M O E - K U L T U R . D E

Kulturveranstaltungen aus Mittel- und Ost Europa in Berlin-Brandenburg w w w. m o e - k u l t u r. d e

EIN PROJEKT VON JOE - PLATTFORM BERLIN E.V.

AUSGABE 26/27

DEZ/JAN 2005/06

REDAKTIONSSCHLUSS 29-11-2005

• Termine • Partner • Impressum • Veranstaltungsadressen unter www.moe-kultur.de

I n f o r m a t i o n s Z e n t r u m S Ü D O S T E U R O P A - S o z i a l w i s s e n s c h a f t e n DGODGO GESELLSCHAFT e.V. Abt. Informationstransfer Osteuropa Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde e.V. Zweigstelle Berlin

Unsere Partner: Wissenschaftlich relevante Veranstaltungshinweise finden Sie im Berlin-Brandenburger Forum Osteuropa http://www.gesis.org/Kooperation/Information/Osteuropa/newslist.htm

1 2 M O E - K U L T U R . DE DEZ/JAN 05/06 Ausstellung • Diskussionen • Film • Literatur • Performance • Musik • Tanz • Theater • Vortrag

INHALT

Kalendarium >>Kulturkalender Dez-Jan (S. 4-9) Ausstellungen – Diskussionen – Film – Literatur – Performance – Musik – Tanz – Theater

Notabene

>>Stille Nacht - Heilige Nacht... (S. 10-12)

Reihe: Osteuropäische Kinderhelden 3: Der kleine Maulwurf feiert Weihnachten Von Nina Trcka

Rezepte zum alten und zum neuen Jahr Nina Trcka empfiehlt - Futurismus in der weihnachtlichen Küche? (u.a.)

>>Aufgepasst!!! – besondere Termine (S.12)

>>Reihe: Profile (S. 13-14) Emerging Identities – EAST! Junge Architektur in europäischen Osten Ein Bericht von Franziska Eidner

>>Lesetipp (S. 14-17) Noch schnell nachholen? - Der polnische Schriftsteller Stefan Chwin entwirft die Zukunft Ein Beitrag von Iwona Uberman

Die große Protagonisten der tschechischen Literatur – Bozena Nemcova und der Sprung über den Zaun Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern Der Film zum Leben und Sterben der Bozena Nemcova Ein Beitrag von Nina Trcka IMPRESSUM

>>MOE-Kommentar (S.17) Unaufgeregt! MOE - Kultur- Newsletter Die deutsch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen ein Projekt der Von Michael Kleineidam JOE-Plattform Berlin e.V. www.joe-plattform.de >>Reihe: Nachtrag (S.18-21) Wenn das Karussell sich dreht REDAKTION Mit Gesang: das 15. Festival in Cottbus Ewa Strózczynska-Wille Ein Bericht von Hans-Jörg Rother (verantwortlich) Zuzanna Krzysztofik Günter Grass und Imre Kertész – Emilia Nagy Freie Universität Berlin ehrt zwei kritische Zeitzeugen Iris Paeschke (Andijan) Von Zuzanna Krzysztofik Mario Schneider (auch Layout) Iwona Ueberman (Beiträge) Mercedes, Geige, Kupferkessel – Nina Trcka Lebenswelten der Roma in Südosteuropa und in Berlin Katarzyna Wroblewska Ein Beitrag von Miman Jasarovski Weitere Informationen: >>Von weiter Ferne...(S. 21) www.moe-kultur.de Mit Brautkleid und Hut zurück nach Deutschlan (auch Veranstaltungsadressen) Iris Paeschke nimmt Abschied von Usbekistan [email protected] Tel: 030-8524897

MOE DEZ/JAN 2005/06 SEITE 3 M O E - K U L T U R . D E NOV 2005

Ausstellung • Diskussionen • Film • Literatur • Performance • Musik • Tanz • Theater

bis 11.12. • RUS A studio im hochhaus, Ausstellung der Malerei von Pavel Feinstein. Zingster Str. 25 Öffnungszeiten: Mo-Mi 14-18, Do 14-19 und So 15-18 Uhr

23.11-23.12 • RUS A

Russisches Haus der Ausstellung russischer Künstler: Tatjana Sorokina, Oleg Potapow, Wissenschaft und Alexej Jewdokimow, Andrej Saratow, Nikolai Jermolajew. Kultur Friedrichstraße

26.11-29.1. • PL A

Museum Europäischer Krakauer Krippen - Weihnachtsglanz aus Polen Kulturen/Staatl. Schwerpunkt der Ausstellung sind märchenhaft anmutende Krippen Museen zu Berlin (polnisch Szopki) aus Holz, Pappe und buntem Stanniolpapier. Krakau ist das Zentrum dieser einzigartigen, stets in Anlehnung an reale Bauwerke der Stadt geschaffenen Krippen. Die Ausstellung wird am 25.11.2005 erföffnet.

29.11. • MOE D

Europäische Brüssel am Horizont Akademie Berlin Die europäische Perspektive für den westlichen Balkan. Der Spätherbst 2005 brachte eine überraschende Wendung: Nach dem unerwartet positi- ven Votum der Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals, Carla Del Pontes, traf der EU-Außenministerrat am 3. Oktober die Entscheidung, Beitrittsverhandlungen mit Kroatien aufzunehmen.

29.11. 19 Uhr • UKRAINE D

Europäische Podiumsdiskussion über Medien und Macht in der Ukraine - Akademie Berlin ein Jahr nach der orangenen Revolution und vier Monate vor den Präsi- dentschaftswahlen. Die Ergebnisse der orangenen Revolution sind derzeit umstritten. Politisches Ränkespiel, Korruption und eine verfehlte Wirt- schaftspolitik prägen das Bild in den westlichen Medien. Dabei wird verges- sen, dass die ukrainischen Journalisten sich einen entscheidenden Erfolg erstritten haben: Pressefreiheit und das Ende der Zensur. bis 23.12. • LV A

Giedre Bartelt Galerie (un)dressed. Körper in der baltischen Fotokunst. Vol. 3: Lettland. Öffnungszeiten: Di-Sa 14-18 Uhr bis 15.1. • H A

Collegium Ausstellung von Gabor Bakos und Imre Weber: "Sehnsuchtsbilder". Hungaricum Berlin Es handelt sich um großformatige Computerprints. Öffnungszeiten: Mo-Fr 9-20 Uhr, Sa-So 15-20 Uhr. bis 20.2. • MOE A

Deutsches Architektur Emerging Identities - EAST! Zentrum Ausgehend von Berlin präsentiert die Ausstellung einen architektonischen Streifzug durch die zeitgenössische Baukultur in den Metropolen der neuen mittel- und osteuropäischen EU-Länder. Der Schwerpunkt liegt auf den Projekten junger Architekten aus mehr als 70 Büros. Öffnungszeiten: Di-Fr 10-18 Uhr und Sa-So 14-18 Uhr.

1.12. 19 Uhr • RUS F

Kino Krokodil32 Maxims Jugend OmeU, Regie: G. Kosinzew, OF Retrospektive zum 100. Geburtstag von Grigorij Kosinzew.

MOE DEZ/JAN 2005/06 SEITE 4 M O E - K U L T U R . DE DEZ/JAN 05/06 Ausstellung • Diskussionen • Film • Literatur • Performance • Musik • Tanz • Theater • Vortrag

1.12. 21 Uhr und • RUS F 4.-7.12. 2 Uhr 89 Millimeter Freiheit in der letzten Diktatur Europas. Kino Krokodil D/BY 2004, 77 min, OmdU, Regie: Sebastian Heinzel. 89 Millimeter - das ist der Unterschied zwischen der Spurweite der Eisenbahngleise in Westeuropa und . Kein großer Abstand. Aber hier, an der Grenze der neuen EU, beginnt eine andere Welt, angeblich „die letzte Diktatur Europas”.

2.12. 19 Uhr • GEORGIEN V

Interkulturelles Was für ein Abend! Frauenzentrum Ein Videofilm über die alte Stadt Batumi, georgische Romanzen und S.U.S.I. Volkslieder, vorgetragen von der Sängerin Lora Gumennaia (Solistin der Philharmonie von Tbilissi) und der Pianistin Irina Choperia. Außerdem erwarten Sie Leckereien nach georgischen Rezepten.

2.12. 19 Uhr • RUS F

Kino Krokodil Kinoklub: Geschlossene Veranstaltung (neue Mitglieder willkommen). Gezeigt werden: Der junge Fritz, OF, Regie Grigorij Kosinzew/ Leonid Trauberg. Ein faschistischer "Schädelvermesser" doziert über die Überlegenheit der germanischen Rasse und stellt den in einer deutschen Kleinbürgerfamilie geborenen Fritz als Musterbeispiel vor. Der kleine Fritz, der schon in der Wiege einen Stahlhelm trägt, wird zum Denunzianten, Schläger und Soldaten abgerichtet. Eines Nachts, SU 1943, ca. 20 min, s/w, OFm russ.U., Regie: Grigorij Kosinzew. Ein kleines sowjetisches Dorf geht schlafen. Nur die junge Kolchoslaborantin Nadja wacht bei ihrem kranken Schwein. Alle zehn Minuten legt sie ihm kühlende Umschläge auf. Doch in der gewittrigen Nacht braut sich Unheil zusammen. In der Nähe soll ein als sowjetischer Flieger getarnter, deutscher Spion gelandet sein.

2.12. 19.30 Uhr • RO M

Rumänisches Jazz-Duo auf zwei Stage-Pianos mit Jancsy Körössy & Ramona Horvath Kulturinstitut (USA, Rumänien)

3.12.-4.12. • RUS A

Russisches Haus Austellung "ZIRKUS - KUNST FÜR ALLE" der Wissenschaft und Vernissage der Werke der Moskauer Malerin J. Saposhkowa und des Kultur Fotografen A. Gutnik.

3.12. 12-13 Uhr und • RUS M

Russisches Haus Weihnachtliches Festival der russischen Zirkuskunst. der Wissenschaft und Tanz, Musik, Spiele, Wettbewerbe, Souvenirmarkt, Kultur Unterhaltungs- und Showprogramme.

16.30-18.30 Uhr • RUS F

Kino Krokodil KARTOGRAPHI Mit Ilja Kitup und Hendryk Jackson. Lyrik von Sergej Sturz, und Jewgenij Kondratjew. Neue Kurzfilme und Videoart.

MOE DEZ/JAN 2005/06 SEITE 5 M O E - K U L T U R . DE DEZ/JAN 05/06 Ausstellung • Diskussionen • Film • Literatur • Performance • Musik • Tanz • Theater • Vortrag

3.12. 19 Uhr • RO L

Literaturhaus Edward Kanterian liest aus Mihail Sebastians “Voller Entsetzen, aber nicht verzweifelt. Tagebücher 1935-1944“ und diskutiert anschließend mit Norman Manea.

3.12. 20 Uhr • RUS Th

Russisches Haus Gastspiel der russischen Ballettakademie Perm mit dem der Wissenschaft und Ballett "COPPELIA" Kultur Weitere Vorstellung: 17.12. 15 Uhr

4.12. 15 Uhr • RUS F

Kino Krokodil Randbezirk RUS 1997, 95 min, OmdU. In seiner bittergrotesken Satire Okraina lässt Petr Luzik vier Bauern gegen das Zentrum der Macht marschieren. Eigentlich ist Philipp Safronow ein ganz gewöhnlicher Bauer, der seinen Hof bewirtschaftet. Doch mit seinem friedlichen Dasein hat es ein Ende, als sich eine Gruppe mysteriöser Männer seines Landes bemächtigt, um dort Öl zu gewinnen.

5.12. 10-16 Uhr • D/RUS L

Literarisches Seminar für Literaturübersetzer: Colloquium Berlin "The Rest is Silence – Körpersprache in literarischen Texten". Vortrag: Axel Hübler (Friedrich-Schiller-Universität Jena), Seminarleitung: Andreas Tretner (Übersetzer u.a. von Boris Akunin und Viktor Pelewin). Begrenzte Teilnehmerzahl. Anmeldung: per E-Mail an: [email protected] oder per Fax: 030/81699619

6.12. 19 Uhr • MOE V

Europäische Die orangene Revolution und ihre Auswirkungen auf die Akademie Berlin ukrainisch-russischen Beziehungen. Ein Diskussion mit ukrainischen und russischen Intellektuellen über die ukrainisch-russischen Beziehungen.

6.12. 20 Uhr • MOE V

Berliner Rathaus Die Musik der Sprachen. In Lesung und Gespräch: Iran-Gaiyp (Almaty, Kasachstan) und Gert Heidenreich (Hechendorf), Moderation: Johano Strasser (Autor, München). Vor drei Jahren begegneten sich der Kasache Iran-Gaiyp und der Deutsche Gert Heidenreich zum ersten Mal. Ohne die Sprache des anderen zu ken- nen, fanden die beiden mit Hilfe von Übersetzungen ihrer Gedichte einen Weg, sich in die Welt des anderen zu versetzen. Erfahrungen wie Sehnsucht und Liebe, Trauer und Tod, die den Blick auf das Leben verän- dern, sind Themen, denen sich beide widmen. Der Abend stellt Texte und Nachdichtungen beider auf Deutsch und Kasachisch vor: Ergebnisse einer langen und intensiven poetischen Beziehung.

7.12. • PL M

Club der Polnischen Eine halbe Record-Release-Party mit Versager "Don´t Shelest" / VJ Kamil Sobolewski / Projekt "Mikolaj Trzaska & Jurij Andruchowych" / DJ Manio (nichtwesteuropäische Tanzmusik)

MOE DEZ/JAN 2005/06 SEITE 6 M O E - K U L T U R . DE DEZ/JAN 05/06 Ausstellung • Diskussionen • Film • Literatur • Performance • Musik • Tanz • Theater • Vortrag

7.12. 18 Uhr • RUS/D D

Robert-Bosch- Projekt Großstadt. Stiftung Berlin Die Bedeutung von Architektur und Städtebau für die bilaterale Zusammen- arbeit: 21. Gespräch der Reihe "Dialog Berlin - Moskau". Anmeldung per Fax: 030/20240116, per E-Mail an: [email protected]

7.12. 20 Uhr • MOE M

Deutsche Oper Berlin Panzerkreuzer Potemkin Ein Stummfilm von Sergej M. Eisenstein (1925) mit dem deutschen Filmorchester Babelsberg unter der musikalischen Leitung von Helmut Imig.

7.12. 20 Uhr • RUS F

Kino Krokodil Das Teufelsrad OmdU, SU 1926 (Leningradkino), 76 min, s/w, stumm, Regie: Grigorij Kosinzew, Leonid Trauberg. Ein Film aus der Reihe: Kosinzews Retrospektive nach einer Erzählung von Wenjamin Kawerin. Der junge Matrose Wanja Tschorin gehört zur Mann- schaft des legendären Panzerkreuzers Aurora. Nach langem Dienst geht er zum ersten Mal in Leningrad an Land. Von der Reise erschöpft, sucht er im Park des neuen Volkshauses Zerstreuung. Dort fasziniert ihn nicht nur das Teufelsrad, sondern er lernt auch die attaktive Walja kennen.

7.12. 20 Uhr • MOE V

Literaturwerkstatt AUSSER HAUS- lyrikline.org und die Lyrik. Berlin Preisträger des Jahres ""lyrikline.org"" erhielt in diesem Jahr den Grimme- Online-Award und lädt aus diesem Anlass zum 6. Geburtstag alle Lyrik- preisträger des Jahres 2005 ein, um gemeinsam zu feiern und sich zu prä- sentieren.

8.12. -14.12. • RO F

Kino Arsenal Rumänische Filmtage in Berlin: Zeitgenössisches Kino aus Rumänien Detailliertes Programm: www.fdk-berlin.de/arsenal

9.12. 19 Uhr • PL F

Interkulturelles Ein polnischer Filmklassiker: SEXMISSION Frauenzentrum Polnisch mit englischen Untertiteln. S.U.S.I. Eine Komödie aus dem Jahr 1984 (R.: J. Machulski, D.: J Stuhr, O. Lukaszewicz u.a.). Zwei Männer wachen aus einem langjährigen Schlaf auf. Die Erde ist nuklear verseucht und wird von Frauen regiert... Nach dem Film laden wir Euch zum Tanzen, Essen und Kennenlernen ein.

11.12. 15 Uhr • MOE M

Russisches Haus der Benefizkonzert mit Chören des Berliner Sängerbundes „Lieder im Advent“ Wissenschaft und Kultur Benefizveranstaltung für das Heim für blinde und taubstumme Kinder in Sergijew Posad (anerkannt durch die UNO).

13.12. 18 Uhr • RUS D

Vertretung des Podiumsdiskussion: "750 Jahre Königsberg / 60 Jahre Kaliningrad - Landes Brandenburg Ein Jubiläum mit Perspektive?" Info: www.kulturforum.info

MOE DEZ/JAN 2005/06 SEITE 7 M O E - K U L T U R . DE DEZ/JAN 05/06 Ausstellung • Diskussionen • Film • Literatur • Performance • Musik • Tanz • Theater • Vortrag

14.12. 19.30 Uhr • RO M/F/Th

Rumänisches Pantomime und Live Musik, Filmvorführungen und alte Fotografien zum Kulturinstitut Thema ”Seelenlichter / Lumini pentru suflet”. Das Drehbuch wurde inspiriert von der Geschichte Bukarests.

15.12. 19.30 Uhr • RO M

Rumänisches Liederabend mit Nadine Weissmann (Mezzosopranistin) Kulturinstitut und Andrea Marie Baiocchi (Klavier).

15.12. 20.30 Uhr • PL Th

Theater Zerbrochene Premiere: "Inge Bartsch verschollen" Fenster nach dem Poem von Konstanty I. Galczynski (im Rahmen des "Deutschen Jahrs der Polnischen Versager"). Gastspiel des Theaters des 43. April. Weitere Vorstellungen: 16.-19. Dezember 2005 und 5.-9. Januar 2006.

17.12. 10.30 und 12.30 • RUS M

Russisches Haus RUSSISCHE JOLKAFESTE der Wissenschaft und Weitere Termine: 21.12. 11 Uhr und 22.12. 11 und 14 Uhr Kultur

17.12. 19 Uhr • PL/D V

Interkulturelles JAHRESABSCHLUSSFEST! Frauenzentrum Als künstlerische Überraschungen erwarten Euch die Sängerin S.U.S.I. Hadar Friedmanifel mit israelischen Liedern und die polnische Folklore-Tanzgruppe "Balladyna".

17.12. 21.30 Uhr • CZ M

Kunstfabrik Schlot Saturday Highlight - Jazz aus Tschechien: Elena Suchankova & Jocose Jazz. Info: www.czech-berlin.de

18.12. 10.30 Uhr • MOE D

Europäische Im Rahmen des Europäischen Bildungsadvents: "Europa grenzenlos? Akademie Berlin Wie geht es weiter mit der Erweiterung und wer kommt zu uns?" Gast: Bernd Posselt (Mitglied des Ausschusses für auswärtige Angelegen- heiten des Europäischen Parlaments). Teilnehmerbeitrag: 20 Euro (einschl. Mittagessen und Nachmittagskaffee). Anmeldung: 030/8959510, per Fax: 030/89595195 oder per mail an: [email protected]

18.12. 18 Uhr • RO M

Rumänisches Seara Romaneasca–Colinde, Colinde. Kulturinstitut Feierlicher Rumänischer Abend - Weinachtsklänge.

22.12. 19 Uhr • RUS M

Russisches Haus „Russische Romanzen“ der Wissenschaft und Weihnachtskonzert mit der Solistin der Wiener Oper Olga Schalajewa. Kultur Glinka-Musiksalon

MOE DEZ/JAN 2005/06 SEITE 8 M O E - K U L T U R . DE DEZ/JAN 05/06 Ausstellung • Diskussionen • Film • Literatur • Performance • Musik • Tanz • Theater • Vortrag

22.12. 20 Uhr • RUS M

Deutsche Oper Berlin Die seltsamen Abenteuer des Mr. West im Lande der Bolschewiki. Stummfilm von Lew Kuleschow.

29.12. 20 Uhr • RUS M

Deutsche Oper Berlin Neujahrskonzert Werke von Isaak O. Dunajewski, Dmitri D. Schostakowitsch, Georgi W. Swiridow, Andrej P. Petrow, Anatoli J. Lepin, Aram Chatschaturjan u. a.

31.12. 15-18 Uhr • RUS M

Russisches Haus Jahresabschlusskonzert und Silvestershow der Wissenschaft und mit russischem Silvesterbüffet. Kultur Mit Petja Houdjakow und den Bolschoi Don Kosaken, Glinka-Musiksalon dem Ensembel Scharada und weiteren Künstlern.

1.1. 16 Uhr, 20 Uhr • RUS M

Komische Oper Berlin Neujahrskonzert: Tänze, Töne, Träume aus dem russischen Kino. Musik aus russischen Filmen mit Werken von Isaak O. Dunajewski, Dmitri D. Schostakowitsch, Georgi W. Swiridow, Andrej P. Petrow, Anatoli J. Lepin, Aram Chatschaturjan u. a. Info: www.komische-oper-berlin.de

7.1.-8.1. 15 Uhr • RUS M

Russisches Haus Traditionelles Gala- und Neujahreskonzert mit den der Wissenschaft und BOLSCHOI DON KOSAKEN Kultur unter der Leitung von Petja Houdjakow.

14.1. 15 Uhr • RUS M

Russisches Haus Klavierkonzert mit Prof. Peter Schmalfuss, Darmstadt der Wissenschaft und Kultur

21.1. • CZ M

Kunstfabrik Schlot Das Tschechische Zentrum und der Schlot präsentieren: Jazz aus Tschechien (im Rahmen einer Konzertreihe)

MOE DEZ/JAN 2005/06 SEITE 9 M O E - K U L T U R . DE DEZ/JAN 05/06

NOTABENE

Kalenderblatt JANUAR 6. Januar: Fest der Theophanie eines der höchsten Feste im orthodoxen Kirchenjahr in Erinnerung an die Taufe Christi in Jordan durch Johannes der Teufel

7. Januar: Weihnachtsfest (orthodox) in Georgien, Mazedonien, Moldau, Russische Föderation Serbien und Montenegro, Ukraine, Weißrussland

>> Stille Nacht, Heilige Nacht

Das Weihnachtsfest, gefeiert seit dem IV Jahrhundert, entwickelte sich aus den Volksbräuchen und religiösen Ritualen. Im Laufe der Jahrhunderten verschmelzten Bräuche heidnischer Herkunft mit den christlichen Ritualen, sukzessiv geformt durch die Kultur des jeweiligen Landes. Einige dieser Traditionen haben den Zahn der Zeit nicht überlebt, einige prägen bis heute dieses Fest, seine Inhalte und seine Gestaltung. - Die Heilige Nacht ist eine besondere Nacht. Es ist die Nacht der Zauber, der Wunderdinge, der seltsamen Erscheinungen. Es ist die Nacht, in der sogar die Tiere und Vögel mit menschlicher Stimme sprechen. In dieser Nacht ist alles möglich und wahr, das Unerwartete, Wundersame wird erhofft, die stillen Wünsche erfüllt. An den feierlich mit weißen Tüchern, darunter symbolisch etwas Heu, reich geschmückten Festtischen bleibt ein gedeckter Platz frei. Es ist der Platz für den unerwarteten Besucher, für den Fremden oder den Reisenden, der in dieser Nacht kein Zuhause gefunden hat und in den Kreis der Versammelten aufgenommen und beherbergt wird. E. St.-W.

Sternenmarkt Weihnachtliche Begegnung mit Polen Auf dem Hof des Kutschstalls Am Neuen Markt in Freitag, 2. Dezember 2005 von 16 bis 20 Uhr Samstag, 3. Dezember 2005 von 11 bis 20 Uhr Sonntag, 4. Dezember 2005 von 11 bis 18 Uhr Kunst - Musik - Handwerk – Spezialitäten- Kinderprogramm

VORWEIHNACHTLICHE LIEBENSWÜRDIGKEITEN Barocke Weihnachtslieder und Puppenspiel aus Böhmen Mit Ensemble Ritornello und vom Theater Tineola Sonnabend, 3.12.2005, 18.00 Uhr Kirchsaal der Brüdergemeine, Kirchgasse 14-17, 12043 Berlin, Böhmisches Dorf Die Musiker der Gruppe Ritornello singen und spielen barocke Weihnachtslieder aus böhmischen Gesangbüchern vom Ende des 16. Jahrhunderts. Und so wie in früheren Zeiten, als noch Puppenspieler durch die Lande zogen, wird auch bei diesem Konzert die Weihnachtsgeschichte mit Puppenspiel begleitet. Das Konzert ist eine gemeinsame Veranstaltung des Tschechischen Zentrums und der Evangelischen Brüdergemeine Berlin-Neukölln.

REIHE - Osteuropäische Kinderhelden 3: Der kleine Maulwurf feiert Weihnachten Von Nina Trcka

„Jeje!“ mit diesem inzwischen international anerkannten Maulwurfsruf beginnen die meisten Episoden des bekannten Kinderstummfilms „Krtek“ (oder im Volksmund: „Krtecek“), „Der Maulwurf“, der erfolgreich in aller Herren Länder Einzug gehal- ten hat.“ 1957 vom Prager Illustrator Zdenek Miller entwickelt, wurden die Episoden rund um den Maulwurf seit 1963 regel- mäßig im tschechoslowakischen Fernsehen gesendet. Es ist dies die einzigartige Kombination aus ökologischer Kritik und Gesellschaftskritik im Kinderstummfilm mit kindgerechter Unterhaltung: Mal revoltiert der kleine Maulwurf gegen das Abholzen des Waldes, mal reist er als Filmstar um die Welt, um immer müder und ausgebeuteter vom Massenpublikum schließlich wieder seine einfache und so beglückende Wiese mit dem Maulwurfshügel aufzusuchen – allem Ruhm zum Trotz. Und er findet hier alle seine Freunde wieder: den Schmetterling, das Mäuschen, den Hasen, den Igel mit den dicken Pausbacken, das Eichhörnchen … Seltsam, dass diese an sich harsche zivilisatorische und vor allem ökologische Kritik in der CSSR nicht zensiert wurde. Und es ist gut so. Inhalte wie Umweltzerstörung und Verdrängung der Tiere aus ihren angestammten Revieren haben auch die Moral der Eltern gestärkt. Die letzten Tage ist man versucht zu wünschen, die Chinesen hätten mehr kleinen Maulwurf gesehen. Und ihre Fabriken sicher und die Flüsse rein gehalten. Der Kleine Maulwurf trägt ein Weihnachtsbäumchen. Er geht zum Mäuschen und weckt es. Sie stellen den nun geschmückten

MOE DEZ/JAN 2005/06 SEITE 10 M O E - K U L T U R . DE DEZ/JAN 05/06

NOTABENE

Baum auf und alle Tiere schauen zu: das Eichhörnchen, der Hase, die Maus und das Vögelchen. Auf dem Baum ist natürlich das, was den Tieren des Waldes schmeckt: Nüsse, Pilze, Birnen, aber auch Plätzchen. Und zuoberst, ganz an der Baumspitze, prankt eine prächtige Möhre. Da kommt eine Krähe, die schnappt sich die Möhre und mit ihr den ganzen Baum, fliegt damit fort. Wir sehen sie andernorts den Baum ratzekahl fressen und zu Kleinholz zerlegen. Da hilft es auch nichts, dass der kleine Maulwurf flott noch ein paar Schneebälle schießt. Der Maulwurf aber weiß sich zu helfen, nimmt die Kufe eines alten Schlittschuhs und pest damit in die Stadt hinunter, direkt ins Spielzeuggeschäft. Er kommt mit einer Schachtel zurück und lächelt. Wenn man diese Schachtel aufklappt – schwupps – springt daraus ein Fertigbäumchen hervor, prächtig anzusehen, bunt und bereits geschmückt. Da freuen sich die Tiere. Da freut sich auch die Krähe. Wieder will sie den Baum wegschnappen. Als sie aber nach dem Stern pickt, der oben auf der Baumspitze funkelt, da schnappt die Schachtel zu und wirft die Krähe um. Der Kleine Maulwurf setzt die gierige Krähe, die noch ganz benommen ist, auf den Schlittschuhkufen und ab die Post! geht es mit ihr hinunter ins Städtchen. Der Kleine Maulwurf öffnet nun vorsichtig wieder die Schnapp-Schachtel und da steht der Baum wie am ersten Tag, nagelneu. Nun kommen alle Tiere des Waldes, machen Musik und feiern gemeinsam Weihnachten. Und die Krähe? Ich bin nach wie vor der Überzeugung, sie hat sich im Spielzeugladen eine eigene Schnapp-Schachtel geholt. Auch wenn auf diesem Fertigbäumchen keine Karotten mehr sind. Es lebe die Massenproduktion, mit dem Schnapp-Effekt!

Die Bücher zum kleinen Maulwurf gibt es im Leipziger Kinderbuchverlag, darunter auch: Zdenek Miller: Der Maulwurf feiert Weihnachten.“ Leipziger Kinderbuchverlag, ISBN: 3-89603-081-7, 10,90 EUR. Die Maulwurf-Geschichten bietet der Leipziger Kinderbuchverlag auch als Minibücher für die Latzhose an. Und schließlich erhalten sie die Geschichten vom kleinen Maulwurf auch auf VHS und DVD.

Rezepte zum alten und zum neuen Jahr - Nina Trcka empfielt

1. Futurismus in der weihnachtlichen Küche? Il Passato – die Vergangenheit – das ist der Erzfeind aller Futuristen. Alles Rückwärtsgewandte, traditionell-sinnentleerte ist dieser Gruppe das Ärgste aller Übel der modernen Gesellschaft. Sie wollen den modernen Menschen mithilfe der modernen Kunst - und das heißt auch: der Kochkunst – neu schaffen. Was den Romantikern der Philister, ist den Futuristen der Passatist. (Der italienische Passatist ist für Marinetti der Spaghetti-Esser.) Wenn Sie also die Nase voll haben von den immer wiederkeh- renden Liedern, Speisen und – manchmal – Geschenken, versuchen sie es mit der futuristischen Kochkunst.

Ein Neujahrsessen mit den Futuristen Marinetti empfiehlt: „Es gibt tausend Möglichkeiten, dieses Festessen [gemeint ist das Neujahrsessen-N.T.] zu erneuern: hier ist eine davon, die wir mit den simultaneistischen Futuristen von Rom realisiert haben (…). Um Mitternacht, nach endlosem erwartungsvollem Geschwätz, meldet man, dass das Essen fertig ist. Die Tische sind aus dem Saal entfernt worden, und die Gäste sitzen auf Stühlen, die im Gänsemarsch aufgestellt sind, einer hinter dem anderen. Man serviert den unvermeidlichen Truthahn, den die Kellner auf Metalltellern verteilen: der Truthahn ist mit Mandarinen und Salami vollgestopft. Alle essen bei selbst auferlegtem Schweigen: der Wunsch nach Geräusch und Fröhlichkeit wird unterdrückt. Auf einmal wird im Saal ein lebendiger Truthahn freigelassen, der zur Überraschung der Männer und unter dem Gekreisch der Frauen, die diese Auferstehung der hinuntergeschluckten Speise nicht begreifen, erschreckt um sich schlägt.“ (Aus: F. T. Marinetti und Fillia: Die futuristische Küche. Aus dem Italienischen von Klaus M. Rarisch. Stuttgart: Klett-Cotta 1983.)

2. Der Karpfen in Osteuropa – das weihnachtliche Objekt der Begierde Im Gegensatz zur Auferstehung einer traditionellen Speise finden Sie im Folgenden ein ganz sinnentleertes aber köstliches Weihnachtsrezept für den tschechischen Weihnachtskarpfen, der allerdings in der gesamten europäischen Küche bekannt sein dürfte. In Tschechien, wie übrigens auch in anderen Ländern Osteutopas gilt die Regel, dass der Festtag 24.12. auch ein Fasttag ist, an dem kein Fleisch, wohl aber Fisch gegessen werden darf.

Passatistischer böhmischer Weihnachtskarpfen: (also der traditionelle) Karpfen blau für 6 Personen –

Zutaten: zarte Spiegelkarpfen, insgesamt ca. 1,5 kg 1,5 l Wasser Salz 1/16 l Essig 200 g Wurzelgemüse (Petersilienwurzel, Möhren, Sellerieknolle) 50 g Zwiebeln 15 Körner Pfeffer 5 Pimentkörner Lorbeerblätter, getrocknet Thymian, frisch oder getrocknet 100 g Butter Kopfsalat 1 Zitrone

MOE DEZ/JAN 2005/06 SEITE 11 M O E - K U L T U R . DE DEZ/JAN 05/06

NOTABENE

Das Gemüse in Stifte, die Zwiebel in feine Ringe schneiden. In einer Kasserolle setzt man Wasser, Essig, das Gemüse und die Zwiebeln sowie das Salz auf. Alle Kräuter in ein Leinensäckchen füllen und dazugegeben. Die Brühe soll 25 Minuten kochen. In der Zwischenzeit den Spiegelkarpfen äußerst vorsichtig von innen und außen mit Wasser abspülen, damit die äußere Schleimschicht nicht verletzt wird – er wird ansonsten an den verletzten Stellen nicht blau. Den Karpfen nicht schuppen, nur ausnehmen. Nur innen leicht salzen. Den Fisch in den leicht köchelnden Gemüsesud geben. Diesen wieder zum Kochen bringen, vom Herd ziehen und dann auf kleiner Flamme ca. 18 Minuten köcheln lassen. Auf einem Servierteller den Kopfsalat mit fein geschnittenen Zitronenscheiben anrichten. Den fertig gegarten Fisch vorsichtig aus dem Gemüsesud herausnehmen, auf dem Servierteller anrichten und mit zerlassener heißer Butter begießen. Das Gemüse abgießen, das Kräutersäckchen entfernen und das abgetropfte Gemüse um den Fisch arrangieren. Einige Zitronenscheiben auf den Fisch legen. Als Beilage empfehlen wir gekochte Kartoffeln mit zerlassener Butter und kleingehackter Petersilie.

Hummel Villányi Kékfrankos 2004 – Villányer Wein des Jahres 2005 Villányi Kékfrankos Lemberger 2004 wurde am 29. September 2005 von einer internationalen Jury im Rahmen des im Andenken an den berühmten Villányer Rebzüchter Sigmund Teleki ausgetragenen Weinwettbewerbes der Stadt Villány, der Sigmund Teleki Weinbau-Schule Villány und der Villányer Weinakademie als bester Kékfrankos zum „Villány Város Bora 2005“- „Wein des Jahres 2005 der Stadt Villány“ gewählt. Informationen/Bestellungen: Weingut Hummel Villány, Ungarn www.weingut-hummel.com

>> AUFGEPASST!!!

13.12. 18 Uhr 750 Jahre Königsberg — 60 Jahre Kaliningrad. Ein Jubiläum mit Perspektive? Reihe: Potsdamer Forum/ Podiumsdiskussion

Kaliningrad, die Hauptstadt der russischen Exklave westlich von Litauen und nördlich von Polen, feiert im Jahr 2005 das 750-jährige Jubiläum der ostpreußischen Metropole Königsberg. Ein seltsames Jubiläum. Seit der Einnahme durch die sow- jetische Armee im April 1945 und bis in die jüngere Vergangenheit schien es, die Stadt habe ihr historisches Gedächtnis und ihr kulturelles Gesicht vollständig verloren. Mit der Vertreibung der verbliebenen deutschen Bevölkerung und der Ansiedlung von Menschen aus der ganzen Sowjetunion sollte eine sozialistische Musterstadt entstehen. Im Jahr 2006 wird das damals neu begründete Kaliningrader Gebiet 60 Jahre alt, die Politiker in Moskau würden den 750. Jahrestag von Königsberg am liebsten ausradieren. Die Feiern des vergangenen Sommers zeigten der Öffentlichkeit im In- und Ausland, dass die Kaliningrader die besondere geopolitische Lage ihrer Stadt, ihre preußische ebenso wie ihre sowjetische Vergangenheit als positives und Perspektiven eröffnendes Kapital annehmen. Das Deutsche Kulturforum östliches Europa und das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam dokumentierten und bilanzieren die Feierlichkeiten des Jubiläums und gehen den Perspektiven Kaliningrads und seiner Bevölkerung nach. - Es diskutieren: • Dr. Heike Dörrenbächer, Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde • Prof. Wladimir Gilmanow, Russische Staatliche Kant-Universität Kaliningrad • Prof. Dr. Martin Sabrow, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam • Peter Wunsch, Direktor des Deutsch-Russischen Hauses Kaliningrad • Moderation: Dirk Sager, Potsdam

ORT: Vertretung des Landes Brandenburg beim Bund In den Ministergärten 1, Berlin-Mitte Weitere Informationen: www.kulturforum.info

>> PROFILE MENSCHEN • ORTE • PROJEKTE

Emerging Identities – EAST! Junge Architektur in europäischen Osten Ein Bericht von Franziska Eidner

Mehr als 80 junge Architekturbüros werden in der Ausstellung „Emerging Identities –EAST!“ im Deutschen Architektur Zentrum DAZ vorgestellt. Ausgehend von Berlin präsentiert die Ausstellung einen architektonischen Streifzug durch die zeitgenössische Baukultur in den Metropolen der neuen mittel- und osteuropäischen EU-Länder. Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf den gebauten Projekten junger Architekten.

Deutschland mag ein ‚altes’ Mitglied der Europäischen Union sein. Berlin aber war und ist immer noch eine Stadt im Umbruch. Es verknüpft Ost und West und ist deshalb der ideale Ort und Bezugspunkt, um den Dialog mit unseren östlichen

MOE DEZ/JAN 2005/06 SEITE 12 M O E - K U L T U R . DE DEZ/JAN 05/06

NOTABENE

Nachbarn zu vertiefen. Berlin eignet sich daher hervorragend als Ausgangsort für eine Reise durch die mittel- und osteuropäi- schen Städte mit ihren reichhaltigen Bautraditionen und ihrer zeitgenössischen Architekturszene. Das Hauptinteresse dieser Reise, die in der Ausstellung dokumentiert wird, gilt der jungen Generation von Architekten und ihren gebauten Projekten, sind sie doch diejenigen, die in Zukunft die Baukultur ihrer Länder formen werden und es bereits jetzt schon tun.

Es sind nicht nur die Großbauprojekte, sondern vielmehr die kleinen gebauten Interventionen, die aktuelle kulturelle Tendenzen in Berlin, , Budapest, Ljubljana, Prag, Riga, Tallinn, Vilnius, Warschau und anderen mittel- und osteuropäischen Großstädten prägen. Es sind die jungen Architekten, deren Arbeiten noch nicht international publiziert worden sind, die mit Eigeninitiative und Idealismus Projekte entwickeln, die die aufstrebende Architekturszene bestimmen. Das Hauptinteresse dieser Reise, die in der Ausstellung dokumentiert wird, gilt der jungen Generation von Architekten und ihren gebauten Projekten, sind sie doch diejenigen, die in Zukunft die Baukultur ihrer Länder formen werden und es bereits jetzt schon tun. Es sind nicht nur die Großbauprojekte, sondern vielmehr die kleinen gebauten Interventionen, die aktuellen kulturellen Tendenzen in Berlin, Bratislava, Budapest, Ljubljana, Prag, Riga, Tallinn, Vilnius, Warschau und anderen mittel- und osteuropäischen Großstädten prägen. Es sind die jungen Architekten, deren Arbeiten noch nicht international publiziert worden sind, die mit Eigeninitiative und Idealismus Projekte entwickeln, die die aufstrebende Architekturszene bestimmen.

Durch die gemeinsame Sprache des gebauten Raumes werden Trends, Positionen, Ziele und die kulturelle Entwicklung eines Landes lesbar. Der politische Wandel in Europas östlichen Ländern hat zu einem Bauboom und zu einem erhöhten Bedarf an Architekten und Bauexperten geführt. Das hat zu Büroneugründungen ermutigt. Oft waren es sehr junge Architekten, die kurz nach ihrem Studienabschluss ein eigenes Büro eröffneten. Während der Boom in Berlin längst vorbei ist und sich junge Architekten hier neue Betätigungsfelder erschließen, hält er in den Ländern östlich der deutschen Grenze an oder setzt gera- de erst ein. Die erhöhte Bauaktivität und die Vorstellungen der Investoren bringen Herausforderungen für diese neue Architektengeneration mit sich. Es geht um die Entwicklung individueller und progressiver Lösungen, um die Verbindung von globalen Tendenzen mit regionalen Traditionen. Die Ausstellung gibt einen Einblick, wie die Architekten mit diesen Herausforderungen umgehen.

Neun „Länderinseln“ vermitteln einen Überblick, was und wie viel von den jungen Architekten in den einzelnen Staaten gebaut wird. Wenn man sich ihre Ausbildungs- und Arbeitsorte anschaut, wird deren Internationalität augenscheinlich. Die Vertreter der jüngsten Mitgliederstaaten der Europäischen Union scheinen bereits dem Ideal des EU-Bürgers zu entspre- chen. Das heißt nicht, dass sie ihre nationale Identität aufgeben. Vielmehr ist darin ein Indikator zu sehen, dass sich die zeit- genössische tschechische, slowenische, estnische oder ungarische Architektur aus der intensiven kulturellen Auseinanderset- zung mit Traditionen und Tendenzen nicht nur auf nationaler Ebene sondern auch über die geographischen Grenzen hinweg entwickelt.

Dreißig gebaute Projekte werden an den Wänden im Detail dargestellt. Konzeptuelles Denken und die konsequente Umsetzung des Gestaltungskonzeptes steht bei all diesen Gebäuden, unabhängig vom Herkunftsland, im Vordergrund. Außerdem wurden die teilnehmenden Architekten gebeten, ein relevantes Bauwerk aus ihrem Land auszuwählen. Die Bauten werden in der Kategorie „Favourites“ vorgestellt, um einen Verweis auf architektonische Vorläufer zu geben und zu zeigen, was junge Architekten für inspirierend oder bemerkenswert halten. Somit gibt Emerging Identities – EAST! auch ganz per- sönliche Einblicke in die gebaute Kultur Sloweniens, Polens, Ungarns, Tschechiens, der Slowakei und der Länder des Baltikums. Schließlich ist noch die Kategorie „Look out for“ zu erwähnen. Auf die hier präsentierten Büros sollte man in Zukunft ein Auge haben. Sie haben zwar bisher noch keine Bauprojekte realisiert – was ursprünglich ein Kriterium für die Auswahl war – aber überzeugen durch ihre Konzepte und originellen Ansätze. In einigen der präsentierten Ländern haben die jungen Architekten gerade erst angefangen zu bauen. Hier sind bedeutende Projekte oft von erfahrenen Büros realisiert worden. Deshalb wurden da, wo es notwendig erschien, unter „Check Established Offices“ Projekte von etablierten Büros aufgenommen.

Um eine vollständige Übersicht über alle architektonischen Errungenschaften der letzten 15 Jahre in den teilnehmenden Ländern zu geben, wären noch viele Architekten zu nennen. Mit der Konzentration auf die junge, aufstrebende Architektengeneration soll vor allem das Interesse in das aktuelle Kulturgeschehen dieser Länder geweckt werden.

Emerging Identities – EAST! ist ein fortlaufendes Projekt. Die Ausstellung wird durch Europa wandern und unterstreicht damit das Ziel des internationalen Austauschs. Bestimmte Perspektiven werden während in einem länderspezifischen Begleitprogramm vertieft. Die hier begonnene Kommunikation wird sich hoffentlich in Architekturmagazinen, Galerien und vor allem in den Büros der Architekten selbst fortsetzen. Die Abendveranstaltungen im Januar und Februar 2006 richten den Fokus auf die Architektur- und Kulturszene bestimmter Länder. So wird die Ausstellung zum lebendigen Ort kulturellen Austauschs, der nicht nur die Architektur der‚ Emerging Identities’ sondern auch das Umfeld, in dem diese entsteht, thematisiert. Folgende Themenschwerpunkte sind geplant:

25.01.2006, 19 Uhr Express Yourself – Ein Gespräch mit slowenischen und slowakischen Architekten über Eigen- und Fremdwahrnehmung nationaler Identität 1.02.2006, 19 Uhr Grenzüberschreitungen – Deutsch-Polnische Kooperationen in Architektur und Städtebau 8.02. 2006, 19 Uhr Baukultur als Botschafter – Über die Rolle der Architektur in der auswärtigen Kulturarbeit der Tschechischen Republik und Ungarn

MOE DEZ/JAN 2005/06 SEITE 13 M O E - K U L T U R . DE DEZ/JAN 05/06

NOTABENE

15.02.2006, 19 Uhr Bauboom – Fluch oder Segen? Eine Diskussion mit Architekturexperten aus Estland, Litauen und Lettland Nach den Architekturbeiträgen aus den jeweiligen Ländern wird ein Kulturbeitrag, z.B. Film, Performance, Musik gezeigt.

Aktuelle Programminformationen unter www.daz.de. Ausstellung vom 24. November 2005 – 20. Februar 2006 im Deutschen Architektur Zentrum DAZ DAZ, Köpenicker Str. 48/49 in 10179 Berlin – Mitte. Öffnungszeiten der Ausstellung: Di–Fr 10–18:00 und Sa/So 14–18:00 Uhr. Geschlossen über die Feiertage vom 20.12.05 – 3.01.06 Kontakt: Franziska Eidner, Tel. 030 – 27 87 99 28

>> LESETIPP

„Kafka. Zeitschrift für Mitteleuropa“ Nr. 16. Werte und Tugenden vorgestellt von Emilia Nagy

Europa ist in der Krise. Und wenn nichts mehr zu helfen scheint, wird gern die „europäische Wertegemeinschaft“ beschworen. Aber dieses ominöse Gemeinsame wird nicht durch Vorsatz gestiftet, sondern kann sich nur in einem Prozess der Verständigung ausbilden. Hierfür braucht es Foren der Öffentlichkeit. Diese Grundbedingung allerdings ist in Europa und für Europa noch denkbar unzureichend erfüllt. Eine europäische Öffentlich- keit ist nach wie vor ein Desiderat, europäische Initiativen, Projekte oder Zeitschriften (wie Kafka) bilden bis heute rare Ausnahmen und sind stets in ihrem Bestand bedroht. Das Heft 16 von „Kafka. Zeitschrift für Mitteleuropa“ ist nun die letzte vom Goethe-Institut finanzierte und publizierte Ausgabe. Ob damit auch das Ende dieser europäischen Zeitschrift besiegelt ist, ist für die Kafka-Redaktion noch eine offene Frage. Es werden alle Möglichkeiten ausgelotet, um das in Jahren gewachsene Netzwerk aufrecht zu erhalten und den grenzüber- schreitenden Dialog fortsetzen zu können. Denn ohne europäische Öffentlichkeit wird es weder eine europäische Demokratie noch jene bislang nur beschworene Wertegemeinschaft geben können. Die 16. Nummer der Zeitschrift Kafka wird in den ersten Dezembertagen an die Abonnenten geliefert. Die Zeitschrift ist im Handel leider nicht erhältlich. Bestellungen: [email protected]

Europa erweitert Europa als geistiger Raum Europa als kulturelle Größe Der Europa-Almanach Eine Dokumentation des Kultur-Dialogs zwischen Künstlern, Intellektuellen, Europarechtlern, Wissenschaftlern, Historikern, Zeitzeugen und Politikern der zehn neuen EU-Länder und ihrer deutschen Partnern. Der Europa-Almanach. Bostelmann&Siebenhaar. ISBN: 3-936962-27-8. Informationen: www.kulturjahrderzehn.de

Noch schnell nachholen? - Der polnische Schriftsteller Stefan Chwin entwirft die Zukunft Ein Beitrag von Iwona Uberman

Ende des Jahres ist gewöhnlich eine Zeit der Bilanz. Sie eignet sich gut, um kurz innezuhalten, zu vergleichen und zu reflek- tieren. Lasst uns also allgemein der Frage nachgehen, wie die Lage der polnischen Literatur auf dem deutschen Markt Ende 2005 ist und ob der EU-Beitritt Polens die jetzige Situation beeinflusst hat. Die Antwort ist: auf jeden Fall. Die allgemeine Tendenz ist deutlich sichtbar: es gibt sie, viele neue polnische Bücher auf dem deutschen Markt, sie werden immer zahlreicher, präsenter. Sie werden langsam zur Normalität und erscheinen auch „normal“, d.h. nicht nur aus besonde- ren Anlässen (Polen-Jahr, Polen als thematischer Schwerpunkt, im Rahmen der „Polnischen Bibliothek). Sie werden mehr oder weniger oder manchmal auch fast gar nicht wahrgenommen und auch das gehört zur Normalität.

Welche Bücher sind 2005 in Deutschland erschienen? Einerseits sind es Neuerscheinungen, die auch in Polen viel Aufmerksamkeit bekommen haben. (Als Beispiele dienen hier: Pawel Huelle „Castorp“, Joanna Chmielewska „Mordsstimmung“ oder Andrzej Stasiuk „Unterwegs nach Babadag“). Andererseits sorgt man durch Übersetzungen älterer Titeln dafür, dass das Bild der polnischen Literatur für deutsche Leser immer facettenreicher wird. (Dazu gehören beispielsweise: Wieslaw Mysliwski „Der helle Horizont“, Katarzyna Grochola „Allererste Sahne“ oder „Himmelblaue Stunde“). Bei den Texten, wo die Überset- zungen den polnischen Bestsellern etwas hinterher hinken, versucht man Schritt zu halten, indem man über die Autoren selbst und ihre noch nicht zugänglichen Bücher berichtet (wie im Fall von Dorota Maslowska). Und schließlich, und auch das ist eine neue Tendenz (auch wenn sie nicht nur ausschließlich auf das Jahr 2005 zu beziehen ist): deutsche Autoren der jüngeren Generation fangen an, Polen als ein attraktives Land für ihr Romangeschehen zu entdecken. Es sind jetzt Autoren, die keinen familiären Bezug zu der Region haben (wie es bei Günter Grass oder Siegfried Lenz der Fall ist) sondern die von Neugier und Phantasie geführt werden (z.B. Malin Schwerdtfegers „Cafe Saratoga“, Gernot Wolframs „Samuels Reise“). Diese Vielfalt und Vielseitigkeit sind ein wunderbares Ergebnis.

MOE DEZ/JAN 2005/06 SEITE 14 M O E - K U L T U R . DE DEZ/JAN 05/06

NOTABENE

Ein Jahresende ist immer ein guter Anlass, um nach hinten zu schauen und nachzuprüfen, ob man denn etwas vergessen, etwas verpasst hat. Ob es etwas gibt, das noch nachzuholen wäre. Für die Leser, die gerne nach Büchern greifen, die sich einer ein- deutigen Einschätzung entziehen und einerseits begeistern, andererseits aber auch irritieren, gibt es bei den polnischen Neuerscheinungen des Jahres 2005 etwas zu entdecken. „Der goldene Pelikan“ von Stefan Chwin wurde im Zusammenhang mit der letzten Frankfurter Buchmesse vorgestellt, hat es aber es nicht geschafft, unter die „ganz großen“ Neuerscheinungen zu gelangen. Die Berichte waren wohlwollend, das Buch bekam Aufmerksamkeit, was in Frankfurt ja schon als Erfolg zu verbu- chen ist, aber mit schärferer Kritik oder entschiedener Empfehlung hielt man sich zurück. Wer das Buch gelesen hat, kann sol- che Reaktion nachvollziehen. Für Leser jedoch, die gern keine geraden Wege gehen, ist das Buch bestimmt eine gute Empfehlung.

Der Ort der Geschichte - Gdansk, die Erzählzeit – die Zukunft. Man schreibt das Jahr 2010 oder 2020 oder vielleicht 2050. Das Land Polen ist inzwischen in der Welt der westlichen Werte, der Globalisierung und des höheren Wohlstandes (gemessen an der heutigen Lage) angekommen. Jakub, Professor für Philosophie an der Juristischen Fakultät der A. Schopenhauer- Universität, gehört zu den Gewinnern im Leben. Er genießt berufliches Ansehen, sein Leben ist materiell gesichert und er besitzt eine kultivierte Ehefrau. Jakub hat sein Leben fest im Griff und er kann sich kein anderes vorstellen. Warum sollte er auch? Alles läuft gut und Jahr für Jahr wird er darin bestätigt. Sein Talent, sein Wissen, die Fähigkeit das Richtige zu tun und richtig zu entscheiden, machen sein Leben zu einer angenehmen Angelegenheit. Eines Tages passiert jedoch ein kleines Missgeschick. Nichts wirklich dramatisches, aber dennoch etwas unangenehmes. Es ist ein heißer Juli-Tag. Bei der Aufnahmeprüfung trägt Jakub die Noten der Kandidaten in eine Liste ein. Wegen der Hitze kommt er kurz durcheinander, korrigiert aber gleich seine Fehler. Am nächsten Tag behauptet eine der geprüften jungen Frauen, er habe sich geirrt, die Note, die neben ihrem Namen steht, könne nicht stimmen. Jakub hält an der Note fest, er setzt sich durch. Allerdings kann er sich leider an die junge Frau und die genaue Prüfungssituation kaum erinnern. Und mit der Zeit kommen bei ihm Zweifel auf. Vielleicht machte er doch einen Fehler? Es ist natürlich zu spät, an der Sache etwas zu ändern, aber als er Wochen später Gerüchte hört, dass eine in der Aufnahmeprüfung durchgefallene junge Frau sich das Leben genommen habe,verliert Jakub sein Gleichgewicht. Die Geschichte lässt ihn nicht mehr los, sein Leben gerät aus den Fugen und verändert sich allmählich völlig.

Chwins Geschichte ist spannend erzählt und regt an, nachzudenken, inwiefern wir Herr unseres Lebens sind. Was Unerwartetes kann uns im Leben schon passieren? Von welcher Dauer ist das Leben, das wir gerade leben? Wie könnte unser Leben sonst aussehen? Der Roman eröffnet in diesem Zusammenhang viele Perspektiven, aber er bietet noch viel mehr. Der Autor versucht, das zukünftige Leben in Polen darzustellen. Seine Entwürfe sind interessant und es ist durchaus spannend, sie mit der heutigen Realität in Beziehung zu setzen. Auch wenn man seine Visionen nicht teilt oder sich sogar manchmal ärgert, wenn Chwins Beschreibungen an Ausdruckskraft verlieren, indem er in seine Vorstellungen Elemente einbringt, die schon heute einer archivierten Vergangenheit angehören, ist es trotzdem inspirierend, den Fragen nach unserer Zukunft nachzugehen. Wie entwickeln sich Polen, Europa und die Welt weiter - Wie wird es mit uns nächstes Jahr, in 20 Jahren oder in 50 Jahren weiter gehen?

Die Jahreswende ist die Zeit der Ausblicke und die Zeit der Vorsätze und Wünsche. Wenn man seine Wünsche auch an Autoren richten kann, könnte man sich wünschen, dass Stefan Chwin nach seinem interessanten Versuch, einen Roman über Zukunft zu schreiben, im nächsten Buch wieder seinem vertrauten Genre des historischen Romans nachgeht und uns den Lesern noch einen weiteren grandiosen Roman neben seinen zwei früheren („Tod in Danzig“ 1995 und „Die Gouvernante“ 1999) schenkt. Wenn man aber zur Jahreswende 2005/06 gleich zwei Wünsche an denselben Autor richten dürfte, sollte Stefan Chwin einen neuen historischen Roman schreiben und nebenbei ruhig seine Experimente mit anderen literarischen Genres fortsetzen. Er soll- te ein unberechenbares Buch schreiben, das fasziniert und zugleich irritiert, das stellenweise ärgert, aber auch erstaunt. Von dem man Ende 2006 sagen würde: noch schnell nachholen! Stefan Chwin: Der goldene Pelikan, Hanser Verlag, München 2005

Die große Protagonisten der tschechischen Literatur - Bozena Nemcova und der Sprung über den Zaun Von Nina Trcka

In Tschechien ist sie eine Art Nationalheilige. Die zahlreichen Redewendungen aus ihrem Hauptwerk „Babicka“ (1855), deutsch „Die Großmutter“, gehören ganz selbstverständlich zum Sprachschatz der Alltagskommunikation; so sehr, dass gern zum Mittel der Ironie gegriffen wird, um die Nationalheilige nicht nur zu zitieren, sondern um sich zugleich gegen ihre Übermacht zu weh- ren: „Dobra hospodinka pro pirko i pres plot skoci“ – “Die gute Hausfrau springt für ein Federchen sogar über den Zaun.” Das ist einer der viel zitierten und gern verballhornten Sprüche. An diese Weisheit, die haushälterische Tugend für tschechische Frauen zu lehren scheint, zitiert aus ihrem Hauptwerk, hat sich Bozena Nemcova zeitlebens nicht gehalten. Sie war keine gute Hausfrau, wollte es auch nie sein – im Haushalt sei sie „eine seelenlose Maschine“. Ihr Ziel waren die unabhängige Existenz als Schriftstellerin und die freie Liebe; ihr großes Vorbild die französische Schriftstellerin George Sand, die mit Hosen bekleidet ging, mit den großen Schriftstellern der Zeit verkehrte und schließlich sogar unter ihrem eigenen Namen (einem Pseudonym!) publizierte. Insofern ist Bozena Nemcova für ein anderes „Federchen“ über den Zaun gesprungen. Es hat sie das Leben gekostet. Was war das nun für eine Frau, die im Zeitalter des Biedermeier anders schrieb als sie leben wollte (und schließlich unter ihrem eigenen Namen publizierte)? Am 4. Februar 1820 wird Barbora Pankel in Wien als Tochter des tschechischen Dienstmädchens Terezie Novotna und des niederösterreichischen Herrschaftskutschers Johann Pankel geboren. Ihre Kindheit und Jugend verbringt sie im romantisch gelegenen Tal in Ratiborice, im heutigen Tschechien, in der Nähe des Schlosses Ratiboric. Dort ist ihr Vater als Kutscher der Herzogin von Sagan in den Sommermonaten im Dienst (die übrige Zeit war er in Wien). Das Dorf liegt in der Nähe von Ceska

MOE DEZ/JAN 2005/06 SEITE 15 M O E - K U L T U R . DE DEZ/JAN 05/06

NOTABENE

Skalice (Böhmisch Skalitz), da, wo der Fluss Upa aus dem Riesengebirge in die Elbe fließt. Hunderte von Touristen wandeln dort jährlich auf Bozena Nemcovas Spuren. Die zauberhafte Landschaft und die Erinnerungen an die Kindheit auf dem Lande, ins- besondere aber das idealisierte Bild ihrer Großmutter Magdalena Novotna sollten zentral werden für Bozena Nemcovas Hauptwerk, das sie in Zeiten des Elends niederschreibt und das ihr zum Trost und zur Flucht in die Erinnerung der sonnigen Kindheit wird. Mit 17 Jahren heiratet Barbora Pankel auf Drängen der Mutter, die zahlreiche Kinder durchzubringen hat, den Finanzbeamten Josef Nemec. Er ist zum Zeitpunkt der Eheschließung doppelt so alt wie sie. Als glühender Patriot hält er mit seinen Ansichten zur tschechischen Eigenständigkeit nicht zurück, was ihm im Beamtendienst der K.u.K.-Monarchie große Unannehmlichkeiten einbringt. Er wird häufig zwangsversetzt und schließlich nach langen Jahren sogar vom Dienst suspendiert. Während der zahl- reichen Versetzungen hat Bozena Nemcova die Gelegenheit, das Leben in den unterschiedlichen ländlichen Regionen auf dem Gebiet des heutigen Tschechien und der Slowakei zu studieren. Hatte sie sich schon in ihrer Jugend mit der deutschen Literatur der Romantik befasst, beginnt sie nun Märchen, Sagen und Legenden der Tschechen zu sammeln, die bis dahin fast durchweg nur mündlich weitergegeben worden waren. Sie ist gemeinsam mit dem romantischen Schriftsteller Karel Jaromir Erben (1811- 1870) ein Pendant zu den Gebrüdern Grimm, die ebenfalls Volkslieder und -märchen sammelten und zum Ausgangspunkt einer neuen deutschen Literaturströmung machten. Das Sammeln von Volkserzählungen führt Bozena Nemcova zu einer Reihe von volkskundlichen Studien, die sie in einzelnen Aufsätzen veröffentlicht. In den Jahren 1850-51 bereist sie die Slowakei. Von den damaligen tschechischen Schriftstellern lernt sie die Slowakei am intensivsten kennen. Sie gibt eine Sammlung slowakischer Märchen, Sagen und Legenden heraus und macht sich im Zuge ihrer Reise mit den wichtigsten Künstlern und patriotischen Intellektuellen des Landes bekannt. Sie hält den Kontakt aufrecht und durch weitere Veröffentlichungen von volkskundlichen Studien macht sie einen wesentlichen Schritt zur Annäherung beider Nationen. Ihr Interesse an der sozialen Frage bringt sie zu den Schriften des tschechischen utopischen Sozialismus (Klacel), dessen Ziel eine Neuordnung der Gesellschaft auf der Grundlage der Nächstenliebe ist. Sie schreibt so genannte „Bilder“ des gesellschaft- lichen Lebens in den Städten und berichtet über die sozialen Zustände auf dem Lande. Die Konflikte zwischen den Schichten ziehen sich thematisch durch ihr Werk.

Von 1842-45 hält sich die Familie Nemec in Prag auf. Bozena Nemcova findet Eingang in die Tschechische Patriotische Gesellschaft und lernt dort die wichtigsten tschechischen Schriftsteller und Intellektuellen der Zeit kennen. Wie ihr Mann patrio- tisch gesinnt, erhält ihr literarisches Schaffen hier spezifische Anregungen, durchaus auch aus der Weltliteratur und ihr Schreiben eine bestimmte Richtung. Hier lernt sie das Werk der französischen Schriftstellerin George Sand (1804-1876) kennen, die ihr zum Vorbild einer unabhängigen und künstlerisch schaffenden Frau wird. Sie lebt zunehmend gewagter das Leben einer Künstlerin und versucht das Ideal der freien Liebe zu verwirklichen. Mit zahlrei- chen Verehrern unterhält sie mehr als platonische Beziehungen, was zunehmend Anstoß erregt, auch in der Tschechischen Patriotischen Gesellschaft, die sich schließlich von ihr abwendet und ihr auch in den Jahren der Not nicht beisteht. Ihre zahl- reichen Versuche, die wahre Liebe zu finden, münden in Enttäuschung und machen ihre auch sonst schon unglückliche Ehe mit dem dienstlich frustrierten Ehemann zur Hölle. Josef Nemec findet in ihr nicht die ersehnte sorgende und haushälterische Ehefrau, sie findet in ihm keinen Widerhall für ihre Ideale. Nicht ganz zu Unrecht vielleicht fühlt er sich verspottet und gehörnt. Die dienstlichen Versetzungen und der zermürbende Beamtendienst tun ein Übriges. Für ihr pro-tschechisches Engagement während der 1848er Revolution, die das Ehepaar wieder in Prag verbringt, wird die Familie Nemec von der Geheimpolizei über- wacht und verfolgt. In den 50er Jahren beginnt auch das materielle Elend. Josef Nemec verweigert seiner Frau das Geld für den Haushalt, sie ist gezwungen von den geringen Einkünften als Schriftstellerin auch die Miete zu zahlen und trägt fast alle Kosten für die drei Kinder, während ihr Ehemann sein Geld spart. Sie und die Kinder frieren und hungern. In dieser Zeit des Elends und der ständigen häuslichen Gewalt stirbt auch der geliebte Sohn Hynek. In dieser Zeit schreibt Bozena Nemcova ihr Hauptwerk, „Babicka“, „Die Großmutter“ (1855). Das Schreiben wird für sie zur beglückenden Flucht aus der bedrückenden Realität. Nach Selbstaussagen habe sie das Werk zum Trost für ihre Seele geschrieben und diesen Trost atmet das Buch auf jeder Seite. Es ist eine Heiligkeit, Harmonie und Ruhe darin, die nur eine zerrüttete Seele diktieren konnte. Es ist ein Anker des Guten in einer zerfallenden Welt. Bozena Nemcova zeigt sich in diesem Werk als Phänomenologin. Mit liebevoller Aufmerksamkeit schildert sie das ländliche Leben, mit geradezu manischer Besessenheit werden alltägliche Verrichtungen, Sprüche, Aberglauben und Grundsätze der Großmutter dargestellt. In diesem Sittengemälde des tschechischen Bürgertums, Adels und der Landbevölkerung verzeichnet Bozena Nemcova sehr deutlich soziale Unterschiede. Sie steht auf der Seite der armen, aber moralisch integren Landbevölkerung, die sie im Idealtypus der Großmutter darstellt. Die Gegensätze, auch der Schichten und der Geschlechter, werden durch die Haltung allumfassender Liebe im Vorbild der Großmutter überwunden und aufgehoben. Es ist ein Buch nach Rousseau. Neben der Darstellung der Großmutter, ihrer Mentalität, ihrer Haltung zur Welt und zu den Menschen spielt auch das Geschehen in der Natur eine wesent- liche Rolle, das Leben in den jahreszeitlich wechselnden Phasen des Jahres. Bozena Nemcovas Quellen sind dabei neben den volkskundlichen Studien während der zahlreichen Landaufenthalte ihre idea- lisierten Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend in Ratiborice.

Bozena Nemcova veröffentlicht eine Reihe von Erzählungen und einen weiteren Roman; zentral sind in ihrem Spätwerk die sozialen Unterschiede und der Versuch ihrer Harmonisierung. Doch seit den 50er Jahren ist sie schwer erkrankt und leidet unter den Grausamkeiten ihres Mannes. 1861 entscheidet sie sich, sich endlich von ihrem Mann zu trennen. Der Verleger Augusta nimmt sie für die Ausgabe ihrer gesammelten Werke unter Vertrag, gewährt ihr einen Vorschuss und übernimmt Kost und Logis, damit sie in Ruhe arbeiten kann. Aber es ist zu spät. Schwer krank stirbt sie 1862 an Auszehrung und an Blutungen, vermut- lich handelte es sich um Krebs. Von ihren patriotisch gesinnten Freunden verlassen, von ihrem Verleger bedrängt und schließlich im Stich gelassen, schreibt sie einen letzten Brief – zu dem sie in drei Versuchen ansetzt und der offenbart, dass ihr das Schreiben nun, da sie sich die Freiheit dazu endlich erkämpft hat, unmöglich wird: ihr Schreiben kreist nur noch um das ihr zugefügte Leid und um den Schmerz. Es hat alles in sich aufgesogen.

MOE DEZ/JAN 2005/06 SEITE 16 M O E - K U L T U R . DE DEZ/JAN 05/06

NOTABENE

aktueller FILM

Durch diese Nach sehe ich keinen einzigen Stern Der Film zum Leben und Sterben der Bozena Nemcova mit Corinna Harfouch Drehbuch und Regie: Dagmar Knöpfel Ein Bericht von Nina Trcka

Im Zentrum des Films stehen wir still und gehen im Kreis: im Kreis des Schreibprozesses, des Schmerzes und der Erinnerungen in den letzten Tagen der schwer kranken, verarmten und verlassenen tschechischen Schriftstellerin Bozena Nemcova. Der Film stellt szenisch dar, was sich aus drei Ansätzen zu einem Brief Nemcovas rekonstruieren lässt. Diese drei Versuche sind das Letzte, was wir an Schriftstücken von Bozena Nemcova besitzen, niedergeschrieben in zunehmender Isolation und Umnachtung. Der Film unternimmt es darzustellen, was in der Schriftstellerin vorgegangen sein könnte, als sie diese Briefe schrieb, und was einigermaßen geheimnisvoll bleibt.

Der Film zeigt die letzten Tage der Schriftstellerin mit Rücklenden in die Vergangenheit, die wenig glücklich scheint. Dreimal setzt Bozena Nemcova im Verlauf des Films zum Schreiben eines Briefes an ihren Freund Vojtech Naprstek an, immer wieder verliert sie sich in den Schilderungen der Grausamkeiten ihres ehelichen Lebens, nur wenige Augenblicke des Glücks gibt es überhaupt. Das Schreiben und Erinnern wird zur Trauma-Arbeit, einer Schleife, in die sich Nemcova immer wieder begibt und aus der es kein Entrinnen gibt. Der Brief wird zusehends detaillierter in seinen Schilderungen und verliert sich dann in den minu- tiösen Beschreibungen des körperlichen Schmerzes und der Vorsorgemaßnahmen, die gegen die Blutungen getroffen werden. Ein Ritual; es soll die vergangene Qual bannen, die aber im Schreibprozess immer wieder nach oben drängt und schließlich zum alles beherrschenden Gegenstand wird.

Inhaltlich ist zu kritisieren, dass einseitig nur der Ehemann Nemcovas als Schuldiger dargestellt wird; Bekannte und Freunde kommen als Ahnungslose gut weg, was nicht den Tatsachen entspricht. Auch von „Freunden“ wurde Nemcova fallen gelassen und ihr Mann, der im Film eine Beförderung erfährt, wurde wegen seines tschechisch-patriotischen Engagements ständig zwangsversetzt und schließlich vom Dienst suspendiert. Unbeschadet dieser inhaltlichen Aspekte zeigt der Film eindrucksvoll und bei sparsamster Handlung (der Zeitrahmen beträgt einige Tage) das Leben, den Kampf und das Unterliegen einer der faszinierendsten Frauen der europäischen Romantik. Corinna Harfouch gelingt besonders in den zahlreichen Nahaufnahmen eine ganz starke Charakterdarstellung. Wunderbare Bilder in Blau- und Brauntönen und raffinierte Schnitte machen den Film zu einem Kunstwerk. Auch die Dramaturgie vermittelt geschik- kt die Ausweglosigkeit aus einem Leben der Abhängigkeit und Gewalt, der Vereinsamung und des Elends: Typische Szenen ehe- licher Gewalt und Auseinandersetzungen kehren alptraumartig wieder und werden dabei immer beherrscht von Corinna Harfouchs starkem und souveränem Gesicht – vielleicht zu stark, vergleicht man es mit dem so zerbrechlichen und übersanf- ten Antlitz der Bozena Nemcova, wie es in Portraits überliefert ist. seit 17.11. im Kino (bspw. in den Neue Kant Kinos)

>> MOE-KOMMENTAR

U n a u f g e r e g t ! Die deutsch-polnischen Wirtschaftsbeziehungen kommentiert von Michael Kleineidam

Es ist zu früh, eine fundierte Bilanz der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Polen und Deutschland nach Polens Beitritt zur EU ziehen zu können. Exakte Zahlen liegen naturgemäß noch nicht vor. Doch sicherlich gibt es weder Anlass für Pessimismus noch für Euphorie. Befürchtungen beider Seiten sind nicht eingetreten. Weder haben sich Deutsche wie Heuschrecken auf pol- nischen Grund und Boden gestürzt, noch haben Polen den deutschen Arbeitsmarkt überflutet. Dafür nimmt die Zahl der posi- tiven Meldungen, Meinungen und Stimmungen zu . Inzwischen haben EU-Gelder Polens Landwirte erreicht, deren Skepsis rie- sengroß war. Szczecin wird über die Grenze hinweg zunehmend zur Metropole seiner deutschen Nachbarregion. Selbst Berlins Wirtschaft ist aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht und entdeckt den polnischen Markt. Immer mehr Berliner Firmen gründen Niederlassungen in Polen. Andersherum sind polnische Firmen in Berlin noch wenig sichtbar präsent. Von der befürchteten Über- schwemmung mit billigen polnischen Produkten kann keine Rede sein, polnische Gastronomie und Lebensmittelläden spielen im Berliner Stadtbild kaum eine Rolle. Dies verwundert ein wenig, leben doch etwa 31.000 Polen offiziell angemeldet in Berlin. Tatsächlich dürften es sehr viel mehr sein. Gerade auf deutscher Seite hätte vor der EU-Osterweiterung ein Blick in die eigene Geschichte nicht geschadet und viel zur Beruhigung der Gemüter beigetragen. Zwei aktuelle, fulminante Ausstellungen im Deutschen Historischen Museum Berlin (noch bis zum 12. Februar 2006) bieten nunmehr Gelegenheit, dies Versäumnis nachzuholen. Sie zeigen, wie positiv sich über Jahrhunderte hinweg die Zulassung von Migration auf die wirtschaftliche Entwicklung der aufnehmenden Staaten ausgewirkt hat. Ob Hamburg von den sephardischen Juden, Frankfurt von den italienischen Händlern, der Niederrhein von den calvinisti- schen Holländern, das Ruhrgebiet von den polnischen Bergleuten, Preußen von den Hugenotten, die Magdeburge Börde von den polnischen Wanderarbeitern, sie allen profitierten wirtschaftlich enorm davon, dass sie Menschen in Not Zuflucht und Arbeit boten. So dürfte sich auch die EU – Osterweiterung zu einer win-win-Situation entwickeln. Im Moment ist business as usual angesagt – und dies ist sicherlich eine gute Nachricht.

MOE DEZ/JAN 2005/06 SEITE 17 M O E - K U L T U R . DE DEZ/JAN 05/06

NOTABENE

>> NACHTRAG 2005 Wenn das Karussell sich dreht Mit Gesang: das 15. Osteuropa Filmfestival in Cottbus Ein Bericht von Hans-Jörg Rother

Ein junges Paar schwebt auf den Gondeln eines Kettenkarussells. Beide lächeln glücklich, dann stößt der Mann die Freundin von sich weg, und es dauert, bis beider Hände einander wieder berühren. Die Babelsberger Regiestudentin Ann-Kristin Wecker hat in nur 31 Sekunden, so lang ist der Trailer für das Film Festival Cottbus, ein viel sagendes Bild geschaffen. Zum einen erinnert die auf dem Karussell mitfahrende Kamera, passend zur ungarischen Retrospektive, an ein großes Werk der Filmgeschichte, Zoltán Fábris “Karussell” aus dem Jahr 1955. Dort genießen Mari, die Tochter eines reichen Bauern, und Máte, der arme Schlucker aus der Genossenschaft, auf dem Rummelplatz die Freiheit, die ihnen die Regeln des Landlebens verwehren. Am Ende der aufwühlenden Geschichte werden sie die Standesunterschiede vergessen und auf einem symbolisch langen Weg den Weg ins bessere Morgen antreten.

Doch auch wer den ungarischen Klassiker nicht kennt, wird die Spannung in Ann-Kristin Weckers Bild einer leichthin tändeln- den Liebe spüren. Welche versteckten Gefühle mögen hinter dem Wechsel von Nähe und Distanz stehen? Je öfter man den Trailer auf dem Festival sah, um so tiefer schien der Abgrund zwischen den Karussellfahrern zu werden. Vor allem aber waren es wohl die Filme der jungen osteuropäischen Regisseure, die gegen große Glückserwartungen skeptisch stimmten. Wie ein Blitz schlug gleich am ersten Tag der zornige Versuch des Slowenen Jan Cvitkovic ein: “Von Grab zu Grab”. Im Mittelpunkt steht ein Grabredner auf dem Lande. Einem solchen Berufsbild haftet erfahrungsgemäß etwas Erheiterndes an, und der Film scheint das Klischee in der Figur des Pero zu bestätigen. Die unermüdlichen und regelmäßig scheiternden Versuche von Peros Vater, aus dem Diesseits ins Jenseits zu gelangen, verstärken noch die makabre Komik. Doch hinter dem Schleier aus Humor und ausgelassener Geselligkeit markiert Cvitkovic mehrere desolate Zweierbeziehungen. Ein blutiges Exempel an Peros taub- stummer Schwester, das blutig geahndet wird, offenbart, was hier vom heiteren Landleben zu halten ist. Von der versteckten Aggressivität führen alle Umwege ins Grab. Wie der Regisseur trotz alledem die Balance zwischen Lust und Verderben hält, ist aller Achtung wert.

Die Veranstalter hatten Pech, daß sie diesen bildkräftigen Film, der zu Recht den Hauptpreis erhielt, an den Anfang des Wettbewerbprogramms setzten. Danach wurde es immer schwächer und am Ende, mit Petr Zelenkas überdeutlicher Verfilmung seines seltsamen Theaterstücks “Wrong Side Up”, dumm. Aber zuvor blinkten einige auffällige Warnzeichen. Da trat der polnische Jungregisseur Jan Hryniak mit seinem Debüt “Der Dritte” kräftig in die Fußtapfen Roman Polanskis, nur daß im Unterschied zu “Messer im Kopf” hier ein junge Paar unter moralischen Verdacht gerät und ein ungebetener Dritter aus der Vätergeneration ihnen auf der langen, hindernisreichen Autofahrt von Gdansk nach Krakow, vielleicht ein vom Himmel gesandter göttlicher Versucher, einige Stacheln gegen die clevere Businessmoral unter die Haut stößt.

Das junge osteuropäische Kino, dem das inzwischen etablierte ostbrandenburgische Festival eine Brücke in den Westen zu bauen versucht, zeigt sich meist als eine wagemutige Szene. Die Absolventen der Filmhochschulen in Lodz, Prag oder Budapest sind bereit, für wenig Geld die schönsten Versuchsballons in den Kinohimmel steigen zu lassen, wenn ihnen auch nur die geringste Chance winkt. Die Rumänin Ruxandra Zenide, die für ihr Debüt “Ryna” einen Schweizer Koproduzenten gewann, könnte dabei Glück haben. Denn kein anderer Beitrag brachte für eine kleine Geschichte eine solche intensive und zugleich unprätentiöse Aufmerksamkeit auf. Erzählt wird von einer Sechzehnjährigen (Dorotea Petre), die als einziges Kind dem autoritären Vater in dessen maroder Autowerkstatt, irgendwo im menschenleeren Donaudelta, den Sohn und Gesellen ersetzen muß. Von jungen Männern hat sich Ryna fernzuhalten. Merkwürdige und schlimme Dinge passieren, und schließlich verläßt das Mädchen diese triste, ungute Provinz.

Mit seiner einfühlsamen, kargen Erzählweise und einer gänzlich unaufgeregten Regiehaltung, dem Sinn für Landschaft und genauer Figurenzeichnung blieb der mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnete Film eine Ausnahme in dieser Auswahl aus der heftig rumorenden Kinowelt Osteuropas. Die Mehrheit der jungen Regisseure übt wenig stilistische Zurückhaltung, wenn sie um moralischen Einfluß kämpft. Zuweilen kommt dabei eine herzerweichende Predigt heraus wie bei Bohdan Slamas bereits auf dem Festival von San Sebastian ausgezeichneter tschechischer Erfolgsfilm “Stesti” (Glück), der unter dem frei erfundenen Verleihtitel “Die fünfte Jahreszeit heißt Glück” demnächst ins deutsche Kino kommt. In Cottbus gewann er den Preis der internationalen Kritikervereinigung Fipresci. Schon in seiner vorangegangenen Arbeit “Wilde Bienen” bewies Slama einen ausgeprägten Sinn für desolate Verhältnisse. Nun ist ein Plattenbau in der Provinz der Hauptschauplatz. Eine couragierte junge Frau nimmt sich, statt ihrem Freund nach Amerika zu folgen, einer psychisch schwer angeschlagenen Nachbarin und vor allem deren zwei Kinder an und erntet dafür keinen Dank. Die wunderbare Hauptdarstellerin Tatjana Vilhelmová verleiht dem Film eine optimistische Ausstrahlung, und doch ist die Aussage so tiefschwarz wie die des Gros der ernstzunehmenden osteuropäischen Produjtionen. Die ältere Generation trinkt und streitet sich, die jüngere sucht nur ihren Vorteil, weshalb dann Kinder stören. Da bedarf es einer Lichtgestalt, um Hoffnung und Sinn für Verantwortung zu verbreiten. Die Zukunft scheint längst abhanden gekommen und liegt, im Bild des Films, ausdrücklich nicht in Amerika.

Wo blieb nun dieses Jahr das kühne Experiment, wo die filmsprachliche Rebellion? Die Jury, der Andreas Dresen vorstand, bewies nicht viel Mut, als sie Alexej Fedortschenkos Dokufiktion “Die ersten Menschen auf dem Mond”, eine geschickte Kompilation sowjetischer Wochenschauaufnahmen aus den Dreißigern mit eigenen Spielszenen, gleichsam eine späte Verhöhnung des sozialistischen Heldenkultes, den Spezialpreis für eine künstlerisch herausragende Einzelleistung zusprach. Die von Béla Tarr produzierte “Johanna”-Adaption, die erwartungsgemäß auch in Cottbus für Aufregung im Publikum sorgte,

MOE DEZ/JAN 2005/06 SEITE 18 M O E - K U L T U R . DE DEZ/JAN 05/06

NOTABENE

war ihr dagegen nur eine lobende Erwähnung wert. Kornél Mundruczó, der sich in seinem Debüt “Mehr will ich nicht” als ungarischer Pasolini-Schüler vorstellte, nun aber Anleihen bei Tarr aufnimmt, hat den Johanna-Stoff in ein altmodisches Krankenhaus unter Tage verlegt, das eher einem Gefängnis ähnelt. Aus dem Dauphin ist ein junger Arzt geworden, der Johanna, die Drogensüchtige, als Hilfsschwester anstellt. Die Retterin der Nation agiert als Retterin der Kranken, an denen sie mit ihrem jungen Körper Wunderheilungen vollbringt. Damit gerät die Herrschaft der Weißkittel in Gefahr. Der eifersüchti- ge Dauphin tötet die Aufsässige mit einer Spritze, während das Volk der Kranken klagend im Hintergrund steht.

Es klagt jedoch nicht allein, es singt auch wie alle anderen Personen, denen Opernsänger ihre Stimme leihen. Das klingt manchmal nach Arvo Pärt (Komposition: Zsofia Tallér) und fügt sich mit den in Katakomben agierenden Darstellern zum beeindruckenden Hörbild einer erlösungsbedürftigen, ihren Herren nicht entrinnenden Menschheit. Dieses Drama braucht geradezu die erhabene Operngeste, denn sie will gar nicht abbilden, sondern ein verstörend erhellendes Sinnbild sein. Solange solche, gewiß nicht sonderlich kinotaugliche Experimente möglich sind, bleibt als Fazit, ist das osteuropäische, nein das europäische Kino noch nicht verloren. Der Beitrag in gekürzter Fassung in der FAZ vom 13.11.25 erschienen.

Günter Grass und Imre Kertész – Freie Universität Berlin ehrt zwei kritische Zeitzeugen

Eins der spannendsten Begegnungen des Jahres 2005 war das Treffen der Nobelpreisträger Imre Kertész und Günter Grass, die am 3. Mai die Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Philosophie und Geisteswissenschaften der Freien Universität Berlin erhielten. Es wurden zwei Schriftsteller geehrt, die in ihren Werken den individuellen Erfahrungen im Kontext der Geschichte und den komplexen Fragen des Umgangs mit der Vergangenheit in beispielsloser Weise nachgehen. Der Danziger Grass, der Soldat der Wehrmacht gewesen war und sich nach dem Krieg als Gegner des politischen Radikalismus und Totalitarismus aller Schattierungen engagierte, zeigt in seiner Literatur, welche Verheerungen der Faschismus in der deut- schen Psyche angerichtet hat. Der gebürtige Ungar und Wahl-Berliner Imre Kertész, der vor 60 Jahren das Konzentrationslager Buchenwald überlebte, um unmittelbar danach, den Aufbau einer neuen Diktatur, des „Gulaschkommunismus“, erlebte, betrachtet die Wirklichkeit ständig im Kontext seiner KZ-Erfahrung. Interessanterweise wurde Kertész autobiographisches und sicher bedeutendes Buch „Roman eines Schicksallosen“ 1975 gerade in Deutschland „entdeckt“, in Ungarn dagegen blieb er ohne besondere Resonanz. „Das Vergessen in Ungarn hat mich an das Vergessene erinnert“, sagte Kertész. Vor dem Jahr 1989 wurde dort die Erinnerung an den Nationalsozialismus verdrängt, doch „die erneute Anpassung der Menschen an das kommunistische System erinnerte mich an das, was ich im Konzentrationslager erlebt hatte“. Das Ende des Kalten Krieges und Ungarns Eintritt in die Europäische Union seien ein Segen: Dadurch habe Kertész’ Herkunftsland eine Chance bekommen, sich den Fragen der historischen Schuld, Vergebung und Versöhnung kritisch zu stellen. Günter Grass hat den Westen der Nachkriegszeit anders empfunden. Sein gebrochenes Verhältnis zum Wiederaufbau Deutschlands und dessen Umgang mit der Vergangenheit folgte daraus, das er zahlreiche Kontinuitäten zwischen NS-Regime und Bundesrepublik entdeckt hatte: „Die Träume, jetzt machen wir es anders, wurden bald graustichig.“ „Mit Günter Grass und Imre Kertész haben wir für den heutigen Tag zwei Ehrengäste gewonnen, deren kritische Zeitzeugenschaft von der Welt des 20. Jahrhunderts ebenso geprägt wurde wie sie umgekehrt Welt und Gesellschaft des 20.Jahrhunderts mit ihren Zeitanalysen geprägt haben”, sagte FU-Präsident Univ.-Prof. Dr. Dieter Lenzen in seiner Begrüßungsrede.

Mercedes, Geige, Kupferkessel - Lebenswelten der Roma in Südosteuropa und Berlin

Die Veranstaltung „Mercedes-Geige-Kupferkessel“ (19.11.2005) wurde initiiert und durchgeführt von Beate Wild, Sophia Bickhardt, Margarita Kalamova, Katja Huning und Eva Dangendorf im Rahmen der Programme der „JOE-Plattform Berlin e.V.“

Zwei Roma-Musiker mit Gitarre und Akkordeon stimmten die Besucher akustisch auf das Thema ein. Nach der Begrüßung von Margarita Kalamova, übernahm Sophia Bickhardt die Programmmoderation. - Nihad Nino Pusija (gesprochen Puschija), ein Fotograf aus Sarajevo/Bosnien, der seit über 10 Jahren in Berlin mit seiner Familie lebt und sich intensiv mit dem Thema Roma beschäftigt, präsentierte seine Diashow. Kommentare zu den gezeigten Bildern und Motiven waren überflüssig. Die Bilder spra - chen ihre eigene Sprache und stellten sehr eindrucksvoll die Lebenswelten der Roma in Berlin und in Sarajevo dar. Die Fotos zeigten, dass es den Roma in Berlin vergleichsweise besser geht als denen in Sarajevo, dass sie aber gesellschaftlich und sozi- al in beiden Welten zu der untersten und ärmsten Schicht gehören. Dabei sind die recht erfolgreichen Geschäftsleute unter den Roma eindeutig eine Ausnahme. Anschließend stellte ich Miman Jasarovski (gesprochen Jascharovski ) einige weitere Aspekte und Zusammenhänge vor. Kurz zu meiner Person: Ich bin ehrenamtlich als Mediator an einer Grundschule in Wedding tätig. Ich selbst habe die Schule frühzeitig und ohne Abschluss verlassen, habe keinen Beruf erlernt. Erst auf dem zweiten Bildungsweg konnte ich einen schulischen Abschuss erlangen. Mein Anliegen, meine (Lebens)Aufgabe ist, sich für mehr Verständnis für meine Minderheit ein- zusetzen, auf die Geschichte unserer Verfolgung aufmerksam zu machen, an der sich bis heute nicht wirklich etwas geändert hat. Mangelnde Bildung zieht in der heutigen Gesellschaft unweigerlich eine soziale Ausgrenzung mit sich. Für ein ohnehin schon ausgegrenztes und diskriminiertes Volk, wie das der Roma, Sinti und allen anderen Gruppen, allgemein als Zigeuner bezeich- net oder genauer beschimpft, hat das fatale Folgen. Für sie bedeutet es, dass sie nie aus ihrem Elend raus kommen und auch kommende Generationen im selben Elend stecken bleiben; denn wir wurden seit Jahrhunderten in Europa der Verfolgung, Ausgrenzung, Diskriminiert und Vernichtung ausgesetzt.

MOE DEZ/JAN 2005/06 SEITE 19 M O E - K U L T U R . DE DEZ/JAN 05/06

NOTABENE

Die ersten Roma zogen vor etwa 1000 Jahren auf dem Balkan und haben sich seit dem sukzessiv über Europa verbreitet. Das dies ganz freiwillig geschah, ist zu bezweifeln. - Wer verlässt schon gerne ein Land, in dem es ihm gut geht und auch sonst alles OK ist? Zwar werden wir heute nicht mehr für vogelfrei erklärt, man tötet auch nicht unsere Männer, nimmt uns nicht die Kinder weg oder zwingt uns in Ehen mit Nicht-Roma, aber ein gesellschaftlicher Tod ist auch ein Tod. Und obwohl wir mitt- lerweile nicht mehr versklavt sind, so sind wir immer noch nicht frei. Systematisch getrennte Beschulung in einigen osteuropäischen Ländern, die Zwangssterilisationen an Roma Frauen, die in Tschechin und der Slowakei praktiziert werden; der explizite Betretungsverbot für Roma und Sinti in Schwedens oder Finnlands Restaurants und anderen Einrichtungen, der Abriss von zum Teil seit Jahrzehnten existierten Romasiedlungen in Bulgarien, Italien oder Griechenland – sind nur einige Beispiele aus unserer Alltagspraxis. Das jeweilige Justizsystem und die Verwaltung der meisten Länder setzen Roma nach wie vor Diskriminierung aus mit gravierenden Folgen, wie nicht zuletzt der Fall in Tschechien oder der Slowakei, Mauern um Roma Siedlungen bauen zu lassen. Alltägliche Diskriminierung und gewalttätige Übergriffe werden nicht geahndet. Aufgrund unserer gemeinsamen Geschichte tragen die Europäer, in deren Ländern wir leben, uns und unserer Lebenssituation gegenüber eine Verantwortung, aber auch ihren eigenen demokratischen Selbstverständnis zufolge, sollte man meinen -, das sich auf die Grundsätze der Menschenrechte beruft. Und die Realität? - Wir werden nach all den Jahrhunderten, die wir nun schon in diesen Ländern leben, immer noch wie Fremde, wie Migranten behandelt. Wir dürfen nicht mal über die Inschrift des Mahnmals zum Gedenken unserer Toten im Nationalsozialismus selbst entscheiden.

„Ach, und warum wohnst du nicht im Wohnwagen?“ - Es müsste den Roma-Eltern gezeigt werden, dass die Schule kein böser, kein schlechter Ort ist. Am besten wäre es, wenn die Mütter die Möglichkeit hätten, auch in der Schule in der Nähe ihrer Kinder zu sein. Wenigstens für die Anfangszeit, bis die Eltern mehr Vertrauen in die Institution Schule gewonnen haben.

Auf der anderen Seite müsste aber auch der Schutz der Kinder vor der Willkür der Lehrer und der Mitschüler gewährleistet wer- den. Es ist einfach hart als Zigeuner beschimpft zu werden und das Paradoxe dabei ist, dass es gerade und häufig die Migranten sind, die dies tun. Ich selbst wurde sehr oft von kurdischen oder türkischen Kindern geschlagen oder beschimpft. Obwohl sie selbst mit Ausgrenzung zu kämpfen hatten, fanden sie in uns ein dankbares Objekt, auf das sie herab schauen konnten. Und geholfen oder unterstützt hat mich in dieser Situation niemand. Die Deutschen sind da anders, sie schlagen nicht, sondern verletzen mit den Worten. Oft kam es vor, dass sobald ich einem Deutschen anvertraut habe, dass ich Rom bin – wobei die meisten gar nicht genau wissen, was das genau bedeutet -, rea- gierten sie mit Äußerungen wie „Ach, und warum wohnst du nicht im Wohnwagen?“, „Echt, ihr klaut doch immer die Kinder von der Straße“ oder „Ey cool, ihr müsst doch keine Steuern zahlen, oder?“. Die totale Ausgrenzung war die andere Reaktion.

Ich habe als Kind lange nicht verstanden, warum mir meine Mutter immer riet, ich soll den anderen Kindern sagen, ich sei Jugoslawe. Als ich aber dann das erste mal jemanden anvertraute, wer ich wirklich bin, habe ich den Grund von Mutters Ermahnungen auf schmerzhafte Weise erfahren müssen. Da ist es doch klar, dass man mit der Zeit unter diesen Umständen keine Lust mehr hat, zur Schule zu gehen. Andererseits ist es aber gerade für ein Kind ein sehr belastendes Gefühl, sich selbst verleugnen zu müssen, seiner Umgebung und seinen Freunden gegenüber ein „Geheimnis“ zu hütten.

Die Mühen der Ebene Wie könnte man den Roma und Sinti wirklich helfen und den Prozess der Integration ermöglichen? - Roma, Sinti und andere Gruppen meiner Landsleute in die Gesellschaft zu integrieren, ist kein unmögliches Unterfangen. Bildung ist hier von existentieller, entscheidender Bedeutung. Auch in der deutschen Geschichte gab es eine Zeit, wo die mei- sten Leute noch Bauern waren und die Kinder auch nicht zur Schule kommen konnten, weil sie auf dem Feld mitarbeiten mus- sten. Denken wir nur daran, woher der Begriff Kartoffelferien stammt, der dann in die Herbstferien umbenannt wurde. Allerdings hatten die Deutschen etwa 150 Jahre Zeit, um dahin zu kommen, wo sie heute sind.

Die Integration ist ein Prozess, es bedarf viel Arbeit über einen längeren Zeitraum und nicht nur beschränkt auf Projekte, die dann auf zwei oder drei Jahren angelegt sind. Und es kostet natürlich auch Geld. Aber beides steht schon zur Verfügung, es wird nur häufig falsch genutzt. Das liegt meiner Meinung nach auch daran, dass zu wenig Austausch zwischen Roma und den Anderen, den Gadje, stattfindet. Oft stiften Hilfsorganisationen Programme, ohne sich aber mit Roma zusammen zu tun und gemeinsam zu überlegen, ob sich das, was man vorhat, mit der Kultur, der Denkweise und der Einstellung der Roma vereinen lässt. Auf der anderen Seite sind wir Roma auf die Hilfe der Gadje angewiesen, weil uns gewisse Kenntnisse, Kompetenzen und grundsätzlich auch die Bildung fehlen. Will man also ernsthaft etwas bewegen und an der Situation ändern, muss man sich über kurz oder lang zusammen tun und gemeinsame Strategien auf einer gleichberechtigten Basis. entwerfen. Man benötigt auch mehr Berater aus der eigenen Gemeinde, weil Roma und Sinti nach wie vor Fremden gegenüber misstrauisch sind. Anders wird es nicht funktionieren.

Sehr wichtig ist weiter ein objektiver und seriöser Journalismus, eine engagierte Aufklärung in den Medien – im Fernsehen, den Zeitungen oder dem Internet. Denn die Medien tragen durch ihre reißerischen Meldungen über die Zigeuner wesentlich bei, dass die Vorurteile immer noch gesellschaftsfähig sind. Auf einem Symposium der Humboldt-Universität im Oktober 2004 erklärte der Historiker Wolfgang Wippermann: “nach EMNID hassen 68% der Deutschen Zigeuner.“ Und damit ist wirklich hassen gemeint, die Zahl derer, die nicht in unserer Nachbarschaft leben wollen, ist weit höher.

Durch das Medium Internet und das stetig wachsende Bewusstsein darüber, dass wir Sinti Roma Cale, Manusch u.s.w. zusammengehören, dass wir eine gemeinsame Sprache und Geschichte haben und in unserem Leiden nicht alleine sind, gewin- nen wir immer mehr an Selbstbewusstsein und Macht. Durch die sich erweiternde EU wird die Bevölkerungszahl bald auf eine Macht von über 15Mio. Menschen ansteigen – Spätestens dann wird man uns nicht mehr überhören oder übersehen können.

MOE DEZ/JAN 2005/06 SEITE 20 M O E - K U L T U R . DE DEZ/JAN 05/06

NOTABENE

Das anschließende Publikumsgespräch zeigte ein großes Interesse an dem Thema, zugleich wurde aber deutlich, wie gering die Kenntnisse der Geschichte der Roma und der gegenwärtigen Alltagsproblematik sind. Die anwesenden Lehrer berichteten, dass auch in Deutschland Romakinder überproportional in Sonderschulen beschult werden und ein ausgeprägter Antiziganismus unter den Lehrerkollegen keine Seltenheit ist. Die Erfahrung, sich als Roma nicht erken- nen zu geben, seine Identität zu verleugnen, um beispielsweise seine Arbeit nicht zu verlieren oder sich dadurch der alltäg- lichen Diskriminierung zu entziehen, wurde von den anwesenden Roma bestätigt. Insgesamt war die Veranstaltung ein riesiger Erfolg. Man könnte sogar sagen, sie hat den Rahmen der Erwartungen buchstäb- lich gesprengt. Denn die Veranstalter haben mit etwa 100 Personen gerechnet, gekommen sind aber viel mehr, so dass die Kapazitäten des Raumes deutlich überschritten wurden. Das offensichtliche Interesse an dieser Problematik hat mich natürlich sehr gefreut, das macht Mut und lässt hoffen. Gleichzeitig wurde mir aber auch klar, dass es noch sehr viel Aufklärungsarbeit bedarf, dass wir mit unserem Engagement so ziemlich am Anfang stehen.

Literaturhinweise: Djuric, Raijko: Ohne Heimat – ohne Grab: Die Geschichte der Roma und Sinti, Berlin 2002. Europäische Kommission: The Situation of Roma in an Enlarged European Union, Studie im Auftrag des Directorate General for Employment, Social Affairs and Equal Opportunities Luxembourg 2004. http://europa.eu.int/comm/enlargement/docs/pdf/broschure_roma_may2002.pdf; Günter Grass: Ohne Stimme: Reden zugunsten des Volkes der Roma und Sinti, Göttingen 2001. Heinschink, Mozes/Karsa, Daniel: Romani Wort für Wort, Bielefeld 2004. International Helsinki Federation for Human Rights: The Situation of Roma in Selected Western European Countries, Report to the OSCE Conference on Anti-Semitism and on other Forms of Intolerance, 8/9 Juni 2005. http://shc-campsite.mdlf.org/look/download/ihf-roma%2005.pdf. Ringold, Dena/Orenstein, Mitchell A /Wilkens, Erika: Roma in an Expanding , Breaking the Poverty Cycle, Studie der Weltbank 2003. http://www.wds.worldbank.org/servlet/WDS_IBank_Servlet?pcont=details&eid=000090341_20041223131347 Strauß, Daniel: „Da muss man wahrhaft alle Humanität ausschalten...“ Zur Nachkriegsgeschichte der Sinti und Roma in Deutschland, in: Landeszentrale für Politische Bildung: „Zwischen Romantisierung und Rassismus“, Sinti und Roma 600 Jahre in Deutschland, Stuttgart 1998, 26-36.

>> VON WEITER FERNE –

Mit Brautkleid und Hut zurück nach Deutschland Iris Paeschke nimmt Abschied von Usbekistan

Jetzt nähert sich schon mein zweites Weihnachtsfest in Zentralasien. Also das, was dort gar nicht existiert. Da muss ich mich schon mal fragen, ob ich eigentlich noch existiere. Dachte ich unlängst und fand, dass es an der Zeit wäre, Abschied zu nehmen. Von Andijan im Speziellen und Usbekistan im Allgemeinen. Abschied nehmen, von diesem wundersamen Ort, wo die Temperaturen nie über 40 Grad steigen, weil laut Gesetz ab 42 Grad nicht mehr gearbeitet werden darf. Wo Autos nur Rückspiegel haben, um die Fahrgäste auf dem Rücksitz zu beobachten. Wo Papppolizisten auf der Straße stehen, um ... den Verkehr zu regeln? Wo man morgens zart geweckt wird von dem metallisch-scharfen Ruf der wandernden Milchhändlerinnen, die ihre FRI-SCHE-MILCH mit einer scheppernden Auf- und Abwärtsquarte anpreisen. Wo im Sommer unentwegt Hochzeiten gefeiert werden, die früh um halb sechs mit Plov und laut-fröhlicher Musik beginnen, so dass alle nicht-eingeladenen Nachbarn auch daran teilhaben können. Wo Frauen den ganzen Tag im Bademantel umherspazieren ... na ja, kurz, ein Rundumwohlfühlland. Da fällt es natürlich schwer zu erklären, warum ich Usbekistan verlassen will. Wie also sag ich´s meinen Kollegen? Ich entscheide mich für die usbekischste aller Varianten: Meine Eltern haben einen Mann für mich gefunden. Sie fanden, es sei jetzt an der Zeit zu heiraten, sage ich ihnen. Verständnisvolles Nicken. In usbekischen Ohren klingt dieser Satz wie das Normalste der Welt. Und, kennen Sie ihn schon? Noch nicht. Hm, sagt einer und fügt mit einem wissenden Lächeln hinzu: Bei mir war´s auch so. Die Liebe kommt dann später von ganz allein. Die Usbeken scheinen nicht im mindesten an meinem bevorstehenden Glück zu zweifeln. Zum Abschied bekomme ich ein usbekisches Brautkleid und einen Brauthut geschenkt. Ich packe meine Sachen und lasse auf dem Weg zum Flughafen ein letztes usbekisches Taxifahrer-Interview über mich ergehen. Jetzt ist die Stunde der Wahrheit gekommen. Woher kommen Sie? Aus Deutschland. Fliegen Sie nach Hause? Ja. Hat Ihnen Usbekistan gefallen? Nein. Na ja, Deutschland ist viel schöner. Dort ist alles so schön sauber. Hier ist alles staubig. Aber das ist es gar nicht. Es sind die Menschen. Die Menschen? Warum? Wissen Sie, die fragen immer so viel. Ach ... dann kommen Sie also nicht wieder? Na ja, wer weiß. Vielleicht erwacht meine Liebe zu Usbekistan ja auch später.

MOE DEZ/JAN 2005/06 SEITE 21