzipien bedeuten würden, nicht schließen könne. Leider aber sei im Augenblick keine Lösung zu erhoffen aufgrund der Einstellung der CSU.58 Höchst bedauerlich fand von Knoeringen, „(d)aß unsere Universitäten entgegen ihrer früheren Auffassung die Lehrerbildung nicht übernehmen wollen“. Seine Partei habe das „schmerzlich zur Kenntnis genommen“. Was bestürze, sei „der Mangel an Initiative und an Ideen, der dabei zum Ausdruck“ komme. Eine der vornehmsten Aufgaben der Uni- versitäten hätte es sein müssen, an der Entwicklung neuer Formen der Lehrerbildung mit- zuwirken. Seiner Partei seien diese Passivität und Neutralität bedenklich.59 Das war eine schöne Rede, aber sie verhehlte nicht, daß die Lehrerbildung in der Koalition ein heißes Eisen darstellte, das man, um sie nicht zu gefährden, nicht anpackte. Hundhammer, inzwischen Landtagspräsident, machte das auch ganz deutlich: „Wenn die CSU aus den kommenden Landtagswahlen stark genug hervorgeh(t), ... wird die Lehrerbildung entsprechend der Auf- fassung der katholischen Kirche geregelt. Ergäben die Wahlen für die CSU eine Schwächung, so könnte es nur zu einem Kompromiß kommen, und man läßt das heiße Eisen weitere vier Jahre liegen.“60 Beachtlich war das jahrelange zähe Festhalten eines ein- flußreichen Politikers an einer für ihn wesentlichen Vorstellung. Für die Mehrzahl gegen- wärtiger und zukünftiger Lehrer waren die Aussichten wenig motivierend. Zu Beginn des Jahres 1954 reiften Pläne zur Gründung einer interkonfessionellen Leh- rerhochschule in Nürnberg. Am 25. März stellte die SPD-Mehrheitsfraktion des Stadtrates die schriftliche Anfrage: „Ist die Stadt Nürnberg bereit, den Sachbedarf einer in Verbindung

55 Archiv des BLLV München. Schulpolitischer Informationsdienst, hrsg. vom Pressereferat des Bayer. Lehrer- und Lehrerinnenvereins. Nr. 24/1953 vom 28.10.1953, S. 9. 56 Ebda., S. 9. Schreiben des Landesvorstands der SPD am 22.10.1953 an den Bayer. Lehrer- und Lehrerinnen- verein. 57 Die Bayerische Schule, 6. Jg. Nr. 25 vom 5.12.1953, S. 415; Archiv des BLLV München. Pressedienst des Bayer. Lehrer- und Lehrerinnenvereins. München, 25.10.1953. 58 Archiv des BLLV München. Sozialdemokratische Presse-Korrespondenz. SPD-Landesverband Bayern. spk Nr. 568/20.1.1954. „Knoeringen zur Lehrerbildung“ in der Sendereihe „Politik aus erster Hand“. 59 Ebda. 60 Ebda., Material- und Nachrichten-Dienst („MUND“) der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände, 5. Jg. Nr. 57 vom 10.7.1954. „Elternrecht, Volksschule und Lehrerbildung“. Vortrag von Wilhelm Ebert am 20.3.1954 in München. Er zitiert Hundhammer nach einer Rundfunkmeldung.

347 mit der Nürnberger Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Nürnberg zu errichtenden künftigen Interkonfessionellen Hochschule für Lehrerbildung zu tragen?“61 Der damalige Oberbürgermeister Bärnreuther meinte, „daß die Lehrerschaft und die Eltern es sicher sehr begrüßten, wenn der Stadtrat zu Nürnberg sie in Form einer eindeutigen Wil- lenskundgebung positiv beantworte“. Er glaubte auch, daß Nürnberg die richtige bauliche Lösung schon finden werde; jedenfalls sollte die Stadt „es sich nicht versagen hier einzu- springen“.62 Den jährlichen Sachbedarf schätzte er auf etwa 35000 DM. Auch die SPD meinte, daß geeignete Räume sicher ausfindig gemacht werden könnten, die FDP begrüß- te den Plan, die KP konnte sich die Angliederung der Lehrerbildung an die bestehende Hochschule vorstellen, der Parteilose Block betrachtete die Errichtung der Hochschule „gera- dezu als eine kulturpolitische Aufgabe Nürnbergs“. Nur die CSU wollte sich nicht festlegen ohne weitere Kenntnis darüber, „wie diese Hochschule überhaupt konstruiert sein soll“. Da das Institut vom Staat gegründet werden würde, sei es doch ungewöhnlich, wenn die Stadt dazu Zuschüsse gebe.63 Grundsätzlich stimmte der Stadtrat mit großer Mehrheit dem Vor- haben zu und erklärte sich bereit, den notwendigen laufenden Sachbedarf, „zusätzlich der einmaligen Kosten für die Erstellung eines neuen Gebäudes für diese Interkonfessionelle Lehrerhochschule zu übernehmen“.64 Ergänzend wurde in diesem Bericht festgestellt, daß das Nürnberger Beispiel ein guter Weg zur Lösung der Lehrerbildungsfrage in Bayern zu sein scheine.65 Die Bereitwilligkeit Nürnbergs zu diesem Schritt durfte ein weiteres Mal nicht den Argwohn außer acht lassen, mit dem man im liberalen Franken das katholische Süd- bayern betrachtete, ferner die stete Sorge, zentralistisch aus München verwaltet zu wer- den. Und man nahm wohl auch gerne die Gelegenheit wahr, nachdem man sich im Schul- kampf letztlich doch hatte beugen müssen,66 zu zeigen, wo die wahre Freiheit des Geistes herrschte. Als im November 1954 die Landtagswahlen zugunsten der CSU ausfielen - sie hatte die Zahl der Sitze im Landtag von 65 auf 83 steigern können und beabsichtigte ein Zusam- mengehen mit der Bayernpartei - schien „(d)er Tag der Rache für die Ausschaltung Dr. Hundhammers im Jahre 1950 ... gekommen. Prälat Meixner glaubte nunmehr, ein Lehrer- bildungsgesetz nach den Wünschen der Kirche ... erreichen zu können“.67 Aber Waldemar von Knoeringen (SPD) „landete den Treffer seines politischen Lebens“ und brachte - „mit Hilfe des Bayerischen Lehrerverbandes unter seinem rührigen Präsidenten Wilhelm Ebert“68 - eine Vierer-Koalition von SPD, BP, BHE und FDP gegen die CSU zustande.69 Diese konnte das Bündnis nicht verhindern, auch wenn sie Hildegard Brücher von der FDP die Stelle einer Staatssekretärin im Kultusministerium und ihrer Partei Zugeständnisse in der Kulturpolitik, besonders in der Lehrerbildung anbot.70 Von Knoeringen sah die Stunde gekommen zur Erreichung wichtiger kulturpolitischer Ziele. Mit dem Schlachtruf „Licht über Bayern“ stell- te er sie in den Mittelpunkt seines Koalitionspapiers, und der Entwurf eines Lehrerbil- dungsgesetzes wurde im Landtag eingebracht.71 Man wollte die bayerische Lehrerbildung „von ihren konfessionellen Fesseln ... befreien und zugleich auf ein akademisches Niveau

61 Die Bayerische Schule, 7. Jg. Nr. 15 vom 25.5.1954, S. 233 f. Otto Krug: „Zur Lehrerbildung: Interkonfes- sionelle Lehrerhochschule in Nürnberg“. 62 Ebda. 63 Ebda. 64 Ebda., S. 234. 65 Ebda. 66 siehe S. 457-479. 67 Hoegner, S. 319. 68 Ernst Maria Lang: Das wars. Wars das? Erinnerungen. München 2000, S. 333 f. 69 Kritzer, S. 330. 70 Hoegner, S. 319. 71 Lang, S. 333 f.

348 ... heben“.72 Vor Verabschiedung des Gesetzes verhandelte die Staatsregierung mit den Kir- chen. Die Besprechungen mit der evangelischen Kirche waren erfolgreich, die katholische Kirche war nicht bereit, „von der Forderung nach geschlossenen Lehrerbildungsanstalten für die künftigen Lehrer an katholischen Bekenntnisschulen“ abzugehen.73 Hoegner „kann- te als bayerischer Politiker die Macht der katholischen Kirche zu gut“, um sich auf den offe- nen Kampf einzulassen, und er unterzeichnete das Gesetz, das am 14. Juli 1955 mit den Abgeordneten der Koalition gegen die CSU verabschiedet worden war, nicht. „So zerrann dieses mit so großen Hoffnungen begonnene Werk im Sande“.74 Im Oktober 1957 zerbrach die Viererkoalition. Hanns Seidel (CSU) war nun Minister- präsident. Wieder wurde ein neuer Gesetzentwurf zur Lehrerbildung auf den Weg gebracht, mit SPD und dem Lehrerverein besprochen. Wilhelm Ebert sagte später, daß nach einem schwierigen Gestaltungsprozeß die Forderungen von CSU, SPD, Kirchen und BLLV weitge- hend unter einen Hut gebracht werden konnten, und am 2. Juni 1958 verabschiedete der Landtag das Gesetz einstimmig.75 Eng verbunden mit der Reform der Lehrerbildung war die Frage der Besoldung, hatte doch schon das OMGUS-Telegramm vom 10. Januar 1947 vorgeschrieben: „Die Gehalts- klassen sollen der Ausbildung entsprechen“.76 Kultusminister Hundhammer warnte im Januar 1948 während einer Landtagsdebatte, daß eine Ausbildung auf Hochschulniveau nachhaltige Kosten aufgrund der Umstellung der Lehrerbesoldung nach sich ziehen werde; er ging von 27 Millionen Mark Mehrausgaben aus.77 Deutlich zeigte sich, daß Kulturpolitik keineswegs eine Ressortangelegenheit war. Solche Summen mußten den Aufschrei des Finanzministers nach sich ziehen. Der Bayerische Lehrerverein versuchte, die durch das Reichsbesoldungsgesetz vom 1. April 1940 beseitigte Beförderungsstufe des bayerischen Oberlehrers wieder ins Gespräch zu bringen, aber bereits das Ministerium Fendt hatte erklärt, dazu sei eine Gesetzesänderung erforderlich, die nur durch einen zukünftigen Land- tag erfolgen könne. Der Landtagsbeschluß vom 30. Juli 1948 lautete dann: „Die Staatsre- gierung wird beauftragt, die Aufhebung der in der Nazizeit eingeführten Besoldungsord- nung für die Lehrkräfte an Volksschulen vorzubereiten und bei der Neuordnung der Besol- dungsregelung in Anlehnung an die früheren Bestimmungen allen Volksschullehrern den Aufstieg in höhere Besoldungsgruppen zu ermöglichen.“78 Diese vage Formulierung war geeignet, Kritiker erst einmal zu beruhigen; sie sagte natürlich nichts aus über eine der Ausbildung entsprechende Bezahlung. Nichts war fest- gelegt. Die Reform der Lehrerbildung wurde immer wieder vertagt, vielleicht auch, weil man die besoldungsrechtlichen Konsequenzen fürchtete, aber die Frage des „gerechten Lohns“79 für den Lehrer wurde zunehmend auch in der Öffentlichkeit diskutiert,80 und Kultusmini- ster Schwalber kam schließlich zu der Erkenntnis, daß die Lehrerbildung auf Universitätsni- veau eine Verbesserung der Besoldung zur Folge haben müsse, da man sonst einen „kras- sen Lehrermangel“ zu erwarten habe.81 Im übrigen waren die Koalitionspartner CSU, SPD und BHE auch der Meinung, „daß eine Lehrerbildungsreform nicht ohne Lehrerbesol- dungsreform“ erfolgen könne, aber die Finanzierungsfrage sei nicht geklärt.82 Im Bericht

72 Hamm-Brücher, S. 132. 73 Hoegner, S. 321 f. 74 Ebda., S. 322; Die Bayerische Schule 13/1993, S. 12. 75 Die Bayerische Schule, 13/1993, S. 12. 76 BayHStA München. StK 113968. TWX von OMGUS an die vier Länder, eingelaufen OMGB 10.1.1947. An: Abteilung für Erziehung und religiöse Angelegenheiten. 77 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 48. Sitzung am 29.1.1948, S. 656. 78 Die Bayerische Schule, 2. Jg. Nr. 9/September 1949, S. 334. 79 Ebda., 4. Jg. Nr. 6 vom 20.3.1951, S. 87. 80 siehe S. 211-216. 81 ACSP München. LTF Protokolle. Niederschrift der Fraktionssitzung vom 10.12.1952, S. 2. 82 Ebda.

349 der Ständigen Konferenz der Kultusminister aus dem Jahr 1952 wurde herausgestellt, daß man „eine gerechte und wirksame Maßnahme zur sozialen Gesundung des Lehrerstandes nur in einer grundsätzlichen Neugestaltung seiner Besoldungsverhältnisse“ sehe. Der Wesensart der Erziehung und der inneren Einheit des Lehrerstandes werde „die bisherige Einordnung der Lehrer in eine im wesentlichen von den Bedürfnissen der Verwaltung bestimmte(n) allgemeine(n) Besoldungsordnung ... nicht gerecht“.83 Trotz dieser Erklärung, verschiedener Resolutionen von Lehrerverbänden - nicht nur des BLLV - und Forderungen des Bundesrates verzögerte sich die Lösung des Besoldungs- problems. Zum einen sorgte §8 (Sperrparagraph) des ersten Gesetzes zur Abänderung und Ergänzung des Besoldungsrechts vom Dezember 1951 für eine Aufschiebung,84 zum ande- ren war die Regierungskoalition in Bayern ein sehr fragiles Bündnis,85 das schulpolitische Fragen eher nicht anging. Da rief der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverein zu Groß- kundgebungen in Nürnberg und München auf. Am 1. Februar 1953 strömten etwa 10000 Lehrer und Sympathisanten zu diesen Demonstrationen. „Es galt, vor aller Öffentlichkeit die Notlage von Schule und Lehrerschaft in der eindringlichsten Form klarzulegen“.86 Der Deut- sche Gewerkschaftsbund und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft solidarisier- ten sich mit dem BLLV.87 Die Lehrerbildungsfrage wurde zu dem Zeitpunkt nicht gelöst,88 aber eine deutliche Verbesserung der Besoldung konnte erreicht werden. Die Niederschrift der Fraktionssitzung der CSU vom 10. Dezember 1952 zeigte zwar den Versuch, die For- derungen der Lehrer als unbillig abzuqualifizieren, denn der Abgeordnete Meixner sagte: „Die Lehrer bezeichnen die Besoldungsreform als wichtiger“ als die Bildungsreform.89 Dem unbefangenen Zuhörer konnte sich leicht das Bild eines Lehrers aufdrängen, der einzig nach unangemessener Bezahlung gierte. Aber schließlich konnte Die Bayerische Schule in ihrer Ausgabe vom 20. August 1954 doch titeln: „Kampf und Sieg!“ Der Landtag hatte am 3. August die neue Besoldungsgruppe A4 b4 gebilligt. Mit dieser Neuordnung des Besol- dungsrechts waren die Lehrer an Volksschulen von der Besoldungsgruppe A 4 c 2 (RBesO) nun nach A 4 b 4 (BayBesO) übergeleitet worden.90 Die Einstufung bedeutete, daß sie je nach Dienstaltersstufe zwischen 3300 DM und 5300 DM Gehalt jährlich bezogen (ohne Wohnungsgeldzuschuß oder Kindergeld). Damit lagen sie zwischen Besoldungsgruppe 4 c 1 - z.B. Berg- oder Justizinspektoren, die die geringere Eingangsstufe von 2800 DM, aber auch 5300 DM Endstufe hatten - und Besoldungsgruppe 4 b 2 - z.B. Oberinspektoren, die von 3000 bis 5500 DM durchgestuft waren.91 Die vormalige Besoldungsgruppe 4 c 2, mit einer Stufung von 2800 DM bis 5000 DM bezog sich nun z.B. auf Bank- oder Kriminalin- spektoren, Revierförster, Weinkontrolleure oder Fachlehrer.92 Das Ringen um eine „gerech- te Besoldung“ war erfolgreich abgeschlossen worden.93 Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die jahrelangen Diskussionen um die Bil- dung der Volksschullehrer von Faktoren bestimmt wurden, die z. T. unvereinbar waren. Zu einem Zeitpunkt, da man sich aufmachte, das Klassendenken des industriellen Zeitalters zu überwinden und mit Hilfe der Amerikaner die demokratische Gesellschaft zu verwirklichen,

83 Bericht der Ständigen Konferenz der Kultusminister, S. 21. 84 vgl. Buchinger, S. 533; Die Bayerische Schule, 6. Jg. Nr. 2 vom 20.1.1953, S. 26. 85 siehe S. 340. 86 Die Bayerische Schule, 6. Jg. Nr. 6/1953, S. 69. „Sturm braust übers Land!“ (Carl Weiß). 87 Buchinger, S. 126. 88 siehe S. 348 f. 89 ACSP München. LTF Protokolle. Niederschrift der Fraktionssitzung vom 10.12.1952, S. 2. 90 BayGVBl. Nr. 27 vom 16.8.1954, S. 319. 91 Ebda., Nr. 5 vom 28.3.1955, S. 49 f. 92 Ebda., S. 50. 93 Die Bayerische Schule, 7. Jg. Nr. 22/23 vom 20.8.1954, S. 341.

350 waren ernstzunehmende Politiker wie Hans Ehard immer noch dem ständischen Denken verhaftet. Ein „gewöhnlicher“ Lehrer Akademiker? Unvorstellbar! Auch das Berufsbild war in merkwürdiger Weise von Vorstellungen besetzt, die den Volksschullehrer gleichsam mysti- fizierten. Manche Beschreibungen seiner Aufgaben in der Schule schienen seine Aufopfe- rung im Dienste einer höheren Macht zu fordern. Daneben stand die Absicht eines bewuß- ten Naivhaltens vor allem des Lehrers, der auf dem Lande wirken sollte, verbunden mit der Unterstellung, daß die wissenschaftlich fundierte Universitätsausbildung die Hinwendung an das Kind aus dem Volk verwehre. Nicht zu vergessen die Absicht, einen solchermaßen klein gehaltenen Lehrer an die so ausdauernd gepriesene Dorfschule zu binden. Insgesamt basierte diese romantisch-volkstümlich-nationalistische Haltung auf dem Urgrund des Kon- servativismus, der in Bayern eine beängstigende Renaissance erfuhr. Der Befehl der Ameri- kaner zur Ausbildung aller Lehrer an Hochschulen setzte sich zwar letztendlich durch, gleich- wohl bestimmten politisch-taktische Erwägungen das Tempo der Durchführung. Zum Bei- spiel sah sich die SPD gezwungen, um des Bestandes der Koalition willen, an dieses Thema möglichst nicht zu rühren, und auch die FDP hatte Phasen, in denen sie betonte, daß es zwar gelte, auf dem von ihr vorgelegten Entwurf zur Lehrerbildung zu beharren, „aber dabei möglichst leise“ zu treten.94 Der Einfluß der katholischen Kirche schließlich ging so weit, daß sie, erst nachdem wieder eine CSU-Regierung das Heft in der Hand hatte, Zuge- ständnisse in der Frage der „istituti“ machte.

94 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler N 1 - 118. Protokoll des Kulturpolitischen Ausschusses. 17.4.1953 in Lohr am Main, S. 3.

351 VI. Die Auseinandersetzungen um die Bekenntnisschulen und das Schulorganisationsgesetz (SchOG)

Kultusminister Hundhammer teilte dem Bayerischen Landtag im Januar 1948 mit, welche Reformmaßnahmen sein Ministerium schon in die Wege geleitet habe, die, wie er sagte, auch die Zustimmung der Militärregierung gefunden hätten. Außerdem sei ein neues Schulorganisationsgesetz ausgearbeitet worden, das in Kürze dem Ministerrat zugehen würde.1 Allerdings ging diese Mitteilung in der Schulreformdiskussion der Parteien unter oder wurde bewußt nicht aufgegriffen oder als nicht so bedeutungsvoll erkannt. Gleich- wohl sollte es im Vorfeld seiner Inkraftsetzung und danach zu heftigen Auseinanderset- zungen zwischen allen Beteiligten kommen und der Schulfriede in Bayern, besonders in Franken, jahrelang nachhaltig gestört sein.

1. DIE VOLKSSCHULE ALS BEKENNTNISSCHULE VOR DEM DRITTEN REICH

Da Alois Hundhammer bereits 1931 formuliert hatte, daß der „beste Erzieher des Volkes ... die Kirche (und) der beste Hüter der Ordnung die Religion“ sei,2 konnte es nicht überraschen, daß für ihn als Kultusminister nur die Bekenntnisschule in Frage kam, als es um ein neues Volksschulgesetz ging. Da die Religion tragendes Fundament aller Lebensbe- reiche sei, müsse auch die Schule, und zwar sämtliche Faktoren, die in ihr wirksam würden, also Unterricht, Erziehungsziel, Schulleben, Bücher, Lehrplan, Stundenordnung, Lehrer, Mit- schüler, nach ihr ausgerichtet sein. „Die Idee der Bekenntnisschule beruh(e) auf der Aner- kennung der unteilbaren Ganzheit und Einheit der menschlichen Bildung.“3 Es müssen also, wenn dem Wesen der Bekenntnisschule konsequent Rechnung getragen wird, „alle auf das Kind einwirkenden Erziehungsfaktoren aufeinander abgestimmt, in Ziel und Methode geordnet und vom religiösen Grundmotiv getragen“ werden.4 Bekenntnis- bzw. Konfessionsschulen hatten in Bayern eine lange Tradition, die viel- leicht die Vehemenz erklären kann, mit der der Kampf um die Bekenntnisschulen nach 1945 jahrelang geführt wurde. Ganz im Sinne des canon 1374 des Codex juris Canonici (CIC) hatten katholische Kinder nicht-katholische, neutrale, simultane Schulen, die also auch Nichtkatholiken offenstanden, nicht besuchen dürfen.5 Die Verordnung über die Errichtung der Volksschulen vom 26. August 1883, der Kultusminister Hipp durch seinen Erlaß vom 23. Juli 1945 wieder Gültigkeit verschaffte, stellte unter § 7 fest: „Die Volksschulen sind regelmäßig konfessionelle Schulen.“6 Und auch § 7 der Verordnung des Ministeriums Hoff- mann vom 1. August 1919 hatte besagt: „Die Volksschulen sind, soweit sich nicht aus den

1 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenographischer Bericht. 48. Sitzung am Donnerstag, den 29.1.1948, S. 648. 2 ACSP München. Alois Hundhammer: Staatsbürgerliche Vorträge 3. Staat und Kirche. Regensburg2 1931, S. 39. 3 Archiv des BLLV München. Material- und Nachrichten-Dienst („MUND“) der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Lehrerverbände, 5. Jg. Nr. 57 vom 10.7.1954, S. 3. „Elternrecht, Volksschule und Lehrerbildung“ von Wil- helm Ebert (Vortrag gehalten am 20.3.54 an der TH München). 4 Ebda., S. 3 f. 5 Ebda., S. 3. 6 Königlich Allerhöchste Verordnung, die Errichtung der Volksschulen und die Bildung der Schulsprengel betref- fend, vom 26.8.1883, GVBl. für das Königreich Bayern Nr. 41, S. 407-412.

352 nachfolgenden Bestimmungen anderes ergibt, in der Regel Bekenntnisschulen.“7 Aber § 10 hatte bestimmt, daß der Wille der Erziehungsberechtigten maßgeblich sei, wenn es darum ging, wie viele Bekenntnis- und wie viele Simultanschulen es in Orten mit 15000 und mehr Einwohnern geben solle. Am Schuljahresende sollten sie angeben, in welche Art von Volksschule sie ihre Kinder im nächsten Schuljahr schicken wollten.8 In Orten mit weniger als 15000 Einwohnern konnten die Erziehungsberechtigten darüber abstimmen, ob die vor- handenen Bekenntnisschulen in Simultanschulen umgewandelt werden sollten. Sprach sich mehr als die Hälfte dafür aus, so sollte die Umwandlung für mindestens zehn Schuljahre gelten. Danach konnte der Antrag auf Rückumwandlung gestellt werden.9 Anträgen auf Abstimmung wurde nicht stattgegeben, wenn in einem Ort nur Simultanschulen bestan- den hatten; und neu zu errichtende Volksschulen mußten ebenfalls Simultanschulen sein.10 In einer konfessionell nicht gemischten Gemeinde, in der es nur Bekenntnisschulen gab, mußten die neu zu errichtenden Schulen Bekenntnisschulen sein.11 Artikel 146/2 der Wei- marer Verfassung lautete: „Innerhalb der Gemeinden sind ... auf Antrag von Erziehungs- berechtigten Volksschulen ihres Bekenntnisses oder ihrer Weltanschauung einzurichten, soweit hierdurch ein geordneter Schulbetrieb ... nicht beeinträchtigt wird. Der Wille der Erziehungsberechtigten ist möglichst zu berücksichtigen.“12 Dabei mußte auch eine orga- nische Ausgestaltung des öffentlichen Schulwesens13 möglich sein. Die hemmungslose Errichtung nicht leistungsfähiger Schulen sollte demnach verhindert werden, die Regel war die gemeinsame Schule für alle Bekenntnisse und Weltanschauungen. Aber es waren örtli- che Sonderregelungen möglich, da die Erziehungsberechtigten den entscheidenden Faktor bildeten.14 Ein Reichsvolksschulgesetz, das, auf Art. 146, Abs. 1 (WV) aufbauend, den Stel- lenwert von Gemeinschafts- und Bekenntnis- bzw. Weltanschauungsschulen regeln sollte, scheiterte endgültig im Jahr 1927, da keine Einigung zwischen den Parteien im Reichstag erzielt werden konnte.15 Die Auflösung des Reichstages am 31. März 1928 geschah, nach- dem das 4. Kabinett Marx (Zentrum) mit dem Reichsschulgesetz an der Frage „Gemein- schafts- oder Konfessionsschule?“ endgültig gescheitert war. Die Liberalen der Volkspartei wollten den Weg der drei Koalitionspartner nicht mitgehen, die neben die als Regel postu- lierte Gemeinschaftsschule gleichberechtigt Bekenntnis- und bekenntnisfreie weltliche Schu- le stellen wollten. Daß die Eltern nun generell die Wahl des Schultyps haben und nicht nur die Bekenntnisschule als Ausnahme von der Regel fordern konnten, ging der Volkspartei zu weit. Zentrum, BVP und DNVP kündigten daraufhin am 15. Februar 1928 die Koalition.16 Bedeutungsvoll für die Auseinandersetzungen um das bayerische Schulorganisationsgesetz nach 1945 wurden das „Konkordat zwischen Seiner Heiligkeit Papst Pius XI. und dem Staa- te Bayern“ vom 29. März 1924 und der „Vertrag zwischen dem bayerischen Staate und der

7 Verordnung über die Errichtung der Volksschulen und die Bildung der Schulsprengel vom 1.8.1919, GVBl. für den Freistaat Bayern Nr. 47 vom 11.8.1919, S. 391-395. 8 Ebda. 9 Ebda., § 11. 10 Ebda., § 12. 11 Ebda., § 13. 12 Die Verfassung des Deutschen Reiches. Vom 11. August 1919. Den Schülern und Schülerinnen zur Schul- entlassung. Die Änderungen bis zum 1. August 1930 sind berücksichtigt. S. 44. 13 Ebda. 14 Abelein, S. 73 ff, 76 f. 15 Ebda., S. 82-87. 16 Helmut Heiber: Die Republik von Weimar. dtv-Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Martin Broszat und Helmut Heiber. Bd. 3. München 1968, S. 192 f.

353 Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern rechts des Rheins“ vom 14. November 1924, obwohl der Wortlaut der einschlägigen Artikel sich deutlich von dem des Schulorganisati- onsgesetzes unterschied.17 Art. 6 des Konkordats hieß: „In allen Gemeinden müssen auf Antrag der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten katholische Volksschulen errich- tet werden, wenn bei einer entsprechenden Schülerzahl ein geordneter Schulbetrieb - selbst in der Form einer ungeteilten Schule - ermöglicht ist.“ Ähnlich Art. 9 des Kirchenvertrags: „In allen Gemeinden müssen auf Antrag der Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten evangelische Volksschulen errichtet werden, wenn bei einer entsprechenden Schülerzahl ein geordneter Schulbetrieb - selbst in der Form einer ungeteilten Schule - ermöglicht ist.18 Auch die päpstliche Enzyklika „Divini illius magistri“ vom 31. Dezember 1929 wurde zur Rechtfertigung der Bekenntnisschule herangezogen. Der Kirche sei die Aufgabe des Lehr- amtes von Gott übertragen worden; sie habe das Recht, über die ganze Erziehung, auch in öffentlichen Einrichtungen, zu wachen, „nicht nur was die religiöse Lehre, ..., sondern auch was jedes beliebige andere Fach oder die Regelung von Angelegenheiten betrifft.“19 Dem Staat sei es nicht erlaubt, das ganze Erziehungs- und Bildungswesen an sich zu reißen und die Familien zu zwingen, die Kinder „auf die Schulen des Staates selbst zu schicken“. Die Pflicht des Gemeinwesens sei es, „mit seinen Gesetzen das vorausgehende Recht der Fami- lie ... auf christliche Weise zu erziehen, zu schützen und deshalb dem übernatürlichen Recht der Kirche auf eine solche christliche Erziehung zu willfahren“.20 Als „trügerisch und für die christliche Erziehung gefährlich“ sah man die Koedukation an.21

2. GEMEINSCHAFTS- UND BEKENNTNISSCHULE IM DRITTEN REICH

Daß in Bayern nach dem Krieg von den Kirchen und christlich eingestellten Bürgern mit Vehemenz die Bekenntnisschule gefordert wurde, lag sicher auch in der Art und Weise begründet, mit der die Nationalsozialisten vor allem in den Jahren 1936 bis 1938 die Gemeinschaftsschule durchgesetzt hatten. Trotz des Konkordats zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl, abgeschlossen am 12. September 1933, in dem u. a. die Bei- behaltung und Neueinrichtung katholischer Bekenntnisschulen gewährleistet worden war (Art. 23),22 führten die NS-Behörden die Umwandlung der Bekenntnisschulen in bekennt- nisfreie Schulen durch. Das Beispiel Ansbach, Stadt- und Landkreis, zeigt, mit welchen Mit- teln gearbeitet wurde. Im Jahr 1934 blieb hier die Werbekampagne für die Gemeinschafts- schule nahezu ohne Erfolg. Bei der Schulanmeldung im Februar entschieden sich in Ansbach 60 % der evangelischen Eltern für die evangelische und 60 % der katholischen Eltern für die katholische Bekenntnisschule. 1935 waren es sogar noch mehr: 63 % der evangelischen und 72 % der katholischen Eltern waren für die jeweilige Bekenntnisschule.23 Aber 1936 änderten sich die Zahlen, denn nun sahen sich die Eltern Einschüchterungsversuchen und

17 siehe S. 381 ff. 18 Hans Nawiasky/Claus Leusser: Die Verfassung des Freistaates Bayern. System. Überblick und Handkommen- tar. München 1948, S. 306 und 312. 19 Heinrich Denzinger: Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Verbes- sert, erweitert, ins Deutsche übertragen und unter Mitarbeit von Helmut Hoping herausgegeben von Peter Hünermann. 37. Aufl. 1991. Freiburg i. Breisgau, Basel, Rom, Wien, S. 1000 f. 20 Ebda., S. 1003 f. 21 Ebda., S. 1006. 22 Abelein, S. 89 f. 23 Fitz, S. 70 und 80.

354 Drohungen ausgesetzt, und nur noch 37,7 % der evangelischen und 38 % der katholischen Eltern schickten ihre Kinder zur jeweiligen Bekenntnisschule.24 Der Vatikan richtete am 5. Januar 1936 eine diplomatische Note an die Reichsregierung, in der Einspruch gegen die Unterdrückung der freien Willensäußerung der katholischen Eltern bezüglich der Schulart erhoben und dagegen protestiert wurde, daß die Lehrerschaft von ihren Vorgesetzten in zwingendster Weise aufgefordert wurde, „in der Kampforganisation für die Gemein- schaftsschule mitzukämpfen“, andernfalls sie die Konsequenzen zu tragen hätte.25 Dessen- ungeachtet erhielten die Bezirksregierungen im Februar 1937 vom bayerischen Kultusmini- sterium ein Schreiben, das am 3. März auch an die Schulämter weitergeleitet wurde, „zur Beachtung und entsprechenden Anweisung an die Lehrerschaft im Benehmen mit dem ... Schulrat“. Darin hieß es, daß „Gemeinschaftsschulen im Rahmen der geltenden Bestim- mungen [sic!] mit allen geeigneten Mitteln zu fördern“ seien, in erster Linie an Orten, „wo katholische und evangelische Bekenntnisschulen nebeneinander bestehen und sich hieraus außerordentliche Umstände im Sinne des § 7 Abs. I“ der VO vom 26. August 1883 ablei- ten ließen.26 Alle weltlichen Stellen sollten den Eltern permanent die Vorteile der Gemein- schaftsschule darstellen, Staat und Partei sollten eng zusammenarbeiten, die „Einwirkung auf die Erziehungsberechtigten (sei) den örtlichen Verhältnissen anzupassen“.27 Diese letz- te Anweisung öffnete jeglicher Willkür Tür und Tor. Auch der drohende Unterton fehlte nicht in dem Schreiben, da den Bürgermeistern, die in ihren Gemeinden den erwünschten Widerhall nicht finden würden, geraten wurde, dann „die Aufklärungsarbeit in verstärktem Maße und, wenn geboten, in veränderter Form“ fortzusetzen. Der Schein des Rechts wurde aufrechterhalten, da erst dann, wenn die Bevölkerung nach erfolgter Aufklärung „in beachtlicher Zahl bejahend zur Neuregelung“ eingestellt sei, durch amtliche Anordnung ein bleibender Zustand geschaffen werden sollte. Aber man nutzte den Gesetzestext auch höchst listig für die eigenen Zwecke: § 11 der VO lautete, daß Eltern nicht gezwungen wer- den durften, ihre Kinder in eine Gemeinschaftsschule zu schicken, wenn am gleichen Ort eine Bekenntnisschule bestand. Nun hatten an verschiedenen Orten des Regierungsbezir- kes Mittelfranken, wo nur Bekenntnischulen bestanden, Erziehungsberechtigte die Erklärung abzugeben, sie wünschten für ihre Kinder die Bekenntnisschule. Diese Erklärun- gen wurden nicht angenommen, da sie ja laut Verordnung das Vorhandensein einer Gemeinschaftsschule am Ort voraussetzten! Bei der Umsetzung all dieser Winkelzüge soll- ten übrigens die Lehrer einsatzfreudig mitarbeiten.28 Bereits am 8. Juli 1937 teilte Kultus- minister Wagner den Regierungen seine Befriedigung über den Fortgang der „Überzeu- gungsarbeit“ mit, bejubelte die Erfolge in der Pfalz und in Oberbayern (sic!), wo es nur noch Gemeinschaftsschulen gebe, empfahl die Kontaktaufnahme mit der NSD.-Schulgemeinde, Gau München-OBB e.V., die „besondere Erfahrung in der Behandlung“ der Fragen bewie- sen habe, und lenkte die Aufmerksamkeit auf die „Werbung auch in der Kleinarbeit des All-

24 Ebda. 25 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N 1-984. Schreiben des Ordinariats des Erzbistums München und Freising, Ref. II am 12.2.1949 an die Berufungskammer für München. Abtl. Ermittlung. Betreff: B.,J., vormals Oberstadtschuldirektor in München. 26 Paragraph 7 Abs. I besagte: „Die Volksschulen sind regelmäßig konfessionelle Schulen; ausnahmsweise kön- nen jedoch in außerordentlichen durch zwingende Verhältnisse bedingten Fällen konfessionell getrennte christliche Volksschulen einer Gemeinde auf Antrag der Gemeindebehörde in konfessionell gemischte Schu- len umgewandelt werden.“ Für derartige Fälle war jedoch 2/3 - Mehrheit der Gemeindeversammlung bei der Abstimmung erforderlich (in größeren Gemeinden sogar bis zu 3/4 der abgegebenen Stimmen) und ein Gut- achten der kirchlichen Oberbehörden über die Gewährleistung des Religionsunterrichts. (VO vom 26.8.1883. GVBl. S. 407). 27 StAN. Landratsamt Ansbach, Abgabe 1961, Nr. 1704. Schreiben Nr. IV 8335 des Bayerischen Staatsministe- riums für Unterricht und Kultus am 24.2.1937 an die Regierungen. gez. Adolf Wagner. 28 Ebda.

355 tags, genaueste Vorbereitung und schlagartige Durchführung der Maßnahmen der Partei bei einer Befragung der Erziehungsberechtigten“.29 Die „tatkräftige Unterstützung durch die gesamte Lehrerschaft und Schulaufsichtsbeamten“ und die „freudige Mitarbeit der Bür- germeister“ setzte Wagner voraus. Sein Ziel war es, mit Ablauf des Jahres 1937 an allen Orten Bayerns nur noch Gemeinschaftsschulen zu haben.30 Im Bereich des Bezirksamtes Ansbach gab es dagegen etliche Widerstände, z.B. in Form von Flugblättern, die Dekan Blendinger vom Dekanat Leutershausen an die Schulkin- der verteilte und die die evangelischen Eltern an ihr „schriftliches Versprechen“ erinnerten. In der Gemeinschaftsschule sah er eine Gefahr für den Religionsunterricht.31 Außerdem wurde in den evangelischen Kirchen des Gendarmeriebezirkes Ansbach am Sonntag, dem 5. Dezember 1937 eine Kanzelabkündigung des Kreisdekans verlesen, die sich mit der Abstimmung über die Gemeinschaftsschule in der verausgangenen Woche befaßte. Es wurde denen gedankt, „die der Kirche die Treue gehalten“ hätten, es wurden aber die nicht gescholten, die das nicht gewagt hatten.32 Schließlich gab es reichlichen Ärger mit dem Gemeindediener Johann W., der in den Ortschaften Meinhardswinden, Bernhardswinden und Kurzendorf Unterschriften für die Erhaltung der Bekenntnisschule gesammelt hatte - augenscheinlich nach einem Besuch des Dekans Lieberich-, und zwar am 11. Dezember 1937, also zwei Wochen nach der oben erwähnten Abstimmung über die Gemeinschafts- schule. Begründet wurde diese Aktion damit, daß der Lehrer Hofmann, der von Haus zu Haus gegangen war, um Unterschriften für die Gemeinschaftsschule zu sammeln, die auf- gesuchten Eltern nicht ausreichend „über das Wesen der Gemeinschaftsschule aufgeklärt“ und der Dekan gesagt habe, daß mit dem Sammeln von Gegenunterschriften eine Mög- lichkeit gegeben sei, die für die Gemeinschaftsschule geleistete Unterschrift rückgängig zu machen.33 Die beigefügte Unterschriftenliste war betitelt: „Wir ziehen unsere Unterschrift zur Gemeinschaftsschule zurück, und wollen die Bekenntnisschule.“ 17 Personen hatten unterschrieben.34 Die aufgeführten Widerstände änderten jedoch nichts an der Tatsache, daß Regierungspräsident Dippold unter dem 19. April 1938 den Bescheid erließ, daß den Anträgen auf Umwandlung der Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsschulen stattgegeben wurde.35 Ab dem Schuljahr 1938/39 galt die Anordnung; und sie wurde getroffen aufgrund § 14 Abs. 1 Satz 1 der VO vom 26.8.1883, der besagte, daß „(d)ie Beschlußfassung über die Errichtung neuer, die Aufhebung bestehender Volksschulen ... sowie über alle hiebei zu ordnenden Verhältnisse ... der einschlägigen Kreisregierung, Kammer des Innern,“ zuste- he.36 Die aufgeführten Gründe lasen sich durchaus rechtsstaatlich, immer bezogen auf die Verordnung von 1883: Die Bürgermeister hätten aufgrund der Befragungsergebnisse der Erziehungsberechtigten die Umwandlung beantragt. Für die Umwandlung hätten sich - mit zwei Ausnahmen - die Gemeinderäte, Schulpflegschaften und Schulleitungen, ferner die

29 StAN. Landratsamt Ansbach, Abgabe 1961, Nr. 1704. Schreiben Nr. IV 36966 des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 8.7.1937 an die Regierungen. gez. Adolf Wagner. 30 Ebda. 31 Ebda., Meldung der Gendarmerie-Station Leutershausen am 1.12.1937 an das Bezirksamt Ansbach. 32 Ebda., Meldung Nr. 2568 der Gendarmerie-Hauptstation Ansbach am 7.12.1937 an das Bezirksamt Ansbach. Betreff: Kirchenüberwachung. 33 Ebda., Meldung Nr. 2615 der Gendarmerie-Hauptstation Ansbach am 12.12.1937 an das Bezirksamt Ansbach. Betreff: Sicherstellung einer Liste mit Unterschriften für die Bekenntnisschule in der Gemeinde Bern- hardswinden. 34 Ebda. 35 Ebda., Bescheid Nr. 1147 c 290 der Regierung von Oberfranken und Mittelfranken am 19.4.1938 an die Bezirksschulbehörde z. Hd. des Bezirksamtsvorstandes. Betreff: Umwandlung der evang.-luth. und der kath. Volksschulen des Bezirksamtsbezirks Ansbach in Gemeinschaftsschulen. 36 VO vom 26.8.1883 (GVBl. S. 407).

356 Erziehungsberechtigten mit einer Mehrheit von mindestens 56 % - mit zwei Ausnahmen -, im ganzen Bezirksamtsbezirk Ansbach zusammen mit einer Mehrheit von 90,5 % und beide Mitglieder der Bezirksschulbehörde ausgesprochen. Diese beiden Ausnahmen sind einer ausführlichen Schilderung wert, zeigen sie doch die selbstverständliche konfessionelle Verankerung der Schule innerhalb ländlicher Struktu- ren. An einem dieser Orte, Büchelberg, zum Dekanat Leutershausen gehörend, hatten am 1./2. Dezember 1937 nur neun von 20 Erziehungsberechtigten für die Einführung der Gemeinschaftsschule gestimmt.37 Das bedeutete allerdings nicht, daß dort die evangelische Bekenntnisschule bestehen blieb. Die Niederschrift der Sitzung der Schulpflegschaft vom 8. Januar 1938 offenbart vielmehr folgendes Vorgehen: „Tagesordnung: Umwandlung der Bekenntnisschule in eine Gemeinschule [!]. Nach Bekanntgabe der Tagesordnung wurde folgendes beraten und beschlossen: 1. Antrag: Auf Grund der Ergebnisse der Befragung der Erziehungsberechtigten im Bezirk Ansbach 1./2.12.37 wird beantragt, die ev. Schule in Büchelberg in eine Gemeinschaftsschule mit Wirkung vom 1. Januar 1938 ab umzuwan- deln. 2. Beschluß: Mit 5 Stimmen wird vorstehender Antrag angenommen unter der Bedin- gung, daß es bleibt wie bisher.“38 Da wurde also das Gesamtergebnis des Bezirks zum (erzwungenen?) Anlaß genommen, die Schule umzuwandeln, aber man fügte sich listig in dem Bewußtsein, daß sich nichts ändern werde, auch wenn das Kind nun einen anderen Namen hatte. Der zweite Ort im Bezirksamtsbezirk Ansbach war Götteldorf, wo nur fünf von 20 evangelischen Erziehungsberechtigten für die Gemeinschaftsschule stimmten. Der Ablauf der Geschehnisse wurde folgendermaßen geschildert: Der Lehrer der Götteldorfer Schule teilte dem dortigen Pfarrer Winter mit, daß er den Auftrag zur Umwandlung der evangelischen Bekenntnis- in eine Gemeinschaftsschule erhalten habe. Er müsse die Akti- on durchführen und bat um Zustimmung und wenig Schwierigkeiten. Der Pfarrer machte Hausbesuche, um die Erziehungsberechtigten zu beeinflussen und verließ sich im beson- deren auf den Gastwirt Schuh, der die ganz Sache im Sinne des Pfarrers in die Hand nahm. Die Eltern wurden an einem Abend in die Schule bestellt, wo der Lehrer und zwei Partei- funktionäre zu ihnen sprachen. Es wurde dabei wiederholt die Freiwilligkeit betont. Da stand der Gastwirt Schuh auf und sagte: „Wir haben und schon freiwillig für die Bekenntnisschule entschieden.“39 Sowohl die Ordinariate Bamberg und Eichstätt als auch der Evang.-Luth. Landes- kirchenrat erhoben aus verschiedenen Gründen Einspruch gegen die Umwandlung in Gemeinschaftsschulen, aber die Anträge der Bürgermeister waren förmlich nicht zu bean- standen. Sachlich wurden sie folgendermaßen begründet: Die VO vom 26.8.1883 hatte als Voraussetzung zu einer Umwandlung gefordert, daß „außerordentliche durch zwingende Verhältnisse bedingte Fälle“ vorliegen müßten, um eine konfessionell gemischte Schule bil- den zu können, und ein solcher Fall sei gegeben, da „die Umwandlung von allen beteiligten gemeindlichen und staatlichen Stellen und von der überwältigenden Mehrheit der Erzie- hungsberechtigten gewünscht (werde) und ... die Gemeinschaftsschule am besten geeig- net (sei), den nationalsozialistischen Grundsatz der Volksgemeinschaft in der Jugend zu ver- wirklichen“.40 Die Beanstandung der „eiligen und schlagartigen Durchführung der Befra- gung“, die die Kirchen vorbrachten, wurde mit dem Hinweis, daß man sich im ganzen Land

37 StAN. Landratsamt Ansbach, Abgabe 1961, Nr. 1704. Ergebnis der Befragung der Erziehungsberechtigten über die Einführung der Gemeinschaftsschule im Bezirksamt Ansbach. Abstimmungszahlen vom 10.1.1938. 38 Stadtarchiv Leutershausen. Gemeinde Büchelberg. Band B 21. Schulpflegschaft Büchelberg 1919-1965, o. S. 39 Bericht des Pfarrers Lehner, Götteldorf. Aufzeichnungen von Pfarrer Winter aus Dietenhofen 1935 - 65. 40 StAN. Landratsamt Ansbach, Abgabe 1961, Nr. 1704. Bescheid Nr. 1147 c 290 der Regierung von Oberfran- ken und Mittelfranken am 19.4.1938 an die Bezirksschulbehörde z. Hd. des Bezirksamtsvorstandes. Betreff: Umwandlung der evang.-luth. und der kath. Volksschulen des Bezirksamtsbezirks Ansbach in Gemein- schaftsschulen.

357 schon lange mit der Frage der Schulart beschäftigte, abgewiesen. Die Erziehungsberech- tigten hätten „Zeit zum Bedenken und Besinnen“ gehabt. Die Kritik an der Art und Weise der Unterschrifteneintreibung wies man ebenfalls von sich, da „mangels jeglicher näherer Angaben eine Nachprüfung nicht möglich“ sei. Ein möglicher vereinzelter Fehler falle bei 90,5 % im Gesamtergebnis nicht ins Gewicht. Da die Umwandlungen dem Willen der Erzie- hungsberechtigten („und das trifft hier zu“) entsprächen, verstießen sie auch nicht gegen die Bestimmungen des Konkordats. Einer nachträglichen „Zurückziehung einmal geleisteter Unterschriften“ werde aus „grundsätzlichen Erwägungen keine Beachtung geschenkt“.41 Der Minister für Unterricht und Kultus konnte am 24. Oktober 1938 bekanntgeben: „In ganz Bayern sind nunmehr die Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsschulen umgewandelt. An diesem Wendepunkt in der Geschichte unseres öffentlichen Volksschulwesens danke ich allen, die an der Erfüllung der von mir gestellten Aufgabe mitgewirkt haben. Adolf Wag- ner“42

3. DIE FRAGE DER BEKENNTNISSCHULE VOR INKRAFTTRETEN DER BAYERISCHEN VERFASSUNG

3.1. DIE KIRCHEN

Der Zusammenbruch des NS-Regimes hatte viele Deutsche zurückgeführt in den Schoß der Kirchen, die sich sogleich als eigentliche Ordnungs- und Führungsmacht ver- standen und von Anfang an nicht nur in Bayern zum bestimmenden Faktor hauptsächlich in der Kulturpolitik wurden. Voller Freude berichtete denn auch der Domprobst der Londoner St. Paul´s Cathedral, daß eine der lebendigen und aufbauenden Kräfte, die auch durch Hit- ler nicht zerstört werden konnten, die Kirche sei, die energisch ans Werk gehe.1 Vor allem die katholische Kirche war es, die sich mit Vehemenz um ihre - ihrer Meinung nach - urei- gensten Belange kümmerte. Es wurde ihr bescheinigt, daß sie sich gewaltig anstrenge, „in Deutschland maßgebenden politischen Einfluß zu gewinnen“, und man fragte sich, „wie lange die Protestanten diesem Treiben zusehen“ würden. Dem evangelischen Kultusmini- ster Stein in Hessen wurde vorgeworfen, er mache Personalpolitik ganz im Sinne des Bischofs von Mainz und setze auch dort katholische Schulräte ein, wo der überwiegende Teil der Bevölkerung evangelisch sei.2 Die Kulturpolitik und hier vor allem die Schule war das Gebiet, auf das sich die katholische Kirche konzentrierte. Ein Hirtenbrief der katholischen Bischöfe vom August 1945 bat nicht, sondern forderte. Zwar hieß es zunächst: „Wir hof- fen, daß katholischen Eltern wieder die Möglichkeit gegeben ist, ihre Kinder in katholische Schulen zu schicken.“ Es gebe „keine bessere Bürgschaft für die Gesundung der geistigen Lage als eine wahrhaft religiöse Erziehung, die in der Bekenntnisschule gesichert“ sei; aber die nächsten Sätze lauteten: „Dann bestehen wir ... auf der katholischen Schule für die katholischen Kinder ... Ebenso verlangen wir katholische höhere Privatschulen ... Wir stützen

41 Ebda. 42 StAN. Landratsamt Ansbach, Abgabe 1961, Nr. 1704. Bayer. Regierungsanzeiger Nr. 300, eingel. am 27.10.1938. Bek. d. Ministers für Unterr. und Kult. Vom 24.10.38 Nr. N 62401, über das öffentl. Volksschul- wesen.

1 Die Neue Zeitung 2. Jg. Nr. 2 vom 7.1.1946, S. 2. „Londoner Domprobst berichtet über seinen Besuch.“ (Als zweite Kraft nannte er die Universität.). 2 Tröger, Interregnum, S. 109 f.

358 unsere Forderung auf unser durch Gesetz und Konkordat verbürgtes Recht.“3 Für die katho- lische Kirche war die Rekonfessionalisierung der öffentlichen Volksschulen eine Sache der politischen Wiedergutmachung, um die man nicht zu betteln brauchte, die man fordern konnte. Sie betrachtete sich auch als Wächter darüber, daß „die neue Staatsordnung nicht gegen die gottgewollte sittliche Ordnung“ verstieß.4 In engem Zusammenhang damit mußte auch das Eintreten der Kirche für die Entnazifizierten gesehen werden, denn die Ent- lassung katholischer bayerischer Lehrer bedeutete, „daß die vorwiegend katholische hei- matbezogene Erziehung durch die Einstellung zahlreicher nichtbayerischer (nichtkatholi- scher) und unausgebildeter Hilfslehrer und damit ... die beherrschende Stellung der katho- lischen Kirche im Erziehungswesen in Frage gestellt“ wurde.5 Die evangelische Kirche schien nicht so kompromißlos vorzugehen. Ein Dokument der Bekennenden Kirche aus dem Jahr 1943, Kirche und Schule betreffend, hatte die „christliche Staatsschule“ gefordert, die „je nach den örtlichen Verhältnissen konfessionell einheitlich oder konfessionell gemischt“ sein konnte, und hatte die religiös neutrale, nichtchristliche Gemeinschaftsschule abge- lehnt.6 Martin Niemöller sprach sich gleich nach Kriegsende für die Wiedereinführung der Konfessionsschule aus und gegen die Trennung von Staat und Kirche,7 aber das hätte ja auch die konfessionell gemischte Schule sein können. In ihrer Denkschrift prägte die Evan- gelische Kirche Deutschlands (EKD) den Terminus der „christlichen Schule“, die Raum biete für christliche Unterweisung, aber keinen Gewissenszwang auf Lehrer und Schüler ausüben solle.8 Dagegen protestierte der bayerische Landeskirchenrat. Nur die Bekenntnisschule evangelischer Glaubensrichtung würde dem „göttlichen Auftrag“ der Erfassung des ganzen Menschen gerecht.9 Man kann sich aber des Eindrucks nicht erwehren - und Dokumente und Aufsätze unterstützen diese Annahme - daß die evangelische Kirche sich der unerbit- terlichen Haltung der katholischen Kirche in Bezug auf die Bekenntnisschule nicht entzie- hen konnte und diese aus reinem Selbsterhaltungstrieb forderte. Oskar Hammelsbeck schrieb dazu später: „Gäbe es keine katholischen Bekenntnisschulen, brauchte es keine evangelischen zu geben. Sie sind jedoch, nicht aus Gründen der Parität, sondern als Boll- werk gegen die Katholisierung erforderlich.“10 Das konfessionelle Bewußtsein der evange- lischen Eltern unmittelbar nach Kriegsende hatte, nach Aussage eines (evangelischen) Beob- achters in Nürnberg, dieselbe Richtung: es erschöpfe sich im Kampf gegen den „finsteren Katholizismus“.11 Der unter der Regierung Schäffer amtierende Kultusminister Hipp hatte mit seiner Entschließung vom 23.Juli 1945 den „Zustand, wie er am 30. Januar 1933 war“ wieder hergestellt.12 Und für viele Zeitgenossen war das durchaus eine Selbstverständlich- keit, wie das im August 1945 z.B. der Regierungspräsident in Ansbach, Reichard, bestätig- te, wenn er auch hinzufügte, daß auf die Wünsche der Bevölkerung Rücksicht zu nehmen

3 Hirtenbrief, beschlossen von der Konferenz der katholischen Bischöfe Deutschlands in Fulda, vom 23.8.1945, abgedruckt in Kleßmann, S. 377 f. 4 Huelsz, S. 65. 5 Niethammer, Die Entnazifizierung, S. 186. 6 Buchinger, S. 421. 7 Vollnhals, Die Evangelische Kirche, S. 119. Er zitiert Report on Interview with Pastor Niemöller vom 19.6.45, OSS Report No. L-80 vom 30.6.45; NA, RG 84, Polad 737/2. 8 Huelsz, S. 76. 9 Ebda., S. 77. Auch der Ev.-luth. Landesbischof Marahrens und der Bischof von Hildesheim, Machens, vertra- ten in einem Schreiben am 25.7.1945 an die Regierung der Provinz Hannover diese Auffassung (Kleßmann, S. 390). 10 Oskar Hammelsbeck: Schule in evangelischer Verantwortung. Bochum 1961, S. 148. 11 LKAN. Bayer. Dekanat Nürnberg Nr. 942. Akten des Schulbeauftragten Kirchenrat Georg Merkel, Bericht o. D. 12 Ebda., LKR VI 1100 a (3064). Schreiben Nr. IV 15325 am 23.7.1945 des Bayer. Staatsministers für Unterricht und Kultus an die Herren Regierungspräsidenten. Betreff: Vollzug der Verordnung vom 26. August 1883 über die Errichtung der Volksschulen; siehe S. 43.

359 sei.13 Das Bezirksschulamt Dinkelsbühl meldete, daß die Geistlichen beider Konfessionen „grundsätzlich auf dem Boden der Konfessionsschule“ stünden, und die seien der Meinung, daß die Eltern in überwiegender Mehrheit ebenfalls die Konfessionsschule wünschten; wohingegen „die weltlichen Instanzen“ (Landrat, Bürgermeister) die Auffassung vertraten, daß die „Umorganisierung des gegenwärtigen Schulwesens, das heute noch auf der Grund- lage der Gemeinschaftsschule“ fuße, den Wiederaufbau wesentlich stören und erschwe- ren würde. Sie fürchteten Unfrieden in der Bevölkerung „durch eventuelle Schulkämpfe“ und würden eine „christliche Gemeinschaftsschule“ vorziehen.14 Eine „Gemeinschafts- schule auf christlicher Grundlage“ für eine Übergangszeit und ohne daß ein Präzedenzfall geschaffen würde, war auch das Anliegen des nachmaligen Kultusministers Fendt, der am 5. Oktober 1945 den evangelischen Landesbischof Meiser aufsuchte, nachdem er natürlich vorher bei Kardinal Faulhaber, dem Vertreter der katholischen Kirche, gewesen war! Zu dem Zeitpunkt war er noch Regierungsdirektor in der Regierung von Oberbayern, war aber von der Militärregierung bereits ausersehen worden, das Amt des Kultusministers zu überneh- men, und wollte dieses nicht antreten, „ehe er nicht durch Benehmen mit beiden Kirchen Klarheit über bestimmte schulpolitische Verhältnisse geschaffen“ hatte.15 Fendt wollte dem „Bekenntnisanliegen“ der Kirchen in der Weise Rechnung tragen, daß in größeren Schu- len, bei ausreichender Schülerzahl Konfessionsklassen mit einem Lehrer der gleichen Kon- fession gebildet würden, „ohne daß diese Klassen ... jedoch den Namen der betreffenden Konfession tragen sollen“. Dadurch sollte „einer späteren Entwicklung nicht vorgegriffen werden und grundsätzlich soll(te) die Bekenntnisschule in ihrem Recht bestehen bleiben“.16 Ob diese Begründung Bischof Meiser zufriedenstellte, sei dahingestellt. Es drängt sich jedoch der Verdacht auf, daß der Sozialdemokrat Fendt versuchte, zwar den Vereinbarungen aus Konkordat und den Verträgen mit der evangelischen Kirche Genüge zu tun, aber dennoch ein Hintertürchen offenzuhalten für den Fall, daß unter einer SPD-Regierung die Einheits- schule eingerichtet würde. Konfessionsklassen, womöglich noch deutlich sichtbar gemacht, hätten, da sie sozialistischer Weltanschauung nicht entsprachen, dann gestört. Auch ein sozialdemokratischer Wähler hätte nach damaligem Selbstverständnis sicher nicht begrei- fen können, daß eine SPD-Regierung besondere Bekenntnisklassen einrichtete. Wenn also Bischof Meiser am Ende seines Gesprächsprotokolls schrieb, der freundschaftliche Ton lasse erwarten, daß der Weg der Verständigung eher beschritten werde als der „Weg der Gewalt und der List“, so muß man beim letzten Begriff doch Zweifel anmelden. Der christliche Cha- rakter der Gemeinschaftsschulen sollte auch durch die Wiederzulassung von Schulgebeten deutlich werden, allerdings konnte Meiser nicht zustimmen, in gemischten Klassen täglich wechselnd ein evangelisches und ein katholisches Gebet zu sprechen. Für solche Fälle hat- ten beide Kirchen bereits NS-Kultusminister Schemm eine Auswahl von Gebeten vorgelegt, die von Kindern beider Konfessionen gemeinsam gesprochen werden konnten. Diese könn- ten auch jetzt verwendet werden.17 Der Begriff der christlichen Gemeinschaftsschule wurde während der Auseinander- setzungen in den folgenden Jahren nicht oft verwendet. So, wie die Dinge sich entwickel-

13 StAN. Regierung v. Mfr., Abgabe 1978, Nr. 213. Besprechung des Regierungspräsidenten mit den ihm unter- stellten Behörden in Bayreuth am 27.8.1945. 14 Ebda., Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992 Nr. 264. Schreiben des Bezirksschulamts Dinkelsbühl Nr. 2584 am 21.9.1945 an den Herrn Landrat in Dinkelsbühl. Betreff: Beilage zum Fragebogen über „Religionsange- legenheiten - Anfangsübersicht“. 15 LKAN. LKR VI 1100 a (3064). Betreff: Schulpolitische Verhältnisse. Aufzeichnungen eines Gesprächs zwischen Dr. Fendt und D. Meiser am 5.10.1945. 16 Ebda. 17 Ebda.

360 ten, wurde Gemeinschaftsschule das krasse Gegenteil zur Bekenntnis- oder Konfessions- schule, und mancher christliche Eiferer schien sie als eine Art Vorhölle zu betrachten, geeig- net für die Gottlosen und Ungläubigen, im günstigsten Urteil für „die Lauen“.18 Die Entschließung vom 23. Juli 1945 über die Wiederherstellung der Bekenntnis- schule hielt Ministerpräsident Hoegner für ungesetzlich, und er ersuchte seinen Kultusmi- nister Fendt, sie vorläufig zurückzuziehen.19 Dieser hob die Entschließung am 26. Novem- ber 1945 mit der Begründung wieder auf, daß zum damaligen Zeitpunkt in Bayern nur eine Landesverwaltung, keine Landesregierung, bestanden habe, deren Aufgabe es war, unter dem Befehl der Alliierten Streitkräfte das öffentliche Leben weiterzuführen und die Verwal- tung aufrechtzuerhalten. Die Entschließung habe über den Wirkungsbereich der damaligen Landesverwaltung hinausgegriffen, und daher müsse ihr die Rechtswirksamkeit aberkannt und die vor dieser Entschließung bestandene „Rechtsgestaltung“ als noch gültig anerkannt werden.20 Die Antwort von katholischer Seite, von Kardinal Faulhaber, ließ nicht lange auf sich warten und konnte die nun bestehende Landes“regierung“ ob ihrer Schärfe und ihres kaum verhohlenen Sarkasmus nicht erfreuen. Der Kardinal verneinte die Rechtswirkung nationalsozialistischer Hoheitsakte, da sie mit Gewaltanwendung verbunden gewesen seien. Null und nichtig seien sie und bedürften daher keiner förmlichen Aufhebung. Da das Reichs- konkordat, das gemäß Art. 23 die Bekenntnisschule als Regelschule gewährleistet hatte, vom Alliierten Kontrollrat als innerstaatliches Gesetz als verbindlich anerkannt worden sei, sei die Frage, ob die Entschließung unbefugt oder befugt, mit oder ohne Rechtswirksam- keit erlassen wurde, bedeutungslos. Es habe sich nur um eine Klarstellung gehandelt, um einen „deklaratorischen Verwaltungsakt“, nicht um einen Gesetzesakt. Wenn aber die gegenwärtige Landesregierung glaube, daß sie formalrechtliche Einwände geltend machen müsse, so solle sie das tun, was die Landesverwaltung angeblich nicht durfte, nämlich den rechtsgültigen Zustand der Zeit vor der nationalsozialistischen Herrschaft als solchen anzu- erkennen. Um eine „baldgefällige Verbescheidung“ bat der Kardinal dringend, da der gesamte Klerus vom Inhalt der Entschließung vom 23. Juli 1945 Kenntnis habe.21 Dieses Schreiben belegte den hohen Stellenwert der Schulpolitik bei der katholischen Kirche und den Vorrang, den die Durchsetzung nicht aufgegebener Rechte vor organisatorischen und pädagogischen Erwägungen hatte. Fendt antwortete auf Faulhabers Protestschreiben erst im Juli 1946, da die erhoffte Klärung der strittigen Fragen durch die Militärregierung nicht erfolgt war. Er beharrte darauf, daß die damalige Regierung nicht befugt gewesen sei, Anordnungen zu treffen, z.B. „ausnahmslos durchzuführen“, daß nur Lehrer des passen- den Bekenntnisses an den jeweiligen Bekenntnisschulen unterrichten dürften. Allerdings räumte er ein, daß „nicht zu der Frage der Bekenntnisschule grundsätzlich und sachlich

18 AdsD Bonn. LV Bayern I/208. Oberbayerisches Volksblatt v. 29.3.53, Landtagspräsident Hundhammer vor der Wahl. 19 BayHStA München. StK 113968. Dr. Wilhelm Hoegner am 3.11.1945 an Unterrichtsminister Dr. Fendt. Spä- ter schrieb Hoegner, Fendt habe ohne sein und Staatssekretär Meinzolts Wissen „noch 1945“ einen Erlaß herausgegeben, mit dem in Bayern die „Christliche Gemeinschaftsschule“ eingeführt werden sollte und der einen Antwortbrief Kardinal Faulhabers nach sich zog, den Fendt „sich nicht hinter den Spiegel steckte“. (Hoegner, S. 238; Kritzer, S. 204) Da für Ende 1945 kein zweiter Fendtscher Erlaß aufzufinden war und Hoeg- ner weiter schrieb, daß er, um einen Konflikt mit den Kirchen zu vermeiden, Anfang Januar 1946 einen außer- ordentlichen Ministerrat einberief, Fendt „desavouierte“ und ein klärendes Gesetz in die Wege leitete, muß er seine Beteiligung an der Affäre wohl verschwiegen haben. 20 LKAN. LKR VI 1100 a (3064): Schreiben Nr. IV 31749 des Bayer. Staatsministers für Unterricht und Kultus am 26.11.1945 an die Herren Regierungspräsidenten. Abdruck an die kirchlichen Oberbehörden zur gefälligen Kenntnisnahme. 21 Ebda., Der Erzbischof von München am 13.12.1945 an den Herrn Staatsminister für Unterricht und Kultus. Betreff: Schulgesetzgebung, hier die gegenwärtige Rechtslage der Bekenntnisschule in Bayern.

361 Stellung genommen werden“ sollte. Er habe nur „dem durch die gegenwärtige Not geschaffenen Zustand Rechnung“ tragen wollen, „daß der konfessionelle Charakter einer Schule praktisch z. Z. nicht ausnahmslos berücksichtigt werden kann, ohne daß Lehrer und Schüler schwersten Widrigkeiten ausgesetzt wären und dadurch der Unterrichtserfolg gefährdet würde“.22 In der Zwischenzeit hatte Ministerpräsident Hoegner, dem die „politi- sche Bedeutung der Angelegenheit sofort klar“ geworden war,23 Anfang Januar 1946 einen außerordentlichen Ministerrat einberufen und einen Gesetzentwurf über die „Befreiung der Kirchen von staatlichem Zwang“ vorgelegt, den er bereits im Schweizer Exil ausgearbeitet hatte.24 Es folgten zähe Verhandlungen mit den Kirchen, in deren Verlauf sich die Stellung der Gemeinschaftsschule gegenüber der Bekenntnisschule veränderte. Da für Hoegner der Standpunkt „pacta sunt servanda“ galt,25 mußte angesichts der Kirchenverträge grundsätz- lich an der Bekenntnisschule festgehalten werden,26 und in dem Gesetz Nr. 14 über die „Rechtslage der Religionsgemeinschaften in Bayern vom 16.1.1946“ hieß es in Art. 8, Absatz 1: „Die öffentlichen Volksschulen sind Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschulen“, aber Absatz 4 schränkte ein: „An Orten mit bekenntnismäßig gemischter Bevölkerung sind auf Antrag der Erziehungsberechtigten Gemeinschaftsschulen zu errichten.“27 Angesichts dieses Erfolges der kirchlichen Vertreter kann man Hoegners Bekunden, daß diese recht bescheidene Forderungen gestellt hätten, nicht zustimmen; der Gesetzentwurf war ein ein- deutiger Sieg der Kirchen. Die Militärregierung sah das wohl ebenso und widerrief ihre ursprünglich gegebene Zustimmung zu diesem Gesetz, das demnach nie in Kraft trat.28 Hoegner schrieb später, daß das Gesetz „aus nie bekanntgewordenen Gründen nicht genehmigt“ worden sei. Er vermutete nur, daß es zu kirchenfreundlich ausgefallen sei.29 Zu diesem Zeitpunkt war die Haltung der westlichen Besatzungsbehörden kritischer geworden. Erste praktische Erfahrungen hatten gezeigt, daß die Kirchenvertreter mit großem Selbstbewußtsein „dezidierter und häufiger mit Erklärungen und Eingaben zu drän- genden Problemen Stellung bezogen, als es den Militärregierungen lieb war“.30 Das betraf in Bayern vor allem die Frage der Konfessionsschule. Und britische und amerikanische Militärbehörden waren sich einig in ihrem Urteil, daß vor allem die katholische Kirche „eher einen nationalistischen als einen demokratischen Einfluß“ ausübe.31 Kultusminister Fendt, der einen entschieden konfliktfreudigeren Eindruck machte als sein Ministerpräsident, im Jahr 1946 auch seinen vielbeachteten Schulreformplan vorleg- te32 und in diesem betonte, daß folgenschwere Entscheidungen über die Wahl der Fächer bei Schülern zu demokratischen Grundhaltungen und verantwortungsbereiter Selbstbe- stimmung beitragen würden, erprobte diesen Ansatz offensichtlich auch in seinem Amt und erließ am 26. September 1946 eine Entschließung, die wiederum hohe Wellen schlug. Angesichts der nicht zu leugnenden Notstände an den bayerischen Volksschulen würde

22 Dokumente zur Schulreform, S. 36 f. 23 Hoegner, S. 239. 24 Ebda., S. 238. Sein Entwurf einer Reichsverfassung aus dem Jahre 1940 verlangte allerdings die Staatsschu- le für alle Bekenntnisse gemeinsam und enthielt den Satz: „Die Trennung nach Bekenntnissen ist ... doch nur eine untergeordnete Erscheinung.“ Abendländische Humanität und christliche Liebe seien vorrangig. (Ebda., S. 159). 25 Kritzer, S. 204. 26 Hoegner, S. 239. 27 Dokumente zur Schulreform, S. 34. 28 Buchinger, S. 28 und 423; Dokumente zur Schulreform, S. 34. 29 Hoegner, S. 239. 30 Kleßmann, S. 61. 31 Ebda. Bereits im November 1945 hatten die katholischen Bischöfe Westdeutschlands vom „Hohen Kontroll- rat in Berlin“ die Erhaltung bzw. Wiedereinführung der öffentlichen katholischen Volksschulen gefordert. (LKAN. LKR VI 1100 a (3064). Schreiben vom 7.11.1945). 32 siehe S. 235.

362 „(i)m Einvernehmen mit den kirchlichen Oberbehörden und unter voller Zustimmung und Billigung der Militärregierung ... nur eine allgemeine christliche Volksschule aufgerichtet.“ Es werde nicht erlaubt, „daß unter irgend einem Vorwand die Trennung der Schule nach Bekenntnissen“ erfolge. Die Bildung von Bekenntnisklassen solle nach Möglichkeit durch- geführt werden, das dürfe „jedoch nicht zu pädagogisch untragbaren Konstruktionen führen.“ Fendt erklärte „ausdrücklich, daß eine Trennung in 2 ungeteilte konfessionelle Schulkörper solch eine untragbare Konstruktion“ sei. In einem Brief an Dr. Josef Müller (CSU) führte er ein Beispiel an: Es gebe eine Schule mit einem Schulraum, aber zwei Schu- len, eine katholische Bekenntnisschule mit 99 und eine evangelische mit 28 Schülern. Die Bildungsergebnisse bei 99 Schülern, die in einer Klasse unterrichtet wurden, könne man sich wohl vorstellen, zumal in einer Zeit, da Flüchtlingskinder und Evakuierte erschrecken- de Lücken in ihrer Bildung aufwiesen. Für ihn, Fendt, gebe es nur die eine Lösung: die Klas- sen 1-4 und 5-8 getrennt zu unterrichten und zwar katholische und evangelische Kinder zusammen.33 Die katholische Kirche hatte anscheinend keine Bedenken gegen „pädagogisch untragbare Konstruktionen“, denn das Erzbischöfliche Ordinariat in Bamberg ersuchte den Regierungspräsidenten in Ansbach, in Altenkunstadt, Landkreis Lichtenfels, eine Verände- rung der schulischen Verhältnisse herbeizuführen. Dort wurden in der Volksschule 350 katholische und 104 evangelische Schüler in fünf Klassen von 4 katholischen und einem evangelischen Lehrer unterrichtet. Es gab also eine relativ weitgehende Aufteilung der acht Volksschulklassen. Das Ordinariat schlug nun vor, die 104 evangelischen Schüler dem evan- gelischen Lehrer zuzuweisen, die dieser in zwei Abteilungen hätte bewältigen müssen, und die katholischen Schüler nur von den katholischen Lehrern unterrichten zu lassen,34 was immerhin noch eine Teilung in je zwei Klassen zugelassen hätte. Der Nachteil für den evan- gelischen Lehrer und die Schüler lag auf der Hand: Es hätte verkürzten Unterricht gegeben, und es wären die Klassen 1-4 und 5-8 in einer Gruppe zusammen gewesen. Der Schulrat in Lichtenfels, um eine Stellungnahme gebeten, machte die zusätzlichen Schwierigkeiten deutlich: Der evanglische Lehrer war ein Schulhelfer mit nur dreimonatiger Ausbildung, und ihm wollte man die evangelischen Klassen eins bis acht nicht anvertrauen. Man habe das als Benachteiligung für die Schulkinder erachtet.35 Außerdem erlaubte Fendt nicht, „daß unter dem Vorwand der Bekenntniseinheitlichkeit ein andersgläubiger Lehrer aus der Schu- le eines Ortes entfernt“ werde.36 Der Kultusminister betonte zwar, daß diese „Notstands- regelung“ keine „Umgehung von Rechtsverhältnissen gegenwärtiger oder zukünftiger Natur bedeuten“ solle, „sondern nur eine Überwindung von Schwierigkeiten in der Zeit des gegenwärtigen Notstandes“,37 aber allein der Terminus „allgemeine christliche Volksschule“ als Betreff mußte die Mißbilligung der katholischen Kirche hervorrufen, die in der Person von Prälat Zinkl bei Ministerpräsident Hoegner schärfsten Protest einlegte gegen die angeb- liche dritte Schulart, die allgemeine christliche Volksschule, und Kultusminister Fendt ver- dächtigte, unter dem Vorwand zeitbedingter und örtlicher Notstände, die Gemeinschafts- schule einführen und die Bekenntnisschule abschaffen zu wollen.38 Unter Hinweis auf mög- liche Schulkämpfe warnte man vor einem solchen Vorgehen.39 Möglicherweise hatte Fendt doch vollendete Tatsachen schaffen wollen, ein Verdacht, den auch Josef Müller (CSU)

33 BayHStA München. StK 113972. Schreiben des Kultusministers Fendt am 6.11.1946 an Dr. Josef Müller. 34 StAN. Reg. v. Mfr. K. d. J. Abgabe 1978, Nr. 4691 Schreiben Nr. 1792 des Erzbischöfl. Ordinariats Bamberg, am 9.3.1946, an den Herrn Regierungspräsidenten für Oberfranken und Unterfranken, Ansbach. 35 Ebda. Stellungnahme von Schulrat Kern am 27.3.1946. 36 Ebda., Nr. 4697. Abschrift des Schreibens Nr. IV 47117 des Bayer. Staatsmin. f. Unterricht und Kultus am 26.9.1946 an die Regierung in Ansbach. Betrifft: Allgemeine christliche Volksschule. (sic!). 37 Ebda. 38 Buchinger, S. 425. 39 Ebda.

363 hegte, da er ihn in der Bayerischen Rundschau unter der Überschrift „Dr. Fendt und die Bekenntnisschule“ thematisierte,40 da zur selben Zeit die Verhandlungen der Verfassung- gebenden Landesversammlung stattfanden und sich die schwächere Position der Verfech- ter der Gemeinschaftsschule abzuzeichnen begann, d. h. es war die Bekenntnisschule auch mit Zustimmung der SPD in der Verfassung verankert worden. Und Ministerpräsident Hoeg- ner war wohl kein kompromißloser Verfechter sozialdemokratischer Ideale in der Schulpo- litik.41 Warum Fendt in seinem Erlaß von einem Einvernehmen mit den kirchlichen Ober- behörden sprechen konnte, ist angesichts des massiven Protests unverständlich. Er hatte im übrigen noch nicht einmal den Ministerpräsidenten oder seine Ministerkollegen verständigt, und der Erlaß mit einem so „hochpolitischen Inhalt“42 wurde per Schnellerlaß am 19. Okto- ber 1946 zurückgezogen, da er angeblich „nach Eingang von Berichten zu verschiedenen Mißverständnissen Anlaß gegeben“ habe.43 Bezeichnenderweise wurde in dem Schnellerlaß unter Betreff nicht mehr von „allgemeiner christlicher Volksschule“ gesprochen, sondern vom „Erlaß ... über die vorläufige Gliederung von Volksschulen“. Es sollte sich der verpön- te Terminus nicht in den Köpfen festsetzen. Offenbar herrschte schon genug Verwirrung um die Begriffe; es gab z.B. eine Entschließung des Regierungspräsidenten von Niederbay- ern/Oberpfalz, in der gesagt wurde: „Sonach bestehen in Bayern zur Zeit nur Gemein- schaftsschulen.“44 Ministerpräsident Hoegner beauftragte seinen Kultusminister, diesen Satz „ausdrücklich“ zurückziehen zu lassen. Man war empfindlich geworden, wollte mit den Kirchen Vereinbarungen treffen, die der Not der Zeit Rechnung tragen würden, und wollte daher eine Verärgerung der kirchli- chen Behörden und den drohenden Schulkampf vermeiden. Die Verhandlungen waren erfolgreich, so daß am 21. Dezember 1946 ein „Einvernehmen zwischen der Staatsregie- rung und den kirchlichen Oberbehörden“ unterzeichnet werden konnte. Man stützte sich auf die VO vom 26. August 1883 und die neue bayerische Verfassung, Art. 135, wonach die Volksschulen regelmäßig Bekenntnisschulen waren. Es konnten jedoch „aus der gegen- wärtigen Notzeit“ Schwierigkeiten bei der Besetzung der Lehrerstellen entstehen, so daß an Bekenntnisschulen mit Zustimmung der jeweiligen Kirche auch Lehrkräfte des anderen Bekenntnisses verwendet werden durften. Auch würden die kirchlichen Oberbehörden die Wünsche der Eltern nach Errichtung von Bekenntnisschulen nicht ermutigen, wenn die Schwierigkeiten dabei zu groß wären.45 Die bayerische Staatsregierung würde alles tun, „um den Bekenntnischarakter der einzelnen Schulen in möglichst weitem Ausmaße wie- derherzustellen,“ dort, wo es sich ergab, auch reine Bekenntnisklassen zu bilden, Lehrer- tausch durchzuführen und „unter allen Umständen ... zureichenden“ Religionsunterricht zu gewährleisten.46 Offenbar war die SPD von dieser Übereinkunft so begeistert, daß anläß- lich einer Sitzung ihrer Minister, Staatssekretäre, Fraktionsvorstand und Parteivorstand den Religionsgemeinschaften „für dieses Entgegenkommen ... öffentlich der Dank ausgespro- chen“ wurde.47 Nach wenigen Jahren wurde die Vereinbarung von den Kirchen, die auf ihr verbrieftes Recht pochten, aufgekündigt.48

40 BayHStA München. StK 113972. Schreiben Fendts am 6.11.1946 an Dr. Josef Müller. 41 siehe S. 265, 367. 42 Kritzer, S. 206. 43 Dokumente zur Schulreform, S. 41. 44 BayHStA München. StK 113972. Schreiben Dr. Hoegners, Bayer. Ministerpräsident, am 14.10.1946 an den Staatsminister für Unterricht und Kultus. Betr.: RE. Nr. 3019 a 63 I vom 26.6.46 des Regierungspräsidenten von Niederbayern/Oberpfalz. 45 LKAN. HB XII 133. Amtsblatt f. d. Ev.-Luth. Kirche in Bayern. 34. Jg. Nr. 6 vom 24.3.1947, S. 25 f; Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach 15. Jg. Nr. 3 vom 8.3.1947, S. 17 f. 46 Ebda. 47 AdsD Bonn. SPD-LTF Bayern. Fraktionsunterlagen 1946-47/7. „Vorschläge zum Regierungsprogramm“ (Sit- zung in Pfaffenhofen/Ilm am 28.12.1946). 48 Hoegner, S. 241.

364 3.2. DIE PARTEIEN

Die „OSS-Mission for Germany“ meinte in ihrer FIS 39, daß die Christlich Soziale Union in Bayern den größten Einfluß gewinnen würde, da der Religion in der bayerischen Politik große Bedeutung zukomme.1 Das Grundsatzprogramm der CSU forderte die „Wie- derverchristlichung des Volkes“2, was besagte, daß jeder Bereich des Lebens, sei es der pri- vate, öffentliche und auch politische, nach den Forderungen des Christentums auszurich- ten sei. Da christliche Ethik nicht an eine bestimmte soziale Schicht gebunden ist, hatte die CSU große Breitenwirkung, wobei aber eine deutliche Flügelbildung nicht ausbleiben konn- te. Auf der einen Seite fanden Anhänger der ehemaligen Bayerischen Volkspartei (BVP) in der CSU ihre neue Heimat. Zu ihren Vertretern zählten Fritz Schäffer und Alois Hundham- mer, betont konservativ-föderalistisch-klerikal eingestellt. Sie stützten sich vor allem auf die katholischen Altbayern und den Klerus.3 Auf der anderen Seite stand die Gruppe um Josef Müller, weniger föderalistisch, konfessionsübergreifend, die christliche Gewerkschaftsbe- wegung einbeziehend. Sie hatte ihre Anhänger vor allem im evangelischen Franken.4 Eine weitere Gruppierung wurde ausgemacht, der sogenannte „Bauernflügel“. Maßgebend waren hier Schlögl, Horlacher und Baumgartner. Sie teilte die föderalistischen Tendenzen von Schäffer und Hundhammer, aber auch die konfessionell nicht festgelegte Einstellung des Müller-Kreises.5 Josef Müller war zwar Parteivorsitzender, aber der Einfluß des klerikalen Hundham- mer-Flügels blieb bestimmend für die Kulturpolitik. Das bedeutete die Rückkehr zu den schulpolitischen Verhältnissen, wie sie vor 1933 bestanden hatten mit der Volksschulord- nung von 1883 als Basis, und die konsequente Beachtung und Durchsetzung der Kirchen- verträge, also die erneute Konfessionalisierung des Volksschulwesens. Der Müller-Flügel hätte sich mit der Forderung nach „entschieden christlicher Erziehung“6 zufriedengegeben und sah sich außerdem veranlaßt, immer wieder auf die evangelischen Wähler und Mit- glieder der Partei aufmerksam zu machen. Vom Juli 1946 datiert eine Schrift über „Die bei- den Konfessionen in der Union“, in der davor gewarnt wurde, den Eindruck entstehen zu lassen, daß die Union „nur eine unmittelbare Fortsetzung der Bayerischen Volkspartei“ dar- stelle.7 Im fränkischen Windsheim herrschte tatsächlich diese Meinung vor. Die CSU wurde fast als klerikale Sekte betrachtet, während im nahen Neustadt an der Aisch durch den spä- teren Bundesminister Dollinger die Partei sehr stark war und auch genügend evangelische Mitglieder und Wähler hatte.8 Die evangelische Bevölkerung Bayerns mußte erst für die neue Union gewonnen werden, und alles war zu unterlassen, was diese Aufgabe erschwe- ren konnte.9 Auch ein besorgter Brief Anton Haußleiters10 an Hundhammer erinnerte an die Schwierigkeit der evangelischen Wähler, sich mit der CSU zu identifizieren.11 Parteimit- glieder warben im fränkischen Raum Pfarrer, den ersten Anstoß zu geben zur politischen

1 Borsdorf /Niethammer, S. 230. 2 Huelsz, S. 35 f. 3 Bauer, S. 273 f. 4 Ebda., Benz, Föderalistische Politik, S. 778 f. 5 Ebda., S. 273 f. Zur Frühzeit der CSU vgl.: Thomas Schlemmer: Aufbruch, Krise und Erneuerung. Die Christ- lich-Soziale Union 1945-1955. München 1998. 6 Huelsz, S. 37. 7 ACSP München. NL Müller 5. Die beiden Konfessionen in der Union. Juli 1946. 8 Gespräch mit Herrn Delp sen., Bad Windsheim. 9 ACSP München. NL Müller 5. Die beiden Konfessionen in der Union. Juli 1946. 10 Anton Haußleiter war seit 1946 CSU-Mitglied und enger Vertrauter Dr. Josef Müllers. Er trat 1949 aus der CSU aus. 11 ACSP München. NL Müller 5. Brief des A. Haußleiter am 18.7.1946 an Alois Hundhammer.

365 Betätigung. Sie sollten geeignete Männer ihrer Gemeinde „auf die Notwendigkeit politi- schen Handelns“ im christlichen Sinn hinweisen und sie veranlassen, eine Ortsgruppe der Partei zu gründen.12 In etlichen Gemeinden geschah das auch, z.B. war es in Ansbach Pfar- rer Seiler, der die Parteigründung in die Hand nahm. Glücklich schien die evangelische Kir- che darüber nicht gewesen zu sein. Man gab zwar zu, daß eine christliche Partei „in dieser Stunde“ notwendig sei, aber die Kirche habe sich „im letzten Augenblick wesentlich stärker exponieren“ müssen, als ihr lieb war, weil im „evangelischen Raum Nordbayerns sehr wenig geschah, um die christlich-soziale Union zu organisieren“.13 Auf gar keinen Fall sollten evan- gelische Geistliche die Erlaubnis ihrer Kirche erhalten, Parlamentarier oder „Mitglied einer durch Wahlen gebildeten Selbstverwaltungskörperschaft“ zu werden. Landesbischof Meiser befürchtete schwerste Gefahren für Kirche und Partei.14 Möglicherweise standen dem Lan- desbischof die Verstrickungen mancher evangelischer Pfarrer während des NS-Regimes vor Augen. Die Arbeit der Katholiken für die neue Partei wurde gelobt. Da die Laien vorbildli- che Aktivität zeigten, konnte die katholische Kirche sich stärker zurückhalten. „Dadurch wurde auch die evangelische Stellung gegenüber den Katholiken geschwächt.“15 Mögli- cherweise war das der Grund, daß bei der Regierungsbildung Evangelische nicht zum Zuge kamen; und „mit tiefer Enttäuschung“ reagierten die evangelischen Mitglieder des Bezirks- verbandes Mittelfranken der CSU, daß unter den „zunächst berufenen fünfzehn Ministern und Staatssekretären der Union kein einziger evangelischer Vertreter war“, außer dem spä- ter dazugekommenen Staatssekretär für das Flüchtlingswesen, Jänicke.16 Der Abgeordne- te Strathmann sagte während einer Fraktionssitzung, daß „(d)ie Zusammensetzung des Kul- tusministeriums ... großes Befremden in evangelischen Kreisen hervorgerufen“ habe.17 Hundhammer hatte angeblich die Ablehnung evangelischer Parteifreunde für ein Regie- rungsamt damit begründet, daß sie zur Gruppe Müller gehörten.18 Die Folgen der Politik Hundhammers für Mittelfranken wurden als verheerend beschrieben. Die evangelischen Parteifreunde fühlten sich „unterdrückt und hintergangen“ und verweigerten ihm die Gefolgschaft.19 Es trugen also die Flügelkämpfe in den Anfangsjahren der CSU nicht dazu bei, Hundhammers Schulpolitik im fränkischen Raum populär zu machen, auch bei den eigenen Parteifreunden nicht, und man betrachtete das, was aus München kam, mit großer Skepsis. Um wieviel größer mußte dann erst die Skepsis bei den anderen Parteien sein. Der am 28. September 1945 zum neuen Ministerpräsidenten ernannte Wilhelm Hoegner (SPD) formulierte die Richtlinien der von ihm beabsichtigten Regierungspolitik im Bereich des Schulwesens allerdings sehr vorsichtig und gar nicht kämpferisch. Er glaube nicht, daß die „freiheitliche(n) Elemente“ des Bürgertums die „starke konfessionelle Haltung“ der CSU unterstützen wollten; er selbst sei für eine Besinnung auf gemeinsame ethische Werte und habe „doch starke Bedenken“, wenn man verlange, „daß der gesamte Unterricht von einem bekenntnismäßigen Geist ausgehen solle“.20 Im Januar 1925, in seiner Stellungnah-

12 LKAN. Kreisdekan Nürnberg 151 Aufruf! Nürnberg, im Januar 1946. 13 ACSP. NL Müller 5. Kirche und Politik. Ein Wort zur Haltung der Deutschen Evangelischen Kirche. o. D., o. J., o. V. 14 Ebda., (Verhältnis der Konfessionen 1945-51). Aktenvermerk betr. Besprechung mit Landesbischof D. Meiser am 29.5.1946, 11 Uhr. 15 Ebda., Kirche und Politik. Ein Wort zur Haltung der Deutschen Evangelischen Kirche. o.D., o.J., o.V. 16 ACSP München. NL Müller 52. Erklärung und Antrag der evangelischen Mitglieder des Bezirksverbandes Mit- telfranken am 18.1.1947. 17 Ebda., LTF Protokolle I/24. Niederschrift zur Fraktionssitzung am 9.1.1947, S. 2. 18 Ebda., NL Müller 52. Brief des Karl Mayr, Bezirksverband Mittelfranken am 10.2.1947 an Dr. Josef Müller. 19 Ebda., Brief des Karl Mayr am 24.4.47 an Dr. Josef Müller. 20 Hoegner, S. 202 f.

366 me zum Konkordat, hatte Hoegner als kulturpolitischer Sprecher der SPD noch gesagt: „Wir bestreiten entschieden die verfassungsmäßige Grundlage für die Bestimmung des Konkor- dats, daß an Bekenntnisschulen auch die weltlichen Fächer in kirchlichem Geist gelehrt wer- den müssen.“21 Was die Bekenntnisschule betreffe, so war es für Hoegner „ein Unding, in eine katholische Landschule ... einen norddeutschen evangelischen Lehrer zu schicken“.22 Wenig später lieferte er erneut Beweise seiner sehr moderaten Einstellung zur Schulfrage: Man müsse bezüglich der Schulart zu einer vernünftigen Verständigung mit den Religions- gemeinschaften kommen; er glaube, daß es schwierig sei, an der bekenntnismäßigen Tren- nung der Schüler festzuhalten, da durch die geschichtlichen Ereignisse der letzten Jahre die Bevölkerung nun hinsichtlich der Konfession zu stark gemischt sei und zu viele Schulhäuser zerstört seien. Eine verhängnisvolle Fehleinschätzung war jedoch, daß das Fragen seien, „deren Lösung sich aus den gegebenen tatsächlichen Verhältnissen von selbst“ ergebe. „Ich glau- be nicht“, sagte Hoegner, „daß die Lösung der grundsätzlichen Fragen im Augenblick vor- dringlich ist.“23 In völliger Verkennung der schulpolitischen Willenskraft und des Behar- rungsvermögens der katholischen Seite griff er zu Beginn seiner Regierungszeit die Schul- frage nicht auf, erklärte nur wiederholt, daß man sich „angesichts der Not unseres Volkes nicht auch noch einen Kulturkampf leisten“24 könne. Noch im Dezember 1946 beschwor die SPD in ihrem Aktionsprogramm die „Berücksichtigung des gegenwärtigen Notstan- des“25 an den Schulen, während der neue Kultusminister Hundhammer im Verein mit der katholischen Kirche sich ans Werk machte, die Schulartikel der von den Amerikanern geneh- migten und von der bayerischen Bevölkerung bestätigten Verfassung mit klerikalem Leben zu füllen. Nicht im Traum dachten sie daran, auf eine Lösung zu warten, die „aus den gege- benen tatsächlichen Verhältnissen von selbst“ entstehen würde, und zum Kulturkampf waren sie wohl bereit. Bereits auf dem Parteitag Mitte Juli 1947 erkannte die bayerische SPD ihren Fehler, zu wenig Aktivität für kulturpolitische Forderungen entwickelt zu haben. Zwar könne das aus der Not der Zeit erklärt werden, aber die kulturpolitische Sprecherin, Edith Hoereth-Menge, bedauerte, daß man möglicherweise wie in den Jahren 1919 und 1920 wieder zu spät komme.26 Hundhammer (CSU) war der Meinung, daß Kulturpolitik das Schlüsselproblem der Staatspolitik sei, es immer bleiben werde, und er wünschte, „(d)ie CSU möge nie, auch nicht vorübergehend das Kultusministerium aus der Hand geben“.27 Wil- helm Hoegner vertrat in einer späteren Rede immer noch die Ansicht, daß das „Diktat der schieren Not“ eine „kompromißlos weltanschauliche Schulpolitik“ nicht zugelassen, daß es aber Politiker gegeben habe, die versucht hatten, „die Weichen für die Zukunft doch schon zu stellen“. Außerdem hätten die Amerikaner die Kirchen bei der Wiederherstellung ihrer angestammten Rechte unterstützt.28 Er selbst hielt es sich zugute, ein besseres Verhältnis der SPD zu den Kirchen herbeigeführt zu haben, ein Verdienst, das die bayerischen Libera- len nicht anstrebten. Sie wollten die „Einmischung und Betätigung der Kirche auf politi-

21 Kritzer, S. 60. Er zitiert Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenographische Berichte, 27. Sitzung vom 13.1.1925, S. 763. 22 Hoegner, S. 202 f. 23 Hoegner, S. 238. 24 Ebda. 25 AdsD Bonn. SPD-LTF Bayern 143 a. „Postablage 46/47“. Aktionsprogramm der SPD Bayern. Beschluß der Landeskonferenz am 14./15.12.1946 in München. 26 Scharfenberg, S. 3 f. Quelle: Protokoll der Verhandlungen des Parteitages der SPD vom 29.6.-2.7.47 in Nürn- berg. Hamburg o.J., S. 167 ff. 27 ACSP München. Alois Hundhammer: Staatsbürgerliche Vorträge. 3. Staat und Kirche. Regensburg2 1931, S. 7. 28 Kritzer, S. 204. Er zitiert aus einem Vortrag Hoegners am 19.5.60 in Nürnberg: „Die Bestimmungen der bayeri- schen Verfassung über Bildung und Schule“.

367 schem Gebiet“ von Anfang an bekämpfen.29 Schulpolitik hieß für die Freien Demokraten „unbedingtes Eintreten für die christliche Gemeinschaftsschule“,30 christlich deshalb, weil der Lehrplan „im Gegensatz zur weltlichen Schule auf die Vermittlung des christlich-abend- ländischen Glaubens- und Kulturgutes in allen hierfür geeigneten Unterrichtsfächern ange- legt ist“. Daher konnte die FDP auch die weltliche Schule nicht befürworten.31 Die Jugend sollte aber zu „wahrhaft freien und urteilsfähigen Staatsbürgern“ erzogen werden.32

3.3. KONKORDAT UND VERTRAG MIT DER EVANGELISCH-LUTHERISCHEN KIRCHE IN BAYERN

Daß das Konkordat und der Vertrag zwischen dem Bayerischen Staate und der Evan- gelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, als Gesetz verkündet am 15. Januar 19251, häufig als Begründung für die Durchsetzung der Bekenntnisschule in Bayern herangezogen wur- den, schien auf einem Mißverständnis zu beruhen. In beiden Verträgen war die Bekennt- nisschule nicht Regel-, sondern Antragsschule, die nach dem Willen der Erziehungsberech- tigten eingerichtet werden konnte.2 Ein Artikel des FDP-Landtagsabgeordneten Schneider zielte auf diesen Widerspruch und veranlaßte ihn zu der Frage, ob das Konkordat und der Vertrag zwischen Bayern und der evangelisch-lutherischen Kirche verfassungswidrig seien. Denn es seien ursprüngliche Rechte, Vorrechte und Pflichten ausgewechselt, vertauscht und im umgekehrten Verhältnis bezeichnet worden. Er schlug daher die Abstimmung der Ver- fassung „auf das ältere, völkerrechtlich gültige Konkordat“ vor, was einem neuen Schul- frieden zugute käme.3 Die Bekenntnisschule bestand aufgrund der Schulsprengel-Verord- nung von 1883.4 Vielleicht hätte aber ein allzu häufiger Hinweis auf die Verordnung von 1883 die Bevölkerung nach der Katastrophe von 1945 eher bedenklich gestimmt, was die Aktualität dieser Verordnung betraf. Daß die vielbeschworene gute alte Zeit so alt war, woll- te man möglicherweise nicht so publik machen. Auch waren die Verträge keine Grundlage für Art. 135 (BV), wie ebenso häufig vermutet wurde. Die Bestimmungen des Konkordats gewannen vor allem Bedeutung für die strittigen Fragen der Lehrerbildung,5 und beide Ver- träge wurden immer wieder ins Feld geführt, wenn es um die Position der Lehrer, die ja staatliche Beamte waren, ging. Es war tatsächlich so, wie Hundhammer es vortrug, daß eine radikale Trennung von Kirche und Staat in Bayern nicht möglich war, da die Kirchenverträ- ge von 1925 Gültigkeit hatten.6 Die SPD hatte damals vor Ratifizierung der Verträge auf die

29 Peter Juling: Programmatische Entwicklung der FDP 1946 bis 1949. Einführung und Dokumente. Meisen- heim 1977, S. 72 f. Er zitiert: Programm der FDP Bayern 1946, datiert vom 28.3.1946, Anlage zum Lizenzie- rungsantrag vom 15.5.46. 30 Juling, S. 55. 31 Ebda., S. 56. 32 Ebda., S. 72 f.

1 Gesetz zu dem Konkordate mit dem Heiligen Stuhle und den Verträgen mit den Evangelischen Kirchen vom 15.1.1925 (GVBl. 1925, S. 53). 2 siehe S. 353. 3 Süddeutsche Zeitung Nr. 77 vom 1./2. April 1950, S.5 4 siehe S. 352. 5 siehe S. 340-349. 6 ACSP München. Alois Hundhammer: Staatsbürgerliche Vorträge. 3. Staat und Kirche; Regensburg2 1931, S. 36.

368 kritischen schulpolitischen Bestimmungen aufmerksam gemacht. Mit 73 gegen 52 Stim- men war das Konkordat am 15. Januar 1925 vom Bayerischen Landtag angenommen wor- den, wobei Bayerische Volkspartei, Deutschnationale und Bayerischer Bauernbund dafür, die Kommunisten, Sozialisten, Nationalsozialisten, Deutsche Volkspartei und Demokraten dagegen gestimmt hatten.7 Diese Aufzählung zeigte den späteren CSU-Wählern sogleich, wo Freund und Feind standen. Die Verträge wurden von den Amerikanern anerkannt, waren auch vorher nicht gelöst worden, und beide Kirchen hatten durch sie eine starke rechtliche Position, auch gefestigt durch die bayerische Schultradition.8 Daß die moralische Position der Kirchen gefestigt war, konnte nach zwölf Jahren NS-Regime nicht verwundern.

7 Ebda., S. 34. 8 Huelsz, S. 4.

369 4. DIE BAYERISCHE VERFASSUNG

Mitte des Jahres 1946 begannen die Arbeiten der Parteien in der Verfassunggeben- den Landesversammlung. Sie steckten ihre Positionen auch in der Frage des Erziehungswe- sens ab und brachten diese Grundsätze in den Verfassungsentwurf ein. Die CSU verlangte unabdingbar Bekenntnisschule und christliche Erziehung. Beide Forderungen seien festge- legt „nach gemeinsamen Beratungen mit dem Kardinal und dem Landesbischof“.1 Im Bericht des Bayerischen Vorbereitenden Verfassungsausschusses an die Verfassunggeben- de Landesversammlung vom Juni 1946 las man unter „8. Bildung und Schule ... Der alte Streit, ob Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschulen vorzuziehen seien, wurde gemäß dem Gesetz vom 16. Januar 1946 über die Rechtslage der Religionsgemeinschaften in Bayern in der Weise entschieden, daß den Erziehungsberechtigten die Wahl der Schulart freistehen soll.“2 Art. 8 dieses Gesetzes, von Ministerpräsident Hoegner mit den Kirchen vereinbart, von der Militärregierung dann nicht genehmigt,3 wurde als Art. 97 in den Verfassungsent- wurf übernommen und diskutiert. Thomas Dehler (FDP) beantragte, die öffentlichen Volks- schulen als Gemeinschaftsschulen einzurichten, und wurde dabei von der KPD unterstützt. Die SPD bevorzugte grundsätzlich auch die Gemeinschaftsschule, war aber bereit, unter Rücksichtnahme auf die Kirchenverträge „und um der Erhaltung des religiösen und des Schulfriedens willen“, einen moderateren Standpunkt einzunehmen.4 „Man war gezwun- gen ... lieb gewordene Parteivorstellungen und Parteiwünsche zurückzudrängen“ um die Verfassung in ihrer Gesamtheit nicht zu gefährden.5 Wörtlich rechtfertigte sich Hoegner: „Wir wollen in der gegenwärtigen Not unseres Vaterlandes einen Schulstreit, der von unab- sehbaren Folgen begleitet sein könnte, unter allen Umständen vermeiden.“6 Für dieses Ziel machte die SPD der CSU aber außerordentliche Zugeständnisse, obwohl Hoegner später behauptete, er habe seinen politischen Freunden klar machen müssen, daß man nicht mehr Entgegenkommen zeigen könne, „als es den Bestimmungen der Kirchenverträge entspre- che, die ohnehin in Kraft seien.“7 Es gab Widerstand in seiner Partei, und als Artikel 135 BV, Abs. 1, nach langen Verhandlungen formuliert war, ging er weit über das hinaus, was die Kirchenverträge gefordert hatten. Er lautete schließlich: „Die öffentlichen Volksschulen sind Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschulen. Die Wahl der Schulart steht den Erziehungsbe- rechtigten frei. Gemeinschaftsschulen sind jedoch nur an Orten mit bekenntnismäßig gemischter Bevölkerung auf Antrag der Erziehungsberechtigten zu errichten.“8 Die Konzilianz in der Haltung der SPD wurde verschieden interpretiert: Opportuni- stische Gründe seien es gewesen und die Hoffnung auf „Zugeständnisse auf wirtschaftli- chem Gebiet“9. Hoegner habe Stabilität im Innern des bayerischen Staates durch die wohl- wollende Unterstützung der Kirchen erreichen wollen, um dann seine Forderung nach aus- geprägtem Föderalismus und verstärktem Einfluß Bayerns in Deutschland durchsetzen zu können. Daher habe er gegen den Widerstand seiner Partei auf schulpolitische Forderun-

1 ACSP München. LTF Protokolle. Niederschrift über die 2. Fraktionssitzung der CSU-Mitglieder der Verfas- sunggebenden Landesversammlung am 16.7.1946 im Münchner Rathaus, S. 3. 2 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler. N1-370. Entwurf einer bayerischen Verfassung zur Vorlage an die Verfassunggebende Landesversammlung. Als Manuskript gedruckt im Juni 1946, München, Bayerische Staatskanzlei, S. 37. 3 siehe S. 362. 4 Nawiasky/Leusser, S. 215. 5 Buchinger, S. 45. Er zitiert Wilhelm Hoegner, S. 5. Zur Frage des Ringens um Artikel 135 BV vgl. Buchinger, S. 45-47. 6 Hoegner, S. 255 f. 7 Ebda., S. 255. 8 Verfassung des Freistaates Bayern. GVBl. Nr. 23 vom 8.12.1946, S. 342. 9 Buchinger, S. 426 f.

370 gen verzichtet.10 Hoegner selbst begründete seine Haltung bei der Beratung der bayerischen Verfassung so: Die Kirchenverträge seien von der Besatzungsmacht als geltendes Recht anerkannt worden, „obwohl sie wegen grundlegender Veränderung der Verhältnisse hätten angezweifelt werden können“. Er habe verhüten können, „daß ihnen der verfassungs- rechtliche Schutz zuteil wurde“. Außerdem hätten die Kirchen geltend machen können, daß sie von den Nationalsozialisten verfolgt worden seien. Es sei zu diesem Zeitpunkt ganz unmöglich gewesen, „in die Fußstapfen der Nationalsozialisten zu treten“. Ferner sei die Verfassung ein Kompromiß gewesen. Gegen die Forderungen der CSU habe er das Ver- hältniswahlrecht und die Rolle des Senats als „nur begutachtende Körperschaft“ durchge- setzt. Dafür habe er in der Schulpolitik nur das „Elternrecht zur freien Wahl der Schulart gegen das Kirchenrecht“ (VO von 1883) erreicht. Schließlich habe die CSU sich darauf stüt- zen können, „daß sich bei allen Abstimmungen bis zu 95 % der bayerischen Bevölkerung für die Bekenntnisschule ausgesprochen“ hätten. „Die kirchlichen Kreise des Protestantis- mus stießen mit den katholischen ins gleiche Horn,“ schrieb Hoegner. Die Verfassung sei aus dem Geist der gegenseitigen Duldung geboren worden und nicht als „Waffe in der Hand klerikaler Fanatiker“ gedacht gewesen.11 Berücksichtigen mußte man aber auch, daß die CSU in der Verfassunggebenden Landesversammlung die Mehrheit hatte, so daß die katholische Kirche in ihren Forderun- gen sehr weit gehen konnte.12 Zu diesen Forderungen gehörte nicht - wie im Gesetz Nr. 14 verankert - daß die Lehrer an Bekenntnisschulen „grundsätzlich dem betreffenden Bekennt- nis angehören“ würden,13 sondern, wie Absatz 2 des Art. 135 BV es festlegte: „An den Bekenntnisschulen werden nur solche Lehrer verwendet, die geeignet und bereit sind, die Schüler nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses zu unterrichten und zu erziehen.“14 Im Konkordat war in Art. 5 § 1 geboten, daß „Unterricht und die Erziehung der Kinder an den katholischen Volksschulen ... nur solchen Lehrkräften anvertraut werden (wird), die geeignet und bereit sind, in verlässiger Weise in der katholischen Religionslehre zu unterrichten und im Geiste des katholischen Glaubens zu erziehen.“15 Paragraph 2 des Art. 5 begrenzte die für katholische Schulen wichtigen Fächer außer Religionsunterricht auf die- jenigen, „die für den Glauben und die Sitten bedeutungsvoll sind“.16 Art. 5 des Vertrages mit der evangelischen Kirche entsprach Art. 5, 1 des Konkordats, natürlich mit evangeli- scher Religionslehre und evangelischem Glauben.17 Artikel 97 des Verfassungsentwurfs vom Juni 1946 bekundete unter Absatz 2: „Die Lehrer an Bekenntnisschulen gehören grundsätz- lich dem betreffenden Bekenntnis an.“18 So hatte Art. 135 Abschnitt 2 der bayerischen Ver- fassung eine zweifache Verschärfung für die an Bekenntnisschulen unterrichtenden Lehrer gebracht: das Wort „grundsätzlich“ war gestrichen worden, und die Beschränkung katho- lischer Unterweisung auf die Gesinnungsfächer, z.B. Deutsch oder Geschichte, war wegge- fallen; der evangelische Kirchenvertrag hatte sich nur auf Religionsunterricht bezogen.

10 Huelsz, S. 56 f. 11 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1-45. Schreiben Wilhelm Hoegners am 1.3.1949 an Thomas Deh- ler, Bamberg. 12 Buchinger, S. 426. 13 Dokumente zur Schulreform, S. 34. 14 Verfassung des Freistaates Bayern. GVBl. Nr. 23 vom 8.12.1946, S. 342. 15 Nawiasky/Leusser, S. 306. 16 Ebda. 17 Ebda., S. 311. 18 ADL Gummersbach. Entwurf einer bayerischen Verfassung zur Vorlage an die Verfassunggebende Landes- versammlung. Als Manuskript gedruckt im Juni 1946, München, Bayer. Staatskanzlei, S. 22.

371 Bevor die bayerische Bevölkerung zur Abstimmung über die Verfassung schritt, wurde diese publiziert, und die Parteien nahmen Stellung dazu. Am 8. November 1946 brachte die Neue Zeitung zusätzlich einen Vergleich mit Württemberg-Baden, wo Art. 37 die öffentlichen Volksschulen als christliche Gemeinschaftsschulen auswies, und Hessen, das durch Art. 56 seiner Verfassung bestimmte: „... An allen hessischen Schulen werden die Kinder aller religiösen Bekenntnisse und Weltanschauungen in der Regel gemeinsam erzogen (Gemeinschaftsschule) ...“19 Für Bayern bekräftigte die KPD ihre Ablehnung des Entwurfs, da er „einen der wichtigsten Grundsätze kulturellen Fortschritts (verleugne), ... die Unabhängigkeit der Schule und Lehrer von kirchlicher Bevormundung“.20 Im lokalen Bereich spiegelte sich die Haltung der Parteien wider. Die Vertreter der FDP Rothenburg etwa bemängelten, daß die neue Verfassung gegen die Prinzipien der Demokratie verstoße,21 während die CSU sie als „Bekenntnis zum christlichen Sittengesetz“ feierte, vor allem in den Abschnitten über die Erziehung.22 Auch auf örtlicher Ebene war es den Vertretern der SPD um Rechtfertigung getan; man gab zu, daß die Gemeinschaftsschule eigentlich „eine alte programmatische Forderung“ sei, daß man aber das Verfassungswerk nicht scheitern las- sen wollte.23 Und warum? „Die werdende Demokratie in Deutschland (müsse) so rasch wie möglich in die Lage versetzt werden, aus eigener Kraft heraus zu handeln. Das Volk (erwar- te) von der Demokratie praktisches Handeln. Die Voraussetzung dazu (sei) eine demokrati- sche Verfassung. Aus diesen Erwägungen heraus (habe) die Sozialdemokratische Partei beschlossen, der Verfassung ihre Zustimmung zu geben ...“24 Die Erziehungsberechtigten müßten jetzt von dem ihnen zustehenden Recht Gebrauch machen und die von ihnen gewünschte Schulform - möglichst in geheimen Abstimmungen - wählen.25 Die kulturpoli- tische Sprecherin der Partei, die Volksschullehrerin Höreth-Menge, forderte auf einer Ver- sammlung des Süddeutschen Frauenarbeitskreises (SFAK) die Frauen auf, bei der Errichtung von Gemeinschaftsschulen mitzuwirken. Hier sei „eine der größten Aufgaben der Frauen, denn gerade diese (seien) von Natur aus tolerant und duldsam“.26 Eine in der Fränkischen Landeszeitung am 30. November 1946 erschienene Rubrik „Die Parteien zur Wahl“ unter- schied sich kaum von den Argumenten örtlicher Parteigrößen für oder wider die Verfassung, denn im Mittelpunkt stand erneut die Frage Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschule.27 Die Wirtschaftliche Aufbauvereinigung (WAV) brachte dabei eine weitere Variante ins Gespräch: Entsprechend dem Verhältnis der Stimmen für Gemeinschafts- oder Bekenntnisschule soll- ten „in der Gemeinde Schulen beider Art errichtet werden ...“28 Es schien zu diesem Zeitpunkt das Interesse der Öffentlichkeit an diesem speziellen Schulthema nicht so groß zu sein, wie es sich mancher Politiker gewünscht hätte. Beide poli- tischen Richtungen hatten sich wohl mehr Engagement erhofft, wie das z.B. in einem Brief von Haußleiter (CSU) aus Neudrossenfeld bei Kulmbach zum Ausdruck kam. Er schrieb an die evangelischen Pfarrer, drückte sein Befremden darüber aus, daß Entscheidungen, „die sich wahrscheinlich auf längere Sicht hin viel wesentlicher auswirken werden,“ wenig beachtet würden, wie z.B. die Grundfragen auf dem Gebiete der Erziehung. Er bedauerte,

19 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 89 vom 8.11.1946, S. 5. 20 Ebda., 2. Jg. Nr. 90 vom 11.11.1946, S. 2. 21 Fränkische Landeszeitung 1. Jg. Nr. 62 vom 23.11.1946, S. 7; FLZ 1. Jg. Nr. 63 vom 27.11.1946, S. 5. 22 Ebda.,. Nr. 63 vom 27.11.1946, S. 5. 23 Ebda. 24 Die Neue Zeitung 2. Jg. Nr. 90 vom 11.11.1946, S. 2. 25 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 63 vom 27.11.1946, S. 5. 26 Ebda. 27 Ebda., Jg. Nr. 64 vom 30.11.1946, S. 7 (Ansbach Stadt und Land). 28 Ebda.

372 daß die „katholische Lehrerschaft die Notwendigkeiten der Stunde wesentlich klarer erkannt“ habe als die evangelische, und erklärte, daß seine Partei deshalb verhindert habe, gegenwärtige Notlösungen zum Endzustand werden zu lassen, da „der evangelische Raum ganz besonders stark unter dem Mangel an bewußt christlich evangelisch eingestellten Schulräten und Lehrern“ leide.29 Ob damit die Winkelzüge seiner Partei erklärt oder die Pastoren aufgefordert werden sollten, den Pädagogen zu einer bewußteren evangelischen Einstellung zu verhelfen, ist angesichts der Formulierungen nicht recht klar. Er hatte aber sicher Recht mit der Beobachtung, daß das öffentliche Interesse sich in Grenzen hielt. Nur vereinzelt bezeugten die Quellen, daß gegen die Schulartikel in der Verfassung protestiert wurde. Es waren Lehrer, die der FDP nahestanden, die mit „Bestürzung und größte(r) Empörung“ reagierten, Kultusminister Fendt, „der ja früher auch Volksschullehrer war, Ver- rat an der Schule“ vorwarfen und „vor allem ... auf Högner und auf seine Partei“ mit Ver- bitterung sahen. Man schlug der FDP vor, „einen Aufruf an die freiheitlich denkende Leh- rerschaft, in welchem die durch die Verfassung drohenden Gefahren für die Schule darge- stellt werden und zur Ablehnung der Verfassung aufgefordert wird,“ zu verfassen.30 Auch Schulleute in höheren Positionen stellten sich in den Dienst der FDP und sprachen in Wähler- versammlungen, z.B. in Ansbach. Hier referierten Stadtschulrat Kiener und Regierungs- schulrat Ritter v. Rudolpf zum Thema: „Warum sagen wir Nein zum Verfassungsentwurf.“31 Wenn Hundhammer aber später erklärte, es habe leidenschaftliche Auseinandersetzungen „auf allen ... in Betracht kommenden Plattformen gegeben,“32 so traf das für den Zeitpunkt der Volksabstimmung über die Verfassung sicher nicht zu. Thomas Dehlers Klage über die “mangelnde politische Reaktionsfähigkeit der bayerischen Bevölkerung“ war gerechtfer- tigter. Er geißelte die „stickige bajuwarische Politik der CSU“ und den unverdienten Man- datszuwachs der SPD, die ihren Wählern die Bekenntnisschule zur Annahme empfohlen hatte.33 Man muß berücksichtigen, daß die Verhältnisse damals für viele Deutsche so waren, daß schulpolitische Einzelheiten ihnen geringfügig erscheinen mußten. Wesentlich war doch, daß die Kinder überhaupt wieder Unterricht hatten, daß man nach Flucht und Ver- treibung irgendwo zur Ruhe gekommen war, daß man die Tage zubrachte mit der Jagd nach Nahrung und Heizmaterial. Der Mikrokosmos der persönlichen Sorgen verstellte den Blick auf große Zusammenhänge, denen man die Bedeutung, die sie erlangen sollten, auch noch nicht abgewinnen konnte. Außerdem wurde die Ansicht, daß es sich vorderhand wohl eher um akademische Fragen handle, von prominenter Seite verstärkt. Walter Dirks und der spätere baden-württembergische Kultusminister Gerhard Storz kamen in ihren Aufsätzen „Konfessionsschulen?“ übereinstimmend zu der Meinung, daß genügend Zeit bleibe, „alle dies Fragen in Ruhe zu überdenken ...(E)rst ein deutsches Parlament (müsse) dauerhafte Lösungen finden ...“34 Storz glaubte sogar, daß „in der dunklen Zeit ... der Zwiespalt zwi- schen katholischer und evangelischer Kirche überwunden“ worden sei. Die Frage, ob Kon- fessionsschule oder nicht, sei „nicht dringlich“, es bleibe Zeit genug, sie „sorgfältig zu prü- fen“.35

29 LKAN. Kreisdekan Nürnberg, 151. Schreiben August Haußleiters, Abgeordneter der Christlich-Sozialen Union, Neudrossenfeld bei Kulmbach, am 11.10.1946. „Sehr geehrter Herr Pfarrer!“. 30 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N 53-87. Schreiben des (noch nicht entnazifizierten) Ambros L. am 4.11.46 an das Landessekretariat der Freien Demokratischen Partei, Nürnberg. 31 Fränkische Landeszeitung. 1. Jg. Nr. 63 vom 27.11.1946, S. 6. 32 Hundhammer, Mein Beitrag, S. 12. 33 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 65 vom 4.12.1946, S. 1. 34 Walter Dirks: Konfessionsschulen? In: Frankfurter Hefte. Zeitschrift f. Kultur und Politik. Hrsg. von Eugen Kogon unter Mitwirkung von Walter Dirks. 1. Jg. Mai 1946, Heft 2, S. 14. 35 Gerhard Storz, ebda., S. 10 und 12.

373 Unmittelbar nach der Annahme der Verfassung durch die Bevölkerung stellte die SPD in einem neuen Aktionsprogramm die Forderung nach der „Zusammenfassung der Schulpflichtigen in einheitlichen Volksschulen“,36 was nun aber nicht mehr so einfach in die Tat umgesetzt werden konnte. Die Spaltung der Volksschule war festgeschrieben. Da nütz- te es auch nichts, daß die SPD für sich in Anspruch nahm, die „verfassungsmäßige Gleich- stellung von Bekenntnis- und Gemeinschaftsschulen bei voller Wahrung des Elternrechts“37 durchgesetzt zu haben. Das stimmte nämlich so nicht, denn die Bekenntnisschule nahm eine eindeutige Vorzugsstellung ein. Sie bedurfte keines Antrags der Erziehungsberechtig- ten, da sie von Amts wegen bestand, war also die Regelschule, eine Stellung, die sie durch die Kirchenverträge nicht innegehabt hatte. Insofern war Hundhammers Rechtfertigung, daß sich der „Standpunkt des bayerischen Kultusministeriums ... mit den Konkordatsbe- stimmungen ... klar und eindeutig“ deckte,38 ein (bewußtes?) Herunterspielen seines Tri- umphes. Er behauptete tatsächlich, beide Kirchen hätten „in Übereinstimmung mit den gel- tenden Kirchenverträgen entschieden und nachdrücklich Wert auf die Erhaltung der Kon- fessionsschule als Regelschule“ gelegt.39 Das konnten sie gar nicht, da die einschlägigen Paragraphen in den Verträgen die Bekenntnisschule nur als Antragsschule vorsahen. Es war vielmehr so gewesen, daß die CSU in Abstimmung mit der katholischen Kirche bei den Ver- fassungsverhandlungen so weit vordringen konnte, wie die SPD nachgab. Auch die Kom- mentare zur Verfassung sahen die Vorzugsstellung der Bekenntnisschule, da sie eo ipso vor- handen war, während die Gemeinschaftsschule nur auf Antrag einer bestimmten Zahl von Erziehungsberechtigten und nur an Orten mit konfessionell gemischter Bevölkerung mög- lich war.40 Auch Art. 126 BV wurde von kritischen Betrachtern negativ interpretiert. Dort hieß es: „Die Eltern haben das natürliche Recht und die oberste Pflicht, ihre Kinder zur leib- lichen, geistigen und seelischen Tüchtigkeit zu erziehen. Sie sind darin durch Staat und Gemeinden zu unterstützen. In persönlichen Erziehungsfragen gibt der Wille der Eltern den Ausschlag.“41 Hier sah Friedrich Nüchter eine Weiterentwicklung des Elternrechts, den Staat als Träger der Erziehung an hintere Plätze gerückt und die Gefahr, daß die Eltern in den aller- meisten Fällen „die Werkzeuge der Weltanschauungen sind“.42 Ebenso frage er, ob der Staat, der seinem Wesen nach neutral sei, überhaupt Bekenntnisschulen schaffen könne, „ohne sich in den Dienst eines Bekenntnisses und damit in eine gewisse Unterordnung unter ein Bekenntnis zu stellen“.43 Auch für die Lehrer, die ja Staatsbeamte seien, befürch- tete Nüchter die Bindung in allen Wissensfächern „an die Grundsätze nicht der Wissen- schaft, sondern der verschiedenen Weltanschauungen“. Das mache sie zum Werkzeug des jeweiligen Bekenntnisses.44

36 Hoegner, S. 286. 37 Kritzer, S. 213. 38 Hundhammer, S. 12. 39 Ebda. 40 Nawiasky/Leusser, S. 215 f. 41 Verfassung des Freistaates Bayern. GVBl. Nr. 23 v. 8.12.1946, S. 341. 42 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N 1-368. Dr. F. Nüchter, Erlangen, über „Verfassung und Schule“, 7.11.46, S. 12. 43 Ebda., S. 8. 44 Ebda., S. 11.

374 5. ENTWICKLUNGEN VOR EINFÜHRUNG DES SCHULORGANISATIONSGESETZES

Laut einer Umfrage des Sozial-Psychologischen Instituts Baden-Baden sprach sich im Frühjahr 1947 die Mehrzahl der Befragten, nämlich 60 %, für die Gemeinschaftsschule mit obligatorischem Religionsunterricht aus. Nur 22 % favorisierten die Bekenntnis- und immer- hin 16 % die bekenntnisfreie Schule. Dabei war der Anteil der für die Gemeinschaftsschu- le eintretenden Protestanten höher als der der Katholiken.1 Solche Befragungen erwiesen sich allerdings als bedeutungslos, denn von Anfang an, also sofort mit der Eröffnung der Volksschulen, begann die Trennung nach Konfessionen im Rahmen dessen, was durch- führbar, oder, im Extremfall, was unter Aufbietung aller Kräfte durchsetzbar war. Während das Bezirksschulamt Dinkelsbühl im Herbst 1945 beispielsweise der Meinung war, daß die Regelung dieses Fragenkomplexes der kommenden Volksvertretung zur Entscheidung über- lassen werden müsse,2 meldete zur selben Zeit der Schulrat des Landkreises Ebermannstadt an die Regierung, daß „(b)ei der Stellenbesetzung und Schuleingemeindung ... die konfes- sionellen Wünsche der Gemeinden, Lehrer, Geistlichen und Eltern nach Möglichkeit berück- sichtigt“ worden seien.3 Leider verriet er nicht, wie ihm das gelungen war. Manche Gemeinden stellten bereits vor Beginn des Schuljahres 1946/47 den Antrag, wieder die evangelische Konfessionsschule einzurichten, wie das z.B. in Eschenau, Landkreis Erlangen, geschah. Auch wenn Regierungspräsident Schregle anläßlich einer Tagung sein Unverständnis und seine Mißbilligung darüber ausdrückte, daß einige Kir- chenvorstände und Gemeinden besonders betriebsam in der Verfolgung dieses Zieles seien,4 hielt der dortige Kirchenvorstand den Umstand, daß die Schulleitung „in katholischer Hand“ war, für besonders anstößig.5 Der zuständige Schulrat wies darauf hin, daß die Anstellung einer katholischen Lehrkraft bereits eine kriegsbedingte Notlösung gewesen sei und auch bei Wiedereröffnung der Schule die Unterrichtserteilung durch einen katholischen Lehrer immer noch besser sei als gar kein Unterricht. Und da die Tätigkeit eines katholischen Schul- leiters sich „ausschließlich auf schultechnische Fragen“ bezöge, sehe er nichts Anstößiges bei dieser Regelung. Außerdem handele es sich hier um einen „bayerischen“ Katholiken, der sich im bayerischen Schulwesen gut auskenne.6 Regierungsschulrat Koller von der Regie- rung von Niederbayern und der Oberpfalz artikulierte seinen berechtigten Argwohn, als er Ministerpräsident Hoegner bat, im Interesse der Volksschulen das Amt des Kultusministers „nicht der Bayerischen Volkspartei(!) zu überlassen“, sondern der bayerischen Schule einen „freiheitlichen Minister“ zu geben. Mit Besorgnis registrierte Koller die Konzentration so vieler „Herren vom Katholischen Lehrerverein ..., der höchstens 10 % der Lehrerschaft“ hin- ter sich habe, im Ministerium.7

1 Die Neue Zeitung 3. Jg. Nr. 34 vom 28.4.1947, S. 1. 2 StAN. Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, Nr. 264. Schreiben des Bezirksschulamts Dinkelsbühl am 21.9.1945 an den Herrn Landrat in Dinkelsbühl. Betreff: Beilage um Fragebogen über „Religionsangelegen- heiten - Anfangsübersicht“. 3 Ebda., Regierung v. Mfr., Abgabe 1978, Nr. 4487. Schreiben des Schulrates des Landkreises Ebermannstadt am 6.12.1945 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. Monatsbericht über den Schulbetrieb im Schulauf- sichtsbezirk Ebermannstadt (Landkreis) (20.9.-30.11.1945). 4 Ebda., Nr. 213. Tagung der Regierung von Oberfranken und Mittelfranken am 8.9.1947 in Pommersfelden Kreis Höchstadt. Anwesende: M. G. O. (ein Offizier der Militärregierung) von Höchstadt, Regierungspräsident Schregle, Oberbürgermeister, Landräte, ... 5 Ebda., Nr. 4697. Schreiben des Kirchenvorstandes von Eschenau/Mfr. am 21.7.1946 an den Schulrat für Erlan- gen Stadt und Land. 6 Ebda., Schreiben des Schulrats von Erlangen Stadt und Land am 11.8.1946 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. 7 BayHStA München. StK 113972. Schreiben des Reg.-Schulrats Dr. Eugen Koller am 20.10.1945 an Minister- präsident Hoegner.

375 Seine Sorgen waren nicht unbegründet. Ein halbes Jahr nach Unterzeichnung des „Einvernehmens“ zwischen katholischer und evangelischer Kirche und der bayerischen Regierung sahen sich maßgebliche Vertreter der evangelischen Kirche veranlaßt, in Rund- schreiben und Briefen zu beklagen, daß diese Vereinbarung weitgehend katholischen Inter- essen diene, was besonders schmerzlich für die Diasporagemeinden sei. Viele Schulräte, auch Regierungsstellen, würden nicht darauf achten, daß eine Lehrkraft der evangelischen Minderheit in einer katholischen Bekenntnisschule angestellt wird, im Gegenteil würden die evangelischen Lehrer in manchen Gegenden von diesen Stellen verdrängt, obwohl die Min- derheit der evangelischen Kinder dort ziemlich groß sei.8 Auch der alltägliche Schulbetrieb werde „ganz souverän ohne Rücksicht auf ... beachtliche Minderheiten behandelt ...“9 Als besondere Härte bezeichnete Lic. Schmidt z.B., daß der katholische Geistliche in Hurlach bei Schwabmünchen seinen Religionsunterricht nicht auf Eckstunden gelegt, sondern belie- big auf den Tag verteilt habe, so daß die 22 evangelischen Schüler (von 164 insgesamt) vier- mal pro Woche im Freien auf den nachfolgenden Unterricht warten müßten, was bei schlechtem Wetter unzumutbar sei. Es gebe aber keinen Raum für die Kinder, und der Schulweg sei zu weit, um zwischendurch nach Hause zu gehen. Auch würden kirchliche Veranstaltungen oft erst am betreffenden Tag selbst angekündigt, so daß die evangelischen Schüler viel zu früh oder sogar völlig umsonst zur Schule kämen. Bei einem Schulweg von bis zu 6 km sei so ein Verhalten mehr als rücksichtslos. Der dortige Hauptlehrer habe nach häufigen vergeblichen Vorstößen gegen dieses Verhalten resigniert und halte weitere Ein- sprüche für zwecklos.10 Der katholische Geistliche beabsichtigte mit diesem Affront gegen die Minderheit vielleicht weniger den Konflikt mit der evangelischen Kirche, als vielmehr den Wegzug der Fremden - denn es handelte sich um Flüchtlinge - aus seiner ehemals rein katholischen Gemeinde. Da war jedes Mittel recht. Es gab auch Fälle, in denen den evan- gelischen (Flüchtlings-)Lehrern vom Schulrat unverblümt mitgeteilt wurde, daß sie damit rechnen müßten, aus Niederbayern „zu verschwinden“, wobei abfällige Äußerungen über das „Preußentum“, die Reformation und Luther die tieferen Gründe für seine rigorosen Absichten offenlegten.11 Er übersah dabei geflissentlich, daß der Zuzug von damals 200 000 evangelischen Flüchtlingen diese zu Forderungen berechtigten. Am liebsten hätte er sie alle in den Ansbacher Regierungsbezirk abgeschoben.12 Ebenso bewies die überwiegende Besetzung von Schulaufsichtsstellen mit Katholiken auch in protestantischen Bezirken13 die prokatholische Interpretation des „Einvernehmens“. In ihrer Sorge, sich neben den Katholiken zu behaupten, beschwor der Evang.-Luth. Landeskirchenrat seine Pfarrer, „die Errichtung von Bekenntnisschulen zu erstreben, wo es irgend möglich“ sei,14 evangelischen Minderheiten-Lehrern an katholischen Bekenntnis- schulen den Rücken zu stärken, in den Eltern „das Verständnis für die Wichtigkeit der evan- gelischen Schule zu wecken“ und darauf hinzuweisen, daß auf Dauer außer in den Gemein- schaftsschulen nur in Bekenntnisschulen evangelische Lehrer zu halten seien.15 Die Zukunft

8 LKAN. Kreisdekan Nbg. 239. Schreiben Nr. 6599 des Ev.-Luth. Landeskirchenrats, gez. Meiser, am 3.6.1947 an sämtliche Pfarrämter und exponierte Vikariate. 9 Ebda., LKR VI 1100 a (3064). Konzept des Schreibens von Lic. Schmidt am 9.6.47 an Domkapitular Zinkl, München. 10 Ebda. 11 Ebda., LKR VI 1100 a (3064). Schreiben des Evang.-Luth. Kreisdekans am 5.7.1947 an Dr. Eugen Hornstein im Kultusministerium. 12 Ebda. 13 Huelsz, S. 152. 14 LKAN. LKR VI 1100 a (3064).Schreiben Nr. 13265 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats, gez. Bezzel, am 21.10.1947 an alle Pfarrämter. Betreff: Evangelische Schulen. 15 Ebda.

376 des evangelischen Lehrerstandes hänge davon ab, ob es gelinge, das Recht auf den Lehrer des eigenen Bekenntnisses unmißverständlich geltend zu machen,16 jedenfalls mit mehr Nachdruck als bisher, denn es sei festzustellen, daß die Aktivität der katholischen Seite bei der Durchführung der Konfessionsschule wesentlich stärker sei als auf evangelischer. Es bestehe die Gefahr, „daß von katholischer Seite die Konfessionsschule als ein Mittel benützt (werde), um den katholischen Einfluß immer stärker auszubauen und das evangelische Schulwesen zurückzudrängen. Die evangelischen Lehrer (würden) weithin offensichtlich benachteiligt ...“17 Wenn es nicht gelinge, die zustehenden Rechte geltend zu machen, dann würde der bayerische Staat bei seinen Personaldispositionen auch nur „eine geringe Anzahl von evangelischen Lehrerstellen ansetzen“ und Lehrer als überflüssig abschieben. So habe z.B. der württembergische Kultusminister ersucht, evangelische Lehrer aus Bayern zu erhalten und dafür katholische nach Bayern abgeben zu dürfen.18 Man fürchtete auch, daß dann weit weniger Evangelische an den Lehrerbildungsanstalten aufgenommen wür- den.19 Immerhin konstatierte der Evang.-Luth. Landeskirchenrat im Oktober 1947, daß seit dem Sommer die Bildung evangelischer Bekenntnisschulen „erheblich vorwärts gegangen“ sei, da „(d)as Bewußtsein der Schulbehörden und Gemeinden für das Recht der evangeli- schen Schule an solchen Orten, wo sie schon früher bestand, ... gewachsen“ sei. Auch in Diasporagebieten seien viele neue evangelische Schulen errichtet worden.20

16 LKAN. Kreisdekan Nbg. 239. Schreiben Nr. 6599 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats, gez. Meiser, am 3.6.1947 an sämtliche Pfarrämter und exponierte Vikariate. Betreff: Bekenntnisschulen. 17 Ebda.,LKR VI 1100 a (3064). O. Vollsitzung 9./12. VI.1947. Schulwesen. 1. Die schulpolitische Lage. 18 Ebda.,Kreisdekan Nbg. 239. Evang.-Luth. Landeskirchenrat. Schreiben Nr. 6599 am 3.6.1947 an sämtliche Pfarrämter und exponierte Vikariate, siehe auch S. 190. 19 Ebda. 20 Ebda., LKR VI 1100 a (3064). Schreiben Nr. 13265 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats am 21.10.1947 an alle Pfarrämter. Betreff: Evangelische Schulen.

377 6. DAS SCHULORGANISATIONSGESETZ

6.1. BEGRÜNDUNG SEINER NOTWENDIGKEIT

Das Schulorganisationsgesetz sollte die Ausführung des Artikels 135 BV regeln. Es dauerte jedoch sehr lange, nämlich bis zum 1. August 1950, bis dieses Gesetz in Kraft trat, obwohl vor allem die Oppositionsparteien im Landtag dringend nach ihm verlangten. Meh- rere Anträge, von FDP, SPD und WAV gestellt, forderten Durchführungsbestimmungen,1 denn man hatte festgestellt, daß Kultusminister Hundhammer die Verfassungsbestimmung ohne Durchführungsverordnung nach seinem Dafürhalten nutzte. Der Antrag der Freien Demokraten vom 3. Dezember 1947 z.B. forderte unter 3.: „Vor der Errichtung von Bekenntnisschulen in konfessionell gemischten Schulsprengeln ist in jedem Falle den Eltern und Erziehungsberechtigten Gelegenheit zu geben, in direkter und geheimer Wahl die Schulart zu bestimmen, die sie für ihre Kinder wünschen“; und unter 6.: „Die Schulart wird durch die Mehrheit der abgegebenen Stimmen bestimmt.“2 Was die FDP dabei bemängel- te, war, daß die Bekenntnisschule seit den Hippschen Entschließungen im Juli 1945 überall wieder entstehen konnte, durch die Verfassung zur Regelschule erklärt worden war, daß aber kein Gesetz den Erziehungsberechtigten die in Art. 135 BV zugesicherte Wahl der Schulart ermöglichte. Sie behauptete, daß wegen der konfessionellen Vermischung inner- halb der Gemeinden die Einrichtung von Konfessionsschulen verfassungswidrig sei, wenn keine Möglichkeit bestehe, Gemeinschaftsschulen zu errichten.3 Sie sah auch mit Befrem- den, daß „christliche Gemeinschaftsschulen, die schon lange vor Inkrafttreten der Verfas- sung bestanden haben, entgegen dem klaren Wortlaut der Verfassung ohne Elternbefra- gung in besondere Konfessionsschulen umgewandelt werden. ... Die Vorschrift der Verfas- sung über die Errichtung von Gemeinschaftsschulen - nämlich nur in konfessionell gemisch- ten Bezirken und nur auf Antrag der Erziehungsberechtigten - kann nicht rückwirkend auf solche Gemeinschaftsschulen angewandt werden, die vor Inkrafttreten der Verfassung bestanden haben ...“4 Das war nun allerdings eine kühne Behauptung, da die überwie- gende Zahl der Gemeinschaftsschulen während der nationalsozialistischen Herrschaft, sehr oft gegen den Willen der Eltern, errichtet worden war. Die Reaktion Hundhammers war, daß er sämtliche Anträge der Opposition für verfassungswidrig erklärte, da die Verfassung keine Abstimmung über die Schulart als solche kenne und die Einrichtung von Bekenntnis- schulen vor Erlaß eines Gesetzes wegen der Kirchenverträge eo ipso verfassungsgemäß sei.5 So wurden Bekenntnisschulen ohne weiteres per Verfügung6 errichtet bzw. wiedererrichtet und im Bewußtsein der Bevölkerung als Normalfall verankert, bevor durch das Schulorga- nisationsgesetz Regelungen zur Abstimmung über Gemeinschaftsschulen getroffen wur- den. Kultusminister Hundhammer hatte den Boden für ein solches Gesetz nach seinen Vor- stellungen trefflich bereitet, da er von vollendeten Tatsachen ausgehen konnte, und Stim-

1 SPD: 19.9.1947. Beilage I/691. FDP: 3.12.1947. Beilage I/917. FDP: 12.7.1948. Beilage I/1599. FDP/SPD: 21.7.1948. Beilage I/1631. FDP/SPD/WAV: 23.7.1948. Beilage I/1642 (Huelsz, S. 153). 2 ACSP München. NL Seidel/Beilage 917. 3 Huelsz, S. 153 f; Blessing, Deutschland in Not, S. 77. 4 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1-21. Protokoll der Landeshauptausschußsitzung Schwabach am 10./11.1.1948. 5 Huelsz, S. 154. Sie zitiert Hundhammer im Landtag, 72. Sitzung am 14.5.1948, S. 1469 und 89. Sitzung am 13.10.1948, S. 141 f. 6 ACSP München. NL Seidel. Beilage 1631/Dringlichkeitsantrag vom 23.7.1948 (FDP/SPD, fraktionslos).

378 men, die die „traurigen Folgen der Konfessionalisierung“ beklagten und behaupteten, daß in „weitesten Kreisen des bayerischen Volkes ... steigende Beunruhigung“ zu beobachten und Bayern „in den Ruf der Rückständigkeit und Eigenbrötelei“ gebracht worden sei,7 stör- ten ihn ebenso wenig wie die Warnung, daß ein drohender Kulturkampf bereits seine Schat- ten werfe.8 Der Kultusminister konnte, nachdem also die Vorbereitung des Gesetzes auf dem Verordnungswege geschehen war, in der Debatte dem Landtag mitteilen, „daß das Schulorganisationsgesetz nicht plötzlich eine ungeheure Veränderung im bayerischen Schul- wesen“ bringe, sondern zu 86 % bereits der angestrebte Zustand erreicht sei.9 Das hieß, daß die bestehenden Verhältnisse bereits diesen hohen Prozentsatz der erwünschten Bekenntnisschulen aufwiesen.

6.2. SEINE INHALTE UND DEBATTEN DARÜBER

Anträge im Bayerischen Landtag, die, von den Oppositionsparteien gestellt, eine gesetzliche Regelung im Interesse der verfassungsrechtlich möglichen Gemeinschaftsschu- le dringend anmahnten, scheiterten am Widerstand der CSU. Als dann der Gesetzentwurf vorgelegt wurde, konnte er die Antragsteller nicht erfreuen, denn seine Inhalte zielten auf die Zementierung der bestehenden Verhältnisse. Ein Referentenentwurf vom 8. Juli 1948 war vorab an die Kirchenbehörden gesandt worden und hatte offensichtlich das nötige Pla- zet erhalten. Auch der Militärregierung für Bayern waren am 30. August 40 Exemplare und zehn englische Übersetzungen des Entwurfs zugesandt worden.1 Der vom Ministerpräsi- denten dem Bayerischen Landtag vorgelegte Entwurf vom 15. November 1948 enthielt, bis auf eine, nur geringfügige Änderungen.2 Diese bezog sich auf den Passus, wann eine Gemeinschaftsschule bzw. ein Schule für die Bekenntnisminderheit errichtet werden konn- te. Zunächst hieß es: „§ 12. I) Wenn in einer Gemeinde oder in einem Schulverband nach- haltig fünfzig oder mehr Volksschulpflichtige einer Bekenntnisminderheit vorhanden sind, ..., so ist nach Einvernehmen der beteiligten kirchlichen Oberbehörden eine öffentlich Volks- schule ..., sei es auch in Form einer ungeteilten Schule zu errichten ...“ und § 13. II) lautete: „ Ein geordneter Schulbetrieb ist ermöglicht, wenn die Gemeinschaftsschule von minde- stens 50 Volksschulpflichtigen besucht wird.“3 In den Entwürfen vom 30. August und 15. November 1948 hieß es dann: „§ 11 (3) Anträgen auf Errichtung von Gemeinschafts- schulen ist stattzugeben, wenn bei einer entsprechenden Schülerzahl ein geordneter Schul- betrieb ermöglicht ist.“ Zur Beurteilung dieser Voraussetzung wurde § 2 des Entwurfs her- angezogen, in dem es unter (3) hieß: „... Ein ... Bedürfnis ist insbesondere dann anzuneh- men, wenn die Zahl der volksschulpflichtigen Kinder, denen eine Volksschule der für sie gewählten Art (Bekenntnisschule, Gemeinschaftsschule) in zumutbarer Entfernung nicht zur Verfügung steht, nachhaltig 25 beträgt.“4 Die Beschränkung der Schülerzahl auf die

7 ACSP München. NL Seidel. Beilage 551/Interpellation (FDP, SPD, WAV) vom 15.7.1947. 8 Ebda. 9 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenograph. Bericht. 168. Sitzung vom 5.7.1950, S. 611.

1 BayHStA München. MK 53203. Entwurf eines Schulorganisationsgesetzes, vorgelegt am 30.8.1948. 2 LKAN. LKR VI 1105 (3113) Bd. 1. Beilage 2017/Bayerischer Landtag. Entwurf zu einem Gesetz über die Orga- nisation der Volksschulen (Schulorganisationsgesetz), 15.11.48; Huelsz, S. 155 ff. Schreiben Nr. IV 42 898 Kultusminister Hundhammers am 8.7.48 an Landesbischof Meiser. 3 Ebda. 4 LKAN. LKR VI 1105 (3113) Bd. 1. Beilage 2017. Entwurf zu einem Gesetz über die Organisation der Volks- schulen (Schulorganisationsgesetz); BayHStA München. MK 53203. Entwurf eines Schulorganisationsgeset- zes, vorgelegt am 30.8.1948 an d. Ministerpräsidenten und die Militärregierung.

379 Hälfte schien den Kirchen offenbar bedeutungsvoll zu sein. Wenn man die kleineren Orte in Erwägung zieht, an denen eventuell eine Bekenntnisschule für die Bekenntnisminderheit errichtet werden konnte, so versprach sich insbesondere die evangelische Kirche einen wahrscheinlicheren Erfolg, da an solchen Orten 50 evangelische Flüchtlingskinder schwer aufzufinden waren. Mit 25 Schülern gelang es weit schneller, sich neben einer zahlenmäßig überlegenen katholischen Bevölkerung zu behaupten und Zeichen zu setzen. Natürlich waren dadurch auch wesentlich mehr evangelische Lehrer unterzubringen. Die drohende Gefahr einer Unzahl von Zwergschulen schien zu dem Zeitpunkt keine Rolle zu spielen bzw. wurde den kirchenpolitischen Zielen untergeordnet. Ministerialdirektor Mayer und Prälat Zinkl hatten den Gesetzentwurf erstellt, der vor allem die Errichtung öffentlicher und privater Volksschulen zum Gegenstand hatte und dabei sowohl die Bayerische Verfassung als auch Konkordat und Kirchenvertrag mit der Evang.-Luth. Landeskirche aus dem Jahr 1924 beachtete.5 Das Schulorganisationsgesetz sollte nur ein Teil eines geplanten, das gesamte Rechtsgebiet umfassenden Volksschulge- setzes sein. Die Neuregelung des Organisationsgesetzes wurde im Entwurf vom 15. Novem- ber 1948 als „dringend notwendig“ bezeichnet, sie könne nicht hinausgeschoben werden und werde, „da sie auf den Bestimmungen der Verfassung beruht, von den schwebenden Verhandlungen über eine allgemeine Schulreform berührt werden ...“6 Die dringende Not- wenigkeit wurde im Entwurf auch damit begründet, daß „den veränderten Zeitbedürfnissen bei der Ausgestaltung des Volksschulwesens Rechnung zu tragen“ sei;7 eine Aussage, die den Gegnern des Gesetzes geradezu als Hohn klingen mußte, wie die anschließenden Kämpfe zeigten.8 Eine erste Aussprache über das Gesetz am 15. Oktober 1948 im Plenum des Senats9 war der Beginn einer langen Auseinandersetzung. Das zeigte sich schon daran, daß der Ent- wurf über ein Jahr lang zwischen dem kulturpolitischen und dem Rechts- und Verfassungs- ausschuß des Landtags hin und her ging.10 Der Senat konnte sich mit dem kulturpolitischen Ausschuß dahingehend verständigen, daß in den Entwurf, der am 15. November 1948 an den Landtag zurückgereicht wurde, ein Paragraph aufgenommen wurde, der garantierte, daß „beim Unterricht die religiösen Empfindungen aller zu achten“ seien.11 Es kam ja häu- fig vor, daß, namentlich in den Dörfern, Flüchtlingskinder und Evakuierte eine Schule des anderen Bekenntnisses besuchten, und deren Gefühle sollten geschützt werden. Weitere Gesetzesänderungen wurden vorgestellt,12 die z.T. erhebliche Veränderungen in der Schul- landschaft bewirken konnten und landesweit zu Streitigkeiten führten, obwohl sie zunächst nicht sehr konfliktträchtig aussahen. Z.B. war im Entwurf vom 21. Januar 1949 unter § 8 (2) zu lesen: „An ungeteilten Gemeinschaftsschulen soll der zu verwendende Lehrer dem Bekenntnis der Mehrheit der Kinder angehören.“ In der abgeänderten Fassung vom 9. März 1949 hieß es: „... soll der zu verwendende Lehrer in der Regel dem Bekenntnis der Mehrheit der Kinder angehören ... In strittigen Fällen ist die Schulpflegschaft zu hören.“ Jetzt hatte man den Elternwillen mit einbezogen, aber auch die Möglichkeit geschaffen - und da mußte die evangelische Kirche wieder auf der Hut sein -, daß die wenigen evangelischen Lehrerstellen auch von Katholiken eingenommen werden konnten. Ferner wurde Paragraph

5 Buchinger, S. 89. 6 LKAN. LKR VI 1105 (3113) Bd. 1. Beilage 2017, S. 3. 7 Ebda. 8 siehe S. 426-479. 9 Buchinger, S. 89. 10 Huelsz, S. 166. 11 LKAN. LKR VI 1105 (3113) Bd. 1. Beilage 2017 vom 15.11.1948. 12 ACSP München. NL Seidel. Beilage 2166, 21.1.1949; Beilage 2293, 9.3.1949.

380 5 des Gesetzentwurfs vom 9. März angegriffen, in dem es hieß, daß Gemeinschaftsschu- len von den Erziehungsberechtigten nur an Orten mit bekenntnismäßig gemischter Bevöl- kerung beantragt werden könnten. Warum, so fragte die SPD, könne das nicht auch an einem monokonfessionellen Ort geschehen?13 Ihrer Meinung nach würde bei dieser Bestim- mung das Elternrecht eingeschränkt. Darüber hinaus war die Frage, wann ein Ort als „bekenntnismäßig gemischt“ gelten könnte, so beantwortet worden, daß „für einen Zeit- raum von fünf Jahren mindestens 25 Minderheitenschüler vorhanden“ sein mußten.14 Diese Regelung erschien der SPD verfassungsrechtlich bedenklich, und sie wurde in einer gemein- samen Sitzung des kulturpolitischen und des Rechts- und Verfassungsausschusses am 22. Juni 1950 modifiziert.15 Danach mußte in einer Ortschaft mindestens 1 % der Bevölkerung anderen Bekenntnissen angehören.16 Der Antrag auf Errichtung einer Gemeinschaftsschu- le konnte nur von mindestens fünf Erziehungsberechtigten gestellt werden.17 Eine abschließende Debatte über das zu verabschiedende Schulorganisationsgesetz fand am 5. Juli 1950 im Landtagsplenum statt. Die Redner der einzelnen Parteien nutzten die Gelegenheit, ihre Positionen noch einmal zu begründen. Kernpunkt des Gesetzes war Paragraph 5, der die Bekenntnisschule als Regelschule festlegte, und die Debatte drehte sich hauptsächlich um ihn; er war ja auch der Angelpunkt der Schulkämpfe im Land. Der Abgeordnete Meixner (CSU) erläuterte für seine Partei, daß die Bekenntnisschule aus erzie- herischen Gründen diese „wahre Einheitsschule“ anstrebe. Unterricht und Erziehung seien hier „aus einem Guß“, der Lehrer könne das ganz Leben der Kinder, also auch das religiö- se und kirchliche Leben, erfassen. Es komme in der Volksschule nicht so sehr auf die Ver- mittlung von Wissen und Kenntnissen an, sondern auf die innere seelische Einheit und Geschlossenheit, die außerdem um vieles wertvoller sei als die äußere organisatorische Ein- heit.18 Dagegen sei die Gemeinschaftsschule „eine in sich gespaltene Schule“ mit gespal- tenen Lehrern, die ihre Persönlichkeit nicht zur Auswirkung kommen lassen könnten, und gespaltenen Schülern, da sie zum Religionsunterricht auseinandergingen. Auch aus religiö- sen Gründen sei die Bekenntnisschule vorzuziehen, biete sie doch „die Gewähr für eine grundsätzliche und gediegene religiöses Erziehung“, die von beiden großen christlichen Kir- chen erwünscht sei. Dagegen fördere die Gemeinschaftsschule ein Grundübel der Gegen- wart, die Indifferenz, und sie trage so die Tendenz in sich, „zur rein weltlichen Schule abzugleiten“.19 Meixner hielt das Gesetz für verfassungsgemäß, fortschrittlich, demokra- tisch und „wahrhaft freiheitlich“; es trage den Verpflichtungen Rechnung, die sich aus den Kirchenverträgen, aus den Rechten der Eltern, der Mehrheit und Minderheiten ergäben; es entspreche dem Mehrheitswillen der bayerischen Bevölkerung und den pädagogischen, erziehlichen und unterrichtlichen Anforderungen. Außerdem verspreche es den „Wieder- aufstieg unseres einst so blühenden und hochstehenden bayerischen Volksschulwesens“.20 Kultusminister Hundhammer betonte in der Debatte noch einmal den Primat der Volksschule als Erziehungsschule vor der Lernschule. Bis zum 12. oder 13. Lebensjahr der Schüler habe der Erziehungsgedanke Vorrang vor der schulischen Ausbildung.21 Diese Aus-

13 Huelsz, S. 176. 14 Ebda. 15 Ebda. 16 Bereinigte Sammlung der Verwaltungsvorschriften des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus (BayBSVK), Bd. I. 1865-1954. München 1958, S. 514. 17 Ebda. 18 BayHStA München. MK 61220. Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 168. Sitzung vom 5.7.1950, S. 579 f und 586. Unverkennbar war der Seitenhieb auf die Schulreformbestrebungen der ver- gangenen Jahre. (siehe S. 243-265). 19 Ebda., S. 580. 20 Ebda., S. 586. 21 Ebda., S. 609.

381 sage konnte gewiß nicht die Zustimmung vor allem der Flüchtlinge finden, da deren Kinder eine Zukunft allein in einer guten Ausbildung haben würden. Auch liberale Bürger mußten erschrecken über solche Aussichten für die junge Generation, und manche Konflikte im schulischen Bereich hatten hier ihren Ursprung. Der Streit um die Bekenntnisschulen erfuhr durch diese Erklärung zusätzliche Schärfe.22 Andererseits hätten die Befürworter einer Schul- reform hier einhaken können, denn wenn der Kultusminister meinte, daß „bei den Kindern bis zum 12. oder 13. Lebensjahr über das Problem der schulischen Ausbildung ... (der) Gedanke der konfessionell klaren Ausrichtung“ gestellt werden müsse,23 dann wäre die logische Folgerung die gemeinsame Grundschulzeit bis zum 6. Schuljahr gewesen, die er ja im Schulreform-Streit mit SPD, Lehrerverein und amerikanischer Militärregierung so vehe- ment abgelehnt hatte. Gegen die Stimmen der SPD und FDP wurde das Schulorganisationsgesetz ange- nommen. CSU und FFG (Freie Fraktionsgemeinschaft; gebildet am 17.3.49 aus Mitgliedern der aufgelösten WAV) brachten die erforderliche Mehrheit zustande. Es trat am 1. August 1950 in Kraft. Im kulturpolitischen und im Rechts- und Verfassungsausschuß hatte man Abspra- chen treffen können, aber die SPD sah der Zukunft mit schwerer Sorge entgegen, da sie nicht glaubte, daß das Gesetz „sehr tolerant angewendet und im gleichen Geist durchge- führt wird, in dem es in den Beratungen der Ausschüsse zu einem Kompromiß gekommen ist ...“24 Jahrelang war von SPD und FDP nach einem Gesetz zur Regelung des Artikels 135 der Bayerischen Verfassung verlangt worden, übertraf nun aber die schlimmsten Befürch- tungen beider Parteien. Noch im Juli 1950 riefen ihre Landtagsfraktionen den Bayerischen Verfassungsgerichtshof an, um eine Entscheidung über die Meinungsverschiedenheiten über Teile des Schulorganisationsgesetzes herbeizuführen.25 Die Abgeordneten Hoegner (SPD) und Bezold (FDP) vertraten die Antragsteller. Die Anfechtungsklage bezog sich auf die Paragraphen 1, 8, 13 und 17 des SchOG, durch die die Zuständigkeit der Gemeinden für das Volksschulwesen geregelt wurde (§ 1), die Auswahl der Lehrer für Gemeinschaftsschu- len nach Bekenntnis (§ 8), die Beteiligung der Erziehungsberechtigten bei der Beauftragung kirchlicher Genossenschaften mit der Unterrichtserteilung an Volksschulen (§ 13) und die Bestimmungen über private Volksschulen mit öffentlichem Charakter (§17). Am 21. Dezem- ber 1951 fällte der Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung, daß die strittigen Paragra- phen des Gesetzes der Bayerischen Verfassung entsprächen.26 Die Bekanntmachung zur Ausführung des Gesetzes folgte am 23. November 1950.27 Noch einmal wurde hier betont, daß Elternrecht und Elternwille in „weitestmöglichem Maße“ berücksichtigt worden seien, ebenso wie das „eigene Recht der Religionsgemeinschaften und staatlich anerkannten welt- anschaulichen Gemeinschaften auf einen angemessenen Einfluß bei der Erziehung der Kin-

22 siehe S. 411, 416, 443. 23 BayHStA München. MK 61220. Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht von der 168. Sit- zung am 5.7.1950, S. 609. 24 AdsD Bonn. LV Bayern I/181. Süddeutsche Zeitung vom 6.7.1950, o. S. 25 Ebda., Sozialdemokratische Presse-Korrespondenz. spk Nr. 150 vom 4.7.195, Blatt 1 und 2; Die Bayerische Schule, 3. Jg. 1950, S. 330. 26 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 2 vom 28.1.1952, S. 17 f; Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken, Ansbach. 20. Jg. Nr. 4 vom 1.4.1952, S. 49. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult v. 15.1.1952 Nr. IV 2271. Der Entwurf dieser Bekanntmachung enthielt die Bemerkung: „Die Veröffentlichung ist erforderlich, weil in Versammlungen von Lehrern immer wieder behauptet wird, das SchOG sei verfassungswidrig.“ (BayHStA München. MK 61220. Bekanntmachungsent- wurf IV 02271 für Amtsblatt vom 15.1.52.). 27 Bay BSVK, S. 616-627.

382 der ...“28 Es wurde auch dezidiert deutlich gemacht, daß nach Errichtung einer Schule für die Bekenntnisminderheit alle Kinder dieses Bekenntnisses die Schule besuchen mußten. Von dieser Verpflichtung ausgenommen werden konnten nur Schüler, deren Eltern „gegen einen Wechsel der von ihren Kindern bisher besuchten Schule Bedenken“ trugen und einen Antrag auf Verbleib in der gewohnten Schule stellten.29 Hier hatte sich das erste Hintertür- chen geöffnet, das zu benutzen sich viele Eltern nicht scheuten.30 Auch der Hinweis, daß bekenntnisfreie Kinder die Wahl zwischen den Bekenntnisschulen haben sollten, veranlaß- te manche Eltern zu grotesken Winkelzügen.31 Eine Möglichkeit, den Willen der Eltern zu umgehen, bot Nr. 11 (II) der Ausführungs- bestimmungen. Hier hieß es, daß „von Amts wegen“ zu prüfen sei, ob die Voraussetzungen gegeben seien, für die Bekenntnisminderheit eine eigene Schule zu errichten. So war es also den Pfarrern möglich, die Regierung auf solche „Mißstände“ aufmerksam zu machen, ohne einen Antrag der betroffenen Erziehungsberechtigten abzuwarten. Auf dieser Rechts- grundlage konnten auch bestehende Bekenntnisschulen von den Andersgläubigen gerei- nigt und die drohende Gefahr einer faktischen Gemeinschaftsschule abgewendet werden, an die Erziehungsberechtigte sich schnell gewöhnen konnten, wie die unmittelbare Ver- gangenheit gezeigt hatte. Bekräftigt wurden in den Ausführungsbestimmungen die Vor- schriften für die Errichtung von Gemeinschaftsschulen: Mindestens fünf Erziehungsberech- tigte volksschulpflichtiger Kinder in Orten mit mindestens 1 % andersgläubiger Einwohner konnten bei mindestens 25 volksschulpflichtigen Schülern einen Antrag stellen.32 Die Anträ- ge mußten schriftlich von jedem Antragsteller persönlich bei der Gemeindebehörde einge- reicht werden, und zwar spätestens drei Monate vor Beginn des nächsten Schuljahres.33 Gab es in der Gemeinde bereits Gemeinschaftsschulen, so konnten die Erziehungsberech- tigten jedes Jahr aufs Neue erklären, welche Schulart sie für ihre Kinder im kommenden Schuljahr wünschten.34 Im Extremfall bedeutete das, daß Lehrer mit jedem neuen Schuljahr zur Disposition standen. Die Ausführungsbestimmungen zum Schulorganisationsgesetz versuchten, die im Gesetz niedergelegten ungenauen Formulierungen zu präzisieren, die vor allem in § 2 auf- zufinden waren, z.B. „(n)ach Maßgabe des Bedürfnisses“, „in zumutbarer Entfernung“, „nachhaltig 25“ Schüler.35 Fraglich war aber weiterhin - trotz eindeutigerer Formulierungen -, ob der in Art. 128 und 126 (1) der Verfassung garantierte Anspruch auf die bestmögliche Ausbildung für jeden Bewohner Bayerns36 durch dieses Gesetz gewahrt blieb.37

28 Ebda., S. 616. 29 Ebda., S. 621. 30 siehe S. 416. 31 siehe S. 417 f. 32 BayBSVK, S. 621 f. 33 Ebda., S. 622. 34 Ebda. 35 ACSP München. NL Seidel. Beilage 2293, 9.3.1949. 36 Verfassung des Freistaates Bayer. GVBl. Nr. 23 vom 8.12.1946, S. 342. 37 vgl. dazu Max Wenzel: Schulrechtsfragen. Bekenntnisschule, Gemeinschaftsschule, Elternrecht, Kirchenver- träge. Betrachtungen zur Rechtslage nach bayerischem Recht und zum Entwurf eines Schulorganisationsge- setzes. Erlangen 1949, S. 35.

383 6.3. DIE KATHOLISCHE KIRCHE UND DAS ELTERNRECHT

Die Vertreter der katholischen Kirche in und außerhalb Bayerns hatten keine Schwie- rigkeiten, diese Frage zu beantworten. Sie beriefen sich bei ihrer Forderung nach der Kon- fessionsschule auf die Grundlagen im Codex juris Canonici (CIC), lehnten den Laizismus ab und forderten ganz selbstverständlich die Bekenntnisschule, da nur so die Belange des Elternrechts und die Freiheit der Kirche - beides gehörte nach ihrer Auffassung zusammen - gewahrt werden konnten.1 Zwei Gefahren beschworen sie immer wieder: Die Größe der Gefahr aus dem Osten und die Gefahr aus dem Westen, „die ... in dem rein säkularisierten Denken liegt und weltanschaulich für uns in der Gefahrenlinie gleich zu werten ist“. Da kein christlicher Staat mehr existiere, müsse „für die christlichen Rechte in dem Staate mit allen Mitteln“ gekämpft werden.2 Ein Christentum ohne Konfession „würde den heute ohnedies schon starken Indifferentismus begünstigen“.3 Die katholische Kirche begrüßte das Recht der Eltern, in der Schulfrage nach ihrer Überzeugung handeln zu dürfen, und pries das Schulorganisationsgesetz deshalb, weil nicht ein Mehrheitsbeschluß aller Erziehungsberechtigten eines Ortes darüber entscheiden konn- te, welche Schulart für alle Schulen am Ort eingerichtet werden sollte. So könne die Mehr- heit nicht einer Minderheit ihren Willen aufzwingen.4 Die beharrliche Forderung nach einer katholischen Schule könne möglicherweise einer Mehrheit des Volkes auf die Nerven gehen, aber sie sei vom Gewissen geboten; und da Gewissen „eines der Attribute des Menschen“ sei, „auf denen seine Würde“ gründe, so würde die Menschenwürde verletzt, „wenn das Gewissen ... vergewaltigt“ würde. Der Staat müsse also sein Schulwesen so gestalten, daß Eltern ihren Kindern eine adäquate Schulbildung angedeihen lassen könnten, ohne gegen ihr Gewissen handeln zu müssen.5 Wichtig für katholische Eltern sei nämlich, daß Erziehung von Anfang an, nahtlos übergehend in die Schule, „in ihrer vollen Wirkungsbreite die bekenntnismäßig geprägte Religion zur Grundlage“ habe.6 Wenn man die Kinder ver- schiedener Bekenntnisse und auch solche ohne christliches Bekenntnis zusammen unter- richte, so müsse, um die religiösen Gefühle aller zu achten, auf alles verzichtet werden, was aber „in religiöser Hinsicht besonders wert und teuer“ sei. „Der nach Konfessionen getrenn- te Religionsunterricht (stehe) einsam ohne Verbindung mit dem übrigen Unterricht und (könne) daher nur mittelbar seine Kräfte der Gesamterziehungsarbeit der Schule zuführen ...“7 Die Vertreter der katholischen Kirche zögerten nicht, ihre Überzeugungen in der Frage der Bekenntnisschule öffentlich auf der Kanzel und in Hirtenbriefen kundzutun,8 und Alois Hundhammer beeilte sich zu versichern, daß „die deutschen Katholiken sich vor ihre Bischö- fe“ stellten, um Angriffe, wie sie z.B. von Dr. Dehler (FDP) geführt würden und wie man sie bisher nur von den Nationalsozialisten gewöhnt war, abzuwehren.9

1 ADL Gummersbach, NL Thomas Dehler. N1-130. Schreiben des Bischofs von Würzburg, Julius Döpfner, am 2.3.1953 an Bundesminister Dr. Thomas Dehler. 2 Ebda., Schreiben Prof. D. Dr. L. Faulhabers am 4.6.1953 an Bundesminister Thomas Dehler. 3 Ebda. 4 Archiv des Erzbistums Bamberg. Katholisches Schulkommissariat in Bayern, München, am 10.8.1950 an Erz- bischof Josef Kolb, Bamberg (Im Auftrag von Prälat Dr. Zinkl). Schule und Erziehung in Bayern. Lagebericht für die Fuldaer Bischofskonferenz 1950. 5 Wilhelm Geiger: Schule und Staat. In: Arndt/Geiger/Pöggeler: Schule und Staat. Studien und Berichte der Katholischen Akademie in Bayern. München 1959, S. 44 ff. 6 Ebda., S. 50. 7 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler N1-321. Schreiben Alois Hundhammers am 21.7.1953 an Thomas Dehler. Hundhammer zitiert Handbuch der religiösen Gegenwartsfragen. Herder-Verlag, S. 578 ff. 8 Ebda., Politik aus erster Hand. Ansprache von Dr. Alois Hundhammer über den Bayerischen Rundfunk am Mittwoch, 22. Juli 1953, 20.00 Uhr, S. 4. 9 Ebda.

384 Zufrieden zeigte man sich auf katholischer Seite, daß das Recht auf die Bekenntnis- schule, bisher nur durch Verordnung festgesetzt (VO vom 26. August 1883), nun durch die Verfassung und das Schulorganisationsgesetz sichergestellt war.10 Allerdings blieb noch „die Sorge für eine Elternschaft, die ... die Bekenntnisschule als ... ‚unersetzliches Gut‘“ betrach- tete und bereit war, sich für dieses Gut einzusetzen und erforderlichenfalls zu kämpfen.11 Offensichtlich war man sich dieser speziellen Klientel nicht sicher, denn das sogenannte „Elternrecht“ auf Erziehung der Kinder in der richtigen Schule wurde zu einem Schlagwort, das sehr oft benutzt, ja geradezu zu einer Ideologie hochstilisiert wurde. Es handelte sich dabei um eine „katholische Spezialforderung“, die von den Vertretern der evangelischen Kirche nicht unbedingt unterstützt wurde.12 Für die Katholiken hat das Elternrecht eine ganz besondere theologische Verbindlichkeit. Der Begriff wird aus der Idee des Naturrechts abge- leitet.13 Dieses wird als natürliches Sittengesetz verstanden, „jene Ordnung, die der Schöp- fer dem Menschen zur Entfaltung seines Menschseins als Aufgabe zugewiesen hat, die der Mensch mit seiner Vernunft zu erfassen und als Grundlage für sein freies Handeln zu respek- tieren hat“.14 Naturrecht im engeren Sinn wird als jener Teil des natürlichen Sittengesetzes definiert, „der sich auf die Rechtsordnung von Mensch zu Mensch und vom Menschen zur Gemeinschaft bezieht: er umschreibt jenen Bereich des sittlich Gesollten, der als Mindest- maß sittlichen Verhaltens in rechtlichen Normen fixiert und als Recht auch erzwungen wer- den kann“.15 „Unabhängig von jeder geschichtlichen und jeder noch möglichen Existens- weise“ gibt es die „‘metaphysische Natur‘ des Menschen“. Daraus folgt die absolute Unver- änderlichkeit des Naturrechts.16 Es hat aber auch eine situative Note, den Gegenwartsbe- zug, denn das konkrete Handeln des Menschen wird auch von seiner geschichtlich gewor- denen gegenwärtigen Natur und Situation bestimmt, und „die Änderung der Lebensver- hältnisse (bringt) eine Änderung der den Menschen zugewiesenen sittlichen Verpflichtun- gen mit sich“.17 Folgte man der Auffassung der katholischen Kirche, das Elternrecht als Konsequenz aus dem Naturrecht zu betrachten, so war es verständlich, daß im Umbruch der Zeit neue sittliche Verpflichtungen angemahnt werden konnten, und legitim, das Elternrecht zu erzwingen. Folglich trat man auf katholischer Seite vehement und konsequent für das Elternrecht und in seinem Gefolge für die Bekenntnisschule ein; denn wenn der Staat auch das Schulmonopol hatte, so hatte er dennoch die Verpflichtung, „die Schulen nach dem

10 Archiv des Erzbistums Bamberg. Katholisches Schulkommissariat in Bayern, München, am 10.8.1950 an Erz- bischof Josef Kolb, Bamberg. (Im Auftrag von Prälat Dr. Zinkl). Schule und Erziehung in Bayern. Lagebericht für die Fuldaer Bischofskonferenz 1950. 11 Ebda. 12 Hans Maier (Hrsg.): Deutscher Katholizismus nach 1945. Kirche, Gesellschaft, Geschichte. München 1964, S. 200 f. 13 Juling, S. 93. 14 Johannes Gründel: Naturrecht. In: Karl Rahner (Hrsg.), Herdes Theologisches Taschenlexikon. Bd. 5. Freiburg 1973, S. 177. 15 Ebda. 16 Ebda., S. 178. 17 Ebda., S. 180 und 182.

385 Willen der Eltern einzurichten und die Gewissensfreiheit zu wahren“.18 Darüber hinaus gab es „Grundsätze über das Erziehungs- und Schulwesen“, die von der Fuldaer Bischofskon- ferenz 1946 zusammengestellt worden waren und das Selbstverständnis der katholischen Kirche offenbarten: „Die Kirche hat Mutterrecht am Kinde, weil sie es in der Taufe wieder- geboren hat.“19 Das bedeutete in letzter Konsequenz, daß die Kirche gegen den Willen der (möglicherweise fehlgeleiteten) Eltern die von ihr vertretene Auffassung wahrhaft katholi- scher Erziehung durchsetzen konnte, was an verschiedenen Orten ja auch geschah.20 Die Kirche sei eine „‘societas perfecta‘ (vollkommene Gesellschaft) ..., die aus eigener Macht- vollkommenheit darüber entscheidet, welche Mittel sie ergreift, um ihr Ziel zu erreichen, die Menschen zur ewigen Seligkeit zu führen“.21 Die Parteien nahmen gemäß ihrem Standort unterschiedliche Haltungen zum Elternrecht ein. Im Grundsatzprogramm der CSU von 1946, Abschnitt Kulturpolitik, hieß es: „Wir verlangen die unbedingte Achtung des Staates vor dem Willen der Eltern hinsichtlich der Schulerziehung ihrer Kinder. Wir bekennen uns zum eigenen Recht der Kirchen auf einen angemessenen Einfluß in der Erziehung der Jugend. Wir stehen ein für die Konfessi- onsschule.“22 Der Abgeordnete Rief von der FFG verlangte, daß der Staat verpflichtend sei, Privatschulen nach dem Willen der Eltern zu finanzieren. Da ihm das „Elternrecht auf die Freiheit der Schule nicht ausreichend gewahrt“ schien, lehnte er das Schulorganisationsge- setz ab.23 Während die bayerische SPD aufgrund ihrer Zustimmung zum Artikel 135 der Ver- fassung Schwierigkeiten hatte, nun eine konträre Position zu beziehen, wurde die FDP mit ihrem Vorsitzenden Thomas Dehler nicht müde, den katholischen Standpunkt in der Frage des Elternrechts anzugreifen. Sie argumentierte, daß die Kirchen da ihre Grenzen über- schritten, wo sie versuchten, Politik zu treiben. Sie beschwor die Gefahr eines Kulturpoliti- kers, der seine Weisungen von Rom erhalte. Dehler verurteilte das „extremste Elternrecht“ in Bayern, das „zum Unheil unseres Volkes“ wirke, und behauptete, daß das Recht der Eltern „in Wirklichkeit (doch) das Recht der Kirche über die Eltern“ sei und dazu geführt habe, daß „gegen den Staat eine bestimmte Schule eingerichtet“ worden sei.24 Die Forde- rung nach Elternrecht war für ihn eine Forderung des Kirchenrechts.25 In Kenntnis des Codex juris canonici hatte er mit dieser Ansicht nicht Unrecht, denn die katholische Kirche nahm

18 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 168. Sitzung am 5.7.1950, S. 581. Die katholische Kirche betrachtete z.T. das Bonner Grundgesetz als schwere Enttäuschung; hatte man dort doch die Veran- kerung des Elternrechts bezüglich der staatlichen Pflichtschulen abgelehnt. Das „natürliche Recht“ der Eltern (Art. 6) zur Erziehung der Kinder war keinesfalls das postulierte „Naturrecht“. Eltern hatten nach dem Grund- gesetz nicht das Recht auf Bestimmung des Charakters der Schulen. (Archiv des Erzbistums Bamberg. St. Heinrichsblatt, 60. Jg. Nr. 7 vom 13.2.1949, S. 2; Nr. 6 vom 6.2.1949, S. 6; Nr. 2 vom 9.1.1949, S. 1; Nr. 4 vom 23.1.1949, S. 3; Nr. 24 vom 22.5.1949, S. 2; Nr. 5 vom 30.1.1949, S. 2; Werner K. Blessing: „Deutsch- land in Not, wir im Glauben ...“ Kirche und Kirchenvolk in einer katholischen Region 1933-1949. In: Broszat, Martin/Henke, Klaus-Dietmar/Woller, Hans (Hrsg.), Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschich- te des Umbruchs in Deutschland. München 1988, S. 105; Abelein, S. 95). Allerdings wurde durch das Grund- recht der Gewissensfreiheit (Art. 4) das katholische Elternrecht geschützt. 19 Denkschrift zur Schulreform, S. 31. 20 siehe S. 444. 21 Denkschrift zur Schulreform, S. 31. 22 Scharfenberg, Bd. 2, S. 9. Er nennt als Quelle ein Flugblatt der CSU, hrsg. von Generalsekretär , Dez. 1946. 23 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 168. Sitzung vom 5.7.1950, S. 606. 24 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler N1-41. Rede Thomas Dehlers am 11.7.1949 in Bayreuth. 25 Ebda., NL Thomas Dehler N1-2204. Abschrift einer Rede Thomas Dehlers am 9.6.1950 in Recklinghausen.

386 das Naturrecht der Eltern dadurch in ihre Pflicht, daß sie forderte: Katholische Kinder dürfen nichtkatholische, neutrale, simultane Schulen, die auch Nichtkatholiken offenstehen, nicht besuchen.26 Das Naturrecht der Eltern war damit zum Organ der Kirche „zur Durchsetzung der katholischen Erziehung oder gegen nichtkatholische Auffassungen und Unternehmun- gen“ geworden. Das Elternrecht stand zwar über dem Staatsrecht, aber das Recht der Kir- che über dem Elternrecht.27 Die überspitzte Auslegung des Elternrechts war insofern aber nicht unbedingt folgerichtig, da die katholische Kirche keine Einwände gegen die Einschu- lung katholischer Schüler in die höheren Schulen, die in der Regel Gemeinschaftsschulen waren, hatte.28 Im Bereich der Volksschule schienen katholische Kirche und CSU bzw. Hund- hammer und sein Parteiflügel eine Elternrechts-Ideologie aufzubauen und zu pflegen, die der Durchsetzung „einer vorwiegend katholisch verstandenen Lösung des Schulbesuchs in Form der bekenntnismäßigen Erziehung“ diente.29

26 Oskar Vogelhuber: Das Recht in der Erziehung. In: Schule und Gegenwart 3. Jg. 5/1951, S. 43. 27 Ebda. 28 Juling, S. 92 f. 29 Huelsz, S. 12.

387 6.4. DIE EVANGELISCHE KIRCHE

Die evangelische Landeskirche in Bayern tat sich offensichtlich schwer mit dem Schu- lorganisationsgesetz und einer einheitlichen Einstellung zu ihm, die zudem auch noch von der der katholischen Kirche erkennbar verschieden sein sollte. Man wollte die Bekenntnis- schule wohl, um den Unterricht im evangelischen Geiste allumfassend zu gewährleisten. Darin dachte man ähnlich wie die Katholiken. Ein Aufruf an die Eltern der Schulanfänger nannte eine weitere Begründung: „In einem neuen bayerischen Lehrbuch für Geschichte ist die Reformationszeit ganz kurz behandelt. Kein Bild von Luther ist in diesem Buche zu finden. Aber ein Bild vom Führer der Gegenreformation, als dem Glaubensretter, dem Bischof Julius Echter von Mespelbrunn, das ist in diesem Buch. Kann dir das nun gleichgül- tig sein, wie dein Kind in der Geschichte unterrichtet wird?“1 Aber man war auch über- zeugt, daß Zwang dem Wesen des Glaubens widerspreche, daß Glaube nicht „anerziehbar oder der Schulung zugänglich“ sei.2 Das Recht des Kindes sei es, von missionierenden Eife- rern in Ruhe gelassen, dafür aber „mit dem Evangelium und dem Bekenntnis in Auseinan- dersetzung gebracht“ zu werden.3 Dieses Anliegen konnte natürlich auch in einer Gemein- schaftsschule verwirklicht werden, aber die bayerischen Verhältnisse brachten die evangeli- sche Kirche immer wieder in Zugzwang, und sie konnte nicht bei der christlichen Gemein- schaftsschule, die für sie durchaus zulässig gewesen wäre, stehenbleiben. Die bayerische Landeskirche lehnte daher als einzige die Erklärung von Bischof Dibe- lius vom Mai 1949 ab, in der er sagte, daß es für die evangelische Kirche die Alternative Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschule nicht gebe, „weil die Freiheit des Evangeliums der Kirche gebiete, niemanden mit institutionellen Mitteln zum Christen machen zu wollen“.4 Für die bayerische Landeskirche war diese Aussage nicht annehmbar, da sie alle Hände voll zu tun hatte, sich gegen die „totalitäre Schulpolitik und Gesetzgebung der katholischen Kir- che und des Ministeriums“5 zu behaupten und Widerstand zu leisten gegen „das System Hundhammer“. Dieses habe „vorsätzlich eine Handhabung der Beantragung von Bekennt- nisschulen gepflegt, die zu ... Ungunsten (der evangelischen Kirche) ausgehen mußte“.6 Außerdem mußte man dafür sorgen, daß in der Diaspora die evangelische Bevölkerung, hauptsächlich auch die Flüchtlinge, zu ihrem Recht kamen und evangelische Lehrer Stellen erhielten. Man mußte den alten schulischen Besitzstand, der viel heftiger von der Gemein- schaftsschule bedroht war als die katholischen Bekenntnisschulen, wieder erlangen und sichern, den eigenen Pfarrern den Ernst der Lage vor Augen führen und zum Handeln drän- gen7 und sich außerdem abgrenzen gegenüber katholischen und ministeriellen Zielen. Letzeres schien wirklich wichtig zu sein, da die Öffentlichkeit häufig Kirche nur als Ganzes wahrnahm und nicht unterschied zwischen katholisch und evangelisch und auch von Regierungsseite - absichtlich oder nicht - nicht unterschieden wurde. Landesbischof Meiser sah sich z.B. genötigt, an Alois Hundhammer, damals Landtagspräsident, zu schrei- ben, er möge davon absehen, „eine durchgehende Einigkeit mit der evangelischen Kirche

1 LKAN. Kreisdekan Nbg. 238. Aufruf: Dein Kind kommt in die Schule! (o. V., o. D.). 2 Oskar Vogelhuber: Das Recht in der Erziehung. In: Schule und Gegenwart. 3. Jg. 5/1951, S. 43. 3 Ebda. 4 Huelsz, S. 174; vgl. Die Bayer. Schule 3. Jg. 1950, S. 52 f. 5 LKAN. LKR VI 1100 a (3063). Schreiben des Beauftragten für kirchl. Unterweisung in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Frör, am 21.6.1950 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, München. Betr.: Arbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft bayerischer Junglehrer am 11.6.1950. 6 Ebda., LKR VI 1105 (3113). Schreiben des Evang.-Luth. Dekanats Würzburg, Dekan Schwinn, am 11.3.1951 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, München. 7 Ebda.,. LKR VI 1100 a (3065). Schreiben Nr. 8489/1950 des Oberkirchenrats Lic. Schmidt am 5.1.1951 an Pfarrer Lic. Frör, Rummelsberg.

388 festzustellen“. Es entstehe der Eindruck, „als ob die evangelische Kirche mit der ganzen Argumentation einig ginge,“ deren er sich bediene. Das sei aber nicht der Fall.8 An ande- rer Stelle bekräftigte Meiser, daß man sich „nicht in allen Stücken mit den Methoden iden- tifizieren (könne), mit denen man von katholischer Seite die gemeinsam angestrebten Ziele zu erreichen“ suche. Es sei verhängnisvoll, das ganze öffentliche Leben „einseitig im Sinne einer ausgesprochen katholischen Mentalität zu beeinflussen“.9 Die Sicherung evangelischer Bekenntnisschulen war auch nicht einfach, da evan- gelische Eltern, liberaler als katholische, den Wert einer solchen Schule nicht immer einsehen konnten, zumal wenn es sich um Flüchtlinge handelte, die sich in Bayern in der Diaspora befanden und ihren Kindern lieber eine gediegene Bildung in einer ausgebauten als in einer evangelischen Zwergschule angedeihen lassen wollten. Die Ausführungsbestimmungen zum Schulorganisationsgesetz (Ziffer 9) besagten, daß Bekenntnisschulen auch von Amts wegen eingerichtet werden könnten, allein Bischof Meiser befand, daß eine solcherart gegen den Willen der Erziehungsberechtigten eingerichtete Bekenntnisschule „keinen Segen“ für die Kirche erwarten lasse.10 Man ergriff also auf evangelischer Seite nicht freudig und um jeden Preis die Möglichkeit zur Errichtung einer Bekenntnisschule. Andererseits wollte man diese Schulen mit der Begründung: „Je mehr wir Bekenntnisschulen haben, desto mehr Stellen ergeben sich für evangelische Lehrer.“11 Für den oberbayerischen Raum erhoffte man sich die Unterbringung vieler evangelischer Flüchtlingslehrer, die noch in ande- ren Berufen arbeiteten, da noch ca. 33000 evangelische Schulkinder in den katholischen Schulen unterrichtet würden.12 Die Gefahren der Gemeinschaftsschule bestanden nach evangelischer Ansicht darin, daß der „Gesamtunterricht ... allgemein weltlichen Charakter tragen, (und) der Religionsunterricht leicht zu einem Fremdkörper“ werde. Auch könne man nicht verhindern, daß „unsere Kinder katholische oder ungläubige Lehrer“ bekämen. Als Warnung bzw. Richtlinie konnte die Aussage gelten: „Für die Gemeinschaftsschule setzen sich die politischen Parteien ein, die der Kirche neutral oder ablehnend gegenüberstehen.“13 Es wurde interessanterweise auch die Frage gestellt, was man von der Volksschule erwarte: „Nur Wissensvermittlung, Kenntnisse? Oder Erziehung und Bildung des Charak- ters? Ober mehr: Einführung in das Leben der Gemeinde und Kirche?“14 Auch die evange- lische Seite sah also einen Widerspruch zwischen Lernschule und Erziehungsschule, welch letztere Hundhammer für die Volksschule postulierte. Beides zugleich schien nicht verwirk- licht werden zu können, aber die Wissensvermittlung war das, was z.B. die Flüchtlinge für ihre Kinder forderten, und daher waren sie häufig nicht die idealen Streiter für die Belange ihrer evangelischen Kirche.15 Die evangelische Kirche betonte immer wieder, es gehe ihr nicht um Macht, wenn sie die Bekenntnisschule anstrebe, sondern um Hilfe für die Jugend.16 Es gelang ihr jedoch kaum, dieses Anliegen der Öffentlichkeit und besonders auch

8 LKAN. Kreisdekan Nürnberg Nr. 239. Schreiben eo-Nr. 4833 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats, München, am 13.4.1954. Abschrift eines Briefwechsels zwischen Landesbischof D. Meiser und Landtagspräsident Hund- hammer. 9 Die Bayerische Schule, 7. Jg. Nr. 14 vom 15.5.1954, S. 220. Kulturpolitische Fragen auf der Lutherischen Syn- ode in Ansbach. 10 LKAN. LKR VI 1105 (3113) Bd. 1. Amtsblatt für die Evanglisch-Lutherische Kirche in Bayern. München. Nr. 1 vom 16.1.1951, S. 1 f. 11 Ebda., HB XII 135. Amtsblatt für die evangelisch-luth. Kirche in Bayern. 36. Jg. 1949, Nr. 1 vom 14.1.1949, S. 10. 12 Ebda. 13 Ebda. 14 Ebda. 15 s. o. 16 LKAN. Kreisdekan Nbg. Nr. 42. Schreiben an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, München, am 4.3.1949, gez. Schieder.

389 den Lehrern zu vermitteln. Hier herrschte nicht die Ansicht, daß die evangelische Kirche in der Schulpolitik einen anderen Weg ging als die katholische, wie man das so gerne ver- standen wissen wollte. Im Gegenteil, es wurde ihr vorgeworfen, sie befinde sich völlig im Schlepptau der katholischen Kirche und Hundhammer berufe sich mit besonderem Nach- druck auf die Haltung der evangelischen Kirchenleitung, die ebenso hinter ihm stünde wie die katholische. Sie verschanze sich „(a)us einer gewissen Angst heraus ... hinter dem mäch- tigen Rücken der katholischen Kirche, ... was aber dieser nur sehr willkommen sei“.17 Der Beauftragte für kirchliche Unterweisung in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Frör, forderte seine Kirche auf, einen „eigenständigen und von der katholischen Schulpoli- tik unabhängigen Kurs sichtbar“ zu machen,18 was offenbar nicht leicht war. Die aufgefundenen Quellen jedenfalls vermitteln eher das Bild einer Kirche, die es allen Beteiligten recht machen wollte: Man zeigte Verständnis für das Kultusministerium und signalisierte Zustimmung für regelwidrige Besetzungen evangelischer Lehrerstellen, um die schulpolitische Lage zu erleichtern.19 Man akzeptierte, daß das Kultusministerium die Errichtung neuer (evangelischer) Bekenntnisschulen für 25-40 Schüler wegen zu vieler orga- nisatorischer Schwierigkeiten, die bei größeren Schulen entstünden, um ein Jahr hinaus- schob. Auch gebe es für solche Kleinschulen nicht die nötigen Lehrerstellen.20 Man fürch- tete gleichzeitig aber den durch die Verschiebung beibehaltenen status quo, der den Eltern zur Gewohnheit werden und die Errichtung einer evangelischen Bekenntnisschule erschwe- ren könnte. Die Zeit sollte durch die Pfarrämter genutzt werden, indem sie die Eltern „in höherem Maße für die Bekenntnisschule erwärmen“ sollten.21 Man versuchte, durch takti- sche Manöver die Antragsfrist für die Errichtung einer Gemeinschaftsschule verstreichen zu lassen; betrachtete als „oft die beste Lösung ..., wenn wir von uns aus alles tun, daß orga- nisatorisch gar nichts geschieht“, da man zu Recht erkannt hatte, daß ein solcher Antrag „nur eine Spaltung“ der Evangelischen bringen würde, während die Katholiken doch ihre katholische Schule wählen würden.22 In dieselbe Richtung zielte auch der Wunsch einiger Bezirksregierungen, auf die Errichtung einer Bekenntnisschule zu verzichten, wenn in ihrem Gefolge der Antrag für eine Gemeinschaftsschule zu erwarten sei.23 Das Ministerium nahm diesen Vorschlag - die katholische Kirche war dadurch zweifellos nicht betroffen - nicht auf, sicher sehr zum Bedauern der evangelischen Kirche. So versuchte man, im evangelischen Franken die Überzahl evangelischer Bekenntnisschulen und damit evangelischer Lehrerstel- len zu bewahren, während im katholischen Oberbayern die Errichtung möglichst vieler evangelischer Zwerg-Bekenntnisschulen opportun war, um evangelischen Flüchtlingsleh- rern eine Stelle zu sichern. Ein einheitlicher Kurs war also gar nicht möglich.

17 LKAN. Landeskirchenrat VI 1100a (3065). Schreiben des Beauftragten für kirchl. Unterweisung in der Evang.- Luth. Kirche in Bayern, Frör, Rummelsberg, am 21.6.1950 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, München. Betr.: Arbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft bayerischer Junglehrer. 18 Ebda. 19 Ebda., LKR VI 1105 (3113) Bd. 1. Schreiben des Evang.-Luth. Landeskirchenrats Nr. 1175 (Az. 35/0) am 8.5.1951 an alle Dekanate. Betreff: Schulpolitische Lage. 20 Ebda. 21 Ebda. 22 Ebda. 23 Ebda., Schreiben Nr. eo. 6029 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats am 9.5.1951 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betr.: Durchführung des Schulorganisationsgesetzes.

390 6.5. MILITÄRREGIERUNG UND SCHULORGANISATIONSGESETZ

Bereits im Jahr 1944 hatten in der European Advisory Commission (EAC) amerikani- sche, britische und sowjetische Vertreter gemeinsam kirchenpolitische Fragen besprochen und Richtlinien aufgestellt. Das Ergebnis war die Direktive Nr. 12 der EAC, die im Novem- ber 1944 als amerikanische Direktive JCS 1143 in Kraft trat.1 Ihr Ziel sollte die Auflösung des Reichskirchenministeriums sein, ferner die Aufhebung aller Gesetze und Verordnungen zur Gleichschaltung der Kirchen und die Gewährleistung der Religionsfreiheit und -ausü- bung.2 Besonders wichtig und aufschlußreich für die spätere Haltung der Amerikaner bezüglich des Schulorganisationsgesetzes in Bayern war die Anordnung, daß die Zoneno- berbefehlshaber sich jedweder Einmischung „in die Regelung des Religionsunterrichts und die Einrichtung und Fortführung von Konfessionsschulen enthalten“ sollten.3 Die englische Militärregierung stand der Bekenntnisschule zwar skeptisch gegenüber, sperrte sich jedoch nicht, sie einzurichten, wenn die Eltern das wünschten. Auch die Franzosen anerkannten den Elternwillen und gestatteten Abstimmungen zur Frage der Bekenntnisschulen, obwohl ihr eigenes öffentliches Schulsystem laizistisch organisiert war.4 Die sowjetische Militärad- ministration nahm eine andere Haltung ein, denn sie interpretierte Kontrollratsempfehlun- gen in ihrem Interesse. So hatte das Allied Religious Affairs Committee (ARAC), das inner- halb des Kontrollrats seit dem 31. August 1945 bestand und eine Unterabteilung des Direc- torate of Internal Affairs and Communication (DIAC) darstellte - eines von zwölf Direktora- ten des Kontrollrats, in denen die vier Mächte durch ständige Delegierte vertreten waren5 - , am 11. Oktober 1945 eine gemeinsame Verlautbarung über die künftige Stellung der Kon- fessionsschulen und des Religionsunterrichts herausgegeben. Danach war „in jeder Zone als vorläufige Regelung das Schulwesen entsprechend den lokalen Traditionen und Wün- schen der Bevölkerung“ zu gestalten, „soweit dies mit den allgemeinen Richtlinien zur Kon- trolle des Erziehungswesens vereinbar sei“.6 Der letzte Teil dieser Empfehlung ermöglichte nun jegliche Interpretation, und es kann daher nicht verwundern, wenn in der sowjetisch besetzten Zone ein eigener Weg beschritten wurde, der darauf abzielte, den gesellschafts- politischen Einfluß der Kirche und besonders die kirchliche Jugendarbeit zu schwächen.7 Kontrovers wurde von den Besatzungsmächten auch die Frage diskutiert, ob das Reichskonkordat, das 1933 zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich vereinbart worden war, nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches weiterhin Gültigkeit haben könne. Während die Sowjets sie verneinten, da das Konkordat von der NS-Regierung abge- schlossen und ratifiziert worden und dieser Vertragspartner außerdem nicht mehr vorhan- den sei, wollten die Westmächte an ihm festhalten. Bereits vor Ende des Krieges hatte auch der Vatikan das amerikanische Außenministerium „nachdrücklich auf die Bedeutung des Reichskonkordats für die Reorganisation des deutschen Schulwesens hingewiesen“.8 Noch einmal, Anfang 1946, wies Papst Pius XII. den Leiter für katholische Angelegenheiten inner- halb der Religious Affairs Section der amerikanischen Militärregierung, Theobald Dengler, darauf hin, daß für ihn das Reichskonkordat weiterhin volle Rechtsgültigkeit besitze und er sein Fortbestehen nachdrücklich wünsche.9 Offizielle Stellungnahmen des Vatikans beton-

1 Clemens Vollnhals: Das Reichskonkordat von 1933 als Konfliktfall im Alliierten Kontrollrat. In: Vierteljahres- hefte für Zeitgeschichte. 35. Jg. 1987, Heft 4, S. 677-706, S. 680. 2 Ebda. 3 Ebda. 4 Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 254. 5 Vollnhals, Das Reichskonkordat, S. 683 f. 6 Ebda., S. 684. 7 Ebda., S. 691. 8 Ebda., S. 689 f und 678. 9 Ebda., S. 678. Er zitiert National Archives, Record Group 260, 5/340-3/21. Telephone Conference Dengler with ambassador Murphy, 22.4.1946.

391 ten immer wieder die zweifelsfreie rechtliche Fortgeltung des Reichskonkordats, auch die katholischen Bischöfe erklärten auf ihrer ersten Fuldaer Konferenz im August 1945, daß es sich um eine „verbindliche Rechtsgrundlage“ auch für die Zukunft handle; allerdings äußer- te Pius XII. auch, daß „(d)ie juristisch sehr zweideutige Situation in Deutschland ... nur eine Handlungsweise (nahelegen könne) - möglichst viele vollendete Tatsachen (zu) schaffen.“10 Diesen Ratschlag mußte er auch an Kultusminister Hundhammer weitergegeben haben, da dessen Schulpolitik, vor allen auch vor Inkrafttreten des Schulorganisationsgesetzes, sich klar von diesem Gedanken leiten ließ; wies er doch selbst darauf hin, daß das Gesetz nur das festschreibe, was eigentlich in Bayern bereits bestehe.11 Sicher hatten einzelne regio- nale Militärregierungen ihren Teil dazu beigetragen, daß von Beginn der Besatzungszeit an vollendete Tatsachen geschaffen wurden. Die Militärverwaltung für den Regierungsbezirk Mainfranken forderte bereits im Dezember 1945 die zuständigen deutschen Behörden auf, alle Fragen bezüglich Konfessionsschulen, Religionsunterricht und die von religiösen Orga- nisationen geleiteten Schulen zu klären, „in Übereinstimmung mit den örtlichen Traditio- nen. Die Wünsche der deutschen Bevölkerung sind insoweit zu berücksichtigen, als diese Wünsche festgestellt werden können“.12 Großzügiger konnte eine Aufforderung zur Schaf- fung vollendeter Tatsachen kaum formuliert werden. Der sowjetische Delegierte im DIAC verneinte nicht nur die zukünftige Gültigkeit des Reichskonkordats aus völkerrechtlichen Gründen, er benutzte auch seine Inhalte, um zu beweisen, daß man es unmöglich beibehalten dürfe. Artikel 21 bestimmte nämlich, daß der Religionsunterricht in Konfessionsschulen auf derselben Basis zu erteilen sei wie der Unterricht in anderen Fächern, daß er als reguläres Unterrichtsfach im Rahmen des Lehr- plans anzuerkennen sei. Also, folgerte man auf sowjetischer Seite, gebe es auch im Religi- onsunterricht die nazistische Ideologie.13 Diese Interpretation kam für die amerikanische Besatzungsmacht nicht in Frage. Für sie stellte die Kirche, zumal die katholische, ein Boll- werk gegen den Kommunismus dar,14 nachdem sie im Dritten Reich auch gezeigt hatte, daß sie fähig war, Widerstand zu leisten. Es widerstrebte den Amerikanern auch, durch gesetz- liche Regelungen auf diesem sensiblen, für die Kirchen eminent wichtigen Gebiet eine Kon- frontation herbeizuführen, und schließlich genehmigte sie auch die bayerische Verfassung und mit ihr die überkommene bayerische Schultradition, wohl wissend, daß sie in mehrfa- cher Hinsicht außerordentlich bedenklich war. Nicht von ungefähr wies Major Taylor von OMGUS Berlin in München darauf hin, daß da, „(w)o die Verfassung konfessionelle Schu- len zuläßt, oder wo sie die Regel sind, ... die Gefahr der leistungsunfähigen Zwergschule (besteht). Ich hoffe, daß beide Konfessionen sich in jedem Fall freundschaftlich verständi- gen, um diese Schwierigkeit zu beseitigen“.15 In der Tat wurden in Bayern in großer Zahl Zwergschulen eingerichtet. Und von freundlicher Verständigung in jedem Fall konnte nicht die Rede sein. Unerwähnt blieben die Situation der Lehrer, Widerstand leistender Eltern und finanzschwacher Gemeinden.16

10 Vollnhals, Das Reichskonkordat, S. 678. Er zitiert F. Spotts: Kirchen und Politik in Deutschland. Stuttgart 1976, S. 184. 11 siehe S. 378 f. 12 BayHStA München. MK 61203. Schreiben der Mil.Reg. f. den Reg.-Bezirk Mainfranken am 10.12.1945 an alle Landräte, Oberbürgermeister, Bezirks- und Stadtschulämter. 13 Vollnhals, Das Reichskonkordat, S. 704. 14 Ebda., S. 691. 15 LKAN. LKR VI 1100 a (3064). Ansprache von Major Taylor, OMGUS Berlin, am 19.2.1947 in München. 16 siehe S. 480-508, 457-479, 443-456.

392 Während der Diskussion um das Schulorganisationsgesetz ergriff die amerikanische Militärregierung die Gelegenheit, sich zu diesem Thema zu äußern. Charles Winning, Divi- sion Chief vom Amt des amerikanischen Hohen Kommissars für Deutschland, Amt des Lan- deskommissars für Bayern, Public Affairs Division, sprach am 4. Februar 1950 in der 22. gemeinsamen Sitzung des Ausschusses für kulturpolitische Fragen und des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen. Außer den Abgeordneten in diesen Ausschüssen waren Kultusminister Hundhammer, Ministerialdirektor Mayer und Regierungsdirektor Braun vom Kultusministerium anwesend; außer durch Winning war das Office of Landcommissioner for Bavaria (OLCB) durch Mr. Bradford und Schiller vertreten. Der Vorsitzende des kulturpo- litischen Ausschusses, Meixner, der bei dieser gemeinsamen Sitzung ebenfalls die Leitung hatte, erklärte, daß das Gesetz bereits auf der Tagesordnung einer Landtags-Vollsitzung gestanden habe, die Beratung jedoch ausgesetzt worden sei, nachdem die amerikanische Militärregierung den Wunsch geäußert hatte, zu diesem Gesetz Stellung zu nehmen.17 In der Beilage 3333, die die Ausführungen Winnings in englischer und deutscher Sprache wie- dergab, lautete der zweite Satz: „I am here at your request ...“, was ja nichts anderes besagt, als „Ich bin hier auf Ihren Wunsch.“18 Abgesehen davon, wer damals den amerika- nischen Kommentar zum SchOG begehrt hatte, betonte Winning, daß er mit der aus- drücklichen Bevollmächtigung des Landeskommissars spreche, seine Auffassungen mit dem Prüfungsausschuß für Gesetzgebung des Amtes der Militärregierung in Einklang stünden und auch die Ansichten des Amtes des High Commissioner in keiner Weise von den von ihm vorgetragenen abwichen. Wörtlich sagte er: „Es handelt sich hier um ein wichtiges Gesetz, und ich habe seine Bestimmungen mit vielen Vertretern des Amtes des Hohen Kom- missars besprochen.“19 Seine Ausführungen begannen mit einem Paukenschlag: „Das bayerische Gesetz ... scheint, allgemein gesprochen, ...diskriminierend zu sein.“ Das betreffe sowohl Eltern, die ihre Kinder in Gemeinschaftsschulen schicken wollten, als auch religiöse und weltan- schauliche Gemeinschaften, die vom Staat anerkannt seien. Die diskriminierenden Elemen- te des Schulorganisationsgesetzes stünden im Widerspruch zur bayerischen Verfassung, die die gleiche Behandlung aller Personen vorsehe. Verfassungswidrig sei die Ausklammerung der Gemeinden vor allem bei der Errichtung von Volksschulen (Art. 83 BV) durch Absatz 1 und 2 des Paragraphen 1 des Gesetzes. § 3 verletze ebenfalls Art. 83 BV und Art. 135 BV, da Eltern nicht das Recht hätten, die Schule für ihre Kinder zu wählen, die sie wünschten. Para- graph 5 und 6 beinhalteten wiederum Einschränkungen für die Erziehungsberechtigten, da Gemeinschaftsschulen nur an Orten mit bekenntismäßig gemischter Bevölkerung errichtet werden und Kinder eines bestimmten Bekenntnisses nicht eine Bekenntnisschule der ande- ren Konfession besuchen dürften. Die „staatliche Schulaufsicht“, die die Lehrer gemäß ihrer Konfession auswählen würde, sei ein zu ungenauer Begriff, der zu Streitigkeiten führen könnte. Bemängelt wurde § 8, nach dem Kinder in Gemeinschaftsschulen nach „christlich- abendländischen“ Gesichtspunkten erzogen werden sollten, da nichtchristliche, philoso- phische oder andere religiöse Grundsätze nicht anerkannt würden, im Gegensatz zu Art. 107 und Art. 127 BV. Die Bestimmung über die Auswahl der Lehrer für Gemeinschafts- schulen verletze Art. 107 BV, da das religiöse Bekenntnis nicht maßgebend sein dürfe bei der Zulassung zu öffentlichen Ämtern. Auch die §§ 12 und 13 kollidierten nach Ansicht Winnings mit Art. 107, 127 und 135 BV. Abgesehen von diesen im Widerspruch zur bayeri- schen Verfassung stehenden Paragraphen, erschien das Gesetz den Amerikanern auch in anderen Punkten sehr vage formuliert, so daß vieles den Durchführungsbestimmungen

17 LKAN. LKR VI 1100 a (3065). 18 BayHStA München. MK 61220. Bayerischer Landtag. Tagung 1949/50. Beilage 3333. 19 Ebda.

393 überlassen bliebe, wodurch zu viel gesetzgebende Gewalt an die Exekutive abgegeben würde. „Somit ist dieses Gesetz nicht als gute Gesetzgebung zu bezeichnen.“ Winning bescheinigte ihm auch, äußerst eng und restriktiv gefaßt zu sein, es sei nicht geeignet, Kämpfe zwischen religiösen Organisationen zu verhindern und Diskriminierung von Bür- gern, die nicht diesen Organisationen angehörten, zu vermeiden. Insgesamt könne das Schulorganisationsgesetz weder als verfassungsmäßig, noch als fortschrittlich und demo- kratisch bezeichnet werden. Und das habe der amerikanische Hohe Kommissar, McCloy, doch neulich in München erst angemahnt.20 Nach dieser ungeschminkten und sicher auch unerwarteten - hätte der Kultusmini- ster den Verriß geahnt, hätte er wahrscheinlich eher hinter der Bühne die Fäden gezogen - abqualifizierenden Beurteilung des geplanten Schulorganisationsgesetzes durch die Ame- rikaner war es zuerst die Geistlichkeit, die den Schock überwand und dem amerikanischen Hohen Kommissar Protestschreiben zugehen ließ, in gewohnter Reihenfolge zuerst die Katholiken. Kardinal Faulhaber schrieb im Namen der bayerischen Bischöfe am 11. Februar 1950 unter dem Betreff: „Das Recht der Bekenntnisschule in Bayern.“21 „Befremden und Bestürzung“ drückte Faulhaber aus, die Kritik widerspreche den tatsächlichen und rechtli- chen Verhältnissen in Bayern. Winning wolle augenscheinlich das amerikanische Schulwe- sen „auf das ganz anders geartete bayerische Volksschulwesen übertragen“. Besonders schwer wiege, daß er die „Rechtsbeziehungen, die zwischen Staat und Kirche ... aufgrund des Bayerischen Konkordats“ bestünden, völlig außer acht lasse. Das Konkordat sei ein völ- kerrechtlicher zweiseitiger Vertrag, den sogar Hitler im Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 anerkannt habe. Zugleich sei das bayerische Konkordat Landesgesetz für Bayern seit 15. Januar 1925 und durch die Verfassung vom 2. Dezember 1946 zu einem „Verfassungsge- setz“ erhoben (Art. 182 BV). Nicht den Gemeinden, sondern dem Staat obliege die Ver- pflichtung zur äußeren und inneren Organisation der öffentlichen Volksschulen, „beson- ders hinsichtlich der Bekenntnisschulen“ mit allen Konsequenzen, z.B. hinsichtlich der Bekenntniszugehörigkeit und Ausbildung der Lehrer dieser Schulen. Für die bayerischen Bischöfe sei Winnings Kritik der schärfste Angriff, „der jemals auf das Bayerische Konkor- dat und die konkordatäre Rechtslage der Bekenntnisschule“ erfolgt sei.22 Besondere Besorg- nis errege die bereits erfolgte „weiteste Verbreitung“ durch die Presse, die die katholische Bevölkerung verunsichere. Papst Pius XII., „der feinsinnige Kenner der Seele unseres Volkes“, habe die Bekenntnisschule als „unersetzbares Gut“ bezeichnet. Die bayerischen Bischöfe sähen in der Mißachtung des Konkordats eine Beleidigung des Papstes als des Kon- kordatspartners. Sie erhöben feierlichen Protest und behielten sich weitere Schritte vor. Und dann traf der Kardinal - wohlgezielt - den Nerv der Demokratisierungsanstrengungen der Amerikaner, indem er polemisch fragte: „Soll uns die Bekenntnisschule, nachdem sie uns von der nationalsozialistischen Diktatur gewaltsam geraubt, dann aber nach dem Zusam- menbruch der Gewaltherrschaft wieder zurückgegeben wurde, nunmehr durch die ameri- kanische Besatzungsmacht neuerdings streitig gemacht, geschmälert oder gar entzogen werden? Sollen die wiederholten eindeutigen Kundgebungen des Elternwillens zugunsten der Bekenntnisschule im Zeitalter der Demokratie mißachtet werden ...?“23 Das waren schwere Vorwürfe, auf die McCloy schlüssige Antworten einfallen muß- ten. Bevor er jedoch - über fünf Wochen später - schrieb, erreichte ihn noch der Protest des evangelischen Landesbischofs Meiser, der, nachdem er in einer Pressenotiz am 12. Februar 1950 seinem Befremden über die Mißachtung des Evangelischen Kirchenvertrages Aus-

20 Ebda. 21 LKAN. LKR VI 1105 Bd.1 (3113). Schreiben des Erzbischofs von München und Freising am 11.2.1950 an den Amerikanischen Hohen Kommissar in Deutschland, Mr. John McCloy, Frankfurt (Main). 22 Ebda. 23 Ebda.

394 druck gegeben hatte,24 allerdings seinen Brief sehr viel konzilianter hielt und als „Anliegen“ deklarierte.25 Meiser sah durch Winnings Ausführungen die kirchlichen Interessen betrof- fen und glaubte entdeckt zu haben, daß die Zustimmung, die die amerikanische Militärre- gierung zur bayerischen Verfassung gegeben hatte, durch Winning wieder aufgehoben worden sei. Meiser verwahrte sich gegen Winnings Vorwurf der Diskriminierung gegenü- ber Angehörigen anderer christlicher oder nichtchristlicher Bekenntnisse und behauptete, gerade durch die Einführung der Bekenntnisschule tue die Verfassung ihre Absicht kund, „in der Erziehung auf das verschiedene Religionsbekenntnis Rücksicht zu nehmen“ und Unterschiede anzuerkennen. Was den Einsatz von Lehrkräften an Bekenntnisschulen betref- fe, hätte Winning übersehen, „daß das Recht, an einer Bekenntnisschule zu unterrichten, kein allgemein staatsbürgerliches oder bürgerliches Recht nach Artikel 107 der Verfassung“ sei.26 Meiser gab zu, daß das Schulorganisationsgesetz sicher noch verbessert werden könne, dies „... aber nicht durch Beanstandungen geschehen (könne), die die geltenden Bestimmungen über die religiöse Erziehung angreifen“.27 Mit Sorge erfülle ihn, daß mit Winnings Äußerungen „eine grundsätzliche Änderung der bisher von der Besatzungsmacht verfolgten Religionspolitik auf dem Gebiet der Erziehung“ vorzuliegen schien, da bisher die amerikanische Militärregierung „niemals gegen die Bekenntnisschule oder den allgemein christlichen Charakter der Erziehung Stellung genommen“ habe.28 Interessant war in dem Brief der Satz: „Wird der Grundsatz durchgeführt, daß im öffentlichen Schulwesen um des Glaubensbekenntnisses willen keine Unterschiede gemacht werden dürfen, so führt das in der letzten Konsequenz zur Ausschaltung des christlichen Glaubens von der öffentlichen Erziehung.“ Meiser hatte handschriftlich am Rand notiert: „scheint mir etwas zu weit zu gehen! M.“ Der verbindlich-entgegenkommende Ton des Schreibens zeigte sich auch in den Schlußsätzen: „Gerade weil ich mit großer Dankbarkeit während der Jahre seit der Ein- stellung der Kriegshandlungen bemerken konnte, daß die Besatzungsmacht die christliche Erziehung auch in der staatlichen Schule voll anerkannt hat, bitte ich Sie um eine Erklärung, daß die Besatzungsmacht die Bekenntnisschule nach den Grundsätzen der Verfassung und des Staatsvertrags nach wie vor anerkennt und daß der Erziehung nach christlichen Grundsätzen auch in der Gemeinschaftsschule seitens der Besatzungsmacht nichts in den Weg gelegt wird. Sie würden mich mit einer solchen Erklärung von einer großen Sorge befreien.“29 Wie versöhnlich war doch dieser Brief, wie bemüht war man auf evangelischer Seite, Konfrontationen zu vermeiden! Wie selbstbewußt und kämpferisch, wohl wissend um die Rückenstärkung durch den Vatikan, trumpfte dagegen der Kardinal auf, der außer- dem keinen Gedanken an die Gemeinschaftsschule verschwendete, während sein evange- lischer Kollege, im Bewußtsein, daß etliche seiner Schäflein sich für diese Schule entschei- den würden, sich zusätzlich um den christlichen Geist der Gemeinschaftsschule sorgte. Am 16. Februar 1950 wurde vom Kath. Schulkommissariat München eine ähnliche Pressenotiz wie die der evangelischen Kirche vom 12. des Monats über die Beschwerde der bayerischen Bischöfe veröffentlicht. Bischof Muench kündigte dann eine „beruhigende Nachricht“ des amerikanischen Hohen Kommissars an.30

24 Archiv des Erzbistums Bamberg, Rep. 1, Nr. 12 vorläufige Signatur. „Schulorganisationsgesetz und zuneh- mender Kampf gegen die Bekenntnisschule.“ o.J. 25 LKAN. LKR VI 1105 Bd.1 (3113). Entwurf eines Schreibens Bischof Meisers am 23.2.1950 an High Commis- sioner Mr. McCloy, HICOG Bad Nauheim. 26 Ebda. 27 Ebda. 28 Ebda. 29 Ebda. 30 Archiv des Erzbistums Bamberg. Rep. 1 Nr. 12 vorläufige Signatur. „Schulorganisationsgesetz und zuneh- mender Kampf gegen die Bekenntnisschule.“, o.J.

395 Die Antworten McCloys auf beide Schreiben fielen entsprechend der Tonart der Briefe unterschiedlich aus. Erst am 20. März 1950 schrieb der amerikanische Hohe Kom- missar an Kardinal Faulhaber, zeigte sich „ziemlich“ (bzw. „ganz schön“) überrascht vom „strengen Ton“ seines Briefes,31 und mutmaßte, daß Faulhabers Schreiben „ein funda- mentales Mißverstehen unseres Interesses an den Erziehungsangelegenheiten in Bayern“ offenbare.32 Die Bemühungen der Amerikaner gingen dahin, freiere und breitere Erzie- hungseinrichtungen („facilities“) zu schaffen, damit mehr Schüler/Studenten („students“) ein breiteres Wissen erlangen könnten. Man habe aber nicht den leisesten Gedanken, die Konfessionsschulen zu zerstören oder in irgendeiner Weise ihren Einfluß zu untergraben noch das Konkordat oder die Bayerische Verfassung zu attackieren. McCloy schlug eine Dis- kussion über die Erziehungsfragen vor, möglicherweise in Anwesenheit der bayerischen Bischöfe, auch um zukünftigen Mißverständnissen vorzubeugen.33 Hatte McCloy in diesem Schreiben auf Mißverständnisse abgehoben, die man durch eine Unterredung zu beseiti- gen wünsche, freute er sich in seiner Antwort an Landesbischof Meiser bereits im zweiten Satz, daß auch dieser das Schulreformgesetz als verbesserungswürdig ansah; und er sicher- te ihm bei den Bemühungen um eine solche Verbesserung sowohl sein persönliches Inter- esse und seine Unterstützung als auch die Unterstützung seiner „mit diesem Problem besonders beauftragten Mitarbeiter“ zu.34 Bereitwillig gab er die von Meiser erbetene Erklärung ab, „daß die Amerikanische Politik, obwohl sie die Freiheit der Religion betont, in keiner Weise die Konfessionsschulen verdrängt oder sich gegen sie wendet“.35 Christli- che Eltern oder die christliche Kirche habe, so versicherte McCloy, das Recht, „ein Erzie- hungsprogramm und -system zu entwickeln, das auf christlichen abendländischen Grundsätzen basiert“. Ziemlich vage hieß es dann: „Es ist unsere feste Überzeugung, daß diejenigen Methoden, die es den Eltern ermöglichen, den Erziehungsapparat der für die Ausübung ihrer Grundrechte wesentlich ist, am direktesten zu kontrollieren, nicht nur die demokratischsten, sondern auch die wirkungsvollsten sind.“36 Die unmittelbare Einfluß- nahme der Eltern auf die Schule ihres Kindes wurde hier propagiert; möglicherweise in Form eines mit weitgehenden Rechten ausgestatteten Eltern- oder Schulbeirats oder auch in Form einer von der Gemeinde getragenen Schule, die über die Art, die Anstellung der Lehrer, die Wahl des Schulleiters und natürlich auch die Ausstattung bestimmen konnte. McCloy ver- sicherte auch dem evangelischen Landesbischof, daß er sehr gerne zu einem persönlichen Gespräch bereit sei.37 Dies Gespräch fand statt, und zwar am 8. Mai 1950. Der amerikanische Lan- deskommissar Bolds, sein Stellvertreter Winning, ein Mr. Joyce und ein Dolmetscher spra- chen bei Meiser vor, der Oberkirchenrat Lic. Schmidt und Oberkirchenanwalt Dr. Vischer zugezogen hatte. Die Aktennotiz von Lic. Schmidt offenbart deutlich das Bemühen der Amerikaner um Ausgleich, ihre Abneigung gegen Konflikte mit den Kirchen, ihre Anstren- gungen, sich im weltweiten Ost-West-Konflikt nicht die Sympathien ihrer Parteigänger zu verscherzen. Schmidt notierte, daß Land-Commissioner Bolds den Landesbischof seiner freundlichen Gesinnung versichert und erklärt hatte, die Absicht der Amerikaner in den

31 Die deutsche Übersetzung in „Dokumente zur Schulreform“, S. 315, scheint mir mit „etwas“ überrascht und „nachdrücklicher“ Ton nicht exakt die amerikanische Wendung „`somewhat´surprised“ und „strong tone“ wiederzugeben, vielmehr eher abmildernd zu sein. 32 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Schreiben (Copy) APO 757-Frankfurt. John McCloy am 20.3.1950 an Kar- dinal Faulhaber. 33 Ebda. 34 Ebda., Schreiben des Office of the United States High Commissioner for Germany, APO 757, am 27.3.1950 an Landesbischof Meiser. 35 Ebda. 36 Ebda. 37 Ebda.

396 Schulfragen sei nur, „möglichst vielen Deutschen gute Erziehungsmöglichkeiten zu ... ver- schaffen ... in Bezug auf die Bekenntnisschulen hätten die Amerikaner nicht die Absicht ein- zugreifen“.38 Nach diesem allgemein gehaltenen Gespräch kam es am darauffolgenden Tag zu einer Unterredung zwischen Dr. Offner von der Erziehungsabteilung des Amtes des Lan- deskommissars für Bayern und Schmidt und Vischer. Offner erklärte, daß Winnings Anmer- kungen zum Schulorganisationsgesetz vor den Landtagsausschüssen „keine offizielle Äuße- rung der Militärregierung, sondern lediglich eine ratsame Äußerung des Experten der Militärregierung“ gewesen seien. Die Bedenken Winnings seien „nicht eigentlich inhaltli- cher, sondern formaler Natur. Man habe bei den Experten den Eindruck, daß die allgemei- nen Bestimmungen der Verfassung mit den Einzelbestimmungen der Verfassung und dem- entsprechend dem Entwurf des Schulorganisationsgesetzes nicht genügend abgestimmt seien, und habe durch die gemachten Bemerkungen die deutschen Stellen dazu veranlassen wollen, daß die Verfassung in sich selber und mit dem Schulorganisationsgesetz besser abgestimmt wird. In welcher Richtung diese Abstimmung durchgeführt wird, darauf hät- ten die Amerikaner keinen Einfluß ausüben wollen.“39 Offner regte vorsichtig an, manches klarer auszudrücken, z.B. daß auch Anhänger der Gemeinschaftsschule ihre Kinder in einen Nachbarort schicken dürften, wenn es am Ort keine solche gebe, eine Bestimmung, die im Gesetz expressis verbis nur beim Fehlen einer Bekenntnisschule für das andere Bekenntnis vorgesehen war.40 Auch deutlichere Bestimmungen für religiöse und philosophische Min- derheiten, z.B. für israelitische und Waldorfschulen, wurden von Offner erbeten. Schmidt konstatierte, „daß es sich bei den Äußerungen von Dr. Offner nicht bloß um eine Klarstel- lung, sondern auch um ein Rückzugsgefecht handelt“.41 Schmidt hatte recht. Noch vorsichtiger hätten die Amerikaner ihre Einwände kaum formulieren können. Überraschend allerdings war Schmidts Begründung. Er schrieb: „Es scheint doch so gewesen zu sein, daß sich der Bekenntnisschule mißgünstig gesinnte deut- sche Berater bei der Land-Commission viel Gehör verschafft hatten und daß durch die Beschwerden der beiden Kirchen bei Mr. McCloy eine Änderung der amerikanischen Tak- tik veranlaßt wurde.“42 War es tatsächlich so, daß die Verfechter der Gemeinschaftsschule aus den Reihen der Deutschen kamen? Eher ließe sich doch vermuten, daß die Amerikaner selbst die beste Verwirklichung demokratischer Ideen in ihr sahen. Schmidts Anmerkung, daß die „höheren Stellen ... aus diesem Anlaß keinesfalls eine Auseinandersetzung mit den Kirchen heraufbeschwören“ wollten, traf zweifelsohne zu.43 Die Lösung des Konflikts um die Äußerungen Winnings wurde als so wichtig erachtet, daß der Bayerische Rundfunk eine Meldung darüber brachte, dahingehend, daß „von Seiten des Amtes des Landeskommis- sars endgültig festgestellt (wurde), daß gegen die Bekenntnisschulen wie sie in Bayern geplant sind, grundsätzlich keine Einwendungen bestehen“ und man sich „jeder Anwei- sung in dieser Angelegenheit enthalten“ wolle.44 Hatten sich bis dahin die Oppositionsparteien SPD und FDP möglicherweise Unter- stützung durch die Amerikaner erhofft, so wurden sie durch diesen Abschluß der Ausein- andersetzungen enttäuscht. Wilhelm Hoegner hatte ja selbst immer wieder eine stärkere Einbindung der Gemeinden in die Schulpolitik gefordert und billigte daher die Ansicht, daß

38 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Aktennotiz vom 11.5.1950. Betreff: Schulorganisationsgesetz. 39 Ebda. 40 Bay BSVK, S. 514 f [§ 7 (2) SchOG]. 41 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113) Aktennotiz vom 11.5.1950. 42 Ebda. 43 Ebda. 44 Dokumente zur Schulreform, S. 322. Meldung des Bayerischen Rundfunks vom 9.5.1950 über die Bespre- chung eines Vertreters der Militärregierung mit dem Vertreter der Evang.-Luth. Landeskirche.

397 Art. 83 BV durch die Bestimmungen des Schulorganisationsgesetzes verletzt würde.45 Die FDP hatte bei ihrer Kritik diesen Artikel nicht im Blickfeld; sie warf dem Kultusminister vor, im SchOG sei die Tendenz, „im Schulwesen die Grundsätze des Obrigkeitsprinzips und der kon- fessionellen Kulturpolitik zu verankern“.46 Die CSU wartete getrost ab, was die Proteste der Kirchen ergeben würden. Hatte Hundhammer am 6. Februar 1950 noch erklärt, die Stel- lungnahme der Besatzungsmacht müsse hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit den Staatsver- trägen mit den Kirchen ernsthaft geprüft werden,47 äußerte er am 25. Februar: „Ich werde mich ... zu den Einzelheiten der uns bekanntgegebenen Stellungnahme des Landeskom- misssars noch öffentlich äußern, wenn die offizielle Stellungnahme der katholischen Kirche vorliegt.“48 Er zweifelte anscheinend nicht am Ausgang des Konflikts, und er hatte keiner- lei Scheu, die Rolle der (katholischen) Kirche in seiner Schulpolitik als prägend zu erkennen zu geben. Außerdem hatte er wohl registriert, daß seine auf dem Verwaltungswege erlas- senen schulpolitischen Verordnungen zwar oft ingrimmig befolgt, aber befolgt und nicht mit wütendem Protest boykottiert wurden. Die Besatzungsmacht war den Gegnern also keine Hilfe, wie ein Vorfall im ober- bayerischen Staudach-Egerndach im Chiemgau bewies, wo die Versetzung einer sehr beliebten, aber der „falschen“ Konfession angehörenden Lehrerin von der dortigen Bekenntnisschule zu einem Schulstreik geführt hatte. Der Leiter des Amtes des Lan- deskommissars für Bayern, Bolds, schrieb dazu an Ministerpräsident Ehard, daß zwar das Kultusministerium rechtmäßig gehandelt habe, der Sache der Demokratie aber kein Dienst erwiesen worden sei. Er habe mit „beachtlicher Besorgnis“ von den Vorgängen gehört; gleichwohl betonte Bolds, sei sein Schreiben kein amtlicher Protest. „Im Falle der guten Ein- wohner von Staudach-Egerndach scheint sich ein Gemeinschaftsgeist von außerordentli- cher demokratischer Stärke entwickelt zu haben,“ meinte Bolds und fügte als „rein per- sönliche Bemerkung“ hinzu: „Ich kann nicht umhin, zu glauben, daß diese Menschen als bessere Christen sich verhalten haben, als die Herren, die die Versetzung einer 61-jährigen Lehrerin gegen den ausdrücklichen Wunsch der Lehrerin selbst wie auch der Gemeinde kurzfristig verfügt haben.“49 Dieser Brief bezeugte zwar, daß die amerikanische Besatzungsmacht präsent, schul- politisch jedoch so unwirksam geworden war, daß sie bayerischen Politikern nur noch mit persönlichen Bemerkungen ins Gewissen reden konnte. Der unbefriedigende Ausgang des Streites um die Schulreform in Bayern50 hatte schon im März 1949 in den eigenen Reihen zu der Erkenntnis geführt, daß „die Leute in der Erziehung[sabteilung] vor den bayerischen Klerikalen kapituliert hätten“.51 Im Falle des Schulorganisationsgesetzes konnte man diese Bewertung getrost übernehmen, denn ebenfalls im März 1949 hatte der Vertreter der Militärregierung, Bradford, vor dem kulturpolitischen und dem Rechts- und Verfassungs- ausschuß erklärt, daß es sich bei seinen Ausführungen nur um die Information darüber han- dele, was die Militärregierung über das Gesetz denke. Wenn aber auf bayerischer Seite die Ansicht bestehe, daß das Gesetz so, wie es vorliegt, richtig sei, werde man in keiner Weise auf die Entschlüsse Einfluß nehmen.52

45 BayHStA München. MK 61200. „Kritik am bayerischen Schulgesetz“. Süddeutsche Zeitung Nr. 30 vom 5.2.1950. Art. 83 (1) besagte, daß u.a. das Volks- und Berufsschulwesen in den eigenen Wirkungskreis der Gemeinden falle. 46 Ebda., MK 61220. „Anschlag auf die Verfassung“. Freie deutsche Presse, Coburg, Nr. 8 vom 25.2.1950. 47 Ebda., „Kritik am bayerischen Schulgesetz“. Süddeutsche Zeitung Nr. 30 vom 6.2.1950. 48 Ebda., „Anschlag auf die Verfassung“. Freie deutsche Presse, Coburg, Nr. 8 vom 25.2.1950. 49 Ebda., StK 113972. Schreiben 22/M/Ko206 des Amtierenden Landeskommissars Clarence M. Bolds (Über- setzung) am 26.1.1950 an Ministerpräsident Ehard. 50 siehe S. 265, 268, 290-295. 51 Dorn, Inspektionsreisen, S. 142. 52 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht Nr. 168. 168. öffentliche Sitzung am 5.7.1950. S. 566.

398 6.6. PUBLIZISTISCHE UND POLITISCHE AUSEINANDERSETZUNG UM DIE BEKENNTNISSCHULE UND DAS SCHULORGANISATIONSGESETZ

In seinem Aufsatz über Konfessionsschulen hatte Walter Dirks bereits 1946 als Lösung vorgeschlagen, man möge territorial verschiedene, „den jeweils gegebenen Sonderver- hältnissen möglichst gerecht werdende Kompromisse finden.1 Diese Empfehlung konnte in Bayern nicht verwirklicht werden, es fehlte nicht nur die Integrationsfigur im schulpoliti- schen Bereich, es stand an entscheidender Position mit Kultusminister Hundhammer ein Mann, der die Befürworter und die Gegner unversöhnlicher werden ließ. In Bayern, so bekundete Wilhelm Hoegner vor der Landesversammlung der bayerischen SPD, dürfe man die religiösen Gefühle der Bevölkerung nicht mißachten oder gar verletzen, andernfalls man gut daran täte, für seine politische Tätigkeit andere Gefilde aufzusuchen;2 aber das von Hundhammer vertretene „klare dogmatisch geprägte Christentum“,3 das ihm von seinem Parteifreund Meixner bescheinigt wurde, und die „zu viele(n), teilweise recht prononcier- te(n) Wahlversammlungen“4 und Reden, bei denen ihm nichts daran lag, sich konziliant aus- zudrücken, dienten weniger der Rücksichtnahme auf religiöse Gefühle als vielmehr der Auf- spaltung in gut und böse. So wurden, da man bei Hundhammer natürlich katholische Kirche mitdachte, Freie und Sozialdemokraten und auch politisch nicht gebundene Bürger, die eine andere Meinung hatten oder einen alternativen Weg vorschlugen, „unversehens zu Irren- den und Sündern im dogmatischen und moralischen Sinn, wenn nicht gar zu Handlangern des Antichrist“.5 Auf diese Weise gelang es nicht, Formulierungen zu finden, wie sie etwa der Referentenentwurf für ein Schulverwaltungsgesetz für Niedersachsen aufwies, nämlich: „Für die Aufnahme in eine Schule dürfen weder die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung der Eltern noch das Religionsbekenntnis bestimmend sein. Die öffentlichen Schulen vereinigen die Schüler aller Bekenntnisse in gegenseitiger Duldung und Achtung.“6 Eine scharfe Trennung gab es zwischen Gegnern und Befürwortern der Bekennt- nisschule in Bayern. Letztere standen - was nicht verwundern konnte - zumeist im katholi- schen Lager. Sie forderten das Ideal der „lückenlosen Erziehung ... in den klaren und unge- brochenen Linien unserer katholischen Christlichkeit ... und die Begegnung mit der Welt aus der alle Wirklichkeit umfassenden Blickrichtung der Kirche ...;“7 sogar die staatlich ein- gerichtete Bekenntnisschule wurde als nur „erträglich“ bezeichnet, da ihr trotz allem das „Übel staatlichen Übergriffs in das Recht freier Entscheidung der Eltern“ anhafte,8 und einem Mann wie Kultusminister Hundhammer wurde vom Katholischen Männerverein „Casino“, Nürnberg, „für seine kluge und von höchstem Verantwortungsgefühl zeugende Behandlung der Schulfrage rückhaltloses Vertrauen ausgesprochen und treue Gefolgschaft zugesichert“.9 Die Gegner der Bekenntnisschule waren der Ansicht, daß die seit Jahrhun-

1 Dirks, Konfessionsschulen?, S. 15. 2 Kritzer, S. 288. 3 AdsD Bonn. Bay. Rundfunk. Pressestelle/124. „Aus dem Maximilianeum berichtet Ottmar Katz.“ 16.12.1950, 17.45-18 Uhr. 4 Verhandlungen des Bayer. Landtags. 42. Sitzung am 11.12.1947, S. 444. 5 Die Bayerische Schule, 7. Jg. Nr. 22/23 vom 20.8.1954, S. 361 (Walter Dirks: „‘Die Klerikalen‘ und die ‚Libe- ralen‘“). 6 LKAN. LKR VI 1100 a (3065). Abschrift des Referentenentwurfs, o.D. 7 Denkschrift zur Schulreform. Katholische Grundsätze und praktische Vorschläge. Hrsg. vom Bund katholi- scher Erzieher. Köln 1948, S. 13. 8 Hubert Becher S. J.: Freiheit und Einheit der Schule. In: Frankfurter Hefte, 2. Jg. Heft 4/April 1947, S. 403-408 (S. 405). 9 Archiv des Erzbistums Bamberg. St. Heinrichsblatt. Bistumsblatt für die Erzdiözese Bamberg. 60. Jg., Nr. 1 vom 2.1.1949, S. 7.

399 derten bestehende Verquickung von Politik und Religion „gerade für Deutschland und für Bayern im besonderen ein Unglück“ darstelle, von dem man endlich loskommen müsse.10 Walter Dirks sah in den Bekenntnisschulen die Gefahr der Absonderung gerade der katho- lischen Konfession vom Schicksal der Nation, obwohl eine überkonfessionelle Schule „dem Ernst des Bekenntnisses nicht völlig gerecht“ würde.11 Gerhard Storz, nachmaliger CDU- Kultusminister von Baden-Württemberg, forderte die christliche Schule, da „die Enge und Schmalbrüstigkeit der Konfessionsschule“ nicht der rechte Weg sei. Zum Beweis führte er die neue Partei der CDU an, in der christliche Politiker beider Konfessionen sich gefunden hätten. Man könne diesen neuen Baum nicht gleich wieder seiner Wurzeln berauben, indem man Konfessionsschulen einführe. Auch in diesem Bereich sei das christliche Bewußt- sein gefordert, nicht das konfessionelle.12 Daß SPD und FDP und diesen Parteien nahestehende Personen die Bekenntnisschule rundweg ablehnten, war selbstverständlich. Man beschuldigte die CSU, „Anwalt des dog- matischen Ultramontanismus“ zu sein, und sah hinter dieser Partei den „politische(n) Kleri- kalismus“, der den Kultusminister dirigiere.13 Die Sozialdemokraten beanstandeten auch, daß man „(n)ur für die Schüler der arbeitenden Bevölkerung ... heute noch eine Trennung nach Konfessionen für erforderlich“ halte. Das sei ein „untragbarer Zustand, zumal die gesamte Ausbildung darunter“ leide.14 Dieses Argument war in der Tat nicht von der Hand zu weisen; denn die praktische Umsetzung des Schulorganisationsgesetzes zeigte, daß häu- fig das sog. Bildungsbürgertum Mittel und Wege fand, den Bestimmungen auszuweichen.15 Die SPD führte gegen das Gesetz außerdem die Belastung des Staatshaushalts durch die Errichtung gesonderter Bekenntnisschulen und die Versetzung von Lehrern ins Feld16 und bedauerte, daß der bayerische Ministerpräsident „trotz toleranterer Auffassung in diesen Fragen nicht imstande (sei), sich gegen seinen unduldsamen und vor unfairer Kampfeswei- se nicht zurückschreckenden Kultusminister durchzusetzen“.17 Die Regierung lasse Hund- hammer „für seine klerikal ausgerichtete Kulturpolitik in jeder Hinsicht freie Hand ...“18 Dabei dürfe der Staat seine Herrschaftsbefugnisse gegenüber der Schule nicht, auch nicht teilweise, an eine andere Organisation, z.B. die Kirche, abtreten, und es gebe auch gar kei- nen Anlaß, die Bedeutung der Kirchen für die moralische Erziehung zu überschätzen; man denke nur an die Hexenverbrennungen oder den Dreißigjährigen Krieg.19 Die Freien Demo- kraten sahen im Bereich der Kulturpolitik ebenfalls ihre Aufgabe darin, „den Klerus und den Ultramontanismus daran (zu) hindern, seine finsteren Pläne zu verwirklichen, die darauf abzielen, Zustände des Mittelalters wiederherzustellen“.20 In einer mehrstündigen Beratung im Bayerischen Senat gleich zu Beginn der nahezu zwei Jahre andauernden Debatte um das Schulorganisationsgesetz wurden ähnliche Beden-

10 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 42. Sitzung am 11.12.1947, S. 444 (Abg. Linnert, FDP). 11 Dirks, Konfessionsschulen?, S. 15. 12 Gerhard Storz, Konfessionsschulen?, S. 12 f. 13 AdsD Bonn. Landesverband Bayern I. 18 (1947-1950). PV-Rundschreiben. RS Nr. 3/48. Landesvorstand der SPD am 22.1.1948 an alle Bezirke und Kreise der SPD in Bayern. Betreff: Bildung eines kulturpolitischen Arbeits- kreises zur Durchführung landespolitischer Aufgaben. gez. Waldemar v. Knoeringen. 14 Ebda., I/207. Sozialdemokratische Forderungen zur Schulreform unter besonderer Berücksichtigung der Ver- hältnisse in Bayern. (Dr. Siegfried Ziegler am 14.3.1950 an Waldemar von Knoeringen). 15 siehe S. 416. 16 AdsD Bonn. Landesverband Bayern I/158 (1950). Entwürfe und Vorwürfe für das Wahlprogramm der SPD 1950. o. D., o. V. 17 Ebda., Entwürfe und Vorwürfe für das Wahlprogramm der SPD, 22.3.1950, o.V. 18 Ebda., Entwürfe für das SPD-Wahlprogramm zur Landtagswahl 1950. o.D., o.V. 19 Ebda., Landesverband Bayern I/207. Fr. Schülen, Nördlingen, o.D. 20 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler. N1-56. Protokoll der Tagung des Landeskulturausschusses am 12.3.1950 in Nürnberg.

400 ken wie in den oppositionellen Parteien und Gruppen laut: Der Staat begebe sich eines wichtigen Hoheitsrechts, zu dem er verpflichtet sei, wenn er eine kirchliche Genossenschaft mit der Unterrichtserteilung an einer Bekenntnisschule beauftrage (Senator Friedrich Mein- zolt, Vertreter der Inneren Mission). Möglicherweise werde im Zuge dieses Gesetzes die geistliche Schulaufsicht in irgendeiner Form erneuert (Senator Dr. Thomas Breit). Ein Riß könne durchs Volk gezogen werden, und die Mißachtung der anderen Konfession entstehe, wenn das Gesetz einen jahrzehntelangen Streit entfachten würde (Senator Leonhard Hor- lacher). Senator Dr. Julius Spanier, der Vertreter des jüdischen Bekenntnisses, erklärte, daß nicht nur die christliche Religion imstande sei, moralische Grundsätze zu vermitteln,21 ein Argument, das auch die amerikanische Besatzungsmacht ins Feld geführt hatte.22 Im Mai 1950, als die Konfrontation mit den Amerikanern durch McCloy´s Einlenken abgewendet worden war und die Verabschiedung des Gesetzes durch den Landtag erwar- tet werden konnte, schrieb der Bayerische Lehrerverein an die Abgeordneten und beschwor sie, durch das Schulorganisationsgesetz eine Lösung zu finden, die dem Schulfrieden die- nen könnte. Sein Vorsitzender Hartmann bedauerte, daß die Schulartikel der Bayerischen Verfassung „den Weg zu einer freien Schulentwicklung“ verbaut hätten. Die Mehrheiten im Landtag ließen nicht auf eine Verfassungsänderung hoffen, aber mit dem neuen Gesetz habe man die Möglichkeit, „den Geist über die Form zu setzen und durch weitherzige Aus- legung und ohne Verfassungsverletzung auf dem Boden der Wirklichkeit und des gegen- seitigen Vertrauens“ zu einer Übereinkunft zu kommen.23 Das bayerische Volk bestehe nun einmal nicht nur aus „konservativen Altbayern“, sondern auch aus „Franken, Rheinfranken und Schwaben und seit kurzem auch aus einigen Millionen von Heimatvertriebenen aller Stämme und Glaubensrichtungen“. Bayern sei keine geschlossene konfessionelle Einheit, daher müsse ein Schulgesetz vor allem Toleranz atmen. Davon und von demokratischer Frei- heit sei bisher in der bayerischen Schulgesetzgebung nichts zu spüren. Sie sei zudem „unter möglichster Geheimhaltung hinter verschlossenen Türen geboren“ worden, im Unterschied zu Hessen, wo der Kultusminister sein „Gesetz über die Schularten“ vom 9. Januar 1950 mit den Worten einleitete: „Der Lehrerschaft und der pädagogisch interessierten Öffent- lichkeit lege ich hiermit den Entwurf eines Gesetzes über die Schularten ... zur Stellun- gnahme vor.“24 Der Lehrerverein schlug vor, bei der herrschenden Notlage der Volksschulen in allen Bereichen nur dann Änderungen vorzunehmen, wenn keine organisatorischen Verschlech- terungen, persönliche Härten oder nennenswerte Sonderausgaben entstünden. Zur Rechts- lage des Konkordats als Verfassungsgesetz verlangte man eine eindeutige Klärung, ebenso darüber, ob Art. 135 und 182 BV nicht im Gegensatz zu Art. 107 und 118 BV stünden und somit Grundrechte von Eltern, Kindern und Lehrern verletzt würden. Die Berücksichtigung des Bonner Grundgesetzes, das bisher nicht beachtet worden sei, verlangte man (Art. 3 und 4 GG), da Bundesrecht Landesrecht breche.25 Zum vielbeschworenen Elternrecht merkte der Lehrerverein an, es bestehe die Gefahr, daß Schule und Elternrecht als Werkzeug mißbraucht würden, um „Herrschaftsgelüste“ zu befriedigen. Wer das beabsichtige, dem sei Schule kein Ort pädagogischen Wirkens, sondern ein „Mittel zur Erweiterung und Ver- tiefung der eigenen egoistischen Machtsphäre“. Man solle in ein Schulorganisationsgesetz den Zusatz aufnehmen, daß das Elternrecht seine Begrenzung finde in der Elternpflicht,

21 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). BLD, München. 15.10.1948, Blatt 7 und 8. 22 siehe S. 397. 23 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Schreiben des Bayerischen Lehrervereins am 6.5.1950 an den Bayerischen Landtag. 24 Ebda. 25 Ebda.

401 „dem Kind die jeweils bestmögliche Erziehung und Ausbildung zu gewähren“.26 Der Leh- rerverein forderte dann u. a., daß den Anhängern der Gemeinschaftsschule „in jeder Hin- sicht die gleichen Möglichkeiten eingeräumt werden wie den Anhängern der Bekenntnis- schule“, daß Gemeinschaftsschulen auf Antrag auch an Orten mit bekenntnismäßig nicht gemischter Bevölkerung errichtet werden könnten, daß auch bei organisatorischer Tren- nung „durch Veranstaltungen aller Art und bei jeder Gelegenheit der Geist der Zusam- mengehörigkeit erhalten und gestärkt“ werde, daß „(d)ie Absplitterung konfessioneller Minderheiten ... nicht zur Isolierung der Heimatvertriebenen führen“ dürfe.27 Zum Schluß seiner Ausführungen betonte der Lehrerverein, daß er immer noch den Standpunkt vertre- te, ein Schulorganisationsgesetz könne erst dann beraten und verabschiedet werden, wenn vorher eine Schulreform durchgeführt worden sei.28 Aber hierin dachte Kultusminister Hundhammer genau umgekehrt, getreu der Maxime des Papstes: möglichst viele vollende- te Tatsachen schaffen, um auch eine rechtlich ungewisse Situation auf diese Weise festzu- schreiben. Ähnliche Bedenken wie der Bayerische Lehrerverein, nämlich daß versucht wurde, mit Hilfe des Begriffs Elternrecht die Macht der (katholischen) Kirche in der Volksschule auszu- weiten, trugen selbst Angehörige dieser Konfession. Clemens Münster, Mitherausgeber der Frankfurter Hefte,29 übte am 22. Februar 1950 im Rahmen des Mittwochskommentars des Bayerischen Rundfunks Kritik am Verhalten der Bischöfe, die nach seinem Verständnis eine religiöse, „keinesfalls aber eine politische Autorität“ darstellten. Der Verdacht liege nahe, und mehr wollte seiner Meinung nach der Vertreter der amerikanischen Landeskommissi- on, Winning, vor den Landtagsausschüssen auch nicht ausdrücken, „daß der Entwurf des Schulorganisationsgesetzes den Versuch darstellt, mehr für die Kirchen und für die nicht einmal im deutschen Episkopat unumstrittene Bekenntnisschule herauszuschlagen, als der Verfassung und den mit den Kirchen abgeschlossenen Verträgen entspricht“.30 Gleich am nächsten Tag nutzte Hundhammer die Sendereihe des Bayerischen Rundfunks „Die Regie- rung spricht“, um an Münster adressiert auszuführen: „Es geht nicht an, ... daß katholische Laien in dieser Frage (nämlich der Bekenntnisschule) katholischen Bischöfen eine Belehrung erteilen zu können glauben. Die Schule greift weit ins religiöse Gebiet.“31 Solche Äußerungen konnten selbst wohlwollende Zeitgenossen im höchsten Maße irritieren. Der Verfasser des hier zitierten Aufsatzes konstatierte zu Recht, daß der Kampf um die Bekenntnisschule sich verschärfe, was man ohne weiteres an der organisierten Dif- famierung des Kultusministers erkennen könne. Fast die gesamte Presse und der Rundfunk würden sich in den Dienst dieses Kampfes stellen und besonders schwer wiege, daß die Besatzungsmacht ihn „zwar nicht offen, aber umso wirksamer“ fördere. Gefährlich sei vor allem „die Verwirrung, die durch einige Politiker aus den Reihen der CSU und durch katho- lische Publizisten innerhalb des katholischen Lagers, besonders der jüngeren Generation“, angerichtet werde.32 Verhängnisvoll mußten ihm die Äußerungen Walter Dirks´ erscheinen, der ernsthaft darüber nachdachte, ob eine „neutrale Staatsschule durch guten Religions- unterricht, aber auch durch eine entsprechende Personalpolitik, einen geeigneten Lehrplan und andere Querverbindungen“ nicht den Versuch machen könne, „die Kraft des christli-

26 Ebda. 27 Ebda. 28 Ebda. 29 Münster galt als liberaler Katholik. Er war ein eigenwilliger Publizist, von 1946-49 Mitherausgeber der Frank- furter Hefte, ab Juli 1949 Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks und dort ab 1954 Chef der Abteilung Kul- tur und Erziehung . 30 Archiv des Erzbistums Bamberg. Rep. 1 Nr. 12 vorläufige Signatur. „Schulorganisationsgesetz und zuneh- mender Kampf gegen die Bekenntnisschule.“ o. Verf., o. D. 31 Ebda. 32 Ebda.

402 chen Glaubens und der christlichen Bekenntnisse ... für sich fruchtbar zu machen“.33 Dirks´ Fazit war eben nicht Bekenntnisschule. Für ihn boten sich keine idealen Lösungen an, da die Nation schicksalhaft an der Scheidung zwischen Katholiken und Protestanten, Christen und Nichtchristen leide. Und das mache die Schule so problematisch.34 In einem späteren Aufsatz modifizierte er seine Ausführungen zur Bekenntnisschule. Sie bedeute zwar „den Verzicht auf die Verwirklichung der Volksgemeinschaft [sic!] in der Schule“, den man „nicht leichtfertig, sondern nur mit Trauer ins Auge fassen (sollte) ...“35 Gleichwohl favorisierte er sie mit der Begründung, daß man nicht nur die Verantwortung habe „für die Schicksale der katholischen und der evangelischen Kinder“. Man müsse an die Kinder denken, deren Eltern nicht überzeugte Christen seien. Es sei nicht an ihre „Bekehrung“ gedacht, „sondern an die stille Macht der Zeugenschaft, vor allem aber an die Bildung des Charakters und die heute so gefährdete Ausstattung mit der ‚natürlichen Moral‘“.36 Zugegeben sei „ohne wei- teres, daß es manchen Männern der Kirche und ihren politischen Freunden in Wahrheit nicht auf das Gewissensrecht der Eltern, sondern auf den Einfluß der kirchlichen Autorität (ankomme) ... Aber selbst diese Absicht (sei) nicht ohne weiteres Herrschsucht, sondern viel öfter echte Hirtensorge“.37 Das Schulorganisationsgesetz und seine Durchführungsbestimmungen waren „recht- zeitig“ in Kraft getreten, bevor die Landtagswahl am 26. November 1950 der CSU eine empfindliche Niederlage bescherte. Sie erhielt nur noch 64 der innegehabten 104 Land- tagssitze, nachdem sich ihr rechter Flügel aufgespalten hatte und teilweise als neugegrün- dete Parteien - BP und DG (Deutsche Gemeinschaft) - in den Landtag eingezogen waren.38 Da die SPD ihren Wahlkampf hauptsächlich gegen Kultusminister Hundhammer geführt hatte, konnten Koalitionsverhandlungen mit der CSU nur unter der Prämisse stattfinden, daß Hundhammer auf keinen Fall sein Amt beibehalten durfte.39 Das Schulorganisations- gesetz aber war da, und obwohl es Nachbesserungen erfuhr, beeinflußte es mit seinen Bestimmungen die schulpolitische Landschaft entscheidend in Richtung auf die Bekennt- nisschulen. Am 1. Dezember 1950 gab es eine Entschließung zur Achtung der religiösen Empfindungen der Schüler der Bekenntnisminderheit, die keinesfalls als „Gastschüler“ zu betrachten seien und deren Behandlung „besonderes pädagogisches und religiöses Takt- gefühl der Lehrkraft“ erfordere.40 Bereits am 5. Dezember folgte die Entschließung zur Berücksichtigung der Minderheit beim Religionsunterricht,41 die empfahl, den Religionsun- terricht möglichst auf gleiche Stunden bzw. wenigstens auf Eckstunden zu legen. War das nicht möglich, sollten die Schüler des anderen Bekenntnisses in einem anderen Klassen- zimmer beschäftigt werden. Da auch diese Regelung durch örtliche Schwierigkeiten nicht immer durchgeführt werden konnte, mußten die Schüler der Bekenntnisminderheit aus Gründen der Aufsichtspflicht und der sich daraus ergebenden Haftung im „Religionsunter- richt des Mehrheitsbekenntnisses“ anwesend sein, durften aber auf keinen Fall zum Unter- richt herangezogen werden. Wenn sich die Vertreter der jeweiligen Kirche mit dieser Ent- schließung zufriedengaben, so waren sie fern aller Praxis, denn ein aufgewecktes Grund- schulkind hörte wißbegierig und neugierig dem Unterricht, aus dem es ausgeschlossen war, zu, zumal wenn er von einem Pfarrer im schwarzen Talar erteilt wurde, und das Verlangen

33 Dirks, Konfessionsschulen?, S. 14. 34 Ebda. 35 Walter Dirks, Wir wollen keinen Kulturkampf! In: Frankfurter Hefte. 4. Jg. Heft 4/April 1949, S. 324-332 (S. 327). 36 Ebda. 37 Ebda., S. 329. 38 Kritzer, S. 308; Hoegner, S. 313 f. 39 Hoegner, S. 313 f. 40 Bay BSVK, S. 629. KMBl. 1950 S. 415-Nr. IV 85272. 41 Ebda., S. 630. KMBl. 1950 S. 415-Nr. IV 86351.

403 dazuzugehören, vor allem wenn es sich allein in einer bekenntnisfremden Klasse befand und die (evangelischen) Eltern in Glaubensdingen eher indifferent waren, konnte durch eine Entschließung nicht unterdrückt werden.42 Die Gefahr einer „Bekehrung“ unter solchen Bedingungen bestand durchaus. Möglicherweise war das auch ein Grund, warum FDP und SPD nicht aufhörten, die Gemeinschaftsschule mit getrenntem Religionsunterricht zu verlangen, auch wenn die Pro- gramme und Forderungen die „loyale Durchführung des Konkordats und der Kirchenver- träge“ berücksichtigten.43 „Keine Benachteiligung der verfassungsmäßigen Schulformen“ war sehr vorsichtig formuliert; im selben Atemzug hieß es aber auch: „Verbesserung des Schulorganisationsgesetzes.“44 Und an anderer Stelle las man: „... Für uns bleibt die Gemeinschaftsschule als Regelschule eine prinzipielle Forderung ... (E)ine Aufgliederung der Kinder nach Konfessionen (steht) der allgemeinen Auffassung über eine demokratische Erziehung entgegen ...“45 Die Kritik an den Kirchen in diesem Bereich wollte die SPD nicht auf die Religion bezogen wissen, sondern auf deren politische Betätigung.46 Die Liberalen verfochten weiterhin ihren in Bayern immer eingehaltenen Kurs, ver- langten die christliche Gemeinschaftsschule zur Erziehung zu gegenseitiger Duldung und zur Einigung der deutschen Jugend durch gemeinsames Erleben.47 Gleichwohl zeigten sie sich in Grenzen kompromißbereit, um „von dem toten Geleise des Konfessionsschulpro- blems herunterzukommen und gewissen Kreisen die Möglichkeiten zu nehmen, ihre kul- turkämpferischen Tendenzen auf diesem Gebiete weiter zu verfolgen“. Ihre „praktische(n) Anregungen“ lauteten: Die „Christliche Volksschule“ solle Regelschule sein, „in der die Klas- sen 1-4 konfessionell getrennte Züge sind. Von der 5. Klasse an erfolgt eine neue Einteilung entsprechend der prozentualen konfessionellen Zusammensetzung der Schule. Dem gemeinsamen Lehrkörper gehören je ein Geistlicher der beiden Konfessionen an, die Schu- le untersteht einem Rektor der Konfession, der die Mehrheit der Schüler angehört, und einem Stellvertreter der anderen Konfession. Bundeseinheitlichkeit ist anzustreben“.48 Während die „praktischen Anregungen“ der FDP nicht aufgegriffen wurden, gab die SPD, Bezirk Franken, eine „Arbeitsanweisung“ heraus, „mit deren Hilfe es jedem Ortsverein möglich ist, dem Gesetz Rechnung zu tragen und den Kampf um die Erhaltung und Errich- tung von Gemeinschaftsschulen erfolgreich zu bestehen“.49 Die Partei sah es als ihre Auf- gabe an, den Eltern die Furcht vor dem „Gewissensterror“ zu nehmen. „Bildet sofort mit Vertretern der FDP und der Flüchtlinge Arbeitsausschüsse für Einführung der Gemein- schaftsschule. An manchen Orten kann es sein, daß Bayernpartei und WAV mitmachen. Meist werden sie zu den Gegnern gehören. Hauptgegner ist die CSU, mit der in dieser Frage

42 siehe S. 419. 43 Kritzer, S. 333. (Koalitionsvereinbarungen zwischen SPD, Bayern-Partei, Gesamtdt. Block BHE und FDP am 10.12.1954). 44 Ebda. 45 AdsD Bonn. Landesverband Bayern I/207. Sozialdemokratische Forderungen zur Schulreform unter beson- derer Berücksichtigung der Verhältnisse in Bayern. (Dr. Siegfried Ziegler am 14.3.1950 an Waldemar von Kno- eringen). 46 Scharfenberg Bd. 1, S. 7 f (Quelle: Protokoll der Verhandlungen des Parteitages der SPD vom 24.-28.9.1952 in Dortmund. Hrsg. v. Vorstand der SPD, Bonn, o.J., S. 111). 47 Scharfenberg, Bd. 3, S. 15 (Quelle: Leitsätze zur Kulturpolitik der FDP. Hrsg. v. der Bundesgeschäftsstelle der FDP, Bonn 1952); vgl., dazu ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1-67. Forderungen der FDP. Entwurf, ausgehend vom Stuttgarter Programm und der Bremer-Plattform, ausgearbeitet von Baarfuß, München, am 14.4.1950; ebda., Entwurf von Hans-Wolf v. Wietersheim, nach Landesvorstandsbeschluß vom 26.2.1950. 48 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler N1-94. Anlage zur Denkschrift: „Liberale Politik und christlicher Glau- be“. Liberale Politik und die Anliegen der Kirchen. Praktische Anregungen. Oktober. 1952, S. 3. 49 BayHStA München. MK 61203. S.P.D. Mitteilungsblatt Nr. 3. Sozialdemokratische Partei Deutschlands - Bezirk Franken. Nürnberg, am 15.3.1951. Für die Gemeinschaftsschule!

404 jede Verhandlung zwecklos ist.“50 Gegen den „rote(n) Totalismus der KPD“ wollte man sich jedoch abgrenzen, und so wurde den SPD-Genossen gesagt, daß „(e)in Zusammengehen der SPD mit der KDP in der Gemeinschaftsschulfrage ... nicht erwünscht“ sei.51 Die Gegner der Konfessionsschule versuchten also, mit Hilfe der im Schulorganisationsgesetz vorgese- henen Möglichkeiten die Errichtung von Gemeinschaftsschulen zu verwirklichen, sicher nicht nur, weil ein Parteiprogramm das vorsah, sondern auch, weil die negativen Folgen des Gesetzes, von verschiedenen Seiten so vorhergesagt, bald offenbar wurden.

6.7. AUSWIRKUNGEN DES SCHULORGANISATIONSGESETZES

Ob die ganze Tragweite des Schulorganisationsgesetzes seinen Gegnern von Anfang an bewußt war, ist schwer zu beurteilen. Ihre Argumentation gegen das Gesetz zeigte aber die Punkte auf, die in seinem Gefolge immer wieder zu Streitigkeiten führten: die Gefahr der sog. Zwergschulen, die Belastung der Gemeinden und die Benachteiligung der konfes- sionellen Minderheit. Vor allem der Bayerische Lehrerverein versuchte, mit allen möglichen Zahlen und Statistiken zu beweisen, daß das Gesetz, sobald es vollzogen werde, gut aus- gebaute Schulen in Bayern zersplittern und eine Unmenge einklassiger, höchstens zwei- klassiger Schulen entstehen lasse. Man bemühte sich, ganz sachlich zu argumentieren, und hielt sich an die Beschlüsse der Hauptausschußsitzung am 28./29. Juni 1947, auf der die „grundsätzliche Haltung“ des BLV niedergeschrieben worden war, z.B. daß der Verein keine Mehrheitsbeschlüsse „in religiösen, weltanschaulichen und parteipolitischen Fragen (z.B. Konfessions- und Gemeinschaftsschulen ...)“ fassen wolle.1 Mehrere Eingaben2 an die mit dem Gesetz befaßten Stellen und wiederholte Aus- führungen in der Bayerischen Schule warnten vor dieser Entwicklung. Man befürchtete vor allem die „Verschlechterung des gesamten bayerischen Volksschulwesens“.3 Zahlen sollten diese Verschlechterung verdeutlichen. An die eigenen Kreis- und Bezirksvereine schickte der Lehrerverein Anfang März 1949 eine Aufstellung darüber, wie sich die Schullandschaft im Landkreis Fürth-Land verändern könnte. Unter der Rubrik „heute“ wurden z.B. für die Gemeinde Roßtal 461 evangelische und 136 katholische Schüler in der einzigen am Ort bestehenden Schule benannt; dazu sieben evangelische und zwei katholische Lehrer. Die Rubrik „in Zukunft“ gab an, daß es eine evangelische Schule mit neun evangelischen Leh- rern und eine katholische Schule mit drei katholischen Lehrern geben werde. Man folgerte daraus, daß drei Versetzungen notwendig würden. Das Beispiel der Gemeinde Rehdorf zeig- te, daß nicht nur zwei Versetzungen von Lehrern erforderlich würden, sondern die gesam- te Schulsituation eine andere sein würde. 49 evangelische und 37 katholische Schüler wur- den hier von zwei evangelischen Lehrern betreut. Mit der Trennung der Schüler nach Kon- fessionen würden aus der zweiklassigen Schule zwei einklassige Bekenntnisschulen entste- hen; ein katholischer Lehrer war dann einzustellen, ein evangelischer zu versetzen.4 Im Mai

50 Ebda. 51 Ebda.

1 Archiv des BLLV München. „Der Bayerische Lehrerverein. Seine grundsätzliche Haltung“. 19.11.1947. 2 z.B. am 18.2.1949 (Buchinger, S. 210) und am 6.5.1950 (LKAN. LKR VI 1105. Bd. 1 (3113). 3 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Schreiben des Bayerischen Lehrervereins am 6.5.1950 an den Bayerischen Landtag. S. 6; Die Bayerische Schule, 3. Jg. 1950. S. 301; Ebda., S. 116, S. 118, S. 167; Ebda., 2. Jg. 6/Juni 1949, S. 225 f; 7/Juli 1949, S. 260; Ebda., 3. Jg./1950, S. 284;. Ebda., 2. Jg. 4/April 1949, S. 144. 4 ACSP München. NL Müller 270 (Schulwesen 1946-50). Bayerischer Lehrerverein am 5.3.1949 an die Kreis- und Bezirksvereine.

405 1949 sprach der Lehrerverein für ganz Bayern von einer Zunahme einklassiger Schulen von etwa 1600 auf rund 3200. Er berief sich dabei auf Zahlenmaterial des Statistischen Landes- amtes vom 2.5.1949.5 Eine Eingabe an den Bayerischen Landtag am 15. Juni 1950 sprach von einer möglichen Vermehrung einklassiger Schulen von 1588 auf 3292 und einer Ver- minderung teilweise ausgebauter Schulen um 239 und vollausgebauter Schulen um 49.6 Mit der Verschlechterung der Schulsituation, die für den BLV auch die Minderung des Leistungsstandes bedeutete, gingen zudem die Versetzungen der jeweils benötigten oder überflüssigen evangelischen und katholischen Lehrer einher. Für Mittelfranken sollten das 186 katholische und 46 evangelische Berufungen sein, dagegen 31 katholische und 109 evangelische Abberufungen. Insgesamt würden also 217 katholische und 155 evan- gelische Lehrer versetzt werden, und es entstünde ein Mehrbedarf von 92 Lehrern. Da ja eine Bekenntnisschule der Konfessionsminderheit bereits ab 25 Schüler eingerichtet wer- den konnte, waren diese Zahlen bei aller Vorsicht durchaus glaubwürdig. Zusätzlich hatte man errechnet, daß zwischen den bayerischen Regierungsbezirken ein reger Lehrertausch stattfinden müsse. Mittelfranken benötigte danach 155 zusätzliche katholische Lehrkräfte, mußte aber 63 evangelische Lehrkräfte abgeben.7 Auch wenn man nicht von der Hand wei- sen konnte, daß der Bayerische Lehrerverein für die Aufstellungen die für ihn günstigsten Zahlen ausgewählt hatte,8 so war doch seine Forderung, „zunächst in ganz Bayern Erhe- bungen über die Auswirkungen des Schulorganisationsgesetzes durchzuführen“,9 sehr ver- nünftig. Abteilung III des Kultusministeriums nannte am 17. Dezember 1951 folgende Zah- len: ungeteilte Schulen 1947: 1245; 1950: 1598; 1951: 1612.10 Zusätzlich befürchtete der BLV, daß die „Atomisierung“ der Schule eine innere und äußere Schulreform mit Differen- zierung nach Begabung („die differenzierte Einheitsschule, die Hebung der Leistung“) nahe- zu unmöglich machen würde.11 Darüber machte sich Kultusminister Hundhammer nun keine Gedanken mehr, da er zu dem Zeitpunkt alle Zumutungen einer Schulreform erfolg- reich abgeschmettert hatte.12 Ein weiteres Argument des Lehrervereins war der Hinweis dar- auf, daß einklassige Schulen besonders befähigte Lehrer erforderten. Gerade diese würden jedoch „nur zu oft aus bekannten Gründen (Schwierigkeiten des Unterrichts, primitive Lebensverhältnisse, wenig Fortbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten, größere Abhängig- keit von der Gemeinde, größere Kosten für das Studium der eigenen Kinder usw.) von der Landschule wegstreben. Schlechte Lehrer sind aber für eine Landschule und besonders für die ungeteilte ein schwerer Schaden“.13 Der Bayerische Lehrerverein war mit seinen Befürchtungen eins mit den Freien Demo- kraten und den Sozialdemokraten. Der Abgeordnete Beck (SPD) sagte voraus, das Gesetz werde „wie eine Atombombe“ wirken und die Leistungsunfähigkeit der bayerischen Volks- schule begünstigen.14 Das sei umso besorgniserregender, als dadurch der Bildungsstand der

5 Die Bayerische Schule, 3. Jg. 1950, S. 301. 6 LKAN. LKR VI 1105. Bd. 1 (3113). Schreiben des Bayerischen Lehrervereins am 15.6.1950 an den Bayer. Land- tag. An anderer Stelle wird ein Rückgang der voll ausgebauten Schulen von 502 auf 389 vermerkt. (Huelsz, S. 165). 7 Ebda. 8 Im Jahr 1954 sprach Wilhelm Ebert, der damalige Leiter der Schulpolitischen Hauptstelle der BLLV von einer Vermehrung der einklassigen Schulen in Bayern von 906 auf 1771 seit 1949. (BLLV Archiv München. Vortrag Wilhelm Eberts in Weißenburg am 3.7.1954: Lehrerschaft, Schulpolitik und Landtagswahlen). 9 Huelsz, S. 165. 10 BayHStA München. MK 61314. 11 Die Bayerische Schule, 3. Jg. 1950, S. 301. 12 siehe S. 308 f. 13 Die Bayerische Schule, 2. Jg. 6/Juni 1949, S. 226. 14 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenograph. Bericht. 168. Sitzung am 5.7.1950, S. 595 ff; AdsD Bonn. Landesverband Bayern I/207; vgl. dazu: Fr. Schülen, Nördlingen: Die Konfessionsschule und die Folgen, o.D. (wahrscheinlich 1949); Scharfenberg, Bd. 3, S. 15; Kritzer, S. 333.

406 westlichen Welt nicht erreicht werden könne, obwohl gerade darin die Existenzfrage Deutschlands begründet liege.15 Die FDP sprach sich ebenfalls gegen die Aufsplitterung des Schulsystems aus, und Thomas Dehler stellte rückblickend 1966 fest, das vorausgesagte Bil- dungsdefizit habe sich zum Bildungsnotstand entwickelt.16 Während aber der Bayerische Lehrerverein die einklassige Schule als einen „bedau- erlichen Notbehelf, eine Tortur für Lehrer und Schüler“17 ansah und Thomas Dehler sie als unzeitgemäße „Idylle“18 abwertete, betonte die CSU wiederholt den Erziehungswert einer ungeteilten Schule und behauptete, daß die Verwirklichung des Arbeitsschulgedankens zwar nicht die Still-„beschäftigung“, aber die Still „arbeit“ verlange, die nun nicht mehr als Notmaßnahme, sondern als „notwendige Bildungsform und wertvolle Ergänzung des direk- ten Unterrichts“ gelten müsse.19 Mehrere Jahrgänge in einer Klasse vereint seien für eine „echte Gemeinschaftsbildung“ außerdem günstiger.20 Das „Lob der Einklassigen“ wurde gesungen, in der die zugegebenermaßen geringere Menge an Stoff doch besser verarbeitet und zum „unverlierbaren Besitz des Kindes“ würde. Und „wieviele bedeutende Menschen waren Schüler einer einklassigen Schule!“21 Die heile Welt der dörflichen Zwergschule wurde hier beschworen, in der das „Zusammenleben verschiedener Altersstufen und das Zusammenlernen in Abteilungen und Gruppen ... die Entfaltung eines bodenständigen Schullebens“ begünstigten.22 Auch angesichts der realen Verhältnisse wollten die Konser- vativen nicht von diesem Bild lassen, glaubten - wider besseres Wissen? - dadurch die ange- strebte verstärkt religiöse Erziehung besser verwirklichen und auf diese Weise der Säkulari- sierung in Bayern entgegensteuern zu können. Ein weiteres wichtiges Argument gegen die mögliche Entstehung vieler uneffizienter Zwergschulen führte Theodor Heuß (FDP) im Parlamentarischen Rat an: „Ich sehe die Gefahr, daß wir nun überall konfessionelle Minderheits-Zwergschulen bekommen. Die Kin- der sind dann nicht nur katholische oder evangelische Minderheiten, sie gehen in ihre Zwergschule als Sudetenleute, als Schlesier, als Ungarländer. Das heißt, das diese Generati- on nicht um ihres Glaubens, sondern um ihrer Herkunft willen in diesem und jenem Dorf die Kinder isoliert, obwohl es das größte nationalpolitische Anliegen wäre, das Zusammen- wachsen dieser Altersklassen nicht zu erschweren.“23 In ihrer Bremer Plattform 1949 argu- mentierte die FDP entsprechend, daß die Bekenntnisschule abzulehnen sei, da sie das Zusammenleben der Heimatvertriebenen mit der einheimischen Bevölkerung erschwere und konfessioneller Zwietracht Vorschub leiste.24 Auch der Bayerische Lehrerverein wies nach- drücklich darauf hin, daß „sich die konfessionellen Minderheiten zumeist mit den Neubür- gern decken, daß also die schulische Ausbürgerung der konfessionellen Minderheit mit der Errichtung von Neubürgerschulen gleichzusetzen“ sei.25 Davon verspreche man sich keine Überbrückung der Gegensätze.26 Das war allerdings ein Gesichtspunkt, der die Kirchen nicht

15 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenograph. Bericht. 168. Sitzung am 5.7.1950, S. 595 ff. 16 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N 1-370. FDP Pressedienst Nr. 85/66 - 14.11.1966. Thomas Dehler: 20 Jahre Bayerische Verfassung - Bestätigung der Liberalen; vgl. Juling, S. 93 (Bremer Plattform 11./12.7.1949); ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N 1 - 324. Kulturpolitische Richtlinien der FDP Bayern, 1954, S. 4. 17 LKAN. LKR VI 1105. Bd. 1 (3113). Schreiben des BLV am 6.5.1950 an den Bayerischen Landtag, S. 6. 18 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1-370. FDP Pressedienst Nr. 85/66-14.11.1966. Thomas Dehler: 20 Jahre Bayerische Verfassung - Bestätigung der Liberalen. 19 Die Bayerische Schule. 3. Jg. 1950, S. 306. 20 Ebda. 21 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 168. Sitzung am 5.7.1950, S. 582 f. 22 Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen. Wallenburg-Stiftung Kempfenhausen. Bad Heilbrunn 1950, S. 22. 23 Die Bayerische Schule. 3. Jg. 1950, S. 116. 24 Peter Juling: Programmatische Entwicklung der FDP 1946 bis 1969. Einführung und Dokumente. Meisen- heim 1977, S. 93; vgl. dazu S. 454. 25 Die Bayerische Schule. 3. Jg. 1950, S. 285. 26 Ebda., 2. Jg. 6/Juni 1949, S. 226.

407 zu interessieren schien. Bereits im Herbst 1945 hatte das bischöfliche Ordinariat Regens- burg in einem Schreiben an die Schuldekane, die Neuordnung der Volksschulen betreffend, darauf aufmerksam gemacht, daß es sich „übergangsweise“ nicht vermeiden lasse, „daß andersgläubige Kinder als Gastschüler eine katholische Bekenntnisschule besuchen“.27 Zwar wies der Evang.-Lutherische Kirchenrat in seinem Schreiben an sämtliche Dekanate die Behauptung, daß Kinder der konfessionellen Minderheit Gastschüler seien, zurück,28 gleich- wohl erfolgte in Ostbayern die Errichtung von 90 evangelischen Schulen für die evangeli- schen Vertriebenen, da sich die Diözese Ostbayern nicht der Vereinbarung „zwischen der Erzdiözese München-Freising mit der Evang.-Lutherischen Kirche und dem Bayerischen Staat ... angeschlossen hatte, nach der in (konfessionellen) Notstandsgebieten anstelle der ver- fassungsgemäßen Bekenntnisschulen konfessionell gemischte Schulen mit Lehrkräften bei- der Konfessionen möglich sein sollten“.29 Die evangelischen Kinder blieben, solange sie an den katholischen Bekenntnisschulen waren, Gäste, und ein großer Teil der neu errichteten Schulen wurde wieder geschlossen nach der Abwanderung der evangelischen Vertriebe- nen.30 Da bis auf Mittelfranken und große Teile Oberfrankens in den übrigen bayerischen Regierungsbezirken Katholiken die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung bildeten, gin- gen die konfessionellen Zwergschulen zum größten Teil zu Lasten der evangelischen Min- derheit.31 Nach Berechnungen des Bayerischen Lehrervereins im Juni 1950 würden nach konsequenter Durchführung des Schulorganisationsgesetzes den 1746 katholischen unge- teilten Schulen 1546 evangelische einklassige gegenüberstehen; gemessen am Verhältnis beider Konfessionen in Bayern würden die evangelischen Schulkinder weitaus häufiger die leistungsschwächeren Zwergschulen besuchen. Nur 58 voll ausgebaute evangelische Volks- schulen stünden gegen 331 katholische, und mehr als 12,5 % der evangelischen Kinder wären auch weiterhin „Gäste“ in katholischen Bekenntnisschulen, bei den Katholiken nur 1,3 %.32 Nur 2,5 % der evangelischen Bekenntnisschulen wären achtklassig, 66 % aber ungeteilt. Bei den katholischen Bekenntnisschulen ging der BLV von 5,2 % achtklassigen und nur 33,3 % ungeteilten Schulen aus.33 Auch die evangelische Kirche betrachtete die Errichtung von Zwergschulen nicht ohne Sorge, allerdings gingen ihre Bedenken eine etwas andere Richtung. Man wollte diese Schu- len haben und stellte fest, daß die Eltern vielfach zumindest nach einer zweiklassigen Schu- le verlangten, daß also „die Errichtung dieser evang. Bekenntnisschulen ... um vieles erleich- tert werden (würde), wenn die evang. Bekenntnisschule wenigstens 2 Lehrkräfte bekommt“.34 Das war in vielen Fällen aber nur dann möglich, wenn evangelische Kinder der umliegenden Gemeinden diese Schule besuchen durften, was daran scheiterte, daß die Gemeinde mit der evangelischen Bekenntnisschule die anderen Gemeinden zur Zahlung der Schullasten mitverpflichten wollte. Das wiederum lehnten diese Gemeinden ab mit dem

27 BayHStA München. StK 113968. Schreiben des bischöflichen Ordinariats Regensburg am 29.9.1945 an die Herren Schuldekane. 28 LKAN. Kreisdekan Nürnberg 239. Schreiben Nr. 17170 des Evang.-Luth. Kirchenrats am 5.12.1946 an sämt- liche Dekanate. Betr.: Die gegenwärtige Lage auf dem Gebiet des Volksschulwesens. 29 Kornrumpf, S. 169. Er zitierte Wilhelm Koller: Die evangelische Flüchtlings-Diaspora in Ostbayern nach 1945. Verein für bayerische Kirchengeschichte, Neustadt/Aisch, 2. Auflage 1971, S. 37; siehe S. 364. 30 Kornrumpf, S. 169. 31 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113), wahrscheinlich „Nürnberger Nachrichten“ vom 15.7.1950, o.S. 32 Ebda., Schreiben des Bayerischen Lehrervereins am 15.6.1950 an den Bayerischen Landtag. Die Zahlen wur- den als Angaben des Statistischen Landesamtes deklariert. 33 Ebda., Zeitungsartikel aus dem „Münchner Merkur“ Nr. 173, S. 7, o.J. (wahrscheinlich Sommer 1950). 34 Ebda., Schreiben des Evang.-Luth. Dekanats Ingolstadt (Obb.) am 25.4.1950 an den Evang.-Luth. Landeskir- chenrat München. Betreff: Schulorganisationsgesetz.

408 Bemerken, es sei ja am Ort eine (wenn auch katholische Bekenntnis-)Schule.35 Im Falle des Dekanats Ingolstadt hoffte man darauf, daß durch das neue Gesetz diese Schwierigkeit geregelt würde (was aber nicht geschah und zu verschiedenen Zwistigkeiten führen soll- te36), und man bat um einen großen Einzugsbereich für eine evangelische Bekenntnisschu- le in der Diaspora, hatte man doch festgestellt, daß zur evangelischen Schule nach Rieden- burg im Altmühltal auch Kinder aus dem 10 km entfernten Sandersdorf (!) kommen woll- ten, die den Schulweg mit der Bahn bewältigen konnten.37 Man mutete den Schulkindern in dem Bestreben, Eigenständigkeit gegenüber den Katholiken zu zeigen, schon einiges zu, versicherte sogar, daß sie „ganz gewiß frischer bei Beginn des Unterrichts sein (würden) als die Kinder, die zu Fuß einstündige Schulwege zurücklegen müssen“.38 Es war also auch schon festgestellt worden, daß evangelische Eltern nicht so ohne weiteres bereit waren, um des Seelenheils ihrer Kinder willen auf Bildung zu verzichten, eine Einstellung, die die Kir- che in vielen Fällen noch schmerzlich erfahren sollte.39 Da im Dekanatsbezirk Ingolstadt viele evangelische Kinder in den katholischen Bekenntnisschulen verbleiben mußten, weil ihre Zahl zur Errichtung einer eigenen Schule nicht ausreichte, hatte sich die Pfarrkonferenz Gedanken darüber gemacht, wie diese Schüler zu behandeln seien: Sie dürften nicht gezwungen werden, das Kreuz zu schlagen oder die Handflächen beim Beten aufeinan- derzulegen. In den weltlichen Fächern sollten sie nicht mit Aufgaben behelligt werden, die sie unmöglich leisten könnten, z.B. einen Aufsatz über den Fronleichnamstag schreiben. „Dem Religionsunterricht des kath. Geistlichen haben evang. Kinder unter allen Umstän- den fern zu bleiben ... Wo wegen zu geringer Schülerzahl die evangelischen Schulkinder keinen evangelischen Religionsunterricht erhalten, soll ihnen die Möglichkeit der Teilnahme am Unterricht in der biblischen Geschichte, den der kath. Lehrer erteilt, ermöglicht wer- den.“40 Die Unterscheidung, die hier zwischen katholischem Geistlichen und katholischem Lehrer gemacht wurde, war insofern richtig, als ein Lehrer ja gehalten war, andersgläubi- gen Schülern tolerant gegenüberzutreten und ihn als andersgläubigen zu fördern. Einem katholischen Pfarrer konnte man durchaus Bekehrungsabsichten unterstellen. Das Schreiben eines Privatmannes an Landesbischof Meiser machte auf eine weite- re Gefahr aufmerksam: Laut SchOG konnte „(a)uf Antrag einer Zweidrittelmehrheit der beteiligten Erziehungsberechtigten ... eine kirchliche Genossenschaft mit der Erteilung des Unterrichts an einer Bekenntnisschule beauftragt werden ...,“ ohne daß die Schule dadurch ihren öffentlichen Charakter verlor.41 Da solche kirchlichen Genossenschaften nur auf katho- lischer Seite bestanden - der Orden der Armen Schulschwestern war ein Beispiel dafür -, „konnte die Freie Demokratische Partei im Landtag mit einer gewissen Berechtigung von der Einführung der Klosterschule in Bayern sprechen“.42 Der Verfasser des Schreibens wies auf die Gefahren hin, „die hier einer evangelischen Minderheit für die Erziehung ihrer Kin- der“ drohten, und er betonte, daß die durch das Gesetz möglich gewordene Klosterschule vom evangelischen Standpunkt aus auch deshalb mit großer Sorge betrachtet werden müsse, da der Kultusminister geäußert habe: „Wenn ich in meinem ganzen politischen Leben nichts anderes als das erreicht hätte, wäre ich schon zufrieden.“43

35 Ebda., Schreiben des Evang.-Luth. Dekanats Ingolstadt am 1.3.1950 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat. 36 siehe S. 452-455. 37 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Schreiben des Evang.-Luth. Dekanats Ingolstadt am 1.3.1950 an den Evang.- Luth. Landeskirchenrat. 38 Ebda. 39 siehe S. 416 ff. 40 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Schreiben des Evang.-Luth. Dekanats Ingolstadt (Obb.) am 25.4.1950 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat München. 41 BayBSVK, S. 516. 42 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Schreiben des Karlheinrich D. im Februar 1949 an den Landesbischof. 43 Ebda.

409 Für die Gemeinden, aber auch für den bayerischen Staat, konnte über allen pädago- gischen und konfessionellen Diskussionen der finanzielle Gesichtspunkt nicht vergessen werden. Regierungsdirektor Alois Braun vom Kultusministerium wies die Bedenken wegen einer zusätzlichen Belastung zurück mit der Begründung, daß „eine Erhöhung der Klas- senzahlen wegen Mangel an Unterrichtsräumen vorerst nicht möglich“ sei.44 Das bedeute- te also, daß nach Errichtung einer Schule für die Bekenntnisminderheit sich die Klas- senstärken der ursprünglichen Schule zwangsläufig erhöhen würden, was allein schon durch die notwendig werdende Zusammenlegung mehrerer Jahrgänge geschah. Wieso Braun in seiner Rechtfertigung des Gesetzes aber dann von einer „Verbesserung des Schul- wesens“ sprach, ist nicht einsehbar.45 Ebensowenig konnte seine Antwort auf die Vorhal- tungen des Bayerischen Lehrervereins befriedigen, daß für neun ausgewählte bayerische Landkreise 60 neue Schulen erforderlich würden.46 Für den Landkreis Fürth, wo 25 Schulen an 25 Orten bestanden, rechnete der BLV z.B. mit 22 zusätzlichen Bekenntnisschulen.47 Braun antwortete, daß niemals 60 neue Schulen errichtet werden müßten, höchstens neun neue Klassen - was allerdings neun Zwergschulen entsprechen würde -, und die auch nur dann, „wenn die Eltern die Einrichtung dieser Klassen wünschen. Erfahrungsgemäß ver- zichten die Eltern in vielen Fällen auf die Errichtung einer Klasse des Minderheitsbekennt- nisses.“48 Diese Antwort durfte man getrost als unseriös werten, denn man schien im Kul- tusministerium von vornherein mit der Ablehnung der Zwergschule bzw. einer Bekenntnis- klasse für sämtliche Jahrgänge durch die Eltern zu rechnen. Wozu sollte aber ein Gesetz gut sein, dessen finanzielle Auswirkungen dadurch in Grenzen gehalten würden, daß die Eltern darauf verzichteten, es in Anspruch zu nehmen? Außerdem übersah Braun geflissentlich, daß eine Bekenntnisschule für die konfessionelle Minderheit auch von Amts wegen einge- richtet werden konnte, ohne daß Eltern sie wünschten. Und er gab mit seiner Argumenta- tion der Furcht der evangelischen Kirche neue Nahrung, daß evangelische Eltern in ihrer Sorge um das Leistungsniveau einer Zwergschule eher keine solche Schule beantragen wür- den. Auch wenn Braun es abstritt, zusätzliche Kosten würden entstehen, und zwar vor allem für die Gemeinden, denn es mußten geeignete Räume und zusätzliche Lehrmittel bereitgestellt werden, und die Frage des Gastschulbeitrags war zunächst nicht geklärt wor- den. Eine Entschließung des Kultusministeriums vom 5. Dezember 1951 legte dann defini- tiv fest, daß „(d)ie durch Art. 129 Abs. 2 BV auch verfassungsmäßig gewährleistete Unent- geltlichkeit des Besuchs der Volksschule ... (sich) auch auf den gastweisen Schulbesuch ... (bezieht)“. Gemäß den Paragraphen 7 Abs. 2, 12 Abs. 2 und 3 SchOG und Ziffer 12 Abs. II der Ausführungsbestimmungen wurde zugesichert, „daß sich aus dem Gastschulverhältnis für die Gastschüler und deren Erziehungsberechtigte finanzielle Verpflichtungen nicht“ ergäben.49 Die Gemeinden allerdings beklagten auch in der folgenden Zeit die „Lücke in der Gesetzgebung“ und forderten die vordringliche „Regelung der finanziellen Auswir- kungen des Schulorganisationsgesetzes“. Die Landgemeinden vor allem klagten, daß die Eltern ihre Kinder in die nächstgelegene Konfessionsschule schicken konnten und die Schul- sitzgemeinden in fast allen Fällen von den Wohnsitzgemeinden Kostenersatz verlangten. Diese, die Gemeinde betreffende finanzielle Seite sei im Gesetz nicht geklärt worden, und

44 Die Bayerische Schule, 2. Jg. 6/Juni 1949, S. 222. 45 Ebda., S. 223. 46 Ebda., S. 222. 47 ACSP München. NL Müller 270 (Schulwesen 1946-50) Schreiben des Bayerischen Lehrervereins am 5.3.1949 an die Kreis- und Bezirksvereine. 48 Die Bayerische Schule. 2. Jg. 6/Juni 1949, S. 222. 49 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Schreiben des Evang.-Luth. Landeskirchenrats, München, am 16.1.1952 an alle Dekanate. Entschließung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 5.12.1951 IV 73746 über den gastweisen Schulbesuch nach § 7 und 12 SchOG.

410 die Gemeinden fühlten sich gesetzlich nicht verpflichtet, Aufwendungen an Schulsitzge- meinden zu erstatten.50 Eine Zeitung meinte, es sei ja sehr großzügig, daß bereits die Anträ- ge von fünf Erziehungsberechtigten ausreichen würden, um eine Gemeinschafts-Zwerg- schule zu errichten, aber „die Regierung allein weiß, ob sie bereit wäre, bei nur fünf Anträ- gen die Ungeheuerlichkeit“ einer solchen Schule zuzulassen. „Wer denn sollte sie bezah- len? ... Es wird sich schwerlich eine Gemeinde bereitfinden, dem Verlangen von fünf oder mehr Eltern stattzugeben.“51 Das Kultusministerium schien eine Schullandschaft mit klei- nen und kleinsten Schulen wohl akzeptieren zu wollen, denn bereits in den Vollzugsvor- schriften zum Schulpflegegesetz vom 27. Juli 1948 bzw. 14. Dezember 1948 hieß es unter Nr. 26: „II. Als Schule gelten regelmäßig die in einem Schulgebäude untergebrachten Schul- klassen ... Klassen verschiedener Schularten (Bekenntnisschulen verschiedenen Bekenntnis- ses, nach Bekenntnissen gemischte Schulen) können nicht zu einer Schule vereinigt wer- den.“52 Es gab tatsächlich in einem Schulgebäude drei verschiedene Schularten, die nichts miteinander zu tun hatten!53 In der Debatte um das Schulorganisationsgesetz am 5. Juli 1950 meinte der Abgeordnete Beck (SPD), daß die Gemeinden aufgrund der materiellen Belastungen gar nicht in der Lage sein würden, das Gesetz auch tatsächlich in der Praxis durchzuführen.54

6.8. TATSÄCHLICHE SITUATION

Unabhängig davon, ob die Gemeinden finanziell in der Lage sein würden, das Schu- lorganisationsgesetz durchzuführen, oder ob alle Eltern oder die Parteien damit einverstan- den waren, die Kirchen wünschten es, entwickelten teilweise erstaunliche Strategien und nahmen Etliches dafür in Kauf, nicht zuletzt auch manches Leid ihrer jungen Schutzbefoh- lenen. Geistliche der evangelischen Kirche beklagten, daß ihre Gemeinden „in der Regel ... weithin versagt“ hätten.1 „Liberalistische Elemente“2 in ihren Reihen würden Gemein- schaftsschulen beantragen und damit die Position der evangelischen Kirche weiter schwächen, wo man sich doch schon gegen die katholische Übermacht wehren mußte und es in der Diaspora meist mit Flüchtlingen zu tun hatte, denen Bildung wichtig und eine evan- gelische Zwergschule suspekt war. „Der Schulkampf“, so Schieder in seinem Merkblatt, „ist so etwas Ähnliches wie Korea, das, wie jemand gesagt hat, ‚den Schießplatz des 3. Welt- krieges‘ bedeutet. Wir müssen uns hier rüsten auf den kommenden Weltanschauungs- kampf. Haben unsere Gemeinden nicht die Kraft, jetzt sich für die Bekenntnisschule einzu- setzen, werden sie auch versagen, wenn es um die geringen Reste von ‚Christlichkeit‘ an der Gemeinschaftsschule gehen wird.“3 Man wolle die Gemeinden zwar ohne Verbitterung und Entmutigung „weiterhin in aller Barmherzigkeit tragen“, aber „(w)o Gefahr besteht“,

50 StAN. Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, Nr. 259. LRA Dinkelsbühl am 15.10.1952 an Herrn Landrat. Vorschläge für die Neufassung des Bayerischen Schulaufsichtsgesetzes. 51 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Zeitungsartikel (wahrscheinlich „Nürnberger Nachrichten“) vom 15.7.1950: „Immer noch: Streit um die Schule“. 52 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 16 vom 29.12.1948, S. 174. 53 siehe S. 416. 54 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 168. Sitzung am 5.7.1950, S. 595 ff.

1 LKAN. Kreisdekan Nürnberg 239. „Merkblatt zur Schulfrage“. 22.11.1951, gez. Schieder. 2 Ebda. 3 Ebda.

411 solle gekämpft werden, um zu retten, was da sei, denn sei die „Firma gelöscht“, könne kaum mehr etwas getan werden.4 Sehr wirkungsvoll schien es zu sein, einzelne zu beein- flussen, gemäß Markus 6,75; in der „Einzelseelsorge“ sollten die Amtsbrüder immer „an diese Dinge denken“. Wo es möglich war, sollten „um der Schulsache willen Hausbesuche“ gemacht werden, „(i)n der Predigt (sollte) ... an diese Fragen“ hingerührt werden. „Es muß ..., ohne die Leute in apokalyptisches Grausen hineinzuversetzen, immer wieder gezeigt werden, daß die biblische Weltanschauung immer weiß von dem Angriff des Antichristen- tums auf das Christentum und daß, was wir heute haben, nur eine Atempause ist.“6 Wenn man die Errichtung von Gemeinschaftsschulen unter einem solchen Gesichtspunkt betrach- tete, dann konnte allerdings die Kampfbereitschaft der evangelischen Kirche nicht groß genug sein. Kämpfen mußte sie um die Errichtung ihrer Bekenntnisschulen, obwohl Kultusmini- ster Hundhammer in seiner Etatrede 1950 dargetan hatte, daß die „Konfessionalisierung des Schulwesens“ kaum zusätzliche finanzielle Mittel erfordere, da „(d)ie Durchführung des Prinzips der Gleichschaltung [sic!] des Lehrers mit der Konfession der Kinder, der Austausch der fehlbesetzten Schulstellen, den insbesondere die evangelische Kirche mit Nachdruck ... verlangt,“ nicht koste. Was den Bau von Schulen anging, so meinte er: „... (W)enn Sie in einer Stadt ein Schulhaus mit 20 oder 30 Schulräumen bauen, kostet es keinen Pfennig mehr, wenn Sie 15 katholische und 15 evangelische Klassen in diesem Schulhaus unter- bringen, als wenn Sie eine einzige Simultanschule haben ...“7 Die Gemeinden dachten anders. Sie sträubten sich, laut Aussage des Evang.-Luther. Dekanats in Regensburg „fast ausnahmslos gegen die Errichtung von Schulen für die Bekenntnisminderheit. Schwingt sich die Regierung nach wiederholtem Drängen des Dekanats - im Falle der Schulhintreibungen im Landkreis Kelheim mußte zwölfmal vorgesprochen werden - zur Bearbeitung auf, dann ist ihr erster Schritt gewöhnlich die schriftliche Aufforderung an den zuständigen Landrat zur Stellungnahme seiner selbst und der betroffenen Gemeinde zur Frage des Raumes und der Kosten. Die Antwort ist meist ablehnend. Geschieht hierauf von unserer Seite nichts, dann wird der Antrag dahin verbeschieden, daß die Errichtung der Schule derzeit mangels eines geeigneten Raumes leider nicht möglich sei. ... Ankämpfen gegen echte oder künst- liche Hindernisse, ... Überwinden psychologischer Hemmungen, ... Zerschlagen von Ver- schleppungsversuchen ... Dies alles erfordert rasches Handeln im rechten Augenblick, ... Überwachen der Schachzüge von Gemeinderäten und Landräten ... Man muß wissen, wie es in einer Gemeinde aussieht, welche Sorgen sie hat, wie der Bürgermeister gesonnen ist, welche Haltung der Landrat einnimmt, wes Geistes der Schulrat ist. Man muß die Schwächen kennen, sich ihnen anschmiegen, hier gut zureden, an den guten Willen sich wenden, dort zäh verhandeln, an einer dritten Stelle massiv werden ...“8 Die Kirche in der Diaspora hatte wahrlich zu kämpfen, und wo „unsere Amtsbrüder die Situation nicht erfas- sen wollen und sich scheuen, das heiße Eisen anzupacken,“ da geschah wenig.9 Vielleicht kämpfte die evangelische Kirche auch deshalb so vehement um eigene Schulen, weil es „viel Nöte der Minderheiten“ gab,10 denen gesagt wurde, sie als Nichtka-

4 Ebda. 5 Ebda. Markus 6,7: „Und er berief die zwölf und hob an und sandte sie je zwei und zwei und gab ihnen Macht über die unsauberen Geister.“ 6 Ebda. 7 ACSP München. NL Müller 268 (StMUK) (1946-50). Etatrede des Staatsministers für Unterricht und Kultus am 8.11.1950. 8 LKAN LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Schreiben des Evang.-Luth. Dekanats, Regensburg, am 5.2.1951 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, München. Betr.: Einrichtung evangelischer Schulen. 9 Ebda., Abschrift eines Briefes (ohne Unterschrift) am 13.1.1951 an einen unbekannten „Amtsbruder“ über die Situation im Dekanatsbezirk Kempten. 10 Ebda., LKR z. I 102 (Rat) (60) Niederschrift (auszugsweise) der Verhandlungen bei der Kammertagung in Lebenstedt (Braunschweig) am 1. u. 2. April 1948.

412 tholiken seien in Bayern „nur Gäste“ und hätten sich als solche zu verhalten.11 Diese Eltern sorgten sich um das Fortkommen ihrer Kinder an den katholischen Bekenntnisschulen und beklagten sich über Benachteiligung. An vielen Orten Bayerns waren die Verhältnisse so, daß Paragraph 6 des Schulorganisationsgesetzes, „Bekenntnisschulen sind Schulen, in denen Kinder eines bestimmten Bekenntnisses nach den Grundsätzen dieses Bekenntnis- ses unterrichtet und erzogen werden,“ nicht zutraf. In ungefähr 6400 Schulen herrschten „verfassungswidrige Zustände“, weil dort „Minderheitskinder“ unterrichtet wurden.12 Die- sen Schülern fehlte die „Geschlossenheit und die Einheitlichkeit der Einwirkung auf die wer- dende Persönlichkeit“, und dieser Umstand gab dem Abgeordneten Strathmann (CSU) Anlaß zu schweren Bedenken. Er teilte mit, daß an 3134 Schulen unter 10 %, an 3439 Schulen über 10 % Schüler der Minderheit angehörten. 60 % der bayerischen Kinder gin- gen in bekenntnismäßig gemischte Schulen.13 Im Jahr 1954 gab die „Bayerische Schule“ folgende Zahlen, gestützt auf den Informationsdienst des Bayerischen Statistischen Lan- desamtes vom 16. Januar 1954, bekannt: „1. 91,6 % aller Schüler besuchten Bekenntnisschulen, 8,4 % Gemeinschaftsschulen. 2. Nur 15,7 % der kath. Schulen sind reine Bekenntnisschulen, 84,3 % der katholi- schen Schulen werden von Schülern verschiedener Bekenntnisse besucht. 3. Nur 10,9 % der evang. Schulen sind reine Bekenntnisschulen, 89,1 % der evang. Schulen werden von Schülern verschiedener Bekenntnisse besucht. 4. Nur 14,5 % aller nominellen Bekenntnisschulen sind reine Bekenntnisschulen, 85,5 % aller Bekenntnisschulen sind konfessionell gemischte Schulen. 5. Rechnet man gemischt konfessionelle Bekenntnisschulen (85,5 %) und Gemein- schaftsschulen (2,6 %) zusammen so ergibt sich: 88,1 % aller bayerischen Schulen werden von Schülern verschiedener Bekenntnisse besucht.“14 Die Situation war aber durch das Einströmen der Flüchtlinge nach dem Krieg so ent- standen. Wenn sich auch in Bayern insgesamt am Verhältnis zwischen katholischer und evangelischer Bevölkerung kaum etwas geändert hatte,15 gab es auf regionaler Ebene erhebliche Verschiebungen. In Mittelfranken, wo 1939 der evangelische Anteil der Bevöl- kerung 67 % betragen hatte, fiel er bis 1950 auf 61 %. In Niederbayern sank im gleichen Zeitraum der katholische Anteil von 98 % auf 88 %.16 Die Zahl der Gemeinden mit ein- heitlicher Konfession reduzierte sich drastisch. In Mittelfranken sank die Anzahl der Orte mit rein katholischer Bevölkerung von 63 im Jahr 1939 auf 2 im Jahr 1950. Von den 86 rein evangelischen Gemeinden war 1950 keine mehr „rein evangelisch“.17 Das Problem der Min- derheitenschüler, im Landtag angesprochen, wurde auch von Kultusminister Hundhammer anerkannt, aber als unvermeidbar bezeichnet.18 Wilhelm Ebert vom BLLV hielt es für untrag- bar, „wenn die Schüler in der staatlichen Schule im Sinne einer anderen als der eigenen Konfession unterrichtet und erzogen“ würden. Und das seien in Bayern im Jahr 1954 noch 82000.19

11 LKAN. LKR VI 1100 (3065). Schreiben der Hedwig W., Trostberg (Obb), am 6.3.1953 an Landesbischof Dr. Lilje, Hannover. 12 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 168. Sitzung am 5.7.1950, S. 604. 13 Ebda., S. 603 f. Der Abgeordnete Korff (FDP) sprach von 80 % der Schüler Oberbayerns, die eine konfessio- nell gemischte Schule besuchten (Zahlen vom BLV). 14 Die Bayerische Schule, 7. Jg. Nr. 4 vom 5.2.1954, S. 42. 15 1936: 73,17 % kath., 24,86 % evang. 1946: 71,35 % kath., 26,4 % evang. 1951: 72,12 % kath., 26,3 % evang. im rechtsrheinischen Bayern. (Huelsz, S. 148). 16 Bauer, S. 27. 17 Erker, S. 383. 18 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 168. Sitzung am 5.7.1950, S. 610. 19 Archiv des BLLV. Wilhelm Ebert: Lehrerschaft, Schulpolitik und Landtagswahlen. Vortrag in Weißenburg am 3.7.1954.

413 Nach Inkrafttreten des Schulorganisationsgesetzes berichteten die Regierungen über die Durchführung. Oberfranken gab an, daß es in Bayreuth, Selb, Mittelehrenbach/Kreis Forchheim und Plößberg/Kreis Rehau vorher schon Gemeinschaftsschulen „im Rechtssin- ne“ gegeben habe, die immer noch Gemeinschaftsschulen seien. An anderen Orten - Kulm- bach, Lichtenfels, Marktschorgast/Kreis Kulmbach, Pegnitz - würden Bekenntnisschulen noch als Gemeinschaftsschulen geführt. Die oberfränkische Regierung erwartete Anträge auf Errichtung einer Gemeinschaftsschule, „wenn der gegenwärtige praktische Zustand (evangelische und katholische Schüler gemischt) dem juristischen angeglichen“ würde. Das wären voraussichtlich die Orte Neustadt b. Coburg, Rodach/Kreis Coburg, Mainleus/Krs. Kulmbach, Neudrossenfeld/Kreis Kulmbach, Helmbrechts/Kreis Münchberg, Rehau, Schön- wald/Kreis Rehau, Pressack/Kreis Stadtsteinach, Schirnding/Kreis Wunsiedel; ferner erwar- tete man Anträge auf Errichtung einer Gemeinschaftsschule von einer größeren Anzahl von Orten, „wo die SPD eine Mehrheit hat“.20 Die Regierung von Oberfranken teilte ergänzend mit, daß „(i)n letzter Zeit ... wiederholt Kommissionen ... (Geistliche beider Konfessionen mit Bürgermeistern) (vorgesprochen hätten), die zwar de jure die Konfessionsschule ihres Ortes anerkennen, aber die vorläufige Beibehaltung des gemeinschaftlichen Unterrichts wünschen. Begründung: Glückliche Zusammenarbeit im Geiste des Friedens und des Sich- verstehens, organisatorische und unterrichtliche Vorteile einer ausgebauten Schule ...“21 „Bei der zu erwartenden Unruhe und Ratlosigkeit wäre für Oberfranken ein Stillstandsab- kommen mit den beiden obersten Kirchenbehörden erwünscht.“ Sollten die Änderungen aber durchgeführt werden, so bitte man um die allmähliche Umwandlung mit mehrjähri- ger Frist. Man glaubte, daß der größte Teil der Eltern mit einer plötzlichen Änderung nicht sympathisieren würde.22 Die Regierung von Mittelfranken zeichnete auch kein günstiges Bild von der Durch- führung des Schulorganisationsgesetzes. Sie nahm für sich in Anspruch, dabei die größten Schwierigkeiten von allen Regierungsbezirken zu haben, und machte die fast ausschließlich katholischen Flüchtlinge aus Oberschlesien und dem Sudetenland dafür verantwortlich, die Mittelfranken „unterwandert“ (sic!) hätten. „In vielen Dörfern, in denen seit Jahrhunder- ten keine kath. Familie mehr ihren ständigen Wohnsitz hatte, (sei) nun plötzlich 1/4 der Bevölkerung katholisch.“23 Es gebe noch knapp 100 regelwidrig besetzte Lehrerstellen, die deshalb beibehalten würden, um den katholischen Kindern den Religionsunterricht zu sichern. Das sei z.B. in Heilsbronn bei Ansbach der Fall, wo eine katholische Lehrkraft im Einvernehmen mit dem Landeskirchenrat an die evangelische Bekenntnisschule versetzt wurde, um die Aufspaltung dieser Schule in eine evangelische und katholische Bekenntnis- schule und eine Gemeinschaftsschule zu verhindern.24 In den meisten Dörfern Mittelfran- kens würde die Durchführung des Schulorganisationsgesetzes die Aufspaltung der Schule bedeuten. „Dieser rein pädagogische Grund war maßgebend dafür, daß die Schulabteilung der Regierung von Mittelfranken ‚im stillschweigenden‘ Einverständnis mit dem Kultusmi- nisterium von sich aus bisher nicht initiativ wurde.“ Lediglich an drei dörflichen Schulorten - Hemmersheim und Unteraltenbernheim/Kreis Uffenheim und Absberg/Kreis Gunzenhau- sen - gebe es reine Bekenntnisschulen, „d.h. je eine kath. und eine evangl. einklassige Bekenntnisschule“ sei am Ort, wobei in Absberg interessanterweise die evangelische Schu- le in einem katholischen ordenseigenen Gebäude und die katholische Schule im gemein-

20 BayHStA München. MK 61203. Schreiben der Regierung von Oberfranken, ORR Dr. Heim, am 12.4.1951 an RegDir. Alois Braun, Bay. Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 21 Ebda. 22 Ebda. 23 Ebda.,. Schreiben von Reg.- u. Schulrat Schlamp, Ansbach, am 13.4.1951 an Reg. Dir. Dr. Bläsing, Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 24 Ebda.

414 deeigenen Schulhaus untergebracht sei.25 Reg.-Schulrat Schlamp gab dann in einer geson- derten Liste die Orte an, die noch vom Schulorganisationsgesetz abweichende Schulver- hältnisse aufwiesen. In Dinkelsbühl beispielsweise, das bis 1938 eine katholische und eine evangelische Bekenntnisschule gehabt hatte, gebe es seitdem eine Gemeinschaftsschule, die man im Hinblick auf den Widerstand der Bevölkerung, mit Einverständnis der kirchli- chen Oberbehörden, beibehalten habe. Dieselbe Situation hatte man in Gunzenhausen und Rothenburg. In Dornheim/Kreis Scheinfeld hatte man auf ausdrücklichen Wunsch der Gemeinde und wegen drohender Unruhen in der Bevölkerung eine Gemeinschaftsschule, „von einem kath. und einem evangl. Lehrer geführt“. Dieselbe Konstellation gab es in Ull- stadt/Kreis Scheinfeld auf ausdrücklichen Wunsch des Landrats. In Gebsattel/Krs. Rothen- burg gebe es seit 1937 die Gemeinschaftsschule. Der katholische Ortsgeistliche verfolge die Errichtung einer Konfessionsschule und habe eine „starke Gegnerschaft in der Gemeinde“. Der Widerstand der Eltern in Treuchtlingen führte dort zu einem regelrechten Kampf.26 Weißenburg war einer der wenigen Orte in Bayern, die seit 1919 eine Gemeinschaftsschu- le hatten, die auch 1951 noch Gemeinschaftsschule war. Die Lagerschulen in Voggendorf b. Feuchtwangen, Muna - Markt Bergel und Buchschwabach/Kreis Fürth wurden als Gemein- schaftsschulen geführt.27 Eine andere Regelung wäre in diesen Fällen auch völlig unver- ständlich gewesen. Die Auflistung der mittelfränkischen Schulverhältnisse endete mit dem aufschlußreichen Satz: „Abschließend wird bemerkt, daß die Aufstellung nicht Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, da es mangels Zeit und aus sonstigen Erwägungen nicht zweck- mäßig erschien, Rückfragen vorzunehmen.“28 Man hatte wohl Angst, schlafende Hunde zu wecken; eine Angst, die nicht unbe- gründet war, häuften sich doch „in den bayerischen Gemeinden sogenannte Schul- streiks“.29 Die Eltern hielten ihre Kinder vorsätzlich vom Unterricht fern und protestierten damit gegen Maßnahmen der Schulverwaltung, „und zwar in den meisten Fällen bei plötz- lichen und nicht näher begründeten Versetzungen von Lehrkräften mitten im Schuljahr, im allgemeinen bei evangelischen Schulen“.30 Die Versetzungen wurden im Zuge der Bereini- gung regelwidriger Besetzungen von Lehrerstellen durchgeführt, häufig tatsächlich völlig unpädagogisch während des Schuljahres. Ein besorgter Vater schrieb deshalb an den Kul- tusminister: „Praktisch wirkte sich die Schulreform [sic!] bei meinem Jungen, der z. Zt. die katholische Volksschule in Hof besucht, darin aus, daß im Schuljahr das Schulhaus und der Lehrer gewechselt wurden. Ob letztere Maßnahme zum Wohl der Schüler gereicht, sei dahingestellt.“31 Die Trennung der katholischen und evangelischen Schulkinder hatte häu- fig die weite räumliche Trennung zur Folge, wobei sich dann die unvernünftige Regelung ergab, daß „ein großer Teil der Kinder an dem nächstgelegenen Schulhaus vorbeigehen und weite Wege zurücklegen“ mußte.32 Das war vor allem dann der Fall, wenn im eigenen Ort keine Schule des eigenen Bekenntnisses vorhanden war und die Schulkinder bei Wind und Wetter manchmal viermal täglich den Weg zwischen dem eigenen und dem Nachbardorf zurücklegen mußten. Die daraus resultierende mangelnde Lernfähigkeit und die Notwen-

25 Ebda. 26 siehe S. 437-443. 27 BayHStA München. MK 61203. Schreiben von Reg.- u. Schulrat Schlamp, Ansbach, am 13.4.1951 an Reg.Dir. Dr. Bläsing, Bayer. Staatsminist. für Unterricht und Kultus. 28 Ebda. 29 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 13. Sitzung am 27.2.1951 (Abgeordnete Brücher, FDP). 30 Ebda. 31 BayHStA München. MK 53209. Schreiben des Dr. K. aus Hof am 5.9.1951 an den Staatsminister für Unterricht und Kultus. 32 LKAN. LKR VI 1100 a (3065). Bericht des Beauftragten für kirchl. Unterweisung i.d. Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Frör, am 21.6.1950 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, München. Betr.: Arbeitstagung der Arbeits- gemeinschaft bayerischer Junglehrer. Schulverhältnisse in Sulzbürg.

415 digkeit, passende Schuhe und Kleidung zu besitzen - damals keine Selbstverständlichkeit - wurden beklagt.33 Aber auch in größeren Städten, z.B. in Erlangen, gab es Schulweg-Pro- bleme, die daraus resultierten, daß Kinder, die die Gemeinschaftsschule besuchten, zwar bis zur vierten Klasse ins Loschge-Schulhaus gehen konnten, das mit je acht Klassen evan- gelischer und katholischer Schule belegt war, natürlich jede mit einem eigenen Schulleiter, ab dem fünften Schuljahr aber zur Prinzregentenschule gehen mußten, was für viele Kin- der einen sehr langen Schulweg bedeutete. Anträge von Eltern, auch noch eine fünfte Klas- se der Gemeinschaftsschule im Loschgeschulhaus einzurichten, scheiterten, vor allem aus Platzmangel.34 Noch gravierender empfanden die Eltern die schlechteren Lernbedingungen für die Kinder, und darauf baute man kurioserweise bei der Durchführung des Schulorga- nisationsgesetzes im Ministerium.35 Die Bildung einer Minderheiten-Zwergschule, mit den Klassen eins bis acht in einem Schulzimmer, erschien vielen Eltern unvernünftig, und sie ver- zichteten auf ihr Recht, eine solche zu fordern.36 Das ging nicht ohne Gewissenskonflikt, wie ein Beispiel zeigte: „ ... 2. An einer vollausgebauten ... Schule mit 4/5 katholischen und 1/5 evangelischen Schülern ist neben sieben katholischen eine evangelische Lehrkraft tätig ... Sie kann nur dann der Gemeinde erhalten bleiben, wenn sich die Eltern der evangeli- schen Schüler zur Bildung einer eigenen evangelischen Schule entschließen. Da diese Schu- le (ca. 40 Schüler) nur eine Klasse für alle Jahrgänge umfassen würde und für ihre Unter- bringung nur ein unzulänglicher Raum außerhalb des Schulhauses mit dürftiger Ausstat- tung zur Verfügung stehen würde, sehen sich die evangelischen Eltern im Interesse der Aus- bildung ihrer Kinder vor einen schweren Gewissenskonflikt gestellt ...“37 In noch größere Gewissenskonflikte konnten Eltern geraten, wenn sie ihre Kinder nicht in die Schule ihres Bekenntnisses schicken wollten, aus welchen Gründen auch immer. Die Durchführungsbestimmungen zum Schulorganisationsgesetz sahen diese Möglichkeit in Ausnahmefällen vor, dann nämlich, wenn die Erziehungsberechtigten „gegen einen Wechsel der von ihren Kindern bisher besuchten Schule Bedenken tragen“.38 Daß die Eltern dieses Hintertürchen benutzten, bestätigte Frau Sand, Ansbach, und zwar waren das durch- wegs Eltern aus dem gehobenen Mittelstand, die die Ausnahmegenehmigung beim Schul- amt durchsetzen konnten.39 Der gastweise Besuch eines evangelischen Kindes an einer katholischen Bekenntnisschule wurde z.B. in einem Fall abgelehnt, in dem ein Vater die Benachteiligung seines Sohnes in der Ausbildung gegenüber der katholischen Schule gel- tend machte, da es in der neu errichteten evangelischen Bekenntnisschule für die 3. Klasse nur Abteilungsunterricht gebe. Dies galt nicht als „ganz besonderer Grund“.40 Es kam aber vor, daß das Kultusministerium die Einwilligung für regelwidrigen Schulbesuch gab, wie das für Windsheim der Fall war, wo ca. 80 katholische Kinder nicht in die vom katholischen Orts- geistlichen beantragte und errichtete katholische Bekenntnisschule gingen.41 Für Kinder, die

33 AdsD Bonn. LV Bayern I/207. Fr. Schülen, Nördlingen: „Die Konfessionsschule und die Folgen.“ o. Datum, wahrscheinlich 1949. 34 Erlanger Tagblatt vom 13.10.1956 (Privatarchiv Roquette); Gespräch mit Frau Sophie Roquette, Erlangen. 35 siehe S. 410. 36 Die Bayerische Schule, 2. Jg. 7/Juli 1949, S. 260. 37 AdsD Bonn. LV Bay I/11. Der Kochel-Brief. Mitteilungsblatt der Georg-von-Vollmar-Schule. Nr. 12/Dez. 1950, S. 126. 38 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Amtsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern. München. Nr. 1/16.1.1951, S. 5. 39 Gespräch mit Frau Anni Sand, Ansbach. 40 BayHStA München. MK 61220. Schreiben der Reg. v. Obb. am 26.9.1951 an das Staatsmin. f. Unterricht und Kultus. Weisung des Staatsministeriums f. Unterricht und Kultus am 12.11.1951 an Reg. v. Obb. 41 Ebda., MK 61203. Schreiben von Reg.- u. Schulrat Schlamp, Ansbach, am 13.4.1951 an Reg. Dir. Dr. Bläsing, Bayer. Staatsmin. für Unterricht und Kultus. „Von SchOG abweichende Schulverhältnisse in Mittelfranken“; siehe S. 450.

416 in die 1. Klasse eingeschult wurden, und für neueintretende Schüler wurden Ausnahmen nicht genehmigt.42 Die tatsächlichen Schulverhältnisse in manchen Orten zwangen Eltern zu unge- wöhnlichen Schritten, wie ein Beispiel belegen soll. In der oberbayerischen Stadt Aichach existierten zum Zeitpunkt des Geschehens drei Volksschulen: eine voll ausgebaute katholi- sche Knabenschule, eine voll ausgebaute, von Armen Schulschwestern geführte katholi- sche Mädchenschule und, seit September 1949, eine zweiklassige evangelische Schule für die Kinder der Bekenntnisminderheit. Deren Eltern wurden bald gewahr, daß die Lehrerin der Grundschulklasse nicht in der Lage war, bei geordneter Disziplin den Unterricht zu führen. Passanten blieben vor dem behelfsmäßig eingerichteten Klassenzimmer, das in sei- ner Ausstattung den katholischen Schulen weit unterlegen war (auch die Toilettenanlagen und der Schulhof waren eigentlich untragbar), stehen, und fragten sich, was da los sei. Es war aber nur der übliche Tumult eines Unterrichtsvormittags. Die unhaltbaren Zustände und die Sorge, daß ein Besuch der höheren Schule mit vorgeschriebener Aufnahmeprüfung nicht möglich sein würde, veranlaßten einen Vater, Hugo Böhme, zu einem Schreiben an den Beauftragten für schulische Unterweisung im Evang.- Luther. Landeskirchenrat, Licen- tiat Frör, in dem er ankündigte, seine drei Töchter aus der Schule zu nehmen und in die katholische Bekenntnisschule zu schicken, obwohl, um diesen Schritt tun zu können, die Kinder dann aus der evangelischen Kirche austreten mußten. Für ihn und seine Frau, die beide aus „streng evangelischen westfälischen Familien“ stammten, sei dies ein „revolu- tionärer Schritt“, wie er in seinem Schreiben betonte.43 Es falle ihm auch deshalb nicht leicht, da er befürchtete, Zwistigkeiten in der kleinen evangelischen Schulgemeinde wür- den diese „in Mißkredit gegenüber dem katholischen Übergewicht bringen“, und auch ein Zusammenhalt unter den Flüchtlingen und Evakuierten erschien ihm wichtig.44 Im Ant- wortschreiben Frörs wurde Verständnis signalisiert, aber der angedrohte Kirchenaustritt natürlich nicht für gut geheißen. Frör meinte, man müsse „die Treue zu unserer Kirche unter allen Umständen bewahren“.45 Ein weiterer Brief des besorgten Vaters ging an Regie- rungsrat Zinkl von der Regierung Oberbayern, in dem er mitteilte, daß die evangelischen Eltern, „deren Kinder auf Grund ihrer Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche gezwungen sind, sich von der Lehrerin Frl. R. unterrichten ... zu lassen,“ zu einer Unterschriftenaktion entschlossen seien. Er meinte, „wenn man die Bekenntnisschule propagiert und als allein seligmachend hinstellt, dann soll man auch etwas für sie tun ...“46 Ein Schreiben des evan- gelischen Pfarrers von Aichach an die Regierung von Oberbayern offenbarte das Dilemma der Bekenntnisschulen für die Minderheiten: Da bereits mehrere Eltern ihre Kinder zu Ver- wandten oder in Internate geschickt hätten, würden Kirchenaustritte unzufriedener Eltern den Fortbestand der Schule gefährden.47 Die Kinder der Familie Böhme wurden tatsächlich aus der evangelischen Kirche abgemeldet, obwohl dieser Schritt die Eltern in einen schwe- ren Gewissenskonflikt brachte. Der zuständige Schulrat vertrat die Ansicht, daß die religiö- se Erziehung vor jeglicher intellektueller Bildung Vorrang haben müsse. Der evangelische Pfarrer wies die Eltern darauf hin, daß er, falls ein Kind stürbe, dieses nicht in geweihter Erde begraben dürfe. Ungeachtet dessen ließ der Pfarrer allerdings durchblicken, daß auch ihn

42 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113) Amtsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern. München. Nr. 1/16.1.1951, S. 5. 43 Familienarchiv Böhme. Schreiben des Hugo Böhme, Aichach, am 6.1.1952 an Herrn Lizentiat Frör. 44 Ebda. 45 Ebda. Schreiben des Beauftragten für kirchl. Unterweisung in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern am 11.1.1952 an Herrn H. Böhme, Aichach. 46 Ebda. Schreiben des H. Böhme am 27.1.1952 an die Regierung von Oberbayern. 47 Ebda. Schreiben Pfarrer H., Aichach, am 24.1.1952 an die Regierung von Oberbayern.

417 die Vorstellung, seine eigenen Kinder demnächst in die dubios geführte evangelische Bekenntnisschule schicken zu müssen, mit Unbehagen erfüllte. Es zeugte von Gottvertrauen und Vertrauen in die Richtigkeit ihres Schrittes, daß die Eltern Böhme sagen konnten: „Unsere Kinder sterben nicht, sie brauchen aber Bildung.“48 Es handelte sich nicht um einen Einzelfall. Im „Nordbayerischen Textilbrief“ Nr. 18/1954 vom 15. Oktober 1954 wurde der Fall veröffentlicht, daß ein evangelischer Vater sein Kind in die voll ausgebaute katholische Schule (24 Klassen) schicken wollte und nicht in die zweiklassige evangelische Bekenntnisschule. Da das SchOG das nicht zuließ, er sein Elternrecht aber durchsetzen wollte, nahm er das Kind aus der evangelischen Kirche heraus und meldete es - nunmehr konfessionslos- in der katholischen Bekenntnisschule an, da nun die Wahl zwischen den beiden Bekenntnisschulen frei war. Dieser Vater tat ein übriges: er meldete sein Kind zum evangelischen Religionsunterricht an, was nach dem SchOG natür- lich möglich war.49 Zu diesem Schreiben gibt es das Konzept einer Erwiderung, in der in ähn- licher Weise argumentiert wurde, wie der Aichacher Schulrat es tat. Wiederholt habe es sol- che Fälle gegeben, man sei aber der Meinung, daß es sich dabei weniger „um eine Tücke der bayerischen Schulorganisation handelt, sondern um ein sehr bedauerliches Versagen von Eltern, die glauben, daß ein angeblicher intellektueller Vorteil wichtiger sei, als die reli- giöse Erziehung ihrer Kinder“.50 Den Religionsunterricht wollte man dem Kind aber nicht verweigern, „da die bedauerliche Haltung der Eltern sich dann in noch schmerzlicherer Weise an dem Kind auswirken würde“.51 Der Abgeordnete Beck (SPD) hatte die hier geschilderten Fälle vorausgesehen, als er während einer Landtagsdebatte im Juli 1950 meinte: „Es kann aber auch der Fall eintreten, daß die Eltern der Minderheit sagen: Ja, Gott, die ganze Religion kümmert uns nichts. Wir verlangen, daß unsere Kinder eine gute Schulausbildung haben; sie können genau so gut in die katholische ... oder ... evangelische Schule gehen! Die Eltern sind heute bemüht, ihren Kindern eine gute Schulausbildung zu geben, weil es bei uns so ziemlich das einzige Kapi- tal ist, das man den Kindern mitgeben kann. Der Wunsch nach einer guten Schulausbildung wird sich über alle religiösen Dinge hinwegsetzen.“52 Bei den Überlegungen der Familie Böhme spielte diese Einstellung eine große Rolle, sicher auch vor allem bei Flüchtlingsfami- lien. Oder sie schlossen sich der Meinung des Senators Geistlicher Rat Mühler an, der während der Senatsdebatte um das geplante Schulorganisationsgesetz die Bedenken hin- sichtlich der Beeinflussung der Minderheit durch die Angehörigen des Mehrheitsbekennt- nisses zu zerstreuen gesucht hatte: „Welch großer Unterschied besteht denn schon zwi- schen evangelischer und katholischer Theologie beim Schulunterricht?“53, eine Aussage, die geradezu ketzerisch war und die Schulkämpfe ad absurdum führte. Die Familie Böhme vertraute natürlich auch den Bestimmungen des Schulorganisationsgesetzes, daß gemäß Art. 136 BV die religiösen Empfindungen der Andersdenkenden zu beachten seien, und der KME Nr. IV 86351, daß während der Religionsstunden die Minderheitenschüler entweder in einem anderen Raum beaufsichtigt oder, falls das nicht möglich war, zwar anwesend waren, aber nicht unterrichtet wurden. Die Autorin selbst war eine der Töchter der Familie Böhme in der Mädchen-Volks- schule in Aichach, die von Armen Schulschwestern geführt wurde. Der Unterricht war aus- gezeichnet und dem der evangelischen zweiklassigen Bekenntnisschule weit überlegen. Der

48 Erinnerung d. Verf. 49 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Schreiben des Evang.-Luth. Dekanats Hof, Wittmann, am 15.10.1954 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, München. 50 Ebda., Konzept. LKR München. 22.10.1954 an das Evang.-Luth. Dekanat Hof. i.A. Sch. 51 Ebda. 52 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 168. Sitzung am 5.7.1950, S. 592. 53 Buchinger, S. 439. Er zitiert Bay. Senat, 1948, S. 35.

418 lange Schulweg machte es erforderlich, daß sie in der Schule blieb, wenn der Geistliche Rat Religion unterrichtete. Manchmal konnte man der Küchenschwester im Garten helfen oder räumte im benachbarten Kindergarten auf oder wusch Tintenfässer aus. Viel interessanter aber war der Religionsunterricht, in dem die Drittklässler auch für die Kommunion vorbe- reitet wurden. Eifrig lernte sie die Lieder, übte die Rituale, schmückte „Maialtäre“ und ver- ehrte den Geistlichen Rat, einen freundlichen älteren Herrn. Dieser, nichtsahnend, daß seine fleißigste Schülerin der anderen Konfession angehörte, lobte sie bei der Klassenlehrerin und erfuhr erst dann, daß das Kind evangelisch bzw. im Augenblick konfessionslos war. Der alte Herr starb, als die Autorin ins vierte Schuljahr ging, und sie stand mit ihren Klassenkame- radinnen an der Straße, durch die der Sarg geführt wurde, heftig schluchzend und ein „Ave Maria“ nach dem anderen betend (in katholischer Bethaltung!). Der Übertritt ins Gymnasi- um bedeutete auch, daß die Religionszugehörigkeit keine Rolle mehr spielte. Es gab nun gemischte Klassen mit je eigenem Religionsunterricht, der für die Autorin und ihre Zwil- lingsschwester (von den Eltern nun wieder in der evangelischen Kirche angemeldet) inso- fern ein wöchentlicher Schrecken war, als der evangelische Pfarrer die „abtrünnigen“ Kin- der gehörig für die Entscheidung büßen ließ, die die Eltern getroffen hatten. Und als eins der Mädchen gar kurz vor Buß- und Bettag glaubte, es handele sich um „Peter und Paul“, da fanden Hohn und intolerantes Geschrei kein Ende. So grotesk dies Beispiel klingen mag, es zeigt doch, daß alle in das Schulorganisationsgesetz und ministerielle Entschließungen eingearbeiteten Bestimmungen nicht ausreichten, ein wißbegieriges Kind vor religiöser Beeinflussung zu bewahren, und wenn die Unterweisung in einem so frühen Alter erfolgt, so ist sie besonders gründlich gelegt worden, und wenn es sich um einen Lerninhalt han- delt, der sich nur in Nuancen von der konkurrierenden Lehre unterscheidet, so hat man, wie die Autorin selbst feststellen mußte, Mühe, beides auseinanderzuhalten. Für strenggläubi- ge Mitglieder der beiden christlichen Kirchen mag das eine schreckliche Vorstellung sein, der Autorin verhalfen die Erfahrungen der ersten Schulzeit zu großer Toleranz in religiösen Fragen. Die Sorge um eine adäquate Schulbildung für alle veranlaßte die FDP, im Juni 1954 einen „Gesetzentwurf zur Änderung der SchOG“ im Landtag einzubringen, der lautete: „Bekenntnisschulen können von Kindern anderer Bekenntnisse besucht werden, wenn die ... für ihre religiöse Erziehung Verantwortlichen dies vor Schuljahresbeginn beantragen.“54 Der Vorstoß blieb erfolglos.

6.9. ABSTIMMUNG DURCH DIE ERZIEHUNGSBERECHTIGTEN

Das Schulorganisationsgesetz war von den Liberalen und den Sozialdemokraten Bay- erns dringend gefordert worden, da diese Parteien sich dadurch das Ende der völlig unein- heitlichen Vorgehensweise in der Frage Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschule und die stär- kere Berücksichtigung des Elternwillens erhofften.1 Schon lange vor Inkrafttreten des umstrittenen Gesetzes hatte es erhebliche Differenzen über Abstimmungsmodalitäten gege- ben. Kultusminister Hundhammer ließ Willenserklärungen zugunsten der Gemeinschafts- schule nicht zu, da es dafür keine gesetzlichen Regelungen gab; Abstimmungen zugunsten der Bekenntnisschule dagegen unterstütze er, da sie in Ausübung des verfassungsmäßig

54 Die Bayerische Schule, 7. Jg. Nr. 31 vom 15.11.1954, S. 494.

1 siehe S. 378, Fußnote 1.

419 garantierten Elternrechts geschähen.2 Über eine ziemlich merkwürdige „Abstimmung“ wurde aus Bad Kissingen berichtet. Sie fand bereits im März 1946 statt, was deutlich macht, daß die katholische Kirche schon zu diesem frühen Zeitpunkt alle Register zog, um ihre Stel- lung zu festigen. Der Berichterstatter, kommissarischer Rektor und stellvertretender Schulrat, schrieb an den damaligen Ministerpräsidenten Hoegner, es solle die Abstimmung über Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschule „an einem Sonntag nach der Predigt in der Sakri- stei in offenen Listen vorgenommen werden.“ Das sei „verhüllter Terror ... von der Predigt weg, auf geheiligtem Boden und zwar zur österlichen Zeit, in offene Listen: wer wagt da ‚Gemeinschaftsschule‘ hineinzuschreiben oder ‚nein‘? ... Die Anhänger der Gemein- schaftsschule haben überhaupt keine Organisation ... Die Schwarzen scheren ihre Schäf- chen ... (Er) zittere um die wahre Demokratie ... , wenn ich den Einfluß der ‚alleinseligma- chenden‘ bayerischen Demokraten neuester Prägung beobachte.“3 So konnte leicht behauptet werden, daß die Mehrheit der Eltern sich für die Bekenntnisschule ausgespro- chen habe. Der Abgeordnete Hagen (SPD) beurteilte die Situation so: „ ... das Elternrecht werde vielfach nur dann anerkannt, wenn ein im voraus angestrebtes Ziel durch seine Hilfe erreicht werden könne.“4 Diese Haltung wurde da deutlich, wo Behörden bzw. Kirchenbehörden Bekennt- nisschulen beantragten, was ja auch im SchOG verankert wurde. Auch wenn Eltern, Leh- rer und Gemeindebehörden für die Gemeinschaftsschulen eintraten, wurde den Anträgen der Kirchen stattgegeben, da sie keine Anträge im rechtlichen Sinn seien, sondern „Erinne- rung an Pflichterfüllung“, nämlich die gesetzliche Schulart einzurichten.5 Vielfach konnte der Erinnerung an Pflichterfüllung nicht Folge geleistet werden, wie z.B. das Stadtschulamt Bamberg im November 1947 dem Metropolitankapitel in Bamberg mitteilte, wo für 55 Klas- sen mit 2482 Schülern 15 Schulzimmer im Kaulbergschulhaus zur Verfügung standen.6 Der Gedanke an Einführung von Bekenntnisschulen verbot sich angesichts solcher Verhältnis- se. Sicherlich eine Ausnahme bildete das Vorgehen des Abgeordneten Gromer (CSU), der im Landtag berichtete: „In der letzten Zeit kam ein Bürgermeister zu mir und sagte: Bei uns ist es notwendig, wir müssen es gemeinsam machen. Darauf erwiderte ich: Aber sie kön- nen es nicht machen und ich auch nicht. Bringen Sie mir den Elternwillen und führen Sie irgendwie eine Abstimmung herbei. Er hat es so gemacht, und ich als katholischer Geistli- cher habe ihm geholfen, eine Gemeinschaftsschule einzurichten, die heute noch dort steht.“7 Unmöglich konnte Kultusminister Hundhammer ein Überhandnehmen solcher Fälle dulden, versuchte er doch, an möglichst vielen Orten vollendete Tatsachen zu schaffen.8 Auf große Empörung allerdings stießen die kultusministerielle Anordnung vom 2. Oktober 1947 und die RE. der Regierung von Oberbayern vom 14. Oktober, in denen die „Bereinigung“ auf dem Gebiet des Volksschulwesens gefordert, die Entfernung der evan- gelischen Schüler aus den bisherigen Klassen verfügt und von „Ausgliederung“ und „Aus- sonderung“ gesprochen wurde.9 Der Abgeordnete Korff (FDP) verglich diese Anordnungen

2 Huelsz, S. 188. 3 BayHStA München. MK 61204. Schreiben des Anton Haas, komm. Rektor und Vorsitzender des Ausschus- ses im Vorstellungsverfahren entlassener Lehrkräfte und stellv. Schulrat, am 11.3.46 an Ministerpräsident Hoegner. 4 Buchinger, S. 444. Er zitiert Die Bayerische Schule 4/1951, S. 275. 5 Huelsz, S. 150 f. Sie zitierte Dr. Hornstein, Kultusministerium, im KA, 10. Sitzung, 21.10.48, S. 25 ff und Hund- hammer im LT, 43. Sitzung am 12.12.47, S. 500. 6 BayHStA München. StK 113972. Schreiben des Stadtschulamts Bamberg am 13.11.1947 an das Metropoli- tankapitel, Bamberg (=engste Mitarbeiter des Erzbischofs). 7 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 42. Sitzung vom 11.12.1947. S. 476. 8 siehe Seite 378 f. 9 ACSP München. NL Seidel. Beilage 945. Antrag vom 12.12.1947 (Dr. Korff, FDP, u. FDP, SPD, DBl). Betr.: KE. Nr. 4021 I 31 vom 2.10.1947 und Anordnung Nr. 433/47 vom 14.10.1947; ebda., Beilage 2012. Beschluß vom 3.11.1948.

420 mit der Aussonderung und Ausgliederung der Judenkinder in der Nazizeit10 und meinte, es habe mit Kultur nichts mehr zu tun, wenn der Kultusminister berichte, es sei diese konfes- sionelle Bereinigung „bis jetzt ohne große Gewaltmaßnahmen“ und „im wesentlichen ohne grobe Zusammenstöße“ vonstatten gegangen.11 Korff konnte sich nicht vorstellen, daß bei der Durchführung der Anordnungen, wie sie auf Weisung des Regierungspräsidenten von Oberbayern in Weilheim und Umgebung stattfand, die Erziehungsberechtigten der ausge- sonderten Schulkinder befragt worden waren.12 Die Aussprache im November 1948 im Landtag zu diesem Vorfall ergab, daß die Regierungsentschließung an das Schulamt Weil- heim durch einen Antrag des evangelischen Pfarramts Penzberg veranlaßt worden war, ob im Auftrag der Eltern, wurde nicht geklärt. Tatsache war, daß dem Antrag auf Errichtung evangelischer Bekenntnisschulen in Weilheim, Murnau, Penzberg und Peißenberg stattge- geben worden war,13 was die Ausgliederung der evangelischen Schüler aus ihren bisheri- gen Schulen nach sich zog, auch gegen den Willen ihrer Eltern. Sobald es die evangelische Bekenntnisschule gab, mußten die Kinder sie ja besuchen. Bis zum Inkrafttreten des Schulorganisationsgesetzes gab es die unterschiedlichsten Abstimmungen, Aufrufe und Aktionen. In Ensdorf bei Amberg hatte sich eine „Katholische Elternvereinigung“ gebildet,14 die, zusammen mit dem Ortsgeistlichen, den „gesamten katholischen Abgeordneten aller Fraktionen“ in einer Entschließung nahelegte, für das Schulorganisationsgesetz zu stimmen, da es den „religiös-sittlichen Gewissenspflichten katholischer Eltern voll“ entspreche.15 Im Ort Thalfingen machte der katholische Pfarrer gegen die Flüchtlinge und die evangelische Aushilfslehrkraft Stimmung, als er auf einer Ver- sammlung der CSU bekundete: „Wenn die Evangelischen eine Schule haben wollen, dann sollen sie sich eine bauen.“ Die Schule in Thalfingen sei katholisch.16 Anhänger der Gemein- schaftsschule, die glaubten, daß sie ihren Elternwillen durchsetzen könnten, indem sie als Verein „Freunde der Gemeinschaftsschule“ auftraten und gegen Anordnungen der Regie- rungen, Bekenntnisschulen zu errichten, kämpften, erkannten häufig nicht, daß sie gegenü- ber katholischen Elternvereinigungen den kürzeren ziehen mußten, da deren Anträge auf Errichtung von Konfessionsschulen verfassungskonform waren. Die „Freunde der Gemein- schaftsschule“ aus Neukirchen bei Sulzbach-Rosenberg konnten natürlich „schärfste Ver- wahrung ... gegen jedwede Zerreißung der Schule in Neukirchen“ einlegen, mit ihrem ange- drohten Einspruch beim Verfassungsgerichtshof hätten sie keinen Erfolg gehabt.17 Manche Schulämter waren mit der Rechtslage nicht vertraut, die vor Inkraftsetzung des SchOG noch vorsah, daß eine Gemeinschaftsschule errichtet werden könne, wenn eine „hinreichende Zahl von Erziehungsberechtigten (also nicht die Gemeinde oder Stadtrat)“ sie beantrage.

10 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 42. Sitzung am 11.12.1947, S. 485; ADL Gum- mersbach. NL Thomas Dehler N1-21. Protokoll der Landeshauptausschußsitzung in Schwabach am 10. und 11.1.1948. 11 Ebda., S. 484. 12 Ebda., S. 486. 13 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 91. Sitzung am 3.11.1948, S. 227-230. 14 Katholische Elternvereinigungen wurden „auf oberhirtliche Weisung“ gebildet. (BayHStA München. MK 61319. Bericht der Regierung von Oberbayern am 9.3.1948 an das Staatsministerium für Unterricht und Kul- tus. Stand des Volksschulwesens. Bericht des Schulrats von Berchtesgaden). 15 ACSP München. I/9 1946-50 /5-11 mit 9-25. Schreiben der KEV Ensdorf am 18.11.1948 an die Landtags- fraktion der CSU. 16 BayHStA München. StK 113972. Schreiben des Bürgermeisters Piofka, Thalfingen, am 29.1.1946 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Von den ca. 1200 Einwohnern Thalfingens waren 230 evange- lisch. 17 AdsD Bonn. SPD-LTF Bay 138. 1951, Allgem. Korrespondenz - J-R. Schreiben des Vereins „Freunde der Gemeinschaftsschule“, Neukirchen bei Sulzbach-Rosenberg, am 14.12.1948 an den Regierungspräsidenten der Regierung Niederbayern-Oberpfalz, Regensburg. Elternvereinigungen „zur Förderung der Gemein- schaftsschule“ bildeten sich überall in Bayern (AdsD Bonn. SPD-LTF Bayern 111. Allg. Korresp. A-H 12/50- 5/51.).

421 Als hinreichend galt die Zahl von 50 schulpflichtigen Kindern. Auf eine Anfrage des katho- lischen Pfarrers von Aibling hatte Domkapitular Zinkl noch erklärt, die katholische Bekennt- nisschule werde dort „eine vollausgebaute Volksschule bleiben, während die Gemein- schaftsschule nur eine teilweise ausgebaute Volksschule wird. In den folgenden Jahren ... wegen ihrer reicheren Gliederung werden die Eltern die Bekenntnisschule bevorzugen und dadurch wird die Gemeinschaftsschule in wenigen Jahren, vielleicht schon im nächsten Jahr, eingehen.“ Eine Gemeinschaftsschule in Aibling, sei daher ein „totgeborenes Kind“, und wenn man den Anhängern der Gemeinschaftsschule diesen Gedankengang klarmache, der nach Zinkls Auffassung realpolitisch war, dann ließen sie sich vielleicht von ihrem Vorhaben abhalten.18 Nahezu identische Argumente verwendete die Gegenseite, z.B. in Kulmbach. In einem Elternbrief teilte der Oberbürgermeister mit, daß nur derjenige, der den Wahlzettel für die Gemeinschaftsschule unterschreibe, die Garantie habe für eine Erziehung in christli- cher Toleranz, den Verbleib in der Klassengemeinschaft, ein gut ausgebautes Schulsystem, kurze Schulwege und ausreichenden Klassenraum. Eltern, die die Konfessionsschule woll- ten, müßten voraussichtlich mit längeren Schulwegen rechnen, da nicht für jede Minder- heit („z.B. Katholiken“) ein extra Schulhaus gebaut werden könne, und mit der Zusam- menfassung mehrerer Jahrgänge in einer Klasse.19 Nach diesem Elternbrief folgte ein Schrei- ben, das vom Stadtrat und Schulamt Kulmbach unterzeichnet war und mit dem Hinweis darauf begründet wurde, daß die Eltern „durch die wiederholten Bekanntgaben der kirch- lichen Stellen zugunsten der Konfessionsschule einseitig unterrichtet“ worden seien. Die Stadtverwaltung habe sich daher genötigt gesehen, „den Eltern auch die andere Seite des Problems aufzuzeigen“. Es hätten ja auch keine Elternversammlungen stattgefunden, da die Kirche, weil bei öffentlichen Versammlungen Sympathien für die Gemeinschaftsschule zu beobachten waren, eine Schädigung ihres Ansehens befürchtete.20 Über das Vorgehen in Kulmbach berichtete der katholische Dekan empört nach München. Schulrat Hundt habe außerdem am 28. November zu den Eltern gesprochen und sie durch seine Gegenwart ein- geschüchtert, auch die Lehrer „zeigten das Bestreben, die Kinder im Sinne der Gemein- schaftsschule zu beeinflussen und über die Kinder auf die Eltern einzuwirken“. Das doku- mentierte der Dekan anhand von Äußerungen, die die Lehrer bei der Verteilung der Wahl- zettel gegenüber den Kindern gemacht haben sollten: „Wenn ihr die gelben Zettel nicht zurückbringt, dann seht ihr mich nicht mehr bei euch. Wenn eine von euch nicht den unter- schriebenen Zettel zurückbringt, dann habe ich mit meiner Versetzung zu rechnen. Wenn ihr nicht unterschreibt, kommt ihr in ein anderes (ferner liegendes) Schulhaus ...“21 Der Dekan bezeichnete die gesamte Aktion als ungesetzlich, was sie schließlich auch war, wenn- gleich die SPD betonte, 96,6 % der Kulmbacher Eltern hätten sich für die Gemeinschafts- schule entschieden und würden nun, da das Kultusministerium mobilisiert worden sei, „unter den kirchlichen Willen gezwungen“. Ein Schulkampf in weit „schärfere(r) Form als irgendwo“ drohe nun.22 Solange das Schulorganisationsgesetz mit seinen Durchführungsbestimmungen fehlte, schien es wirklich so zu sein, wie der Abgeordnete Pittroff (SPD) die Lage beschrieb:

18 BayHStA München. MK 61319. Bericht der Reg. v. Obb. am 9.3.1948 an das Staatsministerium für Unter- richt und Kultus. Stand des Volksschulwesens. Bericht des Schulrats von Aibling. 19 Ebda.,. StK 113972. Elternbrief des OBB von Kulmbach am 19.11.1949. 20 Ebda., Schreiben des Stadtrats und Schulamts Kulmbach am 29.11.1949. 21 Ebda., Schreiben des Kathol. Stadtpfarramts am 29.11.1949 an das Ministerium für Unterricht und Kultus. 22 AdsD Bonn. SPD Korresp. des LV Bayern (Korr., Rdschr., Pressedienst) 1949/133. Sozialdemokratische Presse- Korrespondenz. SPK. Nr. 79 vom 19.12.1949.

422 „... durch das Fehlen der Ausführungsbestimmungen (sind) der Willkür Tür und Tor geöff- net ...“23 Und man konnte sich nicht des Eindrucks erwehren, den die Oppositionsparteien im Landtag hatten, daß dem Kultusminister die Verfassung immer dann gelegen kam, wenn es sich um die Durchsetzung seiner Wünsche, also der Bekenntnisschule, handelte.24 Auch der unklare Rechtszustand ohne ein definitives Schulgesetz war ihm angenehm; denn, wie der Abgeordnete Schneider (FDP) erläuterte, hatten die Erziehungsberechtigten „in dem- selben Augenblick, wo eine Einführung der Bekenntnisschule auf Grund des Artikels (135 BV) verfügt wird,“ noch gar nicht die Möglichkeit, die Gemeinschaftsschule zu beantragen. Er forderte deshalb im Juli 1948, entweder sofort das Schulorganisationsgesetz zu schaf- fen, das es den Eltern ermöglichen würde, die Gemeinschaftsschule zu beantragen und durchzusetzen, „oder daß die Verfügung des Ministeriums, wonach die bayerischen Schu- len mit Beginn des neuen Schuljahrs, also sofort, in Bekenntnisschulen umzuwandeln seien, zurückgezogen wird.“ Seiner Meinung nach ginge es nicht an, einen Verfassungsartikel nur zur Hälfte zu erfüllen.25 In Erlangen versuchte das Schulamt, „in eigenartiger Weise und unter merkwürdigen Umständen“ - so waren die Worte des Protest einlegenden Pfarrers Meyer - eine Abstim- mung über Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschule durchzuführen. Der Pfarrer wollte am 23. Juni 1948 um 10 Uhr das Loschgeschulhaus betreten und fand sämtliche Türen ver- sperrt. „Lehrer und Schüler wurden kurz vor Klassenwechsel mit Zetteln überrascht, welche die Eltern zu(r) ... Entscheidung aufforderten.“ Seiner Meinung nach wurde die Abstim- mung „aufs geheimnisvollste durchgeführt“ und widerspreche demokratischer Auffassung. Eine solche Taktik des Überfalls könne „nur in einer Diktatur angewandt werden“. Stadt- schulrat Löffler hätte die Errichtung einer evangelischen Bekenntnisschule immer wieder zugesagt, aber nicht durchgeführt. Pfarrer Meyer bezweifelte die Rechtmäßigkeit der Abstimmung,26 und damit hatte er recht. In den großen Städten wie München und Nürnberg waren die Abstimmungen der Eltern nicht so problematisch. Da gab es genügend Schulen, darunter auch Gemein- schaftsschulen, unter denen sie wählen konnten. Das Stadtschulamt München gab im Mai 1949 eine Ausschreibung zur Schuleinschreibung für das kommende Schuljahr heraus, in welcher betont wurde, daß den Eltern die Wahl zwischen den beiden Schularten freistehe und daß „den Eltern ... nunmehr die Möglichkeit und das Recht gegeben (sei), ihre Kinder nach freier Wahl in jenem Schulkörper anzumelden, der ihrem Elternwillen“ entspreche. Auch die Möglichkeit einer Umschulung für die Jahrgänge zwei bis sieben sei gegeben. Aus einem beigefügten Verzeichnis konnten die Eltern ersehen, welchen Charakter - evangeli- sche Bekenntnisschule, katholische Bekenntnisschule, Gemeinschaftsschule - die einzelnen Volksschulen hatten. In einem angehängten Formblatt sollten die Eltern ihren Willen bekun- den.27 Wie sich die freie Willensäußerung der Eltern tatsächlich abspielen konnte, belegt ein Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung: „Als ich im Jahr 49 mein Kind zur Schule anmel- dete, wurde mir gesagt, daß sich die Gemeinschaftsschule in der Simmern-, die Bekennt- nisschule in der Haimhauserschule befände. Da die Simmernschule damals noch Schwarz- handelszentrum war und außerdem nur über 2 verkehrsreiche Straßen zu erreichen, ent- schied ich mich für die näherliegende Haimhauserschule. Bei der Anmeldung dort mußte

23 Ebda., SPD-LTF Bay 5. Korresp. von/mit Landtagsamt. Schreiben des Klaus Pittroff, Bayreuth, am 27.10.1948 an die SPD.-Landtagsfraktion in München. 24 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 87. Sitzung am 22.9.1948, S. 52. 25 Ebda., Stenograph. Bericht. 80. Sitzung am 23.7.1948, S. 1714. 26 LKAN. KRD Nürnberg 239. Schreiben des Pfarrers Karl Meyer, Erlangen, am 25.6.1948, an das Evang.-Luth. Dekanat, Erlangen. 27 Ebda., KRD Nürnberg 238. Vorbemerkung Ref. 8/5/L. Stadtschulamt München, Schulrat Tröndle. 6.5.1949. Betr.: Schuleinschreibung 1949/50.

423 ich aber einen Schein unterschreiben, daß ich für die Bekenntnisschule stimme. Wie ich pro- testierten auch andere Eltern über diesen Zwang ...“28 Dieses Beispiel zeigt, daß den Eltern Gesundheit und Wohl ihrer Kinder mehr am Herzen lag als die Frage, ob das Seelenheil in der Gemeinschafts- oder Bekenntnisschule besser bewahrt bleibe. Auch die Ummeldung von der Bekenntnis- in die Gemeinschaftsschule schien mit Schwierigkeiten verbunden gewesen zu sein, denn eine Mutter beschwerte sich bitter darüber, daß nur eine „Zeit- spanne von abends 1/2 6 Uhr bis anderntags früh 8 Uhr gegeben war“. Sie habe nicht ein- mal ihren Mann fragen können.29 In München sprach man auch bei der Schuleinschreibung im Jahr 1950 von Schul- kampf und von „Härten bei der Einweisung in Konfessionsschulen“.30 Hier versuchten die Anhänger der Gemeinschaftsschule ebenso wie die katholischen Pfarrer, mit Handzetteln die Eltern der Schulanfänger zu beeinflussen in ihrer Wahl der Schule. Auf zwei DIN-A-4- Seiten ermahnten die katholischen Pfarrämter die Eltern, ihre Pflicht zu tun und die Bekenntnisschule, die „wahre Erziehungsschule“, zu wählen. Vielfältige Gründe dafür wur- den angegeben, unter denen ein Argument besonders beachtenswert war: „Man hat uns schon einmal die Gemeinschaftsschule aufgezwungen und gesagt: Es bleibt ja alles wie bis- her. Es hat nicht lange gedauert, dann mußten die Kreuze aus der Schule entfernt werden. Diese Erfahrung genügt uns ein für allemal! Die Gemeinschaftsschule, die man heute als so harmlos und christlich hinstellt, ist die Vorläuferin der religionslosen und religionsfeindlichen Schule von morgen, der Schule des totalitären, alles gleichschaltenden Staates, der die Glau- bens- und Gewissensfreiheit, die Erziehungsrechte der Eltern mit Füßen tritt. Eltern hütet Euch!“31 Verständlicherweise mußte man sich auf knappem Raum auf verkürzte Argu- mentation beschränken, aber daß man die Anhänger der Gemeinschaftsschule, z.B. die FDP, in die direkte Nachfolge des totalitären, gleichschaltenden Staates stellte, war zumindest unredlich. Ziemlich trostlos hieß es gegen Schluß des Aufrufs: „... unser heranwachsendes Geschlecht braucht eine ... religiös gegründete Erziehung für ihren schweren Lebensweg in die dunkle Zukunft.“32 Die hier dokumentierte pessimistische Weltsicht war für eine christ- liche Kirche nicht überzeugend. Nach Inkrafttreten des Schulorganisationsgesetzes waren die Schwierigkeiten kei- nesfalls behoben. Sämtliche Beteiligten schienen retten zu wollen, was zu retten war, und vermittelten den Eindruck, als seien sie übervorteilt worden. Eltern, deren Kinder in eine Schule gingen, die, der Not der Zeit entsprechend, de facto eine Gemeinschaftsschule war, gaben z.T. keine Erklärung darüber ab, welche Schulart sie wünschten, da sie die Frage für überflüssig hielten. Die Folge war, daß diese Kinder im darauffolgenden Schuljahr die Bekenntnisschule als Regelschule besuchen mußten, da sie ja die Gemeinschaftsschule nicht ausdrücklich gewählt hatten.33 Ebenso unverständlich war den Eltern, daß die gewohnte Gemeinschaftsschule plötzlich Bekenntnisschule war, obwohl sie das gar nicht gewollt hat- ten. Sie kamen sich hereingelegt vor,34 und sie wußten sich z.B. auch keinen Rat, wenn sie einen Antrag auf Gemeinschaftsschule gestellt hatten und ihn zurückziehen wollten, wenn sie merkten, daß nur eine einklassige Schule eingerichtet werden konnte.35 Häufig wurde

28 BayHStA München. MK 61204. Süddeutsche Zeitung vom 17.8.1953. Leserbrief von Charlotte P., München. 29 Ebda., Schreiben von Elly W., München, am 27.7.1949 an das Kultusministerium. 30 Ebda., Bericht des Städt. Oberschulrats am 6.9.1950. Betr.: Einspruch gegen die Schuleinschreibung an den Münchner Volksschulen; ebda., Beilage 3954. Antrag am 14.7.1950 von Schneider, Bezold Otto und Frakti- on (FDP), Stock und Fraktion (SPD). 31 LKAN. KRD Nürnberg 238. Aufruf der Münchner Pfarrer am Pfingstfest 1950. 32 Ebda. 33 BayHStA München. MK 61203. Nürnberger Nachrichten Nr. 54 vom 7.4.1951. 34 Ebda. 35 Ebda., Entwurf eines Schreibens des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus im Mai 1952 an die Gesell- schaft zur Verbesserung des bayerischen Schul- und Bildungswesens e.V.

424 ihnen bei einer Anmeldung zur Gemeinschaftsklasse schon von vornherein gesagt, daß eine solche Klasse kaum zustandekommen würde, und sie ließen das Kind dann nolens volens in eine Konfessionsklasse einschreiben, nur um hinterher festzustellen, daß eine Reihe von Eltern das gemacht hatten und durchaus eine Gemeinschaftsklasse hätte gebildet werden können.36 Wer konnte es aber einer Schulleitung verdenken, die Eltern überreden zu wollen, eine bestimmte Schulart zu wählen. Wenn nämlich auf die Einrichtung einer Bekenntnis- schule oder wenigstens -klasse gedrungen wurde, so konnte das eine Klassenstärke von vielleicht 35 Schülern sein, während die Gemeinschaftsklasse auf 75 Schüler ansteigen konnte; denn im Etat des Kultusministeriums gab es eine bestimmte, nicht überschreitbare Zahl von Planstellen.37 Die Unzufriedenheit verstärkte sich durch manche unglückliche Akti- on der Regierungen bei der Versetzung konfessionsfremder Lehrkräfte, 38 so daß die Eltern, die für sich kein Elternrecht mehr sahen, nicht selten in Schulstreik traten. Das Kultusmini- sterium betrachtete „jeden Schulstreik als eine ungesetzliche Handlung“ und kündigte an, daß „in Zukunft von den Mitteln des Gesetzes zur Ahndung von Schulversäumnissen Gebrauch“ gemacht würde. Offensichtlich werde „bei jeder Gelegenheit ein Schulstreik vom Zaun gebrochen“, und „einer derartigen Störung des Unterrichts, einer Herabsetzung jeder Autorität und einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Schule und Elternhaus“ könne das Ministerium nicht länger untätig zusehen.39 Der Amtierende Lan- deskommissar für Bayern, Clarence Bolds, der an Ministerpräsident Ehard schrieb, daß die „Umstellung des deutschen Volkes auf die Demokratie ein grundlegender Zweck der Besat- zung“ und man „daher an demokratischen Kundgebungen des öffentlichen Lebens inter- essiert“ sei, meinte, daß, wie im Falle der Gemeinde Staudach-Egerndach, die Drohung, „mit Strafmaßnahmen gegen die Eltern und streikenden Kinder vorzugehen, ... zwar recht- lich korrekt gewesen sein“ mochte, doch sei er sich „ganz und gar nicht sicher, daß damit der Sache der Demokratie ein guter Dienst erwiesen“ worden sei.40 Die evangelische Kirche traute den Eltern offenbar nicht viel Urteilsvermögen zu bei der Wahrnehmung ihres Abstimmungsrechts. Jedenfalls erschien es dem Landeskirchenrat angebracht, darauf hinzuweisen, daß es Eltern geben könne, die Unterschriften für beide Schularten leisteten. Das Konzept für einen entsprechenden Hinweis im Amtsblatt enthielt noch den später gestrichenen Zusatz, daß es „erfahrungsgemäß Eltern gibt, die je nach Beeinflussung, der sie gerade ausgesetzt sind, Unterschrift ... leisten“.41 Aus diesem Grund erachtete man die klar begrenzte Zeit der Schulanmeldung als ganz wichtig. Denn wenn der Zeitraum der Anmeldung zu lang sei, habe man den Druck ständiger Agitation.42 Diesen

36 Ebda., MK 61204. Leserbrief von Lilo W.-V., München, an die Süddeutsche Zeitung. Veröffentlicht am 8./9.8.1953. 37 Stadtarchiv Bad Windsheim. Stadtchronik Bad Windsheim Jg. 1950-52. Windsheimer Zeitung vom 6.11.1950. „Gemeinschaftsschule oder Bekenntnisschule. Lebhafte Versammlung im Storchensaal.“ 38 Z.B. in Staudach-Egerndach, wo die evangelische Lehrerin zur Jahreswende 1949/50 versetzt wurde und die Regierung von Oberbayern die Sperrung des Gehalts androhte, falls sie sich nicht bis zum 1. Januar 1950 an ihren neuen Arbeitsplatz in Mittelfranken begeben hätte. (ACSP I/9 1946-1950 /5-11 mit 9-25. „SZ im Bild“ vom 28.1.1950; Bayerische Gemeindezeitung Nr. 2 vom 26.1.1950; NL Müller 5. Sonderdruck Klerusblatt. Organ der Diözesan-Priestervereine Bayerns, 31. Jahr Nr. 2, Eichstätt, 15.1.1951. „Was hat der Katholik Alois Hundhammer verbrochen?“ von Geistl. Rat Alois Natterer, Starnberg.). 39 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenograph. Bericht. 13. Sitzung am 27.2.1951, S. 241 (Kultus- minister Schwalber, CSU). 40 BayHStA München. StK 113972. Übersetzung des Schreibens des Amts des Amerikanischen Hohen Kom- missars für Deutschland. Amt des Landeskommissars für Bayern, München, am 26.1.1950 an Ministerpräsi- dent Ehard. gez. Clarence M. Bolds. 41 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Konzept Nr. 6220 „Ins Amtsblatt: Betr.: Durchführungen des Schulorgani- sationsgesetzes. 17.5.1951. i.V. Bezzel. 42 Ebda.

425 Druck hatte man allerdings jedes Jahr neu, denn laut SchOG galt die Entscheidung der Erzie- hungsberechtigten nur für ein Schuljahr. Manche Eltern nutzten tatsächlich (was in den Städten möglich war, wo mehrere Schularten nebeneinander bestanden), die jährliche Gele- genheit zum Wechsel der Schulart, nach Aussage von Frau Roquette, Erlangen, häufig des- halb, weil auf diese Weise auch der Lehrer gewechselt werden konnte, zu dem man sein Kind unbedingt bringen oder den man ihm ersparen wollte.43 Jedes Jahr wurden z.B. auch die Eltern der Schulanfänger in Rothenburg o. T. befragt, und da zeigte sich, wie ein ehemaliger Lehrer bekundete, daß Theorie und Praxis weit auseinander lagen, daß die Eltern vernünftiger waren als der Staat, ihren Kindern weite Wege ersparen und Freundschaften nicht auseinanderreißen wollten. In seiner Erinnerung waren es Elternbefragungen „mit Beeinflussung“! Wichtig war aber auch hier der in Aus- sicht genommene Lehrer, über den sich die Eltern schon ein Urteil gebildet hatten, ob er etwas „tauge“ oder nicht.44 In seiner Bekanntmachung zum Schulorganisationsgesetz hatte Landesbischof Meiser im Januar 1951 darauf hingewiesen, daß die neuen Bestimmungen es „unbedingt notwendig“ machen würden, „daß auf diesem Gebiet jetzt mit allem Eifer und aller Sorgfalt gearbeitet“ und daß „der Wert der evangelischen Schule nachhaltig und deut- lich ins Herz geprägt“ werden müsse.45 Gleichzeitig gab er zu, „daß es nicht in allen Fällen möglich ist, die Elternschaft für die evangelische Schule zu gewinnen“.46 Die landesweit auf- tretenden Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der Bekenntnisschulen schienen seine Befürchtungen zu bestätigen bzw. hatten sie schon bestätigt. Im Bereich Franken gab es verschiedene Vorfälle, die nicht nur den betroffenen Gemeinden Kopfzerbrechen bereiteten.

7. DER STREIT UM DIE BEKENNTNISSCHULEN IN MITTEL- UND OBERFRANKEN

Die Verhältnisse in den Regierungsbezirken Mittelfranken und Oberfranken unter- schieden sich von denen im übrigen Bayern in mancher Hinsicht. Die evangelische Kirche war hier nicht in der Diaspora, gleichwohl hatten die Katholiken mit dem Erzbistum Bam- berg eine starke Bastion im oberfränkischen Raum. Traditionell beanspruchten die Franken Eigenschaften für sich, die sie von den südbayerischen Bewohnern abhoben: mehr Offen- heit, liberales Denken, weniger Konzentration auf München, ganz zu schweigen von ultra- montanen Gedankengängen. Die Arbeiterbevölkerung in den Städten Nürnberg und Fürth war die Anhängerschaft der SPD, aus der großen Zahl der Protestanten rekrutierte sich auch die Gefolgschaft der FDP. Frankens Landtagsabgeordnete machten deutlich, daß das über- zogene Förderalismusstreben Bayerns, das Ministerpräsident Ehard und Kultusminister Hundhammer vertraten, nicht ihre Sache sei, daß „Franken auf jeden Fall beim Bund bleiben ...“ werde;1 und die Herausforderung des Kulturkampfes, den der Kultusminister begon- nen hatte, wollten sie annehmen.2 Die Sorge, vom „Münchner Zentralismus“ erfaßt und in

43 Gespräch mit Frau Roquette, Erlangen. Friedrich Nüchter hatte bereits in seiner Abhandlung über „Verfas- sung und Schule“ im Jahr 1946 auf die unmögliche Lage des Lehrers im Zeitalter des Elternrechts und der Abstimmungen mit voraussehbar wechselnden Ergebnissen aufmerksam gemacht. (ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler N1-368. F. Nüchter, Erlangen: Verfassung und Schule. 7.11.1946, S. 11 f). 44 Gespräch mit Herrn Fritz Thoma, Ansbach. 45 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Amtsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern. München. Nr. 1/16.1.1951. S. 2. 46 Ebda.

1 AdsD Bonn. LV Bayern I/11. Münchner Merkur am 7.1.1949, 4. Jg. Nr. 66; vgl. dazu Dieter Düding: Bayern und der Bund. Bayerische „Opposition“ während der Grundgesetzberatungen im Parlamentarischen Rat (1948/49). In: Staat 29 (1990). S. 354-370. 2 Ebda.

426 politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereichen benachteiligt zu werden, führte sogar zur Gründung einer „Fränkischen Arbeitsgemeinschaft“. „Sachkundige Mitarbeiter“ soll- ten Zurücksetzungen der fränkischen Gebiete feststellen, nachweisen und „durch geeig- nete Mittel“ abstellen. Einer der Arbeitsbereiche sollten die Schulen sein. Vor allem wollte man auch die finanzielle Benachteiligung Frankens verhindern. Es ginge nicht an, hieß es im ersten Rundschreiben 1948, daß „Bayern nach außen den Föderalismus betont und im Innern einen überspannten Zentralismus durchführt“. Hochrangige Persönlichkeiten gehör- ten zur „FAG“: Thomas Dehler, Euerl (MdL), Gradmann (Univ.-Prof., Erlangen), Korff (MdL), Linnert (MdL), Schlamp (Reg.- und Schulrat, Ansbach), Drexel (NN).3 Der Nürnberger CSU- Stadtrat und Landtagsabgeordnete Euerl machte während einer Fraktionssitzung seiner Par- tei in München ganz deutlich: „Unterscheiden Sie bitte Nord- und Südbayern. Viele Kreise unserer Wähler sind mit der Kulturpolitik des Kultusministers nicht einverstanden. Ich weise nur auf die Äußerung Hundhammers hin, unsere bayerische Politik werde beeinflußt vom päpstlichen Stuhl in Rom, vom Vatikan, das hat viele Bedenken erregt.“4 Als nach der Land- tagswahl 1950 die Koalitionsverhandlungen zwischen CSU, SPD und BHE anstanden, waren die Fronten durch das jahrelange Tauziehen im schulischen Bereich so verhärtet, daß Ehard in einer Fraktionssitzung der CSU mitteilte: „Von der SPD ist gesagt worden, wir könnten unsererseits als Kultusminister jeden Mann, auch einen schärferen vorschlagen. Es würde nichts dagegen gesagt; dagegen seien gegen Hundhammer derart starke Widerstände ins- besondere von Franken her erhoben worden, daß die SPD keine Möglichkeit sehe, von der Forderung abzugehen.“5 Hundhammer schrieb später: „Mich wollten die Sozialdemokra- ten nur noch sehr ungern tolerieren.“6 Die evangelische Kirche konstatierte voller Sorge, daß nach Inkrafttreten des Schul- organisationsgesetzes schulpolitische Auseinandersetzungen verstärkt im fränkischen Raum stattgefunden hätten, daß dabei die gesteigerte Aktivität der katholischen Kirche die Lawi- ne ins Rollen gebracht habe und schließlich die Gemeinschaftsschule „mit einem mehr oder weniger eindeutigen Sieg“ das Ende gewesen sei.7 Während im „katholischen Süden“ der Antrag auf Errichtung einer evangelischen Bekenntnisschule zur eindeutigen Trennung führe, die katholische Schule unerschüttert ihren Platz behaupte und Gemeinschaftsschu- len nur in ganz vereinzelten Fällen eingerichtet würden, sei „der Verlauf in evangelischen Verhältnissen ... wesentlich anders“.8 Dort sei es so, daß „(d)er Wunsch der Katholiken, für ihre Kinder, die bisher die evangelische Schule besucht haben, eine eigene katholische Schu- le zu errichten, ... sofort die Kreise auf den Plan (rufe), die für die Gemeinschaftsschule“ ein- träten. „Bei der Einstellung, die wir heute in Franken weithin vorfinden, ist das Ergebnis dann sehr häufig der Zusammenbruch des konfessionellen Schulwesens überhaupt.“ Die Zerstörung der evangelischen Schule sei damit erreicht.9 In Franken habe man eine sehr „populäre Propaganda für die Gemeinschaftsschule“, außerdem betrachte die Bevölkerung die bestehenden Volksschulen als Gemeinschaftsschulen, da die Kinder aller Bekenntnisse

3 ADL Gummersbach, NL Thomas Dehler, N1-896. Fränk. Arbeitsgemeinschaft e.V. (FAG). Rundschreiben Nr. 1/48 vom 27.11.1948. 4 ACSP München. LTF Protokolle. Niederschrift der Fraktionssitzung vom 21.6.1949, S. 2. 5 Ebda., Niederschrift der 6. Fraktionssitzung der CSU. 15.12.1950. S. 4. Nachfolger Dr. Hundhammers wurde sein früherer Klassenkamerad „an der Lateinschule in Scheyern, Dr. Josef Schwalber ... (Er) führte in der Fol- gezeit das Kultusministerium weiter im Rahmen der von seinem Vorgänger vertretenen Grundlinie.“ (Hund- hammer, Mein Beitrag, S. 13). 6 Hundhammer, Mein Beitrag, S. 13. 7 LKAN. LKR VI 1100a (3065) Schreiben des Beauftragten für kirchl. Unterweisung in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Frör, am 22.1.1951 an den Landeskirchenrat der Evang.-Luth. Kirche in Bayern. Betr.: Schulpolitische Lage. 8 Ebda. 9 Ebda.

427 diese seit 13 oder 14 Jahren gemeinsam besuchten. Die juristische Seite werde völlig igno- riert. Wenn also die Katholiken, in ihrer Dogmatik verwurzelt, Aktionen starteten mit dem Ziel, „im evangelischen Franken ein System von katholischen Bekenntnisschulen aufzubau- en,“ so werde sich „der Einbruch der Gemeinschaftsschule in Franken“ nicht aufhalten las- sen.10 Frör, der Beauftragte für kirchliche Unterweisung, schlug vor, die „katholischen Stel- len darauf hinzuweisen, daß sie mit einer solchen Aktion ... in Wirklichkeit die Ausbreitung der Gemeinschaftsschule fördern“.11 Daß er mit seiner Einschätzung nicht alleine dastand, zeigte das Schreiben des Würzburger Dekans Schwinn, der an den Landeskirchenrat schrieb: „Das Hundhammersche System macht ... das Feld reif für den Kampf um die Gemein- schaftsschule ...“12 Frör ahnte vielleicht nicht, in welchem Licht er seine Kirche darstellte, als er dazu riet, die katholische Seite zu fragen, ob es nicht besser sei, wenn ein Teil der katho- lischen Kinder eine evangelische Schule „und doch damit wenigstens einigermaßen christ- liche Schule“ besuche, anstatt die Errichtung einer Gemeinschaftsschule zu riskieren.13 Der Landeskirchenrat empfahl im Januar 1951 vor allem den Dekanaten in Franken, von Aufrufen zu Elternabstimmungen abzusehen. Stillverhalten sollte dazu dienen, daß die Eltern die Einschreibungsfrist übersahen. Die Schulen würden dann rechtlich als Bekennt- nisschulen bestehen bleiben.14 In den Fällen aber, in denen die evangelischen Pfarrer gegenüber der Propaganda für die Gemeinschaftsschule bestehen mußten, wurden ihnen „Richtlinien für die Elternversammlung“ an die Hand gegeben, in denen von verschiede- nen Gesichtspunkten aus Argumentationen bereitgestellt wurden. Bei der Begründung „Von der Kirche her“ hieß es u.a.: „Reformationsgeschichte kann hier (i. d. Bekenntnis- schule) nur richtig behandelt werden.“15 Über die Gemeinschaftsschule schrieb der Verfas- ser, sie sei „im letzten Grund eine Bekenntnisschule. Sie bekennt sich zu einer Religion, die sagt: ‚Wir glauben all an einen Gott: Christ, Jude, Türk und Hottentott.‘“16 Das solle in Elternversammlungen nicht lächerlich gemacht, sondern ernst genommen werden. Ähnliche Gedankengänge verfolgte interessanterweise die SPD, Bezirk Franken, mit ihrer „Arbeitsanweisung, mit deren Hilfe es jedem Ortsverein möglich ist, ... den Kampf um die Erhaltung und Errichtung von Gemeinschaftsschulen erfolgreich zu bestehen“.17 Hier hieß es: „5. Anweisung zur Werbung ... Die nat. soz. ‚Gemeinschaftsschule‘ war keine Gemeinschaftsschule, sondern eine Weltanschauungsschule, also eine nat. soz. Konfessi- onsschule. Alles, was man gegen sie sagt, gilt auch gegen die anderen Konfessionsschu- len.“18 Dieser Teil der „Arbeitsanweisung“ wurde von Landesbischof Meiser äußerst miß- billigt. Er bezeichnete die Gleichstellung der „Nationalsozialistischen Konfessionsschule“ mit der evangelischen Schule als „billige politische Denunziation“ und brachte das in einem scharf formulierten Schreiben an Waldemar von Knoeringen zum Ausdruck.19 In einem spä- teren Brief an A. Haas (FDP), Nürnberg, erläuterte Meiser, warum ihm die Ziele der Liberalen auch Sorge bereiteten; er signalisierte Verständnis für die Bedenken der Eltern gegen Zwerg-

10 Ebda. 11 Ebda. 12 Ebda., LKR VI 1105 (3113). Schreiben des Ev.-Luth. Dekanats Würzburg, gez. Dekan Schwinn, am 11.3.1951 an den Ev.-Luth. Landeskirchenrat, München. Betr.: Schulpolitisches. 13 Ebda. LKR VI 1100a (3065). Schreiben des Beauftragten für kirchl. Unterweisung i.d. Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Frör, am 22.1.1951 an den Landeskirchenrat der Evang.-Luth. Kirche in Bayern. 14 Huelsz. S. 174 f (Rundschreiben Nr. 1175 an alle Dekanate vom 8.1.1951, LKAN). 15 LKAN. Kreisdekan Nürnberg 238. o.D., wahrscheinlich 1951, wahrscheinlich gez. Schieder. („hier nur“ ➝ richtig müßte es heißen: „nur hier“). 16 Ebda. 17 BayHStA München. MK 61203. S.P.D. Mitteilungsblatt Nr. 3. Sozialdemokratische Partei Deutschlands - Bezirk Franken. Nürnberg, den 15.3.1951. 18 Ebda., S. 3. 19 LKAN. KRD Nbg. 42. Abdruck eines Schreibens des Landesbischofs der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern am 26.4.1951 an Waldemar von Knoeringen.

428 schulen, aber wenn es darum gehe, daß voll ausgebaute evangelische Schulen zerschlagen würden, wie die Fälle in Nürnberg, Treuchtlingen, Gunzenhausen, Windsheim, Neudros- senfeld, Arzberg, Pegnitz das gezeigt hätten, dann müsse die Kirche für die evangelische Schule kämpfen. Denn sonst sei die zu erwartende Folge, „daß der katholische Volksteil seine Bekenntnisschulen behält, während unsere evangelischen Kinder in Gemeinschafts- schulen zusammen mit Freireligiösen, Sektenangehörigen und solchen Katholiken, die mit ihrer Kirche zerfallen sind, erzogen würden.“ Eine solche Entwicklung könne die evangeli- sche Kirche nicht wünschen.20 Insgesamt kann man sich beim Studium der Quellen nicht des Eindrucks einer gewissen Hilflosigkeit bzw. Resignation erwehren, mit der verschiedene Vorgänge kom- mentiert wurden. In den kleineren Städten hätten sich erhebliche Schwierigkeiten bei Schul- einschreibungen ergeben. Man habe feststellen können, „daß dort, wo Bürgermeister, Gemeinderat, politische Parteien und Lehrer in energischer Zusammenarbeit für die Gemein- schaftsschule wirkten, in der Regel die Pfarrer nicht die Kraft besaßen, die Entwicklung zur Gemeinschaftsschule aufzuhalten“. „Übergriffe“ von Bürgermeistern oder Lehrern nann- te man die Vorkommnisse, verwarf aber die vorgeschlagene Anfechtung der Einschreibun- gen.21 Manche Pfarrämter in Franken versuchten, gegen den Feldzug der SPD zu arbeiten und ihrerseits unterschriftliche Erklärungen zu sammeln, in denen die Eltern ihre Zustim- mung zur Gemeinschaftsschule widerriefen.22 Sie taten das, sozusagen für alle Fälle, ohne zu wissen, ob diese Erklärungen - da von einer außerschulischen Stelle gesammelt - über- haupt rechtliche Bedeutung hatten.23 In den Regierungsbezirken Mittel- und Oberfranken gab es auch nach Inkrafttreten des Schulorganisationsgesetzes noch ca. 30 Gemeinden, in denen „tatsächliche Gemein- schaftsschulen“24 unterhalten wurden. Mit diesem Begriff definierte das Kultusministerium Schulen, die nicht rechtsförmlich als Gemeinschaftsschule errichtet worden,25 sondern rechtswidrig in der Zeit nationalsozialistischer Herrschaft entstanden waren, von den Erzie- hungsberechtigten aber als solche betrachtet wurden. Die gewünschte „Bereinigung“ die- ser Fälle schien eine diffizile Angelegenheit zu sein, da nicht nur ohne Wissen der Schuläm- ter nachgeforscht wurde, sondern die beiden Regierungen angewiesen werden sollten, die „in Betracht kommenden Schulverhältnisse ... auf die tatsächliche Durchführbarkeit der Anpassung an den Rechtszustand zu überprüfen und eine diesem Rechtszustand entspre- chende Regelung“ nur in den Fällen herbeizuführen, „in denen keine besonderen Schwie-

20 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler N1-145. Schreiben Lb 545 des Landesbischofs Meiser am 14.5.1954 an Dr. A. Haas, Nürnberg. 21 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Protokoll über die Vollsitzung am 17./19.7.1951. 22 Ebda., Schreiben des Beauftragten für kirchliche Unterweisung der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Frör, am 8.5.1951 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, München. 23 Ebda. 24 BayHStA München. MK 61203. Entwurf Nr. IV 27017 zur Vormerkung über „‘Tatsächliche Gemeinschafts- schulen‘, insbesondere in den Regierungsbezirken Ober- und Mittelfranken.“ o.D., wahrscheinlich Juni 1951. 25 Rechtsförmliche Gemeinschaftsschulen hatten als Rechtsgrundlage a) die Simultanschulverordnung vom 1.8.1919 (GVBL. S. 391) in Verbindung mit der VO. vom 22.6.1920 (GVBL. S. 347) für die Städte München, Nürnberg, Weißenburg, Selb; oder b) § 7 der VO. vom 26.8.1883 (GVBL. S. 407); oder c) § 9 der VO. vom 26.8.1883; oder d) (sehr interessant!) Gemeinschaftsschulen, die in einzelnen Fällen „durch die Regierungen mit besonderer Genehmigung des Kultusministeriums errichtet worden (waren), weil es notwendig erschien, derartigen Anträgen von Erziehungsberechtigten wegen der späten Verabschiedung des SchOG schon vor dessen Inkrafttreten Rechnung zu tragen (z.B. Schweinfurt)“. (Ebda.) Die Regierung von Unterfranken führte in einem Bericht vom 15.10.1948 dazu aus: „Ein Antrag der SPD Schweinfurt führte eine Elternabstimmung über die Errichtung einer Simultanschule herbei. 1115 Kinder wurden für diese Simultanschule gemeldet. Die Ver- handlungen mit dem Kultusministerium und der Regierung sind noch im Gange. In sittlicher Hinsicht kann nichts Nachteiliges berichtet werden. Es wurde vielmehr gute Zucht und Ordnung in den Klassen festgestellt“. (BayHStA München, MK 61322. Bericht Reg. v. Ufr. am 9.11.48 an Staatsministerium f. Unterricht und Kultus. Stand des VS-Wesens am 15.10.48).

429 rigkeiten“ aufträten.26 In den verbleibenden Fällen sollten die Regierungen darüber Aus- kunft erteilen, warum nicht bereits in den vergangenen Jahren „die tatsächlichen Verhält- nisse der Rechtslage entsprechend geordnet worden“ waren.27 Es gab aber auch Fälle, in denen das Ministerium die Wiedereinrichtung von Bekenntnisschulen angeordnet hatte, offensichtlich ohne die Sorge um einen Schulkampf.28

7.1. EINZELNE ASPEKTE AUS VERSCHIEDENEN GEMEINDEN

Die Vielzahl der Vorgehensweisen beim Kampf um die Bekenntnisschulen im ober- und mittelfränkischen Raum spiegelt sich in den Berichten aus einzelnen Gemeinden wider, und zwar vor allem in Beschwerden durch die jeweiligen Pfarrämter. Der evangelische Pfar- rer in Thurnau/Ofr. empörte sich über den örtlichen SPD-Vorstand, dem es gelungen sei, auch einer „kirchlichen Familie“ die Unterschrift zur Errichtung einer Gemeinschaftsschule abzuluchsen, was durch seinen, des Pfarrers Hausbesuch allerdings wieder rückgängig gemacht werden konnte.1 Der evangelische Pfarrer aus Küps, Dekanat Kronach, machte in seinem Bericht über die Einführung der Gemeinschaftsschule ebenfalls die SPD-Funktionä- re verantwortlich, die sich getreu an die Arbeitsanweisung ihrer Partei vom 15. März 19512 gehalten und eine große Anzahl von Unterschriften gesammelt hatten. Durch das „Einver- nehmen“ zwischen den Kirchen und dem Bayerischen Staat seien aus organisatorischen Gründen die 216 evangelischen und 92 katholischen Kinder gemeinsam von fünf evange- lischen und zwei katholischen Lehrkräften unterrichtet worden. Da aber de jure immer noch eine evangelische und eine katholische Bekenntnisschule bestanden, hatte die SPD handeln müssen. Vor dem Schuleinschreibungstermin lud das Pfarramt zu einer Elternversammlung ein, die jedoch einen eher umgekehrten Effekt erzielte. Verantwortlich dafür machte der Pfarrer „die aktivsten Männer der SPD, die die vordersten Plätze einnahmen“ (sic!), und einen SPD-Redner, der seine Argumente gegen die Meinung des vortragenden Pfarrers „in sehr geschickter, ja demagogischer Weise“ vorbrachte. In Küps kam den Verfechtern der Gemeinschaftsschule zu Hilfe, daß es früher viele Spannungen zwischen evangelischen und katholischen Schulkindern gegeben hatte und die Eltern nicht daran interessiert waren, die Gegensätze wieder aufleben zu lassen. Bei der Schuleinschreibung entschieden sich 22 von 23 Eltern für die Gemeinschaftsschule. Von den 281 Eltern der übrigen Kinder entschieden sich 250 für die Gemeinschaftsschule, 18 für die evangelische und 13 für die katholische Bekenntnisschule.3 Dies Beispiel zeigt, wie sehr der Blick der evangelischen Kirche verstellt war bei ihrem Eifer, die Bekenntnisschule haben zu wollen. War denn nicht ein friedliches Miteinander der Schulkinder ein wesentlicherer Beitrag zur Demokratie als die erneute Tren- nung in mehrere, häufig wieder feindselige4 Parteien?

26 BayHStA München. MK 61203. Entwurf Nr. IV 27017 zur Vormerkung über „‘Tatsächliche Gemeinschafts- schulen‘, insbesondere in den Regierungsbezirken Ober- und Mittelfranken“. o.D. wahrscheinlich Juni 1951. 27 Ebda. 28 Ebda. Da gerade das Eckchen Papier an der Quelle fehlt, kann der Ort nicht genannt werden („..., wie z.B. in ...“), an dem so verfahren wurde.

1 LKAN. LKR 1105 Bd. 1 (3113). Schreiben des Evang.-Luth. Pfarramts Thurnau am 14.8.1951 an den Evang.- Luth. Landeskirchenrat. 2 siehe S. 428 f. 3 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Schreiben des Evang.-Luth. Pfarramts Küps am 14.8.1951 an das Evang.- Luth. Dekanat, Kronach. 4 siehe S. 421.

430 Eine ganz andere Konstellation war die im Dorf Haslach, Kreis Dinkelsbühl. Dort gab es eine evangelische Bekenntnisschule in einem Gebäude des „Evangelischen Schulvereins Haslach (e.V.)“, der das Schulhaus im Jahr 1931 der Gemeinde ausdrücklich nur „zum Betrieb einer evangelischen Bekenntnisschule“ zur Verfügung gestellt hatte. Seit mehreren Jahrhunderten war die Bevölkerung im Dorf etwa zur Hälfte katholisch; die Situation im Schuljahr 1950/51 war dergestalt, daß 13 evangelische, aber 23 katholische Kinder die evangelische Bekenntnisschule besuchten. 15 katholische Eltern beantragten eine Gemein- schaftsschule mit dem listigen Ziel, dann, gemäß dem höheren Anteil an katholischen Schülern, auch einen katholischen Lehrer zu bekommen. Sie hatten jedoch nicht mit der Vehemenz ihres katholischen Pfarrers gerechnet, dem eine Gemeinschaftsschule ein beson- deres Greuel gewesen sein mußte und der daher entschieden für die Beibehaltung der evan- gelischen (!) Bekenntnisschule kämpfte. Nachdem im Protokoll der Schulpflegschaftssitzung vermerkt worden war, daß die katholischen Kinder die „gleichen Rechte“ hätten wie die evangelischen und im Schulzimmer das erwünschte Kruzifix angenagelt worden war, konn- te hier der Angriff als abgeschlagen bezeichnet werden.5 In Hohenberg an der Eger rührte ein Lehrer die Werbetrommel für die Gemein- schaftsschule, wie der dortige evangelische Pfarrer empört berichtete. Dieser Lehrer habe die Entwicklung in der Schulfrage schon seit Jahren verfolgt, sonst hätte er nicht mit so großer Sicherheit auf einer überstürzt einberufenen Elternversammlung über die Gefahren einer Spaltung durch die Bekenntnisschulen sprechen können, während der Pfarrer selbst das Schulorganisationsgesetz nicht gründlich studiert hatte und die Eltern nur vor den Gefahren einer rein weltlichen Schule warnte und vor Lehrern, die nicht die geeigneten Erzieher sein könnten, wenn ihnen „die letzte sittliche und religiöse Bindung fehle“. Ganz rasch wurden den Eltern Abstimmungszettel durch die Schule übergeben, die am nächsten Tag zurückgegeben werden mußten, so daß dem Pfarrer keine Zeit blieb für irgendwelche Initiativen seinerseits. Dieser schlagartige „Überfall in letzter Stunde“ wurde von dem Pfar- rer bitter beklagt; ferner die fehlende Weitsicht der SPD, die diese Aktion initiiert hatte, um die katholische Kirche zu treffen und nun doch die evangelische Position in Oberfranken geschwächt hatte. Außerdem beschuldigte er die SPD, daß sie es nicht zulasse, daß „unse- re evangelischen Männer und Frauen in der Fabrik ... aus der Reihe tanzen, es herrscht Par- teidisziplin“. Beklagenswert sei, daß die „wirklichen evangelischen Lehrer, die einer Schule das echte evangelische Gepräge geben“, fehlen würden, daß sie „kirchlich völlig neutral“ seien.6 Dies Schreiben zeigt, wie berechtigt der Vorwurf aus den Kreisen der Kirche selbst war, daß viele Pfarrer nicht wachsam genug die Entwicklung verfolgten und dann von ihr überrascht wurden.7 Als ausgesprochen unfein muß man die Vorgänge um die Errichtung der Gemein- schaftsschule in Neudrossenfeld bei Kulmbach bezeichnen, so sie denn in der beschriebe- nen Weise stattgefunden haben. Dort arbeitete, wie das Dekanat Bayreuth berichtete, die Ortsgruppe der SPD eng zusammen mit dem Schulleiter. Dieser lud die Eltern, die sich nicht für die Gemeinschaftsschule hatten erwärmen können, nach Ablauf der offiziellen Abstim- mungsfrist einzeln zu sich, um ihren „Widerstand zu brechen“. Er drohte ihnen „mit lan- gen Schulwegen ihrer Kinder in benachbarte Gemeinden und erklärte jeweils, daß die Kin-

5 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Schreiben des Evang.-Luth. Pfarramtes Dorfkemmathen, Kreis Dinkelsbühl, am 15.8.1951 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, München. 6 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Schreiben ZL.: 178/51 des Pfarrers R., Evang.-Luth. Pfarramt, Hohenberg a. d. Eger, am 21.8.1951 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, München. Betr.: Durchführung des Schulorga- nisationsgesetzes in Hohenberg/Eger. 7 siehe S. 429, 437.

431 der der betreffenden Eltern die letzten seien, die noch nicht für die Gemeinschaftsschule angemeldet seien“. Der Dekan forderte die Regierung von Oberfranken auf, den Schulleiter zur Rechenschaft zu ziehen und die Anmeldungen zur Gemeinschaftsschule für ungültig zu erklären.8 Die Überschreitung der Um- und Anmeldefrist für die jeweilige Schulart war auch ein Kritikpunkt im Bereich der Regierung von Mittelfranken, den Lic. Schmidt vom Evang.-Luth. Landeskirchenrat beim Kultusministerium vorbrachte. Er bezog sich auf die willkürliche Verlängerung der Anmeldezeit für die Gemeinschaftsschulen in Windsheim und Treuchtlingen und beschwerte sich, „daß in beiden Fällen die Schulbehörde wegen ihrer Zuneigung zur Gemeinschaftsschule den Anhängern der Gemeinschaftsschule absichtlich immer neue Frist für ihre Agitation gibt, damit die Schulgemeinde nicht zur Ruhe kommt und die Eltern, die ihre Kinder in der Bekenntnisschule lassen wollten, in Angst versetzt wer- den“.9 Aber auch die evangelische Seite erwog Maßnahmen, die man zumindest als unge- wöhnlich bezeichnen konnte. In Lauf regten die Kirchenvorsteher an, „es möge am Ein- schreibungstag abwechselnd ein Pfarrer vor dem Schulhaus stehen, damit die Eltern nochmals an ihre Pflicht gemahnt sind ...“ Der Pfarrer meinte dagegen, es sei zu überlegen, ob man nicht „überzeugte Frauen“ dort postieren solle, „die ... sich in Gespräche mischen und nochmals ein ernstes Wort sagen ...“10 Die Empfehlungen eines „Merkblatts zur Schul- frage“ in Nürnberg lauteten dahingehend, daß „innerliche Arbeit“ getan werden müsse: „Einzelne ... hernehmen und sie einmal gründlich informieren ... Der Pfarrer soll von vorn- herein etliche Leute auf seiner Seite haben.“ In Versammlungen der Eltern sollte auf die Schulfrage eingegangen werden, in der „Einzelseelsorge“ sollte man sie nicht vergessen. Wo möglich, könnten Hausbesuche dienlich sein; Bibelstunden sollten ihr nützen; aber in der „Arbeitsgemeinschaft Lehrer Pfarrer“ sollte die Frage der Bekenntnisschule nur auf Wunsch besprochen und Kanzelerklärungen mußten vorher unbedingt mit dem Dekan abgestimmt werden.11 Für die evangelische Kirche war die Situation in Franken schwierig, sie erreichte zum großen Teil auch die Eltern nicht, die nach Ansicht des Kulmbacher Dekans K. „mit marxi- stischem oder liberalistischem oder materialistischem Geist erfüllt“ waren und nur in gerin- ger Zahl „eigentliche(s) Verständnis für das Evangelium“ besaßen.12 Die Berichte der Pfarrer offenbarten die Gefechte nach allen Seiten, wie z.B. im Exponierten Vikariat Stadeln. Pfar- rer Mößler teilte dem Oberkirchenrat mit, daß der katholische Kaplan die Schulfrage ins Rol- len gebracht und für die über 100 katholischen Schüler an der evangelischen Bekenntnis- schule eine eigene katholische Bekenntnisschule beantragt habe. Der tiefere Grund für die- sen Antrag sei nach des Kaplans Worten der gewesen, „daß in Mittelfranken rund 70 katholische Lehrer keine reguläre Anstellung finden“ könnten. Unter diesem Gesichtspunkt trat dann der katholische Geistliche für die Gemeinschaftsschule als dem kleineren Übel ein, denn an einer solchen Schule könnten dann ja mehr katholische Lehrer unterrichten. Das unterstützte der SPD-Gemeinderat und schlug eine sofortige Umwandlung in eine Gemein-

8 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Schreiben Nr. 968 des Evang.-Luth. Dekanats Bayreuth am 11.7.1951 an die Reg. von Oberfranken, Bayreuth. 9 Ebda., Konzept Nr. 12254 am 29.9.1951 an das Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Mün- chen. Betr.: Durchführung der Schulanmeldung in Mittelfranken. 10 Ebda., Kreisdekan Nbg. 239. Schreiben des Evang.-Luth. Pfarramts Lauf am 18.4.1951 an Kreisdekan, Nürn- berg. 11 LKAN. KRD Nbg. 239 „Merkblatt zur Schulfrage“. Nürnberg, 22.11.1951; gez. D. Schieder. 12 Ebda. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Schreiben des Evang.-Luth. Pfarramts Kulmbach am 14.8.1951 an den Evang.-Luth. Kirchenrat, München.

432 schaftsschule vor. „Die Lehrerschaft verfocht eifrig den gleichen Standpunkt mit der Begrün- dung, daß ihnen im Grunde die Schulform gleich sei, wenn nur die ausgebaute Schule erhalten bliebe.“13 Ein Kampf nach allen Richtungen war es, den Pfarrer Mößler führte und von dem er selbst sagte, daß den Schaden bei dieser Regelung die evangelische Kirche trage, während die katholische Kirche in jedem Falle gewinne. Er beendete seinen Bericht mit einer persönlichen Gewissensfrage, die sich vielleicht mancher Pfarrer stellte und sich daher außerstande sah, so konsequent zu kämpfen, wie seine Vorgesetzten es gerne gese- hen hätten: „Setzen wir bei dem Festhalten an der Bekenntnisschule nicht unsere Hoffnung auf Sicherungen, die doch gar keine sind? Mußte ich wirklich um diese falsche Bekenntnis- schule, die wir hatten, einen Kampf in der Gemeinde führen?“14 Die zuerst gestellte Frage war bedenkenswert für das gesamte Vorgehen nicht nur der evangelischen Kirche. Die rech- te Antwort darauf hätte eine Befreiung der bayerischen Schulpolitik von den bestehenden Restriktionen schon Anfang der 50er Jahre und das Ende der Schulkämpfe sein können. Weit davon entfernt war man in Franken. Adolf Salffner von der Schulabteilung bei der Regierung von Mittelfranken schrieb nach München: „... die Situation bei uns wird brenz- lich.“15 Und der Fraktionsvorsitzende der CSU im Bayerischen Landtag, Prälat Meixner, „betonte ..., daß der Kampf um die Bekenntnisschule vorerst in Franken auf das heftigste entbrannt sei,“ und fügte in Richtung SPD hinzu, daß seiner Partei die Konfessionsschule „mehr wert als eine Koalition“ sei.16 Ein geringeres Übel als die Gemeinschaftsschule erschien der evangelischen Seite die Möglichkeit, katholische Lehrkräfte an einer evangelischen Bekenntnisschule zu haben. Denn in der Gemeinschaftsschule war eher die Gefahr gegeben, daß, besonders in Mittel- franken, die Zahl der katholischen Lehrer größer war im Vergleich zur Gesamtheit der Schüler als die Zahl der evangelischen Lehrer. Zwar hatte § 8 des Schulorganisationsgeset- zes festgelegt, daß bei der Auswahl der Lehrer auf die verschiedenen Bekenntnisse der Kin- der Rücksicht genommen werden müsse,17 aber gerade in Mittelfranken gab es eine sehr große Anzahl katholischer Lehrer, die untergebracht werden mußte.18 Während man in Bai- ersdorf bei Erlangen nur noch resignierend diese Entwicklung feststellte, wappnete man sich in Eckersmühlen bei Roth dagegen, indem man dem dortigen Pfarramt signalisierte, daß der Landeskirchenrat, falls die Gefahr einer Gemeinschaftsschule heraufziehen sollte, sich grundsätzlich bereit erklärte, „der Stationierung einer katholischen Lehrkraft an der evangelischen Schule zuzustimmen“.19 Auch Pfarrer Blaha in Thalmässing forderte eine katholische Lehrkraft für die evangelische Bekenntnisschule mit ihren 169 evangelischen und 64 „römischen“ Schülern, da dann die Schulart beibehalten würde und der Schullei- ter nicht katholisch sein dürfe. Außerdem seien nach dem Tod einer Lehrerin nur katholi- sche Lehrer zur Vertretung eingesetzt worden und niemand habe etwas dagegen gehabt.

13 Ebda., KRD Nbg. 239: Schreiben Pfarrer Mößlers, Stadeln, am 10.10.1953 an den Evang.-Luth. Kreisdekan des Kirchenkreises Nürnberg. 14 Ebda. 15 BayHStA München. MK 61203. Schreiben des Adolf Salffner am 14.4.1951. 16 AdsD Bonn. LV Bayern I/208. Süddeutsche Zeitung vom 5.9.1951. 17 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Amtsblatt für die Evang.-Luth. Kirche in Bayern. München. Nr. 1/16.1.1951, S. 3. 18 Ebda., Kreisdekan Nbg. 239. Schreiben des Evang.-Luth. Landeskirchenrats München, am 18.9.1952 an das Evang.-Luth. Pfarramt Baiersdorf bei Erlangen. Betreff: Besetzung der Lehrerstellen in Baiersdorf. 19 Ebda., Schreiben Nr. 6675 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats am 10.6.1952 an das Evang.-Luth. Pfarramt Eckersmühlen.

433 Symptomatisch für die Lage der evangelischen Kirche war der letzte Satz im Schreiben des Dekanats Thalmässing: „Damit, daß dabei noch allerlei hintenherum gearbeitet wird, muß man in Bayern natürlich rechnen.“20 Umgekehrt versuchte die evangelische Kirche auch, evangelische Lehrer an katholi- sche Bekenntnisschulen zu bringen, wenn eine evangelische Schule nicht zustande kam, die Zahl der evangelischen Schüler jedoch diese Maßnahme rechtfertigte. Das war z.B. im katholischen Ellingen der Fall, wo der Landeskirchenrat zwar zugab, daß es kein Idealzu- stand, aber doch von Vorteil sein könne.21 In der dortigen katholischen Bekenntnisschule waren von rund 300 Schülern immerhin 100 evangelisch, und neben den Kirchenbehörden insistierten auch die Eltern auf einer evangelischen Lehrkraft. Das war der Grund, daß der Hilfslehrer Ingo Hümmer, damals in Sammenheim, Landkreis Gunzenhausen/Weißenburg, tätig, vom Schulamt telefonisch gefragt wurde, ob er damit einverstanden sei, an die Schu- le nach Ellingen zu gehen. Die ungewohnte Höflichkeit dieser Anfrage überraschte ihn, bis zu dem Moment, als er erfuhr, daß er der einzige evangelische Lehrer an der katholischen Bekenntnisschule sein sollte.22 Im Februar 1953 ging Hümmer nach Ellingen und übernahm dort für einige Jahre jeweils die 5. bzw. 6. Klasse. Es gelang ihm nicht, auch einmal eine 7. Klasse zu bekommen, was ihn, der besonders für die Oberstufe geeignet war, erstaunte. Des Rätsels Lösung war, wie er später zufällig erfuhr, daß im 7. Schuljahr im Geschichtsun- terricht die Reformationszeit behandelt wurde; dieses Thema hatte man nicht ausgerech- net einem Evangelischen anvertrauen wollen!23 An der katholischen Bekenntnisschule konn- te Hümmer keine Planstelle besetzten. Er hätte nach seiner Ernennung zum Lehrer die Schu- le verlassen müssen; jedoch erklärte die katholische Kirche sich zu folgendem Winkelzug bereit: Der Lehrer Ingo Hümmer wurde an eine nahegelegene Dorfschule versetzt und für ein weiteres Jahr nach Ellingen abgeordnet! Danach kam es, im Jahr 1957, zur Trennung in eine katholische und evangelische Bekenntnisschule, und er übernahm die Klassen 5-8 der zweigeteilten evangelischen Schule. Eine Gemeinschaftsschule war in der ehemaligen Ordensballei Ellingen undenkbar.24

20 Ebda., Schreiben des Evang.-Luth. Dekanats Thalmässing, Dekan Graf, am 29.7.1952 an den Kreisdekan Nürnberg. 21 LKAN. Kreisdekan Nbg. 239. Schr. Nr. 3127 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats, München, am 12.8.1952 an das Evang.-Luth. Pfarramt Ellingen. 22 Gespräch mit Herrn Ingo Hümmer, Ansbach. 23 Ebda. 24 Ebda.

434 7.2. ZIRNDORF

In Franken gab es verschiedene Orte, in denen die Auseinandersetzungen um die Bekenntnisschulen ein Ausmaß annahmen, das über das lokale Interesse hinausging und gleichermaßen das Ministerium, die Kirchen, die Gemeinden und die Zeitungen beschäf- tigte. Einer dieser Orte war die Stadt Zirndorf, die vor dem Inkrafttreten des Schulorganisa- tionsgesetzes Streit mit dem Kultusministerium hatte, weil man davon ausgegangen war, daß die Eltern sich frei zwischen Bekenntnis- und Gemeinschaftsschule entscheiden konn- ten, und übersehen hatte oder nicht sehen wollte, daß die Schule de jure eine Bekenntnis- schule war, die nicht einfach in eine Gemeinschaftsschule umgewandelt werden durfte. Letztere konnte ja nur zusätzlich auf Antrag errichtet werden. Am 22. September 1948 rich- tete der Abgeordnete Gräßler (SPD) im Bayerischen Landtag eine Anfrage an das Kultusmi- nisterium, was es veranlaßt habe, „den konfessionellen Frieden einer friedlichen Arbeiter- stadt auf das empfindlichste zu stören“.1 Ein Schulstreik stehe bevor, und das Kultusmini- sterium habe ihn veranlaßt, denn es habe eine beabsichtigte Elternabstimmung verboten, da sie nicht der Rechtslage entspreche. In einer zweiten, „endgültigen“ Abstimmung hätten sich von 1400 über 1100 Eltern für die Gemeinschaftsschule ausgesprochen, aber noch bevor sie beendet worden sei, habe ein erneutes Telegramm des Kultusministeriums die Weisung erlassen, „sofort die Bekenntnisschule durchzuführen. Dies hatte zur Folge, daß in einer Klasse 9 Kinder, in der anderen 68 saßen. Darauf wurden die Kinder durch die empörten Eltern aus der Schule weggeholt. Selbst die Lehrkräfte gaben ihrer allgemeinen Entrüstung Ausdruck.“2 Am 22. September sagte Hundhammer dazu: „Der Vorfall in Zirn- dorf ist mir nicht bekannt.“ Am 13. Oktober war „Herr Staatsminister Dr. Hundhammer ... in der Lage, die Ant- wort zu geben.“3 Diese lautete folgendermaßen: „Am 9. September 1948 beschwerte sich das evangelisch-lutherische Pfarramt Zirndorf beim Kultusministerium wegen Nichtwieder- herstellung (der Bekenntnisschule). Es teilte gleichzeitig mit, daß der Stadtrat Zirndorf die Verteilung von Handzetteln zur Klärung der Frage beabsichtige, ob die Eltern die Bekennt- nisschule oder die Gemeinschaftsschule wünschen.“4 Die Handzettel wurden, zusammen mit einem Flugblatt der SPD, an die Schulklassen ausgegeben. So war die Abstimmung natürlich nicht im Sinne der Verfassung, da diese die Bekenntnisschule als Regelschule vor- sah und nur den Antrag auf Errichtung der Gemeinschaftsschule zuließ. Nun wurde von der Schulleitung die Bekenntnisschule wieder hergestellt, indem für die 1084 evangelischen Schüler rein evangelische Klassen und für die 300 katholischen Schüler sechs katholische Klassen eingerichtet wurden. Allerdings schien die Aufteilung vorerst nur dem Papier nach und nicht in der Praxis zu bestehen.5 Eine Reihe von Presseverlautbarungen beschäftigte sich mit dem Fall, Kirchen- behörde und die Verfechter der Gemeinschaftsschule wandten sich an das Ministerium, so daß dieses sich endlich entschloß, vom 16.-18. Oktober eine Schuleinschreibung anzuord- nen, um eine endgültige Entscheidung der Eltern herbeizuführen.6 Diesen wurde dann noch mehr zugemutet: Ihre Willenserklärung, bei der ca. 1200 Stimmen für die Gemeinschafts- schule und 200 für die Bekenntnisschule abgegeben wurden, ließ das Ministerium nur als

1 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 87 Sitzung am 22.9.1948, S. 51. 2 Ebda. 3 Ebda., 89. Sitzung am 13.10.1948, S. 141. 4 Ebda. 5 Ebda. 6 Ebda.; AdsD Bonn, LTF Bay 165. Korr. N-Z 1948. Schulstreit in Zirndorf; vgl. Müller; S. 211.

435 Antrag zur Errichtung einer Gemeinschaftsschule gelten. Viele Eltern reagierten darauf mit einem Schulstreik. Eine „nochmalige Einschreibung der Elternschaft (wurde) angeordnet, um eindeutig den Willen der Eltern festzustellen,“7 und zwar eine Woche später, am 23., 24. und 25. Oktober 1948. Man kann sich den Argumenten der SPD, FDP und Kommuni- stischen Partei, dargelegt in einem Aufruf an die Erziehungsberechtigten in Zirndorf, nicht entziehen, die besagten, daß das Ministerium die nochmalige Einschreibung in der stillen Hoffnung verlange, „daß es Euch zu dumm wird, so oft für eine klare Sache einzutreten ...“8 Wer nämlich nicht noch einmal zur Einschreibung kam, wurde der Konfessionsschule zugerechnet. Nur geringfügig unterschied sich das zweite Ergebnis vom ersten: von 1400 schulpflichtigen Kindern wurden 1161 für die Gemeinschaftsschule gemeldet. 140 evan- gelische und 100 katholische Kinder sollten ihre Bekenntnisschule besuchen.9 In einem Brief an den Abgeordneten Zietsch (SPD) verurteilte der Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Fürth nicht nur den Versuch, die Zirndorfer Eltern durch eine zweite Abstimmung zu überlisten, er schimpfte auch über ein „unfähiges Kultusministerium, das mehr als zwei Jahre braucht, um ein Schulorganisationsgesetz vor den Landtag zu bringen“, und verdächtigte es darü- ber hinaus, daß „durch die fehlende Vorlage (des Gesetzes) ... die Eltern mit Absicht im Unklaren gehalten“ würden.10 Dieser Ansicht entsprangen die wiederholten Aufforderun- gen der Oppositionsparteien, durch das angekündigte Schulorganisationsgesetz endlich mehr Gerechtigkeit bei den Elternabstimmungen zu gewährleisten.11 Ein Zirndorfer Schulkind schrieb in einem Aufsatz über die geschilderten Vorgänge: „Unsere Klasse. Als wir im Januar wieder in die Schule kamen erlebten wir große Überra- schung. Die Bekenntnisschule wurde eingerichtet. Vorher waren alle Kinder in der Gemein- schaftsschule. Warum geschah das? Unsere Eltern wollten es so haben. Wir wurden von der Gemeinschaftsschule herausgenommen. Unsere Lehrer, die uns gut kannten, mußten uns wegschicken. Von unseren Freunden wurden wir getrennt. Wir sind jetzt in der Bekenntnisschule. Wir haben in unserem Schulsaal sehr kleine Bänke und eine altmodische Wandtafel. Und ein Pult, das aus Tisch gebaut ist.“12 Dieses eher seltene Dokument drück- te nicht nur den Kummer und das Unverständnis über die geänderten Verhältnisse aus, son- dern gab auch Aufschluß darüber, daß eine Gemeinde die Kosten für zusätzliche Schulen nicht aufbringen konnte oder wollte. Ein Schreiben des evangelischen Pfarramts am 23. Juli 1951 an den Landeskirchen- rat bezeugte, daß die Position der evangelischen Bekenntnisschule nicht sehr stark war. Der unterzeichnende Pfarrer bemerkte betrübt, daß zwei neu zugezogene Schülerinnen nicht etwa aus Bekenntnistreue angemeldet worden seien, sondern weil die Eltern den kürzeren Schulweg bevorzugt hätten. Ansonsten hätten sie die Mädchengemeinschaftsschule gewählt. Er vermißte auch Ummeldungen aus höheren Klassen in die Bekenntnisschule und fand den Grund in der fehlenden Zivilcourage der Eltern, „die Kinder beim alten Lehrer abzumelden“.13 Er befürchtete auch, daß „bei der herkömmlichen Zusammenarbeit von Rot und Schwarz“ der katholischen Bekenntnisschule, die etwas mehr Schüler als die evan- gelische hatte (152:148), ein weiterer Lehrer auf Kosten der evangelischen Schule zuge-

7 AdsD Bonn. SPD-LTF Bay 165. Korr. N-Z 1948. Abschrift der Zeitungsnotiz vom 23.10.1948 in der Landaus- gabe der N.N. „Gemeinschafts- oder Bekenntnisschule“. 8 Ebda., „Eltern! Erziehungsberechtigte! Man läßt Euch und Euere Kinder nicht zur Ruhe kommen.“ 9 Ebda., Schreiben des SPD-Ortsvereins Fürth am 26.10.1948 an die Landtagsfraktion der SPD. Betreff: Kampf um die Gemeinschaftsschule in Zirndorf-Landkr. Fürth. 10 Ebda. 11 siehe S. 378. 12 LKAN. KRD Nbg. 239. Abschrift „Unsere Klasse“. Für die Richtigkeit der Abschrift das evang.-luth. Pfarramt Zirndorf, 17.1.1949, gez. Dr. Eppelein. 13 Ebda., Schreiben des Evang.-Luth. Pfarramts Zirndorf am 23.7.1951 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, München. Betreff: Kampf um die Erhaltung der evangelischen Schule innerhalb der Stadtgemeinde Zirndorf.

436 standen würde und diese dann nur noch 3-klassig geführt werden könne und noch unat- traktiver werde. Er selbst und die Schulpflegschaft hätten vor der Schuleinschreibung ver- sucht, durch Hausbesuche, Versand von Flugschriften, Kanzelabkündigungen und einen Ausflug der Schule nach Rummelsberg die evangelische Bekenntnisschule am Leben zu erhalten, aber der Erfolg sei sehr gering gewesen. Eine der Wurzeln des Übels sah Pfarrer Eppelein darin, daß im nahen Fürth die Kirchen sich auf die „christliche Gemeinschafts- schule“ einigen konnten und daß in Nürnberg die evangelischen Bekenntnisschulen wegen des Raummangels nur von ganz unten durch die Anmeldungen der Schulneulinge aufge- baut würden. Wie könne man den Befürwortern der Gemeinschaftsschule in Zirndorf dann klarmachen, daß das Schulwesen in ihrer Stadt zerrissen werden müsse und Umschreibun- gen aus höheren Klassen in die Bekenntnisschulen zu befürworten seien, wenn in den Nachbarstädten anders verfahren werde. Der Pfarrer klagte, daß man den Schulkampf nur einzelnen Gemeinden zumute, in denen die Kämpfenden „sich zerreiben und verbluten“ und doch schließlich verlieren würden. Man solle sich zu einem einheitlichen, geschlosse- nen Vorgehen entschließen. „Das Zeugnis der Vorkämpfer der Evang. Bekenntnisschule (werde) ... unglaubwürdig, wenn nicht die ganze Kirche sich für die Errichtung Evang. Bekenntnisschulen an allen Orten ohne Ausnahme einsetzt.“ Im Falle Zirndorfs wiege es auch schwer, daß der Graben zwischen der Kirche und der „marxistischen Arbeiterschaft, die sich auf die Gemeinschaftsschule festgelegt hat, ... nicht unwesentlich vertieft“ werde.14 In seinem dreieinhalb Seiten umfassenden Schreiben legte der Verfasser das ganze Dilemma der evangelischen Kirche in diesem Schulkampf offen: Indifferenz der eigenen Kirchenmit- glieder, Primat der Bildung vor der Religion im Bewußtsein der Eltern, Konkurrenzkampf gegen Gemeinschaftsschule und katholische Bekenntnisschule, das Gefühl der Zweitran- gigkeit gegenüber den Katholiken in Bayern und der Ohnmacht bei den eigenen Aktionen und die Uneinheitlichkeit des Vorgehens in den verschiedenen Gemeinden und Städten. Er hätte noch Verrat in den eigenen Reihen hinzufügen können, wenn die Mitteilung des Auf- rufs von SPD, FDP und Kommunisten tatsächlich der Wahrheit entsprach, nämlich, daß Pfar- rer M. für die Konfessionsschule eintrete, seine eigenen Kinder jedoch nach Fürth in die Gemeinschaftsschule schicke.15

7.3. TREUCHTLINGEN

Der Schulkampf in Treuchtlingen, wie er sich vor allem im Jahr 1951 abspielte, zeigte ganz besondere Varianten, vor allem auch in der Vorgehensweise der evangelischen Kirche. 1938 waren hier die evangelische und katholische Bekenntnisschule zur Gemeinschafts- schule vereinigt worden, und die Eltern schienen so zufrieden mit ihr zu sein, daß sie noch vor Verabschiedung des Schulorganisationsgesetzes in einer „wilden Abstimmung“ ver- suchten, diesen Zustand aufrechtzuerhalten. Ermutigt hatte sie dazu die Aussage des Rek- tors, der geäußert hatte, daß die Regierung nie eine offizielle Bekanntgabe über die Wie- dereinführung der Bekenntnisschulen herausgegeben habe.1 Diese 1950 durchgeführte Abstimmung ergab eine „überwältigende Mehrheit (80 %) für den Fortbestand der ... bestehenden Gemeinschaftsschule“.2 Allerdings wurde die Befragung „von gewisser Seite“

14 Ebda. 15 AdsD Bonn. SPD-LTF Bay Nr. 165. Korr. N-Z 1948. Eltern! Erziehungsberechtigte! Man lässt Euch und Euere Kinder nicht zur Ruhe kommen.

1 Heimatbuch Treuchtlingen, S. 269. 2 Stadtarchiv Treuchtlingen. Treuchtlinger Kurier, 64. Jg. Nr. 33 vom 20.3.1951, S. 2.

437 - gemeint waren sicherlich die Kirchen - „als Überrumpelung, die unter Druck erfolgt sein sollte, mißbilligt, und über einen Protest bei der Regierung von dort für ungültig erklärt“.3 Am 20. März und noch einmal am 22. März 1951 erschien im Treuchtlinger Kurier die Bekanntmachung des dortigen Stadtrats, daß Erziehungsberechtigte, die ihre Kinder wei- terhin „in eine gut ausgebaute christliche [sic!] Gemeinschaftsschule schicken wollen,“ gebeten wurden, „dies umgehend während der vormittäglichen Amtsstunden in der Stadt- kanzlei persönlich zu melden“.4 Daß diese Bekanntmachung den kirchlichen Stellen ein Dorn im Auge sein mußte, lag auf der Hand, denn der Terminus „Christliche Gemein- schaftsschule“ war im Schulorganisationsgesetz nicht verwendet worden und schien auch sofort moniert worden zu sein, denn am 7. April erschien eine weitere Bekanntmachung zur Begriffsklärung, nicht ohne listig nochmals auf den Antragstermin hinzuweisen und fest- zustellen, daß die beanstandete Bekanntmachung nur die Absicht gehabt habe, auf die gel- tenden Bestimmungen aufmerksam zu machen.5 Außerdem nahm man von kirchlicher Seite auch die unverhohlene Parteinahme von Stadtrat und Bürgermeister Korn (FDP) übel, denn es hieß u. a.: „Wir nehmen nicht an, daß die hiesige Bevölkerung wieder zu den frühe- ren Bekenntnisschulen zurückzukehren wünscht, weil dadurch wieder Klassen zusammen- gelegt ... werden müßten, wodurch die hiesige Schule zu einer ‚Landschule‘ herabsinken würde.“6 Die Treuchtlinger Geistlichkeit bewertete die öffentliche Mitteilung als „unerlaubte dienstliche Propaganda für die Gemeinschaftsschule ...“ und legte gegen den Bürgermei- ster Beschwerde bei der Regierung ein.7 Die Regierung beauftragte nun den Landrat, den Versuch zu unternehmen, mit den Geistlichen und dem Schulrat zu einem „Stillhalteab- kommen“ zu gelangen, das den bestehenden Zustand festschreiben sollte, allerdings ohne verbindliche zeitliche Dauer.8 In der gemeinsamen Sitzung von Landrat, Schulrat, evangeli- schem und katholischem Pfarrer wurde ein Vermittlungsvorschlag ausgearbeitet, der angeb- lich genau der Vereinbarung zwischen Kultusministerium und den beiden Kirchenbehörden entsprach, nämlich, „daß der bestehende Zustand der Volksschulen im neuen Schuljahr bei- behalten werden“ könne.9 Der Vorschlag wurde in öffentlicher Sitzung im Treuchtlinger Stadtrat besprochen und mit zwei Gegenstimmen abgelehnt. Zu viele Argumente sprachen nach Meinung der Stadträte dagegen: 130 Eltern hatten sich für die Errichtung einer Gemeinschaftsschule ausgesprochen, man konnte die Stimmen der Eltern, die den Weg zur Abstimmung im Rathaus auf sich genommen hatten, „nicht unter den Tisch fallen lassen“. Finanzielle Gründe sprachen für eine gemeinsame Schule, ebenfalls die bessere Schulbil- dung in einer gesicherten achtklassigen Schule. Mißtrauisch war man bei dem Vermitt- lungsvorschlag auch deshalb, weil die Antragsteller für eine Gemeinschaftsschule aufge- fordert wurden, ihre Anträge zurückzuziehen, um die zeitlich nicht festgelegte Beibehal- tung des bisherigen Schulzustandes zu ermöglichen. Die Eltern fürchteten, daß die Geistli- chen, sollten die Anträge zurückgenommen werden, sich „plötzlich eines anderen besin- nen und kurzfristig die Verwirklichung einer Konfessionsschule mit allen Folgerungen for- dern“ könnten.10 Man bezweifelte außerdem, daß die Pfarrer überhaupt das Recht hätten, „eine dem Gesetz zuwiderlaufende örtliche Abmachung verbindlich zu regeln“.11

3 Ebda., 64. Jg. Nr. 57 vom 16.5.1951. 4 Ebda., 64. Jg. Nr. 33 vom 20.3.1951, S. 2 und Nr. 34 vom 22.3.1951, S. 6. 5 Ebda., 64. Jg. Nr. 41 vom 7.4.1951, o. S. 6 Ebda., 64. Jg. Nr. 33 vom 20.3.1951, S. 2. 7 Ebda., 64. Jg. Nr. 42 vom 10.4.1951, o. S. 8 Ebda. 9 Ebda., 64. Jg. Nr. 56 vom 12.5.1951, o. S. 10 Ebda., 64 Jg. Nr. 42 vom 10.4.1951, o. S. 11 Ebda.

438 Die Reaktion auf Seiten der evangelischen Kirche war heftig: Am 29. April 1951 gab es in den evangelischen Gottesdiensten in Treuchtlingen - ähnlich angeblich auch in der katholischen Kirche - eine Kanzlererklärung. Man schleuderte den Gegnern des Vermitt- lungsvorschlags Matthäus 23,37 entgegen: „Ihr habt nicht gewollt!“12 Unverständlicher Starrsinn wurde den Eltern vorgeworfen; auf die offene Kampfansage müsse nun die Abwehr erfolgen. Die vorgeschlagene Gemeinschaftsschule sei eine „politisierte Kampf- schule“, in der keine gute Erziehung gedeihe. Das Ende sei die „Parteischule der Ostzone“. Die Eltern, die ihre Kinder in eine derartige Schule schicken würden, müßten sich darüber im klaren sein, daß dort kein kirchlicher Religionsunterricht erteilt werde. „Weder wir Pfar- rer noch unsere Religionslehrerinnen werden dort Unterricht erteilen, da wir dazu keine Zeit haben. Andere Lehrkräfte müßten dafür erst die kirchliche Erlaubnis haben.“ Man könne dann auch nicht „die völlig unvorbereiteten Kinder aus der religionslosen Simultanschule in den kirchlichen Unterricht zur Konfirmation“ aufnehmen; „sie werden also nicht konfir- miert und können zur freireligiösen ‚Jugendweihe‘ gehen ... Wer das für seine Kinder wünscht, kann es so haben und meldet seine Kinder zur Gemeinschaftsschule an. Wer für seine Kinder einen geordneten kirchlichen Religionsunterricht und die Konfirmation wünscht, meldet (sie) zur Bekenntnisschule an.“13 Die Gemeindemitglieder wurden aufge- fordert, „keine der zu erwartenden Versammlungen“ zu besuchen; die Pfarrer täten das auch nicht. Die Bekenntnisschule werde eine ausgebaute 8-klassige Schule sein; aber jeder müsse für sich entscheiden, ob er die „bekenntnislose weltliche Simultanschule“ oder die christliche Bekenntnisschule wolle. Den Schlußsatz der Kanzlererklärung bildete II. Mose 32, 25-26: „Da aber Mose sah, daß das Volk zuchtlos geworden war, trat er in das Tor des Lagers und sprach: Her zu mir, wer dem Herrn angehört!“14 Verschiedene Reaktionen folgten dieser Erklärung. Zunächst erbat sich Korff (FDP) in einem Telegramm an Landesbischof Meiser ein „Einschreiten zum Schutze evangelischer Gewissensfreiheit gegen gesetz- und verfassungswidriges Verhalten der Geistlichkeit“.15 Dann bildete sich aus den Kreisen des Deutschen Gewerkschaftsbundes die „Interessenge- meinschaft für die Gemeinschaftsschule mit Religionsunterricht“;16 und zahlreiche Leser- briefe im Treuchtlinger Kurier forderten das „zuchtlose Volk“ auf, sich nicht den Drohun- gen zu beugen, denn auch in einer Gemeinschaftsschule sei Religionsunterricht obligato- risch; die von den Erziehungsberechtigten bezahlten Kirchensteuern gewährleisteten ihn, und das Abkommen, das die Treuchtlinger Geistlichkeit ausgehandelt habe, sei verfas- sungswidrig. Wenn das Zurückziehen der Anträge auf Gemeinschaftsschule verlangt werde, so sei das eine plumpe List, die Eltern dahin zu bekommen, wo man sie haben wolle. Man wisse ja gar nicht, ob die Pfarrer nicht versetzt würden und die Nachfolger sich an das ver- fassungswidrige Abkommen gebunden fühlten. Die Treuchtlinger Eltern sollten sich ein Bei- spiel an Gunzenhausen nehmen, wo das „zuchtlose Volk“ rund 900 von 1100 Schulkin- dern in die Gemeinschaftsschule schicke, während der Rest in der „weit weniger guten Bekenntnisschule nach dem Landschulplan“ unterrichtet werde.17 Besonders unerfreulich mußte evangelischen Kreisen ein Leserbrief sein, der besagte: „Uns ist es gleich, wie die

12 LKAN. KRD Nbg. 239. Evang. Gemeindeblatt f. Treuchtlingen und Umgebung, 21. Jg. Nr. 4 vom 1.5.1951, S. 2. Matth. 23,37: „Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne versammelt ihre Küchlein unter ihre Flü- gel; und ihr habt nicht gewollt!“ 13 Ebda. 14 Ebda. 15 Stadtarchiv Treuchtlingen. Treuchtlinger Kurier, 64. Jg. Nr. 52 vom 3.5.1951, S. 7. 16 Ebda., Nr. 54 vom 8.5.1951, S. 4. 17 Ebda., Nr. 57 vom 16.5.1951, S. 5.

439 Schule heißt. Wir wollen nur eine gemeinsame Schule ...“18 Gegen ein solches Maß an Indif- ferenz ließ sich schwer angehen. Noch einmal betonten die Treuchtlinger Pfarrämter in einer Stellungnahme im Kuri- er, daß die eingereichten Anträge auf Errichtung einer Gemeinschaftsschule gegenstandslos geworden seien, da das Ziel dieser Anträge, der gemeinsame Unterricht für alle Kinder, bereits durch das Stillhalteabkommen erreicht worden sei. Die Eltern sollten sich weiterhin für die bestehende Schulart erklären, und damit sei der Treuchtlinger Schulkampf „gerade recht vor Pfingsten“ ja wohl beendet.19 Ein Schreiben des evangelischen Pfarramts Treuchtlingen an den Landeskirchenrat offenbarte allerdings, daß die Befürchtungen der Eltern nicht grundlos waren. Pfarrer Kelber schrieb, daß der zweite „(und letzte) Angriff auf unsere hiesige Bekenntnisschule abgewehrt ... ist, zunächst [sic!] in der Form der ‚Vereinigten Bekenntnisschule‘ ...“. Er bat um die Genehmigung dieses Zustands, „mit dem wir zunächst zufrieden sind, da sich der äußeren Trennung der beiden Konfessionen große Raumschwierigkeiten in den Weg stellen“. Fer- ner ersuchte er, die Zustimmung des Kultusministeriums zu dieser Treuchtlinger Besonder- heit zu erwirken, da immer wieder Bedenken geäußert würden, daß diese „private“ Ver- einbarung höheren Orts nicht genehmigt würde. Es gehe „zunächst um Zeitgewinn“!20 Die Drohung, in einer Treuchtlinger Gemeinschaftsschule keinen Religionsunterricht halten zu können, wurde aufrechterhalten und angekündigt, daß man, mit Hilfe eines ausgezeich- neten Juristen, auch einer etwaigen Klage vor dem Verfassungsgerichtshof entgegentrete. Aussichtslos wäre seine Haltung vor Gericht nicht gewesen, denn die Ausführungsbestim- mungen zum Schulorganisationsgesetz legten unter B. 3. (II) fest: „Auch ist von den betei- ligten kirchlichen Oberbehörden eine Äußerung darüber einzuholen, ob die Erteilung des lehrplanmäßigen Religionsunterrichts gesichert ist.“ Diese Äußerung mußte „nach pflicht- gemäßem Ermessen im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen“ gewürdigt werden.21 Nichts werde zurückgenommen, der Kampf sei mit kirchlichen Mitteln geführt worden.22 Und dann schrieb Pfarrer Kelber noch folgendes: „Ferner bitten wir, unseren Antrag befür- worten zu wollen, wonach ab September 1951 Herr Hauptlehrer Leibenzeder-Vach, als 1. Rektor der hiesigen Bekenntnisschule ernannt werden möge. Die Regierung in Ansbach ist damit einverstanden. Damit haben wir die Gewähr, daß der seitherige katholische Gemein- schaftsschul-Rektor Burkhart mit seinem Einfluß ausgeschaltet und der Schulfriede in unse- rem Sinne gewährleistet wird. Alsdann kann der weitere Plan des Ausbaues der evangeli- schen Schule in Angriff genommen werden, wozu die Vorarbeiten inzwischen getroffen wurden.“23 Dieses Schreiben rechtfertigte das Mißtrauen der Gemeinschaftsschul-Anhän- ger, denn es offenbarte die Winkelzüge, derer man sich bedient hatte: das Spielen auf Zeit; die Behauptung, es habe bereits eine Vereinbarung mit dem Ministerium gegeben,24 wohin- gegen in dem Brief erst um die Zustimmung gebeten wurde; das Eingeständnis, daß „große Raumschwierigkeiten“ sich der Trennung der beiden Konfessionen in den Weg stellten und daß bereits Vorarbeiten zum Ausbau der evangelischen Schule getroffen worden waren. Die Bitte um einen der Kirche genehmen Schulleiter näherte sich bedenklich der geistlichen Schulaufsicht.

18 Ebda., Nr. 52 vom 3.5.1951, S. 7. 19 Ebda., 64. Jg. Nr. 56 vom 12.5.1951, o. S. 20 LKAN. KRD Nbg. 239. Schreiben des Evang.-Luth. Pfarramts Treuchtlingen am 13.5.1951 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat München. 21 Ebda., LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Amtsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern. München. Nr. 1/16.1.1951, S. 4. 22 Ebda. 23 Ebda. 24 Stadtarchiv Treuchtlingen. Treuchtlinger Kurier, 64. Jg. Nr. 56 vom 12.5.1951, o. S.

440 Kelber hatte geschrieben, daß der Angriff auf die evangelische Bekenntnisschule abgeschlagen worden sei. Gleichwohl ging die Auseinandersetzung um die Schulfrage in Treuchtlingen weiter, und zwar unmittelbar mit einer „Aufklärungsversammlung in der Stadthalle“, die gut besucht und von „Rededuellen“ gekennzeichnet war. Hier betonte Rek- tor Burkhart noch einmal, daß viele Eltern irrtümlich annähmen, daß in Treuchtlingen eine Gemeinschaftsschule bestehe und nicht verständen, warum sie erst wieder beantragt wer- den müsse. Er gab außerdem bekannt, daß 559 evangelische und 264 katholische Schüler und elf evangelische und sechs katholische Lehrkräfte an der Schule seien. Das vorläufige Übereinkommen einer vereinigten Bekenntnisschule habe vorerst bis Mai 1952 Gültigkeit.25 Damit hatte er die Befürchtungen derer bestätigt, die nach der Dauer der Vereinbarung gefragt hatten. Bürgermeister Korn (FDP) fügte hinzu, daß man sich im Ministerium „zu dem vorläufigen Stillhalteabkommen bequemen mußte“, da man aus den kleinen Städten, in denen der Schulkampf entbrannt sei, so viele Telegramme erhalten hatten. „In bewuß- ter Täuschungsabsicht“ habe man die Gemeinschaftsschule als „Heidenschule“ hingestellt. Stadtpfarrer Kelber bekräftigte, daß „aus technischen Gründen“ für Religionsunterricht an einer Gemeinschaftsschule keine Zeit zur Verfügung stehe und daß niemand, „weder die Regierung noch die Kirchenbehörde, (ihn zwingen) könne, Religionsunterricht zu geben, wenn ihm keine Zeit zur Verfügung stehe“. Daher könnten dann auch die Schüler „nicht rechtzeitig konfirmiert werden“. Die Reaktionen darauf waren derart - z.B. empörte man sich, daß man „für die religiöse Erziehung der Neger ... Missionare nach Afrika (schicke), während sich unsere Geistlichen auf Zeitmangel berufen“ -, daß der Rektor offiziell die Auf- klärungsversammlung schloß. Die Polemik ging ihm zu weit über das eigentliche Ver- sammlungsziel hinaus.26 Der evangelische Pfarrer Reinisch fürchtete um die Christlichkeit der Gemeinschaftsschule, da der Lehrer an ihr die Möglichkeit habe, sein Bekenntnis zu wechseln, „während an den Bekenntnisschulen das Apostolische Bekenntnis immer gesi- chert sei“.27 Die Situation der Lehrkräfte an der Treuchtlinger Schule hatte ein Kommentar zur Kanzelerklärung in der Bayerischen Schule im Visier. Carl Weiß stellte klar, daß die örtlichen Kirchenbehörden keineswegs den weltlichen Lehrern die Erlaubnis zur Erteilung des Religi- onsunterrichts zu geben hätten. Vielmehr hätten die Lehrer sich das Recht dazu durch eine Prüfung erworben. Der Staat habe, da der bekenntnismäßige Religionsunterricht auch in der Gemeinschaftsschule pflichtmäßiges Lehrfach ist, für die Erteilung dieses Unterrichts zu sorgen. Er sei also auf jeden Fall gesichert, auch wenn der Ortsgeistliche keine Zeit habe.28 Weiß fragte außerdem an, ob denn die Verfasser der Kanzel-Erklärung glaubten, daß die Lehrer einen Gesinnungswandel vollziehen würden, falls die Eltern sich für die Gemein- schaftsschule entschieden. Die Lehrer in Treuchtlingen bleiben dieselben, ob in einer „ver- einigten Bekenntnisschule“ oder in einer Gemeinschaftsschule; ihrer Religion würden sie in letzterem Fall nicht abschwören und sich auch nicht als „ostzonale Propagandeure“ ent- puppen.29 Der Evang.-Luth. Landeskirchenrat beeilte sich, der Schriftleitung der Bayerischen Schule mitzuteilen, daß die Treuchtlinger Kanzelerklärung „aus theologischen, kirchlichen und schulischen Gründen von uns nicht gebilligt werden“ könne. Das Pfarramt in Treucht- lingen habe bereits eine „entsprechende Belehrung erhalten ...“30

25 Ebda., 64. Jg. Nr. 57 vom 16.5.1951. S. 4 f. 26 Ebda. 27 Ebda. 28 Die Bayerische Schule, 4. Jg. Nr. 13 vom 5.7.1951, S. 211 f. 29 Ebda., S. 212. 30 LKAN. KRD Nbg. 239. Schreiben Nr. 9906 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats am 7.8.1951 an die Schriftlei- tung der „Bayerischen Schule“, München.

441 Durchaus legitim war natürlich der „letzte Appell zur Schulfrage“ im evangelischen Gemeindeblatt kurz vor der Schulanmeldung, mit dem noch einmal die Bedeutung der Bekenntnisschule hervorgehoben, die Gefahren der Gemeinschaftsschule deutlich gemacht und die dunkle Zeit ohne Kreuz im Klassenzimmer während des Dritten Reiches beschworen wurde. Den Eltern wurde ziemlich deutlich gesagt, daß die Wahl der Gemeinschaftsschule den Rückfall in die Nazi-Zeit nach sich zöge.31 Die Schulanmeldung war insofern ein wich- tiger Termin, als an dem Tag neben der Anmeldung der künftigen Erstklässer auch die größeren Schüler in die jeweilige Schulart umgemeldet werden konnten. In Treuchtlingen hielten sich daher am 5. Juli 1951 die Klassenlehrer aller Klassen in ihren Schulzimmern auf, um die Erklärungen der Eltern, welche Schulart ihre Kinder im folgenden Schuljahr besu- chen sollten, entgegenzunehmen. Die Schulleitung machte in ihrer Bekanntgabe in der Zei- tung darauf aufmerksam, daß Kinder, deren Eltern keine Erklärung abgeben würden, in der - rechtlich bestehenden - Bekenntnisschule verblieben.32 Dieselbe Ausgabe enthielt auf der- selben Seite auch den Aufruf der „Interessengemeinschaft für die Gemeinschaftsschule mit Religionsunterricht“, die Gemeinschaftsschule zu wählen, der noch einmal am 5. Juli, dem Tag der An- bzw. Ummeldung, erschien. Aber auch „Die evangelische Elternvereinigung“ informierte an diesem Tag noch einmal die Eltern durch die Zeitung darüber, daß nur „die Freidenker“ für die Gemeinschaftsschule einträten, und man scheute vor einer bewußten Irreführung nicht zurück, als man erklärte: „Alle, die Kinder bis jetzt schon in der Schule hat- ten, müssen sie natürlich nicht einschreiben. Sie können ruhig zuhause bleiben ...“33 Wer das aber tat, hatte damit sein Kind für die Bekenntnisschule angemeldet. Außer den Bekanntmachungen in der Zeitung wurden am Abstimmungstag Lautsprecherwagen ein- gesetzt, um für die eine oder andere Schulart zu werben; die Pfarrer besuchten alle Eltern persönlich, und es wurde bekanntgegeben, daß von diesen sich 80 % für die Bekenntnis- schule entschieden hätten.34 Der Treuchtlinger Kurier meldete am 7. Juli, daß von den 67 Schulanfängern 55 zur Gemeinschaftsschule, sechs für die evangelische und sechs für die katholische Bekenntnis- schule gemeldet worden seien. Außerdem seien von den insgesamt 759 Schulpflichtigen der Treuchtlinger Volksschulen 609 für die Gemeinschaftsschule, 78 für die evangelische und 72 für die katholische Bekenntnisschule gemeldet worden.35 Eine Woche später laute- ten die „endgültigen“ Zahlen 619 für die Gemeinschaftsschule, 69 für die evangelische und 72 für die katholische Bekenntnisschule.36 Offensichtlich hatte die Aussicht auf eine nur zweiklassige Schule noch einmal neun evangelische Eltern die Fronten wechseln lassen. Auch die katholische Bekenntnisschule erhielt zwei Klassen, während an der Gemein- schaftsschule 13 Lehrkräfte und ein Rektor erwartet wurden.37 Beide Pfarrämter, evangelisch und katholisch, konnten mit dem Ergebnis nicht zufrie- den sein, und nach Schulbeginn im September war die Situation noch schlechter und ver- anlaßte die Pfarrer, an das Kultusministerium zu schreiben. Beklagt wurde vor allem, daß noch einmal am 4. September eine Ummeldung möglich gewesen sei, die vor allem von den evangelischen Eltern genutzt worden sei, da noch einmal für 22 evangelische Kinder Anträge zur Gemeinschaftsschule gestellt wurden. Möglich sei ein Wechsel dadurch gewor-

31 LKAN. Kreisdekan Nbg. 239. Evangelisches Gemeindeblatt für Treuchtlingen und Umgebung, 21. Jg. Nr. 6 vom 1.7.1951, o. S. 32 Stadtarchiv Treuchtlingen. Treuchtlinger Kurier, 64. Jg. Nr. 78 vom 3.7.1951, S. 8. 33 Ebda., Nr. 79 vom 5.7.1951, S. 8. 34 LKAN. KRD Nbg. 238. Zeitungsartikel „Kampf um die Schulreform“ o. Angabe der Zeitung, Nr., Datum. 35 Stadtarchiv Treuchtlingen. Treuchtlinger Kurier, 64. Jg. Nr. 80 vom 7.7.1951, o. S. 36 Ebda., Nr. 83 vom 14.7.1951, o. S. 37 Ebda.

442 den, daß die Regierung von Mittelfranken der Bezirksschulbehörde, also Landrat und Schul- rat in Weißenburg, die Entscheidungsfreiheit einräumte. Der Bescheid von dieser Behörde ermöglichte es am 25. September nun sogar 27 Schülern, die Gemeinschaftsschule zu besu- chen, so daß die seit Schulbeginn existierende zweiklassige evangelische Bekenntnisschule auf eine einklassige reduziert zu werden drohte.38 Vor dieser Zwergschule hätten aber auch die kirchentreuen Eltern große Angst. Beide Pfarrer riefen das Kultusministerium um Schutz an, denn in Treuchtlingen sei den Bekenntnisschulen „soviel Unrecht angetan worden“, und die Anhänger der Gemeinschaftsschule hätten den Kampf „nicht fair“ geführt. Man bat um die Revision der Bezirksschulbehörde, um die evangelische Bekenntnisschule wenigstens zweiklassig zu sichern.39 Das gelang nicht, denn schließlich blieben im Herbst 1951 nur 39 Schüler in der Schule zurück, die sofort einklassig wurde, während die katholische Schule zweiklassig blieb.40 Die Aufgliederung in drei Schulen dauerte fünf Jahre, in deren Verlauf die Bekenntnisschulen zeitweise zwei- und dreiklassig angehoben wurden. Im Jahr 1956 schließlich gingen sie in die Gemeinschaftsschule über.41

7.4. WINDSHEIM

Der Schulstreit in Windsheim, der sich über mehrere Jahre hinzog, ließ sich nicht auf die Frage Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschule reduzieren. Sie war nur ein Teilaspekt der Auseinandersetzungen. Hinzu kam hier vor allen Dingen der Anspruch einer Gemeinde nach Selbstverwaltung, den man durch das Schulorganisationsgesetz gefährdet sah. Außer- dem spielte zu Beginn der Kontroverse der Paragraph 7 des Gesetzes eine Rolle, wonach bei Errichtung einer Bekenntnisschule der Konfessionsminderheit alle Kinder dieser Kon- fession die neu errichtete Schule besuchen mußten. In Windsheim, wie in vielen anderen Orten, waren die beteiligten Personen, Politiker und Geistliche, sowie die Nachkriegsverhältnisse entscheidende Faktoren. Ein Zeitzeuge, H. Delp, Herausgeber der Windsheimer Zeitung, beschreibt die damalige Situation: Entschei- dend war zunächst, daß der Bürgermeister, Dr. Buchheim, kein gebürtiger Windsheimer, der FDP angehörte. Er war evangelisch und sehr auf die Integration der Flüchtlinge und Ver- triebenen bedacht. Windsheim war traditionell evangelisch, die wenigen Katholiken waren die bayerischen Beamten bei Post und Bahn oder die Notare. Auch durch den Militärstand- ort Illesheim nahe Windsheim waren Katholiken in die Gegend gekommen. Erst 1938 gab es eine eigene katholische Kirche, vorher nur einen Gemeindesaal. Der evangelische Dekan Ackermann wurde als konziliant beschrieben. Er habe den Schulkampf aber immer vor dem Hintergrund des NS-Regimes gesehen und überdies lange in der Diaspora in Unterfranken gewirkt, was seine wachsame Einstellung gegenüber der katholischen Kirche bestimmt habe. Die Gemeinde stand in der Schulfrage nicht geschlossen hinter ihrem Dekan, und das Auffüllen der evangelischen Bekenntnisklassen bereitete Probleme. Der im Schulstreit maß- gebende katholische Geistliche Maas galt als höflich, sehr glatt, aber unnachgiebig. Es wurde behauptet, er sei als „westfälischer Glaubensbote“ geschickt worden, um die katho- lische Gemeinde „auf Linie“ zu bringen.1 Bei den evangelischen Einheimischen sei der Ver-

38 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Schreiben des Evang.-Luth. und des Katholischen Pfarramts Treuchtlingen am 26.9.1951 an das Staatsmin. für Unterricht und Kultus. 39 Ebda. 40 Heimatbuch Treuchtlingen, S. 270. 41 Ebda.

1 Gespräch mit Herrn Delp sen., Bad Windsheim.

443 dacht aufgekeimt, daß man im protestantischen Franken „das Katholische“ etablieren, sich aber nicht assimilieren wolle. Es gab ziemlich viele sudetendeutsche, zumeist katholische Flüchtlinge, die sich aber nicht als Hundhammer-Anhänger, sondern böhmisch-katholisch verbindlich zeigten. Über die Auseinandersetzungen in einer „nicht guten Atmosphäre“ waren sie nicht glücklich, denn sie sorgten sich um das Fortkommen ihrer Kinder und die erschwerten Bedingungen z.B. bei der Suche nach einer Lehrstelle in den Betrieben der evangelischen einheimischen Handwerksmeister.2 Über die Lehrer, die in dieser Zeit in Windsheim tätig waren, hieß es, die katholischen seien keineswegs „Scharfmacher“, die evangelischen nicht unbedingt „kir- chenfromm“, aber sehr distanziert zu Hundhammer gewesen. Der Landtagsabgeordnete des Landkreises Uffenheim, zu dem Windsheim gehörte, Falk, war Mitglied der FDP; nach Aussagen Delps ein „protestantischer Fundamentalist“. Seine starke Stellung und die sei- ner Partei war z.T. das Ergebnis der Hundhammerschen Politik. Man habe die Kirche als „fünfte Besatzungsmacht“ empfunden, und das habe „die Franken störrisch“ gemacht.3 Zusätzlich hätten die Bewohner dieses an das katholische Unterfranken grenzenden Land- kreises besonders aufmerksam Aktionen der katholischen Kirche beobachtet, so daß man eher liberalen Gedankengängen folgte und die CSU hier jahrelang keinen Erfolg verbuchen konnte; ganz im Gegensatz zum benachbarten Kreis Neustadt a. d. Aisch, wo die CSU eine große Anhängerschaft hatte. In Windsheim selbst war die Freie Wählergemeinschaft stark, die auch zeitweise den Bürgermeister stellte.4 Vor dem Hintergrund des so geschilderten Lokalkolorits spielte sich der Schulstreit in Windsheim ab. Zu Beginn des Jahres 1950 beantragten die katholischen Kirchenbehörden, „gestützt auf die Mehrzahl der Eltern,“ die Errichtung einer katholischen Bekenntnisschule.5 Zu der Zeit gab es in Windsheim die evangelische Bekenntnisschule, die alle Kinder besuch- ten. Für 24 Volksschulklassen waren 22 Räume vorhanden. Die katholischen Schüler waren, „nicht in den einzelnen Klassen verstreut, sondern seit Jahren in den verschiedenen Klas- sen zusammengefaßt“, den sogenannten „C-Klassen“.6 Das hieß, daß es in jedem Jahr- gang zwei rein evangelische und eine konfessionell gemischte Klasse gab. Diese Maßnahme diente auch der einfacheren Organisation des katholischen Religionsunterrichts. Die C-Klas- sen wurden zum größeren Teil von katholischen Lehrkräften - insgesamt vier - unterrichtet. Damit war auch der Anteil der katholischen Lehrer im Kollegium angemessen vertreten.7 Der Stadtrat wollte vor seiner Entscheidung über die Errichtung einer katholischen Bekennt- nisschule eine Umfrage durch die Stadtverwaltung durchführen lassen, um sich ein Bild über die zu erwartenden Klassenstärken zu machen.8 Man befürchtete allerdings eine Belastung der angespannten Schulraumsituation und rechnete im günstigsten Fall mit einer 4-klassi- gen Schule für ca. 185 Schüler, um deren Leistungsstand man fürchtete. Allerdings war auch schon der Wunsch katholischer Eltern laut geworden, die Kinder in der vollgegliederten Schule zu belassen. Die katholischen Erziehungsberechtigten sollten im Rathaus ihren Wil- len bekunden, ob sie ihre Kinder in die drei- oder vierklassige katholische Bekenntnisschule schicken würden „oder ... in der bisherigen achtklassigen Volksschule mit Religionsunter- richt in der eigenen Konfession zu belassen wünschen“.9

2 Ebda. 3 Ebda. 4 Ebda. 5 Stadtarchiv Bad Windsheim. Stadtrat Windsheim. Sitzungs-Buch 1950. Niederschrift über die Stadtratsitzung am 5.1.1950, 19 Uhr. Beschluß Nr. 1 6 Ebda., Stadtchronik Bad Windsheim Jg. 1950-52, 5.1.1950. „Katholische Bekenntnisschule?“ 7 Ebda., 22.1.1950. „Stadtrat vorerst gegen katholische Bekenntnisschule.“ 8 Ebda., Stadtrat Windsheim. Sitzungs-Buch 1950. Niederschrift über die Stadtratsitzung am 5.1.1950, 19 Uhr, Beschluß Nr. 1. 9 Ebda., Stadtchronik Bad Windsheim Jg. 1950-52, 5.1.1950. „Katholische Bekenntnisschule?“

444 Die Umfrage ergab, daß für 140 Kinder die katholische Bekenntnisschule gewünscht wurde, also nur eine 3-klassige Schule zu erwarten war. Die übrigen katholischen Erzie- hungsberechtigten votierten für einen Verbleib ihrer Kinder an der evangelischen Bekennt- nisschule, und Bürgermeister Buchheim sicherte dieses Gastrecht zu, da er glaubte, einen Antrag auf Errichtung einer Gemeinschaftsschule und damit die weitere Zersplitterung des Schulwesens vermeiden zu können.10 Er erklärte auch, ausdrücklich bei den Schulbehörden zu beantragen, jede ausscheidende katholische Lehrkraft durch eine ebensolche zu erset- zen. Er bezeichnete es als glücklichen Umstand, daß die gemeinsame Schule keine tiefen Gräben zwischen den Konfessionen hatte aufreißen lassen, und wollte dies erhalten. Im übrigen seien die Bestrebungen der katholischen Seite nur dadurch initiiert worden, daß im Herbst 1949 eine „aus oberbayerischen Verhältnissen entstandene Ministerialentschließung ..., wonach die evangelischen Flüchtlingslehrkräfte, die an katholische Bekenntnisschulen verschlagen (worden) waren, mit katholischen Flüchtlingslehrern an evangelischen Bekennt- nisschulen ausgetauscht werden sollten,“ katholische Kreise erschreckt habe.11 Dennoch erkannte der Windsheimer Stadtrat das Elternrecht an und wollte gegen die beantragte katholische Bekenntnisschule keinen Einspruch erheben, falls sich die Schulverhältnisse für die bestehende Schule nicht verschlechterten oder der Stadt finanzielle Lasten zugemutet würden, „die in der heutigen Notzeit nicht zu verantworten wären“. „Gegenwärtig“ sah sich der Stadtrat allerdings verpflichtet, Einspruch zu erheben, und das katholische Pfarramt und die Eltern verzichteten darauf, während des laufenden Schuljahrs etwas zur Abtren- nung einer katholischen Schule zu unternehmen.12 Die Stadtchronik vom 22. Januar 1950 ergänzte, daß der Stadtrat auch für das Schuljahr 1950/51 nicht einer katholischen Bekennt- nisschule zustimmen wolle, da Schulräume nicht vorhanden seien und es eine Fehlleitung öffentlicher Gelder bedeuten würde, zusätzlichen Schulraum durch Baracken oder ähnliche Behelfsbauten bereitzustellen.13 Mißbilligt wurde, daß die katholische Kirche in Windsheim versucht hatte, die Elternschaft unter Druck zu setzen, indem sie behauptete, in der bishe- rigen Schule hätten die katholischen Kinder nur einen „Randreligionsunterricht“.14 Die katholische Seite verzichtete nicht auf ihr Recht, eine eigene Bekenntnisschule einzurichten, und so erreichte die Windsheimer Stadtverwaltung am 24. Juli 1950 eine Ent- schließung der Regierung von Mittelfranken, daß mit Beginn des Schuljahrs 1950/51 die Errichtung einer katholischen Bekenntnisschule angeordnet werde.15 Bürgermeister Buch- heim empörte sich dagegen, daß nun diese Schule zur Pflichtschule aller katholischen Kin- der würde, obwohl etliche katholische Eltern für den Verbleib an der gegliederten evange- lischen Bekenntnisschule votiert hatten. Er teilte dem Stadtrat auch mit, daß am Nachmittag der Sitzung von sechs Erziehungsberechtigten der Antrag auf Errichtung einer Gemein- schaftsschule gestellt worden sei, der allerdings nur elf schulpflichtige Kinder betreffe.16 Der einstimmige Beschluß des Stadtrats, gegen die Regierungserklärung Einspruch zu erheben, zielte allerdings in eine andere Richtung. Nicht die drohende kostenintensivierende Zer- splitterung des Schulwesens wurde hervorgehoben, sondern die Tatsache, „daß die Regie- rung über den Kopf der Gemeinden hinweg Schulen durch einseitigen Hoheitsakt“ errich-

10 Ebda., 22.1.1950. „Stadtrat vorerst gegen katholische Bekenntnisschule.“ 11 Ebda., Stadtrat Windsheim. Sitzungs-Buch 1950. Niederschrift über die Stadtratsitzung am 20.1.1950, 19 Uhr. Beschluß Nr. 34. 12 Ebda. 13 Ebda., Stadtchronik Bad Windsheim Jg. 1950-52, 22.1.1950. „Stadtrat vorerst gegen katholische Bekennt- nisschule.“ 14 Ebda. 15 Ebda., Stadtrat Windsheim. Sitzungs-Buch 1950. Niederschrift über die Stadtratsitzung am 11.8.1950 - 20 Uhr. Beschluß Nr. 521. „Neuordnung des Volksschulwesens in Windsheim.“ 16 Ebda.

445 ten könne.17 Ein solches Handeln sei unvereinbar mit Art. 83 BV, der das Volksschulwesen ausdrücklich dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden zuweise.18 Windsheim befand sich damit in Übereinstimmung mit der amerikanischen Militärregierung.19 Der Stadtrat betonte außerdem, daß er eine wirklich freie Wahl auch bezüglich der bereits beantragten Gemeinschaftsschule erwarte.20 Mit letzterem Antrag hatte sich die Diskussionsrichtung geändert. Bürgermeister Buchheims Vorstellung einer evangelischen Bekenntnisschule mit konfessionell gemischtem Charakter und dem Einsatz einer angemessenen Anzahl katholischer Lehrkräfte wich nun der in Bayern üblich gewordenen Polarisierung zwischen Bekenntnis- und Gemeinschafts- schule. Und da man sich von dieser auch in Windsheim mehr Toleranz, weniger Zwistigkei- ten unter den Schulkinder und vor allem auch weniger finanzielle Lasten erhoffte, stimmte der Stadtrat einem Antrag seines SPD-Mitglieds Frank zu, eine Bürgerversammlung einzu- berufen und dort die Frage „Einheits [sic!] - oder Bekenntnisschule“ zu thematisieren.21 Auf dieser Versammlung, die stark besucht war, legte Bürgermeister Buchheim den Eltern die geschichtliche Entwicklung der Volksschule in Windsheim und auch die Gründe dar, warum der Stadtrat Bedenken gegen die Errichtung einer eigenen katholischen Bekenntnisschule hegte. Besonders betonte er noch einmal, daß mit Art. 83 BV unverein- bar sei, „daß die Staatsbehörde ohne konstitutive Beteiligung der Gemeinden durch ein- seitigen Hoheitsakt Volksschulen neu errichtet, aufhebt oder sonst umgliedert“.22 Es sei „die Pflicht jeder Gemeinde, den von der Gemeinde abgesteckten Wirkungsbereich der Selbst- verwaltung zu verteidigen“, und man könne daher den einseitigen Hoheitsakt der Staats- behörde nicht als rechtskräftig anerkennen“.23 Der derzeitige Zustand der „gemeinsamen Konfessionsschule“ habe außerdem den Anhängern einer Gemeinschaftsschule keine Ursa- che geboten, ihrerseits Anträge zu stellen.24 Das sei aber nun geschehen. Buchheim teilte den Eltern auch mit, daß die Regierung von Mittelfranken über den Antrag auf Errichtung einer katholischen Bekenntnisschule erst nach Verkündung des neuen Schulorganisations- gesetzes entscheiden wolle.25 Der katholische Stadtpfarrer Maas hatte eine andere Sicht der Dinge. Er meinte, einer Stadt mit 7000 Einwohnern könnten die Kosten von drei oder vier zusätzlichen Schulräu- men zugemutet werden. Zur Beschwerde des Stadtrats gegen die Regierungsentschließung vom 24. Juli 1950 sagte er, sie habe zwar laut Gesetz aufschiebende Wirkung, aber die katholische Gemeinde habe beim Kultusministerium Vorstellungen erhoben, und unter gewissen Voraussetzungen könne die Entschließung doch durchgeführt werden. Seinen Willen zur katholischen Bekenntnisschule bekräftigte Maas. Zwar sei es zu bedauern, daß das deutsche Vaterland in zwei Konfessionen getrennt sei, aber solange es noch zwei ver- schiedene Kirchen gebe, so lange forderten die evangelischen und katholischen Pfarrer zwei verschiedene Schulen.26 Der evangelische Dekan Ackermann glaubte, daß „in den fürch- terlichen Verirrungen der Menschheit, die sich gegenwärtig ereigneten, das einzige Heil in

17 Ebda. 18 Ebda. 19 siehe S. 393. 20 Stadtarchiv Bad Windsheim, Stadtrat Windsheim. Sitzungs-Buch 1950. Niederschrift über die Stadtratsitzung am 11.8.1950 - 20 Uhr. Beschluß Nr. 521. „Neuordnung des Volksschulwesens in Windsheim“. 21 Ebda., Niederschrift über die Stadtratsitzung am 8.9.1950 - 20 Uhr, Beschluß Nr. 592. 22 Ebda., Stadtchronik Bad Windsheim Jg. 1950-52. Windsheimer Zeitung vom 20.9.1950. 23 Ebda. 24 Ebda. 25 Diese Entscheidung war bestimmt nicht im Sinne des Kultusministeriums. 26 Stadtarchiv Bad Windsheim. Stadtchronik Bad Windsheim, Jg. 1950-52. Windsheimer Zeitung vom 20.9.1950.

446 einer klaren christlichen Haltung liege“. Er habe „keine Angst vor der anderen Konfession, sondern nur vor der ‚dritten Konfession‘, die alles Christliche ablehnt“. Die Simultanschule fürchtete der Dekan, da sie die beiden christlichen Konfessionen gegeneinander ausspielen würde.27 Der Gewerkschaftssekretär hielt dagegen, daß man keine religionslose Simultan- schule, sondern eine christliche Gemeinschaftsschule wünsche.28 Über die Lerninhalte an Konfessionsschulen sagte der katholische Pfarrer Jäger, daß es sicher kein evangelisches und katholisches Einmaleins gebe, aber der Geschichtsunterricht sei doch zu berücksichtigen.29 Hier meldete sich Bürgermeister Buchheim zu Wort und meinte, daß die Darstellung des 16. Jahrhunderts wohl die Schwierigkeiten bereite, aber nach nunmehr 400 Jahren finde er das nur erschreckend.30 Sowohl das katholische als auch das evangelische Pfarramt gingen mit Erklärungen und Appellen immer wieder an die Öffentlichkeit; einmal, um der Bevölkerung klarzuma- chen, daß sich um die Gemeinschaftsschule gerne diejenigen Kreise sammelten, „die einer bewußt christlichen Erziehung gleichgültig oder gar feindlich“ gegenüberstünden und daß die im Schulorganisationsgesetz gewählte Formulierung, die Erziehung in der Gemein- schaftsschule erfolge im christlich-abendländischen Geist, ein sehr dehnbarer Begriff sei.31 An einer solchen Schule würden „die verschiedenen Richtungen in künstlicher Einheit zusammengeführt“, aber nun habe man den Eindruck, „es soll(e) die Gemeinschaftsschu- le, die ursprünglich von einer verschwindenden Minderheit verlangt wurde, planmäßig pro- pagiert und unsere Konfessionsschulen planmäßig sabotiert werden ...“32 Gegen den Appell des Kreisausschusses an die Landkreisbevölkerung, die konfessionelle Zersplitterung des Schulwesens nicht zuzulassen, verwahrte sich das katholische Pfarramt und betonte sein Recht auf eine eigene Bekenntnisschule. Dieses verfassungsmäßig verbriefte Recht könne man fordern, ohne daß man sich in einer Kreistagssitzung deswegen als „Unruhe-Herd“ bezeichnen lassen müsse.33 Der angekündigte Einspruch des katholischen Pfarramts beim Kultusministerium in München hatte den Erfolg, daß mit ME. Nr. IV A 64226 vom 10. Oktober 1950 die Beschwerde des Windsheimer Stadtrats gegen die Regierung von Mittelfranken verworfen und der Vollzug des Regierungsbescheides vom 24. Juli angeordnet wurde.34 In der Stadt- ratsitzung am 27. Oktober wurde noch einmal betont, daß die Behauptung, den katholi- schen Erziehungsberechtigten werde die Entscheidungsfreiheit in der Wahl der Schulart ver- sagt, ungerechtfertigt sei. Man habe sich aber nicht damit abfinden können, daß die Regie- rung dem Antrag von 160 Erziehungsberechtigten die Wirkung hatte geben wollen, „daß die Kinder der anderen rund 1000 Erziehungsberechtigten zwangsmäßig auseinanderge- trennt würden, obwohl ein Teil der übrigen Erziehungsberechtigten - vielleicht ein sehr großer - die Schultrennung (ablehne). Nach dem Wortlaut und erst recht nach dem Geist des Art. 135 Abs. 1 Satz 2 der Bayerischen Verfassung hätte der Gesamtheit der Elternschaft eine Wahl zugestanden werden müssen.“ Es sei zu bedauern, daß sich das Kultusministeri- um dieser Auffassung verschlossen habe.35 Nun hätten alle Kinder unter der erzwungenen Schultrennung zu leiden, und Bürgermeister Buchheim sagte, er persönlich sei „innerlich

27 Ebda. 28 Ebda. 29 Ebda. 30 Ebda. 31 Ebda., Windsheimer Zeitung vom 21.10.1950. Aufruf des Evang.-Luther. und des Kath. Pfarramts Winds- heim. An die Eltern und Erziehungsberechtigten unserer Gemeinden. 32 Ebda. 33 Ebda., Windsheimer Zeitung vom 16.10.1950 und 21.10.1950. 34 Ebda., Stadtrat Windsheim. Sitzungs-Buch 1950. Niederschrift über die Stadtratsitzung am 27.10.1950 - 19 Uhr. Beschluß Nr. 730. „Errichtung einer katholischen Bekenntnisschule in Windsheim“. 35 Ebda.

447 erschreckt, daß man eine solche Zwangsanwendung auf einem so empfindlichen Gebiet wie dem der Schulart glaube rechtfertigen zu können“.36 In der Sitzung wurde die Erklärung des katholischen Pfarrers Maas bekanntgegeben, „die Entscheidung der Regierung (sei) hin- zunehmen, auch wenn - was er nicht verkenne - ein gewisser Zwang für einen jedoch nur kleinen Teil der Erziehungsberechtigten damit verbunden sei.“37 Der Beschluß des Stadtrats im Anschluß an die Diskussion lautete, daß man „durch die Gründe der ministeriellen Ent- schließung nicht überzeugt worden“ sei. „Der Stadtrat .... beschließt daher die Erhebung der Anfechtungsklage zum Verwaltungsgerichtshof mit dem Ziele, nicht die Wahlfreiheit der katholischen Eltern zu verhindern, sondern die Wahlfreiheit für alle Eltern sicherzustel- len und nicht einen Teil der Erziehungsberechtigten dem Zwange zu unterwerfen, ihre Kin- der in eine von ihnen möglicherweise nicht gewünschte Schule schicken zu müssen ...“38 Entscheidend für die Haltung des Stadtrats war auch, daß „begründete Aussicht (bestand), aus der Millionenstiftung des amerikanischen Hochkommissars McCloy erhebli- che Zuwendungen für mustergültige Schulräume zu erhalten“, aber nur, wenn keine kon- fessionelle Spaltung eintreten und die bisherige Schulform beibehalten würde. Nur aus Prin- zipientreue wollte man diese Chance nicht ungenutzt lassen.39 Eine „Musterschulanlage“ war projektiert worden, die Förderung aus dem McCloy-Fond schien gewiß, unerträglich jedoch der Gedanke, daß bei fehlenden Voraussetzungen - und dazu gehörte die gemein- same Unterrichtung der Schüler - keine Gelder zu erwarten waren.40 Bürgermeister Buch- heim versuchte, mit den Geistlichen beider Konfessionen zu verhandeln, und erreichte, daß sie anboten, „bei ihren Kirchenbehörden um Genehmigung der Beibehaltung des Gemein- schaftsunterrichts in Windsheim auf die Dauer eines vom Kultusministerium zu genehmi- genden Schulversuchs [sic!] zu bitten unter der Voraussetzung, daß das Schulbauprojekt durch die Hilfe des McCloy-Fonds verwirklicht“ würde.41 Der katholische Geistliche sah sich allerdings „nicht in der Lage ..., sich dafür einzusetzen, daß in der Zwischenzeit kein Zwang auf die katholischen Kinder ausgeübt werde, deren Eltern die Beibehaltung des Gemein- schaftsunterrichts“ wünschten. Auf der anderen Seite erklärte er sich bereit, mit seinem evangelischen Kollegen persönlich nach München zu fahren, „um mit dem amerikanischen Landeskommissar für Bayern, Mr. Shuster, wie er bestimmt hoffe, erfolgreiche Verhandlun- gen zu führen ...“42 Knapp ein Jahr später gab Schulrat Weiß anläßlich einer Elternversammlung der nun bereits bestehenden Gemeinschaftsschule bekannt, daß er im Auftrag des US-Resident-Offi- cers Mr. Hulen den Pfarrämtern mitgeteilt habe, „daß mit Mitteln aus der McCloy-Spende nur zu rechnen sei, wenn eine Gemeinschaftsschule bestehe“.43 Die Amerikaner, die nie ein Hehl daraus gemacht hatten, daß sie das Schulorganisationsgesetz wegen seiner undemo- kratischen Tendenzen ablehnten, versuchten also, über die finanzielle Seite doch noch Ein- fluß gegen das Gesetz zu gewinnen, z.B. in den Gemeinden.

36 Ebda. 37 Ebda. 38 Ebda. 39 Ebda., Stadtchronik Bad Windsheim, Jg. 1950-52. Windsheimer Zeitung vom 16.10.1950. Leserzuschrift. 40 Ebda. Stadtrat Windsheim. Sitzungs-Buch 1950. Niederschrift über die Stadtratsitzung am 27.10.1950 - 19 Uhr. Beschluß Nr. 730. „Errichtung einer katholischen Bekenntnisschule in Windsheim.“ 41 Ebda. 42 Ebda. 43 Ebda. Stadtchronik Bad Windsheim, Jg. 1950-52. Elternvereinigung der Gemeinschaftsschule gebildet. 17.9.1951.

448 Die Stadtchronik Windsheim vermerkte unter dem Datum 30. Oktober 1950: „Stadt- rat führt Anfechtungsklage beim VGH.“ Einige Tage später hatte Bürgermeister Buchheim eine Besprechung im Kultusministerium, das versuchte, die Vorgänge in Windsheim nicht eskalieren zu lassen. Für die „besonderen Verhältnisse Windsheims“ wurden die folgenden Regelungen getroffen: „1.Die seit langem beantragte kath. Bekenntnisschule wird mit Wirkung vom 6. November 1950 eingerichtet. 2. In diese Schule werden die Kinder eingewiesen, deren Eltern die Bekenntnisschule bean- tragt haben oder dies noch nachträglich wünschen. Dagegen sind kath. Kinder in der ev. Volksschule zu belassen, wenn die Eltern ausreichende Gründe dafür vorbringen, daß ihre Kinder in der stärker ausgebauten Schule bleiben. Letzteres ist nur eine Übergangs- regelung, um die form- und fristgerechte Antragstellung für Bekenntnis- oder Gemein- schaftsschule nach dem Schulorganisationsgesetz zu ermöglichen.“44 Warum die Windsheimer Verhältnisse als „besondere“ bezeichnet wurden, mußte eigentlich überraschen. Wie in vielen bayerischen Städten waren die Schulkinder nach dem Krieg zunächst in einer gemeinsamen Schule zusammengefaßt worden, und die Eltern hat- ten sich daran gewöhnt, ohne sich über die Bezeichnung besondere Gedanken zu machen. Die immer wieder angeführte Schulraumnot war in Windsheim nicht außerordentlich dra- matisch. Immerhin waren für 24 Volksschulklassen 22 Räume vorhanden,45 im Vergleich zu anderen Gemeinden geradezu paradiesische Verhältnisse! Aber dem Ministerium schien daran gelegen zu sein, die „störrischen Franken“ nicht noch störrischer zu machen, zumal die Stimmung bezüglich der Hundhammerschen Schulpolitik dort allgemein nicht beson- ders freundlich war. Der Windsheimer Bürgermeister gar war ein FDP-Mann, der die freie Wahl der Schule durch die Eltern durchsetzen wollte und nicht vor einer Verwaltungsge- richtsklage zurückschreckte und die Selbstbestimmung seiner Gemeinde, vor allem in finan- zieller Hinsicht, gewahrt wissen wollte. So viel Entschlossenheit erforderte vorsichtiges Tak- tieren im Kultusministerium. So blieb Windsheimer Eltern zunächst die Gewissensfrage „bessere Bildung oder intensivere religiöse Erziehung“, die, wie im Fall der Familie Böhme in Aichach mit dem Kirchenaustritt der Kinder gelöst wurde,46 erspart. Welche Gründe als „ausreichend“ für einen Verbleib in der evangelischen Schule erachtet wurden, ging aus dem vorliegenden Quellenmaterial nicht hervor. Regierungsschulrat Schlamp von der Regierung von Mittelfranken kam zu einer „Auf- klärungsversammlung“ des Schulamts nach Windsheim und bestätigte, daß die Über- gangslösung zwischen Vertretern des Kultusministeriums, der Regierung und Bürgermei- ster Buchheim ausgehandelt worden war, „um jedem Gewissenszwang abzuhelfen“. Eine Woche hatten die katholischen Eltern Zeit, eine Erklärung beim Kreisschulamt abzugeben, wenn sie ihre Kinder in der evangelischen Schule belassen wollten. Wer die Frist versäumte, war verpflichtet, sein Kind in die katholische Schule zu schicken.47 Die Regelung galt für das laufende Schuljahr. Danach konnten die Erziehungsberechtigten die Gemeinschaftsschule beantragen, falls sie es wünschten, denn dann seien die Ausführungsbestimmungen des Schulorganisationsgesetzes wirksam. Die Aufklärungsversammlung sollte die Eltern in die Lage versetzen, sich über die gewünschte Schulform klar zu werden, ohne daß sie das Gefühl hätten, „überfahren“ zu werden. In der Aussprache wurde dem katholischen Kaplan Arnold nicht Gelegenheit zum Sprechen gegeben, da Schulrat Weiß die Auffassung vertrat,

44 Ebda. 6.11.1950. „Keine Gemeinschaftsschule mehr seit 1945. Katholische Bekenntnisschule ab heute.“ 45 siehe S. 444. 46 siehe S. 417 f. 47 Stadtarchiv Bad Windsheim. Stadtchronik Bad Windsheim. Jg. 1950-52. 6.11.1950. „Keine Gemeinschafts- schule mehr seit 1945. Katholische Bekenntnisschule ab heute.“

449 es handle sich hier um eine „rein staatliche Angelegenheit“. Obwohl der Kaplan meinte, es sei „eines demokratischen Staates unwürdig, einer Kulturkraft wie der Kirche das Wort zu entziehen“, wurde ihm von Regierungsschulrat Schlamp bedeutet, als Beamter des Staates könne er, Schlamp, nicht dulden, „daß jemand, der gesetzlich nicht dazu berechtigt sei, einen Eingriff in die staatliche Befugnis, über die Anträge zu entscheiden, vornehme“.48 Schlamp ging es mit dieser Bemerkung nicht nur darum, jedwede Einflußnahme während der Versammlung zu unterbinden, er befürchtete anscheinend eine Beteiligung von kirchli- cher Seite bei der Entscheidung über die von den Erziehungsberechtigten zu stellenden Anträge; denn er wiederholte, „die Entscheidung über die vorgebrachten Gründe treffe das Schulamt, denn dieses habe die klaren Richtlinien des Ministeriums“.49 Die Ausführungen des katholischen Pfarrers Maas während einer öffentlichen Ver- sammlung suggerierten eine Beteiligung der Kirche, als er sagte, er habe das Anerbieten gemacht, die katholischen Schüler der siebten und achten Klasse in der bisherigen Schule zu belassen, um einen Bruch im Unterricht zu vermeiden, außerdem seien alle Anträge katholischer Eltern auf Belassung ihrer Kinder in der bisherigen Schule in weitherziger Weise positiv entschieden worden.50 Es hatten sich natürlich etliche Erziehungsberechtigte für die katholische Bekenntnis- schule entschieden, die im Herbst errichtet worden war, nach den Eintragungen in der Stadtchronik aber offensichtlich Schwierigkeiten hatte, ihre Gleichberechtigung zu behaup- ten, vor allem was die Raumfrage betraf. So wurde vom Schulamt eine Entscheidung über die Schulraumverteilung verlangt, da sich die Schulleiter der jeweiligen Bekenntnisschule nicht einigen konnten, wer welche Klassenzimmer im gemeinsamen Schulhaus am Klo- sterplatz beanspruchen durfte.51 Zur Schuleinschreibung für das Schuljahr 1951/1952 wurde den Windsheimer Eltern mitgeteilt, daß die evangelische Schule keine Gemeinschaftsschu- le sei, sondern die katholischen Kinder nur bis Ende Juli 1951 dort verbleiben durften. Im neuen Schuljahr müßten katholische Eltern ihre Entscheidung treffen zwischen der katholi- schen Bekenntnisschule und einer neu zu errichtenden Gemeinschaftsschule. Anträge für letztere seien dem Stadtrat bereits zugegangen.52 Mit Beschluß Nr. 522 genehmigte der Windsheimer Stadtrat „grundsätzlich (die) christliche Gemeinschaftsschule“. Es wurde allerdings zur Bedingung gemacht, daß der Schulsprengel nicht erweitert werde, d.h. Kinder benachbarter Gemeinden nicht aufge- nommen würden, „weil die Kostenfrage durch das Schulorganisationsgesetz nicht gelöst“ sei.53 Es war eine außerordentliche Stadtratsitzung zur Entscheidung dieser Frage erforder- lich gewesen, da sich das katholische Pfarramt bei der Regierung von Mittelfranken über die Einführung der Gemeinschaftsschule ohne vorherige Anhörung von Stadtrat und Schul- pflegschaft beschwert hatte. In der Tat lautete die Regierungsentschließung: Sind 25 Kin- der zur beantragten Gemeinschaftsschule angemeldet, muß das Schulamt sämtliche betei- ligten Gemeinderäte zur umgehenden Stellungnahme auffordern.54 Mit Beginn des Schuljahrs 1951/52 bestanden in Windsheim drei Schularten, die Gemeinschaftsschule mit 678 Kindern, davon 631 evangelische, 43 katholische und 5 mit anderen Bekenntnissen. 16 Klassen konnten gebildet werden. Die evangelische Bekennt-

48 Ebda. 49 Ebda. 50 Ebda. Windsheimer Zeitung vom 6.11.1950. „Gemeinschaftsschule oder Bekenntnisschule. Lebhafte Ver- sammlung im Storchensaal.“ 51 Ebda., 9.4.1951. „Schulamt soll über Schulraumverteilung entscheiden.“ 52 Ebda., 30.5.1951. „Eine Betrachtung zur Schuleinschreibung von Stadt-Inspektor Ernst Heidingsfelder.“ 53 Ebda., Niederschrift über die außerordentliche Stadtratsitzung vom 17.8.1951 - 20 Uhr. „Errichtung der christ- lichen Gemeinschaftsschule in Windsheim.“ 54 Ebda.

450 nisschule hatte vier Klassen mit 172 Schülern, die katholische drei Klassen mit 140 Schülern.55 Die Genugtuung des evangelischen Dekans Ackermann, der im November 1950, als die Frage der Errichtung der katholischen Bekenntnisschule im Raum stand, berichtet hatte, daß die überwiegende Mehrheit der Erziehungsberechtigten, nämlich 759, sich für die evangelische Bekenntnisschule entschieden hätte,56 war nun widerlegt worden. Seine Enttäuschung darüber war möglicherweise der Grund dafür, daß er, ähnlich wie sein Treuchtlinger Amtsbruder,57 an der Gemeinschaftsschule keinen Religionsunterricht geben wollte. Der Leiter der Schule teilte bei einer Elternversammlung mit, daß der Dekan und seine „Religionskräfte“ nicht zu einer Konferenz über die Religionsstunden erschienen seien. „Der Dekan vertrete den Standpunkt, daß er die gegenwärtigen Schulformen in Windsheim nicht anerkennen könne, und bis zur Entscheidung über die an das Ministerium und die Regierung ergangenen Beschwerden könne der Religionsunterricht nicht aufgenommen werden.“58 Mit dem katholischen Pfarrer habe es keine Schwierigkeiten gegeben, die Reli- gionsstunden an der Schule zu regeln. Die Elternvereinigung der Gemeinschaftsschule lei- tete daraufhin der Regierung von Mittelfranken und Landesbischof Meiser eine Beschwer- de zu und beantragte „die sofortige Aufnahme des evangelischen Religionsunterrichts an der christlichen Gemeinschaftsschule“.59 Der Einspruch des evangelischen Dekans resultierte nicht nur aus der verspäteten Stellungnahme von Stadtrat und Schulpflegschaft, sondern vor allem aus der Tatsache, daß die Regierung noch im September eine Anzahl von Anträ- gen zur Ummeldung in die Gemeinschaftsschule genehmigt hatte. Die Anmeldefrist war dadurch erheblich überschritten worden. Es lagen zum 17. September 1951 noch 40 wei- tere Anträge vor, doch bezweifelte der Leiter der Gemeinschaftsschule, daß sie noch geneh- migt würden, da Beschwerde gegen sie vorläge. Allerdings wollte die Elternvereinigung durch eine Resolution an die Regierung die Respektierung des Elternwillens durchsetzen.60 Von kirchlicher Seite betonte man, daß der durch die „höchst anfechtbaren Maßnahmen des Schulrates in Windsheim“ geschaffene Zustand „... von der Kirchenleitung rechtlich nicht anerkannt werden“ könne. Eine „Aushöhlung der Bekenntnisschule zugunsten der Gemeinschaftsschule“ sei erreicht worden, gegen die man bei der Regierung und beim Kul- tusministerium „eine nochmalige scharfe Beschwerde“ richten wolle.61 Die Vorgänge in Windsheim waren Gegenstand einer CSU-Fraktionssitzung im Bayeri- schen Landtag. Der Abgeordnete Meixner bat den Kultusminister, „besonders darauf zu achten, daß die Schulräte draußen korrekte Anweisung erhalten, sich genauestens an die Bestimmungen des Schulorganisationsgesetzes zu halten“. Die Vorfälle in Windsheim erfor- derten dies. Schwalber antwortete: „Es ist richtig, daß die Regierung von Mittelfranken uns in der Durchführung des Schulorganisationsgesetzes erhebliche Schwierigkeiten bereitet.“62 Schon im August hatte Meixner vor demselben Gremium gesagt, daß „insbesondere ... die Regierung von Mittelfranken sehr viel guten Willen vermissen“ lasse.63

55 Ebda., Stadtchronik Bad Windsheim. Jg. 1950-52. 17.9.1951. „Elternvereinigung der Gemeinschaftsschule gebildet.“ 56 Ebda., Windsheimer Zeitung vom 6.11.1950. 57 siehe S. 441. 58 Stadtarchiv Bad Windsheim. Stadtchronik Bad Windsheim. Jg. 1950-52. 17.9.1951. „Elternvereinigung der Gemeinschaftsschule gebildet.“ 59 Ebda. 60 Ebda. 61 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Konzept des Schreibens Nr. 12254 an das Bayerische Staatsministerium f. Unterr. und Kultus am 29.9.1951. Betr.: Durchführung der Schulanmeldung in Mittelfranken (Haussitzung vom 25.9.1951). 62 ACSP München. LTF Protokolle. Niederschrift der Fraktionssitzung am 19.9.1951. S. 5 f. 63 Ebda. Niederschrift der 42. Fraktionssitzung vom 22.8.1951, S. 5.

451 Die Entwicklung in Windsheim zeigte, daß die einmal geschaffenen Verhältnisse bestehen blieben. Im Januar 1952 gab es 26 Klassen an den Windsheimer Volksschulen, von denen 18 Klassen zur Gemeinschaftsschule gehörten, von diesen waren zwei Hilfs- schulklassen. Fünf Klassen umfaßte die evangelische, drei die katholische Schule.64 Zur Schülerzahl an der Gemeinschaftsschule hieß es im Mai 1952: 739 Schüler, durchschnitt- lich 43 Schüler pro Klasse, 678 evangelische, 54 katholische Schüler, 7 mit sonstigen Bekenntnissen.65 Von den 18 Lehrern war einer katholisch. Zum Schuljahr 1952/53 teilte die Regierung von Mittelfranken dem Stadtrat mit, daß die Gemeinschaftsschule den geringsten Klassendurchschnitt, nämlich 38,2, habe und daß 15 Planstellen zugeteilt wor- den seien.66 Im Schuljahr 1953/54 gab es 16 Klassen Gemeinschaftsschule, zwei Klassen Hilfsschule, 6 Klassen evangelische und vier Klassen katholische Bekenntnisschule.67 Darüber hinaus zeigt das Beispiel Windsheim auch, daß das Schulorganisationsgesetz und Art. 83 (BV) über den eigenen Wirkungskreis der Gemeinden in Kollision geraten konnten. § 7 (2) des SchOG besagte: „Wenn in einer Gemeinde ... nur Volksschulen des einen Bekenntnis- ses bestehen, ist volksschulpflichtigen Kindern des anderen Bekenntnisses auf Antrag der Erziehungsberechtigten der Besuch einer benachbarten Volksschule des anderen Bekennt- nisses oder einer Gemeinschaftsschule zu gestatten.“68 Die Ausführungsbestimmungen dazu lauteten, daß in einem solchen Fall die Genehmigung nicht versagt werden könne und den Erziehungsberechtigten keine finanziellen Verpflichtungen auferlegt werden dürften. Die Regelung des Kostenausgleichs zwischen den beteiligten Gemeinden sei Aufgabe des Schulbedarfsgesetzes.69 Artikel 83 (1) BV stellte das Volksschulwesen in den „eigenen Wir- kungskreis der Gemeinden“ und verpflichtete den Staat, bei Übertragung staatlicher Auf- gaben an die Gemeinden, was nach Art. 11 (3) möglich war, „gleichzeitig die notwendigen Mittel zu erschließen“ (Art. 83,3 BV).70 Die Auseinandersetzung in Windsheim begann damit, daß das katholische Pfarramt den Antrag stellte, die 13 katholischen Kinder der Gemeinde Külsheim-Erkenbrechtshofen, je nach Lage der Ortsteile ca. ein bis drei Kilometer von Windsheim entfernt, in die katholi- sche Bekenntnisschule in Windsheim aufzunehmen. Die Erziehungsberechtigten hätten den Wunsch dazu geäußert.71 Beide Gemeinden waren dagegen. Külsheim war nicht bereit, die etwa 250 DM für Lernmittel, die Windsheim forderte, zu erstatten und wies darauf hin, daß der Ort für seine 55 Schulkinder zwei Klassenzimmer habe, was ja wohl ausreichend sei. Der Stadtrat von Windsheim lehnte mit 11:2 Stimmen ab, da die Mehrkosten von der Gemeinde Külsheim nicht übernommen würden, die Schulraumnot gravierender werde und man allgemein vermutete, die dreiklassige katholische Schule sollte zu einer vierklassigen aufgestockt werden.72 Bereits zwei Wochen später standen die katholischen Külsheimer Schulkinder erneut auf der Tagesordnung des Windsheimer Stadtrats, da die Schulpfleg- schaft der katholischen Bekenntnisschule sich bereit erklärt hatte, der Stadt die Lehrmittel-

64 Stadtarchiv Bad Windsheim. Stadtchronik Bad Windsheim. Jg. 1950-52. 16.1.1952. „Schulhausneubau-Pla- nung“. 65 Ebda., 30.5.1952. „Frühlingsfeier der Gemeinschaftsschule in der überfüllten Stadthalle.“ 66 Ebda., Acta des Stadtrats Windsheim. Betr.: Schulbetrieb allgemein. Titel IV Fach 31 Akt Nr. 2. Schreiben Nr. V/2- 1136 a 247 der Regierung von Mfr. am 10.8.1952 an den Stadtrat Windsheim. Betr.: Klassenbesetzung an den Windsheimer Volksschulen 1952/53. 67 Ebda. Stadtrat Windsheim. Niederschrift über die Stadtratsitzung am 9.7.1953. 68 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Amtsblatt für die Evangelisch-lutherische Kirche in Bayern. Nr. 1/16.1.1951, S. 3. 69 Ebda., S. 5 f. Nr. 6 (III) und Nr. 12 (II). 70 Bayer. Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 23/1946, S. 334 und 339. 71 Stadtarchiv Bad Windsheim. Stadtrat Windsheim. Niederschrift über die Stadtratsitzung am 6.7.1951 - 20 Uhr. Beschluß Nr. 420 „Einschulung der katholischen Schulkinder aus Külsheim“; ebda., Stadtchronik Bad Windsheim. Jg. 1950-52. 10.7.1951. „Kath. Kinder Külsheims sollten nach Windsheim.“ 72 Ebda.

452 kosten zu ersetzen und sich mit den zugeteilten Schulräumen zu begnügen. Der Stadtrat stimmte diesmal mit 7:6 Stimmen für die Einschulung der Külsheimer, vorausgesetzt, daß man sich mit den drei zugeteilten Schulzimmern zufriedengebe, die Lehrmittelkosten tatsächlich von der katholischen Schulpflegschaft übernommen würden und die „unab- dingbare Bedingung“ angenommen werde, „daß keine weiteren Kinder nach Windsheim eingeschult werden. Sollte jedoch der Versuch unternommen werden, müßte die Stadt die- sen Beschluß aufheben“.73 Pfarrer Maas, der der Sitzung beiwohnte, versicherte, daß es nur die Külsheimer Kinder betreffe, obwohl natürlich nach dem Schulorganisationsgesetz auch die Schüler anderer umliegender Gemeinden den Anspruch auf Besuch ihrer Bekenntnis- schule hatten. Die Stadtchronik Windsheim berichtete am 10. August 1951: „Windsheimer Schul- streit geht weiter.“ Auf Antrag der SPD-Fraktion und des Stadtrats Schöller war der Punkt „Einschulung der Kinder Külsheims zur Kath. Bekenntnisschule Windsheim“ noch einmal auf die Tagesordnung gesetzt worden.74 Der vormalige Bürgermeister Buchheim hatte, um die Stadt vor finanziellem Schaden zu bewahren, den Stadträten ein juristisches Exposé zukom- men lassen, in dem er vorschlug, die katholische Bekenntnisschule in eine Verbandsschule umzuwandeln, so daß eine Schulsprengelausweitung auf Külsheim möglich würde. So erhal- te man die Gewißheit, daß auch diese Gemeinde an der Aufbringung des sächlichen Schul- bedarfs, auch an der Baulast, beteiligt werde. Die Sprengeländerung müsse auf Regierungs- anordnung geschehen, oder man mache mit Külsheim einen entsprechenden Vertrag.75 Das Landratsamt vertrat den Standpunkt, daß den Külsheimer Kindern der lange Schulweg im Winter nicht zuzumuten sei. Nach eingehender Diskussion wurde diesmal mit 9:7 gegen die Einschulung gestimmt. Man wollte allerdings eine Regierungsentscheidung herbeiführen.76 Die Regierung von Mittelfranken lehnte mit RE. Nr. II/5-1099e 18 vom 31. August 1951 die Einschulung der katholischen Kinder aus Külsheim ab.77 Am 3. September kam es zu einer Besprechung zwischen den Bürgermeistern von Külsheim und Windsheim, Landrat Eder und ORR Hofmann vom Landratsamt Uffenheim, die deshalb keine Einigung brachte, weil „die finanziellen Auswirkungen auf die Gemeinden nach dem SchOG noch vollkommen ungeklärt sind und die Gemeinden finanzielle Garantien nicht übernehmen können. Der Bürgermeister der Gemeinde Külsheim wies bei der Besprechung wiederholt darauf hin, daß in Külsheim gute Schulräume zur Verfügung stehen. Die katholische Schulpflegschaft legte wegen der Erstattung der Lernmittel eine Erklärung des erzbischöflichen Ordinariats vor, „wonach dieses die Kosten für den Schulbedarf im Betrag bis DM 250,- für die Dauer eines Jahres für die katholische Kirchengemeinde verbürgt.“78 Das Landratsamt Uffenheim erbat eine nochmalige Beschlußfassung des Stadtrats, und die katholischen Erziehungsberechtigten aus Külsheim suchten um die Einschulung der Kinder nach. Die Stadtratsitzung am 7. September war eini- germaßen turbulent. In ihrem Verlauf verwahrte man sich gegen die Belästigung durch Bekenntnisschule und Einschulung, die nun schon nahezu ein Jahr andauere. Die Hälfte der Räte verließ zeitweise aus Protest die Sitzung, während einer - Heimatvertriebener und Katho- lik - ankündigte, im ganzen Landkreis „konfessionelle Protestkundgebungen“ anregen zu wol- len. Schließlich schlug Bürgermeister Engel vor, die Einschulung der Külsheimer Kinder abzu- lehnen, da die Kostenfrage noch nicht durch ein Schulbedarfsgesetz geklärt sei und die Zusa-

73 Ebda., Niederschrift über die Stadtratsitzung am 27.7.1951 - 20 Uhr. Beschluß Nr. 467 „Einschulung der kath. Schulkinder aus Külsheim“. 74 Ebda. Stadtchronik Bad Windsheim. Jg. 1950-52. 10.8.1951. „Windsheimer Schulstreit geht weiter“. 75 Ebda. 76 Ebda. 77 Ebda., Stadtrat Windsheim. Niederschrift über die Stadtratsitzung am 7.9.1951 - 20 Uhr. Beschluß Nr. 536 „Einschulung der kath. Schulkinder aus Külsheim“. 78 Ebda.

453 ge des erzbischöflichen Ordinariats, für ein Jahr die Kosten zu übernehmen, nicht „für die Zukunft“ ausreiche, vor allem dann nicht, wenn es um die Beschaffung weiterer Schulräume gehe. Der Vorschlag wurde mit 9:3 Stimmen angenommen.79 Rechtzeitig vor Ende des Schuljahrs 1951/52 lag dem Stadtrat in Windsheim ein erneu- ter Antrag auf Einschulung der katholischen Schulkinder aus Külsheim vor, und diesmal eska- lierte der Streit erheblich. Im Mai hatte man mit 16:1 Stimmen das Einschulungsbegehren abgelehnt und konnte sich der Rückendeckung durch das Schulamt sicher sein, das „gesund- heitlich-pädagogische“ Bedenken - gemeint war der lange Schulweg - hegte.80 Aber auf der Stadtratsitzung am 18. Juli 1952 war der Staatsaufsichtliche Bescheid des Landratsamtes Uffenheim Nr. 3307 vom 1. Juli 1952 Gegenstand der Verhandlungen. Mit diesem Bescheid wurden die Stadtratsbeschlüsse vom 6. Juli, 10. August, 7. September 1951 und 21. Mai 1952 aufgehoben. Windsheim mußte die Külsheimer Kinder in die katholische Bekenntnisschule aufnehmen und die Kosten des Verfahrens tragen. Ein einziger Stadtrat schloß sich diesem Verlangen an mit der Begründung, daß das natürliche Recht der Eltern über das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht hinausgehe und er selbst sich niemals einer Majorität beugen werde. Seine Kollegen beschlossen, gegen den staatsaufsichtlichen Bescheid Beschwerde bei der Regierung von Mittelfranken einzulegen.81 Während der folgenden Sitzung am 22. August wurde bekanntgegeben, daß das Landratsamt Uffenheim die Vollziehung des Bescheides vom 1. Juli angeordnet habe, da es sich um eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse hande- le. Dies verneinte der Stadtrat, denn es stehe eine kleine Minderheit gegen das Interesse einer ganzen Stadt. Eine Besprechung zwischen Landrat, Schulrat, dem Bürgermeister von Külsheim und den Erziehungsberechtigten der katholischen Kinder, von der Regierung angeordnet, zei- tigte kein wünschenswertes Ergebnis. Der Landrat bat die Eltern - offensichtlich alles Flücht- linge - um Friede und Eintracht. Sie sollten sich dem Kreis, in dem sie nun lebten, anpassen und Gemeindemitglieder werden. Die Eltern gestanden, daß sie sich in Külsheim nicht wohl- fühlten, daß sie es sogar vorzögen, in eine katholische Gegend umgesiedelt zu werden. Es wurde also deutlich, daß selbst im Jahr 1952 die Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen noch zu wünschen übrig ließ; allerdings wurde von verschiedenen Seiten betont, daß Küls- heim die einzige Gemeinde im Landkreis sei, in der konfessionelle Streitigkeiten in derartiger Schärfe ausgetragen würden.82 Nicht sehr hilfreich im Bemühen um Friede und Eintracht war des katholischen Pfarrers Erklärung, „daß höher als die deutsche Einheit die konfessionelle Haltung stehe“.83 Die Stadtratsitzung am 22. August gipfelte in der Erklärung, daß im Falle einer zwangsweisen Einschulung der Külsheimer Kinder in die katholische Bekenntnisschule der Stadtrat die Arbeit niederlegen und Fragen, die mit dieser Einschulung zusammenhingen, nicht mehr behandeln wolle.84 Bei der Regierung von Mittelfranken schienen die Streitigkei- ten bereits als beendet betrachtet zu werden, da Pfarrer Maas erfuhr, daß der erforderliche vierte Lehrer für die katholische Bekenntnisschule bereits ernannt sei.85 Die Einweisung der Kinder aus Külsheim in die katholische Bekenntnisschule Windsheim erfolgte nach Regie- rungsbescheid vom 2. September 1952, Nr. II/5-1099e 26. Bürgermeister Schmotzer fuhr nach München und erhielt dort den „unabdingbaren Bescheid ..., daß die Stadt die Kinder auf- nehmen“ müsse.

79 Ebda. 80 Ebda., Niederschrift über die Stadtratsitzung am 21.5.1952. Beschluß Nr. 237. „Einschulung kath. Kinder von Külsheim in die kath. Bekenntnisschule Windsheim“. 81 Ebda., Niederschrift über die Stadtratsitzung am 18.7.1952. Beschluß Nr. 368. „Einschulung katholischer Kin- der von Külsheim in die katholische Bekenntnisschule Windsheim“. 82 Ebda., Stadtchronik Bad Windsheim. Jg. 1950-52. 25.8.1952. „Der Schulstreit erregt die Gemüter“; ebda., Niederschrift über die Stadtratsitzung am 22.8.1952. Beschluß Nr. 430. „Schuleinschreibung der katholischen Kinder“. 83 Ebda. 84 Ebda., Stadtchronik Bad Windsheim. Jg. 1950-52. 25.8.1952. „Der Schulstreit erregt die Gemüter.“ 85 Ebda.

454 Trotzdem beschloß der Stadtrat in seiner Sitzung am 9. September, gegen den Regie- rungsbescheid beim Verwaltungsgericht Anfechtungsklage zu erheben; wohl auch deshalb, weil aus der Gemeinde Ickelheim ein Antrag auf Einschulung in die Gemeinschaftsschule vor- lag, der wiederum Kosten für die Stadt nach sich ziehen würde, wenn diese Gemeinde eben- falls die Zahlung des Gastschulbeitrags verweigern würde.86 Zur Verhandlung vor dem Ver- waltungsgericht in Ansbach stellte der Bayerische Städteverband den Rechtsbeistand und war dazu auch bereit, falls es zu einer Klage vor dem Verwaltungsgerichtshof kommen würde.87 Die Kollision von gemeindlichen Interessen und dem Schulorganisationsgesetz verlangte offen- bar nach Grundsatzentscheidungen, vor allem, solange das Gesetz derartige Lücken aufwies und den Gemeinden Kosten aufgebürdet wurden, deren Rückerstattung nicht sicher war. In Windsheim veranstalteten die Parteien am 12. September 1952 eine Protestaktion gegen die angeordnete Einweisung der Külsheimer Kinder. Etwa 1500 Bürger kamen und hör- ten zunächst Bürgermeister Schmotzer, der vor allem auf die drohenden Kosten hinwies und darauf, daß hier eine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts der Stadt vorliege. Er könne den Bürgern nicht eine Steuererhöhung zumuten, um für auswärtige Kinder Schulplätze zu schaf- fen. Pfarrer Maas möge den Streit beenden und die Külsheimer nicht mehr beeinflussen.88 Bürgermeister Grosch von Külsheim bekräftigte, an Windsheim keine Zahlungen zu leisten für Kinder aus seiner Gemeinde, da er keine Notwendigkeit zum Schulwechsel sehe. Sowohl das Külsheimer Schulhaus als auch die Lehrkraft seien vorbildlich. Er stimme auch dann dem Schul- wechsel nicht zu, wenn das Erzbischöfliche Ordinariat für die Kosten aufkomme, denn man wisse nicht, wie lange diese Zahlung erfolge. Der Vertreter der SPD lehnte es ab, daß die Stadt eine Regierungsentschließung hinnehmen müsse, „welche sich auf ein Gesetz beruft, das die örtliche Situation unberücksichtigt lasse. Das könne nur bedingungslose Hörigkeit gegenüber der Obrigkeit bedeuten.“ Wenn Gesetze fehlerhaft seien, könnten sie abgeändert werden. Sie anzufechten, sei gutes Recht der Stadt.89 Stadtrat Teufel (FDP) hob ebenfalls hervor, daß der Windsheimer Schulstreit durch eine gesetzliche Unzulänglichkeit hervorgerufen worden sei, während der BHE-Vorsitzende das Elternrecht der freien Schulwahl betonte, in diesem Fall aber das Selbstverwaltungsrecht der Stadt als mindestens ebenso wichtig erachtete und daher das Verwaltungsgerichtsverfahren begrüßte. Ähnlich argumentierten Bürgerblock und Freie Wählergemeinschaft. Letztere negierte das öffentliche Interesse, wenn eine kleine Minderheit gegen eine ganze Stadt stehe.90 Ihr Vertreter forderte außerdem den katholischen Geistlichen auf, er „möge im Interesse der Stadt abstehen, den Zwist weiter zu treiben und ... christliches Entgegenkommen zeigen“.91 Die abschließende Resolution an die Regierung von Mittelfran- ken wurde mit großer Mehrheit angenommen. Man protestierte gegen die „einseitige Aus- legung“ des § 7 des SchOG und forderte die Revision des Gesetzes, da es gegen das Selbst- verwaltungsrecht verstoße. Protest wurde auch eingelegt gegen die Anordnung des Vollzugs des Regierungsbescheides vom 2. September. Und man erklärte, Windsheim sehe sich außer- stande, dieser Bedrohung seines Selbstverwaltungsrechts zuzustimmen, solange die „kata- strophale Schulraumnot“ bestehe.92

86 Ebda., Niederschrift über die Stadtratsitzung am 9.9.1952. Beschluß Nr. 453. „Einschulung der katholischen Kinder; hier: Anfechtungsklage“. 87 Ebda., Niederschrift über die Stadtratsitzung am 26.9.1952 - 20 Uhr. Beschluß Nr. 469. „Einschulung der Küls- heimer Kinder“. 88 Ebda., Stadtchronik Bad Windsheim. Jg. 1950-52. 12.9.1952. „Protestversammlung zum Windsheimer Schul- streit“. 89 Ebda. 90 Ebda. 91 Ebda. 92 Ebda.

455 Eine Entscheidung darüber, ob Paragraph 7 des Schulorganisationsgesetzes vernach- lässigt werden konnte zugunsten des Artikels 83 BV, war auch auf gerichtlichem Wege nicht leicht zu erreichen. Das Verwaltungsgericht Ansbach fällte am 3. Oktober 1952 ein Urteil „in Sachen Stadtgemeinde Windsheim gegen den Freistaat Bayern wegen Duldung des auswär- tigen Volksschulbesuches“ und hob die Verfügung des Landratsamts Uffenheim vom 1. Juli 1952 und den Beschwerdebescheid der Regierung von Mittelfranken vom 2. September 1952 auf, der die Einweisung der Külsheimer Kinder gegen den Willen der Stadt Windsheim bewirkt hatte.93 Aber schon Anfang November teilte das Verwaltungsgericht mit, daß die Staatsan- waltschaft Berufung gegen das Urteil eingelegt habe. Diese habe aufschiebende Wirkung, so daß das Urteil nicht vollzogen werden könne. Im Gegensatz dazu hätten die Bescheide des Landratsamtes Uffenheim und der Regierung von Mittelfranken keine aufschiebende Wir- kung.94 So saßen seit Schulbeginn im September 1952 die katholischen Kinder aus Külsheim in der Bekenntnisschule in Windsheim. Und obwohl nun der Stadtrat weitere gerichtliche Schritte beim Verwaltungsgerichtshof in die Wege leitete,95 war ein definitiver Zustand geschaffen worden, an dem man nicht mehr vorbeigehen konnte. Die katholische Bekennt- nisschule blieb vierklassig.96

93 Ebda., Stadtrat Windsheim Niederschrift über die Stadtratsitzung vom 17.10.1952 - 20 Uhr. Beschluß Nr. 533 „Einschulung der Külsheimer Kinder“. 94 Ebda., Niederschrift über die Stadtratsitzung vom 7.11.1952. Beschluß Nr. 579. „Einschulung der Külsheimer Kinder“. 95 Ebda. 96 siehe S. 452.

456 7.5. NÜRNBERG

Der Schulkampf in Nürnberg war der spektakulärste Fall der Auseinandersetzungen um Bekenntnis- und Gemeinschaftsschule. Hier gewannen neben den Aspekten, die sich auch in anderen Städten zeigten, z.B. inwieweit die Selbstverwaltung der Gemeinde durch das Schulorganisationsgesetz beeinträchtigt werden dürfe (Windsheim) oder ob die Gemeinschaftsschule nicht die zeitgemäßere sei (Treuchtlingen), vor allem auch die Zer- störung der Stadt und damit der Schulhäuser und die Tatsache, daß in Nürnberg nach der Hoffmannschen Simultanschulverordnung von 1919 schon vor 1933 etwa die Hälfte der Schulen Gemeinschaftsschulen gewesen waren, an Bedeutung.1 Die Vollzugsbekanntma- chung zu § 10 der Simultanschulverordnung vom 20. August 1919, KMBl. S. 123, hatte bestimmt, daß nach dem Ergebnis der Elternerklärungen die Zahl der für jede Schulgattung erforderlichen Schulklassen festzustellen sei, wobei der Schulaufsichtsbehörde nur eine Bestätigung der auf Grund des Abstimmungsergebnisses notwendigen Änderungen zukam. Der Wille der Erziehungsberechtigten war demnach maßgebend für alle folgenden Anord- nungen.2 Mit der Beseitigung der Bekenntnisschulen während der Nazi-Herrschaft wurden etliche Nürnberger Schulen zusammengelegt oder auch aufgelöst, und diese Maßnahmen hatte man nach 1945, hauptsächlich wegen der verheerenden Zerstörungen, nicht rück- gängig gemacht.3 Dabei konnte man getrost davon ausgehen, daß der Stadtrat, in dem SPD, KPD und FDP gemeinsam die Mehrheit hatten,4 nicht an der Einrichtung von Bekennt- nisschulen interessiert war. 1947 forderte das katholische Dekanat zum ersten Mal, daß die Schulkinder so weit wie möglich nach Konfessionen zusammengefaßt würden.5 Obwohl Schulrat Barthel in einer späteren Sitzung des Schulausschusses erklärte, daß das in einigen Fällen geschehen sei,6 zeigt ein Protokoll aus dem Jahr 1947, daß ganz andere Umstände zur Bildung von Bekenntnisklassen geführt hatten. Nur aus „wichtigen technischen Gründen“ würden sol- che Klassen gebildet; es habe sie sogar schon „während der Nazizeit“ gegeben. Man könne aber z.B. den Kindern zusätzliche Schulwege ersparen.7 Das konnte dadurch ermöglicht werden, daß in einer Bekenntnisklasse der Religionsunterricht einheitlich geregelt wurde. Besonders im Süden der Stadt, wo fünf Schulhäuser zerstört und die bestehenden teilwei- se beschädigt worden waren, gab es zahlreiche bekenntnisgleiche Klassen. So konnte die wöchentliche Unterrichtszeit von durchschnittlich 17 Stunden gehalten werden.8 Das Schul- referat betonte, daß die Bildung der Klassen nicht eine „Mißachtung des Schulausschus- ses“, der Bekenntnisschulen ablehnte, darstelle. Man müsse sie „als technische Maßnah- me und nicht als Vorbereitung der Bekenntnisschule“ betrachten. Die Schulleiter seien alle Gegner der Bekenntnisschule. Auch die Eltern seien gegen die Einführung solcher Klassen,9 würden aber die technischen Gründe akzeptieren, die mit Raumnot und dem Mangel an Religionslehrern angegeben wurden. Insgesamt gab es zu Beginn des Schuljahres 1947/48 in Nürnberg 59 konfessionelle und 654 gemischte Klassen.10 Während die kommunistische

1 Stadtarchiv Nürnberg. C7/IX Nr. 1285. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 19.8.1949, S. 1 f; Blessing, Deutschland in Not, S. 105 f; Huelsz, S. 151 f; Müller, S. 211-214. 2 LKAN. LKR VI 1105 (3113). „Zum Verwaltungsrechtsstreit der Stadt Nürnberg gegen den Freistaat Bayern“, o.V., o.D., wahrscheinlich jedoch Juni 1949. 3 Huelsz, S. 151 f. 4 Blessing, S. 105 f. 5 Stadtarchiv Nürnberg. C7/IX Nr. 1285. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 19.8.1949, S. 1 f. 6 Ebda. 7 Ebda., SRP C7/IX Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 10.10.1947, S. 2. 8 Ebda., S. 2. 9 Ebda. 10 Ebda. Chronik der Stadt Nürnberg. F 2. Stadtratsitzung am 24.9.1947.

457 Stadtratsfraktion in der Bildung konfessioneller Klassen bereits die Schaffung von Bekennt- nisschulen „auf kaltem Wege“ witterte,11 kündigte der CSU-Stadtrat Deggendorfer an, daß seine Fraktion eines Tages den Antrag auf Einführung der Bekenntnisschule stellen werde, um sicherzugehen, „daß für die Zukunft an den Konfessionsschulen nur Lehrer wirkten, die hundertprozentig auf dem Boden der christlichen Weltanschauungen stünden.“12 Barthel meinte dazu, daß „in einem Notgebiet wie Nürnberg“ sich die Bestimmun- gen der Verfassung „nicht strikte durchführen“ ließen. Die Interessen der Kinder gingen vor.13 Stadtrat Euerl (CSU) warnte davor, „die Frage der Konfessionsschulen in die Diskussi- on zu werfen. Dadurch (werde) nur die Gegenseite veranlaßt, ihre Interessen zu verteidi- gen.“ Er sah für Nürnberg auch im folgenden Jahr keine Möglichkeit, die Bekenntnisschu- len einzuführen.14 1948 wurde ihre Errichtung aber bereits energisch verlangt von den Geistlichen bei- der Konfessionen und von Eltern.15 Am 7. Mai meldete Stadtschulrat Raab in der Sitzung des Schulausschusses zwei Schreiben vom evangelischen Kreisdekanat und vom katholi- schen erzbischöflichen Dekanat, „in welchen die Einführung der Bekenntnisschule für die kommende erste Volksschulklasse verlangt wird. ...(Es) wurde versucht, Oberkirchenrat Schieder und Dekan Drummer von dieser Forderung für dieses Jahr abzubringen. Die Herren erklärten, daß sie auf Weisung ihrer oberen Behörden handeln ...“16 Schieders Brief klang bescheidener, als Raab es formulierte. Er bat die Schulbehörde, „den Eltern der Schulan- fänger ... das Recht zu geben, Kinder in die Bekenntnisschule zu schicken“. Da die Raumnot anerkannt wurde, „begnügen wir uns mit dem Antrag: diese Regelung soll für die Schulan- fänger gelten, nicht aber für die anderen Schulklassen. Ein Gewissenszwang für Eltern, die die Bekenntnisschule aus weltanschaulichen Gründen ablehnen, soll nicht ausgeübt wer- den. Es ist auch uns ein Anliegen, daß solche Eltern die Möglichkeit haben zur Gemein- schaftsschule.“17 Der Schulausschuß, und zwar alle Parteien, stellte sich auf dem Stand- punkt, „daß der gegenwärtige Zeitpunkt aus vielen Gründen für die Durchführung der Schulaufteilung denkbar ungünstig sei“.18 Die Stellungnahme von Schulräten und Schulleitern zu den Anträgen der beiden Dekanate, abgegeben anläßlich einer Versammlung am 10. Mai, war einhellig und machte deutlich, daß man schon die Aufteilung nur des ersten Jahrgangs eher als Zumutung denn als bescheidenes Sich-Begnügen betrachtete. Man führte eine überzeugende Vielzahl von Gründen auf: Da es bereits ohne Aufteilung schwierig sei, einen Schulhausstundenplan auf- zustellen, müsse eine Dreiteilung der Organisation (je eine evangelische, eine katholische, eine Gemeinschaftsklasse) unüberwindliche Schwierigkeiten mit sich bringen. Die „Verant- wortung für einen auch nur einigermaßen geregelten Schulbetrieb“ würden Schulleiter und Schulräte unter solchen Umständen ablehnen.19 Die Einrichtung bekenntnisgleicher Klas- sen, die in einzelnen Schulhäusern durchgeführt werde, diene der Erleichterung der Orga-

11 Ebda. Stadtrat Schirmer (KPD) hatte offensichtlich eine besondere Abneigung gegen Hundhammer und seine Bestrebungen, die Bekenntnisschule durchzusetzen. Er stellte in der Stadtratsitzung am 3.12.1947 den Antrag, der Stadtrat wolle beschließen, er habe am bevorstehenden Besuch des Kultusministers kein Interes- se und lehne es ab, ihn offiziell zu empfangen. Über diesen Antrag wurde diskutiert, aber nicht abgestimmt. (Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2). 12 Ebda. 13 Ebda., SRP C/IX Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 10.10.1947, S. 2. 14 Ebda. 15 Ebda., C7/IX Nr. 1285. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 19.8.1949. 16 Ebda., C7 IX/SRP 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 7.5.1948, S. 1 ff. 17 LKAN. Kreisdekan Nürnberg 238. Schreiben Oberkirchenrat Schieders am 7.5.1948 an die Stadtschulbehör- de Nürnberg. 18 Ebda., KRD Nbg. 239. Stellungnahme der Schulräte und Schulleiter zur Frage der Errichtung von Konfessi- ons- und Gemeinschaftsklassen anläßlich der Teilversammlung vom 10. Mai 1948. 19 Ebda.

458 nisation, um z.B. die “stundenplanmäßigen Schwierigkeiten namentlich auch für die Her- ren Geistlichen“ zu vermindern. Sie sei immer nur als Teil einer optimalen Stundenplange- staltung im Rahmen des gesamten Schulbetriebs zu betrachten.20 Die katastrophalen Raum- verhältnisse, z.B. in der Sperberschule, Urbanstraße und Scharrerstraße dürften auf keinen Fall ohne zwingenden Grund um ein Vielfaches verschlechtert werden.21 Vermehrte orga- nisatorische Probleme bringe eine Teilung der Schulleitung mit sich, wenn es um die Aus- gabe der Schulspeisung gehe, um die zentrale Bewirtschaftung der Lehr- und Lernmittel, Bücher und Hefte, um das Wiegen der Schüler. Zusätzliche Hemmnisse entstünden, weil nur in wenigen Schulhäusern ein Telefon vorhanden sei.22 Durch die Aufteilung ergäben sich nicht vorhersehbare kleinere und größere Gruppen. Vor allem die katholischen Abtei- lungen würden für eine Klassenbildung nicht ausreichen, so daß über Stadtteile hinweg Klassen gebildet werden müßten. Namentlich in der inneren Stadt, wo alles zerstört sei, könne man keine solchen Stadtteilklassen bilden. Mit welcher Schule solle wohl das Schul- haus am Paniersplatz Klassen bilden, wo doch die Schulhäuser am Maxfeld, Goethestraße und Bartholomäusstraße zerstört seien? Kein Erzieher könne in diesen Zeiten der Not den Kindern die geringste Mehrbelastung aufbürden und die erforderlichen weiten Schulwege verlangen, angesichts der schlechten Verkehrsverbindungen, der fehlenden Kleider und Schuhe, der mangelhaften Ernährung. An die Gefahren auf einem langen Schulweg wolle man gar nicht denken!23 Die Bildung kleiner Gruppen würde andererseits zu übergroßen Klassen führen, da ja nicht mehr Lehrer nach der Aufteilung zu erwarten seien. Welche Schwierigkeiten ergäben sich auch bei der Zuteilung der Turnhallen, dem Einsatz der Fach- kräfte, z.B. der Handarbeits- und Religionskräfte!24 Man erinnerte auch daran, daß bei einem kleinen Klassenbestand einer Schulart die Vertretung in Krankheitsfällen kaum zu bewältigen sei. Da die schlechte Ernährungslage häufig krankheitsbedingte Ausfälle mit sich bringe, sei nur ein einigermaßen großes Lehrerkollegium in der Lage, die Situation zu mei- stern. Die Währungsreform, die unmittelbar bevorstehe, werde die Schwierigkeiten noch steigern. Wer wisse schon, wie der kommende Winter bewältigt werden könne. Das Zusam- menstehen aller Lehrkräfte sei erforderlich, um den erhöhten Klassenfrequenzen gewachsen zu sein.25 Da außerdem jede Schulart einen eigenen Schulrat erfordere, habe besonders der katholische Schulrat größte Schwierigkeiten, seinen Bereich, der die ganze Stadt mit ihren Außenbezirken umfasse, zu bewältigen, da es immer noch an Treibstoff und geeignetem Schuhwerk mangele. Denn beides werde er bei den schlechten Verkehrsverbindungen benötigen.26 Insgesamt beurteilte man die Situation in Nürnberg, einer von Bomben zer- störten, „sich nur langsam und mit vielen Hemmnissen erholende(n) Stadt“, als außeror- dentlich schwierig. Das Schulwesen sei nur mühsam wieder in Gang gesetzt worden und einer erneuten zusätzlichen Belastung nicht gewachsen.27 Schulräte und Schulleiter wiesen außerdem „mit Nachdruck“ darauf hin, „daß in den letzten Jahren das schönste Einver- nehmen zwischen Lehrern, Eltern und der Geistlichkeit“ geherrscht habe, was von letzte- ren sogar ausdrücklich bestätigt worden sei. Sollten die Verhältnisse an den Schulen geän- dert werden, so höre „(d)ie ruhige, unleidenschaftliche Beurteilung der Dinge“ sicher auf. „Auch die Einstellung der Lehrer wäre dann nicht so einheitlich. Der Lehrer, der unter Umständen gezwungen in eine bestimmte Schulgattung eintreten müsse, und dieser Zwang

20 Ebda. 21 Ebda. 22 Ebda. 23 Ebda. 24 Ebda. 25 Ebda. 26 Ebda. 27 Ebda.

459 ließe sich wegen der notwendigen Umbesetzung nicht vermeiden, würde nicht immer freu- dige Aufgeschlossenheit mitbringen ... Das gegenseitige Entgegenkommen habe sich auf den Gesamtgeist der Schule und Lehrerschaft überaus günstig ausgewirkt.“28 Man glaubte voraussehen zu können, „daß die leidenschaftlichste Polemik einsetze, die die ganze Frage aus dem Bereich ruhiger Sachlichkeit in die überhitzte Atmosphäre des Parteikampfes ver- lagere. Die mutmaßliche Entfesselung der Demagogie träte daher auch hier ein“.29 Sowohl die Kirchen als auch die Stadt Nürnberg im Einvernehmen mit dem Schulamt ließen nichts unversucht, rechtzeitig vor Beginn des neuen Schuljahrs die Verhältnisse in ihrem Interesse zu gestalten. Eine Reihe von Besprechungen gab es im Mai und Juni 1948. Die Vertreter der Schule brachten den für Nürnberg ungünstigen Zeitpunkt der Verände- rung ins Gespräch und warnten vor einem Schulkampf, der „sowohl von vielen Lehrern und weitesten Kreisen der evangelischen Bevölkerung nicht verstanden, ja dem guten Einver- nehmen zwischen Lehrerschaft und Kirche schaden (würde)“.30 Auch wurden immer wieder die alltäglichen Hemmnisse betont, z.B. die fehlenden Lehrer, Kohlen, Schuhe, die Schwie- rigkeiten bei der Organisation der Schulspeisung, die 80 zerstörten Schulhäuser.31 Es gab aber auch Lehrer, die die evangelische Bekenntnisschule als „dringende Notwendigkeit“ betrachteten, da ein Lehrer in der Gemeinschaftsschule „die Unduldsamkeit und das Radi- kale der Freireligiösen“ erfahre,32 eine Meinung, die ein Oberstudiendirektor vertrat. In der darauffolgenden Sitzung des Schulausschusses teilte Stadtschulrat Raab mit, daß es nicht gelungen sei, „die beiden Vertreter der Konfessionen von ihrer Forderung auf Einführung der Bekenntnisschule für die 1. Klasse abzubringen“. Die Geistlichen bestünden auf ihrem Verlangen, aber nur in den Schulhäusern, wo das ohne größere Störungen mög- lich sei. Raab vertrat die Ansicht, daß die Einführung der Bekenntnisschule die grundsätzli- che Einführung der Gemeinschaftsschule bedeute. Sollte das Ministerium die Bekenntnis- schule anordnen, lehne das Schulreferat die Verantwortung für die entstehenden Folgen ab.33 In der anschließenden Diskussion herrschte der Tenor vor, daß Elternanträge nicht ermutigt werden sollten, wo die Verhältnisse schwierig seien, daß zunächst Ausführungs- bestimmungen zu Art. 135 (BV) vorhanden sein müßten, um etwas unternehmen zu kön- nen, und daß keine Veranlassung bestehe, jetzt schon freiwillig etwas in die Wege zu lei- ten.34 Die FDP in Nürnberg tat ein Übriges: Sie initiierte eine „Elternvereinigung der Gemein- schaftsschule“ mit dem Ziel, „in Elternkreisen aufklärend für den Gedanken der Gemein- schaftsschule zu wirken“.35 Stadtschulrat Raab teilte dem Schulausschuß im Juli mit, daß das Kultusministeri- um die Situation der Nürnberger Schulen „als Sonderfrage“ anerkannt habe. Bei einer Besprechung mit Vertretern des Ministeriums, der Regierung von Mittelfranken, des Schul- referats Nürnberg und der Kirchen habe man festgestellt, daß in Nürnberg vor 1933 beide Schularten, Bekenntnis- und Gemeinschaftsschulen, nebeneinander bestanden hätten und daher auch beide Arten wieder eingeführt werden müßten. Das sei jedoch für das Schul- jahr 1948/49 nicht mehr möglich, da die Gemeinschaftsschule drei Monate vorher bean-

28 Ebda. 29 Ebda. 30 LKAN. Kreisdekan Nbg. 239. Protokoll über ein Gespräch über die Errichtung der Bekenntnisschule in Nürn- berg am 13.5.1948. Teilnehmer: W. Veeh (Vertreter der Kirche), Rektor Vogt, Rektor Grosch. 31 Ebda., Besprechung am 14.6.1948 im Bielingschulhaus. Anwesend: Dr. Raab, Barthel, Salffner, Tröltsch, Ehren- domherr Drummer (kath.), Kirchenrat Merkel, ... 32 Ebda., Protokoll über die Besprechung der Schulfrage mit Pfarrern und Lehrern im engsten Kreis am 20.5.1948. 33 Stadtarchiv Nürnberg. C7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 18.6.1948, S. 1. 34 Ebda. 35 Ebda. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 8.7.1948.

460 tragt werden müsse. Die kirchliche Seite habe aber, als Ausgleich für ihr Einverständnis, die Bedingung ausgesprochen, „in den Schulhäusern, wo dies zur Erleichterung des Religions- unterrichts möglich ist, gewisse Klassen konfessionell zusammenzulegen“.36 Da diese Rege- lung aus organisatorischen Gründen sowieso schon in etlichen Schulhäusern praktiziert wurde,37 galt für das Schuljahr 1948/49 der status quo. Eine Änderung komme auch nur dann in Frage, meinte Stadtrat Bärnreuther, wenn nach Behandlung dieser Frage in öffent- licher Stadtratsitzung die Bürger ausreichend unterrichtet worden seien.38 Die Kirchen schien die vereinbarte Regelung doch mehr geschmerzt zu haben, als es den Anschein hatte, denn einige ihrer Vertreter bezweifelten die Zuständigkeit des Schulaus- schusses für die Behandlung dieser Frage.39 Es wurde vom Stadtschulamt die Weisung an die Schulen gegeben, daß, solange keine gesetzliche Regelung vorhanden sei, nichts zur Aufteilung der Schulanfänger zu unternehmen sei.40 Daran änderte auch die Vorsprache einer evangelischen und einer katholischen Elternabordnung, die im Abstand von zwei Tagen vorstellig geworden waren, nichts. Sie hatten bekenntnisgleiche erste Klassen gefor- dert. Das Schulreferat teilte ihnen mit, „daß solche Klassen vom Willen der Eltern abhän- gen und nicht administrativ eingeführt werden können“.41 Diese Antwort konnte sich wirk- lich nur auf den Sonderfall Nürnberg beziehen; sie war nicht verfassungskonform! Dem Kul- tusministerium teilte man noch einmal mit, daß eine Änderung der bisherigen Regelung in Nürnberg nicht möglich sei, obwohl ein Telefonanruf aus München Minister Hundhammers Forderung nach konfessionell geschlossenen Klassen weitergegeben hatte. Angesichts des Zerstörungsgrads der Nürnberger Schulen und des Fehlens eines Organisationsgesetzes sah man sich dazu außerstande. Hundhammers Verlangen hatte außerdem noch vorgesehen, die Aufteilung vorzunehmen, ohne die Kinder aus dem Schulsprengel herauszureißen. Das erachtete man als unmöglich, und das Schulreferat lehnte es auch ab, „zwei Tage vor Schul- beginn die gesamte Organisation umzustoßen“.42 Ganz wichtig erschien den Mitgliedern des Schulausschusses auch, daß die Eltern ihren Willen zum Ausdruck bringen könnten. Bis- her hätten sie dazu keine Gelegenheit gehabt, und in den zwei verbleibenden Tagen bis Schulbeginn sei das nicht mehr möglich. Die ganze Angelegenheit sei außerdem von so grundsätzlicher Bedeutung, daß sie nicht in dieser Eile erledigt werden dürfe.43 Nach Schuljahresbeginn wurden die Nürnberger Verhältnisse weiterhin diskutiert, und zwar nun hinsichtlich ihrer aus der Zeit vor 1933 bestehenden rechtlichen Grundlagen. Im Schulausschuß legte Stadtschulrat Barthel dar, daß nach Auffassung des städtischen Rechts- rats die Verordnung von 1883 und die Verfügung von 1919 nicht mehr voll gültig seien, da durch die bayerische Verfassung eine neue Grundlage geschaffen worden sei.44 Er freute sich, mitteilen zu können, daß das Kultusministerium ebenfalls die Verfügung von 1919 nicht mehr für gültig hielt. Anscheinend hatte das Ministerium in seiner Mitteilung vom 7. Okt. 1948 aber nichts über die Verordnung von 1883 gesagt, und Barthel erkannte nicht, wie bereitwillig man dort den Nürnberger Standpunkt teilte, die Geltung der Hoffmann- schen Simultanschulverordnung von 1919 anzuzweifeln, während man sehr wohl noch die

36 Ebda. C7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 16.7.1948, S. 3. 37 siehe S. 457. 38 Stadtarchiv Nürnberg. C7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 16.7.1948, S. 3. 39 Ebda. 40 Ebda., C7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 13.8.1948, S. 2. 41 Ebda., Niederschrift über d. Sitzung des Schulausschusses vom 31.8.1948. S. 6 f. 42 Ebda. 43 Ebda., S. 7 ff. 44 Ebda., Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 8.10.1948, S. 7.

461 Verordnung von 1883 beachtete. Das ministerielle Schreiben schien im Schulausschuß Unbehagen auszulösen, denn Stadtrat Bärnreuther wies darauf hin, daß an einigen Nürn- berger Schulen Bekenntnisklassen gebildet worden seien. Das solle man dem Ministerium mitteilen, „ um ... zu dokumentieren, daß Nürnberg ... bereits praktisch tätig wurde, ohne ein Gesetz zu haben“. Schulrat Barthel stellte allerdings richtig, daß es sich dabei nicht um Bekenntnisschulen handele, „da ja die Lehrkraft nicht dem gleichen Bekenntnis“ angehö- re.45 Trotzdem beschloß der Schulausschuß, dem Kultusministerium mitzuteilen, daß die Gliederung in Bekenntnis- und Gemeinschaftsschulen in Nürnberg wegen der bereits viel- fach besprochenen Schwierigkeiten zwar noch nicht möglich gewesen sei und alle Schulen noch als Gemeinschaftsschulen zu betrachten seien, daß man aber bereits Schulklassen mit Schulkindern der gleichen Konfession gebildet habe.46 Ein Schreiben des Stadtrats zu Nürnberg an die Regierung von Mittelfranken erläu- terte am 19. Oktober 1948 noch einmal die Gründe, warum man sowohl in formeller wie in materieller Hinsicht die Gültigkeit der Hoffmannschen Simultanschulverordnung anzwei- felte. Formell deshalb, weil diese Verordnung bestehendes Recht abgeändert habe, die Ermächtigung vom 15.11.1918 (GVBl. S. 1213) aber nur „Entscheidungen und Verfügun- gen“, die bisher dem König vorbehalten gewesen waren, auf die Ministerien übertragen hatte. Die Gültigkeit in materieller Hinsicht bezweifelte man, weil man nicht wisse, ob die Hoffmannsche Verordnung mit der Bayerischen Verfassung von 1919 und der Weimarer Verfassung in Einklang gestanden habe. Es hatte nämlich das bayerische Gesamtstaatsmi- nisterium mit Bekanntmachung vom 22.6.1920 den Vollzug der Hoffmannschen Verord- nung ausgesetzt. Was die Verordnung vom 26.8.1883 betraf, so glaubte der Nürnberger Stadtrat, sie sei durch die Bayerische Verfassung ganz oder teilweise außer Kraft gesetzt. Das müsse geklärt werden.47 Wie Schulrat Barthel im Auftrag der Stadt der Regierung außerdem schrieb, teile „der Herr Referent für Volksschulangelegenheiten vom Staatsmini- sterium für Unterricht und Kultus“ die Auffassung, „daß bis zum Erlaß des Schulorganisa- tionsgesetzes an den in Nürnberg bestehenden Schulverhältnissen zunächst nichts geäußert werden“ solle. Das sei ihm „fernmündlich“ gesagt worden.48 Der Terminus „zunächst“ war nicht geeignet, Ruhe in die Nürnberger Schullandschaft zu bringen. Das Jahr 1949 brachte die härteste Auseinandersetzung, die man sich vorstellen konnte. Bevor noch der Termin der Schuleinschreibung herangekommen war, in dessen Vor- feld die grimmigsten Kämpfe stattfinden sollten, signalisierten die Aufrufe zu den Schul- pflegschaftswahlen im Februar, was zu erwarten war. Im Stadtrat betonte ein Vertreter der SPD, daß man die Gemeinschaftsschule nicht kampflos untergehen lassen würde, und die KPD erklärte, daß sie, obwohl sie für die Einheitsschule und nicht für die christliche Gemein- schaftsschule eintrete, doch helfen wolle, diese vor der „Bevormundung ... durch Hund- hammer“ zu retten.49 Während die Freunde der Gemeinschaftsschule mit einem höchst umstrittenen Pla- kat polemisierten,50 machte sich auch die evangelische Kirche zum „unausbleiblichen“ Kampf bereit und stellte fest: „Wenn wir in ihm lax sind und die Zügel schleifen lassen, wer-

45 Ebda. 46 Ebda., Beschluß des Schulausschusses vom 8.10.1948, Beilage 8. 47 BayHStA München. MK 61203. Abschrift des Schreibens Nr. 1971 des Stadtrats zu Nürnberg am 19.10.1948 an die Regierung von Mittelfranken. Betreff: Gemeinschaftsschulen; Vorlage vom 12.3.48 Nr. 329/Ref. XI. Bezug: RE. v. 29.7.48 Nr. 1147 c 74. 48 Ebda. 49 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2, 16.2.1949 (NN 12., 16., 19.2.1949). 50 siehe S. 301 f.

462 den die negativen Elemente das Rennen gewinnen.“51 „Warum Bekenntnisschule?“ war ein Aufruf betitelt, der nicht weniger polemisch argumentierte, vor allem im Abschnitt II: „Vom pädagogischen Standpunkt aus“. Da wurde behauptet, daß die „(b)ekenntnismäßig eingestellten Lehrer ... ihren Kindern den Reichtum des Trostes, der Aufmunterung, der Freude, des Vorbildes ganz anders geben (könnten), als der nur ‚weltanschaulich‘ einge- stellte Lehrer“. Außerdem trenne die „sog. Gemeinschaftsschule“ die Kinder vom ersten Schultag an „in zwei konfessionelle Lager“, da sie keinen gemeinsamen Religionsunterricht hätten. Und dieser Unterricht würde, da stundenplantechnische Schwierigkeiten ihn in Randstunden verwiesen, als Nebenfach erscheinen. Man warf der Gemeinschaftsschule auch vor, daß sie Hilfsschulen von den Normalschulen innerhalb ihres Schulkörpers trennen würde.52 Das konnte natürlich auch ein Anreiz für Eltern schwach begabter Kinder sein, die Bekenntnisschule zu wählen, um der „Schande“ der Hilfsschule zu entgehen. Hätten dage- gen die Bekenntnisschulen diese Schüler einer Hilfsschule zugewiesen, wären manche in ihrem Bestand sicher gefährdet gewesen. Die Trennung der Hilfsschüler von Normalklassen war sicher auch schon damals ein schwieriges pädagogisches und psychologisches Problem, für das eindeutige Lösungen bis heute nicht zu finden sind. Eine differenzierte Diskussion, abseits jeglicher politischer Interessen, wäre angemessener gewesen als ein solch unsensi- bles Benutzen der heiklen Frage für egoistische Zwecke. In der politischen Begründung der Bekenntnisschule wies der Aufruf darauf hin, daß der Nürnberger Oberbürgermeister die Respektierung des Elternwillens zugesichert habe und die Bayerische Verfassung die Bekenntnisschule garantiere. Der Hinweis darauf, daß „Bonn ein Zurückfallen in das zusammengebrochene System vergangener Jahre (sei)“,53 stellte zu diesem Zeitpunkt - 4. Mai 1949! - den Versuch der Diskriminierung des zu erwar- tenden Grundgesetzes dar, dessen Schulartikel nicht die vor allem vom bayerischen Klerus geforderte Bekenntnisschule als Regelschule enthielt. Ab Mai 1949 gab es eine Reihe von Besprechungen, die die „Regelung der Schul- frage in Nürnberg“ zum Inhalt hatten.54 Am 4. Mai fand ein Gespräch im Kultusministerium statt, das neben den Nürnberger auch die Münchner Verhältnisse klären sollte. Die Teilneh- mer waren Ministerialdirektor Maier, Regierungsdirektor Braun, Ministerialrat Hornstein als Vertreter des Volksschulreferats, Schulrat Trentle als Vertreter der Stadtschulbehörde Mün- chen, Domkapitular Zinkl als Vertreter der katholischen Kirche, Pfarrer Frör als Vertreter der evangelischen Kirche.55 War es Zufall, daß kein Vertreter der Stadt oder Stadtschulbehörde Nürnberg anwesend war, oder hatten sich die Fronten bereits so verhärtet, daß sie nicht eingeladen worden waren oder bewußt fernblieben? Möglicherweise hatte man in Mün- chen angenommen, daß ein Schulrat aus dieser Stadt ebenso für eine andere Großstadt sprechen könne, da die Verhältnisse ähnlich gelagert waren. Übereinstimmend stellte das Gremium fest, „daß in München und Nürnberg die Bekenntnisschulen wieder eingerichtet werden müssen, die vor 1933 bestanden haben, daß aber ebenso auch die Gemein- schaftsschulen bestehen bleiben, soweit sie schon vor 1933 bestanden haben“. Ferner betonte man, daß die Bayerische Verfassung vom 2.12.1946 nicht Grundsatzverordnung, sondern maßgebendes, also sofort und unmittelbar wirksames Recht sei. Daher regele Art.

51 LKAN. KRD Nbg. 238. „Warum Bekenntnisschule?“ 4.5.1949. 52 Ebda. 53 Ebda. 54 LKAN. Kreisdekan Nürnberg 238. Schreiben des Beauftragten für kirchliche Unterweisung, Lic. Frör, am 3.5.1949 an Oberkirchenrat D. Schieder, Nürnberg. 55 Ebda., Aktennotiz. Betreff: Schulorganisation in München und Nürnberg. 5.5.1949.

463 135 (BV) ausschließlich das Recht der Bekenntnisschule und Gemeinschaftsschule. Der Voll- zug der bis dahin in ihrer Weitergeltung umstrittenen Hoffmannschen Simultanschulver- ordnung sei somit eingestellt. Besondere Bedeutung für Nürnberg sollte die während der Besprechung gefundene Schlußfolgerung gewinnen: „Zu der Regelung der Verhältnisse in München und Nürnberg ist auf Grund des oben Dargestellten das Schulorganisationsgesetz nicht erforderlich. Die Regelung kann also schon in diesem Jahr vor dem Erscheinen des Gesetzes durchgeführt werden.“56 Als Erleichterung wertete Berichterstatter Frör, daß Hornstein vom Ministerium den Standpunkt vertrat, in beiden Städten müßten keine Anträge auf Errichtung der Gemeinschaftsschule gestellt werden, da sie dort bereits rechtmäßig bestehe. Das würde den Anhängern dieser Schule etwas Wind aus den Segeln nehmen und Vorwürfe gegen das Ministerium unnötig machen. Eher mit Sorge betrachtete er dagegen die noch offene Frage, ob der Geltungsbereich der Simultanschulverordnung von 1919 sich mit Erweiterung bzw. Eingemeindung in die Stadt auch erweitere. Domkapitular Zinkl vertrat die Ansicht, daß für eingemeindete Orte der Status von 1919 maßgebend sei. Im Falle einer Einge- meindung nach diesem Zeitpunkt gelte nicht die Simultanschulverordnung, sondern die Verordnung von 1883, und eine Gemeinschaftsschule müsse daher erst beantragt werden. Frör erkannte das Dilemma für seine Kirche. Für Nürnberg würde es bedeuten, daß in den betreffenden Randgebieten die Gemeinschaftsschulen erst einmal völlig verschwinden und die heiß ersehnten evangelischen Bekenntnisschulen ohne wenn und aber auferstehen wür- den. Für die eingemeindeten Stadtgebiete Münchens würde es bedeuten, daß „mit dem neuen Schuljahr automatisch (die dortigen Schulen) zu katholischen Bekenntnisschulen gemacht und die evangelischen Lehrer ... durch katholische ersetzt“ würden.57 Die weni- gen evangelischen Lehrerstellen im südbayerischen Raum würden noch mehr schrumpfen. Die praktische Umsetzung der in diesem Gespräch gefundenen Grundsätze sollte nicht ohne einen Vertreter der Stadt Nürnberg erörtert werden, und so wurde eine Fortset- zung der Besprechung für den 9. Mai festgelegt. Aus den bisherigen Verhandlungen leite- te Frör folgende Erkenntnisse ab: Mit Beginn des Schuljahrs 1949/50 werde die Errichtung evangelischer Schulen in beiden Großstädten ermöglicht; die Werbung dafür solle mit Nach- druck betrieben werden; ebenfalls seien Vorbereitungen zu treffen, dem von der „soziali- stischen Seite“ angekündigten entschlossenen Kulturkampf entgegenzutreten; die Ausein- andersetzungen würden sich auf die Monate Mai und Juni konzentrieren.58 Die Besprechung über die Schulverhältnisse in München und Nürnberg fand am 9. Mai ihre Fortsetzung. Diesmal waren außer den für den 4. Mai genannten Teilnehmern Schulrat Staab und ein weiterer Vertreter aus Nürnberg anwesend.59 Noch einmal wurde festgestellt, daß in beiden Städten schon vor 1933 nebeneinander Bekenntnis- und Gemein- schaftsschulen bestanden hätten und deshalb davon abzusehen sei, „daß zuerst einmal alle Schulen in Bekenntnisschulen verwandelt und dann wiederum auf Antrag Gemeinschafts- schulen errichtet“ würden. Es gebe jedoch Unterschiede zwischen München und Nürnberg. Der Münchner Vertreter schlug folgenden praktischen Weg vor: Die Stadt würde vor der Schuleinschreibung eine Liste veröffentlichen, aus der die Erziehungsberechtigten ersehen könnten, welche „Schulkörper“ in Zukunft als katholische, evangelische oder Gemein- schaftsschule geführt würden. Man würde an die früheren Verhältnisse anknüpfen, so daß 84 katholische, 9 evangelische und 20 Gemeinschaftsschulen entstünden. In Fällen, wo es eine evangelische Schule in einem Stadtteil nicht mehr gebe, würde sie an anderer Stelle,

56 Ebda. 57 Ebda. 58 Ebda. 59 LKAN. KRD Nbg. 238. Aktennotiz am 9.5.1949, gez. Frör.

464 wo es notwendig sei, errichtet werden. Die Eltern hätten bei der Schuleinschreibung die Möglichkeit, anhand der Liste unter den Schularten zu wählen, auch für die Kinder der zwei- ten bis achten Klasse. Der gastweise Besuch evangelischer Kinder in katholischen Schulen sei dann aber nur noch möglich in den Außenbezirken, um lange Schulwege zu vermeiden. In der inneren Stadt hätten evangelische Kinder nur noch die Wahl zwischen ihrer Bekennt- nis- und der nächstgelegenen Gemeinschaftsschule.60 In Nürnberg lägen die Verhältnisse in zweifacher Hinsicht anders. Einmal habe die Stadt die Bildung konfessionell einheitlicher Klassen bisher nur unter der Bezeichnung „entmischte Gemeinschaftsklassen“ geduldet. Zum zweiten seien dort in viel höherem Maße als in München die vorher bestehenden Schulkörper zerschlagen und durcheinandergeworfen worden. Nürnbergs Gesprächsteil- nehmer schlug deshalb vor, nur für die Schulanfänger die Anmeldung in konfessionelle Klas- sen anzuordnen, den Anhängern der Bekenntnisschule aber Gelegenheit zu geben, für die Schüler der zweiten bis achten Klasse eine Ummeldung in neu zu bildende Bekenntnisklas- sen vorzunehmen.61 Zinkl war dagegen, da diese Lösung eine „verfassungswidrige Bevor- zugung der Freunde der Gemeinschaftsschule“ bedeuten würde. Schließlich erklärte Meyer vom Kultusministerium, daß es Sache des Ministers sei, darüber zu entscheiden, aber Berichterstatter Frör hatte den Eindruck, „daß der maßgebliche Vertreter des Ministeriums ohne Zustimmung von Domkapitular Zinkl keine Entscheidung zu treffen“ wünschte. Es sei also durchaus möglich, daß Zinkl auch für Nürnberg seine Ansicht durchsetzen werde, trotz der aufgezeigten praktischen Schwierigkeiten.62 So hielt also offensichtlich die evangelische Kirche den Vorschlag vom Nürnberger Schulamt, vorerst nur für die Schulanfänger Konfes- sionsklassen verbindlich einzurichten, für praktikabler und fürchtete bei Durchsetzung der Münchner Lösung nicht zu Unrecht massiven Protest. Am 16. Mai kam die von Frör erhoffte „schriftliche Erklärung des Ministeriums über die Regelung der Schulfrage in Nürnberg“.63 Kultusminister Hundhammer stellte zunächst fest, daß die Hoffmannsche Simultanschulverordnung, obwohl ihre Geltung im Hinblick auf Art. 174 Satz 1 der Weimarer Verfassung umstritten war, aufgrund der Verordnung vom 22.6.1920 (GVBl. S. 347) u.a. in Nürnberg in Kraft blieb. Vor 1933 hätten sich 55,8 % der Erziehungsberechtigten für die Bekenntnisschule und 44,2 % für die Gemeinschaftsschule ausgesprochen.64 Die von den Nationalsozialisten durch Zwang herbeigeführte Umwand- lung von Bekenntnis- in Gemeinschaftsschulen sei rechtsungültig, und mit Inkrafttreten der Bayerischen Verfassung hätten „Bestimmungen des bisherigen Rechts, die mit Art. 135 unvereinbar sind, ihre Geltung verloren, und zwar ohne daß es dafür eines besonderen Auf- hebungsaktes bedurfte“. Gleichwohl halte die Unterrichtsverwaltung an ihrer Auffassung fest, daß Gemeinschaftsschulen, die vor 1933 bereits bestanden hatten, wieder als solche zu führen seien. Es könne nämlich angenommen werden, daß eine gleiche Anzahl von Erzie- hungsberechtigten sich für diese Schulart entscheiden würde, so daß das Bestehen auf einem Antrag für Wiedereinrichtung von Gemeinschaftsschulen in Nürnberg nur eine Form- sache sei. Daher solle von dem Besitzstand ausgegangen werden, den jede Schulart im Jahr 1933 aufzuweisen hatte.65 Auf den ersten Blick gewann der Leser dieser Entschließung den Eindruck, als hand- le es sich um eine großzügige Einstellung des Kultusministers gegenüber den Verfechtern

60 Ebda. 61 Ebda. 62 Ebda. Maier oder Meyer? Beide Schreibweisen sind in den Quellen zu finden. 63 Ebda., Schreiben des Beauftragten für kirchliche Unterweisung, Lic. Frör, am 3.5.1949 an Oberkirchenrat D. Schieder. 64 Ebda., Schreiben Nr. IV 32673 des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 16.5.1949 an die Regierung von Mittelfranken. Betreff: Die rechtlichen Verhältnisse an den Volksschulen in Nürnberg. Abschrift von Abschrift, S. 1. 65 Ebda., S. 2 f.

465 der Gemeinschaftsschule. Es hätte aber durchaus die Gefahr bestehen können, daß sich weit mehr Erziehungsberechtigte für die Gemeinschaftsschule ausgesprochen hätten als vor 1933. Die Stimmung im Lande ging in diese Richtung, wie ja auch die Beispiele Windsheim oder Treuchtlingen zeigten. Vom Besitzstand auszugehen, wie er 1933 bestanden hatte, sollte eher als Vorsichtsmaßnahme zu werten sein. Für Nürnberg gestand das Kultusministerium besonders schwierige Umstände zu. Erstens seien schon durch die Maßnahmen der Nationalsozialisten eine Reihe von Schul- körpern aufgelöst und mit anderen zusammengelegt worden. Zweitens sei die Wiederher- stellung des früheren Besitzstandes wegen der Zerstörung vieler Schulhäuser außerordent- lich erschwert. Allerdings hätten auch die zuständigen städtischen Instanzen nichts unter- nommen, um Art. 135 der Verfassung und damit dem Elternwillen Rechnung zu tragen.66 Das Staatsministerium für Unterricht und Kultus ordnete daher an: Für das Schuljahr 1949/50 sollten die Erziehungsberechtigten der Schulanfänger „in allen Schulkörpern“ Gelegenheit haben, zwischen Gemeinschafts- und Bekenntnisschule frei zu wählen. Bei der Anmeldung sollten sie eine Erklärung darüber abgeben, welche Schulart sie für ihre Kinder wünschten. Das müsse den Eltern im Rahmen der öffentlichen Bekanntmachung zur Schul- anmeldung mitgeteilt werden.67 Da man der Regierung von Mittelfranken offensichtlich nicht sehr viel Enthusiasmus zutraute68 und auch von der Stadt Nürnberg nicht viel Entge- genkommen erwartete, hieß es in dem Schreiben weiter: „Die erforderlichen Weisungen an die Stadtschulbehörde Nürnberg wollen umgehend erlassen werden. Abdruck ist hieher vorzulegen. ... Das Ergebnis der Einschreibung ist dem Ministerium alsbald mitzuteilen. In welchen Schulgebäuden Klassen der verschiedenen Schularten zu führen sind, wird erst nach Abschluß der Einschreibungen bestimmt werden können. Die Schulgebäude sind so zu wählen, daß Schwierigkeiten im Schulweg nicht entstehen können. Um von vornherein Beschwerden von irgendwelcher Seite über Benachteiligung auszuschließen, wolle die beabsichtigte Klassenbildung dem Ministerium vor der Durchführung mitgeteilt werden.“69 Über Punkt IV. der Entschließung konnte sich die evangelische Kirche freuen, denn für Schu- len eingemeindeter Stadtteile galt, daß sie der Schulart angehörten, der sie am 30. Januar 1933 zugerechnet wurden.70 Die Reaktion in Nürnberg auf diese Entschließung war dergestalt, daß Stadtrat Korff (FDP) im Schulausschuß erklärte, der Nürnberger Stadtrat werde „auf keine mündliche, tele- fonische oder schriftliche Anweisung des Ministeriums reagieren ..., ohne daß eine gesetz- liche Grundlage und die dazu notwendigen Ausführungsbestimmungen“ vorlägen.71 Diese Haltung hatte den von Frör vorausgesagten Schulkampf im Juni 1949 zur Folge.72 In der Stadtratsitzung am 2. Juni 194973 wurde der Beschluß gefaßt, die Schulanmeldung so durchzuführen wie bisher; die Einführung der Bekenntnisschule sei im Augenblick nicht möglich, bzw. hinderten „juristische Gründe“ die Durchführung der ministeriellen Anord- nung.74 Während einer Besprechung im Dekanat, an der Oberkirchenrat Schieder, die Kir-

66 Ebda. S. 3. 67 Ebda. 68 siehe S. 451. 69 LKAN. KRD Nbg. 238. Schreiben Nr. IV 32673 des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 16.5.1949 an die Regierung von Mittelfranken, S. 3. 70 Ebda., S. 4. 71 Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX Nr. 1285. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 27.5.1949. 72 siehe S. 465. 73 Die Nürnberger Nachrichten datierten den Beschluß unter dem 31.5.1949 (NN, 5. Jg. Nr. 69 vom 13.6.1949); LKAN. KRD Nbg. 238. 74 LKAN. KRD Nbg. 238. Protokoll der Besprechung in der Schulfrage. 2.6.1949; Ebda., Aktenvermerk zum Schulkampf 1949/50. 7.6.1949.

466 chenräte Merkel und Kern und einige Pfarrer teilnahmen, konnte man „sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Stadtschulrat (Korff) mit bösem Willen die Einführung der Bekennt- nisschule hintertreiben“ wolle.75 Die Kirchenbehörden beauftragten einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen, der schriftlich beim Nürnberger Oberbürgermeister intervenierte. Außerdem wurde der Landeskirchenrat um die Weiterleitung eines mündli- chen Berichts an das Ministerium gebeten.76 Die bei der Besprechung anwesenden Geistlichen waren überzeugt, daß in den Nürn- berger Gemeinden etwa 410 Schulkinder für die evangelischen Bekenntnisschulen ange- meldet würden. In ihrem Interesse sollte der Kampf aufgenommen werden. Schulherr sei der Staat, nicht die Stadt Nürnberg, die in undemokratischer Haltung sich „nicht unter die Verfassung beugen“ wolle.77 Es wurde beschlossen, sofort Elternvertreter zu einer Bespre- chung zusammenzurufen, um dann eine Kommission zu bilden, die dem Oberbürgermei- ster und der Stadtschulbehörde die Elternwünsche übermitteln würde. Für den 8. Juni wur- den Elternversammlungen geplant, um die Erziehungsberechtigten auf das richtige Vorge- hen bei der Schulanmeldung einzuschwören. Für besonders günstig erachtete man, wenn mindestens zwei Personen zur Einschreibung gingen;78 das würde Einschüchterungsversu- che verhindern. Für das Pfingstfest wurde eine Kanzelabkündigung vorgesehen. Diese infor- mierte die Gottesdienstbesucher über die Anordnung des Kultusministeriums für die Stadt Nürnberg. Ganz pragmatisch hieß es außerdem: „Evangelische Eltern, die ihr heuer eure Kinder zur Schule anmeldet, verlangt, daß bei der Einschreibung ... im Anmeldeblatt der Eintrag gemacht wird ‚Evangelische Schule‘!“ Den Erziehungsberechtigten wurde ein- dringlich gesagt, daß sie ein Recht dazu hätten, aber auch, daß die Pflicht es verlange, da „der Herr“ es fordere.79 Eine „Aktennotiz zum Schulkampf 1949/50“ vom 7. Juni listete die verschiedenen Schritte auf, die von evangelischer Seite unternommen wurden. So waren noch am 3. Juni drei Verfechter der evangelischen Bekenntnisschule, ein Pfarrer, ein Stadt- rat und der beauftragte Rechtsanwalt, nach München gefahren, um im Ministerium vorzu- sprechen. Die Kanzelerklärung wurde verlesen, Schreiben an sämtliche Pfarrämter, die Eltern der Schulanfänger und an Oberbürgermeister Ziebill gingen am 4. Juni hinaus. Letzterer ver- sicherte in einem Telefongespräch, daß die von der Mehrheit des Stadtrats favorisierte Gemeinschaftsschule eine christliche sei.80 Diese Auskunft konnte für den Vertreter der evangelischen Kirche natürlich nicht maßgebend sein. Da somit die Anordnung des Kultusministeriums durch die Stadt ignoriert worden war und die Schuleinschreibung nach dem gleichen Modus wie in den vorausge- gangenen Jahren erfolgen sollte, „untersagte und verschob (das Bayerische Staatsministe- rium für Unterricht und Kultus) darauf die für vergangenen Donnerstag angesetzten Neu- anmeldungen bei den Volksschulen in Nürnberg, und die Eltern, die durch Amtsblatt und Tagespresse von dem Termin verständigt worden waren, standen vor verschlossenen Türen“.81 Schulreferat und Städtisches Nachrichtenamt hatten die Eltern von der „überra- schenden Maßnahme des bayerischen Kultusministers Dr. Alois Hundhammer“ nicht in Kenntnis gesetzt.82 Vielleicht wollten die Verantwortlichen mit dieser Taktik erreichen, daß

75 Ebda., Protokoll der Besprechung in der Schulfrage. 2.6.1949. 76 Ebda. 77 Ebda. 78 Ebda. 79 LKAN. KRD Nbg. 238. Kanzelabkündigung, o.D., wahrscheinlich 5.6.1949. 80 Ebda.; Aktennotiz vom 7.6.1949. 81 Ebda., Nürnberger Nachrichten, 5. Jg. Nr. 69 vom 13.6.1949. „‘Schiedlich-friedlicher‘ Schulkrieg“. 82 Ebda.

467 die Empörung der Eltern in Stimmung gegen den Kultusminister umschlug. Eine Pressemit- teilung des Stadtrats am 10. Juni enthielt sowohl die Abqualifizierung einer katholischen Kanzelerklärung als „zumindest fahrlässige Irreführung der öffentlichen Meinung“ als auch den Bericht über eine Besprechung im Schul- und Kulturreferat am 7. Juni, an der Ministe- rialrat Hornstein, Regierungsschulrat Schlamp, Schul- und Kulturreferent Korff, Fiskal- und Kommunalreferent Thieme und Schulrat Staab teilnahmen. Das Protokoll hierüber lautete: „Es wurde im gegenseitigen besten Einvernehmen der Versuch gemacht, ... einen Weg zu finden, wie durch eine von beiden Seiten gleichzeitig anzurufende Entscheidung des Ver- waltungsgerichtshofes“ das Problem der Anmeldung der Schulanfänger „auf schiedlich- friedlichem Wege gelöst werden könnte. Es ergab sich, daß eine Bestimmung, die dies ermöglichte, ... nicht zu finden war. Die Versammelten kamen am Schluß zu dem Ergebnis, daß einzig der Weg gangbar sei, daß die Angelegenheit nach Paragraph 51 des Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit ihre Lösung finden könnte.“83 Darauf wollte man auf Seiten der evangelischen Kirchenbehörden nicht warten und startete die nächste Aktion. Das Dekanat informierte die Pfarrer in Nürnberg, daß es der Pfarrkonvent84 angesichts der Schullage für wichtig halte, möglichst viele Eltern davon zu überzeugen, ihr Kind für die Bekenntnisschule anzumelden, auch wenn keine Klasse zustandekomme. Man habe für sol- che Fälle mit der Stadtschulbehörde vereinbart, daß die Schüler dann die Gemeinschafts- schule besuchen könnten und nicht gezwungen seien, weite Wege bis zur nächsten Bekenntnisschule zurückzulegen. Letzteres hatte viele Eltern davor zurückschrecken lassen, die Bekenntnisschule zu wählen. Alle Erziehungsberechtigten von Schulanfängern sollten schriftlich darüber aufgeklärt werden. Zum selben Zweck hatte man ein Flugblatt im Dekanat vorbereitet.85 Es wies die Eltern darauf hin, daß der neue Termin zur Schuleinschreibung der 20. Juni sei und daß die evangelische Elternschaft sich bereit erklärt habe, von der Losung: „Evangelische Kinder in evangelische Bekenntnisschulen!“ abzusehen und sich zu begnügen mit „Evangelische Schulanfänger in evang. Schulen!“86 Drei wesentliche Punkte enthielt der Aufruf: Zunächst wurde gesagt, daß, wer sein Kind habe taufen lassen, verpflichtet sei, das Versprechen der christlichen Erziehung einzulösen. Das Elternrecht sei also Elternpflicht. Dann wurde den Eltern bescheinigt, daß sie in der Vergangenheit den schweren Fehler begangen hätten, nicht vor aller Öffentlichkeit die christliche Erziehung zu verlangen. Dieses Versäumnis habe vielen Eltern „bittere Stunden bereitet und schwerwiegende Folgen gehabt. Darum lernt daraus und entscheidet Euch jetzt für die evangelische Bekenntnisschule!“87 Anschließend wurde versichert, daß für den Fall, daß keine evangelische Bekenntnisklasse in einem Stadt- teil zustande komme, von den Schulbehörden „eine Regelung zugesagt (wurde), die sowohl Zwergschulen wie weite Schulwege“ vermeide.88 Noch einmal gab es eine Kanzelerklärung in den evangelischen Kirchen Nürnbergs am 19. Juni, mit dem Inhalt, daß die evangelische Gemeinde die Pflicht habe, sich für die Bekenntnisschule einzusetzen und man nun nicht mehr gewillt sei, darauf zu verzichten, wie man das bisher angesichts der Zerstörung der Stadt getan habe.89 Die Anhänger der Gemeinschaftsschule ließen in den „Nürnberger

83 Ebda. § 51 VGG (GVBl. Nr. 19/1946, S. 284) besagte, daß „Einspruch, Beschwerde und Anfechtungsklage ... aufschiebende Wirkung (haben). Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann jedoch dessen Voll- ziehung anordnen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält.“ 84 Pfarrkonvent = Versammlung der evangelischen Geistlichen eines Kirchenkreises. 85 LKAN. KRD 238. Schreiben Nr. 2198 des Evang.-Luth. Dekanats Nürnberg am 14.6.1949 an alle Pfarrer im Dekanat Nürnberg. 86 Ebda., „An die Eltern der Schulanfänger“. Nürnberg, im Juni 1949, gez. Evang.-luth. Dekanat Nürnberg, D. Schieder. 87 Ebda. 88 Ebda. 89 Ebda., Kanzelerklärung am 19.6.1949.

468 Nachrichten“ am Samstag vor dem neuen Anmeldungstermin die Gründe für ihre Schule veröffentlichen, betonten die finanziellen Beweggründe für eine gemeinsame Schule, mein- ten, daß die Glaubensspaltung im 16. Jahrhundert nicht im 20. Jahrhundert verschärft zu werden brauche, und versicherten, man habe doch andere Sorgen, als die Kinder nach Kon- fessionen zu sortieren und separieren.90 Für beide Seiten überraschend war die „Bekanntmachung des Stadtrats Nürnberg“ vom 17. Juni 1949 „(a)n die bei der Schulanmeldung für die erste Volksschulklasse am 20.6.1949 beteiligten Lehrkräfte.“ Darin wurde mitgeteilt, daß die Regierung von Mittel- franken auf Weisung des Kultusministeriums am 14. und 16. Juni Anordnungen erlassen habe, mit dem Ziel, den Erziehungsberechtigten der Schulanfänger die Wahl zwischen Gemeinschafts- und Bekenntnisschule freizustellen. „Ein Vertreter des Bayer. Staatsministe- riums für Unterricht und Kultus hatte sogar schon die Lehrkräfte am Mittwoch, 8.6.1949, über die Durchführung dieser Wahl unterwiesen. Die Vollziehung der beiden Regierungs- entschließungen hat das Verwaltungsgericht durch Beschluß vom 17.6.1949 zur Zeit aus- gesetzt.“91 Damit war die Rechtslage gegenüber dem Vorgehen der vergangenen Jahre unverändert, und eine Wahl zwischen den Schularten konnte bei der Anmeldung nicht stattfinden. Oberbürgermeister Ziebill gab in der Stadtratsitzung am 22. Juni eine Erklärung dazu ab: Die Standpunkte des Kultusministeriums und der Stadt Nürnberg seien unverein- bar. Während man in München die Meinung vertrete, die Verfassung schaffe unmittelbar Recht, sei der Stadtrat der Meinung, daß ein besonderes Schulorganisationsgesetz nötig sei, das zwar schon erarbeitet, von der Militärregierung aber noch nicht genehmigt sei. Diese grundsätzliche Frage müsse erst durch die zuständigen Verwaltungsgerichte entschieden werden.92 Für die Zwischenzeit mußte eine Regelung gefunden werden. Die Anordnungen des Kultusministeriums waren nicht geeignet, die Kluft zu überwinden, forderten im Gegen- teil die Halsstarrigkeit der Stadtverwaltung geradezu heraus, die zu der Ansicht kam, „daß auch die Zwischenlösung der Frage nicht einseitig erfolgen könne,“ und sich daher beschwerdeführend an das Verwaltungsgericht in Ansbach wandte. Dieses schloß sich der Auffassung der Stadt an und hob die Anordnungen des Kultusministeriums auf. So konnte die Schulanmeldung ohne Wahl stattfinden. Zwar hatte das Ministerium seinerseits gegen die Entscheidung Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof in München eingelegt und eine Verschiebung des Anmeldetermins verlangt, da bis dahin keine Entscheidung zu erwarten war, aber, sagte Oberbürgermeister Ziebill, „(z)ur Wahrung des Selbstverwaltungsrechts, im Interesse der Schule, aber auch um einer bestehenden Gerichtsentscheidung Achtung zu verschaffen, wurde die Anmeldung durchgeführt ...“93 Auch in Nürnberg spielte also, wie in Windsheim, Art. 83 (BV) eine Rolle. Ein Schreiben Kultusminister Hundhammers an das Staatsministerium des Innern beleuchtete die Vorgänge aus seiner Sicht. Es habe schon dauernd Beschwerden der evan- gelischen und katholischen Elternvereinigungen Nürnbergs gegeben; deshalb habe das Kul- tusministerium am 16. Mai 1949 in einer Entschließung an die Regierung von Mittelfran- ken angeordnet, daß auch in Nürnberg die Schuleinschreibung nach Art. 135 (BV) zu geschehen habe. In München habe man dieselben Schwierigkeiten durch Anweisung aus dem Weg geräumt, und die Schulanmeldung sei anstandslos erfolgt und habe 85 % für die Bekenntnisschulen ergeben. In Nürnberg dagegen habe sich der Oberbürgermeister „als gesetzliches Mitglied des Schulamts (Art. 12 SchAG) unter Berufung auf einen entgegen-

90 Ebda., Nürnberger Nachrichten vom 18.6.1949. „Gemeinschafts- oder Bekenntnisschule? ‚Freunde der Gemeinschaftsschule‘ senden der NN folgende Ausführungen.“ 91 Ebda., Bekanntmachung des Stadtrats Nürnberg am 17.6.1949. 92 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 22.6.1949. Stadtratsitzung. 93 Ebda.

469 stehenden Beschluß des Stadtrats“ geweigert, die nötige Bekanntmachung zu unterschrei- ben.94 Das Schul- und Kulturreferat habe stattdessen am 3. Juni im Amtsblatt der Stadt mit- geteilt, daß bei der Schuleinschreibung keine Wahl der Schulart gegeben sei. Allerdings habe sich der Bezirksschulrat unter Hinweis auf die Ungesetzlichkeit an dieser Maßnahme nicht beteiligt. Der Oberbürgermeister habe seine Haltung auch nach der Besprechung am 7. Juni beibehalten; die Vertreter des Kultusministeriums hätten vergeblich versucht, ihm die Sachlage auseinanderzusetzen.95 Am 14. Juni habe die Regierung von Mittelfranken die Anordnung, am 20. Juni die Schuleinschreibung unter Beachtung des Art. 135 (BV) durch- zuführen, erlassen. Der Einspruch des Stadtrats am 15. Juni sei am 16. durch die Regie- rungsentschließung abgewiesen worden. Die Anfechtungsklage der Stadt Nürnberg beim Verwaltungsgericht Ansbach habe die Aussetzung des Vollzugs beider Entschließungen zur Folge gehabt. Das wiederum habe die Regierung veranlaßt, den Schuleinschreibungstermin am 20. Juni zu verschieben. Allerdings habe Nürnberg an dem Termin festgehalten, und der Oberbürgermeister habe durch Presse, Rundfunk und Lautsprecherwagen bekanntgeben lassen, „daß entgegen der Anordnung des Unterrichtsministeriums die Schuleinschreibung am 20.6.1949 doch stattfinde, aber nur zur Gemeinschaftsschule unter Ausschluß des Wahlrechts“.96 Die Schulanmeldung fand tatsächlich statt, aber unter Bedingungen, wie sie bisher nicht vorgekommen waren und von mancher Seite als identisch mit der Vorgehensweise während der Nazi-Zeit beschrieben wurden. Oberkirchenrat Schieder ging so weit, daß er in einem Flugblatt schrieb: „Das was gegenwärtig in Nürnberg geschieht, ist das gleiche, was im 3. Reich geschah: Unter dem Schein des Rechts wird das Recht mit Füßen getre- ten.“97 Am Wochenende vor der Einschreibung - der 20. Juni war ein Montag - hatte noch die Meinung bestanden, es finde keine Anmeldung statt. Am 18. Juni nachmittags, dem Samstag, war die Verfügung eingetroffen, und über Rundfunk hatte Kultusminister Hund- hammer bekanntgegeben, daß die Anmeldung verschoben sei.98 So fanden sich am Mor- gen des Montags nur wenige Eltern mit ihren Kindern in den Schulen ein. Das änderte sich, „als die ‚Nürnberger Nachrichten‘ mit der Feststellung erschienen, daß die Schulanmeldung auf jeden Fall stattfinde, als dann später Lautsprecherwagen durch die Straßen fuhren und die Bevölkerung auf den Schulanmeldungstermin aufmerksam machten ...“99 Allerdings fanden die Eltern in den Schulhäusern nur vereinzelt Lehrer vor, denn diesen war, da sie Staatsbeamte waren, eine Mitwirkung untersagt worden, bzw. sie hatten von sich aus erklärt, sie seien an die Weisungen des Ministeriums gebunden.100 In den Berichten aus den Schulen war jeweils ein Vermerk über die Abwesenheit der Lehrer zu finden. Diese Berich- te wurden noch am selben oder an den darauffolgenden Tagen an das Dekanat gegeben. Z.B. hieß es über die Uhlandschule: „Heute vormittag kam die Polizei zur Uhlandschule und hat, nachdem Rektor M. erklärt hatte, daß die Schulanmeldung heute nicht stattfindet, die Anmeldung selbst einstweilen vorgenommen. Daraufhin wurde das Personal von der Kar- tenstelle herbeigeholt, das nun die Anmeldungen entgegennahm. Es wird keine Rücksicht genommen auf die Wünsche der Eltern ob Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschule ...“101

94 BayHStA München. StK 113972. Schreiben des Kultusministers Hundhammer am 24.6.1949 an das Staats- ministerium des Innern. 95 Ebda.; siehe S. 468. 96 Ebda. 97 LKAN. KRD Nbg. 238. „Tatsachen, Fragen, Feststellungen“, Juni 1949. 98 Ebda., Nürnberger Nachrichten, 5. Jg. Nr. 73 vom 22.6.1949. „Schulanmeldung fast 100-prozentig“. 99 Ebda. 100 Ebda., unveröffentlichte Schrift der evangelischen Kirche: „‘Kalter‘ Schulkrieg in Nürnberg“ o.D.; Flugblatt des Evang.-Luth. Dekanats Nbg. „Tatsachen, Fragen, Feststellungen!“ Juni 1949. 101 Ebda., Aktenvermerk, „Herr G., St. Matthäus, gibt telefonisch Bericht über die Schulanmeldung in St. Matthäus,“ 21.6.49 vormittags.

470 „Im Bismarckschulhaus werden die Anmeldungen in der Turnhalle durch fremde Kräfte vor- genommen ... Ein Polizist kam per Rad ...“102 Das Pfarramt St. Leonhard berichtete: „Die Anmeldung nahmen Beamte der Kartenstelle entgegen. Vormittags war Polizei im Raum mit anwesend, nachmittags nicht mehr. Auf Verlangen wurde von den Beamten der Ein- trag auf dem Anmeldeformular gemacht: ‚Zur Bekenntnisschule‘. Teilweise geschah das anstandslos, teilweise suchte der Beamte die Leute davon abzubringen, indem er sagte es kommt ja doch keine zustande oder ähnliches. So war es im Schulhaus Schweinauerstr. 20. Im Schulhaus Amberger Straße haben sich die Beamten geweigert, den Wunsch auf Bekenntnisschule einzutragen.“103 Auch von der Oedenberger Straße kam die Meldung, daß unbekannte städtische Kräfte ohne Beteiligung von Lehrern, „denen nach Auskunft von Herrn Rektor Schaffert ausdrücklich verboten war“ mitzuwirken, die Anmeldung durch- geführt hätten. Auf Anfrage vereinzelter Eltern, wie die Einschreibung für die einzelnen Schularten vorgenommen würde, wurde mitgeteilt, „daß diese Angelegenheit einer späte- ren Regelung vorbehalten bleibe“.104 In der Wiesenstraße vollzog sich die Schulanmeldung „unter dem Schutz uniformierter Polizei. Die Eltern hatten ihren Wunsch auf Bekenntnis- schule vorbringen dürfen. Die Polizei versah lediglich ihren Dienst ... Die gewünschte Schul- form wurde in das Anmeldeformular eingetragen.“105 Noch am selben Tag dieser denkwürdigen Schuleinschreibung ging ein Telegramm an Ministerpräsident Ehard, unterzeichnet von den Vorsitzenden der evangelischen und der katholischen Elternvereinigung, Rechtsanwalt Ulmer und Studienprofessor Weihmann. „Stadtrat Nürnberg macht unmöglich, von Eltern geforderte und durch Kultusministerium angeordnete, verfassungsmäßige Schulanmeldung und hat heute in Schulhäusern Polizei- kräfte aufgeboten um Schulanmeldung zu verfassungsfremder Schulart des 3. Reiches durchzusetzen. Wir protestieren gegen diese Maßnahmen. Alle Vorgänge beim Kultusmi- nisterium bekannt. Fordern sofortiges Eingreifen.“106 Ein Zeitungsbericht der bekanntermaßen SPD-freundlichen Nürnberger Nachrich- ten faßte zwei Tage später die Vorkommnisse zusammen: Es sei ein „ungewöhnlicher Vor- gang“ gewesen, daß ein Kultusminister versucht habe, „die durch die zuständige Behörde, den Stadtrat, ordnungsgemäß bekanntgemachte Schulanmeldung durch Rundfunk zu ver- hindern. Es dürfte nur in Bayern möglich sein, daß ein Minister, dessen Rechtsstandpunkt vom Verwaltungsgericht nicht gebilligt wurde, die Bevölkerung aufruft, behördliche Anord- nungen nicht zu befolgen“. Die Verwirrung bei den Eltern sei beträchtlich gewesen, denn an den Plakatsäulen hing die Bekanntmachung des Stadtrats, im Rundfunk wurde sie durch das Kultusministerium widerrufen, da rechtlich unzulässig, „auf Kanzeln wurde dagegen gepredigt und in einigen Kirchengemeinden suchten die Pfarrer persönlich die Eltern in den Wohnungen auf, um sie von der Schulanmeldung fernzuhalten“.107 Der Berichterstatter ver- stand die Aufregung nicht, da die städtische Bekanntmachung ausdrücklich darauf hinge- wiesen hatte, daß die Frage der Wahl zwischen den Schulformen „erst nach dem Vorliegen des endgültigen Urteils des Verwaltungsgerichtshofs entschieden werden“ könne.108 Erfreut wurde aber festgestellt, daß die Anmeldung zur ersten Volksschulklasse „fast hundertpro- zentig“ erfolgt sei. Das stelle eine „deutliche Absage der Eltern gegen alle intoleranten

102 Ebda., Aktenvermerk. 21.6.1949 vormittags, Schulanmeldung in Maxfeld. 103 Ebda., Schreiben Nr. 216 des Evang.-luth. Pfarramts St. Leonhard am 20.6.1949 an das Dekanat. 104 Ebda., Schreiben des Evang.-luth. Pfarramts St. Lukas am 24.6.1949 an das Dekanat Nürnberg. 105 Ebda., Schreiben des Evang.-luth. Pfarramts Nürnberg Steinbühl am 26.6.1949 an das Dekanat Nürnberg. 106 BayHStA München. StK 113972. Telegramm am 20.6.1949 an Ministerpräsident Ehard. 107 LKAN. KRD Nbg. 238. Nürnberger Nachrichten, 5. Jg. Nr. 73 vom 22.6.1949. „Schulanmeldung fast 100-pro- zentig“. 108 Ebda.

471 Quertreibereien und eine persönliche Niederlage für Kultusminister Dr. Alois Hundhammer dar ..., dessen Rundfunkbannsprüche ungehört im Aether verhallten“.109 Ebenfalls am 22. Juni machte ein Plakat des Bayerischen Staatsministeriums für Unter- richt und Kultus die „Eltern und Erziehungsberechtigten der Volksschulpflichtigen in Nürn- berg“ mit folgendem Sachverhalt bekannt: „Die vom Stadtrat Nürnberg am 20.6. unbe- fugt veranlaßte und mit polizeilichem Aufgebot durchgeführte Schulanmeldung ist rechts- ungültig ... Das Staatsministerium für Unterricht und Kultus hat nunmehr angeordnet, daß eine ordnungsgemäße Schuleinschreibung am Donnerstag, 30.6. durchzuführen ist, die dem Verfassungsrecht entspricht und den Eltern die freie Wahl zur Bekenntnis- und Gemeinschaftsschule ermöglicht.“110 In seinem Schreiben an das Innenministerium am 24. Juni111 teilte Hundhammer dieses Datum mit und schrieb dazu, daß zur Schuleinschreibung ein Ministerialreferent entsandt werde, „der den Stadtrat Nürnberg zur Beachtung der Gesetze und Anordnungen der Regierung sowie des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs erforderlichenfalls anhält“.112 Nach Meinung Hundhammers sei Schuleinschreibung Sache der Schulleiter, des Schulamts, der Regierung, des Ministeriums; die Gemeinde habe kein Mitwirkungsrecht, auch wenn sich der Oberbürgermeister auf Art. 83 (BV) berufen habe, zu welchem es aber noch keine entsprechenden Gesetze gebe. Er betrachtete die Aktionen in Nürnberg als „flagranten Rechtsbruch“, als Übergriff einer städtischen Behörde in rein staatliche Angelegenheiten. Schulen seien durch Polizeiaufgebot besetzt worden, teilwei- se seien Schulräume, in denen Unterricht gehalten wurde, durch Polizeigewalt geräumt worden. Dieses Vorgehen sei so „unerhört, daß es mit keinem Vorkommnis in der bisheri- gen bayerischen Verwaltungsgeschichte verglichen werden könnte“. Hundhammer bean- tragte gegen Oberbürgermeister Ziebill und den Kulturreferenten (Korff, FDP) daher ein Dienststrafverfahren.113 Während das Evangelisch-Lutherische Dekanat und die „Evangelische Elternschaft“ sich des „schmerzlichen Eindrucks“ nicht erwehren konnten, daß es der Stadt Nürnberg nur darauf ankomme, „um jeden Preis die Bekenntnisschule zu verhindern“, und daß „auf dem Rücken der Schule, der Kinder, der Eltern und der Lehrer“ dieser Streit ausgefochten würde,114 rechtfertigte sich die Stadt am 25. Juni in einer Sonderausgabe des Amtsblatts der Stadt Nürnberg und veröffentlichte die verwaltungsgerichtlichen Entscheide vom 17. Juni und vom 22. Juni; ersterer vom Verwaltungsgericht Ansbach, letzterer vom Ver- waltungsgerichtshof München.115 Der Stadtrat Nürnberg hatte gegen den Bayerischen Staat eine Anfechtungsklage erhoben „wegen Verletzung des Selbstverwaltungsrechts der Stadt- gemeinde Nürnberg“ und erreicht, daß der Vollzug der Regierungsentschließungen bis 31. Juli ausgesetzt wurde. In der Urteilsbegründung hieß es interessanterweise, daß nach § 51 des Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit Einspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung hätten, daß jedoch Vollziehung angeordnet werden könne, wenn die Behörde „es im öffentlichen Interesse für geboten hält“. Die Regierung habe den sofor- tigen Vollzug gefordert, weil sie die Wahl der Schulart mit der Schulanmeldung verbinden wollte und diese wegen der Sommerferien nicht länger verschoben werden konnte. Sie befürchtete außerdem, „daß das Wahlrecht bei einem sich lange hinziehenden Rechtsstreit verkümmern würde“. Derartige Erwägungen verwaltungstechnischer Art würden jedoch

109 Ebda. 110 Ebda., Plakat des Bay. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, gez. Dr. Hundhammer, vom 22.6.1949. 111 siehe S. 469 f. 112 BayHStA München. StK 113972. Schreiben Kultusminister Hundhammers am 24.6.1949 an das Staatsmini- sterium des Innern. 113 Ebda. 114 LKAN. KRD Nbg. 238. Flugblatt „Keine Schulanmeldung am Montag, 20. Juni 49!“ Juni 1949. 115 Ebda., Amtsblatt der Stadt Nürnberg. Sonderausgabe vom 25.6.1949. „Der Streit um die Schulanmeldung“.

472 nicht das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug begründen; auch bestünde für die Behörde die Möglichkeit, ihre Anordnungen immer so spät herauszubringen, daß sofort gehandelt werden müsse und dann jeweils der Vollzug nicht mehr ausgesetzt werden könne.116 Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, die den Beschluß des Verwal- tungsgerichts aufhob, wurde dagegen so begründet, daß die Regierungsentschließungen „der sofortigen Vollziehung“ bedurften, da nach der Wahl der Erziehungsberechtigten die Organisation der erforderlichen Maßnahmen, z.B. die Bildung der Klassen oder die Eintei- lung der Lehrkräfte, geraume Zeit in Anspruch nehmen würde. Versäume man die Frist, würde man ein ganzes Schuljahr verlieren für die Wahl der Schulart, ein verfassungsmäßiges Recht der Erziehungsberechtigten. Es würde der Vollzug der Anordnungen auch keiner end- gültigen Entscheidung vorgreifen. Die Verletzung des Selbstverwaltungsrechts der Stadt sei eine „bestrittene Grundfrage“.117 Das Nachrichtenamt der Stadt Nürnberg gab zu den verwaltungsgerichtlichen Beschlüssen bekannt, daß der Kultusminister nun die Möglichkeit habe, eine erneute Schul- anmeldung mit Wahlmöglichkeit durchzuführen. Man bezeichnete die im Rundfunk ver- kündete Absicht allerdings als „völlig unnötige Inanspruchnahme der Erziehungsberechtig- ten und der Kinder“, klammerte sich daran, daß die endgültige Entscheidung, der der Ver- waltungsgerichtshof nicht hatte vorgreifen wollen, nicht im Sinne Hundhammers ausfallen würde und daß nach kurzer Zeit zur bisherigen Form der Schulführung zurückgekehrt würde.118 Ausgesprochen dezidiert wurde der Bevölkerung versichert, „daß der Streit zwi- schen Kultusministerium und Stadtrat kein Kampf der Nürnberger Stadtverwaltung gegen die Konfession“ sei, „sondern lediglich eine rechtliche Auseinandersetzung über Selbstver- waltungsrechte der Stadt“. Außerdem wurde bemerkt, daß der Stadtrat überzeugt sei, „daß durch das Vorgehen des Kultusministeriums die Bestrebungen in Franken, welche sich gegen den Münchener Zentralismus wenden und eine stärkere Selbstverwaltung für Fran- ken fordern, außerordentlichen Auftrieb erfahren werden“.119 Der Kommentar des Nürn- berger Nachrichtenamtes wurde auch durch ein Plakat bekanntgemacht, auf dem die Unterzeichneten, Oberbürgermeister Ziebill und Schul- und Kulturreferent Korff, mitteilten, auch erneute Versuche der Stadt, doch noch eine Einigung mit Kultusminister Hundham- mer herbeizuführen, seien an seiner „völlig ablehnenden Haltung gescheitert“.120 Nun rüstete man sich für den neuen Schulanmeldungstermin. Wieder gab es auf evangelischer Seite Kanzelerklärungen,121 eine gemeinsame Zusammenkunft der evangeli- schen und der katholischen Elternschaft,122 Anweisungen für den Tag der Einschreibung, an dem Gemeindemitglieder sich vor den Schulhäusern „zur Beobachtung und eventuel- len Verteilung von Handzetteln“ aufhalten sollten,123 und die Empfehlung, Eltern einzuset- zen, wenn durch „Minderheiten aus den benachbarten Schulbezirken“ die Bildung von Bekenntnisklassen möglich wäre.124 Die katholische Kirche arbeitete mit Flugblättern, deren Überschriften vermuten ließen, es handle sich bei den Adressaten - „Katholische Eltern!“ - und ziemlich törichte Zeitgenossen. „Warum lehnt Ihr die Gemeinschaftsschule ab?“ und „Warum meldet Ihr Euer Kind demnach zur katholischen Schule an?“125 hieß es da, und es klang so, als wür-

116 Ebda. 117 Ebda. 118 Ebda. 119 Ebda. 120 Ebda., Bekanntmachung (Plakat). o.D. 121 Ebda., „Kanzelerklärung (für Wochengottesdienste, Bibelstunden etc.);“ Ebda., Schreiben Nr. 2353 des Evang.-Luth. Dekanats Nürnberg am 25.6.1949 an alle Pfarrer des Dekanats. 122 Ebda., Schreiben Nr. 2408 des Evang.-Luth. Dekanats am 28.6.1949 an alle Pfarrer im Dekanat. 123 Ebda. 124 Ebda. 125 Ebda., Flugblatt „Schulanmeldung in Nürnberg. Katholische Eltern!“ Juni 1949. Herausgegeben vom Erz- bischöflichen Dekanat Nürnberg (Drummer) und der katholischen Elternvereinigung.

473 den sämtliche katholischen Erziehungsberechtigten aus Überzeugung die Bekenntnisschu- le wählen. Die Argumentationshilfen wurden gleich mitgeliefert, wobei eine von ihnen bestätigte, was Bekenntnisschulgegner als Gewissenszwang bezeichneten: „... weil Ihr im Gewissen verpflichtet seid, Euer Kind nur einer katholischen Schule anzuvertrauen, wo immer dies möglich ist.“126 Ein weiteres Flugblatt schilderte nicht ohne Häme den Verlauf des Schulkampfes mit der Niederlage des Stadtrats und triumphierte, daß es trotz aller Tricks nicht gelungen sei, den Eltern die Wahl der Schulart zu verwehren. Die Selbstherrlichkeit der Stadt, die „sog. neutrale Presse, die sich hemmungslos in den Dienst der Werbung für die Gemeinschaftsschule“ gestellt habe, die „geschäftige und verdächtig überstürzte Schul- macherei des Herrn Korff“ wurden angeprangert, und Mißbrauch des ehrlichen Willens der Eltern, die Anmeldepflicht ordnungsgemäß zu erfüllen, wurde den Beteiligten vorgewor- fen.127 Man muß die Berechtigung der Vorwürfe anerkennen, offenkundig, und an ande- rer Stelle mehrmals beschrieben, war aber auch, daß die katholische Kirche selbst sich etli- cher Winkelzüge bediente, um an ihr Ziel zu gelangen. Die Gegenseite formierte sich kurz vor dem Einschreibungstermin am 30. Juni zur „Arbeitsgemeinschaft für Schulfrieden“ und rief mit einem Plakat die Bürger auf, zur „Großkundgebung am Kornmarkt“ zu kommen. „Nürnbergs Antwort auf Hundhammer“ sollte auf diese Weise gegeben werden. „Soll ein Münchner Minister diktieren was freie Nürnberger Bürger zu tun haben?“128 Am 28. Juni versammelten sich „etwa 1-2 Tausend Menschen“.129 Die sattsam bekannten Begründungen für die Gemeinschaftsschule wurden von den Rednern (ein „unbekannter Schulmann“, ORR Dr. Hofmann, parteilos, Voigtlän- der, FDP, Stadtrat Ernst Müller, KPD, Stadtrat Loßmann, SPD, Stadtrat Linnert, FDP) erneut vorgetragen. Allerdings enthielten ihre Ansprachen auch scharfe Polemik gegen Hund- hammer, die katholische Kirche und Oberkirchenrat Schieder. Hundhammer wurde vorge- worfen, sein Fehler sei, 300 Jahre zu spät geboren zu sein, Schieder wurde der Lüge bezich- tigt.130 Ein Stimmungsbericht über die Kundgebung, ohne Verfasser, nach Wortwahl und offensichtlicher Parteinahme von evangelischer Seite, veranschaulichte die bedrohliche Atmosphäre. In der Masse seien Rufe laut geworden, die Pfaffen aufzuhängen, die im KZ nicht verreckt seien, Zwischenrufe von Anhängern der Bekenntnisschule hätten „Schreien, Anpöbeln und Drohen“ zur Folge gehabt, Polizei habe Schutz gewähren müssen. Über die Rede des KPD-Stadtrats schrieb der Berichterstatter, er habe sich des Eindrucks nicht erweh- ren können, „daß sie in ihrer Art sehr an die Goebbelschen Propaganda-Reden erinner- te“.131 Die Zeitung berichtete einige Tage später, es hätten sich 6-7000 Nürnberger ver- sammelt, die ihre gegensätzlichen Meinungen „in lebhaften Wortwechseln und Hand- greiflichkeiten zum Ausdruck gebracht (hätten), die von den zahlreichen anwesenden Poli- zeibeamten immer wieder geschlichtet wurden“.132 Die Kundgebung war auch Thema eines Schreibens Dr. Linnerts (FDP) an den Evang.- Luth. Landeskirchenrat. Er verwahrte sich gegen den Vorwurf, eine aufhetzende Rede gegen die Pfarrer gehalten zu haben, und forderte eine Richtigstellung „noch vor dem Wahl-

126 Ebda. 127 Ebda. Flugblatt „Schulanmeldung am Donnerstag, 30. Juni 1949. An die Katholiken Nürnbergs!“ Herausge- geben vom Erzbischöflichen Dekanat Nürnberg, gez. Drummer, und von den kath. Elternvereinigungen, gez. Weihmann. 128 Ebda., Plakat der Arbeitsgemeinschaft für Schulfrieden in Nürnberg, gez. i.A. Zehelein, Berufsschuldirektor. o.D. 129 Ebda., „Stimmungsbericht von der Versammlung der Arbeitsgemeinschaft für Nürnberger Schulfrieden am Kornmarkt - Dienstag, den 29. Juni 1949. o.V., o.D. 130 Ebda., Bericht über die Kundgebung auf dem Kornmarkt am 28. Juni 1949, o.V., o.D. 131 Ebda., Stimmungsbericht von der Versammlung der Arbeitsgemeinschaft für Nürnberger Schulfrieden am Kornmarkt - Dienstag, den 29. Juni 1949. o.V., o.D. 132 LKAN. KRD Nbg. 238. Zeitungsausschnitt „Schulanmeldung unter Dach und Fach“., o.D.

474 tag“.133 Eine objektive Sicht der Rechtsgrundlage war den meisten Anwesenden, sicher auch vielen weniger unduldsamen Nürnbergern, nicht mehr möglich, nachdem der Stadt- rat die Schulfrage zu einem Konflikt zwischen Nürnberg und München, Franken und Ober- bayern umgebogen hatte. Emotionale Ressentiments verstellten den Blick. Das fürchtete auch die evangelische Elternschaft, die mit einem weiteren Flugblatt zum „Schulkampf in Nürnberg“ klarzumachen versuchte, worum es nicht ging: „In diesem Schulkampf steht nicht zur Entscheidung Nürnberg oder München? Stadtrat oder Ministerium? Konfessio- nelle Verhetzung oder konfessioneller Friede? ... Es geht um das verfassungsmäßige Eltern- recht ...“134 Einigen der Betroffenen, nämlich den Eltern, ging der Streit, der ja wirklich auf dem Rücken ihrer Kinder ausgetragen wurde und auch bei ihnen selbst den Eindruck erweckte, als würden sie wie die Schachfiguren hin- und hergeschoben, zu weit. Es gab Stimmen, die OKR Schieder aufriefen, auf der Hut zu sein, da Kräfte der „Gegenreformation“ die evan- gelische Kirche zu „Vorspanndiensten“ benützten, um ihre christlichen, sprich katholischen Ziele zu verwirklichen.135 Es gab aber auch den Brief eines Vaters, der dem Pfarramt St. Lukas mitteilte, daß sein Sohn Rudolf aus der evang.-lutherischen Religionsgemeinschaft austrete. „Die Vorkommnisse bei der jetzigen Schulanmeldung gaben mir ... Veranlassung, mein Kind ab sofort vom Religionsunterricht fern zu halten,“ schrieb Herr S.136 Die Ergebnisse der nunmehr gültigen Schulanmeldung wurden in der Zeitung bekanntgegeben. Demnach waren 4257 Schulanfänger eingeschrieben worden. 2821 Eltern, das waren 66,3 %, hatten sich für die Gemeinschaftsschule, 742 (17,5 %) für die evangelische und 685 (16 %) für die katholische Bekenntnisschule entschieden. Neun Eltern hatten keine Erklärung abgegeben; deren Kinder wurden den Bekenntnisschulen zugewie- sen.137 Interessanterweise war die Verteilung in den einzelnen Schulsprengeln nicht ein- heitlich. In manchen Bezirken wollten 80-90 % der Eltern die Gemeinschaftsschule, in drei von insgesamt 43 Schulen ergab sich eine Mehrheit für die Bekenntnisschule, z.B. auch im Lager Schafhof, wo die meisten Schüler für die katholische Bekenntnisschule eingeschrie- ben wurden.138 Offensichtlich lebten hier meist katholische Flüchtlinge. Vielleicht war hier aber auch ein besonders überzeugender Pfarrer tätig gewesen, oder man erhoffte sich eine verstärkte sittlich-moralische Unterstützung bei der Erziehung der Kinder im Alltag des Lagerlebens. Begründungen für eine überwiegende Mehrheit des Votums für die Gemein- schaftsschule lassen sich schwer finden, denn die in der Zeitung genannten Schulen lagen in ganz unterschiedlichen Stadtteilen (Fürther Str. 87,3 %, Grimmstr. 90,2 %, Moritzbergs- tr. 86,5 %, Heroldsberger Weg, Straßenholz 100 %, Neumühlweg 87,7 %, Wallensteinstr. 95 % und Saarbrückener Str. 91,2 %),139 so daß eine Zuordnung zu einer bestimmten sozia- len Schicht nicht zwingend ersichtlich ist. Auch hatten die Zerstörungen in der Stadt die tra- ditionellen Abgrenzungen zwischen Wohngebieten der Arbeiterschaft und des Bürgertums sicher gelockert. Ein Grund konnte sein, daß in den größeren Schulen eher Aussicht auf eigene Bekenntnisklassen bestand, (z.B. Holzgartenstr. 57,9 %, Sperberstr. 59,9 %, Her- schelplatz 61,3 % für Gemeinschaftsschule), während in den kleineren Schulen die Gefahr

133 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler. N 53-93. Schreiben des Abgeordneten Linnert (FDP) am 8.8.1949 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, München. Es handelte sich um die Erstwahl zum Bundestag am 14. August 1949. 134 LKAN. KRD Nbg. 238. Flugblatt „Schulkampf in Nürnberg“ von der Evangelischen Elternschaft. 135 Ebda., Schreiben des Dr. L., Nürnberg, am 21.6.1949 an das Evang.-Luth. Dekanat, Nürnberg. 136 Ebda., Schreiben des Walter S. am 28.6.1949 an das Pfarramt St. Lukas, Nürnberg. 137 Ebda., Zeitungsausschnitt „Schulanmeldung unter Dach und Fach“, o.D. (Anfang Juli 1949); Blessing schreibt: „33 Prozent der Schulanfänger wurden daraufhin für die Bekenntnisschule angemeldet, bei den Katholiken 50 Prozent.“ (Blessing, S. 105 f). 138 Ebda. 139 Ebda., Bay. Dekanat Nbg. 942. Bericht „Die Nürnberger Volksschulen“ vom 16.1.1950.

475 bestand, daß die Kinder weitere Schulwege hatten, wenn eigene Bekenntnisklassen nicht errichtet werden konnten.140 Am 8. Juli 1949 gab Stadtrat Korff die Zahlen der Schulein- schreibung bekannt, die sich geringfügig von den in der Zeitung genannten unterschieden (2830 für die Gemeinschaftsschule, 744 für die evangelische, 691 für die katholische Bekenntnisschule), berichtete aber auch, daß Erziehungsberechtigte seither immer wieder kamen, um Ummeldungen von der Bekenntnis- in die Gemeinschaftsschule vornehmen zu lassen. Die Schwierigkeiten, die sich daraus ergäben, seien ungeheuer.141 Noch einmal for- derte Korff, daß die gerichtliche Entscheidung abgewartet werden müsse, um rechtlich ein- wandfrei handeln zu können, ja er dachte sogar an eine „lex Nürnberg“, die der Landtag beschließen könnte.142 In der darauffolgenden Sitzung des Schulausschusses äußerte Korff sich zur Klassenbildung in Nürnberg, der die Regierung von Mittelfranken zugestimmt hatte, und befand, daß die damit einhergehende Neubildung von Schulsprengeln und die begon- nene Errichtung von Bekenntnisschulen im Widerspruch zu Art. 83 und Art. 133 (BV) stün- den, da kein Zusammenwirken von Staat und Gemeinde stattgefunden habe. Die Regie- rungsentschließung besagte aber, daß die Bildung von Bekenntnisklassen möglich sei, auch ohne die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes.143 Man verfuhr in Nürnberg so, daß die neu angemeldeten Schulkinder der ihrer Woh- nung am nächsten gelegenen Schule ihrer gewählten Schulart zugewiesen wurden. War der Weg zu weit, konnten Schüler der Bekenntnisschule Gastschüler an der Gemein- schaftsschule werden, „ohne den Charakter von Angehörigen der Bekenntnisschule zu ver- lieren“.144 Konfessionsgleiche Klassen, die man an Gemeinschaftsschulen zur Stundenplan- erleichterung schuf, blieben Gemeinschaftsklassen. Diese Maßnahmen geschahen laut Aus- sage Korffs nur nach mündlichen und telefonischen Unterredungen, in denen Schulrat Bar- thel „dauernd bearbeitet“ werde. Alles sei „im Fluß“, da keine gesetzliche Handhabe vor- liege, und das Dekanat habe in einem Schreiben an das Stadtschulamt kundgetan, es über- nehme „die Verantwortung für etwaige Unfälle, die aus dem längeren Schulweg entstehen können“.145 Mit dem Schulbeginn 1949/50 wurden in Nürnberg 79 erste Klassen Gemein- schaftsschule, zwölf Klassen evangelische und elf Klassen katholische Bekenntnisschule gebildet, insgesamt genauso viel, wie die Stadt ohne die Trennung veranschlagt hatte.146 Eine Aufstellung zeigt, daß bei der Bildung der Bekenntnisklassen an elf Schulen Spren- geländerungen vorgenommen wurden, um die Aufteilung zu ermöglichen,147 ein gewiß nicht geringer organisatorischer Aufwand. Das wurde auch von kirchlicher Seite zugege- ben; hieß es doch im Bericht über die Nürnberger Volksschulen vom 16. Januar 1950: „Durch die Wahlmöglichkeit zwischen Gemeinschaftsschule und Bekenntnisschule ist die Klasseneinteilung in Nürnberg, dessen Schulhäuser durch den Luftkrieg mit wenig Aus- nahmen schwer beschädigt wurden ... begreiflicherweise mit großen Schwierigkeiten ver- bunden ..., zumal zur Schulraumnot immer noch auch der Lehrermangel hinzukommt. Unter diesen Umständen verbietet sich die Bildung kleiner Klassen; damit aber waren der Erfüllung der Wünsche auf Einschulung im eigentlichen Bezirk, also in Wohnnähe, zwangs- läufig Grenzen gesetzt.“148

140 Ebda. 141 Stadtarchiv Nürnberg. C7/IX Nr. 1285. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 8.7.1949, S. 4. 142 Ebda., Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 19.8.1949. 143 Ebda. 144 Ebda., LKAN. KRD Nbg. 238. Artikel „Schulbeginn“ im Neuen Kurier, 1. Jg. Nr. 7 vom 30.8.1949. 145 Ebda. 146 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. Stadtratsitzung; Amtsblatt vom 16.9.1949, NN vom 12. und 17.9.1949. 147 Ebda. C7/IX. Aufstellung über „1. Klassen 1949/50 an der Volksschule Nürnberg. Auf Vorschlag der Schulrä- te wird in Verbindung mit dem Kultusministerium [sic!] folgende Klassbildung vorgenommen.“ 148 LKAN. Bay. Dekanat Nbg. 942. Bericht über „Die Nürnberger Volksschulen“ vom 16.1.1950.

476 Für die Schulanmeldung im Juni 1950 fürchtete man wieder den Kampf um die Schulart, ein Grund, weshalb „Die Katholische Aktion Nürnberg im Dekanat Nürnberg- Fürth“ im Februar Kultusminister Hundhammer, den Landtag und die Staatsregierung bat, die Verabschiedung des Schulorganisationsgesetzes „mit der größtmöglichen Beschleuni- gung zu betreiben“. Seit Jahr und Tag werde den Nürnberger Eltern ihr verfassungsmäßi- ges Recht streitig gemacht, und es gebe hier einige Politiker, die „fanatische Gegner der Bekenntnisschule“ seien, sich immerzu auf das fehlende Gesetz beriefen, gleichzeitig aber versuchten, seine Verabschiedung zu verhindern.149 Wieder, wie im Vorjahr, entbrannte der Kampf um die Schularten, wenn auch nicht in dem Ausmaß, wie gehabt. Erneut gab es Kanzelverkündigungen, mit denen die katholische Kirche versuchte, die Eltern bei der Stan- ge zu halten. Bekenntnisschule sei ein „unersetzliches Gut“. Den Gläubigen sei es als „schwere Gewissenspflicht auferlegt, ihre Kinder (dieser Schule) zuzuführen“, denn das schreibe das kirchliche Gesetzbuch vor. Wer sich dagegen entscheide, entscheide sich „in einer wichtigen Sache gegen die Kirche“. „Aus der Sorge für Euch und Euere Kinder ermah- nen wir als Eure Seelsorger Euch auf das eindringlichste, Eure Pflicht zu erfüllen ...“150 Wie- der gab es Flugblätter der Evangelischen Elternschaft, der Katholischen Elternvereinigun- gen, der Elternvereinigungen der Gemeinschaftsschule, die den Erziehungsberechtigten nahelegten: „Laßt Euch nicht verwirren!“151 Die Argumente für und wider die Gemein- schaftsschule waren die gehabten. Die Schuleinschreibung ergab, daß von den 4549 Schulanfängern 3219, das waren 70,76 %, für die Gemeinschaftsschule angemeldet wor- den waren, 661 (14,53 %) für die evangelische und 669 (14,71 %) für die katholische Bekenntnisschule.152 Diese Zahlen waren für die Anhänger der Bekenntnisschule sicher eine Enttäuschung. Bei der Klassenbildung gab es 81 Klassen Gemeinschaftsschule, 12 evange- lische und 13 katholische Bekenntnisklassen, und nur an zwei Nürnberger Schulen fehlten Gemeinschaftsklassen: In Kraftshof war eine evangelische Klasse mit 40 Schülern und im Lager Schafhof je eine evangelische mit 31 und eine katholische mit 22 Schülern.153 26 der in einer Statistik aufgeführten 89 Lehrer für die 1. Klassen führten noch eine zweite, z.T. ebenfalls 1. Klasse, z.T. andere Jahrgangsstufen. Kurioserweise wurden vier Lehrkräfte genannt, die sowohl eine erste gemischte als auch eine erste evangelische oder katholische Klasse führten.154 Ob das im Sinne der Kirche war, ist zweifelhaft, immerhin mußte der Leh- rer sich mit widersprüchlichen Überzeugungen arrangieren. Auch im Schulausschuß wurde diese Regelung kritisch betrachtet, aber Schulrat Barthel erklärte, diese Maßnahme sei erfor- derlich gewesen, „um eine gleichmäßige Belastung der ... Lehrkräfte herbeizuführen“. Die Lehrbefähigung für die katholische Bekenntnisschule habe aber nur derjenige Lehrer mit der „Missa Canonica.“155 Auch für das Schuljahr 1950/51 war die Anmeldung für die ersten Klassen nach dem „im Vorjahre ergangenen vorläufigen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes“ durchge- führt worden,156 jedoch bereitete die Klassenbildung erhebliche Schwierigkeiten auch

149 BayHStA München. MK 61220. Schreiben der Katholischen Aktion Nürnberg am 13.2.1950 an Kultusminister Hundhammer . 150 LKAN. Kreisdekan Nbg. 238. Kanzelverkündigung zur Anmeldung der Schulneulinge am 15.6.1950. „(Am Sonntag, den 11. Juni in allen Gottesdiensten zu verlesen)“; Ebda., Nürnberger Nachrichten vom 12.6.1950: „Der alte Kampf ist neu entbrannt ...“. 151 Ebda., Bay. Dekanat Nürnberg Nr. 942. Flugblatt „Achtung! Eltern! Schulanmeldung!“ o.D. (Juni 1950); Ebda., Kreisdekan Nbg. Nr. 238. „Warum Bekenntnisschule?...“ vom Juni 1950; Ebda., Nürnberger Nach- richten vom 12.6.1950. 152 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 15.6.50 Schulanmeldung; NN vom 6. und 12.6.1950; LKAN. Kreisdekan Nbg. Nr. 238. NN vom 16.6.1950, 6. Jg. Nr. 91; Amtsblatt vom 9.6.1950. 153 Ebda., „I. Klassen der Volksschule Nürnberg im Schuljahr 1950/51.“. 154 Ebda. 155 Stadtarchiv Nürnberg. C7/IX Nr. 1285. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 29.9.1950. 156 Ebda., siehe S. 472 f.

477 dadurch, daß bereits eingeteilte Lehrkräfte kurz vor Beginn des neuen Schuljahrs durch das Kultusministerium entlassen worden waren. Im Bismarck-Schulhaus kam es zu „erregten Auftritten, ... als Eltern ihre ... schulpflichtig gewordenen Kinder zum dritten Mal zur Schu- le begleiteten und, nachdem es auch dann nicht gelang, eine ordnungsgemäße Klassen- aufteilung vorzunehmen, noch ein viertes Mal bestellt wurden ...“157 Während die Zeitung die Bildung der Bekenntnisklassen als Ursache für zu große Gemeinschaftsklassen ansah und berichtete, daß in den Konfessionsklassen ca. 40 Schüler säßen, während die erstge- nannten 60 bis 70 Schüler hätten,158 richtete sich die Beschwerde des evangelischen Pfar- ramts Maxfeld dagegen, daß für die mehr als 70 Schüler der evangelischen Bekenntnis- schule nur eine Lehrkraft vorgesehen sei, die in zwei Abteilungen unterrichten sollte. Man erwartete, „daß dem berechtigten Verlangen der evangelischen Eltern stattgegeben wird und zwei Klassen mit je einer Lehrkraft gebildet werden“.159 Möglicherweise war das geschehen auf Kosten der Gemeinschaftsklassen. So oder so erschienen die Zustände an den Nürnberger Volksschulen der Presse, der Öffentlichkeit und den Verantwortlichen als unhaltbar, und der Schulausschuß entschloß sich, dem Kultusminister Mitteilung zu machen. In den Vorort- und Hilfsschulen gebe es niedrige Klassenziffern, ebenso habe die Aufteilung nach Bekenntnissen zur Bildung von Klassen mit unter 49 Schülern geführt. Andererseits habe man, da keine weiteren Lehrkräfte vorhanden seien, Klassen mit 75 Schülern und 44 Lehrer, die zwei Klassen führen müßten. Man bat um mindestens zehn weitere Lehrer, „da die Verhältnisse, so wie sie jetzt sind, als untragbar bezeichnet werden müssen.160 Zum Zeitpunkt der Schuleinschreibung für das Schuljahr 1951/52 waren das Schul- organisationsgesetz und die Ausführungsbestimmungen maßgebend, die Entwicklung in Nürnberg ging jedoch so weiter, wie sie im Jahr 1949 unter schweren Kämpfen begonnen worden war: Nur die Eltern der Schulanfänger hatten die Wahlmöglichkeit. Dazu teilte das Schul- und Bildungsreferat mit: „Laut KME vom 16.5.1949 Nr. IV 32673 in Verbindung mit RE vom 28.5.49 Nr. 1147c 54 wird vom Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus anerkannt, daß in Nürnberg die ehemaligen Schulkörper der Bekenntnisschule infolge der Umbildungen nach Zerstörungen nicht mehr bestehen. Es ist daher in Nürnberg nicht ... möglich, durch reinen Verwaltungsakt den Charakter der bestehenden Volksschulen auf den Stand von 1938 zurückzuverwandeln. Die Nürnberger Bekenntnisschulen sollten sich vielmehr auf Grund der vom Ministerium für Unterricht und Kultus seinerzeit ... durchge- setzten Wahl der Schulart ... allmählich von unter her neu aufbauen.“161 Im Mai 1951 stimmten in den 52 Volksschulen 71,1 % für die Gemeinschaftsschule, 645 (=15,4 %) der insgesamt 4201 Schüler wurden für die evangelische und 569 (=13,5 %) für die katholi- sche Bekenntnisschule angemeldet.162 Die Zahlen hatten sich im Vergleich zum Vorjahr nur geringfügig geändert. Nicht in allen Schulen konnten katholische Bekenntnisklassen gebil- det werden, und die katholischen Eltern der Thusnelda-Schule gaben daher folgende Erklärung ab: „... Wenn eine katholische Konfessionsklasse nicht zustande kommt, wün- schen die unterzeichneten katholischen Eltern, daß ihre Kinder der evangelischen Konfessi- onsklasse zugeteilt werden. Dies begehren sie um des gemeinsamen christlichen Anliegens

157 Ebda., C 24 SchV Nr. 26 Bd. 26. Zeitungsausschnitt „Allgemeine Rundschau“ vom 7.9.1950. 158 Ebda. 159 LKAN. Kreisdekan Nbg. Nr. 238. Schreiben des Evang.-Luth. Pfarramts Nürnberg-Maxfeld am 1.9.1950 an die Regierung von Mittelfranken. 160 Stadtarchiv Nürnberg. C7/IX Nr. 1285. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 27.10.1950. Beilage 4. 161 LKAN. KRD Nbg. 238. Nordbayerische Zeitung Nr. 61 vom 21.4.1951 „Langsamer Aufbau der Nürnberger Bekenntnisschulen“. 162 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 29.5.1951 Schulanmeldung (NN vom 30.5.1951).

478 willen und zur Aufrechterhaltung des Grundsatzes der bewußt christlichen Schule.“163 Ob man dem Wunsch der Eltern nachkam, war nicht nachprüfbar; ein Antrag der evangeli- schen Eltern aus Boxdorf und Neunhof wurde aber abgelehnt. Sie hatten im Mai 1951 um Errichtung der früheren Bekenntnisschule gebeten. Beide Gemeinden gehörten dem Schul- verband Kraftshof an, was zu Nürnberg zählte.164 Die Schule Kraftshof war eine von zwei- en, in denen die Schulanfänger in einer evangelischen Bekenntnisklasse zusammengefaßt waren.165 Im Gegensatz zu Nürnberg, wo die alten Bekenntnisschulen aufgrund der Zeit- umstände nicht mehr existierten, verlangten die beiden Gemeinden, daß der alte Zustand wieder geschaffen werde. Auch die evangelische Kirche habe den Wunsch. Der Beschluß des Nürnberger Schulausschusses lautete, daß auch für den Schulverband Kraftshof die für Nürnberg ausgehandelten Bedingungen Gültigkeit hätten, nämlich der Aufbau der Bekenntnisschulen von unten, so daß mit Beginn des neuen Schuljahrs die Klassen 1 bis 3 die Wahlmöglichkeit hätten, daß aber die Klassen 4 bis 8 so verblieben wie bisher. Stadtrat Korff erklärte dazu, daß die katholischen bzw. die Schüler der möglichen Gemeinschafts- schule, falls sie keine eigenen Klassen errichten könnten, gezwungen wären, nach Buch in die Schule zu gehen. Das seien „sibirische Austreibungsmethoden“.166 Die Schullandschaft in Nürnberg veränderte sich in den folgenden Jahren nur gering- fügig. Die Schulanmeldung für das Schuljahr 1952/53 ergab 69,24 % der Stimmen für die Gemeinschaftsschule, 15,19 % für die evangelische und 15,57 % für die katholische Bekenntnisschule.167 Eine Aufstellung über die Schulen in Mittelfranken, Stand 1. Oktober 1952, gab für Nürnberg und für Fürth keine Bekenntnis „schulen“, sondern nur Gemein- schaftsschulen an, und zwar für Nürnberg 45.168 Es hatten sich bis dahin also noch keine eigenständigen Bekenntnisschulen gebildet. Das Ergebnis für das darauffolgende Schuljahr lautete 69,87 % für die Gemeinschaftsschule, 13,39 % für die evangelische und 16,74 % für die katholische Bekenntnisschule.169 Ab dem Schuljahr 1956/57 waren die Bekenntnis- schulen in Nürnberg wieder achtklassig, bzw. konnten in jedem Jahrgang Bekenntnisklassen gebildet werden,170 vorher hatte man „(i)m Einverständnis aller Instanzen“ nur jeweils den ersten Schülerjahrgang aufgeteilt. Regelmäßig entschieden sich etwa 70 % der Schülerel- tern für die Gemeinschaftsschule.171 Für das Jahr 1960 gab Barthel 98 Schulen in Nürnberg an, 79 Gemeinschaftsschulen, zwölf katholische und sieben evangelische Schulen.172

163 LKAN. KRD Nbg. Nr. 238. Erklärung katholischer Eltern zur Bekenntnisklasse Thusneldaschule. o.D. 164 Stadtarchiv Nürnberg. C7/IX SRP Nr. 1285. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 2.7.1951. 165 Ebda. 166 Ebda., Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 2.7.1951. Beschluß Beilage 8. 167 Ebda., Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 27.5.1952 Schulanmeldung; Amtsblatt vom 16.5.1952; NN vom 30.5.1952. 168 LKAN. LKR VI 1100 a (3065). Mittelfranken. Stand: 1.10.1952. 169 Stadtarchiv Nürnberg, C7/IX SRP Nr. 1307. Niederschrift über die Sitzung des Schul- und Kulturausschusses am 12.6.1953, S. 4. 170 Barthel, S. 577. 171 Ebda., S. 82. 172 Ebda., S. 110.

479 8. SCHULORGANISATIONSGESETZ, BEKENNTNISSCHULEN UND DIE LEHRER

Wilhelm Ebert bekundete 1954 in einem Vortrag, daß seiner Meinung nach alle bayerischen Schulen Bekenntnisschulen seien, „da auch an den Gemeinschaftsschulen nur Lehrer einer christlichen Konfession angestellt werden“ könnten. Damit sei auch der ganze Schulstreit „als überflüssig zu bezeichnen“.1 Mit dieser Einstellung hätte man in der Tat nicht nur die jährlich wiederkehrenden Querelen bei der Schuleinschreibung vermieden, sondern auch vielen Lehrern in Bayern das jahrelange Gefühl der Benachteiligung erspart. Der Leh- rerverein fürchtete vor allem die Zersplitterung des Volksschulwesens im Gefolge des Schu- lorganisationsgesetzes,2 aber die Mehrheit der Lehrerschaft war bereit, in Bekenntnisschu- len, „wenn sie einmal errichtet seien, loyal mitzuarbeiten“.3 Allerdings fürchtete man, daß die Rechte des Lehrers als Staatsbürger und Staatsbeamter durch das Gesetz eingeschränkt werden könnten, und ein Leserbrief in „Schule und Gegenwart“ nahm ernsthaft zu der Frage Stellung, ob die Grundrechte auch für Volksschullehrer Gültigkeit hätten oder ob sie eingeschränkt würden „durch die besonderen Amtspflichten, die dem Volksschullehramt Kirchenrecht und Konkordat (sowie die Schulbestimmungen der Verfassung) auferlegen.“4 Gleiche Befürchtungen hatte der Abgeordnete Schneider (FDP), der im Zuge der Diskussi- on um das Gesetz im Landtag beanstandete, daß neben dem Staat die Gemeinde, die Kir- che und die Elternschaft Rechtsansprüche stellten, die dem Lehrer die Freiheit nehmen könnten, ihn ängstlich machen und ihm verwehren könnten, eine „Persönlichkeit“ zu sein.5

8.1. DIE STELLUNG DES LEHRERS UND DIE GESETZESBESTIMMUNGEN

Immer wieder wurde darüber debattiert, ob auch für einen Lehrer die Grundrechte aus der Bayerischen Verfassung uneingeschränkt gültig seien, wie Art. 98 (BV) das jedem bayerischen Bürger garantierte.6 Vor allem Art. 107, die Gewährleistung der Glaubens- und Gewissensfreiheit mit der Maßgabe, daß die Zulassung zu den öffentlichen Ämtern vom religiösen Bekenntnis unabhängig sei,7 wurde immer wieder bei der Anprangerung der bayerischen Verhältnisse herangezogen. Aber auch der Abschnitt über Bildung und Schule geriet in die Kritik, z.B. daß nach Art. 133 die Lehrer an den öffentlichen Schulen nur „grundsätzlich“ die Rechte und Pflichten der Staatsbeamten hätten oder gemäß Art. 135 nur solche Lehrer an Bekenntnisschulen zu verwenden seien, die „geeignet und bereit sind, die Schüler nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses zu unterrichten und zu erziehen“.8 Gleichzeitig sollten sie aber auch die religiösen Empfindungen aller anderen Schüler achten.9 Angesichts des Engagements der Kirchen wurde nicht selten bezweifelt, daß allein der Staat die Aufsicht über das Schul- und Bildungswesen wahrnahm.10 Die For-

1 Archiv des BLLV München. Wilhelm Ebert, Leiter der Schulpolitischen Hauptstelle des BLLV: „Lehrerschaft, Schulpolitik und Landtagswahlen“. Vortrag in Weißenburg am 3.7.1954, S. 19. 2 Huelsz, S. 163. 3 LKAN. LKR VI 1100a (3065). Schreiben Nr. 8489/1950 des Oberkirchenrats Lic. Schmidt am 5.1.1951 an Pfar- rer Lic. Frör, Rummelsberg. 4 Schule und Gegenwart 3/1950, S. 461. 5 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenograph. Bericht. 168. Sitzung am 5.7.1950, S. 594. 6 BGVBl. Nr. 23/1946 vom 8.12.1946, S. 340. 7 Ebda. 8 Ebda., S. 342. 9 Ebda., Art. 136 (1). 10 Ebda., Art. 130; Schule und Gegenwart 12/1950, S. 40.

480 mulierung „geeignet und bereit“ öffnete nach Ansicht eines Beitrages in der „Bayerischen Schule“11 der Willkür Tür und Tor. Wer sollte die Eignung feststellen? Im Schulorganisati- onsgesetz hieß es unter § 6, daß die Entscheidung darüber der staatlichen Schulaufsicht vorbehalten bleibe.12 Die Ausführungsbestimmungen präzisierten dies: „Über die Eignung von Lehrpersonen zur Verwendung an Bekenntnisschulen entscheiden die Regierungen unter Beachtung der Bestimmungen in Art. 5 §§ 1 und 2 Konkordat und Art. 5 Vertrag mit der Evang.-Luth. Kirche in Bayern ... Zu Beanstandungen auf Grund der erwähnten Bestim- mungen der Kirchenverträge sind nur die kirchlichen Oberbehörden befugt. Falls ihren Bean- standungen von der Regierung nicht Rechnung getragen werden will [sic!], sind die Ver- handlungen mit Bericht dem Staatsministerium für Unterricht und Kultus vorzulegen.“13 Der Vorwurf der „geheimen geistlichen Schulaufsicht“ bestand zu Recht. Der Volks- schullehrer stand unter kirchlicher Aufsicht und damit häufig auch unter starkem Gewis- sensdruck.14 Wer war denn geeignet für die Bekenntnisschule? Der Hirtenbrief der Fuldaer Bischofskonferenz nannte den Lehrer oder die Lehrerin, die den Kindern „ihr Bestes, ihre innere Katholische Glaubensüberzeugung mit auf den Lebensweg geben“.15 Von evangeli- scher Seite kam die Forderung nach „evangelischen Persönlichkeiten“, die eine Schule ermöglichen könnten, „die durchwaltet ist von einem klaren, echten, männlichen [sic!], fro- hen evangelischen Geist“.16 Eine mögliche Beurkundung der Eignung konnte der Erwerb der „Missio canonica“ bzw. der „Vocatio“ (für die Evangelischen) sein. Beide Prüfungen befähigten zur Erteilung des Religionsunterrichts und konnten zur Prüfung der Eignung her- angezogen werden. Allerdings hieß es in Art. 136 (3) BV: „Kein Lehrer kann gezwungen oder gehindert werden, Religionsunterricht zu erteilen.“17 So konnte man billigerweise die Religionsprüfungen doch nicht zum Maßstab nehmen. Auch sagten natürlich solche Exami- na, die man als Lehramtsanwärter zugleich mit der 1. Lehramtsprüfung ablegte, nichts dar- über aus, ob man nach zehn oder zwanzig Jahren immer noch geeignet war für eine Bekenntnisschule, abgesehen davon, daß eine solche Prüfung auch nicht die Festigkeit des Glaubens bewies. Die Gesinnungsüberwachung der Lehrer konnte eigentlich nur auf dem Weg der Bespitzelung oder Denunziation geschehen, was manchen Lehrer vorsichtig wer- den ließ. Wie die Feststellung der Eignung eines Lehrers angesichts des Art. 107 (5) BV - „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren.“18 - vor sich gehen sollte, war ebenfalls häufig ein Kritikpunkt.19 Im übrigen sagte derselbe Artikel, daß die Zulassung zu den öffentlichen Ämtern vom religiösen Bekenntnis unabhängig sei. Dem Vorwurf, den Lehrern würden Einschränkungen ihrer staatsbürgerlichen Rechte zugemutet, „die sonst nur Kirchendienern auferlegt“ würden,20 begegnete der Abgeord-

11 F. Seberich: Bekenntnisschule und staatsbürgerliche Rechte der Volksschullehrer. In: Die Bayerische Schule 3. Jg. 1950, S. 315. 12 LKAN. LKR 1105 Bd. 1 (3113). Amtsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern Nr. 1, München, 16.1.1951, S. 2 f. 13 Ebda., S. 6. 14 F. Seberich: Bekenntnisschule und staatsbürgerliche Rechte der Volksschullehrer. In: Die Bayerische Schule 3. Jg. 1950, S. 315. 15 Archiv des Erzbistums Bamberg. St. Heinrichsblatt Nr. 20, 15.9.1946, 57. Jg., S. 1. „Der Ruf von Fulda: Rettet die Familie“. 16 LKAN. Kreisdekan Nbg. Nr. 238. Flugblatt „Es geht nicht darum“. 1951, o.D., o.V. 17 BGVBl. Nr. 23/1946 vom 8.12.1946, S. 342. Das Kultusministerium schien sich wenigstens zeitweise über die- sen Artikel hinwegzusetzen; anders sind die Ausführungen von OKR Lic. Schmidt bei der Kammertagung in Lebenstedt (Braunschweig) am 1./2.4.1948 nicht zu erklären, der sagte: „Eine Schwierigkeit für die Gewis- sen liegt in der Anordnung des Staates, daß es Dienstpflicht des Lehrers ist, an seiner Bekenntnisschule Reli- gionsunterricht zu erteilen, wo die Kirche es nicht tut.“ (LKAN. LKR z.I. 102 (Rat) (60) Ev.-Luth. Landeskir- chenrat in München. Kammer für Erziehung und Unterricht beim Rat der EKD (früh. Schulkammer b. d. Vorl. Ki. Ltg.) 1946-1960, Band I. Niederschrift (auszugsweise) der Verhandlungen bei der Kammertagung.). 18 Ebda., S. 340. 19 Die Bayerische Schule. 3. Jg. 1950, S. 115. 20 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler. N1-368 Dr. F. Nüchter, Erlangen: Verfassung und Schule, 7.11.46.

481 nete Meixner (CSU) mit folgenden Argumenten: Es sei ein Trugschluß anzunehmen, daß Art. 135 (BV), Konkordat und Kirchenvortrag und das Schulorganisationsgesetz unwirksam seien, da sie den Grundrechten der Verfassung und des Grundgesetzes widersprächen. Letz- tere seien „leges generales“ (subjektive öffentliche Rechte), erstere „leges speciales“, „wel- che die Glaubens- und Gewissensfreiheit mit Rücksicht auf das Wesen der verfassungs- mäßig garantierten Bekenntnisschule notwendig einschränken“.21 Der gesunde Men- schenverstand sage doch, daß „in der Bekenntnisschule nur Lehrer unterrichten können, die den Zweck und das Wesen der Bekenntnisschule verwirklichen wollen.“ Und das Ent- scheidende sei, daß nicht jeder im Lande Anspruch habe auf jedes Amt. „Er muß hierfür die persönliche und sachliche Qualifikation mitbringen.“ Und für den Unterricht an der Bekenntnisschule sei nun mal die persönliche und sachliche Qualifikation „die positive Ein- stellung zum Bekenntnis, die Bereitschaft, nach den Grundsätzen des Bekenntnisses zu unterrichten“.22 Diese positive Einstellung zum Bekenntnis konnte laut Ausführungsbestimmungen zum Schulorganisationsgesetz von den kirchlichen Oberbehörden überwacht und gegebenenfalls bezweifelt werden.23 Bedenken gegen die Verwendbarkeit von Volksschullehrern an Bekennt- nisschulen erhoben sie aus folgenden Gründen: „... Leben in kirchlich nicht anerkannter Ehe; Dulden der Erziehung der Kinder in einem anderen Bekenntnis; eigene Erklärung des Lehrers, nicht mehr an Bekenntnisschulen unterrichten zu können; langjähriges Fernbleiben von jeg- lichen religiösen Übungen.“24 Es soll auch katholische Schulräte gegeben haben, die ihre Leh- rer fragten, wann sie das letzte Mal zum Beichten gegangen waren.25 Die kirchlichen Ober- behörden machten von ihrem Einspruchsrecht zunehmend Gebrauch. Besonders Lehrer in sog. Mischehen, auch „Konkordatsfälle“ genannt, hatten es schwer, an einer Bekenntnis- schule angenommen zu werden. Da es z.B. im Regierungsbezirk Niederbayern nur wenige Gemeinschaftsschulen gab, die solche Lehrer aufnehmen konnten, wurden die Lehrkräfte aus dem Dienst entlassen.26 Nicht nur Katholiken hatten diese Schwierigkeiten; ein Schreiben des evangelischen Landeskirchenrats zeigt, daß ein evangelischer Lehrer mit einer katholischen Ehefrau und katholisch getauften Kindern nicht mit der Fürsprache seiner Kirche rechnen konnte, wenn er die Verwendung an einer evangelischen Bekenntnisschule anstrebte. Ihm wurde vorgeworfen, daß er durch seine Zustimmung zur katholischen Kindererziehung seine „Verpflichtung gegen die evangelische Kirche (nicht) genügend im Auge behalten“ habe. Offenbar habe die Ehefrau die stärkere Bindung an ihre Kirche, da sie sich durchsetzen konn- te. „Stellen Sie sich nun einmal vor, daß Sie an einer evangelischen Klasse Unterricht erteilen, die im selben Schulhaus mit katholischen Klassen untergebracht ist. Ihr eigenes Kind würde dann in die katholischen Klassen gehen. Sie aber sollten im selben Schulhaus entsprechend den Verfassungsbestimmungen geeignet sein, die evangelischen Kinder nach den Grundsät- zen der evangelischen Kirche zu unterrichten und zu erziehen. Das wäre ... für alle Beteilig- ten eine peinliche Situation. Der Begriff der evangelischen Bekenntnisschule wäre aufgeho- ben.“ Man konnte sich nicht für diesen Lehrer einsetzen und empfahl, das Schulorganisati- onsgesetz abzuwarten, in dessen Gefolge „in Bayern da und dort Gemeinschaftsschulen“ eingerichtet würden. Dort habe er auch Gelegenheit, „die evangelischen Überzeugungen, zu denen Sie sich in Ihrem Schreiben bekennen, in Ihrer Erziehertätigkeit auszuwirken“.27 Der

21 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 168. Sitzung am 5.7.1950, S. 584. 22 Ebda. 23 siehe S. 481. 24 Hamm-Brücher, S. 130. Diese Auflistung war eine amtliche Antwort des Kultusministers. 25 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1-946. Schreiben des Privatmanns Hellmuth H., Sulzdorf bei Königs- hofen i. Gr. am 28.5.1949 an Thomas Dehler. 26 Dannhäuser, S. 403. 27 LKAN. KRD Nbg. 239. Schreiben Nr. 16120 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats, gez. Lic. Schmidt, am 23.12.1948 an Bertold Engelhardt, Kitzingen. Betr.: Ihre Verwendung an einer evangelischen Bekenntnis- schule.

482 letzte Hinweis mochte eine ehrliche Empfehlung gewesen sein; der heutige kritische Leser kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es sich um eine außerordentlich sarkastische Bemerkung handelte angesichts der Erwähnung, daß „da und dort“ Gemeinschaftsschu- len zu erwarten seien. Wie viele Planstellen hätten sie den zahlreichen Lehrern in Mischehen bieten können? Die evangelischen Pfarrer schienen häufig einen weniger stringenten Kurs zu fahren als ihre Oberbehörden. Ihnen waren, da sie die Schwierigkeiten und Nöte der Lehrer ja unmittelbar vor Augen hatten, die mitmenschliche Seite oder auch das gute Einvernehmen mit den Schulbehörden, Eltern und katholischen Amtsbrüdern wichtiger. Der Landeskir- chenrat informierte jedenfalls aus gegebenem Anlaß sämtliche Dekanate darüber, wie „(p)farramtliche Gutachten über Anstellung von Lehrern an Bekenntnisschulen“ durchzu- führen seien. So hätten Pfarrämter für Lehrer, „die durch ihren Austritt nicht mehr unserer Kirche angehören, die Anstellung an evangelischen Bekenntnisschulen bei der Schulbehör- de befürwortet“. Der Landeskirchenrat sei durch solche, „die Voraussetzung der Anstel- lungsfähigkeit völlig verkennende Gutachtertätigkeit gezwungen anzuordnen, daß die Pfarrämter in allen Fällen, wo sie um ein Gutachten über einen unserer Kirche nicht angehörenden Lehrer angegangen worden, dieses Gutachten auf dem Dienstweg dem Lan- deskirchenrat zur Kenntnis und Weiterleitung an die Schulbehörde zuzustellen.“ Diese Anordnung galt auch für Fälle, „wo sich vom Wesen der evangelischen Bekenntnisschule her ernsthafte Bedenken gegen die Anstellung eines unserer Kirche angehörigen Lehrers ergeben“.28 Im Jahr 1953 bezeugte ein internes Schreiben des Staatsministeriums für Unter- richt und Kultus, daß sich die Fälle mehrten, in denen die Verwendung von Lehrern an Bekenntnisschulen Schwierigkeiten bereitete, weil sie von den kirchlichen Oberbehörden beanstandet wurden. Man konnte sie an Bekenntnisschulen nicht einsetzen, sie aber „aus fiskalischen Gründen“ auch nicht in den Wartestand mit voller Gehaltszahlung versetzen. Es sollte daher geprüft werden, ob ein „Austausch von Lehrern an Gemeinschaftsschulen erfolgen“ könne.29 Konnte man sich wundern, wenn über das „Verhältnis von Pfarrern und Lehrern“ gesagt wurde, es sei ein Problem?30 Dabei hatte Landesbischof Meiser bereits im August 1945 in seinem „Memorandum zur Neugestaltung des Schulwesens“ als wichtige Voraussetzung zur Überwindung der „Mängel der alten Konfessionsschule“ (sic!) gefor- dert, daß es „zu einem neuen Vertrauensverhältnis zwischen Lehrer und Pfarrer, zwischen Kirche und evangelischer Lehrerschaft kommen“ müsse. Die Kirche dürfe sich nicht darauf beschränken, den Unterricht zu visitieren; Arbeitsgemeinschaften zwischen Lehrern und Pfarrern, in denen „theologisch und religionspädagogisch“ gearbeitet würde, sollten feste Einrichtungen werden. „Lehrer und Pfarrer werden sich vertragen, Schulmeister und Pfaffe nie.“31 Hildegard Hamm-Brücher (FDP) nannte die konfessionelle Rigidität, die damals herrschte, „konfessionelle Apartheidpolitik“.32 Diese verlangte nicht nur, daß z. B. auch „der Handarbeitsunterricht mit Lehrkräften des betreffenden Bekenntnisses zu besetzen“ sei, um damit dem „geschlossenen weltanschaulichen Gedankenkreis“ gerecht zu werden, der nur dann vorhanden sei, „wenn sämtliche Lehrkräfte in diesem Gedankenkreis beheimatet sind“.33

28 LKAN. KRD Nbg. 239. Schreiben Nr. 6780 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats, gez. Bezzel, am 30.5.1949 an alle Dekanate. 29 BayHStA München. MK 61203. Internes Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 21.5.1953. 30 LKAN. LKR z.I. 102 (Rat) (60). Niederschrift (auszugsweise) der Verhandlungen bei der Kammertagung in Lebenstedt (Braunschweig) am 1./2.4.1948. 31 Ebda., LKR VI 1100a (3064). 22.8.1945. 32 Archiv des BLLV München. Die Bayerische Schule 13/1993, S. 7 ff. „Verleihung des Wilhelm-Hoegner-Preises an Wilhelm Ebert“. 33 BayHStA München. MK 61932. Schreiben Nr. IV 74193 des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kul- tus am 13.12.1950 an die Regierung von Schwaben.

483 Sie führte zu Erscheinungen wie den konfessionell getrennten Schulküchen und Fahrradstän- dern,34 Toiletten und durch Mäuerchen getrennten Schulhöfen.35 Und die Forderung nach regel- mäßiger Teilnahme an religiösen Übungen, ohne die ein Verbleib an der Bekenntnisschule gefährdet war, gab der katholischen Kirche das Recht, Lehrer auf die Erfüllung ihrer Beichtpflicht zu überprüfen.36 Der Vorwurf, in Bayern habe der „schiere Klerikalismus“ geherrscht, die geistliche Schulaufsicht sei als „Schnüffelpraxis“ auch unter den „bigott-konservativen Epigonen“ Hund- hammers noch in voller Blüte gewesen,37 ist natürlich sehr hart formuliert, die oben genannten Beispiele legten einem Lehrer in Bayern aber nahe, seine liberale oder sozialdemokratische Gesin- nung tunlichst verborgen zu halten. Und wenn man ihm doch auf die Schliche kam? Der Spre- cher der CSU im Landtag meinte, es werde kein Lehrer gezwungen, zur Konfessionsschule zu gehen. Wo sollte er aber hin, wenn man die vergleichsweise geringe Zahl der Gemeinschafts- schulen in Bayern in Betracht zog?38 Außerdem gab es bei der Anstellung an Gemeinschafts- schulen Schwierigkeiten, wenn der Lehrer keinem christlichen Bekenntnis angehörte. Deren Beschäftigung war nur dann vertretbar, wenn bei ungeteilten Gemeinschaftsschulen die Mehr- heit der Schüler ohne Bekenntnis war;39 und wo gab es das schon? Im „Einzelfall“ sah man die Möglichkeit, einen Lehrer ohne christliches Bekenntnis an einer Gemeinschaftsschule unterzu- bringen, „wenn hierdurch der christliche Charakter der Gemeinschaftsschule (jetzt festgelegt durch § 8 Abs. 1 SchOG) nicht gefährdet wird und die Schulpflegschaft nicht widerspricht ...“40 Paragraph 8 (1) bekundete: „Gemeinschaftsschulen sind Schulen, in denen Kinder ... gemein- sam nach christlich-abendländischen Grundsätzen unterrichtet und erzogen werden.“41 Für die CSU war das „Festhalten an christlich-abendländischen Grundsätzen Grundlage und Bedingung für die demokratische Einstellung. Und nur wer letztere habe, könne ein Lehramt überneh- men“.42 Konfessionslose Lehrer konnten also auch da nicht unterrichten, und die „Einzelfälle“ hatten immense Schwierigkeiten unterzukommen, wie der Bericht des Lehramtsanwärters Rudolf Cohen, Jude und Angehöriger der „Religiösen Gesellschaft der Freunde“ (Quäker), bezeugte. Die Aufnahme zum Pädagogischen Lehrgang 1951 an der Lehrerbildungsanstalt Pasing hatte er nur mit Hilfe von Egon Jameson von der „Neuen Zeitung“ erreicht, der für ihn die Sache beim Kultusministerium durchfocht. Allerdings hatte Cohen unterschreiben müssen, daß er mit der Verwendung im bayerischen Volksschuldienst nicht rechnen könne. Nach der im März 1953 mit „gut“ abgelegten 1. Lehramtsprüfung erreichte er die Zulassung zum Vorbereitungs- dienst, um die er unter Hinweis auf Art. 107 (4) (BV) gebeten hatte.43 Das Insistieren auf den betont christlichen Charakter der Gemeinschaftsschule war die eine Seite. Unverständlich mußte es auf der anderen Seite dann sein, wenn während der Schul- kämpfe klar abgegrenzt wurde zwischen den Bekenntnisschulen und der „Mischmaschschule für die ohne Glauben“44, wie ein katholischer Pfarrer in Kulmbach sie von der Kanzel herab bezeichnete. Unverständlich auch, daß Hundhammer die Verfechter der Gemeinschafts-

34 Archiv des BLLV München. Die Bayerische Schule 13/1993, S. 7 ff. „Verleihung des Wilhelm-Hoegner-Preises an Wilhelm Ebert“. 35 Gespräch mit Frau Ute Kreiselmeyer, Ansbach. 36 Archiv des BLLV München. Die Bayerische Schule 13/1993, S. 7 ff. „Verleihung des Wilhelm-Hoegner-Preises an Wilhelm Ebert“. 37 Hamm-Brücher, S. 130 und S. 124. 38 LKAN. KRD Nbg. 238. Nürnberger Nachrichten Nr. 108 vom 15.7.1950, S. 15 ff. „Immer noch: Streit um die Schule“; Die Bayerische Schule, 3. Jg. 1950, S. 305 und 310 f. 39 BayHStA München. MK 61203. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 9.5.1951 an die Regierung von Schwaben. 40 Ebda. 41 LKAN. LKR 1105 Bd. 1 (3113). Amtsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, Nr. 1, 16.1.1951, S. 3. 42 Huelsz, S. 178. 43 BayHStA München. StK 113977. Bericht des Rudolf Cohen am 16.4.1953. Genehmigung am 13.5.1953. 44 AdsD Bonn. LV Bay I/11. Der Kochel-Brief. Mitteilungsblatt der Georg von Vollmar-Schule. Nr. 12/Dezember 1950, S. 127. Die kulturpolitischen Forderungen der SPD in Bayern.

484 schule als „Ungläubige, religiös Gleichgültige oder Lauwarme“ oder „moderne Heiden“ apostrophierte.45 Während der Debatte um das Schulorganisationsgesetz im Juli 1950 wurde eine wei- tere Überwachungs-Instanz für die Lehrerschaft vorgeschlagen: die Eltern. Der Landtags- abgeordnete Kroll (CSU) glaubte nämlich, daß der Staat gar nicht in der Lage sei festzustel- len, ob ein Lehrer „geeignet“ sei (§ 6 Abs. 2 SchOG), an einer bestimmten Schule zu unter- richten. Für einen Schulrat sei es schwer und für einen Ministerialrat noch schwerer, „auf- grund irgendwelcher Indizien“ feststellen zu müssen, „daß dieser oder jener Lehrer für diese oder jene Schule untragbar geworden“ sei. Am ehesten könnten doch die Eltern kontrol- lieren, welche Weltanschauung an ihre Kinder herangetragen würde. Eine derartige Auf- sicht sei an einer Bekenntnisschule notwendig, und wenn es einem Lehrer auch gelänge, seine vorgesetzte Dienststelle über seine wahre Gesinnung zu täuschen, so sei „ein getarn- tes Verhalten“ gegenüber den Eltern nicht möglich, „weil die Elternschaft viel schneller in der Lage ist herauszubekommen, wie ein Lehrer ... eingestellt ist.“ Dann hätte man die Gefahr gebannt, „daß vielleicht eine Liberalität des Geistes unter der Decke des Bekennt- nisses gepflegt wird“.46 Krolls Vorschlag, nicht den staatlichen Behörden, sondern den Eltern durch Abstimmung die Entscheidung über die Eignung eines Lehrers für eine bestimmte Schulart zu überlassen, zeugte von einem tiefen Mißtrauen gegenüber diesem Berufsstand und eröffnete den Betroffenen eigentlich nur Schreckensbilder einer weiteren Abhängig- keit, unmittelbarer und daher schwerwiegender, weil unentrinnbarer. Auch die Äußerung des Abgeordneten Meixner (CSU), daß „der Lehrer den Willen der Erziehungsberechtigten zu vollziehen“ habe „und nicht umgekehrt“47, war nicht sehr hilfreich, denn auf diese Weise wurde die Polarisierung nicht überbrückt. Der Lehrer schien immer auf einer Seite zu ste- hen, Staat, Kirche und Elternschaft auf der anderen. Von vertrauensvollem Miteinander hörte man nur selten etwas.

8.2. AUSWIRKUNGEN DER KONFESSIONALISIERUNG DER VOLKSSCHULEN AUF DIE LEHRER

Statistiken und andere Zahlenangaben machen deutlich, wie sich die Schulsituation in Bayern bezüglich Bekenntnis- und Gemeinschaftsschulen entwickelte und wie die Lehrer sich dieser Situation stellen mußten. Im Februar 1948 forderte das Kultusministerium die Regierungen auf festzustellen, wie viele „sog. Gemeinschaftsschulen“ im Regierungsbezirk vorhanden seien, ob es am gleichen Ort Bekenntnisschulen gebe, wie viele Kinder jeweils die beiden Schularten besuchten, welchem Bekenntnis die Lehrer an den Gemeinschafts- schulen angehörten und ob es bekenntnisfreie Lehrer gebe.1 Die Regierung von Oberfran- ken und Mittelfranken meldete am 23. März die Zahlen und kam zu dem bemerkenswerten Ergebnis, daß es in neun Städten bzw. Gemeinden nur Simultanschulen gab, obwohl das gemäß ministerieller Auskunft nur in München, Nürnberg und Weißenburg auf Grund der Hoffmannschen Simultanschulverordnung der Fall sein konnte. Es wurden zusätzlich Fürth,

45 LKAN. KRD Nbg. Nr. 239 Schreiben Nr. 4833 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats, gez. D. Meiser, am 9.4.1954 an den Landtagspräsidenten Dr. Hundhammer. Antwort am 10.4.1954; Die Bayerische Schule 7. Jg. Nr. 14 vom 15.5.1954, S. 219. 46 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenographischer Bericht. 168. Sitzung am 5.7.1950, S. 601 f; Buchin- ger, S. 109. 47 Ebda., S. 585.

1 BayHStA München. MK 61203. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 18.2.1948 an alle Regierungen.

485 Schwabach, Bayreuth, Forchheim, Mittelehrenbach, Selb und Plößberg angegeben. Insge- samt wurden 56223 Schüler genannt, die diese Schulen besuchten, davon in Nürnberg 32241 und in Fürth 11267.2 In diesem Regierungsbezirk gab es an den Simultanschulen zu dem Zeitpunkt 611 evangelische, 289 katholische und 27 bekenntnisfreie Lehrer (in Nürn- berg 320, 146 und 13).3 Unterfranken und Niederbayern/Oberpfalz meldeten bei dieser Erhebung keine Gemeinschaftsschulen,4 während Oberbayern für München 14 und Schwa- ben für Augsburg sechs angab.5 Ebenfalls im März berichtete die Regierung von Ober- und Mittelfranken von 2338 katholischen und 2910 evangelischen Lehrkräften insgesamt im Regierungsbezirk, daneben von acht „übrigen Christen“, zwölf Gottgläubigen und 31 bekenntnisfreien.6 Und im September desselben Jahres nannte man die Zahl der Schüler: 61428 katholische, 104255 evangelische, zwölf israelitische, 604 ohne Bekenntnis, 688 „übrige Christen.“7 Das Verhältnis der Bekenntnisse der Schulkinder zu denen der Lehrer zeigte bereits 1948, daß Veränderungen unverzichtbar waren, wenn die Einteilung nach Bekenntnis in den Schulen greifen würde, und jede „Bereinigung“ rechtswidrig bestehender Gemein- schaftsschulen - in den Regierungsbezirken Mittelfranken und Oberfranken gab es im Mai 1951 noch etwa 30 solcher Fälle8 - bedeutete für die beschäftigten Lehrer einen Umbruch. Zahlenangaben der Regierung von Mittelfranken am 15. August 1951 zeigten auch, wel- chen Veränderungen Rechnung getragen werden mußte. Zu diesem Zeitpunkt wurden sie- ben neu errichtete Gemeinschaftsschulen gemeldet (Cadolzburg, Gunzenhausen, Lauf, Pap- penheim, Schillingsfürst mit Bellershausen, Treuchtlingen und Windsheim), eine neu errich- tete evangelische Bekenntnisschule in Allersberg und sechs neue katholische Bekenntnis- schulen (Baiersdorf, Georgensgmünd, Heldmannsberg, Heroldsberg, Treuchtlingen und Windsheim). Das bedeutete für den Bestand der evangelischen Bekenntnisschulen nach- teilige Veränderungen, denn in Cadolzburg gab es noch eine anstatt der früheren 13 Klas- sen, in Gunzenhausen drei statt 23, in Treuchtlingen zwei statt 17, in Windsheim sechs statt 20.9 Die Versetzung der Lehrkräfte war unvermeidlich, die Zahl der gering geteilten Schu- len nahm zu (1951 gab es in Bayern 219 einklassige Schulen mehr als 1950.10), und Verlie- rer waren die evangelischen Bekenntnisschulen. Ein Vergleich zwischen Mittelfranken und Oberbayern zeigt, daß die evangelische Kirche sich nicht ohne Grund Sorgen machte um den Fortbestand dieser Schulart im tradi- tionell weitgehend evangelisch geprägten Raum. Im Schuljahr 1950/51 waren von 786 öffentlichen Volksschulen in Mittelfranken 518 evangelisch, 177 katholisch und 91 Gemein- schaftsschulen. In Oberbayern waren von insgesamt 1174 öffentlichen Volksschulen 38

2 Ebda., Schreiben der Regierung von Ober- und Mittelfranken am 23.3.1948 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Erhebung über Gemeinschaftsschulen. 3 Ebda. 4 Ebda., Schreiben vom 23. und 5.3.1948. 5 Ebda., Schreiben vom 10. und 11.3.1948. 6 Ebda., MK 61319. Bericht der Regierung von Ober- und Mittelfranken am 3.3.1948 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Stand des Volksschulwesens. 7 Ebda., MK 61321. Stand des Volksschulwesens. 15.9.1948. Reg. v. Ofr./Mfr. 8 BayHStA München. MK 61203. Bekenntnisschulen in Oberfranken und Mittelfranken, die nach 1933 rechts- widrig in Gemeinschaftsschulen umgewandelt wurden und jetzt noch als „tatsächliche Gemeinschaftsschu- len“ geführt werden. Besprechung am 2.5. und 4.5.1951 im Ref. 16 des Kultusministeriums. 9 Ebda., Bericht der Regierung von Mittelfranken am 15.8.1951 an das Kultusministerium. Aufstellung über die Anzahl der Gemeinschafts- und Bekenntnisschulen, die 1951/52 neu errichtet wurden. 10 Ebda., MK 53210. Informationsdienst des Bayer. Statist. Landesamtes. Reihe II/D/1/3. 15. Februar 1952. Volks- schulen, Mittelschulen und höhere Schulen in Bayern. Stand: Mai 1951, S. 10.

486 evangelisch, 1094 katholisch und 42 Gemeinschaftsschulen.11 93 % der Schulen in Ober- bayern waren also katholisch, 3 % evangelisch und 4 % Gemeinschaftsschulen, während in Mittelfranken 66 % evangelisch waren, aber 12 % Gemeinschaftsschulen und 23 % katho- lische Bekenntnisschulen. Andererseits waren aber 13,4 % der Schüler Oberbayerns evan- gelisch, die demzufolge als erhebliche Minderheit in katholischen Schulen saßen,12 und nur 8 % der Lehrer in Oberbayern gehörten zur evangelischen Kirche. In Mittelfranken gab es ca. 35 % katholische Lehrer und etwa 37 % katholische Schüler.13 Hier war der jeweilige Anteil der Katholiken also nahezu ausgeglichen. Im Schuljahr 1952/53 meldete Mittelfran- ken 821 öffentliche Volksschulen, davon 529 evangelische, 191 katholische und 88 Gemeinschaftsschulen, also 14 katholische mehr als im Schuljahr davor, elf evangelische mehr und drei Gemeinschaftsschulen weniger.14 Es war also offensichtlich schon die „Bereinigung“ weiter fortgeschritten, ein Begriff, an dem Staatsrat Meinzolt Anstoß nahm, da er ihn an „Flurbereinigung“ erinnere; wobei man im letzteren Falle mit Grundstücken zu tun habe, im ersteren jedoch lebende Menschen, Lehrer, Schüler, Eltern betroffen seien.15 Auch nach der gesetzlich korrekten Bereinigung der noch bestehenden ungerechtfertigten Gemeinschaftsschulen hatte man keine säuberliche Trennung von katholisch und evangelisch erreicht. Eine Aufstellung über die „(b)ekenntnismäßige Mischung an den katholischen und evangelischen Bekenntnis- schulen Bayerns“ aus dem Jahr 1954 zeigte, daß man noch weit entfernt war von diesem Ziel, das doch alle für so erstrebenswert hielten, besonders auch die Kirchen, da doch nur in der nach Bekenntnis getrennten Schule Erziehung und Lernen als Einheit möglich sei.16 In ganz Bayern waren nur 35 % der Klassen in den Bekenntnisschulen „rein“, und in immer- hin 12,7 % der Klassen gab es sechs bis zehn Schüler des anderen christlichen Bekenntnis- ses, in 5,5 % sogar elf und mehr Schüler.17 Für Mittelfranken nannte die Aufstellung fol- gende Zahlen: Es gab 602 katholische Klassen, davon waren 287 „bekenntnisrein“ und 315 gemischt. In 56 Klassen gab es sechs bis 10, in 33 Klassen elf und mehr evangelische Schüler. Von den 1511 evangelischen Klassen waren nur 191 rein, aber 1320 gemischt, wobei in 524 Klassen sechs bis zehn und in 451 Klassen elf und mehr katholische Schul- kinder saßen.18 Die Verhältnisse waren eben auch 1954 noch dergestalt, daß keine andere Organisation möglich war. In kleineren Gemeinden kamen keine gesonderten Bekenntnis- klassen zustande, die Verkehrsanbindungen zu anderen Orten mit der entsprechenden Bekenntnisklasse waren zu schlecht, die andersgläubigen Familien konnten oder wollten nicht wegziehen, da Beruf und Wohnraum es verboten. So schickte man sich in die Umstän- de, die den meisten auch gar nicht besonders dramatisch erschienen. Die Wirklichkeit war unter dem Gesichtspunkt späterer Entwicklungen weiter fortgeschritten, als es die gesetz- lichen Bestimmungen vorsahen. Für Lehrer allerdings, die an einer bekenntnisfremden Schu- le eingesetzt waren, konnten die Umstände schwierig werden, denn Staat und Kirche schickten sich nicht darein.

11 Ebda., S. 13. 12 Ebda., S. 16. 13 Ebda., S. 16 und S. 20. 14 LKAN. LKR VI 1100a (3065). Mittelfranken, Stand: 1. Oktober 1952. Diese Quelle nennt andere Zahlen für das Schuljahr 1951/52 für Mfr: 818 gesamt, 187 katholische, 528 evangelische, 91 Gemeinschaftsschulen. Allerdings ist nicht klar ersichtlich, welchen Anteil die Hilfsschulen, Sprachheilschulen usw. hatten. 15 BayHStA München. MK 61203. Meinzolt am 15.5.1951 an Kultusminister Schwalber. Zur Besprechung am 2./4.5.1951 im Ref. 16 des Kultusministeriums. 16 siehe S. 359, 381, 483, … 17 BayHStA München. MK 61932. Bekenntnismäßige Mischung an den katholischen und evangelischen Bekenntnisschulen Bayerns. Stand: 1.4.1954. Erstellt vom Staatsministerium für Unterricht und Kultus am 25.6.1954. 18 Ebda.,

487 8.2.1.Bereinigung regelwidriger Besetzungen von Schulstellen

Schon im September 1945, bei Wiederaufnahme des Unterrichts an den Volksschu- len, teilte das bischöfliche Ordinariat Regensburg seinen Schuldekanen mit, daß dort, wo im Zuge der „Säuberung der Lehrerschaft ... zahlreiche Neubesetzungen und Versetzungen erforderlich“ würden, der Bestimmung, daß an Bekenntnisschulen nur Lehrer des gleichen Bekenntnisses tätig sein dürfen, „ausnahmslos“ Rechnung getragen werden müsse. Nach- kriegsbedingte Übergangslösungen waren möglichst schnell zu beseitigen.1 Sehr bald wurde auch versucht, zwischen den einzelnen Regierungsbezirken die andersgläubigen Leh- rer auszutauschen.2 Ein andersgläubiger Lehrer kam nach dem Willen der CSU nicht in Frage3 und durfte nach der Gesetzeslage auch gar nicht sein, auch wenn die SPD dagegen protestierte, daß Kultusminister Hundhammer die Versetzung protestantischer Lehrkräfte rücksichtslos auf Kosten der Steuerzahler durchführte.4 Denn in der VO vom 26. August 1883 hieß § 12: „An Volksschulen für eine bestimmte Konfession dürfen nur Lehrer der- selben Konfession angestellt werden.“5 Das Bekenntnis des Lehrers war also juristisch für den Status der Bekenntnisschule von Bedeutung, nicht das der Schüler. Wenn an einem Ort vor 1933 eine evangelische Bekenntnisschule bestanden hatte, die nach 1945 als solche bestätigt wurde, so konnte auch die überwiegende Mehrheit der Kinder katholisch sein, sie blieb trotzdem eine evan- gelische Bekenntnisschule und verlangte nach einem evangelischen Lehrer, und die katho- lische Schüler-Mehrheit blieb in diesem Fall die Minderheit.6 Es lag nahe, für die bekennt- nisfremden Schüler je nach Anzahl Lehrer gleichen Bekenntnisses anzustellen. Bereits 1946 schlug Landesbischof Meiser diese Möglichkeit vor und betonte dabei, daß dadurch die betreffende Schule ihren Charakter als Konfessionsschule nicht verlieren würde, auch sollte diese Regelung nur für die „gegenwärtige außerordentliche Lage“ gelten.7 Das bereits erwähnte „Einvernehmen“ zwischen Staat und den Kirchenbehörden8 sah vor, in Fällen einer stärkeren konfessionellen Minderheit einen Lehrer der Minderheit in die Konfessions- schule einzubauen,9 und es gab ja auch tatsächlich diese Fälle.10 Nach der Übergangszeit sah man allerdings keine Möglichkeit für diese Lösung mehr; jedenfalls meinte man auf evangelischer Seite, daß „die Zusammensetzung des Lehrkörpers nach Schülerprozentsät- zen eine andere Schulform bedeuten“ würde. Nur dort, wo ganze evangelische Klassen gebildet werden könnten, sei das durchführbar.11 Damit hatte man recht. Trotzdem wurde der Vorschlag auch im Zuge der Diskussion um das Schulorganisationsgesetz wieder auf- gegriffen, von evangelischer Seite und sogar von Vertretern des Kultusministeriums und der CSU. Staatsrat Meinzolt nannte sie „Gastlehrer an Bekenntnisschulen“, und die evangeli-

1 BayHStA München. StK 113968. Schreiben des bischöflichen Ordinariats Regensburg am 29.9.1945 an die Herren Schuldekane. 2 StAN. Reg. v. Mfr., Abg. 1978 Nr. 4607. Schreiben Nr. 3020c 11 des Regierungspräsidenten in Regensburg am 7.11.1946 an die Herren Regierungspräsidenten in Ansbach und Augsburg. 3 ACSP München. NL Müller 27 (Kulturpolitischer Ausschuß 1946-48) „Unsere kulturpolitischen Ziele“. 4 AdsD Bonn. LV Bayern I/11. Der Kochel-Brief. Mitteilungsblatt der Georg von Vollmar-Schule. Nr. 12/Dez. 1950, S. 128. Die kulturpolitischen Forderungen der SPD in Bayern. 5 GVBl. Nr. 41 vom 1.9.1883, S. 411. 6 vgl. Huelsz, S. 150. 7 LKAN. LKR VI 1100 a (3064). Schreiben Nr. 17170 Bischof Meisers am 5.12.1946 an sämtliche Dekanate. Betreff: Die gegenwärtige Lage auf dem Gebiet des Volksschulwesens. (offensichtlich ein Entwurf). 8 siehe S. 364. 9 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 42. Sitzung am 11.12.1947, S. 486; LKAN. LKR VI 1100a (3064). Vollsitzung vom 1./3.10.1947. „2. Schulpolitische Lage in Bayern“. 10 siehe S. 434. 11 LKAN. LKR VI 1100 a (3064). Schreiben Nr. 13265 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats am 21.10.1947 an alle Pfarrämter. Betreff: Evangelische Schulen.

488 schen Lehrer vor allem hofften, daß ihre Kirche sie nachdrücklich fordern würde.12 Der Abgeordnete Strathmann (CSU) griff diesen Vorschlag auf und begründete ihn mit den Bedenken, die er habe, weil Kinder der religiösen Minderheit oft genug in die Schule der Mehrheit gehen müßten und dort nicht die innere Geschlossenheit der Erziehung in ihrem Glauben finden würden, sondern im Gegenteil Bedrückung und Zwang empfinden könn- ten. Ein evangelischer Lehrer in einer katholischen Bekenntnisschule würde den Religions- unterricht übernehmen, sei völlig gleichberechtigt in den Schulbetrieb eingeschaltet, würde eine Klasse übernehmen und die Nöte der Minderheit mildern.13 Kultusminister Hundham- mer lehnte diesen Vorschlag als verfassungswidrig ab, womit er nach den Buchstaben des Gesetzes wohl recht hatte; allerdings machten politische Klugheit und/oder der Druck der örtlichen Verhältnisse, zumindest im fränkischen Raum, diese Lösung doch in einigen Fäl- len erforderlich.14 In den meisten Fällen bedeuteten jedoch Hundhammers frühzeitige Bemühungen um die Wiedererrichtung der Bekenntnisschulen und die Durchführung des Schulorganisati- onsgesetzes, daß der bekenntnisfremde Lehrer versetzt wurde, was in der damaligen Zeit nicht einfach und außerdem heftig umstritten war. Von SPD-Seite wurde dazu geschrieben: „Man versetzt Lehrer von Ort zu Ort quer durch Bayern, nur weil sie den ‚falschen Glauben‘ haben und läßt sich dabei auch nicht vom Willen der Eltern beeinflussen, die zu diesen Lehr- kräften das volle Vertrauen haben. Flüchtlingslehrer, endlich an einem Ort Oberbayerns zur Ruhe gekommen, ... müssen wieder auf die Reise nach Franken ... Der Kultusbürokratie ist es gleich, ob sie genügend Unterkunft finden ...“15 Schon vor einer kultusministeriellen Ent- schließung im Jahr 1947, wonach bei der Verteilung der neuen Lehrkräfte deren Konfessi- on ausschlaggebend zu sein hatte,16 gab es Fälle, wo Lehrer Wohlfahrtsunterstützung erba- ten, da sie, weil sie evangelisch waren, in katholischen Regierungsbezirken abgelehnt wur- den, obwohl zu dem Zeitpunkt noch viele Schulen geschlossen oder ungenügend besetzt waren.17 Umgekehrt bat die Regierung von Mittelfranken das Kultusministerium, katholi- sche Flüchtlingslehrkräfte nicht mehr nach Mittel- und Oberfranken zu schicken, denn man müsse jetzt schon „einige Hundert katholischer Volksschullehrkräfte in Regierungsbezirke mit katholischer Bevölkerung ... überweisen“.18 Evangelische Lehrer in katholischen oder überwiegend katholischen Gemeinden wurden als „untragbar“ apostrophiert,19 das Bezirks- schulamt Hof/Saale meldete im Oktober 1948, also während des Schuljahrs, man habe Schritte zur Beseitigung regelwidriger Besetzungen von neun Schulstellen durch katholische Lehrkräfte unternommen,20 im Amtlichen Schulanzeiger wurden Tauschgesuche - katholi- sche Schulstelle in Niederbayern gegen Gemeinschaftsschule in Mittelfranken21 - veröf-

12 Ebda., LKR VI 1100 a (3065). Bericht des Beauftragten für kirchliche Unterweisung in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Frör, am 21.6.1950 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat. Betr.: Arbeitstagung der ABJ am 11.6.1950. 13 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 168. Sitzung am 5.7.1950, S. 604. 14 siehe S. 434. 15 AdsD Bonn. LV Bayern I/207. „Gegenwartsnahe Kulturpolitik der SPD in Bayern. Die Politik der Duldsamkeit“ (o.V., o.D.). 16 LKAN. LKR VI 1100 a (3064). Schreiben des Lehrers Karl-Ernst Wilke, Hurlach, Post Schwabmünchen, am 24.5.1947 an Pfarrer Drescher, Langerringen. 17 BayHStA München. MK 61203. Schreiben des Regierungspräsidenten Wein der Reg. Niederbayern/Oberpfalz am 23.8.1948 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 18 Ebda., MK 62001. Schreiben der Regierung von Mittelfranken am 31.3.1947 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus, Referat 54. 19 LKAN. LKR VI 1100 a (3064). Schreiben des Lehrers Karl-Ernst Wilke, Hurlach, Post Schwabmünchen, am 24.5.1947 an Pfarrer Drescher, Langerringen. 20 BayHStA München. MK 61322. Schreiben des Bezirksschulamts Hof/Saale am 28.10.1948 an die Regierung von Oberfranken, Bayreuth. Betr.: Stand des Volksschulwesens. 21 Amtlicher Schulanzeiger für die Regierungsbezirke Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach/Bayreuth. 16. Jg. Nr. 11 vom 1.11.1948, S. 86.

489 fentlicht. Noch vor Inkrafttreten des Schulorganisationsgesetzes ordnete das Kultusmini- sterium wiederholt den beschleunigten Austausch evangelischer und katholischer Lehrkräfte an,22 während die Betroffenen, zur Manövriermasse verkommen, zusehen mußten, wie sie ihre Lage meisterten. Häufig hatten sie überhaupt keinen Einfluß auf den Gang der Dinge, wie die katholischen Flüchtlingslehrer, die im September 1949, zur Empörung des Stadtrats, nach Nürnberg geschickt wurden. Schulrat Barthel sagte dazu, daß evangelische Lehrkräf- te nicht zur Verfügung gestanden hätten, katholische aber besser als gar keine (sic!) seien. Außerdem seien sie nur angestellt worden, nachdem sie schriftlich erklärt hatten, „daß sie mit Eintreffen der evangelischen Lehrer ausscheiden“ würden.23 Die Regierung von Mittel- franken bemerkte dazu, daß sich nun in Nürnberg ein für ein Jahr befristeter Überhang von 75 katholischen Lehrkräften ergebe, daß deren Verbleib in Nürnberg jedoch „von der nach etwa 1/2 Jahr durch das Stadtschulamt durchzuführenden gründlichen Beurteilung abhän- gig gemacht“ werde. „Damit hätte die Regierung die Möglichkeit, etwa 20 dieser Lehr- kräfte im nächsten Schuljahr wieder aus Nürnberg herauszunehmen.“24 Man rechnete also von vornherein mit dieser Quote, und während sich die Betroffenen noch freuten, endlich eine Anstellung gefunden zu haben, schwebte über ihren Köpfen bereits das Damokles- schwert der erneuten Entlassung. Mit Menschen in dieser Art umzugehen, ist in normalen Zeiten als unseriös zu bezeichnen; in der damaligen Notzeit, wo jede Versetzung mit größ- ten Schwierigkeiten z.B. hinsichtlich der Wohnungssuche verbunden war, waren solche Tricks geradezu verwerflich und existenzbedrohend. Ein „Hinausprüfen“ aus der Stadt Nürn- berg bedeutete ja auch nicht, daß andere Gemeinden die solchermaßen Beurteilten mit offenen Armen aufgenommen hätten! Der Einspruch des Nürnberger Stadtrats „hielt die Regierung ab, über die Anstellung von 20 Katholiken ... hinauszugehen“. Gleichwohl war die Not der Flüchtlingslehrer und ihrer Familien so groß, daß keiner der befragten evangelischen Geistlichen Widerspruch ein- legte gegen eine Verwendung weiterer Lehrer in anderen mittelfränkischen Schulamtsbe- zirken.25 Einwände gegen katholische Flüchtlingslehrer wurden aber von einzelnen Schulauf- sichtsbehörden erhoben, die weniger an deren Konfession, als vielmehr an ihren „mensch- lichen Eigenschaften“ Anstoß nahmen, durch welche sie „mißliebig“ würden. Landkreise mit überwiegend katholischer Bevölkerung, z.B. Hilpoltstein oder Eichstätt, mußten die Leh- rer aufnehmen, „die man anderswo ganz einfach weghaben“ wollte.26 Man könne es den noch nicht angestellten Flüchtlingslehrern des eigenen Landkreises nicht verdenken, wenn sie angesichts weiterer Flüchtlingslehrer verärgert seien und um ihre Übernahme fürchte- ten.27 Eine „immer mehr erkennbare Radikalisierung“ dieses Personenkreises wurde nach München gemeldet.28 In der Presse gab es Berichte über scharfe Proteste der Flüchtlings- lehrer gegen die konfessionelle Politik des Kultusministeriums.29 Schwierig war es, bei Ver- setzungen die Wohnungsfrage zu lösen, wie die Klage eines evangelischen Pfarrers aus

22 BayHStA München. MK 61932. Entwurf eines Schreibens des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 28.9.1949 an die Regierungen von Oberbayern, Mittelfranken, Schwaben. 23 Stadtarchiv Nürnberg. C7/IX Nr. 1285. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 16.9.1949, S. 3 f. 24 BayHStA München. MK 61932. Schreiben der Regierung von Mittelfranken am 14.9.1949 an das Staatsmin. f. Unterricht. u. Kultus. Betr.: Anstellung von Flüchtlingslehrkräften in Nürnberg. 25 Ebda., MK 6003. Schreiben Nr. 1136 a 165 der Regierung von Mittelfranken am 1.11.1949 an das Staatsmi- nisterium für Unterricht und Kultus. Betr.: Besetzung von evang. Schulstellen in Mittelfranken. 26 Ebda., MK 61220. Schreiben des Landratsamts Hilpoltstein am 14.1.1949 an die Regierung von Mittelfranken. Betr.: Zuweisung von Lehrkräften. 27 Ebda. 28 Ebda., MK 61932. Schreiben der Regierung von Mittelfranken am 14.9.1949 an das Staatsministerium f. Unterricht und Kultus. 29 Ebda., MK 62004. Der neue Tag, Weiden, Nr. 126 vom 24.10.1950: „Protest gegen Benachteiligung“.

490 Burggrub bei Kronach beweist. Hier stieß die Durchführung des Schulorganisationsgeset- zes an ihre Grenzen, da die Lehrerwohnung „bis auf weiteres von einem inzwischen ver- setzten katholischen Lehrer und einer ehemaligen katholischen Lehrerin besetzt“ blieb.30 Im Falle der evangelischen Lehrerin Magdalena L., für deren Verbleib im oberbayerischen Staudach die katholischen Eltern so spektakulär gestreikt hatten,31 war die Wohnungsfrage, nachdem sie nach Nürnberg versetzt worden war, sehr schwierig. Oberkirchenrat Müller vom Evang.-Luth. Landeskirchenrat bat Kreisdekan Schieder in Nürnberg, „in einer geeig- neten Familie ein Unterkommen“ zu beschaffen, da die Lehrerin keinerlei Bekannte in der Stadt habe und sich sehr einsam fühlen werde. Sie sei, da sie bereits über 60 Jahre alt sei, sehr mitgenommen und bedürfe dringend der Hilfe.32 Die Versetzung war unverständli- cherweise während des laufenden Schuljahrs erfolgt und hatte gerade deshalb den Zorn der Dorfbewohner erregt. Versetzungen erfolgten aber nicht nur aufgrund der Konfession, die der Lehrer hatte; vor allem Katholiken hatten Nachteile, wenn sie als „Konkordatsfälle“ galten, also in einer sog. Mischehe lebten oder nicht kirchlich getraut waren. Im schlimmsten Fall bedeutete es die Entlassung, wie z.B. in Niederbayern, wo es keine Gemeinschaftsschulen gab, in die man diese Lehrer hätte versetzen können. In der katholischen Bekenntnisschule wurden sie jedenfalls nicht geduldet. Der katholische Pfarrer war verpflichtet, diese Lehrer an die Kir- chenbehörde zu melden.33 Ein etwas anders gelagerter spektakulärer Fall im Regierungs- bezirk Unterfranken verdeutlichte, daß die geistliche Schulaufsicht eben doch noch wirk- sam war. Hier wurde einer katholischen Lehrerin gekündigt, weil sei einen schuldlos geschie- denen Mann geheiratet hatte, und zwar nur standesamtlich. Das bischöfliche Ordinariat Würzburg legte Konkordatsbeschwerde ein gegen ihre Verwendung an der katholischen Bekenntnisschule. Das Kultusministerium beharrte auf der Entlassung - es hatte einen Pro- zeß vor dem Arbeitsgericht gegeben - „weil die katholische Kirche das Eherecht für sich in Anspruch nimmt und eine Ehescheidung nach bürgerlichem Recht nicht anerkennt“. Auch an einer christlichen Gemeinschaftsschule könne sie nicht arbeiten. Sie sei außerdem selbst an ihrer mißlichen Lage schuld, denn sie habe durch ihre Heirat den Anlaß zur Kündigung gegeben. Die vorgebrachten sozialen Gründe für ihren Verbleib im Dienst - sie war in der 4-köpfigen Familie der einzige Ernährer - hätten kein Gewicht, „denn dem Schutz der Bekenntnisschule muß gegenüber den angeblich sozialen Gründen in jeder Beziehung der Vorrang eingeräumt werden“.34 Auch ein Lehrer, der früher Priester gewesen und aufgrund seiner Zivilehe exkommuniziert worden war, konnte nicht an der katholischen Bekenntnis- schule bleiben, an der er vier Jahre unterrichtet hatte, denn das Bischöfliche Ordinariat befand, daß „sein Wirken ... ein fortwährendes Ärgernis für die katholischen Schüler und die katholische Bevölkerung bilden würde“.35 Trotz des fortwährenden Bemühens des Kultusministeriums, die „Bereinigung“ bekenntnisfremd besetzter Lehrerstellen herbeizuführen, und der beständigen Erinnerun- gen durch die Kirchenstellen gelang es nicht, zu einem Ergebnis zu kommen, jedenfalls nicht während des dargestellten Zeitraums im mittel- und oberfränkischen Bereich. Evangelische

30 LKAN. LKR VI 1105 (3113) Schreiben des Evang.-Luth. Pfarramts Burggrub b. Kronach (Ofr.) am 23.8.1951 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat. 31 siehe S. 398. 32 LKAN. Kreisdekan Nbg. 251. Schreiben des Evang.-Luth. Landeskirchenrats, OKR Müller, am 2.3.1950 an KRD Schieder, Nbg. 33 Dannhäuser, S. 402 f. 34 Die Bayerische Schule. 5. Jg. Nr. 7 vom 5.4.1952, S. 107; AdsD Bonn. LV Bayern I Nr. 208. Landespolitik. Volks- wacht Nr. 10, 10.-16.III.1950. 35 BayHStA München. StK 113972. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 24.8.1949 an die Staatskanzlei. Betr.: Georg H., Iffigheim, LK Kitzingen.

491 Pfarrämter in Mittelfranken wehrten sich schon in den Jahren 1947/48 gegen die Überbe- setzung der Stellen mit Katholiken.36 Es wurde sogar behauptet, daß der Bevölkerung eine „besondere Not“ aus dem Umstand erwachse, daß vermehrt katholische Lehrkräfte einge- setzt würden.37 Im Stadtrat von Nürnberg, der mit dem Kultusministerium in Fehde lag, wurde im Herbst 1949 unterstellt, daß in Nürnberg „eine bewußte Durchsetzung mit katho- lischen Lehrkräften versucht“ werde, und der Oberbürgermeister wurde gebeten, dagegen Beschwerde einzulegen, daß „das Gesicht des Nürnberger Schulwesens grundlegend“ geändert werde, ohne daß Stadtrat und der Oberbürgermeister als Mitglied des Stadt- schulamts von den Verfügungen der Regierung Kenntnis haben.38 Ein Schreiben des Evang.- Luth. Landeskirchenrats an das Kultusministerium drückte ebenfalls das Befremden darü- ber aus, daß seit Herbst 1948 die Zahl der regelwidrig besetzten Stellen eher zu- als abge- nommen habe, und zwar vor allem in den Regierungsbezirken Ober- und Mittelfranken.39 In den übrigen Regierungsbezirken werde die Verminderung dieser Unregelmäßigkeiten mit Energie vorangetrieben. Rechtlich anfechtbar erschien dem Verfasser des Briefes auch der Einwand, daß die Festsetzung einer Flüchtlingslehrerquote die Einstellung evangelischer Flüchtlingslehrer behindere. Es ginge nicht an, daß eine solche Verwaltungsmaßnahme das „Einvernehmen“ zwischen der bayerischen Regierung und den Kirchen vom 21. Dezember 194640 nahezu außer Kraft setze.41 Zu den Verhältnissen in den angeführten Regierungsbezirken forderte Kultusminister Hundhammer Informationen, die die Gründe für die regelwidrigen Besetzungen darlegten: Die nach Oberfranken eingeströmten Flüchtlingslehrer seien meist katholisch gewesen und eingesetzt worden, weil viele Schulstellen infolge der Entnazifizierung verwaist waren. Noch im Februar 1950 waren über 100 Stellen regelwidrig besetzt, eine größere Anzahl von Leh- rern auch auf diesen Stellen verbeamtet worden.42 Das Bemühen der Regierung, hier Aus- gleich zu schaffen, stieß auf Widerstände. Die meisten Flüchtlingslehrer verstanden den Dienstortwechsel aus konfessionellen Gründen überhaupt nicht, da im Sudetenland, aus dem die Betroffenen offenbar alle stammten, Schulstellen ohne Rücksicht auf die Konfes- sion besetzt worden waren. In die bayerischen Verhältnisse wollten sich viele nicht fügen, und die Regierungsbeamten mußten sich den Vorwurf konfessioneller Unduldsamkeit gefal-

36 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Schreiben des Evang.-Luth. Pfarramts Artelshofen-Alfalter, Post Vorra/Pegnitz, am 2.9.1947 an das Dekanat Hersbruck; Ebda., Schreiben Pfarrer S., Altensittenbach bei Hersbruck, am 12.9.1947 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat. 37 Erker, Vom Heimatvertriebenen, S. 153. 38 Stadtarchiv Nürnberg. C7/IX Nr. 1285. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 16.9.1949, S. 4. Der Vorwurf einer bewußten Besetzung von Beamtenstellen mit Katholiken war nicht neu. Bereits im Juli 1945 hatte der Ansbacher Oberbürgermeister in einer Besprechung mitgeteilt, daß von protestantischer Seite darüber geklagt werde, daß das Staatsministerium in München (er sagte nicht, welches) die Absicht hege, „die Beamtenstellen in Bayern möglichst mit katholischen Beamten zu besetzen ...“. (StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 213. Besprechung des Regierungspräsidenten Reichard in Ansbach mit den ihm unterstellten Behörden am 30.7.1945. Anwesend: Regierungspräsident, Oberbürgermeister von Ansbach, Bamberg, Bayreuth, Erlangen, Fürth, Nürnberg, Landräte ..., Bürgermeister ..., Beauftragter des Amtes für Ernährung und Landwirtschaft in Oberfranken und Mittelfranken, ...). 39 BayHStA München. MK 61932. Schreiben Nr. 1689 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats am 4.2.1950 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betr.: Regelwidrige Besetzungen von Lehrerstellen an evangeli- schen Schulen. 40 siehe S. 364. 41 BayHStA München. MK 61932. Schreiben Nr. 1689 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats am 4.2.1950 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betr.: Regelwidrige Besetzungen von Lehrerstellen an evangeli- schen Schulen. Das Festlegen einer Flüchtlingslehrerquote geschah allerdings nicht durch Verwaltungsakt, sondern durch das Flüchtlingsgesetz (Ausführungsbestimmungen zum Flüchtlingsgesetz vom 8.7.1947. GVBl. S. 153). 42 BayHStA München. MK 61932. Vormerkung: Dem Herrn Staatsminister. Betreff: Bekenntnisungleiche Stel- lenbesetzung in Oberfranken. Februar 1950.

492 len lassen.43 Ein weiterer Aspekt war die schwierige wirtschaftliche Lage der Flüchtlingsleh- rer. Viele hatten sich ihr ganzes Mobiliar aus dem Ort zusammengeborgt, andere versorgten noch Verwandte im Ort, deren Schicksal dann mit der Familie des Lehrers verknüpft war. Ein wesentlicher Gesichtspunkt, der gegen einen Ortswechsel sprach, war auch, daß die Kinder der Flüchtlingslehrer nahegelegene höhere Schulen besuchten; und in Bayern gab es viele Schulstellen, die nur nach langen Fußmärschen von der Bahnstation erreichbar waren. Der Besuch der höheren Schule war dann unmöglich. Auch wenn eine Anzahl von Gemeinden auf die Zuweisung eines evangelischen Lehrers warteten, um den Religionsun- terricht oder den Organistendienst gesichert zu wissen, so gebe es doch auch Fälle, wo sogar das evangelische Pfarramt um die Belassung des katholischen Lehrers bat, da er sich durch seine Schultätigkeit das Vertrauen des ganzen Ortes erworben habe.44 Zu beachten sei allerdings auch, daß die etwa 200 noch wartenden evangelischen Flüchtlingslehrer immer wieder auf das Mißverhältnis hinwiesen und z.T. propagandistisch ausschlachteten.45 In diesem Bericht über die Situation in Oberfranken wurde auch darauf aufmerksam gemacht, daß religiös indifferente Lehrer den Glauben wechselten, nur um der drohenden Versetzung zu entgehen, eine Praxis, die auch in anderen Regierungsbezirken einige Jahre lang im Kreuzfeuer der Kritik stand.46 Die Regierung von Mittelfranken konnte im Februar 1950 auch noch nicht den Voll- zug des Austausches evangelischer gegen katholische Lehrer, wie er in der ME vom 25. Sep- tember 1949 verlangt worden war, melden.47 Unüberwindliche Schwierigkeiten wurden als Grund angegeben. Nach dem Stand von Oktober 1949 gebe es im Regierungsbezirk Mit- telfranken 160 regelwidrige Besetzungen; das seien etwa 5 % der Schulstellen. Soziale Gründe sprächen gegen eine Versetzung. Ein Teil der Betroffenen sei katholisch und in Mischehe lebend, also würden sie an katholischen Bekenntnisschulen wiederum Anstoß erregen. Einige Lehrer stünden unmittelbar vor der Pensionierung, für sie wäre ein Umzug unzumutbar. Dann seien Lehrerinnen betroffen, die sowieso demnächst wegen Doppelver- dienst ausscheiden würden; außerdem Hilfslehrer, die sich zur Lehramtsprüfung gemeldet hätten und daher ohne Nachteile nicht aus ihrer Klasse herausgerissen werden könnten.48 In 30 Fällen hätten die Geistlichkeit oder die Schulpflegschaft oder beide um den Verbleib des katholischen Lehrers gebeten bzw. sich einverstanden erklärt. Die Schulämter hätten von der Regierung die Weisung erhalten, „in geeigneter Form mündlich“ unter Hinweis auf das „Einvernehmen“ die für den Tausch mit anderen Regierungsbezirken vorgesehenen Lehr- kräfte „über die Unmöglichkeit ihrer dauernden Verwendung am derzeitigen Dienstort auf- zuklären und ihnen den Stellentausch ... nahezulegen“. Obwohl man zunächst nur die drin- gendsten Fälle „bereinigen“ wollte, habe die Absicht stärksten Widerstand ausgelöst.49 Vom Landratsamt Nürnberg-Land sei gelegentlich des Monatsberichts für September 1949 festgestellt worden, „daß an keinem Ort bisher an den regelwidrigen Besetzungen Anstoß genommen wurde. Schüler und Bevölkerung seien zum großen Teil mit ihren Leh- rern verwachsen. Durch den Eingriff der vorgesetzten Dienstbehörde würde künstlich eine Kluft aufgerissen werden, die vorher niemand gespürt habe. Da die evangelischen Bekennt- nisschulen durchweg einen z.T. sehr erheblichen Prozentsatz katholischer Schüler aufwei- sen, würde die Anteilnahme der kath. Lehrer am Unterricht als gerechtes, ausgleichendes und paritätisches Maß empfunden werden.“50 Auch das Landratsamt Nürnberg-Land sah

43 Ebda. 44 Ebda. 45 Ebda. 46 siehe S. 496 f. 47 BayHStA München. MK 61932. Schreiben Nr. V/2-1136 a 198-3 der Regierung von Mittelfranken am 6.2.1950 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Bezug: ME vom 25.9.1949 Nr. IV 67109 und vom 5.1.1950 Nr. IV 67109I. Betreff: Regelwidrige Besetzungen in Mittelfranken. 48 Ebda. 49 Ebda. 50 Ebda.

493 die Gefahr der Errichtung katholischer Zwergschulen, falls die katholischen Lehrer versetzt würden. Außerdem hatte man dort - nicht zu Unrecht - den Eindruck, als ob von Staats wegen die Schulzersplitterung künstlich gefördert würde, und man sah „in dem nunmehr einsetzenden, nicht endenden Schulkampf eine dauernde, starke Beeinträchtigung des Unterrichts- und Erziehungserfolges“.51 Die Regierung von Mittelfranken berichtete weiter, man habe „(u)nter diesen wenig aussichtsvollen Voraussetzungen“ die Tauschaktion mit Oberbayern, Schwaben und Niederbayern begonnen und zunächst 32 Lehrkräfte dafür in Aussicht genommen. „Für die Schulräte des Regierungsbezirkes Mittelfranken war es außer- ordentlich schwer, das Einverständnis der genannten Lehrkräfte zu erhalten,“ die zunächst nicht die Absicht geäußert hätten, Schwierigkeiten zu bereiten, nach Beginn der Tauschak- tion jedoch gehäuft Gesuche eingereicht hätten, in denen sie „ein erschütterndes Bild erneuter sozialer Not und neuen Elends“ aufgerollt hätten.52 Die beabsichtigte Bereinigung regelwidriger Stellenbesetzungen treffe auf starken Widerstand auch in den Gemeinden, man drohe mit der Errichtung von Gemeinschaftsschulen, z.B. in Katzwang; die Presse beginne, sich einzuschalten, und die politischen Parteien mischten sich ein. Vor allem das Vorhaben, den Lehrertausch während des Schuljahres durchzuführen, stoße auf Unver- ständnis, das es bar jeglicher pädagogischer Vernunft sei.53 Die Regierung von Mittelfran- ken rechnete außerdem damit, daß im Zuge des kommenden Schulorganisationsgesetzes bei Errichtung von Bekenntnisschulen die katholischen Lehrkräfte doch wieder gebraucht würden, was einen sofortigen Tausch überflüssig erscheinen lasse. Auch in anderen Regie- rungsbezirken, z.B. in Oberbayern, mußte der Tausch von elf bereits zugesagten und von Mittelfranken schon übernommenen Lehrkräfte aus o.g. Gründen wieder rückgängig gemacht werden. Die Regierung von Schwaben habe im Dezember 1949 um Zurückstel- lung des Austausches gebeten, „da die angekündigte Abberufung von Lehrkräften zur Folge hatte, daß an verschiedenen Schulorten Antrag auf Errichtung von evang. Bekennt- nisschulen gestellt“ worden sei. Damit sei „eine zeitraubende und viel Unruhe erzeugende Aktion, deren Erfolge in keinem Verhältnis zum Aufwand stehen, nahezu zusammenge- brochen“.54 Der Versuch, von den 160 regelwidrigen Besetzungen nur 32 zu bereinigen, mußte als gescheitert angesehen werden. Die bereits seit Monaten laufenden Verhandlungen hat- ten lediglich in zehn Fällen zum Tausch geführt.55 Die mittelfränkische Regierung listete abschließend die Faktoren auf, die die Tauschaktion beeinflußten bzw. sich ihr entgegen- stellten: die beteiligten Regierungen, Schulämter, Landtagsabgeordnete, der Bezirksver- bandsausschuß, der Kreistag, Landratsämter, Wohnungsämter, Bürgermeister, das evange- lische Landeskirchenamt, die Landessynode, Kreisdekanate, evangelische und katholische Ortsgeistliche, evangelische und katholische Schulpflegschaften, Bürgerversammlungen, Lizenz- und Parteipresse, Schülereltern und Schulstreikdrohung. Außerdem gab es Einwän- de der betroffenen Lehrkräfte wegen Mischehe, baldiger Pensionierung, bevorstehendem Ausscheiden wegen Doppelverdienst, Ablegung der 2. Lehramtsprüfung, beabsichtigter Konversion, drohender Arbeitslosigkeit der Angehörigen, der schulischen Ausbildung der Kinder, des Verlustes der Wohnung und der geliehenen Möbel, erneuter Entwurzelung aus der neuen Heimat und der möglichen Zerreißung der Familien.56 Die Regierung von Mittel- franken fügte auch ihre eigenen pädagogischen Bedenken hinzu. Man befürchtete die Ent- stehung von Zwergschulen, die Gefährdung des Schulfriedens, die Behinderung des katho- lischen Religionsunterrichts in vorwiegend evangelischen Orten und Schwierigkeiten, die mit dem Lehrerwechsel während des Schuljahres unweigerlich entstehen würden.57

51 Ebda. 52 Ebda. Es waren durchwegs Flüchtlingslehrer für den Tausch vorgesehen. 53 Ebda. 54 Ebda. 55 Ebda. 56 Ebda. 57 Ebda.

494 Unter das von Regierungspräsident Schregle unterzeichnete Schreiben hatte Kultus- minister Hundhammer handschriftlich hinzugefügt: „Am 13.2. hat Oberkirchenrat Lic. Schmidt von der ev. Landeskirche bei mir vorgesprochen und Beschwerde geführt, daß in Mittel- und Oberfranken so viele Schulstellen an ev. Bekenntnisschulen mit Katholiken besetzt sind und die Änderung so zögernd vor sich ginge.“58 Um die Regierungen aber stän- dig an ihre Pflicht zu erinnern, wurde vom Ministerium verfügt, daß sie „jeweils zum Beginn eines Kalendervierteljahres, erstmals zum 1.4.1950“ zu berichten hätten, wie viele katholi- sche und evangelische Lehrkräfte regelwidrig, d.h. entgegen dem Art. 135 Abs. 2 (BV) und den Kirchenverträgen, Schulstellen an Bekenntnisschulen innehatten. Fälle, bei denen die regelgerechte Neubesetzung erhebliche Schwierigkeiten im Hinblick auf das „Einverneh- men“ bereitete, mußten, wie bisher, zum 1.1. und 1.7. jedes Jahres den einschlägigen kirch- lichen Oberbehörden gemeldet werden,59 was einer indirekten geistlichen Schulaufsicht sehr nahe kam. Die Regierung von Mittelfranken zeigte am 25. März 1950 132 katholische Lehrkräfte an, die den o.g. Bedingungen nicht entsprachen;60 die oberfränkische Regierung meldete am 27. März 160 katholische Lehrer an evangelischen Bekenntnisschulen, von denen sogar 50 im Beamtenverhältnis standen, während 14 Hilfslehrer, 63 Lehrer auf Dienstvertrag und 33 Lehramtsanwärter in langfristigen Aushilfen genannt wurden, und sechs evangelische Lehrkräfte, die an katholischen Bekenntnisschulen unterrichteten.61 Auch Unterfranken nannte fünf katholische Lehrer an evangelischen Schulen und zehn evangelische an katho- lischen Schulen und führte als Begründung die „Einstellung der Gemeindeverwaltungen in konfessionell gemischten Schulorten“ und die „Vereinbarung der Ortsgeistlichen im Inter- esse des konfessionellen Friedens“ an.62 Eine vergleichende Aufstellung zeigte, daß außer in den drei fränkischen Regierungsbezirken nur noch in Schwaben fünf katholische Lehrkräf- te an evangelischen Bekenntnisschulen unterrichteten. Bei der Anzahl der evangelischen Lehrer an katholischen Bekenntnisschulen meldete außerdem Schwaben 28, die Oberpfalz zwei und Oberbayern 61. Hier hieß es allerdings „nicht-katholische“, so daß neben evan- gelischen auch andersgläubige Lehrkräfte an katholischen Bekenntnisschulen eingesetzt zu sein schienen.63 Die Regierung von Mittelfranken fertigte ein genaues Verzeichnis der regelwidrigen Besetzungen an und nannte für die einzelnen Ortschaften die Namen der Lehrkräfte und in einer gesonderten Spalte die Gründe, „die für eine vorläufige Beibehaltung der regelwi- drigen Besetzungen“ sprachen. Da hieß es z.B. „(D)ie Lehrkraft widerstrebt mit allen Mit- teln einem Tausch,“64 oder „(D)ie Lehrkraft lebt in Mischehe.“ Sehr häufig lautete die Zusatzinformation: „(D)ie Aufhebung der regelwidrigen Besetzung ist bis Schuljahresende zu erwarten,“65 was den Schluß nahelegt, daß Gemeinden und Eltern immer dann vorstel- lig wurden, wenn ein Lehrer während des laufenden Schuljahrs abberufen werden sollte, ein unverständliches, da unvernünftiges Vorgehen. Bei einigen Namen und Orten lautete

58 Ebda. 59 BayHStA München. MK 61932 Schreiben Nr. IV 10973 v. a. w. des Staatsministeriums für Unterricht und Kul- tus am 6.3.1950 an alle Regierungen, mit Abdruck an die bay. Ordinariate und den Evang.-Luth. Landeskir- chenrat. 60 Ebda., Schreiben der Regierung von Mittelfranken am 25.3.1950 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 61 Ebda., Schreiben der Regierung von Oberfranken am 27.3.1950 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 62 Ebda., Schreiben der Regierung von Unterfranken am 29.3.1950 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 63 Ebda., Aufstellung über konfessionelle Fehlbesetzungen an Volksschulen 1950 (wahrscheinlich April). 64 Ebda., Verzeichnis der regelwidrigen Besetzungen im Regierungsbezirk Mittelfranken nach dem Stand vom 1. Februar 1950. 65 Ebda.

495 daher auch die Begründung: „... Schulstreik zu erwarten ...“; „Bei Wegversetzung ist mit Unruhe in der Gemeinde zu rechnen;“ „Gemeinde und Schulpflegschaft erhoben Einspruch und drohten mit Schulstreik;“ „Tausch mußte aufgrund des Einspruches der Schulpfleg- schaft, Bürgerversammlung zurückgenommen werden.“ Am häufigsten las man, daß „das Einverständnis der Gemeinde bzw. der Schulpflegschaft oder der Erziehungsberechtigten ... gegeben“ sei.66 Das Bezirksschulamt Gunzenhausen hatte keine regelwidrigen Beset- zungen. Hier gab es die Gemeinschaftsschule, so daß der Austausch möglich gewesen war. Ebenso meldete auch das Bezirksschulamt Eichstätt keine Fälle, wohl deshalb, weil in die- ser überwiegend katholischen Region die Probleme mit katholischen Flüchtlingslehrern nicht aufgetaucht waren. Bei zwei der 131 aufgeführten Lehrkräfte, die regelwidrig eine evan- gelische Schulstelle besetzten, lautete die Begründung für ihren Verbleib: „(D)ie Lehrkraft will zur evangelischen Kirche übertreten.“67 Das war eine Lösung des Problems, die auch in den Jahren vorher von etlichen Leh- rern, vornehmlich Flüchtlingslehrern, praktiziert worden war. Natürlich konnte man ihnen wohlberechnete Motive für diesen Schritt nicht unterstellen, aber es wurde doch gelegent- lich ausgesprochen, was man vermutete, daß es ihnen um ihre Schulstelle ging, die von ihrem Bekenntnis abhing; und wer wollte es ihnen verdenken, wenn sie dort, wo sie nach Flucht und Vertreibung angelangt und aufgenommen worden waren, bleiben wollten. Ihre unfreiwilligen Erfahrungen hatten ihnen sicher auch zu pragmatischem Denken verholfen, und da es sich bei der gewünschten Religion auch um eine christliche handelte, schien die- ser Schritt nicht über die Maßen gravierend zu sein. Wenn man auf diese Weise die Ernährung der Familie sichern konnte, fiel der Entschluß noch leichter. Eine solche Anpassung an die sich abzeichnende Konfessionalisierung im bayerischen Schulwesen hatte im Jahr 1947 zu einem Eklat geführt. Eine Entschließung der Regierung von Oberbayern hatte im April des Jahres eine Aufstellung der evangelischen Lehrkräfte mit „Kopfzahl ihrer Familien“ verlangt,68 und der kommissarische Schulrat des Bezirks Traun- stein hatte an diese Lehrkräfte eine Rundfrage gerichtet, ob und wann sie zu konvertieren gedächten.69 Der Schulrat machte zwar geltend, daß bis dahin bereits neun Lehrer zum katholischen Glauben übergetreten waren, und er habe sie nicht zum Glaubenswechsel - weder direkt noch indirekt - veranlaßt, aber die Formulierung seiner Frage „... zu dieser Mel- dung benötige ich ... eventuell die Angabe, ob und wann Sie zu konvertieren beabsichti- gen,“70 war so unglücklich, daß die Empörung groß war und der Schulrat schließlich ent- lassen wurde. Der Fall zog Kreise; angeblich hatten sich mehrere evangelische Lehrer zum Kirchenübertritt bereiterklärt, was Kultusminister Hundhammer als „bedauerlicher als die böse Absicht des Schulrats“ hielt. Er teilte außerdem dazu mit, daß sich „in Franken umge- kehrt katholische Lehrkräfte bereiterklärt (hatten), zur evangelischen Kirche überzutreten, um ihre Lehrplätze zu behalten“.71 Der Abgeordnete Korff (FDP) meinte dazu im Landtag, daß der Vorfall zeige, „wie weite Kreise schon in Furcht sind und vor dem neuen konfes- sionellen Regiment zittern“.72 Darüber hinaus stellte eine Interpellation von Abgeordneten der FDP, SPD und der WAV die Frage, ob die Staatsregierung der Ansicht sei, „daß mit der Amtsenthebung des Schulrats von Traunstein die traurigen Folgen der Konfessionalisierung unseres öffentlichen Lebens behoben“ seien.73 Konversionen waren in der Tat eine Mög-

66 Ebda. 67 Ebda. 68 ADL Gummersbach, NL Thomas Dehler N 53-165. „Schule und Konfession“ Nr. 53 vom 14.6.1947. RE. Nr. 4021/I 1 vom 23.4.1947. 69 Ebda., „Südost-Kurier“ vom 14.6.1947. 70 Ebda., „Schule und Konfession“ Nr. 53 vom 14.6.1947. 71 Ebda., „Südost-Kurier“ vom 14.6.1947. 72 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 25. Sitzung am 17.7.1947, S. 803. 73 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler. N 53-165. Beilage 551. Interpellation. München, 15. Juli 1947. Dr. Linnert, ... (FDP), Dr. Beck ... (SPD), Noske (WAV).

496 lichkeit, eine Schulstelle zu behalten. Immer wieder wurden auch von offizieller Seite Fälle genannt, z.B. in Nürnberg, wo im Herbst 1949 über die Anstellung katholischer Flücht- lingslehrkräfte gestritten wurde.74 Die Regierung von Mittelfranken nannte drei zur evan- gelischen Kirche konvertierte Lehrer.75 Auch die Regierung von Oberbayern zeigte im sel- ben Jahr Übertritte, und zwar zur katholischen Kirche, an,76 wodurch ein Tausch mit Mit- telfranken sich erübrigte. Evangelische Pfarrer berichteten, gewiß nicht ohne Sorge, von „einige(n) Konversionen“ in überwiegend katholischen Gegenden, z.B. im Dekanatsbezirk Kempten.77 In dem ausführlichen Schreiben der Regierung von Mittelfranken vom 6. Febru- ar 1950 über die noch andauernden regelwidrigen Besetzungen von Schulstellen im Regie- rungsbezirk hieß es u.a.: „Drei Lehrkräfte traten zur evangl. Kirche über, weitere äußerten die Absicht zu konvertieren.“78 Offensichtlich war das wirklich ein probates Mittel, um Ver- setzungen bzw. sogar Entlassungen zu umgehen.79 Insofern erwies sich die Aussage des Abgeordneten Beck (SPD) während der Landtagsdebatte über das Schulorganisationsge- setz im Juli 1950 als zutreffend. Er meinte: „...(d)ann wird ... durch den schönen Satz ‚Der Gesamtunterricht an dieser Schule hat dem Geiste dieses Bekenntnisses zu entsprechen‘ das Konvertieren beginnen ...“80 Da aber in Bayern bereits mit Amtsantritt Kultusminister Hundhammers die Konfessionalisierung bzw. Re-Konfessionalisierung der Volksschulen vor- angetrieben worden war, die durch das Gesetz eigentlich nur bestätigt wurde, hatte das Konvertieren schon früher begonnen. Die Versetzungen der Lehrkräfte zum Zwecke der konfessionellen Bereinigung der Schulstellen wurden nicht nur durch den Widerstand der Betroffenen oder involvierter Grup- pen und Personen gehemmt; ein Haupthindernis, wie die Regierung von Oberfranken mit- teilte, war die gespannte Wohnraumlage. Es war z.B. unmöglich, für die evangelische Schu- le in Bamberg verheiratete Lehrer, womöglich mit größerer Familie, anzustellen. Nur unver- heiratete konnten in der Stadt untergebracht werden.81 Auch auf dem Land sei die Situati- on schwierig, da die Dienstwohnungen, die häufig von fremden Personen belegt seien oder von Lehrern, die in Ruhestand gingen, infolge Wohnraummangel nicht geräumt werden könnten.82 Mittelfranken teilte wenig später mit, daß Versetzungen „vor allem auch an der Wohnraumfrage“ scheiterten.83 Denn wenn für die Familie keine Unterkunft vorhanden sei,

74 siehe S. 490. 75 BayHStA München. MK 61932. Schreiben der Regierung von Mittelfranken am 18.10.1949 an das Staats- ministerium für Unterricht und Kultus. Bezug: ME vom 7.10.49 Nr. IV 64105. 76 Ebda., Schreiben der Reg. v. Obb. am 28.12.49 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 77 LKAN. LKR VI 1105 (3113). Abschrift (ohne Unterschrift) eines Briefes vom 13.1.1951. „Sehr geehrter Herr Amtsbruder,“ ... 78 BayHStA München. MK 61932. Schreiben Nr. V/2-1136a 198-3 der Regierung von Mittelfranken am 6.2.1950 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Bezug: ME vom 25.9.49 Nr. IV 67109 und vom 5.1.1950 Nr. IV 67109I. 79 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler. N1-946. Schreiben des Privatmannes Hellmut H., Sulzdorf b. Königs- hofen im Grabfeld am 28.5.1949 an Thomas Dehler; BayHStA München. MK 61932. Schreiben der Reg. v. Niederbayern am 23.12.1950 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Die Zahl der katholischen Lehrer an einer evangelischen Bekenntnisschule betrug in diesem Reg. Bezirk nur 1. Der Lehrer Franz K. konn- te mit Zustimmung des Evang.-Luth. Landeskirchenrats an der evangelischen Bekenntnisschule in Deggen- dorf bleiben, da „K... in nächster Zeit konvertieren (will).“ 80 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 168. Sitzung am 5.7.1950, S. 592. 81 BayHStA München. MK 61932. Schreiben der Regierung von Oberfranken am 3.5.1950 an das Staatsmini- sterium für Unterricht und Kultus. Betr.: Regelwidrige Besetzung von Volksschulen. Bezug: Schreiben des Lan- deskirchenrats vom 4.2.1950. 82 Ebda. 83 Ebda., Schreiben der Regierung von Mittelfranken am 15.5.1950 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus.

497 gerate der Lehrer in große finanzielle Schwierigkeiten, da ein getrennter Haushalt geführt werden müsse. Da meistens die Flüchtlingslehrer zur Disposition stünden, die sich mit Leih- gaben notdürftig eingerichtet hätten, könne ihnen ein zweiter Haushalt kaum zugemutet werden.84 Immerhin teilte die mittelfränkische Regierung mit, daß mit Beginn des Schul- jahres 1949/50 noch 56 evangelische Flüchtlingslehrer, und damit alle zur Anstellung geeig- neten, untergebracht werden konnten. Auch habe man seit 1946 kontinuierlich regelwi- drige Besetzungen vermindert. Waren es zu der Zeit noch ca. 300 Stellen, so gelang es, ihre Zahl bis zum 15. April 1950 auf 127 zu verringern.85 Nicht möglich sei es allerdings, evan- gelische Lehramtsanwärter aus anderen Regierungsbezirken zu übernehmen und katholi- sche abzugeben, denn wenn sie keinen Beschäftigungsauftrag erhielten, würden sie nichts verdienen und seien ganz auf den Unterhalt durch die Eltern angewiesen.86 Nachdem die beiden Regierungen die noch bestehenden regelwidrigen Besetzungen erklärt hatten, kam es im Ministerium Ende Juli zum Entwurf eines Antwortschreibens an den Evang.-Luth. Kirchenrat, mit Bezug auf dessen Brief vom 4. Februar 1950.87 Darin strich Kultusminister Hundhammer folgenden ganzen Abschnitt: „Dazu kommt, daß in diesen Gebieten (Oberfranken und Mittelfranken) verschiedentlich die Tendenz zur Gemein- schaftsschule besteht, die nicht dadurch verstärkt werden soll, daß Lehrer, die die Achtung und Wertschätzung der örtlichen Stellen gewonnen haben, gegen den Willen der Eltern, der Gemeinden und Schulpflegschaften, womöglich auch der örtlichen Geistlichen, weg- versetzt werden. Es ist den Regierungen deshalb beizustimmen, wenn sie es nicht erst zu Schulstreiks kommen lassen, zumal die Erfahrung ergeben hat, daß diese Sachen der Bekenntnisschule mehr zu schaden als zu nützen geeignet sind.“88 Offensichtlich hielt Hundhammer kurz vor dem in Kraft tretenden Schulorganisationsgesetz die Formulierun- gen für nicht opportun zur strikten Durchführung des Gesetzes, wurden hier doch alle Instanzen aufgezählt, die auch gegen das Gesetz sein konnten. Kurz vorher hatte er im Fall Staudach-Egerndach ja bewiesen, daß er seine Pläne ganz rigide durchsetzte. Außerdem konnte er zu dem Zeitpunkt schlecht die Regierung von Mittelfranken loben, über deren hemmende Wirkung sich Fraktionsführer Meixner beklagt hatte.89 Der andauernde Schul- streit in Nürnberg hatte für diese Region auch wenig Sympathie bei ihm aufkommen las- sen, wie überhaupt die politischen Verhältnisse in beiden Regierungsbezirken sicher nicht nach seinem Geschmack waren. Ob aus dem Briefentwurf tatsächlich ein Schreiben an den Landeskirchenrat wurde, war nicht feststellbar. Mit der Durchführung des Schulorganisationsgesetzes änderte sich das Bild etwas. Im April 1951 teilte Schulrat Schlamp von der Regierung von Mittelfranken nach München mit, daß nun, ohne daß die Errichtung von Gemeinschaftsschulen mitgerechnet worden war, 124 evangelische Lehrkräfte überflüssig würden - es waren ja eine ganze Reihe katho- lischer Zwergschulen errichtet worden -, 186 katholische Lehrer aber noch untergebracht werden könnten.90 Ob diese Zahlen dann tatsächlich zutrafen oder ob eine große Anzahl evangelischer Kräfte an den Gemeinschaftsschulen untergebracht wurde, war nicht fest- stellbar, jedenfalls wurden im März 1952 wieder 76 bekenntniswidrig besetzte evangelische

84 Ebda. 85 Ebda. 86 Ebda. 87 siehe S. 492. 88 BayHStA München. MK 61932. Entwurf eines Schreibens des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 31.7.1950 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat. 89 siehe S. 451. 90 BayHStA München. MK 61203. Schreiben des Regierungs- und Schulrats Rudolf Schlamp am 13.4.1951 an Reg. Dir. Bläsing, Bay. Staatsministerium für Unterricht und Kultus.

498 Schulstellen gemeldet,91 die der Landeskirchenrat gerne mit evangelischen Flüchtlingsleh- rern besetzt gesehen hätte, auch wenn dadurch die Quote überschritten worden wäre, da es „für unsere evangelischen Schulen und ... für unsere evangelische Bevölkerung eine große Enttäuschung wäre, wenn in den nächsten Jahren evangelische Schulstellen nicht oder mit katholischen Bewerbern besetzt werden müßten“.92 Man hatte nämlich mit Sorge gesehen, daß die Zahl der evangelischen Bewerber zum Pädagogischen Lehrgang 51/53 hinter den Erwartungen zurückgeblieben war und statt des für Evangelische vorgesehenen Prozentsatzes von 27,3 % nur ein Prozentsatz von 19,5 % aller Bewerber an staatlichen und privaten Lehrerbildungsanstalten evangelisch war.93 Im Oktober 1952 nannte die Regie- rung von Mittelfranken 79 fehlende evangelische Lehrkräfte, die man zur Besetzung der Stellen „im Sinne der Kirchenverträge“ benötige.94 Ab Februar 1953 konnten Flüchtlings- lehrer wieder nach Bedarf eingestellt werden, während dies vorher nur möglich gewesen war, wenn sie als Spätheimkehrer oder Schwerbeschädigte anerkannt wurden.95 Trotzdem gab es am 1. Juli 1953 an evangelischen Bekenntnisschulen in Mittelfranken noch 53 und in Oberfranken 57 katholische Lehrkräfte, während die anderen Regierungsbezirke keinen, einen oder höchstens (Unterfranken) drei meldeten.96 Auch 1954 gab es diese Fälle noch: 46 in Mittelfranken und 40 in Oberfranken. Oberbayern nannte zum selben Zeitpunkt (1. Januar 1954) dagegen 21 evangelische Lehrer, die an katholischen Bekenntnisschulen unter- richteten.97 Die Versetzung evangelischer Lehrer nach Franken, wo sie in Schulen ihres Bekennt- nisses eingesetzt werden konnten, entsprach den Bestimmungen des Schulorganisations- gesetzes und war im Sinne des Kultusministers und der Kirchen. Ein nach Nürnberg ver- setzter Lehrer gab Oberkirchenrat Schieder zu verstehen, daß man die Aktion von einem ganz anderen Gesichtspunkt aus betrachten konnte. Er schrieb: „Wir haben in Südbayern 22 evang. Lehrer durch Versetzung nach Mittelfranken eingebüßt. Gott gebe es, daß es nur bei dieser Zahl bleibe. Wie sich aber dieser Verlust moralisch auf die evang. Massen ausge- wirkt hat, könnten unsere hierhergekommenen Kollegen erzählen. Pfarrer und Lehrer waren in unseren Gebieten98 die ehernen Säulen der Standhaftigkeit und des Glaubens, wonach sich das Volk ausrichtete.“99

91 Ebda., MK 62004. Schreiben Nr. V-1191 f 11 der Regierung von Mittelfranken am 19.3.1952 an das Staats- ministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Einstellung von evang. Flüchtlingslehrkräften. Zur ME. vom 3.3.1952 Nr. IV 2889. 92 Ebda., Schreiben Nr. 369 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats am 10.1.1952 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 93 Ebda.; Ebda., Schreiben Nr. IV 2889 des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 16.2.1952 an alle Regierungen. 94 Ebda., Schreiben Nr. V-1156 a 87 der Regierung von Mittelfranken am 17.10.1952 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betr.: Einstellung von Lehrkräften in den bayerischen Volksschuldienst. Zur ME vom 2.9.1952, Nr. IV 68784. 95 Ebda., Schreiben Nr. IV 25864/52 des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 14.2.52 an den Evang.- Luth. Landeskirchenrat. 96 Ebda., MK 61932. Staatsministerium für Unterricht und Kultus am 14.8.1953. Aufstellung über bekenntnis- gleiche Besetzung der Schulstellen an Bekenntnisschulen. Stand: 1.7.1953. 97 Ebda., Staatsministerium für Unterricht und Kultus am 29.1.1954: Aufstellung über bekenntnisgleiche Beset- zung der Schulstellen an Bekenntnisschulen. Stand: 1.1.1954. 98 Gemeint war die verlorene Heimat. 99 LKAN. Kreisdekan Nbg. 251. Schreiben des Lehrers a. DV. Rudolf F., Nürnberg, am 14.7.1950 an Herrn Ober- kirchenrat Schieder. Betreff: Bitte um Hilfe für die nach Mittelfranken versetzten Lehrer.

499 8.2.2. „Lehrer müssen freie Menschen sein.“1

Mit diesem Slogan versuchte die FDP, eine kritische Debatte zu initiieren. Die aufge- fundenen Quellen zeigen, daß die Haltung der Volksschullehrer zur Frage der Bekenntnis- schule durchaus ambivalent war. Huelsz glaubte später, daß die Mehrheit der Lehrer die Konfessionalisierung des Schulwesens ablehnte, und kam zu der Frage, wie „eine Bekennt- nisschule über ihre formale Institutionalisierung hinaus verwirklicht werden“ könne, „wenn in ihr Lehrer tätig sind, welche die konfessionelle Erziehung aus pädagogischen Gründen verneinen“.2 Die FDP sah Anzeichen dafür, daß dem Lehrerstand das „Rückgrat gebrochen“ worden und seine geistige Freiheit nicht mehr gewährleistet sei; arme Sklaven seien übrig- geblieben, „die sich dem Gebot der Kirche murrend fügen“. Katholische Lehrer würden protestantisch und protestantische katholisch, Ehescheidung sei unmöglich, da sie die mate- rielle Existenz bedrohe. Es sei nicht verwunderlich, wenn die Lehrer „unter solchem inneren Gewissenszwang“ ihre wahre Gesinnung zu verbergen wüßten. Zwangsläufig würden sie zu Heuchlern.3 Es gebe in Bayern keinen Lehrer mehr, der es wage, seine Meinung frei zu äußern, und wenn einer gar zugebe, er sei Anhänger der christlichen Gemeinschaftsschu- le, so werde er „auf die Straße geworfen oder in den Bayer. Wald, in das letzte Dorf ver- setzt, wo er verkommen kann“. Der Lehrerstand, der die Schüler zu geistiger Freiheit erzie- hen solle, sei „geistig versklavt“.4 Auch die FDP im Bayerischen Landtag forderte anläßlich der Debatte um das Schulorganisationsgesetz die Lehrerpersönlichkeit, „der geistige Frei- heit höchstes Gut ist und Mittel zu einem guten Wirken“.5 Sie müsse befreit sein „von den Fesseln der Bevormundung so vieler Art, gesellschaftlich gesichert, ausgestattet mit allen Bildungsmöglichkeiten und geachtet ...“6 Die „kulturpolitischen Forderungen der SPD“ aus dem Jahr 1950 befaßten sich eben- falls mit der absurden Situation der Lehrer: „Die jungen Leute ... wissen genau, daß sich an jede Stelle, die sie sich durch Widerstand gegen die zu sehr betonte Konfessionalisierung ... verscherzen, 10 andere Bewerber drängen. Um leben zu können, machen sie jedes Zuge- ständnis, wenn auch ohne innere Bereitschaft. ... Daß auf diese Weise Charakterlosigkeit und Scheinheiligkeit gezüchtet wird, liegt auf der Hand.“7 Nach Verabschiedung des Schulorganisationsgesetzes monierte der Bayerische Leh- rerverein einzelne Bestimmungen, z.B. die in sich unlogische Forderung, an der Bekennt- nisschule die Schüler nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses zu unterrich- ten und zu erziehen und dabei die religiösen Empfindungen der Minderheit zu achten. Wie ein Lehrer diesem Anspruch genügen könne, „wurde nie gesagt, nie erläutert, nie erwie- sen“. Ein solches Bemühen müsse zwangsläufig ein pädagogischer Kompromiß sein und laufe auf die christliche Gemeinschaftsschule hinaus.8 Die Frage des Religionsunterrichts machte ebenfalls Kopfzerbrechen. Art. 136 (BV) legte fest, daß „kein Lehrer ... gezwungen oder gehindert werden (könne), Religionsunter-

1 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler. N1-137. Freie Demokratische Partei Bayern. Protokoll der Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses in München am 10.10.1954. Titel einer „Lehrer-Broschüre“ 1953. 2 Huelsz, S. 189 f. 3 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler. N1-2204. Abschrift einer Rede Thomas Dehlers am 9.6.1950 in Reck- linghausen. (Dehler nannte diese Abschrift eine „Mischung aus Dichtung und Wahrheit“.). 4 Ebda., NL Thomas Dehler. N1-41. Rede Thomas Dehlers am 11.7.1949 in Bayreuth, S. 10; Die Bayer. Schule, 3. Jg. 1950, S. 309. 5 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 168. Sitzung am 5.7.1950. 6 Schule und Gegenwart, 2. Jg. 11/1950, S. 60. 7 AdsD Bonn. LV Bayern I/11. Der Kochel-Brief. Mitteilungsblatt der Georg von Vollmar-Schule. Nr. 12/Dez. 1950, S. 128. 8 Die Bayerische Schule. 7. Jg. Nr. 4 vom 5.2.1954, S. 42; Archiv des BLLV. Wilhelm Ebert, Leiter der Schulpoli- tischen Hauptstelle des BLLV: „Lehrerschaft, Schulpolitik und Landtagswahlen.“ Vortrag in Weißenburg am 3.7.1954, S. 16; Buchinger, S. 520.

500 richt zu erteilten“.9 Thomas Dehler (FDP) hatte zwar im Verfassungsausschuß der Verfas- sunggebenden Landesversammlung versucht, den von seiner Partei vertretenen Laizismus durchzusetzen, und gefordert, daß der Religionsunterricht von den Vertretern der Religi- onsgemeinschaften zu erteilen sei, aber sein Antrag wurde ebenso abgelehnt wie der Wunsch Schirmers (KPD) nach der Formulierung: „Der Staat gibt allen Religionsgemein- schaften die Möglichkeit zur Erteilung des Religionsunterrichts.“10 Der SPD-Kultusminister Fendt vertrat im Herbst 1945 auch die Ansicht, daß Religionsunterricht ausschließlich durch die Geistlichen erteilt werden solle.11 Da nämlich Absatz 2 des Art. 136 lautete, „Der Reli- gionsunterricht ist ordentliches Lehrfach aller Volksschulen, Berufsschulen, mittleren und höheren Lehranstalten“,12 machte man sich offensichtlich den Gedankengang aus dem „Bayerischen Volksschulrecht“ von 1926 zu eigen, daß der Staat „durch die Aufnahme des Religionsunterrichtes als ordentliches Lehrfach (anerkenne), daß die Erteilung dieses Unter- richtes wie die des übrigen Unterrichtes eine schulische Angelegenheit (sei) und ... daher auch die Volksschullehrer hierfür zu Verfügung“ stelle.13 Damals sprach man von der „‘Mit- wirkung‘ der Volksschullehrer“ bei der Erteilung des Religionsunterrichts und meinte damit, daß „in der Regel“ der Unterricht zwischen den Geistlichen und Lehrern geteilt wurde.14 Dieses Verfahren erschien der evangelischen Kirche auch nach dem Krieg recht probat, während der damalige Kultusminister Fendt es ablehnte, „weil dabei der Lehrer gar zu leicht bloß als der untergeordnete Helfer des Pfarrers erscheint, auf den der Pfarrer den Teil des Unterrichts ablädt, den er selbst zu halten nicht bereit ist“.15 Natürlich konnte ein Lehrer es gemäß Art. 136 (3) BV ablehnen, Religionsunterricht zu erteilen. Dazu war die „ausdrückliche Willenserklärung“ erforderlich, wie die „Bekannt- machung über die Erteilung des lehrplanmäßigen Religionsunterrichtes an den Volksschu- len“ vom 15. Okt. 1947 sie vorsah.16 Spätestens acht Tage nach Schulbeginn hatte der Leh- rer schriftlich oder mündlich seine Erklärung, daß er den Unterricht nicht mehr halten wolle, abzugeben. In jedem Fall gelangten die Erklärungen ans Schulamt. Bemerkenswert war der Satz: „Der zuständige Religionslehrer ist jeweils unverzüglich zu verständigen.“ Das konnte damals fast ausschließlich der Pfarrer sein, so daß auch hier von einer geistlichen Schulauf- sicht gesprochen werden konnte. Eine „Bekanntmachung über die religionspädagogische Prüfung für das Lehramt an Volksschulen“ vom 31. Mai 1949 sorgte für Irritationen und war insgesamt dem Verhältnis zwischen Lehrern und Pfarrern nicht unbedingt dienlich. „... Lehrkräfte, die an Bekenntnis- schulen verwendet werden sollen, haben die Lehrbefähigung für den Religionsunterricht nachzuweisen. Es wird ihnen deshalb nahegelegt, die religionspädagogische Prüfung für das Lehramt an Volksschulen ... abzulegen.“17 Wie diese Bekanntmachung mit Art. 136 (3) BV zu vereinbaren war, war sicher manchem Zeitgenossen unklar. Auch ein anonym blei-

9 GVBl. Nr. 23/1946, S. 342. 10 Nawiasky/Leusser, S. 216. 11 LKAN. LKR VI 1100a (3064). „Schulpolitische Verhältnisse.“ Bericht über den Besuch Fendts bei Bischof Mei- ser am 5.10.1945, verfaßt von D. Meiser. 12 GVBl. Nr. 23/1946, S. 342. 13 Hans Meinzolt: Bayerisches Volksschulrecht. Ein Wegweiser durch das Gebiet der Volksschule in Bayern. (Dr. Hans Meinzolt, Reg. Rat I. Kl. im bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus). München 1926, S. 72. 14 Ebda. 15 LKAN. LKR VI 1100a (3064). „Schulpolitische Verhältnisse“. Bericht über den Besuch Fendts bei Bischof Mei- ser am 5.10.1945, verfaßt von D. Meiser. 16 Bay BSVK, S. 298 f. KMBl. 1947 S. 107 - Nr. IV 47640. Eine nahezu identische Regelung hatte es bereits im „Bayerischen Volksschulrecht“ gegeben (Bayer. Volksschulrecht. Ein Wegweiser durch das Gebiet der Volks- schule in Bayern. Von Dr. Hans Meinzolt, Reg. Rat I. Kl. im bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kul- tus. München 1926, S. 72 ff). 17 Ebda., S. 367; KMBl. 1949 S. 84 - Nr. IV 34750. Es handelt sich beim Zitat um die „bereinigte Fassung“ der Bekanntmachung. „Schule und Gegenwart“ 9,10/1949, S. 31 zitiert: „Es besteht Veranlassung daran zu erin- nern, daß Lehrkräfte, die an Bekenntnisschulen ...“

501 ben wollender „Schullehrer“ fragte, ob es nicht mehr genüge, „nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses“ zu unterrichten. Darunter verstand er das Schulgebet, die „bekenntnistreue Gestaltung des Unterrichts“ und die „bekenntnismäßige Wahrnehmung der außerschulischen Gelegenheiten“. Er meinte, es sei nicht jedermanns Sache, über reli- giöse Dinge zu sprechen, und verstand Art. 136 (3) BV als Möglichkeit der Wahrung indivi- dueller Freiheit.18 Das vom Kultusministerium „nahegelegte“ Examen durfte aber getrost als Möglichkeit betrachtet werden nachzuprüfen, ob ein Kandidat „geeignet und bereit“19 war, an einer Bekenntnisschule zu unterrichten. Damit war die vage Formulierung greifba- rer geworden. Daß das auch so verstanden wurde, zeigt die Zuschrift eines Pfarrers auf die Bedenken des „Schullehrers“, der sich nicht vorstellen konnte, „daß ein Lehrer, der tatsäch- lich ‚geeignet und bereit ist, nach den Grundsätzen des Religionsbekenntnisses zu unter- richten und zu erziehen‘ aus Gewissensgründen außerstande sein sollte, Religionsunterricht zu erteilen“. Die vom Ministerium nahegelegte Prüfung begründete er damit, daß großer Mangel an geistlichen Religionslehrern bestehe und „hochbetagte und gebrechliche Seels- orger ... den Anforderungen der Zucht nicht mehr gewachsen“ seien, was „üble Erschei- nungen“ nach sich ziehe.20 Im übrigen hätten sich die älteren Lehrer nicht peinlich berührt gezeigt, wenn ihnen ein gewisser Anteil am Religionsunterricht angetragen worden sei. Das Verhältnis des Geistlichen zum Lehrer könne nur dann gewinnen, wenn beide sich „auf- merksam und zuvorkommend unterstützten“.21 Auf kirchlicher Seite war man gar der Ansicht, daß die Verpflichtung des Lehrers zur Erteilung des Religionsunterrichts „nicht Fes- sel, sondern Stab“ sei,22 ja, daß es viele Lehrer gebe, die gerade hierin „die Krone ihres Unterrichts“ sähen.23 Derart ideale Vorstellungen verloren sich im Zuge der Auseinandersetzungen um die Bekenntnisschule, jedenfalls wurden Zweifel gehegt, ob die Absicht des Kultusministeriums, „auf die Lehrer, die noch keinen Religionsunterricht erteilen, einen gewissen Druck aus- zuüben“, besonders glücklich sei. Man wollte über diese Frage zusammen mit dem Beauf- tragten für kirchliche Unterweisung, Pfarrer Frör, und „sachverständigen Lehrern“ in Nürn- berg eine Besprechung abhalten.24 Möglicherweise war ein Ergebnis der Besprechung, daß der Bayerische Lehrerverein zum Schulorganisationsgesetz folgende Sicherung anstelle Zif- fer 11 (V) beantragte: „Die Nichterteilung des Religionsunterrichtes durch eine Lehrkraft ist, wenn sie nicht aus ausgesprochener grundsätzlicher Gegnerschaft gegen das betreffende Bekenntnis erfolgt, kein Grund zur Nichtverwendung an einer Schule dieses Bekenntnisses oder zu irgendeiner dienstlichen Beanstandung.“25 Einzelne Pfarrer nahmen die Sache gleich selbst in die Hand. So berichtete Wilhelm Ebert, daß in seiner Schule in Dachau, wo er als junger Lehrer unterrichtete, der katholische Prälat von Klassenzimmer zu Klassenzimmer ging und die einzelnen Lehrer unterschreiben ließ mit dem Bemerken: „Gelt, Sie geben doch auch Religionsunterricht?“ Später stellten die Kollegen fest, daß jeder diesen Besuch gehabt und jeder in seiner Verblüffung unter- schrieben hatte. Man fühlte sich überfahren und teilte dem Prälaten schriftlich mit, daß man die Unterschrift zurückziehe.26 Für Ebert war der Umstand, daß die katholische Kirche der-

18 Schule und Gegenwart. 9,10/1949, S. 31. 19 § 6 (2) SchOG vom 8.8.1950 (GVBl. S. 159). 20 Schule und Gegenwart. 1/1950, S. 25. 21 Ebda. 22 LKAN. Kreisdekan Nbg. Nr. 42. Schreiben am 4.3.1949 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat. Betr.: Hirten- brief. gez. Schieder. 23 Ebda., LKR VI 1100a (3064). „Schulpolitische Verhältnisse.“ Bericht über den Besuch Fendts bei Bischof Mei- ser am 5.10.1945, verfaßt von D. Meiser. 24 Ebda., 1105 (3113). Haussitzung am 4.4.1951. 25 Ebda., 1105 Bd. 1 (3113). Schreiben des Bayerischen Lehrervereins, Schulpolitische Hauptstelle, am 6.5.1950 an den Bayer. Landtag. Betrifft: Schulorganisationsgesetz, S. 5. 26 Gespräch mit Herrn Dr. Wilhelm Ebert, München.

502 art in das Schulleben eingreifen und ein Pfarrer am Schulleiter vorbei an dessen Schule agie- ren konnte, der Anstoß für intensive Verbandsarbeit im Bayerischen Lehrerverein. Manch anderer Lehrer trug schwer an dem Widerspruch zwischen Art. 136 (3) der Verfassung und Ziffer 11 (V) der Ausführungsbestimmungen des Schulorganisationsgeset- zes, welche besagte, daß die Niederlegung des Religionsunterrichts „für sich allein ... nicht in jedem Falle ein genügender Beweis dafür (sei), daß die betreffende Lehrperson den ... Bestimmungen der Kirchenverträge nicht mehr entspricht“.27 Der Lehrer Kurt G. aus Gastenfelden bei Rothenburg o.T. sah diese Formulierung eher im negativen Sinn, nämlich daß die Nichterteilung des Religionsunterrichtes die Abweichung von einer selbstverständ- lichen Norm darstellte und unter Umständen die mangelnde Eignung für die Bekenntnis- schule dokumentierte. G. fragte in einem Schreiben an die Landesleitung der SPD an, ob es unter einer SPD-Mehrheit im Landtag möglich sei, „einem Lehrer die Anstellung zu versa- gen, weil er im Vertrauen auf Art. 136 der Verfassung keine Religionsprüfung ablegen will“.28 Die Zweifel darüber, ob ein Lehrer in Bayern ein Staatsbürger mit allen Rechten sei, wurden auch genährt durch Ziffer 10 (VIII) der Ausführungsbestimmungen zum Schulorga- nisationsgesetz: „Die Lehrer haben sich jeder Beeinflussung der Erziehungsberechtigten in der Wahl der Schulart zu enthalten und dürfen auch nicht dulden, daß solche Beeinflussung in den Räumen und auf dem Grundstück des Schulgebäudes von anderen Personen aus- geübt wird.“29 Es hatte schon einmal im Jahr 1949 eine Interpellation an die bayerische Staatsregierung bzw. eine Anfrage im Landtag gegeben, ob es rechtens sei, den Oberlehrer a.D.V. Richard P., der im Interesse der Schüler die Gemeinschaftsschule in Neukirchen bei Sulzbach-Rosenberg erhalten wollte, nach Eslarn an der tschechischen Grenze zu verset- zen.30 Kultusminister Hundhammers Erklärung dazu lautete, daß in Sulzbach-Rosenberg „eine doppelte, das heißt eine katholische und eine evangelische Konfessionsschule“ vor- handen sei. Der Lehrer habe sich aber „außerordentlich tatkräftig für die Errichtung einer Gemeinschaftsschule eingesetzt, so daß Bedenken gegen die Tätigkeit dieses Lehrers gel- tend gemacht worden“ seien. Hier sei wohl nicht gewährleistet gewesen, daß es sich um einen Lehrer gehandelt habe, der gewillt und geeignet gewesen sei, die Schüler im Geiste des betreffenden Bekenntnisses zu unterrichten.31 Welcher Art die Schule an der tschechi- schen Grenze war, wurde nicht gesagt, aber es erhebt sich die Frage, warum dieser Lehrer den Schülern dort zugemutet werden konnte. Diskussionen dieser Art mochten den Bayerischen Lehrerverein bewogen haben, sei- nerseits Ergänzungen zum Schulorganisationsgesetz vorzuschlagen: „So lange es Geistli- chen, Schulaufsichtsbeamten und Lehrkräften gestattet ist, für die Bekenntnisschule zu wer- ben, muß auch Anhängern der Gemeinschaftsschule unter den Lehrenden das Recht zuge- standen werden, für diese Schulart einzutreten.“32 Auch forderte er, daß „(b)ei der Ernen- nung von Schulleitern, mittleren und höheren Schulaufsichtsbeamten ... lediglich dienstli- che Qualifikation und menschliche Qualität, nicht aber Konfession, Parteizugehörigkeit und Eintreten für eine bestimmte Schulart maßgebend sein“ dürften.33

27 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Amtsblatt für die Evang.-Luth. Kirche in Bayern. Nr. 1, 16.1.1951, S. 3. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 23.11.1950 Nr. IV 82434. 28 AdsD Bonn. Schreiben des Kurt G. aus Gastenfelden am 18.1.1951 an die Sozialdemokratische Partei - Lan- desleitung - München. 29 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Amtsblatt für die Evang.-Luth. Kirche in Bayern. Nr. 1, 16.1.1951, S. 6. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 23.11.1950. Nr. IV 82434. 30 ACSP München. NL Seidel. Beilage 2594 vom 22. Juni 1949, Linnert und Fraktion (FDP), Stock und Fraktion (SPD); Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 106. Sitzung am 6.4.1949, S. 870. 31 Ebda., S. 871. 32 LKAN. LKR VI 1105 Bd. 1 (3113). Schreiben des Bayerischen Lehrervereins am 6.5.1950 an den Bayer. Land- tag. Betrifft: Schulorganisationsgesetz, S. 4. 33 Ebda.

503 Ziffer 10 (VIII) der Ausführungsbestimmungen legte ja auch fest, daß „in den Räu- men und auf dem Grundstück des Schulgebäudes“ keine Beeinflussung der Erziehungsbe- rechtigten hinsichtlich einer bestimmten Schulart stattfinden dürfe.34 Hier war die Wurzel einer weiteren Debatte, ging es doch darum, ob ein Lehrer gehindert werden konnte, in seiner Dienstwohnung (sic!) oder im Schulgarten seine Meinung frei zu äußern. Daß mit dieser Bestimmung von Amts wegen Werbung für die Gemeinschaftsschule verhindert wer- den sollte, schien allen Beteiligten klar zu sein. Der Abgeordnete Kahler (SPD) beantragte im Bayerischen Landtag, diesen Absatz aus den Ausführungsbestimmungen aufzuheben, da er verfassungswidrig sei. Er widerspreche „dem Wortlaute wie dem Geiste nach sowohl der Bayerischen Verfassung als auch dem Bonner Grundgesetz“.35 Für Tausende von Leh- rern, welche in Dienstwohnungen lebten, bedeute er den „Maulkorbzwang in der eigenen Wohnung“. Diese Lehrkräfte dürften „weder in ihrer privaten Wohnung noch beispiels- weise in ihrem Garten mit irgendwelchen Erziehungsberechtigten über die Frage der Schulart sprechen ... Mit der strengen Auslegung dieser Ausführungsbestimmung - und es besteht kaum ein Zweifel, daß die überwiegende Mehrzahl der bayerischen Schulauf- sichtsorgane sich als sehr gewissenhaft erweisen wird - soll also die bayerische Lehrerschaft mundtot gemacht werden. Dies zu einem Zeitpunkt, da andere Institutionen, die nur mit- telbar Träger der schulischen Bildung sind, in der ‚Beeinflussung der Erziehungsberechtig- ten in der Wahl der Schulart‘ höchste Aktivität entwickeln“.36 Es lasse sich aus dem Geset- zestext des SchOG „weder eine Berechtigung noch eine Notwendigkeit für die in den Aus- führungsbestimmungen vorgesehene Beschränkung der Meinungsäußerung der Lehrkräf- te ableiten“. Zweifellos handle es sich im vorliegenden Fall um einen „Verstoß gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, wie sie in Art. 18 (GG) formuliert ist ... denn mittels der beanstandeten Durchführungsverordnung zum SchOG (werde) die verfas- sungsmäßig vorgesehene Errichtung von Gemeinschaftsschulen zugunsten der Bekennt- nisschulen vorsätzlich erheblich behindert: Wer die Freiheit der Meinungsäußerung ... zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ mißbrauche, verwirke diese Grundrechte. Der Tatbestand der Verfassungswidrigkeit sei gegeben, da die beabsichtigte Meinungsbeschränkung der Lehrkräfte einen derartigen Mißbrauch darstelle.37 Unbehagen über diese Bestimmung beschlich vor allem die Verfechter der Gemein- schaftsschule. Der Vorsitzende der Schulpflegschaft und zugleich 1. Bürgermeister von Leip- heim erbat vom Bezirksschulrat in Günzburg Auskunft darüber, ob der umstrittene Abschnitt sich nur auf die amtliche Tätigkeit des Lehrers beziehe oder ob damit jede freie und private öffentliche Meinungsäußerung im Sinne des Art. 110 (BV) verboten werden solle.38 Bürgermeister Schmidt begründete in einem Schreiben an den Landtagsabgeord- neten Anton Baur, daß es ihm so vorkomme, als wolle man mit der Bestimmung den Leh- rern, „die fast die einzig Berufenen sind, Aufklärung in die Bevölkerung zu tragen,“ den Mund stopfen. „Wenn die Lehrer nicht reden dürfen, reden allein die Pfarrer, die nicht gehemmt werden.“39 Der Abgeordnete sagte dazu, Innenminister Hoegner habe ihm mündlich mitgeteilt, „daß es der Lehrerschaft nicht verwehrt werden kann, außerhalb der

34 Ebda., Amtsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern. Nr. 1, 16.1.1951, S. 6. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 23.11.1950. Nr. IV 82434. 35 AdsD Bonn. SPD-Landtagsfraktion Bay 160. (SPD-LTF Bay) allg. Korresp. I-R. 4/-8/51. 36 Ebda. 37 BayHStA München. MK 61220. Antrag des Otto Kahler, Marktredwitz, am 26.3.1951: Der Landtag möge beschließen ...; Ebda., Ausschuß f. Kulturpolitische Angelegenheiten. 11. Sitzung am 14.11.1951. Bespre- chung einer Eingabe von Otto Kahler, betr. Verfassungswidrigkeit von Ausführungsbestimmungen zum SchOG. 38 Ebda., Schreiben des Stadtrats Leipheim, 1. Bürgermeister Schmidt, Vorsitzender der Schulpflegschaft, am 29.12.1950 an den Bezirksschulrat in Günzburg. 39 Ebda., Schreiben des 1. Bürgermeisters von Leipheim, Schmidt, am 31.12.1950 an Anton Baur, MdL.

504 Schulräume zu der Frage der Gemeinschafts- oder Bekenntnisschulen Stellung zu nehmen ...“40 Der Entwurf einer schriftlichen Antwort an Schmidt aus dem Kultusministerium zeig- te jedoch Vorbehalte: „Auch die diesbezügliche außeramtliche Meinungsäußerung von Lehrkräften muß nach den Verfassungsbestimmungen dort eine Grenze finden, wo sie etwa von den Erziehungsberechtigten als eine Einschränkung ihrer Wahlfreiheit empfunden würde ... (Es werde) u. U. im Einzelfall, nämlich dann, wenn Lehrkräfte von Bekenntnis- schulen ihre Meinung im Sinne einer Ablehnung der Bekenntnisschule äußern, zu prüfen sein, ob diese Lehrkräfte noch im Sinne des Art. 135 (2) (BV) geeignet erscheinen, an einer Bekenntnisschule zu unterrichten und zu erziehen, und ob sie dementsprechend noch an einer Bekenntnisschule verwendet werden können.“41 Dieses Schreiben ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, und Lehrer taten gut daran, sich nicht zu sehr zu exponieren. Auch Hundhammers Nachfolger hielt den Kurs; und die SPD, Bezirk Franken, beobachtete ihn wachsam. In ihrem von kirchlicher Seite heftig angegriffenen Mitteilungsblatt Nr. 3 vom 15.3.195142 gab sie folgende Anweisung: „Da den Lehrern innerhalb des Schulgrundstücks jede Werbung für die Gemeinschaftsschule verboten ist, dürfen Versammlungen und Besprechungen nur außerhalb der Schulhäuser stattfinden. Wird ein Lehrer auf Grund der Hundhammerschen Ausführungsbestimmungen wegen seines außerhalb der Schule erfolg- ten Eintretens für die Gemeinschaftsschule von der Regierung beanstandet, so ist der Fall mit Zeugenaussagen und Abschriften sofort an den Bezirk Franken zu melden, damit gegen die Regierung Verfassungsgerichtsklage eingeleitet werden kann.“43 Noch einen Schritt weiter ging die Stadtschulbehörde Kulmbach, die versuchte, das Kultusministerium mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. An die Leitung des Oberen Schulhauses erging ein Schreiben, das sich auf den umstrittenen Absatz der Ausführungs- bestimmungen bezog und die Schulleitung darüber informierte, daß sich das „Beeinflus- sungsverbot“ durch die Lehrer selbstverständlich auch auf die Schulkinder beziehe und daß zu den Lehrern auch die Fachlehrer gehörten, also auch die Geistlichen (sic!), Englisch-, Ste- nographie- und Handarbeitslehrkräfte. „Jeder Verstoß gegen die obige Anordnung im Bereich der Schulräume und Schulgrundstücke (wozu auch gemietete Räume gehören) hat disziplinäres Einschreiten zur Folge.“ Der Schulleiter hatte das sämtlichen Lehrkräften gegen Unterschrift zur Kenntnis zu geben. Stadtschulrat Hundt und Oberbürgermeister Hagen hat- ten die Anordnung gezeichnet.44 Der Landeskirchenrat ließ diese Provokation nicht unbe- antwortet und schrieb dem Kultusministerium, „daß nach dem gültigen Lehrplan im Reli- gionsunterricht auch die ‚Kirchliche Lebensordnung‘ zu behandeln“ sei. Durch sie sei fest- gelegt, „daß der evangelische Christ für seine Kinder den Segen einer evangelischen Schu- le erstreben“ solle. Es sei also die Pflicht des evangelischen Religionslehrers, „den Kindern die Bedeutung der evangelischen Schule nahezubringen. Selbstverständlich (habe) er sich dabei der schulpolitischen Polemik zu enthalten, aber an der Sache (dürfe) er nicht vorüber- gehen“. Der Unterzeichnete Lic. Schmidt legte „entscheidenden Wert darauf ..., daß die Stadtschulbehörde Kulmbach über die Unmöglichkeit eines derartigen Eingriffs in die grundsätzliche Belehrung evangelischer Kinder belehrt“ werde.45 Staatssekretär Brenner

40 Ebda., Günzburger Zeitung Nr. 13 vom 24.1.1951. „Für christliche Gemeinschaftsschule - Lehrer haben außer- halb der Schule Meinungsfreiheit.“ 41 Ebda., Bay. Staatsmin. für Unterricht und Kultus, Ref. 3a. Entwurf für die Antwort an 1. Bürgermeister Eugen Schmidt, Leipheim, am 17.2.1951. 42 siehe S. 428. 43 BayHStA München. MK 61203. S.P.D.-Mitteilungsblatt Nr. 3. Sozialdemokratische Partei Deutschlands - Bezirk Franken. Nürnberg, den 15.3.1951. „Für die Gemeinschaftsschule!“. 44 Ebda., MK 61220. Schreiben des Stadtrats Kulmbach, Stadtschulbehörde, am 7.3.1951 an die Leitung des Oberen Schulhauses; LKAN. LKR VI 1105 (3113). 45 LKAN. LKR VI 1105 (3113) Schreiben des Evang.-Luth. Landeskirchenrats am 28.3.1951 an das Staatsmini- sterium für Unterricht und Kultus. Betr.: Durchführung des SchOG; BayHStA München. MK 61220.

505 versicherte bei einer Landesausschußsitzung der SPD, daß ein Lehrer ein Staatsbürger sei wie jeder andere und in öffentlichen Versammlungen für diese oder jene Schulform eintre- ten dürfe, daß es ihm aber „in der Schule, im Unterricht oder bei sonstigen amtlichen Gele- genheiten“ untersagt sei, Erziehungsberechtigte in Fragen der Schulform irgendwie zu beeinflussen. Das gelte natürlich auch für die Religionslerer.46 Die Diskussion hatte eine uner- wartete Wendung bekommen, über die man sicher auch im Kultusministerium nicht erfreut war. Ein Schreiben von Staatsrat Meinzolt „zum inneren Gebrauch“ im Kultusministerium dokumentierte das: „Sinn des Art. 135 Abs. 1 Satz 2 ist zweifellos nicht, die Eltern vor den Lehrkräften zu schützen, sondern sie nur gegenüber Eingriffen des Staates in Schutz zu neh- men ... Man lasse den Lehrern doch ruhig das Recht zur freien Meinungsäußerung ...; eine Entschließung, die das unterbinden will, wird immer irgendwie eine Art Eiertanz aufführen müssen.“47 Durch eine kultusministerielle Entschließung wurde den Auseinandersetzungen um das Recht der Lehrer auf freie Meinung - wenigstens formal - ein Ende gesetzt. Es hieß dort: „In Nr. 10 Abs. VIII wird nach den Worten „die Lehrkräfte haben sich“ eingefügt: „in amtlicher Eigenschaft“.48

8.2.3. Schwierigkeiten der Lehramtsanwärter

Die Anstellungsmöglichkeit und damit die wirtschaftliche Lage war für Lehramtsan- wärter, die das „unpassende“ Bekenntnis hatten, besonders schwierig. Nach Inkrafttreten des Schulorganisationsgesetzes wurde im mittelfränkischen Schulanzeiger darauf aufmerk- sam gemacht, daß „kath. Lehramtsanwärter des Regierungsbezirkes Mittelfranken ... zur Zeit ungünstige Anstellungsmöglichkeiten“ hätten. Den katholischen Absolventen der Prü- fungsjahrgänge 1947 und 1948 wurde empfohlen, sich nach Oberbayern, Niederbayern oder in die Oberpfalz zu melden.1 Ein Jahr später sahen die „Verhältnisse der Lehramtsan- wärter des Volksschuldienstes“ in Mittelfranken so aus, daß nun, zum Stand vom 15. Janu- ar 1952, die evangelischen Lehramtsanwärter des Prüfungsjahrgangs 1949, die katholischen des Prüfungsjahrgangs 1948 zur Ernennung zum Hilfslehrer anstanden.2 Ein Jahr später erst konnte man also mit seiner Ernennung rechnen als Katholik in Mittelfranken. Unter „(b)esondere Schwierigkeiten bei der Anstellung von Lehramtsanwärtern zu Hilfslehrern“ wurde aufgeführt, daß 72 % der Planstellen mit evangelischen Lehrern besetzt werden könnten, aber nur 28 % mit katholischen. Während also nur rund ein Viertel der Stellen für Katholiken frei war, betrug dagegen der Anteil der Katholiken bei den Lehramtsanwärtern 53 Prozent.3 Der Einsatz der katholischen Anwärter wurde dann auch von Seiten der evan- gelischen Kirche mit kritischem Blick beobachtet. Der Regierung von Mittelfranken ging ein

46 AdsD Bonn. SPD- Bay. Landesvorstand Nr. 115. 12/50 - 10/51. Sozialdemokratische Presse-Korrespondenz. SPD Landesverband Bayern. spk Nr. 268, 8.8.1951. „Lehrer in öffentlichen Versammlungen“. 47 BayHStA München. MK 61220. Staatsrat Meinzolt am 19.6.1951 (zum inneren Gebrauch) im Staatsministe- rium für Unterricht und Kultus. 48 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken. Ansbach, 20. Jg. Nr. 7 vom 1. Juli 1952, S. 90 f. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. v. 23.4.1952 Nr. IV 93239.

1 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken. Ansbach, 19. Jg. Nr. 1 vom 1. Januar 1951, S. 3. RE. v. 15.12.1950 Nr. 1155a 179. 2 BayHStA München. MK 62004. Verhältnisse der Lehramtsanwärter des Volksschuldienstes nach dem Stand vom 15.1.1952. Mittelfranken. 3 Ebda.

506 Schreiben des Evang.-Luth. Landeskirchenrats zu, der bemängelte, daß ein katholischer Lehramtsanwärter eine erkrankte evangelische Lehrerin an der Bekenntnisschule in Erlan- gen vertrat. Lic. Schmidt zeigte zwar Verständnis dafür, daß man Katholiken einsetzte, wenn evangelische Lehramtsanwärter nicht mehr frei waren, meinte aber, daß der Zustand in Erlangen, wo es auch Gemeinschaftsschulen gab, besonders nachteilig sei, da nämlich evan- gelische Lehrer an einer Gemeinschaftsschule tätig seien, an der evangelischen Bekennt- nisschule „eine Kraft der anderen Konfession“ eingesetzt werde. Er bat darum, „das Augenmerk darauf zu richten, ob nicht eine evangelische Kraft aus der Gemeinschaftsschule den Unterricht in der evangelischen Schule übernehmen und die katholische Ersatzkraft an der Gemeinschaftsschule eingesetzt werden“ könne. Er glaubte nicht, daß der Durch- führung seines Vorschlags nennenswerte Schwierigkeiten entgegenstünden.4 Möglicher- weise entstanden verwaltungsmäßig wirklich keine nennenswerten Schwierigkeiten bei einer solchen Verfahrensweise. Ob sie pädagogisch sinnvoll war, spielte wieder einmal keine Rolle. Die Lage für katholische Lehramtsanwärter in Mittelfranken schien nicht einfach zu sein. Im Oktober 1952 meldete die dortige Regierung einen Überhang von 80 Anwärtern, während der Bedarf von 53 männlichen und 27 weiblichen evangelischen Lehramtsanwär- tern angegeben wurde. Man wünschte den Austausch der vorhandenen Katholiken.5 Bereits ein Jahr vorher waren Kultusministerium und Vertreter der kirchlichen Oberbehör- den um einen Ausgleich bemüht gewesen, z.B. bei einer Besprechung im Ministerium im Mai 1951.6 Noch einmal hatte dann das Erzbischöfliche Ordinariat Bamberg auf die mißliche wirtschaftliche Lage der katholischen Lehramtsanwärter hingewiesen, unter denen „eine große und ständig wachsende Unzufriedenheit“ herrsche, da sie benachteiligt würden. Teil- weise hätten sie 1949 die zweite Lehramtsprüfung abgelegt und seien nun, im Juli 1951, noch nicht zu Hilfslehrern ernannt worden, während wesentlich jüngere evangelische Kol- legen bereits seit längerer Zeit als Hilfslehrer wirkten.7 Eine Anzahl der noch nicht Ernannten habe eine Familie zu versorgen, oder es seien Kriegerwitwen mit Kindern oder notleidende Flüchtlinge. Besonders verbittert waren die Betroffenen darüber, daß sie, an sich schon in der Bezahlung benachteiligt, für die Ferienzeit kein Geld erhielten und wieder um Unter- haltszuschüsse eingeben mußten.8 Da das Schreiben des Ordinariats Ende Juli 1951 das Kul- tusministerium erreichte, hoffte man sicher, daß bis zum neuen Schuljahr Abhilfe geschaf- fen würde. Die Regierungen von Mittel- und Oberfranken konnten jedoch in ihren Stellun- gnahmen zu Beginn des Schuljahrs 1951/52 keine größeren Hoffnungen machen, ja, Mit- telfranken betonte noch, daß die Verhältnisse der katholischen Lehramtsanwärter sich noch verschlechtert hätten, denn es seien vom Jahrgang 1951 53 Katholiken hinzugekommen, und während diese Zahl die Hälfte der Seminar-Absolventen betrage, könnte nur etwa ein Sechstel der mittelfränkischen Planstellen mit katholischen Lehramtsanwärtern besetzt wer- den.9 Die Regierung von Oberfranken zeichnete ein ebenso düsteres Bild und gab zusätzlich die Gründe für den beklagenswerten Zustand an. Zunächst habe es die Sperre zur Ernen- nung von Hilfslehrern gegeben, da die Lehrer, die unter Art. 131 (GG) fielen, untergebracht

4 LKAN. KRD Nbg. 239 Schreiben Nr. 6452 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats am 30.6.1952 an die Regierung von Mittelfranken. Betreff: Lehrkräfte an Bekenntnisschulen. 5 BayHStA München. MK 62004. Schreiben Nr. V-1156 a 87 der Regierung von Mittelfranken am 17.10.1952 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Zur ME. vom 2.9.1952 Nr. IV 68784. 6 Ebda., MK 61203. Besprechung im Staatsministerium für Unterricht und Kultus am 28.5.1951. 7 Ebda., Mk 61932. Schreiben Nr. 4747 des Erzbischöfl. Ordinariats Bamberg am 23.7.1951 an das Staatsmi- nisterium für Unterricht und Kultus. Betreff: Wirtschaftliche Lage der kath. Lehramtsanwärter. 8 Ebda. 9 Ebda., Schreiben Nr. V/2-1155 a 108 der Regierung von Mittelfranken am 8.9.1951 an das Staatsministeri- um für Unterricht und Kultus.

507 werden mußten.10 Als sie mit ME. vom 3. August 1951 Nr. IV 47344 aufgehoben worden war, hatte man sofort mit Ernennungen zum Hilfslehrer begonnen. Bei den katholischen Lehr- amtsanwärtern aber gab es die Schwierigkeit der bekenntnismäßigen Fehlbesetzungen; das Kultusministerium habe ja schon vor zwei Jahren der Regierung die Auflage gemacht, diese innerhalb eines Vierteljahres zu bereinigen, was bedeutete, daß etwa 150 Lehrer von evange- lischen Schulstellen abgezogen werden mußten. 80 Fehlbesetzungen seien noch zu regeln. Der Austausch scheitere daran, daß von anderen Regierungsbezirken niemand freiwillig in den oberfränkischen Schuldienst übertreten wolle. Fehlbesetzungen durch katholische Lehramts- anwärter könnten leicht behoben werden, da sie notfalls wieder als Praktikanten verwendet würden, was nicht mehr gehe, wenn sie bereits Hilfslehrer seien. Dazu bemerkte die Regierung von Oberfranken, daß von seiten der evangelischen Kirche dauernd auf die Beseitigung der Fehlbesetzungen gedrängt werde.11 Außerdem habe es eine „Fehlsteuerung bei der Aufnah- me in die Lehrerbildungsanstalten gegeben“, die diesen Überhang katholischer Lehrkräfte habe entstehen lassen, aber das sei nicht die Schuld der Regierung. Die älteren Lehramtsanwärter, die eine Familie zu versorgen hätten, seien erst nach dem Krieg in den Volksschuldienst einge- treten, und viele von ihnen seien in der Schulpraxis mit Note 4 und 5 beurteilt worden. Das erkläre ihre Zurückstellung. Das Endziel sei aber „die ordnungsgemäße Ausbildung und Unter- richtung der Kinder, nicht die Versorgung der Lehrkräfte“.12 Ein schlechter qualifizierter Lehr- amtsanwärter könne durchaus eine Schulstelle besetzen, ohne zum Hilfslehrer ernannt zu sein, das liege dann möglicherweise daran, daß er, da er Familie habe, wegen der Wohnraum- schwierigkeiten nicht versetzt werden könne. Da aber das Leistungsprinzip gelte, gehe es nicht an, ihn zu ernennen, nur weil er zufällig auf einer freien Stelle sitze. Die Regierung von Ober- franken zog das Fazit, daß eine durchgreifende Änderung der Lage der katholischen Lehr- amtsanwärter erst möglich sei, wenn das Kultusministerium einen Ausgleich innerhalb der Regierungsbezirke durchführe. Die Notlage würde sich steigern, wenn die Bereinigung regel- widriger Stellen im Regierungsbezirk beschleunigt würde.13 Der letzte Satz offenbarte den Kon- flikt, in den die Konfessionalisierung der Volksschulen die Handelnden gebracht hatte: tat man das eine, mußte man das andere unterlassen; ernannte man den notleidenden Lehramtsan- wärter zum Hilfslehrer, konnte er schwer ausgetauscht werden; verweigerte man die Ernen- nung, benötigte er u. U. öffentliche Wohlfahrtsfürsorge; drängte die evangelische Kirche auf Bereinigung der Fehlbesetzungen, implizierte das die wirtschaftliche Not der katholischen Lehr- amtsanwärter. Es war nicht verwunderlich, wenn Liberale und Sozialdemokraten die Schulpo- litik schmähten. Die Schwierigkeiten der katholischen Lehramtsanwärter auch in Mittelfranken dauerten an. Eine Absolventin der Lehrerbildungsanstalt Eichstätt, die 1953 ihre 1. Lehramtsprüfung gemacht hatte, konnte noch nicht einmal in ihrem Heimatort bei Gunzenhausen praktizieren, weil die Schule evangelisch war. Sie wurde dann, bis sie zur Unterrichtsaushilfe nach Cadolz- burg kam, in der Gemeinschaftsschule in Gunzenhausen einem Lehrer zugeteilt, dem sie – ohne Bezahlung – half, Hefte korrigierte und Stunden vorbereitete.14 Welcher verheiratete Familienvater hätte unter solchen Bedingungen arbeiten können? Auch die Regelung, daß die Ferienzeit nur bezahlt wurde, wenn der Lehramtsanwärter auch danach noch eingesetzt war, dauerte an. Die Lehramtsanwärterin P. hatte dieses Glück und erhielt im September 1954 den Abdruck des Schreibens, welches die Regierungshauptkasse anwies, die „eingewiesene Ver- gütung von monatlich 200 DM während und auch nach den Ferien fortzuzahlen“.15

10 siehe S. 165 f. 11 BayHStA München. MK 61932. Schreiben Nr. V/1-1165 d 15 der Regierung von Oberfranken am 10.10.1951 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 12 Ebda. 13 Ebda. 14 Gespräch mit Frau Hedwig Ponath, Herrieden. 15 Ebda.

508 8.3. EINSCHÄTZUNGEN

Staatsrat Meinzolt sah sich veranlaßt, im Mai 1951 dem damaligen Kultusminister Schwalber gegenüber zu äußern, daß „(d)er Staat als Hüter des Gemeinschaftslebens ... wenig Freude an der im SchOG getroffenen Regelung” erlebe. „(I)ch fürchte, daß auch die Kirchen von ihrer positiven Einstellung zum SchOG wenig Gewinn haben werden,” schrieb er nach einer Besprechung mit kirchlichen Vertretern im Kultusministerium.1 Nicht nur die im Schulorganisationsgesetz verankerten Bestimmungen forderten Kritik heraus, schon die in den Jahren davor betriebene Konfessionalisierung der Volks- schulen stieß vielerorts auf Ablehnung. Das in Bayern reinstallierte konfessionelle Schul- system nahm Die Neue Zeitung zum Anlaß zu bemerken, die Gegner seien der Ansicht, „daß sich Demokratie nicht frei unter einem System entwickeln (könne), das der Kirche die Kontrolle der Erziehung” einräumt. So gesehen wären Konfessionsschulen nicht zuläs- sig, da sie „gegen die Bestimmungen der Berliner Protokolle verstoßen”.2 Gegner der bayerischen Schulpolitik warfen Hundhammer vor, „zu eng mit der katholischen Staats- auffassung verbunden” zu sein, weshalb er nicht fähig sei, eine demokratische Gesell- schaftsordnung für die Schule zu entwickeln.3 Schon das Hinauszögern eines Gesetzes bis zum August 1950 bzw. November 1950 (Ausführungsbestimmungen) rechtfertigte die- sen Vorwurf, denn so lange dauerte es, bis zu Art. 135 (BV) genauere Bestimmungen erlassen wurden. Während dieser Zeit blockierte Hundhammer Elternabstimmungen zur Umwandlung einer bestehenden Bekenntnis- in eine Gemeinschaftsschule und behaup- tete, daß sie verfassungswidrig seien, da ein Wahlrecht erst dann wahrgenommen wer- den könne, wenn beide Schularten vom Gesetz her nebeneinander bestünden.4 Die Stim- mung, die sich im Land entwickelte, und der Streit im Zuge der Durchführung des Schul- organisationsgesetzes wuchsen sich „nachgerade zu einer Tragödie der Zwietracht aus”,5 und man muß Hartmut v. Hentig Recht geben, der die Auseinandersetzungen in den ersten zehn Jahren nach dem Krieg später als „nicht harmlos” bezeichnete.6 Was die Geg- ner der christsozialen und im besonderen der Hundhammerschen Schulpolitik erbitterte, war die Tatsache, daß nicht schulorganisatorische oder pädagogische Belange im Vorder- grund standen, sondern mit beispielloser Kompromißlosigkeit versucht wurde, überkom- mene Schultraditionen, die weitgehend aus der vorindustriellen Zeit stammten, in einer total veränderten, säkularisierten, um Demokratie kämpfenden Nachkriegsgesellschaft beizubehalten. Die damit einhergehende Verschlechterung der Schulverhältnisse, die Einengung der Volksschullehrer und die zögernde Integration der Flüchtlinge und Ver- triebenen wurden dabei billigend in Kauf genommen.7 Noch vor dem Krieg war die Volksschule in das lokale Milieu eingebunden und das konfessionelle Prinzip dadurch gerechtfertigt. Die dorfeigene Schule war Tradition, hemm- ten doch schon die Transportprobleme, z.B. fehlende Verkehrsmittel oder der Zustand der Straßen und Wege, die Weiterentwicklung zur Verbandsschule. Durch den Zustrom der Flüchtlinge und Vertriebenen wurde die Homogenität, auch die konfessionelle, aufgeho-

1 BayHStA München. MK 61203. Staatsrat Meinzolt am 15.5.1951 an Kultusminister Schwalber. Zur Bespre- chung am 2./4.5.1951; siehe S. 2 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 64 vom 12.8.46, S. 7; gemeint sind die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz. 3 Huelsz, S. 188. 4 siehe S. 378, 419 f. 5 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler. N1-138. Schreiben der Freien Demokratischen Partei Bayern, Haupt- geschäftsführung und Büro der Landtagsfraktion am 19.2.1954 an die Mitglieder des Landesvorstandes ...; „Partei und Kirche”. In: Burschenschaftliche Blätter 2/1954, S. 59. (Aufsatz aus Österreich). 6 v. Henting, S. 369. 7 Huelsz, S. 186 f; Buchinger, S. 442; Leschinsky, S. 55 ff.

509 ben, und das Festhalten an der Bekenntnisschule war anachronistisch.8 Trotzdem wollte man „mit der bekenntnismäßigen Ausrichtung der Volksschule die (vermeintlich) unan- getasteten Traditionsbestände einer abendländisch-christlichen Moralität” reaktivieren.9 Das christliche Weltbild sollte für Bayern wieder bestimmend sein; das wollte Hundham- mer, und das war auch „der zentrale politische Anspruch” der katholischen Kirche. Bles- sing sah in der Auseinandersetzung um diesen Anspruch den zentralen Punkt des Nach- kriegskatholizismus.10 Für die evangelische Kirche war die Situation weitaus komplizierter. Den Kurs des Kultusministers gegen die Militärregierung trug sie mit, war aber gleichzei- tig darauf bedacht, sich von der Übermacht der katholischen Kirche in der Schulpolitik abzugrenzen, und geriet dadurch in Opposition zu Hundhammer. Sie konnte sich aber auch nicht den schulpolitischen Forderungen von SPD und FDP anschließen, durch wel- che sie die evangelischen Bekenntnisschulen bedroht sah.11 Es war der evangelischen Kir- che im allgemeinen auch nicht daran gelegen, so massiv auf die Eltern einzuwirken; sie war zu Konzessionen bereit, wo die Not es gebot, und sie forderte vor allem dann die evangelische Schule, wo sie eine Möglichkeit sah, auch evangelische Lehrkräfte, häufig Flüchtlinge, unterzubringen. Ein weiterer Ansatz war die „bolschewistische” Bedrohung, gegen die man mit der Neuerrichtung der Bekenntnisschulen eine „immunisierende Grundlage” glaubte schaf- fen zu können.12 Die betont christliche Erziehung sollte zugleich eine solide Basis für die junge Demokratie sein. Dieser Gedankengang ließ manchen Zeitgenossen die Augen vor der Tatsache verschließen, daß die von den Nationalsozialisten – wenn auch mit fragwür- digen Methoden – durchgesetzte Gemeinschaftsschule ja eigentlich nicht so schlecht war, wenn man die bessere Differenzierung der Schulen und das Miteinander der Schüler betrachtete. Die Sorge um eine geringere Bildung und Ausbildung in den wieder zuneh- menden Zwergschulen wurde, wie dargelegt, nicht nur vom Bayerischen Lehrerverein gehegt. Im Landtag erklärte der Sprecher der CSU, daß seine Fraktion die Errichtung der Bekenntnisschulen, wie sie das Schulorganisationsgesetz vorsah, begrüßte. Das Gesetz habe die längst notwendige Rechtsklarheit geschaffen, setze die bayerische Schultradition fort, erfülle die Verfassungsbestimmungen, wahre das Elternrecht, „und zwar sowohl der Mehrheit wie der Minderheit,” berücksichtige Konkordat und Kirchenverträge aus dem Jahr 1924, bewältige auf bestmögliche Weise die Schwierigkeiten, die sich aus der Ver- schiedenheit der Bekenntnisse im Lande ergäben, und erscheine „schließlich auch vom pädagogischen und erzieherisch-schulischen Standpunkt aus ... als eine gute, ja ... die bestmögliche Lösung ...”13 Daß gerade pädagogische Gesichtspunkte als letzte genannt wurden, schien symptomatisch und wirkte sich nach Aussage Schulrat Zinners, Nürnberg, auch Jahre später noch aus. Seiner Meinung nach stellte sich die Lehrerschaft führungslos dar, weil Kultusminister Hundhammer kein Nachfolger oder gar Jünger Pestalozzis gewe- sen sei, sondern sich „ausschließlich als Beauftragter des Kirchenregiments einer auto- kratischen Institution” gefühlt habe.14 Das Ziel Hundhammers, „die Verkirchlichung der

8 vgl. dazu Huelsz, S. 202; Leschinsky, S. 55. 9 Leschinsky, S. 55 ff. 10 Blessing, S. 105 f. 11 vgl. dazu Huelsz, S. 81. 12 Leschinsky, S. 55 ff. 13 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 168. Sitzung am 5.7.1950, S. 578. 14 BayHStA München. MK 61212.

510 Schule”, sei aber verfehlt worden, denn „(d)ie heranwachsende Jugend (zeige) keine Spur eines Geistes, der ihr aufgezwungen werden sollte”.15 Und die Lehrer, denen im August 1947 auf dem Pädagogischen Kongreß in Rothen- burg o. T. mitgeteilt worden war, sie stünden in besonderem Maße „in des obersten Herrn Verpflichtung” und leisteten „Dienst auf der höchsten Warte des göttlichen Gesetzge- bers”?16 Wie beurteilten sie die Konfessionsschulen, deren Folgen sie z.T. hart treffen muß- ten? Die aufgefundenen Quellen belegen ganz unterschiedliche Standpunkte. Ein Lehr- amtsanwärter aus Nürnberg, offensichtlich Kriegsteilnehmer und Absolvent eines Abitu- rientenlehrgangs, fragte in einem Schreiben an Oberkirchenrat Schieder, ob es die evan- gelische Kirche wirklich nötig habe, „getrennt hinter einer bekenntnismäßigen Schranke zu leben,” ob diese Trennung nicht die „Gefahr konfessioneller Überheblichkeit” mit sich bringe. Auch die „Sortierung der Lehrerschaft” erschien dem Nürnberger Junglehrer untragbar.17 Ein anderer Lehrer, Vertreter der Lehrerschaft in einer religionspädagogischen Arbeitsgemeinschaft, teilte dem Dekan in Neu-Ulm mit, was er von der „unsinnigen Zer- schlagung des Schulwesens” hielt. Seiner Meinung nach ziehe allein die katholische Kirche aus der „sturen Konfessionalisierung des Volksschulwesens” Nutzen. Sie sei sich „von vornherein der Bekenntnislauheit und der wirtschaftlichen Lage der Evangelischen bewußt” gewesen und benütze nun die Durchführung des Schulorganisationsgesetzes, um „Gegenreformation” zu betreiben. Es sei die „sattsam bekannte jesuitische Schläue, die da ‚Religion‘ sagt, aber Machtvergrößerung meint.” Das bayerische Kultusministeri- um sei nichts anderes als „ein vorgeschobener Posten vatikanischer Politik ...” Wieder ein- mal habe die evangelische Kirche „ins katholische Horn” geblasen und sich damit nur selbst geschadet.18 Ganz konkrete Sorgen äußerte eine Lehrerin an der evangelischen Bekenntnisschule Lauf. Zunächst wunderte sie sich, daß mit Beginn des Schuljahrs 1951/52 der ehemalige Ortsgruppenleiter B., der aus der Kirche ausgetreten war, seinen neuen Schuldienst aus- gerechnet an der evangelischen Bekenntnisschule antrete. Aber sie gab zu, daß er tüchtig sei und die Oberklasse mit den Jahrgängen 6-8 sicher gut in den Griff bekomme. Das sei insofern nötig, als die evangelische Schule in Lauf als „Straf-Stelle” anzusehen sei, da die „gescheiten, tüchtigen Kinder zumeist in die Gemeinschaftsschule” gingen, während die schwierigen und die „Teppen” in der Bekenntnisschule seien. Die Eltern hätten zu den zusammengelegten Klassen dieser Schule kein Vertrauen. Auch die Lehrer würden sich nicht freiwillig dorthin melden, erst recht nicht, nachdem während des Schulkampfes im Juni 1951 in Lauf der Pfarrer an die Eltern geschrieben habe, daß viele evangelische Leh- rer gezwungen seien, an der Gemeinschaftsschule zu unterrichten, „wo Katholiken und Gottlose in der Klasse wären”. Damit habe er alle dortigen Lehrer beleidigt. Zum Schluß schrieb sie: „Es gibt Hoffnung, daß auch die Bekenntnisschule Lauf so wird, wie sie von Gott aus sein soll ...”19 Eine völlig andere Meinung bezüglich der bayerischen Schulpolitik belegt ein Brief der (katholischen?) Lehrerschaft der Volksschule Staffelstein an Kultusminister Hundham- mer. Die Unterzeichneten empörten sich über den Redner auf dem „Tag der Heimatver-

15 Ebda. 16 ACSP München. NL Müller 27. 17 LKAN. KRD Nbg. 239. Schreiben des Lehramtsanwärters Herbert St., Schulhaus Preißlerstr., Nbg., am 7.9.1948 an den Evang.-Luth. Kreisdekan, Nürnberg. 18 Ebda., LKR VI 1100a (3065). Schreiben des Lehrers Heinrich Lang, Steinheim b. Neu-Ulm, am 2.12.1950 an Dekan Schübel, Neu-Ulm; in Abdruck an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, München. 19 Ebda., Kreisdekan Nbg. 239. Schreiben der Lehrerin R., Lauf, am 3.9.1951 an Oberkirchenrat Schieder, Nürn- berg.

511 triebenen” in Staffelstein, der von Hundhammer als der „Lehrergeißel” gesprochen hatte,20 und erklärten ihr „vollstes Einverständnis mit der gegenwärtigen Pflege der kul- turellen Belange Bayerns”. Sie sprachen ihm ihr „uneingeschränktes Vertrauen” aus und baten Gott, „daß wir Lehrer noch recht lange solch einer zielbewußten obersten Leitung anvertraut sind”.21 Die meisten Lehrer waren in ihrer Haltung aber sicher nicht so expo- niert, wie die dargelegten Beispiele zeigten. Wilhelm Ebert z.B. meinte in einem Gespräch mit Lic. Schmidt, „viele Lehrer ständen der Frage Bekenntnisschule-Gemeinschaftsschule gleichgültig gegenüber”.22 Eine weitere, möglicherweise verbreitete Haltung, wurde in einem Schreiben des Evang.-Luth. Dekanats Neumarkt/Opf. dargelegt: „... (H)ier (erken- nen) die Lehrer, daß sie nur die Konfessionsschule schützt und suchen deshalb auch ein inneres Verhältnis zum Bekenntnis zu gewinnen. Die Torheit der Gemeinschaftsschule bringt sie um ihr Brot, läßt ihnen keine Zukunftsmöglichkeit ...”23 Die Antworten der heute befragten ehemaligen Lehrer zum Problem der Bekennt- nisschule lauteten: „Die Lehrer waren nicht begeistert, bis auf eine Fromme.”24 „Ich war gegen die Konfessionsschule, denn außerhalb lebten Schüler und Lehrer in der Gemein- schaft mit anderen; warum dann nicht auch in der Schule.”25 Eine andere Aussage laute- te: „‘Scheibenhonig‘! Aber in Gesprächen mit den Kirchen wurde manches stillschwei- gend ‚gemauschelt‘. Es gab kein stures Festhalten an der Organisation der Konfessions- schule; z.B. wurde die Genehmigung erteilt, daß evangelische Schüler in eine katholische Klasse gehen durften, wenn zu viele Evangelische in der evangelischen Klasse waren und die katholische Klasse zu schwach war.”26 Ein weiterer Zeitzeuge berichtete, junge, liberale Lehrer seien fassungslos gewesen. Sie meinten, es passe nicht in die neue Zeit, und frag- ten sich, wie die Integration der Flüchtlinge unter diesen Umständen vor sich gehen solle. Wer allerdings kirchlich gebunden gewesen sei, der habe die Bekenntnisschule begrüßt. Nur widerwillig habe das liberale Nürnberg die „Münchener Gesetze” ausgeführt. In Erlangen habe es scharfe Verfechter der Gemeinschaftsschule gegeben, und hier sei der Haß bis in die Kollegien gegangen.27 Frau Anni Sand, Ansbach, erinnerte sich vor allem, daß es für die katholischen Kinder „ein großer Jammer” gewesen sei, als sie ihre, nun evangelische, Klasse verlassen und in ein anderes „katholisches” (sic!) Schulhaus gehen mußten. Manchen katholischen Eltern sei es durch Tricks oder Beziehungen gelungen, ihre Kinder bei Frau Sand zu belassen. Das habe derartige Formen angenommen, daß der Schulrat ziemlich konsterniert festgelegt habe, sie wolle wohl 100 Kinder unterrichten.28 Ein Lehrer erinnerte sich an den Irrsinn von vier Schulleitungen im Schulhaus an der Wie- senstraße in Nürnberg. Dort gab es zwei Gemeinschaftsschulen, eine für Jungen, eine für Mädchen; daneben eine evangelische und eine katholische Bekenntnisschule.29 Die Mei-

20 siehe S. 189. 21 BayHStA München. MK 62002. Schreiben der Lehrerschaft der Volksschule Staffelstein am 6.7.1949 an Kul- tusminister Hundhammer. 22 LKAN. LKR VI 1100a (3065). Handschriftlich unter einem Brief von Oberkirchenrat Lic. Schmidt am 2.12.1950 an Wilhelm Ebert. 23 Ebda., LKR VI 1100 a (3064). Schreiben des Evang.-Luth. Dekanats Neumarkt/Opf. am 11.9.1948 an den Evang.-Luth. Landeskirchenrat, München. 24 Gespräch mit Herrn Ingo Hümmer, Ansbach. 25 Gespräch mit Herrn Hermann Dehm, Ansbach. 26 Gespräch mit Herrn Siegfried Gerlach, Ansbach. 27 Gespräch mit Herrn Prof. Hans Glöckel, Nürnberg. 28 Gespräch mit Frau Anni Sand, Ansbach. 29 Gespräch mit Herrn Kurt Gemählich, Nürnberg.

512 nung einer Flüchtlingslehrerin lautete: „Nach einem solchen Weltenbrand die Menschen wegen ihrer Religionszugehörigkeit zu trennen, erschien mir der helle Wahnsinn. ... Ich dachte oft: In der CSR - Frage: Bist Du Deutsche? Im 3. Reich: Bist Du arischer Abkunft? In Bayern: Bist Du katholisch?”30 Es meinte aber auch eine Lehrerin, daß sie hinter der Wie- dererrichtung der Bekenntnisschulen gestanden habe, da sie die Methoden der Nazis bei der Einführung der Gemeinschaftsschulen miterlebt hatte.31 Die Motive der verschiedenen Aussagen hatten ihre Basis zum großen Teil in der persönlichen Befindlichkeit. Ein Katholik urteilte anders als ein Evangelischer, ein Altein- gesessener anders als ein Vertriebener. Ein Lehrer in der Großstadt konnte seine Meinung eher frei äußern als sein Kollege im Dorf, den die ganze Einwohnerschaft samt Pfarrer beobachtete. Eine Lehrkraft, die in Mischehe lebte, schwieg lieber, als daß sie auf sich auf- merksam machte. Ein Evangelischer in der Diaspora baute eine andere Haltung auf als der Glaubensbruder in einer rein evangelischen Gegend. Und schließlich waren die meisten Lehrer froh, ihre Schulstelle zu haben, und hatten kein Interesse daran, sie zu gefährden. Unabhängig aber von Pro und Contra, lehnte der Bayerische Verfassungsgerichtshof am 21.12.1951 die von SPD und FDP angestrengte Verfassungsklage ab, deren Ziel es war, das Schulorganisationsgesetz zu Fall zu bringen, und erklärte, daß es der Bayerischen Ver- fassung nicht widerspreche.32 Man hatte sich also mit ihm zu arrangieren.

30 Dannhäuser, S. 400 f. 31 Gespräch mit Frau Wilhelmine Hofmann, Treuchtlingen. 32 Buchinger, S. 111.

513 VII. Die innere Schulreform

1. ÜBERGEORDNETE ZIELE UND KONKRETE VORSCHLÄGE

Die Überzeugung vom Guten im Menschen und der Glaube, daß durch Erziehung die positiven Eigenschaften eines verirrten Volkes sichtbar und zum Motor für den demo- kratischen Neuanfang genutzt werden könnten, veranlaßten die Amerikaner, der inneren Reform der Schule, den Unterrichtsinhalten und -zielen und den außerunterrichtlichen Tätig- keiten, dem sog. Schulleben, so große Beachtung und Anstrengung zu widmen. Die Erzie- hungskommission verlangte, daß Demokratie „bis ins einzelne gelehrt werden” müsse, und meinte, daß die Schule der „fruchtbare Mittelpunkt” sei.1 Das Ziel der Erziehung sei der „demokratische Mensch”, der in Deutschland nicht leicht zu verwirklichen sei, da die deut- sche Kultur eine besondere Eigenart, eigentümliche Mängel und Vorzüge habe. Die „akute Krankheit des Nationalsozialismus” habe sich „innerhalb einer sehr tiefen und reichen Kul- tur” entwickelt, ja, die „tiefsten Quellen der ... Entartungen” hätten gerade in dieser Kultur gelegen, seien „Übertreibungen einer Denkweise und eines Empfindens” gewesen, „das tief in der deutschen Geschichte” wurzele.2 Die Deutschen hätten die Neigung, „alle Begrif- fe ins Absolute auszuweiten”, der „hochgespannte Idealismus” lasse Toleranz und Kom- promiß, ausgesprochen demokratische Tugenden, oft nicht zu. Dahin müsse aber erzogen werden.3 Gleichermaßen müsse die Rolle der Frau in der traditionell patriarchalisch- preußisch geprägten Familie neu definiert werden, und den Kirchen müsse bewußt wer- den, daß Spannungen und Glaubensstreitigkeiten kein Gemeinschaftsgefühl aufkommen ließen. Was Deutschland also brauche, sei eine Methode, „seinen ererbten Reichtum nutz- bar zu machen und die unvermeidlichen Konflikte, die sich aus ihm ergeben, konstruktiv zu verwerten ...”. Methoden demokratischer Lebensführung müßten gelehrt werden,4 das „Übermaß des Dünkels oder der Unterwürfigkeit” müsse einer „Mitte der Gleichheit” Platz machen,5 und die Deutschen müßten auch lernen, daß politische Enthaltsamkeit keine Tugend, sondern grobe Fahrlässigkeit sei. Die amerikanische Erziehungskommission versäumte nicht, aufgrund ihrer Erkennt- nisse über die deutsche Eigenart Vorschläge zur weiteren Vorgehensweise der amerikani- schen Besatzungsmacht zu formulieren, die die Schulen betrafen. Überzeugt davon, daß „Schule ein Hauptfaktor für die Demokratisierung Deutschlands” sei, forderte sie Lehrplä- ne für die „Erziehung zu einer demokratischen Haltung”, die „grundsätzliche Umgestal- tung der sozialwissenschaftlichen Fächer nach Inhalt und Form”, die Schüler als „aktive Trä- ger des Lernvorgangs”, die Reduzierung der Fächer, die „mit akademischer Tradition über- lastet und lebensfremd” sind, ein Schulleben, das „Erfahrungen mit einer demokratischen Lebensgestaltung vermittelt”. Schülervereinigungen, Klassenausschüsse, Diskussionsgrup- pen, Schulbeiräte, Gemeinschaftsaufgaben wurden hier vorgeschlagen.6 Darüber hinaus hielt es die Erziehungskommission für sehr wichtig, daß die Deut- schen am demokratischen Beispiel lernen sollten. Das hieß nicht nur, Studenten und Lehrer in demokratische Länder zu schicken oder Gastdozenten und Fachleute nach Deutschland kommen zu lassen, sondern auch, daß deutsche Schulen die Gelegenheit bekommen wür-

1 Erziehung in Deutschland, S. 20. 2 Ebda., S. 9. 3 Ebda., S. 18 ff und 22. 4 Ebda., S. 22. 5 Ebda., S. 23. 6 Ebda., S. 30.

514 den, eine amerikanische, d. h. demokratische Schule kennenzulernen; denn im besetzten Deutschland erwartete man das amerikanische Personal und mit ihm etwa 3500 Schüler, die ab Oktober 1946 in mehr als 50 Schulen unterrichtet werden sollten. Deren Lehrer ver- stand man als Kulturbotschafter, und ihre Arbeit sollte in der Praxis von deutschen Schul- leuten beobachtet werden.7 Eine dauerhafte Förderung des gegenseitigen Verstehens und der Achtung versprach sich die Erziehungskommission schließlich davon, daß amerikani- sche Schüler aller Altersstufen deutsche Schüler kennenlernen, mit ihnen arbeiteten, spielen, Sport treiben und Gedanken austauschen würden.8 Ganz konkret ermunterte die Kommis- sion die amerikanische Regierung, ihr bisheriges Hilfsprogramm zur Stärkung der demo- kratischen Kräfte fortzusetzen, amerikanische Sachverständige zu entsenden, englische Lite- ratur zur Verfügung zu stellen, dazu Übersetzungen amerikanischer Werke und solcher Bücher, „die für die Umstellung des deutschen Denkens und des Schrifttums wertvoll sind”.9 Die Herstellung dokumentarischer Filme über „demokratische Verhältnisse in den Schul- räumen, Jugendgruppen und Gemeinschaftsbetätigungen” sollte weitergeführt, aber auch Filme, die Kinder und Jugendliche ansprachen, sollten gedreht werden. Gefordert wurden auch Filme „die bedeutsame pädagogische Versuche unter den schwierigen Verhältnissen des Wiederaufbaus nach dem Kriege schildern”.10 Dieser letzte Vorschlag resultierte mög- licherweise aus Beobachtungen, die die Erziehungskommission während ihres Besuchs der amerikanisch besetzten Zone gemacht hatte, nämlich, daß von deutscher Seite argumen- tiert wurde, pädagogische Erneuerung gelinge erst nach Besserung der katastrophalen äußeren Verhältnisse. Diese Meinung akzeptierte die Kommission nicht, auch nicht das Bestreben auf deutscher Seite, die schulische Arbeit derjenigen während der Weimarer Republik anzugleichen.11 Das war den Amerikanern zu wenig. Nicht erst nach der Berichterstattung der Erziehungskommission im Herbst 1946 bemühte die amerikanische Militärregierung sich um Demokratisierung im Erziehungswesen und die Erweiterung des Horizonts der Deutschen. Schon ein Jahr vorher hatte sie damit begonnen, vielleicht nicht immer planmäßig und eher punktuell. Da gab es z.B. im Okto- ber 1945 in der Neuen Zeitung ein Preisausschreiben mit der etwas merkwürdigen Über- schrift „Wer weiß die Wahrheit?” Die Fragen bezogen sich auf aktuelle Dinge und Vor- kommnisse aus der jüngsten Vergangenheit. Nach der Anzahl der Sterne und deren Bedeu- tung auf der amerikanischen Flagge wurde gefragt, außerdem nach dem Land, das seit 1933 Giftgas in einem Feldzug eingesetzt hatte. Die ausländischen Mächte, die General Franco im spanischen Bürgerkrieg unterstützt hatten, und den Prozentsatz der jüdischen Bevölkerung im Vorkriegsdeutschland wollte man wissen. Außerdem waren die „im ‚Atlan- tik Charter‘ [sic!] von Roosevelt und Churchill für alle Völker festgelegten vier Freiheiten” von Interesse und der Verfasser des Gedichtes ‚Die Loreley‘.12 Sehr deutlich waren in diesem Preisausschreiben die Hinweise auf Unrecht der Deutschen in der Vergangenheit, geradezu kindlich stolz die Fragen nach Flagge und Atlantik Charta. Die Frage nach dem Dichter der Loreley sollte den Lesern wohl die Diskrepanz aufzeigen, die darin bestand, daß das belieb- te, gefühlvolle deutsche Volkslied von dem jüdischen Dichter Heinrich Heine stammte, des- sen Autorschaft man aber während des 3. Reiches geleugnet hatte. Im Herbst 1945 waren auf örtlicher Ebene auch die Bestimmungen zur Selbstverwal- tung - „develop Responsibility for Self-Government” -, z.B. durch die deutschen Schul-

7 Ebda., S. 35 f. 8 Ebda., S. 36. 9 Ebda., S. 58. 10 Ebda., S. 58 f. 11 Ebda., S. 17. 12 Die Neue Zeitung 1. Jg. Nr. 4 vom 28.10.1945, o. S.

515 behörden, erlassen worden. Berichterstattung an die örtlichen Militärregierungen sollte die gewünschte Richtung sicherstellen, jedoch wurde im Interesse der Arbeit der Schulbehör- den Zurückhaltung empfohlen.13 Der Grundstein zu selbstverantwortlichem Handeln wurde so gelegt. Die Jugendarbeit der Armee und die Einrichtung der Informationszentren in etwa 20 deutschen Städten waren ebenfalls Zeichen demokratischer Bemühungen durch die Amerikaner.14 Im Sinne der amerikanischen Erziehungskommission wurden Vortragsreihen organi- siert, von denen die Zeitungen berichteten. In Ansbach beispielsweise sprach „Mr. Cohn als Vertreter der amerikanischen Jugendbetreuungsstelle zu dem Thema: ‚Jugend in Amerika‘. In anschaulicher Weise wußte der Redner die grundlegenden Unterschiede zwischen der bisherigen deutschen und der amerikanischen Jugenderziehung zu schildern. Eine rege Aus- sprache am Schluß des Vortrages zeigte, daß die Worte auf fruchtbaren Boden gefallen waren.”15 Im Oktober 1946 meldete die Fränkische Landeszeitung, daß „(d)ie Erziehung der Deutschen zu einer demokratischen Lebensauffassung ... durch das Vortrags- und Diskus- sionsprogramm, das von Offizieren der amerikanischen Militärregierung für bayerische Jugendliche und Erwachsene veranstaltet wird, einen starken Aufschwung” erfahre. Jeden- falls habe das die Erziehungsabteilung der Militärregierung bekanntgegeben.16 Mr. Hans Thomsen, der Leiter der Jugendfürsorgegruppe in dieser Abteilung habe die Vortragsreihe über „amerikanische Lebensweise” organisiert und bereits seinen 100. Vortrag vor Jugend- lichen gehalten. Sein letzter habe sich mit der Jugendbewegung in den USA beschäftigt. Andere Offiziere machten mit dem Aufbau und der Verfassung der amerikanischen Regie- rung vertraut und berichteten über Zeitungen, Film und Theater in den Vereinigten Staa- ten.17 Offenbar erachtete man dieses Vorgehen als sehr fruchtbar und war bereit, in der Weise fortzufahren. Es berichtete nämlich die Neue Zeitung im Juli 1947, daß die US-Regie- rung General Clay Richtlinien für eine positive amerikanische Politik in Deutschland gege- ben habe. Die Erziehung betreffend hieß es da: „In der Erkenntnis der Tatsache, daß für alle freien Menschen aus der Unterdrückung und Korruption der Wahrheit schlimme Folgen erwachsen und daß die Erziehung eines der primären Mittel ist, um ein demokratisches und friedliches Deutschland zu schaffen, haben Sie weiterhin die Entwicklung aller pädagogi- schen Methoden, Einrichtungen, Programme und Mittel zu fördern und zu unterstützen, die geeignet sind, durch Erziehung zu demokratischer Denkungs-, Einstellung und Hand- lungsweise zu führen ...”18 Clay sollte von den deutschen Behörden „die Anwendung und Verwirklichung von Erziehungsprogrammen” verlangen, die den geforderten Ansprüchen gerecht würden.19 Während für die Amerikaner damit die Einrichtung der Einheitsschule unverzichtbar erschien, die erst die Voraussetzung für demokratisches Handeln schuf, gab es für die deut- sche Seite meistens die klare Priorität der inneren Schulreform,20 was wohl deshalb nicht verwunderlich war, da man sich einmal bei der äußeren Zerstörung der Städte die Verwirk-

13 StAN. Regierung von Mfr., Abgabe 1978, Nr. 4637. Schreiben der Militärregierung von Oberfranken und Mit- telfranken am 29.11.1945 an die Chefs sämtlicher Militärregierungen im Regierungsbezirk Ober- und Mit- telfranken. „General Policy”. 14 siehe S. 81-85, 546. 15 Fränkische Landeszeitung 1. Jg. Nr. 43 vom 18.9.1946, S. 5. 16 Ebda., 1. Jg. Nr. 52 vom 19.10.1946, S. 4. 17 Ebda. 18 Die Neue Zeitung, 3. Jg. Nr. 57 vom 18.7.1947, S. 4. 19 Ebda. 20 Glaser, S. 153-156.

516 lichung der Einheitsschulen gar nicht vorstellen konnte und außerdem bestrebt war, zuerst den „Ungeist” als Folge der Erziehung im Dritten Reich auszutreiben. Und das war bitter nötig; hatte es doch in der „Amtsführung des Lehrers” aus dem Jahr 1941 geheißen: „Die Volksschule hat nicht die Aufgabe, vielerlei Kenntnisse zum Nutzen des einzelnen zu ver- mitteln. Sie hat alle Kräfte der Jugend für den Dienst an Volk und Staat zu entwickeln und nutzbar zu machen. In ihrem Unterricht hat daher nur der Stoff Raum, der zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist ... sicheres Wissen und Können schafft für den erfolgreichen Ein- satz im Beruf und für die Erfüllung der Pflichten im Wehrdienst die Voraussetzung ...”21 So dominierten jetzt in deutschen Verlautbarungen, Vorschlägen und Reformplänen die „ewigen Werte”, vor allem Humanismus, Christentum, Demokratie, ergänzt durch Sitt- lichkeit, abendländische Kultur, Freiheit. Weniger erwähnt wurden z.B. wissenschaftlich- mathematisches Denken oder Tüchtigkeit im Beruf.22 Der Pädagoge Hermann Nohl glaub- te etwa, es sei „ein ganz sicheres Gefühl da für die einfache Sittlichkeit, die elementare Tugend der Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit und Treue, eine tiefe Verehrung des Geistigen und der Schönheit und eine dornenlose Frömmigkeit, die das Ewige sucht”.23 Der Historiker Friedrich Meinecke schrieb im Juni 1946 in der Münchener Zeitung, es komme nun alles „(a)uf die Verinnerlichung unseres Lebens” an.24 Adolf Grimme sah den Augenblick gekom- men für „recreatio ex nihilo”. Endzeitstimmung sei nicht angebracht, denn „der Geist (stehe) jenseits jeder Katastrophe”.25 Josef Schnippenkötter proklamierte den mit dem Chri- stentum verbundenen Humanismus. Ein Wiederanknüpfen an die deutsche Geistes- und Kulturgeschichte ermögliche die Einreihung „in einer christlichen Einheitsfront” mit allen abendländischen Nationen. Dabei bekannte er sich dazu, „bewußt deutsch” bleiben zu wollen „in Artung und Haltung”.26 „Leuchttürme des Abendlandes” waren im „Dunkel der Gegenwart” gefragt, und die Renaissance humanistisch-christlicher Ideale war für viele der richtige Weg, vor allem in der Diskussion um die höhere Schule. Das Bemühen um die Rück- besinnung auf Humanismus und Christentum kam nach Manfred Overeschs Meinung auf- fallend schnell. Man habe so die entwurzelten, verwilderten, vereinzelt lebenden Menschen „wieder in ihrer eigenen Vergangenheit ... beheimaten” wollen.27 War aber diese mit viel Pathos vorgetragene Werte-Diskussion nicht wiederum das, was die amerikanische Erziehungskommission den Deutschen ankreidete: idealistische Höhenflüge, die den Realitäten des Augenblicks nicht Rechnung trugen; Werte, die absolut gesetzt wurden; letztlich Schulen, die die Erziehung zum politischen, demokratischen Men- schen nicht zulassen würden? Die Entschließung der gesamtdeutschen Konferenz der Erziehungsminister in Stutt- gart 1948 enthielt, auch wenn die konkreten Vorschläge sich vornehmlich in der Aufzäh- lung der Hemmnisse und Mängel erschöpften, doch schon Forderungen, die weniger abge- hoben klangen: Der äußere und innere Auf- und Ausbau der Schulen müsse „im Geiste der Demokratie, der sozialen Gerechtigkeit, des Friedens und der Völkerverständigung erfolgen ..., das Ziel der Erziehung die Heranbildung des selbständig urteilenden, verantwortungs- bewußt handelnden und guten Menschen für Beruf und Leben sein ...”28 Auf dem Pädago- gischen Kongreß der CSU in Rothenburg 1947 hieß es noch schlichter: „Wir müssen in der

21 Tiemann, S. 350. 22 Glaser, S. 153-156. Er zitiert Ludwig Kerstiens: Die höhere Schule in den Reformplänen der Nachkriegszeit. In: Zeitschrift für Pädagogik, Heft 6/1965, S. 538 ff. Vgl. dazu Hermann Glaser: Bildungs- und Kulturpolitik. Von der Reeducation zum Schönerleben. In: Hilmar Hoffmann/Heinrich Klotz (Hrsg.), Die Kultur unseres Jahr- hunderts. 1945 - 1960. Düsseldorf, Wien, New York 1991, S. 31. 23 Overesch, Kulturelle Neuanfänge, S. 233 f. 24 Ebda., S. 228. 25 Ebda., S. 229. 26 Schnippenkötter, S. 8 f. 27 Overesch, Kulturelle Neuanfänge, S. 227. 28 Overesch, Die gesamtdeutsche Konferenz, S. 284 f.

517 kommenden Erziehung bestrebt sein, auch die Minderbegabten gegen eine Wiederholung dieser furchtbaren Sklaverei zu waffnen ...”29 Die Vorstellungen und Vorschläge der Parteien zur Erziehung fanden ihren Nieder- schlag in den diversen Parteiprogrammen. Die CDU forderte im Frühjahr 1946 in ihren Frankfurter Grundsätzen, „daß die Jugend wieder gottesfürchtig werde, gehorsam und ehr- furchtsvoll den Eltern, dem Alter, Lehrern und Trägern der staatlichen Autorität gegenü- bertrete ...”30 Das waren Ziele, die eine durch HJ und Nachkriegsschwierigkeiten verrohte Jugend im Blickfeld, aber nichts gemein hatten mit den demokratischen Zielen der ameri- kanischen Erziehungskommission. Die Grundlage der Erziehung sollte eine „aus den Wer- ten der europäischen und deutschen Geschichte erwachsene positive humanitäre Ethik” sein; eine Staatsschule wurde angestrebt, „die nicht antichristlich und antikirchlich ist, son- dern dem Geist des Christentums und anderen in unserem Bereich gewachsenen geistigen Strömungen offensteht”.31 Ob letztere Formulierung im Sinne einer christlichen Partei wohlüberlegt war, sei dahingestellt; der Abschnitt „Das Schulwesen” läßt Zeitdruck ver- muten, denn er begann mit dem Satz: „Die deutsche Schule ist in den letzten zwölf Jahren auf den Hund gekommen.”32 Die SPD wollte „den Geist wahrer Demokratie unausrottbar in die Herzen der heran- wachsenden Generation gepflanzt” wissen. Zu diesem Zweck müsse der Unterricht in den meinungsbildenden Fächern „Anhänglichkeit und Begeisterung” für das demokratische Gemeinwesen und „Haß und Verachtung” gegen Diktatur und ihre Verfechter wecken.33 Wichtig sei die Toleranz in der Erziehung; die deutsche Jugend müsse im Geiste gegenseiti- ger Achtung und in dem Bewußtsein erzogen werden, daß sie eine sittliche Verpflichtung habe zu den Idealen der Demokratie und der Völkerverständigung.34 Daneben wurde „soziales Verantwortungsbewußtsein” gefordert, das definiert wurde mit: Augen und Gewissen offen zu haben für die Vorgänge des gesellschaftlichen Lebens, bereit zu sein, Stellung zu nehmen und für seine Überzeugung einzutreten, verständigungsbereit mitzu- wirken an der Gestaltung des öffentlichen Lebens.35 Waldemar von Knoeringen formulier- te dazu: Das Ringen um die politische Zukunft beginnt in den Klassenzimmern der Schu- le.36 Vor ihm hatte Wilhelm Hoegner in seiner Regierungserklärung am 22.10.1945 gefor- dert, die Kultur- und Schulpolitik „überwiegend in den Dienst des Kampfes gegen die natio- nalsozialistischen Wahnlehren zu stellen. Dabei komme den „Volkserziehern” eine unge- heure Aufgabe zu. Seine Regierung wolle der Erziehungsfrage, „der Pflege der geistigen und sittlichen Werte aller Kulturvölker die größte Aufmerksamkeit schenken”.37 Ähnlich wie Knoeringen sah der bayerische Kultusminister Fendt die Schule als Ausgangspunkt für eine Erziehung, die „die sozialen und politischen Energien des ganzen Volkes weckt und ent- wickelt”. So gesehen betrachtete er sein Ministerium für Unterricht und Kultus eher als „Bil- dungsministerium”.38 Im Landeswahlprogramm der SPD von 1954 wurde als Ziel und Auf- gabe sozialdemokratischer Kulturpolitik genannt, „den Staatsbürger durch eine zeitgemäße

29 ACSP München. NL Müller 27. 1. Bericht vom Pädagogischen Kongreß der CSU in Rothenburg. 13.- 17.8.1947. Referent Dr. Müller. 30 Scharfenberg, Bd. 2, S. 4. 31 Ebda., S. 6. 32 Ebda. 33 Ebda., Bd. 1, S. 9. Er zitiert aus dem Protokoll der Verhandlungen des Parteitages der SPD vom 24.-28.9.1952 in Dortmund. 34 Ebda. 35 Ebda. 36 : Aufgaben und Grenzen der Staatsgewalt im Bereich der Schulbildung. In: Arndt/Geiger/Pögge- ler, Schule und Staat. Studien und Berichte der Katholischen Akademie in Bayern. München 1959, S. 62. 37 Baer, S. 42. 38 Die Neue Zeitung, 1. Jg. Nr. 3 vom 25.10.1945, S. 2.

518 Erziehung zu befähigen, Anteil und Verantwortung am Leben der Gesellschaft zu über- nehmen”.39 Die Schulen hatten dabei die Aufgabe, „den freien, unabhängigen und selb- ständigen Staatsbürger zu erziehen”. Mitverantwortung, Mitarbeit und Verständnis für die gesellschaftliche Wirklichkeit sollten erreicht werden. Daher hieß die konkrete Forderung, mit der staatsbürgerlichen Erziehung, also Sozialkunde, endlich Ernst zu machen in allen Schulen. Der gesamte Unterricht und das Schulleben müßten vom Geist dieser Erziehung getragen werden.40 Auch der Schulreformplan der FDP verlangte, daß dem Schüler Gelegenheit gegeben werde „zur Übung sozialer Gesinnung und zur Einlebung in demokratische Lebensformen”. Er müsse ein Gefühl entwickeln für „das natürliche Streben nach sozialer Gerechtigkeit, Duldsamkeit und die freudige Einordnung in die menschliche Gemeinschaft”. Friedensge- sinnung solle gepflegt werden, „lebensvolle Bejahung der demokratischen Teilhabe aller an den Rechten und Pflichten des Staatsaufbaues, der Sinn für die Einordnung des eigenen Volkes und seiner Leistungen in die Gemeinschaft der Völker, und das Verständnis für diese Völker und ihre Kulturen”.41 Der Gestaltung des Schullebens und der Mitverwaltung der Schulgemeinschaft wurde eine bedeutende Rolle bei der Verwirklichung der großartigen Ziele zugemessen.42 Die Leitsätze zur Kulturpolitik der FDP aus dem Jahr 1950 beinhalteten die Verurteilung eines schrankenlosen Individualismus als „unsittlich” und das Bekenntnis zur freiwilligen Bindung, ohne die es keine sittliche Freiheit gebe. Der christlichen Ethik wurde ein staatspolitisches Interesse von grundlegender Bedeutung zuerkannt.43 Die Ent- schließung des FDP-Bezirkskulturausschusses von Mittelfranken vom September 1951 for- derte, der Sozialerziehung in allen Zweigen „(soziale Gestaltung des Schullebens, Sozialer- ziehung im engeren Sinn, Sozialkunde als Unterrichtsprinzip und als Fach)” besondere Auf- merksamkeit zu widmen.44 Die Erziehung zu christlicher Nächstenliebe, Toleranz, Verant- wortungsfreude und zum „Willen zur aktiven Teilnahme am öffentlichen Leben” wurde ebenfalls bekräftigt.45 Zu den Leitsätzen der Kulturpolitik von 1952 gehörte das „pädago- gische Ideal” der freien Persönlichkeit,46 und das Wahlprogramm der Freien Demokraten von 1953 enthielt den Passus, daß die „Freiheit des Gewissens und des Geistes in ihrer Bin- dung an die vom Christentum und Humanismus geprägten Werte und Pflichten” die sittli- che Grundlage einer Demokratie seien.47 Obwohl SPD und FDP eine Reihe hehrer Ziele formulierten, richteten sie doch kon- kret ihr Augenmerk auf Sozialerziehung, Sozialkunde, staatsbürgerliche Erziehung und gin- gen damit konform mit den Forderungen der Amerikaner. Die organisatorische Umgestal- tung des Schulsystems hätte dabei wertvolle Dienste geleistet. Innere und äußere Reform ergänzten sich bei diesen Vorschlägen.48 Bei der CSU hatte die innere Schulreform absolu- te Priorität, und sie wurde in Gegensatz zur äußeren Reform gesetzt, ohne zu berücksichti- gen, daß letztere eine Hilfe bei der Verwirklichung sozialintegrativer Ziele gewesen wäre.

39 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler N1-138. Landeswahlprogramm - SPD 1954. Kulturpolitik. 40 Ebda. 41 Dokumente zur Schulreform, S. 164 f. Der Schulreformplan der Freien Demokratischen Partei. Landtagsbei- lage 916. 3.12.1947. 42 Ebda., S. 165. 43 Scharfenberg, Bd. 3, S. 5-7. Leitsätze zur Kulturpolitik der FDP, beschlossen auf dem Bundesparteitag der Freien Demokratischen Partei in Düsseldorf am 29./30.4.1950. 44 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler. N1-86. Freie Demokratische Partei Bayern. Landeskulturausschuß. 7.11.1951. Die Entschließungen des Bezirkskulturausschusses von Mittelfranken, verabschiedet am 8./9.9.1951. 45 Ebda. 46 Scharfenberg, Bd. 3, S. 14. 47 Ebda., S. 20. Wahlprogramm der Freien Demokratischen Partei. 28.6.1953. III. Kulturpolitik. 48 siehe S. 236 f, 238 f.

519 Eine äußere Umgestaltung wurde ja geradezu als Gefahr für religiös-sittliche Durchdringung der Erziehungsarbeit gewertet, man erwartete von ihr nur Unruhe und Hemmnisse für das bayerische Schulwesen.49 Auch die CSU formulierte übergeordnete Ziele, z.B. im Dezember 1946 „die Erziehung der Jugend zur Ehrfurcht vor Gott und seiner Schöpfung, zu Charak- terstärke und sozialer Gesinnung, zu selbständigem Denken” und - interessanterweise im gleichen Satz - zu „körperlicher Leistungsfähigkeit”.50 Die Jugend sollte auch im Geiste der Nächstenliebe, der christlichen Sitte sowie in der Liebe zu Volk und Heimat erzogen wer- den.51 Die Schule müsse in all ihren Gattungen „getragen sein vom christlichen Geist”.52 Die CSU wollte die „Zurückführung zu christlich-abendländischer und damit auch zu echt deutscher Kultur”.53 In seiner Regierungserklärung vom Oktober 1947 stellte Ministerpräsident Ehard fest, daß die „allgemeine Erziehung ... dem bloßen Unterricht vorzuziehen” sei, das Bildungsziel die „Erziehung zu echtem Menschentum” sein und „die christliche, eine wahrhaft huma- nistische Bildung neu belebt werden” müsse. Nur so gelange die Jugend zu „wahrer Demo- kratie”.54 In seinem Zwischenbericht zur Schulreform vom März 1947 betonte Kultusmini- ster Hundhammer, daß die „durchgreifende Demokratisierung” des Erziehungswesens „nicht so sehr durch äußere, organisatorische Reformen, als vielmehr durch innere, die Seele der gesamten Bildungsarbeit neu formende, besonders durch sozial- und moralpädagogi- sche Maßnahmen angestrebt werden” müsse.55 An anderer Stelle wiederholte er seine Auf- fassung von wahrer Schulreform und meinte, die „Erziehung zu wirklichen Demokraten” sei nicht davon abhängig, daß man die Schüler in einem Schulhaus zusammenhalte, son- dern viel eher „vom Lehrstoff, von dem Geist der Schule, von dem Geist der Lehrer”.56 Am wichtigsten sei für ihn, Charaktere zu erziehen, „die gewillt sind, ihren Weg zu gehen, unbekümmert um äußeren Druck”.57 In ähnlicher Weise äußerte sich Meixner (CSU) vor dem Landtag. Die innere, pädagogische Erneuerung sei wichtiger als die rein organisatori- sche. Die Pflege des inneren Menschen, die Wiederanbindung an ein „ewiges und unver- ändertes Sittengesetz” müsse daher angestrebt werden. Schulreform bedeute „Verinnerli- chung und Vertiefung, Humanisierung und Christianisierung” des Bildungs- und Erzie- hungswesens. Die „Kultur der Seele” müsse wieder „Seele unserer Kultur und ... Aufgabe unserer Bildung werden”.58 Beiträge zur inneren Schulreform aus dem fränkischen Raum steuerten weitere hoch- gesteckte Ziele bei, zeigten aber auch schon Schwerpunkte der Erziehung auf. Das Grußwort des Regierungspräsidenten von Ober- und Mittelfranken zum Jahreswechsel 1945/46 enthielt die Forderung, „unsere Jugend aus geistiger Verarmung, seelischer Ver- gröberung und sittlicher Bedrohung wieder an die Quellen wahrer Geistigkeit und deut- schen Gemütes heranzuführen”. Diese Erziehungsaufgabe gehe alle an.59 Der Amtliche Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken veröffentlichte im

49 siehe S. 237 f; vgl. dazu Buchinger, S. 81. 50 Scharfenberg, Bd. 2, S. 9. Flugblatt der CSU. Grundsatzprogramm der Christlich-Sozialen Union in Bayern. Dezember 1946. Hrsg.: Generalsekretär Franz Josef Strauss, München. 51 LKAN. Kreisdekan Nbg. 151. Programm der Christlich-sozialen Union Nürnberg. o. J., wahrscheinlich 1946. 52 ACSP München. NL Müller 27 (Kulturpolitischer Ausschuß 1946-48). Unsere kulturpolitischen Ziele. o. D. 53 Buchinger, S. 63. 54 Baer, S. 150. Regierungserklärung von Ministerpräsident Ehard vor dem Bayer. Landtag am 24.10.1947. 55 LKAN. LKR VI 1100 (3064). Schreiben B 61327 des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 7.3.1947 an die Militärregierung. Betreff: Schulreform. (AZ. A10a/1); siehe S 245. 56 Overesch, Die gesamtdeutsche Konferenz, S. 260. 57 Ebda., S. 269. 58 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 48. Sitzung am 29.1.1948, S. 660. 59 Amtsblatt der Militärregierung und des Landrats für den Landkreis Ansbach. Nr. 4/18. Jan. 1946, S. 48 f. „Auf- ruf des Herrn Regierungspräsidenten zum Jahreswechsel. An der Jahreswende.”

520 September 1946 eine Entschließung über „die Gestaltung der Erziehung und des Unter- richts in der neuen Schule” und sah die „Hauptaufgabe sämtlicher Erziehungsmächte” darin, das deutsche Geistesleben von den Ideen des Nationalsozialismus zu befreien. Hier- bei wurde konkret erläutert, was zu tun sei. Man stellte fest, daß die Methoden der Natio- nalsozialisten noch nicht beseitigt seien. In der Schule müsse nachdrücklich bekämpft wer- den, was im öffentlichen Leben immer noch zu beobachten sei, z.B. „(d)er Wille zu Rache”. Niedrigste Racheinstinkte seien im deutschen Volk geweckt worden. „Der Rachegedanke (müsse) aus dem Erziehungswesen ausscheiden ... Die edelsten Hilfsmittel der Erziehung (seien) dagegen Liebe und Duldsamkeit.”60 Auch das „Denunziantenunwesen” sei zu bekämpfen. Ein Denunziant könne nicht „Erzieher des Volkes” sein. Des weiteren solle in der Schule gegen die „falsche Stellung zur Schuldfrage” angegangen werden. Auch wenn persönliche Schuld nicht bestehe, so bleibe doch ein „metaphysischer Zusammenhang mit der Schuld bestehen,” wodurch jeder zur Sühne mitverpflichtet sei. Das bedeute für jeden, daß er eine moralische Pflicht habe „zur Teilnahme an der Wiedergutmachung, an der Sühne und an dem Ertragen der Konsequenzen in allen widrigen Erscheinungsformen”.61 Diese Ausführungen über die Gestaltung der Erziehung hatten ihre Wurzeln unverkennbar in den unerfreulichen Begleiterscheinungen der Spruchkammerverfahren. Man hoffte wohl, über die Schüler Einfluß auf die Eltern nehmen zu können, deren Auftreten vor den Spruch- kammern man mißbilligte. Zahlreich waren die Lobpreisungen der Demokratie als sittlicher Norm. Sie zu ver- wirklichen war das Ziel aller. Der Weg dorthin unterschied sich bereits, je nach Standort der Beteiligten. Wirklich mühsam wurde die tägliche Auseinandersetzung mit den hehren Ansprüchen. Die Umsetzung verlief nicht ohne Zweifel, Zugeständnisse und Widrigkeiten.

2. ÜBERGANGSRICHTLINIEN 1945 - NOTBEHELF UND RÜCKBESINNUNG

„Eine neue Lehrordnung kann nach sechs Jahren Krieg und am Anfang einer Zeit- wende noch nicht erarbeitet und vorlagereif sein,” teilte der Schulrat des Landkreises Eber- mannstadt den Schulleitungen seines Bezirks mit.1 „Übergangsrichtlinien für die bayerischen Volksschulen” sollten den „allerdringendsten Bedürfnissen” Rechnung tragen „und der schreiendsten Not” steuern.2 Den Neuaufbau des Volksschulwesens betrachtete man als schwere Aufgabe und erblickte die größte Schwierigkeit in der Überwindung des schädli- chen Denkens und Verhaltens, „das während der 12 Jahre nationalsozialistischer Lehre erworben worden” war. Notwendig sei im Augenblick daher, „das gesamte Schulleben von allen nationalsozialistischen und militaristischen Spuren zu säubern ... (und) sich der Grundsätze bewußt zu werden, die allein von innen her eine Erneuerung ermöglichen ...”3 Mit der Abfassung einer längerfristig geltenden Lehrordnung konnte man noch nicht begin- nen, sondern wollte diese Arbeit im Rahmen einer Normalisierung des öffentlichen Lebens entwickeln, „getragen von gesunden Ideen und ernstem Aufbauwillen”.4

60 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken. Ansbach, 14. Jg. Nr. 3 vom 16.9.1946. RE. v. 13.9.1946. Nr. 1147 b 14., S. 3 f. 61 Ebda., S. 4.

1 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Schreiben des Schulrats des Landkreises Eber- mannstadt am 12.11.1945 an alle Schulleitungen des Schulaufsichtsbezirks (R 45/13). 2 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Rechtliche Bestimmungen über das Volksschulwesen in Bayern. Abdruck zum Dienstgebrauch der Schuldekane. Anlage zur E. d. Bayer. St. Min. f. U. u. K. v. 10.10.1945, Nr. IV 25000. 3 Ebda. 4 Ebda.

521 Zunächst wurden nationalsozialistische Richtlinien außer Kraft gesetzt. Das waren der Runderlaß des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 15. Dezember 1939, am 8. April 1940 für Bayern verbindlich gemacht, und Ergänzungs- richtlinien für die Volksschulen Bayerns vom 23. Juli 1940. Letztere hatten die Aufgaben der Volksschule so beschrieben: Die Jugend müsse „im Sinne des nationalsozialistischen Ideals vom deutschen Menschen” starkgemacht und in „Heimat und Volkstum durch die Hin- führung zur deutschen Volksgemeinschaft” verwurzelt werden. Außerdem habe die Volks- schule der Jugend „Klarheit und Unerschütterlichkeit im Glauben an die nationalsozialisti- sche Weltanschauung, an die Aufgaben des deutschen Volkes und an die Sendung des Füh- rers” zu vermitteln.5 Die Volksschule wurde das „Erziehungsmittel der Volksgemeinschaft” genannt, der „nationalsozialistische Unterricht” sollte bei der Erfüllung der Aufgaben eben- so helfen wie ein „Zusammenwirken mit den übrigen Erziehungsmächten”, bei denen die HJ, wie bereits dargelegt,6 eine bedeutende Rolle spielte. In der Volksschule sollte auch das allmähliche Hinauswachsen über die „Sippengemeinschaft” hin zur politischen „Volks- und Wehrgemeinschaft aller Deutschen” geschehen.7 Die Aufgabe der Volksschule wurde als „ausschließlich erzieherische” definiert. „Das Gesetz der körperlichen und geistigen Zucht (sollte) in ihr ebenso allgegenwärtig wie in der Wehrmacht und in der Partei” sein.8 Mit die- sen Richtlinien war die „Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen” vom 15. Dezem- ber 1926 aufgehoben worden,9 die durch die „Übergangsrichtlinien für die bayerischen Volksschulen” vom 10. Oktober 1945 wieder als „Grundlage der Volksschularbeit für das Schuljahr 1945/46” bestimmt und deren Rahmenstoffpläne als „verbindliche Ausgangs- punkte für die Unterrichtsarbeit” erklärt wurden, wobei die veränderten Zeitumstände berücksichtigt werden sollten.10 Im Volksschulunterricht müsse vor allem „Ruhe und Ein- fachheit” einkehren, „(w)eder Blut noch Rasse, noch das Volk (seien) höchste Werte ..., ... der einzelne Mensch in seiner Bedeutung, seinem Wert, seinen Rechten und Pflichten” müsse wieder gesehen werden, und die Schule habe mitzuwirken „am Aufbau einer wah- ren Demokratie”.11 Die gesamte Erziehungs- und Unterrichtsarbeit mußte nun getragen werden „von den absolut gültigen Normen der Welt des Sittlich-Religiösen”, von Grundsät- zen, „die allein in der Lage sind, die Welt wahrhaft zu befrieden und das Wohl des einzel- nen zu sichern”.12 Auch in der Lehrordnung vom 15. Dezember 1926 wurde die Volksschule als Erzie- hungsschule verstanden. Erziehender Unterricht und besondere Erziehungsmaßnahmen sollten dieser Aufgabe gerecht werden. Schulung und Bildung waren die Komponenten des Unterrichts, wobei der Vorgang der Bildung besonders zu beachten war, da durch ihn ein Kind die gewünschten Bildungswerte „mit starker Gefühlsbewegung aufnimmt und beja- hend erlebt.” So würden Persönlichkeiten geformt. „Je mehr und je höhere Bildungswerte der Unterricht dem Jugendlichen vermittelt, desto mehr wirkt er erziehend.”13 Der religiös- sittliche und der deutsche Gedanke sollten im Unterricht und in der Schulerziehung im Mit-

5 Erziehung und Unterricht in den bayerischen Volksschulen. München 1940. S. 5-8. Bekanntmachung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 23. Juli 1940 Nr. IV 27880 betr. die Richtlinien über Erzie- hung und Unterricht in den bayerischen Schulen. 6 siehe S. 109 f. 7 Erziehung und Unterricht in den bayerischen Volksschulen. München 1940, S. 8. 8 Ebda., S. 16 f. 9 Ebda., S. 5. 10 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Rechtliche Bestimmungen über das Volksschulwesen in Bayern. Anlage zur E. d. Bayer. St. Min. f. U. u. K. v. 10.10.1945, Nr. IV 25000, S. 3. 11 Ebda., S. 2 f. 12 Ebda., S. 2. 13 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 16 vom 29.12.1926. Bek. d. St. Min. f. U. u. K. v. 15.12.1926 Nr. IV 49242 über die Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen.

522 telpunkt stehen. Darüber hinaus wollte man die soziale Erziehung durch die Bildung von Klassen- und Schulgemeinschaften erreichen, in denen die Schüler sich im Dienst am Näch- sten üben konnten.14 Die Wiederverwendung der Lehrordnung von 1926 wurde mit dem Hinweis gerecht- fertigt, daß es sich um eine zeitlich begrenzte Entscheidung handle, man aber doch einen „Behelfsbau” benötigt habe.15 Nach dem Urteil „bewährter Schulmänner des In- und Aus- lands” habe sie Anerkennung gefunden,16 ja es wurde ein Kommentar aus dem Jahr 1928 zitiert, nach dem „Bayern ... mit seiner neuen Lehrordnung einen ganz bedeutenden Wurf getan” habe.17 Sie sei mit Pestalozzischem Geist erfüllt und habe neues pädagogisches Den- ken angebahnt.18 Ihr Vorteil sei auch, daß sie einen Rahmenplan darstelle, nach dem die Lehrer aller Schulen unter Berücksichtigung der Individuallage ihrer Schüler und der örtli- chen Verhältnisse Einzellehrpläne aufstellen konnten,19 und das war in der unmittelbaren Nachkriegszeit besonders wichtig. Nach der Wiedereröffnung der meisten höheren Schu- len wurde auch auf die Schulordnung und die Schülersatzung von 1928 zurückgegriffen.20

3. VORGABEN DER AMERIKANISCHEN MILITÄRREGIERUNG BEI WIEDERERÖFFNUNG DER SCHULEN

Obwohl die örtlichen Militärregierungen bereits ab September 1945 die Wieder- eröffnung der Volksschulen genehmigt hatten,1 gab es im Juli 1946 eine Bekanntmachung des bayerischen Kultusministeriums darüber, welche Bestimmungen die Militärregierung für Bayern „für die Genehmigung und Wiedereröffnung von Schulen” herausgebracht hatte.2 Möglicherweise waren die regionalen Unterschiede zu gravierend gewesen, oder man hatte die Vereinheitlichung im Hinblick auf die amerikanische Öffentlichkeit publik machen und somit dokumentieren wollen, daß das Vorgehen immer noch von der Besatzungsmacht dik- tiert und kontrolliert wurde, auch wenn die Hauptaufgabe, die Entnazifizierung, bereits in deutschen Händen lag. Rechtzeitig vor Beginn des Schuljahrs 1946/47 wurden die Bestim- mungen veröffentlicht und bezogen sich natürlich auch besonders auf die höheren Schu- len, für die die Forderung „Jugend von den Straßen holen” nicht unbedingt zutraf. Für die demokratische Gesinnung dieser Schüler war Sorge zu tragen. Zuerst wurde festgestellt, daß die Abteilung für Erziehung und religiöse Angelegenheiten im Hauptquartier der Militärregierung Bayern mit der Genehmigung und der Wiedereröffnung aller Schulen beauftragt sei, daß Anträge zwar von den deutschen Stellen beim „Direktor des örtlichen Amts für Verbindung und Sicherheit (Liaison und Security Office)” vorzulegen seien, daß dieses Amt sie aber dem Hauptquartier zum endgültigen Beschluß vorlegen müsse.3 Die

14 Ebda., S. 135; Christoph Rottner: Der Weg zum Bildungsplan 1950. In: Die neue Volksschule. Wallenburg- stiftung Kempfenhausen. München 1950, S. 30 f. 15 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Rechtliche Bestimmungen über das Volksschulwesen in Bayern. Übergangs- richtlinien für die bayerischen Volksschulen. 16 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 42. Sitzung am 11.12.1947, S. 475. 17 Rottner, S. 31. 18 Ebda., S. 30 f. 19 Ebda., S. 31. 20 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. Nr. 11/1946 vom 8.10.1946, S. 159. Bek. d. St. Min. f. U. u. K. vom 1.10.46 Nr. B 73376.

1 siehe S. 45 f. 2 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus Nr. 7/24.7.1946. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. 18.7.46 Nr. VIII 36214, S. 97-105; BayHStA München. MK 52987. Schreiben des Office of Military Government For Bavaria, APO 170. AG 000.8 MGBAE am 26.6.1946 an Minister President for Bavaria. Sub- ject: Approval und Reopening of Schools. 3 Ebda., S. 98.

523 Entscheidung werde an das Kultusministerium geleitet, das diese dann auf dem deutschen Dienstweg der betreffenden Schule zustellen werde. Es dürfe keine Wiedereröffnung von Schulen ohne eine solche Genehmigung geben. Bereits vorher genehmigte Schulen durf- ten weiterarbeiten, mußten aber einer Änderung im Lehrkörper und Lehrplan gewärtig sein. Diesen Schulen wurde vorgeschrieben, innerhalb von 30 Tagen den nachgenannten Richt- linien Folge zu leisten.4 Anträge auf Wiedereröffnung von Schulen mußten den deutschen Dienststellen in englischer und deutscher Sprache eingereicht werden. Anzufügen war ein Verzeichnis der Gebäude, Einrichtungen und Klassenzimmer, die zur Verwendung vorgesehen waren, ferner eine Liste aller Mitglieder des Lehrkörpers „und eine durch das örtliche Amt für Verbindung und Sicherheit ... bestätigte Erklärung, daß alle geprüft und genehmigt” seien.5 Damit soll- te ebenso der demokratische Geist der Schule gesichert werden wie mit den Bestimmun- gen 4) und 5), die zum einen die Aufzählung der vorgesehenen Lehrgänge verlangten und einen Stundenplan, aus dem die wöchentliche Stundenzahl jedes Fachs hervorging, zum anderen eine Erklärung darüber, „welche Ziele der Lehrplan erreichen und welche geistige Haltung er vermitteln” solle. Wichtig war auch eine Bestätigung, „daß die Schule von nazi- stischem und militaristischem Gedankengut” frei sei. Außerdem sollte ein Haushaltsplan vorgelegt werden.6 Im Anhang zu diesen Richtlinien gab es Erklärungen zur Vorgehens- weise. So hieß es bei „Ziele des Lehrplans”, es solle eine Beschreibung der erzieherischen Ziele und Bestrebungen des Lehrplans und der Unterrichtsmethode, die angewendet wer- den solle, angefügt werden. Dann sollte u. a. die Frage beantwortet werden, welche Ziele und Ausrichtung man dadurch erreichen wolle, daß man ein bestimmtes Fach in einer Klas- se unterrichte, und welche Lehrmittel und Bücher man benutzen wolle, falls es überhaupt welche gebe.7 Das Muster der Bestätigung, daß die Schule frei sei von nazistischem und militaristischem Gedankengut, war genau vorgegeben und mußte exakt so geschrieben werden: „Es wird bestätigt, daß ... alle Vorschriften der Militärregierung ... genau beachtet worden sind ..., daß keine aktiven Nazis in irgendwelcher Stellung an dieser Schule beschäf- tigt werden, ... daß keine Lehrbücher, gedrucktes Material oder auf andere Weise verviel- fältigter Lesestoff an dieser Schule benutzt werden, die nicht von der Militärregierung genehmigt sind, und daß kein Unterricht erteilt wird, der darauf abzielt, a) irgendwelches militaristische Ideengut einschließlich des Pangermanismus und des deut- schen Imperialismus zu verbreiten, die Kriegführung oder Mobilisation und Vorbereitung zum Krieg auf irgendeinem Gebiete zu fördern oder dem Studium der militärischen Geo- graphie Vorschub zu leisten, b) die Lehren des Nazismus zu verbreiten, zu erneuern oder zu rechtfertigen oder die Lei- stungen der nationalsozialistischen Führer zu verherrlichen, c) eine Politik der Diskriminierung auf Grund von Rasse, Nationalität, Glauben oder politi- scher Überzeugung zu begünstigen, d) die Beziehungen zwischen den Vereinten Nationen anzufeinden oder den Versuch zu machen, sie zu stören.”8 Bevor diese Bekanntmachung am 13. August 1946 modifiziert wurde, ging bei der „Unterrichts- und Kultus-Abteilung der Militärregierung in Bayern” das Gesuch zur Geneh- migung der Eröffnung der Volksschule in Oberpferdt, Landkreis Hof, ein. Ein Klassenzim- mer und ein Lehrmittelzimmer waren im Schulhaus vorhanden, das insgesamt 50 Kinder aufnehmen konnte. Es gab ein Pult, einen Schrank, einen Stuhl, zwölf Bänke und zwei

4 Ebda. 5 Ebda., siehe S. 165. 6 Ebda., S. 98 f. 7 Ebda., S. 101. 8 Ebda., S. 103 f.

524 Wandtafeln. Elektrische Beleuchtung war vorhanden, Ofenheizung war vorgesehen; bei den hygienischen Einrichtungen hieß es: „Aborte in Ordnung.”9 Der Lehrer Georg Haas war der verantwortliche Schulleiter. Die dem Antrag beigefügte Stundentafel zeigte für jeden Schülerjahrgang fünf Stunden Religion, sieben Stunden Deutsch, eine Stunde Singen, sechs Stunden Rechnen, zwei Stunden Turnen. Im Bereich der vier Unterklassen waren je zwei Stunden Heimatkunde, in den Klassen 5 bis 8 je zwei Stunden Erdkunde und Geschichte und eine Stunde Naturkunde vorgesehen.10 Die geplanten zwei Stunden Mädchenhandar- beit schienen fraglich zu sein, da sie eingeklammert waren. Möglicherweise fehlte die Lehr- kraft. Wer die angegebenen fünf Stunden Religion (sic!) erteilen würde, ob Pfarrer oder Leh- rer, war nicht ersichtlich aus dem Plan. Die Frage des Lehrplans erübrigte sich, da für Volks- schulen die Lehrordnung vom 15. Dezember 1926 und die Übergangsrichtlinien vom 10. Oktober 1945 maßgebend waren.11 Als Erziehungsziel nannte die Volksschule Ober- pferdt: „... die in richtigem Gleichmaß entwickelte Persönlichkeit, die religiös und sittlich, deutsch und sozial empfindet, denkt und handelt. Die Arbeit der Volksschule muß durch Schulung den geweckten, selbständigen und lebenstüchtigen, durch Bildung den wert- strebigen, verantwortungs- und hilfsbereiten Menschen formen und beitragen zum Auf- bau einer wahren Demokratie”.12 Möglicherweise hatten zu viele Anträge zur Wiedereröffnung von Schulen mit ähnlich hübsch formulierten Erziehungszielen Ministerium und Militärregierung erreicht, denn sehr bald wurde die Bekanntmachung von 18. Juli abgeändert und im Amtsblatt mitgeteilt, daß für die öffentlichen Volksschulen, auch wenn sie noch nicht wieder eröffnet seien, die Ver- pflichtung zur Genehmigung entfalle, da der Wiederbeginn des Unterrichts an diesen Schu- len von der Militärregierung für Bayern bereits allgemein genehmigt worden sei. Auch öffentliche Berufsschulen bedürften keiner Genehmigung, weil man sie als Fortführung der öffentlichen Volksschule betrachte. Außerdem verlangte man keine Genehmigung mehr von Schulen, „deren Eröffnung oder Weiterführung bereits von einer örtlichen Militär- behörde oder von der Militärregierung für Bayern zu irgendeinem Zeitpunkt genehmigt worden” sei.13 Der Satz, mit dem bestätigt werden mußte, daß „keine aktiven Nazis in irgendwelcher Stellung” an der Schule beschäftigt seien, wurde präzisiert. Nun mußte die Bestätigung lauten, „daß alle in der Schule Beschäftigten der Mindestforderung des Geset- zes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus entsprechen, nämlich keine Per- sonen der Klassen I und II der dem Gesetz beigefügten Liste, keine Parteimitglieder oder Angehörige der Gliederungen ausschließlich HJ und BDM beschäftigt werden, wenn sie nicht vorher durch die Militärregierung zugelassen oder durch die Spruchkammer als Mit- läufer oder entlastete Personen erklärt worden sind.”14 Vorgeschrieben wurde auch, daß die Genehmigung der Militärregierung für Bayern einzuholen sei, falls Lehrpläne geändert oder Schulbücher angeschafft werden sollten.15 Den Direktoraten der höheren Schulen war schon am 4. Oktober 1945 ein Schreiben des Kultusministeriums mit den Bedingungen für die Aufnahme des Unterrichts zugegan-

9 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4890. Schreiben der Leitung der Volksschule in Ober- pferdt am 17.8.1946 an die Militärregierung für Bayern. 10 Ebda. 11 siehe S. 522. 12 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4890. Schreiben der Leitung der Volksschule in Ober- pferdt am 17.8.1946 an die Militärregierung für Bayern. 13 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus Nr. 8/28.8.1946, S. 118 f. 14 Ebda., S. 118. 15 Ebda., S. 120.

525 gen, obwohl viele erst ein Jahr später ihre Tore wieder öffneten.16 Darin hieß es, daß in den unteren vier Klassen der Unterricht unverzüglich aufzunehmen und im Rahmen des Lehr- stoffes der vier oberen Klassen der Volksschule zu erteilen sei. Auch für die höheren Schulen galt die Lehrordnung von 1926. Als Bücher konnten die für die Volksschule genehmigten verwendet werden. Der Grundsatz für die einzelnen Unterrichtsfächer lautete: „Non multa, sed multum.” Erdkunde und Geschichte sollten ab der dritten Klasse zusammengehen und sich zu „einfacher Kulturkunde” erweitern. Das Erziehungsziel sollte die „Heranbildung und Entwicklung des jungen Menschen zu einer körperlich und geistig gesunden, lebenstüchti- gen und religiös-sittlich gefestigten Persönlichkeit (sein), aufgeschlossen für alle Kulturwer- te des eigenen Volkes und der übrigen Kulturvölker. Erziehung zu selbständigem Denken, zur Achtung vor fremder Überzeugung und zu Verantwortungsbewußtsein muß die Jugend zu demokratischer Gesinnung und Haltung im Staate und in allen übrigen Lebensbereichen führen.”17 Es folgte am 19. Oktober 1945 eine Anweisung des Kultusministeriums zum Schul- beginn der oberen Klassen der „höheren Lehranstalten für die männliche Jugend”, in der die Lehrerkollegien aufgefordert wurden, in „besonderen Sitzungen der einzelnen Fächer- gruppen ... die Stoffpläne von allem nationalsozialistischen Gedankengut zu säubern”. Der dann zur Unterrichtung vorgesehene Lehrstoff sollte „kurz gefaßt” zusammengestellt und „zur Einsicht für den Unterrichtsoffizier der örtlichen Militärregierung” bereitgehalten wer- den.18 Ab Juli 1946 war die Erziehungsabteilung der Militärregierung für Bayern für die Genehmigungen zuständig, und sie prüfte die eingereichten Anträge offensichtlich sorg- fältig, wie man den Antwortschreiben auf Gesuche entnehmen kann. Zum Beispiel sandte sie das eingereichte Manuskript für „Englisch als zweite Fremdsprache” mit einem Wer- tungsbogen (evaluation sheet) dazu zurück.19 Und der Übergangslehrplan für die dreiklas- sigen Mittelschulen für Mädchen wurde mit dem Bemerken genehmigt: „reviewed in this Headquarter”.20 Kontrolliert wurden die Schulen gemäß Anordnung der Militärregierung vom 1. Dezember 1945 durch die periodische Berichterstattung, zu der die Stadt- und Bezirksschulämter verpflichtet waren. Bis zum 25. jeden Monats mußten u. a. ein Volks- schul- und Personalbericht und ein Bericht über das Erziehungswesen vorgelegt werden.21 Die Regierung hatte jeden zweiten Monat eine Übersicht über den Stand des Volksschul- wesens und zum ersten jeden Monats den monatlichen Bericht über das Schulwesen auf einem vorgeschriebenen Formblatt beim Kultusministerium einzureichen. Zwei Kopien davon hatte sie an die Militärregierung für Oberfranken und Mittelfranken in Ansbach, Abteilung Education and Religion, zu geben.22

16 Das Gymnasium Ansbach erhielt die Erlaubnis zur Wiedereröffnung am 19. März 1946, hatte aber bereits seit 22. Januar desselben Jahres Betreuungsunterricht durchgeführt. (Jahresbericht über das Gymnasium Ansbach für das Schuljahr 1946/47. Ansbach 1947, S. 12 f). 17 BayHStA München. MK 52987. Schreiben Nr. VIII 23720 des Bay. Staatsministeriums für Unterricht und Kul- tus am 4.10.1945 an die Direktorate der staatl. höheren Lehranstalten. 18 Ebda., Schreiben des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 19.10.1945 an die Direktorate der staatl. und nichtstaatl. höheren Lehranstalten für die männliche Jugend. 19 Ebda., StK 113972. Office of Military Government for Bavaria, Robert A. Reese, am 05.10.1946. 20 Ebda., Schreiben des OMGB, Robert A. Reese, am 24.10.1946. 21 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4516. G. 5. Schulreferat. Reg.- und Schulrat Merz am 9.9.1946 an den Reg.-Präsidenten - Vorzimmer. RE. v. 6.9.46 Nr. F. 2221. 22 Ebda.

526 4. MAßNAHMEN UND UNTERRICHTSINHALTE MIT DEM ZIEL DEMOKRATISCHER EINSTELLUNG

4.1. VERSCHIEDENE ANORDNUNGEN UND VERSUCHE

Der Ansbacher Oberbürgermeister Körner stellte in seinen Stimmungsberichten an die Militärregierung noch im Juni 1948 fest, daß „(i)m großen und ganzen ... die Jugend noch vielfach desinteressiert abseits (stehe) und ... teilweise noch dem verflossenen Nazi- reich” nachtrauere. Die Haltung der Schüler, vor allem in den Mittel- und Oberschulen, schi- en recht problematisch zu sein. Was dort zuweilen zum Ausdruck komme, sei nicht nur der Zweifel, der der Jugend zukomme, sondern verrate „vielfach noch den Wandel in den Spu- ren nationalsozialistischer Vergangenheit”.1 Auch im Bayerischen Landtag gab die Abge- ordnete Dehu (CSU) zu, daß in einem Volk, „das zwölf Jahre Nationalsozialismus erlebt hat, ... Restbestände der nationalsozialistischen Mentalität vorhanden” seien.2 Diese Beobach- tungen waren wohl auch anderenorts gemacht worden, da sich zu diesem Zeitpunkt die Auseinandersetzungen um die äußere Umgestaltung der Schulen in Bayern entspannten und die Amerikaner nach der Berchtesgadener Konferenz im Oktober 1948 die Bedeutung der inneren Schulreform anerkannten. Die Fragen, was gelehrt, wie es gelehrt und durch wen es gelehrt wird, wurden wichtiger.3 Die Gemütsbildung sollte größeren Raum einnehmen, um der Jugend nach dem „Verlust der Vorbilder” Halt zu geben oder aber ihrem Verlangen nach Dichtung und Musik nachzukommen, das anderenorts auch festgestellt worden war. „Hellhörigkeit und Dank- barkeit” für diese Dinge und nie gekannte „Aufgeschlossenheit im Religionsunterricht” ver- meinte man festzustellen, und die Forderung lautete: „Es ist Saatzeit, wir müssen sie nut- zen.”4 In diesem Sinne gab das Kultusministerium bekannt, daß das Bayerische Rote Kreuz mit Schulbeginn 1946/47 Sanitätskurse für Jugendliche einrichtete, „die den Geist der Hilfs- bereitschaft und Nächstenliebe in alle Schichten der Jugend tragen” sollten.5 Demselben Geist verpflichtet war die für den 12. Dezember 1946 angesagte Feierstunde in allen bayeri- schen Schulen, „in der die Schüler zur Hilfsbereitschaft für die Heimat- und Obdachlosen aufgerufen werden” sollten.6 Der Abgeordnete Linnert (FDP) verlangte, den Schülern die in der deutschen Geschichte vorhandene „demokratische Tradition”, z.B. das Jahr 1848 und das Frankfurter Parlament, das seiner Meinung nach das „geistig höchststehende” war, nahezubringen, ihnen etwas über die Verfassung und die Wichtigkeit der Parteien zu sagen und sie darüber zu belehren, daß zur Demokratie Opposition und Kritik gehören.7 Das Kul- tusministerium ordnete zum „Tag der Opfer des Faschismus” am 12. September 1948 an, daß „in den bayerischen Schulen im Rahmen des Unterrichts in würdiger Weise der Opfer des nationalsozialistischen Terrors gedacht” werde. Die Gestaltung der Gedenkfeier blieb den Schulen überlassen.8

1 Woller, Zur Demokratiebereitschaft, S. 358 f und 361. 2 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 6. Sitzung am 31.1.1947, S. 120. 3 Bungenstab, S. 56. 4 Braeker, S. 6. 5 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 9 vom 12.9.1946, S. 139. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult vom 3.8.46 Nr. IV 39198 über sanitäre Ausbildung der Jugend durch das BRK. 6 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 98 vom 9.12.1946, S. 1. 7 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 42. Sitzung am 11.12.1947, S. 445 f. 8 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. Nr. 8/17.8.1948, S. 102. Bek. d. Staats- min. f. Unt. u. Kult vom 11.8.48 Nr. VIII 52233. Der Gedenktag war von Überlebenden der Konzentrations- lager und Zuchthäuser und nach 1945 zurückgekehrten Emigranten angeregt worden. Menschen aus dem

527 Die Ankündigung einer „Feier des Nationalen Gedenktages des deutschen Volkes” in den Schulen am 7. September 1950 zeigte erneut, worauf immer wieder hingewiesen werden mußte. Nach einem Beschluß der Bundesregierung war der Jahrestag des ersten Zusammentretens des Bundesrates und des Bundestages zum nationalen Gedenktag erko- ren worden. Die Schüler sollten im Rahmen des Unterrichts auf die Bedeutung dieses Tages hingewiesen werden und Gelegenheit haben, die Ansprache des Bundeskanzlers und die Rede des Bundespräsidenten zu hören.9 Weiter hieß es in der Bekanntmachung: „Die Erin- nerung an das Wiedererstehen des deutschen politischen Lebens und das Bekenntnis zur verfassungsmäßigen Ordnung des neuen Staates sollen im Mittelpunkt der Gedenkstunde stehen. Gleichzeitig ist aller Opfer der letzten Vergangenheit ehrend zu gedenken. Hierbei darf kein Unterschied bestehen zwischen den Toten, die als Opfer des Bombenkrieges in der Heimat, als Soldaten oder als Gefangene oder aus politischen, rassischen oder religiö- sen Gründen ihr Leben gegeben haben.”10 Auch zur „Woche der Brüderlichkeit” gab es eine Bekanntmachung des Kultusministeriums mit der Anweisung, in den Schulen auf ihre Bedeutung hinzuweisen, nämlich „die Werbung für den Gedanken der Menschenliebe, für das Verständnis zwischen den Völkern, Rassen und Religionen und für die Bereitschaft zum Frieden”.11 Die Entschließung des Ministeriums über die „Erlernung des Deutschlandliedes und des Bayernliedes in den bayerischen Schulen” war allerdings so gefaßt, daß man über die Absichten nicht unbedingt die letzte Klarheit gewinnen konnte. Dort hieß es nämlich: „Die Erlernung des Deutschlandliedes (‚Deutschland, Deutschland über alles‘) und des Bayern- liedes ... wird für sämtliche bayerische Schulen angeordnet. Im Unterricht ist darauf hinzu- weisen, welche Bedeutung die dritte Strophe des Deutschlandliedes als deutsche National- hymne hat.”12 Warum sollten die Schüler die beiden ersten Strophen des Deutschlandlie- des lernen, und war man 1953, als die Entschließung bekanntgemacht wurde, schon so weit, daß den Schülern die doppelte Bedeutung des „Deutschland über alles” klar wurde? Bestand nicht die Gefahr, daß, zu einer Zeit, da viele Lehrer die jüngste Vergangenheit im Geschichtsunterricht wegließen, weil sie noch nicht damit umgehen konnten, unangemes- sene Reminiszenzen vermittelt wurden, wenn es hieß „... von der Maas bis an die Memel,

kommunistischen, sozialdemokratischen, humanistisch-demokratischen Widerstand, dem Widerstand aus der evangelischen und katholischen Kirche und aus konservativen Kreisen hatten ebenfalls dazu aufgerufen. Jeweils am zweiten Sonntag im September sollte aller Opfer nationalsozialistischer Gewaltherrschaft gedacht werden. Noch in den Jahren 1946/47 hatte der Gedanke „nie wieder Krieg und Faschismus” alle Parteien und Zehntausende von Menschen im Berliner Lustgarten vereint. Später wurde der Gedenktag in West- deutschland vergessen, während er in der DDR jedes Jahr begangen wurde. (DDR Handbuch. Herausgege- ben vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen. 2. Auflage. Köln 1979, S. 369; Antifaschisti- sche Nachrichten - Aktionstag gegen Rassismus und Neonazismus. Internetseite „http://www.infolinks.de/an/1998/18/005.htm” 18/1998, aufgerufen am 19.12.00; D.I.R. - Nachrichten - Aktionstage gegen Rassismus Internetseite ”http://www.dir-info.de/nachrichten/infolink/99/09/99090803c14171.htm” vom 08.09.1999, aufgerufen am 19.12.00; junge Welt Internetseite ”http://www.jungewelt.de/1998/09-12/003.htm” vom 12.09.1998, aufgerufen am 19.12.00; Tag der Erinnerung, Mahnung und Begegnung Internetseite ”http://archiv.berliner-morgenpost.de/archiv1997/970915/berlin/story304875.html” vom 15. September 1997, aufgerufen am 19.12.00; Textarchiv der Berliner Zeitung Internetseite ”http://www.berlinonline.de/.bin/print.php/wissen/berliner-zeitung/archiv/1997.../index.htm” vom 27.01.1997, aufgerufen am 19.12.00.). 9 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. Nr. 15/4.9.1950, S. 273. Bek. d. Staats- min. f. Unt. u. Kult vom 1.9.50 Nr. VIII 60570. 10 Ebda. 11 Ebda. Nr. 2/29.1.1951, S. 19. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult vom 13.1.1951 Nr. VIII 1806. 12 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. Nr. 10/22.6.1953, S. 159.

528 von der Etsch bis an den Belt ...”? Die Entschließung war doch ziemlich unreflektiert for- muliert. Gemütsbildung sollte auch erreicht werden, wenn z.B. gefordert wurde, daß der Gottesdienst erneut „in die Arbeit der höheren Schule” eingebaut werden solle. Er gehöre dazu, da „christlich-deutsche Menschen”, der ritterliche Mann und die edle Frau wieder erzogen und gebildet werden müßten. So jedenfalls sah es Schnippenkötter und schlug vor, für die ganze Schulgemeinde, zu der Eltern, Kirche, Angehörige und Freunde gehörten, einen wöchentlichen Schulgottesdienst zu halten, an dem die Schüler mitwirken sollten.13 Für die bayerischen Schulen war mit Verfügung des Kultusministeriums vom 20. Oktober 1947 die Bekanntmachung vom 19. Dezember 1938 außer Kraft gesetzt worden, durch welche die Veranstaltung von Gottesdiensten durch Schulen abgeschafft worden war.14 Damit war der frühere Rechtszustand wieder hergestellt worden, und es galten die Bestim- mungen, daß „(s)owohl an den höheren Lehranstalten als auch an den Volksschulen ... an den Tagen des Schuljahrsbeginns und Schuljahrsschlusses feierliche Schülergottesdienste abgehalten werden” sollten. Die Erziehungsberechtigten konnten bestimmen, „ob und in welchem Umfang die Kinder den Schulgottesdienst besuchen. Die Lehrpersonen (waren) nicht verpflichtet, bei der Beaufsichtigung der Schüler mitzuwirken,” doch erwartete man von denjenigen, die zur Erteilung des Religionsunterrichts bereit waren, „daß sie mit ihren den Religionsunterricht besuchenden Schülern an dem Eröffnungs- und Schlußgottesdienst ihres Bekenntnisses” teilnahmen.15 Eine Entschließung des Kultusministeriums vom 12. Oktober 1946 wurde allgemein begrüßt und ließ sich in Bayern auch ohne Schwierigkeiten verwirklichen: die „Wiederan- bringung von Kreuzen in Schulzimmern”.16 Kultusminister Fendt begründete sein Verlan- gen folgendermaßen: „Die Kultur des Abendlandes, die in mehr als 2000jähriger Entfal- tung den allergrößten Teil der Menschen verbindet, ist wesentlich getragen vom christlichen Gedanken- und Erlebnisgut, das auch die sicherste Gewähr bietet für eine Entwicklung unseres Volkes zu wahrem Menschentum, zu gegenseitigem Verständnis und Verträglich- keit, zu echter Demokratie und gesichertem Weltfrieden. Die Schule, die der Garten sein soll, in dem unsere Kinder im Schutze ihrer Jugend und ihrer Lehrer einer wahrhaften Volks- und Völkergemeinschaft entgegenreifen, steht darum unter dem Zeichen des christlichen Kreuzes, an dem in dem oben erwähnten Sinn auch Nichtchristen als Abendländer teilha- ben. Der Nationalsozialismus hat dieses Kreuz entfernt, und die meisten Deutschen, auch in den nicht konfessionell gebunden Teilen, haben das als Schlag gegen eine ehrwürdige Überlieferung und als Ausdruck einer neuen, das Gute und Heilige bedrohenden Moral empfunden.”17 Damit hatte Fendt sicherlich recht. Die von der Autorin befragten Lehrer waren sich darin einig, daß die Entfernung der Kreuze unter den Nationalsozialisten als schlimmes Unrecht betrachtet worden war, und für manche war dieses Vorgehen u. a. ein Grund dafür, die Wiedererrichtung der Bekenntnisschulen in Bayern zu befürworten.18 Die „Übergangs- richtlinien für die bayerischen Volksschulen” hatten bestimmt, daß „(d)ie Ausstattung des Schulhauses und der Schulzimmer ... die entschlossene Abkehr von allen nationalsozialisti- schen Einflüssen, sowie die Hinwendung zu einem religiös-sittlichen Geist zum Ausdruck

13 Schnippenkötter, S. 10 f. 14 LKAN. Amtsblatt für die Evangelisch-lutherische Kirche in Bayern rechts des Rheins. München. Nr. 23/8.12.1947, S. 107. Nr. 13859 [AZ. 31/5]. 15 Ebda. 16 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 14/22.11.1946, S. 190. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult vom 2.10.1946. Nr. IV 49089. 17 Ebda. 18 Gespräch mit Frau Wilhelmine Hofmann, Treuchtlingen.

529 bringen” müsse.19 Kultusminister Fendt schlug vor: „Soweit noch nicht geschehen, sollen ... die Kreuze in jenen Schulen, in denen sie unter der nationalsozialistischen Herrschaft ent- fernt wurden, alsbald wieder angebracht werden.”20 In vielen Schulen war das ohnehin gleich nach der Wiedereröffnung geschehen, wie z.B. der Schulrat des Landkreises Eber- mannstadt bemerkte: Viel Schönes und Nachahmenswertes habe er bei seinen Schulbesu- chen feststellen können, etwa das Kreuz im Herrgottswinkel.21 Die Regierung von Ober- und Mittelfranken meldete am 14. Januar 1947 aber doch noch einen Bedarf von 644 Kreu- zen für die Schulzimmer.22 Allerdings bemängelte der Schulrat des Landkreises Ebermannstadt in seinem Rund- schreiben auch, daß im Hausflur einer Schule das Bild des „greisen General Feldmarschalls” geprangt habe.23 Das schien kein Einzelfall gewesen zu sein, denn zum Schuljahrsbeginn 1946 wurde in der Schulleitersitzung in Fürth angeordnet: „Sind noch Hindenburgbilder in einer Schule, so mögen sie im Schulamt abgeliefert werden.”24 Und noch 1947 gab es einen Erlaß des Kultusministeriums, zu dem es im Amtlichen Schulanzeiger für den Regierungs- bezirk Oberfranken und Mittelfranken hieß: „Der nachfolgende Erlaß ... ist genauestens zu beachten.” Es bestehe Anlaß (sic!), „erneut darauf hinzuweisen, daß die Ausstattung der Schulhäuser und Schulzimmer von allen nationalsozialistischen und militaristischen Einflüs- sen freizuhalten” sei, das gelte „vor allem auch von den als Wandschmuck verwendeten Bildern”.25 Diese Entschließung zog eine etwas heikle Anfrage nach sich. Der Schulleiter in Irfersdorf, Post Kipfenberg, bat das Schulamt Eichstätt um Bescheid, „ob das Bild des gefal- lenen Lehrers Hans Reindl (in Offiziersuniform!) aus dem Schulzimmer entfernt werden” müsse. Eine Notiz von Regierungsschulrat Salffner auf dem Schreiben besagte: „Eine gene- relle Regelung kann für diesen Fall nicht getroffen werden.” Vermerkt war auch, daß das Problem mündlich, nicht aber, wie es erledigt wurde.26 Ein anderer, viel verbreiteter Brauch paßte möglicherweise nicht mehr in die verän- derte Schulsituation, die Vergabe von sog. „Fleißbilletten”. Auch dazu gab es eine Verfü- gung des Kultusministeriums, das seine Billigung ausgesprochen hatte. Angeblich habe es eine ständige Nachfrage von Lehrern nach diesen Bildchen gegeben, so daß das Münchner Jugendkulturwerk der Regierung von Mittelfranken das Angebot von 18 Stück zu 25 Pfen- nig machte. Die Stellungnahme des befragten Bezirksschulrats Roedl, Ansbach Land, lau- tete: „Wer keine erziehlichen Bedenken gegen solche ‚Belohnungen‘ in seiner Schule trägt, mag sie um ihres ästhetischen Wertes willen anderen Preisen vorziehen ...”27 Die Ordens- schwestern der Katholischen Mädchenschule in Aichach hatten keine Bedenken, nach die-

19 LKAN. LKR VI 1100a (3064) Anlage zur E. d. Bayer. St. Min. f. Unt. u. Kult vom 10.10.1945, Nr. IV 25000. 20 Dokumente zur Schulreform, S. 41. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult vom 12.10.1946 Nr. IV 49089. 21 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Schreiben des Schulrats des Landkreises Eber- mannstadt am 23.10.1945 an alle Schulleitungen (Rundschreiben R. 45/12). 22 Ebda., Nr. 4518. Schreiben der Reg. von Ofr./Mfr., am 14.1.1947 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 23 Ebda., Nr. 4487. Schreiben des Schulrats des Landkreises Ebermannstadt am 23.10.1945 an alle Schulleitun- gen (Rundschreiben R. 45/12). 24 Ebda., Nr. 4518. Niederschrift am 7.9.1946 über die Schulleitersitzung am Samstag, 31.8.1946 in Fürth. 25 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken. Ansbach. 15. Jg. Nr. 6/10.6.1947, S. 38. RE. v. 28.5.1947, Nr. 1894 a 52. E. d. Bay. Staatsmin. f. Unt. u. Kult vom 25.4.1947 Nr. IV 14166, AzU 1/2/14c. 26 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Schreiben der Schulleitung Irfersdorf, Post Kip- fenberg, am 18.6.1947 an das Schulamt Eichstätt. 27 Ebda., Nr. 4519. Schreiben des Stadtrats der Landeshauptstadt München/Münchener Jugendkulturwerk, am 6.9.1948 an Regierungsschulrat Salffner, Regierung von Mittelfranken. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult vom 30.8.1948. Nr. IV/57173.

530 sem jesuitischen Verfahren zu belohnen28, denn die Verfasserin erinnert sich gerne an die „Fleißbildchen”, kindertümliche Zeichnungen Kaffee kochender Osterhasen, Schmetterlin- ge, die die gastfreundliche Ameise besuchten, oder auch Heiligenbildchen, auf denen blondlockige Kinder flammende Herzen in den Händen hielten. Ob sie von ästhetischem Wert waren, mag zweifelhaft sein, aber man arbeitete schwer dafür, denn nur nach zehn „gut” - Einträgen hatte man Anspruch darauf. Ein „gut” erhielt man für einen besonders schönen Hefteintrag, eine zusätzliche Hausaufgabe oder für ausnehmend freundliches und höfliches Betragen. Ein weiteres Gebiet, das einer Umerziehung bedurfte, war die Sprache, die sich in zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft in einer Weise entwickelt hatte, die man im günstigsten Fall als Phraseologie bezeichnen konnte, die in vielen Begriffen aber die ganze Unmenschlichkeit des Systems belegte. Worte wie „lebensunwert” oder „Untermenschen” hatten Verachtung und die Bereitschaft zum „Ausmerzen” geweckt. „Meckerer”, „Volks- schädlinge”, „Ehrgeizlinge” diffamierte diejenigen, die berechtigte Kritik am Regime übten. „Blut und Boden”, „Kämpfertum”, „Lebensraum im Osten” suggerierten das Recht der Deutschen, sich zu nehmen, was man wollte. Braeker nannte als eins „der dunkelsten Kapi- tel der abgelaufenen Epoche ... die gestörte Beziehung zwischen Mensch und Sprache” und forderte, daß die Schule ihr „Wächteramt” in diesem Bereich wieder aufnehmen müsse.29 Die Pflege der Sprache in der Schule sei vordringlich, die „Herrschaft des Schlag- worts” müsse gebrochen werden, die „Magie der Sprache” dürfe nicht länger dem Bösen dienen.30 Diese „geistige Verwahrlosung” war gar nicht so schnell zu überwinden; Begriffe wie „Volksgemeinschaft” oder „Führertum” gingen „auch erwiesenen Demokraten glatt über die Lippen”.31 Manche gewählten Volksvertreter oder auch Verfasser neuer Schulre- formpläne verwendeten wie selbstverständlich die Begriffe der Nazi-Zeit,32 und das Grußwort des Regierungspräsidenten von Mittelfranken, Hans Schregle, zum Jahreswech- sel 1951 enthielt den Dank der Regierung an die mittelfränkischen Lehrer. Sie wünschte ihnen „für das Jahr 1951 alles Gute und die Kraft zu noch vermehrter Leistung im Dienste der Schule, der Quelle volklicher Entwicklung und staatlicher Gestaltung”.33 Der Schulrat des Landkreises Ebermannstadt verschickte an seine Schulleiter Rundschreiben, die in ziem- lich scharfem Kasernenhof-Ton gehalten waren. Er verlangte die Einhaltung von Berichts- terminen, da er sonst „Gefahr laufe, um Ihretwillen von den Amerikanern der ‚unfähige Deutsche‘ bezeichnet zu werden. ... Ich werde in Zukunft gegen derartige gleichgültige und rücksichtslose Mitläufer in unseren Reihen schärfstens vorgehen. ...”34 Nicht nur durch Pflege der Sprache sollte eine Bewußtseinsänderung herbeigeführt werden. Die „Wiedereinführung des hebräischen Unterrichts an den höheren Lehranstal- ten”35 mit Beginn des Schuljahrs 1947/48 diente sicher in erster Linie der Ausbildung zukünftiger Theologen. Aber sie war auch ein Stück wiedergewonnene Normalität; die Ver- zerrung des Blickwinkels für alles, was mit Juden zu tun hatte, hatte - zumindest in diesem Bereich des Unterrichts - keine Gültigkeit mehr. Die vorgesehenen Lehrkräfte waren die Reli- gionslehrer.

28 ”Greifbare Verstärker” in der Pädagogik der Jesuiten waren z.B. Bilder oder fromme Büchlein, die den stän- digen Wettbewerb der Schüler untereinander aufrecht erhalten sollten. Vgl. dazu: Rüdiger Funiok/Harald Schöndorf (Hrsg.), Ignatius von Loyola und die Pädagogik der Jesuiten. Ein Modell für Schule und Persönlich- keitsbildung. Donauwörth 2000, S. 166. 29 Braeker, S. 9 ff. 30 Ebda. 31 Benz, Potsdam, S. 78. 32 siehe S. 188, 234. 33 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken. Ansbach. Nr. 1/1.1.1951, S. 1. 34 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Schreiben des Schulrats des Landkreises Eber- mannstadt am 16.10.1945 an alle Schulleitungen (R 45/11). 35 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus Nr. 13/24.10.1947, S. 106.

531 Manchmal wurden die Schulen behördlicherseits aufgefordert, Unterrichtsinhalte für alle Kinder aufzugreifen. Das Stadtschulamt Nürnberg veranlaßte 1946 die Schulleitungen aller Schulen, den Kriegs- und Nachkriegserlebnissen der Schüler Rechnung zu tragen. Nürn- berger und Flüchtlingskinder sollten sich von der Seele schreiben, was sie durchgemacht hatten bzw. in welcher Notlage sie sich befanden. Stadtschulrat Barthel nannte das Ergeb- nis eine Dokumentensammlung, die erschütterte, in ihrer Art aber auch einmalig war.36 7000 Aufsätze schrieben die Nürnberger Schulkinder. Glaser nennt sie erschütternd des- wegen, weil „(i)m anerzogenen altklugen Aufsatzdeutsch, mit entlehnten Metaphern und Spruchweisheiten, in vorgestanzten Gefühlsmustern ... die dramatischen Ereignisse geschil- dert (wurden). Erschütternd die redselige Sprachlosigkeit wie die Diskrepanz zwischen Vor- kommnis und Aussage.”37 Ob sich mit dem Von-der-Seele-Schreiben die psychische Gesun- dung der Kriegskinder erreichen ließ, war wohl eher fraglich. Ein paar Jahre später gab es dann Anregungen, die Hilfe der Amerikaner zu würdi- gen - Briefe und Zeichnungen für den amerikanischen Präsidenten über den Segen der Schulspeisung38 - und über die Erfolge und die Bedeutung des Marshallplans nachzuden- ken. Ein „Kinderkunstwettbewerb” wurde von der Marshall-Plan-Verwaltung (ECA und OEEC) ausgeschrieben, den der Bundesminister für den Marshallplan dringend weiteremp- fahl. In den „europäischen Ländern” wurde der Wettbewerb durchgeführt und sollte dazu dienen, „den Gedanken des Marshall-Plans, nämlich die Förderung des europäischen Auf- baues und die Zusammenarbeit der europäischen Länder, zu vertiefen und zu unterstüt- zen”. Die Kinder sollten Bilder malen über die Auswirkungen des Marshall-Plans, z.B. „auf den Gebieten des Wohnungsbaus, der Textil- und Bekleidungswirtschaft, der Ernährungs- und Genußmittelerzeugung, der technischen Gebrauchsgegenstände, der Spielwaren usw.” Die Lehrkräfte sollten nicht nur „werbend” auf den Wettbewerb aufmerksam machen, „sondern auch kurze Ausführungen über die Bedeutung des Marshall-Plans für den deut- schen Wiederaufbau” geben. Es bestanden von seiten des Ministeriums auch keine Beden- ken, den Wettbewerb im Unterricht durchzuführen.39 Ein Preisausschreiben mit dem Thema „Was bringt dir der Schumanplan?” wurde für die bayerischen Schulen nicht genehmigt; man erachtete die Thematik als zu schwer.40 Ob ein Preisausschreiben der „Freedoms Foun- dation Inc.”, das in Zusammenarbeit mit der US High Commission for Germany für 12- 18jährige Schüler der höheren Lehranstalten ausgeschrieben wurde, viel Beteiligung fand, war nicht auszumachen. Gefordert wurde ein Aufsatz von einer Seite zu dem Thema „In Freiheit leben”. Die „Stellungnahme sollte auf dem Credo der Freiheitsstiftung beruhen, dem ein Bekenntnis zu Gott, die Anerkennung einer verfassungsmäßigen Regierung, die dem Wohle der Bürger dient, und eine unteilbare Einheit persönlicher, politischer und wirt- schaftlicher Rechte, die die Würde und Freiheit des Einzelnen zu erhalten bestimmt sind, zu Grunde liegt.”41 Auf einer Seite diese Aufgabe zu bewältigen, war sicher nicht einfach. Die Reifeprüfungsaufsätze der Nachkriegszeit waren ebenfalls ein Spiegelbild der Bemühungen um eine veränderte Erziehung. Drei Gruppen von Themen beschäftigten die Verantwortlichen. Einmal ging es um vorwärts gerichtete Fragestellungen, z.B. „Wo liegen die Aufgaben einer zukünftigen deutschen Jugend?”42 oder „Wie wird Deutschland zum Aufbau einer europäischen Gemeinschaft beitragen können?”43 oder „Welche Gründe las-

36 Barthel, S. 70 ff. 37 Glaser, S. 166 f. 38 siehe S. 58-65. 39 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 1/12.1.1951, S. 6. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult vom 19.12.1950 Nr. VIII 88295. 40 BayHStA München. MK 52426. Preisausschreiben der „Gesellschaft Freies Europa”. 30.9.1951. 41 Ebda., Schreiben der Ständigen Konferenz der Kultusminister am 22.2.1951 an die Mitglieder der Kultusmi- nisterkonferenz der US-Zone. 42 Kurt Debus: Heimkehrer auf der Schulbank. In: Frankfurter Hefte, 1. Jg. Heft 7/Oktober 1946, S. 605. 43 Archiv des Hardenberg-Gymnasiums, Fürth. Jahresbericht über das Schuljahr 1948/49 (116. Schuljahr) der Oberrealschule Fürth i. B., S. 59.

532 sen die wirtschaftliche und politische Einheit Deutschlands als notwendig erscheinen?” oder „Bei den größten Verlusten müssen wir uns sogleich umschauen, was uns zu erhalten und zu leisten übrig bleibt.” oder „Es gibt noch höhern Wert, mein Sohn, als kriegerischen.”44 Der zweite Themenbereich zielte auf die Zeitumstände: „Not und Furcht kennzeichnen weit- gehend die gegenwärtigen Verhältnisse auf der gesamten Erde.”45 oder „Wie würde ich ausländischen Freunden die materielle und geistige Lage der deutschen Jugend verständ- lich machen?”46 Schließlich ging es um die Bedeutung der Klassiker für die Bewältigung der Gegenwart: „Was haben die Dichter der deutschen Klassik der heutigen Jugend mitzuge- ben an Werten, die ihr Dasein formen und bereichern?”47 oder „Kann Goethes Dichtung ‚Hermann und Dorothea‘ uns heutigen Menschen noch etwas bieten?”48 Von ganz beson- derer Qualität war ein Thema, das, 1946 im Abitur für einen Heimkehrer-Sonderkurs gestellt, eine Distanz zu den zurückliegenden zwölf Jahren verlangte, die zu dem Zeitpunkt kaum vorstellbar war: „Individuum und Gesellschaft.”49 Damit setzte man bei den Abituri- enten einen Denkprozeß voraus, der nach den Umerziehungsplänen der Amerikaner eigent- lich erst nach Abschluß der Re-education in Gang gesetzt werden konnte: Das Individuum in der demokratischen Gesellschaft begann ja gerade erst, sich zu orientieren.

4.2. BÜCHER

Die Erkenntnis, daß durch deutsche Schulbücher der Nazizeit militaristische und natio- nalsozialistische Indoktrination betrieben und Mißtrauen und Haß gegen andere und Andersdenkende gesät worden waren, hatten die Amerikaner bereits vor der Besetzung Deutschlands durch Auswertung der Bücher gewonnen.1 Die nationalsozialistische Ideolo- gie habe sich besonders gravierend in den Schulbüchern niedergeschlagen, und daher müsse alles, was „den Geist von Nazismus und Militarismus aufrechterhält oder kriegeri- sche Vorkommnisse verherrlicht, ... aus den deutschen Schulen verbannt” werden.2 „Der Gebrauch aller Schulbücher und Lehrhilfen soll(te) verboten sein, bis zur Zufriedenheit des Oberbefehlshabers bewiesen (sei), daß sie nicht irgendwelche nationalsozialistischen, mili- taristischen oder andere Erscheinungsbilder enthalten, die der Militärregierung entgegen- wirken.”3 Am 9. Juni 1945 hatte die von den Amerikanern herausgegebene Zeitung „Bayeri- scher Tag” mitgeteilt, daß am 4. Juni die ersten vier Klassen der Volksschulen in Aachen eröffnet worden seien und daß es Schulbücher gebe. Die Bücher, die nach 1933 gedruckt

44 Jahresbericht über das Gymnasium Ansbach für das Schuljahr 1946/47. Ansbach 1947, S. 13. 45 Archiv des Hardenberg-Gymnasiums, Fürth. Jahresbericht über das Schuljahr 1948/49 (116. Schuljahr) der Oberrealschule Fürth i. B., S. 59. 46 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. Nr. 8/17.8.1948. o. S. E. des Staats- min. f. Unt. u. Kult vom 20.7.48 Nr. VIII 45999. 47 Archiv des Hardenberg-Gymnasiums, Fürth. Jahresbericht über das Schuljahr 1948/49 (116. Schuljahr) der Oberrealschule Fürth i. B., S. 59. 48 Debus, S. 605. 49 Ebda.

1 Bungenstab, S. 99. 2 Ebda., S. 100. Er zitiert Military Government Regulations 8-400. 3 Ebda. Er zitiert Ernst Schüddekopf, Zwanzig Jahre westeuropäische Schulgeschichtsbuchrevision, 1945-1965. Tatsachen und Probleme. Braunschweig 1966, S. 17; LKAN. LKR VI 1100a (3064). „Rechtliche Bestimmun- gen über das Volksschulwesen in Bayern.” Übergangsrichtlinien für die bayerischen Volksschulen S. 2. Anla- ge zur E. d. Bayer. St. Min. f. Unt. u. Kult. vom 10.10.1945, Nr. IV25000. Hier hieß es: „Die Benützung von Lernmitteln, die nach 1933 geschaffen und eingeführt wurden, wird untersagt. Die verbotenen Schulbücher sind entsprechend der von der Militärregierung gegebenen Weisung sicherzustellen.”

533 worden seien, könne man nicht verwenden, aber auch viele Bücher aus den Jahren vor 1933 hätten „militärische Tendenzen, die sie ungeeignet erscheinen lassen, der Erziehung einer besseren deutschen Jugend zu dienen. Die ersten Schulbücher wurden daher von den alliierten Behörden ausgewählt. Vorläufig stehen drei Rechenbücher und vier Lesebücher zur Verfügung. Während das frühere Rechenbuch für die erste Stufe viele Beispiele aus dem militärischen oder dem Parteileben enthielt, befassen sich die Beispiele des neuen Rechen- buches mit Dingen der Landarbeit, des Handels und des Alltags.”4 Aus welchem Fundus die Militärregierung die Bücher ausgewählt hatte, wurde nicht erwähnt. Als Gerd Kadelbach am 1. Oktober 1945 seinen Dienst in einem unterfränkischen Dorf antrat, vermerkte er in seinem Tagebuch: „Schulbücher gibt es keine, die alten sind von Lastautos der Amerikaner abgeholt worden, ...”5 und bezüglich der Schulbücherei notierte er: „Die amerikanische Militärregierung hat verfügt, daß alle Bücher ohne Aus- nahme auszusondern, einzustampfen oder zu verbrennen sind, die zwischen 1933 und 1945 erschienen sind ...”6 Der Regierungspräsident in Ansbach schrieb an die Oberbürger- meister und Landräte seines Regierungsbezirks, daß die Volksschul-Lehrbücher aus den Jah- ren 33-45 von der Militärregierung beschlagnahmt würden. Die Schüler hätten sie so schnell wie möglich im Schulhaus abzugeben, auch wenn sie auf Kosten der Eltern beschafft wor- den waren.7 Neue Schulbücher gab es bei Eröffnung der Volksschulen im September/Oktober 1945 tatsächlich schon. Sie waren das Ergebnis des sog. Schulbuch-Notprogramms. In Eng- land und in der Bibliothek des Teachers College der Columbia University gab es Exemplare - in letzterer Institution eine Sammlung - deutscher Schulbücher aus der Weimarer Zeit. Aus ihnen wurde ausgewählt, ohne daß gründlichere Untersuchungen wegen des Personal- und Zeitmangels stattgefunden hatten. Acht Lesebücher, fünf Rechen- und Mathematikbücher, drei Geschichts- und vier Naturkundebücher waren im Einvernehmen mit englischen Erzie- hungsoffizieren als geeignet ausgesucht worden. Im Winter 1944/45 ließ man sie in Bonn und Aachen in einer Auflage von 40000 Stück drucken und händigte sie den hinter den Kampftruppen in Deutschland einrückenden Military Government Detachments zur Ver- wendung aus.8 In München wurden dann für die amerikanische Besatzungszone bis zur Wiedereröffnung der Volksschulen insgesamt 5 1/2 Millionen Exemplare dieser Notschul- bücher nach Druckplatten, die in England hergestellt worden waren, nachgedruckt.9 Daß die Bücher eine Übergangslösung darstellten, machte ein Druckvermerk deutlich: „Das vor- liegende Buch wurde gewählt nach gründlicher Untersuchung vieler Schulbücher, die in Deutschland vor der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus in Gebrauch waren. Es ist die gekürzte Form eines Buches, von Deutschen geschrieben, und die gelieferten Aus- züge werden hiermit ohne jedwede Textänderung neu gedruckt. Die Tatsache des Neu- druckes bedeutet nicht, daß dieses Buch vom erzieherischen und anderen Gesichtspunkt völlig einwandfrei ist. Aber unter gegebenen Umständen ist es das geeignetste Buch ...”10 Das bayerische Kultusministerium unterrichtete Anfang September 1945 die Regie- rungspräsidenten von der Lieferung von Schulbüchern. Dort hieß es: „Von der amerikani- schen Volkstumsbehörde [?] sind folgende Schulbücher .... in Druck gegeben: ... d) Mein

4 StAN. Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, Nr. 264. Bayerischer Tag Nr. 4 vom 9.6.1945, o. S.; Privatarchiv Frau Wilhelmine Hofmann, Treuchtlingen. 5 Kadelbach, S. 4 f. 6 Ebda., S. 10. 7 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4637. Schreiben des Regierungspräsidenten, Ansbach, am 25.10.1945. 8 Bungenstab, S. 101. 9 Ebda. 10 Glaser, S. 150 f.

534 Buch (Brückl) - für den 1. Schülerjahrgang; e) Deutsches Lesebuch II - für den 2. Schüler- jahrgang; f) Deutsches Lesebuch III - für den 3. und 4. Schülerjahrgang ...”11 Weitere Bücher sollten folgen. Die Militärbehörden würden sie zu den einzelnen Regierungen bringen. Die Kosten trage der Staat, der die Gemeinden zum Ersatz heranziehen werde.12 Es gab aller- dings örtliche Militärregierungen, denen die schnelle Verteilung nicht so sehr am Herzen lag und denen daher vom „Office of Military Government For Regierungsbezirk Oberfranken & Mittelfranken” noch am 29. November nahegelegt wurde, dies doch möglichst schnell zu tun.13 Wenn also die befragten Lehrer in ihrer Erinnerung sagten, es habe keine Schul- bücher gegeben, so traf das für einen bestimmten Zeitraum in einigen Orten zu. Im gleichen Schreiben wurden die örtlichen Militärregierungen angewiesen, sofort alles Erforderliche zu veranlassen, „um alle Kreise von verbotenen Lehrbüchern zu säubern”. Diese sollten möglichst schnell nach Ansbach geschafft werden. Als letztes Datum der Säu- berungsaktion wurde der 15. Dezember 1945 genannt.14 Kadelbach berichtete in seinem Tagebuch, daß der Kreisschulrat, zusammen mit amerikanischen Soldaten die Neudrucke der Schulbücher von vor 1933 gebracht habe, und jedes Kind besitze ein Lese-, ein Rechen- und ein Naturkundebuch.15 Eine zweite Vorgehensweise zur Verminderung der Schulbuchnot war, Exemplare aus Lagerbeständen der Verlage und Buchhandlungen zu benutzen. Allerdings mußte jeweils ein Exemplar der „Textbook Section” der Militärregierung vorgelegt werden, die die Bücher prüfte und ihre Ergebnisse in Listen veröffentlichte.16 Textbook Sections gab es bei den Militärbehörden jeweils auf Landesebene. Es gab drei Kategorien des Urteils: Liste A ent- hielt „approved texts”, also Schulbücher, die ohne Vorbehalte genehmigt wurden. Liste B nannte „non-approved texts”; das waren Bücher, die auf keinen Fall verwendet werden durften. Liste C schließlich gab „conditionally approved texts” an, Bücher, die unter Vorbe- halt genehmigt wurden.17 Eine Liste vom 1. Dezember 1945 veröffentlichte die im Novem- ber überprüften Bücher, die als Lesematerial für Volksschulen von deutschen Erziehern ein- gereicht worden waren.18 Genehmigt wurden z.B. von Hans Christian Andersen „Der Rei- sekamerad”, Robinson Cruose, Flucht über die Kordilleren (Friedrich Gestäcker), Hermann und Dorothea, Als ich noch der Waldbauernbub war, Die Schildbürger, Pole Poppenspäler, Der Schimmelreiter, Ut mine Festungstid (Fritz Reuter). Es handelte sich hier um Reuters Erin- nerungen an die Festungshaft, zu der er, obwohl ursprünglich als Opfer der Demagogen- verfolgung nach dem Hambacher Fest zum Tode verurteilt, von König Friedrich Wilhelm III. begnadigt worden war. Er schilderte die schweren Erlebnisse ohne Bitterkeit und mit „ver- söhnendem Humor”.19 Die Schilderung des Leidens um der Freiheit willen konnten die ame- rikanischen Prüfer wohl genehmigen! Abgelehnt wurden laut Liste B Werke von Jeremias Gotthelf, die man als verbotenes Lesematerial für Volksschulen einstufte: „Der Besenbinder von Rychiswyl” und „Elsi, die seltsame Magd”. Vielleicht fanden die amerikanischen Prüfer

11 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4637. Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 8.9.1945 an die Herren Regierungspräsidenten. 12 Ebda. 13 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4739. Schreiben des Office of Military Government For Regierungsbezirk Oberfranken & Mittelfranken. Bavaria. Education & Religion Office, am 29.11.1945 to all Directors, Offices of Military Government, Regierungsbezirk Oberfranken & Mittelfranken. 14 Ebda. 15 Kadelbach, S. 7. 16 Bungenstab, S. 103; Mayer, S. 284. 17 Ebda. 18 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4637. Office of Military Government, US Zone. Inter- national Affairs Branch. Education and Religious Affairs. Textbook Section. HQ USFET. APO 757. 1. Dec. 1945. 19 W. Grabert/A. Mulot: Geschichte der deutschen Literatur. München 1961, S. 360.

535 in Gotthelfs Werk zu viel glaubenseifrige christliche Frömmigkeit und Haß auf neumodi- schen Liberalismus, unangebrachte sittlich eifernde Belehrungen und die Bejahung des gott- gewollten Verhältnisses zwischen Herr und Knecht.20 Die Liste C, also unter Vorbehalt genehmigtes Lesematerial für Volksschulen, enthielt Werke wie „Das kalte Herz” (Wilhelm Hauff), „Heidefahrten” (Hermann Löns), „Die Jung- frau von Orleans” und „Wilhelm Tell”. Zu dieser Entscheidung wurde erläuternd hinzuge- fügt: Die Bücher können an deutschen Schulen verwendet, aber nicht wieder gedruckt wer- den („but NOT, repeat not, for reprinting”). Besonders zu achten war auf das exakt ange- gebene Jahr der Ausgabe („exact edition specified”); spätere Auflagen desselben Titels waren nicht freigegeben („are totally objectionable”).21 Ob Schillers Dramen den Amerika- nern ihrer Thematik wegen verdächtigt waren oder ob die Prüfstücke irgendwelche natio- nalsozialistische Hinzufügungen oder Weglassungen hatten, konnte anhand der Verlaut- barung vom 1. Dezember nicht festgestellt werden. Bei Lehrbüchern, die unter die Liste C fielen, wurde oft detailliert angegeben, welche Textseiten, Absätze, Passagen, Fußnoten gestrichen werden mußten.22 Und das waren nicht wenige! Die Schulbücher waren nach Aussage General Clays „derart mit nazistischer Welt- anschauung durchsetzt, daß selbst Rechenaufgaben einen militaristischen Einschlag hatten. Man hatte die deutschen Kinder gelehrt, Kanonen und Granaten statt Äpfel und Birnen zu addieren und zu subtrahieren”.23 Auch von deutscher Seite kamen Vorschläge zur Revision der Schulbücher. Schulrat Hagen aus Dinkelsbühl formulierte sie bereits am 31. Mai 1945 in leidlichem Englisch: „As long as the children must use their old schoolbooks, all pieces that contain a stock of Nazi ideas, of course, are omitted. In a meeting of teachers attenti- on ought to be directed to them. All pictures, too, out of same spirit, ought to be removed from the readers. All problems of calculation, taking their material from the stock of Nazi ideas, must be cancelled.”24 In der Praxis sah das Verfahren so aus, daß die Lehrer die bean- standeten Stellen schwärzen mußten,25 was die von der Verfasserin befragten zum Teil bestätigten.26 Die Arbeit war mühsam und umfangreich und brachte den damaligen Kul- tusminister auf den absonderlichen Gedanken, sie durch dienstenthobene Lehrer durch- führen zu lassen. In einem Schreiben an die Militärregierung am 30. November 1945 erläu- terte er die angespannte Lehrersituation und meinte zu Recht, daß Lehrer, die zwei oder drei Klassen zu führen hätten, nicht auch noch Schulbücher bearbeiten könnten. Amtsent- hobene Lehrer sollten daher diese Arbeit tun. Sie sollten Angestellte sein, nicht mehr als 3000 RM jährlich verdienen, nur von Monat zu Monat beschäftigt und vom Ministerium überwacht werden, „so daß nazistische oder militaristische Infizierung ausgeschlossen” sei.27 Die Militärregierung zeigte erstaunlicherweise Entgegenkommen, jedoch ließ Fendt

20 vgl. dazu Grabert/Mulot, S. 328 f. 21 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4637. Office of Military Government, US Zone. Inter- national Affairs Branch. Education and Religious Affairs. Textbook Section. HQ USFET. APO 757. 1. Dec. 1945. 22 Mayer, S. 289. 23 Clay, S. 333. 24 StAN. Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, Nr. 264. Schreiben des Schulrats M. Hagen, Dinkelsbühl, am 31. Mai 1945 to the Landrat Dinkelsbühl. Reference: Resumption of Lessons in the 4 lower classes of Primary Schools after breakdown of 3rd Reich. 25 Mayer, S. 289. Er berichtet von Volksschullehrern in Hessen, die aus Schulbüchern Quellentexte ausschnitten, aufklebten und auf diese Weise die ersten Quellensammlungen erstellten. 26 Gespräch mit Frau Wilhelmine Hofmann, Treuchtlingen. Das Gymnasium Ansbach erwähnte dieses Vorge- hen in seinem Jahresbericht 1946/47 folgendermaßen: „Die Neuordnung der Kartensammlungen, der natur- wissenschaftlichen Sammlung, der Lehrer- und Schülerbibliothek wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen.” (Jahresbericht über das Gymnasium Ansbach für das Schuljahr 1946/47. Ansbach 1947, S. 13). 27 BayHStA München. MK 62119. Schreiben Dr. Fendts am 30.11.1945 an die Militärregierung für Bayern. Betreff: Bearbeitung von Schulbüchern und Lernmitteln durch dienstenthobene Lehrer.

536 die Idee nach Rücksprache mit dem Ministerpräsidenten am 9.1.1946 fallen.28 Sie war doch ziemlich gewagt, und die Reaktion in der Öffentlichkeit wäre wahrscheinlich nicht sehr posi- tiv gewesen. Schulbücher, die unter Vorbehalt genehmigt wurden, konnten aber auch einen umgekehrten Effekt erzielen. In Italien hatte man nämlich aus den Büchern die besonders faschistischen Seiten entfernt, und die Jugend versuchte, gerade ihrer habhaft zu werden, um sie voller Neugierde zu lesen.29 An manchen genehmigten Schulbüchern schieden sich die Geister. Das Stadtschul- amt Nürnberg hatte den Antrag gestellt, die bereits vor 1933 eingeführte Fibel von Brückl nach der Entfernung bestimmter Seiten freizugeben. In neueren Auflagen waren nämlich Blätter hinzugekommen, z.B. auf Seite 3 „Führerbild” und Themen wie : Flaggenhissung, Hakenkreuzfahnen, Heil Hitler!, Führers Geburtstag, Soldaten, Jungvolk, Fahnengruß.30 Auch das „Deutsche Lesebuch für Volksschulen” 1. Bd. für das 2. und 3. Schuljahr hätte man gerne wieder „brauchbar gemacht” durch Entfernen der Titel „Deutsches Gebet”, „Der Führer kommt”, „Vaters Narbe”, „Manöver im Dorf”.31 Gegen diese Bücher wurde aber auch protestiert, und zwar bei der Fibel von Brückl wegen der Lehrmethode. Sie enthalte die Ganzwort-Methode, die aber nur in Verbindung mit dem Lesekasten durchgeführt werden könne, und der sei nicht vorhanden. Außerdem fehlten auch die dafür ausgebildeten Lehrkräfte. Es gebe „Verwirrung und Stockung im Schulbetrieb, Ratlosigkeit der neuen Lehrer, Mißtrauen der Elternschaft gegen die neue Schule und propagandistische(n) Auftrieb für alle Gegenkräfte”.32 Gegen das „Deutsche Lesebuch” Band 2 für das 5.-8. Schuljahr wurden inhaltliche Mängel geltend gemacht. Immer noch gebe es Titel wie „Königin Luise im Osten” oder „Friedrich des Großen Anspra- che vor der Schlacht von Leuthen”; und dem ebenfalls verwendeten Balladenbuch wurden Titel angekreidet wie „Der alte Zieten” („Hei, wie den Feind sie bleuten!”) oder „Friedericus Rex”.33 Von den Rechenbüchern für Volksschulen wurde ungefähr ein Drittel zurückgewie- sen. Verwendung fand z.B. das „Deutsche Rechenbuch” für das 7. und 8. Schuljahr, obwohl sich dort die Aufgabe fand „Wie der Versailler Vertrag für unser Vaterland schwere Verlu- ste herbeiführte. Wir wollen noch berechnen, welchen Nachteil die Gebietsabtretungen für die deutsche Industrie darstellen.”34 Die Neue Zeitung berichtete im März 1946: Zwischen Juni 1945 und dem Beginn des Jahres 1946 „wurden der Militärregierung 318 Schulbücher für die Höheren Schulen vor- gelegt, von denen 175 die Billigung ... fanden, 30 mit Veränderungen angenommen wur- den, während 113 zurückgewiesen werden mußten”.35 Bis Frühjahr 1948 „wurden von 2509 Titeln 1407 vorbehaltlos zur Wiederverwendung freigegeben, bei 535 Titeln mußten Streichungen vorgenommen werden und 567 Titel wurden überhaupt nicht ... zugelas-

28 Ebda. 29 Bungenstab, S. 100 f. 30 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4637. Schreiben des Regierungspräsidenten von Ober- franken und Mittelfranken am 13.2.1946 an den Director Military Government Office US Zone (Main) APO 757 über das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Zulassung von Lesebüchern zum Gebrauch an Volksschulen. 31 Ebda. 32 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 39 vom 17.5.1946, o. S. 33 Ebda. Dieselben Inhalte mochte der Abt von Ettal im Blick haben, der Unterrichtsbücher ablehnte, „in denen sich militaristischer und preußischer Geist” auswirke. Er nannte dasselbe Lesebuch und den Balladenband und gab die beanstandeten Seiten an. (Schreiben des Abtes des Benediktinerklosters Ettal am 15.3.1947 an die Bayerische Staatskanzlei). 34 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 39 vom 17.5.1946, o. S. 35 Ebda., Nr. 18 vom 4.3.1946, S. 3. „Höhere Schulen in Betrieb.”

537 sen”.36 Bungenstab kommt angesichts dieser Zahlen zu der Auffassung, daß die deutschen Erzieher und Schulbehörden der amerikanischen Besatzungszone „die Zeichen der Zeit in Form der von den Amerikanern geforderten politischen Neuorientierung ... nicht verstan- den hatten oder vielleicht auch nicht verstehen wollten”.37 Die Schulbehörden hätten ja wohl Bücher vorgelegt, von denen sie annahmen, daß die Militärregierung sie zulassen würde.38 Hier sollte man gerechterweise anfügen, daß die Deutschen die Zeichen der Zeit vielleicht auch nicht verstehen konnten. Es war ihnen in zwölf Jahren Nazi-Regime wohl doch auch der klare Blick verlorengegangen, der nötig gewesen wäre, um ein Urteil zu fäl- len über unzumutbare Titel in Lehrbüchern. Vielleicht hatten sie auch gehofft, das eine oder andere Buch zu retten, um die schwierige unterrichtliche Situation ohne Bücher zu erleich- tern, was vor allem bei den Mammutklassen sehr hilfreich gewesen wäre. Schließlich muß man ihnen auch zugutehalten, daß sie von der Ablehnung ihrer Vorschläge durch die Militärregierung selbst überrascht waren, da z.B. das Verbot der Werke des Schweizer Dicht- ers Gotthelf nicht ohne weiteres vorhersehbar war. Am häufigsten wurden Geschichts- und Erdkundebücher abgelehnt, verständlich, wenn man bedenkt, daß die Neuinterpretation der deutschen Geschichte hinsichtlich ihrer demokratischen Tendenzen ein besonderes Anliegen der Amerikaner war.39 Von 18 im Sommer 1946 vorgelegten Geschichtsbüchern wurden nur zwei, und zwar mit verschiedenen Einwänden und der Auflage, Teile umzu- schreiben, zugelassen.40 Im selben Jahr gab es noch einen Antrag bei der UNESCO-Konfe- renz in Paris, der eine „Überprüfung der Schulbücher in internationalem Rahmen” emp- fahl. „Alle geschichtlichen Texte, die Mißtrauen, Haß oder Kriegslust wecken könnten, soll(t)en aus den Schulbüchern entfernt werden.” Die UNESCO sollte sogar das Recht bekommen, Verstöße gegen die Vereinbarung vor den Weltsicherheitsrat zu bringen.41 Der Schulbuchmangel blieb gravierend, so daß auf einer gemeinsamen Konferenz deutscher und amerikanischer Erziehungsfachleute in Stuttgart erwogen wurde, die schwie- rige Situation durch eine Schulzeitung, „ähnlich der in den USA erscheinenden ‚current events‘, zu beheben”.42 Außer dieser Meldung konnten aber keine weiteren Hinweise auf die Verwirklichung dieses Planes aufgefunden werden. Dagegen machte sich Hoffnung breit nach Meldungen aus dem Kultusministerium, wonach Ausschüsse zur Bearbeitung von Schulbüchern geplant43 und neue Bücher für den Volksschulbereich angekündigt wurden.44 Die Bücher des Notprogramms 1945 sollten aus dem Unterricht entfernt werden. Allerdings hieß es in dieser Entschließung auch, daß Bücher der Behelfsausgabe noch weiter verwen- det werden müßten. Bei dieser Gelegenheit wurde noch einmal darauf hingewiesen, daß im letzteren Fall „Stücke militaristischen oder nationalsozialistischen Inhalts zu entfernen” seien.45 Diese Mitteilung deutete an, daß nicht alle Schüler in den Genuß neuer Bücher kamen, was recht bitter vermerkt wurde. Ein Fortbildungslehrer schrieb an die Regierung von Mittelfranken und bat um Information darüber, welche methodischen Grundsätze der

36 Bungenstab, S. 104 (offenbar alle Schulen in der amerikanischen Zone betreffend). Vgl. dazu Manfred Hei- nemann: Wiederaufbau aus amerikanischer Sicht. In: Handbuch der Geschichte des bayerischen Bildungs- wesens. 3. Bd. 3. Teil: Wiederaufbau: Re-education von 1945-1949. Hrsg. von Max Liedtke. Bad Heilbrunn 1997, S. 513. 37 Ebda. 38 Ebda., S. 105. 39 Ebda., S. 112. 40 Ebda., S. 113. 41 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 96 vom 2.12.1946, S. 4. „Internationale Überprüfung der Schulbücher”. 42 Ebda., Nr. 91 vom 15.11.1946, S. 6. „Konferenz amerikanischer und deutscher Erzieher”. 43 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Bericht über die Schulleitersitzung am 21.4.1947, Fürth-Stadt. 44 BayHStA München. MK 62119. Amtsblatt. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult vom 25.4.1947, Nr. IV 13764 über Lernmittel an Volksschulen. 45 Ebda.

538 neuen Fibel zugrundelägen. Er wolle ein Referat dazu halten, habe aber noch kein Exem- plar ergattern können.46 Bezirksschulrat Hild aus Feuchtwangen überreichte der Regierung in Ansbach ein schmales Bändchen „Neue Schulblätter” aus der französischen Zone und schrieb etwas sarkastisch dazu, daß man die Schulen dort wohl beneiden könne um diese Schrift, denn was nützten die schönsten Lehrbücher, „wenn Lehrer und Kinder nur aus Zei- tungsberichten über sie Kunde erhalten, diese Wunderwerke selbst aber nie in die Hand bekommen”.47 Möglicherweise hatten Lehrer in ihrer Not auf solche Druckwerke zurückgegriffen, denn Kultusminister Hundhammer ließ im Amtsblatt seines Ministeriums am 25. Oktober 1948 bekanntgeben, daß Anlaß bestehe, „darauf hinzuweisen, daß in den Schulen nur sol- che Bücher und Schriften verwendet werden dürfen, die von der Militärregierung zum Gebrauch an Schulen geprüft und zugelassen sind ...”48 Ebenfalls im Amtsblatt, und zwar am 13. Dezember desselben Jahres, sprach der Landesdirektor der Militärregierung für Bay- ern, Murray D. van Wagoner das „Verbot sowjetischerseits zugelassener Veröffentlichun- gen” aus, das als Befehl der Militärregierung für Bayern am 27. September 1948 (MGBIS) verfügt worden war: „Die Einfuhr sowjetrussischerseits zugelassener Zeitungen und ande- rer Veröffentlichungen, einschließlich Bücher, Magazine, Schriften ... nach der US-Zone sowie deren Verkauf, Verteilung und Zurschaustellung in der US-Zone ist bis auf weiteres verboten. Dieser Befehl betrifft alle in englischer, russischer oder deutscher Sprache erschei- nenden sowjetischerseits zugelassenen Veröffentlichungen ...”49 Zu dem Zeitpunkt hätten ohne weiteres Schulbücher aus der sowjetisch besetzten Zone in den westlichen Zonen benutzt werden können, denn bereits im Juni 1945 hatte man dort mit Vorbereitungen begonnen, unter Aufsicht der SMAD neue Schulbücher zu schreiben. Deutsche Pädagogen und Verlagsmitarbeiter des späteren „Volk und Wissen”-Verlages arbeiteten zusammen.50 Bis Ende 1945 ließ die sowjetische Besatzungsmacht 3,4 Millionen Schulbücher für ihre Zone drucken.51 Daß die Amerikaner diese Bücher nicht für ihre Zone haben wollten, war verständ- lich. Sie lehnten es sogar ab, von Amerikanern oder deutschen Emigranten geschriebene Lehrbücher zu verwenden, waren peinlich darauf bedacht, dem Vorwurf der Indoktrinati- on der Deutschen entgegenzuwirken.52 Ihr Schulbuch-Notprogramm stützte sich auf Bücher der Weimarer Zeit, obwohl sie nicht zeitgemäß waren, undemokratische Tendenzen ent- hielten und auch in der amerikanischen Öffentlichkeit Kritik hervorriefen.53 Es wurde immer betont, daß Bücher verwendet würden, „... written and published in Germany by Germans and consequently free from foreign propaganda”.54 So kam für die amerikanische Militär- regierung auch nicht das Vorgehen der Franzosen in Frage, die als Übergangslösung für ihre Zone Bücher aus der deutschen Schweiz, die von den Schulbehörden des Kantons Basel zur Verfügung gestellt worden waren, und Übersetzungen französischer und luxemburgischer Schulbücher zuließen.55 Die Franzosen konnten so bis 1947 für die 900 000 Schüler in ihrem

46 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4638. Schreiben des Fortbildungsleiters Albert Stu- benrauch, HL, am 10.3.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfranken. 47 Ebda., Schreiben des Bezirksschulrats Hild vom Bezirksschulamt Feuchtwangen am 21.2.1947 an die Regie- rung von Mittelfranken. 48 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus Nr. 12/25.10.1948. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult vom 30. September 1948 Nr. VIII 59332 über Schulbücher. 49 Ebda., Nr. 15/13.12.1948, S. 164. Bek. d. Staatsmin. f. U u. K. v. 19.11.1948 Nr. I 67161. 50 Fuchs/Pöschl, S. 87. 51 Ebda., S. 74. 52 Bungenstab, S. 100 f. 53 Ebda., S. 102. 54 Ebda., S. 100 f. 55 Kadelbach, S. 35; Fuchs/Pöschl, S. 86 f.

539 Gebiet etwa 6,3 Mill. Schulbücher bereitstellen.56 Aus welchem Anlaß und zu welchem Zweck aber die Militärregierung für Bayern im Juni 1946 „große Bestände an Lehrbüchern, die für die amerikanische Armee innerhalb ihres Informations- und Erziehungsprogramms gedruckt waren, der bayerischen Regierung für den Lehrgebrauch übergeben” hatte,57 ist nach o. e. Einstellung der Amerikaner nicht zu erklären. Vielleicht handelte es sich um eng- lischsprachige Werke für den Englischunterricht, oder es waren Lehrbücher, die in den Edu- cation Service Centers verwendet werden sollten. Laut Übergangsrichtlinien mußten auch Lehr- und Schülerbüchereien gesichtet „und alles den veränderten Verhältnissen nicht Entsprechende” mußte entfernt werden.58 Danach war manche Schulbücherei leergeräumt, denn es wurde beklagt, daß die nationalsozialisti- schen Rektoren alles vernichtet hatten, „was an das alte System erinnerte”, z.B. die Schrift- steller der klassischen russischen Literatur und Autoren, die am Deutschtum Kritik geübt hätten.59 Nach der „Reinigung der Büchereien von Naziliteratur” mußten der Militärregierung Vollzugsmeldungen eingesandt werden: „Ich bestätige auf Dienstpflicht, daß sämtliche mir verantwortlich unterstellten Büchereien, also Schüler- und Lehrerbüchereien ... und sämtli- che benutzten Schulbücher, Lehr- und Lernmittel vom nationalsozialistischen und militari- stischen Gedankengut befreit sind.”60 Es war auch die Prüfung der Lehrmittel, besonders des Bildmaterials, in den Übergangsrichtlinien angeordnet worden, was z.B. bei den Land- karten nicht so einfach war. Hier wurde ein chemisches Verfahren zur Entfernung der poli- tischen Grenzen angewandt, das sog. „Pulewka-Verfahren”, welches die Militärregierung unter „vorläufig genehmigt” akzeptierte. Auch Städtenamen konnten so beseitigt werden, um dann die „neuen Namen von Städten in Ländern, die infolge des Krieges in andere Hände übergangen sind,” anzubringen.61 Gemäß General Eisenhowers Geleitwort in der ersten Ausgabe der Neuen Zeitung, wonach „das deutsche Volk die gefährlichen Keime seiner Philosophie selbst ausrotten” müsse,62 mußten neben den Schulbibliotheken auch alle anderen Bibliotheken, öffentliche, kirchliche, technische, Fabrik-, Universitäts- und auch Leihbibliotheken eigenverantwortlich gesäubert werden. Dafür sollten geeignete deutsche Personen die Bestände der Bibliothe- ken prüfen und sie „gemäß der demokratischen und friedlichen Politik und den Toleran- zidealen der Alliierten Militärregierung zu einem Mittel der Erziehung des deutschen Volkes ... machen”. Die Militärregierung werde keine vollständigen Listen verbotener Schriften, nur „von Zeit zu Zeit richtunggebende Musterverzeichnisse bestimmter als ungeeignet erach- teter Gattungen von Büchern” veröffentlichen. Es sei auch nicht im Sinne des Hauptquar- tiers, daß nach „mechanischen oder willkürlichen Grundsätzen”, z.B. dem Zeitpunkt der Veröffentlichung, vorgegangen werde.63 Dieser Verfügung wohnte ein sehr schöner pädagogischer Gedanke inne, nämlich die Deutschen zu zwingen, sich gedanklich und abwägend mit dem Bestand ihrer Büchereien auseinanderzusetzen, kritisch zu beurteilen,

56 Fuchs/Pöschl, S. 86 f. 57 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 46 vom 10.6.1946, o. S. „Amerikanische Lehrbücher für bayerische Schulen”. 58 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Übergangsrichtlinien für die bayerischen Volksschulen. Anlage zur E. d. Bayer. St. Min. f. U. u. K. v. 10.10.1945, Nr. IV 25000, S. 2. 59 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenograph. Bericht. 42. Sitzung am 11.12.1947. 60 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4637. Schreiben der Regierung von Mittelfranken, Ansbach, am 21.3.1946 an alle Stadt- und Bezirksschulämter/Schulräte. 61 Ebda., Nr. 4638. Amt der Militärregierung für Deutschland (US), Abtlg. für Erziehung. Urteilsblatt über Lehr- buch/Einstufung A. 26.7.1948. Betr.: Pulewka Verfahren zur Revidierung von Landkarten. 62 Die Neue Zeitung, 1. Jg. Nr. 1 vom 18.10.1945, S. 1. „General Eisenhower an die ‚Neue Zeitung‘”. 63 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 9/12.9.1946, S. 135 f. Amt der Militärregierung für Bayern. APO 170/AG 350-MGBAE, am 10.8.1946 an den Bayerischen Mini- sterpräsidenten, z. Hd. des Ministers für Unterricht und Kultus.

540 was undemokratisch war, und, da das Erscheinungsjahr unmaßgeblich war, zu erkennen, daß auch Veröffentlichungen vor 1933 den Boden für den Nationalsozialismus bereitet hat- ten. Es wurde aber vorgeschrieben, daß die ausgesonderten Bücherbestände auf keinen Fall benutzt werden durften,64 ja sogar die Firmen, die die verbotenen Schriften zur Ver- nichtung übernahmen, verpflichteten sich durch Vertrag, „niemandem die Durchsicht des Einstampfmaterials zu gestatten und auch an niemanden Teile desselben abzugeben ...,”65 sondern die „beschlagnahmten Schulbücher nach Gewicht zu übernehmen und an die Ver- einigten Papierfabriken Forchheim-Heroldsberg ... zum Einstampfen einzuliefern ...”66 Das Stadtschulamt Nürnberg gab am 14. Mai 1946 dem Regierungspräsidenten bekannt, daß 4700 kg verbotener Schulbücher aus fast allen Schulhäusern abgeholt worden seien, daß nur aus einer Schulhausruine infolge fehlender Beleuchtung noch nichts habe weggeschafft werden können, daß aber Vorsorge für den Abtransport in den nächsten Tagen getroffen sei.67 Diese ängstliche Sorge, alles zu tun, damit kein verbotenes Exemplar in falsche Hände gerate, schien später nicht mehr vorgeherrscht zu haben, da das Kultusministerium Ende 1948 bekanntgab, es bestehe Veranlassung, erneut auf die „strengste Beachtung” der dies- bezüglichen Verordnungen hinzuweisen. Einzelstücke verbotener Bücher könnten wohl als „Belegexemplare zu erzieherischen, wissenschaftlichen oder historischen Zwecken” aufbe- wahrt werden, jedoch müßten sie „streng abgesondert von der Gebrauchsbücherei und unter Einhaltung bestimmter Kontrollmaßnahmen” untergebracht werden. „Die Lehrkräf- te sämtlicher Schulgattungen sind von den zuständigen Schulleitern auf diese Bestimmun- gen und deren strengste Beachtung hinzuweisen.”68 Verschiedentlich wurden in der Folgezeit Autoren bzw. bestimmte Werke einiger Schriftsteller bekanntgegeben, die aus dem Katalog von Bibliotheken zu streichen waren. Die Neue Zeitung berichtete in ihrer ersten Ausgabe über die Säuberung der Leihbibliothe- ken in Berlin und nannte folgende verbotene Autoren: Werner Beumelburg, Rudolf G. Bin- ding, Arnolt Bronnen, Walter Flex, Mirko Jelusich, Hermann Löns, Eckart v. Naso, Luis Tren- ker, Sven Hedin, Paul von Lettow-Vorbeck, Erwin Kolbenheyer, Heinrich von Treitschke.69 Die amerikanische Militärregierung gab „als Richtlinie für die Beschlagnahmung von nazi- stischer und militaristischer Literatur in der amerikanischen Besatzungszone” im Juli 1946 eine Liste mit 100 Buchtiteln und 27 Zeitschriften bekannt. Die genannten Schriften waren „von der Verwendung zu Unterrichtszwecken ausgeschlossen”. Dies gelte auch „für alle Zeitschriften von Hitler, Goebbels, Mussolini und anderer Nationalsozialisten und Faschi- sten”.70 Was die Schulbücher für Bayern betraf, so hatte die Militärregierung von Beginn an deutlich gemacht, daß es nicht ihre Politik sei, den deutschen Schulen irgendwelche Lehr- mittel, Bücher eingeschlossen, aufzuzwingen. Gleichwohl wurden in den Military Govern- ment Regulations im Februar 1948 Vorschläge für Schulbuchautoren gemacht, die, im Hin- blick auf die Beschlüsse des Alliierten Kontrollrats, auf das Ziel eines demokratischen

64 Ebda., Nr. 10/26.9.1946, S. 148 f. Bek. d. Staatsm. f. Unt. u. Kult vom 9.46 (sic!), Nr. I 46419. 65 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4637. Vertrag zwischen dem Regierungspräsidenten in Ansbach als Verkäufer und der Firma F. Edelhäuser, Rohproduktenhandlung, Ansbach, als Käufer. 66 Ebda. 67 Ebda., Schreiben des Stadtschulamtes der Stadt Nürnberg am 14.5.1946 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. 68 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 15/13.12.1948, S. 164. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult vom 23.11.1948 Nr. XI 76056. 69 Die Neue Zeitung, 1. Jg. Nr. 1 vom 18.10.1945, S. 5. 70 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 24 vom 13.7.1946, S. 4. „Liste verbotener Bücher”.

541 Deutschlands und seines friedlichen Zusammenlebens mit den anderen Völkern gerichtet waren. Es genüge nicht, nazistische und preußisch-militaristische Inhalte zu entfernen, viel- mehr müßten Ereignisse aus der deutschen Vergangenheit aufgegriffen werden, die ein- deutig demokratische Ziele gehabt hatten. Beispielhaft angeführt wurden die Liberalen, die 1848 für eine konstitutionelle Regierungsform gekämpft hatten, die liberale Opposition gegen Bismarck, die Ideale von Kant und Herder für dauernden Frieden, den Mut der Göt- tinger Sieben, Mommsens Kampf gegen Treitschkes Antisemitismus, die liberale Weimarer Verfassung, Stresemanns Bemühen um internationale Verständigung.71 Die Militärregierung empfahl Lehrbuchausschüsse, die es laut Aussage General Clays seit Anfang 1946 gab. Außerdem wurde im Juni 1946 ein Zonen-Lehrbuch-Ausschuß ein- gerichtet, dem pro Land der amerikanisch besetzten Zone je ein Lehrer der Volksschule und einer der höheren Schule angehörte.72 Die Amerikaner wollten bereits zum Schuljahr 1946/47 neue Schulbücher haben, und die Kultusminister der Länder sollten geeignete Autoren finden, deren Fragebogen und Konzept für ihr geplantes Schulbuch der Militärre- gierung zur Überprüfung einzureichen waren.73 Allerdings war der Termin zu knapp gesetzt. Schon die äußeren Bedingungen waren schwierig. Es fehlte an Schreibmaschinen, an Papier, an Arbeitsräumen, an Quellenmaterial aufgrund der Bücherverbrennungen 1933 und der Säuberung der Bibliotheken nach dem Krieg, und es fehlte auch an geeigneten Autoren.74 Was an neuen Texten eingereicht wurde, war harmlos, Bungenstab sagt, „enttäu- schend sicher”.75 Aber was sonst hätte man erwarten können? Es wurde sogar das „ein Jahrhundert alte” Stiftersche Lesebuch neu gedruckt, für Schulrat Fingerle, München, ein Beweis des Notstands bei der Neuorientierung in der Bildungspolitik.76 Um ihn zu überwin- den, ging das Kultusministerium einen bis dahin sicher ungewöhnlichen Weg, indem es Leh- rer und Schüler aufrief, sich über die Gestaltung eines neuen Volksschullesebuches Gedan- ken zu machen.77 Um die Ausfüllung eines Fragenkatalogs wurde gebeten, der sich an Schüler der Volksschuloberstufe und Lehrer wandte. Die Schüler sollten zunächst die Frage beantworten, welche Lesestücke und Gedichte aus früheren Lesebüchern ihnen so gut gefallen hätten, daß sie sich daran erinnerten. Von der Volksschule Birkenreuth (einer von drei Schulen im Regierungsbezirk Ober- und Mittelfranken, deren Antworten vorlagen) wurde berichtet, daß die Kinder zwar infolge des gestörten Schulbetriebs der vergangenen Jahre viel vergessen hätten, daß aber doch Balladen und Gedichte genannt wurden, z.B. Der Zauberlehrling, Herr von Ribbeck auf Ribbeck, Das Lied von der Glocke, Das Büblein auf dem Eis, oder Gefunden. An Prosastücken wurden Märchen genannt, Geschichten von Peter Hebel und Peter Rosegger. Auch die Volksschule Ebermannstadt nannte Rosegger, Hebel und Balladen, z.B. von Gottfried August Bürger und Ludwig Uhland. Auch Hermann Löns mit dem Wehrwolf wurde angegeben und Grimms Märchen. Die Schüler der Schule in Drosenfeld erinnerten sich u. a. an Belsazar, die Heinzelmännchen von Köln (Kopisch), Frie- drich-Güll-Gedichte und Peter Rosegger.78

71 Bungenstab, S. 189 f. Military Government Regulations, Title 8, Part 4.8-415. 2. 7.2.1948. 72 BayHStA München. MK 53201. Entwurf des Amtes der Militärregierung für Deutschland (U.S.). Amt des Militärgouverneurs. APO 742. Stellungnahme zum Bericht der U.S. Erziehungskommission (gez. Lucius D. Clay) an Generalmajor O. P. Echols, Abtlg. für Zivilangelegenheiten, Kriegsministerium, Washington D. C. 73 Bungenstab, S. 106. 74 Ebda., S. 109; Fuchs/Pöschl, S. 85 f. 75 Bungenstab, S. 106. 76 Fingerle, S. 303. 77 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4637. Schreiben des Regierungspräsidenten, Ansbach, am 5.1.1946 an die Stadt- und Bezirksschulämter. 78 Ebda., Berichte der Volksschule Birkenreuth (6.2.1946), Ebermannstadt (o.D.), Drosendorf (o.D.).

542 Des weiteren wurden die Schüler gefragt, wie sie sich ein „feines” Lesebuch vorstell- ten. Die Birkenreuther meinten, es müsse vielseitig sein, Berichte aus fremden Ländern bein- halten, Dichtungen im Dialekt und Rätsel wurden gewünscht, und „neben lustigen Geschichten wurden solche mit ernstem Inhalt ausdrücklich gefordert”. Das Buch sollte bebildert sein, und zwar wollten die Schüler Illustrationen zu Geschichten. „Bilder, die all- gemeine Stimmungen wiedergeben aber zu keiner Geschichte Bezug haben,” wurden abgelehnt. Die Schüler aus Ebermannstadt wünschten sich ein Lesebuch mit Prosastücken und Gedichten, viele Märchen und Sagen, aber auch Reisebeschreibungen und Erzählun- gen. Farbige Bilder sollte es enthalten, vor allem zu den Märchen, und Bilder zu Geschichte. In Drosendorf hätte ein Lesebuch vor allem schöne und lustige Gedichte, Märchen und Geschichten von der Heimat enthalten müssen; die Schrift sollte gut lesbar und die Bilder sollten ansprechend sein, z.B. wurde Ludwig Richter genannt.79 Als nächstes enthielt der Fragenkatalog die Aufforderung für die Lehrer, den Schülern drei Lesestücke oder Gedichte vorzutragen, von denen das ausgewählt werden sollte, was die Schüler in einem neuen Lesebuch finden wollten. Auch Gründe dafür sollten genannt werden. Die Lehrerin in Birkenreuth las „Der goldene Tod” von Ferdinand Avenarius, „Der kluge Richter” von Peter Hebel und „Winterlandschaft” von Friedrich Hebbel. Die Schüler wollten die ersten beiden Dichtungen in einem Lesebuch abgedruckt sehen, da die Ballade so spannend sei und der Richterspruch im zweiten Stück so klug und gerecht sei. In Eber- mannstadt wurde den Schülern „Die heilige Nacht” von Lagerlöf vorgelesen, außerdem „Kannitverstan” von Hebel und „Die Bürgschaft” von Schiller, und sie meinten, daß alle drei Lesestücke in das neue Lesebuch gehörten, am liebsten aber die Erzählung von Lagerlöf. Die Drosendorfer Schüler empfahlen Emanuel Geibels Gedicht „Hoffnung” und „Das Lied vom braven Mann”.80 Zu Bildern befragt, die ein „feines” Lesebuch enthalten sollte, wählten die Birken- reuther Kinder farbige Märchenillustrationen und Zeichnungen von Ludwig Richter (wobei die Lehrerin angab, daß außer diesen nur noch Holzschnitte zur Verfügung gestanden hät- ten). Letztere wurden abgelehnt, da sie als unheimlich empfunden wurden. In Ebermann- stadt wählten die Jungen vor allem Fotografien, die Mädchen und die jüngeren Schüler favorisierten bunte Illustrationen zu Märchen, während Zeichnungen im Stile Richters abge- lehnt wurden. Zeichnungen von Ludwig Richter wurden aber in Drosendorf ausgewählt, und eine der Begründungen der Schüler lautete: weil sie sich so gut zum Abzeichnen eig- nen.81 Auch die Lehrer wurden in die Befragung des Kultusministeriums einbezogen, und zwar hieß es zuerst: „Nennen Sie uns Dichter und Schriftsteller unserer Zeit und Gedichte dieser Dichter, von denen Sie wünschen, daß sie in einem neuzeitlichen Lesebuch enthal- ten sein sollen.”82 Der Lehrer aus Birkenreuth schrieb, daß „Dichtungen von Karl Bröger” nicht fehlen sollten. „Seine Dichtungen sind meist in einer Notzeit Deutschlands entstan- den, die der unsrigen sehr ähnlich ist. Sein Gedicht ‚Deutschland‘ ist so zeitgemäß als je.” Auch Richard Dehmel, Christian Morgenstern und Paul Heyse erschienen ihm passend. Wei- tere Vorschläge konnte er nicht machen, da ihm an seinem derzeitigen Aufenthaltsort „keinerlei Literatur” zur Verfügung stehe. Aus Ebermannstadt kamen keine Vorschläge; der Lehrer aus Drosendorf schlug Kurt Heinicke („Freundschaft”) vor und Ernst Lissauer („Menge dich nicht! Halte dich rein!”)83 Dieser Titel klang sehr nach gerade überwunde- nen Programmen, aber der Autor war Jude.

79 Ebda. 80 Ebda. 81 Ebda. 82 Ebda., Schreiben des Regierungspräsidenten, Ansbach, am 5.1.1946 an die Stadt- und Bezirksschulämter. 83 Ebda., Berichte der Volksschulen Birkenreuth, Ebermannstadt, Drosendorf.

543 Gefragt wurde auch: „Können Sie uns neuzeitliche Schriftsteller nennen, die beson- ders den Friedensgedanken in einer kindgemäßen Form dargestellt haben?”84 Dem Lehrer aus Birkenreuth war „im Augenblick kein neuzeitlicher Schriftsteller gegenwärtig,” der diese Bedingungen erfüllte, aus Ebermannstadt und Drosendorf gab es keine Antwort auf diese Frage.85 Nach guten Aufsätzen über technische Gebiete befragt, meinte Birkenreuth, daß diese Thematik kein Gegenstand dichterischer Gestaltung sei, daß auf naturkundlichem Gebiet Hermann Löns und Bruno Bürgel zu nennen seien, die so „musterhaft anschaulich” schilderten. Ebermannstadt schlug die Kosmos-Buchreihe der Franckh´schen Verlagsanstalt Stuttgart vor, Drosendorf beantwortete die Frage nicht.86 Abschließend wurden die Lehrer nach ihrer Meinung zu „lehrhaften” Geschichten im Lesebuch befragt. Der Lehrer aus Bir- kenreuth hob Tierfabeln und Erzählungen Peter Hebels hervor, die in der Unterstufe gerne gelesen würden, glaubte aber, daß Schüler der Oberstufe Geschichten bevorzugten, bei denen man die Lehre selbst ziehen müsse. Auch sein Kollege in Ebermannstadt nannte Tier- fabeln und Peter Hebels Werke. Er schrieb, daß eine lehrhafte Geschichte „wertvoller Bestandteil” des Lesebuches sei, sofern es sich um „wertvolle ethische Stoffe in künstleri- scher Form” handele. Die Antwort des Lehrers M. aus Drosenfeld ging in eine ganz andere Richtung, er hatte die Frage offensichtlich falsch verstanden. Er meinte: „Das Vorhanden- sein der deutschen Geschichte ist unleugbar. Mit dieser Tatsache muß sich die Schule abfin- den. Meines Erachtens ist lehrhafte Geschichte zur Umerziehung des deutschen Volkes not- wendig. 1) Männer, die das deutsche Volk im Laufe der Geschichte an den Rand des Ver- derbens geführt haben, das Völkerrecht umgangen haben und Kriege vom Zaun brachen, sind den Kindern als abschreckende Beispiele zu zeigen. 2) Männer, die für das Wohl und Wehe ihres Volkes sorgten, Recht, Freiheit und Humanität achteten, sind den Kindern als Vorbilder hinzustellen.”87 Er nannte als Beispiele „die bayerischen Könige”. Ob dem Kultusministerium mit diesen Rückmeldungen gedient war, wird nirgends berichtet. Bemerkenswert war aber doch der Rückgriff auf Althergebrachtes und noch mehr die Unkenntnis neuer, kritischer Literatur. Man merkte, daß Deutschland lange Jahre keinen kulturellen Kontakt ins Ausland gehabt hatte und daß das Werk jüdischer Autoren in Ver- gessenheit geraten war. Junge Lehrer wußten nichts davon, und die älteren bewegten sich auf sicherem Gebiet, indem sie die Klassiker nannten, eben das vielbeschworene kulturelle deutsche Erbe, oder sich im Heimatlichen aufhielten, wo z.B. Peter Rosegger die ideale Besetzung war. Man hatte im Kultusministerium vielleicht von vornherein nicht sehr viel Ver- trauen in die „bayerische Lehrerschaft” gesetzt, da die Neue Zeitung vom „Aufruf” des Kul- tusministers berichtete, der sich auch „an alle Freunde der Volksschule” wendete und sie aufforderte, „sich mit Vorschlägen an der Schaffung der neuen bayerischen Volksschulle- sebücher zu beteiligen. Wer bei der Lektüre dichterischer Werke, sachlicher Bücher, Zeit- schriften, Zeitungsbeiträgen denkt: ‚Das gehört unbedingt in ein neues bayerisches Lese- buch,‘ der möge eine Abschrift bis spätestens 1. Februar 1946 dem bayerischen Unter- richtsministerium unter dem Kennwort: ‚Bayer. Volksschullesebuch‘ einsenden.”88 Im Jahr 1946 konnte das erste Lesebuch herausgegeben werden. Es war für die zwei- te Klasse bestimmt, während das Lesebuch für das dritte und vierte Schuljahr 1947 in Gebrauch genommen werden konnte. Dieses Buch fand nicht uneingeschränkte Zustim- mung. Der Abgeordnete Korff (FDP) zitierte im Landtag eine Zeitung, die kritisiert hatte, daß die Realität viel zu wenig berücksichtigt worden sei und man sich in eine Zeit der Romantik

84 Ebda., Schreiben des Regierungspräsidenten am 5.1.1946. 85 Ebda., Berichte der Volksschulen Birkenreuth, Ebermannstadt, Drosendorf. 86 Ebda. 87 Ebda. 88 Die Neue Zeitung, 1. Jg. Nr. 19 vom 21.12.1945, o. S.

544 zurückgeflüchtet habe, „die nichts weiß von der Katastrophe, die über uns hereingebro- chen ist”.89 Er erachtete es als notwendig, auf dem Gebiet der Erziehung der Wirklichkeit nicht davonzulaufen und den Schülern seelische Werte zu vermitteln, die sie befähigten, die Realität zu meistern, anstatt aus ihr zu flüchten.90 Ministerpräsident Ehard hatte zwar in seiner Regierungserklärung im Januar 1947 bekanntgegeben, das Kultusministerium betrachte es als „unmittelbare Zeitaufgabe, ... die bereits vom bisherigen Staatsminister begonnene Beschaffung von ausgezeichneten modernen ... Lernmitteln für alle Schulen weiterzuentwickeln”,91 in den Augen der Opposition schien dieser Anspruch aber nicht erfüllt worden sein, da z.B. auch die SPD auf ihrem Parteitag 1950 forderte, „stärksten Ein- fluß auf die inhaltliche Gestaltung der Lehrbücher ... zu nehmen.92 Die Amerikaner hatten möglicherweise dieselben Bedenken, die sie veranlaßten, in ihrer Besatzungszone sog. „Textbook and Curriculum Centers” einzurichten. Deren Zweck war es, deutschen Erziehern beim Schreiben neuer, demokratisch orientierter Lehrbücher zu helfen. Die Unterstützung bezog sich auf ganz praktische Dinge; z.B. sollten die Stan- dorte so gewählt werden, daß sie für die größtmögliche Anzahl deutscher Erzieher erreich- bar waren; adäquate Leseräume, Konferenz- und Arbeitsräume sollten zur Verfügung ste- hen. Ausreichend Platz war für die Bücher, Zeitschriften und Lehrhilfen vorgesehen, und auch Schreibmaschinen fehlten nicht.93 Darüber hinaus sollte es in den Centers moderne Muster-Lehrbücher und anderes Lehrmaterial aus Amerika und benachbarten demokrati- schen Ländern geben, die als Quellenmaterial die deutschen Erzieher führen könnten bei der Abfassung ihrer Bücher. Das Personal sollte aus Erziehern und Spezialisten bestehen, die die Deutschen beim Gebrauch des Materials unterstützen und ständig Auszüge, Publika- tionen und Übersetzungen der Quellen bereithalten sollten, die an die deutschen Erzieher verteilt würden. Auch Räume für Ausstellungen, Unterricht und Diskussionsrunden wurden bereitgestellt. Die Textbook and Curriculum Centers lagen organisatorisch in der Verant- wortung der Militärregierungen der Länder.94 Allen demokratischen Schulbüchern zum Trotz kam es aber vorrangig auf den Leh- rer an, wie die Inhalte vermittelt wurden. Das beweist die Niederschrift einer damaligen Schülerin der klösterlichen Lehrerbildungsanstalt Gnadental in Ingolstadt. Im April 1951 skiz- zierte sie die Unterrichtsvorführung einer Literaturstunde. „Belsazar” von Heinrich Heine wurde durchgenommen, und die Quintessenz lautete: Das Böse unterliegt dem Guten. Abschließend sagte die unterrichtende Lehrerin zu den Schülern der achten Volksschul- klasse: „Ich habe euch schon eine Reihe guter Bücher genannt, nach denen ihr greifen sollt, wenn ihr einmal aus der Schule seid. Greift nicht nach Heine! Er war Jude, haßte das Chri- stentum, führte ein ausschweifendes Leben.”95 Natürlich war das Lesebuch mit dem Heine- Gedicht von den Militärbehörden akzeptiert worden. Ob sie wußten, wie die Inhalte ver- mittelt wurden? Eine Ausbildung der künftigen Lehrer an der Universität war jedenfalls drin- gend notwendig!

89 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenograph. Bericht. 42. Sitzung am 11.12.1947, S. 485. 90 Ebda. 91 Baer, S. 103. 92 Alfred Hoffmann: Die bildungspolitischen Vorstellungen der CDU und SPD. Eine pädagogische Analyse ihrer Entwicklung von 1945-1965. Diss. Erlangen 1968, S. 381. 93 Bungenstab, S. 190. Textbook and Curriculum Centers. Military Government Regulations, Title 8, Part 4. 8- 416. 7.2.1948. 94 Ebda., BayHStA München. MK 53201. Entwurf des Amtes der Militärregierung für Deutschland (U.S.). Amt des Militärgouverneurs APO 742. Stellungnahme zum Bericht der U.S. Erziehungskommission (gez. Lucius D. Clay) an Generalmajor O. P. Echols, Abtlg. für Zivilangelegenheiten, Kriegsministerium, Washington D.C., S. 7 f. 95 Privatarchiv Ingrid Dehm, Ansbach.

545 Nachdem - auch mit Hilfe der Center - der Notstand im Bereich der Schulbücher gemildert worden war,96 änderte sich deren Aufgabe. Sie wollten nun „die neuesten Erkenntnisse der internationalen pädagogischen Forschung” nach Deutschland vermitteln: Hier ging es um audiovisuelle Erziehungshilfen, Testmethoden und -vergleiche, Curriculum- Forschung und Erziehungberatung.97 Die Einrichtungen nannten sich nun Education Servi- ce Centers, die sich wachsender Beliebtheit und damit auch Wirksamkeit erfreuten. Die Besucherzahlen stiegen z.B. von Januar 1949 bis Dezember 1949 von 11232 auf 34139. Tagungen, Workshops und Vorträge wurden geboten, und die Publikation „Schule und Gegenwart” wurde im Service-Center München konzipiert.98 Ein weiterer Beitrag zur Überwindung der kulturellen Isolation Deutschlands war die Übergabe von „US scientific and educational magazines and journals”, die aufgrund der nationalsozialistischen „Abkapselungspolitik” den deutschen Empfängern nicht mehr hat- ten zugestellt werden können. Deutsche wissenschaftliche Institutionen nahmen nun ent- gegen, was die „American Library Association” von 1936 bis 1945 gesammelt hatte.99 Die bis 1950 in Bayern zugelassenen Schulbücher stellten die Lehrer insofern zufrie- den, als sie den Beginn der Normalität signalisierten. Die Verfasserin erinnert sich sehr gut an die Fibel „Mein erstes Buch”, an das sehr schöne neue Lesebuch für die zweite Klasse und das schon wieder zerlesene, aber glücklicherweise sehr dicke Exemplare des Lesebuches für das dritte und vierte Schuljahr. Sie waren eine unversiegbare Quelle der Lesefreude mit lan- gen Lieblingsgeschichten, die unzählige Male gelesen wurden, da das Angebot außerhalb der Schule nicht so groß war. Realitätsfern, wie ihnen ja vorgeworfen wurde, erschienen sie dem Grundschulkind nicht, was aber daran gelegen haben mag, daß es auf dem Dorf bzw. in der Kleinstadt aufwuchs. Auch ein Lesebuch für das zweite Schuljahr, herausgegeben in Frankfurt am Main und nicht für Bayern zugelassen, war durchaus an der Wirklichkeit ori- entiert, wenn man den Inhalt betrachtet. Da hieß es unter dem Titel „Von unseren Eltern”: „Wir sind drei Geschwister und haben keinen Vater mehr. Unsere Mutter ... arbeitet bei fremden Leuten. Sie macht Wohnungen sauber.” „Ich habe keinen Vater mehr. Er ist im Krieg geblieben. Meine Mutter hat einen kleinen Kaufladen ... Wir sind ganz allein. Ich habe auch keine Großeltern mehr. Sie haben in einer Bombennacht in der Stadt den Tod gefun- den.” „Ich habe meine Heimat verloren. Wir waren im Sudetenland zu Hause. Mein Vater war Bauer. ... Jetzt ist mein Vater Hilfsarbeiter in einer Lackfabrik ... Wir bewohnen nur eine Stube ... Wir wollen in unserer neuen Heimat auch wieder glücklich werden.“100

96 Zu Beginn des Schuljahrs 1948/49 gab das Kultusministerium eine Liste der fertiggestellten oder fast fertigen Bücher heraus, die für die Volksschulen die Fibel, 4 Lesebücher, sämtliche Rechenbücher, Naturlehre, alle Sprachbücher und Religionsbücher umfaßte. (Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. Nr. 11/5.10.1948, S. 126 f. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult vom 2.10.1948 Nr. IV 67002). Atlan- ten und Liederbücher gab es ab 1950 (ACSP München. NL Müller 268 [StMUK 1946-50]. Etatrede des Staats- ministers für Unterricht und Kultus, Hundhammer, am 8.11.1950). 97 Bungenstab, S. 111 f. 98 Ebda., S. 112. 99 Ebda., S. 109. 100 Die Silberfracht, S. 122 ff. Zur Frage der Schulbücher in der unmittelbaren Nachkriegszeit vgl. Max Liedtke: Schulbücher (1945-1949). In: Handbuch der Geschichte des bayerischen Bildungswesens. 3. Bd. 3. Teil, S. 670-678.

546 Auch außerhalb der Schule war das Leseangebot gering und damit auch die gewünschte Einübung demokratischen Denkens schwierig. Die öffentlichen Bibliotheken hatten in den vorangegangenen Jahren etliches aus ihrem Bestand eingebüßt, einmal durch die Aussortierung „undeutschen” Schrifttums während der Nazi-Zeit, das zweite Mal durch den Befehl der amerikanischen Militärregierung. Der Oberbürgermeister der Stadt Coburg z.B. rief daher die Bürger der Stadt und der Vororte auf, aus ihrem privaten Besitz Bücher für die Städtische Volksbücherei zu spenden, natürlich nach vorheriger Sichtung. Denn auch in der „Unterhaltungs-, Reisebeschreibungs- und Abenteuerliteratur” seien nationalsozia- listische, rassische und militaristische Tendenzen nicht mehr erwünscht. Die Militärregierung Coburg wollte aus eigenen Beständen deutsche Unterhaltungslektüre herbeischaffen.101 Einen wesentlicheren Beitrag zur Ausbreitung demokratischer Ideen in Deutschland leiste- ten aber die Zeitungen und Zeitschriften. Die von der Militärregierung bereits im Herbst 1945 herausgegebene Neue Zeitung, „(e)ine amerikanische Zeitung für die deutsche Bevöl- kerung”, nannte u. a. als wichtige Ziele, „objektive Berichterstattung” zu bringen und dabei „bedingungslose Wahrheitsliebe” an den Tag zu legen; Weltereignisse zu betonen, um das Blickfeld des deutschen Lesers zu erweitern, Tatsachen zu bieten, „die in Deutschland in den 12 Jahren nationalsozialistischer Herrschaft unterdrückt waren ...”102 Für die Jugend hielt die Militärregierung in den örtlichen Jugendzentren kleine Büchereien bereit, sie initi- ierte zudem eine Wander-Bibliothek, „die innerhalb der amerikanischen Besatzungszone etwa 18000 deutschsprachige Bücher umfassen” sollte und sich aus mehreren fahrbaren Büchereien zusammensetzte.103

101 Amtsblatt des Land- und Stadtkreises Coburg, Nr. 3/19.1.1946, S. 32. 102 Die Neue Zeitung, 1. Jg. Nr. 1 vom 18.10.1945, S. 1. „General Eisenhower an die ‚Neue Zeitung‘”. 103 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 51 vom 16.10.1946, S. 3; Die Neue Zeitung, 2. Jg., Nr. 81 vom 11.10.1946, S. 4.

547 4.3. SPORT

Die Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen von 1926, die durch die Bekannt- machung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 23. Juli 1940 aufgehoben und durch die Übergangsrichtlinien für die bayerischen Volksschulen vom 10. Oktober 1945 wieder als Grundlage für die Volksschularbeit bestimmt worden war, sah im „Turnunter- richt” vor allem die Möglichkeit, „die gesamte leibliche Entwicklung der Jugend zu för- dern”. Die Gesundheit sollte gestärkt, die Widerstandsfähigkeit erhöht, Kraft, Gewandtheit und „gefällige Beweglichkeit” sollten entwickelt werden. Die Hinführung zu guter Haltung und zweckmäßiger Körperpflege war ebenfalls ein Ziel. Turnunterricht sollte aber auch eine wertvolle Hilfe für die geistige Entwicklung sein, „vor allem in der Willensschulung”, und den „frohen Sinn innerhalb der Klassengemeinschaft pflegen”.1 Die „Leibeserziehung” im Dritten Reich, nach den Richtlinien von 1940, war nach dem Unterrichtsgrundsatz der „wehrgeistigen Erziehung,” der allen Fächern als Basis dienen mußte, erteilt worden. Das bedeutete, daß der einzelne fähig und bereitzumachen sei „zum Dienst in der Gemeinschaft des Volkes”. Laufen und Schwimmen wurden als besonders wichtig erachtet; hervorzuheben im Unterricht war „die Bedeutung des einzelnen Kämp- fers bei der Aufgliederung der heutigen Kampfweise”. Man forderte, Gehorsam, Einord- nung, Kameradschafts- und Mannschaftsgeist, Ritterlichkeit und kämpferischen Einsatz anzuerziehen.2 Die „Leibesübungen”, wie sie in den Übergangsrichtlinien von 1945 genannt wur- den, mußten „frei sein von militärischem Geist”. Militärische Kommandos waren zu unter- lassen.3 „Besondere Ordnungsübungen” sollten auf ein Mindestmaß beschränkt und nur dann verwendet werden, wenn sie zur Erleichterung des Unterrichts und zur Unfallverhü- tung erforderlich seien.4 Mädchenturnen sollte der Entwicklung fraulichen Wesens Rech- nung tragen.5 Es gab eine Kontrollrats-Direktive (Nr. 23) über die „Entmilitarisierung des Sports”, die in der Neuen Zeitung kommentiert wurde.6 Das nationalsozialistische Erzie- hungsziel im Sport wurde noch einmal vorgestellt. Die kämpferische Ausbildung habe domi- niert, der Unterricht sei militärisch geleitet und die Stundenzahl von wöchentlich zwei auf fünf Stunden erhöht worden. Boxen und Kleinkaliberschießen hatten zu der eigentlich vor- militärischen Ausbildung gehört, die man auch in die jüngeren Jahrgänge hatte tragen wol- len. Nun müsse die Frage des Schulsports neu geregelt werden. Er diene in erster Linie dem körperlichen Ausgleich für die sitzende Lebensweise. Ziel sei es, die Liebe zum Sport zu wecken, nicht aber dem Irrtum zu verfallen, daß die jugendliche Lust am Wettkampf krie- gerische Gesinnung dokumentiere.7 Verlautbarungen und Vorschläge zum Sport wiesen alle in diese Richtung. Schulrat Fingerle, München, verlangte die Abschaffung eines Turnunter- richts, der nur noch „Drillfunktion” gehabt habe. Stattdessen solle der Unterricht auf- gelockert und das Schwergewicht auf Spiel und Sport verlagert werden.8 Ganz streng formulierte dieses Ziel der Regierungspräsident in Ansbach in einem Schreiben an die Oberbürgermeister, Land- und Schulräte: „Jede sportliche und turnerische

1 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 16/29.12.1926, S. 127. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 15.12.26 Nr. IV 49242. 2 Erziehung und Unterricht in den bayerischen Volksschulen. München 1940, S. 19 und 21. Bekanntmachung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 23.7.1940 Nr. IV 27880 betr. die Richtlinien über Erzie- hung und Unterricht in den bayerischen Schulen. 3 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Anlage zur E. d. Bayer. St. Min. f. U. u. K. v. 10.10.1945. Nr. IV 25000, S. 4. 4 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 14 vom 28.8.1950, S. 250. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 22.8.50 Nr. IV 57477. 5 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Anlage zur E. d. Bayer. St. Min. f. U. u. K. v. 10.10.1945. Nr. IV 25000, S. 4. 6 Die Neue Zeitung, 1. Jg. Nr. 19 vom 21.12.1945, S. 4. „Neuer Schulsport”. 7 Ebda. 8 Fingerle, S. 305.

548 Tätigkeit im Dienste militärischer oder vormilitärischer Erziehung und Schulung ist streng- stens verboten. Im besonderen sind folgende Sportarten untersagt: Flugsport, Fallschirm- springen, Segelflug, Fechtsport, Schießsport mit Feuerwaffen und Kleinkaliberschießen ...” Für ihn war „die Pflege sportlichen Geistes” vornehmstes Gebot. Er wollte die „Gesetze des Fair Play” beachtet wissen und verlangte den „sportlich-ritterlichen Geist ...”, dem eine über den sportlichen Bereich hinausgehende erzieherische Bedeutung zukomme, der zukünftig alle Lebensbereiche „und nicht zuletzt auch den der Politik ergreifen und tragen” solle.9 Die Lehrer mußten also darauf achten, daß ihr Sportunterricht keinen Verdacht auf vormilitäri- sche Erziehung aufkommen ließ, was in einem Fall bereits auf dem Weg zum Sportplatz beanstandet wurde. Kadelbach berichtet, daß der Friseur des Dorfes ihn beschimpft habe, da er die Kinder „im geschlossenen Zug” zum Sport geführt habe. „Krieg und Offizier spie- len, das sei ... vorbei.”10 Militärische Kommandos im Umgang mit den Schülern wurden ebenso gerügt. Der Schulrat des Landkreises Ebermannstadt brachte in einem seiner Rund- schreiben das Negativbeispiel eines Lehrers, der mit dem knappen soldatischen „Auf!” seine Schüler ruckartig auf die Beine gebracht habe.11 Die Absage an „militärischen Sport” wurde auch im Schulausschuß des Nürnberger Stadtrats vorgetragen. Man dachte an den Neuauf- bau des Sportamts, den man mit Hilfe der Lehrer durchführen wollte, und betonte, daß die Jugend „Freude durch Spiel” erleben solle, nachdem sie jahrelang nur eine „Degradierung des Sports” erfahren habe.12 Eine Aufforderung des Kultusministeriums zur Durchführung eines Sportfestes verfolgte noch einen anderen Gedanken: Den Gepflogenheiten früherer Jahre folgend, sollte es an allen Orten Bayerns, wo die Verhältnisse das ermöglichten, ver- anstaltet werden und „die Schüler aller Schulgattungen miteinander” vereinigen.13 Die Idee und die sprachliche Formulierung der Bekanntmachung waren klug durchdacht, konnte man doch den amerikanischen Militärbehörden zu einem Zeitpunkt, da die Auseinander- setzungen um die äußere Schulreform zur Tagesordnung gehörten, zeigen, daß es bayeri- sche Tradition war, arm und reich, gering und angesehen über alle Grenzen hinweg zu ver- einen.

4.4. ENGLISCHUNTERRICHT

Der Bericht der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepu- blik Deutschland aus dem Jahr 1952 gab bekannt, daß es in der Wahl der ersten Fremd- sprache keine Einheitlichkeit gebe, daß im überwiegenden Teil der Bundesrepublik Englisch gewählt werde; nur in der französisch besetzten Zone sei es Französisch.1 Diese Nachricht war kaum überraschend. Jede Besatzungsmacht hatte das Erlernen einer modernen Fremd- sprache, auch schon in den Volksschulen, proklamiert, und das war dann je nach Besat- zungszone Englisch, Französisch oder Russisch. Und da Engländer und Amerikaner die größ- ten Gebiete der Bundesrepublik besetzt hielten, mußte Englisch zwangsläufig an erster Stel- le stehen.

9 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 6451. Schreiben des Regierungspräsidenten, Ansbach, am 15.5.1946 an alle Oberbürgermeister, Landräte, Schulräte des Regierungsbezirks Ober- und Mittelfranken. 10 Kadelbach, S. 8. 11 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Schreiben des Schulrats des Landkreises Eber- mannstadt am 23.10.45 an alle Schulleitungen (Rundschreiben R 45/12). 12 Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses, am 3.10.1946. 13 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 3/19.4.1948, S. 33. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 25.3.1948 Nr. II 18668.

1 Bericht der Ständigen Konferenz der Kultusminister, S. 21.

549 Bereits die erste Ausgabe der Neuen Zeitung enthielt die Rubrik: „Jeder lernt Eng- lisch”. Der volkstümliche Sprachkurs sollte die Verständigung zwischen Siegern und Besieg- ten erleichtern und den Deutschen die ersten Schritte aus ihrer Isolation ermöglichen. Gebo- ten wurde ein zunächst kurzer englischer Text, dazu die deutsche Übersetzung und eine Anleitung – Lautsprache – zum korrekten Sprechen. Das sah z.B. so aus: „Wörld Wiuh = World View.2” Die Übergangsrichtlinien für die bayerischen Volksschulen, zur selben Zeit bekannt- gemacht wie das Erscheinen der ersten Ausgabe der Neuen Zeitung, sahen bereits Engli- schunterricht vor, und zwar anstelle des noch nicht erteilten Geschichtsunterrichts. Ausge- baute Volksschulen konnten, wo die Verhältnisse er erlaubten, ihren mindestens durch- schnittlich begabten Schülern ab dem fünften Jahrgang wöchentlich drei Stunden Englisch als Pflichtfach anbieten. Die Kosten für den Unterricht sollten die Gemeinden übernehmen. Schüler, die nicht daran teilnahmen, würden vom Klassenlehrer einen Nachhilfeunterricht erhalten, falls ein Raum zur Verfügung stand.3 Ein Jahr später wurde der „Unterricht in der englischen Sprache in den Volksschulen vom 5. Jahrgang an allgemein und versuchsweise eingeführt.”4 Die Anmeldung war freiwillig, die Zulassung zum Unterricht wurde „nicht von einem förmlichen Aufnahmeverfahren und von bestimmten Noten abhängig gemacht”. Möglichst viele Schüler sollten teilnehmen, unfähige oder unwillige aber nach einer Probe- zeit entlassen werden können. Je nach örtlichen und schulischen Verhältnissen waren zwei bis fünf Wochenstunden möglich, die man durch Kürzung anderen Unterrichts oder Anfü- gung an die festgesetzte Wochenstundenzahl gewinnen wollte. Jahrgangs- oder zusam- mengelegte Sprachklassen waren möglich. Ersatzlehrkräfte durften Englischunterricht erteil- ten.5 Ganz interessant war der letzte Abschnitt der Verfügung: „Den Schulräten, Schullei- tern und Lehrkräften wird überlassen, einen Versuch zu machen mit einem zusätzlichen, lockeren, vielleicht schon in jüngeren Jahrgängen einsetzenden Kurs, der bloß auf Spiel, Kin- derreim, Lied und Plauderei in der Fremdsprache abgestellt ist.”6 Dieser beachtlich moder- ne Vorschlag steht mit dem neuen Grundschullehrplan heute wieder zur Debatte bzw. wird verwirklicht. Die Regierung von Ober- und Mittelfranken fügte in ihrem Amtlichen Schulan- zeiger der ME. noch hinzu, daß „(n)ach den letzten statistischen Erhebungen ... der engli- sche Sprachunterricht an 39 Schulen mit 86 Klassen bereits erteilt” werde. Er sei weiterzu- führen.7 Daß Englisch als Wahlfach ab dem fünften Schuljahr eingeführt werden solle, hatten die Unterrichtsminister der britischen und amerikanischen Zone auf einer Tagung Ende Sep- tember in München beschlossen.8 Gefordert wurde dieser Unterricht u. a. vom Bayerischen Lehrerverein, der darin eine Bereicherung der bisherigen Volksschule und eine „wesentliche Hebung des Bildungsstandes für die Schüler” sah.9 Auch im Gutachten der Universität Mün- chen zur Schulreform lautete eine der Empfehlungen, in keiner Schulgattung dürfe die moderne Fremdsprache, vor allem Englisch, stiefmütterlich behandelt werden. Es sei sogar zu erwägen, ob nicht ein „Konversationsunterricht” vor der grammatischen Unterweisung

2 Die Neue Zeitung, 1. Jg., Nr. 1 vom 18.10.1945, S. 6. 3 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Anlage zur E. d. Bayer. St. Min. f. U. u. K. v. 10.10.1945, Nr. IV 25000. 4 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 13/23.10.1946. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 3.10.46 Nr. IV 36205, S. 182 f. Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungs- bezirk Oberfranken und Mittelfranken. Ansbach. 14. Jg. Nr. 5 vom 1.11.1946, S. 4 f. 5 Ebda. 6 Ebda. 7 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken. Ansbach. 14. Jg. Nr. 5 vom 1.11.1946, S. 5 Nr. 1131 aa 56. 8 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 80 vom 7.10.1946, S. 5. 9 Mitteilungen des Bayerischen Lehrervereins München 1947, Nr. 5/6. „Die Stuttgarter Tagung der süddeut- schen Lehrervereinsvertreter am 25./26. März 1947”.

550 „die Vertrautheit mit dem Klang der Sprache vorbereiten” könne.10 Die SPD befürwortete den Sprachenunterricht, um die Übergangsmöglichkeit von einer Schulart in die andere zu gewährleisten,11 während Schnippenkötter mit seiner Forderung nach Latein als erster Fremdsprache in den höheren Schulen für Knaben diesem Ansatz entgegenarbeitete. Er sprach vom „völligen Bankrott des Englischen als einführender Fremdsprache für die sprach- formale, unumgängliche Geistesschulung”.12 Der Abgeordnete Rief (WAV) bekundete vor dem Bayerischen Landtag seine Abneigung gegen Englisch als Fremdsprache; die englische Sprache sei „die denkbar ungeeignetste für diesen Zweck, weil sie nämlich flexionsarm ist”. Ohne Flexion spreche das Kleinkind, während in Bayern bereits die Vorschulkinder die Fle- xion beherrschen und den bedeutend schwierigeren Dialekt. Er vermißte im Englischen auch den Konjunktiv, der aber selbst von einem Bauernknecht „im hintersten Bayerischen Wald” beherrscht werde, denn er könne zwischen „war” und „wäre” unterscheiden.13 Diese Argumentationen zeigten auch, daß bei den Auseinandersetzungen um die Schulreform einigen Protagonisten kein Thema zu gering war, um den Besatzungsmächten zu zeigen, was ein wirkliches Kulturvolk sei. Dessen ungeachtet wurde Englisch als Fremdsprache an den Volksschulen eingeführt, z.B. in Großhessen nach den Herbstferien 1946 als Wahlfach mit drei Wochenstunden,14 in Bayern als Wahlfach „versuchsweise” ebenfalls zu der Zeit.15 Das Stadtschulamt Nürnberg verfügte, daß die Schulleiter bis 10. November 1946 Lehrer melden sollten, die geeignet waren, Englischunterricht zu erteilen, und sich zur Verfügung stellten. Anzugeben waren Schulbesuch, eventuell abgelegte Sprachprüfungen, der Grad der Beherrschung im Schrift- lichen, Mündlichen und in der Grammatik. Ferner wurde gefragt, ob die Teilnahme an einem Fortbildungslehrgang erwünscht sei.16 Solche Lehrgänge wurden dann eingerichtet für Anfänger und Fortgeschrittene, auch im Schuljahr 1947/48. Lehrer höherer Schulen hiel- ten sie, ein Studienprofessor hatte die Gesamtleitung.17 Letzterer bot Englischlehrern an Nürnberger Volksschulen auch an, seinem Unterricht beizuwohnen, und er schrieb Gut- achten über sie. („Sie besitzen eine korrekte Aussprache, genügend grammatische und sprachliche Kenntnisse des Englischen und sind zur Erteilung des englischen Unterrichts an der Volksschule geeignet.”)18 Anfang Dezember 1946 kamen die ausgewählten Lehrer zu einer Einführung in den Englischunterricht zusammen. Schulrat Barthel empfahl die „weit- herzige” Zulassung der Schüler der 5. Klasse und zwei Monate Probezeit.19 Zur Methode hieß es, die Schüler müßten „vom Hören zum Lernen” kommen. Grammatik sei „neben- bei” zu besprechen. Insgesamt sollte der Jahresstoff auf 15 Themen verteilt werden.20 Die Militärregierung stellte dem städtischen Schulamt amerikanische Zeitschriften zur Verfü- gung, die die Lehrer sich holen konnten. Als Buch verwendete man, allerdings erst später, „Learning English”.21 In Fürth wurde ab Januar 1947 englischer Sprachunterricht an den

10 Dokumente zur Schulreform, S. 85. Gutachten der Universität München vom 14.6.1947. 11 Scharfenberg. Bd. 1, S. 14 f. Handbuch sozialdemokratischer Politik. Hrsg. v. Vorstand der SPD. Bonn 1953. 12 Schnippenkötter, S. 7. 13 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 49. Sitzung am 30.1.1948, S. 698. 14 Fränkische Landeszeitung. 1. Jg. Nr. 46 vom 28.9.1946, S. 4. 15 Ebda., Nr. 52 vom 19.10.1946, S. 6. 16 Archiv der Stadt Nürnberg. Schul- und Kulturreferat. Englischunterricht an Volksschulen. Bd. 1/401/14/10/5. Stadtschulamt Nürnberg am 29.10.1946, gez. Barthel. 17 Ebda., Stadtschulamt o. D. (Schuljahrsbeginn 1947), gez. Barthel; ebda., Aktennotiz. Zusammenkunft am 28.2.1948 im Rathaus. 18 Ebda., Rundschreiben o. D.; ebda., Schreiben Stud. Prof. Strassers am 4.7.1949 an das Stadtschulamt Nürn- berg. 19 Ebda., Einführung am 2.12.1946. 20 Ebda., Aktennotiz. Zusammenkunft am 28.2.1948 im Rathaus. 21 Ebda., Aktenvermerk am 7.10.1948.

551 Volksschulen eingerichtet, und zwar in den Klassen 5 bis 8. Auch Nichtlehrer sollten mit die- sem Unterricht betraut werden.22 Im April 1947 gab es eine neuerliche Entschließung zum Englischunterricht, in wel- cher er als „bedeutsame Erweiterung des Bildungsgutes” für die Volksschule apostrophiert wurde. Er sei deshalb „tunlichst zu fördern”; außerdem müsse ihm ein günstiger Erfolg gesi- chert werden. Daher wurde bestimmt, daß nur Volksschüler teilnehmen sollten, „die gefe- stigte Leistungen im Deutschen, vor allem im Rechtschreiben und in der Sprachlehre auf- weisen” könnten. Schüler, die sich als ungeeignet herausstellten, sollten nach dem ersten Schuljahresdrittel nicht mehr zum Unterricht zugelassen werden.23 Ziel des Englischunter- richts in der Volksschule sollte „vor allem die Erlernung der Umgangssprache sowie die Hin- führung zur einfachsten Tagesliteratur” sein.24 Da die Schulverhältnisse im April 1947 natür- lich noch wenig rosig waren, wurde bestimmt, daß der englische Sprachunterricht nur an Schulen mit normalen oder „fast normalen” Unterrichtszeiten (mindestens drei Viertel des Vollunterrichts) durchgeführt werden könne. Drei Wochenstunden pro Jahrgang wurden vorgesehen, zwei waren auch noch möglich. Unterrichtszeit gewann man durch Kürzun- gen des Deutschunterrichts um eine Stunde und Vermehrung des Wochenstundenmaßes. Im achten Schuljahr war auch die Kürzung des Sach- oder Handarbeitsunterrichtes mög- lich.25 Bereits im September 1947 meldete der Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelf- ranken 339 Schulen, die Englischunterricht anboten; 688 Klassen, das waren 17179 Schüler, kamen in seinen Genuß. 426 Volksschullehrer, 5 angestellte Fachlehrkräfte und 15 Fach- kräfte mit Stundenvergütung unterrichteten.26 Ein Jahr darauf, im September 1948, kam die Meldung von der Regierung von Mittelfranken – Oberfranken war wieder eigener Regie- rungsbezirk geworden -, daß an 165 Schulen in 413 Klassen Englisch unterrichtet würde. An dem Unterricht nahmen insgesamt 9650 Schüler teil; 193 Volksschullehrer, 14 Lehrer im Angestelltenverhältnis und 14 Lehrer auf Stundenvergütung waren dafür eingesetzt.27 Das Stadtschulamt Nürnberg gab für das Schuljahr 1949/50 bekannt, daß in Nürnberg von 55 Lehrkräften – fünf von Ihnen waren nicht an der Volksschule tätig – 139 Englischkurse mit 3643 Schülern gehalten worden seien. Wöchentlich seien eine, 11/2, zwei oder gar drei Stunden dafür angesetzt worden. Nur drei Schulen hätten noch keinen Englischunterricht anbieten können.28 Die Regierung von Mittelfranken sah sich im März 1949 veranlaßt, noch einmal eine Entschließung zu veröffentlichen, die auf den ME. vom 3. Oktober 1946 und 11. April 1947 basierte, aber doch weitere Gesichtspunkte zu bedenken gab.29 Als Ziel wurde zunächst genannt, daß der Englischunterricht an der Volksschule das Erlernen der Umgangssprache anstrebe, Grammatik und Literatur zurücktreten lasse. Interesse und Freude an der Fremd- sprache sollten geweckt werden, und durch den steten Vergleich mit der Muttersprache wollte man „ein tieferes Verständnis vom Wesen der Muttersprache und der eigenen Nati-

22 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Bericht über Schulleitersitzung am 30.11.1946. Fürth. Anwesend: Sämtliche Schulleiter des Stadtbezirks Fürth. Vorsitz: Stadtschulrat Schorer. 23 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 6/28.4.1947, S. 41. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 11.4.47, Nr. IV 9779. 24 Ebda., S. 42. 25 Ebda. 26 BayHStA München. MK 61319. Stand des Volksschulwesens. Stand: 15.9.1947. Regierung von Ober- und Mittelfranken. 27 Ebda., MK 61321. Stand des Volksschulwesens, Stand: 15.9.1948. Regierung von Mittelfranken. 28 Archiv der Stadt Nürnberg. Schul- und Kulturreferat. Englischunterricht an Volksschulen. Bd. 1/401/14/10/5. Stadtschulamt, Aktennotiz am 19.9.1950, gez. Barthel. 29 Amtlicher Schulanzeiger für die Regierungsbezirke Oberfranken und Mittelfranken. Ansbach/Bayreuth. 17. Jg. Nr. 4/1.4.1949, S. 29. „Vorläufige Richtlinien für den englischen Sprachunterricht an der Volksschule.” RE. v. 18.3.1949 Nr. 1131 aa 60.

552 on sowie der angelsächsischen Völker ... erreichen”. Der Weg zu diesem großartigen Ziel sah die „ausgiebige Verwendung” von Reim, Gedicht, Spiel und Lied „aus der Welt des angelsächsischen Kindes” vor. Grammatik sollte sich auf das „unumgänglich Notwendig- ste” beschränken; auf das gemeinsame germanische Sprachgut war besonders hinzuwei- sen. Der Unterricht sollte kindertümlich, aber keine Spielerei sein.30 Noch einmal wurde betont, daß gefestigte Leistungen in Deutsch Voraussetzung für die Aufnahme in den Eng- lischunterricht seien. Mindestens die Note 2 war verlangt. Zu den Lehrkräften wurde gesagt, daß sie fachlich und pädagogisch vorgebildet sein müßten. Bevorzugt sollten die Klassen- lehrer den Unterricht erteilen. Interessant war der Zusatz: „Die Verwendung von ungeeig- neten Kräften hat dem Ruf des englischen Sprachunterrichts an Volksschulen empfindlich geschadet”.31 Wie desolat Englischunterricht auch 1953 noch sein konnte, belegen der Brief eines Vaters vom Januar 1953 und der dazugehörige Bericht der Lehrerin. Der Vater for- derte die Fortsetzung des Unterrichts, den seine Tochter im fünften Schuljahr mit viel Freu- de besucht habe. Die Lehrerin berichtete, daß man zu Beginn der 6. Klasse keine Lehrkraft für Fortgeschrittene und Anfänger zur Verfügung gehabt habe, bis sich schließlich eine Leh- rerin bereiterklärt habe, beide Gruppen zu übernehmen, und zwar gleichzeitig (sic!). Der Unterricht in einem Doppelzimmer verlange daher häufig Stillbeschäftigung. Er finde in einem Kellerraum statt, in dem es nur einige Stühle gebe. Die Schüler säßen auf den Tisch- en oder müßten im Stehen schreiben. Der Unterricht mache niemandem Freude, und die Kinder blieben einfach weg.32 Vierteljährliche Probearbeiten wurden vorgeschrieben, ebenso die Übergabe dieser Arbeiten an den Schulleiter. Englisch sollte auch eine Zeugnisnote sein. Die Schulräte wur- den angewiesen, den Unterricht bezüglich der Organisation und der Methode zu überwa- chen und zum Schuljahresende zu berichten. Lehrgänge zur Weiterbildung der Lehrer und die Veröffentlichung fördernden Schrifttums wurden angekündigt.33 Der Amtliche Schulan- zeiger gab z.B. am 7. Mai 1950 bekannt, daß „The American Observer”, herausgegeben vom Civic Education Service, Washington, unentgeltlich von Lehrkräften der englischen Sprache bezogen werden könne.34 Bekanntgegeben wurde im März 1950 auch, daß es fremdsprachigen Schulfunk gebe. Der Bayerische Rundfunk brachte Englisch-Sendereihen: Der Anfängerkurs hieß „With the Parkers in the USA”, der Fortgeschrittenen-Kurs, geeignet ab dem vierten Lern- jahr, „Letters from USA”.35 Ein erstes Fazit zum Englischunterricht an bayerischen Volksschulen brachte „Schule und Gegenwart” im November 1950. Interessanterweise glaubte der Verfasser, daß die Ein- führung einer Fremdsprache im Volksschulunterricht bei „normaler” Entwicklung des Schul- wesens, also ohne Unterbrechung durch die Isolationspolitik des Dritten Reiches, längst ver- wirklicht worden wäre, denn fortschrittliche Pädagogen hätten diesen Wunsch schon lange gehegt. Nun habe der Alliierte Kontrollrat die Aufnahme einer modernen Fremdsprache in den Lehrplan verfügt,36 und die Angelegenheit habe ein politisches Odium dadurch bekom-

30 Ebda., S. 29 f. 31 Ebda., S. 30. 32 Archiv der Stadt Nürnberg. Schul- und Kulturreferat. Englischunterricht an Volksschulen. Bd. 1/401/14/10/5. Schreiben des Privatmanns M., Nürnberg, am 12.1.1953 an das Stadtschulamt Nürnberg. Bericht der Lehre- rin Erika F., Februar 1953. 33 Amtlicher Schulanzeiger für die Regierungsbezirke Oberfranken und Mittelfranken. Ansbach/Bayreuth. 17. Jg. Nr. 4/1.4.1949, S. 30. RE. v. 18.3.1949 Nr. 1131 aa 60. 34 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken. Ansbach. 18. Jg. Nr. 5 vom 7. Mai 1950, S. 36. 35 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 6/24.5.1950, S. 58. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 7.3.50. Nr. IV 12710. 36 siehe S. 549.

553 men, daß jede der Besatzungsmächte in ihrer Zone die eigene Sprache als erste Fremd- sprache in der Volksschule vorgesehen habe. Mancher Lehrer habe deshalb der Entwick- lung abwartend, wenn nicht gar ablehnend gegenübergestanden und gemeint, daß nach Ende der Besatzungszeit auch der Fremdsprachenunterricht wieder aus den Volksschulen verschwinden würde.37 Davon könne aber überhaupt keine Rede mehr sein, vor allem nach den verschiedenen Entschließungen des Kultusministeriums und der Regierung von Mittel- franken.38 Allerdings habe der neue „Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen”39 die Gefahr mit sich gebracht, daß dem Englischunterricht nicht die Rolle zugebilligt würde, die man fordern müsse, da die Wochenstundenzahl sich erhöht habe und der mehr oder weni- ger freiwillige Fremdsprachenunterricht dadurch zu kurz komme. Man müsse aber fordern, daß Englischunterricht ernstgenommen werde und nicht zum Fassadenstück verkomme. Schwierigkeiten erwüchsen ihm sowieso schon durch die schwierigen Raumverhältnisse an den Schulen, und es stehe zu befürchten, daß in einer Zeit, da durch Wechsel- und Abtei- lungsunterricht die Klassenzimmer maximal genützt und trotzdem oft die vollen Stunden- zahlen nicht erteilt würden, ein freiwilliger Unterricht nicht mehr möglich sei.40 Nun spre- che zwar aus dem neuen Bildungsplan in der Zielformulierung für den Englischunterricht ein moderner Geist; man lese erfreut, daß dem Hören und Sprechen Priorität eingeräumt werde, aber im Gegensatz dazu stünden die stundenplanmäßigen Benachteiligungen, die berechtigte Zweifel an der Erreichung der Ziele aufkommen ließen.41 Der Autor berichtete auch von einer Arbeitstagung der „Deutschen Gesellschaft für Erziehung und Unterricht mit modernen Lehrmitteln”, die vom 21.-26. August 1950 im Pädagogischen Institut Nürnberg zum Thema „Englisch mit Tonfilm” stattgefunden hatte und von der Audio-Visual Aids Section, Community Activities Branch, Education and Cul- tural Relations Division, HICOG, und von der Deutschen Gesellschaft für Erziehung, Mün- chen, ermöglicht worden war. Namhafte Neusprachler aus ganz Westdeutschland aner- kannten einstimmig das Prinzip, „den Unterricht in den lebenden Fremdsprachen durch die Verwendung neuzeitlicher technischer Hilfsmittel zu ergänzen, zu bereichern und zu ver- tiefen”.42 Das bedeutete den Einbau von Tonfilmen, Bildbändern, Schallplatten und Ton- bändern in den Englischunterricht.

4.5. DIE PFLEGE DES KULTURGUTES DER VERLORENEN OSTGEBIETE UND DIE PFALZ IM UNTERRICHT

In Abständen kamen wiederholt Memoranden und Anträge aus den Reihen der Flüchtlinge und Vertriebenen in die Öffentlichkeit oder vor den Bayerischen Landtag, die nach stärkerer Berücksichtigung des Kulturgutes der verlorenen Heimat verlangten. Ein Antrag der CSU (Frau Dr. Probst und Genossen) beinhaltete das Ersuchen an das Kultusmi- nisterium, „(d)er Pflege des schlesischen und sudetendeutschen Kulturgutes ... im Unter- richt die gleiche Sorge zu widmen wie der Pflege des einheimisch-bayerischen”.1 Den Leh- rern aller Schularten solle es zur Pflicht gemacht werden, Verwandtschaft und Gemein-

37 Schule und Gegenwart Nr. 11/1950, S. 54 f. 38 siehe S. 551 ff. 39 siehe S. 571. 40 Schule und Gegenwart Nr. 11/1950, S. 54 f. 41 Ebda., S. 55. 42 Ebda.

1 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenograph. Bericht. 24. Sitzung am 16.7.1947, S. 786; ACSP München. NL Seidel. Beilage 568/Beschluß. Der Bayerische Landtag an die Bayerische Staatsregierung.

554 samkeit der bayerisch-sudetendeutschen und schlesischen Geschichte und Kultur in den Klassen darzulegen. Wer den nach Bayern einströmenden Fremden mißtrauisch gegenü- berstehe, wisse wohl nicht oder habe vergessen, daß dies nicht „Fremde schlechthin” seien, sondern häufig Nachkommen früherer bayerischer Siedler im Osten. Diese seien z.B. mit der aus dem Andechser Geschlecht stammenden heiligen Hedwig nach Schlesien gezogen, hät- ten dort Siedlungen mit bayerischen Namen gegründet (Landshut, Rothenburg, Pleß, Fran- kenberg ...) und trügen bis heute Namen wie Franke, Schwabe oder Bayer. Von Bayern aus sei auch die Kolonisation der Sudeten erfolgt, so daß dort der Bevölkerungskern bayerischer Herkunft sei. Viele Gemeinsamkeiten gebe es, z.B. in der Sprache oder in der Kultur. Denn süddeutsche Orden hätten Filialen in Schlesien errichtet, und auch im 18. und 19. Jahrhun- dert hätten Salzburger und Tiroler Bauern, „also rein bayerisches Blut” (sic!) an der gesam- ten Ostgrenze von Litauen bis Schlesien gesiedelt. Charakteristische Stammeseigenschaf- ten seien erhalten geblieben: die Musikliebe der Sudetendeutschen, ihr Erfindungsreichtum in der Holzbearbeitung und „vor allem die tiefe Liebe zur Heimat, die vielleicht das stärkste Analogon” sei. Das hochentwickelte schlesische Brauereiwesen sei außerdem ein Beweis der engen Verwandtschaft zu Bayern.2 Der einheimischen und der ausgewiesenen Jugend müsse die enge Verflechtung zwischen der bayerischen Bevölkerung und den Ostflüchtlin- gen immer wieder vor Augen geführt werden, und den vertriebenen Kindern solle das Gefühl der Heimatlosigkeit dadurch genommen werden, daß im Heimatunterricht sude- tendeutsches und schlesisches Kulturgut die gleiche Berücksichtigung erfahre wie das bayerische.3 Nach Erscheinen der neuen Schulbücher kritisierte der Staatssekretär für das Flücht- lingswesen, daß das Kulturgut der Ausgewiesenen wenig zur Geltung komme, und schlug vor, eine Ergänzung zum Lesestoff herauszubringen, die die Kultur der Heimat im Osten berücksichtige.4 Es wurde registriert, daß in den Lesebüchern zu wenig stehe von Adalbert Stifter, Gerhart Hauptmann, Angelus Silesius und Gustav Freytag. Mehr als bisher müsse der Blick der Lehrer geöffnet werden für die Wichtigkeit der Aufgabe, auf das östliche Kultur- gut, nicht nur die Literatur, hinzuweisen. Es sollten Lieder, Bilder, Filme, Lichtbildreihen, Geschichtliches gesammelt werden, um die Schulen damit zu versorgen. Referat 4 des Kul- tusministeriums merkte aber auch an, daß „(b)ei der großen Zahl von Flüchtlingslehrern ... ja wohl ein sehr hoher %satz unserer Kinder während ihrer Schulzeit einmal einen Flücht- lingslehrer als Klaßlehrer haben. Es darf auch erwartet werden, daß die Flüchtlingslehrkräf- te innerhalb der Lehrerschaft ihre Erlebnisse und Schicksale und das Bild ihrer Heimat zeich- nen. Auch hievon wird sich manches im Unterricht niederschlagen ...”5 Sprechern der Flüchtlinge und Vertriebenen war das nicht ausreichend. Die zuneh- mende Konsolidierung der Verhältnisse veranlaßte sie, auf mögliche Gefahren hinzuweisen. In einem Memorandum forderte man „Systematik und behördliche Sanktionierung bei der Lebendigerhaltung des Kulturgutes verlorengegangener Gebiete” und die Berücksichtigung der Flüchtlingsjugend bei der Lehrplangestaltung für die bayerischen Schulen.6 Zur Begrün- dung dieser Denkschrift hieß es, es gebe „Unsicherheitsgefühle gegenüber der vorgesetzten Behörde besonders bei Flüchtlingslehrern”. Außerdem bestünden zwischen einheimischen und Flüchtlingskindern „Spannungen aus Ressentiments und sozialen Beweggründen”.

2 Ebda. 3 Ebda. 4 BayHStA München. MK 52193. Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern. Der Staatssekretär für das Flüchtlingswesen, am 30.12.1949 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus, gez. Dr. Adam, Min.Dir. 5 Ebda., Ref. 4 an Ref. 5. 6 Ebda., MK 52194. Memorandum vom 8.2.1951. Im Auftrag der BHE Kreisgruppe Landau/Isar, ausgearbeitet von Heinz Wetschera-Förster.

555 Wenn über Land und Leute der verlorenen Gebiete berichtet würde, verstünde das einhei- mische Kind die Eigenart des neuen Mitschülers besser, und das Flüchtlingskind würde sich leichter in die neue Umgebung eingewöhnen. Ein drittes Argument überrascht allerdings: Man sah eine Gefahr darin, daß die Flüchtlingskinder sich zu sehr assimilierten. Man habe das vor allem beim Dialekt beobachtet. Die praktische Folgerung sei „ein geistiges Abschrei- ben aller Forderungen, die ... so laut gestellt werden: die Forderung auf die Rückgabe wider- rechtlich angeeigneter Gebiete”.7 Eine zu starke Integration war also gar nicht erwünscht – ein interessanter Aspekt! Das Memorandum enthielt auch Vorschläge zur praktischen Gestaltung des Unter- richts. Im Deutschunterricht sollten Sagen, Märchen und Dichter der verlorenen Gebiete durchgenommen werden. Den Erdkundeunterricht betrachtete man als eine heikle Aufga- be. Man müsse die „richtige Dosis von Selbstachtung und politischem Takt” finden; Gebie- te, die bis 1937 innerhalb der Reichsgrenzen lagen, aber nicht unter „Ausland” durchneh- men oder, was noch schlimmer sei, totschweigen. Im Geschichtsunterricht sei die Kultur- geschichte wichtig, und in der Wirtschaftsgeographie solle man die „Wirtschaftskapazität der okkupierten Gebiete nicht übergehen”. Wichtig sei auch, in der Kunstgeschichte nicht an Elbe oder Oder-Neiße-Linie haltzumachen. Breslau, Neiße, Eger oder die Marienburg seien Beispiele deutscher Baukunst.8 Aufsehen in der Presse erregten „schwere Auseinandersetzungen zwischen heimat- vertriebenen und einheimischen Abgeordneten”9 im Bayerischen Landtag. Der Abgeord- nete Becher (DG = Deutsche Gemeinschaft) hatte den Antrag gestellt, in den Lehrplänen aller Schulen in Bayern mit Beginn des Schuljahrs 1951/52 den Heimatkundeunterricht auch auf die Heimatgebiete der Vertriebenen auszudehnen. Dazu sollte ein Fachausschuß mit einheimischen und vertriebenen Mitgliedern beim Kultusministerium gebildet werden.10 Nach Diskussion im kulturpolitischen Ausschuß wurde der Antrag dem Landtag wie folgt vorgelegt: Die Staatsregierung solle Sorge tragen, daß die „Bedeutung der alten Heimat- gebiete der vertriebenen Deutschen” im Unterricht gewürdigt werde. Bei der Aus- und Fort- bildung der Lehrerschaft sei darauf Rücksicht zu nehmen. Das Staatsministerium für Unter- richt und Kultus solle einen Fachausschuß zur Durchführung dieser Aufgabe berufen.11 Der Abgeordnete Becher begründete seinen Antrag damit, daß bereits 1947 ein ähnlicher vor- gelegt und vom Landtag einstimmig angenommen worden war, daß die Exekutive, sprich der damalige Kultusminister Hundhammer, diesen Beschluß aber sabotiert habe und im Lehrplan, der „Lehrererziehung” und in der Bereitstellung von Lehrmitteln nichts gesche- hen sei. Hundhammer sei offenbar zu beschäftigt gewesen „mit den Religionskämpfen in seinem Ressort”.12 Becher war der Ansicht, man müsse dem deutschen Volk und darüber hinaus den Europäern klarmachen, „daß Asien heute nicht mehr vor den Toren Ost- preußens, sondern an der Elbe” stehe. (sic!) So müsse man die ostdeutsche Frage verste- hen. Er bemängelte, daß der neue Bildungsplan für Volksschulen keine Hinweise für die Behandlung ostdeutscher Themen enthalte und daß z.B. das neue Lesebuch für das siebte und achte Schuljahr nur ein Gedicht aus dem „Cherubinischen Wandersmann” von Silesi- us, zwei Gedichte von Eichendorff und ein Lesestück von Stifter aufweise, und das bei einem Umfang von 420 Seiten.13 Die ziemlich polemisch vorgebrachten Äußerungen waren nach Bekunden eines Abgeordneten des BHE, Strosche, nur aus der Sorge heraus gemacht

7 Ebda. 8 Ebda. 9 Treuchtlinger Kurier, 64. Jg. Nr. 42 vom 10.4.1951, S. 3. 10 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 18. Sitzung am 5.4.1951, S. 458. 11 Ebda. 12 Ebda., S. 459. 13 Ebda., S. 460.

556 worden, daß die heimatvertriebene Jugend den Kontakt zur alten Heimat verlieren könnte. Die Schule solle mithelfen, das Wissen und die Erinnerung daran aufrechtzuerhalten. Aber alle Kinder in Bayern hätten eine neue Aufgabe, nämlich, „auf der Grundlage eines neuen Europa unsere lebensnotwendigen deutschen Gebiete in friedlicher Weise wiederzugewin- nen”.14 Zu diesem Zweck müßten die bereits begonnenen Arbeiten im Kultusministerium intensiviert werden. Da unter den Heimatvertriebenen eine Anzahl hervorragender Dozen- ten der Universitäten Königsberg, Breslau oder Prag sei und eine Reihe Kenner des Volks- tums der Ostgebiete, könne er sich vorstellen, daß mit ihnen eine Art „Lehrbuch-Planungs- kommission” eingerichtet würde, die beratend tätig werden könne. Lichtbildreihen über die verlorene Heimat oder eine Monatszeitschrift für die vertriebenen Jugendlichen, Hei- matabende in der Schule und pädagogische Tagungen für bayerische Lehrer, die man mit der Thematik vertraut machen wolle, konnte sich der Abgeordnete ebenfalls vorstellen.15 Hundhammer (CSU) verwies darauf, daß bei der großen Zahl der in Bayern eingesetzten Flüchtlingslehrer – ein Viertel aller Schulstellen seien durch sie besetzt – keine allzu große Sorge bestehen könne, daß die verlorene Heimat vergessen würde. In den Schulbüchern und Lehrplänen – und dafür wolle er sich einsetzen – sollten immer wieder Stoffe behan- delt werden, die den Heimatvertriebenen am Herzen lägen.16 Im November 1952 gab es eine kultusministerielle Entschließung über den „Ostkun- de-Unterricht” in den höheren Schulen und den Instituten für Lehrerbildung. Erneut wur- den die Direktorate angewiesen, im Unterricht, z.B. in Deutsch, Geschichte oder Erdkunde, dafür zu sorgen, daß die Kenntnis der Ostgebiete wachzuhalten und das Wissen um ihren Beitrag zur „abendländischen Kulturgemeinschaft” zu vertiefen seien. Lehrer- und Schüler- büchereien und die Lehrmittelsammlungen sollten entsprechend ergänzt werden; Arbeits- gemeinschaften der Oberstufenklassen könnten sich der Thematik annehmen.17 Die „Bayerische Schule” brachte im Juli 1954 einen Beitrag, in dem es hieß, daß zur inneren Schulreform ein Volksschul-Lesebuch für alle Jahrgänge gehöre, „das inhaltlich auch den Wünschen der Heimatvertriebenen durch stärkere Berücksichtigung ostdeutschen Kul- turgutes Rechnung tragen” müsse. Gefordert wurde u. a. die gleichmäßige Berücksichti- gung aller ostdeutschen Gebiete, die Darstellung ostdeutscher Landschaft als Kulturland- schaft der ostdeutschen Stämme, das Darlegen „volksdeutsche(r) Geschichte” im Zusam- menhang mit der gesamtdeutschen und europäischen Geschichte, die Berücksichtigung von Einzelschicksalen, immer im Zusammenhang mit der Gesamtheit, die Aufnahme von Mundartproben ostdeutscher Gebiete in das Lesebuch sowie Bilder ostdeutscher Land- schaften und Baudenkmäler. Als besonders willkommen wurden „dichterisch wertvolle Dar- stellungen der Vertreibung, aber auch der Eingliederung der Vertriebenen” bezeichnet.18 Man bat um Einsendung geeigneter Werke und versicherte dem Leser, daß gerade in Leh- rer-Kreisen ostdeutsches Kulturgut sehr lebendig sei.19 Ein Thema, das den Alteingesessenen sehr am Herzen lag, war die erhoffte Wieder- eingliederung der Pfalz nach Bayern. 1945 war der achte bayerische Regierungsbezirk abge- trennt und einer Provinz Hessen-Pfalz zugeschlagen worden.20 Ein Jahr später wurde diese durch Verordnung der französischen Militärregierung vom 30. August 1946 mit der Anfang 1946 entstandenen Provinz Rheinland-Hessen-Nassau zum Land Rheinland-Pfalz vereinigt.

14 Ebda., S. 462. 15 Ebda., S. 462 f. 16 Ebda., S. 465 f. 17 Bay BSVK, S. 980. ME. veröffentlicht im KMBl. 1952, S. 370 – Nr. VIII 82340. 6.11.1952. 18 Die Bayerische Schule, 7. Jg. Nr. 21/25.7.1954, S. 337. 19 Ebda. 20 Gerhard Köbler: Historisches Lexikon der deutschen Länder. Die deutschen Territorien vom Mittelalter bis zur Gegenwart. 2. Aufl. München 1989, S. 448.

557 So war eine Einheit entstanden aus der linksrheinischen Pfalz Bayerns, des linksrheinischen Rheinhessen Hessen-Darmstadts und Teilen der Rheinprovinz und der Provinz Hessen-Nas- sau Preußens.21 Im Amtsblatt des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus vom 15. März 1950 wurde der Leser darüber informiert, daß Bayern „von dem sehnlichen Wunsch erfüllt” sei, „einen seiner wertvollsten Kreise wieder mit sich vereinigt zu sehen”.22 Gründe geschichtlicher Art wurden genannt; das gemeinsame Schicksal über lange Zeiträu- me lege den erneuten Zusammenschluß nahe, und obwohl der letzte Wittelsbacher auf bayerischem Thron 1918 abgedankt hatte, habe man die Zusammengehörigkeit beider Lan- desteile nie so stark empfunden wie in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg.23 In der kultus- ministeriellen Entschließung wurde die staatsrechtliche Lage der Pfalz als noch „in der Schwebe” bezeichnet,24 obwohl das Land Rheinland-Pfalz am 18. Mai 1947 bereits eine Verfassung erhalten hatte.25 Die Trennung von Bayern sei eine „vorübergehende”; dieser Zustand müsse eines Tages bereinigt werden. Man berief sich dabei auf Artikel 29 (GG) über die Neugliederung des Bundesgebietes, in dem es unter (2) hieß: „In Gebietsteilen, die bei der Neubildung der Länder nach dem 8. Mai 1945 ohne Volksabstimmung ihre Landeszu- gehörigkeit geändert haben, kann binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Grundgeset- zes durch Volksbegehren eine bestimmte Änderung der über die Landeszugehörigkeit getroffenen Entscheidung gefordert werden ...”26 Die Jahresfrist war allerdings durch Ziffer 5 des Genehmigungsschreibens der drei westlichen Militärgouverneure zum Grundgesetz am 12.5.1949 zunächst unwirksam gemacht worden. Diese hatten bestimmt, daß die Gren- zen aller Länder, mit Ausnahme von Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden, bis zum Abschluß eines Friedensvertrages in ihrer derzeitigen Form bestehen blei- ben sollten. Möglich war aber bei Einstimmigkeit der drei Hohen Kommissare, der Nachfol- ger der Militärgouverneure, eine frühere Neuregelung der Ländergrenzen. So gesehen war die Landeszugehörigkeit der Pfalz eine noch offene Frage.27 Man hoffte also auf ein Volksbegehren und meinte, die Pfälzer könnten sich entwe- der für Bayern oder „für den Zusammenschluß mit einem noch zu bildenden Südweststaat entscheiden”.28 Die Schulen in Bayern hätten nun die Aufgabe – und das sei auch von pfäl- zischer Seite erwünscht29 -, die Beziehungen zwischen Bayern und der Pfalz mit den ihnen gegebenen Mitteln den bayerischen Kindern vor Augen zu führen. Viele Schüler und auch Lehrer hätten keine rechte Erinnerung mehr daran, da auch schon zwischen 1933 und 1945 die Verbindungen immer mehr gelockert worden seien.30 Bei der gewünschten Entschei- dung sei von großer Bedeutung, „mit welchem Nachdruck von dem heutigen Bayern die Wiedervereinigung der Pfalz mit Bayern ersehnt und erstrebt” werde.31 Alle Volks- und

21 Ebda. 22 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 3 vom 15.3.1950, o. S. 23 Ebda. 24 Ebda. 25 Köbler, S. 448. 26 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Vom 23. Mai 1949 (BGBl S.1) (Ergänzt nach dem Stand vom 30. Mai 1963)., München, S. 27. 27 BayHStA München. MK 62154. Schreiben Nr. I 60281 des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 23.9.1949 an die Regierungen. Betr.: Hinweis auf die Beziehungen zwischen Bayern und der Pfalz im Unterricht der Volks- und Berufsschulen. 28 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 3 vom 15.3.1950. o. S. 29 BayHStA München. MK 62154. Schreiben Nr. I 60281 des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 23.9.1949 an die Regierungen. Betr.: Hinweis auf die Beziehungen zwischen Bayern und der Pfalz im Unterricht der Volks- und Berufsschulen. 30 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 3 vom 15.3.1950. o. S. 31 BayHStA München. MK 62154. Schreiben Nr. I 60281 des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 23.9.1949 an die Regierungen. Betr.: Hinweis auf die Beziehungen zwischen Bayern und der Pfalz im Unterricht der Volks- und Berufsschulen.

558 Berufsschulen sollten von den Regierungen eine entsprechende Weisung erhalten, die jedoch nicht veröffentlicht werden sollte, etwa im Schulanzeiger.32 Vor allem müsse sich der Geschichtsunterricht des Themas annehmen und Lehrstoffe vermitteln, „die für das Ver- hältnis der Pfalz mit dem Mutterlande von Wichtigkeit sind”.33 Vom fünften bis zum ach- ten Schülerjahrgang wurden Vorschläge gemacht, die mit „Römische Töpfer- und Bron- zeindustrie in der Pfalz” begannen und mit „Das Jahr 1945. Bayern und Pfalz werden durch die Zoneneinteilung voneinander getrennt” endeten.34 Auch der Erdkundeunterricht sollte die Pfalz behandeln. Die „eindringliche und lebendige Vermittlung der Kenntnis der pfälzi- schen Landschaft als des früheren Teilgebietes Bayerns” wurde verlangt. In Deutsch sollte der „Erlebnisgehalt der pfälzischen Landschaft und ihrer Geschichte sowie Art und Arbeit des pfälzischen Menschen zur sprachlichen Bildungswirkung” gebracht werden.35 Da es in den bayerischen Lesebüchern nicht genügend Stoff gab, wurden sog. Lesebogen zum Vor- lesen und zur Erarbeitung angeboten. Briefe an pfälzische Freunde und Verwandte sollten mit der Absicht geschrieben werden, die Anteilnahme auszudrücken, mit der „wir von hier aus das Geschick der Pfalz verfolgen und wie sehnlichst wir wünschen, daß beide Gebiete baldigst wieder miteinander vereinigt werden”.36 Umfangreiches Zahlenmaterial sollte außerdem dem Lehrer Stoff für das „Anwendungsrechnen” liefern, Film und Bild konnten dafür sorgen, daß die Schüler vom Gedanken an die Pfalz ergriffen und dadurch auch auf das Elternhaus einwirken würden.37 Die gewünschte Anbindung der Pfalz an Bayern blieb aus. Der „Bund der Pfalz- freunde in Bayern” versuchte, für den Gedanken der Wiedervereinigung zu werben, und erreichte die Erlaubnis des Kultusministeriums zum Vertrieb einer „Pfalzpostkarte” durch die Schüler. Kultusminister Schwalber erachtete es als „wünschenswert, daß die Jahrhun- derte alten Beziehungen zwischen Bayern und der Pfalz ... den Schulen zum lebendigen Bewußtsein werden. Die Werbung für die Wiedervereinigung der Pfalz mit Bayern liegt im allgemeinen bayerischen Interesse ...”38 Im übrigen gab es am 22. April 1956 ein Volksbe- gehren, in dem sich nur 7,6 % der Pfälzer für einen Anschluß an Bayern aussprachen, obwohl ein „Pfalz-Manifest” ihnen weitgehende Sonderrechte versprach; z.B. hatte man u. a. ein Sonderministerium für pfälzische Angelegenheiten geplant.39

32 Ebda. 33 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 3 vom 15.3.1950, o. S. 34 Ebda., S. 7 f. 35 Ebda., S. 8. 36 Ebda., S. 8 f. 37 Ebda., S. 9. 38 Ebda., Nr. 10 vom 11.6.1951, S. 206 f. 39 Maximilianeum Nr. 2/2000, S. 28.

559 4.6. RELIGIONSUNTERRICHT

Ministerpräsident Ehard forderte in seiner Regierungserklärung am 24. Oktober 1947, daß dem Religionsunterricht an den Schulen wieder die ihm vom Nazi-Regime entrissene Stellung eingeräumt werden müsse.1 Sichtbar wurde die beabsichtigte Wiederaufwertung dadurch, daß der Religionsunterricht in der Reihe der Zeugnisnoten vom letzten auf den ersten Platz rückte, auch wenn die innere Haltung beim Volk oft indifferent war 2 und die Geistlichen die „religiöse Not“ beklagten. Das Evangelium werde als überflüssig empfun- den, die Zeit fehle, sich damit auseinanderzusetzen.3 Diese Einstellung an den Volksschulen zu ändern, hatte man jedoch ausreichend Gelegenheit, denn es galten für den Religions- unterricht die Stundentafeln, wie sie vor 1933 in Kraft waren. Das bedeutete, daß für die erste und achte Volksschulklasse das normale Wochenstundenmaß zwei bis drei, für die übri- gen Jahrgänge vier Stunden betrug. Mangel an Schulräumen oder Lehrern nötigten häufig zur Reduzierung des Stundenmaßes, und in der Diaspora war es der evangelischen Kirche aus finanziellen Gründen oft nicht möglich, für kleine Schülergruppen den Religionsunter- richt im erwünschten Umfang durchzuführen. Mißbilligt wurde, daß es Pfarrer gab, die nur eine oder zwei Stunden unterrichteten, obwohl sie ihr Pflichtstundenmaß noch nicht erreicht hatten. Diese Herren sollten die Dekane die entsprechenden Anweisungen geben.4 Gemäß Art. 137/2 (BV) mußte für Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnah- men, ein „Unterricht über die allgemein anerkannten Grundsätze der Sittlichkeit“ einge- richtet werden.5 In Vollzug dieses Artikels ordnete das Kultusministerium an, daß durch die Schulämter Erhebungen durchzuführen seien „über die Zahl der Volks- und Berufsschüler, die sich ordnungsgemäß vom Religionsunterricht abgemeldet haben...“6 Allerdings dauer- te es zwölf Jahre, „bis die entsprechenden Anordnungen der obersten Schulbehörde zur Einführung dieses Unterrichts ergingen.“7 Die andersgläubigen und bekenntnislosen Schüler hatte auch die örtliche Militärre- gierung in Bamberg im Visier bei ihrer Anfrage an den Schulrat, ob es wahr sei, „daß in den Bamberger Volksschulen katholische Gebete und Kirchenlieder gelernt würden“. Der Schul- rat fragte daraufhin bei der Regierung in Ansbach an, ob es gestattet sei, dem Beginn des Unterrichts ein kurzes Gebet oder Lied voranzustellen.8 Die Antwort war eine merkwürdige Kombination von Eindeutigkeit und Gehorsam. Sie lautete: Geistliche oder Lehrer erteilen den Religionsunterricht. „Der Unterricht beginnt mit Gebet und Gesang und endet mit Gebet. Die entsprechenden Ministerialentschließungen werden demnächst den Schuläm- tern zugehen. Sollte die Militärregierung in Bamberg etwas anderes befehlen, so ist diesem Befehl Folge zu leisten, und der Regierung von Oberfranken und Mittelfranken Bericht zu erstatten.“9 Offensichtlich hatte man die Frage aber falsch verstanden, denn der Militärregierung lag es fern, sich in die religiöse Unterweisung einer christlichen Kirche einzumischen. Die Anfrage bezog sich mit Sicherheit auf die übliche Praxis, vor Beginn des allgemeinen Unter- richts zu beten und zu singen, was nach Ansicht der Militärregierung für andersgläubige und bekenntnislose Schüler Schwierigkeiten mit sich bringen konnte.

1 Baer, S. 150. 2 Fingerle, S. 305. 3 LKAN. HB XII 135. Amtsblatt für die evangelisch-lutherische Kirche in Bayern. 36. Jg. Nr. 1/14.1.1949, S. 8. 4 Ebda., Nr. 16 vom 12.8.1948, S. 100. Betr.: Religionsunterricht an Volksschulen. Nr. 8702 [Az. 35/0]. 5 Barthel, S. 445. 6 StAN. Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, Nr. 259. Schreiben Nr. 1125b 9 der Regierung von Oberfran- ken und Mittelfranken am 5.5.1948 an die Stadt- und Bezirksschulämter. ME. v. 21.4.1948 Nr. VIII 23384. 7 Barthel, S. 445. 8 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4516. Schreiben des Stadtschulamts Bamberg am 22.5.1946 an die Regierung in Ansbach. 9 Ebda.

560 4.7. RUNDFUNK UND FILM IM UNTERRICHT

General Lucius D. Clay schrieb 1950: „Wir legten Wert darauf daß Rundfunksendungen und Filmvorführungen in den Stundenplan der Schulen eingebaut werden.“1 Die amerikanische Erziehungskommission forderte ebenfalls spezielle Rundfunkprogramme für Schulen, etwas, das die Militärregierung schon im Februar 1946 angeregt hatte.2 Die Erkenntnis der „volkser- zieherischen Wirkung“3 der audio-visuellen Medien war nicht neu, die Propaganda des Dritten Reiches hatte sich ihrer gerne und erfolgreich bedient, und nun sollten sie neue Bedeutung erlangen. Im Frühjahr 1947 gab es eine Eilanfrage des Kultusministeriums an die Regierungen und die Schulleitungen sämtlicher Schulen, ob und wie viele Rundfunkapparate in den Schulen vor- handen seien und ob es möglicherweise Geräte in Lehrerwohnungen, Pfarrhäusern, Gaststätten oder Jugendheimen gebe, die für den Schulfunk nutzbar gemacht werden könnten.4 Die amerikanische Militärregierung kaufte über 1000 Radiogeräte, um die Apparate in den Schulen zu ergänzen,5 aber es war doch lange so, wie Stadtrat Raab in Nürnberg berichte- te:Schulfunk war für den Unterricht fast bedeutungslos, da nirgends Empfangsgeräte vorhan- den waren.6 Rundfunkgeräte in den Schulen waren den Amerikanern für ihr Demokratisierungs- programm aber wichtig, und sie versuchten alles, um dem Mangel abzuhelfen. In Nürnberg gab es z. B. die leihweise Übergabe von 25 Geräten im November 1948,7 oder eine Spende von 35 Radios von der Education and Cultural Relations Division und zwei Geräten von Radio München an die Pädagogische Arbeitsstätte im Amerikahaus Nürnberg.8 Auch amerikanische Schulkin- der stifteten 200 Rundfunkgeräte für Nürnberger Schulen.9 Aber der Stadtrat von Nürnberg bedauerte zu Beginn des Schuljahres 1949/50 die fehlenden Geldmittel zum Ankauf weiterer Geräte. Nur 28 seien es im Stadtgebiet, und für defekte Geräte gebe es keine Ersatzteile.10 Schon sehr bald, im Herbst 1946, gab es die ersten Überlegungen zur Pro- grammgestaltung; das Kultusministerium, das Stadtschulamt München, der Lehrerverein und amerikanische Schulfunkexperten - man hatte sie extra aus den Vereinigten Staaten geholt11 - waren daran beteiligt.12 Mit Beginn des Schuljahres 1947/48 startete Radio München ein Schulfunkprogramm, das vom 8.9.1947 bis 20.3 .1948 geplant war und zweimal täglich gesendet wurde. Es wurde betont, daß es dem Mangel an Lehr- und Lernmitteln abhelfen solle. 150 Sendungen insgesamt würde es umfassen, verschiedene Unterrichtsgebiete betreffen, aber vor allem „die Ethik der demokratischen Lebensauffassung zum Lehrgegenstand haben“.13 Radio München erläuterte sein Schulfunkprogramm, das den Titel „Menschen untereinander“ trug. Es war für das fünfte bis achte Schuljahr konzipiert worden. „Ausgehend von der Voraussetzung, daß vieles von un-

1 Clay, S. 336. 2 BayHStA München.MK 53201. Entwurf des Amtes der Militärregierung für Deutschland (U.S.). Amt des Militär- gouverneurs. APO 742. Stellungnahme zum Bericht der U.S. Erziehungskommission (gez. Lucius D.Clay) an Generalmajor O.P. Echols, Abtlg. für Zivilangelegenheiten, Kriegsministerium, Washington D.C.; Huelsz, S. 120. 3 Mayer, S. 327. 4 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 5 vom 1.4.1947. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 27.3.47 Nr. VII 10678. 5 Clay, S. 336. 6 Stadtarchiv Nürnberg. C 7/IX SRP 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 10. 10. 1947, S. 5. 7 Ebda., C7/IX SRP 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses vom 9.11.1948. 8 Ebda., Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 16.11.1948. „Amerikanische Radios für deutsche Schulen“ (NN 20.11.1948). 9 Ebda., 17.-21.10.1949. 10 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4617. Schreiben des Stadtrats zu Nürnberg, Schul- und Kulturreferat und Stadtschulamt am 5.9.1949 an die Leitungen der Volksschulen und die Direktorate der städti- schen Schulen. 11 Clay, S. 336. 12 Huelsz, S. 120;BayHStA München. MK 53201. Entwurf des Amtes der Militärregierung für Deutschland (U.S.). Amt des Militärgouverneurs. APO 742. Stellungnahme zum Bericht der U.S. Erziehungskommission (gez. Lucius D. Clay) an Generalmajor O.P. Echols, Abtlg. für Zivilangelegenheiten, Kriegsministerium, Washington D.C., S. 11. 13 Die Neue Zeitung, 3. Jg. Nr. 70 vom 1.9.1947, S. 2.

561 serem heutigen Unglück darauf zurückzuführen ist, daß die Menschen die Technik des Zusam- menlebens noch nicht beherrschen und die Gesetze des Miteinanderlebens nicht kennen, ver- suchen wir in diesen Sendungen, den Schüler zum Nachdenken über solche Fragen anzuregen... (Das Schulkind) soll... lernen, andere Menschen zu sehen, zu verstehen und ihre Lebensrechte anzuerkennen... Die Sendungen sind gedacht als Anregung zu Schülerdiskussionen”.14 Die Themen lauteten z.B.: „Krach mit dem Freund“, „Muß man mit den Wölfen heulen? Wie weit gehen die Verpflichtungen?“, „Ein neuer Mitschüler“, „Krach mit der Mutter“, „Darf man einem Lehrer widersprechen? (Es kommt immer nur auf die Form an)“, „Ist Rache wirklich süß?“, „Ist ‚Verratschen‘ immer gemein?“15 Die Beispiele zeigen die eindeutige Richtung. Die Kinder und Jugendlichen hatten ja in der Hitlerjugend mit den Wölfen geheult! Der neue Mitschüler war der Außenseiter, den man nicht ausgrenzen durfte, obwohl er anders war; ein Thema, welches das Flüchtlingsproblem ansprach und bald auch das Problem der ersten farbigen Kinder in den Schulen.16 „Krach mit der Mutter“ lenkte den Blick auf die Erziehungsnöte der Mütter, die allein die Schwierigkeiten meistern mußten. Interessant war auch die Frage, ob man einem Lehrer widersprechen dürfe. Hier hatte letzterer sicher manchmal zu schlucken, denn üblich war das an deutschen Schulen ja nicht gewesen. Den Schülern wurde eine Verhaltensstrategie aufgezeigt, wie die richtige Form gewahrt werden konnte. Das Anliegen „weg von Befehl und Gehorsam“ und hin zu vertrau- ensvollem Umgang miteinander war offensichtlich. Für das zehnte bis zwölfte Schuljahr bot Radio München „Geschichte und Kulturge- schichte“ an. Angekündigt wurde, daß man in den Geschichtssendungen wenig zu hören bekomme von Kriegen und Dynastien. Man wolle versuchen, „in die Tiefe zu gehen“ und „den Blick zu öffnen über die nüchtern historischen Tatsachen hinaus“. Das große Ziel der „Univer- salhistorie“ schwebte den Produzenten vor. Im Bereich der Kulturgeschichte wollten sie zeigen, daß die Menschen „trotz aller Kriege, trotz allem Hader und Streit an gemeinsamen großen Wer- ken des Friedens“ arbeiteten.17 Themen waren z. B.: „Ich bin ein Lernender und begehre der Lehrenden.“ (Peter d. Große und Rußlands Aufstieg); „Vom Weltbürger“ (Aus der Welt des Humanismus); „Im Dreißigjährigen Krieg“ (Zerstörung und Aufbau im großen Kriege); „Das junge Deutschland“ (Aus der Kultur und Zeitgeschichte der 48er Jahre); „Die Pioniere von Roch- dale“ (Von der Entstehung der Gewerkschaften und aus der englischen Wirtschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts).18 Auch diese Themen zeigen, wie bei den Sendungen für die Jüngeren, die Absicht, die dahinterstand. Es konnten Parallelen zu aktuellen Fragen gezogen werden: Peter der Große lern- te von ausländischen Mächten, um sein Land zu modernisieren; Kriegszeiten verlangten immer schon Aufbauarbeit; Gewerkschaften sichern soziale Gerechtigkeit. Auch das positive Beispiel demokratischer Ansätze in Deutschland (1848) durfte natürlich nicht fehlen. Weitere Schul- funkprogramme waren „Der Mensch“, „Naturkunde“, „Musik“ und „Die beherrschende Stel- lung der Wirtschaft im Zusammenleben der Menschen und Völker...“ (Lebendige Wirtschaft. Der Haushalt der Menschheit). Dann gab es noch einen Anfängerkurs in Englisch, nämlich „Jeder lernt Englisch“, der dem Kurs in der „Neuen Zeitung“ entnommen war.19 Um sicherzustellen, daß die Schulfunkprogramme in den Schulen erfolgreich eingesetzt würden, veranstaltete die Militärregierung Nürnberg auf ihre Kosten eine „Schulfunkwoche“ vom 16.-23. August 1948. Theoretische Ausführungen und praktische Vorführungen durch

14 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. „Schulfunkprogramm Radio München, für die Zeit vom 8.9.1947-20.3.1948“. 15 Ebda. 16 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg. F 2. 27.5.1952 „Schulanmeldung. Erstmals 52 farbige Kinder.“ (Amtsblatt 16.5.1952; NN 30.5.1952). 17 StAN. Regierung von Mittelfranken., Abgabe 1978, Nr. 4518. „Schulfunkprogramm Radio München, für die Zeit vom 8.9.1947-20.3.1948“. 18 Ebda. 19 Ebda.

562 Techniker und Schulfachleute sollten die deutschen Lehrer mit dem Medium vertraut machen.20 Diese Veranstaltung fand in München statt, während zur gleichen Zeit in Nürnberg im großen Sitzungssaal des Gerichtsgebäudes amerikanische und deutsche Rundfunkfachleute zur Arbeits- tagung (Zonenkonferenz) „Schule, Film und Funk“ zusammenkamen, um „in Anwesenheit von Delegierten der Ministerien und der Militärregierung... über Erziehung durch den Rundfunk“ zu diskutieren.21 Zum Thema „Was können Radio, Film und Buch zur Förderung der Erziehung in Deutschland und Europa beitragen?“ gab es im Nürnberger Pädagogischen Institut ein Jahr spä- ter eine Arbeitstagung der „Deutschen Gesellschaft für Erziehung“ 22 Clay schrieb im Jahre 1950 zum Schulfunk: „Erziehung mit Hilfe des Rundfunks gehört heute zum normalen deutschen Leben.“23 Die Thematik fand auch ihren Weg in die Lese- bücher,24 und ausgeschlossen sein vom Schulfunk wurde als großer Nachteil empfunden. Anders läßt sich ein Brief der Schülerin Elfriede Martin aus Oberwohlsbach b. Rödental (Ofr) nicht erklären. Sie schrieb an den Ministerpräsidenten: „...Und ein Radio fehlt für Schulfunk. Den hören wir gern. Aber wir müssen im Dorf herumlaufen und Leute bitten, ihr Radio zu leihen, damit wir Schulfunk hören können..“25 In den fränkischen Dörfern gehörte der Rundfunk auch 1953 noch nicht zum normalen deutschen Leben! Unterrichts-, Dokumentar- und Spielfilme, die an den Schulbildstellen oder beim deut- schen Filmverleih vorhanden waren, konnten im Prinzip in derselben Weise behandelt werden wie Bücher, und die amerikanische Militärregierung verfuhr entsprechend und teilte sie ein in „A-Filme“, die ohne Beanstandung für den Unterricht freigegeben, „B-Filme“, die verboten wur- den, und „C-Filme“, die abgeändert und bis auf weitere Weisung nicht eingesetzt werden durf- ten.26 Es wurden von der Militärregierung auch Listen herausgegeben, welche deutschen Spiel- filme jugendfrei waren und welche nicht. Zugelassen war z. B. „Kohlhiesels Töchter“. Jugendli- che über 14 Jahre konnten „Die Feuerzangenbowle“ oder „Der Meineidbauer“ ansehen; aber verboten waren unter vielen anderen „Maske in Blau“, „Das Mädchen von Fanö“ oder „Der kleine Grenzverkehr“.27 Die Verbote konnten mehrere Gründe haben, sicher waren nicht nur anstößige Szenen der Anlaß. Denn gerade der letztgenannte Film war ja eine harmlose Roman- ze, noch dazu hatte Erich Kästner das Buch geschrieben, ein im Dritten Reich Verpönter, dessen Bücher verbrannt worden waren. Aber es mochten Schauspieler mitwirken, die auch in der Reichskulturkammer kein Karrierehemmnis gefunden hatten, oder der Regisseur war Parteige- nosse gewesen. Möglich war bei diesem Film auch, daß der zeitgeschichtliche Hintergrund bean- standet wurde. Die verwickelte Geschichte basierte ja auf den Devisenbestimmungen des Drit- ten Reiches. Übrigens waren, als die amerikanische Militärregierung die deutschen Filme unter die Lupe nahm, alle amerikanischen noch jugendfrei.28 Bei den Unterrichtsfilmen gab es auch eine Kategorie, die vollständig ausgeschieden wer- den mußte, „da sie militärische Dinge (enthielten) und zur Vorbereitung und Begeisterung der Jugend für den Krieg dienten“. Andere pflegten „nationalsozialistische Ideen“ oder enthielten Teile, „die stark mit Hakenkreuz und anderen Hinweisen auf den Nazismus durchsetzt“ waren.29

20 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4522. Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 14.7.1948 an alle Regierungen. 21 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg. F 2. Arbeitstagung „Schule, Film und Funk, 16.-20.8.1948 (NN 14.8.1948). 22 Ebda., 17.-21.10.1949. 23 Clay, S. 336. 24 Die Silberfracht, S. 112 („In der Schule hören die Kinder manchmal den Schulfunk. Dann sind alle mäuschen- still. Habt ihr den Schulfunk auch schon gehört?“) 25 BayHStA München. StK 113973. Schreiben der Schülerin Elfriede Martin aus Oberwohlsbach am 1.9.1953 an den Ministerpräsidenten. 26 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4617. Schreiben der Staatl. Landesbildstelle Nordbay- ern am 21.6.1946 an alle Stadt- und Kreisbildstellenleiter des Bereiches Nordbayern. 27 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken. Ansbach. 15. Jg. Nr. 9 vom 10. 9. 1947, S. 60. 28 Ebda. 29 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4617. Schreiben des Bezirksschulamts Coburg II am 3.5.1946 an den Erziehungsoffizier der Militärregierung für Ober- und Mittelfranken. Betreff: Nazi-Filme.

563 Das traf sicher zu für den von der Landesbildstelle Nordbayern im Jahr 1941 empfohlenen Film „Arbeitsmaiden helfen“, der zu Werbezwecken für den Arbeitsdienst der Mädchen gedreht worden war. Der Film war in Mädchenklassen der höheren, Berufs- und Fachschulen eingesetzt und immer vom Vortrag einer Führerin des Arbeitsdienstes der weiblichen Jugend begleitet worden.30 Andere, „harmlose“ Filme waren in der vorhandenen Fassung nicht tragbar, da sie Fahnen oder Erinnerungen an die Nazizeit zeigten. Sie mußten neu geschnitten werden.31 Auf Vorschlag der Kultusminister von Hessen, Württemberg und Bayern sowie des Lan- desdirektors für das Schulwesen in Baden gründete der Länderrat am S. Februar 1946 das „Insti- tut für den Unterrichtsfilm“ mit Sitz in München. Das Institut nahm in der amerikanischen Besat- zungszone die Aufgaben der ehemaligen „Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht“ wahr. Es durften nur solche Filme und Lichtbilder im Unterricht verwendet werden, die das Institut genehmigt hatte; Zensurvorschriften erhielt es natürlich von der Militärregierung.32 Diese Entschließung des Kultusministeriums wies daraufhin, daß Film und Bild sich als „besonders wirksame Lehr- und Lernmittel auf allen Gebieten des Unterrichts bewährt“ hätten und daß man froh sei, angesichts des Mangels an geeigneten Unterrichtsmitteln, sie weiterver- wenden zu können.33 In diesem Falle knüpfte man nahtlos an die Propaganda des 3. Reiches an; auch zu der Zeit hatte man das wirksame Lehr- und Lernmittel gerne eingesetzt. Notgedrungen sprach das Institut von „Weiterverwendung“ - natürlich nach entspre- chender Zensur - , denn die Herstellung neuer Filme, von der amerikanischen Erziehungskom- mission wärmstens empfohlen, scheiterte am Mangel an Rohfilm, was auf absehbare Zeit jeden Gedanken daran unmöglich machte. Selbst die amerikanische Militärregierung, die das Institut unterstützte, wo sie konnte, z. B. durch das Ausleihen von Filmgeräten aus den Amerikahäu- sern an die Schulen,34 mußte bei der Beschaffung von Rohfilm passen.35 Offenbar gab es aber ausreichend Material, um bereits im März 1947 die „Ausbildung des Lehrernachwuchses im Gebrauch von Lichtbild und Film“ anzuordnen.36 Sie war „sofort durchzuführen in den Abschlußkursen und Sonderlehrgängen (Abiturienten- und Schulhelfer- lehrgänge) der Lehrerbildungsanstalten und in den Studienseminaren für Studienreferendare“. Der Wiederaufbau des Schulwesens verlange den Einsatz aller pädagogischen und technischen Hilfsmittel; und Lichtbild und Film wurden als bedeutende Hilfsmittel der Bildungsarbeit betrach- tet. Nach der Säuberung von nationalsozialistischen und militaristischen Spuren sollten sie in den Schulen wieder eingesetzt werden. Dazu müsse aber die „filmpädagogische und filmtechnische Ausbildung“ der Lehrer gesichert sein.37 Der amerikanischen Militärregierung war der Einsatz von Lichtbild und Film in den Schu- len so wichtig, daß darüber im monatlichen Bericht über das Schulwesen (Monthly Report, Edu- cation) Meldung gemacht werden mußte. Punkt 17 des Reports gab die Anzahl der Filmvor- führungen im Unterricht an. Das waren im Regierungsbezirk Ober- und Mittelfranken im Janu- ar 1947 242 Vorführungen in Volksschulen, acht (sic!) in höheren Schulen und 43 in Berufs- und Fachschulen. Unter Punkt 18 war über den Einsatz von Lichtbildern zu berichten. Hier gab es im selben Zeitraum 17 Vorführungen in den Volksschulen und zwölf in den Berufs- und Fachschu-

30 Ebda., Schreiben der Landesbildstelle Nordbayern, Bayreuth, am 29.5.1941/ Rundschreiben Nr. 11/41/Nur für den Dienstgebrauch! Zur Kenntnisnahme an alle Schulräte und die RWU. 31 Ebda. 32 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 9 vom 12. 9. 1946, S. 142. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 6.8.46 Nr. B 70504. An die Regierungen und die ihnen unterstellten Schulämter, die Direktorate der höheren Lehranstalten, die Landes- und Kreisbildstellen. 33 Ebda. 34 Clay, S. 336. 35 BayHStA München. MK 53201. Entwurf des Amtes der Militärregierung für: Deutschland (U.S.). Amt des Militär- gouverneurs. APO 742. Stellungnahme zum Bericht der U.S. Erziehungskommission (gez. Lucius D. Clay) an Generalmajor O.P. Echols, Abtlg. für Zivilangelegenheiten, Kriegsministerium, Washington D.C., S. 111. 36 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 4/21.3.1947, S. 27. E. d. Staatsmin. f. U. u. K. v. 6.3.47 Nr. B 60577. 37 Ebda.

564 len.38 In einem Bericht für die höheren Schulen Ober- und Mittelfrankens wurden für den Zeit- raum von Oktober 1947 bis April 1948 284 Film- und 72 Lichtbildervorführungen angegeben.39 Die Bildstellenleiter wurden zu Fortbildungsveranstaltungen einberufen, die sie verpflich- teten, als Multiplikatoren tätig zu werden. Eine Tagung in Bayreuth am 6. April 1948, die sogar eine Übernachtung vorsah, was damals mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden war, hatte folgende Programmpunkte: „1. Die Durchführung von pädagogischen Film- und Bildtagungen (KME. v. 13.8.47 Nr. VIII 37192). 2. Einsatz der amerikanischen Tonschmalfilmgeräte mit Vor- führung einiger Erziehungsfilme. 3. Der Schulfunk. 4. Beschaffungsfragen.“40 Die Militärregierung nutzte die Möglichkeit des Films für ihre Umerziehungspläne, auch noch 1948. Die Niederschrift der Sitzung des Schulausschusses des Stadtrats zu Nürnberg jeden- falls berichtete im Mai, daß von der Besatzungsmacht vorgesehen sei, „ein Filmprogramm, vor- mittags in den Schulen, nachmittags für Jugendliche, abends für Erwachsene, zu geben, um das deutsche Volk auf diese Weise umzuerziehen“.41 Auch das Bezirksschulamt Naila meldete an die Regierung in Bayreuth, daß die Militärregierung „(i)m Rahmen des Demokratisierungspro- gramms... mit Schmaltonfilmvorführungen in den Schulen des Schulaufsichtsbezirks begonnen“ habe.42 Die Schulen waren interessiert an den Angeboten an Unterrichtsfilmen und Rundfunk- programmen, vor allem wegen fehlender anderer Lehrmittel, was z. B. von der Regierung von Oberbayern als katastrophaler Mangel gekennzeichnet wurde.43 Leider gab es aber auch Hemmnisse beim Einsatz dieser Medien. Zur Finanzierung wurde ein Lernmittelbeitrag erhoben, der z.B. im Landkreis Ansbach 0,15 RM pro Schüler und Jahr betrug.44 Auch vom Kultusministerium kamen Bescheide über den Lernmittelbeitrag,45 also war das, zumindest in den Jahren 1946,47,48 und 49, üblich. Die Verhältnisse in manchen Landge- meinden machten aber alle Anstrengungen, für diesen geringen Betrag pädagogisch wertvolle Medien einsetzen zu können, zunichte. Die Schulleitung der Volksschule Döpshofen, Landkreis Augsburg, bat um Befreiung vom Lernmittelbeitrag, denn der Ort war nicht an das Stromnetz angeschlossen (sic!). „Die nächstgelegene Schule mit Stromanschluß ist 4 km entfernt und nur auf einem schlechten bergigen Waldweg zu erreichen. Ein Besuch derselben zwecks Vorführung von Filmen ist bei dem z. Zt. herrschenden mangelhaften Ernährungszustand der Kinder und Schuhmangel (ca. 30% der Kinder sind Flüchtlinge und Evakuierte) nicht möglich. Außerdem kann von einem wertvollen und nutzbringenden Einbau des Filmes in den Unterricht nicht mehr die Rede sein, wenn dabei jedesmal ein halber Unterrichtstag verloren geht.“46 Auch an anderen Schulorten gab es Schwierigkeiten beim Einsatz von Film und Schul- funk, bzw. war der pädagogische Effekt höchst fragwürdig. In Forst im Landkreis Weilheim besaß die Schule kein Filmvorführgerät. Es mußte von der Kreisbildstelle Weilheim ausgeliehen werden. Da es aber dorthin keine Busverbindung gab und nur wenige Leute ein Auto besaßen - der Flüchtlingslehrer Friedrich Hellmer natürlich auch nicht -‚ konnten Filme nur dann gezeigt werden, wenn sich jemand erbarmt hatte, den Transport des Gerätes zu übernehmen. Zur Vor-

38 BayHStA München. MK 52543. Monthly Report, Education, vom 31.1.1947. Zeitraum: 1.-31.1.1947. Regie- rung von Ober- und Mittelfranken, Ansbach. 39 Ebda., Bericht des Ministerialbeauftragten für die höheren Lehranstalten für Ober- und Mittelfranken am 15.4.1948. Berichtszeitraum: Okt. 47-April 48. 40 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken. Ansbach, 16. Jg. Nr. 3/ 15.3.1948, S. 20 f. 41 Stadtarchiv Nürnberg. C 7 IX/SRP 1228. Niederschrift der Sitzung des Schulausschusses am 7. S. 1948, S. 3. 42 BayHStA München. MK 61302. Bericht des Bezirksschulamts Naila am 28.10.1948 an die Regierung von Ober- franken. Stand des Volksschulwesens. 43 Ebda., MK 61322. Bericht der Regierung von Oberbayern am 15.12.1948 an das Staatsministerium für Unter- richt und Kultus. Stand des Volksschulwesens. 44 Amtsblatt des Landratsamts Ansbach. Nr. 1 vom 14.1.1947, S. 6. Nr. 2202/1. Betr.: Kreisbildstelle 9.1.1947. 45 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4617. Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 1.10.1948 an die Regierung von Mittelfranken. ME. vom 30.7.1948: Lernmittelbeitrag für den Unterrichtsfilm in 2 Teilbeträgen zu je 0,20 RM (sic!) im Oktober 1948 und März 1949. 46 BayHStA München. MK 52262. Schreiben der Leitung der Volksschule Döpshofen, Landkreis Augsburg, am 30.5.1948 an die Landesbildstelle Südbayern, München.

565 führung ging man auf den Speicher, da dort nur ein Fenster zu verdunkeln war. Die Winterkäl- te verbot allerdings diese Unternehmen, da der Raum nicht heizbar war.47 Der Lehrer Josef Ben- gel, Ornbau in Mittelfranken, war, wie seine Kollegen, hocherfreut, als 1952 ein gebrauchtes Radio für die Schule gekauft werden konnte, während an einer anderen Schule im April 1955 das eigene Filmgerät zur Verfügung stand.48 In Halsbach bei Tittmoning konnte man einmal im Monat die bei der Kreisbildstelle bestellten Filme vorführen. Das geschah gleichzeitig für alle Klas- sen. „Es war so mehr zur Unterhaltung als zur Wissensvermittlung.“49 Es war auch üblich, daß ganze Schulen zu einem Film in den örtlichen Gasthaussaal geführt wurden. So durften sich die Schüler der Oberschule Schrobenhausen - auch die jüngsten - im Schuljahr 1952/53 an einem Film erfreuen, der den verheißungsvollen Titel „Blut über Japan“ trug und ausführlich und über- aus wirklichkeitsnah das Märtyrertum christlicher Missionare in Japan zeigte. Die Berichterstat- terin erinnert sich noch heute der grausigen Bilder, die sie als Elfjährige nachhaltig erschreck- ten.50 Positiver erlebte ein Mannheimer Schüler das Demokratisierungsprogramm der Amerika- ner via Film. Mehrere Klassen seines Gymnasiums, 14 - l6jährige Jungen mit ihren Lehrern, wur- den im Dezember 1946 ins Kino geschickt, um dort eine Stunde lang amerikanische Winter- träume mit strahlenden, swingenden Boys und Girls und dem „white Christmas“-Star Bing Cros- by zu bestaunen. Eine offensichtlich von „oben“ angeordnete Diskussion über das filmische Geschehen meisterten die Lehrer - in seiner Erinnerung - mehr schlecht als recht.51 Lehrer Oskar Zohner aus Großohrenbronn bei Feuchtwangen ging einen ganz unortho- doxen Weg. Er kaufte „nach der Währungsreform ein Tonfilmgerät auf Pump. Es kostete damals über 1200 DM. Schulpflegschaft und Pfarrer Stegmüller bürgten mit für den Betrag.“ Einmal im Monat gab es in der Schule einen Filmabend für Erwachsene, denen Kulturtonfilme von der Kreisbildstelle, von der amerikanischen Militärregierung und von größeren Firmen, z. B. VW, geboten wurden. Nach knapp zwei Jahren war das Gerät bezahlt.52 Die Beispiele zeigen, daß zwischen den Plänen der Militärregierung, den Entschließungen des Kultusministeriums und den tatsächlichen Verhältnissen vor allem in den Dörfern Welten lie- gen konnten. Tagungen, die die neuen Medien zum Gegenstand hatten, fanden in den großen Städten statt, um möglichst vielen Lehrern Gelegenheit zur Teilnahme zu geben. Von der „Ver- wendung des Tonfilms im Sprachunterricht“ beispielsweise, über die es im Pädagogischen Insti- tut in Nürnberg im August 1950 eine Arbeitstagung mit 20 Sprachexperten aus dem ganzen Bundesgebiet gab,53 konnten die meisten Lehrer zu dem Zeitpunkt nur träumen.

47 Dannhäuser, S. 296. 48 Ebda. 49 Ebda. 50 Gespräch mit Frau Dr. Brigitte Hohlfeld, Mannheim. 51 Bernhard Adam: Uncle Sam and the German Post-War Schools. In: Brigitte Hohlfeld/Peter Schmid (Hrsg.), Tulla 2000. Eine Schule wird 100. Mannheim 2000, S. 60 ff. 52 Dannhäuser, S. 295. 53 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 21 .-26.8. 1950 (NN 19., 23. und 28.8.1950).

566 5. DER BEITRAG DER WALLENBURG-STIFTUNG ZUR INNEREN SCHULREFORM

Immer wieder hatte Kultusminister Hundhammer bei seinen Verhandlungen mit der Militärregierung betont, daß innere Schulreform für ihn wesentlicher sei als die äußere Organisation, daß Lehrer, Schulbücher und Lehrpläne die Garanten für einen neuen, demokratischen Geist in bayerischen Schulen seien. Abgesehen von ihrer Befürchtung, daß überkommene starre äußere Strukturen die beabsichtigte innere Reform verhindern könnten, verfolgten die Amerikaner denselben Gedanken, als sie die Lehrer entließen, die Schulbücher verboten und neue Lehrpläne forderten. Ein Lehrplan steht immer in Korrelation zu den gesellschaftlichen Verhältnissen. Er ist ein Herrschafts- instrument, eine Antwort auf die jeweilige Zeit und Interessenlage und dient der Auf- rechterhaltung oder Änderung einer politischen Ordnung.1 Bayerische Behörden und die amerikanische Militärregierung wußten um die Bedeutung neuer Lehrpläne, sahen sich aber dem Zwang ausgesetzt, Sofortmaßnahmen zu ergreifen und z. B. neue Schulbücher auszugeben, bevor noch das erforderliche Pro- gramm vorlag, das ihre Grundlage hätte sein müssen. Man beschränkte sich zunächst auf die Streichung der unerwünschten nationalsozialistischen Inhalte und auf ein Zurückgreifen auf die Lehrordnung von 1926. Erst fünf Jahre nach der Wiedereröffnung der Volksschulen lag dann der neue Bildungsplan vor.

5.1. DER BILDUNGSPLAN FÜR DIE BAYERISCHEN VOLKSSCHULEN

In seinen Vorbemerkungen zur Entstehung des Bildungsplanes schrieb Dr. Strehler von der Wallenburgstiftung, daß es 1945 nichts Sinnvolleres gegeben habe, als die Lehrordnung von 1926 wieder zur Grundlage der Schularbeit einzuführen, da der neue Bildungsplan nichts „absolut Neues“ bringe. Die Grundgedanken von 1926 seien gut gewesen und immer noch tragfähig. Es gelte nur, „sie weiterzuführen, auszubauen und die geänder- ten Verhältnisse zu berücksichtigen“.2 Er bemerkte auch, daß der Volksschulausschuß der Wallenburgstiftung sich bereits mit der inneren Schulreform beschäftigt habe, als andere Ausschüsse sich noch hauptsächlich organisatorischen Fragen gewidmet hätten, denn auf dem Gebiet der Volksschule komme der inneren Reform „ungleich größere Bedeutung zu“.3 Auf Tagungen von März bis November 1949 wurde zuerst ein Entwurf erarbeitet und im Amtsblatt des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus (Nr. 23/1949) und in „Schule und Gegenwart“ (Heft 1/1950) veröffentlicht. Als „gänzlich neuen Schritt“ bezeichnete Strehler die Unterbreitung des Entwurfs an die ganze bayerische Lehrer- schaft, die vom Kultusministerium aufgefordert wurde, etwaige Änderungen oder wei- terreichende Vorschläge an das Direktorium der Stiftung zu richten. Noch nie habe die Gesamtlehrerschaft von amtlicher Seite die Aufforderung erhalten, Stellung zu nehmen und eventuelle Wünsche zu äußern.4 Doch sei dieser Schritt von außerordentlicher Bedeutung, denn nun handele es sich nicht mehr nur um eine behördliche Anordnung, der

1 vgl. dazu: Wolfgang W. Mickel: Lehrpläne und politische Bildung. Ein Beitrag zur Curriculumforschung und Didaktik. Berlin-Neuwied 1971, S. 2 f, 5, 17 f. 2 Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen, S. 3. 3 Ebda. Beweist nicht diese Behauptung, daß die Wallenburgstiftung nicht so unabhängig vom Kultusministe- rium war, wie man vorgab? 4 Ebda., S. 3 f.

567 man sich zu fügen, sondern um eine Lehrordnung, die man mitgestaltet habe und mit der man daher aus Überzeugung arbeiten könne. Die Erfahrung der Lehrer würde sich befruchtend auf die Theorie auswirken. Von Januar bis Ende März 1950 bildeten sich im ganzen Land Arbeitsge- meinschaften, teilweise unter der Ägide des Bezirkslehrervereins, teilweise vom Bezirks- schulamt organisiert. Von 36 Schulratsbezirken und 42 Bezirkslehrervereinen lagen am Ende der gesetzten Frist Stellungnahmen vor. Außerdem gaben 22 Schulleitungen, 72 Einzelpersonen und 15 Körperschaften, Vereinigungen und politische Parteien Gutach- ten ab. Viele Lehrer hatten große finanzielle Opfer gebracht, um der Aufforderung des Kultusministers nachzukommen, denn Zusammenkünfte auf dem flachen Land waren nicht einfach zu organisieren, und Fahrtkosten wurden nicht gewährt. Strehler bezeichnete das Echo auf den Aufruf als erfreulich und insofern erstaunlich, als manche Lehrer „aus der Behandlung der zurückliegenden Jahre für sich den Vorsatz gefaßt hatten, nur mehr das zu tun, was die Pflicht unbedingt gebietet“.5 Die eingereichten Vorschläge wurden in einem vom Direktorium Wallenburg zusammengesetzten Ausschuß beraten, gewertet und in den Erstentwurf eingefügt. Am 15. Mai 1950 wurde das zweite Konzept dem Kultusministerium vorgelegt, das eine vereinfachte Sprache, Klarstellungen und Verbes- serungen vorwies.6 Eine Begrenzung erwuchs dem neuen Bildungsplan dadurch, daß die Ausbildung der Lehrer zum damaligen Zeitpunkt sehr uneinheitlich war, daß oft die gediegene Fach- ausbildung fehlte und auch die Schüler keinen annähernd gleich hohen Bildungsstand hatten. Höhere Anforderungen als die im Bildungsplan vorgesehenen seien daher nicht realistisch. Wer aber befähigt sei, habe jede Freiheit für weiterführende Aufgaben.7 Vom 15. Mai bis 11. Juli fanden in sämtlichen Schulamtsbezirken Bayerns mit Aus- nahme von München und Nürnberg insgesamt 140 Tagungen statt, die der Einführung in den Bildungsplan dienten. Sie dauerten jeweils einen Tag und behandelten folgende Themen: „Der Stand der Schulreform,“ „Grundgedanken des Bildungsplanes,“ „Sozial- kunde und Sozialerziehung,“ „Neue Methoden in der Volksschule“. Vier Rednergrup- pen waren unterwegs. Zu ihnen gehörten z.B. Dr. Engelmayer, Ferdinand Kopp, Dr. Strehler, Schulrat Weigl, Carl Weiß, Reg.Dir. Braun vom Kultusministerium. Der amerika- nische Landcommissioner unterstützte die Teilnehmer mit Zuschüssen für Fahrtkosten und Übernachtung. lm ganzen wurden etwa 2500 Lehrkräfte eingewiesen, aber auch Militärregierung, Landräte, Bürgermeister, Geistliche, Elternbeiräte und Schulpflegschaften besuchten die Tagungen, ebenso Studierende der Lehrerbildungsanstalten.8 Mit Beginn des Schuljahrs 1950/51 trat der Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen „zur Erprobung“ in Kraft.9 Gleichzeitig wurden außer Kraft gesetzt: die Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen vom 15.12.1926, die Übergangsrichtlini- en vom 10.10.1945, die Ergänzungen zu den Übergangsrichtlinien vom 25.9.1946, die Bestimmungen über den englischen Sprachunterricht an Volksschulen vom 12.4.1947 und der Übergangslehrplan für den Geschichtsunterricht an Volksschulen vom 20.8.1949.10 Die Lehrerschaft war nun wieder zur Mitarbeit aufgerufen. Zwei Jahre sollte der Plan erprobt und Gelegenheit gegeben werden, Erfahrungen zu sammeln und kri- tisch zu prüfen, ob es Verbesserungswürdiges gebe. Dabei verhehlte Strehler nicht die

5 Ebda., S. 4 f. 6 Ebda., S. 6. 7 Ebda., S. 7. 8 Ebda., S. 7 f. 9 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 14/28.8.1950, S. 217. Bek. des Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 22.8.50 Nr. IV 57477. 10 Ebda.

568 Erschwernisse bei der Umsetzung des Bildungsplanes in die Praxis: überfüllte Klassen, die das arbeitsschulgemäße Tätigwerden der Schüler beeinträchtigen würden; die unge- nügende Anzahl von Schulräumen werde nicht das gewünschte Schulleben aufkommen lassen, da die Klasse sich ihren Raum nicht nach eigenen Ideen gestalten könne; die althergebrachten Schulbänke gestatteten kein freieres Arbeiten, wie das durch bewegliches Mobiliar möglich wäre; Schulküchen, Werkräume, Klassenbüchereien seien zum großen Teil nicht vorhanden; die Lehrerbildung schließlich bedürfe „endlich einer grundlegenden Änderung“. So würde mancher Lehrer den Bildungsplan nur teilweise verwirklichen können.11 Der im Amtsblatt veröffentlichte „Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen“ gab als Bildungsziel „die religiös-sittliche, selbstverantwortliche, gemeinschaftsverbundene und lebenstüchtige Persönlichkeit“ an. Der in der Volksschule gebildete Mensch sollte u. a. „in der Heimat und im geistigen Erbe des deutschen Volkes und der Menschheit“ wurzeln, „der Gegenwart und Zukunft verpflichtet“ sein, „am öffentlichen Leben ver- stehend und handelnd Anteil“ nehmen, „(d)em Gewissen gehorsam“ sein, „in aller Frei- heit Maß“ halten und den Mut finden, „sich zu entscheiden und zu bekennen“.12 Unter den allgemeinen Richtlinien war noch zu lesen, daß Bildung sich „auf die zeitlosen Werte des Wahren, Guten, Schönen und Heiligen“ gründe und „sich damit über jede bloße Zeitnähe“ erhebe. Außerdem gab es einen kurzen Abschnitt über die „Psycholo- gische(n) Voraussetzungen im Volksschulkind“ und die „Bildungsgüter und Bildungs- kräfte“.13 Die „Bildungsarbeit in der Volksschule“ (Absatz A.IV) wurde durch etliche Grundsätze definiert: den Grundsatz der Entwicklungsgemäßheit, der Individualisierung, der Gemeinschaftsbezogenheit, der Anschaulichkeit, der Ganzheit, der Selbsttätigkeit, der Erfolgssicherung, der Heimatverbundenheit, der Weltoffenheit, der Wertentschei- dung, der Toleranz.14 Absatz A. V. behandelte das Schulleben, betonte die Abkehr von Unterordnung und bloßem Nebeneinander und propagierte das „wertvolle Zusammen- leben“ und das Miteinander. Die „wohnliche Ausgestaltung“ des Klassenzimmers sollte Geborgenheit schaffen, „Grundregeln des Zusammenarbeitens und Zusammenlebens“ waren ebenso wichtig wie „freiwillige Mitverantwortung und Mitverwaltung“, und „gute Umgangsformen“. Wanderungen, Landheimaufenthalte und Elternabende soll- ten zum Schulleben gehören.15 Die o. g. Grundsätze und die Beschreibung des Schullebens waren in der Tat ge- lungene Ansätze für ein demokratisches Zusammenleben in der Schule, und die Militär- regierung honorierte sie durch ihre Unterstützung, sei es durch Zuschüsse zu den Ein- führungstagungen oder ihre Anwesenheit bei den Vorträgen. Die Thematik der Sozial- kunde und Sozialerziehung und die Hinwendung zu neuen Unterrichtsmethoden lagen ihr gewiß besonders am Herzen, und die Einbeziehung der Lehrer bei der endgültigen Abfassung des Bildungsplans gab zu schönsten Hoffnungen Anlaß. Trotzdem vergaß sie nicht, daß der Bildungsplan nur für die Volksschulen galt, daß die Einheitsschule damit nicht erreicht wurde und daß just zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens das von ihr als undemokratisch apostrophierte Schulorganisationsgesetz ebenfalls in Kraft trat, so daß all die schönen Ausführungen für die separierten Schulen galten, also letztlich kein echtes Zusammenleben aller gesellschaftlicher Gruppierungen erlaubten. Wenn also unter dem Titel „Schulleben“ dargetan wurde, daß die „wechselvollen... Spannungen, die sich

11 Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen, S. 9 ff. 12 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 14/28.8.1950, S. 218. 13 Ebda., S. 218 ff. 14 Ebda., S. 220 f. 15 Ebda., S. 221 f.

569 unter den Schülern von selbst ergeben und auch durch soziale Herkunft, Geschlecht und Alter mitbestimmt werden, ... für die Bildung fruchtbar zu machen...“16 seien, dann war es eigentlich nicht einsichtig, warum nicht auch die unterschiedlichen Bekenntnisse in diesem Sinne für den Bildungsprozeß wertvoll sein sollten. Den Amerikanern war durch den schönen Bildungsplan der Blick nicht verstellt, denn General Clay schrieb im selben Jahr: „Noch immer ist die Schulreform ein Haupt- ziel unseres Programms... Wir hoffen, daß das deutsche Volk sie selbst einführen wird.“17 Möglicherweise betrachtete man von amerikanischer Seite auch die Stundentafel für Volksschulen etwas zweifelnd, was die Gleichstellung von Mädchen und Jungen anging. Vier Wochenstunden Religion vom dritten bis siebten Schuljahr und drei Stun- den im ersten und achten Schuljahr mochten hingehen, wenngleich für das Rechnen nur eine Stunde mehr angesetzt war. Aber bereits im dritten Schuljahr hatten Jungen zehn Wochenstunden Deutsch, die Mädchen nur neun; dafür durften sie sich drei Stunden lang mit „Mädchen-Handarbeit“ beschäftigen. Beabsichtigte man den Übertritt in eine höhere Schule, der damals mit einer Aufnahmeprüfung verbunden war, so konnten die fehlenden Unterrichtsstunden in Deutsch ein Hemmnis sein; Handarbeit war nicht Teil der Aufnahmeprüfung. Vom fünften bis siebten Schuljahr hatten die Jungen acht Stunden Deutsch, die Mädchen sieben; und im achten Jahrgang waren es bei den Jungen sieben, bei den Mädchen nur fünf Stunden! Mädchen erhielten im Ausgleich dazu fünf Stunden Hauswirtschaft und vier Stunden Mädchen-Handarbeit. Auch die Rechenstunden wur- den ihnen im achten Schuljahr gekürzt: drei anstatt fünf für Jungen!18 Von Chancen- gleichheit konnte man hier wohl nicht reden, und das Frauenbild hatte sich noch längst nicht gewandelt. Eine Rückkehr zu Heim und Herd - nach Jahren der Arbeit in den Rüstungsbetrieben und beim Beseitigen der Trümmer, der Organisation von Flucht und Vertreibung und der Lebensbewältigung ohne die kriegsgefangenen oder gefallenen Männer - war beabsichtigt. Die Sozialdemokraten schrieben in ihren Forderungen zur Schulpolitik dann auch: „... Wir treten... schärfstens dafür ein, daß den Mädchen diesel- ben Ausbildungsmöglichkeiten geboten werden müssen wie den Knaben.“ Daß Mädchen an bayerischen Volksschulen weniger Sach- und Sprachunterricht erhielten, wurde als „untragbarer Zustand“ bezeichnet.19 Für die höheren Schulen gab es ab 1. September 1947 dieselben Lehrpläne für Mädchen und Knaben, und Kultusminister Hundhammer hielt es sich zugute, daß er dort „die Gleichstellung der Ausbildung der Mädchen mit der Ausbildung der Knaben sichergestellt“ habe.20 In derselben Landtagsdebatte führte er aber aus, daß Koedukation - von der Militärregierung als demokratisch gepriesen - ein Problem darstelle, da die „Gleichför- migmachung, äußerlich und charakterlich, zwischen Frauen und Männern, wie wir sie jetzt weitgehend in der Kleidung bekommen haben, …nicht unbedingt der richtige Weg und das richtige Ziel“ sei.21 Das Ziel der höheren Mädchenschule, das Schnippenkötter 1945 formulierte, war ebenfalls erstaunlich unbeeinflußt von dem, was Frauen in den zurückliegenden Jahren des Krieges geleistet hatten. Als wesentlich postulierte er, daß begabte und geistig inter-

16 Ebda., S. 222. 17 Clay, S. 336. 18 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. Nr. 14/28.8.1950, S. 225. 19 AdsD Bonn.LV Bayern I/207. „Sozialdemokratische Forderungen zur Schulreform unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Bayern“ (Dr. Siegfried Ziegler am 14.3.1950 an Waldemar von Knoerin- gen. Entwurf zu einer Broschüre), S. 7. 20 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 48. Sitzung am 29.1.1948, S. 648. 21 Ebda., S. 654.

570 essierte Mädchen zur „Anteilnahme am geistigen Leben, zur Mitverantwortlichkeit, zur Mitträgerschaft und Mitgestaltung der Kultur“ geführt werden sollten. Die Wortwahl signalisierte schon die untergeordnete Rolle, die ihnen zugedacht war. Die „gebildete Frau und Mutter, deren Aufgabe in der Familie liegt, als auch die gebildete berufstätige Frau“ sollten aus der höheren Schule hervorgehen. Sie sollte die Vorbereitung sein „für viele gehobene, wie pädagogische, soziale, pflegerische und hausmütterliche Frauenbe- rufe“.22 Auch in den Leitsätzen zur Kulturpolitik der FDP von 1952 las man von der „Erzie- hung der Mädchen zu mütterlichen Menschen“. Vor allem in den Abschlußklassen der Volksschule sei dieser Gedanke zu beachten.23 Dagegen forderte Fendt (SPD) keine Dif- ferenzierung nach Geschlechtern. Für ihn gab es keinen Grund, „ein weibliches und männliches Bildungsideal aufzustellen“.24 Erstaunlich genug, daß im Bildungsplan für bayerische Volksschulen das Wahlfach Englische Sprache auch für Mädchen - wie bei den Jungen - zwei Wochenstunden betrug, was den Verfechtern dieses Unterrichts allerdings zu wenig war. Vier Stunden wurden als angemessen bezeichnet.25 „Allgemeines Ziel des englischen Unterrichts an Volksschulen (sollte es sein), die Sprache des täglichen Lebens zu verstehen und zu gebrauchen und eine Grundlage für spätere Weiterbeschäftigung mit der Sprache zu schaffen“.26 Das Erlernen einer Fremdsprache sollte zu „tieferem Verständnis der eige- nen und fremden Denk- und Lebensweise“ führen und „die große Aufgabe der Völker- verständigung und -versöhnung“ erleichtern.27 Bemerkenswert bei den Hinweisen zum Unterrichtsverfahren war, daß die Unterrichtssprache Englisch sein und der Gebrauch des Wörterbuchs eingeübt werden sollte. Arbeitsschulgemäßer Unterricht, d.h. „von der Sache und vom Tun“ zum Wort, wurde verbindlich gemacht, und alle verfügbaren Hilfs- mittel sollten eingesetzt werden. Hier wurden u.a. „audio-visual aids“ und - ganz wichtig - Schülerbriefwechsel genannt. Bei den für die einzelnen Jahrgänge genannten Sachge- bieten waren das vierte und fünfte Unterrichtsjahr (achte und evtl. neunte Klasse) inter- essant: „England und die USA: Land und Leute, Regierungsformen, Wirtschaft, einiges aus der Geschichte. Besonderes Augenmerk ist auf die sozialkundlichen Fragen [sic!] zu rich- ten.“28 Bei den besonderen Richtlinien für die einzelnen Unterrichtsfächer fiel Religion insofern aus dem Rahmen, als für diesen Unterricht die Bestimmungen der Lehrordnung von 1926 so lange galten, „bis sie durch neue ersetzt“ würden.29 Offenbar waren die Kirchen zu sehr mit den Streitigkeiten um das Schulorganisationsgesetz und der Vertei- digung ihrer Machtposition in den Schulen beschäftigt gewesen, um auch noch die Unterrichtsinhalte den Herausforderungen der Nachkriegszeit anpassen zu können. Das Festhalten am Althergebrachten erscheint symptomatisch. Kritik am Bildungsplan fehlte nicht und kam vor allem von der bayerischen SPD, die sowohl die allgemeinen als auch die besonderen Richtlinien für die einzelnen Unter- richtsfächer attackierte. Sie wandte sich z. B. gegen die Behauptung, daß die innere Ein- heit (des gesamten Schulwesens) ihren Ausdruck in dem für alle Schulen verbindlichen

22 Schnippenkötter, S. 5. 23 Scharfenberg Bd. 3, S. 18. 24 Fendt, S. 22. 25 siehe S. 554. 26 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. Nr. 14/28.8.1950, S. 251. 27 Ebda., S. 251 f. 28 Ebda., S. 252 f. 29 Ebda., S. 228.

571 Bildungsziel finde.30 Es treffe nicht zu, daß das gemeinsame Bildungsziel die Einheit getrennter Schulbahnen schaffe; man könne kein „abstraktes Ziel als konkrete Verwirkli- chung der… Einheitsschule“ ausgeben. Es seien nichts als Worte.31 Alles bleibe beim alten, der Bildungsplan sei nicht zeitgemäß, ja er sei „außerordentlich rückständig u. reaktionär“.32 Am Beginn einer neuen Epoche, im Bewußtsein der Notwendigkeit einer gründlichen Reform, könne er nicht einmal als Provisorium gelten. Auch die obersten Bildungsziele würden der Persönlichkeit, die der „wahren Demokratie“ verpflichtet sein müsse, nicht gerecht. Es genüge nicht, den „gemeinschaftsverbundenen“ Menschen zu wollen, der der Gemeinschaft „verpflichtete“ Mensch sei wesentlich, um zu verhindern, daß man sich nur ihrer Vorteile bediene.33 Die SPD vermißte außerdem einen „Leitge- danken“. Der Plan sei kein „gestalthaftes Ganzes aus einer neuen Idee, sondern ein Mosaik von zusammengefügten Teilarbeiten einzelner Ausschüsse“. Überhaupt nicht berücksichtigt worden sei die immer zahlreicher werdende gegenwartsnahe pädagogi- sche Literatur.34 Kritikpunkt war auch, daß zum Religionsunterricht keine Angaben gemacht und auf die Lehrordnung von1926 verwiesen wurde. Wenn, so wurde argu- mentiert, nach Art. 130 (BV) die Schule unter Staatsaufsicht stehe und nach Art. 136 (BV) Religionsunterricht ordentliches Lehrfach sei, so müsse dieser Unterricht in einem staatlichen Bildungsplan berücksichtigt werden.35 Die SPD war außerdem nicht mit der Stundentafel einverstanden, denn wenn die Mädchen weniger Deutsch-, Sach- und Rechenunterricht hätten, dann verstoße das gegen Art. 3 Abs. 3 (GG), nach welchem es keine Benachteiligung auf Grund des Geschlechtes geben dürfe. Gleiche Wissensver- mittlung gehöre dazu.36 Zwei Jahre lang sollte der Bildungsplan erprobt werden, um schließlich die gesam- melten Erfahrungen für die endgültige Fassung zu nutzen. Aber erst mit dem Ende des Schuljahres 1953/54 lief die auf vier Jahre verlängerte Frist ab.37 Der gesamten Lehrer- schaft wurde nun Gelegenheit gegeben, Erfahrungsberichte und Verbesserungsvor- schläge bei den Schulämtern einzureichen. Zwischenzeitlich hatte es auch Änderungen gegeben, z. B. entfiel laut Be- kanntgabe des Kultusministeriums vom 15. Januar 1953 im Abschnitt des Grundsatzes der Wertentscheidung der Satz: „In Bekenntnisschulen wirken sich die dem Bekenntnis eigenen Bildungskräfte aus und schaffen dadurch eine entsprechend einheitliche Wert- atmosphäre.“38 Der Text zum „Grundsatz der Toleranz“ wurde abgeändert, vor allem vereinfacht,39 möglicherweise das Ergebnis der Zusammenarbeit mit der SPD in der Koalition.

30 Ebda., S. 218. 31 AdsD Bonn. LV Bayern 1, Nr. 207. Landespolitik/Kulturpolitik, S. 2. 32 Ebda., Schreiben Dr. Siegfried Zieglers (SPD) am 14.1.1950 an den Vorstand des LV Bayern der SPD, z. Hd. W. v. Knoeringen. 33 Ebda., Landespolitik/Kulturpolitik, S. 2; ebda., Entwurf Dr. Siegfried Zieglers zu einer Broschüre „Sozialde- mokratische Forderungen zur Schulreform unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Bayern“ vom 14.3.1950. 34 Ebda., Landespolitik/Kulturpolitik, S. 3. 35 Ebda. 36 Ebda. 37 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 1 vom 20.1.1954, S. 5. Bek. des Staatsmin. f Unt. u. Kult. vom 5.1.1954 Nr. IV 95737. ME. vom 2.5.1951 Nr. IV 25294 (KMBl. S. 337). 38 Ebda., Nr. 2 vom 21.1.1953, S. 21. Bek. des Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 15.1.1953 Nr. IV 103100. 39 Ebda.

572 Zur Verwirklichung des Bildungsplanes wurden auch kritische Stimmen laut, z. B. schrieb Schulrat a.D. Dr. Zinner, Nürnberg, am 12. März 1955 an das Kultusministerium, daß die Schule noch immer festhalte am anschauungsarmen Wortunterricht und die Ziele des Bildungsplanes bisher nur auf dem Papier stünden. Die Schulkinder würden immer noch passiv gehalten, die Wissensvermittlung geschehe nicht im Sinne der Arbeits-, Erlebnis- und Bildungsschule.40

5.2. DER BEISPIELKREIS WEILHEIM

Während der neue Bildungsplan in allen bayerischen Volksschulen im September 1950 zur Erprobung in Kraft trat, war bereits ein Jahr früher im Landkreis Weilheim damit begonnen worden. Der zuständige Schulrat, Dr. Huber, erhielt am 14. März 1949 offi- ziell die Weisung, in seinem Schulaufsichtsbezirk die Vorschläge der Wallenburgstiftung zu erproben, um dann die Erfahrungen für ganz Bayern bereitzustellen.1 Als Urheber dieser Initiative wurden Kultusminister Hundhammer, außerdem „ein hervorragender deut- scher Erzieher und zwei führende Herren der Erziehungsabteilung der Militärregierung gemeinsam“ genannt.2 In kleinem Rahmen sollte das verwirklicht werden, was an guten Reformideen vorgebracht worden war. Ein eigener Ausschuß wurde berufen, des- sen Vorsitzender Schulrat Weigl war und dem Vertreter aller Schularten angehörten. Alle Schulen des Landkreises sollten an dem Versuch teilnehmen. Der Landkreis Weilheim wurde gewählt, da dort neben ausgesprochen ländlicher Bevölkerung auch Bergarbeiter und Gewerbetreibende lebten, weil die Orte Weilheim und Murnau je eine höhere Schu- le besaßen, weil es in Polling eine Mädchenmittelschule gab und die Möglichkeiten einer Knabenrealschule gegeben schienen. Ein weiterer Vorteil war die Nähe zu Kemp- fenhausen, dem Sitz der Stiftung, die bei diesem Projekt eine wichtige Rolle spielte. Dann betrachtete man es als Vorteil, daß mit Schulrat Huber, einem eifrigen Mitarbeiter in mehreren Ausschüssen in Kempfenhausen, ein Mann an der Spitze des Bezirksschulamts stand, der das Vorhaben begrüßte.3 Huber selbst gab als weitere Gründe an, daß das Kultusministerium einen Landkreis ausgesucht habe, der „in jeder Hinsicht einen guten, brauchbaren Durchschnitt“ darstelle, außerdem war er von München aus gut zu errei- chen, ein wichtiger Gesichtspunkt unter den damaligen Verkehrsverhältnissen.4 70000 Einwohner gab es , davon ca. 19000 Evakuierte, Flüchtlinge und DP’s. Zur früher fast rein katholischen Bevölkerung war ein starker evangelischer Volksteil gekommen, der etwa 13 Prozent ausmachte. „Stammesmäßig“ überwog das altbayerische Element, „dem ja auch die Mehrzahl der Flüchtlinge (Sudetendeutsche) zuzuzählen sind“ (sic!). Die Einstellung der Bevölkerung sei daher konservativ, „ein Moment, das für die Schulre- form hohe Bedeutung“ habe.5 Der daraus resultierenden abwartenden bis widerstre- benden Haltung versuchte man durch zahlreiche Versammlungen mit Eltern, Geistlichen beider Bekenntnisse und Bürgermeistern zu begegnen. Stadtschulrat a.D. Weigl und

40 BayHStA München. MK 61212. „Krise im bayerischen Schulwesen“.

1 Buchinger, S. 76; BayHStA München. MK 53204. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kul- tus am 14.3.1949 an die Regierung von Oberbayern. 2 Schule und Gegenwart Nr.3/1949, S. 26. 3 Ebda. 4 Ebda., Heft Nr. 8 vom September 1949, S. 1. „Der Erprobungskreis Weilheim“ von Schulrat Dr. Leopold Huber, Murnau. 5 Ebda., S. 2.

573 Dr. Strehler, der Berufswissenschaftliche Vorsitzende des Bayerischen Lehrervereins, spra- chen mit Überzeugung über den Schulversuch.6 Dennoch fürchteten die Eltern, ihre Kinder wären als Versuchskaninchen ausersehen. Auch das Schlagwort der „Amerikani- sierung“ der deutschen Schule wurde in die Debatte geworfen und damit begründet, daß Schulrat Huber an einer Studienfahrt in die USA teilgenommen hatte.7 Für die weitere Aufklärungsarbeit hoffte man auf die Aktion „Volk und Erziehung“.8 Die Startbedingungen im Landkreis Weilheim waren nicht allzu großartig. Die bäuerliche Bevölkerung lehnte - erwartungsgemäß - die Einführung eines neunten Volksschuljahres völlig ab. Ebenso aussichtslos war es, von den Gemeinden Werkräume für den Arbeitsunterricht der Oberstufe zugesagt zu bekommen. Raum- und Finanznot wurden als Gründe angeführt. Keine der Volksschulen im ganzen Landkreis genügte den Anforderungen, die man baulich an eine moderne Schule stellen mußte, obwohl im Krieg kein Schulraum vernichtet worden war.9 Einrichtungsgegenstände und Lehrmittel waren z.T. abhanden gekommen, weit auseinanderliegende Schulen mußten sich in der Benutzung eines Filmgeräts absprechen; Schulfunk spielte aufgrund fehlender brauch- barer Geräte nahezu keine Rolle, Schulküchen und Werkstätten waren an keiner Schule vor- handen.10 9500 Schüler gab es im Schuljahr 1948/49 im Landkreis, die, bei einer Klassenzim- merzahl von 113, im Wechsel- und Abteilungsunterricht unterrichtet werden mußten. Nur 26 Klassen hatten Vollunterricht, was sich auch im ersten Jahr des Schulversuchs nicht änderte. Von der Kürzung der Schulstellen wurde auch der Erprobungskreis nicht ausgenommen. 63 der 193 Stellen waren mit Flüchtlingslehrern besetzt, zum größten Teil aus dem Sudetenland.11 Die Lehrerschaft des Landkreises Weilheim war, folgt man zwei Berichten, nicht sonderlich erbaut von der Auszeichnung, in einem Beispielkreis unterrichten zu dürfen.12 „Viele hatten eben erst den dornenreichen Weg der Entnazifizierung durchschritten. Sie waren fest entschlossen, eine ruhige Kugel zu schieben und durch nichts mehr aufzufal- len.“ Die Flüchtlingslehrer steckten bis zum Halse in wirtschaftlichen Nöten, den Jung- lehrern (Schulhelfern und Kriegsteilnehmern) fehlte die praktische Erfahrung und oft auch das solide Berufswissen.13 Trotzdem wurde ihnen zugemutet - freiwillig14 - in prak- tischer Arbeit zu erproben, ob unter den schwierigen Nachkriegsverhältnissen in Erzie- hung und Unterricht Wege beschritten werden könnten, „die schon vor Jahrzehnten als richtig erkannt aber nur in Ausnahmefällen konsequent gegangen worden“ waren.15 Die zunächst vermißte Freude über die freiwillige Bürde stellte sich angeblich ein, nachdem die Kandidaten einen oder sogar mehrere Kurse der Wallenburgstiftung in Kempfenhausen besucht hatten, die „fast pausenlos“ abgehalten wurden. Ihre Inhalte waren auf die Ziele abgestellt, die das Ministerium dem Kreis Weilheim vorgegeben hatte: Gesamtunterricht, Epochal- und Werkunterricht und Sozialkunde. Auch Englisch in der Oberstufe der Volksschule war wichtig. Damit hatte der Kreis Weilheim schon zu

6 Ebda. 7 Hans Cramer/Adolf Strehler: Schulreform in Bayern. Arbeitsergebnisse der Stiftung zum Wiederaufbau des bayerischen Erziehungs- und Bildungswesens. Bad Heilbrunn 1953, S. 69 f. 8 siehe S. 9 Schule und Gegenwart Nr. 8/September 1949, S. 3. 10 Ebda. 11 Ebda., S. 3. 12 Ebda., S. 4; Hans Cramer /Adolf Strehler, S. 70. 13 Cramer/Strehler, S. 70. 14 Schule und Gegenwart Nr. 8/Sept. 1949, S. 4. 15 Cramer/Strehler, S 69.

574 Beginn des Jahres 1946 begonnen.16 Im ganzen Landkreis bildeten sich Arbeitsgemein- schaften, die sich mit den neuen Unterrichtsinhalten beschäftigten, bastelten und werk- ten.17 Mit Beginn des Schuljahres 1949/50 wurden die Lehrkräfte angewiesen, „über alle Erfahrungen, gleichgültig ob gut oder schlecht, Buch zu führen“.Ihr Arbeitsfeld war „die innere Schulreform, Fragen der Arbeitsschule, der sozialen Bildung und Erziehung, der Lehrplangestaltung, des Gesamt- und Epochalunterrichts des abschließenden Unter- richts“.18 Die Begeisterung hielt sich offensichtlich in Grenzen, wenn auch die Notwendig- keit eingesehen wurde. Die Mehrarbeit war beträchtlich, und die am Schuljahresende eingesandten Berichte verdeutlichten Schwierigkeiten und Widerstände, die hemmend auf die Umsetzung der Ziele eingewirkt hatten.19 Unterstützung gab es vom „Aus- schuß für Schulreform im Landkreis Weilheim“, dem Weigl, Strehler und Huber angehörten. Sie besuchten die Klassen und gaben Anregungen und Hilfestellung. Begleitet wurden sie häufig von amerikanischen Pädagogen, teils vom Office des Land- commissioners Bayern, von denen besonders Professor Hermann Offner genannt wurde,20 teils direkt aus den USA. Diese Beobachter der deutschen Bemühungen um die innere Reform bekundeten steigendes Interesse, das sich auch finanziell auswirkte.21 Auch deutsche Lehrkräfte kamen, um den Gesamtunterricht auf der Volksschuloberstu- fe kennenzulernen, die Selbsttätigkeit der Schüler, freie Schüleraussprache, Schülermit- verwaltung, die musische Erziehung, Basteln und Werken, Sozialkunde und den Einsatz von Lernspielen zu verfolgen. Im September 1950 gab es im Stadttheater Weilheim einen interessanten Versuch: der gesamten Lehrerschaft des Beispielkreises wurde Gruppen- unterricht vorgeführt. Dabei saßen die Schüler in einem auf der Bühne aufgebauten Schulzimmer, die Zuschauer im Dunkeln, so daß die Klasse ohne Hemmungen agieren konnte.22 Zu den Neuerungen gehörten auch eine Podiumsdiskussion über das Problem der Schülerbeurteilung und die Hinführung eines Teils der Lehrerschaft zur Psychologie.23 Im März 1951 besuchte eine Abordnung von amerikanischen, britischen und fran- zösischen Presseleuten, geführt von Erziehungsfachleuten beim HICOG, den Landkreis. Der Chef der Erziehungsabteilung, Read, urteilte in einer Rundfunkansprache über eine Ein- klaßschule: „Man spürte einen ganz neuen Geist, man fühlte... wenn wir nur solche Lehrer, solchen Geist in die Schulzimmer der ganzen Welt bringen könnten, würden wir eine friedliche Welt haben und eine demokratische.“24 Konnte es ein höheres Lob aus beru- fenem Munde geben? Wurde damit aber nicht zugleich der äußeren Schulreform aus den Reihen der Amerikaner eine Absage erteilt, wenn man die angestrebten Ziele mit der inneren Reform bereits erreicht sah? Kultusminister Hundhammers Ansatz wurde jedenfalls auf schönste bestätigt. Der Schulreform-Ausschuß, der in den Schulbesuchen seine Hauptaufgabe sah, da er so unmittelbar auf die Lehrer einwirken konnte, stellte im dritten Jahr des Schulre- formversuchs fest, daß viele Lehrkräfte „sich und ihren Unterricht völlig umgestellt“ hät- ten, daß sich vor allem diejenigen, denen man das gar nicht zugetraut hätte, „in der Stil- le ganz beträchtlich gewandelt“ hätten.25

16 Schule und Gegenwart Nr. 8/Sept. 1949, S. 4. 17 Cramer/Strehler, S. 70. 18 Buchinger, S. 77. 19 Cramer/Strehler, S. 71. 20 Buchinger, S. 77. 21 Cramer/Strehler, S. 71. 22 Ebda., S. 75. 23 Ebda., S. 76. 24 Ebda. 25 Ebda., S. 77.

575 5.3. TAGUNGEN UND SEMINARE

Nicht nur die Lehrkräfte des Erprobungskreises Weilheim hatten die Möglichkeit, neue Unterrichtsinhalte und Erziehungsziele in Kempfenhausen kennenzulernen, um sie dann in ihrer Klasse zu praktizieren, viele andere bayerische Lehrer profitierten von der Einrichtung. Verschiedene Tätigkeitsberichte veranschaulichen, auf welchen Gebieten die Fortbildungen durchgeführt wurden. Im Februar 1949 gab es beispielsweise ein „Social Studies-Seminar“, bei dem Refe- rate gehalten wurden über „Sozialpädagogik“ (Carl Weiß), „Sozialkunde und Deutsch- unterricht“ (Dr. Senninger), „Sozialstudien im Lehrplan“ (Mr. Wooton), „Sozialstudien auf der höheren Schule“ (R. Vance), „Die soziale Frage in Deutschland und ihre Bedeu- tung für die soziale Erziehung“ (F. Kopp), „Social Studies als Mittel der persönlichen Entwicklung“ (Miss Erdmann).1 Die Mitglieder der Militärregierung nahmen regen Anteil am Konzept der Stiftung und hielten häufig Referate. Dabei blieb man nicht bei der bloßen Beschreibung stehen, sondern zeigte praktische Beispiele auf: „Kreisgespräch über die Lüge“ war z. B. ein Aspekt der sozialen Belehrung; oder es wurden „Lernschul- und Arbeitsschulmethoden“ aufgezeigt, die die sozialen Prozesse in Kindergruppen beeinflussen würden.2 Junglehrer kamen im März 1949 zu einer Tagung in Kempfen- hausen zusammen, berieten über das Fortbildungsprogramm während ihrer Ausbildung und informierten das Kultusministerium über das Ergebnis ihrer Aussprache; wünschten z. B. statt „Musterlektionen“ in der Klasse „arbeitsschulmäßige Darbietungen“.3 Konferenzen für Schulräte gab es im Herbst 1949. Jeweils drei Tage dauerten die Tagungen, bei denen insgesamt 186 Teilnehmer verzeichnet wurden und die insgesamt 5881,45 DM kosteten, wobei die Fahrtkosten den größten Teil ausmachten.4 Bevor die Wallenburgstiftung am 30. November 1952 ihre Tätigkeit einstellte, ver- öffentlichte sie eine Aufstellung über die Tagungen, die in dem Jahr in Kempfenhausen abgehalten worden waren. Mehrere befaßten sich mit der Kurzform der höheren Lehr- anstalten; die musisch-gymnastische Erziehung in der Volksschule, Schülerbeurteilung, Schuljugendberatung, Film und Bild im Unterricht waren Themen. Die Landesschulord- nung und die Lehrerbildung wurden erörtert; es gab Beratungen zu Lehrplänen des Deutschen Gymnasiums, zu Landschulfragen, zu Problemen des Arbeits- und Konzen- trationsunterrichts an höheren Schulen; ferner fanden ein Werkkurs für Volksschulen bis zur Mittelstufe und einer für Experimentalphysik in der höheren Schule statt. Die Sermi- narlehrer für Geographie, Junglehrer aus dem Kreis Weilheim und Taubstummenlehrer hatten Tagungen.5 Das Fortbildungsangebot zeigte eine beeindruckende Breite, und der Antrag der bayerichen SPD im Landtag, nach Auslauf der Stiftung eine neue dauernde Tagungsstät- te als „zentrale Stelle der Fortbildung und Schulung für Lehrer aller Schulgattungen in allen Fragen des Unterrichts und der Erziehung“6 zu schaffen, war berechtigt. Das Kul- tusministerium war aufgeschlossen für diese Forderung, soweit sie die innere Schulre- form betraf, und später wurde in Dillingen a. Donau ein Standort für die „Akademie für Lehrerbildung“ gefunden.

1 BayHStA München. MK 53204. Stiftung zum Wiederaufbau des bayerischen Bildungswesens. Social Studies- Seminar vom 21.-25. 2. 1949. 2 Ebda. 3 Ebda., Junglehrertagung in Kempfenhausen (Wallenburg) am 3.3.1949. 4 Ebda., MK 49729. Wallenburg-Stiftung Kempfenhausen. Aufstellung über Kosten, die bei Schulratskonfe- renzen entstanden. 24.11.1949. 5 Ebda., MK 53210. Tagungen in Kempfenhausen (Wallenburg-Stiftuug) 1952. o.D. 6 Ebda., MK 49729. Bayer. Landtag, Legislaturperiode 1953/54. Beilage 4765, 4.11.1953 (v. Knoeringen, För- ster und Fraktion SPD).

576 5.4. DIE BEISPIELSCHULE IN NÜRNBERG

Zur selben Zeit, da der Landkreis Weilheim zum Beilspielkreis erkoren wurde, erklärte man in München fünf Schulen, je eine in Nürnberg, Augsburg und Regensburg, als „Beispielschulen“.1 Der Nürnberger Schulrat Trötsch wurde im Sommer 1949 in Kempfenhausen mit der Errichtung einer „industriegroßstädtischen Beispielschule“ beauftragt, in der die „Kempfenhausener Lehrpläne“ von 1949, also der neue Bildungs- plan, zu gelten hatten.2 Die Anregung zur Errichtung der Schulen hatte die Erzie- hungsabteilung der Militärregierung für Bayern gegeben. Mit „besonderem Nachdruck“ sollte an ihnen „eine innere Schulreform, die Arbeitsschule, die soziale Bildung und Erziehung, neuzeitliche Lehrplangestaltung, Gesamt-und Epochalunterricht, Werkunterricht usw. durchgeführt“ werden.3 Die Schularbeit wurde von einem Kuratorium betreut, und in Nürnberg, Augsburg und Regensburg lief versuchsweise aufgrund freiwilliger Mel- dungen ein neuntes Schuljahr an.4 Die Schule an der Ambergerstraße in Nürnberg wurde zur Beispielschule. Schulrat Trötsch begründete diese Wahl damit, daß das Schulhaus „recht gut in Ordnung“ sei, so daß „die Kinder nicht durch große bauliche Mängel seelisch bedrückt“ seien.5 In der Tat sei es eines der am besten erhaltenen in Nürnberg, nur drei Klassenzimmer seien unbenutz- bar und die zwei „Turnsäle“ völlig zerstört.6 Allerdings gehöre das umliegende Acker- und Gartenland größtenteils der Stadt, so daß man Gelände habe für einen Turn- und Sportplatz, Schul- und Schülergarten. Vorhanden sei schon ein 2600 qm großer Sport- platz.7 Man verfügte auch über eine Schulküche und eine Schülerwerkstätte mit 20 Arbeitsplätzen.8 Die Schule an der Ambergerstraße wurde dann im Laufe der nächsten Jahre bei der Renovierung bevorzugt, wobei eine Spende aus dem McCloy-Fonds einen erhebli- chen Teil der Finanzierung ausmachte.9 Am 10. Dezember 1952 wurde sie in Anwesenheit von Vertretern des amerikanischen „Military Headquarters“, des Direktors des amerika- nischen Konsulats, Nürnberg, des Generalkonsuls für Bayern und der GYA (German Youth Association) Nürnberg eingeweiht. Das Schulhaus war während des laufenden Unterrichts vollständig wieder hergestellt worden.10 Das einzige, was störte, war eine Wohnbaracke mit mehreren Mietparteien im Schulhof. Sie wurde vom Rektor berechtig- terweise als „Fremdkörper“ empfunden, der mit einer „wirklichen Beispielschule“ nicht zu vereinbaren war.11 Als hinderlich bezüglich der Verwirklichung der Reformbestrebungen erachtete man die hohen Schülerzahlen in den Klassen, nicht nur in der Beispielschule, sondern in ganz Nürnberg. Im Schuljahr 1949/50 gab es 21 Schulklassen mit 42 bis 63, aber auch

1 Strehler S. 11. 2 Schule und Gegenwart 4/1950, S. 11 f. 3 BayHStA München. MK 62115. Kultusminister Hundhammer am 22.1.1949, und Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus, gez. Braun, am 22.1.1949. 4 Strehler, S. 11. 5 BayHStA München. MK 62115. Schreiben des Schulrats Trötsch, Schulaufsichtsbezirk III Nürnberg, am 14.10.1949 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 6 Ebda., Schreiben des Stadtschulamts Nürnberg am 24.5.1950 an die Regierung von Mittelfranken. 7 Ebda., Schreiben des Schulrats Trötsch, Schulaufsichtsbezirk III Nürnberg, am 14.10.1949 an das Staatsmini- sterium für Unterricht und Kultus. 8 Ebda. 9 Gesamtbaukosten: 530 000 DM, McCloy-Spende: 171 000 DM. 10 Stadtarchiv Nürnberg. C 24 SchV Nr. 5, Band 5. Schreiben Rektor Alberts am 2.2.1952 an das Stadtschulamt Nürnberg. 11 Ebda., Schreiben Rektor Alberts am 9. 9. 1952.

577 eine mit 18 und zwei mit 27 Schülern.12 Für 13 Klassen stünden eigene Räume zur Verfü- gung, weitere acht Klassen müßten sich mit vier Zimmern zufriedengeben. Es finde aber Vollunterricht statt. Für Nürnberger Verhältnisse seien diese Bedingungen gut.13 Die 21 Klassen teilten sich auf in „einen Knabenklassenzug von 1 bis 9 mit zwei 9. Klassen und einen Mädchenklassenzug von 1 bis 9 (mit einer 9. Klasse), außerdem je eine 4. und 5. gemischte Klasse. Der Mädchen- und gemischte Klassenzug untersteht einer Rektorin, der Knabenklassenzug sowie die schultechnische und pädagogische Gesamtleitung“ dem geschäftsführenden Rektor Wilhelm Albert.14 Im Bericht zur Durchführung der inneren Schulreform wurde das Beispiel einer achten Mädchenklasse angeführt. Hier habe sich eine „junge, tüchtige Lehrerin“ als erste „an einen konsequent durchgeführten Gruppenunterricht mit der Unterrichtsein- heit „Die Vereinigten Staaten von Amerika“ herangewagt. Über diesen arbeitsteiligen Gruppenunterricht führte man aus: „Einteilung in Gruppen nach selbständiger Schüler- wahl (spontane Richtigfindung der Intelligenten als Gruppenführerinnen)... Verteilung der Arbeit an die Gruppen. … Zusammentragen des Materials (Karten, Bilder, amerikanische Zeitschriften)…“15 Besonders interessant war in der Nürnberger Beispielschule jedoch die Einführung des neunten Volksschuljahrs. Im Amtsblatt noch mit zwei Klassen angekündigt,16 meldete Schulrat Trötsch am 14. Oktober 1949 drei Parallelklassen für das freiwillige neunte Schuljahr. 54 Knaben und 22 Mädchen hatten sich gemeldet.17 Er bezeichnete die Zusammensetzung dieser Klassen als „eigenartig“. Der Lehrer werde vor „reizvolle psy- chologische Probleme“ gestellt. „Neben kleinen, mageren Bürschchen sitzen große, kräftige Gestalten mit dem ersten Flaum unter der Nase, neben den der Kindheit noch nahen Mädchen jene mit wissenden Augen, neben Siebt- und Achtklässern der Volks- schule die Zurückgewanderten von Gymnasien und Realschulen, neben den Kindern der Einheimischen jene von Flüchtlingen, neben den Stadtkindern die Kinder vom Lande.“18 Erschwert werde der Unterricht auch dadurch, daß Schüler mit guten Zeugnissen nach dem achten Schuljahr einen Beruf ergriffen, der Rest in die neunte Klasse komme. Außerdem greife der für diese Klasse vorgeschriebene Lehrplan „weit über das Fas- sungsvermögen des Großteils der Schüler hinaus“.19 Zur Arbeit in den neunten Klassen wurde mitgeteilt, daß es positive und negative Momente gebe. Zu den ersteren gehöre die Ausstattung mit beweglichem Mobiliar, die aus- reichende Versorgung mit Heften, Zeichenmaterial und Lesebüchern, das Vorhanden- sein einer kleinen Schülerbücherei, einer sehr guten Schülerwerkstätte, Film- und Funk- einrichtung und der Bademöglichkeit im Volksbad. Als negativ bewertete man das Feh- len moderner Bücher und Arbeitsmittel für die Hand des Schülers und der mit der Reno-

12 BayHStA München. MK 62115. Schreiben des Schulrats Trötsch am 14.10.1949 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus; ebda., Schreiben des Stadtschulamts Nürnberg am 24.5.1950 an die Regierung von Mittelfranken. 13 Ebda. 14 Schule und Gegenwart 4/1950, S.11. Zur Person des Rektors Wilhelm Albert, der in der Zeit der Weimarer Republik „Exponent der Reformpädagogik in Mittelfranken“ gewesen war, vgl. Helga Bleckwenn: Wilhelm Alberts reformpädagogische Vorschläge zum Gesamtunterricht. In: Handbuch der Geschichte des bayerischen Bildungswesens. 3.Bd. 1.Teil: Die Schule in der Zeit der Weimarer Republik. B.5. Mittelfranken. S. 120-126. 15 Ebda. 16 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 1.9.1949 „Beispielschule“. (Amtsblatt 26.8.1949. NN 20.7.1949, 24., 29., 31.7.1949). 17 BayHStA München. MK 62115. Schreiben des Schulrats Trötsch, Schulaufsichtsbezirk III Nürnberg, am 14.10.1949 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 18 Ebda. 19 Ebda., Schreiben des Stadtschulamts Nürnberg am 24.5.1950 an die Regierung von Mittelfranken.

578 vierung des Schulgebäudes einhergehende unerträgliche Baulärm.20 Die Schüler bezeichnete man als „Negativauslese“, kaum gewöhnt an angestrengtes Arbeiten, sehr unterschiedlich in ihrem Willen zur Arbeit. Das „Allerelementarste“, vor allem in Deutsch, müsse ihnen vermittelt werden, und der intellektuelle Fortschritt sei gering. Im Gegensatz dazu stünden die Erfolge im Werkunterricht, für den die Schüler überhaupt keine Vorkenntnisse mitgebracht hätten.21 In einer der neunten Klassen sei die eifrige Pflege des Aquariums zu beobachten. Bewährt hätten sich Schülermitverwaltung und „Schülergericht“.22 Zu den Unterrichtsinhalten berichtete das Schulamt, bei den Knaben habe man „vor allem Kultur-, Sozial- und Berufskunde in den Mittelpunkt gestellt“. Historische Längs- und Querschnitte versuchten, Entwicklungslinien aufzuzeigen; ausgehend vom häuslichen Handwerk gelange man zur Industrie der Großstadt und zur Entwicklung des Arbeiterstandes, dem fast alle Schüler als Facharbeiter in Großbetrieben zustrebten.23 Längsschnitte würden auch „die Stilentwicklung von der Romanik zum modernen Zweckbau des 20. Jahrhunderts“ aufzeigen. Die zeichnerische Darstellung und die schriftliche Fixierung dienten der tieferen Durchdringung. Historische Grundlagen gebe es nicht, da Geschichtsunterricht seit 1945 nicht stattgefunden habe, und historische Stoffe würden nur insoweit verwendet, als man sie „organisch“ in die kunst- und sozial- geschichtlichen Längsschnitte einbeziehen könne. Eine große „Längs-Querschnitt-Karte (1300-1950)“ habe eine Klasse gemeinsam gefertigt.24 Zu bemängeln sei, daß der häus- liche Fleiß wesentlich vom Fleiß in der Schule abfalle, während „das Zusammenleben der sich selbst fremden Knaben unter sich und mit ihren Lehrern ... überraschend gut“ sei.25 Von den Mädchen wurde berichtet, daß im Mittelpunkt ihres Unterrichts Kultur-, Lebens- und Sozialkunde stehe. Die „Frauenbildung“ werde in zweifacher Weise vermit- telt: einmal „geistig-seelisch“ in einer kleinen Stilkunde (Architektur, Malerei, Musik, Dichtung von Goethe ausgehend). Die „Stellung der Frau in den einzelnen Stilepochen anhand von Einzelbildern und -problemen“ werde besprochen, daneben die „Geschich- te der Frauenkleidung“. Dazu gebe es die hauswirtschaftlich-praktische Bildung: „Nahrung (Theorie und Praxis), Kleidung (...Kampf der Motte), Wohnung (...raumsparende Mehrzweckmö- bel...), Kind …; Rechnen, Deutsch, Zeichnen und Handarbeit, Musik empfingen Rich- tung und Stoff von der Zentrale26 aus.“ Kurzschrift und Maschinenschreiben lernten alle Schülerinnen, Englisch fast alle (bis auf drei).27 Zur Methode wurde ausgeführt, daß es Gruppenarbeit gebe, Lebensnähe und selbständige Arbeit durch Referate angestrebt werde. Diskussionen würden „unter eige- ner Führung“ stattfinden, was in dieser Altersstufe ohne Zwang möglich sei. Es gebe eigentlich kein Fach, keine Arbeit, die den Mädchen nicht liege, und Schule und Elternhaus würden eine positive Entwicklung bei „freudiger Urteilsbildung und ehrlicher Meinungs- äußerung“ feststellen.28 Beim Elternabend habe man den großen „Fortschritt an Selb-

20 Ebda. 21 Ebda. 22 siehe S. 617. 23 BayHStA München. MK 62115. Schreiben des Stadtschulamts Nürnberg am 24.5.1950 an die Regierung von Mittelfranken. 24 Ebda. 25 Ebda. 26 Die Zentrale war möglicherweise der hierfür zuständige Ausschuß in Kempfenhausen. 27 BayHStA München. MK 62115. Schreiben des Stadtschulamts Nürnberg am 24.5.1950 an die Regierung von Mittelfranken. 28 Ebda.

579 ständigkeit und Arbeitsethos“ lobend erwähnt, und ein Vater habe dazu bemerkt, daß „(a)lle Eltern, die nicht unbedingt die paar Pfennige der entlassenen Mädel brauchen, ... ihrem Kind dieses Jahr gönnen“ sollten.29 Die Mädchen bemühten sich um vorzügliches Benehmen, bäten um „gesellschaft- liche Ratschläge“ und seien eine „verschworene Gemeinschaft“. Trotz der bitteren Armut der meisten habe eine Fahrt an den Walchensee stattfinden können. Es gebe fast keine Schulversäumnisse. Eine der Schülerinnen stehe täglich um 1/2 5 Uhr auf und komme erst nachts heim, da die Verkehrsverhältnisse so schlecht seien. Abschließend wurde bemerkt, daß alle Schüler und Schülerinnen gerne in die neunte Klasse gingen; viele hätten gesagt, es sei ihr schönstes Jahr, und diejenigen, die vorzeitig abgegangen seien, hätten das aus „drängender Not“ tun müssen.30 Unter dem Titel „Kultur-, Sozial- und Bürgerkunde (Deutschkunde) im 9. Schuliahr der Beispielschule Nürnberg“ veröffent- lichte der Rektor der Schule, Wilhelm Albert, das Konzept der Unterrichtsinhalte. Aus den von der Kempfenhausener Lehrplankommission festgelegten zehn Hauptthemen für Sozial- und Kultur- und Berufskunde sei der Stoff für die 9. Knabenklasse vorge- schrieben worden, und zwar „Die Geschichte des Arbeiterstandes“ und „Das Hand- werk“. Besonders berücksichtigt habe man aus den Kempfenhausener Richtlinien für Sozialkunde den Punkt 1 (besseres Verständnis der mitmenschlichen Verhältnisse; durch Erle- ben, Lehre und Gewöhnung zu sittlich-sozialem Handeln erziehen), Punkt 2 (Sozialkunde als Unterrichtsprinzip und ab Jahrgang 8 als Fach) und Punkt 6 (Auswahl der Stoffe nach örtlichen und zeitlichen Bedürfnissen).31 Da Schulrat Trötsch in Kempfenhausen die Aufgabe erhalten hatte, eine „industriegroßstädtische Beispielschule“ zu errichten, konnten die für Nürnberg vorgeschriebenen Themen nicht überraschen. Rektor Albert machte deutlich, daß im 9. Schuljahr nicht an die Einführung neuer Unterrichtsfächer gedacht sei, sondern daran, „die in den vorausgegangenen acht Schuljahren erworbenen Einsichten und Kenntnisse zu erweitern und zu vertiefen, sie zu einem relativ abgeschlossenen Gesamtbild einfachster Form zusammenzuschließen“. Die Fächer würden sich „mehr oder minder auflösen und gegenseitig durchdringen“, wobei das Gelingen dieser Zielsetzung vom „gestaltenden Lehrer, von seiner zusammenschauenden Kraft“ abhänge.32 Auf jeden Fall würden die Fächer Deutsch und Geschichte miteinander verflochten, und wo der „geschichtliche Werdegang“ im Vor- dergrund stehe, ergebe sich eine „Kulturkunde“. Da, wo die historische Entwicklung nicht kontinuierlich beibehalten würde, spreche man von Sozialkunde oder „Deutsch- kunde“.33 Albert gab dann verschiedene Beispiele für Unterrichtseinheiten seiner Deutsch- kunde: „Der Handwerker“ verlange „Einblick in die strenge sittliche Ordnung der Zünfte, Gilden, in die strengen Regeln für Lehrlinge, Gesellen, Meister“. Dazu nannte er als Lite- raturvorschläge Peter Rosegger, Gustav Freytag, Gottfried Keller, Conrad Ferdianand

29 Ebda. 30 Ebda. 31 Schule und Gegenwart 4/1950, S. 11 f. 32 Ebda., S. 12. 33 Ebda.

580 Meyer. 34 Die Industrialisierung und die Lage zu Beginn des 20. Jahrhunderts verdeutlich- te er am Beispiel Nürnbergs, wie es ja von Kempfenhausen erwünscht war, und nannte hier „Industrieerzeugnisse von Weltruf: A.W. Faber - MAN -Schuckert - Lebkuchen - Spielwa- ren usw.“ Ein „Zyklus moderner Arbeiterdichtung (K. Bröger, Heinrich Lersch..., Winck- ler)“ sollte die kultur- und sozialkundliche Arbeit im Bereich der „Geschichte des Arbei- terstandes“ abrunden. Hier würden nach einem Längsschnitt (19. Jahrhundert, Gewerk- schaft, Konsumvereine, staatliche Hilfe, Arbeitslosigkeit) Industriebetriebe in Nürnberg besucht werden, und das wiedereröffnete Germanische Museum mit seinen Ausstellungen über mittelalterliche Handwerkskunst wurde in Alberts Konzept ebenfalls einbezogen.35 Die Vorschläge des Rektors der Beispielschule Nürnberg, der gleichzeitig eine der neunten Klassen führte, waren in Inhalt und Stil zwar noch geprägt von der Sprache des 3. Rei- ches, wollte er doch „die Schüler zu Gliedern des Volkes herangebildet“ sehen, „die zur Hingabe an die Volksgemeinschaft bereit werden“ sollten. 36 Aber die Berücksichtigung des Lernorts Industriebetrieb, die Einbeziehung der industriell geprägten Lokalgeschichte und der museumspädagogische Ansatz waren beachtlich.

34 Ebda., S. 13. 35 Ebda., S. 14. 36 Ebda., S. 12.

581 6. GESCHICHTSUNTERRICHT

6.1. RICHTLINIEN UND LEHRPLÄNE

Die Ubergangsrichtlinien für die bayerischen Volksschulen vom 10. Oktober 1945 bestimmten unter III. 9.c. „Der Geschichtsunterricht wird erst erteilt, wenn entsprechen- de Weisungen dazu kommen.“1 Diese Anordnung war verständlich, denn, anders als beim Rechnen oder Rechtschreiben, ging es nicht darum, den niedrigen Leistungsstand auf ein angemessenes Niveau zu bringen oder mit dem englischen Sprachunterricht etwas Neues einzuführen. Es mußte etwas viel Schwierigeres zuwege gebracht werden: die Änderung einer Gesinnung, das Gegenteil eines bisher gültigen Bewußtseins, die Abkehr von gewohnten Denkmustern. Die bis dahin gültigen „Richtlinien über Erzie- hung und Unterricht in den bayerischen Schulen“ vom 23. Juli 1940 hatten für den Geschichtsunterricht gefordert, die Führer des Volkes als „Verkörperung des Wehrgei- stes“ darzustellen, den Schülern zu vermitteln, daß „große Leistungen in Krieg und Frie- den immer nur möglich waren und sind in einer aufs engste verbundenen opferbereiten Gemeinschaft von Führer und Volk“, und einzuführen „in das Wissen über unsere heuti- ge Wehrmacht, ihre Gliederung und die Landesverteidigung“. Das erziehliche Ziel war der „art- und nationalbewußte deutsche Mensch, der, volksverbunden und wehrwillig, für Volk und Staat das höchste Opfer zu bringen bereit ist.“2 Diese Unterrichts- und Erziehungsziele verboten sich von selbst angesichts der Katastrophe, in die eine solche Denkweise geführt hatte. Aber auch auf die Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen von 1926 konnte im Bereich des Geschichtsunterrichts nicht zurückgegriffen werden, hatten die Militär- behörden doch festgestellt, daß Militarismus und Nationalismus auch vor 1933 die Erziehung der Jugend übermäßig beeinflußt hatten. Diese Einschätzung war nahelie- gend, denn in der Lehrordnung lautete der erste Satz für das Fach Geschichte: „Der Geschichtsunterricht steht vor allem im Dienste des deutschen Gedankens.“ Ehrfurcht vor großen Menschen und großen Taten sollte die Jugend erfüllen; einen besonderen Unterricht in Staatsbürgerkunde erachtete man als nicht erforderlich für Volksschüler.3 Es verging ein ganzes Schuljahr ohne Geschichtsunterricht, und dann gab es in Abständen Übergangsrichtlinien für dieses Fach, an das man sich vorsichtig wieder her- antastete. Für das Schuljahr 1946/47 begann also der Geschichtsunterricht mit einer „Übergangsmaßnahme“. Das Jahresthema für alle 6. - 8. Klassen lautete: „Aus der Geschichte des Heimatortes.“ Ziel des Unterrichts sollte sein, „die Bemühungen der Vor- fahren um die Gestaltung des privaten Lebens und um den Ausbau des Gemeinwesens einerseits und die Kriege als die Zerstörer des Errungenen andererseits lebendig und an- schaulich (zu) zeigen“.4 Da wurde Lehrern und Schülern einiges abverlangt. Hatten sie noch zwei Jahre vorher im Geschichtsunterricht des Nationalsozialismus gelehrt bzw. gelernt, daß Geschichte das „Gesetz des Blutes“ zeige, daß das Volk „Raumnot“ leide und „was es

1 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Rechtliche Bestimmungen über das Volksschulwesen in Bayern (Abdruck zum Dienstgebrauch der Schuldekane). Anlage zur E. d. Bayer. St. Min. f. U. u. K. v. 10.10.1945, NR. IV 25000,S.4. 2 Erziehung und Unterricht in den bayerischen Volksschulen. München 1940. Bekanntmachung des Staatsmi- nisteriums für Unterricht und Kultus vom 23.7.1940 Nr. IV 27880, S. 21. 3 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 16 vom 29.12.1926. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. v. 15.12.1926 Nr. IV 49242, S. 164 f. 4 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 12 vom 15.10.1946, S. 163. E. d. Staatsmin. f Unt. u. Kult. vom 25.9.46 Nr. IV 47120.

582 Reines, Hohes und Heiliges ist um das Blutopfer für das Vaterland“,5 so war nun Krieg lediglich Vernichtung. Außerdem regten die Übergangsrichtlinien an, „(i)n den beiden letzten Klassen… eine Wochenstunde der Besprechung des Zeitgeschehens (zu wid- men), wenn der Lehrer sich die Leitung einer freien Aussprache zwischen den Schülern und ihm in einem sowohl wirklichkeitsnahen als auch ausgleichenden und versöhnli- chen Geiste zutraut.“6 Vorsichtig wurde hier angebahnt, was man in der Lehrordnung von 1926 als nicht relevant erachtete hatte. Die Richtlinien, bei ihrer Veröffentlichung befristet auf das Schuliahr 1946/47, gal- ten doch bis Ende des Schuljahrs 1947/48, obwohl Weiterentwicklungen gewünscht wurden. Stadtschulrat Kuttenfelder aus Bayreuth mahnte z.B. „die Lösung des Problems Geschichtsunterricht“ für die Volksschulen an, nachdem die höheren Schulen dieses Fach wieder unterrichteten. Er meinte, daß auch in den Oberklassen der Volksschulen wieder Geschichte gegeben werden müsse, da er „(d)ie Notwendigkeit staatsbürgerli- cher Erziehung und demokratischer Beeinflussung“ der Jugend sah.7 Eine Antwort durch die Regierung in Ansbach erfolgte erst im April 1948, und dort hieß es, daß das Kultusministerium Vorschläge an die Militärregierung gegeben, diese aber noch nicht Stellung genommen habe. Noch bestünden also die Ubergangsrichtlinien von 1946/47.8 Die Richtlinien für den Geschichtsunterricht der höheren Lehranstalten vom 28. August 1947 machten sich die Ziele der amerikanischen Militärregierung zu eigen: Entnazifizierung, Entmilitarisierung, Demokratisierung. Diese drei Forderungen müßten an den Lehrstoff der Geschichte gestellt werden.9 Entnazifizierung erreiche man durch die Reinigung des Geschichtsbildes von den Zutaten nationalsozialistischer Geschichts- fälschung. Wahrheit müsse oberstes Gesetz sein, nicht die Propaganda. Entmilitarisie- rung bedeute, im Geschichtsunterricht weniger Kriegsgeschichte oder bloße Heldenge- schichte zu vermitteln, sondern Kultur- und Geistesgeschichte, Wirtschaftsgeschichte der einzelnen Völker und die Helden des Geistes und des Friedens in den Vordergrund zu stellen. Ein „weltoffener Sinn“ der Schüler werde angebahnt, wenn sie die wirt- schaftlichen Verflechtungen und die gemeinsamen Geistesströmungen erkennen würden.10 Zur Forderung der Demokratisierung wurde gesagt, daß der Geschichtsunterricht den Schüler „in die Entwicklung des demokratischen Lebens einführen“ müsse. Dabei könne ausgegangen werden von den „demokratischen Einrichtungen der antiken Stadt- staaten“. England als „Musterland der Demokratie“ wurde besonders angeführt. „Zur Durchführung des demokratischen Gedankens (gehöre) dann auch die Gesellschafts- kunde, welche die Gliederung der einzelnen Berufe und Stände und ihre Einordnung in den Staatsgedanken“ behandele. Es könne hier gezeigt werden, „wie die Gliederung des Volkes von den Zünften des Mittelalters bis zu den Gewerkschaften unserer Tage mit der politischen Entwicklung des Staatsgedankens und seiner demokratischen Form eng ver- bunden“ sei.11 Bemerkenswert an diesen Richtlinien ist, daß zwar die Unterrichtsinhalte anhand der drei Begriffe festgemacht wurden, daß man aber z.B. das Ziel „Demokratisierung“ überhaupt nicht mit Unterrichtsformen verband. Eine „Durchführung des demokrati-

5 Erziehung und Unterricht in der bayerischen Volksschule. München1940, S. 43. 6 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 12 vom 15.10.1946, S. 163. 7 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4518. Schreiben Stadtschulrats Kuttenfelder, Bayreuth, am 15.9.1947 an die Regierung von Ober- und Mittelfranken. 8 Ebda., Schreiben der Regierung von Oberfranken und Mittelfranken, Regierungsschulrat Salffner, am 7.4.1948 an Stadtschulrat Kuttenfelder. 9 Dokumente zur Schulreform, S. 109. Richtlinien für den Geschichtsunterricht. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 28.8.1947, Nr. VIII 39534. An die Direktorate der höheren Lehranstalten. 10 Ebda., S. 109 f. 11 Ebda., S. 110.

583 schen Gedankens“ konnte der Lehrer mit diesen Richtlinien nicht verwirklichen; nur der Lehrstoff war nach Themen abgeklopft worden, die man mit Demokratie verbinden konnte. Demokratisches Handeln wurde nicht erwähnt. Erst mit Beginn des Schuljahrs 1948/49 wurde wieder „planmäßiger Geschichts- unterricht“ an den bayerischen Volksschulen erteilt,12 bzw. der Geschichtsunterricht, der sehr unterschiedlich gehandhabt wurde, „harmonisiert“. Die „Übergangsmaßnahme“ wurde außer Kraft gesetzt. Für die Volksschulklassen 5 bis 8 legte man zwei Geschichtsstunden pro Woche fest. Zu den wichtigsten Gesichtspunkten bei der Stoffauswahl gehörte, daß der „Aus- gangspunkt der Betrachtung... die Geschichte der bayerischen Heimat“ sein sollte; daß die Darstellung von Kriegen zwar zur politischen Geschichte gehöre, es aber nicht zur Verherrlichung des Krieges kommen dürfe.13 Den breitesten Raum müsse „die Betrach- tung kultureller und gesellschaftlicher Verhältnisse einnehmen, die Darstellung friedli- cher Arbeit und friedlicher Entwicklung“.14 Auch in der Volksschule war, was die Gestaltung des Stoffes betraf, oberster Grundsatz die Wahrhaftigkeit. Außerdem müsse schon dem Kind aufgezeigt werden, daß es Verantwortlichkeit gegenüber kleinen und großen Gemeinschaften habe. Geschichtsunterricht solle auch „Bewunderung aller wahren Größe aufkeimen lassen, … Abscheu vor dem Krieg und die Sehnsucht nach Befriedung der Welt stärken“.15 Der Stoffverteilungsplan für das siebte Schuljahr hatte u.a. folgen- des Thema: „Das Ringen um neue Formen im Leben der Völker und Staaten: Die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika - der amerikanische Freiheitskrieg - die französische Revolution und ihre Auswirkungen -das Werden des englischen Weltre- ches.“16 Diese Kapitel sollten wohl demokratische Entwicklungen aufzeigen, wobei das „Werden des englischen Weltreiches“ aus heutiger Sicht nicht unbedingt in einen demokratischen Bildungskanon paßte, aber England als „Musterland der Demokratie“ schien unverzichtbar. Im achten Schuljahr standen Längsschnitte im Vordergrund: „Gemeinschaftsfor- men“ (z. B. „die abendländische Kulturgemeinschaft des Mittelalters“ oder „die einige Menschheit“ oder „Weltfriede als Aufgabe“); „Kulturformen“ (z.B. „Kulturarbeit Karls des Großen“ oder „Kultur in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges“ oder „Gegenwarts- bilder“); „Ständische Lebensformen“ (als wenig überzeugendes Beispiel „Entstehung und Schicksal des Arbeitsstandes“).17 Die Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit war in dem Themenkatalog nicht explizit aufgenommen worden, doch konnte man sie unter dem Stichwort Gemein- schaftsformen, „der Zusammenbruch der Nationalstaatsidee und die Wiedereingliede- rung in die europäische Völkerfamilie“18 vermuten. Diese Richtlinien wurden mit der Bitte um Genehmigung an die Militärregierung für Bayern geschickt mit der ausdrücklichen Betonung, daß sie nur für dieses eine Jahr Gültigkeit hätten,19 und das Amt der Militärregierung versagte die Erlaubnis nicht und begründete seine Entscheidung auch. Es hieß in dem Genehmigungsschreiben, daß die

12 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 9 vom 26.8.1948, S. 105- 108. Richtlinien für den Geschichtsunterricht an Volksschulen im Schuljahr 1948/49. Bek. des Staatsmin. f. Unt. u. Kult. v. 18.8.1949 Nr. IV 52819. 13 Ebda., S. 105. 14 Ebda., S. 105 f. 15 Ebda., S. 106. 16 Ebda., S. 108. 17 Ebda. 18 Ebda. 19 BayHStA München. MK 62154. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 5.7.1948 an die Militärregierung für Bayern. Betr.: Richtlinien für den Geschichtsunterricht im Schuljahr 1948/49.

584 Richtlinien „rein vorläufig“ seien, „und unter diesem Vorbehalt“ sei die Einwilligung erfolgt.20 Besondere Billigung fand der Umstand, daß der Stoff sich nicht überschneide, „daß die Probleme des demokratischen Menschen in einer demokratischen Welt auf- merksam behandelt“ würden und daß über das Eingangsthema Bayern hin- ausgegangen werde.21 Die Militärregierung empfahl, so weit wie möglich zeitgenössi- sche Probleme herauszustellen, die „in Verbindung mit den Mitteln zu studieren (seien), die der Mensch bei ähnlichen Problemen in der Vergangenheit angewandt“ habe. Im übri- gen erhoffie man sich bezüglich des Geschichtsunterrichts einen großen Fortschritt, sowohl inhaltlich als auch methodisch, durch die Arbeit des Ausschusses für Sozialwissenschaften in Wallenburg.22 Für das Schuljahr 1949/50 mußte noch einmal um die Genehmigung der Mi- litärregierung für einen Übergangsplan für den Geschichtsunterricht nachgesucht wer- den. Das Staatsministerium schrieb dazu, daß die Weisungen eine Weiterführung der Stoffpläne darstellten und daß vom Schuljahr 1950/51 an der endgültige Lehrplan für den Geschichtsunterricht eingeführt werde.23 Auch diesmal gab die Militärregierung ihre Einwilligung. Charles D. Winning schrieb dazu, daß der vorgelegte Plan von Mitgliedern der Erziehungsabteilung sorgfältig geprüft worden und daß er beinahe identisch mit dem von 1948/49 sei. Die vorgenommenen Änderungen betrachtete man als Verbesserung. Die Genehmigung erfolgte unter Vorbehalt, und zwar weil man annahm, daß der Lehrplan „ein Übergangslehrplan von vorübergehender Natur“ sei. Deshalb gelte sie nur für das Schuljahr 1949/50. Außerdem sei es „wünschenswert, daß die zuständigen Fachkräfte im Ministerium, mit der Hilfe des Ausschusses für Geschichte und des Ausschusses für Volksschullehrpläne in Kempfenhausen weiterhin arbeiten, um einen zukünftigen Lehr- plan für Geschichte zu entwickeln, der die Sozialwissenschaften und vor allem die Erzie- hung zum Bürger mehr betonen wird. Das Bedürfnis nach einer solchen Betonung ist ausgesprochen worden, sowohl von beinahe jedem in Kempfenhausen arbeitenden Ausschuß wie auch von Erziehern in ganz Bayern.“24 Im Amtsblatt erschien die Bekanntmachung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus mit dem Hinweis, daß weiterhin die Richtlinien vom 18. August 1948 gälten, daß jedoch die für 1949/50 ausgeführte Stoffverteilung beachtet werden müsse.25 Diese sah für das achte Schuljahr folgende Abschnitte vor: „Ausschnitte aus der Zeit der Revolutio- nen. Die französische Revolution und ihre Folgen... Der Einheits- und Freiheitsgedanke in Deutschland. Der Zollverein - das Jahr 1848.... Bayerns Entwicklung zum modernen Staat... Vom neuen Deutschen Reich. Von der Gründung und Entwicklung des Bism- arckreiches... Vom ersten Weltkrieg... der neue Volksstaat und seine Verfassung - der Völkerbund. Vom Wandel unserer Kultur. Aus der Biedermeierzeit... Vom Aufschwung der Naturwissenschaften und vom Siegeszug der Maschine... Bilder aus dem neuzeitli- chen Leben. ... Weltverkehrslinien - Nachrichten durch alle Welt - Weltpostverein - Welt-

20 Ebda., Schreiben des Amtes der Militärregierung für Bayern am 27.7.1948 an das Staatsministerium für Unter- richt und Kultus. 21 Ebda. 22 Ebda. 23 BayHStA München. MK 62154. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Staatsminister Hundhammer, am 1.8.1949 an die Militärregierung für Bayern. Betr.: Richtlinien für den Geschichtsunterricht an Volksschulen für das SchuUahr 1949/50. 24 BayHStA München. MK 62154. Schreiben der Militärregierung für Bayern, Charles D. Winning, am 10.8.1949 an den Ministerpräsident Bayerns zu Hdn. des Unterrichtsministers. 25 Ebda., Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 20. August 1949 Nr. IV 42400 über den Lehrstoff im Geschichts- unterricht der Volksschulen für das Schuljahr 1949/50 (Übergangslehrplan); Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 17 vom 30.8.1949, S. 149.

585 wirtschaft - moderne Großstädte in allen Erdteilen - der Arbeiterstand - soziale Nöte und Reformen - Kampf um Rohstoff- und Absatzgebiete - die Technik im Dienste der Ver- nichtung … das Rote Kreuz - die Jugendbewegung.“26 Die Themen konnten die Militärregierung wohl zufriedenstellen, so daß die Genehmigung kein Problem war. Auch die vorgeschlagenen Längsschnitte wiesen akzeptable Titel auf, z. B. „die Frau im Wandel der Zeit“ oder „Staatsformen“.27 Es gab sogar den Abschnitt „Von der jüngsten Vergangenheit. Deutschland unter Adolf Hitler - vom zweiten Weltkrieg - das Jahr 1945 - der Weltfriede als Aufgabe“.28 Allerdings war nicht gewährleistet, daß alle Schüler sich mit den genannten Themen auseinandersetzen konnten, da der Stoffplan für „ausgebaute Schulen mit unverkürzter Unterrichtszeit“ galt. Bei „ungünstigen Unterrichtsverhältnissen“ - und die herrschten zum Zeitpunkt der Bekanntmachung fast überall - waren die einzelnen Abschnitte in der angegebenen Folge zu bearbeiten, aber aus ihnen konnte eine Auswahl getroffen werden.29 Daß sich ein gerade entnazifizierter Lehrer ausgerechnet mit der jüngsten Vergangenheit beschäftigte, war kaum zu erwarten. Außerdem gab es sicherlich Themen, zu denen die grundlegenden Informationen einfach fehlten, z. B. über „moderne Großstädte in allen Erd- teilen“, denn zu dem Zeitpunkt war die Frage der Geschichtsbücher nicht gelöst.30 Der Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen, mit Beginn des Schuljahres 1950/51 zur Erprobung in Kraft, führte zum Geschichtsunterricht aus, daß Einsicht darü- ber geweckt werden müsse, „daß der einzelne mit dem Schicksal von Volk und Mensch- heit verflochten“ sei, daß die Erkenntnis zu erarbeiten sei, „daß das Gegenwärtige sich aus der Vergangenheit entwickelt“ habe und das Geschehen in die Zukunft weiterwirke. Im Geschichtsunterricht solle erzogen werden zu „Sachlichkeit und Gerechtigkeit, Vaterlandsliebe und Toleranz“; und „Verständnis und Mitverantwortung für die politi- sche Gegenwartsaufgabe“ sollten angebahnt werden.31 Oberster Grundsatz sei „das Bemühen um eine möglichst sachliche Darstellung ... Wahres Heldentum des Friedens und der Gerechtigkeit, der Überzeugungstreue und der Menschenliebe“ sollten die Jugend begeistern.32 Als „Unterrichtsweise“ wurde die „anschauliche Erzählung des Lehrers“ zuerst genannt, dann kamen „Schülerbericht und das Unterrichtsgespräch“. Bild, Film und Schulfunk würden die „sinnenhafte Auffassung“ unterstützen, „Quellen jeder Art und einschlägiges Schrifttum sowie Kartenskizzen, Statistiken und Zeittafeln“ müßten bereitgestellt und ausgewertet werden.33 Die Lehrererzählung wurde also favorisiert, aber dadurch war die sachliche Darstel- lung in Frage gestellt, angesichts der persönlichen Erlebnisse dieser Lehrergeneration. Die Unterrichtsinhalte, die der Bildungsplan für den Geschichtsunterricht angab, wurden namentlich von der SPD „schärfstens abgelehnt“. Sie forderte, „daß alle kulturellen Entwicklungen positiv zu werten sind, und daß im Gegensatz dazu alle kriegerischen Ereignisse Hindernisse, Unterbrechungen und Verwüstungen in einer kulturellen Ent- wicklung der Menschheit bedeuten...“. Der Stoffverteilungsplan fand daher bei der SPD

26 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 17 vom 30.8.1949, S. 152. Bek. des Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 20.8.49 Nr. IV 42400. 27 Ebda., S. 153. 28 Ebda. 29 Ebda., S. 149. 30 siehe S. 598 ff. 31 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 14 vom 28.8.1950, S. 238; BayHStA München. MK 61212. Bericht der Stiftung Wallenburg, Kempfenhausen, am 13.5.1950 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Bildungsplanentwurf für die Volksschulen, S. 21. 32 Ebda., S. 238. 33 Ebda.

586 keine Zustimmung.34 Im Besonderen verneinte man die Aussage, daß der einzelne unentrinnbar verflochten sei mit dem Geschehen, denn das ließe ihn fatalistisch jedes Verhängnis ertragen; auch sei nicht allgemein anerkannt, daß alles Gegenwärtige aus der Vergangenheit verstanden werden könne und in die Zukunft weiterwirke.35 Der gesamte dargelegte Geschichtsstoff bedürfe der Durchforstung, da viele Persönlichkei- ten und Geschehnisse wegfallen könnten, „die vor dem Kriterium des geschichtlich Bedeutsamen unter gegenwärtigem Aspekt und nach gegenwärtigen Erfordernissen nicht mehr bestehen können. In dieser Hinsicht (lasse) der vorgetragene Stoff das überle- gene Urteil vermissen“.36 Der Bildungsplan gebe außerdem keine Hinweise darauf, daß erst, wenn der Mensch von Mächten und Personen befreit sei, die ihn politisch, wirt- schaftlich und geistig niederhielten, ein kultureller Aufstieg möglich sei. Auch auf das „zunehmende Übergewicht der demokratischen Staatsidee über autokratische Staats- formen“ sei nicht genügend Rücksicht genommen worden. Der Verfasser gab zu, daß die Möglichkeiten der Volksschule begrenzt seien, doch der Geist des Geschichtsunter- richts müsse der gleiche sein wie auf höheren Schulen.37

6.2. EIN NEUES GESCHICHTSBILD

Sicherlich war es zunächst einfacher, Geschichtsunterricht überhaupt nicht zur erteilen und dann auf Heimatgeschichte zu beschränken, als sofort damit zu beginnen, ihn als „Künder der Humanitas und Erzieher zu echtem Menschentum“ einzusetzen, wie Kultusminister Hundhammer das in seinem Erziehungsplan auf weite Sicht vom März 1947 vorschlug.1 Wer hätte denn solch einen Geschichtsunterricht halten können? Es gab zahlreiche Lehrer, die sich weigerten, überhaupt dieses Fach zu unterrichten.2 Diese Haltung stieß auf Verständnis. Der Lehrer sei ein „geschädigter Mensch“, man billigte ihm das Vorhandensein einer schweren Identitätskrise zu. Mehr als der Durchschnittsdeutsche sei er ein „Mensch mit erstarrtem Innenleben“.3 Skepsis und Distanz zu ihrem Fach kennzeichne die Haltung der überwiegenden Zahl der Geschichts- lehrer. Der Pädagoge Erich Weniger erklärte dies mit der Scham über ihre eigene unkriti- sche Hinnahme und Vermittlung nationalsozialistischer Geschichtsvorstellungen, mit der Hoffnung auf vorläufige Beruhigung und mit der Furcht vor der Ablösung des national- sozialistischen „Gesinnungs- und Lehrzwangs“ durch eine neue, „von außen“ kom- mende Reglementierung.4 Übereinstimmung herrschte darüber, daß nur über ein neues Geschichtsdenken die Vermittlung des Faches Geschichte möglich sei, daß das deutsche Geschichtsbild grundlegend geändert werden müsse, neue Ziele anzustreben seien, wenn auch die didaktischen Ansätze sich unterschieden.5 Von einem „,neuen Anfang‘ oder einer

34 AdsD Bonn. LV Bayern I/207. Schreiben Dr. Siegfried Zieglers, SPD, am 14.11.1950 an den Vorstand des LV Bayern der SPD, z. Hd. Waldemar v. Knoeringen. 35 Ebda. 36 Ebda. 37 Ebda.

1 siehe S. 246 f. 2 Mayer, S. 13. 3 Ebda., S. 13. Er zitiert Elisabeth Lippert: Der Lehrer als Mensch der Gegenwart. Vortrag auf dem kunst- pädagogischen Kongreß in Fulda vom 27.11-3.12.1949. In: Bildung und Erziehung 3 (1950). S. 168 ff. 4 Mayer, S. 13. Er verweist auf Erich Wenigers Vortrag „Neue Wege im Geschichtsunterricht“ vom Dezember 1945. 5 Ebda., S. 14, S. 2.

587 ,neuen geistigen und weltanschaulichen Fundierung’ historischer Erkenntnis und histori- scher Bildung“ sprachen Geschichtsdidaktiker unterschiedlicher politischer Einstellungen und ideologischer Richtungen. So trafen die deutschen Bemühungen um Neuorientie- rung mit den Anstrengungen der Besatzungsmächte um Re-education zusammen.6 Letztere erwarteten vom neuen Geschichtsunterricht einen Beitrag zur „Verwirkli- chung der Prinzipien der politisch-sozialen Bildung“. Nicht das Auswendiglernen von Daten sei wesentlich, sondern das Wecken des Verständnisses für Ursache und Wir- kung, für historische Tendenzen und Entwicklungen. Die Geschichtsdarstellung solle wahrheitsgetreu und ausgeglichen sein. Die Darstellung der „Errungenschaften des Frie- dens, des wissenschaftlichen Fortschrittes, des Kampfes um die Besserung der Mensch- heit, … die Fortentwicklung der freien Institutionen“, das seien die hervorzuhebenden Themen.7 Diese Vorschläge machten die Amerikaner in einem nicht veröffentlichten Bericht, der daher relativ gering in seiner Wirkung blieb.8 Das didaktische Konzept war der gegenwartsbezogene, problemorientierte Geschichtsunterricht, womöglich ein ko- operativer Unterricht der Fächer Geschichte, Geographie und Sozialkunde. Gegenwärtig erfahrbare Probleme sollten fruchtbare Grundlage sein für die „Rückfrage an Erfahrun- gen der Vergangenheit“, aber auch für methodische Entscheidungen.9 Fächerüber- greifende Unterrichtseinheiten sollten zusätzlich eingeplant werden, und für Abschluß- klassen wurden „Kurse für Problematik“ empfohlen. Die „Problemlösungsmethode“ als Unterrichtsprinzip sei zu verwirklichen, „weil dies der didaktischen Orientierung an echten Problemen am ehesten entspreche“.10 Bei den Schülern könnten so Fragehaltung, Prob- lembewußtsein, Bemühen um Lösungsmöglichkeiten angeregt werden, und die Isolierung der einzelnen Fächer werde überwunden durch diese Art von „Gesellschaftslehre“.11 Um stoffliche Überfrachtung zu vermeiden, wurde vorgeschlagen, Geschichte unter thematischen Gesichtspunkten zu betrachten, z.B. „Suche der Menschen nach Freiheit“, „Entwicklung der modernen Zivilisationen“ oder „Nachrichtenübermittlung“. Zur Frage der Gewichtung riet der Bericht, der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts doppelt so viel Zeit zu widmen wie allen Jahrhunderten vor der Französischen Revolution.12 Auf diese Weise konnte die angestrebte politisch-soziale Bildung wohl am ehesten verwirklicht werden.

6 Ebda., S. 3. Vgl. dazu Walter Fürnrohr: Ansätze einer problemorientierten Geschichtsdidaktik. Eine Einführung. Bamberg 1978, vor allem S. 57-80. 7 Ebda., S. 336 f. 8 Im Februar/März 1947 bereiste das „United States Social Studies Committee to Germany“ die amerikanische Zone und entwickelte anschließend den Bericht über die inhaltliche Neuorientierung der sozialwissen- schaftlichen Aufgabenbereiche der deutschen Schulen. Die Kultusbehörden der Länder der amerikanischen Zone erhielten Übersetzungen, die Reformvorschläge wurden nicht veröffentlicht. (Mayer, S. 335; LKAN. LKR VI 1100 a (3064). Ansprache von Major Taylor von OMGUS Berlin am 19.2.1947 im Kultusministerium. Tay- lor sagte dazu: „Wir hoffen, daß die Kommission von Lehrern der Sozialwissenschaften, die von Washington geschickt worden ist, und im Augenblick Deutschland bereist, den deutschen Schulen reiche Anregungen bringen wird.“). 9 Mayer, S. 338. 10 Ebda. 11 Ebda., S. 339. 12 Ebda., S. 337 f.

588 Dieses Konzept eines neuen Geschichtsunterrichts wurde den deutschen Er- ziehungsbehörden und Lehrern vorgelegt mit der Aufforderung, die Vorschläge unter Beachtung der in Deutschland herrschenden Verhältnisse umzusetzen.13 Sicher erhielten die wenigsten bayerischen Lehrer Kenntnis über dieses fortschrittliche, demokratische Unterrichtskonzept. Das solchermaßen vielbeschworene und vielbesprochene neue Geschichtsbild, das zufolge nur dadurch entstehen könne, daß man den „Sinn für Wahrhaf- tigkeit zurückgewinne“, 14 sollte den Lehrern aber doch vermittelt werden, und es fan- den Fortbildungen statt; z.B. am 28. März 1947 im Opernhaus in Nürnberg, wo Schulrä- ten und Lehrern der höheren Lehranstalten „Der neue Geschichtsunterricht in der Schu- le“ von Professor Walter Goetz vorgestellt wurde.15 Über „Probleme, Ziele und Grenzen der Geschichtsrevision“ sprach Professor Mayer, Passau;16 und Regierungspräsident Schregle aus Ansbach mahnte im Januar 1947 die versprochenen Kurzkurse für Volksschullehrer zur „Unterweisung im neuen Geschichtsunterricht“ an. Sie seien angekündigt worden, und Kul- tusminister a.D. Dr. Fendt habe sie halten wollen.17 Lehrern, die zögerten, Geschichtsunterricht zu erteilen, wurde die „Aneignung der Geschichte“ geradezu empfohlen, da sie ein „Instrument der Distanznahme“ sei. Man könne aus der Enge der „eigenen zufälligen Betätigung“ und der „eigenen zufälli- gen Lebenssituation“ entkommen und „unter einem großen Horizonte... leben“, anstatt „in der Unmittelbarkeit der Lebensumstände zu ertrinken“.18 Der Lehrer müsse zu dem zugegebenermaßen kleinen Kreis gehören, dem die Aneignung der Geschichte zum Zwecke der Distanznahme ein Bedürfnis sei. Er dürfe nicht zur „geschichtsblinden Masse“ gehören, deren Mitglieder bloße „Gegenwartswesen“ seien.19 Zum Zeitpunkt dieser Empfehlungen (1951) hatten sicher noch nicht alle Lehrer die Kraft, sich diese Gedanken zu eigen zu machen. Angesichts der prekären finanziellen Situation vieler Lehrer, zu der sich häufig die konfessionellen Schwierigkeiten gesellt hatten, war das vielleicht auch verständlich. Der Appell von Carl Weiß war anspruchsvoll und trotzdem eine Möglichkeit, sich mit der banalen Lebenssituation auseinanderzusetzen und sie zumindest gedanklich zu überwinden. Zahlreiche Zeugnisse damaliger Lehrer belegen die positive Resonanz solcher Äußerungen.20

13 Ebda., S. 335. 14 Hamm-Brücher, S. 101. Sie zitiert Theodor Heuss (auf dem ersten und einzigen Treffen der FDP aus Ost- und Westzonen in Eisenach 1947). 15 BayHStA München. MK 62154. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 13.3.1947 an die Regierungen; Stadtarchiv Nürnberg.Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 28.3.1947 (Amtsblatt 21.3.1947). 16 Ebda.,MK 62006. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 17.2.1947 an die Regie- rung von Oberbayern. 17 Ebda., MK 62154. Schreiben des Regierungspräsidenten Schregle, Ansbach, am 4.1.1947 an das Staatsmini- sterium für Unterricht und Kultus. 18 Die Bayerische Schule. 4. Jg. Nr. 15/16 vom 15.8.1951. Carl Weiß: Das Geschichtsbild der Gegenwart. S. 241 f. 19 Ebda. 20 Dannhäuser, S. 269, 333, 427, 429 f.

589 6. 3. VORSCHLÄGE FÜR LERNINHALTE UND SCHWIERIGKEITEN MIT GESCHICHTSBÜCHERN

Noch bevor das Komitee für „Social Studies“ die o.g. Vorschläge zur Neu- orientierung des Geschichtsunterrichts unterbreitet hatte, ließ die US Militärregierung für Deutschland im Amtsblatt des Kultusministeriums Durchführungsbestimmungen zur „Verfügung Nr. 32 des Beigeordneten Ausschusses der Alliierten Kontrollbehörde über Strafmaßnahmen … gegen militaristische, nationalsozialistische oder antidemokratische Pro- paganda“1 veröffentlichen, die man als ausgesprochen optimistisch bezeichnen muß. War in Artikel 1und 2 der Verfügung mitgeteilt worden, daß jeder, Lehrer oder Schüler, von der Schule entfernt werde, der „auf irgendeine Weise militärische, national- sozialistische oder antidemokratische Doktrinen verbreitet, deren Verbreitung unter- stützt oder stillschweigend duldet,“2 so präzisierten die Durchführungsbestimmungen der amerikanischen Militärregierung, daß mit dieser Verfügung nicht beabsichtigt sei, „die Erörterung, Erklärung und Beschreibung der Geschichte und Philosophie des Natio- nalsozialismus oder militaristischer, nationalsozialistischer und antidemokratischer Dok- trinen in beschränktem Ausmaße und in wissenschaftlicher, objektiver und tatsachenge- bundener Form zu verbieten, solange kein Versuch gemacht wird, die Annahme solcher Doktrinen aufzudrängen oder die Leistungen des Nationalsozialismus zu preisen, zu ver- ewigen oder zu glorifizieren, und solange kein Versuch gemacht wird, die demokrati- sche Regierungsform absichtlich zu verkleinern, zu schmähen oder in Mißkredit zu brin- gen“.3 Diese Ausführungsbestimmungen, die einen Beweis des amerikanischen Vertrauens in ihre eigenen Vorstellungen von Demokratie darstellten, wurden bestimmt nicht von bayerischen Lehrern ausgelotet, denn eine wissenschaftliche und objektive Analyse des Nationalsozialismus in den Klassenzimmern war doch eine Gratwanderung, auf die man sich lieber nicht einließ. Welch ein Echo hätte solch ein Unterricht in der Öffentlichkeit gehabt! Daß diese Art von Information tatsächlich nicht erfaßt wurde, belegten die Aus- führungen von Senator Baumann anläßlich der Beratungen zum Gesetz über die Akade- mie für politische Bildung im Plenum des Senats: „Wenn Sie wüßten, was bereits draußen wieder geschieht, .. daß bereits wieder in den Merkheften für den Geschichts- unterricht die Symbole des 3. Reiches, die Reichskriegsflagge mit dem Hakenkreuz, die Abzeichen der SS und SA und der Hitlerjugend eingetragen sind - ohne bösen Willen der Junglehrer... -, dann würden Sie sagen: Ist das möglich, wie kann das sein, daß nationalsozialistische Gedanken bereits wieder in der Schule, wenn auch nicht propa- gandistisch, so doch informatorisch, Fuß fassen?“4 Die objektive Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus war noch nicht möglich und sollte es auch lange Jahre nicht sein. Zahlreich sind die Berichte von Zeitzeugen, die in den 50er und 60er Jahren zur Schule gingen und deren Geschichtsunterricht jeweils im Jahr 1933 endete. Das mutige Angebot der amerikanischen Militärregierung aus dem Jahr 1946 wurde auch später oft nicht genutzt. Die SPD forderte übrigens auch, im Geschichtsunterricht den Schülern die Augen zu öffnen „über die vergangenen nationalsozialistischen Idelogien“.5 Insgesamt traf aber eher das zu, was in „Schule und Gegenwart“ über die Reform des

1 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 12 vom 15.10.1946, S. 174 f. E. des Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 20.9.46 Nr. I 41302. 2 Ebda., S. 174. 3 Ebda., S. 175. 4 BayHStA München. MK 62154. Ausführungen von Senator Reg. Dir. Baumann am 8.3.47, 20. Pl. Sen. 16. 5 AdsD Bonn. LV Bayern I/207. Dr. Siegfried Ziegler am 14.3.1950 an Waldemar von Knoeringen. „Sozialde- mokratische Forderungen zur Schulreform unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Bayern“.

590 Geschichtsunterrichts gesagt wurde, nämlich, daß viele Lehrer eine auffallende Scheu an den Tag legten, mit dem „heißen Eisen“ in Berührung zu kommen.6 Der Verfasser glaub- te, den Ursprung der Schwierigkeiten gefunden zu haben, und zwar darin, daß das Unterrichten dieses Faches nicht nur Stoffvermittlung bedeute, sondern „auch die Gesinnung und die Überzeugung ... notwendig zum Ausdruck kommen“ müsse.7 Pro- fessor Goetz von der Universität München nannte als Ursache der Enthaltsamkeit, daß die „Lehrerschaft keinen Weg durch das Gewirr der Meinungen zu finden vermochte“, vor allem auch deshalb nicht, weil die Richtlinien fehlten.8 Das war im November 1947. Auch die Regierung von Oberbayern mahnte - 1948 - dringend verbindliche Richtlinien an, da die Lehrkräfte es „in der augenblicklichen Situation“ meist nicht wagten, „einen systematischen Geschichtsunterricht zu geben und … sich gerne auf unverbindliche hei- matgeschichtliche Erzählungen“ beschränkten.9 Geschichtsunterricht und die Auswahl der Unterrichtsinhalte wurden als bedeutsam eingeschätzt. Die Kultusministerkonferenz stellte z.B. 1953 Grundsätze zum Geschichtsunterricht auf und betonte, daß angesichts der Notwendigkeit, „im deutschen Volk allgemein ein geschichtliches Bewußtsein und damit Voraussetzungen zu politischer Verantwortung zu schaffen,“ die Volksschule ver- pflichtet sei, „ein bestimmtes Maß an Themen aus der deutschen und abendländischen Geschichte zu behandeln.“10 Wie wichtig Geschichtsunterricht in der Volksschule sei, begründete die Katholi- sche Erziehergemeinschaft Regensburg zweifach. Einmal sei ein geschichtsloser, traditi- ons- und gemeinschaftsungebundener Mensch ein „Spielball der Gewalten“ und unfähig, etwas zu verteidigen, was er gar nicht kenne.11 Zum zweiten zwinge ein „rühri- ger Feind an den Grenzen“, sich des Geschichtsunterrichts an den Volksschulen ernst- haft anzunehmen und Mittel für Fortbildung, Bücher usw. bereitszustellen.12 Eine weitere Begründung nannte Hauptlehrer Seitz aus Dachau. Er meinte, es handle sich bei diesem Fach nicht um Wissenschaft, sondern um Erziehung; wenigstens sei der Unterricht Teil der Erziehung. Geschichte gebe „geistige Eindrücke zahlreich und in tiefgehender Weise“, darum sei sie ein wirksames Erziehungsmittel.13 Hier wurde Geschichte instru- mentalisiert. Es gab aber auch die Auffassung, daß Geschichtsunterricht in der Volksschule gar nicht gehalten werden solle, z.B. „weil der Mensch unter dem Mindestalter von 18 Jah- ren für die Historie weder Sinn noch Verständnis, weder Teilnahme noch Anwendungs- ambitionen“ habe. Es solle also dieser Unterricht zugunsten von Sprachlehre und Sagen gänzlich wegfallen; dafür sei an den Volkshochschulen ein für jedermann verpflichten- des, unentgeltliches Geschichtskolleg einzuführen, „das von den prominentesten Methodikern unter den Universitätslehrern“ geleitet werden solle, „ohne dessen Be- legungsnachweis und mindestens seminaristischen Prüfungsabschluß kein Deutscher (Weib wie Mann) weder Berufsselbständigkeits- noch Heiratskonsens [sic!] erhält“.14

6 Schule und Gegenwart 6/1950. S. 30. „Wie steht es um die Reform des Geschichtsunterrichts?“ von Her- mann Neubauer, Amberg. 7 Ebda. 8 Die Neue Zeitung, 3. Jg. vom 7.11.1947, S. 4. „Neuer Geschichtsunterricht“. 9 BayHStA München.MK 61319.Bericht der Regierung von Oberbayern am 13.5.1948 an das Staatsministeri- um für Unterricht und Kultus. Stand des Volksschulwesens. 10 Ebda., MK 53004. Empfehlung der Kultusminister-Konferenz vom 17.12.1953 in Bonn. Betr.: „Grundsätze zum Geschichtsunterricht“ S. 4. 11 Ebda., MK 62154. Schreiben der Kath. Erziehergemeinschaft, Diözesanverband Regensburg, am 12.6.1952 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betr.: Geschichtsunterricht an Volksschulen. 12 Ebda. 13 Ebda., „Über Geschichte und Geschichtsunterricht in der gegenwärtigen Situation“. Eine Denk-Schrift von Franz Seitz, Dachau. (o.D., wahrscheinlich Frühjahr 1946). 14 Ebda., Schreiben des J. M. Philipp, Steinach in Tirol, am 27.6.1952 an „Hoher Minister für Unterricht und Kul- tus in Bayern“.

591 Dieser skurrile Vorschlag fand im Kultusministerium ernste Bearbeitung. Hand- schriftliche Vermerke besagten, daß die Anregung für den Bereich der Volksschule nicht gel- ten könne und an den Volkshochschulen nicht durchführbar sei.15 Der Geschichtsunterricht an Schulen, nicht nur an der Volksschule, wurde aber offensichtlich nicht nur von obskuren Briefeschreibern in Frage gestellt. Über die Bil- dungspläne im Bereich der britischen Zone berichtete der Münchener Schulrat Fingerle, daß man Geschichte und Geographie an den Gymnasien nur mit insgesamt drei Wochen- stunden angesetzt und als Begründung genannt habe, daß es sich noch um eine Über- gangsmaßnahme handle, daß aber auch „der praktische Nutzen der Geschichtsunter- weisungen für die politische Erziehung der Deutschen während der vergangenen fünf- zig Jahre so gering gewesen sei, daß der Aufwand an Zeit und Arbeitskraft für einen Unterricht in der bisherigen Form nicht verantwortet werden könne“.16 Meist war es jedoch nicht die Frage, ob Geschichte überhaupt gelehrt werden solle, sondern welche Inhalte zu vermitteln waren, um die Jugend auf den rechten Weg zu führen. Eine interessante Empfehlung erreichte den Landrat von Dinkelsbühl bereits am 31. Mai 1945. Der dortige Schulrat Hagen entwickelte Pläne für die vier ersten Volksschul- klassen. Zwar sollte der Unterricht sich zunächst auf Religion, Lesen, Buchstabieren und Rechnen beschränken; aber auch die jüngeren Kinder seien bereits von der Nazi-Ideologie erfaßt worden, und sie sähen ja auch das Unglück, das daraus erwachsen war. Man solle also Fragen an die Kinder stellen (Hagen hatte seine Empfehlungen auf englisch formuliert): „What would Germany look like if Hitler had not come: In your house? In the house of your comrade Fred, Charles etc.? In the house of your neighbour? In the house of your aunt, of your uncle, of your sister? In the whole village? In our country?“

Schulrat Hagen versprach sich aus der Behandlung dieser Fragen „a lasting effect“.17 Die Vorschläge für die älteren Schüler differierten, je nach Standort der Beteilig- ten. Schulrat Fingerle schrieb 1946, daß „alte“ Geschichtsauffassungen, obwohl poli- tisch unbedenklich, wegen ihrer weltanschaulichen Bindungen von der Allgemeinheit nicht mehr angenommen würden. Klar sei allen, daß macht- und kriegsgeschichtliche Betrachtungen, nationalsozialistische und preußisch-militaristische Auffassungen nicht mehr vertretbar seien, daß eine Ausweitung zur europäischen und Weltgeschichte denkbar und Kultur-, Geistes-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte zu betonen seien; aber eine verbindliche, allgemein akzeptable Lösung sei nicht in Sicht.18 Neue Konzeptionen seien umstritten, man habe große Scheu vor neuen Fehlern, die Ratlosigkeit sei groß und neue Formen, so sie denn eingeführt worden seien, begegneten heftigem Wider- spruch. Es sei die Zeit wohl noch nicht reif; die Erschütterungen nach dem Zusammen- bruch seien noch zu stark, um neue Konzepte entwickeln, geschweige denn durch- führen zu können.19

15 Ebda. 16 Fingerle, S. 306. 17 StAN. Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, Nr. 264. Schreiben des Schulrats M. Hagen, Dinkelsbühl, am 31.5.1945 To the Landrat, Dinkelsbühl, „Resumption of Lessons in the 4 lower classes of Primary Schools after breakdown of 3rd Reich“. 18 Fingerle, S. 304. 19 Ebda.

592 Keine Hilfe waren die Auslassungen eines Hans Berendt, der in der freiwilligen Bindung an nicht näher bezeichnete „historische Mächte“ die Chance für Schüler und Lehrer sah, zu wahrhaft menschlicher Haltung zu gelangen. Er erwartete außerdem, daß in der Schule der „tragische Grundzug der deutschen Geschichte“, der „politische Lei- densweg des deutschen Volkes“ herausgearbeitet werde, „der als das uns bestimmte Schicksal trotz allem zu bejahen“ sei.20 Dieser Annahme des ohnmächtigen Ausgelie- fertseins konnte kein vernünftiger Mensch zustimmen; aber allen ernstzunehmenden Vorschlägen zu den Unterrichtsinhalten in Geschichte war die Vorsicht bei der Auswahl des Terrains gemeinsam, auf dem man sich bewegen wollte. Die Pflege des Heimatge- dankens, den Primat der bayerischen Geschichte betonte Ministerpräsident Ehard in sei- ner Regierungserklärung im Januar 1947.21 In dieselbe Richtung ging die „Empfehlung der Mitgliedschaft von Schulen beim Bayerischen Landesverein für Heimatpflege“.22 Die Leh- rer-schaft sei berufen, maßgebend mitzuarbeiten, der „volksbildende Charakter der Hei- matbewegung“ sei per se Grund genug dafür. Bezüglich der Flüchtlingslehrer sah man auch die Vorteile, daß sie sich einarbeiten konnten „in die heimat- und volkskundlichen Fra- gen (ihres) Wirkungskreises“ und die Möglichkeit hatten, „den Schüler aus seiner Umwelt, seiner Heimat heraus zu verstehen“.23 Der Bayerische Landesverein für Heimatpflege, Landesstelle für Volkskunde, empfahl dem Kultusministerium den „Einbau von Heimat- und Volkskunde in den Unterricht der Höheren Schule“, denn jedes Fach solle „im Bezug auf die Heimat beginnen“.24 Da die Lehrer Bescheid wissen müßten, schlug der Landesverein vor, sie an den Universitäten dafür auszubilden und den Themenbereich in der Prüfungsordnung zu verankem.25 Eine Denkschrift des Verbands deutscher Vereine für Volkskunde bekräftigte diese Forderungen und begründete sie damit, daß „(d)er deutsche Volkskörper [sic!]... sich in einem Umbau wie noch nie im Laufe seiner Geschichte“ befinde und daß der Lehrer die dankbare Auf- gabe habe, den Flüchtlingen das Einleben in die fremden Verhältnisse zu erleichtern und das gegenseitige Verständnis zwischen ihnen und den Einheimischen zu fördern. Lehrerbildungsanstalten und Universitäten müßten in Volkskunde unterweisen.26 Das Kultusministerium teilte dem Verband mit, daß „(a)n den 14 neuen, 18monatigen Abi- turientenlehrgängen zur Ausbildung von Volksschullehrern … zwei Wochenstunden für Hei- mat- und Volkskunde angesetzt“ seien. Im dritten Semester sei ausdrücklich die Behandlung der Volkskunde des Heimatregierungsbezirks vorgeschrieben, und auch der neue Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen verweise im Abschnitt Heimatkunde besonders auf die volkskundlichen Stoffgebiete.27

20 Hans Berendt: Das Bildungsziel der höheren Schulen. Rede bei der Wiedereröffnung der, höheren Schulen in Bonn, 21. Oktober 1945. In: Josef Schnippenkötter (Hrsg.), Bildungsfragen der Gegenwart. Reden und Auf- sätze. Heft 2. Bonn 1945, S. 12 f. 21 Baer, S. 103. 22 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 21 vom 28.11.1949, S. 219. E. des Staatmin. f. Unt. u. Kult. vom 12.10.49 Nr. VII 60348. 23 Ebda. 24 BayHStA München. MK 53004. Schreiben des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege, Landesstelle für Volkskunde, am 6.10.1949 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 25 Ebda. 26 Ebda., „Denkschrift über die Notwendigkeit, die Volkskunde im Schulunterricht und bei der Lehrerbildung in angemessener Weise zu berücksichtigen.“ Verband deutscher Vereine für Volkskunde, Freiburg i. Br., 15.2. 1950. 27 Ebda., Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 25.10.1950 an den Verband deutscher Vereine für Volkskunde.

593 Eine Vernachlässigung der bayerischen Geschichte beklagte der Geistliche Rat aus dem unterfränkischen Hergolshausen. Die Lehrerschaft habe ein mehr als dürftiges Wis- sen von diesem „edlen Bildungsgut“. Die Ursachen sah der Pfarrer in der Uberfremdung des Lehrkörpers und der Seelsorger, der Unkenntnis der amerikanischen Besatzungs- macht über die Geschichte des Landes, der ehedem nationalsozialistischen „Gleichma- cherei von Memel bis zum Brenner“ und interessanterweise in der einflußreichen katho- lischen Jugendbewegung, ausgehend von Düsseldorf und Altenberg (Rheinland), die für die bayerischen Verhältnisse kein Verständnis habe. Der Pfarrer bat um erhöhte Auf- merksamkeit für bayerische Geschichte und die Herausgabe eines kleinen Leitfadens. Der Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen biete nur schüchterne Anhaltspunk- te.28 Inhaltlich schlug er vor, die „Gründungen der bayerischen Marken in Tirol, Kärnten, Steiermark, Österrreich bis zum Grenzschutz in Schwaben gegen Ungarn und in Franken gegen die Slawen“ zu berücksichtigen, ferner die kulturellen Schöpfungen der bayeri- schen Klöster, „bis zu den erhabenen Werken der Baukunst, der Musik und Malerei“.29 Vom Bayern des 20. Jahrhunderts erwähnte der Geistliche Rat nichts. Neben den Vorschlägen, Heimat- und bayerische Geschichte zu bevorzugen, gab es zahlreiche Eingaben, die der Kultur- und Sozialgeschichte das Wort redeten, ganz bewußt im Gegensatz zur bisher favorisierten preußisch-militaristischen und machtpoli- tischen Geschichte. Vor allem in der unmittelbaren Nachkriegszeit erhielten die Schul- behörden Empfehlungen zu Lerninhalten, die „nordischen Größen“, Feldherren und „Supernationalisten (7jähr. Krieg usw.)“ eine Absage erteilten, dafür aber darauf dräng- ten, die Jugend „an unsere alte heimatliche und bayerische handwerkliche und hohe Kunst heranzuführen“. Sie müsse vor allem die künstlerische Begabung des bayerischen Stammes kennenlernen.30 Auch der Schulausschuß der Christlich-Sozialen Union emp- fahl die Umgestaltung des Geschichtsunterrichts, und zwar die „stärkere Betonung der friedlichen Kulturaufgaben der Völker...“31 Daß diese Umstellung notwendig war, unterlag keinem Zweifel, und die Vermitt- lung von Heimat- und Kulturgeschichte enthob die Lehrkräfte der Schwierigkeit, sich mit dem vergangenen Regime und auch mit den Forderungen eines demokratischen Staats- wesens auseinanderzusetzen. Auch konnten sie mit diesen Themen wenigstens Geschichtsunterricht betreiben. Gleichwohl erhoben sich warnende Stimmen, die die Gefahr sahen, „daß nun das Kulturelle das Politische verschlingt, wie vorher das Umge- kehrte der Fall war“. Denn das Kulturelle werde nur einseitig erfaßt, wenn man den Ein- fluß von Staat und Kirche mißachte. Ausschließlich die geistige Entwicklung zu lehren sei genauso verkürzt wie die Lehre von der Allmacht des Staates; die Wechselwirkung müsse dargelegt werden.32 Von verschiedenen anderen Seiten eingebrachte Vorschläge zum Inhalt eines neuen Geschichtsunterrichts vertraten z.B. die Ansicht, daß er „im Dienste der staats- bürgerlichen Erziehung“ zu stehen habe. Die „Heranbildung eines wertvollen Staatsbür- gers“ verlange drei Erziehungsziele: das „Erkennen einer großen geschichtlichen Ent- wicklungslinie, die richtungweisend für Denken und Streben sein“ solle; „die Urteils-

28 BayHStA München. MK 62154. Schreiben des katholischen Pfarrers, Geistlicher Rat Dr. Dr. W. Büttner, Her- golshausen, am 11.1.1955 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 29 Ebda. 30 Ebda., StK 113972.Brief des Privatmanns Dr. Hartmann, Bergersee/Schnaitsee bei Wasserburg, am 12.8.1945 an die Bayerische Landesregierung; StAN.Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992, Nr. 264.Aufsatz des Studi- enrats Dr. Küßwetter, Ehingen, 29. 5. 1945. 31 Dokumente zur Schulreform, S. 113. Reformvorschläge des CSU-Schulausschusses an die Landtagsfraktion der CSU. September 1947. 32 Die Neue Zeitung, 3. Jg. vom 7.11.1947. S. 4. „Neuer Geschichtsunterricht“. Von Prof. Dr. Walter Goetz.

594 kraft, die den Staatsbürger (befähige), wahre Fortschritte und Werte zu erkennen; die Bereitschaft, den erkannten Idealen in Pflichtbewußtsein gegenüber Volk und Mensch- heit zu dienen.“33 Die Europa-Union wünschte die Aufnahme des Gedankens der europäischen Eini- gung in die Geschichtslehrpläne aller Schulen,34 die Arbeitsgemeinschaft Freier Münche- ner Gewerkschaften forderte schon im April 1946, daß „(d)ie große soziale und kulturell bedeutsame Volksbewegung der Gewerkschaften... in das Lehrprogramm, in die Unter- richtspläne und in unsere gesamten Schulbücher“ gehöre.35 Der Vorschlag der kommu- nistisch gelenkten Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes lautete, die für den Ge- schichtsunterricht vorgesehene Zeit weniger für einen planmäßigen Unterricht zu nut- zen, was ohnehin noch nicht geschehe, sondern die Jugend aufzuklären „über die Ent- stehungsursachen des Dritten Reiches und die von ihm innen- und außenpolitisch ange- wandten Gewaltmethoden...“ Die „Notwendigkeit des Zusammenbruches“ sollten die Schüler begreifen und verstehen lernen, „daß diejenigen, die sich dem Hitlerregime widersetzt haben, Patrioten waren und nicht ... Landesverräter“.36 Diese Empfehlung, ausgesprochen im Herbst 1947, konnte nachdenklich stim- men. Anscheinend hatten die Gegner des Nationalsozialismus auch zwei Jahre nach Kriegsende immer noch - oder schon wieder? - Mühe, sich durchzusetzen, hatten die Mißachtung ihrer Rolle bei den Spruchkammern kennengelernt, sahen sich, sofern sie Kommunisten waren, auch bereits durch die amerikanische Besatzungsmacht diffamiert, da sich der Kalte Krieg abzuzeichnen begann.37 Eine Berücksichtigung ihrer Anliegen wünschten auch die Landsmannschaften der Vertriebenen. Die Kenntnis der alten Hei- mat im geschichtlichen,geographischen und kulturellen Bereich sollte u.a. im Geschicht- sunterricht vor allem den Kindern der Vertriebenen vermittelt werden.38 Es wurde aber nicht nur auf fehlende oder wünschenswerte Inhalte hingewiesen; auch Themen, die selbstverständlicher Bestandteil eines Geschichtslehrplanes sein mußten, gerieten in Kritik; im nachfolgenden Fall aufgrund der Formulierung und der dahinter vermuteten Fehlinterpretation. Nach Veröffentlichung des Übergangslehrplans für den Geschichtsunterricht an Volksschulen vom 21. August 1949 sah sich der Evang.-Luth. Landeskirchenrat genötigt, seine Mißbilligung auszusprechen zum Thema: „Die Glau- bensspaltung und ihre Folgen - Luthers neue Lehre - Die religiöse Erneuerung in der katholischen Kirche... Bayern zur Zeit der Glaubensspaltung.“39 Es widerspreche dem Dogma der Evang.-Luth. Kirche, wenn angenommen werde, Luther habe eine neue Lehre gebracht. Man könne es außerdem nicht hinnehmen, daß die Reformation nur negativ gekennzeichnet werde, wenn von Glaubensspaltung die Rede sei. Das wider- spreche dem Geschichtsbild des evangelisch-lutherischen Bekenntnisses. Der Geschichts- unterricht gerate dann in Widerspruch zum Religionsunterricht. Andererseits sei bei der katholischen Kirche nur von ihrer religiösen Erneuerung die Rede. Das betrachtete man

33 Schule und Gegenwart, 3. Jg., 4/1951, S. 43. 34 BayHStA München. MK 53004. Schreiben der Europa-Union, Kreisverband Traunstein, am 22.6.1950 an den Landesverband Bayern der Europa-Union, München, mit der Bitte um Weiterleitung an das Kultusministerium. 35 Ebda., Schreiben der Arbeitsgemeinschaft Freier Münchener Gewerkschaften am 1.4.1946 an Kultusminister Fendt. 36 Ebda., Schreiben der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN, Bezirksstelle Cham/Opf., am 25.10.1947 an die Landesleitung der VVN, München. 37 siehe S. 163 f. 38 BayHStA München. Schreiben der Vereinigten Landsmannschaften der Vertriebenen Deutschen, Landesver- band Bayern, am 22.9.1950 an das Kultusministerium; siehe auch S. 554-557. 39 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 17 vom 30.8.1949. Bek. des Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 20.8.49 Nr. IV 42400 über den Lehrstoff im Geschichtsunterricht der Volksschulen für das Schuljahr 1949/50 (Übergangslehrplan), S. 151.

595 auf evangelischer Seite als ausschließlich positive Darstellung. Man könne nicht verhin- dern, daß der Sachverhalt an katholischen Bekenntnisschulen nur unter diesem Aspekt gelehrt werde, frage sich aber, wie in einer Gemeinschaftsschule die geschichtliche Dar- stellung gelingen solle, die alle Beteiligten zu ihrem Recht kommen lassen müsse. Man bitte darum, den Lehrplan zu prüfen und Weisungen zu erteilen, „die es den evang. Lehrern ermöglichen, an evang. Schulen im Sinne des evang.-luth. Bekenntnisses zu wir- ken“.40 Vorsorglich wies man darauf hin, daß man es für richtig halte, vor Veröffentli- chung eines endgültigen Lehrplans gemeinsam nach einer Form zu suchen, die beiden Bekenntnissen gerecht werde.41 Am 19. Oktober 1949 fand eine Besprechung zwischen Dr. Wilhelmine Böhm vom Kultusministerium und Lic. Schmidt vom Landeskirchenrat statt, in der Schmidt vor- schlug, bei der im Lehrplan von 1926 gebrauchten Formulierung „Die Kirchentrennung und ihre Folgen... Luther und die evangelische Kirche - Die religiöse Erneuerung in der katholischen Kirche“ zu bleiben.42 In einem Schreiben am 20. Oktober teilte Schmidt mit, daß eine Besprechung im Landeskirchenrat das Einverständnis mit dieser Formulierung erbracht habe. Gegen das Wort „Glaubensspaltung“ habe es Einwände gegeben, da es „in so hohem Maß zu einem Schlagwort der konfessionellen Polemik geworden (sei), daß in einem Lehrplan besser darauf zu verzichten wäre“.43 Böhm wollte vor der endgültigen Formulierung die Stel- lungnahme des Schulkommissariats der katholischen Kirchenbehörde einholen,44 daher wurde der gesamte Vorgang an den Prälaten Dr. Zinkl weitergeleitet.45 Nach mündlicher Rücksprache mit diesem Herrn notierte Böhm als Aktenvormerkung, man habe es für „zweckmäßig“ gehalten, auf die Auffassung der Vertreter der evangelischen Kirche Rücksicht zu nehmen, die das Wort „Glaubensspaltung“ als „Schlagwort der konfessio- nellen Polemik“ empfunden hätten, und die 1926 verwendete Formulierung „Die Kir- chentrennung und ihre Folgen“ beizubehalten, „zumal in der Aussprache eine Klärung vom theologischen Standpunkt aus erfolgt“ sei.46 Im Amtsblatt des Kultusministeriums wurde der Begriff Glaubensspaltung durch Kirchentrennung ersetzt.47 Die Einwände gegen die Formulierungen, die die evangelische Kirche vorbrachte, waren verständlich angesichts des Streits um die Bekenntnisschulen, der zu dem Zeit- punkt besonders heftig geführt wurde. Der Begriff „Spaltung“ wurde von allen Beteilig- ten sehr unsensibel benutzt, und die evangelische Seite wollte offensichtlich vermeiden, daß von den Ereignissen zu Beginn der Neuzeit eine gerade Linie gezogen würde zu den aktuellen Auseinandersetzungen. Gegen den Übergangslehrplan Geschichte vom 20. August 1949 erhoben sich weitere Bedenken, und zwar gegen den Lehrstoff der achten Klasse „Von der jüngsten Vergangenheit. Deutschland unter Adolf Hitler…“48

40 BayHStA München. MK 62154. Schreiben Nr. 12462 des Evang.-Luth. Landeskirchenrats am 7.10.1949 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betr.: Geschichtsunterricht an Volksschulen. 41 Ebda. 42 Ebda., Aktenvormerkung zu Nr. IV 69853. 25. Oktober 1949, Referat 5: Böhm. 43 Ebda., Schreiben des Oberkirchenrats Lic. Schmidt am 20.10.1949 an Fräulein Dr. Wilhelmine Böhm, Staats- ministerium für Unterricht und Kultus. 44 Ebda., Aktenvormerkung zu Nr. IV 69853. 25.10.1949, Referat 5: Böhm. 45 Ebda., Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus im Oktober 1949 an das kath. Schulkom- missariat, Herrn Prälaten Dr. Joh. Zinkl. 46 Ebda., Aktenvormerkung, 14.11.1949. Referat 5: Böhm. 47 Ebda., Nr. IV 79680 v. A. w. Veröffentlichung im Amtsblatt; Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 21 vom 28.11.1949, S. 224. Bek. des Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 14.11.49 Nr. IV 79680 zum Ubergangslehrplan für den Geschichtsunterricht an Volksschulen. 48 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 17 vorn 30.8. 1949 S.153.

596 Die Befürchtungen einer katholischen Lehrerin aus einem Dorf bei Rain a. Lech richteten sich dabei gegen die Kollegen, die, 1945 entlassen und nach der Entnazifizie- rung, „die ja eigentlich keine war“, wieder eingesetzt, die Ereignisse der jüngsten Ver- gangenheit noch nicht „entnazifiziert“ der Jugend darbieten könnten. Ihre Bedenken seien deswegen so groß, da das Schuldgefühl der ehemaligen Nazis sehr schnell geschwunden war, nachdem sie gemerkt hätten, daß ja „eigentlich nichts passiert“ sei. Die Lagerhaft hätten sie sehr leicht ertragen, wovon ihr gesundes Aussehen Zeugnis abge- legt habe, und auch geistig seien sie dort voll auf ihre Kosten gekommen; jedenfalls habe einer der Entlassenen geäußert, er hätte nie so viele interessante Vorträge gehört, wenn er nicht inhaftiert gewesen wäre. Die Gesinnung dieser Leute habe man wohl nicht geändert, und sie lebten offensichtlich in dem Bewußtsein, daß die Hitlerzeit nicht so schlimm gewesen sein mußte, „sonst hätte uns mehr passieren müssen, wir waren schon auf alles gefaßt“.49 Aus ihren Ausführungen folgerte die Lehrerin, daß in „einem Bayern, das wieder kath. christlich werden soll, ... nicht genug eine echt religiöse Lehrer- persönlichkeit gefordert werden“ könne, daß aber die o. g. schwierigen Themen „bes- ser der katholischen Geistlichkeit“ oder Leuten überlassen würden, „die noch nie sich mit der nationalsozialistischen Idee anfreundeten“.50 Während im Kultusministerium auf diesen Brief hin nichts weiter veranlaßt wurde, obwohl die dargestellten Probleme den Verantwortlichen sicher auch Kopfzerbrechen bereiteten, mußte auf die Klage des Pfarrers Josef Eberl aus dem oberbayerischen Tei- sendorf reagiert werden, der die Tafelanschrift des Flüchtlingslehrers Schwarz über den Urmenschen zum Anlaß nahm, einen „dogmatisch einwandfreien Leitfaden... für diese so grundlegenden Fragen“ zu fordern. „(R)einer Darwinismus“ werde gelehrt, wenn der Urmensch als klein, aber sehr kräftig, mit langen Haaren, einem struppigen Bart, behaartem Körper und niedriger Stirn geschildert werde.51 „Die Frage des Urmenschen (sei) nur mit dem katholischen, biblischen Schöpfungsbericht zu lösen,“ schrieb der Pfar- rer. Die von ihm kopierte Tafelanschrift (sic!) legte er zur eventuellen Bearbeitung durch katholische Fachleute bei, denn er erachtete die Angelegenheit gerade für die katholi- sche Bekenntnisschule als wichtig. Was helfe denn „aller kath. Religionsunterricht, wenn der Glaube im weltlichen Unterricht unterspült“ werde.52 Mehrere Referate im Kultusministerium befaßten sich mit der Tafelanschrift über den Urmenschen. Referat II b hegte gegen die zusammenfassenden Sätze über Urzeit und Urmensch „vom wissen- schaftlichen Standpunkt aus keine Bedenken“. Dem Lehrer könnten keine Vorwürfe gemacht werden, da die neueren Forschungsberichte erst nach dem Krieg in Deutsch- land bekannt geworden waren und auch nur in Fachzeitschriften zu finden wären.53 Referat I a bezeichnete die Darstellung des Lehrers als „typisch dilettantisch“ und stellte fest, daß, wie so häufig, die Schule das lehre, was längst überholt sei. Der Lehrer habe aber kein neues Geschichtslehrbuch und sei „in seiner Dorfeinsamkeit“ auf sein veraltetes Schul- oder Seminarwissen angewiesen.54 Referat 5 teilte mit, daß ein neues Geschichts- buch in Vorbereitung sei, das den Lehrer in Zukunft davor bewahren werde, schlechte oder unrichtige Merksätze zu formulieren. Daneben gebe es vorbereitende Arbeiten zu einem entsprechenden Lehrerhandbuch.55

49 BayHStA München. MK 62154. Schreiben der Lehrerin Josefa F., Echsheim über Rain a. Lech, am 2.3.1950 an das Staatsmisterium für Unterricht und Kultus. 50 Ebda. 51 Ebda.,. Schreiben des Pfarrers Josef Eberl, Oberteisendorf, am 27.9.1950 an den Herrn Kultusminister. 52 Ebda. 53 Ebda., I. Vormerkung. 5. Okt. 1950, Ref. II b: Buchner. 54 Ebda., I. Vormerkung. 11.10.1950, Ref. I a: Braun. 55 Ebda., Stellungnahme. 22.11.1950, Ref. 5: Böhm.

597 Die Antwort, die Pfarrer Eberl aus dem Kultusministerium erhielt, war ziemlich vage. Die Darstellung des Lehrers sei zwar „weder sachlich noch weltanschaulich ein- wandfrei“, man nehme aber nicht an, daß die Kinder „im Sinne eines wissenschaftli- chen Materialismus“ beeinflußt werden sollten. Das Staatsministerium sei bemüht, „in den in Vorbereitung befindlichen neuen Geschichtsbüchern auch die hier angeschnitte- ne Frage der Geschichte des Urmenschen so darstellen zu lassen, daß in Zukunft derarti- ge Entgleisungen unterbleiben“.56 Eine Anmerkung zum Entwurf dieses Schreibens macht klar, wo die Problematik dieses Falles lag: Ungeachtet der für die Demokratisie- rung der bayerischen Volksschulen völlig belanglosen Thematik, beinhaltete sie doch die Gefahr, daß die Frage der geistlichen Schulaufsicht, die zu dem Zeitpunkt immer noch brisant war, wieder einmal hochgespielt wurde. Man wollte auf keinen Fall eine nachträgliche Untersuchung des Vorkommnisses, „deren Ergebnis sowieso sehr dürftig sein würde und die mißdeutet werden“ könnte.57 Der aufgezeigte Fall spiegelte auch ein immenses Problem des Geschichts- unterrichts wider: die fehlenden Schulbücher. Neue Geschichtsbücher zu konzipieren war ein ganz schwieriges Unterfangen. Gerade bei der schriftlichen Niederlegung der gewünschten neuen demokratischen Unterrichtsinhalte gab es die größten Schwierig- keiten. Zum einen waren von den deutschen Fachleuten nahezu keine Geschichtsbücher vorgelegt worden,58 was wohl nicht verwunderlich war. Zum zweiten legten die Ameri- kaner Wert darauf, keine ausländischen Werke, auch nicht solche von deutschen Emi- granten verfaßt, zuzulassen, damit der Vorwurf der Indoktrination von außen gar nicht erst aufkomme,59 zum dritten hatten die zunächst vorgelegten Manuskripte die Ten- denz, an die Weimarer Republik anzuknüpfen, was die Militärbehörden, wie bereits dar- gelegt, ablehnten.60 Außerdem machte die amerikanische Textbook Section erst ab Ende 1946 präzise inhaltliche Vorschläge.61 Bis dahin wußte man eher, was nicht mehr erwünscht war, aber auf dieser Basis war kein Geschichtsbuch zu entwickeln. So lautete die immer wiederkehrende Frage: Wann gibt es ein neues Geschichtsbuch? Und zwar nicht nur, wie im September 1949 angeboten, die „Kleine Geschichte Bayerns“ von Deuerlein,62 so wertvoll dieses Werk sicher war. Aber es konnte nicht den Forderungen entsprechen, die zu dem Zeitpunkt an ein Geschichtsbuch gestellt werden mußten. Die bayerischen Lehrer baten wiederholt um ein entsprechendes Buch.63 Ob das ein bayerisches oder preußisches, deutsches oder europäisches Geschichtsbuch sein würde - der Abgeordnete Schneider (FDP) forderte letzteres im bayerischen Landtag64-, war für sie eher zweitrangig, wichtig war doch, daß endlich ein Buch zur Verfügung stand, oder wenigstens „ein kleiner Leitfaden,... aus

56 Ebda., Entwurf eines Schreibens des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 16.12.1950 an Pfarrer Joseph Eberl, Oberteisendorf. 57 Ebda. 58 Unter den von Mai 1947 bis April 1948 136 neuen Manuskripten für Schulbücher befand sich nur ein Geschichtsbuch, und zwar für die Oberschulen in Württemberg-Baden. (Bungenstab, S. 114). 59 Meyer, S. 287; siehe S. 539. 60 Ebda.,S.285. 61 Mayer, S. 290. Vgl. zu diesem Komplex auch Nr. 4.2. 62 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4638. Lehr- und Lernmittelverzeichnis „Alles für die Schule“, herausgegeben von H.O. Schulze, Lichtenfels. Sept. 1949. Deuerlein: Kleine Geschichte Bayerns (I.Das Stammland/Il. Die bayerischen Hochstifte/Ill. Franken/IV. SchwabenlV. Territoriale Gliederung/1800/Bayeri- sche Herrscher). In Zusammenarbeit mit der Lehrplan-Abteilung des Bayer. Kultusministeriums. 63 BayHStA München. MK 61322. Bericht der Regierung von Schwaben am 7.1.1949 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Stand des Volksschulwesens (15.12.1948). 64 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 48. Sitzung am 29.1.1948,S. 688.

598 dem Lehrer und Schüler... das Grundsätzliche“ entnehmen konnten.65 Hermann Neu- bauer aus Amberg, der in seiner Zuschrift an „Schule und Gegenwart“ diese Forderung stellte, bedauerte, daß die Schüler gezwungen seien, „selbst auf Nazibücher noch zu- rückzugreifen, wie z.B. auf den berüchtigten ‚Gehl’“. Er machte mit diesem Satz offenbar, was nach allen Entnazifizierungsbemühungen der amerikanischen Militärregierung66 eigentlich gar nicht mehr möglich sein konnte. Andererseits verweigerte die Militärregie- rung zu der Zeit die Lizenz für eingereichte und vom bayerischen Kultusministerium befürwortete Entwürfe für Geschichtsbücher für höhere Schulen, da sie „noch immer nationalsozialistische oder militaristische Tendenzen“ enthielten oder „ihrem pädagogi- schen Gehalt nach“ abzulehnen seien.67 Das Fehlen von geeigneten Geschichtsbüchern veranlaßte den Abgeordneten Waldemar von Knoeringen (SPD), im Landtag nachzufra- gen, ob fünf Jahre nach dem Zusammenbruch schwerwiegende Gründe dafür vorlägen, daß Volks- und Mittelschulen immer noch ohne Geschichtsbücher auskommen mußten. Staatssekretär Sattler vom Kultusministerium machte die „Schwierigkeit des Gesamtthe- mas“ geltend.68 Im November 1950 erschien „Unsere Geschichte“, ein Merk-und Arbeitsbuch für den Geschichtsunterricht im 5. Schuljahr von J. Scherl.69 Es wurde im Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken auch auf Heftchen zur Geschichte für die Hand des Leh- rers hingewiesen, z.B. auf „Geschichte im Überblick, Folge 4 (Die Laterne Nr. 31), bearbeitet von Prof. Dr. W. Mommsen, 40 Seiten … DM 0,80.“ In aller Kürze werde ein klarer „Überblick über die geschichtlichen Ereignisse vom ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart (1914-1945)“ geboten.70 Diese Angebote schienen jedoch nicht sehr zufriedenstellend gewesen zu sein, jedenfalls klagte die Katholische Erziehergemeinschaft Regensburg noch im Juni 1952 über den „Geschichtsunterricht an Volksschulen“, für den „hierzu- lande weder ein geeignetes Handbuch für Lehrer noch ein Lern- und Arbeitsbuch für Schüler“ zur Verfügung stehe, während es eine erschütternde Tatsache sei, „daß unsere deutschen Brüder im Ostraum einer Geschichtsphilosophie und -auffassung seit Jahr und Tag mit allen Mitteln einer sogenannten ‚Wissenschaft‘ in Propaganda und Unter- richt ausgeliefert sind…“71 Man bat um die Förderung von „Arbeiten an einem Hand- buch für den Lehrer, besonders den Lehrer an den Landschulen, und an einem Lern- und Arbeitsbuch für den Schüler“, und zwar „mit allen Mitteln“.72 Auch der Schul- und Kulturausschuß des Nürnberger Stadtrats diskutierte den Geschichtsunterricht an Volksschulen. Gut müsse er sein, um Voraussetzung für den staatsbürgerlichen Unterricht sein zu können. Da aber die Schüler nur unzureichend mit Geschichtsbüchern ausgestattet seien, zweifelte Stadträtin Finger die Erreichung dieses Zieles an. Offensichtlich wenig erfreut gab sie in der Sitzung bekannt, daß das, was vor- handen sei, demnächst durch ein von einem katholischen Verlag herausgegebenes Ge- schichtsbuch ersetzt werden solle.73 Von diesem schien sie sich wenig im Hinblick auf die Erziehung zum verantwortlichen Staatsbürger zu versprechen.

65 Schule und Gegenwart, 6/1950, S.31. 66 siehe S. 533-541. 67 Schule und GegenwaIt,5/1949, S. 42. Zuschrift von Bernhard Seidler, Sprecher der Schulvertreter der Höheren Schulen Münchens. 68 Die Bayerische Schule, 3. Jg. 1950, S. 209. Fragestunde des Landtags am 16. Mai 1950. 69 Ebda. 70 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken. 20. Jg. Nr. 3 vom 1.3.1952. 71 BayHStA München. MK 62154. Schreiben der Kath. Erziehergemeinschaft, Diözesanverband Regensburg, am 12.6.1952 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 72 Ebda. 73 Stadtarchiv Nürnberg. C7/IX SRP Nr. 1306. Niederschrift über die Sitzung des Schul- und Kulturausschusses am 16.10.1953.

599 Die Erörterungen um adäquate Geschichtsbücher waren 1952/53 - sieben Jahre nach Kriegsende - offensichtlich noch von so grundsätzlicher Qualität, daß weitergehen- de Fragen, z. B. über die Umsetzung einer deutsch-französischen Vereinbarung, strittige Fragen europäischer Geschichte nicht einseitig nationalistisch darzustellen, erst allmäh- lich Eingang in die Geschichtsbücher fanden. Es hatte bereits 1935 Beschlüsse gegeben, formuliert von Vertretern des Verbandes deutscher Geschichtslehrer, der Historischen Gesellschaft von Berlin und der Societé française des professeurs d‘ histoire, die sich mit den Problemen der deutsch-französischen Geschichtsschreibung befaßt hatten und an die nun, im Jahr 1950, wieder erinnert wurde.74 Notwendig sei es , daß den Schülern im Geschichtsunterricht zugleich mit dem deutschen auch der französische Standpunkt gezeigt werde. Daher dürfe man auch die Geschichtsbücher aus der Zeit vor 1933 nicht mehr verwenden. Sie genügten nicht mehr „einer so bitter erkämpften neuen Auffas- sung europäischer Geschichte“.75 Die Franzosen hatten bei den bildungspolitischen For- derungen des Potsdamer Abkommens noch auf eine „völlige Umbewertung der deut- schen Geschichte und Politik mindestens seit dem 16. Jahrhundert“ gedrängt,76 hatten sogar in ihrer Besatzungszone eigene Lehrbücher herausgegeben. Diese enthielten aber so viele absurde Entstellungen sogar in der Schilderung der Fakten, nicht nur in deren Beur- teilung, daß sie ihre Absichten nicht erreichten - im Gegenteil.77 Nun setzte man Hoff- nung auf die deutsch-französischen Vereinbarungen, die zur Bereinigung der beidersei- tigen Geschichtsbücher - so man sie auf deutscher Seite denn hatte - „wertvolle Dien- ste“ leisten sollten.78

6.4. ERFAHRUNGEN DAMALIGER LEHRER UND SCHÜLER

Die Erinnerungen der befragten Lehrer und Schüler zum Geschichtsunterricht in der fraglichen Zeit ergaben insofern ein einheitliches Bild, als übereinstimmend gesagt wurde, daß in den ersten zwei Jahren Geschichte „tabu“ war.1 „Eine Vorsichtsmaßnahme,“ hieß es, möglicherweise der einzelnen Lehrer,2 die z.T. wegen ihrer NS-Vergangenheit strafversetzt worden waren und den Mund hielten.3 Zum Inhalt befragt, lauteten die Antworten, es sei „mehr politische Geschichte“ gewesen; außerdem habe man „Jahres- reihen“ unterrichtet („Von den Römern bis …“).4 Ein damaliger Schüler des humanisti- schen Gymnasiums Ansbach erinnerte sich an die ausführliche Behandlung der Antike und das völlige Fehlen zeitgeschichtlicher Lerninhalte.5 Letzteres wurde auch von den anderen Zeitzeugen bestätigt. Bei einem endete die Geschichte bereits im Jahr 1815 beim Wiener Kongreß,6 der spätere Professor Glöckel gab an, daß der Geschichtsstoff

74 Schule und Gegenwart 12/1950, S. 41 f („Probleme der deutsch-französischen Geschichtsschreibung?“ Hrsg. 1949, Verlag für Kunst und Wissenschaft, Baden-Baden. Beschlüsse vom 25.11./1.12.1935 in Paris). 75 Ebda., S. 48. 76 Eschenburg, Jahre der Besatzung, S. 252. 77 Ebda. 78 BayHStA München. MK 53210. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 17.6.1952 an Herm R. Buisson, Direction générale des affaires culturelles, Mainz.

1 Gespräch mit Frau Wilhelmine Hofmann, Treuchtlingen, Herrn Fritz Thoma, Ansbach, Herrn Siegfried Ger- lach, Ansbach, Udo Freiherr v. Hunoltstein, Feldafing. 2 Siegfried Gerlach. 3 Udo v. Humoltstein. 4 Fritz Thoma. 5 Udo v. Hunoltstein. 6 Dannhäuser, S. 294.

600 „nicht bis zum Schluß“ durchgenommen wurde, daß es sich um die übliche deutsche Nationalgeschichte, jedoch nicht nationalistisch, gehandelt habe, daß sie „anti Krieg“ und „anti Haß“ gewesen und vom Grundtenor „das darf nicht wieder passieren“ getra- gen worden sei. Während er meinte, daß die unmittelbare Vergangenheit, obwohl nicht beschönigt, nicht aufgearbeitet worden sei und daß man lernen mußte, daß man froh sein konnte, daß der Krieg verloren wurde,7 äußerte sich Herr Kurt Gemählich dahinge- hend, daß die Zeit des Nationalsozialismus im Geschichtsunterricht aufgearbeitet wor- den sei.8 Schwierigkeiten mit der Bewältigung der unmittelbaren Vergangenheit und der daraus resultierenden Probleme beim Geschichtsunterricht gab Frau Wilhelmine Hof- mann zu. Sie besuchte Fortbildungsvorträge ihres Schulrats für Geschichte und befand: „Seine Geschichtsbetrachtung war uns, im NS-Staat Aufgewachsenen, fremd.“9 Es mußten aber auch durch das NS-Regime verfolgte Lehrer ihre jüngste Vergangenheit bewältigen. So erinnerte sich Udo v. Hunoltstein des Lehrers H. am Ansbacher humani- stischen Gymnasium, der einen seiner Schüler, Sohn eines Volksschullehrers, fragte, ob sein Vater auch so ein braunes Schwein gewesen sei. Als höchst anfechtbar muß aber wohl der Geschichtsunterricht einer Lehrerin an einem Nürnberger Gymnasium bezeichnet werden, die noch im Schuljahr 1955/56 beim Thema Ostkolonisation ihren Schülerinnen Text und Noten des Liedes „Nach Ostland wollen wir reiten“ auf der Klapptafel präsentierte und es mit ihnen einübte. Ihr Geschichtsunterricht endete mit dem Jahr 1933, und das einzige, was die Schülerinnen über die NS-Zeit erfuhren, war das Lob der wanderfreudigen BDM- und HJ-Angehöri- gen, die von Nürnberg nach Hersbruck marschiert waren, um die von der dortigen Hit- lerjugend verteidigte Stadt „einzunehmen“. In der Erinnerung der Berichterstatterin war die Schilderung nicht so überzeugend gewesen, um die Mädchen zu einer langen Wan- derung zu überreden.10 Sicherlich sind die Aussagen nicht repräsentativ, sie zeigen aber kein eindeutiges Bild einer nachträglichen Wahrnehmung des Geschichtsunterrichts die- ser Zeit.

7. SOZIALERZIEHUNG UND SOZIALKUNDE

Im Gegensatz zur Problematik eines neuen Geschichtsbildes und daraus folgend eines veränderten Geschichtsunterrichts, war man einhellig der Meinung, daß in Deutschland zu wenig Wert auf soziale Erziehung, und zwar an allen Schulen, gelegt worden war. Die Erziehung zum Mitbürger hatte keine Tradition, die Mitarbeit beim Aufbau eines demokratischen Staatswesens, wie der Weimarer Republik, war den mei- sten Deutschen verächtlich erschienen; Politik verderbe den Charakter, war die verbreite- te Meinung. Angeblich wollten nach dem Zweiten Weltkrieg sechs von zehn Deutschen von Politik nichts wissen und wünschten, von den Sorgen der Allgemeinheit und des Staates nicht behelligt zu werden.1 Die „Obrigkeit“ sei dafür zuständig. Vor allem der „gebildete“ Deutsche wolle sich vom „schmutzigen“ Bereich der Politik fernhalten, der „verständige

7 Prof. Hans Glöckel, Nürnberg. 8 Kurt Gemählich, Nürnberg. 9 Privatarchiv Frau Wilhelmine Hofmann, Treuchtlingen. 10 Gespräch mit Frau Dr. Brigitte Hohlfeld, Mannheim.

1 Schule und Gegenwart 4/1950, S. 14. „Die Erziehung zum Mitbürger in der Familie,“ von Dr. Emilie Augus- tin-Allen, Obergünzburg.

601 Gemeinsinn“ fehle, „frohe Selbstverantwortung“ habe das öffentliche Leben noch nicht ergriffen, und man schiele immer noch nach bequemeren Auswegen, wie ja die Diktatur einer gewesen sei.2 Hier werde eine „dringende Aufgabe der Erziehung sichtbar“. Die Schule, die zum Zwecke des Lernens entstanden sei, müsse zu einer Lebensform, „zu einer Schule des Zusammenlebens“ werden.3 Jeder Tag sei verloren, an dem noch nicht sofort mit der politischen Bildung begonnen werde.4 Allerdings wurde zugegeben, daß die Sozialerziehung eine „unermeßliche Aufgabe“ sei.5 Während mancher Autor den Weg zu deren Verwirklichung als noch ungeklärt betrachtete und wenig mehr empfehlen konnte, als sie „mit den nüchternen Mitteln der Vernunft“ zu übernehmen,6 waren andere überzeugt, daß die Lösung der Aufgabe nur dann gelinge, „wenn sie sich den wirklichkeitsnahen soziologischen Ansatz der amerikanischen Social studies zu eigen“ mache.7 Die amerikanische Sozialerziehung habe „hohe praktische Wirksamkeit“; über- steigerte Gemeinschaftserlebnisse seien nicht gefragt, sondern „schlichte Korrektur des Sozialverhaltens, ... Bemühung um gute Zusammenarbeit, Ausgleich (aus wohlverstan- denem eigenen Interesse!), Fairneß und gute Nachbarschaft.8 Auch die deutschen Schüler müßten zu aktiven Trägern und Teilnehmern an der Gesellschaft erzogen wer- den.9

7.1. VORSCHLÄGE DER AMERIKANER

Die amerikanische Armee war es, die eine erste Phase politischer Bildung der deutschen Jugend ermöglichte. Nicht im kognitiven, sondern im emotionalen Bereich spielten sich „good will“ und „Begegnung“ ab; Toleranz und gegenseitiges Verstehen wurden angestrebt.1 Gesprächsrunden, Tanz, Gesang und gemeinsames Arbeiten kenn- zeichneten diese „Vermenschlichungsphase“ der politischen Bildung und leisteten die „notwendige emotionale Grundlegung“ für eine spätere kognitive Betrachtung. Man mußte dabei auch beachten, daß deutsche Kinder und Jugendliche, die im Dritten Reich aufgewachsen waren, an den primär emotionalen Zugang zur Politik gewöhnt waren2 und sich einem anderen Weg vielleicht verschlossen hätten. Im Bereich der schulischen Erziehung gab es zahlreiche Belege dafür, daß, nach- dem in der Anfangsphase mit Vehemenz die Wiedererrichtung der Schulen vorangetrieben worden war, von amerikanischer Seite nun die „geistige Wiederherstellung“ in Angriff genommen werden müsse, obwohl z.T. befürchtet wurde, daß dieses Unterfangen „mindestens eines Menschenalters“ bedürfe. Demokratische Gedankengänge besäßen nun einmal nicht „die trügerische Vereinfachung totalitärer Systeme“ und könnten daher wohl erst nach längerer Zeit verstanden und allgemein akzeptiert werden.3 Gleichwohl

2 Ebda., 4/1949, S. 17: Ferdinand Kopp, Erziehung zum „Mitmenschen“; Fendt, S. 8 f. 3 Ebda. 4 BayHStA München. MK 62154. Ausführungen von Senator Reg. Dir. Baumann bei den Beratungen zum Gesetz über die Akademie für politische Bildung im Plenum des Senats am 8.3.1947. 5 Otto Engelmayer: Sozialkunde. In: Die neue Volksschule. Wallenburg-Stiftung Kempfenhausen. München 1950, S. 135. 6 Eduard Schröder: Politik in der Schule? In: Frankfurter Hefte. 4. Jg. 1949, Heft 3, März 1949, S. 202 f. 7 Engelmayer, S. 135. 8 Ebda. 9 Ebda., S. 136.

1 Schörken, S. 188; vgl. dazu S. 81 ff. 2 Ebda., S. 190. 3 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 65 vom 16.8.1946, S. 2. „US-Programm für Jugenderziehung“.

602 unterbreitete die amerikanische Erziehungskommission in ihrem Bericht Vorschläge zur Demokratisierung, nämlich die Aufnahme der „social studies“ in die Lehrpläne aller Schularten, was dann bei den höheren Schulen eine Verminderung überholter, rein aka- demischer Inhalte zur Folge haben müsse, mit denen deren Curricula überfrachtet seien.4 Die Installierung - im günstigsten Fall Umgestaltung - der sozialwissenschaftlichen Fächer sei vielleicht der Hauptbeitrag zur Entwicklung demokratischen Bürgersinns.5 General Clays Stellungnahme dazu zeigte, daß er diesen Maßnahmen dieselbe Bedeutung zubil- ligte. Demokratischer Bürgersinn solle Hauptziel der Schulerziehung sein; Schulbücher, vor allem in den sozialkundlichen Fächern, sollten „die Entwicklung selbständigen Den- kens und demokratischer Verfahren“ fördern. Für schwierig hielt er allerdings die Er- reichung dieses Zieles; man habe noch wenig ausgerichtet, da die demokratisch einge- stellten Professoren, Lehrer und Lehrbücher fehlten.6 Im Jahr 1947 gab es dann eine Reihe amerikanischer Richtlinien über die social stu- dies an den Schulen, mit denen sich das bayerische Kultusministerium auseinandersetzen mußte. Das sog. OMGUS-Telegramm vom 10. Januar 19477 forderte, daß in allen Schu- len „Gewicht auf soziale Studien“ gelegt werden müsse, ohne die die Erreichung demo- kratischer Gesinnung nicht gelinge.8 Major Taylor von OMGUS Berlin erläuterte im Febru- ar dem bayerischen Kultusminister und Mitgliedern des Ministeriums die Grundlinien der Bil- dungspolitik der amerikanischen Militärregierung9 und verhehlte dabei nicht, daß die Lehrpläne an deutschen Schulen „zweifellos der Jugend einen reichen Schatz an Kennt- nissen übermittelt“ hätten, daß aber „die staatsbürgerlich-soziale Erziehung, ohne die eine Demokratie... nicht bestehen kann,“ immer ein Stiefkind gewesen sei. Darum lege die Militärregierung größten Wert darauf, „daß nicht nur die Sozialwissenschaften end- lich die ihnen gebührende Stellung im Lehrplan erhalten, sondern daß den Schülern auch überall Gelegenheit zu einer demokratischen Betätigung in verantwortlicher Selbstregie- rung und im täglichen Arbeitsunterricht gegeben wird“. 10 Im März 1947 gab die Militärregierung Richtlinien heraus, in welchen sie unter den „Basic Principles“ forderte: „The program and the contents of the curricula of all schools and educational institutions are to be so constituted so as to instil in the pupils the deep sense of civic responsibility and understanding and sympathetic appreciation of the life and cultures of other peoples, and to develop a true evaluation of the contribution of Germany to civilization.“11 Die Alliierte Kontrollratsdirektive Nr. 54, bekanntgegeben am 25. Juni desselben Jahres, zeigte noch einmal die amerikanischen Leitsätze zur Demokratisierung der Erzie- hung auf: „All schools should lay emphasis upon education for civic responsibility and a democratic way of life, by means of the content of the curriculum, textbooks and materi- als of instruction, and by the organization of the school itself.“12

4 Erziehung in Deutschland, S. 25 ff; Bungenstab, S. 89; Benz, S. 188 f; Huelsz, S. 115. 5 BayHStA München. MK 53201. Entwurf des Amtes der Militärregierung für Deutschland (U.S.). Amt des Militärgouverneurs. APO 742. Stellungnahme zum Bericht der U.S. Erziehungskommission für Deutschland (gez. Lucius D. Clay) an Generalmajor O.P. Echols, Abtlg. für Zivilangelegenheiten, Kriegsministerium, Was- hington D.C., S. 3 ff. 6 Ebda. 7 siehe S. 244. 8 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Abschrift der Übersetzung des Telegramms von OMGUS Berlin an OMG für Groß-Hessen, Bayern, Württemberg-Baden, Bremen-Enclave. 9 siehe S. 244 f. 10 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Ansprache von Major Dr. John W. Taylor, gehalten in München. 19.2.1947. 11 Bungenstab, S. 183. Military Gouvernment Requirements of German School Authorities. Long-Term School Reform Programs: Military Government Regulations, Title 8, Part 2. [March 14, 1947]. „Basic Principles of Organization.“ 8-300. 12 Ebda., S. 184. „Basic Principles for Democratization of Education in Germany: Control Council Directive No. 54, June 25, 1947.

603 Auch aus dem Jahr 1948 gibt es Zeugnisse dafür, daß staatsbürgerliche Erziehung den Amerikanern außerordentlich am Herzen lag. Während der Tagung der Erziehungs- abteilung der Militärregierung für Bayern im August in Berchtesgaden führte einer der Vortragenden aus, daß deutsche Lehrer zwar gute Arbeit leisteten bei der Unterrichtung akademischer Fächer wie Latein oder Mathematik, aber die Geschichte habe gezeigt, „daß sie völlig versagen, wenn es darum geht, die Jugendlichen zu lehren, wie man falsche Propaganda erkennt, wie man fähige Führer auswählt, wie man an der Regie- rung mitarbeitet - kurz: deutsche Lehrer haben einige große Geister ausgebildet, aber nicht genug gute Staatsbürger“.13 Zur Überwindung dieses Mangels forderten die Ame- rikaner, daß staatsbürgerlicher Verantwortung und demokratischem Lebensstil mehr Bedeutung in den Schulen beigemessen und „daß dem Studium der Gesellschaft sowie der Entwicklung kooperativer Lebens- und Arbeitsweisen ... mehr Aufmerksamkeit gewid- met“ werde. Eine rein intellektuelle Ausrichtung müsse durch einige Erfahrungen in praktischen Dingen ergänzt werden. Demokratie in den Schulen sei notwendig, „um ein wirklich demokratisches Bayern sicherzustellen“.14 Im April 1949 bekräftigte der damali- ge Chef der Erziehungsabteilung der Militärregierung für Deutschland, Lawrence G. Derthick, in einer Ansprache vor amerikanischen Erziehern in Philadelphia, daß die Erzie- hung an den höheren Schulen rein akademisch und „ohne jede Verbindung mit der Welt der Tatsachen und der Menschen“ sei und daß in allen Schulen ein „auffallender Mangel an staatsbürgerlicher Erziehung herrsche“.15 Die Folgerung der Amerikaner, daß die Schüler möglichst lange gemeinsam eine Schule besuchen sollten, lehnten die bayerischen Schulbehörden - wie bereits dargelegt16 - strikt ab. Der weiteren Folgerung, an den Schulen verstärkt demokratische Verhaltensweisen einzuüben und staatsbürgerliche Erziehung und Unterrichtung durchzuführen, verschloß sich das Kultusministerium nicht.

7.2. „SOZIAL-STAATSBÜRGERLICHE BILDUNG“ ALS UNTERRICHTSPRINZIP1

In seinem Zwischenbericht über die geplante Schulreform in Bayern fand das Ziel der „durchgreifende(n) Demokratisierung unseres Erziehungswesens“ die uneinge- schränkte Zustimmung des bayerischen Kultusministers. Sozial-staatsbürgerliche Erzie- hung müsse beherrschendes Erziehungsprinzip vom Kindergarten bis zur Hochschule, sozial-staatsbürgerliche Bildung verpflichtendes Unterrichtsprinzip für alle Schulen sein.2 Sozialbildende Fächer sollten besonders gepflegt werden. Selbsttätigkeit der Schüler und das Arbeitsschulprinzip seien als unterrichtliche Methoden vorgesehen, und die Lehrerschaft würde durch Kurse und Arbeitsgemeinschaften mit den neuen Anforderun- gen vertraut gemacht.3

13 Rossmeissl, S. 216 f. Büro der Militärregierung für Bayern. US Army. 23.9.1948. „Das bayerische Erziehungs- system - wie wir es uns wünschen“. 14 Ebda., S. 217. 15 Schule und Gegenwart, 4/1949, S. 44. „Die Bedeutung der Erneuerung des deutschen Erziehungswesens für die amerikanischen Schulen“. 16 siehe S. 245, 253, 282.

1 LKAN. LKR VI 1100 (3064). Schreiben Nr. B 61327 des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 7.3.1947 an die Militärregierung. Betreif: Schulreform. (Az. A. 10a/1). Zwischenbericht über die all- gemeinen Aufgaben und Ziele der Unterrichtsreform. 2 Ebda. 3 Ebda.

604 Die Bereitwilligkeit, mit der Hundhammer den amerikanischen Vorstellungen zustimmte, rührte einerseits von der eigenen Einsicht in die Notwendigkeit demokrati- schen Neubeginns her, resultierte aber sicher auch aus der wohlkalkulierten Überzeu- gung, daß der Eifer in dieser, für den Kultusminister marginalen Frage die Aufmerksamkeit der amerikanischen Militärbehörde von der äußeren Schulreform auf die innere lenken sollte.4 Die mehr oder weniger verbindlichen Erklärungen konnte er leichter abgeben als den revolutionären Satz: „Die gemeinsame Volksschulzeit dauert für alle Kinder sechs Jahre.“ Ein Entwurf zur bayerischen Verfassung vom Juni 1946, nicht veröffentlicht, nur zur Vorlage bei der Verfassunggebenden Landesversammlung bestimmt, hatte unter Art. 100 (3) noch gefordert: „Staatsbürgerkunde im demokratischen Geist und Arbeits- unterricht sind Lehrgegenstände der Schulen. Jeder Schüler erhält bei Beendigung der Schulpflicht einen Abdruck der Verfassung.“5 Tatsächlich lautete der entsprechende Artikel der Bayerischen Verfassung wesentlich unverbindlicher: „Die Schüler sind im Gei- ste der Demokratie, in der Liebe zur bayerischen Heimat und zum deutschen Volk und im Sinne der Völkerversöhnung zu erziehen.“ Art. 188 legte fest, daß jeder Schüler vor Beendigung der Schulpflicht einen Abdruck der Verfassung erhalten solle.6 Ob „bei“ oder „vor“ Schulentlassung, die Aushändigung der Verfassung schien ziemlich uneffektiv hinsichtlich der Erzeugung demokratischen Bewußtseins gewesen zu sein. Jedenfalls machte ein Brief an Thomas Dehler das deutlich. Der Verfasser meinte, daß man mit demselben Erfolg jedem Schüler eine Rolle Klosettpapier in die Hand drücken könnte, was sogar hinsichtlich des Verwahrungsorts dienlicher sein dürfte. Stattdessen müßte man den Lehrern zur Auflage machen, daß während der letzten sechs Wochen vor der Schulentlassung wöchentlich zwei Stunden zur Besprechung der Verfassung angesetzt werden müßten.7 Auch die Nürnberger Schulverwaltung sah die- ses Problem. Schulrat Barthel berichtete im Schulausschuß, wie bei Schulentlassungsfeiern die Verfassungsurkunde ausgehändigt wurde. Ohne auf ihre Bedeutung hinzuweisen „oder sonstwie der Wichtigkeit dieses Vorgangs Rechnung“ zu tragen, sei alles über die Bühne gegangen. Im Zuge der geplanten Staatsbürgerkunde an den Schulen sollten die Rektoren wissen, was sie zukünftig bei Überreichung der Verfassung zu tun hätten.8 Man tat sich an den Schulen offensichtlich auch schwer mit der Verwirklichung des Unterrichtsprinzips der staatsbürgerlichen Erziehung. Das lag zum einen daran, daß das Verhältnis der Lehrerschaft zur Demokratie nicht nur von freudiger Bejahung getragen wurde.9 Der Ansbacher Oberbürgermeister Körner beanstandete z B., daß die Lehrer der Meinung seien, sie hätten „nach Ableistung ihres Pflichtstundensolls ... ihrer staatsbür- gerlichen Pflicht genügt,“ und daß die Haltung der Schülerinnen und Schüler zeige, und zwar „mit aller Deutlichkeit, ... daß der Unterricht nahezu ausschließlich aufs fachliche zugeschnitten ist und hiebei die staatsbürgerliche Erziehung gewaltig zu kurz kommt“.10

4 vgl. dazu Müller, S.258 f. 5 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1-370. Entwurf einer bayer.Verfassung zur Vorlage an die Verfas- sunggebende Landesversammlung. Nicht zur Veröffentlichung in der Presse und im Rundfunk bestimmt. Als Manuskript gedruckt im Juni 1946. München, Bayer. Staatskanzlei, S. 23. 6 GVBl. Nr. 23/8.12.1946, S. 333-346. 7 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1-91 1. Schreiben des Franz M., Bamberg, am 29.7.1948 an Dr. Thomas Dehler. 8 Stadtarchiv Nürnberg. C7/IX SRP 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schul-Ausschusses am 31.8.1948, S. 5. 9 siehe S. 215. 10 Woller, Zur Demokratiebereitschaft, S. 361. (Bericht vom 28.9.1948).

605 Ein zweiter Faktor war, daß es doch verhältnismäßig lange dauerte, bis das Kultus- ministerium konkrete Weisungen herausgab und die Lehrer unsicher waren in der Umsetzung des vielbeschworenen und -diskutierten neuen Unterrichtsprinzips. Eine Reihe von Veröffentlichungen befaßte sich mit dieser Thematik, und es wurden viele bemerkenswerte, schöne, und sicher auch fruchtbare Überlegungen angestellt: Der soziale Gedanke müsse „im ganzen Klassen- und Schulleben zu durchdringender Wirk- samkeit gelangen. …Soziales Gedankengut ist in jeglichem Unterrichtsfach auszuwer- ten.“11 „Sozialkunde muß … den Unterricht als Leitmotiv durchdringen.“12 „Unsere demokratische Gegenwart ... will das Hineinwachsen der Jugend in die Gesellschaft durch eigenes Tun und Erlebnis.“13 „Es ist selbstverständlich wünschenswert, daß alle Fächer von sozialem Wert sind, und daß ein soziales Unterrichtsprinzip ihnen zugrunde gelegt wird, und man sollte alle Stoffe auf diesen Gesichtspunkt hin prüfen.“14 „Wir brauchen dringend eine vertiefte und betonte Hinführung des jungen Menschen zu seiner Aufgabe, ein Mitmensch zu werden.“15 „... (D)ie ‚social studies’ (haben) nicht nur einen klei- nen Bruchteil des wöchentlichen Stundenplans zu übernehmen, sondern über und in allen Fächern eine bedeutende Rolle zu spielen.“16 Im Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen las man über Sozialkunde als Prinzip, daß sie „durch Gewöhnung und Übung, Einsicht und Erlebnis“ mithelfen wolle, „daß der einzelne als Mitmensch und Mitbürger die Mittel und Spielregeln des Zusam- menlebens beherrscht, sich freiwillig, einsichtsvoll und mitverantwortlich in die sozialen Ordnungen einfügt und die mitmenschlichen Verhältnisse im Sinne der sittlichen Werte durchgestaltet.“17 Und die Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Kultusminister über die Durchführung der politischen Bildung begannen mit den Worten: „Die politische Bil- dung erstrebt ... die Weckung des Willens zum politischen Denken und Handeln. In der Jugend soll das Bewußtsein erwachsen, daß das politische Verhalten einen Teil der gei- stigen und sittlichen Gesamthaltung des Menschen darstellt. In diesem Sinn ist politische Bildung ein Unterrichtsprinzip für alle Fächer und für alle Schularten. Jedes Fach und jede Schulart haben darum nach ihrer Eigenart und Möglichkeit zur politischen Bildung beizutragen.“18 Glücklicherweise beschränkten sich die Vorstellungen über das Unterrichtsprinzip Sozialkunde nicht auf solche allgemeinen Lobpreisungen, zu denen sich auch noch diverse Abhandlungen zur Begrifflichkeit gesellten,19 sondern es wurden den Lehrern ganz konkrete Möglichkeiten aufgezeigt, wie es in den einzelnen Unterrichtsfächern zu ver- wirklichen sei. Sofern ein Lehrer zur damaligen Zeit sich eine der pädagogischen Zeit- schriften leisten20 oder sie zumindest lesen konnte, hatte er die Möglichkeit zu erfahren,

11 BayHStA München. MK 53205. „Die Beratungen über die bayer. Schulreform auf Schloß Wallenburg. Schluß- bericht.“ (o.D.). 12 AdsD Bonn. LV Bayern I/207. Dr. Siegfried Ziegler am 14.3.1950 an Waldemar von Knoeringen. Sozialdemokratische Forderungen zur Schulreform unter besonderer Berücksichtigung der Verhältinisse in Bayern, S. 9. 13 Schule und Gegenwart 5/1949, S. 18. „Soll Erziehung politisch sein?“ (Hans Weinberger, München). 14 Ebda., 4/1949, S. 1. „Die Bedeutung der Sozialkunde in der Erziehung.“ (Prof. Fremont P. Wirth). 15 Ebda., S. 2. „Die Sozialkunde in der Schule.“ (Dr. Anton Wittmann, München). 16 Ebda., 1/1951, S. 44. „Warum denn überhaupt ‚social studies‘?“ (B. Seidler, Schülervertreter der Höheren Schulen im Kreisjugendring München). 17 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. Nr. 14 vom 28.8.1950, S. 241. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 22.8.50 Nr. IV 57477. 18 Ebda., Nr. 22 vom 4.10.1951, S. 321. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 17.9.1951 Nr. VIII 47994. 19 Schule und Gegenwart 8/1950, S. 33f. „Sozialkunde als Unterrichtsprinzip“ (Dr. 0. Engelmayer, Bayreuth); ebda., 4/1949, S. 1; ebda., 1/1951, S.1; J. Sellmair: Moderne Bildungsfragen, München 1950, S. 8 f; Amts- blatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Nr. 14 vom 28.8.1950. Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen („Sozialkunde ist keine Staatsbürgerkunde...“). 20 siehe S. 212 f.

606 wie das Unterrichtsprinzip in Geschichte, Deutsch, Geographie und anderen Fächern berücksichtigt werden sollte. Engelmayer verwies auf das Beispiel des absoluten Fürsten- staates, Geschichtsstoff im siebten Schuljahr, an welchem man zeigen könne, wie aus dem Protest heraus der Untertan zum Bürger wurde; oder wie mit Beginn des Industrie- zeitalters soziale und wirtschaftliche Probleme entstanden.21 Für die „(s)ozialkundlich betriebene Erdkunde“ schlug er vor, „die so fragwürdige deutsch-französische ‚Erb- feindschaft’ von der Geographie her unter die Lupe zu nehmen, oder das Skandina- vienthema etwa unter der Frage: Warum zögern die nordischen Staaten, dem Atlan- tikpakt beizutreten?“ Letztere Frage zu klären verlange nach gründlicher „Unterbauung durch geographische Lagebeziehungen, durch geophysikalische, wirtschaftsgeographi- sche, militärgeographische, … völkerkundliche und geschichtliche Erkenntnisse.“22 Soziale Erziehung im Deutschunterricht konnte nach Ansicht eines Autors in einem Klassengespräch verwirklicht werden, das, auch von zufälligen Erlebnissen ausge- hend, den flexiblen Lehrer erfordere, der den „fruchtbaren Augenblick“ erkenne und nütze.23 Auch Berichte über selbständig durchgeführte Besuche bei einem Handwerker oder in einem Amt seien geeignet, den sozialen Gesichtskreis der Schüler zu erweitern und in die Lebens- und Arbeitswelt einzuführen. Die Erkundung in einer Buchdruckerei z.B. führe dann wieder zur Arbeit an der Sprache, zu Wortschatzübungen, die mit dem Buch zusammenhingen, und zum Aufsatz „Mein liebstes Buch“.24 Der Verfasser ver- sprach sich von einem derartigen Deutschunterricht „Lebensnähe und sinnfällige Zweckmäßigkeit“ und forderte die Lehrer auf, auch in den Unterklassen nicht ängstlich an den wichtigen Fragen des Tages vorbeizugehen, da die Zeitumstände auch die kleine- ren Schüler nicht von der Not verschont hätten und sie außerhalb der Schule manches aufschnappten, was sie beschäftige. Währungsreform, Lastenausgleich, Flüchtlingsnot, Bodenreform seien konkrete Tatbestände für alle Altersstufen.25 Ebenso wie dieser Autor betonte ein anderer die Bedeutung von Diskussionsübungen im Deutschunterricht, die vor allem „dem gemeinsamen Bemühen um Klärung der Standpunkte, um Lösungen und der Zuwendung im gegenseitigen Verstehen“ dienen sollten. 26 Die richtige Auswahl eines Lesestücks solle gewährleisten, daß der Schüler „mit allen Seiten der sozialen Wirklichkeit vertraut werden“ könne; sozialkundliche Auf- satzthemen hätten z.B. Berichte über das Versorgungswesen der Gemeinden oder über Ver- kehr und Verkehrsordnung im Blick; sprachgeschichtliche Betrachtungen könnten auf den Niederschlag von sprachlichen Wendungen auf die gesellschaftlichen Schichten ein- gehen, den Wandel im Laufe der Zeit aufzeigen bzw. den Einfluß der Technisierung auf den Wortschatz erkennen lassen; in der Literaturgeschichte könne man den „Zusammen- hang zwischen sozialem Gefüge, wirtschaftlichen Zuständen und geistigen Strömungen sichtbar machen“.27 Einen orginellen Beitrag zur „Sozialkunde im Lehrplan“ lieferte Richard C. Woo- ton von der amerikanischen Militärregierung.28 Er bemerkte, daß es eine Gefahr darstelle, Sozialkunde als grundlegendes Unterrichtsprinzip zu betonen, da dann vielleicht die

21 Schule und Gegenwart 8/1950, S. 36. „Sozialkunde als Unterrichtsprinzip“ (0. Engelmayer). 22 Ebda. 23 Ebda.,4/1949, S. 9 ff. „Möglichkeiten der sozialen Erziehung im Deutschunterricht“ (Dr. S. Häfner). 24 Ebda., S. 10. 25 Ebda., S. 10 f. 26 Ebda., 2/1950, S. 2. „Sozialkunde als Prinzip im Deutsch- und Geschichtsunterricht“ (Dr. Albert Riemann, Nürnberg). 27 Ebda., S. 2 f. 28 Ebda., 4/1949, S. 6-9. „Die Sozialkunde im Lehrplan“ (Nach einem Vortrag von Richard C. Wooton).

607 Bereitschaft fehle, sie als selbständiges Fach zu installieren. Seine Erfahrungen, die er bisher in Deutschland gemacht habe, hätten seine Befürchtungen bestätigt. Die Lehrer seien bereit, „die Wichtigkeit der Sozialkunde bis zu dem Punkt anzuerkennen, an dem es an die Beschneidung der eigenen Fächer zugunsten der Sozialstudien“ gehe. Dann nämlich würden sie deren Bedeutung einschränken und sagen: „Alle Lehrer und alle Fächer müssen der sozialen Erziehung dienen.“ Aber jedermanns Pflicht sei niemandes Pflicht!29 Wooton versagte sich die Anmaßung vorzuschlagen, „was aus den Stundenta- feln der verschiedenen bayerischen Schulen ausgeschieden werden kann,“ aber er regte an, jeden Lehrstoff dahingehend zu prüfen, ob er noch Wert und Bedeutung für die Jugend habe.30 Dann machte er Vorschläge zum Deutschunterricht: Er solle so beschaf- fen sein, daß die Behandlung gesellschaftlicher Probleme verbunden würde mit Übun- gen zur deutschen Sprache. So könne sich eine Schulklasse im deutschen Ausdruck üben, wenn sie die Probleme des Lastenausgleichs bespreche. Für den Literaturunter- richt schlug er vor, neben den Meisterwerken deutscher Dichtung zeitgenössische Werke auszuwählen, die sich mit den Problemen von heute beschäftigten; denn schließ- lich müsse ein Schriftsteller nicht unbedingt tot sein, um bedeutend zu sein31 (sic!). Aus- drücklich betonte Wooton auch, daß das Studium bestimmter Probleme nicht so wichtig sei wie das Studium von Problemen an sich. Als Erklärung führte er an, daß Schüler im Herbst 1948 die Auswirkungen der Währungsreform auf ihr tägliches Leben diskutieren konnten, daß jedoch ein Jahr später kein Anlaß mehr bestehe, dieses Problem aufzugrei- fen. Sozialstudien müßten also beweglich sein, und daher könne man in den Lehrplänen nur Gebiete umreißen, die zu behandeln seien. Er könne sich die Betrachtung der Woh- nungsfrage als sehr fruchtbar vorstellen, die z. B. in Vohenstrauß sicher anders behan- delt würde als in München und die im Augenblick auch bestimmte Aspekte der Flücht- lingsfrage beinhalten würde; Aspekte, die im Laufe der Jahre hoffentlich ihre Bedeutung verlören.32 Wooton betonte abschließend, daß dieser Unterricht Beweglichkeit „und vor allem Zwanglosigkeit in den Methoden der Lehrer“ erfordere und daß Sozialstudien nicht in erster Linie dem Erlernen von Tatsachen dienten, sondern ihren Hauptzweck in der „Entwicklung vernünftiger Haltungen oder Überzeugungen“ sähen, „die aus der nächsten Generation bessere Bürger, klügere Wähler, unabhängigere Denker und vor allem bessere Christen“ machen sollten, als es die heutigen Erwachsenen seien.33 Im damaligen Bayern war die Erwähnung der letzteren Eigenschaft als Hauptziel sicher angebracht. Wooton machte in seinem Vortrag auch deutlich, daß in der Schule nicht die jugendgemäße Gemeinschaft gelebt werden solle, wie das z.B. in der Ju- gendbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts gefordert worden war. Diese hochro- mantische „Erlebnisgemeinschaft“34 war ja ganz und gar unpolitisch gewesen, zwar dem deutschen Gemüt entsprechend, aber keinesfalls hilfreich für die gegenwärtigen Forderungen. Wenn auch zum Zeitpunkt des Wootonschen Vortrags außer für die Berufsschulen noch für keine andere Schulart Stoffpläne für das Fach Sozialkunde vom Kultusministeri- um herausgegeben worden waren,35 so wurde doch wenigstens das „schulische Tun“,

29 Ebda., S. 6. 30 Ebda., S. 7. 31 Ebda. 32 Ebda. S. 7 f. 33 Ebda., S. 8 f. 34 Ebda., 8/1950, S. 34. „Sozialkunde als Unterrichtsprinzip“ (0. Engelmayer). 35 Berufsschule: Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. (Sonderdruck) vom 19.5.1948 Nr. III 18255. Mittelschule: Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 24.7.1950 Nr. XI 50984 über den Lehrplan für Mittel- schulen.

608 das verstärkte Aufgreifen des sozialkundlichen Untenichtsprinzips gefordert, was vor allem in den Volksschulen deshalb leichter durchgeführt werden könne, als hier kein Fachleh- rersystem bestehe und daher dieses Tun nicht von einem Unterrichtsfach zum anderen geschoben werden könne.36 Außerhalb der Schule gab es Angebote, die wahrzunehmen das Kultusmini- sterium dringend empfahl. Beispielsweise stellte sich der Bayerische Jugendring im März 1949 die Aufgabe, „im Rahmen seiner Jugendarbeit die gemeindepolitische Erziehung der Jugend zu fördern“. Es sollte Veranstaltungen geben, „die das Interesse der Jugend am Aufbau und an den Aufgaben der Gemeinde wecken und der gesamten Jugend einen Einblick in die Arbeit der Gemeinden vermitteln sollen. ... Landräte, Oberbürgermeister und Bürgermeister sowie alle haupt- oder ehrenamtlich in den Kreis- und Gemeinde- verwaltungen tätigen Personen wurden durch einen Aufruf des ... Staatsministers des Innern ... aufgefordert, diese Arbeit der Kreisjugendringe zu unterstützen und sich per- sönlich dafür zur Verfügung zu stellen.“ Die Veranstaltungen wurden als eine wertvolle Ergänzung für die „auch den Schulen obliegende staatsbürgerliche Erziehung“ betrach- tet und „Anstaltsvorstände, Schulräte, Schulleiter und Lehrer ersucht, sich an dieser Arbeit ... zu beteiligen, innerhalb der Schule auf die entsprechenden Veranstaltungen hinzuweisen und ... mit einzelnen Klassen daran teilzunehmen“.37

7.3. UNTERRICHTSMETHODEN

7.3.1.Das Gespräch

Die Berücksichtigung der Sozialkunde als Unterrichtsprinzip wurde von keiner Seite in Frage gestellt. Man war sich einig, daß es einen wichtigen Faktor auf dem Weg zur Demokratie darstellte. Als eine der wertvollsten Methoden zur Erreichung des Zieles betrachtete man das Gespräch, die „freie Aussprache“, die Diskussion. Der Glaube an die Wirksamkeit des Gesprächs ging so weit, daß gesagt wurde: „Wenn die Deutschen den geistigen Rang zum echten Gespräch haben, werden ihnen die demokratischen Lebensformen als reife Früchte in den Schoß fallen.“1 Das Unterrichtsgespräch wurde als „Kennzeichen der neuen demokratischen Schule“ betrachtet,2 es sollte der Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens werden. Die Schüler müßten vorsichtig in dieser Richtung geschult werden, Mut zur Vertretung einer eigenen Meinung, ja, einer abweichenden Auffassung entwickeln.3 Und da dem Lehrer die Aufgabe zufalle, diese Einheit aus „Freiheit und Selbstge- bundenheit“ zu lenken, sei er „letzten Endes der Träger der neuen (demokratischen)

Volksschule: Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 22.8.1950 Nr. IV 57477 über den Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen. Frauenfachschule und Seminare für Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen: Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus Nr. 11/1950. Höhere Lehranstalten und Lehrerbildungsanstalten: Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 17.9.1951 Nr. VIII 47994 über politische Bildung (Sozialkunde) an den höheren Lehranstalten. 36 Schule und Gegenwart, 4/1949, S. 4. „Die Sozialkunde in der Schule.“(Dr. A. Wittmann, München). 37 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 5 vom 22. 3. 1949, S. 42. E.d.Staatsmin.f.Unt.u.Kult.vom 5.3. 1949 Nr. II 14978.

1 Adolf Schwarzlose: Das Unterrichtsgespräch. Oldenburg i. H. 1949, S. 17 f. 2 Walter Reichert: Das Unterrichtsgespräch. Oldenburg i. H. 1949, S. 42. 3 Georg Bögl: Das Unterrichtsgespräch. Oldenburg i.H. 1949, S. 19 und 29 f

609 Schule“.4 Zugegebenermaßen sei es schwierig, aus „ungezügeltem Durcheinander ... allmählich zu einem geordneten Wechselgespräch zu führen“, und die deutschen Lehrer hätten den Hang, sich häufig in die „bequemere Vorgesetztenstellung zurückzuziehen“, aber durch das Klassengespräch würden die Schüler untereinander in Beziehung gesetzt, und das Gemeinschaftsbewußtsein wachse.5 Zur Bewältigung dieser mühsamen Arbeit wurde dem Lehrer Material an die Hand gegeben, etwa in Form einer Broschüre von LeRoy Bowman, dem „Leiter für staatliche Planung für Diskussion in den USA“, der in seiner Abhandlung „How to lead a discussion“ versuchte, die Abneigung der Deutschen gegen diese Art der Unterrichtsführung zu überwinden.6 Er betonte, daß „das Wiederaufleben der Diskussion in Deutschland seit Kriegsende nicht etwa eine neumodische amerikanische Masche“ sei. Vielmehr handle es sich um die Fortführung einer großen abendländischen Tradition mit dem Ziel, das Volk mündig, reif und frei zu machen.7 Es fiel Lehrern und Schülern in Bayern aber anscheinend schwer, diese Tradition wiederzubeleben. Wenn die amerikanische Erziehungskommission in ihrem Bericht noch von der „vom Lehrer beherrschte(n) Klasse“ sprach,8 und gleichsam als Entschuldigung die am 1. September 1946 angeführte durchschnittliche Schülerzahl von 83 in den bayerischen Volksschulklassen angab,9 so konnte das Grund genug sein für undemokra- tische Unterrichtsmethoden. Aber es schien insgesamt mehr erwartet worden zu sein, als tatsächlich fruchtbar gemacht werden konnte. Beispielsweise gab es bereits im September 1946 die Entschließung von Kultusmi- nister Fendt an die Direktorate der höheren Lehranstalten und Lehrerbildungsanstalten, in den Oberklassen „politische Debattierclubs zu bilden, die den Namen Collegium Politi- kum tragen“ sollten.10 Die Beteiligung war freiwillig, die Anstaltsleiter sollten die Schüler der beiden obersten Klassen aber mündlich zur Teilnahme auffordern und über Sinn und Zweck belehren. Als erstes Thema wurde vorgeschlagen: „Warum brauchen wir über- haupt Parteien?“11 Es folgte dann ein Vorschlag, wie vorzugehen sei: „1. Wahl eines Präsidenten, 2. Besprechung des Themas, 3. Bestimmung eines Berichterstatters für einen Bericht über das Thema von höchstens 20 Minuten. Der Bericht muß unbedingt mit programmatischen Thesen abschließen, die dann zur Debatte gestellt werden. 4. Einführung in die politischen Debattierformen, Wortmeldung, Antragstellung, Geschäftsordnungsdebatte, Schlußwort...“ Falls erforderlich, durften die ersten Sitzun- gen unter Leitung eines von den Schülern gewählten Lehrers stattfinden, angestrebt war jedoch ein möglichst bald selbständig arbeitendes Collegium. Lehrer und Schüler, die nicht zum Debattierklub gehörten, durften als Gäste anwesend sein, „dabei aber auf keinen Fall das Wort ergreifen“. Der Minister erwartete bereits bis 10. November Bericht über die unternommenen Schritte.12

4 Reichert, S. 42. 5 Schule und Gegenwart 4/1949, S. 11 f. „Möglichkeiten der sozialen Erziehung im Deutschunterricht“ (Dr. S. Häfner). 6 Ebda., 1/1950, S. 32; Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 5 vom 22. 3. 1949, S. 46. „Buchhinweise“. 7 Ebda. 8 Erziehung in Deutschland, S. 31. 9 Ebda., S.15. 10 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 13 vom 23.10.1946, S. 177 f. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 14.9.46 Nr. B 74476. 11 Ebda. 12 Ebda.

610 Nicht jede Schule konnte positiv antworten. Die Oberschule für Mädchen in Fürth meldete, man habe die Ministerialentschließung am Schwarzen Brett ausgehängt und die Schülerinnen der beiden obersten Klassen zur Beteiligung am politischen Debattier- klub aufgefordert. Auch sei über Sinn und Zweck der Einrichtung belehrt worden. Insge- samt drei Schülerinnen hätten sich zur Teilnahme bereiterklärt, von denen eine am näch- sten Tag ihre Meldung wieder rückgängig gemacht habe. Es sei daher kein politischer Debattierklub an dieser Schule zustandegekommen.13 Die amerikanische Militärregierung für Bayern erteilte natürlich die Genehmigung für diese „Debating Clubs“ und meinte, sie „können ein wertvoller Beitrag zur demokrati- schen Jugenderziehung“ sein.14 Anfang Dezember 1946 erreichte die Mitglieder der Collegia Politica ein Schrei- ben des Kultusministers mit der Anrede „Meine Lieben!“15 Darin gab Fendt Erklärungen, wie „wirklich lebensvolle CP.“ einzurichten seien. Er bezeichnete sie als neue „Selbster- ziehungsform“, bei welcher entscheidende Dinge zu berücksichtigen seien. Die Ver- pflichtung zur Teilnahme während eines ganzen Schuljahres sei notwendig, um in demokratischer Weise gebunden zu sein und zu wissen, daß auch bei Unstimmigkeiten die Notwendigkeit, zur Einigkeit zu gelangen und immer wieder Brücken zu bauen‚ein- gesehen würde. Der „Thesenzwang“ diene der Selbstzucht; schriftliche Protokolle seien zu führen, die dann, wenn man fürchte, die freie Meinungsäußerung könne Schaden ver- ursachen, anonym bleiben dürften.16 Fendt stellte auch zur Diskussion, ob man statt Collegium politicum vielleicht lieber „socialpoliticum“ sagen solle, ein Begriff, der trotz seiner einengenden Bedeutung besser in die aktuelle Zeit passen würde. Wenn er die CP als Möglichkeit sah, daß junge Menschen unter sich sein sollten, so grenzte er ganz klar zur Hitlerjugend ab, die mit subtilen Mitteln versucht hatte, dieses Bedürfnis der Jugendli- chen für sich zu nutzen.17 Fendt war voller Optimismus, daß seine Anregung erfolgreich sein würde, daß die CP die Jugendlichen befähigen könnten, „später auf dem Parkett der Demokratie“ deren Spielregeln zu beherrschen, daß sie, noch im Bereich der Schule, den Boden für eine Schülerzeitung bereiten könnten. Das Ziel solle „Selbsterziehung durch Gemeinschaftsarbeit“ sein. Keine Schule des Wissens, sondern der Weisheit sei das Anliegen der CP.18 Die Idee dieser Debattierclubs wurde von mancher Seite gerne ins Gespräch gebracht, wenn von der Notwendigkeit der Sozialerziehung die Rede war. Man betrachtete sie als Möglichkeit, ohne gesellschaftliche Sanktionen demokratische Spielregeln zu erproben und forderte deshalb, daß es „keine Schule ohne einen Diskussi- onsklub“19 geben dürfe. Die Zeitungen berichteten über die Collegia politica, z. B. die Fränkische Landeszeitung unter dem Titel: „Rege Jugend“.20 Die anfängliche Begeiste- rung der Schüler schien jedoch rasch abzuflauen;21 schon 1950 berichtete die Neue Zeitung über „Eingeschlafene Debattierclubs“. 22

13 Stadtarchiv Fürth. Akten des Stadtmagistrats Fürth Nr. 2/925. Betreff: Höhere Schulen. Allgemeines. Bericht des Direktorats der Oberschule für Mädchen, Fürth, und Bericht Nr. 1254/III/46 von Stadtschulrat A. Schorer am 18.11.1946 an das Kultusministerium. 14 BayHStA München. MK 53201. Schreiben des Office of Military Government for Bavaria APO17O. Rob. A. Reese Lt. Col. AC Chief, Internal Affairs&Comm. Division, am 24.10.1946 an Ministerpräsident von Bayern. 15 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 15/6.12.1946, S. 193 ff. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 14.11.46 Nr. B 74476 über politische Debattierklubs. 16 Ebda. 17 Ebda. 18 Ebda.; vgl. dazu: Müller, S. 261. 19 Schule und Gegenwart, 4/1950, S. 17 f. „Gedanken zur staatsbürgerlichen Erziehung“ (Dr. Heinz Beck, MdL - SPD). 20 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 66 vom 7.12.1946, S. 4. 21 vgl. dazu: Müller, S. 261 f. 22 Ebda,. S. 262.

611 Einige damalige Schüler, heute nach ihren Erfahrungen befragt, haben unter- schiedliche Erinnerungen. Abiturienten (1954) des humanistischen Gymnasiums Ansbach konnten sich an keine derartige Einrichtung erinnern, bzw. sagten definitiv, das habe es nicht gegeben. Einer gab zur Erklärung an: „Wir waren die ‚Elite‘, da wurde nicht diskutiert.“ Es habe nur ganz vereinzelt Lehrer an der Schule gegeben, die zu ihren Schülern ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hatten, so daß sich vorsichtig Gespräche entwickelt hätten. Ein anderer bedauerte das völlige Fehlen politischer Diskussionen, denn nie habe er so häufig so interessante Parlamentsdebatten am Radio gehört wie gerade in der Zeit. Aber diese Geschehnisse hätten keinen Eingang in die Schule gefun- den.23 Eine Absolventin der Lehrerbildungsanstalt für Mädchen, Ingolstadt, hatte während ihrer gesamten dreijährigen Ausbildungszeit (1948-1951) keine wie auch immer geartete politische Diskussion. lm Gegenteil, es wurde mehr gepaukt als auf ihrer vorherigen Oberrealschule für Mädchen in Fürth.24 Einem Abiturienten des Jahrgangs 1953 der städtischen Oberrealschule Starnberg waren die damaligen Veranstaltungen durchaus noch präsent, allerdings etwas abweichend vom Fendtschen Erlaß. Es handelte sich eher um Einzelereignisse, nicht öfter als maximal alle drei Monate durchgeführt, die ziemlich unorganisch für die drei Oberklassen außerhalb des normalen Unterrichts auf- gepfropft wurden. Diskussionsrunden wurden sie genannt, die Themen waren vorgegeben - erstaunlicherweise stand einmal das Fernsehen im Mittelpunkt, zu einer Zeit, da noch kaum jemand ein Gerät besaß. Weitere Themen waren: Unsere Schülerzeitung; Ohrfei- gen an der Oberschule?; Autorität in der Schule; Ersetzt nicht heute das Kino das Theater?; Ist es möglich, daß ein Lehrer während der Schulaufgabe die Klasse verläßt, ohne daß abgeschrieben wird?; Warum diskutieren wir? Einführung einer Pausenordnung der Schülermitverwaltung.25 Auch ein Referat einer Lehrerin über ihre Amerika-Reise war ein Tagesordnungspunkt. Für die Schüler bestand die Pflicht, diese Diskussionen zu besu- chen, und auch Lehrer - einer oder zwei - waren immer zugegen. Die Schüler empfan- den diese Veranstaltungen eher als Belästigung, entdeckten die lächerliche Seite oder sabotierten die Bemühungen einfach dadurch, daß sie nichts zum Thema beitrugen, zumal sie den Eindruck hatten, daß auch die Lehrer nicht so glücklich über diese Ver- pflichtung waren. Eine Umfrage, die in der Schülerzeitung der Schule veröffentlicht wurde, sammelte das Für und Wider dieser Diskussionen. 33 Schüler der Klassen 6 bis 8 wurden befragt, und immerhin fast zwei Drittel waren dafür; fast ein Drittel war dage- gen; der Rest hatte keine Meinung. Einige meinten, die Themen seien blöd, andere, es komme nichts dabei heraus. Schüler der Abschlußklasse sahen sie als Zeitvergeudung im Abiturjahr, aber es gab auch einige, die die vorgesehene eine Unterrichtsstunde als zu kurz für die Diskussion betrachteten.26 Die Erfahrungen, die der Befragte als Diskussions- leiter machte, waren ziemlich niederschmetternd; er konnte sich erinnern, auf die Mit- schüler nicht sehr begeisternd gewirkt zu haben.27 Man tat sich schwer mit der praktischen Handhabung der allenthalben ge- forderten und z. T. bejubelten Demokratisierung in und durch die Schule. Verschiedene Gründe wurden dafür genannt: Schulrat Fingerle meinte - im Jahr 1946 - , daß die „Gestaltung der zukünftigen deutschen Gesellschaftsordnung, ... noch fraglich“ und

23 Gespräche mit Udo Freiherr v. Hunoltstein, Feldafing, Herrn Horst Bischoff, Ansbach, Herrn Dr. Alfred Otto, Lichtenau. 24 Gespräch mit Frau Ingrid Dehm, Ansbach. 25 „Die Meinung“. Schülerzeitschrift der Oberrealschule Starnberg. 2. Jg. Nr. 8 Juli 1952. 26 Ebda., 1. Jg., Nr. 2/Mai 1951. 27 Gespräch mit Herrn Dr. Rupert Hacker, München.

612 die „Lebensform der Demokratie bei uns nicht eigentlich heimisch“ sei. Dazu komme, daß Demokratie zwar die fruchtbarste, „aber auch am schwersten zu handhabende Staatsform“ sei.28 Dann wurden immer wieder die Lehrer genannt, vor allem die älteren, die an einem „Mangel an Umstellungsfähigkeit“ litten. Es sei ja auch viel leichter, mit Befehl und Gehorsam den Unterricht zu bewältigen.29 Auch die damaligen Schüler betrachteten ihre Lehrer kritisch. Sie seien nicht fähig gewesen, sich in einer Diskussion mit ihnen auseinanderzusetzen. Wie hätten sie denn ein Collegium politicum leiten sollen, wenn sie auch in ihrem Unterricht nicht sehr diskussionsfreudig gewesen seien.30 Die Schüler ihrerseits hätten, wo sie denn stattfanden, den tieferen Sinn der Debattierstun- den gar nicht durchschaut und dementsprechend geringes Interesse gezeigt. Im übrigen seien diese Veranstaltungen niemals mit den Amerikanern in Verbindung gebracht wor- den.31 Daß die Debating Clubs wieder in Vergessenheit gerieten, lag möglicherweise auch an der Einstellung der vorgesetzten Behörden. Der kultusministerielle Erlaß war von Fendt (SPD) im November 1946 herausgegeben worden; zwei Monate später gab es Kultusminister Hundhammer (CSU), dem die Diskussionsfähigkeit bayerischer Ober- schüler vielleicht nicht als so wesentlich erschien. Einen Hinweis auf diese eher uner- wünschte Eigenschaft gab es im Amtsblatt der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, wo über den Religionsunterricht an höheren Schulen geschrieben wurde, daß auch in einer „auf- geschlossenen, fragenden Klasse“ die Religionsstunde nicht, „dem Zuge der Zeit fol- gend,“ eine „Debattierstunde“ werden dürfe.32 Auch auf diesem Gebiet schien man sich - zumindest in einem Teil der Schulen und in bestimmten Unterrichtsfächern - ameri- kanischen Demokratisierungsideen zu widersetzen bzw. sah sich außerstande, den Glücksfall einer „fragenden Klasse“ zu nutzen und deren praktische, in Notzeiten ge- wonnene Lebenserfahrung in einer Diskussion fruchtbar zu machen, in der der Lehrer die notwendige Sachkenntnis beisteuern konnte.

7.3.2.„Arbeitsunterricht“

Mit diesem Begriff wurde mehr oder weniger präzise das umschrieben, was die amerikanische Erziehungskommission 1946 forderte: „Die Schüler müssen die aktiven Träger des Lernvorgangs sein.“1 In den Übergangsrichtlinien für die bayerischen Volks- schulen hieß es ziemlich unverbindlich, daß die Schularbeit „niemals bloßer Dill sein oder die Formen der alten ‚Lernschule’ annehmen“ dürfe.2 Anstelle des „vielfach festzu- stellenden Drang(s) nach neuen Methoden... müssen im Volksschulunterricht vor allem Ruhe und Einfachheit einkehren. Das schließt weder sorgfältig überlegte stoffliche und methodische Vorbereitung, noch ernstes Suchen nach zeitgemäßen Formen des Unter- richts aus.“3 Auch der Schulreformplan vom 15. September 1947 enthielt die Forderung,

28 Fingerle, S. 305. 29 Ebda. 30 Gespräche mit Udo Freiherr v. Hunoltstein, Feldafing, Herrn Horst Bischoff, Ansbach, Herrn Dr. Alfred Otto, Lichtenau. 31 Gespräch mit Herrn Dr. Rupert Hacker, München. 32 LKAN. HB XII 135. Amtsblatt für die Evang.-Luth.Kirche in Bayern. München. Nr. 12 vom 28.6.1948. Betreff: Bescheid auf die Berichte über den Religionsunterricht an den höheren Schulen im Schuljahr 1946/47, S. 50.

1 Erziehung in Deutschland, S. 30. 2 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Übergangsrichtlinien für die bayerischen Volksschulen. E. d. Bayer. St. Min. f. U. u. K. v. 10.10.1945, Nr. IV 25000. 3 Ebda.

613 statt Lernschule die Arbeitsschule anzustreben, weniger Lernstoff zu pauken, da hieraus die Anfälligkeit für propagandistische Einwirkungen resultiert hätte, sondern ein kriti- sches Denk- und Urteilsvermögen auszubilden.4 Der Schulreformplan der SPD vom Juli 1947 schlug „moderne Unterrichtsmetho- den (vor), die besonders auf der Selbständigkeit der Schüler“ basierten, und im Landtag for- derte ihr Abgeordneter Pittroff die „Arbeitsmethode“ als beherrschende Methode in der Schule. Es solle nicht doziert, diktiert und demonstriert werden, diese „3 D-Methode“ mache das Denken überflüssig; „arbeitend soll sich das Kind die Stoffe erwerben“.5 Auch die Abgeordneten der CSU plädierten für das vertrauensvolle Miteinander- arbeiten „in Form der Arbeitsschule“. Es gebe wohl „gewisse Gegenstände, wo der Lehrer dozieren muß, aber das soll nicht die Regel sein. Wir wollen mit den Kindern arbeiten und aus ihnen das herausbringen, was sie selbst erarbeiten.“6 Auch Major Taylor von OMGUS Berlin wies in seinem Vortrag im Kultusministerium im Februar 1947 auf den „täglichen Arbeitsunterricht“ hin.7 „Selbsttätigkeit,... Selbstverarbeiten, Selbstden- ken, Selbstverantworten“ forderte Vogelhuber in seiner Schrift zur Schulreform.8 Die Bayerische Schule propagierte ebenfalls die „Prinzipien der Arbeitsschule: Gemeinsame Festlegung des Arbeitsvorhabens - gemeinsame Planung der Teilarbeiten - Gruppenar- beit - Unterrichtsgespräch…“9 Der Stadtschulrat von Nürnberg machte sich Gedanken, wie durch die äußeren Schulverhältnisse eine Schulreform im Sinne der Arbeitsschule gestützt werden könne, und konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die Ausstattung der Klassenräume mit losem Gestühl. Mit Recht wies er darauf hin, daß die herkömmlichen starren Schulbänke der Selbsttätigkeit und vor allem der Gruppenarbeit der Schüler hinderlich seien. Er bat die Schulverwaltungen verschiedener Städte, ihm ihre Erfahrungen mit losen Tischen und Bänken mitzuteilen. Jede der Antworten wies auf den pädagogischen Wert des beweglichen Mobiliars hin, aber es wurden auch etliche Nachteile genannt: Der Preis sei höher; wegen des fehlenden Linoleumbodens gebe es zu starke Geräusche; es könnten weniger Schülerplätze als bei starren Bänken im Klassenzimmer untergebracht werden; Instandsetzungen seien häufiger erforderlich; Holz sei zu knapp, um die Schulen ent- sprechend einzurichten.10 So mußte man sich wider besseres Wissen den Erfordernissen der Zeit beugen. Material- und die Geldknappheit der Städte und die Notwendigkeit, mög- lichst viele Schüler in einem Raum unterzubringen, ließen pädagogische Erwägungen in den Hintergrund treten. Man glaubte, erst dann bewegliches Mobiliar in den Schulen ver- wenden zu können, wenn „im Zuge der Besserung unserer wirtschaftlichen Verhältnisse die Klaßziffer auf 40 und weniger Schüler gesenkt werden“ könne.11 Den äußeren Widrigkeiten, z. B. den verkürzten Unterrichtszeiten, wurde die unbefriedigende Durchführung des Arbeitsunterrichts, die fehlende Selbsttätigkeit der Schüler angelastet. In ihrem Bericht über den Stand des Volksschulwesens schrieb die Regierung von Oberbayern im Jahr 1948, der Stoff diktiere das Unterrichtsgeschehen, denn die Lücken der Schüler seien groß, die Unterrichtszeit sei knapp, junge und teilwei-

4 Dokumente zur Schulreform, S. 119 f. 5 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 48. Sitzung am 29.1.1948, S. 675. 6 Ebda., 42. Sitzung am 11.12.1947, S.475. 7 LKAN. LKR VI 1100a (3064). 8 Vogelhuber, S. 13. 9 Die Bayerische Schule, 2. Jg., 4/April 1949, S. 138. „Jugend zwischen Hoffnung und Gefahr“. 10 Schule und Gegenwart 5/1949, S. 30 f. „Schulreform und äußere Schulverhältnisse“ (Nach einem Bericht des Stadtschulrats von Nürnberg). 11 Ebda., S. 31.

614 se auch die Flüchtlingslehrkräfte retteten sich ins Dozieren.12 Hoffnungsfroher klang dagegen der Bericht des Bezirksschulamts Neustadt/Aisch an die örtliche Militärre- gierung. Man sei bestrebt, „den Klassenunterricht zu lockern und Gruppen und Einzelne selbständig arbeiten zu lassen. Freie Klassengespräche mit Überwachung des Lehrers verlieren da und dort bei guter Schulung längst den anfänglichen Eindruck des Chaoti- schen“.13 Im Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen wurde besonders im Abschnitt über die Landschulen der Wert der Stillarbeit betont, die „auch als Vor- und Weiterarbeit der kindlichen Selbstbildung“ diene. Der Lehrer solle dabei „mehr und mehr ... die indi- viduelle, gruppenunterrichtliche und arbeitsteilige Form der Stillarbeit“ anwenden.14 Aber auch der Passus, der sich mit Sozialkunde befaßte, wies auf diejenigen Formen des Unterrichts hin, die „sozialerzieherisch“ wirkten: Gruppenarbeit, arbeitsteiliges Verfah- ren, offene Aussprachen, Gemeinschaftsarbeiten...“15 Der Gruppenarbeit im Unterricht wurde in Abhandlungen und Aufsätzen viel Auf- merksamkeit geschenkt, da man vor allem hier die Möglichkeit sah, dem Schüler als aktivem Mitglied einer kleinen Gemeinschaft das Hineinwachsen in ein überschaubares soziales Gefüge zu erleichtern. Die erziehliche Wirkung wurde hoch veranschlagt; außerdem versprach man sich Einsicht in die Notwendigkeit, auch ohne ständige Auf- sicht des Lehrers gewissenhaft zu arbeiten, also die Freiheit recht zu nutzen. 16 Die Umsetzung der Ideale des Arbeitsunterrichts war unterschiedlich. Während eine Absolventin der Lehrerinnenbildungsanstalt Ingolstadt in der Zeit von 1948-51 nie eine Unterrichtsvorführung mit Gruppenarbeit erlebte und in ihrem Praktikumsheft durchgängig den „fragend entwickelnden“ Frontalunterricht beschrieb,17 hatte der Lehrer Hermann Dehm im gleichen Zeitraum sehr wohl Gelegenheit, diese Art des Unterrich- tens zu verfolgen. Sein Seminarleiter Ernst Keitel, Lehrer in Obereichenbach bei Ansbach und später ins Kultusministerium berufen, zeigte Gruppenarbeit, z.B. im Aufsatz- unterricht, auch ohne bewegliches Mobiliar. Vier Schüler arbeiteten dabei zusammen, vom Lehrer in die Gruppe eingeteilt, leistungsstarke und -schwächere, die anschließend ihre Ergebnisse vortrugen. Es wurden auch Hausaufgaben gestellt, die eine Gruppenarbeit vorbereiteten. Natürlich war dieser Unterricht nicht die Regel, aber für die Seminarteil- nehmer war Keitels Arbeit Vorbild, und Dehm versuchte immer, sie in seiner Klasse ebenso durchzuführen.18

7.4. SCHULLEBEN

Mit dem Begriff „Schulleben“ verband man in den ersten Jahren nach dem Krieg nicht nur Wanderungen oder Schullandheimaufenthalte, wenngleich diese als wichtige Beiträge zu einer harmonischen Klassengemeinschaft erachtet wurden, mit der Möglich-

12 BayHStA München. MK 61321. Schreiben der Regierung von Oberbayern am 16.10.1948 an das Staatsmi- nisterium für Unterricht und Kultus. Bericht über den Stand des Volksschulwesens. 13 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4519. Schreiben des Bezirksschulamts Neustadt/Aisch am 5.4.1948 an die Militärregierung Neustadt/Aisch. Betreff: Schulreform. Zum Fragebogen der Militärregierung. 14 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 14 vom 28.8.1950, S. 223. 15 Ebda., S. 241. 16 Schule und Gegenwart, 5/1951, S. 40 f; 6/1951, S. 28 f. „Die sittliche Wirkung der Gruppenarbeit in der Schu- le“ (K. Wacker); Ferdinand Kopp: Möglichkeiten und Grenzen des Gruppenunterrichts. (BayHStA München. MK 53208. Wallenburgstiftung Kempfenhausen). 17 Bericht/Aufzeichnungen von Frau Ingrid Dehm, Ansbach. 18 Gespräch mit Herrn Hermann Dehm, Ansbach.

615 keit sozialer Bildung. Ein „lebensnahe(s) Übungsfeld“ mit dem Ziel der „Sozialsicherheit und Sozialtüchtigkeit“1 stehe hier zur Verfügung, „Verständnis für die Grundregeln des Zusammenarbeitens und Zusammenlebens“ werde angebahnt.2 Mit einem bewußten Schulleben sollten explizit demokratische Spielregeln erlernt werden. Eine Vielzahl von Veröffentlichungen befaßte sich mit den Möglichkeiten der Ver- wirklichung demokratischen Schullebens, nicht zuletzt auch von kultusministerieller Seite. Major Taylor von OMGUS Berlin forderte für die Schüler Gelegenheit zu demokra- tischer „Betätigung in verantwortlicher Selbstregierung“.3 Denselben Begriff verwende- te Franz Huber in seinem Aufsatz über Sozialkunde in der Volksschule.4 Selbstregierung könne aber nicht eingeführt werden, sie müsse allmählich wachsen, z. B. durch das Hel- fer- und Ordnersystem, welches die Schüler an die Führung durch Mitschüler gewöhne.5 Ein Privatmann aus Helmbrechts, Oskar Nahr, widmete der Schülerselbstregierung in sei- nem Vorschlag zur Schulreform, der auch nach Wallenburg-Kempfenhausen weiterge- geben wurde, einen Abschnitt. Die praktische demokratische Tätigkeit, die Nahr besonders in der Verwaltung eigener Angelegenheiten und in der disziplinären Selbsterziehung verwirklicht sehen wollte, sollte Basis sein für das Ziel bürgerlicher und demokratischer Verantwortung.6 Von „Schülerselbstverwaltung“ sprachen andere Beiträge und meinten damit dasselbe, nämlich die Fähigkeit der Schüler, einen angemessenen Teil an der Schulführung zu übernehmen.7 „Schülermitverwaltung“ war der am häufigsten ver- wendete Terminus, der die Formen des Schullebens beschrieb, die sozialerzieherisch wir- ken sollten.8 Immer wieder beschworen wurde auch die notwendige Veränderung im Verhält- nis zwischen Lehrern und Schülern. Eine Atmosphäre des Vertrauens müsse erreicht werden,9 die traditionellen autoritären Beziehungen müßten abgelöst werden durch ein Mit- einander, das auf Freiwilligkeit, Selbstdisziplin, Einsicht und Selbstverantwortung grün- de.10 Die SPD ging sogar so weit zu behaupten, die Jugend habe bisher „im kämpferi- schen Gegensatz zu ihren Lehrern“ gestanden.11

1 Engelmayer, S. 137. 2 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken. Ansbach. 20. Jg. Nr. 3 vom 1.3.1952, S. 29 ff; Ebda., Nr. 7 vom 1.7.1952, S. 92f RE v. 25.6.1952 Nr. 1095 c 18;KMBl. 1952, S.204. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. v. 5.6.1952 Nr. IV 38990. 3 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Ansprache am 19.2.1947 im Kultusministerium, München. 4 Die bayerische Schule, 3. Jg. 1950, S. 71. 5 Ebda. 6 BayHStA München. MK 53206. Schreiben Oskar Nahrs, Helmbrechts, am 6.9.1948 und 30.3.1950 an Kul- tusminister Hundhammer. Betr.: Aufbau von „Schulgemeinden“ (Gemeinschaft der an der Schule Beteilig- ten: Lehrer, Schüler, Erziehungsberechtigte). 7 Schule und Gegenwart, 5/1949, S. 2 ff. „Über Schülerselbstverwaltung in Bayern“ (Max Bogenstätter, Strau- bing); Ebda., S. 6 f. „Schülerselbstverwaltung in Amerika“ (Richard W. Wooton); Fendt, S. 33; Mitteilungen des Bayerischen Lehrervereins. München. Nr. 11/12/13 1947, S. 15; Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 70 vom 2.9.1946, S. 6. 8 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 14 vom 28.8.1950, S. 241; Die Neue Zeitung, 3. Jg. vom 2.5.1947. S. 4; BayHStA München MK 62119. Bericht über Tagung der Deut- schen Gesellschaft für Erziehung und Unterricht mit modernen Lehrmitteln. (Bezirksschulrat Färber, Schro- benhausen, 22.11.1950). Diskussion über den gemeinschaftsbildenden Wert der Gruppenarbeit und der Schülermitverwaltung; Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums f. Unterricht und Kultus. Nr. 8 vom 9.5.1949, S. 69. „Schülersatzung für die höheren Lehranstalten“; Cramer/Strehler, S. 45 f; Ferdinand Kopp: Soziale Bil- dung durch das Schulleben. In: Wallenburg-Stiftung Kempfenhausen. Die neue Volksschule. München 1950, S. 156-171; Scharfenberg, S. 10; Sellmair, S. 12; BayHStA München. MK 53205. Die Beratungen über die bayerische Schulreform auf Schloß Wallenburg. Schlußbericht, S. 12 ff; Schule und Gegenwart Nr. 4/Mai 1949, S. 1. „Die Bedeutung der Sozialkunde in der Erziehung“ (Prof. Fremont P. Wirth). 9 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 42. Sitzung am 11.12.1947, S. 475. 10 LKAN. LKR VI 1100 (3064). Schreiben B 61327 des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 7.3.1947 an die Militärregierung. Betreff: Schulreform. (AZ. A 10a/1); Bungenstab, S. 95. Er zitiert OMGUS Democratization of Education in Germany, Nov. 47, S. 4. 11 Dokumente zur Schulreform, S. 103. Der Schulreformplan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Bearbeitet von Staatssekretär Claus Pittroff, MdL, in Gemeinschaft mit dem schulpolitischen Ausschuß der SPD; erschienen im August 1947.

616 Die befragten Lehrer berichteten vor allem über ihre Bemühungen, die Schüler durch Klassensprecherwahlen mit den Grundsätzen demokratischer Wahlen vertraut zu machen,12 wobei der Lehrer in einem Fall nicht sehr erfolgreich war, da seine Schüler gar keine Notwendigkeit für ein solches Amt sahen.13 Einer der Befragten erinnerte sich schmunzelnd an das Aufstellen eines Fragenkastens, der seiner Klasse dazu dienen sollte, anonym Fragen zu Vorkommnissen im Schulleben zu stellen. Nach einiger Zeit fanden sich ein paar Zettel in dem Kasten, die nur die Frage nach dem Alter des jungen Lehrers ent- hielten.14 Jugendliche, zum Themenkomplex Schüler-Lehrer-Verhältnis befragt, hatten un- terschiedliche Vorstellungen. Während einige die Abschaffung des Lehrerpodiums in den Klassenzimmern für wichtig hielten,15 wohl weil es für sie eine unnötige Demonstra- tion von Lehrermacht darstellte, die mit demokratischer Schule nicht zu vereinbaren war,16 wünschten andere eine Stärkung der Schülerselbstverwaltung, sprachen von Schülerparlamenten und -gerichten.17 Letztere Einrichtungen wurden ebenfalls viel dis- kutiert.18 Dabei konzentrierten sich die Beiträge einmal auf den Aufgabenbereich, den die Schüler selbst in die Hand nehmen konnten. Aufgezählt wurden ziemlich nebensächliche Dinge, wie z.B. Tafelreinigen, Führen der Absentenliste; aber auch Pla- nung von Klassenabenden, Einrichtung eines Lesezimmers, Vorbereitung gemeinsamer Theaterbesuche. Anspruchsvoller wurde vorgeschlagen, Arbeitsgemeinschaften zu organisieren, „die sich in der Hauptsache mit Stoffen beschäftigen, die im Unterricht nicht vorgesehen sind: Bildende Kunst, Musik, Theater, Literatur, theologische Fragen, Staatsbürgerkunde [sic!] …”19 Jugendherbergsaufenthalte sollten vorbereitet, sogar die Verwaltung der Schullandheime zu den Aufgabenbereichen hinzugenommen werden. Vorgeschlagen wurde auch - und hier war die Zusammenarbeit mit der Schulleitung erwähnt -, daß das Schülerparlament bei der Verteilung der Stipendien ein Wort mitre- den könne, denn die Klassenvertreter hätten bessere Einsicht in die Bedürftigkeit und Würdigkeit eines Kameraden als mancher Lehrer.20 Die Mitarbeit an der Schulordnung und deren Überwachung führte dann bereits in Richtung der Schülergerichtsbarkeit, die innerhalb der einzelnen Klassen ausgeübt werden sollte.21 Die Vorschläge wurden vielfach aufgenommen, manchmal ziemlich spektakulär auch außerhalb der Schulen. Diese Veranstaltungen wurden meist von der örtlichen Besatzungsbehörde forciert und dementsprechend veröffentlicht: „ ... 70 Jugendliche ... übernehmen ... am 16. April 1947... einen Tag lang die gesamte Verwaltung des Land- kreises Karlstadt …”22 „24 Stunden lang haben im Landkreis Kronach Jugendliche die Verwaltungsgeschäfte des Kreistags, der Stadträte, des Landrates und der Bürgermeister übernommen, um praktische Staatsbürgerkunde zu lernen. Die Zweckmäßigkeit der

12 Gespräch mit Herrn Hermann Dehm, Ansbach. 13 Gespräch mit Herrn Fritz Thoma, Ansbach. 14 Gespräch mit Herrn Hermann Dehm, Ansbach. 15 Schule und Gegenwart, 2/1949, S. 33. „Was sagst Du dazu?... Die Schule - vom Objekt her gesehen“. 16 An Ansbacher Schulen wurden diese „Stolperstufen“ z.T. erst Ende der 70er Jahre entfernt - weniger, weil man die Befehl-und-Gehorsam-Tradition aufrechterhalten wollte, als vielmehr, weil das Geld zur Renovierung fehlte. 17 Schule und Gegenwart, 2/1949, S. 33. 18 Sellmair, S. 12; Die Neue Zeitung, 3. Jg. Nr. 35/2.5.47, S. 4; Schule und Gegenwart, 5/1949, S. 5; Die Neue Zei- tung, 2. Jg., Nr. 95 vom 29.11.1946, S. 6. 19 Schule und Gegenwart, 5/1949, S. 21. 20 Ebda. 21 Ebda. 22 Die Neue Zeitung, 3. Jg. Nr. 30 vom 14.4.1947, S. 5.

617 Probe-Entscheidungen ... wird geprüft und im Schulunterricht erörtert werden …“23 Weniger aufsehenerregend, aber doch sehr fortschrittlich, las sich die Meldung über die Wirtschaftsoberrealschule in Nürnberg, die besagte, daß aus je drei Vertretern jeder Klasse ein Schülerparlament gebildet werde, „das zur Erörterung wichtiger Fragen von der Schulleitung zugezogen wird“.24 Lehrer berichteten von ihren bescheidenen Anfängen, zuerst einmal die Kinder frei zum Reden zu bringen, um dann in geheimer Abstimmung ein Klassenparlament zu wählen, das über die Diskussionsregeln wachte.25 Viele Lehrer nah- men am Samstagmorgen die Gelegenheit wahr, Ereignisse aus der vergangenen Woche zu besprechen, z. B. Konflikte auf dem Schulhof oder innerhalb der Klasse. „Erziehung zum Frieden“ nannte das der eine Lehrer,26 „freie Äußerung“ der andere.27 In Nürnberg gab es im Juli 1948 die „Fränkische Jugendschau“,28 deren Pro- gramm die Schwerpunkte aufzeigte. Die Nürnberger Jugend selbst habe eine Jugend- ausstellung verlangt, hieß es dort. Sie wollte zeigen, „was die Jugend von heute will und kann, wie sie die Gegenwart sieht, ihre Trümmer, ihre Not, aber auch, wie sie ... aus dem Wesen ursprünglicher Geisteskraft heraus an Wiederaufbau und Wiedererhebung glaubt und danach handelt...“29. Zu den Themen gehörte z. B. der Heimatgedanke in Verbindung mit dem Arbeitsschulgedanken („unsere Stadt im Zustand der Zerstörung und des Aufbaus“). „Wir zwingen die Not“ (Selbsthilfe in der Schule... selbstgefertigte Lehr- und Lernmittel...). „Aus dem Schulleben“ (Schülerselbstverwaltung - eine Schülerversammlung - Gemeinschaftsarbeit - Arbeitsgruppen - Elternabend - Wir ferti- gen eine Schülerzeitung....). Zur „Staatsbürgerkunde“ las man in dem Programm: „Ein denkbar zeitgemäßes Fach ... Themen: Meine Familie, meine Schulklasse... aus dem Staatsleben, aus dem Volkstum...30 Über den Werkunterricht hieß es: „Er hängt mit der Staatsbürgerkunde in vielem zusammen.“ Als Beispiel dafür wurden angeführt: Bastelarbeit für andere Unterrichtsfächer oder Gestaltung einer Unterrichtseinheit (das Dorf, eine mittelalterliche Stadt).31 Die Aufbruchstimmung, die sich aus solchen Projekten ablesen ließ, erfuhr aber auch manchen Dämpfer. Einmal waren das Hemmnisse, die sich in der Schule selbst auftaten - Ferdinand Kopp nannte die zu großen Schülerzahlen und die unmöglichen räumlichen Verhältnisse -,32 zum anderen waren es von außen hereingetragene, die sich nicht so eindeutig definieren ließen, zum großen Teil auch auf Unsicherheit im Umgang mit demokratischen Formen zurückzuführen waren. Manche der wohlge- meinten Versuche von oben, Schülerparlamente zu bilden, um so die Demokratisierung des Schullebens zu demonstrieren, scheiterten, weil die Jugendlichen es ablehnten, Rol- len zu spielen, z. B. Minister oder Parteiredner, während man sie kurze Zeit vorher noch gelehrt hatte, Soldat zu sein.33 Aber auch wenn die Schüler zunächst begeistert mit-

23 Frankfurter Hefte, 4. Jg. Heft 1/Januar 1949, S. 16. 24 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2, 2.6.1947: Erstes Schülerparlament (NN 15.11.1947). 25 Schule und Gegenwart, 5/1949, S. 35 „Schülerparlament in der ungeteilten Landschule“ (Erni Schmidt, Frie- densried). 26 Ebda., 11/1949, S. 6 ff. 27 Ebda., 5/1949, S. 35. 28 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4519. Schreiben des Stadtschulamts Nürnberg, Schul- rat Barthel, am 8.7.1948 an die Regierung in Ansbach. 29 Ebda. 30 Ebda. 31 Ebda. 32 Kopp, S. 169 f. 33 Schule und Gegenwart 4/1949, S. 20. Dr. Martin Faltermeier, München: „Die Stellung der Jugend in den sozialen Bereichen.“

618 machten, so gab es nach kurzer Zeit manche Enttäuschung, da man die demokrati- schen Spielregeln, die z. B. eine Diskussion erforderte, nicht im Hauruck-Verfahren erlernen konnte. Kultusminister Fendt selbst beklagte in seinem „Aufriß eines deut- schen Bildungsplanes“ die „bisher lebensschwache (...) Form der Schülerräte“ .34 Manche Vorhaben scheiterten, da sie keinen Realitätsbezug hatten, wie ein Schüler der Knaben- Oberschule in Ingolstadt bekundete: „Wir wollen doch schließlich nicht nur weltan- schaulichen Schmarrn bereden“.35 Hier wurde deutlich ausgedrückt, was auch von amerikanischer Seite immer als Hemmnis für Demokratie in Deutschland betrachtet wurde: die schwärmerische Überhöhung von Idealen ohne die erforderliche Bodenhaf- tung.36 Die Resonanz, die die Schüler- oder Jugendparlamente in der Öffentlichkeit erfuhren, war ebenfalls nicht immer positiv. Im bayerischen Landtag erwähnte man sie entweder mit dem Bemerken, man habe „schlechte oder jedenfalls nicht die besten Erfahrungen“ mit ihnen gemacht,37 oder man gebrauchte den Terminus zur Umschrei- bung von „Schattenspiel“ und „Scheingefecht“38 und signalisierte damit, daß die Be- mühungen um die Anbahnung eines demokratischen Bewußtseins bei den Jugendli- chen einen vergleichsweise geringen Stellenwert einnahmen. Manche Lehrkraft, die sich der schwierigen Aufgabe annahm, demokratisches Miteinander im Schulleben zu verwirklichen, sah sich dem Mißtrauen der Eltern ausgesetzt, die befanden, daß es so etwas früher nicht gegeben hatte, ergo, daß man das jetzt auch nicht brauche.39 Häufig schienen die Eltern diesen Teil der Schule nicht zu beach- ten,40 obwohl ihre Mitarbeit oder wenigstens die Bejahung der schulischen Bemühun- gen sehr erwünscht war. Kultusminister Fendt hatte schon 1946 „Elterntage“ ange- regt. Jeder Klassenlehrer war gehalten, „vorerst zweimal im Jahr“ alle Eltern seiner Schüler „zu einer gemeinsamen Besprechung von aktuellen Erziehungs- und Schulfra- gen“ einzuladen. Der Schulrat sollte dann einen knappen Bericht über jede dieser Zusammenkünfte erhalten, „über die äußere und innere Beteiligung der Eltern und über die Ergebnisse der Besprechung“.41 Das waren wohlmeinende Absichten. Mögli- cherweise konzentrierte sich das Interesse der Eltern in der Folgezeit jedoch auf das schulische Fortkommen, d. h. den Unterrichtserfolg ihrer Kinder, den es, allen Schulre- form- und Bekenntnisschulstreitigkeiten zum Trotz anzustreben galt. Jedenfalls wurde im April 1948 vom Bezirksschulamt Neustadt/Aisch an die Militärregierung berichtet: „Wir haben in Bayern zwar die Schulpflegschaften, in denen Geistliche, Lehrer, Bürger- meister und Elternvertreter vereinigt sind und die nicht nur über wirtschaftliche, son- dern auch über Erziehungsfragen bestimmen. Aber ein erfreuliches Zusammenarbeiten zwischen Eltern und Schule besteht selten …“42 Viele Lehrkräfte taten sich ebenfalls

34 Fendt, S.33. 35 Die Neue Zeitung, 2. Jg., Nr. 95 vom 29.11.1946, S. 6. „Die Demokratie beginnt in der Schule“. 36 siehe S. 601 f, 608. 37 Verhandlungen des Bayer. Landtags. Stenograph. Bericht. 48. Sitzung am 29.1.1948, S. 681 (Stang, CSU). 38 Ebda., S. 690 (Haußleiter, CSU). 39 Schule und Gegenwart, 5/1949, S. 35. „Schülerparlament in der ungeteilten Landschule.“ (Erni Schmidt, Frie- densried). 40 Ebda., 2/1949, S. 33. „Die Schule - vom Objekt her gesehen“. 41 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 11 vom 8.10.1946, S. 158. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 25.9.46 Nr. IV 47119. 42 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4519. Schreiben des Bezirksschulamts Neustadt/Aisch am 5.4.1948 an die Militärregierung von Neustadt/Aisch. Betr.: Schulreform. Zum Fragebogen der Mili- tärregierung.

619 schwer, sich mit der Schülerselbstverwaltung zu befreunden. Zweierlei Gründe wurden dafür angegeben: Befehlen und Gehorchen seien einfacher43 (schon deshalb, weil diese Art des Zusammenlebens in der Schule die bis dahin gängige gewesen war), und manche Lehrer sähen als Folge der Schülermitsprache einen Verlust ihrer Autorität und stiegen ungern von ihrem Katheder herunter.44 Ein anderer Grund sei, daß „der richtige Erzie- her“ oft nicht da sei, der wisse, daß die enge Fühlung zwischen Schule und Elternhaus Vor- aussetzung sei zur Erfüllung der Aufgabe, politische Bildung zu vermitteln.45 Für diesen Erzieher wurden wesentliche Haltungen gefordert: „... (m)enschliche Offenheit gepaart mit persönlichem Freimut; Aufgeschlossenheit für die Welt außerhalb des Schultores; Sicht über die Grenzen des eigenen Standes; selbständige geistige Verarbeitung des Zeitgeschehens…“46 Gab es in Bayern zu wenig von diesen Erzieherpersönlichkeiten? Staatssekretär Brenner (SPD) schien das zu vermuten, „ermahnte“ er doch die Volksschul-Lehrerschaft in Sulzbach-Rosenberg, „in jedem Augenblick zu erkennen und zu empfinden, daß auch sie im Sinne der Verfassung freie und unabhängige Staatsbürger seien und dieses Bewußtsein jederzeit in ihrer Haltung und Betrachtung zu erkennen geben sollten“.47 Freundlichere Verbundenheit mit ihren Lehrern erhoffte sich Fendt durch die tätige Teil- nahme an der Klassen- und Schulgemeinschaft und das allmähliche „gesunde Wachs- tum“ der Selbstregierung der Schüler.48 Er schlug vor, Arbeitsergebnisse dann in einer Schülerzeitung zu präsentieren;49 und damit wußte er sich auf einer Linie mit den Absichten der Amerikaner, die Schülerzeitungen einen hohen Nutzeffekt zur Demokra- tisierung der Jugend zu-maßen, nicht immer zur Freude deutscher Stellen. Auch Jugendzeitschriften waren in der Nachkriegszeit sehr beliebt; viele Verlage befaßten sich mit diesem lukrativen Angebot, brachte es doch Aufträge und - da die Amerikaner sehr interessiert waren - zusätzliche Papierzuteilung. Ein besonderes Kon- zept hatte der Thienemann-Verlag in Stuttgart entwickelt, der Monatsblätter für die deutsche Jugend unter dem Titel „Der Grünschnabel“ herausgeben wollte. Jungen und Mädchen sollten in Arbeitsgemeinschaften mitarbeiten, Beiträge jugendlicher Redak- teure besprechen und evtl. verbessern und dann an den Verlag weitergeben.50 Für jede der Zeitschriften (u.a. „Pennäler Echo“, „Pinguin“, „Der Pelikan“, „Ins neue Leben“, „Jugend und Weltfriede“ oder „Das offene Tor/The open gate,“ eine deutsch-englische Schülerzeitschrift) benötigten die Verlage die Genehmigung der Militärregierung, die auch von den Verfassern einzelner Artikel gegebenenfalls Informationen verlangte.51 Besonders nahm sich die Militärregierung der Schülerzeitungen an, die an einer Schule entstanden. Und das waren in Bayern nicht wenige. Offensichtlich stellten sie für die Schüler doch eine willkommene Möglichkeit dar, ihre Anliegen zu artikulieren.

43 Schule und Gegenwart 5/1949, S. 5. „Über Schülerselbstverwaltung in Bayern“ (Max Bogenstätter, Strau- bing). 44 Ebda., 4/1949, S. 20. „Die Stellung der Jugend in den sozialen Bereichen“. 45 Eduard Schröder: Politik in der Schule? In: Frankfurter Hefte. 4. Jg. 1949, 3/März 1949, S. 204. 46 Ebda. 47 AdsD Bonn. LV Bayern I/1181 (Regierung. Kultusministerium 1951). „Volkswacht für Oberpfalz und Nieder- bayern. 15.-21.6.1951. Staatssekretär Dr. Brenner in Sulzbach-Rosenberg... Der sozialdemokratische Kultur- politiker vor der Lehrerschaft“. 48 Fendt, S. 33. 49 Ebda. 50 BayHStA München. MK 52979. Schreiben K. Thienemanns Verlag, Stuttgart, am 21.8.1947 an das Staats- ministerium für Unterricht und Kultus. 51 Ebda.

620 Eine der ersten Schülerzeitungen war „Das Steckenpferd“, das Anfang Dezember 1946 von den Schülern der Münchener Oberschulen vorgelegt wurde.52 In Landshut gab es „Die Pause“, in Straubing den „Pennäler“, in Passau „Die Tangente“.53 Der Oberschüler Heinz Reichelt aus Bamberg bat im Februar 1947 das Kultusmi- nisterium um Genehmigung für eine Schülerzeitung der „Bamberger Höheren Lehran- stalten“. Zur Begründung schrieb er, daß diese „Zeitschrift... erfüllt (sei) mit dem Wunsche beizutragen zur Demokratisierung und Erziehung unserer heutigen Schuljugend. Ferner (diene) sie einem Diskussionsforum für Kunst, Musik, ... Bildung, Politik, Partei ... Die Mittelseiten (seien) ausgefüllt mit Lehrtexten der verschiedensten Unterrichtsfächer, um dadurch den Mangel an Lehrmaterial überbrücken zu helfen…“54 Heinz Reichelt hatte sich ein enormes Pensum vorgenommen und bereits die Genehmigung der Information Control Division der Militärregierung - Nach- richtenabteilung -, Nürnberg, erhalten. Was ihn in seinem Schaffensdrang noch hinder- te, waren abschlägige Bescheide der Rektorate der Bamberger höheren Schulen. Diese argumentierten, daß einer Umfrage zufolge zu wenige Schüler die Zeitung beziehen würden und daß es unter den gegebenen Zeitumständen Papierverschwendung bedeuten würde, da man schon nicht genug Papier für Hefte und Bücher habe.55 Die- ser Einwand war verständlich, auch wenn die Einsicht nicht fehlte, daß Schülerzeit- schriften „ein Niederschlag der Demokratie in der Schule“ seien, ein „ausgezeichnetes Mit- tel... zur Selbsterziehung der Schüler, zur Förderung der Schülerselbstverwaltung und ... zur Erziehung zu demokratischem Denken“.56 In der Praxis ergaben sich aber auch dadurch Schwierigkeiten, daß Schüler, Lehrer und amerikanische Stellen ein unterschiedliches Demokratieverständnis hatten. Die Oberrealschule in Bayreuth hatte Ende 1950 den Fall, daß gegen einen Schüler ein Dis- ziplinarverfahren eröffnet wurde, weil er in einer GYA-Zeitschrift57 ein „beleidigendes“ Gedicht gegen Kultusminister Hundhammer veröffentlicht hatte. Der Schüler berief sich darauf, daß er demokratische Freiheit vorausgesetzt und der amerikanische Leut- nant die Zeitung vorher zensiert habe. Die Schulleitung verlangte, daß der Schüler einsehe, „daß Demokratie vor allem auch Ordnung des Volkslebens durch Gesetze bedeute,“ und beklagte sich, daß die Schüler „von diesem Herrn [gemeint war Leutnant T.] in der Richtung beeinflußt waren, daß auch sie schon das Recht der freien Meinungsäuße- rung hätten“. Leutnant T. seinerseits schrieb an die Schulleitung, daß er darum bitte, vor Eröffnung eines Disziplinarverfahrens und auch bei zukünftigen ähnlichen Angele- genheiten mit ihm evtl. geplante Schritte zu diskutieren (sic!).58 Vielleicht waren es solche Fälle, die den Verfasser eines Artikels über Schülerzeitungen in „Schule und Gegen- wart“ veranlaßten festzustellen, daß die „bisher erschienenen Schülerzeitschriften ... ein positives Schüler-Lehrer-Verhältnis weder vorgefunden noch durch ihr Wirken erreicht“ hätten.59 Eine Teilschuld sah der Verfasser darin, daß Schule immer noch

52 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 97 vom 6.12.1946, S. 4. 53 BayHStA München. MK 52979. 54 Ebda. Schreiben des Oberschülers Heinz Reichelt, Bamberg, am 24.2.1947 an das Staatsministerium für Unter- richt und Kultus. 55 Ebda. 56 Schule und Gegenwart 5/1949, S. 23. „Schülerzeitschrift und Schule - kritisch betrachtet“ (Georg Huber, München). 57 GYA = German Youth Activity (siehe S. 81 f). 58 BayHStA München. MK 52979. Schreiben des Direktorats der Oberrealschule Bayreuth am 11.12.1950 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 59 Schule und Gegenwart 5/1949, S. 23. „Schülerzeitschrift und Schule - kritisch betrachtet“ (Georg Huber, München).

621 zunächst „Autoritätsschule“ sei, die lieber diktiere als berate, die Schüler mit einem Wall von Vorschriften umgebe und schließlich jeden Zugang zum Lehrer verbaue. Die höhere Schule sei außerdem eine Leistungsschule, die in der Stoff-Vermittlung ihre einzige Aufgabe sehe. Die Voraussetzungen für die Entwicklung einer Schülerpresse seien also denkbar schlecht, sie müsse unter den Gegebenheiten der Autoritäts- und Leistungs- schule ihr Dasein fristen.60 Der Verfasser wunderte sich nicht, daß unter diesen Umstän- den viele der Schülerzeitungen ihr Erscheinen eingestellt hätten, wenn er auch zugab, daß die Währungsreform der ersten Blütezeit ein Ende gesetzt habe.61 Eine wesentliche Hilfe für die Redakteure der Schülerzeitungen waren die Pädagogischen Arbeitsstätten, die Papier, Matrizen und Apparate zur Verfügung stell- ten. Hier erhielten die Schüler auch Einblick in die Arbeit der amerikanischen Schulzei- tungen, die ein beneidenswert vielfältiges Schulleben widerspiegelten und in Aufma- chung und Stil den deutschen ein Vorbild sein konnten.62 Redakteure der Neuen Zei- tung (z. B. Egon Jameson) versuchten, den Schülern Hilfen zu geben bei der Verwirkli- chung ihrer Zeitung.63 Überregionale Arbeitsgemeinschaften bildeten sich, und im August 1951 kam es zur Gründung der „Presse der Jugend“, der Zentralvereinigung aller bayerischen Schülerzeitungen.64 Verständlicherweise nicht aufgegriffen wurde der Vorschlag Ferdinand Kopps1 das Schulleben durch besonderes „Mitergriffenwerden“ zu bereichern. Bei größeren Feiern gelinge dies durch „die Mittel kollektiver Erlebnisbereitung...: Aufmarsch und Einzug... lebhaft wirkende Symbole... symbolische Handlungen (Flaggenhissung)…“65 Er meinte - im Jahr 1950 -, daß der Mißbrauch dieser Mittel in den zurückliegenden Jahren keineswegs bedeute, daß sie schlecht seien. Allerdings fand auch er die Scheu der Lehrerschaft, solche Formen zu wählen, begreiflich und gab zu, daß sie der Schule durch die Öffentlichkeit versagt seien.66 Natürlich verlangten ein neuartiges demokratisches Schulleben und das so- zialkundliche Unterrichtsprinzip den für Sozialerziehung sensibilisierten Lehrer, der - nach Otto Engelmayer - seinen Blick für die soziale Wirklichkeit zu erschließen, sich auch „in seinem Sozialgefühl umzustellen“ habe.67 Schulleben sei zudem nur dann bildend - so postulierte Ferdinand Kopp -, wenn der Lehrer echtes Vorbild sei und ein Gespür für sozialerzieherisch fruchtbare Situationen habe und sie bewußt pflege. Die „sittliche Taterziehung“ in der Schule als „Lebensstätte“ forderte er.68 Verschiedene Meldungen über durchgeführte und geplante Lehrerfortbildung in diesem Sinne wurden bekannt- gemacht: Den Junglehrern im Bereich des Bezirksschulamts Neustadt/Aisch wurde im Schuljahr 1946/47 das Wesen der wahren Autorität nahegebracht, die man erst dann anerkennen müsse, „wenn sie die Werte des Wahren und Sittlichen“ vertrete. Im dar- auffolgenden Schuljahr verfolgte man „im Anschluß an die bedeutendsten Sozial-

60 Ebda. 61 Ebda. 62 Die Meinung. Schülerzeitung der Oberrealschule Starnberg. 1. Jg. Nr. 3/Juni 1951; 2. Jg. Nr. 1/September 1951 (Privatarchiv Dr. R. Hacker). 63 Ebda., 1. Jg. Nr. 3/Juni 1951. Vortrag im Amerikahaus München am 22.5.1951: „Wie machen wir eine Schü- lerzeitung?“. 64 Ebda. und 2. Jg. Nr. 1/September 1951. 65 Kopp, S. 167. 66 Ebda. 67 Engelmayer, S. 137. 68 Kopp, S. 159 f u. 157.

622 pädagogen de(n) Weg einer staatsbürgerlichen Erziehung ... mit dem Gewinn der Per- sönlichkeiten mit christlich-demokratischer Einstellung.“69 Bei Lehrertagungen in Dinkelsbühl im Oktober 1948 forderte ein Angehöriger der Militärregierung Ansbach, der amerikanische Schulrat Major Breland, „eindringlich zum Aufbau wahrer Demokratie“ auf und berichtete über das amerikanische Schulwe- sen,70 das diesem Ziel anscheinend entsprach. Pragmatischer schienen schulpraktische Fortbildungskurse im Cassianeum in Donauwörth zu sein, die im Juli 1948 Vorträge, Demonstrationen und Lehrbeispiele über Selbsttätigkeit der Schüler und Arbeitsschule verhießen.71 Auch die Ankündigung einer Tagung des Windsheimer Bezirks-Lehrerver- eins versprach praktische Hilfe für den täglichen Unterricht, denn im Mittelpunkt sollte „eine allgemeine Aussprache über Selbsttätigkeit der Kinder und Gruppenunterricht ... ste- hen“.72 Ab und zu wurde aber deutlich, daß sich zwischen idealen Vorstellungen und der Unterrichtspraxis eine tiefe Kluft auftat. So konnte man in der Bayerischen Schule vom April 1949 lesen, daß ein Junglehrer nach einer Fortbildungskonferenz feststellte, daß die Arbeitsschule etwas sehr Ideales sei. Er stimme allen Argumenten zu und wolle sich - für das Examen - die Forderungen aneignen und sie vertreten. In der Praxis werde er sie aber nicht anwenden, denn erstens bereite sie zu viel Arbeit und zweitens schnei- de er bei seiner Lehrvorführung sicher besser ab, wenn er beim herkömmlichen Schema bleibe.73 Solche Vorsätze resultierten möglicherweise aus dem täglichen Kampf in einer überfüllten Schulklasse, deren Ausstattung nicht viel Spielraum für das sozialkundliche Unterrichtsprinzip zuließ.

69 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4519. Schreiben des Bezirksschulamts Neustadt/Aisch am 5.4.1948 an die Militärregierung von Neustadt/Aisch. Betr.: Schulreform. 70 BayHStA München. MK 61322. Bericht der Regierung von Mittelfranken am 10.11.1948 an das Staatsmini- sterium für Unterricht und Kultus. Stand des Volksschulwesens. Lehrertagung für Dinkelsbühl-West am 15.10 und am 20.10.1948 für Dinkelsbühl-Ost. 71 Amtsblatt des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 5 vom 16.6.1948, S. 56. Schul- prakt. Fortbildungsunterricht im Juli 1948. 72 Stadtarchiv Bad Windsheim. Windsheimer Zeitung Nr. 50 vom 2.4.1951. 73 Die Bayerische Schule. 2. Jg. 4/April 1949, S. 138. „Jugend zwischen Hoffnung und Gefahr“ (Carl Weiß).

623 7.5. SOZIALKUNDE ALS UNTERRICHTSFACH

Die Mitglieder der amerikanischen Erziehungskommission forderten in ihrem Bericht die „grundsätzliche Umgestaltung der sozialwissenschaftlichen Fächer“ mit Schülern als den „aktiven Träger(n) des Lernvorganges“ denn so könnten die Sozialwis- senschaften, zu denen sie auch die „Staatskunde“ zählten, den „Hauptbeitrag zur Ent- wicklung demokratischen Bürgersinnes“ leisten.1 Das wurde für alle Schulen gefordert; gleichwohl verlangte man für die Berufs- und ganztägigen Fachschulen noch einmal gesondert die grundlegende Änderung des Lehrplans, da nicht nur gute Arbeitskräfte auszubilden seien, sondern - genauso wichtig - tüchtige Bürger.2 Diesem Verlangen nachzukommen war kein Problem für Kultusminister Hund- hammer, weshalb er die im OMGUS-Telegramm gefordeten „soziale(n) Studien in allen Schulen“3 bereitwillig in seine Schulreform-Vorlagen an die amerikanische Militärregie- rung4 aufnahm. „Sozialstaatsbürgerliche Bildung“ hieß dieser neue Bereich des Unter- richts im „Erziehungsplan auf weite Sicht“ vom 31. März und im Schulreformplan vom 30. September 1947.5 Auch der „Antrag der CSU-Fraktion zur Neugestaltung des Schulwesens“ am 20. September 1947 im Bayerischen Landtag wählte diesen Begriff.6 Ob man nun diesen Terminus gebrauchen wollte oder lieber vom Fach „Staatsbürgerkunde“7, „Gemein- schaftskunde“8, „staatsbürgerlichem Unterricht“9 oder „Sozialkunde“10 sprach, war von eher marginaler Bedeutung, da in Presse und Aufsätzen übereinstimmend die Notwen- digkeit eines solchen Unterrichts hervorgehoben wurde. Ohne staatsbürgerliche Erzie- hung sei keine Selbstverwaltung eines Volkes möglich;11 kein Unterrichtsfach sei von derart „sozial-pädagogischer Bedeutung für den jungen Menschen“.12 Immer wieder zog man zum Vergleich die „social studies“ heran, wie sie in den Schulen in den USA praktiziert wurden, denn nicht wenige Autoren waren der Auffassung, daß deutschen Lehrern das Fach Sozialkunde weitgehend ein Buch mit sieben Siegeln sei, daß es eben nicht nur eine Kombination von Geschichte und Erdkunde, sondern eine „bewußte Erziehung zum Leben in und mit der menschlichen Gesellschaft“ darstelle.13 Hier konn- ten die Amerikaner Vorbild sein. Daher forderte z.B. Dr. Heinz Beck, MdL (SPD), daß

1 Erziehung in Deutschland, S. 30. 2 Ebda.,S.31. 3 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Abschrift der Übersetzung. Telegramm vom OMGUS Berlin am 10.1.1947 an OMG für ... Bayern, siehe S. 244. 4 siehe S. 246, 252, 263; ACSP München. NL Müller 271. Erziehungsplan auf weite Sicht, 31.3.1947; BayH- StA München. MK 53202. Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 30.9.1947 an die Militärregierung für Bayern. Betr.: Schul- und Unterrichtswesen; Müller, S. 258 f. 5 ACSP München. NL Müller 271 (Schulreform 1947-48); BayHStA München MK 53202. Schreiben des Staats- ministeriums für Unterricht und Kultus am 30.9.1947 an die Militärregierung für Bayern. 6 ACSP München. NL Seidel. Beilage 689. Bayer. Landtag, Tagung 1946/47; Ebda., NL Müller 27. 7 BayHStA München. MK 52057.35540. Besprechung von Lehrern am Gymnasium über das neue Fach Staats- bürgerkunde am 1.6.1948; Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenograph. Bericht. 48. Sitzung am 29.1.1948; Stadtarchiv Nürnberg. C7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 8.10.1948. 8 Schule und Gegenwart 7/1949, S. 37. 9 Stadtarchiv Nürnberg. C7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schulausschusses am 8.10.1948. Beschluß. 10 Ebda., Stadtchronik Nürnberg F 2. 29./30.8.1949 (NN 31.8.49); Schule und Gegenwart 2/1949, S. 37. „Lehr- gang über ‚Social Studies’“ (J. Buchwieser). 11 Schule und Gegenwart 5/1951, S. 44. „Das Recht in der Erziehung“ (Vogelhuber). 12 Ebda., 4/1949, S. 2. „Die Sozialkunde in der Schule“ (Dr. Anton Wittmann, München). 13 Ebda., 4/1949, S. 13. „Ein amerikanischer Lehrplan für Sozialkunde“. (Dr. Silvia Brockdorff).

624 sofort mit staatsbürgerlicher Erziehung begonnen werden solle, und zwar müsse der Unterricht in allen Schularten „einen sehr breiten Platz“ einnehmen, wie das „in alten und gefestigten Demokratien, wie etwa den USA und der Schweiz“ der Fall sei. Sollte Sozialkunde allerdings die Aschenbrödelrolle erhalten, wie das gegenwärtig (im April 1950) in Deutschland geplant sei, so werde man sich über das Ergebnis nicht zu wun- dern brauchen. Er fürchte um den Aufbau der Demokratie, denn das erfordere Bürger- sinn, und der sei in Deutschland nie besonders stark gewesen. Gründlich durchdachte Lehrpläne für ein Fach Sozialkunde seien lebenswichtig. 14 An anderer Stelle konnte man lesen, daß das amerikanische Vorbild hervorragend sei, daß es aber große Unterschiede gebe, und zwar derart, „daß die Social Studies der erzieherische Ausdruck, also eine Funktion einer bereits vorhandenen Demokratie sind, während die Sozialkunde die Demokratie, die sich bei uns gegenwärtig noch im Anfangsstadium befindet, erst schaffen helfen soll“. Der Autor forderte „Sozialkunde in deutscher Eigenform, jedoch mit Beachtung amerikanischer Erfahrungen“.15 Er meinte außerdem, daß die wöchentliche Stundenzahl um dieses Faches willen erhöht werden dürfe, beginnend im 3. und 4. Schuljahr mit je einer Stunde, bis hin zu vier Stunden in den höheren Schulen und sechs Wochenstunden in den Pädagogischen Instituten.16 Im Bericht über eine internationale Arbeitstagung über die Praxis der Sozialkunde, die in Heidelberg stattfand, ging der Verfasser sogar so weit, daß er nicht nur den deutschen Sonderweg betonte. „(W)ir Bayern“ vertraten die Meinung, „daß in den Eigenschaften der einzelnen Stämme und Völker seit je auch Ansätze und wertvolle Voraussetzungen vorliegen. Wir haben das speziell am bayerischen Wesen gezeigt, das ein Mittelmaß von Nachbarschaft und persönlicher Freiheit liebt, und haben dafür... herzliche Zustimmung gefunden“. Es handele sich also nicht darum, „fremde Grundsätze zu übernehmen, sondern ... einem Bayern, wie wir es lieben, in der Welt durch soziales Handeln einen Platz zu sichern“.17 Auch über die Lerninhalte und ihre Verwirklichung machten sich einige Autoren Gedanken: Die Vermittlung von „unmittelbaren Einblicken in die Welt der Arbeit und des Berufes, in die Verwaltungstätigkeit der Gemeinden und des Staates, in das Rechts- leben“ wurde als wesentlich empfohlen.18 Eine Hinwendung zu lebenspraktischen Fra- gen, z.B. der Existenzsicherung, sei erforderlich; ökonomisches Denken dürfe nicht ver- nachlässigt werden, auch wenn es „aus dem Rahmen der ästhetisch-humanistischen Bil- dungsidee“, die in Deutschland immer noch die Erziehungsarbeit beherrsche, herausfal- le.19 Engelmayer gab auch „die Flüchtlingsfrage“ als sozialkundliches Thema an, das zudem mit Geschichte, Erdkunde und Wirtschaftsfragen gesamtunterrichtlich behandelt werden könne.20 Zu vermitteln sei auch das Verständnis für die „Ordnungen, Lebensäußerungen und Zielsetzungen des politischen Lebens“, da gerade für die Deut- schen „nach unserer geschichtlichen Situation die verständnisvolle Aufgeschlossenheit für die deutsche Aufbauaufgabe im Rahmen der europäischen Völkergemeinschaft“ wichtig sei.21 Die „einfachen Lebensgrundlagen von Gesellschaft, Individuum und Wirk- lichkeit“ seien für die Stoffauswahl in Sozialkunde relevant, nicht die „bildungsidealistische

14 Schule und Gegenwart. 4/1950, S. 17 f. „Einige Gedanken zur staatsbürgerlichen Erziehung“. 15 Ebda., 2/1950, S. 24. „Sozialkunde in der Schule“. (Heinrich Schulz). 16 Ebda., S. 25. 17 Die Bayerische Schule, 4. Jg. Nr. 3 vom 5.2.1951, S. 38 ff. „Heidelberger Anregungen zur Sozialkunde“ (Hans Braun). 18 Schröder, S. 203 f. 19 Engelmayer, S. 140 ff. 20 Ebda., S. 138 f. 21 Ebda., S. 145 f.

625 Verstiegenheit“.22 Sozialkunde müsse in besonderem Maße auch das „Heimatprinzip“ berücksichtigen, da Wirklichkeit und Leben sich hier beobachten ließen, da Vertreter der Ämter in die Schule kommen, Interviews gemacht, Erkundungen durchgeführt und die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ermöglicht werden könnten.23 Zur Methode wurde immer wieder der „Arbeitsunterricht“ angeführt, das Referat der Schüler, Grup- penarbeit und natürlich die Diskussion. Die originale Begegnung dürfe nicht zu kurz kommen, Exkursionen in Betriebe wurden vorgeschlagen.24 Das Dozieren müsse vor allem unterlassen werden, der Lehrer müsse in den Hintergrund treten, um den Schülern Raum zu geben für handelndes Miteinander. Nur so könne Sozialkunde den jungen Menschen zum Mitmenschen erziehen.25 Die Übergangsrichtlinien für die bayerischen Volksschulen vom 10. Oktober 194526 hatten auf die Lehrordnung von 1926 als Grundlage für die Volksschularbeit ver- wiesen, wo unter Abschnitt 8 für den Geschichtsunterricht ausgeführt worden war: „Ein besonderer Unterricht in Staatsbürgerkunde wird nicht erteilt. Wo sich im Unterricht Gelegenheit bietet, gesellschaftliche und staatliche Zustände, die von Volksschülern er- faßt werden können, hervortreten zu lassen, soll dies geschehen.“27 Möglicherweise war das eine der „Todsünden“, die in der Zeit der Weimarer Republik im Bereich der Schule ver- übt worden waren, wie MdL Beck (SPD) sie bezeichnete.28 Die Bedeutung von „Lebens- kunde“ und „Nationalpolitischem Unterricht“, nachzulesen in den Ergänzungsrichtlini- en für die Volksschulen Bayerns vom 23. Juli1940, war dagegen in der Zeit des Dritten Reiches erkannt worden. Kampf und „Krieg als größte Ausdrucksform des Lebens“ soll- te in Lebenskunde dem Schüler klar gemacht werden, „harte, kämpferische Menschen“ sollten aus der Schule ins Leben treten, und „Wehrfreude“ sollte vermittelt werden „durch Lenkung auf das Heldische hin“. Der Nationalpolitische Unterricht sollte „unmit- telbare Verbindung mit der Gegenwart durch eingehende Behandlung des Zeitgesche- hens“ schaffen.29 Im Hinblick auf die Wünsche der amerikanischen Militärregierung, möglicherweise auch im Bewußtsein der Unterlassungssünde, die zur Zeit der Weimarer Republik im Bereich der Sozialerziehung an den Schulen begangen worden war, oder sogar einge- denk der Wirkung, die der Unterricht während des Dritten Reiches im Bewußtsein der Schüler erzielt hatte, war das oberste Bildungsziel - Arbeitsergebnis des „Zielausschus- ses“ der Wallenburg-Stiftung - der „wahrhaft menschliche Mensch“; das hieß unter anderem der „gemeinschaftsverbundene ... sozial gesinnte, politisch einsichtige Mensch“.30 Im Zwischenbericht über die Beratungen einer bayerischen Schulreform informierte die Wallenburg-Stiftung darüber, daß der Ausschuß für die Berufsschulen eine Erweiterung des Lehrplans vorgeschlagen habe, die auch eine Vermehrung der Unterrichtszeit mit sich bringe, und zwar besonders für „Bürger- und Lebenskunde“.31

22 Ebda., S. 149. 23 Engelmayer, S. 153 f; Die Bayerische Schule, 4. Jg. Nr. 3 vom 5.2.1951, S. 39. „Heidelberger Anregungen zur Sozialkunde“ (Hans Braun). 24 Die Bayerische Schule, 4. Jg. Nr. 3 vom 5.2.1951, S. 40. 25 Schule und Gegenwart 4/1949, S. 5. „Die Sozialkunde in der Schule“ (Dr. Anton Wittmann, München). 26 LKAN. LKR VI 1100a (3064). Rechtliche Bestimmungen über das Volksschulwesen in Bayern.Anlage zur E. d. Bayer. St. Min. f. U. u. K. v. 10.10.1945, Nr. IV 25000. 27 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 16/1926. Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen vom 15.12.1926. Nr. IV 49242, S. 165. 28 Schule und Gegenwart 4/1950, S. 17. „Einige Gedanken zur staatsbürgerlichen Erziehung“. 29 Erziehung und Unterricht in den bayerischen Volksschulen, S. 20 ff. 30 Die Bayerische Schule, 1. Jg. November 1948, S. 137 ff. „Schloß Wallenburg, Sitz der Stiftung zum Wieder- aufbau des Bayerischen Erziehungs- und Bildungswesens“ (Dr. Adolf Strehler). 31 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 14 vom 16.11.1948, S. 152.

626 Im „Ausschuß für die Neugestaltung der Gymnasien“ wurde über die social stu- dies auch als Unterrichtsfach in den beiden Oberklassen eingehend gesprochen...32 Daß auch an den höheren Schulen Sozialkunde als Fach wichtig sei, war bereits zu Beginn des Jahres 1946 von den Unterrichtsministern der Länder der US-Zone festgestellt wor- den. Sie waren übereingekommen, „außerhalb des Lehrplans Stunden für staatspoliti- sche Belehrung“ anzusetzen.33 Zu Beginn des Schuljahrs 1947/48 wurden im Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus „Änderungen der Schulord- nung für die höheren Lehranstalten“ bekanntgegeben, deren eine lautete: „In den 3 oberen Klassen aller Schulgattungen ist im Rahmen des Geschichtsunterrichts je ein selbständiger Kurs über Staatsbürgerkunde zu führen, der sich in der 6. Klasse mit allge- meiner Rechtskunde, in der 7. Klasse mit Verfassungskunde und in der 8. Klasse mit Gesellschaftskunde zu befassen hat. Im Geschichtsunterricht der Mittelstufe ist die staatsbürgerliche Erziehung der Schüler durch besondere Berücksichtigung der Entwicklung des Verfassungslebens der einzelnen Völker vorzubereiten.“34 In der Zeit vom 5. bis 10. April 1948 wurde für Lehrkräfte höherer Lehranstalten dann Fortbildung in Staatsbür- gerkunde angeboten. Der Kurs sollte in der Oberrealschule in Hohenschwangau stattfin- den. Über seine Inhalte verriet die kultusministerielle Entschließung im Amtsblatt nichts.35 Offenbar wurde aber dieser Unterricht nicht sehr nachdrücklich durchgesetzt oder unterschied sich nicht vom tatsächlichen Geschichtsunterricht, jedenfalls nicht in den höheren Schulen und auch nicht in den Volksschulen. Anders ist die Diskussion im Schulausschuß des Stadtrates von Nürnberg nicht zu verstehen, die Anfang Oktober 1948 geführt wurde. Man bezeichnete Staatsbürgerkunde als „hochpolitische Angele- genheit, bei der andere Kreise mitzusprechen haben“. Der Unterricht greife in die Politik über, meinte einer der Stadträte und wollte die Frage geklärt wissen, „wie weit man auf diesem Gebiete überhaupt gehen will“. Der Stadtrat stellte sich zwar die Frage, ob er von sich aus auf diesem Gebiet tätig werden könne, da vielleicht vom Ministerium ein bestimmter Plan vorgelegt werde, gleichwohl wurde Schulrat Barthel beauftragt, „Richt- linien für die Lehrpläne der Volksschulen und höheren Schulen zu erstellen“.36 Man war ungeduldig geworden und fühlte sich in der Verantwortung, obwohl man anerkannte, daß die Berufsschulen „bereits vorbildlich auf diesem Gebiete“ arbeiteten und bereits einen Lehrplan vom Ministerium erhalten hätten.37 Ein damaliger Berufsschüler in Fürth konnte sich auch gut an seinen Sozial- kundeunterricht erinnern, in dem die Verfassung und die Aufgabe der Gewerkschaften besprochen wurden, berichtete aber auch, daß das Interesse nicht sehr groß war, da es - 1948 - keine Noten in dem Fach gab.38 Das Kultusministerium hatte wohl wirklich zunächst besonders an die berufsbildenden Schulen gedacht bei Einführung der Sozial- kunde als Unterrichtsfach, denn zu einem „Lehrgang über Social Studies“ im Februar 1949 waren „Einladungen an jene Münchener Schulen ergangen, deren besondere Ziele der Berufsausbildung auf die Aufgabe hinweisen, die grundlegenden Gedanken zu

32 Ebda., S. 158. 33 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 10 vom 4.2.1946, S. 3. „Die Zukunft der Höheren Schulen“. 34 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 12 vom 2.9.1947, S. 98. E. d. Staatsmin.f. Unt. u. Kult. vom 9.7.47 Nr. VIII 27289. 35 Ebda., Nr. 1 vom 8.2.1948, S. 3. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. v. 22.1.48 Nr. VIII 4245. 36 Stadtarchiv Nürnberg. C7/IX SRP Nr. 1228. Niederschrift über die Sitzung des Schul-Ausschusses am 8.10.1948 und Beschluß (Beilage 4). 37 Ebda. 38 Bericht von Herrn Klaus Scherer, Eltersdorf b. Erlangen.

627 verwirklichen, die im amerikanischen Programm der Social Studies niedergelegt sind“. Dazu gehörten die Frauenfachschulen, die Fachschulen für Kindergärtnerinnen, das Berufspädagogische Institut und das Staatsinstitut für Landwirtschaft.39 Zweifel daran, daß Sozialkunde in den höheren und Realschulen wirklich spürbar werde und ob es gelinge, „sie ihrer Bedeutung gemäß einzuführen,“ hegte der Verfas- ser des Aufsatzes „Die Sozialkunde in der Schule“, veröffentlicht in „Schule und Gegen- wart“. Eigenartig berührte es ihn, „daß man zwar aus den handwerklich und gewerb- lich Tätigen gute Bürger machen (wolle), dies aber bei der späteren akademischen Jugend nicht eigentlich“ beabsichtige. Er warnte vor dem Glauben, daß „(a)llgemeine Intelligenz“ davor bewahre, als Bürger und Mitmensch zu versagen.40 Ende August veranstaltete das Stadtschulamt Nürnberg in Verbindung mit der Pädagogischen Arbeitsstelle München für Lehrkräfte aller Schulgattungen im Pädagogischen Institut Nürnberg eine Tagung mit dem Thema „Sozialkunde in der Schule“,41 und zur selben Zeit gab es in Kempfenhausen eine Tagung von Lehrern der höheren Schulen des Beispielkreises Weilheim,42 auf welcher neben der Diskussion über Sozialerziehung und Sozialkunde als Unterrichtsprinzip, die mittlerweile nicht mehr in Frage gestellt wurden, auch die Einführung des Faches Sozialkunde erörtert wurde. Gegenstand des Faches sollte es sein, den jungen Menschen in die rechte Beziehung zur gegenwärtigen Welt, zu seinen Mit- menschen und den Problemen des Zusammenlebens zu setzen. Dabei sollten die Lust und die Fähigkeit geweckt werden, am Leben der Gesellschaft intelligent und aktiv teil- zunehmen. Besondere Tugenden, nämlich Objektivität und Toleranz, waren den Jugend- lichen zu vermitteln.43 Bemerkenswert war, daß die Lehrer eine stärkere historische Basis der sozialkundlichen Themen guthießen und damit den Unterschied zu den amerikanischen „social studies“ klarmachten, „denn für den Großteil unserer gegenwärtigen sozialen Gefüge ist der zureichende Grund weniger in der der Gesellschaftsbildung immanenten Logik als in der geschichtlichen Entwicklung zu suchen“.44 Weiterhin kam man zu dem Ergebnis, daß ein Fach Sozialkunde im strengen Sinn für die Volksschule nicht in Frage komme, „wohl aber die Verdichtung des Prinzips in der Oberstufe, so daß eine gewisse Zusammenfassung zerstreuter Erfahrungen und Einsichten erreicht wird und Sozialkun- de für einige Wochen sogar als Fach erscheinen kann, nicht in Form einer Systematik, sondern als lebensnahe Zusammenfassung“.45 Der Entwurf eines Bildungsplans für die bayerischen Volksschulen vom Januar 1950 führte denn auch unter „Sozialkunde“ aus, daß sie Unterrichtsprinzip sei, geeig- nete Unterrichtsstoffe entsprechend auszuwerten seien. Heimatkunde trage in besonde- rer Weise „sozialkundliches Gepräge“ und sei daher bestens geeignet, „den Anforde- rungen der Sozialkunde gerecht zu werden“. Darüber hinaus übernehme „Sozialkunde als Fach im 8. Schülerjahrgang noch eigene Aufgaben“.46 Im Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen, den das Kultusministerium im August 1950 veröffentlichte und mit Beginn des neuen Schuljahres zur Erprobung in Kraft setzte, wurde Sozialkunde als Unterrichtsprinzip verstanden. Außerdem hieß es

39 Schule und Gegenwart 2/1949, S. 37. „Lehrgang über ‚Social Studies’“ (J. Buchwieser). 40 Ebda., 4/1949, S. 4 (Dr. Anton Wittmann, München). 41 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 29./30.8.1949 (NN 31.8.49). 42 siehe S. 573 ff. 43 BayHStA München. MK 53206. Tagung der Lehrer der höheren Schulen im Kreis Weilheim in Kempfenhausen. 29.8.-1 .9.1949. Bericht über die bisherigen Ergebnisse der Wallenburger Ausschüsse über die Einführung der Sozialkunde. 44 Ebda. 45 Ebda. 46 Schule und Gegenwart 1/1950, S. 10 und 3.

628 unter 6.: „Darüber hinaus übernehmen im 8. Schuljahr Bildungseinheiten mit sozial- kundlichem Leitgedanken (Sozialkunde ‚als Fach’) noch eigene Aufgaben …“47 So waren aus dem Fach Sozialkunde „Bildungseinheiten“ übriggeblieben, was besagte, daß es das „Fach“ mit ausgewiesener Wochenstundenzahl gar nicht gab, ja es konnte sein, daß die Schüler den Begriff nie hörten, denn dem Lehrer wurde von vier Aufgaben- gruppen nur je eine Aufgabe daraus zur Pflicht gemacht, und abschließend hieß es: „Wenn in den vorhergehenden Schülerjahrgängen Sozialkunde ‚als Unterrichtsprinzip’ richtig verstanden und angewandt ist, sind wichtige Teile dieser Aufgaben bereits innerhalb früherer Bildungseinheiten in Angriff genommen worden.“48 Es fehlte denn auch nicht an Kritik, z. B. von der SPD, die beanstandete, daß Sozi- alkunde, als Unterrichtsprinzip verstanden, kein „eigener Lehrgegenstand mit besonderen Unterrichtsstunden und gegliederten Stoffangaben“ sei. Sozialkundliche Hinweise in den verschiedenen Sachfächern genügten nicht, wenn Wirkung erzielt werden solle. Die im Bildungsplan dargestellte Form gewährleiste nicht „die notwendige Anwendung im Unterricht“. Theorie scheine zu überwiegen. Auch die angegebenen Stoffe seien zu beanstanden. Sie entbehrten der logischen Ordnung. „So wie angegeben, kann der Unterricht nur zu einem ergebnislosen Durcheinander werden. Ein wissenschaftlich ein- wandfreier, aber schulpraktisch brauchbarer Leitfaden für die Hand des Lehrers ist not- wendig.“49 Das Kapitel Sozialkunde sei zu erweitern, „damit der Stoff, der für die mei- sten Lehrer neu ist, fruchtbringend an die Schüler herangetragen wird“.50 Der Schriftwechsel zwischen dem Bundesinnenministerium und dem Präsidenten der Ständigen Konferenz der Kultusminister im Februar und Mai 1950 offenbarte das Interesse, das man auf Bundesebene an der Thematik hatte. Der Ausschuß des Deut- schen Bundestages zum Schutze der Verfassung glaubte, daß zur staatsbürgerlichen Erziehung der Schuljugend „nicht genügend und vor allem nicht genügend geeignete Lehrkräfte“ vorhanden seien. Er schlug daher vor, „Persönlichkeiten des politischen und öffentlichen Lebens ... zur Ausgestaltung des Staatsbürgerlichen Unterrichts“ heran- zuziehen, und versprach sich davon gleichzeitig „eine erhebliche Steigerung des Interes- ses der Jugend an politischen und staatsrechtlichen Fragen“.51 Der Präsident der Ständigen Konferenz, zu der Zeit Alois Hundhammer, teilte im Mai mit, daß das Plenum der Kultus- minister-Konferenz beschlossen habe, „sich in nächster Zeit grundsätzlich mit der Frage der staatsbürgerlichen Erziehung der Jugend ... zu befassen“.52 Tatsächlich wurden am 15. Juni 1950 Beschlüsse zur politischen Bildung in den Schulen gefaßt. Zu den „vorläu- figen Grundsätzen“ gehörte u. a. die Erkenntnis, daß politische Bildung „auf der Grund- lage sachlichen Wissens die Weckung des Willens zum politischen Denken und Han- deln“ erstrebe, daß politische Bildung ein Unterrichtsprinzip für alle Fächer und alle Schularten darstelle und daß der Geschichtsunterricht dabei besondere Verantwortung trage. Außerdem wurde empfohlen, „vom 7. Schuljahr ab Unterricht in besonderen

47 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 14 vom 28.8.1950, S. 241 f. B. des Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 22.8.50 Nr. IV 57477. 48 Ebda., S.242. 49 AdsD Bonn. LV Bayern I/207 (Landespolitik/Kulturpolitik). Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen. 50 Ebda., Schreiben Dr. Siegfried Zieglers (SPD) am 14.1.1950 an den Vorstand des Landesverbandes Bayern der SPD, z. Hd. W. v. Knoeringen. Betr.: Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen. 51 BayHStA München. MK 53047. Schreiben Akz. 3105-128/50 des Bundesministers des Innern am 10.2.1950 an den Präsidenten der Ständigen Konferenz der Kultusminister. 52 Ebda., Schreiben des Präsidenten der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepu- blik Deutschland am 9.5.1950 an den Bundesminister des Innern. In dem genannten Briefwechsel ging es auch um die Errichtung von Lehrstühlen für Politik an den Hochschulen.

629 Fachstunden zu erteilen,“ wobei die Benennung dieses Faches freistehe. Gemeinschafts- kunde, Bürgerkunde, Gegenwartskunde oder einfach Politik wurden zur Wahl gestellt.53 Zur Methode dieses Unterrichts wurden angegeben: freie Diskussion, Einblick in Betrie- be und Verwaltungen, in die Tätigkeit der Gerichte und Parlamente „durch Besuche und Vorträge“. Man hoffte, daß eine solcherart durchgeführte politische Bildung zu einer Haltung führe, „die zu lebendigem Gemeinsinn und entscheidungsfreudiger Mitverant- wortung an der Gestaltung des öffentlichen Lebens im Volk und zwischen den Völkern den Weg“ weise.54 Der kurz darauf erschienene Lehrplan für Mittelschulen in Bayern - dreiklassig und nach der siebten Klasse der Volksschule beginnend - führte „Geschichte und Sozialkunde“ als ein Fach und hob hier die besondere Bedeutung der „gegenwartsbezogene(n) Bear- beitung sozialkundlicher Fragen“ hervor.55 Zum Stoff wurde für die erste Klasse angegeben: „Der Friede als Aufgabe. Trümmerfeld Europa. Bestrebungen zur Sicherung des Frie- dens“.56 In der dritten Klasse hieß es unter der Rubrik „Neueste Zeit“: „...Völker und Staaten der Gegenwart und ihre Beziehungen zueinander ... Der Staatsgedanke im 19. Jahrhundert. Entstehung der sozialen Frage ... Folgen des zweiten Weltkrieges. Die bayerische Verfassung. Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland“.57 Ein gutes Jahr später, im September 1951, gab es endlich die Bekanntmachung des bayerischen Kultusministeriums zur „Politische(n) Bildung (Sozialkunde) an den höheren Lehranstalten“.58 Vorangestellt waren die Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Kultusminister vom 15.6.1950, deren Durchführung ab dem Schuljahr 1951/52 vor- geschrieben wurde. In allen Klassen war das sozialkundliche Unterrichtsprinzip anzu- wenden, in den Klassen 8 und 9 war Sozialkunde als Fach mit je einer Wochenstunde anzusetzen (nicht schon im 7. Schuljahr, wie die Beschlüsse empfohlen hatten).59 Der Lehrplan, ausgearbeitet vom Ausschuß für Sozialkunde in Kempfenhausen, gab die Richtlinien für die Durchführung des Sozialkundeuntemchts als selbständiges Fach (und als Unterrichtsprinzip) und wurde zunächst auf zwei Jahre zur Erprobung beschränkt, nach deren Ablauf über die Erfahrungen berichtet werden sollte.60 In der Einleitung des Lehrplans wurde ausgeführt, daß der Gegenstand der Sozial- kunde als Fach die soziologisch gesehene Gesellschaft sei,61 für die 8. und 9. Klasse hieß es dann, daß es der Mensch „in seinen vielfältigen sozialen Beziehungen“ sei. Das Fach wolle „den gegenwärtigen Aufbau unserer Gesellschaft beschreiben und interpretieren unter Berücksichtigung des Umstandes, daß ihre Gebilde geschichtlich geworden sind62 und sich ständig im Übergang befinden“.63 Als Ziel wurde genannt, daß der „junge Mensch ... sich seines sozialen Ortes bewußt ... werden und einsichtsvoll als Glied der Gesellschaft tätig … sein“ solle.64 Bemerkenswerterweise hieß es abschließend: „Die

53 BayHStA München. MK 53047. Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Kultusminister vom 15.6.1950. VI. Politische Bildung, S. 3. 54 Ebda. 55 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 11 vom 17.8.1950, S. 166. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 24.7.50 Nr. XI 50984. 56 Ebda., S. 167. 57 Ebda., S. 168. 58 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 22 vom 4.10.1951, S. 321- 336. Bek. des Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 17.9.1951 Nr. VIII 47994. 59 Ebda., S. 322. 60 Ebda. 61 Ebda.,S.323. 62 siehe S. 628. 63 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 22 vom 4.10.1951, S. 324. 64 Ebda.

630 Sozialkunde schließt damit eine Lücke in unserem bisherigen Bildungswesen, das sich im wesentlichen auf Persönlichkeitsbildung im Sinne des Werterfassens und der Wertver- wirklichung und auf sachliche Erkenntnis richtete“.65 Man war sich also doch des spezifisch deutschen Mankos bewußt geworden. Auch der Hinweis auf die gerade überwundene Herrschaftsform, die vielen Deutschen als Entschuldigung für ihr Nichthandeln bzw. ihr Mitmachen diente, fehlte nicht: „Gesellschaft wird in diesem Entwurf nicht als Kollekti- vindividuum verstanden, das an Stelle des einzelnen handelt, auch nicht als Großprozeß, der den einzelnen in seinem Handeln dauernd überwältigt und die Freiheit der Entschei- dung ausschaltet. Es gehört zum Wesen der Sozialkunde, zu zeigen, daß gesellschaftli- che Vorgänge erst im Einzelhandeln wirksam werden, daß der einzelne selbst immer wieder vor neuen Entscheidungen steht…”66 Sozialkunde sollte als „Arbeitsunterricht“ verstanden werden. Zu den Themen des Unterrichts in der 8. und 9. Klasse der höheren Schule gehörten u.a.: „Der Mensch im Wirtschaftsleben der Gegenwart“, „Die soziale Funktion der Technik“, „Die Verflechtung des Menschen in die verschiedenen Rechts- kreise“, „Politische Organisationsformen“, „Die Stellung der Religion in der Gesell- schaft“. Im 9. Schuljahr kamen dann Themen dazu, die die „Gesellschaft als Integration sozialer Prozesse“ behandelten.67 In einem zweiten, umfangreichen Kapitel wurde für die einzelnen Fächer Sozial- kunde als Unterrichtsprinzip deutlich gemacht,68 und ein kurzes Schlußkapitel ging auf Sozialerziehung ein mit Hinweisen wie „Lehrersprechstunde für Schüler“ oder Schüler- mitverwaltung „(wobei Möglichkeiten echter Entscheidung gegeben sein müssen)“.69 Anschließend waren Buchhinweise angegeben, an erster Stelle Wilhelm Hoegners „Leit- faden für Staatsbürgerkunde“.70

7.6. DURCHFÜHRUNG UND ERFAHRUNGSBERICHTE

Die Bekanntmachung des Kultusministeriums über Sozialkunde an den höheren Schulen war rechtzeitig zu Beginn des Schuljahrs 1951/52 veröffentlicht worden, aber schon im Dezember 1951 gab es (aus gegebenem Anlaß?) einen Antrag des Abgeordneten Bezold und Fraktion (FDP) im Bayerischen Landtag, die Staatsregierung zu beauftragen, „der Sozial- oder Gemeinschaftskunde als Unterrichtsprinzip und Unterrichtsfach in allen bayerischen Schulen ... ihre größte Aufmerksamkeit zuzuwenden, insbesondere für die Aus- und Fortbildung der Lehrer, für die Ausarbeitung entsprechender Stoffpläne und für die Förderung guter Lehrbücher und bester Anschauungsmittel Sorge zu tragen“.1 Dieser Antrag war dem Kultusministerium Anlaß, in einer Vormerkung die Maßnah- men aufzulisten, die in bayerischen Schulen durchgeführt wurden. Zunächst wies man auf den Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen hin, in dem Sozialkunde Unterrichts- grundsatz sei und das Ziel habe, echtes politisches Verständnis zu fördern. Besonders her- vorgehoben wurde die „Bürger- und Lebenskunde“ in den Berufsschulen, die eine wesentliche Stellung einnehme und in allen Jahrgängen je eine Stunde der insgesamt fünf bis neun Wochenstunden Unterricht betrage. Sie zeige dem Schüler „wie er seine Arbeits-

65 Ebda. 66 Ebda. 67 Ebda., S. 325-329. 68 Ebda., S. 329-335. 69 Ebda., S. 336. 70 Ebda.

1 BayHStA München. MK 53047. Beilage 1842 und Beilage 1968.

631 kraft in die Gemeinschaft einfügen“ müsse, wie diese wiederum ihn schütze und fördere und „wie er seine Pflicht als Bürger Staat und Gemeinde gegenüber zu erfüllen“ habe.2 Bei den Mittelschulen wies man auf die entsprechenden Passagen des Lehrplans vom 17. August 19503 hin und schrieb dazu, daß einzelne Schulen schon Berichte gege- ben hätten, in denen von der engen Fühlungnahme mit Einrichtungen der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens gesprochen werde. Besuche in großen Betrieben und Stadt- verwaltungen und die rege Verbindung einzelner Klassen mit Firmen wurden hervorge- hoben.4 Auf die besondere Bedeutung staatsbürgerlicher Erziehung in den Frauenfach- schulen machte man aufmerksam; denn die Mädchen sollten für eine „verständige Wirtschaftsführung und zur tätigen Anteilnahme an den Aufgaben der Frau im öffentlichen Leben“ erzogen werden. Für Kultur- und Sozialkunde, Wirtschafts- und Erziehungskunde gebe es entsprechende Lehrplanaufgaben.5 Auch die Kindergärtnerinnen und Hortne- rinnen erhielten an ihren Seminaren Unterricht „im Dienste der staatsbürgerlichen Erzie- hung“.6 Im Antrag Bezold (FDP)7 hatte es geheißen, die bayerische Staatsregierung solle insbesondere für die Aus- und Fortbildung der Lehrer, die das Fach Sozialkunde zu unterrichten hatten, Sorge tragen. Nach Berichten aus dem Kultusministerium hatte es bereits 1948 in Hohenschwangau einen Fortbildungskurs gegeben, in welchem „die Lehrer“ - und zwar der höheren Schulen - „auf die rechtlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundlagen des heutigen Staates hingewiesen und die Möglichkeiten erörtert wurden, diese Fragen im Unterricht an die Jugend heranzubringen“.8 Um die künftigen Volksschullehrer mit der Materie vertraut zu machen, veranstaltete die Hoch- schule für Politische Wissenschaften - so jedenfalls hieß es aus dem Kultusministerium - im Herbst 1951 an 14 Lehrerbildungsanstalten je eine dreitätige Vortragsreihe mit ihren Dozenten, um die Teilnehmer der sog. Pädagogischen Lehrgänge über Fragen der staatsbürgerlichen Erziehung zu belehren. Diese Maßnahme, die angeblich die erste die- ser Art in den westdeutschen Ländern gewesen sei, wurde als sehr erfolgreich be- zeichnet, da „(n)ach den übereinstimmenden Berichten der Anstaltsvorstände ... die Teilnehmer der Pädagogischen Lehrgänge durch diese Vortragsreihe außerordentlich im Sinne einer politischen Erziehung beeinflußt“ worden seien.9 Für die übrigen Klassen der Lehrerbildungsanstalten galt im übrigen derselbe Sozialkunde-Lehrplan wie für alle höheren Schulen. 10 Ein Ausschuß, der aus Professoren der Universität München und Lehrern verschiedener Schulen unter dem Vorsitz des 1948 emeritierten Volkswirtschaft- lers Professor Adolf Weber zusammengesetzt worden war, befaßte sich außerdem mit der „Ausbildung der künftigen Lehrer für die Gemeinschaftskunde“. In diesem Rahmen wurde zu einer Vorlesung über deutsche Volkswirtschaft eingeladen.11

2 Ebda., Vormerkung. Abt. III. Betreff: Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses vom 4./5.12.1951 - Antrag Bezold: Ausbau des staatsbürgerlichen Unterrichts. 3 siehe S. 630. 4 BayHStA München. MK 53047. Vormerkung. Abt. III. Betreff: Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses vom 4./5.12.1951 - Antrag Bezold: Ausbau des staatsbürgerlichen Unterrichts. 5 Ebda. 6 Ebda. 7 siehe S. 631. 8 BayHStA München. MK 53047. Aufschreibung. Betreff: Staatsbürgerliche Erziehung an den höheren Lehr- anstalten. 3.12.1951. Abt. II, gez. Karnbaum; siehe S. 627. 9 Ebda., Vormerkung. Abtl. III. Betreff: Sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses vom 4./5.12.1951 - Antrag Bezold: Ausbau des staatsbürgerlichen Unterrichts. 10 Ebda. 11 Ebda., Aufschreibung. Betreff: Staatsbürgerliche Erziehung an den höheren Lehranstalten. 3.12.1951, Abt. II

632 Ebenfalls für Lehrer an höheren Schulen gab es in Kempfenhausen Einfüh- rungslehrgänge zu dem neuen Lehrstoff Sozialkunde. In der Zeit vom 27. August 1951 bis 5. Januar 1952 fanden acht solcher Lehrgänge statt, an denen je ein Lehrer von jeder bayerischen höheren Schule teilzunehmen hatte.12 Die anzustrebenden Unterrichtsme- thoden, Gruppenarbeit und Arbeitsgemeinschaften mit einem hohen Grad an Selbst- tätigkeit der Schüler, wurden hier erläutert, in Diskussionen Fragen erörtert und Begrün- dungen für das Fach vorgestellt. Während des ersten Kurses vom 27. bis 29. August wurde z.B. darüber referiert, daß der Mensch des 20. Jahrhunderts oft nicht mehr auf weltanschauliche und religiöse Imperative antworte. Um ein Auseinanderbrechen der Gesellschaft zu verhindern, was den Untergang der gesamten Kultur bedeuten könne, brauche man einen Ausgleich.13 Es wurden aber auch weniger theoretische Fragen beantwortet, z. B., ob die Sozialkunde den Jugendlichen ein „Ideal“ geben könne. Vor einem „Kollektivideal“ wurde gewarnt und als Beispiel die Ostzone angeführt.14 Man hätte die Warnung aber genauso mit Blick auf die jüngste Vergangenheit aussprechen können. Einer der „Sozialkundelehrer der ersten Stunde“ war Prof. Dr. Fürnrohr, der in Weilheim in vier Vorabitur- und Abiturklassen je eine Stunde Sozialkunde unterrichtete. Es gab für dieses Fach keine Noten, aber eine Wortbemerkung im Zeugnis; es gab keine Bücher, und es gab auch keine profunde Ausbildung. Zur Fortbildung war er zweimal in Kempfenhausen, einmal auch in Grünwald, und er hat dort über den „Sinn der Strafe“ refe- riert. Fürnrohr, der als Studienassessor im Vorbereitungsdienst Deutsch, Geschichte und Erdkunde an der Oberrealschule mit Gymnasium und dazu zwei Stunden Geschichte an der Mittelschule unterrichtete, übernahm das neue Fach mit großem Interesse, stellte es für ihn doch den bemerkenswerten Versuch dar, eingefahrene Praktiken im Unterricht auszuhe- beln. An seiner Schule hatte man zunächst den Chemie/Physiklehrer für den Unterricht ausersehen, eine Lösung, die landesweit gar nicht so unüblich war. Am humanistischen Gymnasium in Ansbach unterrichtete es der Biologielehrer, in Straubing sogar der Turnlehrer. Ohne diesen Lehrkräften demokratisches Bewußtsein absprechen zu wollen, kann man sicherlich kritisch anmerken, daß die Verteilung dieser Stunden eher dem Prinzip Zufall verpflichtet war. Möglicherweise war die Stundenzuweisung zum Zeitpunkt der kultus- ministeriellen Bekanntmachung (Oktober 1951) bereits so geplant, daß niemand sonst frei war. Daraus war aber erkennbar, daß weder der historische Kontext (Erfahrungen des Dritten Reiches) noch der des demokratischen Wiederaufbaus im Mittelpunkt standen. Fürnrohr vermittelte im ersten Halbjahr des siebten Jahrgangs (des Gymnasiums) Unterrichtsinhalte des Bereiches Wirtschaft, wobei er sich zunächst auf die örtlichen Ge- gebenheiten, auch auf die Landwirtschaft bezog; außerdem Rechtsformen und wirt- schaftliche Komplexe, z. B. Trusts und Versicherungen. Im zweiten Halbjahr, als der Bereich „Recht“ behandelt wurde, führte er die Schüler in Gerichtsverhandlungen und später, in Straubing, in das dortige Gefängnis, wo der Gefängnisdirektor sich der Diskus- sion mit den Schülern stellte. Im Klassenzimmer diente das Unterrichtsgespräch der Auf- arbeitung. Ferner wurden die Schüler mit der Ausarbeitung von Referaten betraut, zu denen sie z.T. selbständig das Material sammelten, indem sie z.B. in einem Betrieb über die Mitsprache der Arbeitnehmer und die Rolle der Gewerkschaften Erkundigungen einzo- gen. Im möglichst freien Vortrag erstatteten sie Bericht; Diskussionen schlossen sich an. Auch im Anschluß an den Samstagvormittags-Unterricht war regelmäßig eine freiwillige Dis-

12 Ebda., Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 26.8.1952 an die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. 13 Ebda., MK 53209. 1. Einführungskurs in Sozialkunde für Lehrkräfte höherer Lehranstalten, 27 .-29 .8.1951, Wallenburgstiftung Kempfenhausen. 14 Ebda.

633 kussion über ein aktuelles Thema angesetzt.15 Im achten Jahrgang des Gymnasiums gehörten Parteien und Gewaltenteilung zu den Themenbereichen. Hier kam bereits die Methode des Rollenspiels zur Anwendung. Die Schüler bereiteten das vor, indem sie für die Anliegen z.B. des „klassenbewußten Proletariers“ Argumente sammelten. Fürnrohr erinnert sich an seine „sehr interessierten Schüler“, die sich an die moderne Thematik, mit der sie konfrontiert wurden und die es in dieser Art bis dahin im Unterricht nicht gegeben hatte, heranwagten. Für ihn selbst stellte die Sozialkunde eine demokratische Innovation dar; wichtig war ihm die Möglichkeit, frei diskutieren zu können, die Schüler zum Sprechen zu bringen und Stellung nehmen zu lassen.16 Dieses Ziel versuchte er auch dadurch zu erreichen, daß er Referenten, beispielsweise Parteipolitiker, einlud, die sich mit den Schülern auf Diskussionen einließen. Außerdem wirkte der Unterricht metho- disch befruchtend für andere Fächer, denn bald gab es auch im Deutschunterricht Referate, nicht nur in den beiden letzten Klassen. Fürnrohrs Arbeit lag „im Trend“; trotzdem war er an seiner Schule eher ein „Einzelkämpfer“. Seine Kollegen befaßten sich wenig mit der Thematik und den modernen Methoden. Über den Unterricht hinaus war Fürnrohr zuständig für die SMV an seiner Schule, die er weniger als „Mitverwaltung“ denn als „Mitgestaltung“verstanden wissen wollte. Unter diesem Aspekt hatten schon die jüngeren Schüler seiner Meinung nach mehr Möglichkeiten mitzuentscheiden, z. B. bei der Ausgestaltung des Klassezimmers.17 Zum damaligen Zeitpunkt der altehrwürdigen Schulbänke und der kärglichen Räume - mitun- ter Kellerräume - war dieser Ansatz sicherlich der richtige. Der Lehrplan für das Fach Sozialkunde war zur Erprobung vorgelegt und die Direktorate der höheren Schulen waren angewiesen worden, nach Ablauf von zwei Jah- ren „über die Erfahrungen im Sozialkundeunterricht nach dem vorliegenden Lehrplan zu berichten“.18 Im Dezember 1953 wurde dieses Verlangen präzisiert. Der Bericht sollte kurz gefaßt sein und nach folgenden Gesichtspunkten angelegt werden: „1. Stellung zum Fach Sozialkunde; 2. Erfahrungen mit dem Lehrplan: Inhalt und praktische Durch- führung; 3. Angabe der benützten Bücher und sonstigen Hilfsmittel für den Unterricht; 4. Überblick über das Lehrpersonal der beiden Probejahre; 5. Fortbildungsvorschläge; 6. Ein- stellung der Schüler.“19 Das Direktorat der Städt. Theresien-Oberrealschule für Mädchen, Ansbach, schrieb am 30. Januar 1954 an das Kultusministerium. Man plädierte für die Beibehal- tung der Sozialkunde als Fach, da „Zweck und Erfolg ... zu deutlich und bestimmt“ seien, „als daß es einen Ersatz dafür in den anderen Fächern gäbe“. Das sozialkundliche Prinzip sei also nicht ausreichend. Die eine Wochenstunde ermögliche es, „über die ver- schiedensten Fragen zwanglos zu sprechen, … anknüpfend an Tagesereignisse, häufig von den Schülerinnen selbst angeregt und mit Eifer besprochen“.20 Als wichtige Vor- aussetzung erachtete man, daß der Lehrer nicht nur das Fach Sozialkunde in einer Klasse gebe, sondern auch andere Fächer, möglichst Deutsch und Geschichte.21 Man versprach sich wohl eine freimütigere Diskussion mit einem vertrauten Lehrer. Als wohltuend wurden „die Weite des Spielraums“ und die „Freiheit vom Benotungszwang“ empfunden.22 Der

15 Gespräch mit Herrn Professor Fürnrohr, Gauting. 16 Ebda. 17 Ebda. 18 Amtsblatt des bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Nr. 22 vom 4. Oktober 1951, S. 322. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 17.9.1951 Nr. VIII 47994. 19 BayHStA München. MK 53047. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 22.12.1953 Nr. VIII 97603 über Erfah- rungen im Sozialkundeunterricht (Amtsblatt Nr. 1/1954, S. 2). 20 Ebda. MK 53053. Schreiben der Städt. Theresien-Oberrealschule für Mädchen, Ansbach, am 30.1.1954 an das Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Erfahrungen im Sozialkundeunterricht. 21 Ebda. 22 In den Zeugnissen gab es eine Wortbemerkung.

634 Lehrplan war für die Theresien-Oberrealschule „ein nicht zu entbehrender Leitfaden,... wenn er auch in manchen Teilen eines ausführlichen Kommentars bedürfte“. Die Stoff- fülle sei außerdem in der einen Wochenstunde nicht zu bewältigen. Unter den verwendeten Büchern und Hilfsmitteln für den Unterricht fanden sich „Werkbücher aus der Schriften- reihe des Cassianeums über pädag. Wissen und Wirken“, bemerkenswerterweise „Berichte über Deutschland des Amerikan. Hochkommissars für Deutschland“, und „mit Vorliebe Ausschnitte aus verschiedenen Zeitungen“ - genannt wurden Artikel aus der Süddeutschen und der Neuen Zeitung. Betriebsbesuche und die Teilnahme an Stadt- rats- und Schwurgerichtssitzungen ergänzten den Unterricht. Das Lehrbuch für Sozial- kunde (Bosl) lobte man als aufschlußreich für den Lehrer, meinte jedoch, es sei „recht schwer zugängig für das jugendliche Verständnis“. Den Unterricht erteilte eine Lehrerin für Deutsch und Geschichte, die im Oktober 1951 einen Kurs in Kempfenhausen besucht hatte. Die Einstellung der Schülerinnen sei sehr positiv, das Fach erfreue sich großer Be- liebtheit. Lebhafte Diskussionen habe man, und die Mädchen äußerten Wünsche zu den Themen. Viele ethische Fragen würden angeschnitten, Zeitungen gelesen, Gemein- schaftssinn und Urteilsfähigkeit gestärkt.23 Auch das humanistische Gymnasium Ansbach fertigte einen Bericht, und zwar schon im Juli 1953, also exakt nach den geforderten zwei Erprobungs-Schuljahren. Hier unterrichtete der Biologielehrer das Fach Sozialkunde, und er empfahl, was nicht ver- wunderlich war, doch möglichst einen „gründlichen Kenner der Geschichte (nicht nur der deutschen)“ mit diesem Unterricht zu betrauen, da „die verschiedenen sozialen Gemeinschaften, also auch die Gesellschaft, eine Entwicklung durchgemacht haben und nur aus der Geschichte zu erklären und zu verstehen sind“.24 Für einen Nichtfachmann bedeute der Sozialkundeunterricht wegen der langen Vorbereitungszeit für jede Stunde eine „ungeheure Belastung“. Der Unterricht könne trotzdem nicht vollwertig sein, da die nötige Vorbildung nicht da sei. Der Berichterstatter bemängelte außerdem „auch eine Unterrichtszersplitterung“ und eine „gewisse Belastung“ der Schüler, die durch die Ein- führung dieses Faches eingetreten sei. Einen langen Abschnitt widmete der Lehrer dem Ver- halten der Schüler. Vor allem das Diskutieren sei ein langwieriger Lernprozeß; lebhafte Klassen benötigten Zeit, um ordnungsgemäße und sachliche Diskussion durchführen zu können, bei „indifferenten“ Klassen komme kaum eine in Gang. Die Aussprachen hät- ten häufig den Charakter des „Politisierens“ oder der „parteipolitischen Plänkeleien“. Innerhalb der zwei Jahre sei das Interesse an überstaatlichen Problemen „(Paneuropa, Montanunion, … NATO)“ gesunken, da die Schüler der Ansicht gewesen seien, Deutschland sei kein gleichberechtigter Partner. Viele hätten auch schon eine so feste Meinung über soziale, politische oder wirtschaftliche Probleme, daß sie die Ansicht anderer gar nicht mehr gelten ließen. Der Berichterstatter folgerte daraus, daß sozial- kundlicher Unterricht schon in unteren Klassen einzusetzen sei.25 Möglicherweise meinte er aber damit eher die Technik des Diskutierens, also die Unterrichtsmethode. Manche Schüler besäßen noch gar nicht die nötige Reife für sozialkundliche Fragen; für sie sei der Unterricht eine Unterhaltungsstunde, da auch der Lehrer keine Druckmittel, die Benotung, habe.26

23 BayHStA München. MK 53053. Schreiben der Städt. Theresien-Oberrealschule für Mädchen, Ansbach, am 30.1.1954 an das Bayer. Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Erfahrungen im Sozial- kundeunterricht. 24 Ebda., MK 53049. Schreiben Nr. 259 des Direktorats des Gymnasiums Ansbach am 11.7.1953 an das Staats- ministerium für Unterricht und Kultus. Betreff: Sozialunterricht. 25 Ebda. 26 Ebda.

635 Während also die Lehrerin der Mädchen-Oberrealschule die fehlende Zeugnisnote begrüßte, beklagte dieser Lehrer diesen Zustand. Andererseits meinte er aber auch, daß eine Note in Sozialkunde zu „Heuchelei und Gesinnungslumperei“ führen würde.27 In diesem Bericht wurde außerdem auf den zu umfangreichen Lehrplan und die Möglichkeit, Teile des Lehrplans dem Geschichts- oder Deutschunterricht zuzuordnen, hingewiesen. Zu den Unterrichtsinhalten teilte man mit, daß der Lehrplan die Grundlage gebildet habe und daß die Verfassung ausführlich besprochen worden sei. Man habe heimische Wirt- schaftsbetriebe - u. a. das Tonwerk Ansbach, die Stadtwerke, die Sparkasse, die Brauerei Hürner -, besucht und jedes Jahr habe die Oberklasse einer Stadtratsitzung und einer Gerichtsverhandlung beigewohnt. Methodisch sei so vorgegangen worden, daß „in der Regel ... zwei Schüler mit der Bearbeitung eines Themas beauftragt“ worden seien. Zu jedem Referat habe die ganze Klasse Stellung genommen. Hätten sich aus der Diskussion neue Erkenntnisse ergeben, so habe ein Schüler in der darauffolgenden Stunde kurz über das Ergebnis der Diskussion berichtet.28 Der Erfahrungsbericht des Biologie-/Sozialkundelehrers verriet den hohen Anspruch, den er stellte. Und seine Schüler? Offenbar waren sie der Kategorie der „indifferenten“ zuzurechnen; ihre Kommentare zum Sozialkundeunterricht im Gymnasi- um Ansbach lassen das zumindest vermuten. Einer der damaligen Schüler konnte sich an den Unterricht nicht erinnern und begründete das damit, daß er wohl nicht sehr beeindruckend und daher nicht in seinem Bewußtsein verankert war. Ein anderer meinte, es sei ein sehr unverbindlicher Unterricht gewesen, da ja keine Arbeiten geschrieben wurden; man habe sich als Schüler mit „wohlwollendem Interesse“ reingesetzt; R. habe „ein bißchen was von Demokratie“ erzählt; mit R. diskutierte man nicht.29 Grundsätzlich drängt sich der Eindruck auf, daß die Durchführung des So- zialkundeunterrichts insgesamt den Ansprüchen nicht gerecht wurde. In Berufs- und Frauenfachschulen, die unmittelbar auf die soziale Wirklichkeit vorbereiten sollten, erhielt dieser Unterricht von Anfang an einen höheren Stellenwert als an allgemeinbil- denden höheren Schulen. Hier kam es - wie die Beispiele Fürnrohr oder Mädchen-Ober- realschule Ansbach zeigen - sehr auf das Engagement profilierter Lehrkräfte an, die auch durch entsprechende wissenschaftliche Vorbildung für das Fach prädestiniert waren.

27 Ebda. 28 Ebda. 29 Gespräche mit Herrn Horst Bischoff, Ansbach, und Udo Freiherr v. Hunoltstein, Feldafing.

636 8. LEHRERBILDUNG UND -FORTBILDUNG IM ZUSAMMENHANG MIT INNERER SCHULREFORM

Da die Amerikaner die Schulen als einen Bereich betrachteten, der besonders geeignet war, ihre Umerziehungspläne zu verwirklichen, waren natürlich die Lehrer, denen erlaubt worden war, weiter zu unterrichten, und diejenigen, die völlig unerfahren damit begannen, auf den demokratischen Weg zu bringen. Das mußte sehr schnell geschehen, denn die meisten bayerischen Volksschulen öffneten im Herbst 1945 ihre Pforten. Es wurde vor dem 1. Oktober „ein Reorientation-Programm durchgeführt, zwar an verschiedenen Orten mit unterschiedlichem Ansatz und wechselnder Intensität, je- doch in allen Fällen offenbar von mindestens zwei Wochen Dauer“.1 „Not-Trainingspro- gramme“ unterschiedlicher Art seien an verschiedenen Orten entwickelt und „von den Erziehungsoffizieren der Militärregierung in Zusammenarbeit mit den Schulverwaltungs- behörden organisiert worden“.2 An solche Kurse konnten sich befragte Lehrer nicht erinnern, jedoch gab es Hinweise auf Ansprachen und Vorträge von amerikanischen Offizieren bei der Eröffnung von Schulen bzw. während der ersten Konferenzen.3 Typi- sche Themen waren z.B. „Responsibility of the Teacher“, „Problems of the Present-Day Child in Germany“, „History of the Struggle for Freedom“.4 Diese Veranstaltungen erfolgten anscheinend auf örtlicher Ebene, d. h. die Militärregierung eines Ortes und das gerade installierte Schulamt arbeiteten zusammen, wobei wohl nach allgemein verbindli- chen Richtlinien der Militärregierung für Deutschland vorgegangen wurde, es aber im Ermessen des Offiziers am Ort lag, wie die Planung, Durchführung und der Inhalt des Programms aussehen sollten. Daneben gab es aber auch amerikanische Teams, die im Lande umherfuhren und versuchten, „in Vorträgen, Diskussionen und ‚demonstrations’ die neue Philosophie zu vermitteln“.5 Das beeindruckende Beispiel einer Rede eines örtli- chen amerikanischen Erziehungsoffiziers an die Lehrer eines fränkischen Schulamtsbe- zirks wurde im Bayerischen Landtag von Dr. Korff (FDP) angeführt: „Der Zweck dieser Lehrerversammlung ist es, uns selbst über die Ausrichtung, die wir in der Jugender- ziehung dieses Kreises nehmen, zu orientieren. Die Arbeit der Generäle ist jetzt beendet und die große Arbeit der kommenden Jahre des Friedens wird von Ihnen... getan werden müssen. Und Ihre Arbeit ist die größere: denn wie Sie wissen, wird der große Sieg im Leben ... über den Geist der Menschen gewonnen. Die Alliierten mögen die Schlachten gewonnen haben, aber der Sieg muß von der Menschheit und von Deutschland errun- gen werden, von dem Deutschland der Dichter und Denker ..., das seine Söhne und seine Kultur... zum Aufbau der Neuen Welt hergegeben hat, ... das Tausende von jun- gen Menschen aus der ganzen Welt mit Büchern und nicht mit Waffen in der Hand an sich gefesselt hat, dem Deutschland, das Athen gleicht und nicht Sparta …“6 Dies Beispiel eines örtlichen Erziehungsoffiziers - Korff nannte ihn einen „kleinen Leutnant“ - zeigt, daß die neue Philosophie taktisch nicht ungeschickt an die Deutschen herangetragen wurde, und läßt vermuten, daß die Lehrer, durch so viel Lob der deut- schen Verdienste, ihre tägliche Bürde freudiger auf sich nahmen.

1 Bungenstab, S. 78 f. 2 Ebda., S. 79. 3 siehe S. 46. 4 Bungenstab, S. 79. 5 Kleßmann, S. 92. 6 Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenograph. Bericht. 42. Sitzung am 11.12.1947, S. 482 f.

637 Die Ankündigung von Lehrerfortbildungen enthielt immer wieder auch den Hin- weis, daß der eine oder andere amerikanische Sachverständige von der Militärregierung für Bayern geschickt werde, um z.B. „über den Geist in der amerikanischen Schule“ zu berichten.7 Oder die Education Service Centers bzw. die Pädagogischen Arbeitsstätten boten Referenten auf, die, teils in deutscher, teils in englischer Sprache, über die „Respektierung des Kindes als Individuum“ oder die „Behandlung der Probleme eines dauernden Friedens im Geschichtsunterricht“ sprachen, wie das im Herbst 1948 in Nürnberg geschah.8 Das Amerika Haus in München legte für die Woche vom 28. Februar bis 6. März 1949 ein Programm vor, das für Lehrer mindestens zwei Vorträge anbot, einen Vortrag über „Contemporary Problems“, den ein Lehrer für Social Science aus den USA hielt, und einen über „The American Constitution“, gehalten von einem Mitglied der Militärregierung für Bayern.9 Im Sommerprogramm 1950 derselben Institution gab es „Veranstaltungen für Lehrer vom Lande, die in großer Zahl kamen“ (Vorträge, Diskus- sionen), und im Herbst desselben Jahres war u.a. vorgesehen „Bücherversand für Lehrer, die nicht kommen können“, „Pädagogische Veranstaltungen“ (Vorträge über Kinder- psychologie, Erziehungswissenschaften), Projekte (z.B. Eltern-Lehrervereinigungen; Ver- öffentlichung von Broschüren über Themen, die für alle Lehrer von Bedeutung seien; Einrichtung einer Abteilung für Erziehungspsychologie und Schulberatung, wo Lehrer die Gelegenheit haben sollten, Schülerprobleme auf Grund von Vorführungen und Experimenten zu studieren).10 Da die Education Service Centers auf die großen Städte beschränkt waren und die damaligen Verkehrsverhältnisse und Finanzen der Lehrer die weite Anreise dorthin nicht erlaubten, unterstützten die Amerikaner, in diesem Fall die Erziehungsabteilung des Office of Land Commissioner for Bavaria, die Fortbildung der Lehrer auf Regierungsbe- zirksebene mit erheblichen Geldbeträgen. Es sollten damit Reisekosten, Honorare oder Mieten (z.B. für einen Vortragssaal) bezuschußt werden.11 Die angesprochene Zielgruppe hatte es wirklich nicht leicht, Fortbildungsmöglich- keiten wahrzunehmen. Während der ersten beiden Jahre nach Wiederbeginn des Unter- richts waren viele auf das „Selbststudium“ angewiesen oder taten sich, falls vorhanden, mit Kollegen im gleichen Dienstort oder in Nachbarorten zusammen, um Erfahrungen oder zufällig vorhandene Bücher auszutauschen.12 Erst mit der Neugründung des Bayerischen Lehrervereins und einem örtlichen Kreisverband gab es mehr freiwillige Fortbildungsarbeit, z.B. monatliche Vorträge mit anschließender Diskussion.13 Allerdings war auch da die Teilnahme nicht immer möglich,

7 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4785. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. am 19.11.1946 an Regierungen, Schulämter, Volksschul-Lehrkräfte. Ferientagung für Junglehrer in München am 3./4.1. 1947. 8 Ebda., Nr. 4519. Education Service Center/Pädag. Arbeitsstätte Nürnberg, am 12.11. und 18.11.1948. Refe- renten: Dr. Marion Edmann, US Civilian;Mss Anna Peck, US Civilian, University ofKentucky. 9 ADL Gummersbach. NL Thomas Dehler, N1-930. Amerika Haus München. Programm vom 28. Februar bis 6. März 1949. 10 BayHStA München. MK 53207. Schreiben des Direktors der Pädag. Arbeitsstätte, Education Sevice Center, München, Ralph Lewis, am 19.9.1950 an Min. Rat Dr. Karnbaum, Staatsministerium für Unterricht und Kul- tus. 11 Ebda. MK 62017. Schreiben des Office of the US High Commissioner for Germany, Office of Land Commis- sioner for Bavaria, Public Affairs Division, München. Chief of Education Section, Herman L. Offner, am 31.3.1950 an Dr. Georg Boegel, Kultusministerium, München. 12 StAN. Regierung von Mitteifranken, Abgabe 1978, Nr. 4776. Schreiben des Schulrats für den Kreis Schwa- bach am 9.6.1949 an die Regierung von Mittelfranken. Betr.: Amtliche Fortbildung. Bezug: RE. v. 21.4.1949 Nr. 1168 a 5. 13 Gespräche mit Herrn Fritz Thoma und Herrn Hans Heise, Ansbach, Herrn Schlepp, Heilsbronn.

638 da viele Lehrer infolge der Schulraumnot nachmittags Unterricht hatten.14 Die Gründung von örtlichen Arbeitsgemeinschaften Bayerischer Junglehrer (ABJ) und religionspädago- gischen Arbeitsgemeinschaften ermöglichte die gemeinsame Durcharbeitung des amtlichen Fortbildungsprogramms bzw. trug dazu bei, den Anforderungen der bayerischen Bekenntnisschulen Rechnung zu tragen. Die „Lehrenden selbst“ sollten „die notwendi- ge religionsgeschichtliche Überschau gewinnen“.15 Als im Juli 1946 der erste Amtliche Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Ober- franken und Mittelfranken neu erschien, wurde gleich auf der ersten Seite auf einen Ferienkurs für Lehrer, in „erster Linie für die Junglehrerschaft,“ hingewiesen, der in Nürnberg im Schulhaus Reutersbrunnenstraße vom 15. bis 27. Juli 1946 stattfinden soll- te.16 Der Leitgedanke hieß: „Schularbeit im Sinne Pestalozzis“. Grundlegende „Kultur- Referate durch Referenten des Ministeriums und Professoren der Universität Erlangen“ verhieß man, dazu Schulpraxis in verschiedenen Klassen und anschließende Ausspra- chen. An den Sonntagen waren „botanisch-geologische Wanderungen“ vorgesehen. Unter den Referaten gab es einige, die auf die notwendigen veränderten Einstellungen hinwiesen. Rektor Barthel, Nürnberg, sprach z.B. über „Pestalozzi und seine Ideenwelt - An- schauungsunterricht und Kulturkunde“. Amtsdirektor Dr. Raab, Nürnberg, referierte über „Pestalozzi und die Demokratie - Geschichte im neuen Geiste, gezeigt am Beispiel der englischen Demokratie“. „Leibeserziehung von gestern und heute“ und „Singen und Feiergestaltung“ waren Themen, die eine deutliche Absage an gewohnte Formen aus dem Dritten Reich signalisierten. Daß die aktuellen Diskussionen nicht vergessen wur- den, zeigte die Aufforderung an die Lehrer, daß „Stellung genommen“ werden sollte, und zwar zur Frage der Schulzucht17 und des Arbeitsschulgedankens.18 Lebhafte Aus- sprache erhoffte man sich zu den Bereichen „Probleme des Geschichtsunterrichts - Kul- turgeschichte und politische Geschichte - Gegenwartsnähe … geschichtliche Handlung und Persönlichkeiten - Erziehung zur Wahrhaftigkeit und zum Rechtsgefühl - staatsbür- gerliche Erziehung - der soziale Gedanke“.19 „Deutsche Geschichte im europäischen Zusammenhang“ war das Thema eines weiteren „Kulturvortrags“ von Professor Freiherr v. Pölnitz. Der Zweck dieses 14 Tage dauernden Kurses sollte es sein, „im Pestalozzijahr 1946 die wegweisenden Gedanken dieses großen Erziehers der Menschheit immer mehr zur Auswirkung gelangen“ zu lassen.20 Die Durchführung einer solchen aufwendigen Veranstaltung warf Probleme auf, die zum damaligen Zeitpunkt nicht leicht zu bewältigen waren. Die Kursgebühr betrug 5 RM, dazu mußten 10 RM für die zwölftägige Verpflegung gezahlt werden. Ferner waren Lebensmittelmarken für die Mittagsmahlzeiten abzugeben, und zwar pro Woche 25 g Fett, 150 g Brot, 50 g Fleisch, 1 kg Kartoffeln. Allerdings konnte man auf Morgen- kaffee und Mittagskost verzichten, ebenfalls auf das angebotene Massenquartier im Schulhaus, was ja nur möglich war, wenn man in Nürnberg oder in der unmittelbaren

14 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4776. Schreiben des Schulrats für den Kreis Schwa- bach am 9.6.1949 an die Regierung von Mittelfranken. Betr.: Amtliche Fortbildung. Bezug: RE. v. 21.4.1949 Nr. 1168 a 5. 15 Ebda. 16 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 14. Jg. Nr. 1 vom 1. Juli 1946, S. 1 f. 17 Kultusminister Fendt hatte im Juni 1946 die „Prügelstrafe“ aufgehoben. Siehe S. 208. 18 Amtl. Schulanzeiger für den Reg.-Bezirk Ofr. und Mfr. Ansbach. 14. Jg. Nr. 1 vom 1.7.1946, S. 2; StAN. Regie- rung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4785. Regierung von Mittelfranken am 28.6.1946. Ausschreibung eines Ferienkurses. 19 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4785. Regierung von Mittelfranken am 28.6.1946. Ausschreibung eines Ferienkurses. 20 Ebda.

639 Umgebung wohnte. Mitzubringen waren Teller, Tasse, Besteck und Wolldecke.21 Es mußte schon eine ganze Menge Enthusiasmus aufgebracht werden, wenn man sich zu solch einer Veranstaltung anmeldete. lmmerhin verzeichnete die Chronik der Stadt Nürnberg eine Teilnahme von 300 Lehrkräften aus ganz Franken und erwähnte beson- ders die Ansprache des Regierungspräsidenten Schregle, der „die Bedeutung der Erzie- hung für die äußere und innere Erneuerung des Kultur- und Wirtschaftslebens“ her- vorhob.22 Die Referate auf einer der ersten „pädagogischen Arbeitstagungen“, die im Okto- ber 1945 im Auftrag des Kultusministeriums im Nürberger Opernhaus durchgeführt wurden, lauteten: „Humanität und Demokratie“, „Die Erziehungsaufgabe der Volks- schule in der Gegenwart“, „Die Stellung der Wissenschaft während des Naziregimes und ihre Aufgabe in der Gegenwart“, „Bildungsfragen der Gegenwart“ und „Die Leh- ren der Geschichte der letzten 100 Jahre“. Die Vortragenden waren Dr. Raab und Bart- hel vom Schulamt Nürnberg, Regierungsschulrat v. Rudolph, Regierungspräsident Schregle und Dr. v. Eckardt vom Staatsministerium.23 Letzerer war von der Militärregie- rung für Bayern beauftragt worden, Vorträge über Entnazifizierung, Erneuerung und Demokratisierung des Schulwesens abzuhalten, und zwar auf pädagogischen Arbeitsta- gungen in ganz Bayern. Die „ideelle und schulfachliche Neuorientierung der gesamten Lehrerschaft“ war das Ziel. Anschließende Aussprachen waren „dringend erwünscht“.24 Die örtliche Militärregierung war jeweils „zu verständigen und einzuladen“, je ein Ver- treter des Kultusministeriums und der Regierung waren anwesend.25 Am 22. Oktober 1945 sprach v. Eckardt in Coburg,26 am 27. Oktober in Eichstätt,27 ebenfalls im Oktober in Hof.28 Dort hatte die örtliche Militärregierung bereits eine Unterweisung der Lehrer angeordnet, „die vom Stadtschulamt Hof in einem von der Militärregierung gewünsch- ten Rahmen durchzuführen war“.29 Die Vortragenden, Lehrer von Gymnasium und Volksschule, sprachen über den „Lehrer als politischen Erzieher der Jugend“, „Grundsätzliches über Religion und Erziehung“, „Autorität und Freiheit im Staatsleben“ und den „Weg der Schule im demokratischen Staat“. Der örtliche Dekan referierte über „Die Voraussetzungen christlicher Erziehungsarbeit.“ Er mußte außerdem auf Wunsch der Militärregierung die Tagung „religiös“ umrahmen.30 Auf diesen Arbeitstagungen hörte man viele lokale Referenten, meist Lehrer, die sich z.B. „Gedanken zum Neuaufbau des deutschen Schulwesens“ machten,31 sich zu diesem frühen Zeitpunkt mit der „staatsbürgerlichen Erziehung im demokratischen Staat“32 auseinandersetzten oder über „Pestalozzi und das Wesen der Menschenbil- dung“ sprachen.33 Einer der ersten Vorträge, die die Nürnberger Lehrerschaft bereits am

21 Ebda. 22 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 15.-27.7. 1946. Ferienkurs für Lehrer (NN 17., 24. und 31.7.46). 23 Ebda., 30.10.1945. Pädagogische Arbeitstagung (Monatsbericht an den Regierungspräsidenten für Novem- ber 1945; Amtsblatt Nr. 43; NN vom 24.10.1945). 24 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. RE. Nr. 1075 b 3. Der Regierungspräsident, Ansbach, am 3.10.1945 an Stadt-und Bezirksschulämter. 25 Ebda. 26 Amtsblatt des Land- und Stadtkreises Coburg, Nr. 13 vom 20.10.1945. 27 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4487. Schreiben des Bezirksschulamtes Eichstätt an den Regierungspräsidenten in Ansbach. 28 Ebda. ‚ Schreiben des Stadtschulamtes Hof am 13.10.1945 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. 29 Ebda. 30 Ebda. 31 Ebda., Schreiben des Bezirksschulamts Eichstätt im Oktober 1945 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. 32 Ebda., Schreiben des Schulrats von Rothenburg o.T. am 12.10.1945 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. Vortragender: Dipl. Handelsoberlehrer Dr. W. Müller. 33 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 13.2.1946. Pädagogische Tagung (Amtsblatt Nr. 9/NN 16.2.1946).

640 7. September 1945 zu hören bekam, befaßte sich mit den politischen Parteien Eng- lands.34 Späteren Einschätzungen zufolge waren „die Pädagogischen Tagungen für die Gesamtlehrerschaft in Nürnberg“ - sämtlich Großveranstaltungen -„weltanschaulich“ wichtig, in ihrer Ausgestaltung (musikalische Umrahmung) und Durchführung (keine Debatten) seien sie aber noch sehr an die bekannten Formen des verflossenen Regimes angelehnt gewesen.35 Eine bildungspolitische Neuorientierung sollte ganz offensichtlich fol- gende Entscheidung des Koordinierungsausschusses des Alliierten Kontrollrats für Deutschland im April 1946 bewirken: Je zwei Erzieher aus jeder Besatzungszone durften wöchentlich zum Nürnberger Prozeß entsandt werden. Vor allem sollten Universitäts- professoren und solche Beamte des Erziehungswesens ausgewählt werden, „deren erzieherischer Einfluß einen größeren Kreis umfaßt“, doch konnten auch Gymnasial- und Volksschullehrer teilnehmen.36 Ob diese Anordnung den erwünschten Erfolg hatte, ist sicher nicht eindeutig zu beantworten; sie barg immerhin die Gefahr, daß einer der Prozeßbeobachter seine subjektive Wahrnehmung einer Siegerjustiz mit nach Hause nahm und dort als Multiplikator verbreitete. Nach den ersten pädagogischen Arbeitstagungen, die den Eindruck einer weltan- schaulichen Umerziehung im Hau-Ruck-Verfahren machten, wurden allmählich Fortbil- dungen angeboten, die sich enger auf Schule und Unterricht bezogen. Eine „Sommerta- gung für Junglehrer“ im August 1947 thematisierte die Forderung des richtigen Zusam- menlebens. Dr. Marion Edman von der Erziehungsabteilung der Militärregierung für Bayern referierte über das „Zusammenleben mit Minderheiten“, und drei Lehrer brach- ten „Beiträge zur Lösung der Frage aus der Erziehungs- und Unterrichtspraxis der Volks- schulklasse“.37 Die Thematik war angesichts der Flüchtlingsströme nach Bayern sicher dringend erforderlich, erhielt ihre Bedeutung aber auch hinsichtlich der sich abzeichnen- den konfessionellen Spannungen in den bayerischen Volksschulen. Der Bericht über eine Junglehrertagung in München im April 1947 zeigte, daß der Bedarf an Hilfe in erziehli- chen und unterrichtlichen Fragen groß war. Aus allen Regierungsbezirken Bayerns - „vor allem Mittelfranken“ - hatten sich 450 Junglehrer angemeldet, schließlich kamen „650-700 junge Menschen“. Der Berichterstatter erklärte den überwältigenden Andrang mit dem „Hunger der jungen Leute nach geistiger Nahrung“.38 Die Teilnahme an solchen Tagungen erforderte ja damals eine aufwendige Organi- sation, beginnend mit der Anreise, über die Frage der Verpflegung und der Übernach- tung, bis hin zur Finanzierung. Vorsorglich hieß es bei der Ausschreibung der Sommerta- gung in München, daß Übernachtungsmöglichkeiten nicht nachgewiesen werden könn- ten und in der Nähe des Tagungsortes höchstens 200 Menschen im Gasthaus ein Mittagessen erwarten durften.39 Tagungen auf örtlicher Ebene, deren es etliche gab, hatten diesbezüglich weniger Probleme. Über einen Ferienkurs für Junglehrer im Bereich des Schulamtsbezirks Uffenheim hieß es, daß die über 40 Lehrer und Junglehrer vom Ernährungsamt Uffenheim „Werkküchenzulagen“ erhalten hätten, daß das Essen in der Berufsschule bereitet und verzehrt worden sei. Ob allerdings die Referate, denen hohes Niveau attestiert wurde, so hilfreich für die Probleme der Unterrichtspraxis waren, durfte angesichts der Themen bezweifelt werden: „Einführung in die griechische Philosophie

34 Ebda. 7.9.1945 (Auskunft der Schulverwaltung). 35 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4776. Bericht des Bezirksschulamts Nürnberg-Land am 27.5.1949 an die Regierung von Mittelfranken/Schulabteilung. Betreff: Amtliche Fortbildung. RE. v. 21.4.49 Nr. 1168 a 5. 36 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 29 vom 12.4.1946, o. S. 37 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 10 vom 5.8.1947, S. 80 f. 38 BayHStA München. MK 62006. Bericht von A. Simon (Studienrat) an das Kultusministerium über die Oster- Ferientagung für Junglehrer am 2. und 3. April in München. 39 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 10 vom 5.8.1947, S. 81.

641 anhand ihrer Geschichte“ (prakt. Arzt Dr. Schauwecker), „Einführung in die Psycholo- gie- und Charakterkunde“ (Pfarrer Ströhle), „Revolutionäre Bewegungen im vorigen Jahrhundert. Entstehung der Parteien“ (Pfarrer und Direktor der Oberschule Uffenheim, Lederer), „Jugendstrafrecht“ (Amtsgerichtsrat Kuhn), „Ältere Orgelmusik“ (Stadtkantor Schneider, Windsheim). Außerdem las der Bamberger Schriftsteller Brenner aus eigenen Werken und leitete eine „Diskussion über die geistige Situation der Zeit“. Einzig Stadt- schulrat Schorer aus Fürth bezog sich konkret auf die Schule, da er über die Idee der Ganzheit und den Gesamtunterricht referierte.40 Gleichwohl hatten die Referate, die sich nicht explizit mit dem täglichen Unterrichtsgeschehen befaßten, ihre Berechtigung nach Jahren der Gleichschaltung und geistigen Beschränkung. Auch der neue Kultusminister Hundhammer kam im Januar 1947 zu einer pädagogischen Tagung im Nürnberger Opernhaus, wo er zur „gesamten Lehrerschaft und an Erziehungsfragen interessierten Gästen“ sprach „Herzliche Worte des Grußes“ wurden ihm vom Vorsitzenden des Bezirkslehrervereins zuteil, und der Nürnberger Oberbürgermeister Ziegler schilderte dem Vertreter der Landesregierung „die traurigen Zustände ‚nördlich der Donau’“. In seinem Referat betonte Hundhammer „mit Nachdruck, daß die Bekenntnisschule auf keine andere Weise als es in der Verfassung beschlossen liegt, durchgeführt werden“ solle. Außerden nannte er Zahlen zu den bayerischen Schulverhältnissen, bemerkte, daß 90 Prozent aller früheren bayerischen Lehrer mit „Rostflecken“ (sic!) behaftet seien und ver- trat, eingehend auf Erziehungsfragen, die Ansicht, daß „die letzte Entscheidung über das Schicksal der Völker ... in der Schule“ erfolge.41 Ob seine Ausführungen sehr hilf- reich für den angestrebten neuen Unterricht waren, darf getrost bezweifelt werden. Wer das nötige Geld und das Glück hatte, angenommen zu werden, konnte an einer der Junglehrerfreizeiten in Fleckl bei Warmensteinach im Fichtelgebirge teilneh- men, wo je eine Woche „Schulung“ angeboten wurde.42 Auch über ein Preisausschrei- ben erhoffte man sich eine Weiterbildung zur inneren Schulreform. Die bayerischen Leh- rer aller Schularten wurden eingeladen, sich mit dem Thema „Das Unterrichtsgespräch“ zu beteiligen und dazu zwölf Maschinenschriftseiten zu verfassen.43 Pädagogische Tagun- gen zur inneren Schulreform befaßten sich auch mit neuzeitlichen Lehr- und Unter- richtsmitteln, vor allem mit Unterrichtsfilm und Schulfunk,44 boten Schultheater, Ausstel- lungen von Schülerarbeiten im Zeichnen und Werken und den Besuch der Eltern im Unterricht und in Schullandheimen.45 Einen hervorragenden Beitrag zur Weiterbildung auf dem Gebiet der Politik und damit für die Schulen in Sozialkunde leistete die am 14. Juli 1950 gegründete Hoch- schule für Politische Wissenschaften in München, die einzige dieser Art in Westdeutschland neben der Hochschule für Politik in Berlin. Der ehemalige SPD-Kultusminister Franz

40 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4565. Bericht des Schulrats des Kreises Uffenheim am 30.8.1947 über den Ferienkurs für Junglehrer im Landkreis Uffenheim, 18.8.-23.8.1947, in Verbindung mit der VHS Uffenheim. 41 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 25.1.1947. Pädagogische Tagung. (Amtsblatt Nr. 3/1947; NN 22. u. 29.1.1947). 42 Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken, Ansbach. 15. Jg. Nr. 6 vom 10.6.1947, S. 40. 43 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 10 vom 5.8.1947, S. 81. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 29.5.47 Nr. VIII 16203 über ein Preisausschreiben des Kreisschulamtes Oldenburg/Holstein. 44 Schule und Gegenwart 1/1950, S. 22. Kreislehrerverein Unterfranken. 45 BayHStA München. MK 52426. Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Lehrer- und Erzieherverbände am 26.1.1951 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Bayerische Schulwoche, 31.3.-7.4.1951.

642 Fendt hatte die Leitung inne.46 Die Hochschule veranstaltete auf Anordnung des Kultus- ministeriums ab Herbst 1951 Vortragsreihen an den Lehrerbildungsanstalten, die von den Studierenden sehr begrüßt wurden. Themen einer Vortragsreihe vom 6. Mai bis 19. Juni 1952 waren u. a.: „Grundfragen der politischen Willensbildung“ (Dr. Heinz Gollwitzer), „Vergleichendes Verfassungsrecht“ (Dr. Thomas EIlwein), „Deutsche Agrarpolitik seit 1870“ (Dr. Werner Mahr), „Übernationale Wirtschaft“ (Dr. Franz Fendt).47 Zuschüsse in Höhe von 6000 DM „(z)ur Aktivierung der Jugendarbeit” gab das Bundesinnenministerium für die Vortragsreihe im Oktober 1951.48 Die Lehrer- und Leh- rerinnenbildungsanstalten sandten Berichte über den Erfolg der Angebote. So schrieb die „Lehrerinnenbildungsanstalt mit Oberschule in Kurzform der Englischen Fräulein“, Freudenhain bei Passau: „Die Vortragsreihe ist einem starken Bedürfnis aller Hörer ent- gegengekommen und hat einen bisher mitunter sehr fühlbaren Bildungsmangel einer- seits noch bewußter gemacht, andererseits auszugleichen gesucht... Es wäre sehr zu wünschen, wenn dieser erstmalige Versuch politisch-sozialer Schulung Fortsetzung fände. …Speziell das neu eingeführte Fach Sozialkunde hat durch diese Vortragsreihe eine lebendige Einführung erfahren und begegnet seither großer Aufgeschlossenheit in der VIII. Klasse.“49 Sowohl 1952 als auch 1953 wurden die Vortragsreihen fortgesetzt, an den Lehrerbildungsanstalten im Jahr 1953 zwei- und dreitägig, und das Echo war wei- terhin positiv. Man schätzte nicht nur die Vermittlung neuer politischer und wirtschaftlicher Erkenntnisse, sondern stellte fest, daß die Adressaten anschließend von erhöhtem Eifer erfüllt waren, „politische Bildung und politisches Leben ernst zu nehmen“.50 Themen der staatspolitischen Tagungen an den bayerischen Lehrerbildungsanstalten ab Herbst 1953 waren z.B.: Die verfassungspolitische Entwicklung Deutschlands seit 1871, Grund- züge der Staats- und Kommunalverwaltung, Großmächte der Gegenwart, Internationale Organisationen, Staatsaufbau nach dem Bonner Grundgesetz, Entwicklung der deut- schen Parteien, Grundfragen der Sozialpolitik, die Bayerische Verfassung, Ordnung des Wirtschaftslebens.51 Die angehenden Volksschullehrer wurden auf diese Weise geschult, bessere Fort- bildung wurde aber für die mittlere Lehrergeneration gefordert, die auch 1953 noch immer an den Kriegs- und Nachkriegszeiten leide, vor allem wegen der Unterbrechung der Lehrtätigkeit; und auch die älteren Lehrer seien verstärkt fortzubilden, da sie für die Gesinnungsfächer, also Geschichte und Sozialkunde, nicht die neuen, wertvollen Ergebnisse der Methodik anzuwenden in der Lage seien, und gerade das umfangreiche Stoffgebiet der Sozialkunde stelle den Lehrer bei der methodischen Behandlung vor große Probleme.52 Ein wichtiger Bereich für das Ziel, die Lehrer mit demokratischen Unter- richtsformen und einem demokratischen Schulleben vertraut zu machen, war die soge- nannte Amtliche Fortbildung zur Vorbereitung auf die Anstellungsprüfung für Volks- schulen, beginnend mit dem 1. Dezember 1945. Das Thema des Arbeitsplanes für die Fortbildung im Schuljahr 1945/46 lautete: „Die Volksschule im Übergangsjahr

46 Ebda., MK 61423. Bericht der Hochschule für Politische Wissenschaften. 47 Ebda., Vortragsreihe für politische Erziehung in den Pädagogischen Lehrgängen, veranstaltet von der Hoch- schule für Politische Wissenschaften, München. 48 Ebda., Staatspolitische Erziehung für Jungleiter (sic!) und Junglehrer. 49 Ebda. 50 Ebda., Bericht der Privaten Lehrerinnenbildungsanstalt mit Oberschule in Kurzform der Dominikanerinnen in Wettenhausen über die staatspolitische Tagung vom 30.11. bis 2.12.1953 der Hochschule für Politische Wis- senschaften. 51 Ebda., Staatspolitische Kurse an den bayerischen Lehrerbildungsanstalten für 2 Jahre. Beginn: Herbst 1953. 52 Ebda., MK 52311. Schreiben des OStR Dr. Loskarn am 7.3.1953 an das Bayer. Staatsministerium für Unter- richt und Kultus.

643 1945/46.“53 Zur „Theoretischen Pädagogik“ gehörten Gegenstände wie: „Die Volks- schule, eine Bildungsstätte - auch unter den schwierigen Verhältnissen unserer Zeit“, „Die Verwirklichung demokratischer Gedanken und Grundsätze in der Schule“, „Forde- rungen der Gegenwart an den Unterrichtsstoff“ oder „Gesinnungsbildende Stoffe und ihre Gestaltung im Unterricht“.54 Letzteres Thema fand am vierten Fortbildungstag im Juni 1946 seine Präzisierung: „Der Leseunterricht als Gesinnungsunterricht.“55 Der zwei- te Fortbildungstag im März orientierte sich an den problematischen Verhältnissen an den Schulen, denn er stand unter dem Motto: „...Gesamtunterricht in der geteilten Schule und in der ungeteilten Landschule im Hinblick auf die besonderen Schwierigkei- ten dieses Jahres…“56 Der Fortbildungsplan für das Schuljahr 1947/48 beinhaltete als großes Thema - man hätte zu diesem Zeitpunkt, da man mit der amerikanischen Militärregierung wegen der Schulreform im Fehde lag, kein besseres finden können - „Die soziale und staatsbür- gerliche Erziehungs- und Bildungsaufgabe der Volksschule“. Er schrieb vor, die staats- bürgerliche bzw. soziale Erziehung in den Werken verschiedener Pädagogen, z. B. Ker- schensteiner, zu untersuchen, die sozialpädagogischen Aufgaben der Volksschule und die staatsbürgerliche Erziehung im Rahmen der Volksschulerziehung zu betrachten, über Entwicklung und Stand der sozialen Erziehung in der anglo-amerikanischen Pädagogik zu berichten, besondere unterrichtliche Maßnahmen im Dienste der sozialen Bildung der Schüler kennenzulernen, z.B. den arbeitsteiligen Unterricht, den Gedanken und die Möglichkeiten der Schülerselbstverwaltung zu diskutieren, Bürger- und Sozialkunde als Wissens- und Gesinnungsfach zu betrachten.57 Verschiedene Fortbildungsleiter berichteten über die Durchführung des Planes. Einer schrieb zum zweiten Fortbildungstag, an welchem die staatsbürgerliche Erziehung auf dem Programm stand, es sei eine 8. Knabenklasse in Nürnberg interviewt worden, die über die Aufgaben, Rechte und Pflichten ihrer drei Klassenräte berichtete, Strafen auf- zählte, die über die Mitschüler verhängt wurden, welche sich der Ordnung nicht fügen wollten, und Auskunft gaben über ihre „Klassengemeinde“. Der Fortbildungslehrer favorisierte Berthold Otto,58 einen Pädagogen, an den sich nahezu alle befragten Lehrer erinnerten. Er sei, wie Kerschensteiner, in den Nachkriegsjahren bevorzugt worden.59 Die Fortbildungsleiterin des Bezirks Ansbach-Ost berichtete, daß sie mit ihren Lehramtsanwärtern die Frage diskutiert habe, ob sich „die Auffassung der sozialen Erziehung in der anglo-amerikanischen Pädagogik mit der deutschen Pädagogik“ decke. Natürlich habe man Unterschiede entdeckt, im besonderen, was die Wurzeln sozialer Erziehung in beiden Ländern betreffe.60 Für Deutschland nahm man in Anspruch, daß sich die soziale Pädagogik und ihre Richtlinien aus Philosophie und Religion entwickelt hätten und - bemerkenswert - „aus der Erkenntnis der Schäden des gegenwärtigen Lebens“ für die Jugend. Diese Sätze belegten, daß jahrhundertealte Traditionen nicht

53 Ebda., MK 62006. Schreiben Nr. IV 31231 des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 1.12.1945 an die Regierungspräsidenten. 54 Ebda. 55 StAN. Regierung von Mitteifranken, Abgabe 1978, Nr. 4776. Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums am 22.12.1945 an den Regierungspräsidenten in Ansbach. ME. v. 1.12.45 Nr. IV 31231 A ll. 56 Ebda. 57 BayHStA München. MK 62006. ME. v. 12.8.47 Nr. IV 33640. Fortbildungsplan 1947/48. 58 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4779. Niederschrift über den 2. Fortbildungstag am 24.1.1948, Bez. Nbg. -Nordost/Fortbildungsleiter Roedl, an die Regierung von Mittelfranken. 59 Gespräche mit Herrn Hermann Dehm, Ansbach, Herrn Ingo Hümmer, Ansbach, Herrn Fritz Thoma, Ansbach, Herrn Prof. Hans Glöckel, Nürnberg, Herrn Schlepp, Heilsbronn, Frau Ruth Borkholder, Ansbach. 60 StAN. Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978, Nr. 4779. Niederschrift über den 3. Fortbildungstag des Fortbildungsbezirkes Ansbach Ost, Sophie Lauerer, vom 29.4.1948.

644 ausgereicht hatten, die Krise zu bewältigen, in der man sich befand. Notgedrungen musste man sich ganz schnell der Sozialpädagogik der Amerikaner zuwenden, die nach Ein- schätzung der Fortbildungsleiterin von sachlicher und praktischer Einstellung zum öffentlichen Leben gekennzeichnet sei und die Verantwortlichkeit gegenüber Mit- mensch, Gemeinde, Vaterland und anderen Ländern in den Vordergrund stelle.61 Leider wurde nicht berichtet, welche Variante, die amerikanische oder die deutsche, von den Fortbildungspflichtigen für wertvoller erachtet wurde. Ein Bericht über die Durchführung des Fortbildungsplanes im Bezirk Ansbach- Land-Ost vom Oktober 1949 befaßte sich mit der „Einführung in das Gedankengut der Arbeitsschulbewegung: Kerschensteiner, Gaudig, Scheibner“. Dazu schrieb die Fortbil- dungsleiterin, daß ihr Vorschlag, in Gruppen zu arbeiten, abgelehnt worden sei. Als Gründe nannten die Lehramtsanwärter Zeitmangel, Zweifel am Erfolg und Wert der Zusammenkünfte und die mangelnde Gewöhnung an die Betätigung in Arbeitsgrup- pen.62 Hier war doch bemerkenswert, daß man in der Theorie dem Arbeitsschulgedan- ken durchaus nicht abgeneigt war, daß die Chance der Anwendung aber nicht genutzt wurde. Der Einwand des Zeitmangels war nachvollziehbar; Verkehrsverhältnisse und die große Belastung durch riesige, im Abteilungsunterricht geführte Klassen, für die man sich bis spät in die Nacht vorbereitete, standen einem Treffen in Gruppen entgegen. Die Fortbildungspflichtigen schreckten aber auch davor zurück, da sie offensichtlich keine Ahnung hatten, wie Arbeitsgruppen praktisch zu bewerkstelligen waren; daraus resul- tierend erschienen sie ihnen weder erfolgversprechend noch lohnend. Es genügte eben nicht, Gruppenarbeit nur vorzuschlagen. Man hätte sie schon an den Fortbildungstagen erproben, und der verantwortliche Ausbilder hätte die Lehrer anleiten müssen. Zusam- menarbeit gab es daher großenteiIs nur bei den eher informellen Treffen der neuerstan- denen Kreisverbände des Bayerischen Lehrervereins, wo neben dem geselligen Beisam- mensein auch die gemeinsame Erarbeitung von Stoffplänen möglich war.63 Bezeichnend für die offensichtliche Hilflosigkeit der Lehrer, in ihren Mammutklassen Arbeitsunterricht mit Gruppenbildung durchzuführen, war der Vorschlag zum Fortbildungsplan für 1950/51: „Die Schulklasse als Masse“ lautete die Empfehlung eines Fortbil- dungsleiters.64 Explizit mit Sozialkunde befaßten sich die Themen für das Schuljahr 1951/52; z.B. kam von der Regierung von Oberfranken der Vorschlag „Sozialkunde als Kern einer ganzheitlichen Unterrichtsplanung im 8. Schülerjahrgang“ für die Jahresar- beit.65 Ähnliche Vorschläge wurden auch aus anderen Regierungsbezirken eingereicht.66 Offensichtlich empfanden die solcherart fortzubildenden jungen Lehrer ihre Vor- bereitung auf den Beruf mangelhaft, da es auf einer ABJ-Tagung in Nürnberg im Februar 1951 zu einer langen Diskussion darüber kam, die in ein Telegramm an Kultusminister Schwalber mündete, in dem ausgedrückt wurde, daß „das amtliche Fortbildungspro- gramm den gegenwärtigen Verhältnissen“ nicht mehr genüge. Man schlug vor, vor Bekanntgabe des neuen Programms „Vertreter der Fortbildungsleiter und der ABJ zu

61 Ebda. 62 StAN. Regierung von Mitteifranken, Abgabe 1978, Nr. 4779 A. Bericht über die Durchführung des Fortbil- dungsplanes im Fortbildungsbezirk Ansbach-Land-Ost. Fortbildungsjahr 1948/49, am 15.10.1949 an die Re- gierung von Mittelfranken. 63 Dannhäuser, S. 410-416. 64 BayHStA München. MK 62017. Schreiben des Fortbildungsleiters Dr. Paul Düring, Randersacker bei Würz- burg, am 3.1.1950 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. Betr.: Fortbildung für Volksschul- Lehrkräfte 1950. 65 Ebda., MK 62007. Der Regierungsbeauftragte für die Lehrerbildung in Oberfranken am 16.2.1951 an das Staatsministerium für Unterricht und Kultus. 66 Ebda.

645 einer gemeinsamen Konferenz über die Amtliche Fortbildung einzuladen und auch deren Vorschläge zu diskutieren und zu berücksichtigen“.67 Den Teilnehmern an der Tagung, die sich an der Diskussion über das Fort- bildungsprogramm beteiligt hatten, wurden Disziplinarmaßnahmen angedroht, was angesichts der eingereichten Themen über Sozialkunde heute geradezu absurd erscheint, aber auch damals auf völliges Unverständnis stieß, da man sich zu dieser Hal- tung nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet fühlte. Die Schulkinder hatten ja unter mangelhaft ausgebildeten Lehrern zu leiden!68 Es gab außerdem genug Fortbil- dungsleiter, bei denen die Junglehrer „Befehl und Gehorsam“ lernten und die an ihre jungen Kollegen die Devise ausgaben: „Wie geblasen wird, so wird geritten.“69 Nicht nur die Lehrer selbst empfanden ihre Fortbildung als unzureichend. Im Schul- und Kulturausschuß des Stadtrats von Nürnberg wurde bekanntgegeben, daß im Etat der Stadt „erstmals ein Betrag von 5000 DM für Lehrerfortbildung eingesetzt“ worden sei, um die Lehrer „mit Material für ihre Arbeit in der Schule auf dem Gebiet der Staats- bürgerkunde und der Lebenskunde zu unterstützen, weil von allen Seiten geklagt wurde, daß dieser Unterricht nicht ganz auf der Höhe sei...“. 70 Im Dezember desselben Jahres diskutierte man im gleichen Ausschuß noch einmal über die Lehrerfortbildung, für die der Staat bisher wenig getan habe. „Wenn wir haben wollen, daß das Nürnberger Schulwesen wieder den früheren guten Ruf genießen soll, dann muß die Fortbildung der etwa 900 Lehrer eine entsprechende Förderung seitens der Stadt erfahren ... Sie müssen in die Lage versetzt sein, den Lehrstoff der seelischen und geistigen Aufnahmefähigkeit entsprechend an die Kinder heranzubringen...“ Für die Weiterbildung, welche die ganze Lehrerschaft betreffe, sei bisher wenig getan wor- den. Der Staat fordere, daß Städte und Gemeinden diese Aufgabe zu übernehmen hätten, diese aber den umgekehrten Standpunkt verträten.71 Der Schul- und Kulturausschuß kam einstimmig zu folgendem Ergebnis: „Da einerseits der Staat die Lehrerfortbildung in nur unzureichendem Maß betreibt und fördert, andererseits aber die Bedeutung ent- sprechender Maßnahmen zur Hebung des Bildungsniveaus an den Volksschulen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, .. .schlägt der Schul- und Kulturausschuß die Bereitstellung von Mitteln für Fortbildungslehrgänge (ca. 20.000 DM) für den Haushalt 1954 vor.“72 Insgesamt lieferte die Lehrer-Fortbildung ein uneinheitliches Bild. Während man den jungen Lehrern zusätzlich zu ihrer regulären Ausbildung vielfältige und moderne Angebote machte, insbesondere nach Gründung der Hochschule für Politik, war die Fortbildung der mittleren und älteren Lehrergeneration eher ein Konglomerat aus Good- will-Aktionen, Schnellreaktionen auf Defizite und zufälligen Kapazitäten. Der Wert für den Unterrichtsalltag war aufgrund des zweifelhaften Praxisbezugs nicht immer einsichtig.

67 Ebda., MK 62007. Tagung der ABJ am 24./25.2.1951 in Nürnberg. Telegramm an Kultusminister Dr. Schwal- ber, 26.2.1951, gez. Wilhelm Ebert, Leiter der Tagung.NN vom 5.3.1951. 68 Ebda., NN Nr. 39 vom 10.3.1951. 69 Gespräch mit Herrn Schlepp, Heilsbronn. 70 Stadtarchiv Nürnberg. C7/IX SRP Nr. 1306. Niederschrift über die Sitzung des Schul- und Kulturausschusses am 12.6.1953/ nichtöffentlich, S. 2. 71 Ebda., SRP Nr. 1307. Niederschrift über die Sitzung des Schul- und Kulturausschusses am 11.12.1953. 72 Ebda. Gutachten, Beilage 4. Die Nürnberger Zeitung berichtete, daß der Stadtkämmerer schon die Zustim- mung erteilt habe, daß man für den kommenden Etat diese Summe anmelden könne. (Ebda., SchV C 24, Nr. 148. Nürnberger Zeitung vom 28.11.1953).

646 9. LEHRER- UND SCHÜLERAUSTAUSCH

Die amerikanische Erziehungskommission unter Leitung von George Zook hatte 1946 in ihrem Bericht geschrieben, daß man „‚fair play’, gegenseitige Rücksichtnahme, ein- fühlendes Verstehen des anderen... in der Hauptsache am lebendigen Beispiel derer, die diese Haltung verkörpern“, erlerne.1 Daraus leitete sie die Forderung ab, deutsche Stu- denten, Lehrer, Schüler, Professoren und „führende Persönlichkeiten aus den Ministerien zum Besuch von Schulen in andere Länder“, wohl vorzugsweise in die USA, zu schicken.2 Umgekehrt sollten Erziehungsfachleute und amerikanische Studenten nach Deutschland kommen.3 Über solche Pläne konnte man bereits im Juni 1946 in der Fränkischen Landeszeitung lesen, und zwar im Zusammenhang mit einem Bericht über die „Sitzung der Union für internationale Zusammenarbeit“ in Stuttgart.4 Man sah zwar die Schwierigkeiten, die zu dem Zeitpunkt einem solchen Unternehmen entgegenstanden, aber es gelte, „dem Ausland zu zeigen, daß in Deutschland Menschen leben, die den Willen haben, den Frieden aufrecht zu erhalten und ihr Land nach neuen demokratischen Richtlinien auf- zubauen“. Jugendliche, von deutscher Seite nach strengen Maßstäben ausgesucht, soll- ten ins Ausland, besonders in die Vereinigten Staaten geschickt werden. Zur Forderung der amerikanischen Erziehungskommission, die Geldmittel für das Hilfsprogramm für das deutsche Erziehungswesen auf keinen Fall zu kürzen, sondern womöglich aufzustocken, kommentierte General Clay, daß für den Studentenaustausch erhebliche Mittel notwendig seien, daß aber seiner Meinung nach am wichtigsten sei, junge deutsche Lehrer zur Ausbildung in die USA zu schicken, und zwar „für die näch- sten 10 Jahre“.5 Noch seien Devisen für Deutschland knapp, aber sobald sie da seien, sollten Lehrer ein oder mehrere Jahre an Hochschulen und Universitäten demokratischer Länder studieren können; „denn jeder verlorene Tag bedeutet, daß die Kinder in den deutschen Schulen … der rechten Führung beraubt sind“.6 Die jungen Leute, die die Umerziehung des deutschen Volkes bewirken müßten, sollten den Vorzug haben, „sich selbst mit der Demokratie dort vertraut zu machen, wo sie am Werke ist“.7 Viele Lehrer und Studenten in die USA zu schicken sei ein Beitrag zum Weltfrieden und für die Demokra- tie, wie er bedeutender nicht sein könne, und der amerikanische Bürger solle ihn hoch einschätzen.8 Letzteres hieß sicher auch, daß die Amerikaner freudig die Kosten dafür tragen sollten. Bevor aber Anordnungen verwirklicht werden konnten, wie z.B. die Beschleuni- gung von Einrichtungen internationaler kultureller Beziehungen, um die geistige Isolie- rung der Deutschen zu überwinden,9 mußten die strengen Bestimmungen, „die ameri- kanisches und deutsches Personal trennen, gemeinsame Mahlzeiten unmöglich machen und eine künstliche Scheidewand aufrechterhalten,“ so abgeändert werden, daß natürliche Beziehungen hergestellt werden konnten.10 Erst allmählich konnten diese Hindernisse

1 Erziehung in Deutschland, S. 35. 2 Ebda.,S.35 f, 38, 56. 3 Ebda., S.38. 4 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 16 vom 15.6.1946, S. 3. 5 BayHStAMünchen. MK 53201. Entwurf des Amtes der Militärregierung für Deutschland. Amt des Militär- gouverneurs. APO 742. Stellungnahme zum Bericht der U.S. Erziehungskommission für Deutschland (gez. Lucius D. Clay) an Generalmajor 0. P. Echols, Abtlg. für Zivilangelegenheiten, Kriegsministerium, Washington D.C.; Erziehung in Deutschland, S. 58. 6 Ebda., S. 40 f. 7 Ebda., S. 46 f. 8 Ebda. 9 Bungenstab, S. 54. (JCS 1779/11.7.1947). 10 Erziehung in Deutschland, S. 53.

647 beseitigt werden und „deutsche Erzieher mit ausländischen Fachleuten über neuzeitli- che Lehrmethoden sprechen“.11 „Das Austauschprogramm führte bis zum 31. März 1949 über 115 Fachleute nach Deutschland, von denen 90 aus Amerika waren ... Gleichzeitig wurden aus Deutschland 185 Fachleute und 359 Studenten und Jugend- führer nach den Vereinigten Staaten geschickt. Öffentliche Stiftungen und Universitäten in Amerika unterstützten den Austausch, der zum Teil durch bewilligte Gelder, Stipendien und sonstige Mittel finanziert wurde.“12 Über Sinn und Erfolg der „Entsendung amerika- nischer Sachverständiger zum Zwecke unmittelbarer Fühlungnahme und des Gedanken- austausches mit ihren deutschen Fachkollegen“, wie die amerikanische Erziehungskom- mission das empfohlen hatte,13 war man offensichtlich bei der Militärregierung für Deutschland geteilter Meinung. Man warf ihnen ihre häufig fehlenden Deutschkennt- nisse, die extrem kurze und daher wenig sinnvolle Tätigkeit in der amerikanischen Be- satzungszone und ihre privilegierte Stellung gegenüber ihren Kollegen bei der Militärre- gierung vor.14 Auf deutscher Seite war man - relativ mißtrauisch - zum Teil der Meinung, daß zweit- oder drittklassige Vertreter verschiedener Wissenschaften herüberkamen, die hier versuchten, sich zu profilieren, was ihnen zu Hause nicht gelungen war. Wilhelm Ebert konnte sich bei seinem Studienaufenthalt in den USA im Jahr 1949 jedoch überzeugen, daß die Amerikaner ihre besten Köpfe schickten, die an den von ihm besuchten Univer- sitäten bestens bekannt waren.15 In der Presse wurde vor allem in den Anfangsjahren über Aktivitäten deutscher und amerikanischer Jugendlicher berichtet, die im besiegten Deutschland um Annähe- rung bemüht waren. Zum Beispiel berichtete die Neue Zeitung im Juli 1946 von „Ameri- kanisch-deutsche(n) Ausspracheabende (n)“ in Wiesbaden, die sich lebhafter Beteili- gung erfreuten und die Gelegenheit zu offenen Debatten boten. Besonders vermerkt wurde, daß den deutschen Jugendlichen die „Anschriften von etwa 40 amerikanischen Jugendorganisationen“ überreicht wurden, mit denen Briefwechsel und Gedankenaus- tausch aufgenommen werden sollte.16 Eine Meldung wert war der Fränkischen Landes- zeitung im Oktober 1946 die Gründung des „Amerikanischen Demokratischen Klub(s)“ der amerikanischen Kinder der Erlanger Flugstation. Das Ziel dieser Vereinigung waren sportliche und gesellschaftliche Aktivitäten und die Teilnahme am „deutschen Jugend- programm“.17 Der „German-American Club“ wurde im Künstlerhaus in Nürnberg ge- gründet. Durch „gegenseitige Verständigung der jungen Menschen beider Nationen“ sollte Arbeit „am Frieden“ geschehen. Die Eröffnung des Clubs geschah in Anwesenheit eines Obersten Williams von der Militärregierung und des Regierungspräsidenten von Mittelfranken, Dr. Schregle. Die Patenschaft für diesen Club übernahm das ameri- kanische Militärgericht in Nürnberg.18 Über Schüleraustausch mit amerikanischen Familien in Nürnberg berichtete der Schul- und Kulturausschuß im Jahr 1953. Diese Einrichtung habe in den vergangenen Jahren große sozialpädagogische Erfolge aufweisen können, und man dachte an eine Erweiterung des Programms, aber nur für Oberschüler.19

11 Clay, S. 335. 12 Ebda. 13 Erziehung in Deutschland, S. 59. 14 vgl. dazu: Müller, S. 265 ff. 15 Gespräch mit Herrn Dr. Wilhelm Ebert, München. 16 Die Neue Zeitung, 2. Jg. Nr. 60 vom 29.7.1946, S. 1. 17 Fränkische Landeszeitung, 1. Jg. Nr. 49 vom 9.10.1946, S. 3. 18 Stadtarchiv Nürnberg. Chronik der Stadt Nürnberg F 2. 7.12.1946. German-American-Club. (NN vom 11.12.46 und 19.8.47). 19 Ebda., C7/IX SRP Nr. 1307. Niederschrift über die Sitzung des Schul- und Kulturausschusses am 13.11.1953,S. 8 f.

648 Eine Reihe von Initiativen zielte auf die Vermittlung von Brief-Partnerschaften deutscher Schüler mit ausländischen Jugendlichen. Zunächst gab es immer wieder spon- tane Aktionen, wie sie etwa vom zeitweiligen Leiter der Erziehungsabteilung der Militär- regierung für Bayern, Derthick, ausgelöst wurden. Dieser, selbst Schulrat, hatte den Wunsch einer 8. Mädchenklasse einer Münchener Volksschule, möglichst viel über Ame- rika zu erfahren, in seinen Schulamtsbezirk weitergegeben. Das Echo war überwälti- gend, denn 2000 Schulkinder schrieben. Jedes Kind sämtlicher achten Klassen in Chat- tanooga schickte einen Brief nach München.20 Die Militärregierung bat immer wieder um Adressen von deutschen Schülern, die am Briefwechsel mit amerikanischen Jugendli- chen interessiert waren;21 eine Coburger Volksschulklasse fand Verbindung zu Angehörigen des amerikanischen Jugendrotkreuzes in Pennsylvania und Kentucky; 22 die Oberrealschule für Jungen in Fürth baute Beziehungen zur Downey Hill High School in Kalifornien auf, die durch Schüler-Briefwechsel enger geknüpft wurden; 23 der Schüler Harold Wilson aus Bath in Somerset/England wünschte vom bayerischen Kultusministeri- um die Adresse eines Briefpartners.24 Die mehr zufälligen Verbindungen wurden ergänzt durch das Angebot der „Division of International Educational Relations US Office of Education“, Washington D.C., Briefpartner zu vermitteln, um an der Basis den Weg zu öffnen zu gegenseitigem Verstehen.25 Das Kultusministerium empfahl im Dezember 1951 den deutsch-französischen Schülerbriefwechsel als „fruchtbare Bereicherung“ des Unterrichts und die Nutzung die- ser Chance, die der Bayerische Jugendring anbot.26 Dann gab es die amerikanischen Patenschaften für bayerische Schulen, die bestimmte Ziele verfolgten. Die Neue Zeitung berichtete über eine Schule in Massachusetts und das Carlton College in Northfield, Minnesota, die für Landerziehungsheime in Schondorf am Ammersee und in Marquartstein die Patenschaft übernommen hatten. Die beiden Schulen sollten in „pädagogische Ver- suchsschulen“ umgewandelt werden, mit dem Ziel festzustellen, „wie weit der rein fachliche Unterricht zugunsten einer Erziehung zum Staatsbürger und zur Ausbildung in den Künsten zurückgestellt werden“ könne.27 Eine Vormerkung im Kultusministerium vom 3. April 1947 sprach von ca. vier Versuchsschulen, an denen die Militärregierung pädagogische Versuche über die bessere Gestaltung der Lehrpläne und des Unterrichts im Sinne einer umfassenden Erziehung der Jugend zur Demokratie plante. Eine stärkere Betonung der sozialwissenschaftlichen Fächer, der Gesundheitslehre, des musischen Unterrichts - Musik und Zeichnen - und des Werkunterrichts wurde angestrebt. Die Patenschaft für die Versuchsschulen würden „berühmte amerikanische Schulen“ über- nehmen, sie mit Unterrichtsmitteln und Büchern unterstützen und sie allgemein för- dern.28 Eine weitere Variante zur Anbahnung von Kontakten, die die deutschen Ju- gendlichen aus der Isolierung herausführen und mit demokratischer Lebensweise ver- traut machen sollten, waren die Schulpartnerschaften. Nicht nur das Kultusministerium

20 Schule und Gegenwart 3/1949, S. 22. 21 BayHStA München. MK 52954. Mr. Mayes von der Militärregierung am 24.1.1949. Er bat um die Benennung von 1000 Jugendlichen an höheren Schulen. 22 Schule und Gegenwart 3/1949, S. 22. 23 Archiv des Hardenberg-Gymnasiums, Fürth. Jahresbericht über das Schuljahr 1949/50, S. 34. 24 BayHStA München. MK 52954. Schreiben am 1.5.47. 25 Schule und Gegenwart 1/1950, S. 31. „Verständigung unter der Jugend.“ 26 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 26 vom 20.12.1951, S. 389. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. v. 14.12.1951 Nr. VIII 81460. 27 Die Neue Zeitung, 3. Jg. Nr. 27 vom 4. 4. 1947, S. 1. 28 BayHStA München. MK 53202. Vormerkung vom 3.4.1947.

649 empfahl sie,29 Angebote kamen vom Haut-Commissariat de la Republique Française en Allemagne, Service des Relations Universitaires et Scolaires30, und vom Office of the Uni- ted States High Commissioner for Germany und dem Central Bureau for Educational Visits and Exchanges, London. 31 Ganz konkret fragte der holländische „Koordinations- ausschuß für Kulturbeziehungen mit Deutschland“ beim Kultusministerium an, ob man mit Herrn A. von der Oberrealschule Aschaffenburg einen Austausch vereinbaren könne.32 Die Stadt Nürnberg bahnte den Schüleraustausch mit Glasgow an, der in der Sit- zung des Schul- und Kulturausschusses am 13. November 1953 als eine der Völkerver- ständigung dienende Aktion bezeichnet wurde. Man wollte auch die Volksschüler der 9. Klassen beteiligen33 und schlug vor, in Sondersprachkursen die Reise vorzubereiten.34 Unvergleichlich müssen Aufenthalte im Ausland, vor allem in den USA, für die glücklichen Auserwählten gewesen sein. Die Überzeugung, daß junge Deutsche, vor allem junge Lehrer und Studenten, demokratische Lebensform nur dort begreifen könn- ten, wo sie praktiziert werde, veranlaßte das demokratische Ausland, Einladungen aus- zusprechen. Die schwedische Regierung bot bereits im März 1947 40 Lehrern, 60 Lehr- amtsanwärtern und 30 Studenten an, das schwedische Schulwesen kennenzulernen,35 und im September desselben Jahres trafen 44 deutsche Lehrer in Stockholm ein, die an ei- nem 6-wöchigen Lehrgang des schwedischen „Komitees für den demokratischen Wie- deraufbau“ teilnahmen. Für einige Lehrer schloß sich ein 6-monatiger Aufenthalt in Schweden an.36 Im Januar 1948 fuhren zum ersten Mal deutsche Lehrer und Studenten zum Stu- dium in die USA.Vor allem Studenten der Pädagogik wollte man mit Hilfe von Stipendien privater und staatlicher Hochschulen, Teachers Colleges und Schulen ein Studium ermöglichen.37 Finanzielle Unterstützung gab die „Rockefeller Foundation“, als ein ziviles „Advi- sory Committee on Cultural and Educational Relations with the Occupied Countries“38 gegründet wurde, das seine Hauptaufgabe in der Koordinierung des Austauschpro- gramms für deutsche Studenten sah.39 Nach dem In-Kraft-Treten des Besatzungsstatuts, als die Militärregierung nicht mehr direkt in das deutsche Bildungswesen eingreifen konnte, wurde die Erweiterung des Austauschprogramms als beste Möglichkeit betrachtet, Demokratie zu demonstrieren.40 Die in Frage kommenden Personen - besonders geeig- net waren „professors, teachers, and other persons concerned with educational affairs“ - sollten vor allem mit religiösen, wissenschaftlichen, Informations- und kulturellen Angelegenheiten befaßt sein und sich für Demokratisierung und die Umerziehung der Deutschen in Richtung Frieden interessieren.41 Besonders ausgedehnt war der Studien-

29 Ebda., MK 52954. Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 10 vom 11.5.1951; BayBSVK. Bekanntmachung über französische Partnerschulen im Internationalen Schüleraustausch vom 9.7.1952 /KMBI. 1952 S. 286-Nr. II 51765). 30 Ebda., Anfrage vom 10.2.1951. 31 Ebda., Angebot vom 24.4.1951. 32 Ebda., Anfrage vom 5.6.1950. 33 In Nürnberg war zu dem Zeitpunkt für alle Schüler, die nach der 8. Klasse keine Lehrstelle gefunden hatten, der Besuch der 9. Klasse Pflicht. 34 Stadtarchiv Nürnberg. C7/IX SRP Nr. 1307. Niederschrift über die Sitzung des Schul- und Kulturausschusses am 13.11.1953, S. 8 f. 35 BayHStA München. MK 52954. Die Neue Zeitung, 3. Jg. Nr. 28 vom 27.3.1947. 36 Die Neue Zeitung, 3. Jg. Nr. 73 vom 12.9.1947, S. 6. „Deutsche Lehrer in Schweden“. 37 Bungenstab, S. 83 f. 38 Im Mai 1949 umbenannt in „Commission on the Occupied Areas“. (Bungenstab, S. 66 f). 39 Bungenstab, S. 66 f. 40 Ebda., S. 67. 41 Ebda., S. 141.

650 aufenthalt für sechs Fortbildungsleiter aus Bayern, denen das Amt des Landeskommis- sars für Bayern neun Monate USA ermöglichte.42 Lehrerbildung im Sinne der Demokra- tie betrachtete man als besonders wichtig. Erwartet wurde, daß die Auserwählten die Arbeit der Militärregierung bzw. des HICOG diesbezüglich unterstützten. Es gab daher auch Studienreisen für Experten aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens, aus dem kulturellen und dem Bereich der Massenkommunikation, denn man hatte erkannt, daß 90% der jungen Deutschen nicht zur Universität gingen und eine Beschränkung der Auslandsaufenthalte auf Studenten nicht die gewünschte Breitenwirkung haben konnte.43 Eine Auflistung der Personen, die im Jahr 1949 eine Einladung zu einer Stu- dienreise in die USA erhielten, zeigt, daß versucht wurde, alle schulischen Bereiche abzudecken, die demokratischer Beeinflussung zugänglich waren: ländliche und städti- sche Volksschulen, Jugendorganisationen, Schülerselbstverwaltung, Lehrpläne, Berufs- schulen (gewerbliche, hauswirtschaftliche, kaufmännische), Frauenfachschulen, die Aus- bildung von Lehramtsanwärtern, Hauswirtschaftslehrerinnen, Kinderpflegerinnen, Gewerbe- und Hilfslehrern, Handelslehrern, die Ausbildung in Psychologie, das höhere Schulwesen, Freizeitgestaltung und Leibeserziehung.44 Zu den Persönlichkeiten, die die Erziehungsabteilung nach Amerika schickte, gehörte auch Kultusminister Hundhammer, der die amerikanische Schulverwaltung studieren sollte.45 Mitglied einer Kommission deut- scher Erzieher, die „(z)ur Förderung der Arbeit für die Schulreform in der US-Zone“ mit Unterstützung der „National Education Association (N.E.A.)“ und der Rockefeller-Stif- tung elf Wochen lang sämtliche Varianten des amerikanischen Schulsystems studieren konnte, war u.a. auch ein Oberbaurat aus Bremen. Er hatte Gelegenheit, Schulbauten zu studieren und Schulmöbel und Beleuchtungsarten zu sehen, die dem Arbeitsunterr- richt dienten und den Kindern den lustbetonten Aufenthalt in ihrer Schule ermöglich- ten.46 Die Aufarbeitung bzw. Auswertung der Erfahrungen geschah auf Konferenzen in Kempfenhausen, zu denen die Education Branch des Landkommissars für Bayern einge- laden hatte. Deutsche und amerikanische Pädagogen nahmen daran teil, und die Ein- drücke wurden in Kategorien eingeteilt und veröffentlicht. Zu den Vorzügen des ameri- kanischen Schulsystems zählten z.B. der „Geist“ der amerikanischen Schule, das freund- schaftliche Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern, die Freiheit im Schulleben und damit die Freude an der Schule, die vorzügliche Ausstattung der Schulwerkstätten, die gleiche Wertschätzung von Berufsbildung und akademischer Bildung, der freundschaftli- che Umgang zwischen Schulaufsichtsbeamten und Lehrern. Der Unterricht wurde als lebensnah bezeichnet; körperliche Erziehung, Gesundheitslehre und Social Studies hät- ten große Bedeutung, Gruppenarbeit mit reichlich vorhandenen Unterrichtsmitteln werde favorisiert.47 Beeindruckt waren die Deutschen von der lebhaften Anteilnahme der amerikanischen Gemeinden an der Schule, wobei die „Project-Methode“ Hilfe lei- ste, da so die Arbeit der Schulen in die Öffentlichkeit getragen werde. Bei der Lehrerbildung fielen die fehlenden Standesunterschiede zwischen Lehrern verschiedener Schularten und die Aufgeschlossenheit angenehm auf.48

42 BayHStA München. MK 62007. Schreiben des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus am 26.4.1951 an alle Regierungen. 43 Bungenstab, S. 141 ff. 44 Schule und Gegenwart 3/1949, S. 25. „Deutsche Erzieher nach Amerika.“ 45 Ebda., vgl. dazu: Müller, S. 269. 46 Schule und Gegenwart. 3. Ergänzungsheft 1950, S. 5-8. 47 Ebda., 2/1950, S. 12 ff. 48 Ebda., S. 14 .

651 Zu den Nachteilen zählte, daß der „Einfluß der wertvollen Lehrerpersönlichkeit“ zurückgedrängt werde und das Schulbuch den Unterricht beherrsche, daß über dem praktischen Leben der „geistige Schwerpunkt der Persönlichkeit“ vergessen werde und auch die „(i)nnere Willensbildung … hinter der äußeren Lebensgewandtheit“ zurück- bleibe.49 Daraus leitete man etliche Vorschläge für das bayerische Schulwesen ab, z.B. für Erziehungs- und Unterrichtsmethoden. Der Lehrer müsse weniger herrschen und mehr beraten, ein Vertrauensverhältnis zu seinen Schülern aufbauen, freie Diskussionen und Gruppenarbeit beachten. Die „Project-Methode“ hatte es besonders den Berufsschul- lehrern angetan, und insgesamt war man sich einig, daß der Gedanke der internationalen Völkerversöhnung in deutschen Schulen einen breiteren Raum einnehmen müsse. Dafür hielt man Schülerbriefwechsel und den „auf breiter Basis“ durchgeführten Austausch als besonders wirkungsvoll.50 Eine sehr exklusive Möglichkeit, in die USA zu reisen und den Gedanken der Völ- kerverständigung zurück nach Europa zu bringen, hatten zwei Oberschüler, ein Junge aus München und ein Mädchen aus Frankfurt, die sich am „High School Forum“ der New York Herald Tribune mit einem Aufsatz beteiligt hatten. Das Thema lautete: „The World we want“, und es war in englischer Sprache in 1500 Wörtern zu behandeln.51 Der Schüler Georg A. aus München war einer von 34 jungen Europäern, die zu den Preisträgern gehörten. Zwölf Wochen überwältigender Gastfreundschaft wurden ihm geboten, und er hatte Gelegenheit, das amerikanische Schulsystem kennenzulernen. Als Hauptanliegen der High Schools erkannte er eine gute Allgemeinbildung aller jungen Leute und nicht, einem kleinen Kreis ausgewählter Schüler zu einem möglichst hohen Wissensstand zu verhelfen.52 Die in amerikanischen Schulen zu den Pflichtfächern gehörenden Social Studies stufte der junge Deutsche als „etwas Neues und Revolutionä- res in der Pädagogik“ ein. Überrascht war er von der guten Disziplin an den von ihm besuchten High Schools; sie sei besser als an deutschen Schulen, obwohl in Amerika größere Freiheiten und weniger Zwang herrschten, und von der Tatsache, daß die härte- ste Strafe der Ausschluß vom Unterricht für mehrere Tage oder auch Wochen sei.53 Der Austauschschüler Georg A. berichtete schließlich, daß die Jugendlichen aus den 17 verschiedenen Ländern sich großartig verstanden, ungeachtet der Tatsache, daß sich diese Länder einige Jahre zuvor noch erbittert bekämpft hätten. Sie gründeten eine „International Youth Association“ mit dem Ziel, den persönlichen Gedankenaustausch zwischen Jugendlichen der verschiedenen Länder zu ermöglichen. Denn erst dann sei der Friede gesichert, „wenn es die Menschen verschiedener Nationen gelernt haben, ... zusammenzuleben“;54 eine Ansicht, die der Kommentator zu diesem Bericht, Mr. Woo- ton von der Militärregierung, uneingeschränkt teilte, denn er schrieb dazu, daß es die Absicht der Militärregierung sei, möglichst viele Kontakte anzubieten, da „solch ein Austausch ... die Grundlage für die Verständigung unserer Völker“ darstelle.55 Das bayerische Kultusministerium sprach im Mai 1951 von der steigenden Bedeu- tung, die dem Schüleraustausch in Eltern-, Lehrer- und Schülerschaft in Deutschland und den Nachbarländern beigemessen werde, und wertete ihn als „wertvolles Mittel der Bildung

49 Ebda., S. 14 f. 50 Ebda., S. 14 ff. 51 BayHStA München. MK 52954. Schüleraustausch und Schülerbriefwechsel mit dem Ausland. 7.9.1948; Schu- le und Gegenwart 4/1949, S. 24. 52 Schule und Gegenwart 4/1949, S. 25. 53 Ebda., S. 26 ff. 54 Ebda., S. 29. 55 Ebda.

652 und Erziehung des jungen Menschen“.56 Der „Austausch von Familie zu Familie“ wurde empfohlen, bei dem der Schüler die Hälfte der Ferienzeit bei der Gastfamilie zubringe und für die restliche Zeit den Gastschüler mitbringe. Die Möglichkeit eines solchen Aus- tausches bestand z. B. in den Ländern Frankreich, Schweden, Irland und Finnland.57 Partnerschulen konnten in England und Frankreich vermittelt werden. Über das Partnerverhältnis zwischen bayerischen und ausländischen Schulen wurde bekanntgege- ben, daß zunächst der Briefwechsel zwischen den Schülern den Anfang machen und Lehrmaterial zur Anschauung und gegenseitigen Anregung ausgetauscht werden solle. Ferner war an die persönliche Verbindung zwischen den Lehrern und den Schüleraus- tausch während der Ferien unter Leitung eines Lehrers gedacht. Die Vermittlung und Beratung wurde dem Bayerischen Jugendring in München überantwortet.58 Für den Sommer 1952 wurden Ferienkurse in Großbritannien für Englischlehrer an höheren Schulen im Amtsblatt angekündigt, die 30 £, das waren damals ca. 360 DM, kosten sollten.59 Und auch 1953 wurde auf die Bedeutung des internationalen Schüler- austausches hingewiesen, der das Wissen ergänzen, den Gesichtskreis erweitern und freundschaftliche Beziehungen „zur Jugend unserer Nachbarvölker“ anbahnen sollte. Von den Teilnehmern wurde nach ihrer Rückkehr „eine eingehende Darstellung (der) Erfahrungen und Eindrücke im Gastland“ erwartet.60 Auch Hildegard Hamm-Brücher, die 1949/50 für ein Jahr Harvard-Stipendiatin war, schrieb, daß sie seit dieser Zeit „von der Notwendigkeit und Bedeutung vorurteils- freien Kennenlernens durch Schüler- und Studentenaustausch … zutiefst überzeugt“ sei. Sie beurteilte die großzügigen amerikanischen Stipendien- und Reiseprogramme neben der deutsch-französischen Aussöhnung als wichtigste Voraussetzung für die Rückkehr Deutschlands in die westliche Staatengemeinschaft.61 Professor Hans Göckel sagte, man sei Jahr für Jahr „in Demokratie“ ein Stück besser geworden.62 Das Aus- tauschprogramm, an dem auch er teilnehmen konnte, war ohne Zweifel ein wichtiger Baustein dazu. Die Tatsache, daß ein späterer bayerischer Professor für Schulpädagogik als junger Lehrer so positive Eindrücke empfangen hatte, ist als Beispiel dafür zu werten, daß der Geist amerikanischer Pädagogik Einfluß auf die Entwicklung des bayerischen Schulwe- sens ausüben konnte.

56 Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 10 vom 11.5.1951, S. 160 f. Bek. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult. vom 2.5.1951 Nr. II 28236. 57 Ebda., S. 161. 58 Ebda., S. 160 f. 59 Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, München. Nr. 26 vom 20.12.1951, S. 390. E. d. Staatsmin. f. Unt. u. Kult v. 4.12.1951 Nr. VIII 84550. 60 BayBSVK, S. 1009 f. Entschließung über den Internationalen Schüleraustausch, 23.2.1953. (KMBl. 1953 S. 71-Nr. II 11303). 61 Hamm-Brücher, S. 119 ff. 62 Gespräch mit Herrn Prof. Glöckel, Nürnberg.

653 10. SCHULJUGENDBERATUNG

Die Empfehlungen der amerikanischen Erziehungskommission wiesen auch auf die Bedeutung der Berufsberatung in den Schulen hin. In Amerika war diese Einrichtung in allen High Schools zu finden, in Deutschland war sie ein absolutes Novum und hatte auch eine andere Aufgabe. Im Bericht hieß es, daß die Schulen es sich nicht leisten könnten, „ihre Schüler für nicht existierende Berufe auszubilden“.1 Besonders „in der gegenwärtigen Zeit ... in Anbetracht der einschneidenden Veränderung in der deut- schen Wirtschaft auf Grund des Potsdamer Abkommens, der Notwendigkeit, ausge- bombte Gebiete wieder aufzubauen, und der Veränderungen in den verfügbaren Roh- stoffen“2 schien es der amerikanischen Kommission wichtig, die Schüler zu lenken. Konnte sich aber dieser pragmatische Ansatz in Einklang bringen lassen mit der Forde- rung nach Schulgeldfreiheit, um allen Schülern, die dies wünschten, den Besuch der höheren Schule zu ermöglichen? Welchen Nutzen hätte eine größere Zahl von Akademi- kern für den notwendigen Aufbau der zerbombten Städte gehabt? Angehörige der oberen oder mittleren Schicht wurden durch diese Art von Berufsberatung gewiß nicht veranlaßt, ihre Kinder, die vielleicht Mühe mit dem Lernen hatten, von der höheren Schule zu nehmen, um sie einen Beruf erlernen zu lassen, der im Augenblick für das besiegte Deutschland besonders wichtig war. Berufsberatung war dann eher zu verste- hen als die Möglichkeit des Staates, in den damals noch schichtspezifischen Schulen, innerhalb des dort herrschenden Niveaus, die Schüler in die Berufe zu lenken, die zum Aufbau des zerstörten Landes notwendig waren. An einer Beratung mit dem Ziel der Durchlässigkeit nach oben war man damals weniger interessiert. Die Erziehungskommission hatte mit ihrer Empfehlung allerdings insofern recht, als es in Deutschland bisher keine organisierte Berufsberatung gegeben hatte, diese aber erforderlich sei, um Fehlentwicklungen zu vermeiden. Die Empfehlung aus dem Jahr 1946 wurde 1951 aufgegriffen, als man in Weilburg eine Internationale Arbeitsta- gung über Erziehungsberatung und -lenkung („Guidance“) abhielt. Deutsche Lehrer aller Schularten, Berufsberater und Psychologen konnten sich über das Wesen der Gui- dance und ihre Anwendung in Amerika unterrichten lassen.3 Guidance wurde als „Ent- faltungshilfe“ übersetzt und umfaßte „Methoden und Hilfsmittel, die neben der reinen Wissensvermittlung dazu betragen können, die Entwicklung und Selbstbildung des Kindes zu einer starken Individualität und gleichzeitig sozialgerichteten Persönlichkeit anzubahnen und zu fördern“. Guidance war also mehr als Berufsberatung. In amerikanischen Schulen gab es den guidance teacher mit spezieller einjähriger Ausbildung am College, der die Schüler in Fragen der charakterlichen Entwicklung, Einordnung in die Klassen- und Schulge- meinschaft, Wahl der Fächer, Freizeitgestaltung, der außerlehrplanmäßigen Betätigung und der Berufswahl beriet.4 Es handelte sich also um Lenkung in weitestgehenden Sinne. Damit an bayerischen Schulen Ähnliches aufgebaut werden konnte, waren die Amerikaner bereit, viel Geld zu geben. Schulrat Barthel, Nürnberg, teilte im Frühjahr 1953 dem Schul- und Kulturausschuß mit, „daß unter Leitung eines Gremiums von Fachleuten ein Ausbildungskurs für Schuljugendberater an den Volksschulen angelaufen

1 Erziehung in Deutschland, S. 32. 2 Ebda. 3 BayHStA München. MK 53209. Bericht des Dr. W. van Rinsum, Stud. Ass., am 9.10.1951 an das Staatsmini- sterium für Unterricht und Kultus. 4 Ebda.

654 sei, für den von amerikanischer Seite ein namhafter Betrag gegeben wurde“.5 Im Dezember desselben Jahres berichtete Schulrat Barthel, er sei für einen Lehrgang für Schuljugendberater an die Amerikaner herangetreten und habe 9000 DM zugesagt bekommen.6 Schuljugendberatung war gewiß auch als gewichtiger Baustein der inne- ren Schulreform gedacht, blieb aber offenbar in Ansätzen stecken. Erst einige Jahrzehnte später wurde man sich der Chancen, die darin liegen, bewußt.

Die innere Schulreform wird von Zeitgenossen und späteren Betrachtern unter- schiedlich bewertet: Die amerikanische Erziehungskommission hatte die Vision von der Schule als fruchtbarem Mittelpunkt demokratischer Lebensform, von dem aus „wie die Speichen des Rades“ Geist und Methode ausstrahlen.7 Das war ein schönes Bild, hätte als Voraussetzung jedoch die eine gemeinsame Schule haben müssen. Die Beibehaltung der überkommenen äußeren Form mit der frühzeitigen Aufteilung der Kinder ließ manche innere Reform mit dem Ziel der Demo- kratisierung gar nicht erst zu. Z. B. beschränkte sich demokratisches Miteinander im Schulleben auf die Schichten, die dort unterrichtet wurden: die „Elite“ auf der höheren Schule, das „Volk“ in der Volksschule. Gegenseitiges Verstehen und Miteinander-Umge- hen wurden nicht gefördert. „Innere Reform“ wurde unablässig beschworen, die pessi- mistischen Zeitgenossen nahmen aber nur wahr, daß man versuchte, wie Hermann Glaser das später kritisch bewertete, den faschistischen Ungeist zu entfernen und auf wenig reflektierte Traditionen zu setzen.8 Anstelle einer Renaissance erlebe man nur den Rückfall in eine Restauration „ohne tatsächlichen Bezug zu einer sich erneuernden und geistig fundierten Lebenswirklichkeit“.9 Die Schriftstellerin Imgard Keun sprach vom „Schleim der Frömmigkeit“, der sich über alles lege.10 Die Optimisten räumten ein, daß zwar keine Schulreform durchgeführt worden sei, wie amerikanische und viele deutsche Gremien sie sich vorgestellt hatten, daß jedoch die Ausrichtung der Volksschule „auf den Arbeitsschul- und Sozialgedanken... als sinngemäße Weiterführung der Reformbewegung gelten“ könne.11

5 Stadtarchiv Nürnberg. C7/IX SRP 1307. Niederschrift über die Sitzung des Schul- und Kulturausschusses am 20.2.1953, S. 6. „Schuljugendberater an Volksschulen“. 6 Ebda., Niederschrift über die Sitzung des Schul- und Kulturausschusses am 11.12.1953, S. 1f. „Lehrerfortbil- dung“. 7 Erziehung in Deutschland, S. 20. 8 Glaser, S. 148. 9 Overesch, Kulturelle Neuanfänge, S. 234. 10 Ebda. 11 Barthel, S. 67.

655 Ergebnisse

Zu den gemeinsamen Zielen der Signatarmächte in Potsdam gehörte neben der gründlichen Entfernung nazistischer und militaristischer Lehren aus den Köpfen, den Lehrplänen und den Schulbüchern auch die Entwicklung demokratischer Ideen im deut- schen Bildungswesen. Dabei hatte die sowjetische Besatzungsmacht in ihrer Zone mit ihren neuen totalitären Strukturen die geringsten Schwierigkeiten, ihre Vorstellungen umzusetzen. Binnen sechs bis sieben Jahren war dort die Schule völlig verändert. Tradi- tionen waren gekappt, die Lehrer zur Erreichung des Zieles instrumentalisiert worden. Im Gegensatz dazu versuchten die Amerikaner, überzeugt davon, daß der Mensch von Natur aus gut sei, die irregeleiteten Deutschen durch Erziehung wieder auf den rechten Weg zurückzubringen. Sie bedachten immer noch die Identität der Besiegten. Das Bild, das sie von den Deutschen hatten, war auch nicht nur negativ besetzt, waren doch im 19. Jahrhundert etliche deutsche Liberale (Carl Schurz, Friedrich List) nach Amerika ausge- wandert. Nicht wenige hatten ja auch deutsche Vorfahren. So war Re-education die logische Folge. Schule betrachteten die Amerikaner als idealen Ausgangspunkt für Akkulturation an die ungewohnte Demokratie. Aber gerade auf dem Bildungssektor stießen sie auf große Schwierigkeiten, obwohl viele ihrer Ideen deutschen Ursprungs waren. Georg Kerschensteiner ist hier bevorzugt zu nennen, der auf der Reichsschulkonferenz von 1920 bereits zum Thema Einheitsschule referierte. Die Besatzungsmacht sah sich einer starken Schultradition gegenüber; dazu kam die Befindlichkeit der Deutschen nach dem verlorenen Krieg. Gestand man den Amerikanern auch ihre wirtschaftliche oder politi- sche Überlegenheit zu, so war man nicht gewillt, diese in gleichem Maße auf kulturel- lem Gebiet anzuerkennen. Angesichts der katastrophalen Niederlage stellte das Behar- ren auf der Überzeugung kultureller Prävalenz für viele Deutsche eine Möglichkeit dar, wenigstens ein Stück Selbstachtung zu bewahren. Aus dieser Haltung heraus wurden die Umerziehungsmaßnahmen der Militärregierung verächtlich gemacht. Ein Beispiel dafür ist Die Neue Zeitung, die von etlichen befragten Zeitzeugen abschätzig beurteilt wurde. Auch in vielen aufgefundenen Quellen spürt man die Herablassung, mit der man auf deutscher Seite den Bemühungen der Amerikaner begegnete, vor allem bei den Auseinandersetzungen um das humanistische Gymnasium, das ja auch von den deut- schen Emigranten als unverzichtbar betrachtet wurde. Erklärbar ist der Widerstand auch dadurch, daß man schnell die Schwäche im amerikanischen Konzept erkannt hatte, nämlich ihre Bemühungen, Demokratie demokratisch zu etablieren, was natürlich letzt- endlich bedeutete, daß sie nicht gewaltsam übergestülpt werden konnte. Man war auf die Mitarbeit der Deutschen angewiesen. Unvereinbar waren der pragmatische Ansatz der Amerikaner und der Anspruch der Deutschen, der Erziehungs- und Bildungsarbeit die philosophische Weihe geben zu müssen. Daß die humanistisch-abendländische Bil- dungstradition nicht vor einem unmenschlichen Regime bewahrt hatte, wurde selten reflektiert. Was erwartete die Amerikaner in Bayern? Zunächst, läßt man das kurze Interreg- num der Regierung Schäffer außer acht (obwohl dessen Kultusminister Hipp mit seinen Entschließungen vom Juli 1945 zu den konfessionellen Auseinandersetzungen nicht unwesentlich beigetragen hatte), ein Kultusminister Fendt (SPD), dessen Bildungsplan und Vorschläge zur Demokratisierung sich durchaus mit den Vorstellungen der Besat- zungsmacht deckten. Mit seiner Hilfe hätten die bayerischen Schulen Ausgangspunkt der Umerziehung werden können. Allerdings war mit Wilhelm Hoegner ein Politiker an der Spitze der Regierung, der zum einen auf wesentliche sozialdemokratische kulturelle For-

656 derungen verzichtete, um andere politische Schwerpunkte setzen zu können, zum anderen lange genug bayerischer Politiker war, um die Rolle der katholischen Kirche nicht zu unterschätzen. Aus dieser Sicht hemmte er seinen tatendurstigen Kultusmini- ster. Vielleicht muß man ihm den Vorwurf machen, daß sein Harmoniebedürfnis bei den Fragen, die auch die Kirche betrafen, übertrieben war. Er hätte es darauf ankommen las- sen sollen, um zu sehen, wie weit er gehen konnte. Seine Überzeugung, daß man in dieser Zeit katastrophaler Not dem Volk nicht auch noch einen Kulturkampf zumuten könne, ließ dem katholischen Lager jeden Spielraum. In den darauffolgenden Jahren mußte sich die SPD, vor allem von den Liberalen, den Vorwurf gefallen lassen, die unbe- friedigende Situation an den Schulen nicht unerheblich mit herbeigeführt zu haben. Nach der Genehmigung der bayerischen Verfassung und dem Erfolg der Christ- lich-Sozialen Union bei der ersten Landtagswahl im Dezember 1946 sah sich die ameri- kanische Militärregierung einer völlig neuen Sachlage gegenüber. Vor allem mußte sie sich mit Kultusminister Alois Hundhammer auseinandersetzen, der sich während des Nazi-Regimes nicht hatte korrumpieren lassen, völlig unbelastet und daher sehr selbst- bewußt sein Ziel verfolgte und die Macht der katholischen Kirche hinter sich wußte. Sein Credo lautete, daß Umerziehung natürlich erforderlich sei, daß das aber nur auf bayerische Art geschehen könne, was wiederum hieß: zurück in den Schoß der Kirche, zurück zu den Verhältnissen vor 1933, zurück zur bewährten bayerischen Schultradition. Bewußt wurde betont, daß Bayern immer schon ein anderes - natürlich besseres - Schulsystem als das übrige Deutschland gehabt hatte, und man implizierte damit, daß keine Notwen- digkeit einer grundsätzlichen Änderung an bayerischen Schulen bestehe. Mitgedacht wurde hier auch, daß die nationalsozialistischen Eingriffe in den Schulbereich „unbayerisch“ gewesen, Anordnungen aus „Preußen“ gekommen waren. Diese konn- ten leichten Herzens entfernt werden. Über „Kleinigkeiten“ konnte man reden, nicht aber über die Konfessionsschulen, die konfessionelle Lehrerbildung, die vierjährige Grundschule, das humanistische Gymnasium. Die Veränderung der Verhältnisse im Nachkriegsbayern, die eine Umerziehung geradezu herausforderten, z.B. der Zustrom der vielen Flüchtlinge, übersah man oder versuchte, sie als Zwischenstadium zu betrach- ten, das man mit den entsprechenden Weisungen überwinden würde. Kultusminister Hundhammers Pläne einer Umsiedlung der Flüchtlinge nach Konfessionen sind dafür ein gutes Beispiel, ebenso die Weigerung der Diözese Ostbayern, sich dem „Einvernehmen“ zwischen Kirche und bayerischem Staat anzuschließen. Umerziehung zu mehr Toleranz gegenüber Andersdenkenden hätte hier not getan. Mit Kultusminister Hundhammer war ein Exponent der bayerischen Tradition und des bayerischen Separatismus Kultusmi- nister geworden, und er verstand sich selbst als Garant der Kontinuität im Bildungsbe- reich, sowohl formal als auch weitgehend inhaltlich. Seine Beharrungskraft gründete in seinem militanten Katholizismus, erfuhr aber zusätzlich Unterstützung dadurch, daß weite Teile der Bevölkerung, vor allem im katholischen Südbayern, sich von „Amerikani- sierung“ bedroht sahen und sich relativ unkritisch Hundhammers Doktrinen anschlos- sen. Die Nachkriegswirren, das Existieren von einem Tag auf den anderen, der Zustrom der vielen Flüchtlinge in die ehedem geschlossenen, in sich ruhenden Gemeinden taten ein übriges; die Lebenswelten schienen ins Chaotische abzugleiten, die Restauration sollte die Rettung sein. Diese Sicht der Dinge war auch Ursache dafür, daß die Schulre- formpläne der Liberalen, Sozialdemokraten und des Bayerischen Lehrervereins sich nicht durchsetzen konnten. Ihre Nähe zu den amerikanischen Vorstellungen wurde ihnen zum Vorwurf gemacht. Man ging z.T. so weit zu behaupten, daß sich ihre Verfasser willfährig vor den Karren der Besatzungsmacht hätten spannen lassen. Dazu kam, daß die deut- sche Intelligenz im amerikanischen Exil einen klassischen Bildungsgedanken vertrat, obwohl oder gerade weil sie Einblick in das Schulwesen in den USA erhalten hatte.

657 Die amerikanische Militärregierung sah sich vor allem in Bayern Traditionen gegenüber, mit denen sie sicher nicht gerechnet hatte, jedenfalls nicht in der Stärke. Das machte es für sie schwierig, tatsächlich einen Neuanfang auf den Weg zu bringen. Das Bewußtsein zu vermitteln, daß bereits vor 1933 Fehlentwicklungen stattgefunden hat- ten, die schließlich zur Katastrophe führten, erwies sich als sehr schwer. Die Schwierig- keiten bei der Erstellung neuer Schulbücher machen das deutlich. Die Vorschläge, die von bayerischen Lehrern unterbreitet wurden, mußten abgelehnt werden, weil sich die Verfasser antidemokratischer Inhalte gar nicht bewußt waren. Die teilweise nationali- stisch geprägten Werke des Heidedichters Hermann Löns galten den Amerikanern bereits als tendenziell verdächtiges Schriftgut, das in eine gefährliche Richtung führen konnte. Es schien ihnen, als hätten die Deutschen die zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft als eine Art „Unfall“ in einer ansonsten makellosen bayerischen Tradition betrachtet, deren Fortsetzung man sich auch ohne amerikanische Einmischung gut vor- stellen konnte. Diese Selbsteinschätzung wird geradezu grotesk deutlich auf einer Bür- germeisterversammlung in Kleinried im Landkreis Ansbach. Der auch noch 1950 dazu eingeladene „Resident Officer“ des Gebietes Feuchtwangen-Dinkelsbühl-Gunzenhau- sen drückte seine Zufriedenheit über die stattgehabte Zusammenkunft aus und erhielt vom anwesenden Landrat die Antwort, daß diese Versammlungen nichts anderes seien als die moderne Form des altgermanischen „Thing“.1 Deutlicher hätte man dem Amerikaner seine Statistenrolle nicht zuweisen können. Als die örtlichen Militärregierungen sich in den bayerischen Gemeinden etablier- ten, sahen sie sich zunächst mit den materiellen Schäden und den daraus wachsenden Anforderungen konfrontiert. Sie zu beheben, bedurfte es aller Kräfte und bestimmte Aktionen der Amerikaner und der verbliebenen Bevölkerung, meist Frauen. Im Vorder- grund standen die Wohnraum- und Nahrungsbeschaffung und die Frage der Beklei- dung. Dann aber folgte schon die Sorge um die Schulkinder, die von der Straße geholt und unterrichtet werden mußten. Schulräume wurden notdürftig hergerichtet, so daß zumindest ein paar Stunden geregelte Schularbeit möglich waren. In den größeren Städ- ten war das der Versuch, die Kinder wenigstens zeitweise den moralisch zweifelhaften Einflüssen fernzuhalten, die unkontrollierte Freiheit mit sich brachte, z.B. dem Schwarz- markt. In ländlichen Gemeinden galt es, Flüchtlingskindern nach langer Zeit wieder Bil- dung und Erziehung zu gewähren. So wurden neben materiellen auch ideelle Schäden behoben. Natürlich arbeiteten die Kirchen dabei mit. Aber im Gegensatz zu den Müt- tern, die sich um die Gesundheit ihrer Kinder sorgten, und den amerikanischen Besat- zungssoldaten, die mit Spiel- und Sportnachmittagen und Süßigkeiten ein Lächeln in die blassen, mageren Gesichter zaubern wollten, waren die Kirchen von Anfang an auch deutlich bestrebt, über den täglichen Anfechtungen nicht die große Linie, die die ideel- len Schäden an der Wurzel beseitigen sollte, zu vergessen. Bereits im Juli 1945 stellten sie die Forderung nach der Bekenntnisschule. Sicher war sie nach ihrer gewaltsamen Abschaffung während der NS-Zeit eins der primären Ziele beider Kirchen, und sie ließen es auch in Zeiten bedrückendster materieller Not nicht einen Moment aus den Augen. Die- sen Vorsprung hatten sie gegenüber der Besatzungsmacht und den Eltern. Während letztere häufig nach dem Motto „Hauptsache Bildung“ verfuhren, mehr Wert auf Schule überhaupt denn auf Konfessionsschule legten und ja auch erfahren hatten, daß eine Gemeinschaftsschule, obwohl unredlich erzwungen, vorteilhaft sein konnte, war die Frage der Bekenntnisschule den Amerikanern ungewohnt und unverständlich und

1 StAN. Landratsamt Feuchtwangen, Abgabe 1992, Nr. 98. Niederschrift über die Bürgermeisterversammlung am 24.4.1950 in Kleinried.

658 zutiefst undemokratisch. Ihre Anstrengungen, durch Aufklärungsveranstaltungen Ver- ständnis für ihre Schulreform bei den Eltern zu wecken, ihr Kommentar zum Schulorga- nisationsgesetz als einem für sie undemokratischen Gesetz, ihre Briefe an Ministerpräsident Ehard zu Lehrerversetzungen und Schulstreiks bezeugen das. Aber vor allem die katholi- sche Kirche hatte zum damaligen Zeitpunkt einen großen Einfluß auf die Gläubigen und behauptete mit gewohnter Prachtentfaltung ihre Stellung. Ein damaliger Schüler des katholischen Internats Schäftlarn und als solcher Zeuge eines Besuchs Kardinal Faulha- bers beim Abt und Leiter der Klosterschule, berichtete über die lateinische Begrüßung des Kardinals und dessen gleichermaßen lateinische Antwort und war noch in der Erin- nerung überwältigt von dieser für ihn beeindruckenden Vorstellung und der Ergriffen- heit angesichts des gesamten imposanten Rahmens, in welchem sich dieses Tun abspiel- te.2 Damals waren die Katholiken überwiegend aufs engste mit ihrer Kirche verbunden, wenn auch manchmal nur aus Gehorsam. Die Rolle der evangelischen Kirche war nicht überzeugend. Begrüßenswerte Ansätze liberaler Offenheit unmittelbar nach Kriegsende, wofür die aufgefundenen Quellen Zeugnis ablegen, wurden ganz rasch vergessen, nachdem man festgestellt hatte, wie vehement auf katholischer Seite die Forderung nach der Bekenntnisschule und der konfessionellen Lehrerbildung vorgebracht wurde. Nur ja nicht ins Hintertreffen geraten, schien die Devise zu sein. Zugegeben, die evangelische Kirche hatte es in Bay- ern nicht leicht. Ihre Diaspora-Situation in den meisten Regierungsbezirken veranlaßte sie zu erhöhter Wachsamkeit bezüglich der Bekenntnisschulen, hatte sie doch außer ihrer Selbstbehauptung gegenüber der katholischen Kirche auch um ihre häufig recht laxen Kirchenmitglieder zu kämpfen, denen die Ziele nach der Katastrophe des Weltkrie- ges doch recht engherzig erschienen. Regionale Quellen belegen die Schwierigkeiten, die man mit den Gemeindemitgliedern hatte, belegen aber auch, daß die örtlichen Pfar- rer sich meist nicht entschließen konnten, die Anweisungen der Amtskirche so katego- risch umzusetzen, was ihren katholischen Amtsbrüdern, aus einem anderen Selbstver- ständnis ihrer Kirche heraus, nicht schwerfiel. Es finden sich auch Belege dafür, daß evangelische Pfarrer angesichts der Not von Flüchtlingslehrern die offizielle Linie ver- ließen und sich für sie verwendeten, auch wenn sie katholisch waren. Die Gebote der obersten Kirchenbehörde waren allerdings klar und wurden bei gehäuften Mißachtun- gen eindringlich wiederholt. Freilich konnte der Evang.-Luth. Landeskirchenrat in Mün- chen gar nicht anders handeln. Denn wenn man, wie Kultusminister Hundhammer betonte, immer wieder im Ministerium vorstellig wurde, um z.B. auf die schnelle Beseiti- gung fehlbesetzter Lehrerstellen an den Volksschulen zu drängen, konnte man nicht hinnehmen, daß die eigenen Pfarrer die Bemühungen hintertrieben. Schwierig war es für die evangelische Kirche auch, sich mit ihren Zielen von denen der katholischen und außerdem noch von Kultusminister Hundhammer abzusetzen. Häufig gab es die Situati- on, daß „die Kirchen“ als Gegensatz zu anderen Meinungen gesehen wurden. Man muß der evangelischen ebenso wie der katholischen Kirche auch den Vor- wurf machen, daß sie in ihrem Eifer, die angestrebten Ziele zu erreichen, die pädagogi- sche Seite und die Befindlichkeit der ihnen anvertrauten Schulkinder sehr oft vernachläs- sigten. Stundenpläne für den Religionsunterricht, unter denen die Kinder der Minderheit litten, ja die sogar die Gefahr gesundheitlicher Schädigung mit sich brachten, gab es an manchen Orten; und in einem Fall glaubte man auf evangelischer Seite gar, mögliche Unfälle auf einem langen Schulweg verantworten zu können, nur um den Bestand einer evangelischen Bekenntnisschule zu sichern. Was wäre es für die evangelische Kirche für eine

2 Gespräch mit Herrn Dr. Peter Gramsamer, Ansbach.

659 Chance gewesen, in Unterstützung der Selbstverantwortung der Gläubigen, anstelle der Abspaltung evangelischer Bekenntnisschulen mit den Verfechtern der Gemeinschafts- schule zur „Christlichen Gemeinschaftsschule“ zusammenzufinden. Den Gemein- schaftsschulen wäre das Odium des Antichristlichen genommen worden, vielen Schülern hätte man die Zwergschulen, den Flüchtlingslehrern die Angst vor dem Herum- geschobenwerden erspart. Und vor allem hätte die evangelische Kirche in einer verän- derten Welt, die sich nicht mehr einseitig aus der Tradition heraus definieren ließ, ein Zeichen setzen können. So stemmte sie sich vehement und oft wider besseres Wissen gegen Entwicklungen, die, auch bedingt durch sozialen Wandel, sowieso nicht aufzu- halten waren. Mag sein, daß die Zeit nicht reif war für Weltoffenheit, aber die Chance für einen geistigen Neuanfang, der in diesem Fall eine wirkliche „Stunde Null“ hätte sein können, war vertan; auch für die evangelische Kirche waren das Wiederanknüpfen an Überkommenes, das Wiedererlangen alter Rechte und Besitzstände wichtiger. Kultusminister Hundhammers Beharren auf einer bewährten bayerischen Schul- tradition, immer wieder beschworen, verhinderte einen möglichen Neuanfang im Bil- dungswesen. Nun muß zwar eingeräumt werden, daß es die Stunde Null gar nicht geben konnte, denn es mußte mit denselben Menschen der Neubeginn gewagt wer- den. Die Jüngeren hatten, wie Untersuchungen deutlich machen, die NS-Ideologie stark ver- innerlicht, die Älteren entstammten der Ära einer autoritären Erziehungstradition und trugen zudem an ihrer Verstrickung im nationalsozialistischen Regime. Neue Menschen - in diesem Fall neue Lehrer - wurden sie durch die Entnazifizierungsverfahren nicht. Sicherlich trug auch die Annahme des Grundgesetzes mit den Ausführungsbestimmun- gen zu Artikel 131 dazu bei, die Entnazifizierung nicht nur formal zu beenden, sondern auch ihre ursprünglichen Absichten zu relativieren. Möglicherweise gab es in Ansätzen einen Neuanfang - manche der befragten Lehrer jedenfalls begeisterten sich an der „Aufbruchstimmung“. Bayerische Schultradition implizierte im Bereich der Volksschule die Trennung nach Konfessionen, die konfessionell getrennte Lehrerbildung und den kathegorischen Imperativ des Lehrers mit der „richtigen“ Konfession an der Konfessionsschule.3 Das waren für Kultusminister Hundhammer aber nicht nur Komponenten einer für gut befundenen traditionellen Erziehungs- und Bildungseinheit, sondern sie sollten darüber hinaus die zwölf Jahre währende Abirrung überwinden helfen, aktuelle drohende Gefahren abwehren und das Leben in Bayern wieder überschaubar und berechenbar machen. Das zuerst genannte Ziel war augenscheinlich von denjenigen Lehrern zu erreichen, die nach abgeschlossenem Spruchkammerverfahren wieder unterrichten durften und ihrem guten Willen dadurch Nachdruck verliehen, daß sie ohne Murren die Segnungen der Bekenntnisschule akzeptierten, besser noch, Religionsunterricht erteilten. Völlig ableh- nend verhielt sich der Kultusminister - und er prüfte jeden einzelnen Fall - wenn ein Leh- rer Wiedereinstellung begehrte, der während des Dritten Reiches aus der Kirche ausge- treten war. Das galt als ein kaum gut zu machender Makel, an dem die Betroffenen jah- relang litten. Hundhammers Veto in diesen Fällen war so strikt, seine Haltung so unver- rückbar, aber er bewirkte keine „mea culpa“-Einsicht. Im Gegenteil; die solchermaßen Abgewiesenen suchten nach Beweisen und Zeugen, daß der Kirchenaustritt aus inneren Zweifeln, erlittenem Unrecht, aus früherer Zeit stammenden Überzeugungen geschehen war und nicht etwa aus Gründen der Vorteilsnahme während der Zeit des Nationalsozia- lismus. Diesbezügliche Quellen zeigen die Unterschrift meist evangelischer Pfarrer, bei

3 Im übrigen sorgte sich das Kulturministerium auch darum, ob z. B. Ehefrauen von Lehrern an höheren Schu- len dieselbe Konfession hatten wie ihre Männer. Jedenfalls war die Frage danach Bestandteil des Beurtei- lungsbogens des Lehrers (Bericht von Herrn Prof. Walter Fürnrohr).

660 denen die Betroffenen paradoxerweise Hilfe gesucht hatten. In manchen Fällen, die zum Erfolg führten, kann vermutet werden, daß der „Neuanfang“ mit einer Täuschung begann, in die der unbeugsame Kultusminister die Lehrer getrieben hatte. Den „gestrauchelten“ Erziehern wurde von Pfarrern die Suche nach einem gewandelten Ver- hältnis zur Kirche attestiert. Ob damit eine tatsächliche religiöse Festigung stattgefun- den hatte, bleibe dahingestellt. Eher wurde eine - verständliche - opportunistische Hal- tung unterstützt. Hundhammer sah in der verstärkten Hinwendung zur Kirche auch ein Bollwerk gegen den allgegenwärtigen Bolschewismus, der gleichermaßen das christliche Leben- sideal bedrohte wie der Nazismus. Sicher aber befürchtete er - und da war er der Anhänger des bayerischen Föderalismus, und zwar der südbayerische, - daß Einflüsse von außen den christlich-bayerischen Lebensrhythmus stören würden. Das war der Punkt, wo die Flüchtlingslehrer ihre Schwierigkeiten bekamen. Waren sie aus dem Sude- tenland, so konnten sie ihrer Zukunft einigermaßen gefaßt entgegensehen, denn Sude- tendeutsche galten den Bayern gewissermaßen verwandt, wurden später ja auch neben Altbayern, Franken und Schwaben als „vierter Stamm“ bezeichnet, und zahlreiche Quellen belegen ihre Bevorzugung gegenüber den Schlesiern oder gar „Preußen“, denen man kurioserweise Schwierigkeiten mit der Sprache vorwarf. Die Integration der Sudetendeutschen erfolgte reibungsloser, da sozusagen die mentalen Voraussetzungen dafür gegeben waren. Allerhand den Bayern ähnliche Eigenschaften wurden an ihnen gerühmt. Waren sie auch noch katholisch - und das war die überwiegende Zahl - und kamen in katholische Regionen Bayerns, dann gab es wenig Schwierigkeiten. Zwar war den Flüchtlingen das System der Konfessionsschulen zum großen Teil nicht vertraut, sie fanden sich jedoch damit ab. Außerdem waren die meisten wohl taktvoll oder klug genug, nicht darauf hinzuweisen, daß ihre Heimat zum großen Teil weit differenzierter entwickelt war. Obwohl die sudetendeutschen Gebiete wirtschaftlich benachteiligt waren, hatte die Tschechoslowakei insgesamt vor 1938 das höchste Bruttosozialprodukt in Europa und einen entsprechend hohen Lebensstandard, an den viele bayerische Gebiete nicht heranreichen konnten. Aber die Flüchtlingslehrer schickten sich in die veränderten Ver- hältnisse und brachten ihre wirklich gute Ausbildung zum Wohle der Schüler in die bayerischen Dorfschulen ein. Außerordentlich schwer hatten es Flüchtlingslehrer mit der „falschen“ Konfession, die dadurch die Schullandschaft in Bayern verkomplizierten und zu denen Kultusminister Hundhammer zunächst nichts anderes einfiel, als sie gemäß ihrer Religionszugehörigkeit noch einmal innerhalb Bayerns umsiedeln zu wollen, eine Zumutung, die schließlich doch nicht durchgeführt wurde. Die Betroffenen kamen jedoch jahrelang nicht zur Ruhe, denn über ihnen schwebte permanent das Damoklesschwert der Versetzung, als mit dem Verlangen nach Beseitigung regelwidriger Besetzungen von Schulstellen ver- sucht wurde, über die Regierungsbezirke den Ausgleich zu schaffen. Die Quellen aus den Schulämtern belegen, wie schwierig sich das Verfahren gestaltete. Sie belegen aber auch, daß Hundhammers Vorstellungen von einem bekenntniseinheitlichen bayerischen Schulsystem, anknüpfend an Traditionen, an der Basis, also bei Eltern, Gemeinden, unteren Schulbehörden und z. T. Pfarrämtern Unverständnis und Widerstand hervorrie- fen. Vor allem war es die Art und Weise, in der vorgegangen wurde, die man mißbilligte. Mitten im Schuljahr sollten die Lehrer versetzt werden, gleichgültig, ob ausreichend andere Kräfte vorhanden waren oder ob die Lehrkraft zur Zufriedenheit der Eltern arbei- tete. Die damals fast zur Tagesordnung gehörenden Schulstreiks oder zumindest die Drohung damit, belegen, wie ungeschickt, aber auch wie unzeitgemäß die kultusmini- steriellen Anordnungen doch eigentlich waren. Auch in Bayern konnte man „Norma- lität“ nicht dadurch herstellen, daß man die Uhren zurückdrehte. Hundhammer und

661 auch die katholische Kirche erkannten nicht, daß die Entwicklungen während des Nazi-Re- gimes, auch wenn es ein Unrechtssystem gewesen war, die Grenzen zwischen den Kon- fessionen verwischt hatten und das Miteinander in den Gemeinschaftsschulen von vie- len Eltern als durchaus vernünftig akzeptiert wurde. Die Notwendigkeit einer erneuten säuberlichen Trennung wollten sie nicht mehr einsehen. Die regionalen Quellen machen auch deutlich, daß die Bevölkerung der Nach- kriegszeit in ihrer überwiegenden Zahl nicht mehr bereit war, einem Weltbild zu folgen, dem man seine Bedürfnisse unterzuordnen hatte. Das „Hier und Heute“ zählte. Schulstreiks wurden an Personen festgemacht. War ein Lehrer imstande, den Schülern trotz aller widrigen Umstände etwas beizubringen, dann zählte seine Konfession nicht, und die Eltern waren bereit, für ihn einzustehen. Herrschte in den Klassen das Chaos, dann ver- suchte man, die Kinder dem zu entziehen, auch wenn die Religionszugehörigkeit des Lehrers stimmte und auch sonst die gesetzlichen Vorgaben erfüllt waren. Natürlich zogen die wenigsten Eltern so unbeirrbar die Konsequenzen wie die Familie Böhme in Aichach, aber andere Zeugnisse belegen, wie Eltern trickreich versuchten, ihren Kindern den Unterricht bei einem guten Lehrer, einer erfahrenen Lehrerin zu ermöglichen, unabhängig von Konfessionen. Das von kirchlicher Seite häufig beschworene Seelenheil des Kindes wurde vernachlässigt angesichts der Notwendigkeit einer profunden Bildung, gerade in einer Zeit, da die Vergänglichkeit weltlichen Besitzes offenbar geworden war. Im fränkischen Raum, d. h. in Ober- und Mittelfranken, war es für Kultusminister Hundhammer besonders mühsam, seine bildungspolitischen Pläne durchzusetzen. Dafür waren verschiedene Gründe maßgebend. Zum einen war man hier wachsamer gegenüber Anordnungen aus München, vermutete Benachteiligung, beobachtete mißtrauisch den „Münchener Zentralismus“. Die Franken fühlten sich oft als Bayern zweiter Klasse. Die materielle Situation war insgesamt schlechter als in Oberbayern; die fränkischen Regie- rungsbezirke waren die erste Anlaufstation für Flüchtlinge und entsprechend gefordert. Tra- ditionell überwiegend evangelisch, lehnte man sich gegen Hundhammers christliches Ordnungsprinzip auf, da es sich als katholisches Ordnungsprinzip manifestierte. Ganz schwierig war die Situation für die evangelischen Pfarrer in Franken. Die Vor- gänge in Windsheim und Treuchtlingen zeigen, daß die Pfarrer mit ihrem Kampf gegen die Gemeinschaftsschule gleichzeitig um die evangelischen Eltern kämpften. Entscheidend war in Franken auch die weitaus größere Bedeutung der Freien Demokratischen Partei und, in Nürnberg vor allem, der Sozialdemokraten. An Orten, in denen Widerstand und Schulstreiks mit besonderer Heftigkeit geführt wurden, gehörten die Bürgermeister der FDP oder SPD an, und die Gemeinde- oder Stadträte lagen mehrheitlich auf dieser Linie. Oberfranken war die Heimat eines sehr populären FDP-Mannes, Thomas Dehler, der vie- len an der bayerischen Regierungspolitik verzweifelnden Bürger - nicht wenige Lehrer befanden sich darunter - als Repräsentant freiheitlicher Ideen galt. Sein Wort wurde gehört, auch im Kultusministerium. Auch der Landtagsabgeordnete Korff von der FDP war ein nimmermüder Gegner der bayerischen Kulturpolitik in jenen Jahren und vor allem in Nürnberg in Aktion. Dort rannte er offene Türen ein, denn die von der SPD geführte Stadt focht den zähesten Kampf gegen die Konfessionsschulen. Dabei hatte sie nicht nur Kultusminister Hundhammer als Gegner, sondern auch eine starke, für die Bekenntnisschule eintretende evangelische Elternschaft innerhalb ihrer Mauern. Auf der anderen Seite war Nürnberg eine der wenigen Städte, die traditionell über Gemein- schaftsschulen verfügt hatten. Nicht vergessen darf man den Umstand, daß durch die starke Zerstörung der Stadt die durch Gesetz festgelegte Verpflichtung, Bekenntnisschu- len zu errichten, nicht ohne weiteres eingehalten werden konnte. Der Raummangel war ein offensichtlicher Tatbestand, und die Vernichtung vieler Schulhäuser ließ die Zuord- nung Bekenntnis- bzw. Gemeinschaftsschule nicht mehr zu.

662 Abgesehen von diesen zwingenden äußeren Gründen zeigen die Quellen jedoch auch, daß man hier, genauso wie in Windsheim, die örtlichen Schulfragen politisch instrumentalisierte, um gegen den Münchener Zentralismus das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden zu behaupten. In Windsheim empörte sich Bürgermeister Buchheim zwar zunächst darüber, daß nach dem Schulorganisationsgesetz die Angehörigen eines Bekenntnisses ihre Bekenntnisschule besuchen mußten, wenn keine Gemeinschafts- schule am Ort war oder wenn sie auch aus irgendeinem Grund die Schule der anderen Konfession vorgezogen hätten; seiner Meinung nach stellte das einen Eingriff in das Elternrecht dar. Aber die Streitfrage vor dem Verwaltungsgericht war schließlich, ob Teile des Gesetzes nicht gegen das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden verstießen. Und auch die Stadt Nürnberg erhob Klage wegen Verletzung des Selbstverwaltungsrechts. Die Schulfrage hatte also ganz offensichtlich für alle gesellschaftlichen Gruppen eine derart hohe Relevanz, daß mit ihr die prinzipielle politische Auseinandersetzung hie kommunaler fränkischer Selbstbestimmungswillen - hie München geführt wurde. Pädagogische Aspekte gingen dabei - genauso wie bei den Ansprüchen der Kirchen - weitgehend verloren. Wenn man die Frage stellt, wie stark durch Anordnung von oben der Schulalltag beeinflußt wurde, dann muß die Antwort sehr differenziert ausfallen. Die Schulstreiks, die besonders in Franken heftige Formen annahmen, zeugen davon, daß es erhebliche Turbulenzen geben konnte, wenn, verursacht durch die Kriegseinwirkungen, die Ver- hältnisse nicht adäquat waren oder wenn die Anordnungen auf Gruppen oder Persön- lichkeiten trafen, denen Kriegs- und Nachkriegszeit einen anderen Weg gewiesen hat- ten als den kirchlichen und die Demokratie nicht nach rückwärts verstanden, sondern als Chance des echten Neuanfangs. Den inhaltlichen Weisungen, z. B. denen, die die Lehrpläne vorgaben, versuchte man dagegen so gut es ging zu folgen. Allerdings konnten die Vorgaben häufig nicht vollzogen werden, da die Umstände es nicht erlaubten. Schwierig war z.B. die Umset- zung der geforderten neuen Unterrichtsmethoden, wenn die entsprechende Lehrerper- sönlichkeit fehlte. Auch die politisch Unbelasteten waren keine Garanten für demokrati- schen Unterrichtsstil, knüpften sie doch häufig nur da an, wo sie 1933 aufgehört hat- ten. Flexibilität konnte man von ihnen, auch weil sie oft schon an der Pensionierungs- grenze standen, nicht erwarten. Demokratische Methoden scheiterten ebenso oft an der mangelhaften Ausstat- tung. Arbeits- und Gruppenunterricht gelangen angesichts großer Klassen und ungeeig- neten Schulmobiliars nur wenigen Lehrern. Auch die Lehrpläne hatten ihre Grenzen dort, wo man sich mit allem behelfen mußte. Das galt z.B. für den Sozialkundeunter- richt, für den die Lehrer nicht vorbereitet, geschweige denn ausgebildet waren. Die Erin- nerungen einzelner damaliger Schüler lassen vermuten, daß dieses notwendige, von allen Seiten begrüßte Unterrichtsfach wirkungslos, sogar mit leisem Spott bedacht und absolviert wurde, wenn ein ungeeigneter Lehrer es gab. Trotz der breiten Akzeptanz, die der Sozialkundeunterricht im Vorfeld hatte, wurde er an manchen Schulen mit erstaunli- cher, die Absicht geradezu konterkarierender Nonchalance begonnen. Der Schulalltag der Lehrer wurde durch Anordnungen von oben z.T. erheblich beeinflußt. Abgesehen von Fällen, wo beispielsweise die „vollbeschäftigte Aushilfsange- stellte im öffentlichen Volksschuldienst“ ein ganzes Jahr in Steppach bei Pommersfelden unterrichtete, ohne auch nur einmal von irgendeinem Schulrat behelligt zu werden,4 war die Kontrolle von oben permanent. Manche Lehrer empfanden sie durchaus als hilfreich,

4 Gespräch mit Frau Dr. Domandl, Salzburg.

663 einige mußten sich mit süffisanten Rundschreiben wie z.B. denen des Schulrats von Ebermannstadt auseinandersetzen. Flüchtlingslehrer hatten zu beweisen, daß ihre oft vorzügliche Ausbildung der bayerischen standhielt, und manche kämpften um ihre Exi- stenz - sei es, weil sie so miserabel bezahlt wurden, sei es, weil sie als „Konkordatsfälle“ der Schulstelle verlustig gingen. Mit fortschreitender Konfessionalisierung der Volks- schulen, den damit verbundenen Verwaltungsvorschriften und dem nachfolgenden Schulorganisationsgesetz erhielten die Anfechtungen für manchen Lehrer eine Qualität, die ins Absurde ging. Unaufrichtigkeit und Duckmäusertum waren harmlosere Erscheinun- gen, seelische Zerrissenheit konnte eine schwerwiegende Folge sein. Gemeint sind die Fälle, in denen den Lehrern, die ja so oft als die Boten der Demokratie in den Schulen vorgestellt wurden, verboten wurde, frei ihre Meinung zu Gemeinschafts- und Bekennt- nisschulen zu äußern, geschweige denn die Eltern aufzuklären und zu beraten. Zahlreich sind aber auch die Zeugnisse, die belegen, wie Schulleiter und Lehrer in Franken ver- suchten, zum Wohle der Schüler Lösungen unter der Hand zu finden und die gesetzli- chen Vorgaben so weit wie möglich zu dehnen. Wie groß muß aber die Not der Lehrer gewesen sein, die, um die Existenz ihrer Familie zu sichern, konvertierten. Sicher war dieser Schritt für manche mit seelischen Qualen verbunden, und im Gegensatz zu heute, wo mit dem Ausfüllen eines Formulars die schwerste Arbeit getan ist, beäugten die Pfar- rer die übertrittswilligen Kandidaten mißtrauisch, zumal sie deren Malaise kannten. Eine län- gere Prüfungszeit und ein Examen mußten bestanden werden. Lehrer, die sich, wie Wilhelm Ebert, mutig und selbstbewußt für die Interessen ihrer Kollegen einsetzten, weil sie sich zu der Überzeugung der FDP, „Lehrer müssen freie Menschen sein“, bekannten, waren höheren Orts nicht sonderlich beliebt und setzten sich abschätzigen Diffamierungen aus. „Dahergelaufener Junglehrer“ nannte Kultusminister Hundhammer den aus dem Sudetenland stammenden Ebert.5 Überhaupt divergierte die Einschätzung der Volksschullehrer. Anläßlich der Gründungstagung des Bayerischen Lehrervereins rief der Vertreter der Militärregierung für Bayern den Anwesenden zu: „Auf Ihnen, den Lehrern, ruht die ganze Verantwor- tung eines neuen Deutschland!“ Die Lehrerschaft solle die ihr zustehenden Rechte wah- ren und sie sich von keiner Macht nehmen lassen.6 Dagegen offenbarte sich der damali- ge Ministerpräsident Dr. Hans Ehard als Parteigänger einer ständisch gegliederten Gesellschaft, die den Volksschullehrer auf eine unter dem Hochschulniveau angesiedelte Stufe verwies, während sein Kultusminister Hundhammer den Lehrberuf als Weltan- schauungsberuf betrachtete und die Protagonisten in eines höheren Herrn Dienst sehen wollte, denen man im Namen der Kirche einiges zumuten konnte. Wenn also einige der befragten Lehrer von der „Aufbruchstimmung“ schwärmten, die damals geherrscht habe, so muß man sicher differenzieren. Dieses Gefühl mag zugetroffen haben bei denen, die ohne Schwierigkeiten übernommen worden waren, sich dank der passenden Konfession und eines demokratisch gesinnten Vorgesetzten an der Schule entfalten konnten. Daß das vielfach beschworene vertrauensvolle Miteinander von Lehrern und Schulräten fehlte, beweisen die Berichte der auserwählten Lehrkräfte, die in die USA rei- sen durften. Der Umgangston an den dortigen Schulen und pädagogischen Einrichtun- gen muß sich deutlich vom bayerischen unterschieden haben, sonst wäre nicht so dezidiert darauf hingewiesen worden. Aus dem Jahr 1955 stammt das Schreiben eines pensio- nierten Schulrats, Dr. Hans Zinner, Nürnberg, der sich veranlaßt sah festzustellen, daß besonders auffallend das System der Regierungsschulräte und der Stadt- und Landkreis-

5 Gespräch mit Herrn Dr. Wilhelm Ebert, München. 6 Mitteilungen des Bayerischen Lehrervereins, Nr. 1/2, S. 13. München 1946.

664 schulräte versagt habe, die nur ihren Verwaltungsaufgaben gerecht würden, aber kei- nerlei Initiative im Pädagogischen besäßen. Sie seien keine Berater der Schule und hät- ten es verabsäumt, von sich aus mit Vertretern der Lehrerschaft zu planen.7 Solche Vor- gesetzte bewirkten keine Veränderungen. Auch wenn Schulkonferenzen, Elternbeiräte oder Schulpflegschaften eingerichtet wurden, an sich demokratische Einrichtungen, so bedeuteten sie keine Wende zur Demokratie, wenn sich mit der Form nicht auch die Inhalte änderten. Solche Gremien, von den Amerikanern als Instrumente der Demokrati- sierung gewünscht, waren zweifellos Schritte in die richtige Richtung, aber keine Gewähr für eine veränderte Denkweise. Angesichts des hierarchischen Systems im bayerischen Bildungswesen war die Einflußnahme von der Basis her schwierig zu bewerkstelligen und wurde auch als Störung empfunden. Das traf natürlich besonders auf die Schulkämpfe zu. Das Äußer- ste, was durch sie erreicht wurde, war ein vorsichtigeres Taktieren von kultusministerieller und kirchlicher Seite, ein Agieren auf Zeit; in besonders prekären Fällen, die die Ausweitung der Probleme befürchten ließen, war es das Aushandeln von Ausnahmeregelungen für einen begrenzten Zeitraum, wie das z.B. in Treuchtlingen der Fall war. Letztendlich wurde von oben auf das Gesetz gepocht, und die widerspenstigsten Eltern suchten nach den Schlupflöchern. Die Wallenburgstiftung stützte sich auf Erfahrungen an der Basis, denn in die Aus- schüsse wurden immer auch Lehrer ohne Funktionsstellung berufen, die ihre Erkenntnis- se aus dem Schulalltag einbrachten. Und es waren die Lehrer des Beispielkreises Weil- heim und der Beispielschulen, die zunächst die Vorschläge der Ausschüsse erprobten und mit ihren Berichten den Bildungsplan ergänzten, ihn auch modifizierten. Die gesam- te bayerische Lehrerschaft war dann aufgerufen, damit zu arbeiten und von Erfolg oder Mißerfolg zu berichten. Inwieweit diese Rückmeldungen in weiteren Entwürfen zu Lehr- plänen beachtet wurden, war nicht auszumachen. Der von Schulrat Barthel erwähnte Schulreformplan der Nürnberger Lehrerschaft fand seine ganze Anerkennung darin, nach Wallenburg weitergereicht worden zu sein. Auch die Sozialkundelehrer der ersten Stunde durften von ihren Erfahrungen an das Kultusministerium berichten. Möglicherweise wurden anhand ihrer Erkenntnisse Lehrplaninhalte geändert oder gestrichen, Lehrbücher konzipiert oder zukünftige Lehrer zweckdienlicher ausgebildet. Der Lehrer Martin Ringel, der in Lauf eine sog. Zubringerklasse an der Volksschule unterrichtete, erfuhr die Grenzen einer demokratischen Einflußnahme von unten nach oben, als ihm mitgeteilt wurde, daß dieser (erfolgreiche!) Schulversuch gescheitert sei. Die umstrittene Befragung der bayerischen Eltern zur Wiedereinführung der körperli- chen Züchtigung an den Schulen sollte man nicht nur als unseriös bezeichnen. Sie ist ein Beispiel dafür, daß die Basis mißbraucht wurde, um undemokratische Absichten zu sanktionieren. Die Frage erhebt sich, ob man die Bemühungen der amerikanischen Besatzungs- macht um Demokratisierung des bayerischen Bildungswesens als erfolgreich beurteilen kann und inwieweit politisch-historische Umerziehung an bayerischen Schulen stattge- funden hat. Gemessen an den Vorsätzen, den finanziellen Aufwendungen, dem Idealismus vieler Angehöriger der amerikanischen Militärregierung, dem Vertrauen, das man in die besiegten Deutschen setzte, erscheint der Erfolg auf den ersten Blick nicht überwälti- gend. Sicher waren die Amerikaner selbst enttäuscht über die Ergebnisse. Das konnten sie aber nur sein, wenn sie sich schnelle Resultate erhofft hatten. Die Befindlichkeit der

7 BayHStA München. MK 61212. Schreiben am 12.3.1955 an das Staatsministerium für Unterricht und Kul- tus. Betreff: Krise im bayerischen Schulwesen.

665 Deutschen nach Ende des Krieges ließ das aber nicht zu, und gar die Altbayern mit ihrer typischen „Mir san Mir“-Mentalität zeigten sich den notwendigen demokratischen Ver- änderungen gegenüber nicht sehr zugänglich. Für Franken trifft diese Einschätzung nur begrenzt zu. Hier fehlte die soziale und konfessionelle Homogenität, die in den alt- bayerischen Gebieten eher gegeben war. Dies wurde durch das Hinzukommen von Flüchtlingen unterschiedlicher geographischer und konfessioneller Herkunft noch ver- stärkt. Das häufig beschriebene Dilemma der amerikanischen Besatzungsmacht, Demo- kratie verordnen zu müssen, sie aber nicht befehlen zu wollen, war eine Schwäche, die von bayerischen Politikern schnell erkannt wurde, und es mußte schon viel passieren, bis amerikanische Befehle dem Treiben ein Ende setzten. Aber bereits der Zeitgewinn war für die bayerische Politik der Restaurierung positiv. Die traditionellen Strukturen konnten sich verfestigen und wurden resistent. Der Erfolg der amerikanischen Umerziehungspolitik ist auf lange Sicht gesehen unbestreitbar. Ihre Ansätze zur inneren Schulreform waren ungeheuer wichtig. Unter- richtsfächer, -methoden und -inhalte, die auf der Grundidee der social studies beruhen, ebenso die gängigen Formen eines demokratischen Schullebens, waren ihr Verdienst. Die Überzeugung, daß Politik nichts Unanständiges, sondern Aufgabe für alle Bürger ist, brachten sie nach Deutschland. Bemerkenswert war die Einrichtung der Pädagogischen Arbeitsstätten und Amerikahäuser, die sehr schnell gerne genutzt wurden. Viele damali- ge Lehrer, Schüler und Studenten erwähnen sie heute noch als bahnbrechend. Aller- dings gehörten sie nicht zur Hierarchie der Kultusbürokratie, was ihre überwältigende Akzeptanz und ihre sofortige Wirksamkeit besonders auf großstädtische Jugendliche erklärt. Vor allem wurde einer Vielzahl von jungen Deutschen die Möglichkeit gegeben, die USA zu besuchen und den American way of life, den man zu jenem Zeitpunkt nur positiv bewerten muß, kennenzulernen. Impulse wurden gesetzt, kurzfristig nicht immer wahrgenommen. Aber gerade kulturelle Veränderungen geschehen im Zuge von länger- fristigen Prozessen, in denen, wie im Nachkriegs-Bayern, viele soziale Komponenten wirksam werden. Eine der ganz wesentlichen waren im Bereich der Schule die Flücht- lingslehrer und -schüler, die an manchen Orten ein Drittel ausmachten. Sie unterstütz- ten, allein durch ihre Anwesenheit, die Forderung nach mehr Toleranz gegenüber Min- derheiten. Flüchtlingslehrer mit ihrer wirklich guten Ausbildung brachten neue Ideen in die Schulen und überzeugten Eltern und Kollegen. Nicht zuletzt profitierte der Bayeri- sche Lehrer- und Lehrerinnenverein von ihrem Engagement. Trotz seiner Jugend wurde Wilhelm Ebert (er war gerade 23 Jahre alt) einer seiner führenden Köpfe. Das Miteinander im Schulleben war ein gewichtiger Faktor für die schrittweise Integration der Flüchtlinge in Bayern. Die zerstörten Städte und Schulen bewirkten ebenfalls Veränderungen, dergestalt, daß soziale und konfessionelle Grenzen verschoben bzw. aufgehoben wurden. Nürn- berg ist ein Beispiel dafür, daß die gewohnten Schulsprengel mit ihren konfessionellen Einteilungen keinen Bestand mehr hatten und säuberliche Abgrenzungen nicht aufrech- terhalten werden konnten. Die Veränderungen liefen aber nicht - wie die Kirchen das gewünscht hätten - dar- auf hinaus, daß alle Eltern ihre Kinder verstärkt einer religiösen Erziehung anvertrauten. Auch in einer Zeit der Not erhofften sie mehr von einer in die Zukunft weisenden, pro- funden Bildung als von den Segnungen einer vertieften kirchlichen Unterweisung. Die Vertreter der Kirchen, besonders der katholischen, und Kultusminister Hundhammer erkannten nicht die Zeichen einer veränderten Welt und stellten die falschen Weichen. Zwar verzögerten sie damit notwendige Entwicklungen in Bayern, aber langfristig konn- te diese Schulpolitik nicht durchgehalten werden.

666 Abgesehen von dem Beharren auf der Trennung nach Konfessionen, gab es an den Volksschulen die deutlichsten Anzeichen demokratischer Ansätze. Hier wurden neue Methoden - Gruppenarbeit, Arbeitsunterricht und das freie Gespräch - diskutiert und erprobt. In der „Erziehungsschule“, wie Kultusminister Hundhammer die Volks- schule sehen wollte, war Raum für Gemütsbildung, Mitmenschlichkeit und demokrati- schen Umgang miteinander. Nicht so in der „Leistungsschule“ Gymnasium, die noch lange Jahre an überkommenen Unterrichtsmethoden festhielt und den Schülern nahezu keine Freiräume zubilligte, obwohl z.B. die Oberrealschule Fürth einen gangbaren Weg aufzeigte. Frühere Urteile über Erfolg oder Mißerfolg der historisch-politischen Umerziehung an bayerischen Schulen kamen häufig zu einem negativen Ergebnis, sprachen vom Schei- tern der Amerikaner, den Mißerfolgen, dem Sieg der Restauration. Das trifft in vielen Bereichen auf die ersten Nachkriegsjahre zu. Aber die „Epoche der Umerziehung“ dauerte länger, auch wenn Erich Weniger bereits 1952 ihr Ende postulierte.8 Lucius D. Clays Ansicht war treffender. Er meinte, daß sich die Ergebnisse eines Erziehungsprogramms nicht leicht abmessen ließen und es nahezu unmöglich sei, sie sofort zu bewerten. Sie würden aber zu gegebener Zeit erkennen lassen, ob die Bemühungen der amerikani- schen Besatzungsmacht erfolgreich waren oder nicht.9 Betrachtet man Umerziehung in dieser Dimension, dann war sie erfolgreich, und das zähe Festhalten an dem für richtig erkannten Ziel, das die Demokraten, die erprobten und die unsicheren, in besonderem Maße die fränkischen, auf ihrem dornenreichen, langen Weg auszeichnete, muß man mit Dankbarkeit anerkennen.

8 Archiv des BLLV München. Erich Weniger: Wie kann die pädagogische Theorie der Praxis im Streit um die Schulreform helfen? Sonderdruck aus Pädagogische Beiträge. 4. Jg., Heft 7/1952, S. 339. 9 Clay, S. 337

667 Abkürzungen

ABJ Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Junglehrer ACSP Archiv für Christlich-Soziale Politik der Hanns-Seidel-Stiftung München ADL Archiv des Deutschen Liberalismus der Friedrich-Naumann- Stiftung Gummersbach AdsD Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn BayHStA Bayerisches Hauptstaatsarchiv München BDM Bund Deutscher Mädel BHE Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten BLLV/BLV Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverein/Bayerischer Lehrerverein BP Bayernpartei BV Bayerische Verfassung BVP Bayerische Volkspartei CDU Christlich-Demokratische Union CSU Christlich-Soziale Union DAF Deutsche Arbeitsfront DC Deutsche Christen DDR Deutsche Demokratische Republik DG Deutsche Gemeinschaft DNVP Deutschnationale Volkspartei DP Displaced Person EAC European Advisory Commission EKD Evangelische Kirche in Deutschland FDP Freie Demokratische Partei Gestapo Geheime Staatspolizei GVBl. (Bayerisches) Gesetz- und Verordnungsblatt GYA German Youth Activities HICOG Office of the High Commissioner for Germany HJ Hitlerjugend IRO International Refugee Organization

668 JCS Joint Chiefs of Staff LBA Lehrerbildungsanstalt LKAN Landeskirchliches Archiv Nürnberg ME Ministerialentschließung NAPOLA Nationalpolitische Lehranstalt N.E.A. National Education Association NN Nürnberger Nachrichten NPEA Nationalpolitische Erziehungsanstalt NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSKK Nationalsozialistisches Kraftfahrer-Korps NSLB Nationalsozialistischer Lehrerbund NSV Nationalsozialistische Volkswohlfahrt OMGB/OMGBY Office of Military Government for Bavaria OMGUS Office of Military Government of the United States for Germany RAD Reichsarbeitsdienst RBR Reichsbruderrat RE Regierungsentschließung SA Sturmabteilung SBZ Sowjetisch besetzte Zone SD Sicherheitsdienst (der SS) SHAEF Supreme Headquarters of Allied Expeditionary Forces SMAD Sowjetische Militäradministration in Deutschland SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutzstaffel StAN Staatsarchiv Nürnberg UNRRA United Nations Relief and Rehabilitation Administration USFET United States Forces European Theater USPD Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands VDA Volksbund für das Deutschtum im Ausland WAV Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung WHV Winterhilfswerk WV Weimarer Verfassung

669 Quellen und Literatur

1. UNGEDRUCKTE QUELLEN

BAYERISCHES HAUPTSTAATSARCHIV, MÜNCHEN (BAYHSTA)

Bestand Kultusministerium (MK) MK 6003 MK 53004 MK 61203 MK 62001 MK 49729 MK 53047 MK 61204 MK 62002 MK 52130 MK 53049 MK 61212 MK 62003 MK 52173 MK 53053 MK 61220 MK 62004 MK 52193 MK 53055 MK 61314 MK 62004a MK 52194 MK 53057 MK 61319 MK 62006 MK 52199 MK 53201 MK 61321 MK 62007 MK 52262 MK 53202 MK 61322 MK 62016 MK 52270 MK 53203 MK 61422 MK 62017 MK 52311 MK 53204 MK 61423 MK 62115 MK 52340 MK 53205 MK 61699 MK 62119 MK 52426 MK 53206 MK 61932 MK 62122 MK 52543 MK 53207 MK 62154 MK 52954 MK 53208 MK 62231 MK 52979 MK 53209 MK 62232 MK 52987 MK 53210 MK 62238

Bestand Staatskanzlei (StK) StK 113968 StK 113972 StK 113973 StK 113976 StK 113977

STAATSARCHIV, NÜRNBERG (STAN)

Regierung von Mittelfranken, Abgabe 1978

Band 1 213 316 599

Band 2 4452 4516 4607 4659 4739 4890 4485 4518 4617 4677 4776 6415 4487 4519 4621 4680 4779 6451 4522 4637 4688 4779A 6606 4565 4638 4691 4785 6607 4697 4793 6612

670 Landratsamt Ansbach, Abgabe 1961 1704

Landratsamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992 60 70

Bezirksamt Dinkelsbühl, Abgabe 1992 259 264

Landratsamt Feuchtwangen, Abgabe 1992 98

STADTARCHIV NÜRNBERG

C 24 Schulverwaltungsakten 4 22 41 73 148 165 184 5 26 53 108 154 166 190 9 29 58 117 158 168 13 36 64 130 162 178

C 7/IX SRP 1228 1285 1306 1307

F 2 Chronik der Stadt Nürnberg

STADT NÜRNBERG

Archiv des Schul- und Kulturreferats/Stadtschulamt Personalvertretung der Volksschullehrkräfte Band 1/401/30/30

Amt für Volksschulen und Schulverwaltung „Schulbuchkommission“ Band 1/401/22/24

Englischunterricht an Volksschulen Band 1/401/14/10/5

671 STADTARCHIV BAD WINDSHEIM

Stadtchronik/Ortschronik Jg. 1950-1952

Stadtrat Windsheim Sitzungsbuch 1950 1951 1952 1953

Acta des Stadtrats Windsheim Betr.: Schulbetrieb allgemein Titel IV Fach 31 Akt Nr. 2 Sammlung von Zeitungsartikeln I/1951

STADTARCHIV FÜRTH

Akten des Stadtrats Fürth Nr. 2/926 2/943

Akten des Stadtmagistrats Fürth Nr. 2/925

Akten der Stadt Fürth Nr. 2/944

STADTARCHIV LEUTERSHAUSEN (MFR.)

Gemeinde Büchelberg Band B 21

LANDESKIRCHLICHES ARCHIV, NÜRNBERG (LKAN)

Bayerisches Dekanat Nürnberg (Bay D Nbg.) 942

Kreisdekan Nürnberg (KRD) 6 239 42 251 151 294 238

672 Archiv des Evang.-Luth. Pfarramts Nürnberg, St. Sebald 82

Landeskirchenrat (LKR) VI 1100 a (3064) 1100 a (3065) 1105 Bd. 1 (3113)

Landeskirchenrat z. I. 102 (Rat) (60)

HB XII 132 Amtsblatt für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern rechts des Rheins 33. Jg./1946 34. Jg./1947 HB XII 135 35. Jg./1948 36. Jg./1949 HB XII 136 37. Jg./1950 Z 214 37. Jg./1950 (Beilage)

Evangelisches Gemeindeblatt für Treuchtlingen und Umgebung 20. Jg./1950 21. Jg./1951

ARCHIV DES ERZBISTUMS BAMBERG

Rep. 1 Nr. 12 vorläufige Signatur Bamberger Pfarrblatt 6/1946 7/1946 9/1946 21/1946 St. Heinrichsblatt 18/1946 1/1949 6/1949 18/1949 20/1946 2/1949 7/1949 24/1949 23/1946 4/1949 13/1949 31/1946 5/1949 16/1949

ARCHIV DES DEUTSCHEN LIBERALISMUS DER FRIEDRICH-NAUMANN-STIFTUNG, GUMMERSBACH (ADL)

Nachlass Thomas Dehler N 1 - 9 56 97 146 349 882 918 984 13 67 118 147 370 886 930 1034 21 68 130 319 375 896 946 1046 41 86 137 321 421 901 947 2204 45 87 138 324 876 903 958 2217 55 94 145 338 877 911 976

673 N 53 - 1 45 493 994 14 152 17 165

ARCHIV DER SOZIALEN DEMOKRATIE DER FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG, BONN (AdsD)

SPD - Landesverband (LV) Bayern I/11 I/207 III/30 I/18 I/208 I/158 I/212 I/168 I/240 I/181 I/288

SPD - LTF Bay 2 111 3 114 5 138 7 143 a 93 160 94 163 96 165

SPD - Bayerischer Landesvorstand Sozialdemokratische Presse-Korrespondenz Nr. 97 142 268

Bayerischer Rundfunk. Pressestelle 124

ARCHIV FÜR CHRISTLICH-SOZIALE POLITIK DER HANNS-SEIDEL-STIFTUNG, MÜNCHEN (ACSP)

Alois Hundhammer: Staatsbürgerliche Vorträge. Regensburg2 1931 LTF Protokolle I/22 I/23 I/24

674 Nachlass Josef Müller NL Müller 5 252 290 27 268 292 52 270 293 200 271 294 251 288

Nachlass Hanns Seidel NL Seidel Verhandlungen des Bayerischen Landtags. I. Tagung 1946/47. Beilagen - Band I. Beilagen 1 - 646. München 1948. II. Tagung 1947/48. Beilagen - Band II. Beilagen 647 - 1729. München.

ARCHIV DES BAYERISCHEN LEHRER- UND LEHRERINNENVEREINS, MÜNCHEN

Unnumerierte Akten

ARCHIV DES HARDENBERG-GYMNASIUMS, FÜRTH I. B.

Oberrealschule Fürth i. B. Jahresbericht über das Schuljahr 1948/49 1949/50 1950/51 1951/52

PRIVATARCHIVE

Dietrich Biernoth, Ansbach Familie Böhme, Ansbach Hermann Dehm, Ansbach Ingrid Dehm, Ansbach Prof. Dr. Hans Glöckel, Nürnberg Dr. Rupert Hacker, München Wilhelmine Hofmann, Treuchtlingen Martin Ringel, Treuchtlingen Sophie Roquette, Erlangen Ralf Weber, Muhr am See

675 2. ZEITZEUGEN

Herr Horst Bischoff, Ansbach Frau Ruth Borkholder, Ansbach Herr Hermann Dehm, Ansbach Frau Ingrid Dehm, Ansbach Herr Heinrich Delp, Bad Windsheim Frau Dr. Johanna Domandl, Salzburg Herr Dr. Wilhelm Ebert, München Herr Alfred Faul, Nürnberg Herr Alfred Fischer, Fürth Herr Prof. Dr. Walter Fürnrohr, Gauting Herr Kurt Gemählich, Nürnberg Herr Siegfried Gerlach, Ansbach Herr Alfred Gläsel, Neusitz b. Rothenburg o. T. Herr Prof. Dr. Hans Glöckel, Nürnberg Herr Dr. Peter Gramsamer, Ansbach Herr Dr. Rupert Hacker, München Herr Hans Heise, Friedrichshafen Frau Wilhelmine Hofmann, Treuchtlingen Frau Dr. Brigitte Hohlfeld, Mannheim Herr Ingo Hümmer, Ansbach Udo Freiherr von Hunoltstein, Feldafing Frau Hildegard Huter, Treuchtlingen Frau Gerda Kersten, Liebenburg i. Niedersachsen Herr Dr. Alfred Otto, Lichenau (Mfr.) Frau Hedwig Ponath, Herrieden Herr Robert Rieger, Fürth Herr Martin Ringel, Feuchtwangen Frau Anni Sand, Ansbach Herr Manfred Schlepp, Heilsbronn Herr Fritz Thoma, Ansbach Herr Walter Weichlein, Oberasbach

3. GEDRUCKTE QUELLEN

Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken. Herausgegeben vom Regierungspräsidenten in Ansbach mit Genehmigung der Amerikanischen Nachrichtenkontrolle in Nürnberg. Ansbach. 14. Jg. 1946

Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Oberfranken und Mittelfranken. Herausgegeben von der Regierung für Ober- und Mittelfranken in Ansbach mit Genehmi- gung der Amerikanischen Nachrichtenkontrolle in Nürnberg. Ansbach. 15. Jg. 1947 16. Jg. 1948/1-9

676 Amtlicher Schulanzeiger für die Regierungsbezirke Oberfranken und Mittelfranken. Herausgegeben von den Regierungen für Oberfranken und Mittelfranken mit Genehmi- gung der Amerikanischen Nachrichtenkontrolle in Nürnberg. Ansbach/Bayreuth. 16. Jg. 1948/10-12 17. Jg. 1949/1-6

Amtlicher Schulanzeiger für den Regierungsbezirk Mittelfranken. Herausgegeben von der Regierung in Mittelfranken mit Genehmigung der Amerikani- schen Nachrichtenkontrolle in Nürnberg. Ansbach. 17. Jg. 1949/7-12 18. Jg. 1950 19. Jg. 1951 (Herausgegeben von der Regierung von Mittelfranken) 20. Jg. 1952/1-8

Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. Amtlich herausgegeben vom Staatsministerium für Unterricht und Kultus. München. Nr. 16/1926. Lehrordnung für die bayerischen Volksschulen. Bek. v. 15. Dezember 1926.

Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. München. Jg. 1946 Jg. 1950 Jg. 1954 Jg. 1947 Jg. 1951 Jg. 1948 Jg. 1952 Jg. 1949 Jg. 1953

Amtsblatt des Land- und Stadtkreises Coburg. Herausgeber: Der Landrat des Kreises Coburg. Der Oberbürgermeister der Stadt Coburg. Authorized by the Military Government. Jg. 1945 Jg. 1946

Amtsblatt der Militärregierung und des Landrats für den Landkreis Ansbach. Published with Authority of Military Government Ansbach. Nr. 23/3. Mai 1946

Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl.) Nr. 14/1938 Nr. 5/1947 Nr. 11/1948 Nr. 27/1954 Nr. 19/1946 Nr. 7/1947 Nr. 17/1950 Nr. 5/1955 Nr. 23/1946 Nr. 12/1947 Nr. 31/1951 Nr. 24/1946 Nr. 10/1948 Nr. 18/1954

Bayerische Rechtssammlung Sachbereich 10 bis 2037 Herausgegeben von der Bayerischen Staatskanzlei München. 1985 Stand 1.1.1983 - 1985

Bereinigte Sammlung der Verwaltungsvorschriften des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus. (BayBSVK). Bd. I 1865 - 1954. München 1958.

677 Bundesgesetzblatt Bonn Nr. 21/1951 Nr. 22/1951

Denkschrift zur Schulreform. Katholische Grundsätze und praktische Vorschläge. Herausgegeben vom Bund Katholi- scher Erzieher. Köln 1948

Die Bayerische Schule. Herausgeber: Bayerischer Lehrerverein München. 1. Jg. Juli/August 1948 - Dezember 1948 2. Jg. 1949 3. Jg. 1950 4. Jg. 1951

Die Bayerische Schule. Herausgeber: Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverein München. 5. Jg. 1952 6. Jg. 1953 7. Jg. 1954

Die Verfassung des Deutschen Reiches. Vom 11. August 1919. Den Schülern und Schülerinnen zur Schulentlassung. Die Änderun- gen bis zum 1. August 1930 sind berücksichtigt.

Dokumente zur Schulreform in Bayern. Herausgegeben vom Bayerischen Kultusministerium, bearbeitet von Hans Merkt. Mün- chen 1952.

Erziehung in Deutschland. Bericht und Vorschläge der amerikanischen Erziehungskommission. Herausgeber: Die Neue Zeitung, München. München 1946. Erziehung und Unterricht in den bayerischen Volksschulen. Bekanntmachung des Staats- ministeriums für Unterricht und Kultus vom 23. Juli 1940 Nr. IV 27880. München 1940.

Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Bayern Nr. 41/1883

Gesetz- und Verordnungsblatt für den Freistaat Bayern. München. Nr. 47/1919 Nr. 55/1919 Nr. 39/1920 1925

Goodrich, Leland M./Carroll, Marie J. (Hrsg.): Documents in American Foreign Relations, vol. VII. July 1944 - June 1945, publ. for The World Peace Foundation. Princeton 1947.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Vom 23. Mai 1949 (BGBl. S. 1). (Ergänzt nach dem Stand vom 30. Mai 1963). München.

678 Landesschulordnung. Herausgegeben vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus. München 1943.

Mitteilungen des Bayerischen Lehrervereins. Herausgeber: Franz Xaver Hartmann. München Jg. 1946 Jg. 1947 Jg. 1948/Juni

Mitteilungsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Sonderaufgaben. München 1. Jg. 1946 2. Jg. 1947 3. Jg. 1948

Mittelfränkischer Schulanzeiger mit den amtlichen Mitteilungen der Regierung von Mittel- franken 20. Jg. 1952/9-12 21. Jg. 1953

Schule und Gegenwart. Pädagogische Monatszeitschrift. Verantwortlich für die Herausga- be: Abteilung für Erziehung im Office of Land Commissioner for Bavaria, München. 1. Jg. 1949 2. Jg. 1950 3. Jg. 1951

Statistisches Taschenbuch über die Heimatvertriebenen in der Bundesrepublik Deutschland und in West-Berlin. Herausgeber: Statistisches Bundesamt. Wiesbaden 1953.

Verhandlungen des Bayerischen Landtags. Stenographische Berichte. I. Tagung 1946/47. Nr. 1-27. 1. Band. München 1948. II. Tagung 1947/48. Nr. 28-56. II. Band Teil 1. München. II. Tagung 1947/48. Nr. 57-84. II. Band Teil 2. München. III. Tagung 1948/49. Nr. 85-107. III. Band. München. I. Tagung 1950/51 Nr. 1-32. I. Band. München 1951.

Wallenburg-Stiftung Kempfenhausen. Bildungsplan für die bayerischen Volksschulen. Bad Heilbrunn 1950.

679 4. ZEITUNGEN

Die Neue Zeitung 1. Jg. 1945 2. Jg. 1946 3. Jg. 1947

Fränkische Landeszeitung 1. Jg. 1946 2. Jg. 1947

Treuchtlinger Kurier 64. Jg. 1951

5. LITERATUR

Abelein, Manfred: Die Kulturpolitik des Deutschen Reiches und der Bundesrepublik Deutschland. Köln/Opladen 1968. Adam, Bernhard: Uncle Sam and the Post-War Schools. In: Brigitte Hohlfeld/Peter Schmid (Hrsg.), Tulla 2000. Eine Schule wird 100. Mannheim 2000, S. 60 ff. Allemann, Fritz René: Bonn ist nicht Weimar. Köln 1956. Arndt, Adolf/Geiger, Wilhelm/Pöggeler, Franz: Schule und Staat. Studien und Berichte der Katholischen Akademie in Bayern. München 1959. Baer, Fritz: Die Regierungen 1945-1962. In: Karl Bosl (Hrsg.), Dokumente zur Geschichte von Staat und Gesellschaft in Bayern. Abt. III Bayern im 19. und 20. Jahrhun- dert. Band 9. München 1976. Barthel, Otto (Bearb.): Die Schulen in Nürnberg 1905 - 1960 mit Einführung in die Gesamtgeschichte. Im Auftrage des Stadtrats/Schulreferat. Nürnberg o.J. Bauer, Franz: Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik in Bayern 1945 - 1950. Stuttgart 1982. Becher, Hubert: Freiheit und Einheit der Schule. In: Eugen Kogon/Walter Dirks (Hrsg.), Frankfurter Hefte. Zeitschrift für Kultur und Politik. 2. Jg. 4/April 1947. S. 403- 408. Benz, Wolfgang: Erzwungenes Ideal oder zweitbeste Lösung? Intentionen und Wirkun- gen der Gründung des deutschen Weststaates. In: Ludolf Herbst (Hrsg.), West- deutschland 1945 - 1955. München 1986, S. 135-146. Ders.: Föderalistische Politik in der CDU/CSU. Die Verfassungsdiskussion im ‚Ellwanger Kreis‘ 1947/48. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 27 (1977), S. 776 - 820. Ders.: Potsdam 1945. Besatzungsherrschaft und Neuaufbau im Vierzonen-Deutschland. München 1986. Ders.: Versuche zur Reform des öffentlichen Dienstes in Deutschland 1945 - 1952. Deutsche Opposition gegen alliierte Initiativen. In: Vierteljahreshefte für Zeitge- schichte 2 (1981), S. 216 - 245. Berendt, Hans: Das Bildungsziel der höheren Schulen. Rede bei der Wiedereröffnung der höheren Schulen in Bonn, 21. Oktober 1945. In: Josef Schnippenkötter (Hrsg.), Bildungsfragen der Gegenwart. Reden und Aufsätze. Heft 2. Bonn 1945.

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6. INTERNET-RECHERCHE

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687 Lebenslauf

Name: Sibylle Dorothea Deffner geb. Böhme Geburtstag: 9. 10. 1944 Geburtsort: Altenmarkt/Alz, Kreis Traunstein Eltern: Hugo Böhme, Kaufmann, und Claire Böhme, geb. Sparr Geschwister: 2 Schwestern Familienstand: verwitwet 1 Sohn Schulbesuch: 9/1950 - 7/1951 Volksschule Ecknach b. Aichach 9/1951 - 7/1954 Volksschule Aichach 9/1954 - 7/1955 Oberrealschule Schrobenhausen 9/1955 - 7/1957 Realgymnasium Wilhelm-Löhe- Schule, Nürnberg 9/1957 - 7/1960 Private Handelsschule Karl Teschner, Nürnberg 9/1960 - 7/1961 Tätigkeit bei der Bayerischen Staatsbank, Nürnberg 9/1961 - 7/1965 Realgymnasium Wilhelm-Löhe- Schule, Nürnberg Abitur Heirat: Juli 1965 Studium an der Erziehungs- wissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen- Nürnberg: SS 1974 - WS 1977 1. Prüfung für das Lehramt an Volksschulen: 1977/1 2. Prüfung für das Lehramt an Volksschulen: 1980 Religionspädagogische Prüfung: 1980 Beamtin auf Lebenszeit: 15. 3. 1982 Seit 2. Mai 1977 im Volksschuldienst tätig; z.Zt. Weinbergschule (HS Nord), Ansbach. 689