Ein Entwickler Von Individualitäten« Theodor Hagen Als Lehrer

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Ein Entwickler Von Individualitäten« Theodor Hagen Als Lehrer Originalveröffentlichung in: Wendermann, Gerda (Hrsg.): Hinaus in die Natur! Barbizon, die Weimarer Malerschule und der Aufbruch zum Impressionismus; [... Neues Museum, Weimar, 14. März bis 30. Mai 2010, eine Ausstellung]. Bielefeld 2010, S. 195-211 »... ein Entwickler von Individualitäten« Theodor Hagen als Lehrer Hendrik Ziegler In den Erinnerungen an seinen Vater, den Maler Leopold Graf von Kalckreuth, 1 Johannes Kalckreuth: Wesen und Werk mei- kommt Johannes Kalckreuth auf seinen Großvater Stanislaus zu sprechen, der die nes Vaters. Lebensbild des Malers Graf Leopold Geschicke der Großherzoglichen Kunstschule in Weimar als deren Gründungs- von Kalckreuth. Hamburg 1967, S. 93 f. direktor zwischen 1860 und 1876 maßgeblich mitbestimmt hat. Dabei fallen auch einige bezeichnende Worte über Theodor Hagen, den Stanislaus Graf von Kalck- reuth Anfang 1871 als Professor der Landschaftsmalerei für Weimar gewinnen konnte: »Mit Hagens Verpflichtung hatte Stanislaus wohl den besten Griff seines Lebens getan. Der Rheinländer war ein begnadeter Lreilichtmaler und bewies den feinsten Sinn für den intimen Charakter einer Landschaft, fiir die ihr eigentüm- liche Luft, das ihr eigene Licht. [...] Als Lehrer war er das, was Stanislaus gerne ge- wesen wäre, ein Entwickler von Individualitäten. Denn Stanislaus' Schüler beweg- ten sich mehr oder weniger in vollständiger Abhängigkeit von ihrem Lehrer, der sich dadurch wiederum gelangweilt fühlte. Ganz das Gegenteil erreichte Hagen. Er und seine Schüler bildeten den Kern, die Elite der Weimarer Landschaftsmalerei. Neben seinen künstlerischen Qualitäten war Hagen ein prachtvoller Mensch, und es spricht wieder für Stanislaus ’ Charakter, daß er mit Hagen nie ein Hühnchen zu rupfen hatte.«1 Der 1842 als Sohn eines Kaufmanns in Düsseldorf geborene Theodor Hagen, der seine künstlerische Ausbildung 1859 an der Akademie seiner Heimatstadt be- gonnen und Ende der 1860er Jahre in der Meisterklasse von Oswald Achenbach beschlossen hatte, sollte von seiner Übersiedlung nach Weimar im Jahr der Reichs- gründung bis zu seinem Tod 1919 an der dortigen Kunstschule als Professor der Landschaftsmalerei tätig sein. In Weimar entwickelte er sich zum erfolgreichsten Lehrer der Anstalt. Johannes Kalckreuth erfasst in seinen Erinnerungen sehr ge- nau das Besondere dieser beinahe 50-jährigen Lehrtätigkeit des Rheinländers: Ha- gen leitete eine sehr große Zahl von Schülern an, ohne ihnen jedoch seine eigenen Kunstauffassungen aufzudrängen, sie zu seinen Nachahmern zu machen. Vielmehr förderte er bei seinen Schülern - zu deren prominentesten Karl Buchholz, Ludwig von Gleichen-Russwurm, Paul Baum und Hans Peter Leddersen gehörten - die Umsetzung der jeweils eigenen Anschauung auf der Basis eines fortwährenden Studiums vor dem Motiv. Das Arbeiten im Lreien als unabdingbare Grundlage für die Generierung eigenständiger komplexer und verdichteter Bildkompositionen war Hagens didaktisches Konzept, das ihm bereits durch seinen eigenen Lehrer Oswald Achenbach vermittelt worden war und den er ab 1869 als Lehrer an der Düsseldorfer Akademie vertreten hatte. Mit diesem unbedingten Bekenntnis zur Preilichtmalerei als Pundament jeglicher Entwicklung individuellen künstlerischen Ausdrucks ist Theodor Hagen in den i87o/8oer Jahren der Spiritus Rector der sich herausbildenden Weimarer Malerschule geworden - einer »Schule«, die eben nicht ein doktrinäres Programm bezeichnet, das durch einen Meister seinen Adepten vermittelt wird, sondern einen Kreis von freundschaftlich miteinander verbunde- !95 Barbizon und Weimar 2 Zur Bestimmung des Begriffs »Weimarer nen Landschaftsmalern meint, die sich, obwohl größtenteils Schüler von Theodor Malerschule« siehe Hendrik Ziegler: Die Kunst Hagen, vor allem untereinander anregten und dadurch jenes für Weimar charakte- der Weimarer Malerschule. Von der Pleinair- ristische, in der Wahl der Motive und in der Farbgebung reduzierte Bildvokabular malerei zum Impressionismus. Köln, Weimar, Wien 2001, S. 66-79. entwickelten. 2 3 Grundlegend zu Theodor Hagen und seinen Die Forschungs- und Quellenlage zu Theodor Hagen ist gut.3 Dennoch kann - Schülern siehe Walther Scheidig: Die Weimarer das muss gleich zu Beginn klargestellt werden - über das tagtägliche Vorgehen Malerschule 1860-1900. Hrsg. v. Renate Müller- Hagens im Unterricht keine Aussage gemacht werden: ob er etwa, was nicht anzu- Krumbach. Leipzig 1991, S. 85-90,138 f. Zu Ha- gens künstlerischem Vorgehen und dem seiner nehmen ist, direkt in die Arbeiten seiner Schüler hineinkorrigierte, inwieweit er Schüler siehe Hendrik Ziegler: Die Kunst der die Schülerarbeiten in der Gruppe oder mit jedem einzeln besprach, welche kon- Weimarer Malerschule (Anm. 2), S. 80-86, 139- kreten Ratschläge er ihnen während des Unterrichts gab usw. Diese unleugbaren 144, 206-232. Überlieferungslücken bezüglich des kunstpädagogischen Alltagsgeschäfts Hagens 4 Der schriftliche Nachlass wird im Goethe- können allerdings durch eine Fülle von Quellen ausgeglichen werden, aus denen und Schiller-Archiv in Weimar verwahr. Eine Einarbeitung der Bestände ist in Arbeit. Hier die wesentlichen Prinzipien und Lehrziele Hagens sowie das Vertrauensverhältnis erfolgt daher noch der Nachweis mittels des all- seiner Schüler zu ihrem Lehrer deutlich hervorgehen. Hauptsächlich drei Quellen- gemeinen Verweises Nachlass Theodor Hagen. gattungen können diesbezüglich herangezogen werden: An erster Stelle sind die Statuten der Großherzoglichen Kunstschule aussagekräftig, da sie die institutionel- len Rahmenbedingungen für Hagens Unterrichtsweise vorgaben; zudem hat sich Hagen - der 1876 in der Nachfolge von Stanislaus Graf von Kalckreuth zunächst provisorisch, dann ab 1877 definitiv das Amt des Schuldirektors übernahm und bis 1881 innehatte - in seinen Quartals- und Semesterberichten an seinen Dienstherrn Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar und Eisenach vereinzelt zu sei- nen Lehrzielen geäußert. Neben diesen offiziellen Schriftstücken ist die Kunstkritik erhellend, finden sich doch immer wieder gerade in Ausstellungsrezensionen Hin- weise auf Erfolge Theodor Hagens als Lehrer. Doch die wohl aufschlussreichsten Informationen, wie Hagen seine eigene Arbeitsweise an seine Schüler vermittelte und in welchem Maße er freundschaftlich-wohlwollend mit seinen Eleven ver- kehrte, sind im umfangreichen Nachlass Theodor Hagens zu hnden. Christa-Maria Dreißiger und ich konnten dieses Material 1998 mit Unterstützung der Klassik Abb. 078 Rudolph Ridel , Motiv aus dem Schanzengraben bei Weimar, 1880, Ö1 auf Lein- Stiftung Weimar sichten.4 Zwar gehörte Hagen keineswegs zu den Künstlern, die wand, Klassik Stiftung Weimar, Kunstsamm ihr Tun ausschweifend reflektierten, aber in einzelnen seiner Briefe an seine Frau lungen Marie Ridel sowie in Schreiben seiner Schiiler an ihn hnden sich aussagekräftige Passagen zu der durch Hagen in Weimar über viele jahrzehnte geförderten Arbeits- Abb. 079 Paul Baum , Vorfrühling bei Nieder grunstedt, 1883, Ö1 auf Holz, Klassik Stiftung praxis. Zur besseren Verortung dieser nachfolgend zitierten und kommentierten Weimar, Kunstsammlungen Zeugnisse seien eingangs nochmals einige knappe biograhsche Hinweise gegeben. 196 Hendrik Ziegler : Theodor Hagen als Lehrer Vom Schüler Achenbachs zum Lehrer in Weimar Abb. 080 Theodor Hagen , Frühlingsgewitter, Der Lebenslauf Theodor Hagens ist überschaubar: Von den gängigen Höhen und 1872, Ö1 auf Leinwand, ehem. Schlesisches Museum der bildenden Künste, Breslau/ Tiefen des Lebens abgesehen, bietet er nichts Außergewöhnliches. Die erreichba- Wroclaw, erworben 1879, Kriegsverlust ren Quellen zeugen von einem lebensfrohen, ausgeglichenen, keineswegs grüble- rischen Charakter. Die frühe Berufung als Professor nach Weimar im Alter von Abb. 081 Franz Bunke , Landschaft mit Kirch- 31 Jahren ermöglichte einen - wenn auch anfänglich bescheidenen - bürgerlichen turm und Wassermühle, o. J., Ö1 auf Leinwand, Klassik Stiftung Weimar, Kunstsammlungen Lebensstil. In Weimar lernte Hagen schon bald nach seiner Ankunft seine spätere Frau kennen, die er 1872 heiratete: die Tochter eines seiner Schüler, des Majors Rudolph Ridel. (Abb. 078) Studienreisen führten ihn - von einer einzigen, noch 5 Manfred Großkinsky: Eugen Bracht (1842- während der Düsseldorfer Studienzeit 1867 zusammen mit Carl Seibels unternom- 1921). Landschaftsmaler im wilhelminischen menen Reise nach Paris abgesehen - nach Holland und vor allem nach Südtirol Kaiserreich. Ausst. Kat. Mathildenhöhe Darm- und ins heimische Rheinland sowie nach Westfalen. Ansonsten blieb der Künstler stadt. Darmstadt 1992, S. 33. A [Franz Arndt?] mit seiner Familie bis zu seinem Lebensende in Weimar ansässig. Lediglich einmal an Theodor Hagen, Lübeck, 21.10.1883, Goethe- und Schiller-Archiv, Nachlass Theodor Hagen. zu Beginn der 1880er Jahre - als er durch Großherzog Carl Alexander genötigt wor- 6 Anfrage von F. A. Brockhaus an Theodor den war, sein Direktorenamt niederzulegen - hat Hagen für kurze Zeit erwogen, an Hagen, Leipzig, 27.11.1883, mit der Bitte um die die Berliner oder Dresdener Akademie überzuwechseln.5 Abfassung einer autobiografischen Skizze, die In einer autobiografischen Notiz aus dem Jahr 1883 bezeichnete Theodor Ha- die Grundlage eines Artikels zu seiner Person in gen Hans Peter Feddersen, Ludwig von Gleichen-Russwurm, Friedrich von Schen- der 13. Auflage des Conversationslexikons die- nen sollte; dabei: ausgefiilltes Formblatt von nis, Edmund Berninger, Wilhelm Hasemann, Wilhelm Zimmer, Heinrich Wrage, Theodor Hagen, Goethe- und Schiller-Archiv, Gustav Koken, Paul Flickel, Alfred Böhm, Karl
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