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zeitschrift der dramaturgischen gesellschaft 02/14

leben, kunst und produktion wie wollen wir arbeiten? dokumentation der jahreskonferenz der dramaturgischen gesellschaft 23.– 26. januar 2014

editorial Sagen, was man denkt und tun, was man sagt outside the box:

o soll man anfangen, wenn man die diesjährige dg-Jahres- über die man im Verlauf der Konferenz so ausführlich dis- market wkonferenz zusammenfassen will? Wo aufhören? Vielleicht kutiert habe. Mit einem Zitat aus dem alten DEFA-Kultfilm war es ein Spezifikum dieser Tagung, dass es keine Bottom Spur der Steine: »Wichtig ist nur eines. Man muss sagen, was Line, kein eindeutiges Ergebnis, keine politische Forderung man denkt und tun, was man sagt.« oder gar ein künstlerisches Manifest gab. Vielleicht steht 5–7/jun am Ende die einfache, aber deswegen noch lange nicht über- In dieser Dokumentation finden Sie, neben einem ausführ- flüssige Erkenntnis, dass weniger mehr ist. Dass wir Drama- lichen Bericht über die Konferenz von Maren Kames, die turgen darauf achtgeben müssen, die Balance zu wahren: prägnantesten Vorträge von Niko Paech, Axel Haunschild zwischen künstlerischem Gestaltungswillen, Angestellten- und Ulf Schmidt sowie die auf der Konferenz vorgestellten mannheim dasein und Leitungsverantwortung, zwischen kreativer Fik- Best Practice-Beispiele aus Großbritannien und Belgien tion und institutioneller Wirklichkeit, zwischen Kunst und und die Abschlussdiskussion. Einige Eindrücke von den Leben. Oder ist das alles Work-Life-Bullshit und die Lösung zahlreichen Beiträgen der Teilnehmer geben wir skizzen- liegt ganz woanders, etwa im Übergang ins digitale Zeital- haft in den Stichworten der Open Space-Diskussionen und symposium ter? Am Ende dieser Konferenz schwirrte so mancher Kopf, einigen Randnotizen wieder. und das zu Recht. Aber der Reihe nach. ideas Wir bedanken uns bei unseren Partnern zeitraumexit und Niko Paechs Eröffnungsvortrag darf als ein Glücksgriff gel- dem Nationaltheater Mannheim sowie beim Verband deut- drafts ten. Eindrücklich vermittelte der Volkswirtschaftler der scher Bühnen- und Medienverlage für die gute Zusammen- Universität Oldenburg den Anwesenden, dass der moderne arbeit. Dankbar sind wir außerdem unseren Unterstützern: performances Glaube an stetiges Wachstum und unaufhaltsamen Fort- dem Deutschen Bühnenverein und seinem Landesverband schritt längst an seine Grenzen gekommen und ein radi- Baden-Württemberg, dem Ministerium für Wissenschaft, kales Umdenken vonnöten ist. Drei Tage diskutierten wir Forschung und Kunst Baden-Württemberg sowie der Stadt tryouts Dramaturgen also über die Möglichkeiten und Unmöglich- Mannheim, deren Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz die keiten eines solchen radikalen Umdenkens in zahlreichen Kulturpolitik als eine seiner zentralen Aufgaben begreift. speakers: Keynote-Vorträgen, Panels, Workshops und bei anderen Sein Grußwort leitet diese Dokumentation ein. praktischen Formaten. Einer der womöglich intensivs- jens badura, hendrik folkerts, anders ten Momente entstand im Rahmen einer Schweige-Perfor- Ihr dg-Vorstand härm, bojana kunst, torsten meyer, mance von Jochen Roller; einer der verblüffendsten beim Vergleich deutscher Arbeitsstrukturen mit flämischen und guillaume paoli, walking theory englischen. Den unbestrittenen Konferenz-Höhepunkt lie- ferte der zeitgenössische Dramatiker Ulf Schmidt. Der von www.otb-research.com ihm geforderte Übergang vom analogen hin zu einem Netz- theater (»Willkommen in Digitalien«) wurde im weiteren Verlauf der Konferenz an vielen Stellen aufgegriffen, kont- partners: rovers diskutiert und weitergesponnen; ein idealer Einstieg für den Open Space am Nachmittag desselben Tages in der von David Gonter gestalteten Work-Life-Oase im Foyer des Nationaltheaters Mannheim. Es waren drei Tage voller Ener- gie: Es wurde gedacht und getan, gesagt und geschrieben, gestritten und geschwiegen. Kaum vorstellbar, was dabei alles entstand. Am Ende der Konferenz blieb vor allem ein Wort von Ulrich gefördert durch die Khuon hängen. Ganz unscheinbar, kaum hörbar, am Rande des Abschluss-Panels mit Rolf Bolwin, Matthias Lilienthal, Barbara Mundel, Marion Tiedtke und Moderator Franz Wille hatte er es erwähnt: Es komme darauf an, die Dinge zu tun, 3 inhaltsverzeichnis

3 editorial 58 open space

7 grußwort 61 unternehmensethik – für das theater? Dr. Peter Kurz Daniel Ris

12 fische im think-tank 64 die zukunft hat schon begonnen Maren Kames Kerstin Retemeyer

17 zwischen wachstumswahn & askese: 65 das stadttheater der zukunft: bloß auf der suche nach einer neuen balance tapetenwechsel oder neubau? Niko Paech Isabelle Becker, Laura Kiehne, Viola Köster, Ines Schneider, Nele Winter 27 um der kunst willen Axel Haunschild 68 kleist­ - förderpreis 2014 Michel Decar mit dem Stück »Jenny Jannowitz« 33 die politische frage Franz Wille 69 neues aus den arbeitsgruppen der dg

43 auf dem weg zum agilen theater 70 die dg | impressum aus dem Vortrag von Ulf Schmidt

51 the national theatre studio- ein raum für experimente Sarah Murray

53 china plate- koalitionen für freies theater in großbritannien Ed Collier

55 jeder ist künstler. jeder ist manager, jeder ist akrobat Erwin Jans

Unser Dank gilt den Gastgebern und Förderern der Konferenz:

5 grußwort des Mannheimer Oberbürgermeisters Dr. Peter Kurz

teilte Einsamkeit: Alain Platel / Die Kraft der Selbstvergessenheit: Theater und Behinderung / Ge Niedergetrampelt: Bierbichler über Edathy / Die Kunst des Verstummens: Klaus Maria Brandauer

April 2014 • Heft Nr. 4 EUR 7 / CHF 14 / www.theaterderzeit.de

ehr geehrter Herr Holtzhauer, lieber Ulrich von Kirchbach, Veränderungsprozess in der Stadtverwaltung zu Smeine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich, machen, den wir »Change im Quadrat« genannt Sie auch von meiner Seite ganz herzlich hier in Mannheim haben. Der Untertitel von »Change im Quadrat« zur Jahresversammlung der Dramaturgischen Gesellschaft lautet »gemeinsam mehr bewirken«. Und diese begrüßen zu dürfen. drei Worte fassen sehr gut zusammen, worum es uns in diesem Prozess geht. Da steht als Zen- Sie sind hier in einer Theaterstadt, für die 2014 eine ganz tralwort zunächst einmal »bewirken«. Das ist eine besondere Jahreszahl ist. Denn 2014 begehen wir in Deutsch- Perspektivenveränderung, die uns weg vom Geld Peter Kurz ist Oberbürger- land 175 Jahre Kommunaltheater. Mannheim war dabei führt, weg von den Fragen: Wie viel Geld steht zur meister der Stadt Mannheim. das erste kommunale Theater. Daher ist der Zusammen- Verfügung? Für welche Institution, für welches hang von Stadt und Bühne in dieser Stadt vielleicht beson- Thema? Und auch weg von den Fragen: Wie viel wird produ- ders ausgeprägt. Die Geschichte dieses Hauses führt uns ziert? Wie viele Premieren? Wie viele Stücke? Wie viele Kin- unmittelbar in die Geschichte der Dramaturgie zurück. Der derkrippengruppen? Stattdessen führt es uns zu der Frage: von Lessing geprägte Begriff des Nationaltheaters, der mit Was bewirkt unser konkretes Tun in der Gesellschaft? Wel- einer neuen Art von Dramaturgie einherging, war als große che Wirkung wollen wir erreichen? Also nicht: Wie viel Ambition gegen das höfische Theater formuliert. Hier in Geld geben wir für das Thema »Angebote für Jugendliche« Mannheim wurde das deutschsprachige Nationaltheater aus? Auch nicht: Wie viel Output findet sich darin? Wie viele realisiert. Jugendhäuser? Stattdessen wird relevant: Wie können wir Mannheim versteht sich aber nicht nur als Theaterstadt, feststellen, dass sich Lebensperspektiven verbessern und sondern als Kulturstadt mit einer Vielfalt von Institutionen, Haltungen verändern? Was wollen wir tatsächlich errei- die alle zumindest zum Teil kommunal getragen sind. Das chen – und können wir das messbar machen? führt dazu, dass Mannheim den größten Kulturetat aller Der zweite Gedanke, der sich unmittelbar anschließt, Städte in der Größenklasse zwischen 200.000 und 500.000 lautet: Wenn wir als Stadt insgesamt Wirkungen beschrei- Einwohnern hat. Aber es macht noch keine Kulturstadt aus, ben, zentrale Ziele haben – für uns in Mannheim sind das viel Geld für diesen Bereich auszugeben. Es macht auch sieben sogenannte »strategische Ziele« – dann ist die Frage keine Kulturstadt aus, große Institutionen zu beheimaten. an die jeweilige Einrichtung, an die jeweilige Institution, Die entscheidende Frage ist: Was bedeuten Kunst und Kul- an den jeweiligen Fachbereich: Was ist dein Beitrag zu die- Auftreten und leuchten tur tatsächlich für uns? sen Zielen? Was ist dein Beitrag zu Teilhabe, Gerechtigkeit, Wir sehen Kultur als Treiber von Stadtentwicklung in Bildungsgerechtigkeit, Toleranz, bürgerschaftlicher Betei- vielfältiger Dimension. Die für uns relevanten Fragen sind: ligung? Das ist die Frage, die zunächst an alle gestellt wird. Gisela Höhne und das Theater RambaZamba Was macht überhaupt eine Stadt aus? Was ist eine Stadtge- Schnell kommen alle Beteiligten zu dem Ergebnis, dass meinschaft? Was ist Stadtidentität? Diese Fragen bewusst viele Wirkungen, die wir insgesamt erzielen wollen, in einer zu beantworten, die Antworten bewusst zu gestalten – das Stadt, in einer Gesellschaft, nicht von einer Seite allein zu ist ein kultureller Prozess. Dieser Prozess ist entscheidend verantworten sind. Das heißt automatisch, dass es, wenn für viele andere Bereiche, die wir diskutieren: Integration, ich nach Wirkungen frage, zu Kooperation kommen muss, soziale Entwicklung, wirtschaftliche Entwicklung. Das hat weil selten jemand allein eine Wirkung herstellen kann. bei uns zu der Überlegung geführt, uns um den Titel der Und deswegen ist das erste Wort unseres Untertitels ebenso europäischen Kulturhauptstadt zu bewerben. Dabei ist der von zentraler Bedeutung, nämlich »gemeinsam«. Es bedeu- Bestellen Sie jetzt ein Probeabo Grundgedanke wichtig, der hinter der Kulturhauptstadt tet, Kooperationsfähigkeit herzustellen. Das ist in einer steht: die gezielte Entwicklung der Stadt und ihres Selbst- öffentlichen Verwaltung nicht ganz banal. Weil die öffent- unter www.theaterderzeit.de verständnisses, die Gestaltung des Zusammenlebens und liche Verwaltung sich in besonderer Weise dadurch aus- oder per Telefon 030-2423688 die Art, wie Prozesse gestaltet, Debatten geführt und Ent- zeichnet, dass sie viele Verantwortungen und viele unter- scheidungen getroffen werden, mit Hilfe der Kultur. schiedliche Themenbereiche organisiert. Und es gibt kaum Die Veranstalter haben mich gebeten, in diesem Zu- eine Organisation, die solch eine Vielzahl von Produkten sammenhang und im Rahmen des Themas »Wie wollen zusammenfasst; für eine Stadtverwaltung sind das unge- wir arbeiten« auch einige Ausführungen zu unserem fähr zweihundert.

Anzeige_DG_179x265_2014.indd 2 24.03.14 14:34 7 Und jetzt stellt sich die Frage: Wie komme ich aus dem aus Misserfolgen und die Diskussion über selbige als kon- Aufgabe, auch an den Grundpfeilern und Voraussetzungen raus, was die Verwaltungswissenschaft »Silodenken« nennt: struktiv erachtet wird, ist das Problem weitaus geringer als von Gesellschaftlichkeit und Demokratie zu arbeiten. Die »Ich habe mein Thema und meine Verantwortung.« Für bei uns. Worüber wir also zwangsläufig reden, ist nicht nur öffentlichen Institutionen sind gesellschaftliche Akteure übergreifende Fragestellungen müsste ich allerdings koope- über veränderte Konzepte und Strategien, wir reden über und nicht allein Dienstleister. rieren und müsste wahrnehmen, was andere an Aufgaben Kulturwandel. Das ist der Rahmen, den wir jetzt mit »Change im Qua- haben und darauf aufbauend dann zu einer neuen Art von Kulturwandel ist immer eine erhebliche Herausforde- drat« seit sechs Jahren auszufüllen versuchen. Er hat ver- vernetztem Denken kommen. rung, weil Wandel das ist, was uns Menschen am schwersten schiedene Schwerpunkte, die ich im Einzelnen aus Zeit- Zu unserem Neujahrsempfang hatten wir den briti- fällt. Das kann ich auch im Hinblick auf den Umbauprozess gründen nicht darstellen konnte. Ich hoffe, dass mein schen Stadtforscher Charles Landry für einen Vortrag ein- in den letzten sechs Jahren bestätigen. Die Kulturverände- Bericht ein Impuls für die Diskussionen über die Zukunft geladen. Landry hat den Begriff der »Creative City« geprägt. rung ist der Teil, der am längsten dauert und der entspre- Ihrer Arbeit sein kann. Ein Begriff, der auch für uns von Bedeutung ist, da wir die chend die höchste Anforderung in sich trägt. Zielvorstellung der »Kreativen Stadt« in unsere strategi- Wir sind eingestiegen mit der Erwartung, dass es schwie- schen Ziele aufgenommen haben. Bei einem Gespräch mit rig werden wird, wenn man Fachbereiche neu zuschneidet Landry wurde mir bewusst, dass zwischen »change« und und wenn man Prozesse verändert. Das schienen die gro- dem Anspruch »Kreative Stadt« ein unmittelbarer Zusam- ßen Herausforderungen. Aber sie sind es nicht. Denn wir menhang besteht. Seine These ist nämlich, dass eine der haben mittlerweile gelernt, dass dies machbar, sogar rela- Grundvoraussetzungen für eine »Kreative Stadt« das hori- tiv schnell machbar ist. zontale Denken ist. Horizontales Denken in Abgrenzung Aber eine ganz andere Dimension hatte der Umgang zum vertikalen Denken. Wenn eine Stadt nicht in der Lage mit den Fragen nach Verhaltensveränderung, nach echter ist, das zu organisieren, kann sie letztlich auch nicht die Kooperationsfähigkeit und nach der Auseinandersetzung Rahmenbedingungen für das Entfalten von Kreativität schaf- mit der eigenen Situation. August Bebel hat gesagt, die fen. Dies betrifft nicht nur die Verwaltung, sondern natür- wahrhaft revolutionäre Tat sei es, zu sagen was ist. Das ist lich auch die Stadtgesellschaft insgesamt. Insofern sind tatsächlich so. Damit überhaupt zu beginnen, einen offe- die Anforderungen »gemeinsam« und damit »horizonta- nen Diskurs herzustellen, auch innerhalb einer Organisa- les Denken« absolut zentral für die Verwaltung wie für die tion, sich offen und möglichst sachbezogen auszutauschen Stadtgesellschaft. – das ist neues, unbekanntes Land. Es sind drei Wahrnehmungen öffentlicher Verwaltung, Die Organisationssoziologie sagt, dass zwölf Jahre für die uns dazu getrieben haben, ein so umfassendes Projekt einen Kulturwandel ein sehr realistischer Zeitraum sind. anzugehen. Die eine ist, dass interessanterweise nie über Dazu kann ich sagen, dass diese Zeitspanne uns, die wir Ergebnisse gesprochen wird. Es gibt eine Ausnahme, aber den Weg selbst seit sechs Jahren gehen, als angemessen die kam nicht aus Deutschland. Das war PISA. Wir sind erscheint, denn es ist ein sehr umfassender Prozess. Diese praktisch erstmals »von außen« evaluiert worden. PISA Einschätzung teilen mit mir auch viele Mitarbeiterinnen brachte uns zum ersten Mal dazu, dass wir wirklich einen und Mitarbeiter und Personalvertretungen. öffentlichen Diskurs über die Ergebnisse von Politik und Und nun ein paar Sätze zur dritten Dimension der Ver- über die Ergebnisse von öffentlicher Verwaltung im Sinne änderung, die mir besonders wichtig ist: die gestalterische von Auswertung geführt haben. Das sind wir in Deutsch- Dimension. Es war aus dem Blick geraten, dass eine öffent- land nicht gewohnt. Vielleicht hat das mit dem Erbe des Idea- liche Verwaltung nicht allein einen Dienstleistungsauftrag, lismus zu tun, zu sagen wir wissen doch was richtig ist sondern auch einen gesellschaftlichen Gestaltungsauftrag und wenn es theoretisch stimmt interessiert uns die Pra- innehat. Von dem früheren Verfassungsrichter Böckenförde xis nicht so sehr. Das ist vielleicht eine deutsche Denktra- stammt die Aussage: »Der Staat lebt von Voraussetzungen, dition. Es ist durchaus interessant, diese Haltung durch die er selbst nicht schafft.« Das ist der Verweis auf Kirche, einen internationalen Kontext herauszufordern. Und das auf Familie etc., auf wertbildende und Haltungen bildende ist zunächst einmal ein Ausgangspunkt, um zu fragen: Was Institutionen. Daraus ist teils der Schluss gezogen worden, sind überhaupt Ergebnisse? Was wollen wir erreichen? Und dass wir uns als öffentliche Verwaltung nicht um die eige- schauen wir uns Ergebnisse an und reden wir offen darüber nen Voraussetzungen für Demokratie kümmern müssten – auch über Misserfolge? In Kulturen, in denen das Lernen oder sogar dürften. Das führt in die Irre. Es ist gerade unsere 8 9

fische im think-tank Maren Kames

m Jahr 2005 begann David Foster Wallace eine Rede mit fol- Nun erzählt die Fischgeschichte von Wallace auch von der lachen lässt, das sei doch, wirft Paech ins Publikum, »Ihr neuen Authentizitäts- und Kreativitätsimperativ. Hinter i gender Parabel: There are these two young fish swimming along einfachen Wahrheit, dass die unmittelbarste Umgebung oft Job, oder nicht?« dem »unternehmerischen Selbst« und seiner dauerhaf- and they happen to meet an older fish swimming the other way who am schwierigsten in den Blick zu bekommen ist. Es braucht Als Eröffnungsfanfare ließe sich Paechs Denkanstoß ten Selbstvermarktung warte das »erschöpfte Selbst«, das nodds at them and says: Morning, boys. How´s the water? And the jemanden, der einem aus anderer Richtung entgegenkommt mit der Hamburger Band Die Sterne auch so zusammenfas- einem mehr oder weniger diffusen Gefühl permanenten two young fish swim on for a bit, and then eventually one of them und die entscheidenden Fragen stellt. Auf solche diame- sen: »Wir müssen nichts so machen wie wir’s kennen, nur Ungenügens ausgesetzt ist. Das kann, so Haunschild, auch looks over at the other and goes: What the hell is water? 1 tralen, augenöffnenden Denkanstöße setzt die Konferenz weil wir’s kennen wie wir’s kennen.« – Das Feld ist maxi- unter dem Deckmantel jenes klassischen Bohème-Lebens- Foster Wallace meint das Wasser, in dem wir täglich mit Referenten aus fremden Ländern und Disziplinen. Sie mal geöffnet. Und wird am nächsten Konferenzvormittag stils passieren, den Theaterschaffende nicht zuletzt deshalb schwimmen, die stromlinienförmigen Bewegun- stellt ein Programm zusammen, das auf möglichst breiter, bestellt mit Geschichten der Arbeit aus mindestens vier pflegten, um die teils selbstgewählte, teils eingeforderte gen, mit denen wir uns so routiniert wie hektisch gesamtgesellschaftlicher Ebene zu denken beginnt, inter- Perspektiven. Einen historisch-grafischen Anfang macht Fusionierung von Arbeit und Leben und die Unterordnung durch das Fahrwasser des Alltags bewegen. Und disziplinäre und internationale Perspektiven vorstellt und Torsten Bewernitz, dessen Vortrag work in progress. Arbeit im des Privatlebens unter die Arbeit zu legitimieren. Ande- zeigt eine Möglichkeit, diesen frustrierenden Rou- von dort aus immer weiter in die Interna der theatralen Wandel blitzschnell und live von Parastu Karimi und Ans- rerseits könnten gerade die künstlerische Selbstwahrneh- tinen, den festgefahrenen Denkmustern etwas ent- Arbeitswelt zoomt; ein Programm, das darauf ausgelegt gar Lorenz illustriert wird. Zu sehen sind: Marx, die hand- mung und die intrinsische Motivation zur kreativen Aufop- gegen zu halten: »simple awareness«, die schlichte ist, durch den fremden Blick das Eigene anders zu sehen. betriebenen Pflüge der vorindustriellen Landwirtschaft, ferung, die mit diesem Lebensstil verbunden sind, auch als wie schwierige Kunst, gegenüber sich selbst und Den ersten Weitwinkel setzt Wirtschaftswissenschaft- Maschinen, die im Lauf des 19. Jahrhunderts die Handarbeit Methode zur Burnout-Prävention funktionieren. Maren Kames studierte dem, was einen tagein, tagaus umgibt, aufmerk- ler Niko Paech. Er schwört dem Wachstumsimperativ moder- ersetzen, Fabriken, die die fortschreitende Industrialisie- Die Macht der Diskurse wird jedenfalls an diesem Frei- Kulturwissenschaften, sam zu bleiben. ner Konsumgesellschaften ab und stattdessen auf das rung verbildlichen. Es geht um Reproduktions-, Subsistenz- tagvormittag im Schauspielhaus insofern spürbar, als spä- Philosophie und Theaterwis- senschaft in Tübingen und Modell einer Postwachstumsökonomie als unumgängli- und Sklavenarbeit, um Fließbandarbeit, Rationalisierung testens nach dem nun folgenden Vortrag der Arbeits- und Leipzig, außerdem Kreatives »How‘s the water?« – ist im Kern auch das Anliegen che Alternative. »Die Wachstumsparty ist vorbei!«, ruft er und Taylorisierung, schließlich um Virtualisierung, Crowd- Organisationspsychologin Erika Spieß auch der letzte, Schreiben und Kulturjourna- der diesjährigen Jahreskonferenz der Dramaturgi- in eine Zeit, in der das Prinzip, über seine Verhältnisse zu working, Outsourcing und Schwarmarbeit. Am Ende der noch so vitale Konferenzteilnehmer deutlich erschöpfter, lismus in Hildesheim. Sie war schen Gesellschaft. Denn die Leitfrage »Wie wol- leben, omnipräsent ist. Er spricht von Konsumverstopfung Schlagwort- und Bildstrecke liegt ein Clown in einer Hän- mindestens betretener, wenn nicht therapiebedürftiger als Mitherausgeberin der len wir arbeiten?«, unter der man sich zum kollekti- und Strukturaufblähung, von längst überschrittenen mate- gematte, der schlecht gelaunt sein Recht auf Unsinn und zuvor im Sessel zu hängen scheint – obwohl, oder vielleicht Literaturzeitschrift BELLA triste und Teil verschiedener ven Think-Tank in Mannheim versammelt, greift im riellen, finanziellen und psychischen Wachstumsgrenzen, Unproduktivität als Bedingung für die Aufrechterhaltung gerade weil, ihr Vortrag über die Perspektiven der Kooperation literarischer und nicht-litera- Falle dieser Berufsgruppe auf weit größere Bereiche von Reizüberflutung, Zeitknappheit und Überforderung von Kreativität verkündet. aus organisationspsychologischer Sicht streckenweise an eine rischer Projekte. Momentan über als auf ein klar abgestecktes nine to five und die in Zeiten entgrenzter Konsummöglichkeiten und schier Auf die Hängematte bezieht sich indirekt auch Axel Einführungsvorlesung im Grundstudium Psychologie erin- lebt sie als freie Autorin in Effizienz seiner Produktionsabläufe. Sie gibt Anstoß unendlicher Mobilität. Davon, dass eine Befreiung vom Haunschild in seiner Keynote über die Arbeitsbedingungen nert. Einzig beim Stichwort »Pseudokooperation« zeigt ein Leipzig. zur selbstkritischen Bestandsaufnahme, die den herrschenden Überfluss keine Verzichtleistung sei, son- im Kreativsektor. Nämlich als Sinnbild einer Fun-Kultur der Sitznachbar Regung und flüstert etwas von eigenen Erfah- gesamten Zusammenhang von Arbeit und Leben, dern Selbstschutz, und Freiheit nicht heiße, viel zu haben, Arbeit, wie sie aus den freizeitpark-ähnlichen Headquar- rungswerten im Theater.

1 David Foster Wallace: Das Kunst und Produktion umfasst. Unter dem Ein- sondern auch, wenig zu brauchen. »Lebt eigenhändig, sou- ter-Komplexen der Software- und IT-Giganten von Google Nach der thesen- und theoriestarken Power-Point-Parade hier ist Wasser / This is druck, das Wasser stehe einem mindestens bis zum verän und unerpressbar!«, ruft er. Es gehe nicht um Mehr- bis Facebook im südkalifornischen Silicon Valley längst des Vormittags scheint es zunächst erfrischend, dass Tho- Water, Kiepenheuer & Witsch Hals, entzieht sich die Konferenz für vier Tage dem produktion, sondern um alternative Nutzung. Ansagen, die auf andere Kontinente und Branchen herüber geschwappt mas Vašek, studierter Mathematiker und Volkswirt, Autor 2012. Ein zehnminütiger, Strom der Produktionsturbinen, um zu schauen: In sich, so global und grundsätzlich sie formuliert sind, auch ist. Diese unternehmerischen Lounge-Kulissen und das und selbsternannter Philosoph, während seiner Präsenta- unbedingt sehenswerter welche Richtung schwimmen wir? Welchen Strö- auf ein Theater anwenden lassen, das bei aller Einschrän- dahinter stehende Feelgood-Management, mit dem Arbeit tion frei über die Bühne mäandert. Allerdings tut das auch Videoclip mit einer gekürzten Audioaufnahme der Rede mungen setzen wir uns aus? Ist es Zeit für einen kung durch Kürzungspolitiken tendenziell mitspielt im dem äußeren Anschein nach Freizeitaktivitäten ähnlich sein Beitrag und kommt dabei nicht wirklich weit hinaus findet sich hier: Kurswechsel? Produktionsrennen um den größten, besten, publikums- wird, haben – mindestens aus Sicht des Arbeitswissen- über das doch relativ schlichte Abkanzeln der dualistischen http://bit.ly/1jkex5a. Zwischen den Spielstätten des Nationalthea- wirksamsten Output. Schließlich gehe es darum, so Paech, schaftlers – neben immerhin atmosphärischer, wenn nicht Trennung von Arbeit und Leben als »work-life-bullshit«. ters, das 2014 seinen 175-jährigen Geburtstag fei- die Krisen und Umbrüche, vor denen wir unabwendbar und tatsächlicher Entspannung auch den zwiespältigen Effekt, Vašek erklärt: »Arbeit hat viel mehr Dimensionen, als dass ert, und dem erst im Jahr 2000 gegründeten Künstlerhaus notwendigerweise stehen, so zu verarbeiten und zu nutzen, Arbeitsdruck zu verschleiern. Während die im Kreativsek- Sie damit Geld verdienen!« Arbeit schaffe soziale Kontakte. zeitraumexit trafen vom 23. – 26. Januar freie wie angestellte dass nicht nur ein angstfreier Umgang mit ihnen möglich, tor typischen Strukturen, ihre flachen Hierarchien und pro- Es fänden sogar Diskurse statt am Arbeitsplatz. Aus diesen Dramaturgen, Regisseure, Schauspieler, Autoren, Vertre- sondern auch ihr überraschendes, kreatives Potenzial sicht- jektbasierten, flexiblen Arbeits- und Lebensformen mehr mittelsteilen Prämissen deduziert er: Wir brauchen nicht ter der Stadt-, Landes- und Staatstheater sowie der freien bar wird. Er erinnert an die leeren vierspurigen Autobahnen und mehr zum Vorbild für Umgestaltungsprozesse in ande- mehr Freizeit, sondern mehr »gute« Arbeit. Also solche, Szene, Theatermacher kleiner und großer Häuser aus Ost zu Zeiten der Öl- und Energiekrise in den 70er Jahren und ren Berufsfeldern werden, stelle sich andererseits die Frage, die nicht nur äußere Güter, sondern auch »innere Werte« und West aufeinander. Etwa 280 teilnehmende Gäste und daran, wie in dieser Endzeitstimmung plötzlich ein klei- welche neuen Belastungs- und Anforderungsformen dar- vermittele, »sinnstiftend« sei, dem Menschen und seinem 40 Referenten, ein denkbar diverses Sammelbecken ver- ner Junge mit ausgestreckter Zunge auf einem Bonanza- aus entstehen. Nach dem Diagnosen-Katalog der Sozial- »Recht auf Selbstverwirklichung« entspreche. Eine phra- schiedener Berufsbilder und -interessen also, das hier als Fahrrad durchs Bild rollt oder eine mehrköpfige Familie wissenschaften, den Haunschild im Gepäck hat, führt senreiche Brandrede, die einigermaßen deplatziert wirkt ein Biotop zusammenkommt. die fahrzeugfreie Betonwüste als Grillplatz benutzt. Kri- die stärkere Integration von Selbstverwirklichungsantei- vor einer Branche, die die von Vašek verteufelte Trennung sen so zu gestalten und zu bebildern, dass sich darüber len und »Persönlichkeit« in den Arbeitsprozess zu einem von Arbeit und Leben seit jeher, sagen wir von berufs 12 13 2 Carl Hegemann im wegen, längst überwunden hat – und gerade des- seits aller rationalen Zeitökonomie etwas hergestellt, das det in der Work-Life-Oase Yoga ohne Umziehen statt, vor ger Tendenzen Talente zu finden und zu fördern, sich mit Vorwort zu Pörksens Buch halb zusammenkommt, weil ihr die Konsequen- kein vorgängiges Interesse bedient und keinen Nutzen kal- den Spielstätten steht eine mobile Sauna, mit echtem Aus- ihnen auf unwägbare, überraschende Prozesse einzulas- Verschwende deine Zeit. zen daraus mindestens stellenweise problematisch kulieren muss, und die Zuschauer gucken sich das an, ohne ziehen. Gleichzeitig ist die Oase nicht nur Ort der Entspan- sen, dem Ausprobieren zu verschreiben, einem Möglich- Ein Plädoyer, Alexander 2 Verlag 2013, S. 17 geworden sind. Wenn einer im Rampenlicht die einen bestimmten Nutzen davon zu erwarten.« nung, sondern auch der Konfrontation. So kann es passie- machen. Hier ein dreistimmiges Patchwork-Cut-Up ihrer Arbeit theoretisch als »komplexe Lebensform« fei- Julian Pörksen hat außerdem einen Film darüber ge- ren, dass man beim absichtslosen Herumspazieren in eine Statements, Arbeitsweisen und Visionen: ert, während denen davor die Überkomplexität in der Pra- macht, wie sich einer hinsetzt und nichts mehr tut. Der läuft kleine Box gerät, in der Tanja Krone hinter einem Stehtisch xis über den Kopf wächst, scheint das vor allem ignorant abwechselnd mit Carmen Losmanns Dokumentarfilm Work mit 25 Fragen zum Ist-Zustand des Arbeitsalltags ihrer Besu- we see ourselves as BROKERS OF OPPORTUNITIES | stay 3 Hier kann nur eine dürftige vor dem Hintergrund, dass selbst in der Kultureinrichtung hard / Play hard in der Lobby des Werkhauses vom National- cher wartet: »Wo fängt deine Arbeit an? Wofür bekommst contemporary, relevant and INNOVATIVE | live and work like Nachbildung dieser Wasserbombe stattfinden. Theater – und das wissen die im Bühnenraum vermutlich theater und heißt: Sometimes we sit and think and sometimes we du Geld? Rechnet sich deine Arbeit? Was heißt hier Leis- an ACROBAT, who lives in a field of constant tensions | that In ihrer vollumfänglichen sehr genau – nicht jede Arbeit so großartig selbstverwirk- just sit und könnte damit auch Titel des von Jochen Roller tung? Wie lässt sich ein Gleichgewicht zwischen Kunst und refers to discipline, excercise, creativity, risk, experience, Sprengkraft findet sie sich lichend sein kann, wie der da oben es gern hätte. angebotenen Workshops Really Nothing sein. Apparat herstellen? Wo und wie nimmst du Einfluss? Was intuition, trust | it´s no point in trying to solve these TEN- Powerpointmaterial auf Der Nachmittag wird beweglicher und interaktiver. Die Anleitung zur Übung: »just sit«. Ein karger, neonbe- war das größte Risiko, das du eingegangen bist?« Zusatz- SIONS, they are essential for his work | negotiate these ten- www.dramaturgische- Während im Werkhaus um die Ecke über die Kommunika- leuchteter Raum im zeitraumexit, Tische, Stühle, 20 Men- frage für alle: »Was ist qualitativ gute Kunst?« sions | celebrate artistic experimentation and RISK TAKING gesellschaft.de tion zwischen Verlegern und Dramaturgen diskutiert wird schen, 45 Minuten. Zwischen den sich gegenübersitzenden Fragen, die sich so oder ähnlich auch vor der im Foyer | focus on the PROCESS | our passion is to make work that und art but fair-Mitglied Daniel Ris im oberen Foyer des Paaren nichts, kein Wort, keine absichtsvollen Gesten, keine platzierten Wanderausstellung von Gesche Piening und is narratively engaging and formally ADVENTUROUS | help to Nationaltheaters über Unternehmensethik für das Thea- intendierte Kommunikation, nur Wasserflaschen und für Ralph Drechsel stellen. Sie zeigt auf Basis von Zahlen aus give the artist´s early ideas the best chance to shine | take ter spricht, berichten Turbo Pascal im unteren Stockwerk jeden ein Lolli. Sich der Ereignislosigkeit aussetzen, die Zeit dem Report darstellende Künste (2010) die Lebens- und Arbeits- the audience to an UNEXPECTED JOURNEY | placing complete von ihrem künstlerischen Langzeit-Forschungsprojekt im absitzen, kollektive Untätigkeit. Manchmal hört man jeman- bedingungen freier Tanz- und Theaterschaffender in zwölf TRUST in the artists to realize their ideas | give them space Rahmen ihrer Doppelpass-Kooperation mit dem Stadtthea- den trinken. Einer steht auf und geht. Die Blicke schwei- pointierten Grafiken. Ein bis allerhöchstens drei Prozent and time, administrative supports and creative inspira- ter Freiburg. Über den Verlauf eines ganzen Jahres prob- fen, man beobachtet zufällig irgendwas. Manche schlie- des öffentlichen Gesamthaushalts stehen der Kultur zur tion | introduce them to other creative minds who might ten sie, »als Kollektiv durch die Strukturen des Hauses zu ßen die Augen. Man wechselt die Sitzposition. Manchmal Verfügung, von diesem winzigen Etat wiederum gehen 0,3 take them off in an unexpected but wonderful direction | toben«, also die kollektive Arbeitsweise einer freien Gruppe kratzt sich einer. bis maximal 2,5 Prozent an freie Theater. Rechnet sich vor encourage an HONEST DIALOGUE about the succes or failure of mit den arbeitsteiligen Strukturen und Prozessen innerhalb Danach die Frage: War das jetzt verschwendete Zeit? diesem Hintergrund deine Arbeit? Wofür bekommst du those ideas | pay the artist for all of this | expect nothing in des Stadttheaters aufeinandertreffen zu lassen. Wie war die Zeit? War das »really nothing«? – Offenbar war Geld und was heißt Leistung, angesichts von 33 Prozent return except the COMMITMENT from that artist, that they‘re Am gegenüberliegenden Ende des Foyers geht es kon- es sehr viel Verschiedenes. Man spricht über die Gruppen- Gehaltsunterschied zwischen den Geschlechtern? Nach open to experimentation and play | the work we make is templativer um Zeitverschwendung. Julian Pörksen wundert dynamik von Bewegungen und Geräuschen, von hochkon- 45 Berufsjahren liegt die durchschnittliche Rente der Frei- always done with the principle of friendship and collabo- sich leise über die Mechanismen, mit denen jede Freizeit- zentrierten, völlig zerstreuten oder angenehm benebelten schaffenden bei 427,50 Euro – welche Art von Sicherheit ration | we don´t make work because of the financial poten- aktivität sofort wieder in einen Zweck-Nutzen-Zusammen- Gedankengängen, eine spricht von einer ganz großarti- brauchst du? Eine so zynische wie treffende Antwort gibt tial it has, but because we feel it has something IMPORTANT hang gebracht wird. Die schon begrifflich anstrengende gen Inspiration. der Titel der Ausstellung: brenne und sei dankbar. to say about the world we live in | we believe, that experi- Methode des Power-Nap oder die Frage, welche Sorte Yoga Überlegungen zur Zeitverschwendung werden auch Am nächsten Morgen ändert sich die Strömung. Die mental work can and should have a broad appeal | fight for die effektivste sei, scheine sämtliche Entspannungsme- angestellt im Foyer des Nationaltheaters, das vom Bühnen- drei, die jetzt unter dem Programmpunkt »Impulse aus the UNMEASURE, continue to produce it, try to find out what thoden selbst zu Teilen eines Produktivitäts- und Optimie- bildner David Gonter mit Plastikpalmen, Sonnenstühlen, dem Ausland« auf die Bühne kommen, wirken nach den that unmeasure is | KEEP DISTANCE from what is called crea- rungsparadigmas zu machen. Wie geht dann eigentlich einem zum Springbrunnen umfunktionierten Bauschutt- gedanken- und bedenkenvollen bisherigen Konferenz- tive industry, because it´s already to much involved with richtig absichtsloses Zeitvertrödeln, Bummeln, Schlum- container und gelbem Licht zur Work-Life-Oase ausgestal- stunden wie Regenbogenfische aus einem anderen, bun- the measure, with what is calculated | SEE RISKY IDEAS BECO- mern, Rumgammeln? Pörksen hat Antworten und Bei- tet ist. Hier halten sich die Künstler vom offenen Netzwerk ten Biotop. Sarah Murray vom Studio des National Theatre MING SOMETHING BRILLIANT. spiele gesammelt: Becketts zur Tatenlosigkeit verdammten geheimagentur auf und haben einen losen Plan: Sie stellen, of Great Britain, Ed Collier, Co-Direktor und Mitbegründer Clown, Benjamins Flaneur, Melvilles Verweigerungskünst- gezielt oder ungezielt, absichtlich oder aus Versehen, in von China Plate London, und Erwin Jans vom Antwerpe- Und dann kommt in das durch diese Impulse weit geöff- ler Bartleby, Eichendorffs Taugenichts und in Ansätzen von spontanem Austausch oder gemeinsamem Nichtstun mit ner Toneelhuis stellen zwar keine großformatigen Fragen nete Becken der wohl dickste Fisch der gesamten Konfe- Barthes, Bataille und Schlegel. Helden des Müßiggangs vorbeikommenden Konferenzteilnehmern Forschungen und Thesen in den Raum, berichten aber so plastisch und renz geschossen – und schmeißt Wasserbomben. In einer sind für ihn auch Leonce und Lena, deren ausschweifen- an, die die Gründung einer Agentur für Zeitverschwendung vor- prägnant aus ihrer unmittelbaren Arbeitspraxis, dass ein Mischung aus analytischer Schärfe, wahnsinniger Wert- des, frei assoziierendes Herum-Monologisieren ihn auf die bereiten sollen. Gemeinsam will man den Zeitverschwen- Bild davon entsteht, wie vielschichtig, inspiriert und span- schätzung der eigentlichen Potenziale und ehrlicher Ver- Idee brachte, ab und zu mal »bei sich selbst ins Theater zu dungsstrategien der Konferenz auf die Spur kommen und nend organisiert zeitgenössische Theaterproduktion ausse- zweiflung über den akut desolaten Zustand liest Ulf Schmidt gehen«, dem eigenen Kopf ungesteuert beim Denken zuzu- eigene Zeitverschwendungsservices entwickeln; wie und hen kann. So unterschiedlich ihre Institutionen aufgestellt dem deutschen Theater der Gegenwart kräftig die Leviten – sehen. Theater ist für Pörksen sowieso ein »idealer Ort [für was genau dabei passiert, ist ergebnisoffen. und strukturiert sind, scheinen sie doch eine ähnliche Hal- und zeichnet zugleich die Vision eines Theaters der Zukunft, solche Strategien], denn es ist eine der Zeitverschwendung Das dicht getaktete Konferenzprogramm hat selbst tung zu teilen: das Selbstverständnis als experimentierende die einen radikalen Kurswechsel nicht nur unbedingt not- gewidmete Institution, hier wird mit großem Einsatz jen- Entspannungsmomente eingeplant: Allmorgendlich fin- Laboratorien, dazu da, im pulsierenden Pool gegenwärti- wendig, sondern möglich und umsetzbar scheinen lässt.3 14 15 zwischen wachstumswahn und askese: auf der suche nach einer neuen balance

Niko Paech

In wenigen, erschreckenden Zahlen beamt Schmidt die temporären Mini-Think-Tanks unter jeweils einem gemein- 1. Das Spiel ist aus schleichende Abwicklung der deutschen Theaterlandschaft samen Anliegen zusammen, ein flirrendes paralleles Den- Technologische, politische oder kommunikative Nachhal- Kommunikationsstrategien, Lernprozesse oder als reale Gefahr auf die Projektionsleinwand. »Kürzen, Per- ken und Debattieren. Die Teilergebnisse dieser konspirati- tigkeitsbemühungen orientierten sich bislang an einer öko- Managementkonzepte motiviert werden könnte, hat sonal abbauen, zusammen legen, schließen – so sieht es ven Arbeitsgruppen finden sich am nächsten Tag auf bunten, logischen Modernisierung. Dieser ideologische Überbau nicht einmal das ohnehin dürre Spektrum nachhal- aus, wenn Branchen platt gemacht werden.« Katastrophal wild gestalteten Plakaten in der Lobby Werkhaus des Natio- liefert vermeintlich aufgeklärten Konsumgesellschaften tigkeitskompatibler Alltagspraktiken stabilisieren seien aber nicht allein die blanken Zahlen, sondern die naltheaters, wo man sich nach dem Empfang des Verbandes ein Alibi dafür, den Wandel zum Weniger bis auf unbe- können, welches Ende der siebziger und Anfang der Gleichgültigkeit, mit der die breite Öffentlichkeit auf diese Deutscher Bühnen- und Medienverlage in der Nacht zuvor stimmte Zeit aufzuschieben oder als unnötig abzulehnen. achtziger Jahre vorübergehend erkennbar wurde. bestandsgefährdenden Entwicklungen reagiere ohne jede und dem morgendlichen dg-Mitgliederbrunch mit entspre- Denn schließlich, so die Hoffnung, könnte ein techni- Ausnahmslos alle gesellschaftlichen Nischen, die

Rebellion. Der Grund: Theater wirkten nicht mehr in die chend kleinen Augen zu den letzten Veranstaltungen der scher Wandel das Nachhaltigkeitsproblem ohne mühevolle sich ökologisch-progressiv gerieren, wurden inzwi- Niko Paech ist Wirtschafts- Gesellschaft hinein und die Gesellschaft finde sich nicht Tagung trifft. Es ist der Mittag der Intendanten und Elefan- Umstellungen und Anspruchsmäßigungen lösen. Dumm schen von materieller Aufrüstung, Digitalisierung, wissenschaftler und Professor mehr im Theater wieder. ten. Nicola May und Ulrich Khuon berichten als »Fallbei- nur, dass es ausgerechnet viele der zu diesem Zweck ent- kerosintriefender Mobilität sowie von einer nie für Produktion und Umwelt Diese Gesellschaft stehe im Zeichen einer fundamenta- spiele« von der Arbeit als Leiter ihrer Häuser und den prinzi- wickelten Effizienz-, Energiewende- oder sonstigen Green dagewesenen Einwegmüll- und Elektronikschrott- an der Carl von Ossietzky len Zäsur. Schmidt nennt es das Zeitalter der digitalen Nais- piell rezeptfreien Manövern, mit denen sie die heterogenen New Deal-Innovationen sind, die den materiellen Raubbau lawine erfasst. Der Versuch, Nachhaltigkeit jenseits Universität Oldenburg. sance und sagt: »Wir leben in einem revolutionären Umbruch Berufsbilder und -interessen dieser »kleinen Gesellschafts- sogar intensivieren, indem sie bislang verschont geblie- glaubwürdiger Lebensstilvorbilder zu kommunizie- ohne revolutionäres Subjekt, ohne revolutionäres Konzept, modelle« unter einem Theaterdach koordinieren. In einer bene Naturgüter und Landschaften einer »grünen« Ver- ren, hat sich längst ad absurdum geführt. ohne revolutionäre Utopie. Diese Veränderung überfor- letzten Podiumsdikussion versammeln sich Rolf Bolwin, wertung zuführen. Jetzt geht es nicht mehr um die Vermeidung des Kollap- dert jeden und es gibt keine Institution, die hier als refle- Mathias Lilienthal, Barbara Mundel und Marion Tiedtke um Alle Fakten legen nahe, endlich mit einem Reduktions- ses, sondern nur noch um seine bestmögliche Gestaltung. xives Auge im Sturm agiert, es sein denn: das Theater der die Frage »Wie können – oder müssen – wir zukünftig arbei- programm ernst zu machen, statt ein »Green Growth« zu Was könnte die Beendigung einer egozentrischen Konsum- nächsten Gesellschaft. Weil Theater der einzige Ort ist, an ten?«. Der Raum ist so voll wie die Köpfe, die Luft relativ ver- beschwören. Das Konzept der »Postwachstumsökonomie« und Mobilitätskultur mehr erleichtern als Argumentations- dem sich Analoges und Mediales treffen und reflektiert braucht, die Diskussionsansätze nicht unbedingt. Trotzdem böte sich als Alternative an. Allerdings würde es erstens hilfen, durch die sich ihrem Dahinscheiden etwas Positives werden können […]. Weil Theater ein Ort der Gesellschaft bleiben sie eher quer gegeneinander stehende Statements – bescheidenere und zweitens eigenständigere, also gradu- abringen lässt? Darauf soll im Folgenden skizzenhaft ein- in der Gesellschaft ist, an dem sich in Gesellschaft über möglicherweise ist die Frage doch zu groß, die Perspektiven ell auf Subsistenz beruhende Versorgungsmuster vorausset- gegangen werden. Sodann werden die Konturen der »Post- Gesellschaft ästhetisch reflektieren lässt.« Dieses Theater zu verschieden für die knapp bemessene Zeit. zen, somit die zeitgenössische Komfortzone in Frage stellen. wachstumsökonomie« (Paech 2008, 2012) besichtigt. der nächsten Gesellschaft verstehe sich als Teil der Netzge- Danach wird es still. Dharmacarin Sunayaka spricht Unabdingbar wären Lebensstile, die mit hoher Spezialisie- sellschaft, es sei wagemutig, neugierig und provozierend, mit seiner buddhistischen Meditation zum Abschluss der rung und Konsumorientierung kaum vereinbar sein können. 2. Kleiner Almanach der Wachstumskritik vielformatig, spielerisch und komplex in seinen Erzähl- Konferenz ein Bewusstsein an, das nach vier durchdachten Das Leben in einer Postwachstumsökonomie meistern zu 2.1 Reichtum durch organisierte Verantwortungs- weisen. Es verwandle sich vom Industrietheater zum agi- Tagen zur Abwechslung nicht analytisch in den Synapsen können ist keine Frage der Einsicht, des Wollens oder der losigkeit len Theater, arbeite kollaborativ und kollektiv, sei Zent- ausgelöst wird, sondern beim Körper anfängt. Eine andere bekundeten Akzeptanz, sondern der eingeübten Befähi- Der seit Beginn des Industriezeitalters enorm gewachsene rum eines interdisziplinären, künstlerischen Netzwerkes, Art, den Strom zu stoppen und zu sehen, in welchen Gewäs- gung, also eines substanziellen Könnens und – vor allem – materielle Wohlstand spiegelt sich in modernen Erzählun- vernetzt mit der Welt und in seinen Organisationsformen sern man sich bewegt. hinreichender Belastbarkeit. gen wider, die sich um technischen Fortschritt, Wissens- selbst ein künstlerisches Gebilde. Also: What the hell ist, kann und soll Theater sein, unter Würde ein politischer Akteur das liebgewonnene Ein- generierung, die Effizienzeigenschaften des Marktmecha- Der donnernde Applaus spricht von überwältigender welchen Arbeitsbedingungen von heute, mit welchen Aus- kaufs- und Mobilitätsparadies zurückbauen wollen, müsste nismus und vor allem industrielle Spezialisierung ranken. Dankbarkeit, nicht nur dafür, dass hier einer – im Modus sichten für morgen? Wie lässt sich aus dem Schwarm von er die Systemlogik moderner Konsumdemokratien durch- Letztere erlaubt die Abschöpfung komparativer Kosten- einer fundamentalen Kritik zwar, aber gerade darin so Ideen, Ansätzen und Einsichten, die einem hier entgegen- brechen. Diese besteht in einem Überbietungswettbewerb: vorteile und deren Umwandlung in zusätzlichen Output. maximal alarmierend – an die potenzielle Bedeutungs- gekommen sind, ein Kurs bestimmen? Und was wird aus Wer kann den Wählern noch mehr materielle Freiheiten Entscheidend ist dabei der Grad an räumlicher und funk- macht des Mediums Theater erinnert hat, sondern auch dem Kurswechsel, wenn am Tag nach der Konferenz die und Schutz vor Zumutungen versprechen und das resultie- tionaler Arbeitsteilung. Das sich daraus ergebende Trans- für die Aussicht, dass sich am offenbar kollektiv empfun- gewöhnliche Strömung wieder einsetzt? – »The point is that rende Rundum-sorglos-Paket gleichzeitig von allen ökolo- formationsmuster wird zumeist folgendermaßen erklärt: denen Bedeutungsverlust eigenhändig etwas ändern lässt. petty, frustrating crap like this is exactly where the work of gischen Gewissensbissen reinwaschen, indem auf ein nun- Wenn eine bestimmte Versorgungsleistung in möglichst Denn bei aller groß angelegten visionären Diagnostik gibt choosing is gonna come in,« sagt Foster Wallace, »a con- mehr grünes Wachstum gesetzt wird? Davon abzuweichen viele isolierte Teilprozesse zerlegt wird, auf die sich einzelne Ulf Schmidt auch zu verstehen, dass die Frage »Wozu Thea- cious decision about how to think and what to pay atten- käme politischem Selbstmord gleich. Mehrheitlich durch- Unternehmen entsprechend ihrer jeweiligen Kompetenzen, ter heute und morgen?« individuell und lokal in jeder ein- tion to«. Die Konferenz dürfte dabei geholfen haben, die- setzbar ist nur, was ins Desaster führt. Mit anderen Wor- Ressourcenausstattung oder Größenvorteile konzentrieren, zelnen Spielstätte, im eigenen Arbeitszusammenhang, im sen Moment auch innerhalb der Alltagsroutinen zu finden, ten: Die nötigsten Entwicklungspfade sind zugleich die kann insgesamt mehr produziert werden als im vorherigen singulären Projekt beantwortet werden muss. eine Konzentration auf das, was einem in der Theaterarbeit unwahrscheinlichsten. Autarkiezustand. Mit zunehmender Ortsungebundenheit Mit dieser Initialzündung im Gehirn diffundieren die Teil- eigentlich wesentlich ist. Mit Sicherheit aber hat sie Einsicht Nicht minder hat die sozialwissenschaftliche Nachhal- und Flexibilität der separierten Produktionsstufen können nehmer der Konferenz am Nachmittag in den Open Space. in die Notwendigkeit gegeben, »that we have to keep remin- tigkeitsforschung versagt. Das Herausarbeiten endogener diese geographisch je nach Kosten- oder Qualitätsvorteilen Verteilt über die Foyers des Schauspiels findet man sich in ding ourselves.« Potenziale eines sozial-ökologischen Wandels, der durch verlagert werden. Dabei sorgt das Tausch- und Koordinati- 16 17 onsmedium Geld dafür, dass alle zerlegbaren Teilprozesse oder Konsument –, wird mit keinem sichtbaren Gegenüber maschine« (Mumford 1967/1977) in Gang zu setzen. Genau dies mit zusätzlichen materiellen Bestandsgrößen und und Ressourcen in »die fruchtbarere Hand« gelangen, um konfrontiert. Industrielle Arbeitsteilung neutralisiert jede genommen ähnelt moderne Produktion einem Verstärker, Flächenverbräuchen erkauft wird. Außerdem sind die alten »ein Maximum des in ihnen latenten Wertes zu entbinden« moralische Signifikanz, sie bedingt eine Entpersönlichung der ein menschliches Signal in eine donnernde Sinfonie Kapazitäten und Infrastrukturen zu beseitigen. Aber wie (Simmel 1900, 306). der von den Folgen Betroffenen. der Energie- und Materialumwandlung übersetzt. Durch könnte die Materie ganzer Industrien und Infrastrukturen Wenn die Produktion einer Ware in viele Einzelprozesse Um das System der organisierten Verantwortungslosig- eine Rückkehr zum menschlichen Maß würden moderne ökologisch neutral verschwinden? zerlegt wird, um die betriebswirtschaftliche Effizienz zu keit zu therapieren, erscheint es naheliegend, Prozessketten Gesellschaften also nur aufgeben, was ihnen ohnehin nie Hinzu kommt ein zweites Dilemma: Wie kann das BIP steigern, entsteht eine Kette spezialisierter und eigenstän- zu verkürzen, um Transparenz und Kontrolle wiederzuer- zustand, sondern mittels technischer Hilfsmittel geplün- dauerhaft wachsen, wenn jedem grünen Wertschöpfungs- diger Organisationen. Die räumliche und funktionale Aus- langen. Aber eine deglobalisierte, womöglich regionali- dert wurde. gewinn ein Verlust infolge des Rückbaus alter Strukturen differenzierung hat eine entscheidende Konsequenz: Wenn sierte Ökonomie – Kohr (1957) sprach vom »Kleine-Ein- entgegenstünde? Die von der Green Growth-Gemeinde sich die Verantwortung für den Gesamtprozess auf hinrei- heiten-Prinzip« – wäre nicht nur mit weiterem Wachstum, 2.3 Lässt sich wachsender Konsumwohlstand von bestaunten Wertschöpfungsbeiträge der erneuerbaren chend viele Zuständigkeiten verteilt, wird sie damit gleich- sondern bereits mit der Aufrechterhaltung des derzeitigen ökologischen Schäden entkoppeln? Energien sind nur ein Strohfeuereffekt infolge des vorüber- sam ausgelöscht. Jeder Akteur, der innerhalb komplexer Konsumwohlstandes unvereinbar. Zuwächse des Bruttoinlandsproduktes setzen zusätzliche gehenden und additiven Kapazitätsaufbaus. Danach redu- Prozessketten lediglich einen Teilaspekt bearbeitet, folgt Produktion voraus, die als Leistung von mindestens einem ziert sich die ökonomische Wirkung auf einen Energiefluss, einer eigenen, sich aus dem isolierten Aufgabenbereich 2.2 Wie verdient ist der Konsumwohlstand? Anbieter zu einem Empfänger übertragen werden muss der vergleichsweise wenig Aufwand an wertschöpfungs- ergebenden Zweckrationalität. Die Folgen der vollständi- Zumindest nach Überschreitung eines bestimmten mate- und die einen Geldfluss induziert. Der Wertschöpfungs- trächtigen Inputs verursacht und nicht beliebig gesteigert gen Prozesskette, insbesondere für die Ökosphäre, bleiben riellen Niveaus lässt sich der historisch einmalige Güter- zuwachs hat somit eine materielle Entstehungsseite und werden kann – es sei denn, die Produktion neuer Anlagen für ihn unsichtbar. Es kommt zur »Erzeugung moralischer reichtum kaum damit legitimieren, dass er von seinen eine finanzielle Verwendungsseite des zusätzlichen Ein- wird ohne Begrenzung fortgesetzt. Aber dann droht wie- Indifferenz« (Bauman 2002, 32). Innerhalb der (betriebs- Nutznießern »verdient« oder »erarbeitet« wurde. Versuche, kommens. Beide sind ökologisch zu neutralisieren. Selbst der der alte Wachstumskonflikt. Die schon jetzt unerträg- wirtschaftlichen) Zweckorientierung seiner Einzelorgani- den gestiegenen Wohlstand auf eigene Arbeit oder eine wenn sich die Entstehung einer geldwerten und damit BIP- lichen Landschaftszerstörungen nähmen entsprechend zu, sation erfüllt der Handelnde letztlich »nur seine Pflicht«. Abfolge von Effizienzfortschritten zurückzuführen, ver- relevanten Leistungsübertragung technisch entmateriali- weil die materiellen Bestandsgrößen expandieren. Daran Diese Immunisierung gegenüber ethischen oder ande- schleiern, dass die Insassen moderner Konsumgesellschaf- sieren ließe – was mit Ausnahme singulärer Laborversu- zeigt sich zudem, dass derartige grüne Technologien ohne- ren außerökonomischen Logiken betrifft auch die Nach- ten auf mehrfache Weise über ihre Verhältnisse leben (vgl. che aussichtslos ist –, bliebe das Entkopplungsproblem hin kein ökologisches Problem lösen, sondern nur in eine frager selbst. Konsumenten verbrauchen grundsätzlich Paech 2012, S. 25ff). Materieller Reichtum wird a) mittels solange ungelöst, wie sich mit dem zusätzlichen Einkom- andere physische, räumliche, zeitliche oder systemische Dinge, die sie nicht selbst hergestellt haben. Verbrauch und Energie umwandelnder Apparaturen, b) durch systemati- men beliebige Güter finanzieren lassen, die nicht vollstän- Dimension transformieren. Deshalb sind die Versuche, Herstellung bilden somit getrennte Sphären. Zwischen der sche Verschuldung, also auf Kosten zukünftiger Genera- dig entmaterialisiert sind. Entkopplungserfolge empirisch nachzuweisen, nur so Entstehung eines Bedarfs und der damit ausgelösten Pro- tionen, und c) durch die Einverleibung entfernt liegender brauchbar wie es gelingt, alle räumlichen und sonstigen duktion liegen unzählige, über beträchtliche Distanzen Ressourcenquellen erzeugt. Was sich Konsumenten mit- 2.3.1 Entstehungsseite des BIP: Materielle Verlagerungseffekte zu inkludieren. Aber wie sollen bei- miteinander verkettete Einzelhandlungen. Indem die Aus- tels Kaufkraft an physischen Leistungen angedeihen las- Rebound-Effekte spielsweise CO2 ­– Einsparungen und Landschaftszerstö- führung über viele Stufen hinweg delegiert wird, erfolgt sen, steht also in keinem Verhältnis zur eigenen physi- Wie müssten Güter beschaffen sein, die als geldwerte Leis- rungen saldiert werden? eine »Mediatisierung« (Lachs 1981), das heißt eine Vermitt- schen Arbeitskraft. tungen von mindestens einem Anbieter zu einem Nachfra- lung von Handlungen. Diese werden grundsätzlich von Denn andernfalls müsste, gemessen am heutigen Kon- ger übertragen werden, deren physischer Transfer, Her- 2.3.2 Verwendungsseite des BIP: Finanzielle einem Dritten ausgeführt, der »zwischen mir und den Fol- sum- und Mobilitätswohlstand, die produktive Leistung stellung, Nutzung und Entsorgung jedoch aller Flächen-, Rebound-Effekte gen meines Tuns steht, so dass diese mir verborgen blei- menschlicher Individuen seit der jüngeren Steinzeit auf Materie- und Energieverbräuche enthoben sind? Bisher Selbst wenn entmaterialisierte Produktionszuwächse je ben« (Bauman 2002, 38). geradezu fantastische Weise zugenommen haben. Aber ersonnene Green Growth-Lösungen erfüllen diese Voraus- möglich wären, müssten die damit unvermeidlich korre- So schafft das Wesensprinzip moderner, funktional aus- faktisch haben sich die physischen Qualitäten des homo setzung offenkundig nicht, ganz gleich ob es sich dabei um spondierenden Einkommenszuwächse ebenfalls ökolo- differenzierter Gesellschaften jene pathologischen Beding- sapiens seither kaum verändert. Noch sind es zwei Arme, Passivhäuser, Elektromobile, Ökotextilien, Photovoltaik- gisch neutralisiert werden. Aber es ist schlicht undenkbar, ungen, unter denen einzelwirtschaftliche Entscheidungen zwei Beine und ein Kopf, über die ein Individuum ver- anlagen, Bio-Nahrungsmittel, Offshore-Anlagen, Block- den Warenkorb jener Konsumenten, die das in den grü- nahezu perfekt vor moralischen Hemmungen abgeschirmt fügt. Der immense physische Aufwand, ohne den der mär- heizkraftwerke, Smart Grids, solarthermische Heizun- nen Branchen zusätzlich erwirtschafte Einkommen bezie- werden. Wenn die Komplexität eines Versorgungssystems, chenhafte Wohlstand undenkbar wäre, wird im Rahmen gen, Cradle-to-cradle-Getränkeverpackungen, Carsharing, hen, von Gütern freizuhalten, in deren globalisierte Pro- insbesondere die physischen und psychischen Distanzen maschineller, elektrifizierter, automatisierter, digitalisier- digitale Services etc. handelt. Nichts von alledem kommt duktion fossile Energie und andere Rohstoffe einfließen. zwischen Verbrauch und Produktion hinreichend weit ter, dafür aber umso energieabhängigerer Umwandlungen ohne physischen Aufwand, insbesondere neue Produk- Würden diese Personen keine Eigenheime bauen, mit dem gediehen ist, ist die Aufdeckung etwaiger Schwachstellen erbracht. Umgeben von unzähligen »Energiesklaven« (Dürr tionskapazitäten und Infrastrukturen aus. Könnten die Flugzeug reisen, Auto fahren und übliche Konsumaktivi- so aussichtsreich wie die Suche nach einer Stecknadel im 2000) beschränkt sich die »Arbeit« moderner Konsumen- grünen Effizienz- oder Konsistenzlösungen den weniger täten in Anspruch nehmen? Heuhaufen. Dies steigert die Wahrscheinlichkeit oppor- ten zusehends darauf, Signale zu verarbeiten, körperliche nachhaltigen Output nicht einfach ersetzen statt addiert Ein zweiter finanzieller Rebound-Effekt droht, wenn tunistischen Handelns. Wer innerhalb entgrenzter Ver- Verrichtungen an entfernt liegende Produktionsstätten zu werden? Um eine materielle Substitution zu erwirken, grüne Investitionen den Gesamtoutput (vorübergehend) sorgungssysteme operiert – ganz gleich ob als Produzent zu delegieren oder per Mausklick eine industrielle »Mega- reicht es nicht aus, nur Outputströme zu ersetzen, wenn erhöhen, weil nicht zeitgleich und im selben Umfang die 18 19 alten Produktionskapazitäten zurückgebaut werden (die spürbaren Nutzen erzeugt. Damit nämlich Konsumakti- zen. Moderne Subsistenz entfaltet ihre Wirkung im unmit- Versorgungssysteme steigern die Resilienz und mindern Wohnfläche nimmt durch Passivhäuser zu, die Strommenge vitäten überhaupt Glücksgefühle oder langfristige Zufrie- telbaren sozialen Umfeld, also auf kommunaler oder regi- den Wachstumsdruck einer kapitalintensiven industriel- steigt durch Photovoltaikanlagen), was tendenzielle Preis- denheit verursachen können, muss ihnen ein Minimum onaler Ebene. Sie basiert auf einer (Re-)Aktivierung der len Spezialisierung (vgl. Paech 2012a, 103ff.). senkungen verursacht und folglich die Nachfrage erhöht. an Aufmerksamkeit gewidmet werden. Und das geht nicht, Kompetenz, manuell und kraft eigener handwerklicher Auch hier ist nicht auszuschließen, dass davon der fos- ohne eigene Zeit zu investieren, denn Empfindungen lassen Tätigkeiten Bedürfnisse jenseits kommerzieller Märkte zu 3.2 Die Rolle der Unternehmen sile Sektor mitprofitiert. Ein dritter finanzieller Rebound- sich weder automatisieren noch an jemanden delegieren. befriedigen. Die hierzu benötige Zeit könnte sich aus einem Manche der nach Ausschöpfung aller Suffizienz- und Sub- Effekt tritt ein, wenn Effizienzerhöhungen die Betriebskos- Zeit ist unsere knappste Ressource. Sie ist nicht vermehr- Rückbau des industriellen Systems speisen. Durch eine Hal- sistenzpotenziale verbleibenden Bedarfe ließen sich durch ten bestimmter Objekte (Häuser, Autos, Beleuchtung etc.) bar. Diese Restriktion durch »menschliches Multitasking« bierung der Erwerbsarbeit ließen sich Selbst- und Konsum- regionale Ökonomien befriedigen. Regionalwäh- Literatur: reduzieren. Theoretisch ließen sich diese Rebound-Effekte überlisten zu wollen – also verschiedene Dinge gleichzeitig versorgung kombinieren. Ein bescheideneres monetäres rungen könnten Kaufkraft an die Region binden. Die Bauman, Z. (2002): Dialektik vermeiden, wenn sämtliche Einkommenszuwächse abge- zu verrichten –, ist eine Illusion. Neurologen wissen längst, Einkommen würde durch Subsistenzleistungen ergänzt: Vorteile einer geldbasierten Arbeitsteilung blieben der Ordnung, schöpft würden – aber wozu dann überhaupt Wachstum: dass wir uns bestenfalls auf zwei Dinge gleichzeitig kon- a. Nutzungsintensivierung durch Gemeinschaftsnut- innerhalb eines deglobalisierten und krisenresis- Was könnte absurder sein, als Wachstum zu erzeugen, um zentrieren können. So gesehen bedeuteten übersichtlichere zung: Wer die Nutzung von Gebrauchsgegenständen tenteren Rahmens erhalten. Bedarfe, die nur durch Dürr, H.-P. (2000): Für eine zivile Gesellschaft, München die damit intendierte Wirkung im selben Moment zu neu- Lebensstile keinen Verzicht, sondern puren Selbstschutz. mit anderen Personen teilt, trägt dazu bei, industri- überregionale Produktionsketten zu befriedigen tralisieren? elle Herstellung durch soziale Beziehungen zu erset- sind, wären als Restgröße zu betrachten. Innerhalb Ehrenberg, A. (2004): Das Die Behauptung, durch Investitionen in grüne Tech- 3. Konturen einer Postwachstumsökonomie zen. Doppelte Nutzung bedeutet halbierten Bedarf. des zurückgebauten Industriekomplexes würde erschöpfte Selbst, nologien könne Wirtschaftswachstum mit einer absolu- Als einzig verantwortbare Gestaltungsoption bleibt nur die b. Nutzungsdauerverlängerung: Wer durch handwerk- die Neuproduktion von Gütern, die fern jeglicher ten Senkung von Umweltbelastungen einhergehen, ist also schrittweise Reduktion industriell-arbeitsteiliger Versor- liche Fähigkeiten oder manuelles Improvisations- geplanten Obsoleszenz langlebig und reparatur- Kohr, L. (1957/2002): Das Ende der Großen. Zurück zum nicht nur falsch, sondern kehrt sich ins genaue Gegenteil: gungssysteme auf ein räumlich und zeitlich übertragbares geschick die Nutzungsdauer von Konsumobjekten freundlich sein müssten, eine untergeordnete Rolle menschlichen Maß, Salzburg Allein unter der Voraussetzung eines nicht wachsenden ökologisches Niveau. Aber dieser Weg ist infolge heraufzie- erhöht – zuweilen reicht schon die achtsame Behand- spielen. Der Fokus läge auf dem Erhalt, der Um- und BIPs haben grüne Technologien überhaupt eine Chance, hender Krisenszenarien ohnehin vorgezeichnet. Den Rück- lung, um frühen Verschleiß zu vermeiden –, substitu- Aufwertung vorhandener Produktbestände, etwa Lachs, J. (1981): Responsibi- die Ökosphäre zu entlasten. Und dies ist nicht einmal eine bau sozialverträglich und ökonomisch resilient zu gestalten, iert materielle Produktion durch eigene produktive durch Renovation, Optimierung, Nutzungsdauer- lity of the Individual in hinreichende Bedingung, weil die materiellen Effekte – ins- liegt im Kern einer Postwachstumsökonomie. Leistungen, ohne auf Konsumfunktionen zu verzich- verlängerung oder Nutzungsintensivierung. Klassi- Modern Society, Brighton besondere die unzähligen Verlagerungsmöglichkeiten – ten. Wo es gelingt, die Nutzungsdauer durch Instand- sche Produzenten würden durch Anbieter abgelöst, Mumford, L. (1967/1977): auf der Entstehungsseite ebenfalls einzukalkulieren sind. 3.1 Jenseits der monetären Sphäre haltung, Reparatur, Umbau etc. durchschnittlich zu die nicht an einer weiteren Expansion der materiel- Mythos der Maschine. Kultur, Nach diesem Schema wird das Schicksal der Menschheit Das Suffizienzprinzip konfrontiert die Steigerungslogik kon- verdoppeln, könnte die Produktion neuer Objekte ent- len Sphäre, sondern an deren Reparatur, Instand- Technik und Macht, auf Gedeih und Verderb von einem technischen Fortschritt sumtiver Selbstverwirklichungsexzesse mit einer Gegen- sprechend halbiert werden. haltung und Optimierung orientiert wären. Märkte Frankfurt abhängig, der noch gar nicht eingetreten ist und dessen frage: Von welchen Energiesklaven und Komfortkrücken c. Eigenproduktion: Im Nahrungsmittelbereich erwei- für gebrauchte, aufgearbeitete und überholte Güter Paech, N. (2008): zukünftiges Eintreten unbeweisbar ist – ganz zu schwei- ließen sich überbordende Lebensstile sowie schließlich sen sich Hausgärten, Dachgärten, Gemeinschaftsgär- würden ebenfalls zur Reduktion der Neuproduk- »Regionalwährungen als gen davon, dass er womöglich mehr zusätzliche Probleme die Gesellschaft als Ganzes befreien? Welcher Wohlstands- ten und andere Formen der urbanen Landwirtschaft tion beitragen. Im Rahmen eines Prosumenten- Bausteine einer Postwachs- erzeugt, als er zu lösen imstande ist. Wie unberechenbar schrott, der längst das Leben verstopft, obendrein Zeit, als dynamischer Trend, der zur Deindustrialisierung Managements könnten Unternehmen Kurse oder tumsökonomie«, in: Zeitschrift vermeintlich grüne Innovationen sind, zeigt nicht nur die Geld, Raum und ökologische Ressourcen beansprucht, dieses Bereichs beitragen kann. Künstlerische und Schulungen anbieten, um Nutzer zu befähigen, Pro- für Sozialökonomie kürzlich noch als Heilsbringer verklärte »Bio-Energie«. Ist ließe sich ausmustern? Dafür liefert eine »zeitökonomische handwerkliche Betätigungen reichen von der krea- dukte instand zu halten, zu warten und zu reparie- 45/158-159, S. 10–19. ein solches Roulette, das nicht aus Not, sondern allein um Theorie der Suffizienz« (Paech 2010) längst Beweggründe tiven Wiederverwertung ausrangierter Gegenstände ren. Damit wird die Befähigung zur Subsistenz zu Paech, N. (2010): »Nach dem der Mehrung eines schon jetzt dekadenten Wohlstandes jenseits moralischer Imperative. In einer Welt der Reiz- über selbst gefertigte Holz- oder Metallobjekte bis zur einer Unternehmensaufgabe. Dies senkt die Kapi- Wachstumsrausch: Eine willen erfolgt, verantwortbar? und Optionenüberflutung, die niemand mehr bewältigen semi-professionellen Marke »Eigenbau«. talintensität der Wertschöpfung. zeitökonomische Theorie der kann, werden Überschaubarkeit und Entschleunigung zum Derartige Subsistenzleistungen bewirken, dass eine Hal- Infolge reduzierter Bedarfe an neuer Produk- Suffizienz«, in: Zeitschrift für 2.4 Macht Wirtschaftswachstum glücklich? Selbstschutz. Das zunehmend »erschöpfte Selbst« (Ehren- bierung der Industrieproduktion nicht den materiellen tion würde weniger Einkommen, also auch weni- Sozialökonomie 47/166-167, S. 33–40. Drittens lassen sich die technischen und fiskalischen Ver- berg 2004) verkörpert die Schattenseite einer gnadenlo- Wohlstand halbiert: Wenn Konsumobjekte länger und/ ger Arbeitszeit benötigt. Ein entsprechender Indus- suche, das prekäre Wachstumsregime zu retten, auch aus sen Jagd nach Glück, die immer häufiger in Überlastung oder gemeinschaftlich genutzt werden, reicht ein Bruch- trierückbau ließe die erforderliche Subsistenzzeit Paech, N. (2012): Befreiung psychologischer Sicht hinterfragen. Stress, Orientierungs- umschlägt. teil der momentanen industriellen Produktion, um die- frei werden, um durch Eigenarbeit, Nutzungsdau- vom Überfluss, München losigkeit und Konsum-Burn-Out charakterisieren den Nor- Weiterhin ließe sich eine Balance zwischen Selbst- und selbe Versorgung mit Konsumfunktionen zu gewährleis- erverlängerung und Gemeinschaftsnutzung Kon- malzustand moderner Bequemokratien; sie sind längst zu Fremdversorgung anstreben. Zwischen den Extremen reiner ten. Moderne Subsistenz besteht darin, einen markant sumfunktionen zu generieren oder zu erhalten, die Simmel, G. (1900): Philosophie des Geldes, einem Hort der Reizüberflutung mutiert. Unser Leben ist Subsistenz und globaler Verflechtung existiert ein reichhalti- reduzierten Industrieoutput mittels dreier Subsistenzres- vormals finanziert werden mussten. München/Berlin vollgepfropft mit Produkten, Dienstleistungen, Mobilität, ges Kontinuum unterschiedlicher Fremdversorgungsgrade. sourcen aufzuwerten: a) Handwerkliche, künstlerische und Ereignissen und Kommunikationstechnologien. Es fehlt Dies eröffnet Potenziale, von außen bezogene Leistungen substanzielle Kompetenzen sowie b) eigene Zeitressour- die Zeit, dies alles »abzuarbeiten«, so dass es noch einen durch eigene Produktion punktuell oder graduell zu erset- cen und soziales Kapital. Solchermaßen entmonetarisierte 20 21 4. Die Rolle der Politik die einen hohen Selbstversorgungsgrad aufweisen, wären Zu den politischen Rahmenbedingungen einer Postwachs- dabei das Ziel. Dies entspräche einem Übungsprogramm tumsökonomie, die hier nur unvollständig skizziert wer- für interessierte Minderheiten, die sich zu lebenden Beispie- den können, zählen Boden-, Geld- und Finanzmarktrefor- len für resiliente Versorgungsmuster entwickeln. So würde men, wobei Finanztransaktions- und Vermögenssteuer proaktiv vorweggenommen, was an Handlungsoptionen hervorzuheben sind. Komplementäre Regionalwährungen verbleibt, wenn globalisierte Fremdversorgungssysteme könnten durch einen Negativzins umlaufgesichert wer- partiell kollabieren, ganz gleich ob infolge fortschreiten- den. Die noch immer fehlende Abschätzung, Zurechnung der Ressourcenverknappungen, Klimafolgen, absehbarer und Deckelung von Umweltbeanspruchungen ließe sich Zusammenbrüche des Finanzsystems, Schuldenkrisen oder dadurch beheben, dass der dehnbare Nachhaltigkeitsbe- durch eine prägnante Zunahme psychologischer Verwer- griff durch individuelle CO2-Bilanzen konkretisiert wird. fungen (Digitale Demenz, Burn-Out, Depression, Reizüber- Jede Person hätte ein Anrecht auf dasselbe jährliche Emis- flutung, Lernunfähigkeit infolge grassierender Aufmerk- sionskontingent, das allerdings übertragbar sein könnte. samkeitsdefizite etc.), die über das Bildungssystem auch Die Summe aller Kontingente dürfte höchstens der globa- die Ökonomie erreichen. len Gesamtbelastung entsprechen, die mit der Einhaltung Lebensstilschablonen, auf die im Krisenfall zurück- des Zwei-Grad-Klimaschutzziels vereinbar wäre. Verän- gegriffen werden kann, lassen sich derzeit lediglich als derte Unternehmensformen wie Genossenschaften, Non- Nischenphänomen stabilisieren. Dies impliziert eine Abkehr Profit-Organisationen oder Konzepte des solidarischen vom längst gescheiterten »Die-Menschen-dort-abholen-wo- Wirtschaftens könnten Gewinnerwartungen dämpfen. Der sie-sind«-Diktum. Denn um derzeit breite Mehrheiten zu Subventionssumpf – vor allem in den Bereichen Landwirt- erreichen, dürften die hierzu nötigen Nachhaltigkeitsstrate- schaft, Verkehr, Industrie, Bauen und Energie – müsste gien das zeitgenössische Wohlstandsmodell gerade nicht in endlich trockengelegt werden, um sowohl die hierdurch Frage stellen, wären also entsprechend wirkungslos. Effek- beförderten ökologischen Schäden als auch die öffentliche tiver verspricht die Orientierung an einer Avantgarde zu Verschuldung zu reduzieren. Maßnahmen, die Arbeitszeit- sein, die mit Lebensstilen und Versorgungspraktiken im verkürzungen erleichtern, sind unabdingbar. Sinne der oben beschriebenen Postwachstumsökonomie Dringend nötig wären zudem ein Bodenversiegelungs- experimentiert. So bliebe immerhin die Chance auf einen moratorium und Rückbauprogramme für Industrieareale, Wandel gewahrt, der diesen Namen verdient. Den Rest erle- Autobahnen, Parkplätze, Flughäfen etc., um diese zu ent- digen das Schicksal und eine absehbare Krisendynamik. siegeln und zu renaturieren. Ansonsten könnten auf den stillgelegten Autobahnen und Flughäfen Anlagen zur Nut- zung erneuerbarer Energien errichtet werden, um die kata- strophalen Landschaftsverbräuche dieser Technologien zu reduzieren. Weiterhin sind Vorkehrungen gegen geplante Obsoleszenz unabdingbar. Eine drastische Reform des Bil- dungssystems müsste zum Ziel haben, jungen Menschen handwerkliche Kompetenzen zu vermitteln, nicht nur um durch Eigenproduktion und vor allem Instandhaltungs- sowie Reparaturmaßnahmen den Bedarf an Neuproduk- tion zu senken, sondern um geldunabhängiger zu werden. Die Auflistung geeigneter Maßnahmen einer Postwachs- tumspolitik ließe sich fortsetzen. Allerdings dürfte deren Umsetzung an politischen Mehrheiten scheitern. Anstatt den leckgeschlagenen Tanker zur Umkehr zu bewegen, erscheinen autonome »Rettungsboote«, die sich auch unab- hängig von politischen Mehrheiten gestalten lassen, als sinnvollere Strategie. Postkollapstaugliche Alltagspraktiken, 22 arbeit im wandel

Der Blitzvortrag »work in progress | Arbeit im Wandel« wurde von Parastu Karimi und Ansgar Lorenz live illustriert

24 25 um der kunst willen? Arbeitsbedingungen in kreativen Industrien (und am Theater) aus arbeitswissenschaftlicher Perspektive

Axel Haunschild

ieser Beitrag möchte aus arbeitswissenschaftlicher Perspek- zahnt mit einer auf einem männlichen Alleinver- dtive einen Bogen spannen von allgemeinen Entwicklungen diener basierenden Geschlechterordnung und auf in der Welt der Arbeit und deren Diagnose in den Sozial- Berufen basierenden, linearen und organisations- wissenschaften über die Besonderheiten von Arbeitsbedin- bezogenen Karrieren. gungen auf Künstlerarbeitsmärkten und am Theater hin zu Der Beginn des 20. Jahrhunderts markiert auch der Frage, wann Arbeit krank macht, welche Kriterien guter die Ursprünge der Arbeitswissenschaft im Sinne

Künstlerische Leitung: Dr. Manfred Beilharz Arbeit die Arbeitswissenschaft entwickelt hat und inwiefern einer wissenschaftlichen Analyse und der darauf sich diese auf das Theater übertragen lassen. basierenden Gestaltung von Arbeit, wobei jedoch Axel Haunschild die Anfänge, bei Frederick Winslow Taylor und dann ist Direktor des Instituts für Aus dem Programm: Ein Verständnis heutiger Entwicklungen der Arbeitswelt in der Psychotechnik, geprägt waren vom dominan- interdisziplinäre Arbeitswis- senschaft und Leiter des Musiktheater setzt eine auch historische Befassung mit Arbeit voraus. ten Ziel einer Rationalisierung von Arbeit. Die Fließ- Sa 24. und So 25. Mai, 19.30 Uhr, Großes Haus Hierbei konzentriere ich mich auf mit der Industrialisie- band-Massenproduktion, seit 1913 z.B. in den Ford- Weiterbildungsstudiums Arbeitswissenschaft an der Teatro Regio Torino Italien rung einsetzende Veränderungen, vernachlässige also vor- Werken, trieb diese Rationalisierung auf die Spitze. L’Elisir d’amore (Der Liebestrank) Leibniz Universität Hannover. Oper von Gaetano Donizetti industrielle Formen der Arbeit. Mit der in der zweiten Seit den 1940er Jahren, im Anschluss an die Haw- Musikalische Leitung Andrea Battistoni Inszenierung Fabio Sparvoli Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzenden Industrialisierung thorne-Studien, die ursprünglich ebenfalls das Ziel Mit Olga Peretyatko (Adina) wandelt sich die Art und Weise, wie Arbeitskraft genutzt der Rationalisierung durch Optimierung von Umgebungs- Tanz wird, grundlegend. Es entsteht mit Fabriken eine Tren- einflüssen hatten, kann als bekannt gelten, dass soziale Do 15. Mai, 19.30 Uhr, Großes Haus nung von Arbeits- und anderen Lebenssphären, Arbeits- Kontakte und Unterstützung sowie als sinnhaft wahrge- Compagnie Jant-Bi Jigeen Senegal Songook Yaakaar (Die Hoffnung herausfordern) prozesse werden kontinuierlich optimiert, es erfolgt eine nommene Arbeit, also die Berücksichtigung menschlicher Solo von und mit Germaine Acogny Trennung von Kopf- und Handarbeit und – eine weitrei- Bedürfnisse, sowohl die Produktivität als auch die Arbeits- Afro-Dites/Kaddu Jigeen! (Stimme der Frauen) Von Germaine Acogny & Patrick Acogny chende soziale Erfindung – es entsteht ein Markt, auf dem zufriedenheit steigern. Arbeit als Ware angeboten und nachgefragt wird. Die Die mit gegenwärtigen Entwicklungen der Arbeitswelt Schauspiel Sa 10. und So 11. Mai, 19.30 Uhr, Großes Haus Frühphase der Industrialisierung war – verknüpft mit der verbundenen Veränderungen und wahrgenommenen Pro- Burgtheater, Wien Österreich Logik kapitalistischer Arbeitskraftnutzung – geprägt durch bleme sind nur vor dem Hintergrund fordistischer, also Onkel Wanja von Anton Tschechow starke Ausbeutung, z.B. auch Kinderarbeit. Für die meis- auf Massenproduktion, aber auch auf Normalarbeitsver- Inszenierung Matthias Hartmann ten Industriearbeiter bestand das Leben ausschließlich hältnissen basierender Arbeits- und Produktionssysteme Sa 17. und So 18. Mai, 19.30 Uhr, Großes Haus aus Arbeit und Reproduktion(sarbeit). Bis ca. 1900 waren zu verstehen. Was verändert sich derzeit? Zentrale Trends Düsseldorfer Schauspielhaus heute als modern anmutende, marktbasierte Formen der in allen entwickelten Volkswirtschaften sind die Zunahme Peer Gynt Ein dramatisches Gedicht von Henrik Ibsen Nutzung von Arbeitskraft in der Industrieproduktion ver- von Dienstleistungsarbeit, die beschleunigte Entwicklung Inszenierung Staffan Valdemar Holm breitet, sogenannte Kontraktsysteme, bei denen Kapitaleig- von Informations- und Kommunikationstechnologien Di 27. und Mi 28. Mai, 19.30 Uhr, Großes Haus ner zunächst freie, dann später angestellte Kontraktoren mit immer neuen Möglichkeiten, räumliche und zeitliche Maxim Gorki Theater Berlin (Akkordmeister) mit der Produktion von Gütern beauf- Begrenzungen der Arbeit aufzuheben, und die in vielen Der Kirschgarten Eine Komödie von Anton Tschechow tragten, die mit – heute würde man sagen projektbezo- Branchen mit einer Intensivierung des Wettbewerbs ein- Inszenierung Nurkan Erpulat gen beschäftigten – Arbeitskräften produziert wurden. Die hergehende Verkürzung von Innovationszyklen. Beobacht- Konzert Zunahme und das Wachsen großer, bürokratisch organi- bar ist auch eine Tendenz zur politischen Deregulierung Mo 5. Mai, 19.30 Uhr, Großes Haus Dagmar Manzel sierter Unternehmen seit Beginn des 20. Jahrhunderts leitet von Arbeitsmärkten, die sich in Deutschland z.B. in erwei- MenschenSkind weitere Entwicklungen der Arbeitswelt ein, die unser heu- terten Möglichkeiten der Befristung und Flexibilisierung Lieder von Friedrich Hollaender tiges Bild »normaler« Arbeit noch maßgeblich prägen: eine von Arbeitsverträgen äußert. So zeigt die Entwicklung der Do 22. Mai, 19.30 Uhr, Großes Haus stärkere Bindung zwischen Arbeitgebern und Arbeitskräf- Erwerbstätigenzahlen und deren Zusammensetzung, dass Wolf Biermannund Pamela Biermann ‚Ach, die erste Liebe…‘ ten auf der Basis unbefristeter Arbeitsverträge, die Ausdif- im Zuge der Hartz-Reformen die Zunahme der Gesamtzahl ferenzierung organisationaler Hierarchien, das Entstehen an Erwerbstätigen stark auf Solo-Erwerbstätige, Ein-Euro- Weitere spannende Schauspiel-, Tanz- und Musiktheater- produktionen sowie Shows und Konzerte u.a. aus der einer Managementprofession sowie eine auf Standards und Jobs, geringfügige Beschäftigung und Leiharbeit zurückzu- Schweiz, Frankreich, Israel, Argentinien, den USA, Georgien Programmen basierende Arbeitskoordination. Die Entste- führen ist. Auch Teilzeitarbeit nahm stark zu, wogegen die und Taiwan. hung eines Normalarbeitsvertrages (Vollzeit, unbefristet) Zahl befristeter Beschäftigungsverhältnisse in den letzten war begleitet von der Entstehung unseres Sozialversiche- Jahren relativ konstant blieb. All dies bedeutet Abweichun- Kartenvorverkauf 0611 . 132 325 www.maifestspiele.de rungssystems und Arbeitnehmerschutzrechten sowie ver- gen vom Normalarbeitsverhältnis im Sinne kurzfristigerer 27

TFAnzeige2014-86,5x129,5.indd 12 18.03.14Dramaturgie.indd 17:59 1 18.03.14 20:57 Literatur zum Weiterlesen: Kooperationsbeziehungen mit einer geringeren Bin- tanski und Eve Chiapello als Reaktion des Kapitalismus Organisationen auszurichten haben, zunehmend von den in einem engeren Begriffsverständnis nur solche Manske, Alexandra (2013): Baumann, Zygmut (2003): dung zwischen Organisation und Arbeitskräften. auf eine (künstlerische) Kritik an mangelnden Selbstver- verfügbaren Leistungsressourcen entkoppelt sind (Menz/ Kultur- und Kreativunternehmen, die überwiegend »Kapitalistische Geister« in Liquid Modernity, Aber auch Formen der Arbeitsorganisation wan- wirklichungs- und Kreativitätsmöglichkeiten und Auto- Kratzer/Dunkel). erwerbswirtschaftlich orientiert sind und kultu- der Kultur- und Kreativwirt- Frankfurt schaft, Zum ambivalenten deln sich. Projektbasierte Organisationsformen, die nomiespielräumen. Dieser »neue Geist« des Kapitalismus Projektarbeit, flexible Beschäftigungsverhältnisse, orga- relle/kreative Güter und Dienstleistungen schaffen, unternehmerischen Selbst von Beck, Ulrich (1986): von jeher typisch für den Kreativsektor waren, fin- sei durch Projekte und einen mit der Position in sozialen nisationsinterne Marktmechanismen, indirekte Steuerung: produzieren, verteilen oder medial verbreiten, wie Kreativen, Bielefeld Risikogesellschaft. Auf dem den wir zunehmend in allen anderen Branchen, z.B. Netzwerken verbundenen Status verbunden und trägt zu All diese angesprochenen Entwicklungen erhöhen den z.B. Software/Games, Werbung, Presse, Architektur, Weg in eine andere Moderne, in der öffentlichen Verwaltung, wo es zahlreiche seinem Fortbestand bei. Selbstdarstellungen der digita- Druck auf Arbeitnehmer, sich kontinuierlich selbst zu steu- Design, Rundfunk- und Filmwirtschaft, Kunst- und Menz, Wolfgang ; Dunkel, Frankfurt Reform- und Restrukturierungsprojekte gibt. Dies len Bohème (Lobo/Friebe) können vor diesem Hintergrund ern, die eigene Arbeitskraft zu vermarkten und die eigene Buchmarkt und die Musikwirtschaft, die zusam- Wolfgang; Kratzer, Nick (2011): Leistung und Leiden. Beck, Ulrich (1999): führt dazu, dass die meisten Arbeitnehmer heute als Speerspitze aktueller kapitalistischer Entwicklungen Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten. Unter einem fordis- men ca. eine Million Erwerbstätige in Deutsch- Neue Steuerungsformen von Schöne neue Arbeitswelt. in ein oder mehrere Projekte involviert sind. Eine gedeutet werden. tischen Arbeitsregime dagegen konnte die Verantwortung land umfassen. Andere Definitionen, wie z.B. die Leistung und ihre Vision: Weltbürgerschaft, weitere Entwicklung ist, dass der Markt in die Orga- Zugleich – und nur auf den ersten Blick im Widerspruch für Qualifizierung und Kompetenzentwicklung sowie für von Richard Caves, fassen unter kreative Indust- Belastungswirkungen Frankfurt nisation hineingeholt wird. Interne Kunden-Lie- hierzu – wird aber auch eine Neotaylorisierung diagnosti- die Erbringung marktfähiger Leistungen an den Arbeitge- rien auch die nichterwerbswirtschaftliche Produk- In: Nick Kratzer (Hrsg.): feranten-Beziehungen sorgen dafür, dass Arbeits- ziert, d.h. die Zunahme tayloristischer Arbeitsorganisation ber delegiert werden. Die Verbetrieblichung der Lebens- tion und Bereitstellung künstlerischer Güter und Arbeit und Gesundheit im Beck, Ulrich (2008): Konflikt. Analysen und Die Neuvermessung der kräfte und Abteilungen dauerhaft intern beweisen nicht nur in der Industrie., sondern auch in der Dienstleis- führung resultiert aus der zunehmenden Entgrenzung und Dienstleistungen, so dass auch öffentlich geför- Ansätze für ein partizipatives Ungleichheit unter den müssen, dass sie ein guter Lieferant von Leistungen tungsarbeit, z.B. im Fastfood-Sektor oder in Call Centern, Subjektivierung von Arbeit, insbesondere auch der Anfor- derte Kultureinrichtungen wie Stadt- und Staats- Gesundheitsmanagement Menschen: Soziologische bzw. Wertschöpfungsbeiträgen sind. Dies war frü- sowie das Auseinanderdriften der Erwerbstätigen in Gewin- derung, fachliche, soziale und persönliche Kompetenzen theater, Museen und z.B. die Bildende Kunst mit Berlin Aufklärung im 21. Jahrhundert her anders, denn das Leben innerhalb der Organi- ner und Verlierer durch einen wachsenden Niedriglohnsek- dauerhaft zu reflektieren und zu entwickeln. Traditionelle enthalten sind. Frankfurt sation war abgeschottet vom direkten und ständi- tor und Prekarisierungsprozesse. zeitliche, räumliche, kognitive und emotionale Grenzen Die Probleme einer derartigen Zusammenfas- Pongratz, Hans J. (2003): Arbeitskraftunternehmer. Beck, Ulrich (1997): gen Marktdruck. Die Auswirkungen der genannten Entwicklungen auf zwischen Erwerbsarbeit und Leben greifen hier nicht mehr. sung heterogener Einzelindustrien mit je spezifi- Erwerbsorientierungen in Was ist Globalisierung? Die aufgezeigten Entwicklungen und deren Individuen werden mit dem von den Soziologen G. Gün- So erklärt sich auch der Diskurs um Work-Life-Balance schen Produktionsweisen sowie die Frage, was denn entgrenzten Arbeitsformen, Irrtümer des Konsequenzen für arbeitende Menschen werden ther Voß und Hans J. Pongratz entwickelten Konzept des sowie die wachsende Nachfrage nach Coaching-Angebo- genau kulturelle Güter und Dienstleistungen sind, Berlin Globalismus - Antworten in den Sozialwissenschaften mit unterschiedlichen Arbeitskraftunternehmers besonders deutlich. Mit ihm soll ten, die helfen sollen, das Leben (wieder) in den Griff zu soll hier nicht weiter diskutiert werden. Auch nicht auf Globalisierung, Konzepten und Theorien benannt und diagnosti- eine neue, postfordistische, durch standardisierte Qualifi- bekommen und so den Anforderungen der Arbeitswelt die ökonomische Instrumentalisierung und auch Reckwitz, Andreas (2012): Frankfurt Die Erfindung der Kreativität. ziert. Diese können hier nur angedeutet werden. kationen, gedämpfte Ausbeutung und soziale Absicherung gerecht zu werden. Kommerzialisierung von Kunst als Standortfaktor. Zum Prozess gesellschaftlicher Bröckling, Ulrich (2007): Auf einen Ansatz, den Arbeitskraftunternehmer, geprägten vom Fordismus abweichende Form der Nutzung Im Kontext der Frage, »Wie arbeiten wir und wie Ästhetisierung, Berlin Das unternehmerische Selbst: möchte ich hierbei etwas genauer eingehen. von Arbeitskraft idealtypisch auf den Punkt gebracht wer- Projektarbeit, flexible Beschäftigungsverhältnisse, Entgren- wollen wir arbeiten?«, ist eher interessant, welche Soziologie einer Subjektivie- den. Diese neue Form der Nutzung von Arbeitskraft ist nach zung, organisationsinterne Marktmechanismen, Netzwerke konkreten Arbeitsbedingungen wir in den kreati- Rosa, Hartmut (2005): rungsform Frankfurt Gesamtgesellschaftliche Diagnosen, wie z.B. Indivi- Voß/Pongratz geprägt durch drei Merkmale, die jeweils mit und organisationsübergreifende Karrieren – das sind Rah- ven Industrien vorfinden und welche Konsequen- Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstruktu- Cederström, Carl & dualisierung als großes Projekt der (Post-)Moderne einer typischen Arbeitgeber- bzw. Auftraggeber-Aussage menbedingungen und Formen der Arbeit, die für Künstler zen diese für Künstler und Kreative haben. Hiermit ren in der Moderne, Fleming, Peter (2013): (Beck), die Beschleunigungsgesellschaft (Rosa) illustriert werden: (1) Selbst-Kontrolle (»Wie sie die Arbeit und viele Kreative selbstverständlich und schon lange »nor- befasst sich eine wachsende Zahl empirischer Stu- Frankfurt Dead Man Working. Die oder die verflüssigte Moderne (Bauman) adressie- machen ist gleich – Hauptsache das Ergebnis stimmt!«), (2) mal« sind. Auch lässt sich zum Beispiel der Kreativitätsim- dien und analysiert neben den bereits genannten schöne neue Welt ren gesellschaftliche Rahmenbedingungen für fle- Selbst-Ökonomisierung (»Sie bleiben nur so lange, wie sie nach- perativ und der »neue Geist des Kapitalismus« maßgeb- Merkmalen insbesondere auch das Spannungsfeld Voß, Gerd-Günther (2003): der toten Arbeit, Bremen xible Beschäftigungsverhältnisse, aber auch für weisen und sicherstellen, dass sie gebraucht werden und lich gerade auf künstlerische Arbeits- und Lebensformen zwischen künstlerischer Logik (»Kunst um der Kunst Entgrenzung von Arbeit und Leben. Zum Wandel der Deutschmann, Christoph die Entgrenzung und Subjektivierung von Arbeit Profit erwirtschaften!«) und (3) Verbetrieblichung der Lebens- zurückführen, und eine wachsende Kreativszene (»Digi- willen«, ausgeprägte intrinsische Motivation und Beziehung von Erwerbstätig- (2008): Kapitalistische (Kocyba/Voswinkel, Moldaschl, Voß). Vorher klar führung (»Wir brauchen sie voll und ganz und zu jeder Zeit – tale Bohème«) bezieht sich zum einen auf diese Arbeits- Identifikation mit dem Produkt der eigenen Arbeit) keit und Privatsphäre im Dynamik. Eine gesellschafts- getrennte räumliche und zeitliche Grenzen zwi- und dazu müssen sie ihr Leben voll im Griff haben!«). und Lebensformen und sieht zum anderen in Arbeits- und und ökonomischer Logik (marktvermittelter Tausch Alltag, Mering theoretische Perspektive schen Erwerbsarbeit und anderen Lebenssphä- Das Kompositum Arbeitskraftunternehmer verdeut- Organisationsweisen sowie Geschäftsmodellen der Grün- und effiziente Verwendung von Ressourcen). Wiesbaden ren werden unschärfer. Organisationen fordern licht die Widersprüchlichkeit aus fordistischer Perspektive: derszene eine fundamentale Herausforderung für traditio- Besondere Merkmale von Künstlerarbeitsmärk- Voß, Gerd-Günther (2003): Subjektivierung zudem immer mehr vom gesamten Menschen ein. Selbstkontrolle ersetzt Fremdkontrolle und geht einher nelle Unternehmen (so Christoph Giesa und Lena Schiller ten wurden von Ökonomen schon früher untersucht Loacker, Bernadette (2010): von Arbeit, Mering kreativ prekär: Künstlerische Sie fordern Individuen auf, kreativ, ganz sie selbst, mit einem am Unternehmertum orientierten Marktver- Clausen in ihrem gerade erschienenen Buch New Business und sollen hier nur schlaglichtartig wiedergegeben Arbeit und Subjektivität im authentisch und unternehmerisch zu sein (Fleming, halten, das sich aber auf die eigene Arbeitskraft und deren Order: Wie Start-ups Wirtschaft und Gesellschaft verändern). werden, zum Beispiel: Postfordismus, Bielefeld Deutschmann, Reckwitz, Bröckling) und sich auch von kaum beeinflussbaren Marktkräften abhängigen Wert Daher verwundert es nicht, dass seit dem Jahr 2000 Baumol‘s Cost Disease – Produktivitätssteigerungen sind, bei der Arbeit voll und ganz einzubringen – ein bezieht. Paradoxerweise nehmen zugleich die (indirekte) sowohl die Wirtschaftspolitik als auch die sozialwissen- insbesondere im Vergleich zu industrieller Produktion, bei zentraler Unterschied zum Taylorismus und zur fordisti- Steuerung über Kennzahlen und Kräfte bindende organi- schaftliche Arbeitsforschung einen besonderen Blick auf der künstlerischen Produktion kaum möglich. schen Produktion, wo ja gerade nur die körperliche Arbeits- sationsinterne Restrukturierungsprozesse zu, während die sogenannten kreativen Industrien geworfen haben. Pool of Talent – Es gibt mehr hochqualifizierte Arbeits- kraft gefragt war. Diese Entwicklungen deuten Luc Bol- Zielvorgaben, an denen sich Arbeitskraftunternehmer in Hierunter wird durchaus Unterschiedliches verstanden: kräfte als Stellen, das heißt, es wird mehr Arbeit angeboten 28 29 als nachgefragt, was zu einem starken Wettbewerb unter den dauerhafte Bewertungen und Rankings (Theater/Schau- notwendige Konsequenz des Künstlerseins. Dieses Selbst- tungsdruck und der geschilderte lebensstilbasierte soziale den Künstlern führt. spieler des Jahres, Theatertreffen usw.) statt. In empirischen verständnis lässt sich als ein an der Bohème orientierter Kontrakt zum beruflichen Problem werden. Wenn neben Starving Artists – Die Entlohnung ist für die allermeisten Studien zur künstlerischen Arbeit an deutschen Theatern Lebensstil deuten (Eikhof/Haunschild). dem Theater auch anderes im Leben als wichtig erachtet Künstler wesentlich geringer als für Arbeitskräfte mit ähn- konnten Doris Ruth Eikhof und ich zeigen, dass sich die Bemerkenswert ist nun, dass es gerade dieser Lebens- wird bzw. der Aufmerksamkeit und Zuwendung bedarf, lichem Qualifikationsniveau in anderen Branchen. Merkmale des Arbeitskraftunternehmers, also Selbst-Kon- stil ist, der Theaterkünstlern hilft, ein arbeitsdominiertes, wird dies innerhalb des Beschäftigungssystems oft als ver- Multiple Jobholding – Viele Künstler haben mehrere Jobs trolle, insbesondere aber Selbst-Ökonomisierung und Ver- durch Mobilität geprägtes Leben mit temporären Arbeits- ringerte Beschäftigungsfähigkeit gedeutet. Insgesamt führt als Einnahmequelle, wobei mit der Kunst oft sogar nur ein betrieblichung der Lebensführung, sehr gut für eine Cha- beziehungen zu führen und zu akzeptieren, die gesamte dies zusammen mit ästhetischen Normen und einer gerin- kleiner Teil des Einkommens erzielt wird. Dennoch ist die rakterisierung der Arbeitsbedingungen von Schauspielern Persönlichkeit zu vermarkten und dabei ökonomische geren Zahl an Rollenangeboten zu einer auch künstlerisch Selbstwahrnehmung die eines Künstlers, d.h. es findet eine eignen (ausführlicher hierzu unser Beitrag in Theater heute Kalküle und Marktmechanismen (z.B. der interessenbe- legitimierten perpetuierten Benachteiligung von Theater- Entkopplung von Erwerbstätigkeit und beruflicher Identi- 3/2004). zogenen sozialen Vernetzung) zu verschleiern, aber auch künstlerinnen. tät statt. Selbst-Kontrolle ist aufgrund der Eingebundenheit in künstlerischen Individualismus mit dem für das Theater Es erscheint paradox: Der Lebensstil von Theaterkünst- Superstars – Auf manchen Künstlerarbeitsmärkten (Main- fremdorganisierte Probenprozesse, Aufführungen und wichtigen Kollektiv zu verbinden. Man könnte aus Sicht lern bewegt sich in Richtung der Selbstoptimierung von stream-Kino und klassische Musik) gibt es bei geringen Besetzungen eher gering bzw. bezieht sich weniger auf die des Fordismus sagen, dass diese lebensstilgeprägten Prä- Arbeitskraftunternehmern und es werden, z.B. von Ulf Talentunterschieden eine extreme Diskrepanz in der Höhe Arbeitsorganisation als auf die künstlerische Arbeit selbst ferenzen für Arbeitgeber paradiesische Zustände bedeu- Schmidt, moderne Managementmethoden und aus dem der Einkommen. und die eigene Weiterentwicklung. Eine explizite Personal- ten: Sie können Beschäftigungsverhältnisse temporär und IT-Bereich kommende Formen der Arbeitsorganisation für Early Career Effects und Entry Tournaments – Einige wenige entwicklung oder formalisierte Rekrutierungsverfahren flexibel gestalten, sie profitieren von der Aufopferung und das Theater vorgeschlagen, während zugleich Kreative Karrieren verlaufen sehr steil und sind z.T. schon von der findet man am Theater nicht. Autoritätsbeziehungen wer- Kreativität der Arbeitskräfte und sie können hierbei auch und Wissensarbeiter ihren Lebensstil an künstlerischen Reputation der Ausbildungsinstitution vorgezeichnet. Viele den eher künstlerisch denn formal und hierarchisch wahr- noch monetäre Anreize gering halten. Das Zusammenwir- Idealen ausrichten. Dies wirft die spannende Frage nach andere Künstler schaffen gar nicht erst den Einstieg in genommen und legitimiert. Selbstvermarktung findet nicht ken von Lebensstil und Personal- und Organisationsprakti- zukünftigen gesellschaftlichen Distinktionsmöglichkei- den Arbeitsmarkt. Der Druck auf dem Arbeitsmarkt und nur im Wettbewerb um Engagements statt, sondern auch ken lässt sich als ein kollektiver sozialer Kontrakt zwischen ten von Künstlern auf. diese Frühstart-Effekte führen zu einem harten Wettbe- im Wettbewerb um (gute, große) Rollen, wobei Besetzungs- Arbeitskräften und Organisationen deuten, dessen Merk- werb um Einstiegspositionen. Befristete, oft projektbezo- entscheidungen und Vertragsverlängerungen bzw. Gast- mal ist aber auch eine geringe Loyalität, insbesondere bei Aktuelle Entwicklungen der Arbeitswelt sind ambivalent. Die gene Beschäftigungsverhältnisse, Marktverhalten und die verträge (z.T. mit dem für Nichttheaterleute interessanten stark nachgefragten Künstlern. Freiheitsgrade und der Grad der Selbststeuerung von Arbeits- Notwendigkeit zum ständigen Netzwerken verbunden mit Konstrukt des »festen Gastes«) ein Signal an Schauspieler In jüngeren Studien zu genderbezogenen Arbeitsbe- kräften nehmen in der Tendenz zu, wissensintensive Arbeit den Merkmalen von Künstlerarbeitsmärkten zeichnen ein über erfolgte Talent- und Leistungsbewertungen darstellen. dingungen am Theater, die ich zusammen mit der Germa- ermöglicht Kreativität und ist herausfordernd, Teamarbeit durch Flexibilität, Kurzfristigkeit, Mobilität, Wettbewerb Der Zwang zur permanenten Selbst-Ökonomisierung, aber nistin Franziska Schößler durchgeführt habe, beobach- in Projekten ermöglicht Kompetenzentwicklung im Prozess und Prekarität (Manske, Loacker) geprägtes Bild der Arbeit auch die Tatsache, dass das Theater einen relativ geschlos- teten wir, dass beginnend Anfang der 90er Jahre, aber in der Arbeit und kann zur Selbstverwirklichung beitragen. von Künstlern und vielen Kreativen. Für die meisten Künst- senen sozialen Lebensraum markiert, tragen zu einem Ver- den letzten 10 Jahren verstärkt, Budgetkürzungen sowie Zugleich gehen mit Arbeitsintensivierung, Flexibilisierung, ler und Kreativen gilt: »Doing the work ist fun, finding the weben der Grenzen zwischen Arbeit und anderen Lebens- Theaterfusionen und -schließungen erfolgen und von den Marktdruck, Individualisierung, befristeten Beziehungen work is the job« (Randle / Culkin). sphären und damit einer Verbetrieblichung der gesamten Theaterkünstlern eine zunehmende Flexibilisierung und und der indirekten Kontrolle über vorgegebene Erfolgsziele Damit stellen die Arbeitsbedingungen in den kreativen Lebensführung bei. Arbeitsintensivierung z.B. durch eine Erhöhung der Auf- Selbstausbeutung und neue Belastungs- und Beanspru- Industrien sowohl eine Zuspitzung als auch eine Art Refe- Doch wie passt dieses mit dem Arbeitskraftunterneh- führungszahlen, verkürzte Probenzeiten etc. wahrgenom- chungsformen einher. Krankenkassendaten zeigen eindeu- renzpunkt für generelle Entwicklung in der Arbeitswelt dar. mertum charakterisierte Bild der Ökonomisierung und Ver- men werden. Ulf Schmidt hat dies in seinem Vortrag ein- tig, dass Krankheitsfälle und Fehltage durch psychische Manche sehen sie sogar als normatives Vorbild im Sinne marktung (ökonomische Logik) zu einem Selbstverständnis drucksvoll mit Zahlen unterlegt. Man könnte hierin eine Erkrankungen, auch von jüngeren Beschäftigten, rapide hochflexibler Arbeitskraftunternehmer, andere als Vorrei- als Künstler (künstlerische Logik) mit ja eigentlich habi- voranschreitende Ökonomisierung und ein tendenzielles zunehmen, während physische Erkrankungen eher leicht termodell, an dem man gerade auch die negativen Konse- tualisierten anti-ökonomischen Wertvorstellungen? Ein Zurückdrängen des staatlich geförderten Schutzraumes zurückgehen. Befragungen von Arbeitnehmern im Zuge der quenzen hochflexibler Arbeit studieren kann. Blick auf Merkmale klassischer Bohème-Ideale zeigt, dass Kunst und damit der bisher dominanten künstlerischen gewerkschaftlichen Initiative „Gute Arbeit“ zeigen, dass sich vieles davon im Selbstverständnis von Theaterkünst- Logik sehen. Es fällt auch auf, dass eine steigende Bedeu- viele Beschäftigte über Arbeitshetze, Arbeitsintensivierung, Die im vorangegangenen Abschnitt dargelegten Beschäfti- lern wiederfindet: eine bewusste Abgrenzung von der Mitte tung körperlicher Fitness für die Beschäftigungs- und Leis- ständige Erreichbarkeit und das Problem, nicht von der gungs- und Arbeitsbedingungen finden sich auch am Thea- der Gesellschaft und einem »spießigen Leben« (Distink- tungsfähigkeit wahrgenommen wird, so dass sportlichen Arbeit abschalten zu können, klagen. Die Hälfte der Befrag- ter wieder: Die Arbeit ist um Projekte herum organisiert, tion), Schauspielen als Berufung und nicht als Beruf, die Aktivitäten im Fitness-Studio gegenüber nächtlichen Tref- ten geht mindestens zweimal im Jahr zur Arbeit, auch wenn die mit Zeitdruck verbunden sind, Arbeitsverträge sind in Wahrnehmung des (Arbeits-)Lebens aus künstlerischer Per- fen in der Theaterkantine Vorrang gegeben wird. Auch hat sie sich krank fühlen (für Theaterschauspieler im Übrigen aller Regel befristet (legitimiert über das Grundrecht der spektive verbunden mit der Unterordnung des Privatlebens sich die Prekaritätswahrnehmung durch die Theaterkünst- eine Selbstverständlichkeit). Dies sind nicht nur neue Her- Kunstfreiheit), Karrieren verlaufen organisationsübergrei- unter die Anforderungen des Arbeitslebens, die Kontakt- ler selbst erhöht. ausforderungen für die arbeitenden Menschen, sondern fend, der Aufbau sozialen Kapitals und die Reputation in pflege an (halb)öffentlichen Plätzen (z.B. Kantine, Premie- Insbesondere am Beispiel von Schauspielerinnen lässt auch für die Arbeitswissenschaft, die neben der Arbeits- der Community sind zentral für die eigene Karriere. Es fin- renfeiern) und z.T. auch die Umdeutung von Prekarität als sich zeigen, wie sehr Arbeitsverdichtung, Selbstvermark- analyse auch zur Gestaltung guter, menschengerechter 30 31 die politische frage Franz Wille im Gespräch mit Rolf Bolwin, Barbara Mundel, Matthias Lilienthal und Marion Tiedtke

und gesundheitsförderlicher Arbeit beitragen will. Wäh- wärtigen Arbeitsbedingungen dar. Deren Veränderung »wie wollen wir arbeiten?«, fragte die Jahrestagung der Dramaturgischen Gesellschaft in Mannheim. Was hat rend sich körperliche Belastungen der Industriearbeit durch wird nur durch kollektive politische Einflussnahme mög- sich in der deutschen Theaterlandschaft verändert? Wo liegen die roten Linien? Was für Perspektiven gibt es? Eine Beobachtung direkt erschließen, ist es bei immateriel- lich sein. Und um es noch etwas komplizierter zu machen: Gesprächsrunde mit Barbara Mundel (Intendantin Theater Freiburg), Marion Tiedtke (Hochschule für Musik und ler Arbeit wesentlich schwieriger, die damit verbundenen Der Frage »Wie wollen wir arbeiten?« müsste eigentlich die Darstellende Kunst Frankfurt), Rolf Bolwin (Deutscher Bühnenverein) und Matthias Lilienthal (Theater der Welt) Belastungen und individuellen Beanspruchungen zu erfas- gesellschaftspolitische Frage »Wie wollen wir arbeiten las- sen. sen?« an die Seite gestellt werden. Begriffe wie »erschöpftes Selbst« (Ehrenberg), »Grati- ranz Wille: Wie wollen wir arbeiten – was für eine dumme bindlich sind; andererseits werden den Theatern Franz Wille ist Redakteur fikationskrise« (Siegrist) oder »permanentes Ungenügen« Frage. Wir wollen alle selbstbestimmt arbeiten, nicht ent- diese Tarifsteigerungen beim Zuschuss nicht aus- der Zeitschrift »Theater f heute«. (Menz/Kratzer/Dunkel) adressieren die Folgen der Selbstver- fremdet; wir wollen Zeit haben, um uns interessante Pro- geglichen. ausgabung und auch einer individuellen Selbstzurechnung duktionen auszudenken; wir wollen auf die Proben gehen Bolwin: Zum Beispiel. Der Bühnenverein sitzt strukturell verursachter Misserfolge, die zu Symptomen können; neue Formate entwickeln. Wie wir arbeiten wollen, da zwischen mehreren Stühlen: Einerseits erwar- wie Erschöpfung bzw. Burnout oder zu diagnostizierba- wissen wir alle, nur leider haben sich Wunschbild und Rea- tet die »Kunst«, dass die Strukturen künstlerische ren stressbedingten Krankheiten führen. Die Forschung lität im deutschen Theater in den letzten zwanzig Jahren Entfaltung erlauben; andererseits sagen die Poli- zum Zusammenhang zwischen Arbeitsbedingungen und deutlich auseinander entwickelt. Wir befinden uns immer tiker, sie hätten nicht mehr das Geld, diese Kunst psychischen Erkrankungen steht zwar noch am Anfang, stärker im Spagat zwischen künstlerischem Wollen und zu finanzieren; dann gibt es die Gewerkschaften jedoch lässt sich sehr wohl zeigen, dass es Arbeitsbedin- ökonomischer Situation, was Kompromisse erzwingt und wie die GDBA oder die Initiative »art but fair«, die gungen gibt, die eher zu psychischen Erkrankungen führen. künstlerische Arbeit immer stärker eingrenzt. Herr Bolwin, beklagen, dass Arbeitsbedingungen untragbar seien. Rolf Bolwin ist Geschäfts- Dies sind z.B. eine Entkopplung von Leistungsfähigkeit und Sie sind Direktor des Deutschen Bühnenvereins und der Man wird immer von allen drei Positionen aus kriti- führender Direktor des Leistungsanforderungen und damit eine dauerhafte Über- Mann mit dem großen Überblick. In einem Theater heute- siert – und solange das der Fall ist, habe ich eigent- Deutschen Bühnenvereins. forderung, eine hohe Arbeitsintensität bei geringer Hand- Gespräch haben Sie unlängst gesagt, dass eine der wesent- lich das Gefühl, wir machen alles richtig. Denn lungsautonomie, fehlende soziale Unterstützung sowie lichsten Erkenntnisse der letzten anderthalb Jahrzehnte würde man nur von einer Seite kritisiert, dann hätte Arbeitsanforderungen, die eigenen professionellen Stan- sei, dass unser Theatersystem nicht statisch ist, sondern man sich wahrscheinlich zu sehr in eine Richtung dards widersprechen, wie z.B. in der Pflege, aber auch bei es habe sich grundlegend verändert und werde das auch bewegt. Am Anfang steht natürlich immer die Ärzten, Wissenschaftlern oder Künstlern. Folgt man Krite- weiterhin tun. Können Sie uns diese Veränderungen der Frage nach der Kunst, dann die Frage nach den rien der Arbeitswissenschaft für motivierende und gesun- letzten zehn, zwanzig Jahre kurz umreißen? sozialen Rahmenbedingungen und am Ende die derhaltende Arbeit, sind es zudem fehlende Wertschätzung Rolf Bolwin: Das ist gar nicht so einfach. Wenn man Frage, wie viel Geld wir haben. Diese letzte Frage und Anerkennung sowie fehlender Sinn in der und durch sich ansieht, was in den letzten zwanzig Jahren passiert ist, hat allerdings mittlerweile eine viel zu entschei- die Arbeit, die zu negativen gesundheitlichen Auswirkun- und ich prophezeie, dass es auch in den nächsten zwan- dende Bedeutung bekommen. Barbara Mundel ist Intendantin des Theaters gen führen. zig Jahren so weitergeht, dann muss man feststellen, dass Wille: Dann muss ich doch noch ein paar Zah- Freiburg. Dies wirft natürlich die Frage auf, wie (un)gesund bzw. irgendeiner immer wieder an irgendeiner Stellschraube len anführen. Es gibt nämlich massive Veränderun- krankmachend die Arbeit am Theater ist. Meine Vermu- dreht. Wir haben die Tarifverträge im künstlerischen gen in unserem so hochgeschätzten Ensemble- und tung ist, dass gerade künstlerischer Lebensstil und intrin- Bereich komplett überarbeitet, wir haben uns die Regelun- Repertoiretheatersystem, die dieses von innen aushöhlen. sische Motivation kombiniert mit positiv herausfordern- gen mit den Verlegern vorgenommen, wir haben versucht in Die Zahl der festangestellten Schauspieler ist in den letzten den Arbeitsinhalten und Autonomie eher präventiv gegen die Häuser hineinzuwirken – zum Beispiel durch optima- zwanzig Jahren von etwa 3000 auf 2000 gefallen, während Burnout wirken, auch wenn die Lebensumstände aus lere Dienstpläne im technischen Bereich; wir haben auch die Auslastungsquoten und damit der ökonomische Druck einer Außenperspektive Merkmale von Prekarität aufwei- an den Rahmenbedingungen gearbeitet, sei es im Sozial- deutlich gewachsen sind und der Output an Inszenierun- sen. Allerdings führen Ökonomisierung, Arbeitsintensivie- versicherungsrecht oder in vielen anderen Bereichen. Es gen im selben Zeitraum von gut 3000 auf über 4000 stark rung und extrem unsichere Beschäftigungsbedingungen, gibt einen grundsätzlichen Konflikt in der Politik: In der angestiegen ist. Gleichzeitig wird an den Gagen gespart. fehlende soziale Absicherung und permanenter intensiver Kommunalpolitik und der Landespolitik stellen wir die Ich zitiere Klaus Zehelein, den Präsidenten des Deutschen Wettbewerb ohne soziale Unterstützung dazu, dass dies Neigung fest, die Gelder zurückzufahren oder einzufrie- Bühnenvereins, der in dem schon erwähnten Gespräch kippen kann. Ein künstlerisches Selbstverständnis kann ren – während die gleichen Parteien im Bundestag oder in auch sagte: »Es wächst die Zahl der Haustarifverträge; ich dann die ständige Überforderung und Selbstausbeutung den Landtagen gesetzliche Vorschriften verabschieden, die hebe meine Hand nicht mehr dafür. Man rettet zwar erst und die allgegenwärtigen Flexibilitätsanforderungen nicht die Theater Geld kosten. mal ein Haus, verfestigt aber Bedingungen, die eigentlich mehr kompensieren. Wille: Konkret: Es werden einerseits Tarifsteigerungen nicht tragbar sind.« Die dg-Tagung »Wie wollen wir arbeiten?« stellt einen mit der Gewerkschaft ver.di vereinbart, die für die nach Bolwin: Es ist richtig, dass sich die Ensembles ver- wichtigen Beitrag zur kollektiven Reflexion dieser gegen- Öffentlichem Dienst bezahlten Theatermitarbeiter ver- ändern, dass die Zahl der Stückverträge gestiegen, die Zahl 32 33 der festen Engagements gefallen ist. Aber es gibt in für Schauspieler. Was die Gender-Gerechtigkeit betrifft, zeiten gab es nicht. Im Lauf des Jahrzehnts, in dem wir anders entschieden, aber ich plädiere ganz klar für eine den letzten vier Jahren auch schon wieder Gegen- sind wir eins der wenigen Schauspiel-Ensembles, die zeit- in Berlin gearbeitet haben, hat sich das sehr differenziert. größere Vielfalt von Organisationsformen des Theaters in entwicklungen. Die Zahl der am Theater Beschäftig- weise mehr Frauen als Männer engagiert haben. Inzwischen gibt es Gruppen wie Constanza Macras, Rimini der Bundesrepublik. ten ist in diesem Zeitraum um 800 gestiegen. Was Wille: Und wie sieht es mit den Arbeitsbedingungen Protokoll, She She Pop oder Gob Squad, die tendenziell mit Wille: Marion Tiedtke, wenn man wie Sie eine Ausbil- der Präsident zu den Haustarifverträgen gesagt hat, in den verschiedenen Sparten aus? der Bezahlung auf dem Level eines mittleren Stadttheaters dungsinstitution leitet, übernimmt man nicht geringe Ver- ist sicher richtig. Andererseits wissen wir, dass es Mundel: Hm. Wir diskutieren da sehr viel. Im Musik- sind, und durch den Fakt der Selbstbestimmung über eine antwortung für junge Leute, die dort entscheidende, wei- gerade in den neuen Bundesländern Theater gibt, theater sind die Arbeitszeiten sehr streng geregelt, im Schau- andere Handlungssouveränität verfügen. Heute gilt: Es gibt chenstellende Jahre ihres Lebens verbringen sollen. Wenn die wir zu den Flächentarifverträgen nicht werden spiel bin ich inzwischen sehr rigide, was die Einhaltung von billig und teuer produzierende Stadttheater, ebenso wie es man den im letzten Jahrzehnt deutlich veränderten Arbeits- Matthias Lilienthal , designierter Intendant der finanzieren können. Wenn eine Stadt mit 30.000 Ruhezeiten angeht. Bemerke aber auch immer wieder, wie billig und teuer produzierende freie Gruppen gibt. markt für Schauspieler, Regisseure, Theaterleute betrach- Münchner Kammerspiele, ist bis 40.000 Einwohnern ein Theater mit 200 bis 300 das hinten herum ausgehebelt wird, wenn sich Schauspie- Wille: Und jetzt wieder an die Kammerspiele, einem tet, wie fühlt man sich dabei? Wie bereitet man sie auf diese Programmdirektor von Mitarbeitern finanzieren soll, stößt man schnell ler mit Regisseuren für lange Proben verabreden. Wenn ein teurer produzierenden Stadttheater. Arbeitswelt vor und behält dabei ein gutes Gewissen? „Theater der Welt 2014“ in an Grenzen. Schauspieler am Abend Vorstellung hat, muss die Ruhezeit Lilienthal: Als ich an den Kammerspielen jetzt ein Ensem- Marion Tiedtke: Ein Studium der Darstellenden Mannheim. Wille: Sie spielen da auf die Rostocker Situa- eingehalten werden. Wir haben als Konsequenz aus unse- blegespräch hatte, war ich wieder wie vom Blitz getroffen, Kunst mit gutem Gewissen zu entwickeln, ist tagtäglich tion an: Da gab es für die Orchestermitglieder eine ren Diskussionen aus dem Mitarbeiterprojekt zum Beispiel wenn Schauspieler erzählten, zu welchen Produktionen sie eine Herausforderung und echt schwierig. Es ist nach wie Tariferhöhung von 8,9 Prozent, was für das Haus seit dieser Spielzeit den probenfreien Samstag eingeführt. verdonnert werden, welche Abhängigkeiten von Betriebs- vor so, dass eine Schauspielausbildung in diesen grundstän- einen sofortigen Mehrbedarf von ca. 460.000 Euro An Samstagen versuchen wir uns in gemeinsamen Veran- notwendigkeiten bestehen und wie sie ein Berufsbild ver- digen Studiengängen vier Jahre dauert, davon beträgt die bedeutet, worauf Rostock aus dem Bühnenverein staltungen ohne Teilnahme-Zwang komplexen Themen zu mitteln, das das Gegenteil von selbstbestimmt ist. Ich hatte effektive Ausbildungsdauer dreieinhalb Jahre. Dieser Zeit- austreten will, um diesem Flächentarifvertrag zu widmen. Ein Diskussionsthema mit den Schauspielern ist solche Stadttheaterverhältnisse total vergessen, weil es das raum hat sich in den letzten zwanzig Jahren nicht verändert, entkommen... für mich beispielsweise, ob sie überhaupt den festen Ensem- in meinem Radius in den letzten fünfzehn Jahren nicht gab. aber es ist ganz viel Neues dazugekommen. Man pfropft in Bolwin: Ich will hier nicht über Rostock disku- ble-Status mit vier bis fünf Produktionen pro Spielzeit wol- Am HAU gab es erst das Projekt, dann den Kampf um die diese Zeit immer mehr hinein: Medienkompetenz, Arbeit Marion Tiedtke ist tieren, das würde zu weit führen, nur zwei Anmer- len oder lieber freiere Lösungen. Ohne dass ich jetzt schon Mittel für das Projekt und dann den Kampf um die Bedin- vor der Kamera und dem Mikrofon, verschiedene Produk- Dekanin des Fachbereichs kungen: Es handelt sich um 6,2 Prozent und es han- genau sagen könnte, wohin die Reise geht. gungen, das Projekt zu realisieren. Aber jeder der beteilig- tionsformate und Eigenarbeiten, und darüber hinaus die Darstellende Kunst an der delt sich um Lohnerhöhungen, die alle anderen Wille: Da scheint es ja einiges an Gesprächs-, Vermitt- ten Partner kann selbst bestimmen – innerhalb des finan- sogenannte Berufsfeldvermittlung mit Vertragsrecht und Hochschule für Musik und Gruppierungen am Theater schon vorher bekom- lungs- und auch Therapiebedarf zu geben. Matthias Lilien- ziellen Rahmens. Das ist im Ensembletheater anders. Castingagenturen etc. Im Alltag sieht das dann so aus, dass Darstellende Kunst in Frankfurt am Main, men hatten... thal ist hier nicht nur Fachmann fürs Stadttheater, von dem Mundel: Aber auch das Anträge-Schreiben für Projekte ist die Studierenden innerhalb der dreieinhalb Jahre von 10 Ausbildungsdirektorin und Wille:... sozusagen ein nachgeholter Gerech- er – Stichwort Basel, Stichwort Berliner Volksbühne – her- kein selbstbestimmtes Handeln... Uhr morgens bis 10 Uhr abends ein volles Unterrichtspro- Professorin für Schauspiel tigkeitsausgleich. Dann sprechen wir doch gleich kommt, und wohin er demnächst auch zurückkehren wird Lilienthal: … nee, das ist ein sich Drehen und Winden gramm absolvieren müssen. In den sogenannten Semes- mit Barbara Mundel, die auch ein Dreispartenthe- – nämlich an die Münchner Kammerspiele. Sondern er ist Mundel:... eben, insofern gleicht es sich an. terferien arbeiten sie dann in Inszenierungen, Workshops ater leitet, und zwar in Freiburg. Dreispartentheater sind hier auch der Spezialist für freie Produktionsformen, Fes- Lilienthal: Aber als versierter Antragskünstler konnte oder Gastengagements. für unsere Diskussion besonders interessant, weil dort tivals und Produktionshäuser wie das Berliner HAU, das er man in jeden Antrag all das reinfummeln, was man gerade Wille: Und wie hat sich die Schnittstelle nach Ende des nicht nur die technischen, Verwaltungs- und künstleri- von 2003 bis 2012 mit großem Erfolg geleitet hat. Wie sieht wollte – und das macht mir Spaß. Studiums verändert, die Vermittlungsquoten, der Start in schen Berufe unter einem Dach zusammenarbeiten, son- denn da die Arbeitsrealität aus? Wille: Halten wir fest: Wir stehen hier zwischen dem den Beruf? Wenn die Zahl der festen Ensembleschauspieler dern auch die unterschiedlichsten künstlerischen Berufe: Matthias Lilienthal: Als ich am HAU angefangen Antragsopportunismus freier Produktionen und künstleri- sich um ein Drittel reduziert hat, gleichzeitig die elf staatli- Schauspieler, Tänzer, Sänger, Musiker. Also vor allem habe, war das für mich eine sehr merkwürdige Erfahrung. scher Fremdbestimmung im luxuriösen Stadttheater. Man chen Schauspielschulen den gleichen Output bieten, dürfte Solisten und die großen Kollektive wie Chor und Orches- Als Chefdramaturg der Berliner Volksbühne konnte ich hat in der Freien Szene sicher für viele Beteiligte eine höhere es der junge Schauspieler doch deutlich schwerer haben ter mit ihren stark reglementierten Dienstplänen. Wie sieht Andreas Kriegenburg oder Christoph Marthaler einen Stoff künstlerische Selbstbestimmung, man hat auch meist noch am Arbeitsmarkt? Immer weniger Absolventen erhalten es da im Vergleich der Arbeitsbedingungen und in punkto vorschlagen, oder einen anderen ablehnen – und am HAU größere ökonomische Risiken. Und natürlich ist die Situ- feste Anfängerengagements, müssen sich deutlich pre- Gagengerechtigkeit aus? hatte ich es plötzlich mit Künstlern als selbstständigen ation in Berlin, wo es einen Hauptstadtkulturfonds gibt, kärer, projektorientierter, gastweise verdingen. Und die- Barbara Mundel: Ich halte das bei uns für einiger- Unternehmern zu tun, die mit Projektanträgen ihr eigenes wo die Bundeskulturstiftung ein Büro hat und gerne mal jenigen, die ein erstes festes Engagement ergattern, haben maßen austariert. Wir haben allerdings kein sogenanntes Geld eingeworben haben. Ich war letztlich einflusslos. Wie vorbeischaut, wesentlich besser als in den meisten ande- nach zwei Jahren oft erhebliche Probleme mit Anschlussbe- A-Orchester, sondern ein B-Orchester mit einem niedrigen sie dann gearbeitet haben, das haben sie selbst entschieden. ren Städten, so es dort überhaupt Produktionshäuser gibt. schäftigungen. Umgekehrt haben sich gerade in der Tiefe Tarifgefüge. Wir haben Sänger, die, wenn sie nicht als Gast Die jeweilige freie Gruppe hat ihre eigenen Performer ange- Lilienthal: Ein Beispiel: Ich hatte mal vor sieben, acht der Provinz – nicht abschätzig gemeint – die Ensembles engagiert sind, kaum höher bezahlt werden als Schauspie- stellt, sie haben meine Techniker engagiert. Insofern war Jahren überlegt, das Theater in Potsdam, gleich vor Ber- deutlich verjüngt, ganz einfach, weil junge Schauspieler ler, und der Tanz verfolgt bei uns sowieso ein ganz anderes es eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Von den sozialen lin, nicht als Stadttheater zu betreiben, sondern als Pro- billiger sind und Nachschub immer auf den Markt kommt. Modell ohne festangestellte Tänzer. Natürlich unterschei- Standards her läuft es allerdings bei vielen freien Gruppen duktionshaus. Damit hätte man viel höhere künstlerische Tiedtke: In der Tat, da liegt das Problem. Wir haben det sich der Tarifvertrag eines Orchesters extrem von dem leider beschissen; Diskussionen über Arbeits- oder Ruhe- Bewegungsmöglichkeit bekommen. Man hat sich damals jedes Jahr bundesweit etwa 180 Schauspielabsolventen 34 35

allein von den staatlichen Ausbildungsinstitutionen. Die ren immer mit Optimierungsangeboten und diskutieren Angst zu nehmen, dass nach vier Jahren Ausbildung viel- ren. Also beide Systeme nebeneinander existieren zu las- offizielle Vermittlungsquote der Zentralen Arbeitsvermitt- das Thema nie politisch. leicht gar kein Angebot kommt. Schwierig wird es auch, sen, auch wenn das ökonomisch aufwendig ist... lung bei Schauspielern beträgt achtzig Prozent; dahinter Wille: Das Thema politisch diskutieren: Bitte, Herr wenn Theater die Studierenden an ihre Häuser holen und Wille: ...also ein Hybrid aus freien Gruppen und verbergen sich ungefähr gleich verteilt sowohl Gastspiel- Bolwin. man dabei den Eindruck gewinnt, es ginge nur um eine Ensemble- und Repertoirebetrieb... wie Festverträge. Vakanzen für Festengagement gibt es jähr- Bolwin: Barbara Mundel hat völlig recht. In der Tat billige Ensembleverlängerung. Damit fallen auch wieder Lilienthal: ... Ensemble im Zentrum, freie Gruppen als lich circa sechzig. haben wir alle den Satz internalisiert, den Kommunen Plätze weg für ein wirkliches Anfängerengagement. Von Regisseure. Aber das ist sehr kompliziert. Ich rede gerade Lilienthal: Ich finde es schade, dass sich die Schau- gehe es schlecht, sie hätten kein Geld. Die Kommunen ehemaligen Absolventen höre ich immer wieder, dass sich mit Gob Squad, die gesagt haben: Wir machen was und spielschulen zu wenig um die freien Gruppen kümmern, haben aber in den letzten beiden Jahren die Löhne für alle Produktionen derart überschneiden, dass die eine Pre- wir kommen zu siebt. Nun ist die Regiegage an den Kam- denn der Freie-Gruppen-Markt spielt – in Berlin besonders, Mitarbeiter um 6,5 Prozent erhöht. Wenn wir den gesam- miere noch gar nicht raus ist, während die anderen Lese- merspielen nicht schlecht, aber wenn man sie durch sieben aber auch bundesweit – eine große Rolle. Es wäre dringend ten Öffentlichen Dienst nehmen – Länder und Bund noch proben schon anfangen. Oder sie proben gleichzeitig in teilt, bleibt nicht viel übrig. Vor solchen Problemen steht geboten, dass eine Schauspielschule ihre Ausbildung auf dazu –, sieht es auch nicht viel anders aus. Und ein Pro- zwei Stücken. Das heißt: Wir geben derzeit den ökonomi- man dann. Aber ich sehe dafür auch keine grundsätzliche den Beruf des Performers umstellt. Eine der Ideen, mit zent Lohnerhöhung für den gesamten Öffentlichen Dienst schen Druck von außen einfach nach innen an die Betriebe Lösung, sondern würde immer versuchen, für jeden Ort denen ich gerade in München herumlaufe, ist die Forde- entspricht der gesamten Theater- und Orchesterförderung weiter. Den Druck sollten wir an die Politik zurückgeben eine andere Fantasie zu setzen. Es hängt auch immer von rung nach einer Performanceausbildung an der Münchner dieses Landes! Dann setzen wir uns hin und behaupten: und auf die Bedingungen verweisen, unter denen wir kre- den jeweiligen Personen ab. So richtig und sympathisch Theaterakademie. Gerade wenn der Arbeitsmarkt an den Die hätten alle kein Geld. Es ist Geld im System! Es wird ativ arbeiten können – auch bereits in den ersten Gesprä- ich den Versuch von Shermin Langhoff am Gorki-Theater Stadttheatern rückläufig ist! in dieser Bundesrepublik munter Geld ausgegeben, dass chen der Intendantenfindung. mit einem Diversity-Ensemble finde, so wenig könnte ich Wille: Danke an alle in der Runde. Wir haben jetzt in man oft den Kopf schüttelt. Und es bedarf einer politischen Bolwin: Aber da müssen Sie mal erleben, was in einer dieses Ensemble integrieren. Es hängt immer davon ab, einem ersten Durchgang den Status Quo einer sich verän- Debatte, was man fördern möchte und was nicht. Dieser Findungskommission so passiert. Ich habe ja nun einige wer etwas macht. Insofern würde ich mir mehr subjektive dernden Theaterlandschaft vermessen; in einer zweiten Diskussion sollten wir uns stellen. Als die Diskussion in hinter mir. Wenn man sich da vorab erlaubt, die natürlichs- Prägungen an den Theatern wünschen, und ich würde mir Runde wollen wir uns mit Zielkonflikten und roten Linien den 90er Jahren losging über Strukturveränderungen am ten Fragen zu stellen – also: Was für ein Budget bekommt natürlich wünschen, Strukturen stärker zu liberalisieren. beschäftigen. Wenn sich der ökonomische Druck im Sub- Theater, haben wir im Bühnenverein immer gesagt, am der neue Intendant, welche Zusicherungen, welche Spiel- Tiedtke: Eine Perspektive könnte heißen: mehr Zeit ventionsraum des deutschen Theaters so verstärkt, dass Ende wird es auf die Knochen der Mitarbeiter gehen. Es gibt räume hat der neue Leiter, – da wird man schon sehr schief für die Ausbildung. Wenn sich der Arbeitsmarkt verändert, die künstlerischen Freiräume übermäßig eingeschränkt keine Strukturveränderung ohne andere Beschäftigungs- angeschaut. Manch einer stellt sich dann gerne auf den muss sich auch das Studium verändern. Ich denke, man werden, muss man sich fragen, wo die Grenzen des Erträg- verhältnisse. Wir können uns nicht vom Ensemble- und Standpunkt, abzuwarten, wer zu den besten Preisen antritt. sollte mehr eigenverantwortliche Projektarbeit schon in lichen liegen. Während man bei den Kürzungen in den Repertoirebetrieb in Richtung projektbezogener Betrieb Lilienthal: Ich finde die Haltung richtig, zu sagen, der Ausbildung ansetzen, damit man eine künstlerische 90er Jahren noch sagen konnte, da werden innere Ver- verabschieden und so tun, als habe sich für die Beschäftig- das Geld sei im Prinzip da. Andererseits muss man auch Handschrift entwickeln kann neben den Darstellungsauf- krustungen der Institutionen aufgelöst, sind in den Nul- ten nichts verändert. Es hat sich massiv etwas verändert für ganz offen eingestehen, dass Theater seit den 80er Jahren gaben, die man am herkömmlichen Theater zu erbringen ler Jahren viele Theater in ihrer Existenz so bedroht, dass die Leute und es wird sich weiter massiv verändern, wenn des vergangenen Jahrhunderts an Relevanz verloren hat hat. Das bedeutet in der Konsequenz, dass eine Ausbildung sich die Frage stellt, ob es hier noch um Kunst geht oder man den Weg weiter beschreitet. Diese Strukturdebatte und viele Kommunen einfach nicht mehr bereit sind, so heute ruhig fünf Jahre dauern könnte. Auch Performance nur noch um Weihnachtsmärchenabspielmärkte. Was will hat auch dazu beigetragen, dass die Politik glaubt, das Sys- viel Geld für Theater auszugeben. Das ist eine klare Wil- sollte man durchaus in die Schauspieler-Ausbildung inte- man bewahren, wenn man nicht alles bewahren kann? Die tem sei nicht in Ordnung und sich berufen fühlt, das zu lensentscheidung, dem Theatersektor nicht mehr die Mit- grieren, anstatt wieder ein neues Spezialistentum aufzu- Ensembles? Die Arbeitnehmerrechte? Das Repertoire? Den ändern. Da müssen Sie Herrn Dorgerloh in Sachsen-Anhalt tel zuzuweisen, die er mal hatte. Und neben der Frage, was bauen. Das fände ich sehr spannend und zukunftsweisend. Kunstanspruch? Die Quote? nur zuhören. Und was bedeutet das am Ende? Sparten uns zusteht, gilt mindestens ebenso die Frage, wie unser Bolwin: Ich fände sehr interessant, die Strukturen Mundel: Mit roten Linien tue ich mich schwer. Ich -abbau! Entlassungen! Noch schlechere Arbeitsbedingun- kultureller Bereich wieder eine Relevanz gewinnt, die sol- aufzubrechen, wie Matthias Lilienthal es versuchen will. halte den ökonomischen Druck ohnehin für ein Konstrukt. gen! che Forderungen rechtfertigt. Im Moment ist das einfach Und es wäre grundsätzlich zu fordern, dass die juristischen Wir tun alle so, als wäre der ökonomische Druck unaus- Wille: Also offensiver auftreten, die Debatte politisch nicht der Fall. und ökonomischen Rahmenbedingungen – das Kernge- weichlich. Aber von wem kommt er denn? Es gibt unglaub- führen. Marion Tiedtke, wo liegen für Sie die roten Linien Bolwin: Das wäre genau die richtige Diskussion. schäft des Bühnenvereins – so ausgestaltet werden müssen, lich viel Geld in der Bundesrepublik und es ist die Frage, wie für ihre Studenten? Wille: Dann fragen wir doch gleich in einer weite- dass genau das möglich wird. Das ist relativ schwierig, weil man damit umgeht! Das ist eine gesellschaftliche Debatte Tiedtke: Rote Linien wären Dumping-Gagen, die ren Runde nach den Perspektiven: Was muss man ändern, wir jeden Tag den Versuch erleben, solche Öffnungen zuzu- – und wenn wir diesen Diskurs nicht zurückgewinnen, dazu führen, dass eine Ausbildung kein Äquivalent mehr an den Institutionen und an der Arbeit in den Institutio- schütten. Ich könnte jetzt viel reden über Personalvertre- wenn wir das nicht politisch thematisieren, dann streiten in der Bezahlung findet. Dann geht es nur noch um ein nen, damit künstlerische Arbeit nicht von ökonomischem tungsrecht und Betriebsverfassungsrecht und die Dienst- wir uns um »Work-Life-Balance«. Absurd. Auch wenn es gegenseitiges Unterbieten unter der Androhung: »Wenn Druck verschüttet wird, damit sich Theater als künstle- leistungsgewerkschaft ver.di und ähnliches – das erspare den Kommunen schlecht geht, ist es doch eine politische dus nicht machst, dann machts ein anderer.« Rote Linie risch-kritische Kraft rechtfertigt? ich uns jetzt. Dort liegen aber die Gefahren für bewegli- Entscheidung, ob und wie sie Kultur unterstützen wollen. bedeutet, Studierenden, die im dritten Jahr schon wegen- Lilienthal: Ich fange ganz langsam an den Münchner chere Strukturen. Und dann gibt es ein zweites interes- So ist es eine Lüge. Das ist meine rote Linie. Wir reagie- gagiert werden sollen, davon abzuraten, sich zu früh in Kammerspielen an und versuche dort, meine Erfahrungen santes Phänomen: Dass, wenn man die rechtlichen Rah- den Arbeitsmarkt einzuspeisen. Es ist schwer, ihnen die aus dem freien Bereich mit dem Stadttheater zu kombinie- menbedingungen öffnet, um mehr oder bessere Kunst zu 38 39 Performing Arts Programm Berlin pap-berlin.de BerAten. VernetZen. stärKen. ermöglichen, genau das passiert, was auch in den letzten fünfzehn Jahren passiert ist: Nämlich dass diese Öffnung... Wille: ... negativ auf die Arbeitsbedingungen zurück- schlägt... 7 Module für die freien Bolwin: ... und zwar deshalb, weil man die neuen Frei- heiten dann gerne zu Rationalisierungszwecken nutzt. Das ist fatal. Es war ja nie die Absicht, über den Normalver- dArstellenden Künste. trag Bühne die Ausnutzung von Künstlern zu fördern oder Einsparpotenziale zu eröffnen. Aber genau da liegt die Gefahr – auch bei weiteren Liberalisierungen. Und ein drit- Marketingwettbewerb Beratungsstelle ter Punkt: Letzten Endes glaube ich, Stichwort Relevanz, __ Expertenberatung rund um wird die Zukunft des Theaters auf der Bühne entschieden. freie darstellende den Produktionsprozess und Infor- Man muss sich heute mehr als je zuvor überlegen, was wir Künste __ Preise für die außerge- mationsveranstaltungen für freie den Zuschauern zeigen, erzählen, vermitteln wollen. Jeder wöhnlichsten Kommunikationskon- Tanz- und Theaterschaffende Theaterabend, nach dem die Zuschauer sagen, sie wuss- zepte der Stadt ten nicht, warum sie da gesessen haben, ist ein verlore- ner Theaterabend. Mundel: Dem ist fast nichts mehr hinzuzufügen. theaterscoutings __ die andere Theaterseite Warum hat Kunst diese Relevanz verloren – das gilt für die Mentoringprogramm entdecken. Theaterspaziergänge, Bildende Kunst übrigens ebenso wie fürs Theater – nämlich __ Betreuung, Einzelcoaching und Workshops für Nachwuchs und begleitete Besuche, individuelle als Ort des Widerstands gegen den ökonomischen Druck? EinsteigerInnen Führungen. Diesen Diskurs muss das Theater führen und wieder bes- ser in die Hand bekommen. Zentrale Branchentreff der Marketingstelle __ der freien darstellenden Ansprechpartner für alle, die mit Künste __ Strategien entwickeln, den freien darstellenden Künste Wissen vermitteln, Kollegen begegnen. Kontakt aufnehmen wollen Wieder im Oktober 2014.

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Das Performing Arts Programm ist ein Programm des

40 auf dem weg zum agilen theater

Zusammenfassung des Vortrags von Ulf Schmidt

n den letzten Jahren werden die Angriffe auf das Theater- spieler. Zugleich die Tendenz zur Lohndrückerei i system aus feuilletonistisch-publizistischer Sicht häufiger dort, wo der gewerkschaftliche Widerstand offen- und schärfer. Zugleich gehen die Budgetkürzungen zuneh- bar schwach ist: bei den Schauspielern, deren rea- mend an die Substanz und selbst Theaterschließungen les Gehalt in den letzten zwanzig Jahren inflations- sind, wie in Wuppertal, bereits Realität. Die Auslastung im bereinigt um dramatische 50 % gesunken ist. Die Schauspiel scheint über die Jahrzehnte konstant bei etwa massive Zunahme unsteter Beschäftigungsverhält- 69 % zu liegen. Franz Wille hat jedoch in Theater Heute 2012 nisse ist frappierend und im Zusammenhang mit einen Anstoß geliefert, den Blick auf die »wahren Trends« dem Abbau regulärer Beschäftigung eine Paral- Ulf Schmidt lebt als freier zu richten. Das hat Ulf Schmidt veranlasst, die Statistiken lele zur neoliberalen gesellschaftlichen Umgebung. Autor und Digitalberater in der letzten zwanzig Jahre einmal genauer zu untersuchen: Immer weniger Mitarbeiter müssen unter immer Berlin. Die Gesamtbesuche gehen massiv zurück, Jahr für Jahr schlechteren Bedingungen immer mehr produzie- um durchschnittlich ein Prozent, in den letzten knapp ren. Stetig zurückgehende Besuchszahlen, immer weniger sechzig Jahren um etwa 60 % – jedes Jahrzehnt um eine Künstler, zunehmend schlechte Arbeitsbedingungen, die Million. Das hindert die Theater aber nicht daran, sich das System zum Burnout führen. Das ist eine katastrophale massiv aufzublähen. Für die zehn Millionen Zuschauer Entwicklung, die die schleichende Abwicklung der deut- 1957/58 standen 129 Spielstätten mit 94.000 Plätzen zur schen Theaterlandschaft als eine reale Gefahr erscheinen Verfügung. Heute braucht es das Sechsfache an Spielstät- lässt. Die Abwicklung des Stadttheater-Schauspiels hat ten und das Dreifache an Plätzen, um die Hälfte der Besu- begonnen. So sieht es aus, wenn Branchen plattgemacht cher zu bekommen, weil immer mehr kleine Spielstätten werden. Kohle. Stahl. Theater. Kürzen, Personal abbauen, benötigt werden. zusammenlegen. Schließen. Nun hört man gelegentlich davon, dass eine Überpro- duktion im Schauspiel stattfindet, dass immer mehr in Theaterkrisen sind so alt wie das Theater. Dass aber diese immer kürzerer Zeit produziert werden muss. Dabei liegt Krise eine finale sein könnte, darauf deuten nicht allein die die Zahl der Neuinszenierungen im Bereich Schauspiel blanken Zahlen hin, sondern auch die Gleichgültigkeit, mit edition heute nur knapp über der von vor zwanzig und deutlich der die breite Öffentlichkeit auf bestandsgefährdende Bud- unter der von vor zehn Jahren. Auch die Zahl der Veran- getkürzungen und Schließungen reagiert. Ohne jede Rebel- staltungen in den klassischen Sparten ist nicht gestiegen. lion. Eine Öffentlichkeit, die aufstünde, weil sie begreift, Smidt Das heißt: Man spielt nicht gleichzeitig im großen und im dass man ihr etwas wegnimmt, ist beim Theater nicht in kleinen Raum, sondern im kleinen statt im großen Raum. Sicht. Es scheint, als würden die Menschen in den betroffe- Offenbar wird eine fünfte Sparte immer umfänglicher. nen Städten die Theater nicht als Eigenes sehen, für das es Bernd Steets Der Bühnenverein verzeichnet sie unter den seltsamen Kate- zu kämpfen lohnt. Und das ist die eigentliche Katastrophe. Theateralmanach gorien »Sonstiges« und »theaternahes Rahmenprogramm«. Wenn wir Theater weiter machen wollen, gilt es, sich Neue Stücke Nach dem Schauspiel hat sie die zweitmeisten Veranstal- mit Theater neu zu befassen und es anders zu machen, zu Theatermanagement tungen. Und sie wächst schnell: in zwanzig Jahren um denken, zu verstehen, zu organisieren. Es heißt vor allem, das Dreifache. Dass das stressig ist, ist leicht einzusehen. sich mit der gegenwärtigen Gesellschaft neu auseinander- www.editionsmidt.de Denn während traditionelle Theaterproduktionen wieder- zusetzen, die ein größeres Rätsel ist, als vermutlich jemals [email protected] holbar sind, sind die meisten Veranstaltungen der fünften Gesellschaft für die in ihr Lebenden war. Wozu Theater? Sparte vermutlich einmalig: tendenziell jede Veranstal- Weil es da ist und schon lange da war, ist keine Antwort. Es tel. | fax 089 7938180 tung eine Neuinszenierung. Dies ist, meint Schmidt, der geht auch nicht um eine für alle Theater und gar noch für Hauptgrund, warum über andere Arbeitsweisen nachge- alle Zeit gültige Zweckbestimmung, sondern um die kon- dacht werden muss, und zugleich der Vorausblick in das krete Bestimmung für jedes einzelne Theater. Theater der nächsten Gesellschaft. Das Theater der griechischen Antike hatte ein anderes »Wozu« als das religiöse Mirakel- und Mysterienspiel, als In der neoliberalen Arbeitswelt des Theaters sehen wir Shakespeares Globe, das Theater der italienischen Renais- einen Rückgang regulärer Beschäftigungsverhältnisse: 14 sance oder Ludwigs XIV., als das Theater Schillers oder % weniger Mitarbeiter gesamt. Ein Drittel weniger Schau- Lessings, als das Meininger Theater, das Brahm-Haupt- 43 mann-Theater, das Theater Brechts oder Piscators, das bun- Wir bewegen uns auf eine Welt zu, in der nicht der Ver- ganz selbstverständlich über umfangreiche Technikabtei- desrepublikanische Restaurationstheater der Nachkriegs- These 1: Reflexion über Gesellschaft lust des Gottesglaubens als größte Gefahr empfunden wird, lungen. Theaterkunst war immer auch Handwerkerkunst: zeit, das Revolutionstheater der 68er oder das Theater der Die abstrahierten Leiterzählungen der Vergangenheit, die sondern der des Handys. Ich bin nirgends wirklich in der an Theatern arbeiten Schreiner, Tischler, Maler, Ton- und DDR. Ein gemeinsames »Wozu« gibt es nicht. Es gibt nur Dramen der Tradition funktionieren nicht mehr. Die Wel- Fremde, weil meine Freunde, Bekannten, Verwandten und Lichttechniker. Warum nicht auch Back- und Frontendpro- individuelle Antworten darauf. ten von Shakespeare, Tschechow, Brecht sind untergegan- meine Kontakte immer bei mir sind. Ich kann mich nicht grammierer, Digitaldesigner, Konzepter, Informationsar- Jenseits der konkreten Fassung, die jedes Theater für gen. Es gibt sie nur noch in trauriger Reminiszenz. Und die mehr verlaufen, weil Google Maps mir den Weg zeigt. Das chitekten? App-Entwickler? Hacker und Bastler? Zahllose sich zu leisten hat, lässt sich im Anschluss an Dirk Baecker andere Welt, in der wir schon leben, verstehen wir nicht. Handy bringt mir kostenlos alle aktuellen Nachrichten in digitale »Kreative« sind gezwungen, ihr Geld in Werbe- ein Rahmen angeben: »Theater ist ein Ort der Gesellschaft Das ist das tiefere Erfolgsgeheimnis der sogenannten Echtzeit. Es verbindet mich über Wikipedia mit dem Welt- agenturen zu verdienen. Sie sind vergleichbar den Renais- in der Gesellschaft, an dem sich in Gesellschaft über Gesell- »Experten des Alltags«-Arbeiten. Kleine Brötchen backen, wissen – keine noch so große Bibliothek hält da mit. Ich sance-Künstlern, die als Auftragsarbeiter für die Kirche schaft ästhetisch reflektieren lässt.« Das heißt: Theater ist sich auf das konkrete Einzelne fokussieren, auf Minimal- kann die Musik, die Filme der ganzen Welt streamen. Das arbeiten mussten. kein Ort der Theatermacher allein, sondern ein gegenwär- erzählungen, die vom Maximalen nicht mehr eingefangen Handy ist meine Bankfiliale, mein Fahrkartenautomat, Theater als Haus des Menschen in Gesellschaft und tiger, gesellschaftlicher Ort. Theater kann sich so wenig ein werden können. mein Buchladen, mein Fotoalbum. Ich steuere meine Hei- Haus der Technik ist prädestiniert, die neue Beziehung zwi- Publikum wählen, wie sich eine Regierung ein Volk wählen Die Veränderungen dieser Gesellschaft vollziehen sich zung und meine Musikanlage damit. Ich bin damit auf fas- schen Mensch und Technologie zu inszenieren, damit zu kann. Theater ist ein Ort der Zusammenkunft, an dem sich rasant. Die nächsten zehn Jahre werden uns mit Verände- zinierende Weise mächtig – zugleich hat es erschreckende spielen und darüber nachzudenken. Es wird nach der fünf- zusammen schauen, spielen, mehr und anderes machen rungen konfrontieren, die in ihrer Fundamentalität heute Macht über mich. Und ich bin völlig ohnmächtig gegen- ten noch eine sechste Sparte brauchen, die das Netz selbst lässt. Diese Kopräsenz gilt es zu stärken. nur zur erahnen sind. Wir sind auf dem Weg in eine »nächste über einem Geheimdienst, der mehr über mich weiß als als Spielraum künstlerisch nutzt: Blogs, Twitter, Facebook, Baecker bezeichnet Theater gelegentlich als »Labor Gesellschaft« (Baecker). Wir arbeiten anders, kommuni- ich selbst. Der allwissende, allmächtige Gott ist tot – aber eigene Plattformen, das Handy, iPad. Dieser Raum bietet der praktischen Vernunft«, Schiller nannte es moralische zieren anders, leben anders. Wir waren eine Sprechgesell- wir haben die Inquisition behalten. Die allwissende und künstlerisches Potenzial – und die Öffentlichkeitsarbeiter Anstalt: Es ist jedenfalls ein Ort der Reflexion über Gesell- schaft, Schriftgesellschaft, Buchgesellschaft, Fernsehge- allmächtige NSA. dort allein zu lassen, ist nicht der Weg in der Netzgesell- schaftliches im Kleinen oder Großen. Wenn man diesen sellschaft. Wir sind eine Netzgesellschaft und werden eine Die klassischen begrifflichen Organisationskategorien schaft. Wie 1492 gibt es eine neue Welt zu entdecken. Dazu Rahmen ernst nimmt, stellt sich die Frage nach der Gesell- vernetzte Gesellschaft, eine »Netzschaft«. des gesellschaftlichen Zusammenlebens verändern ihre braucht es Neugier, Wagemut und Tollkühnheit. Und Ent- schaft verschärft, zwingt zur Zuspitzung und zur Ausein- Dabei ist die Technik nur ein Oberflächenphänomen, Bedeutung und ihre Funktion. Traditionelle Leitbegriffe deckerlust. andersetzung. Zu interpretieren ist heute nicht mehr die die Veränderungen sind nicht technologisch, sondern sozio- lassen sich nicht mehr einfach auf die vernetzte Gesellschaft literarische Tradition, sondern die gegenwärtige Gesell- logisch. Die Technik bringt neue Verhaltensweisen hervor übertragen. Unsere Zeit lässt sich mit dem fundamentalen These 2: Welche Themen bewegen die Netzge- schaft, die uns immer rätselhafter wird. Wenn Theater wie- und macht sie sichtbar. Es handelt sich um eine wirtschaftli- Umbruch der Renaissance vergleichen, in der eine neue sellschaft? der beginnen, sich für die Gesellschaft zu interessieren, che Revolution, die Unternehmen jeder Größe fundamental Weltsicht, ein neues Weltbild, ein neues Weltverständnis Die Renaissance war nicht nur eine Zeit der Kunst, son- wird sich vielleicht auch die Gesellschaft wieder für ihre verändert, egal ob es sich um Musikindustrie, Autoindus- entstand – und eine neue Kunst. Aber es gibt keine Bezugs- dern des gesellschaftlich-politischen Umbruchs. Es war Theater interessieren. Aber was heißt hier überhaupt Gesell- trie, Telefonhersteller, Kaufhäuser, Zeitungsverlage han- punkte in der Vergangenheit, die für Orientierung sorgen. sowohl die Zeit Michelangelos, Leonardos, Raffaels als schaft? Und woher kommt der Bedeutungsverlust der Thea- delt; eine Revolution der Arbeitswelt, in der jeder mit digi- Die digitale Naissance vollzieht sich, ohne dass sie bewusst auch die Zeit der Borgia, der Inquisition und der beginnen- ter? Dazu vier Thesen: talen Endgeräten arbeitet und sich die Trennung zwischen durch Ideale projektiert würde. Und es gibt keine Institu- den Hexenverfolgung. In der Gegenwart stellen wir eben- 1. Theater haben die notwendige Reflexionskraft über Arbeit und Freizeit immer mehr aufhebt; eine Revolution tion, die hier als reflexives Auge im Sturm agierte. Es sei solche bedrohlichen Veränderungen fest: Terrornetzwerke, das Gegenwärtige verloren. Theaterleute, so jeden- des Geldes, das nicht mehr in Münzen und Scheinen von denn: das Theater der nächsten Gesellschaft. Re-Militarisierung, den angeblichen Clash of Civilizations, falls die Außenwahrnehmung, scheinen wenig oder Hand zu Hand wandert, sondern in Milliarden in Millise- Theater wie es heute betrieben wird, gehört zur kultu- Bürgerkriege, soziale Spaltung, explodierende Atomkraft- nichts von der Gesellschaft zu wissen, in der sie leben, kunden digital durch die Welt geschickt wird; eine Revo- rellen Formation der Renaissance wie der Bart zu Leonardo. werke, verheerende Finanzkrisen, Folterdebatten, raketen- und von den Menschen, an die sie sich wenden. lution der Politik, die nicht mehr nationalstaatlich agieren Dieses Zeitalter ist unwiederbringlich vorbei. Aber welches bestückte Drohnen und das Horrorszenario der Totalüber- 2. Theater finden offenbar nicht mehr die Themen, die kann und sich einer vernetzten Öffentlichkeit gegenüber Theater gehört zur Netzgesellschaft wie der rote Irokese wachung. Wir befinden uns nach der Umweltzerstörung auf die Köpfe und Herzen der Menschen ergreifen und sie sieht; eine Revolution des Zugangs zu Wissen und zur Kul- zu Sascha Lobo? Schmidt spricht vom Theater der Netzge- dem Weg in die Mitweltzerstörung. Das Industriezeitalter ins Theater bringen können. tur, in der das gesamte Weltwissen fast ohne Transaktions- sellschaft, das sich mit den neuen Verhaltensweisen und hat die Natur zum Rohstoff uminterpretiert. Die Kommuni- 3. Theater ist formal zu eingeschränkt und versteht nicht, kosten nahezu überall auf der Welt verfügbar ist. Lebensbedingungen auseinandersetzt, das neue künstle- kationstechnologie des 21. Jahrhunderts macht die Gesell- wie szenisches Erzählen heute funktioniert. Wir bauen uns eine komplett neue Welt: Digitalien. rische Formen ausprobiert. Es geht darum, Digitales in die schaft zum Rohstoff und verwandelt soziale Beziehungen 4. Theater hat, oft genug beklagt, eine starre und über- Ein unglaubliches Produkt menschlicher Kreativität, eine künstlerische Arbeit zu integrieren, damit zu spielen und in ökonomisch berechenbare Dienstleistungen. alterte Arbeitsweise und Organisation, die vermut- bloß aus Bits und Bytes bestehende, nur vom menschlichen es zu reflektieren. Theater als »Labor der praktischen Vernunft« ist der Ort, lich auch mit besserer Budgetausstattung nicht in der Geist geschaffene Welt. Das Netz ist immer da, verbindet Technik ist nicht theaterfremd. Die Griechen spielten sich mit der Mitweltzerstörung durch Technologie zu befas- Lage wäre, die Notwendigkeiten und Anforderungen Menschen an jedem Ort miteinander. Es gibt keinen Raum mit Ekkyklema und Mechané, die Renaissance mit der Tech- sen, bevor wir vor einer sozialen Klimakatastrophe stehen. der Produktion organisatorisch abzubilden. Dies lässt außerhalb des Netzes mehr – und das Netz selbst ist höchs- nik der Perspektivmalerei, das Barock mit der Lichttechnik, Es lässt sich ein Anknüpfungspunkt für eine solche Bestim- sich ändern. tens ein Zwischenraum zwischen Menschen. Max Reinhardt mit der Filmtechnik. Heute verfügen Theater mung von Theater durch Theaterleute finden: Die Erklärung 44 45 der Dresdner Schauspieler von 1989. Darin positionierte politischer Macht zur Bevölkerung, eine Verwandlung des klassische Bühne hinausgeht. Die fünfte Sparte kann aus ren, wie eine neue Arbeitsweise zu neuen, komplexen For- sich die Belegschaft gegen die staatliche Bevormundung. politischen Raums also. Wie verändern sich Begriffe von Symposien, Diskussionen, Konferenzen bestehen, sie kann men führen kann. Die Wiederlektüre zeigt sie als verblüffend heutig, vielleicht Freundschaft, von Biografie durch digitale Kommunika- interaktive Installationen wie den Situation Room nutzen, allerdings auch erschreckend parallel. Die eingeforderten tion? Was trennt Arbeit und Leben noch, wenn die dienst- vielleicht im Web stattfinden, in eigenen Foren, Blogs, Platt- These 4: Die starre Organisation Rechte haben wir alle inzwischen – es kommt aber darauf liche Kommunikation entgrenzt und ubiquitär ist? Was ist formen. All das und noch viel mehr muss möglich sein im Theater ist eine Organisation, die auf ein Produktionsmo- an, sie zu verwirklichen. Öffentlichkeit herzustellen, ist und bedeutet Geld, wenn es nur noch digital ist? Was sind institutionellen Theater. Das Theater der nächsten Gesell- dell des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Ein anderes, neues eine künstlerische Aufgabe. Es ist eine Kunst, Öffentlich- immaterielle Güter? Und nicht zuletzt: Wie entzieht man schaft ist ein Theater, das Formenvielfalt kann. Theater wird von diesen Strukturen eingeschränkt. Die keit zu erreichen. Dafür gibt es zahllose Themen, von denen sich einer digitalen Überwachungsinfrastruktur, der gegen- Wie wäre es, hätten die insgesamt 140 deutschen Stadt- Blaupause traditionellen theatralen Produzierens unter- Schmidt nur die dringlichsten nennt: über die Stasi wirkt wie Fähnlein Fieselschweif? Vom Thea- theater, als die NSA-Affäre hochkochte, zusammen eine schied sich prozessual wenig von der Autoherstellung bei ter ist dazu jedenfalls wenig zu vernehmen. Woche gegen die Überwachung veranstaltet mit Exper- Carl Benz: Man hat eine Produktidee – oder ein Theater- Die Frage nach der Arbeit tenvorträgen, Diskussionen und Konferenzen, vielleicht stück, die wird im Unternehmen evaluiert und ggf. in das Warum auf dem Kongress der dg in der Theaterblase iso- These 3: Die formale Beschränktheit in Zusammenarbeit mit den 562 Schrifstellern, die gegen zukünftige Angebot aufgenommen. Es wird eine umfas- liert nachdenken über die nächste Arbeit? Warum nicht Beiträge zur Gegenüberstellung der Formen von freiem Thea- die Überwachung protestiert haben. Und am Ende wäre sende Produktionsplanung erstellt – der Spielplan; man nachdenken über protestantische Arbeitsethik, über den ter und Stadttheater gibt es viele. Matthias von Hartz hat Edward Snowden per Skype live auf 140 Bühnen zu sehen weist Budgets, Ressourcen und Personal zu, geht in den Arbeitszwang in einer Ökonomie, die längst keine regulä- zum Teil Recht damit, dass bestimmte Formen nur von und zu hören gewesen. Irre? Die Technik ist da. Snowden Fertigungsprozess – die Proben – und stellt das Produkt ren Vollarbeitsplätze mehr bevorzugt? Warum sich nicht Gruppen außerhalb des institutionellen Stadttheaters ent- hätte vielleicht sogar mitgemacht. Aber sie tun es nicht. vor – die Premiere. Danach die serielle Fertigung – weitge- mit Gewerkschaftern über Arbeitsbedingungen, mit Digi- wickelt werden. Diese formalen Experimente sind vielleicht Sich von diesen Formen inspirieren zu lassen, sie aufzu- hend identische Aufführungen. talarbeitern über nachreguläre Beschäftigungsszenarien innerhalb der Institutionen wegen organisatorischer Behin- nehmen und weiterzuentwickeln ist ein weiteres Merkmal Das führt zu langen Vor- und starren Abläufen, die die austauschen? Warum nicht über Rifkins These vom Ende derungen nicht möglich. Sie gehörten aber in das selbst- des nächsten Theaters. die Live-Kunstform Theater, die eigentlich die schnellste der Arbeit sprechen, nicht mit Constanze Kurz die Ent- verständliche Inventarium stadttheatraler Formen. Was Das Theater der nächsten Gesellschaft ist auch ein Thea- Kunstform sein könnte, unendlich langsam und unbeweg- deckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen, machen? Signa, Machina Ex, Theatercombinat, Rimini Protokoll, ter, das komplex erzählen und damit vielleicht der Komple- lich machen. Die Herausforderung besteht dabei vor allem Warum nicht mit Luc Boltanski über den »Neuen Geist des Gob Squad machen, ist nicht prinzipiell unmöglich an Stadt- xität der nächsten Gesellschaft nahe kommen kann. Aller- auch darin, den Inszenierungsprozess und den Prozess der Kapitalismus« sprechen, der sich die traditionellen künst- theatern. Es gibt auch kein Exklusivrecht an diesen Formen. dings hat sich das traditionelle theatrale Erzählen überlebt. fünften Sparte miteinander zu vereinen. Beide sind völlig lerischen Arbeitsweisen angeeignet hat und sie nunmehr Das Stadttheater wäre verrückt, würde es diese formalen Es wurde von Fernsehen und Kino totgeritten. Auch die Zeit verschieden. Die Organisation einer Konferenz funktio- kapitalistisch uminterpretiert auch in die Kunstbetriebe Ideen nicht aufnehmen und selbst bearbeiten, die passende des Fragmentierten und Dekonstruierten ist vorbei. Es gibt niert anders als eine Stückinszenierung. Das ist unter ande- zurückgibt? Organisationsform vorausgesetzt. kein einfaches Erzählen über komplexe Dinge. Doch die rem eine massive Stressquelle, insbesondere wenn jemand Dass Theater sich mit der fünften Sparte bereits auf den nächste Gesellschaft erfordert komplexes Theater, das den glaubt, man könne beides gleichzeitig. Aus vergleichbarer Politischer Widerstand der Kunst Weg des Dialogischen begeben hat, ist der vorletzten Sta- traditionellen Theaterabend überschreitet. Im »Konkur- Erfahrung weiß Schmidt, dass es unmöglich ist, gleichzei- In den letzten Jahren sind die südeuropäischen Staaten tistik-Pressemeldung des Bühnenvereins zu entnehmen. renzmedium» Fernsehen erleben wir eine formale Revolu- tig eine Konferenz zu organisieren, ein Projekt zu beglei- unter den kriegerischen Angriff der Ökonomie und Finanz- Rolf Bolwin führt aus, dass das Wachsen dieser Sparte eben tion. Seit gut zehn Jahren sorgen amerikanische Fernseh- ten und inhaltliche Dramaturgie für eine Inszenierung zu industrie geraten: Griechenland, Italien, Spanien – jene gerade auf die dialogische Auseinandersetzung mit gegen- sender mit ganz neuen seriellen Formaten für die Rückkehr machen. Das wird ohne organisatorisches Bewusstsein und Länder, aus denen all die Werke in unseren Museen, Thea- wärtigen gesellschaftlichen Themen zurückzuführen sei. von großen Erzählungen, die Kino, egal welcher Monu- ohne sinnvolle Prozesse nicht funktionieren. tern, Opernhäusern und Konzertsälen stammen. Die Wiege Diese fünfte Sparte wird und muss weiter zunehmen. Ein mentalität, alt und klein aussehen lassen, vergleichbar mit Vielleicht bedarf es auch stärkerer funktionaler Ausdif- der europäischen Kunst und Kultur wird sturmreif geschos- Beispiel aus dem April 2010: das Bankentribunal der Volks- dem Roman des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhun- ferenzierung in der Dramaturgie, der Schwerpunktbildung sen – und der Kunst fällt nichts dazu ein? Das Theater sieht bühne, unter anderem von attac mit organisiert, war emi- derts. Es ist die Kunstform des 21. Jahrhunderts. Das Bemer- für jeden Einzelnen: Etwa inhaltlich-konzeptionell, wo Dra- sich nicht bemüßigt, eine solidarische Haltung zu den Grie- nent theatral und dramaturgisch. Wissenschaftler, Jour- kenswerte ist nicht nur die Länge, sondern die dramatur- maturgen wie Rechercheure und Redakteure arbeiten, in chen zu zeigen, denen es das Theatron verdankt? Gibt es nalisten, Aktivisten wurden eingeladen, die Rollen von gische Komplexität. Große Figurenzahlen verwickeln sich der Organisation als Projektleiter, vielleicht als Netzdrama- keinen Widerstand aus den darstellenden Künsten? Keine Anklage und Verteidigung vorzubereiten, Texte zu verfas- in unterschiedliche Minihandlungen miteinander. Es ent- turg der sechsten Sparte. Alle Fähigkeiten – und vielleicht Ästhetik des Aufstands? Keine Solidarität der Künste in den sen und auf der Bühne vorzutragen. Im Wege des Impro- steht eine neue Art von Dramaturgie, die keinem überge- noch weitere – zusammen in einzelnen Personen zu finden, reichen Ländern mit den Angegriffenen? Die wirkliche grie- theaters wurden dann Debatten ausgetragen. Und es gab ordneten Handlungsbogen folgt, sondern die Figuren wie ist schwer. Immer wieder wird als Vorbild für moderne und chische Tragödie findet heute statt. sogar ein dramaturgisches Ende: das Urteil. Theaterfremd Partikel in einem elektrischen Feld oder wie Schachfigu- zeitgemäße Organisationsformen die Software- und IT- ist das nicht. Aber es leistete tatsächlich einen Beitrag zum ren agieren lässt, wobei jede Bewegung die Gesamtkon- Branche genannt. Die Frage nach dem Leben in Digitalien Verständnis der Finanzkrise. stellation verschiebt. Aber wie funktionieren Software- und Digitalprozesse? Was liegt all diesen Oberflächensymptomen zugrunde? Formen sind kein Selbstzweck. Aber wenn Themen Theater kann nun natürlich nicht dasselbe tun wollen. Wie arbeiten die Bewohner von Digitalien heute? Und was Was sind die fundamentalen Veränderungen? Im Netz wird gewählt und als gesellschaftlich relevant erkannt sind, brau- Es geht nicht um serielles Theater oder um die Kopie TV- kann man davon übernehmen? Das ist weder Hexenwerk diskutiert über Themen wie Privatsphäre, das Verhältnis chen Stadttheater ein Formenrepertoire, das weit über die eigener Erzählformen. Aber man kann sich daran orientie- noch Betriebsgeheimnis. Die Methoden sind in Büchern 46 47 und auf Webseiten veröffentlicht, werden in Seminaren Es gibt – entscheidend wichtig – ein tägliches Meeting, zepte einzureichen. Das inhaltliche Leitungsteam sichtet man muss die Dinge zusammen denken, die zusammen- gelehrt, auf Kongressen und Konferenzen diskutiert und 15 Minuten. Am besten im Stehen, um nicht gemütlich zu permanent Treatments, wählt aus oder gibt Überarbeitun- gehören: Das nächste Theater und die nächste Gesellschaft. mit Erfolg genutzt. Es macht Vergnügen, in solch kollabo- werden. Dadurch werden Verzögerungen oder sich abzeich- gen in Auftrag. Die Planung ist ein permanenter Prozess. Das Theater der nächsten Gesellschaft rativen und agilen Prozessen zu arbeiten, auch wenn sie nende Probleme sehr schnell sichtbar, und man kann sie Kurzfristige Neuprojekte und Planungsänderungen sind 1. hat Haltung und kann auf die Frage »Wozu« in einem nicht immer ganz stressfrei sind. zu beheben versuchen. Das genau ist das Geheimnis der jederzeit möglich. Satz antworten, Dabei ist das Stichwort »Agilität« nicht etwa eine neue »Agilität«. Auf Veränderungen kann schnell reagiert wer- 2. ist das Theater der digitalen Naissance, Version des neoliberalen Flexibilitätsbegriffes, sondern ein den. Am Ende des Sprints gibt es ein Sprint-Review, in dem Agiles Arbeiten auf Projektebene 3. versteht digitale Technologie als künstlerische Mög- Terminus Technicus, der eine bestimmte Form organisier- überprüft wird, ob die Planung realisiert wurde. Und der Der Showrunner des ausgewählten Projekts beruft ein Pro- lichkeit, ter Zusammenarbeit beschreibt, die klare Prozesse, Verant- nächste Sprint beginnt. jektteam, das die Arbeit selbst organisiert. Es führt von 4. versteht sich als Teil der Netzgesellschaft, wortlichkeiten und Ziele hat. Es handelt sich um Abläufe, Anfang an unterschiedliche für das Projekt benötigte Kom- 5. ist wagemutig, neugierig, provozierend, die den darin Arbeitenden ermöglichen, mit einer gemein- Agiles Arbeiten im Theater petenzen zusammen: Autoren und Regie, Techniker und 6. versichert sich reflektierend der Themen der Gesell- samen Vision an einem gemeinsamen Projekt in interdis- Wie also müsste ein Theater beschaffen sein, das langsam Musiker, Digitalkünstler und vielleicht auch ein Blogger. Der schaft, ziplinären Teams zusammenzuarbeiten, unterschiedliche sein kann, wenn es will – und ebenso rasant schnell? Es ver- Showrunner verantwortet das inhaltliche Gesamtprojekt, 7. ist vielformatig und lässt sich von neuen Formen in- Kompetenzen und Fähigkeiten frühzeitig zu addieren und abschiedet sich vom Originalgenie als Künstler: der inhalt- der Projektleiter ist für die organisatorische Abwicklung spirieren, zu ergänzen, anstatt sie in Abteilungskleinkriegen aufzu- liche Leiter weiß, dass seine Aufgabe nur im Team zu lösen zuständig. Das Projektteam trifft sich nach der Projektaus- 8. kann Komplexes komplex erzählen und inszenieren, reiben. ist. Es verabschiedet sich vom klassischen Autorenbegriff. wahl und legt Arbeitsweise und Projektverlauf gemeinsam 9. verwandelt sich vom Industrietheater zum agilen Kanban zum Beispiel betrachtet Schmidt als wertvolles Die Herausforderungen der nächsten Gesellschaft sind zu fest. In täglichen Treffen werden die Arbeitsfortschritte Theater, Tool, um Abläufe zu organisieren, das jeder für sich oder komplex, um von einem einzelnen definiert, aufbereitet besprochen, Hindernisse und Schwierigkeiten benannt und 10. ist kollaborativ und kooperativ, bindet jeden Mitar- im Team mit anderen nutzen kann. Im Wesentlichen geht und auch noch niedergeschrieben zu werden. zur Lösung gebracht, die nächsten Schritte abgestimmt. beiter künstlerisch ein, es zunächst um eine umfassende Visualisierung und Pro- Ein Showrunner als kreativer Kopf hat das letzte Wort. Der Projektleiter sorgt für reibungslosen Ablauf, der Show- 11. vernetzt sich mit der Welt und ist Zentrum eines künst- jektorganisation in fünf Schritten: Brainstorming, Prio- Er hütet die Idee, aber die konkrete Serie entsteht kollabora- runner sorgt dafür, dass die Projekt-vision erhalten bleibt. lerischen Netzwerks, risierung, Planung, Aufgaben abarbeiten, Definition of tiv im Team, auch wenn das einzelne Script dann anschlie- Nach der Premiere wird weiter am Projekt gearbeitet. 12. macht die eigene Organisation zu einem künstleri- Done: Wann ist eine Aufgabe wirklich gelöst? Gerade in ßend von einem der Writer allein verfasst wird. Dadurch Aus dem Leitungsteam und den Projektteams entsteht schen Gebilde. Teamprozessen ist das wichtig zu klären, weil unterschied- kann in der gemeinsamen Konzeption der Fokus auf die eine gemeinsame Infrastruktur, die sich jeweils nach den liche Menschen unterschiedliche Vorstellungen von »fer- Recherche gesellschaftlicher Themen gerichtet werden speziellen Projektanforderungen zusammensetzt. Es gibt Als Motto für die Reise zitiert Schmidt Friedrich Nietzsche: tig« haben können. und Dramaturgie wieder inhaltlich arbeiten. Agilität ver- keine Nichtkreativen mehr an diesem agilen Theater. Jede »Eine neue Gerechtigkeit tut not! Und eine neue Losung! Scrum ist sinnvoll für interdisziplinäre Projekte, die in abschiedet den langfristigen Planungsprozess des Spiel- Kompetenz kann ihre Ideen und Gedanken frühzeitig in das Und neue Philosophen! Auch die moralische Erde ist rund! mehreren Abschnitten verlaufen und deren Ergebnis am plans und erlaubt, stärker auf Sicht zu arbeiten. In der Arbeit gemeinsame Projekt, die »gemeinsame Findung« (Nagel) Auch die moralische Erde hat ihre Antipoden! Auch die Anfang nicht bekannt ist, was die Verwendung für künst- bleibt Platz für Änderungen und Anpassungen, und es las- einbringen. Und der »Product Owner« ist nicht mehr unbe- Antipoden haben ihr Recht des Daseins! Es gibt noch eine lerisches Arbeiten insbesondere am Theater sehr reizvoll sen sich Externe einbinden. Man arbeitet interdisziplinär dingt ein Regisseur oder ein Dramaturg, sondern vielleicht andere Welt zu entdecken – und mehr als eine! Auf die macht. Es gibt zwei zentrale Rollen: den Product Owner, an einem gemeinsamen Ziel, baut auf Erfahrungswissen auch ein Techniker, ein Musiker, ein Videoartist, ein Web- Schiffe, ihr Philosophen!« der die künstlerische Vision verantwortet, und den Scrum auf, gewinnt Bewegungsfreiheit und hält sich für Weiter- entwickler oder ein Schreiber. Master oder Projektleiter, der sich ausschließlich um die entwicklungen offen. Ein Projekt ist nicht mehr bei der Pre- In diese Struktur lassen sich auch freie Projektteams Der vollständige Vortrag von Ulf Schmidt ist auf Team-Verzahnung, die Abläufe und vor allem die Lösung miere unbedingt »fertig«. So kann Theater auf Veränderun- einbinden, da ihre Arbeitsweise mit der eines agilen Thea- www.dramaturgische-gesellschaft.de abrufbar. von Konflikten im Team oder des Teams mit der umgeben- gen des gesellschaftlichen Umfelds und auf die Reaktion ters verwandt ist. Die industrielle Planung gehört der Ver- den Organisation kümmert. Scrum definiert einen Gesamt- der zuschauenden Gesellschaft reagieren. So stellt sich Ulf gangenheit an. Aber die Einführung agiler Methoden ist zeitraum und zerlegt diesen in zeitliche Abschnitte. Das Schmidt das im Theater vor: ein bewusster und durchaus anstrengender Prozess, der Team steht nicht vor einem Gebirge, sondern vor einer Das Leitungsteam besteht aus Intendant, Chefdrama- sich selbst agil gestalten lässt und dennoch Zeit braucht. Reihe von Hügeln, die einer nach dem anderen gemeinsam turg, Chefautor, Oberspielleiter, Techniker, Digitalem Theater soll der Ort werden, an dem die subjektlose angegangen werden können. Am Anfang steht die Projekt- und was sonst noch sinnvoll ist. Die Dramaturgie forscht, Revolution der nächsten, digitalen und vernetzten Gesell- oder Produktidee, dann findet das erste Brainstorming- liest, redet mit interessanten Leuten, um die thematischen schaft reflektiert wird, an dem die Themen, die Menschen Meeting mit Kollegen aus anderen Abteilungen statt. Dar- Grundinteressen zu finden. Dramaturgie und Leitung legen und Gesellschaft wieder ins Theater bewegen, mit maxima- aus entsteht das Projekt-Backlog, die Zusammenfassung die Themen fest. Für die nächsten sechs Monate werden ler formaler Freiheit behandelt werden. Dafür lohnt es sich, aller Aufgaben und Bremser. Aus der Priorisierung entsteht die Zeiträume für komplexe Projekte geplant. Die zukünf- über die Agilisierung des Theaters nachzudenken. Aber das Sprint-Backlog. tigen Themen werden innen und außen bekanntgegeben. Interne und externe Projektteams werden eingeladen, Kon- 48 49 the national theatre studio- ENDSPURT ein raum für experimente Sarah Murray

Elefantengeschichten // Geschichten von Kindern aus der Region Tübingen // UA // ab 8 // Premiere am 03. Mai 2014 as National Theatre Studio ist die Forschungs- und Ent- den, wenn sie das wollen. Erkenne diesen Moment, dwicklungsabteilung des National Theatre London. Es hat wenn er gekommen ist, und hilf, ihn wahr werden Und jetzt: Die Welt! zwei Aufgaben – Künstler und Werke für die Bühnen des zu lassen. // von Sibylle Berg NT zu entwickeln und das Gedeihen der britischen Thea- Was haben wir, das wir mit unabhängigen // Premiere am 28. Mai 2014 terindustrie insgesamt zu fördern. Künstlern und Ensembles ohne Finanzierung tei- Das NT ist ein prachtvolles, imposantes Gebäude, mit- len können, und was können wir als Gegenleistung Nicht Nichts Die Möwe ten in Londons kulturellem Zentrum, der South Bank, gele- bekommen? Die Antwort auf die erste Frage ist klar gen. Das Studio, seine Werkstatt, liegt ein bisschen weiter – das NT hat Ressourcen und Fähigkeiten. Was das // von Thomas Melle // UA // von Anton Tschechow Sarah Murray leitet das // Premiere am 06. Juni 2014 // Premiere am 14. Juni 2014 südlich: ein Zweckbau, der einen ganzen Block einer beleb- Studio-Angebot einzigartig macht für die Künst- National Theatre Studio in ten Straße in Waterloo einnimmt. Das Studio wurde 1984, ler, die es nutzen, ist seine enge Verknüpfung mit London So weit, so gut! IN KOOPERATION MIT DEM zwanzig Jahre nach Entstehung des National Theatre, von der Kreativhochburg National Theatre. Obwohl im Großes Abschlussfest // am 19. Juli 2014 KÜNSTLERHAUS MOUSONTURM FRANKFURT A.M. dessen damaligem stellvertretenden Direktor Peter Gill Abseits, sind wir durch eine Nabelschnur verbunden, die nach neun Jahren Tübingen verabschieden wir uns gegründet. Es war gedacht als Ort für NT-Regisseure und für einen gesunden Fluss kreativen Austauschs in beide FRANKREICH DIE WIEDERVEREINIGUNG DER BEIDEN KOREAS -Dramatiker, um Ideen auszuprobieren und deren Eignung Richtungen sorgt. Gestandene Theaterleute, die seit Jah- Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen Karten unter: 0 70 71-9 31 31 49 oder auf www.landestheater-tuebingen.de LA RÉUNIFICATION DES DEUX CORÉES JOËL POMMERAT // zur Produktion durch das NT sicherzustellen. Im Laufe der ren am NT arbeiten, kehren immer wieder zum Studio SCHWEDEN ICH RUFE MEINE BRÜDER JAG RINGER MINA BRÖ- Zeit hat sich dieser Auftrag erweitert, und inzwischen ist als einem sicheren Platz zurück, um eine neue Idee her- DER JONAS HASSEN KHEMIRI // BELGIEN HEROES (JUST FOR das Studio ein Bienenstock an Fortentwicklungs-Aktivitä- anreifen zu lassen, die vielleicht noch nicht bereit ist, zu ONE DAY) VINCENT HENNEBICQ // SPANIEN DIE UNGLAUBLI- ten für Arbeiten, die auch weit über das NT hinausreichen. vielen äußeren Blicken ausgesetzt zu werden. Und jüngere CHE GESCHICHTE DES MÄDCHENS, DAS ALS LETZTE ANKAM Das Studio-Flaggschiff War Horse (Gefährten) z.B. bekam Theatermacher, die noch nach ihrem künstlerischen Weg LA INCREÍBLE HISTORIA DE LA CHICA QUE LLEGÓ LA ÚLTIMA ausreichend Zeit, sorgfältig an Puppendesign, Bewegung suchen, werden sanft in das NT eingeführt und bekommen CARLA GUIMARAES // UNGARN UNSERE GEHEIMNISSE TIT- und Musik zu arbeiten. Sein Erfolg beweist, dass der Fokus jenes Gütesiegel, das Vertrauen einflößt und den Antrieb KAINK BÉLA PINTÉR // GRIECHENLAND LATE NIGHT BLITZ auf den Entwicklungsprozess gerechtfertigt ist, und hilft vorwärts zu kommen verfestigt. Die das Studio nutzen- THEATRE GROUP // SERBIEN/KROATIEN ZORAN ÐINÐIC´ OLI- nun, das Studio weiter zu finanzieren. den Künstler profitieren quer durch das Erfahrungsspekt- VER FRLJIĆ UND ENSEMBLE // SCHWEIZ KAPELLE EIDG. MOOS Als eine direkt von der britischen Regierung geförderte rum von der am NT verfügbaren kreativen Unterstützung. RUEDI HÄUSERMANN, HERWIG URSIN, JAN RATSCHKO // RUMÄNIEN DER RELIGIONSLEHRER PROFU’ DE RELIGIE MIHA- Kulturorganisation nimmt das NT seine Verantwortung Vielleicht kann einer unserer Techniker eine Lösung für ELA MICHAILOV // ÖSTERREICH HABE DIE EHRE IBRAHIM AMIR gegenüber dem Nachwuchs ernst. London ist immer noch ein Bühnenproblem anbieten; eine Dramaturgin kann eine // NIEDERLANDE MIT MEINEM VATER IM BETT (UMSTÄNDE- eine globale Theaterhauptstadt, aber die Zahl unabhängi- dramaturgische Fragestellung lösen; ein Produzent könnte HALBER) MET MIJN VADER IN BED (WEGENS OMSTANDIGHE- ger Künstler und Ensembles ohne reguläre Finanzierung, künftige Tourmöglichkeiten vorschlagen. DEN) MAGNE VAN DEN BERG // ITALIEN ORCHIDEEN ORCHIDEE die innovative Arbeit auf nationalem Standard in ganz Auch die Antwort auf die zweite Frage ist klar – wir ler- PIPPO DELBONO // UNGARN DEMENTIA KORNÉL MUNDRUCZÓ Großbritannien machen, hat zugenommen. Das NT unter- nen die aufregendsten Theatertalente kennen und unsere UND KATA WEBER // WEISSRUSSLAND/RUSSLAND DREI TAGE stützt die talentiertesten dieser Künstler bei der Entwick- Verbindung mit dem Werk, das diese Künstler schaffen, HÖLLE TRI DNJA W ADU PAWEL PRJASCHKO // TSCHECHIEN lung ihrer Arbeit und ermutigt künstlerischen Ehrgeiz, stellt sicher, dass wir gegenwärtig, relevant und innova- EUROPEANA PATRIK OUŘEDNIK // TÜRKEI DIE SPUR IZ AHMET indem es das finanzielle Risiko übernimmt. tiv bleiben. SAMI ÖZBUDAK // IRLAND LIPPY BUSH MOUKARZEL UND Das Studio-Modell ist einzigartig, aber sehr einfach: Das Studio ist mehr als die Summe seiner Teile. Das MARK O‘HALLORAN //LETTLAND DUKŠI AGNESE RUTKĒVIČA // Ermutige künstlerische Risikobereitschaft durch volles Ver- Spektrum der um das Haus herum sprudelnden Techni- DÄNEMARK MANIFEST 2083 CHRISTIAN LOLLIKE // DEUTSCH- trauen, dass die Künstler ihre Ideen realisieren. Gib ihnen ken und Fähigkeiten ist breit. Während das britische Theater MUTTERSPRACHE MAMELOSCHN LAND MARIANNA SALZ- Raum und Zeit, administrative Unterstützung und krea- Autorentheater bleibt und dieses Rückgrat aus neuen Stü- MANN // PORTUGAL DREI FINGER UNTERHALB DES KNIES tive Inspiration, diese Ideen zu hinterfragen und zu verfei- cken und klassischem Repertoire zu Recht gefeiert wird, gibt TRÊS DEDOS ABAIXO DO JOELHO TIAGO RODRIGUES nern. Bring sie mit anderen kreativen Köpfen zusammen, es eine ungeheure Zunahme an Theater verschiedener For- die ihnen unerwartete Richtungen weisen können. Ermu- men und Praktiken. Das NT wirkt dabei nicht geschmacks- tige ehrlichen Dialog rund um den Erfolg oder Misserfolg bildend, sondern fördert vielmehr Qualität, und das Studio von Ideen. Sei offen dafür, dass das Projekt auch abgebro- repräsentiert diese reiche Vielfalt. Wenn man einen Längs- newplays.de chen werden kann. Bezahle den Künstler für all das! Erwarte schnitt mitten durch das Studio legt, findet man einen Pup- newplays-blog.de im Gegenzug nichts als seine Bereitschaft, für Experiment penspieler, eine Komponistin, einen Designer, einen Cho- Künstlerische Leitung: Manfred Beilharz, Tankred Dorst, Ursula Ehler, und Spiel offen zu sein. Hoffe, dass Künstler und Werke reografen, eine Kreativ-Produzentin ebenso wie Leute aus Ann-Marie Arioli, Peter Michalzik irgendwann eine direktere Beziehung zum NT haben wer- unserem Kernbereich – Autoren, Regisseure, Schauspieler. 51 Anzeige_86,5x265.indd 1 04.04.14 11:32 china plate- koalitionen für freies theater in großbritannien Ed Collier

Das Haus ist auf Demokratie gebaut – jeder erhält den glei- Ed Collier, Leiter von China Plate, einem unabhängigen Theater-Ensemble, das er 2004 zusammen mit Co-Direk- chen Tagessatz – und daher herrscht im ganzen Haus echte tor Paul Warwick gründete, stellte den Teilnehmern der dg-Konferenz kurz die Geschichte und die Arbeit von Synergie. Ältere Künstler arbeiten Tür an Tür mit einem China Plate vor: Theaterkollektiv frisch von der Universität. Ja, die Erfahre- nen agieren als Mentoren, bieten dramaturgische Untertüt- zung und den Blick von außen auf den kritischen Moment nteressanterweise sind hier gleich zwei britische Theater- sicheres Einkommen zu verschaffen, sondern weil des Schaffensprozesses. Aber sie können auch selbst etwas »iorganisationen eingeladen, die sich selbst als »Studios« wir das Gefühl haben, etwas Bedeutendes über die lernen. Wenn ein erfahrener Theatermacher etwas Brilli- beschreiben. Das National Theatre Studio ist natürlich Teil Welt, in der wir leben, sagen zu können. antes, aber Unerwartetes erschafft, ist das ein erfrischen- eines der bedeutendsten Ensembletheater in Großbritan- Wir gewinnen Einnahmen durch einen gem- der Moment für das NT. nien, und China Plate ist eine komplett unabhängige und ischten Haushalt aus speziellen Arts Council Eng- relativ junge Organisation. Wenn wir auch an entgegenge- land-Stipendien, Spielort- und Festival-Kommis- setzten Enden des Spektrums hinsichtlich Personalumfang sionen und -gebühren, Universitäten, Fonds und und finanzieller Ressourcen stehen – wir teilen einen sehr Stiftungen und natürlich – wenn die Produktion Ed Collier ist Co-Direktor ähnlichen Ethos und haben auch tatsächlich etliche Male ihr Ziel erreicht – aus der Abendkasse. Wir erhal- und Mitbegründer von China gemeinsam und oft mit denselben Künstlern gearbeitet. ten keine kontinuierliche oder strukturelle Förde- Plate. Warum heißen wir China Plate? »China Plate« ist Cock- rung, arbeiten aber mit einem elaborierten Netz- ney-Slang für »Kumpel«, »Kollege« oder »Freund« und damit werk aus Künstlern, Veranstaltern und Ausbildungen in genau der Kern unserer Philosophie. Wir arbeiten immer ganz Großbritannien. 2014 werden wir 2 Festivals planen, mit den Prinzipien Freundschaft und Zusammenarbeit. Wir 4 neue Shows von verschiedenen Künstlern auf die Bühne versammeln ein Team aus verschiedenen Künstlern, Thea- bringen, 5 Shows wiederaufnehmen, 5 neue Stücke in Auf- termachern, Koproduzenten, Gastspielorten und Geldge- trag geben, an etwa 35 Spielstätten auftreten, lange Spielzei- bern um eine Idee für eine Produktion, die von ihnen oder ten in London und beim The Edinburgh Fringe haben und uns stammt, und begleiten den Prozess, um diese Idee von ca. 30 Produktionsstudenten ausbilden. Letztes Jahr gewan- der Konzeptphase bis vor das Publikum und zu einer hof- nen unsere Produktionen verschiedene Preise für Nach- fentlich langlebigen Existenz in Gastspielen zu bringen. wuchs und künstlerische Innovation. Unser Gesamtpub- Unsere Leidenschaft gilt einem Theater, das formale likum im letzten Jahr belief sich auf etwa 20.000 Zuschauer. Abenteuer sucht, ohne die Narration aus den Augen zu ver- Diese breite Arbeitsspektrum wird fest zusammenge- lieren. Unser Werk beruht auf starken Storys, die wir auf halten durch die Idee, einen ganzheitlichen Anspruch ans eine Art erzählen, die sich Erwartungen widersetzt und Theatermachen zu kreieren, die Institutionen mit den Freien das Publikum auf überraschende Erkundungen mitnimmt. zu verbinden, und durch den Wunsch, populäres aber ambi- Drei Phasen der Arbeit von China Plate tragen zu diesem tioniertes und künstlerisch motiviertes Theater zu machen. ganzheitlichen Ansatz bei: 1. Programmkonzeption und Auftragsvergabe Dank Ihnen allen für ein paar herrliche Tage in Mannheim – 2. Künstler- und Publikumsentwicklung ich hoffe sehr, dass dies der Beginn einer Konversation dar- 3. Produktion und Tourneen über ist, wie wir die Möglichkeiten gemeinsamer Arbeit in Wir glauben, dass jede einzelne dieser Phasen von den allen Richtungen teilen können.« anderen profitiert, sowohl in den Möglichkeiten, die sie ein- ander eröffnen, als auch in der Qualität der Kunst und der Publikumswirkung, die wir ermöglichen können. Hier ein eher anatomischer Schnappschuss von China Plate: Drei feste Mitglieder werden ergänzt durch Teams von Freiberuflern in verschiedenen Projekten, darunter Produzenten, Projektmanager, Pädagogen, Theatermacher, Schauspieler, Techniker und Vermarkter. Wir sind kein gewinnorientiertes Unternehmen. Wir machen unsere Arbeit nicht, weil sie das finanzielle Potenzial hat, uns ein 52 53 jeder ist künstler. jeder ist manager. jeder ist akrobat

Erwin Jans

odernes Management hat eine Menge von Künstlern und flämischen Szene: Anne Teresa De Keersmaker, Jan mihren kreativen Prozessen gelernt. In den letzten Jahrzehn- Fabre, Jan Lauwers, Wim Vandekeybus, Ivo van ten sollte der Künstler gleichzeitig Manager sein. Um für Hove, Guy Cassiers,… Ivo Van Hove ist künstleri- den Moment von den gewichtigen Begriffen »Künstler« und scher Leiter der Toneelgroep Amsterdam und Guy »Manager« wegzukommen, wenn wir über Organisationen Cassiers am Toneelhuis, den beiden größten The- sprechen, lassen Sie mich ein Wort aus Peter Sloterdijks Buch atern des niederländisch-sprachigen Raums. Sie Du musst dein Leben ändern verwenden. Er sagt, dass jeder ein rückten vom Rand ins Zentrum. Aber das Miss- Akrobat in seinem eigenen Leben sein sollte – ein interes- trauen ist immer noch da. Erwin Jans ist santes Konzept. Es verweist auf Disziplin, Meisterschaft, So machten wir es uns am Toneelhuis zur Auf- Chefdramaturg des Toneelhuis Übung, Kreativität, Risiko. Zwar kalkuliertes Risiko, aber… gabe, unsere Künstler den Wechsel von der klei- Antwerpen. es gibt immer einen Moment, der sich jeder Berechnung ent- nen zur großen Bühne positiver sehen zu lassen. zieht. Dann überne hmen Erfahrung, Intuition, Vertrauen... Seit 2006 definiert sich das Toneelhuis selbst als »Ensem- Der Akrobat lebt und arbeitet immer inmitten von Spannun- ble von Machern«. Das war ein radikaler Bruch mit dem gen. In diesen Spannungen zu sein ist seine Arbeit und sein Profil eines traditionellen Stadttheaters mit Schauspiele- Leben. Der Versuch, diese Spannungen zu lösen, ist sinnlos, rensemble. Wir sprachen nicht mehr von Regisseuren und denn sie sind essenziell für seine Arbeit. Schauspielern, sondern von »Theatermachern«. Der krea- Was für Akrobaten sollten künstlerische Organisatio- tive Motor des Toneelhuis sind noch immer die künstleri- nen sein? Lassen Sie mich sehr oberflächlich Freudiani- schen Unterschiede zwischen den Machern und ihren ver- sche Terminologie gebrauchen. Die künstlerische Ener- schiedenen künstlerischen Disziplinen. Unter Verwendung gie ist das Freudianische Es. Auf der anderen Seite ist das einer sehr personlichen und zeitgenössischen Theaterspra- Über-Ich die Gesellschaft mit ihrer neoliberalen Wirtschaft, che suchen die Toneelhuis-Macher nach inspirierenden, zunehmend konservativen Politik, ihren Regeln und Kon- kritischen und alternativen Wegen, mit der heutigen kom- trollmechanismen, ihrem Misstrauen gegenüber Künst- plexen Realität umzugehen, und finden eine ganze Menge lern usw. Die Akrobatik einer Organisation – besonders Antworten. Von High-Tech- zu Straßen-Performances, von einer großen künstlerischen – ist, ständig in diesem Feld Romanadaptationen (Musil, Conrad, Woolf) zu wortlosen extremer Spannungen zu leben und zu arbeiten. Aufführungen, von absurder Poesie zum rituellen Theater, Eine Organisation muss mit beiden Seiten verhandeln. von Theater bis Tanz. Das Toneelhuis sieht sich selbst als Einerseits müssen die großen Künstlerorganisationen bis künstlerische Mikro-Gesellschaft, die aktuelles Theater zu einem gewissen Grad die Kulturpolitik eines Landes oder über das Hier und Jetzt macht. einer Stadt verkörpern. Insofern stehen sie unter ständi- Jeder Macher kann für vier Jahre unter dem Dach des ger Beobachtung vom Big Brother (der sie subventioniert!). Toneelhuis seine Bahn ziehen. Diese künstlerische Energie Andererseits müssen sie in Kontakt mit den neuen Ener- ist, was ich das Es genannt habe, der Wille zur Macht jedes gien im künstlerischen Bereich (dem Es) bleiben, weil darin individuellen Künstlers. Wir geben ihnen die technischen, ihre Vitalität liegt. Produktions-, dramaturgischen, finanziellen,… Möglich- Wegen der Geschichte des niederländisch-sprachigen keiten zu tun, was sie tun wollen. Wir bringen sie in Kon- Theaters der letzten drei Jahrzehnte haben die großen Büh- takt mit anderen Leuten und Ideen. Immer auf diskrete nen- und Theaterinstitutionen hierzulande keine allzu gute Weise, durch viele Diskussionen und informelle Meetings. Reputation. Groß steht für konservativ. Es gibt ein tiefes Natürlich gibt es eine Menge Spannungen, aber manch- und anhaltendes Misstrauen allem Großen gegenüber. Es mal sehr produktive. Konsens ist unmöglich. Es gibt immer ist schwierig, das Außenstehenden zu erklären, vor allem eine Spannung zwischen dem individuellen Vorhaben und Theaterleuten aus Ländern wie Frankreich, England und der allgemeinen Theaterpolitik, z.B. über Layout, Poster, Deutschland mit starken Traditionen und Institutionen. Kommunikation, Verlautbarungen, Die Persönlichkeiten Zu Beginn der 1980er fing eine neue Generation an, außer- sind zu stark für Konsens, daher sind auch Kompromisse halb der großen Theater zu arbeiten, ohne irgendeine Ver- unmöglich. In einer Pattsituation hat Guy Cassiers das bindung zu diesen. Der Bruch war total. Diese Theater- letzte Wort und die anderen akzeptieren seine Entschei- macher sind heute die großen internationalen Namen der dung. Seit Beginn der Spielzeit 2013-2014 wird das Macher- 54 55 team von einer Anzahl fester Schauspieler ergänzt, die, trotz der Differenzen, die Kontinuität und Identität des Theaters in den Augen der Öffentlichkeit gewährleistet. Der »Egoismus« (Es) der Künstler und ihre Unterschiede sind der Ausgangspunkt der Arbeit des Toneelhuis. Konfrontiert mit einem Über-Ich, das immer mehr kal- kulieren, kontrollieren und messen, quantifizieren will. Was nicht quantifiziert werden kann, existiert nicht wirk- lich. In diesem Klima müssen künstlerische Organisatio- nen Orte sein, wo produziert werden sollte, was der italie- nische Philosoph Paolo Virn das »Un-Maß« nennt. Kunst ist dieses Un-Maß. Deshalb müssen wir Abstand halten von den Kreativindustrien. Es ist schon zu viel »Maß« in den Kreativindustrien, zu viel Management, zu viel kal- kuliertes Risiko. Wichtig ist herauszufinden, was »Unmaß« in einem bestimmten Kontext bedeutet. Es ist sicher nicht dasselbe wie die Provokation und die Subversion der historischen Avantgarde. Es ist eine situative und relationale Idee. Es ist immer kontext-gebunden. Im Kontext der Geschichte des flämischen Theaters und der Stadttheater war das »Unmaß« für uns die Kombination der Idee des »Theater- machers« und der Idee von »Diversität«. Das Stadttheater als polyphones Institut.

57 open space Tina Gadow dramaturgen »Der wirklich nützliche Teil einer Konferenz sind die Kaf- zig Arbeitsgruppen, die in zwei Runden parallel disku- im inter- feepausen!« Warum dann nicht das, was sie ausmacht, tierten und arbeiteten. nationalen zum Kern einer Konferenz erklären? Im Open Space wer- Ob allein, zu fünft oder mit fünfzig anderen – die, die austausch den Dynamik und Synergieeffekte von Pausengesprächen da sind, sind die richtigen. Das »Gesetz der zwei Füße« in ein zwangloses und dabei effizientes Arbeiten über- erlaubt es jedem, dort zu sein, wo er sich am sinnvollsten führt. Was es dazu braucht: Eine Leitfrage, die allen Teil- einbringen kann. Spontan und selbst organisiert entsteht nehmern unter den Nägeln brennt, sowie eine klare Struk- ein in jeder Hinsicht bewegtes Miteinander, das konkrete tur mit einem Gesetz und vier Prinzipien. Wie der offene Ergebnisse und Verabredungen ebenso ermöglicht wie Raum gestaltet wird und welche Themen konkret verhan- Inspiration, Erfahrungsaustausch und Vertiefung. Das delt werden sollen, ist Sache der Teilnehmer. Die Agenda Schöne am Open Space: das Potenzial und das Wissen entsteht gemeinsam im Plenum. In Mannheim bildeten von Vielen wird genutzt – und was entsteht, wird gemein- sich rund um die Frage »Wie wollen wir arbeiten?« zwan- sam verantwortet. schauspieler & dramaturgen

theater als politischer coaching für vermittlungsort dramaturgen an theatern

wie wir als junge dramaturgen arbeiten wollen

schuldenbremse: die umsetzung wie wollen des agilen wir 2021 theaters arbeiten?

achtsamkeit (lebenserfüllung, arbeitserfüllung)

welche rolle spielt die widerstände bei theater autorenschaft? der organistaions- & familie entwicklung des theaters ethik fürs theater: freiräume kooperation: art but fair? kollektive & die 4 regeln grassroot • Wer auch immer kommt, es sind die richtigen • Was auch immer geschieht, es ist das Einzige, was geschehen konnte • Es beginnt, wenn die Zeit reif ist • Vorbei ist vorbei – Nicht vorbei ist nicht vorbei

das gesetz der zwei füße Das Gesetz der zwei Füße ist Ausdruck der Freiheit und Selbstverantwortung: Der Teilnehmer bleibt nur so lange in einer Gruppe, wie er es für sinnvoll erachtet, also solange er etwas lernen und/oder beitragen kann. künstlerisches landesbühnen forschen

58 59 unternehmensethik – für das theater?

Daniel Ris VONträumeN leideNschafteN & ie Frage »Wie wollen wir arbeiten?« führt aus ethischer Sicht verzicht der männlichen Kollegen möglich, oder dzu der Frage: »Welche Werte leiten unser berufliches Han- die zusätzlichen Kosten müssten durch eine Ver- deln?« Haben die Theater eine Unternehmensethik? Brau- kleinerung des Mitarbeiterstabs kompensiert wer- chen sie eine? In aller Kürze dazu einige Überlegungen. den. Oder aber der Träger des jeweiligen Theaters 14/15 müsste davon überzeugt werden, die Zuwendun- schausPiel Die Wissenschaft der Unternehmensethik beschäftigt sich gen zu erhöhen, um die Löhne der Mitarbeiterin- mit der moralischen und gesellschaftlichen Verantwortung nen nach oben anzugleichen. Eine solche Lösung von Institutionen und der in ihnen agierenden Personen. lässt sich unternehmensethisch schlüssig begrün- das GlasPerleNsPiel drei schwesterN Daniel Ris ist freischaffender nach Hermann Hesse von Anton Tschechow Besonders auffällig ist im Zusammenhang mit dem Theater den. Denn was ist die Botschaft der jetzigen Unge- Regisseur, Schauspieler und r Nimz 21.9.14 r Bergmann 20.3.15 der oft krasse Widerspruch zwischen Anspruch und Wirk- rechtigkeit? Der gute Zweck heiligt die schlechten Autor und einer der lichkeit – zwischen Bühne und Betrieb. Die auf der Bühne Mittel? Kann das eine Werthaltung sein? Mitwirkenden der Initiative die uhr tickt heideGGers hefte vehement eingeforderten Grundwerte der Menschenwürde, ‚art but fair‘. von Peca Stefan | URAUFFÜHRUNG / nach den „Überlegungen“ von Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Verantwortung und Die Verantwortung der Kulturpolitik KOPRODUKTION MIT DEM RUMÄNISCHEN Martin Heidegger | URAUFFÜHRUNG Demokratie werden im Betrieb kaum in ausreichendem Maß Es geht um mehr als nur um persönliche Gewissenspro- NATIONALTHEATER TEMESWAR im Rahmen märz 15 gelebt. Teilhabe, Solidarität und Gleichberechtigung sind bleme der Theaterleitenden. Deren individualethische Ver- der ETC-Kooperation „The Art of Ageing“ heute für viele Unternehmen selbstverständliche Maß- antwortung ist sehr groß, hat aber ihre Grenzen, wenn r Lachmann 3.10.14 tOd uNd auferstehuNG der stäbe der angestrebten Unternehmenskultur. Aber gerade man sie im Zusammenhang des Systems betrachtet. Auch welt meiNer elterN iN mir ich Bereue Nichts im »Kultur-Unternehmen« Theater scheinen sie oft gar kei- die Institution Theater an sich ist verantwortlich für ihre von Nis-Momme Stockmann nen Platz zu haben. Der Widerspruch ist schwer auszuhal- Werthaltungen und deren Umsetzung. Doch wer bestimmt Ein NSA-Projekt von Jan-Christoph Gockel r Blattner 21.5.15 & Konstantin Küspert | URAUFFÜHRUNG ten. Da geht es den Theatern nicht anders als den Kirchen die Werte der Institution? Der einzelne Intendant oder r Gockel 11.10.14 oder den Gewerkschaften. Deshalb wird oft lieber gar nicht die einzelne Intendantin? Ist das wirklich ihre Aufgabe? Zuhause hingeschaut, oder die Theaterleitenden, die Alleinherr- Trotz aller Machtfülle ist die Verantwortung einer Thea- Tragikomische Monologe von Ingrid Lausund schenden im hierarchischen System, argumentieren nach terleitung vorübergehender Natur. Intendanzen wechseln, das iNterView / Gift mai 15 von Theo van Gogh / Lot Vekemans alter Schule: Partizipation, Gerechtigkeit, Demokratie – all aber die Institution bleibt. Jede neue Theaterleitung trifft, r Schnizer / Schäfer 23.11.14 stOlPersteiN karlsruhe das habe mit dem Entstehungsprozess von Kunst eben nun gemeinsam mit allen neu an das Haus kommenden Mit- mal leider nichts zu tun. Moral habe auf der Bühne ihren arbeitern, auf eine vorhandene und oftmals sehr ausge- URAUFFÜHRUNG ZUM STADTJUBILÄUM schatteN (eurYdike saGt) Juni 15 Platz, und alles andere sei neben der Freiheit und Größe der prägte Unternehmenskultur. Müsste nicht also eher der von Elfriede Jelinek Kunst auch unbedeutend. Der Spielplan als Leitbild. Aber Auftraggeber des Theaters die Unternehmenswerte defi- DEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG immer mehr Theatermitarbeitende – und auch immer mehr nieren? Auftraggeber ist letztlich der Bürger, der mit sei- r Gloger 27.11.14 remOte karlsruhe von Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) Bürgerinnen und Bürger – nehmen wahr, dass die Diskre- nen Steuerzahlungen den Beitrag der Stadt-, Staats- und URAUFFÜHRUNG ZUM STADTJUBILÄUM panz zwischen versendeter künstlerischer Botschaft und Landestheater zum Gemeinwohl finanziert. Denn es exis- die räuBer r Kaegi Juni 15 betrieblicher Realität die Legitimation der Theater in ihrer tiert in der Bundesrepublik ein gesellschaftlicher Vertrag, von Friedrich Schiller Substanz bedroht. Denn es geht im Grundsatz um Haltung der die Bedeutung von Kunst und Kultur für die Gemein- r Salehpour 17.1.15 PremiÈres und Glaubwürdigkeit. schaft hoch schätzt und sie deshalb vor den Gesetzen des Festival für junge europäische Regisseure Marktes schützt. Auch verschiedene andere meritorische du sOllst deN wald Nicht 4. – 7.6.15 in Zusammenarbeit mit dem tNs Vorne hui – hinten pfui! Güter wie Bildung, Erziehung, Forschung und Sport wer- VOr dem haseN lOBeN & le maillon strasbourg Ein konkretes Beispiel: In der Kunst, auf der Bühne, ist den staatlich unterstützt. In den letzten beiden Jahrzehn- von Jörn Klare | URAUFFÜHRUNG das Eintreten für die Gleichberechtigung von Mann und ten ist jedoch eine bedrohliche Entwicklung festzustellen: r Plötner 28.1.15 Frau selbstverständlicher Konsens. Arbeitsrechtlich gilt Im Kampf ums Überleben produzieren die Theater immer seit 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Trotz- mehr mit immer weniger Mitarbeitern, und diese werden dem gibt es heute immer noch Theater, an denen gleich für ihre Arbeit immer schlechter bezahlt. Eine Spirale, die qualifizierte Mitarbeiterinnen auf und hinter der Bühne sich immer schneller dreht. Auf der Bühne wird derweil weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Auch immer noch scharfe Kritik an sozialer Ungerechtigkeit und bei Intendanzwechseln ändert sich an diesem Zustand neoliberaler Verherrlichung der Kräfte des freien Marktes rechtsmaterial zumeist nichts. Wie ließe sich das Problem lösen? Eine geübt. Gleichzeitig fühlen sich Theaterleitende aber offen- Ein NSU-Projekt von Jan-Christoph Gockel & Konstantin Küspert www.staatstheater.karlsruhe.de gerechte Umverteilung wäre entweder durch einen Lohn- bar gezwungen, sich am Markt der von ihnen benötigten 61 Mitarbeiter als besonders clevere Sparfüchse zu bewäh- ben des Systems. Chancen für einen Wandel werden kaum neue Impuls muss nachhaltig weitergeführt werden. Das ren, und tragen so ihren Teil zum Gagendumping bei. Der wahrgenommen. Im Gefühl, ohnehin mit dem Rücken kostet viel Aufmerksamkeit, Mühe, Zeit und Geld. Alle Markt gibt es ja immer noch her, die Löhne sinken weiter, zur Wand zu stehen, wird die Arbeit in immer extremerer unternehmensethischen Maßnahmen müssen daher in und die Künstlerinnen und Künstler kämpfen ums Über- Weise ergebnisorientiert. Man stelle sich vor, ein produ- enger Absprache mit dem Träger erfolgen. Ohne die Unter- leben. Wer trägt die Verantwortung für diese Zustände? zierender Betrieb müsste alle zwei Wochen ein vollkom- stützung der Auftraggeber im System geht es nicht. Auch Und ist der Bürger, als Auftraggeber, damit einverstanden? men neues Produkt auf den Markt bringen. Inklusive Pla- hier ist sicher viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Aber der nung, Entwicklung und Marketing. Die Theater machen Dialog mit den Auftraggebern ist ohnehin grundlegender Materieller Gewinn führt zu immateriellen Ver- das. Da bleibt alles nicht unmittelbar Ergebnisorientierte Teil der Bemühungen um Diskurs und Partizipation. Es lusten auf der Strecke. Ein Diskurs mit allen Mitarbeitenden über geht um eine neue Art der Investition in den Kulturbetrieb. In Vertretung des Bürgers handelt die Kulturpolitik. Aber die Werte des Betriebs und die Ziele der gemeinsamen Diese ist nicht nur wesentlich für die Qualifikation, Identi- diese beschäftigt sich heute vielerorts ausschließlich mit Arbeit ist ein langer Prozess. Prozesse erfordern Geduld fikation und Motivation der Mitarbeitenden, sondern auch Besucherzahlen, Platzausnutzung und der Anzahl der Pre- und Beständigkeit. Keine Zeit für Ethik. So sieht es aus. für die Glaubwürdigkeit des Theaters an sich. mieren. Standard ist seit vielen Jahren die Aufforderung Aber das ist kurzsichtig gedacht, denn die Mitarbeiter sind an die Theater, ihren Eigenfinanzierungsanteil weiter zu die einzige Ressource, die das Theater hat. Sie sind kein Was können Dramaturgen tun? steigern, entweder als offen ausgesprochene Forderung Kostenfaktor, sondern ein Vermögenswert. Es wird Zeit, Unternehmensethik ist Chefsache. Ohne Chefs geht es oder als einziger Ausweg zur Erwirtschaftung der tarif- in diesen Wert zu investieren. nicht: Die Treppe wird von oben gekehrt. Verantwortung lichen Lohnerhöhungen. Unternehmensethisch betrachtet bedeutet im Wortsinn, Antwort zu geben. Mir scheint es ist das nichts anderes als eine Kommerzialisierungsforde- Ein Sofortprogramm für die Theater heute notwendiger denn je, dass die »Chefs« nicht nur in rung an die Theater. Ein wichtiges Unternehmensziel wäre Es gibt Perspektiven für einen werteorientierten Wandel, künstlerischer und strategischer Hinsicht, sondern auch also plötzlich doch die Gewinnmaximierung? Wo bleibt da und es gibt für die Theater viel zu gewinnen. Die ange- im Hinblick auf die gelebten Werthaltungen Antworten der Schutz vor den Kräften des Marktes? Alle relevanten wandte Unternehmensethik kennt verschiedene hilfreiche geben. Aber auch die bestehende hierarchische Struktur unternehmensethischen Theorien geben der Wertschöp- Instrumente, die von den Kulturbetrieben bisher jedoch fast kann ethisch verantwortlicher gelebt werden. Mit ihren fung und der gesellschaftlichen Verantwortung Vorrang nicht genutzt werden. Instrumente? Das klingt für einen besonderen Qualifikationen können die Dramaturgin- vor dem Ziel der Gewinnmaximierung. künstlerischen Betrieb abschreckend. Aber es geht letzt- nen und Dramaturgen Motor einer neuen Diskurs-Kultur Natürlich möchte niemand ein leeres Theater, und eine lich nur um Hilfsmittel, die im täglichen Betrieb Räume werden. Gerade an der Schnittstelle zwischen Intendanz hohe Platzausnutzung kann ein Indiz dafür sein, dass ein für Kommunikation eröffnen und erhalten. Hier drei rela- und Betrieb kann die Initiative für einen partizipativen, Haus für sein Publikum relevantes Theater macht. Aber tiv einfach umzusetzende Sofortmaßnahmen für die Thea- kommunikativen Prozess entwickelt werden. Von und mit Kunst ist Risiko. Der wirtschaftliche Druck schränkt die ter, die ich in den Workshops in Mannheim ausführlich ihnen können neue Perspektiven für einen werteorientier- künstlerische Freiheit ein. Ziel der Arbeit wird so zuneh- vorgestellt habe und zu denen ich auch gern jederzeit kon- ten Wandel in unseren Kulturbetrieben gestaltet werden. mend, dem vermeintlichen Publikumsgeschmack entspre- krete Hilfe anbiete: Einem möglichen Missverständnis möchte ich aber, chen zu müssen. Das kann nicht die Aufgabe öffentlich 1. Eine Open Space Technology Conference mit allen Mitar- gerade für unseren doch zur Selbstdarstellung neigenden geförderter Kultur sein. Materieller Gewinn führt so zu beitenden. Bereich, noch vorbeugen. Das Thema erfährt, nicht zuletzt immateriellen Verlusten, und die Legitimation von öffent- 2. Ein Prozess zur Entwicklung eines unternehmen- durch die Initiative »art but fair«, immer mehr Aufmerk- lich-rechtlichem Theater ist substanziell gefährdet. Die sethischen Leitbilds mit allen Mitarbeitenden und samkeit. Das ist gut so. Aber eine Haltung nach dem Motto derzeitige Entwicklung steht in krassem Widerspruch Vertretern des Trägers. »Ethik hat Konjunktur« ist ein grundsätzlicher Trugschluss. zum ursprünglichen gesellschaftlichen Auftrag. Ein Dis- 3. Selbstverpflichtungen für alle am System Theater Betei- Besseres Management kann sicher auch den Theatern nicht kurs der Theater mit der Kulturpolitik über deren Inhalte ligten. Die Initiative »art but fair« hat hierzu Formu- schaden, aber im Kern geht es eben nicht um Management- und ihre gesellschaftspolitische Dimension ist dringend lierungsvorschläge ins Netz gestellt. Strategien, sondern um Werte. Und die glaubwürdige Ver- nötig. Denn im augenblicklichen Werte-Vakuum geht der mittlung von Werten macht letztlich die Existenzberechti- ursprüngliche Sinn des Auftrags an unsere Theater ver- Aber welche Instrumente auch immer genutzt werden, jede gung unserer Theater aus. loren. Verbesserung der Kommunikation und Stärkung der Parti- zipation trägt dazu bei, die Diskrepanz zwischen den auf Werte-Vakuum überall? der Bühne formulierten moralischen Ansprüchen und der Doch auch in den Theatern selbst findet ein Wertediskurs gelebten Realität im Betrieb zu verringern. All das muss kaum statt. Man ist ganz und gar mit der Kunst beschäf- zunächst gewollt und dann im täglichen ergebnisorien- tigt und mit dem oft verzweifelten Kampf um das Überle- tierten Hamsterrad des Theaters erkämpft werden. Jeder 62 63 die zukunft hat schon das stadttheater der zukunft: begonnen bloß tapetenwechsel oder

Kerstin Retemeyer neubau?

Isabelle Becker, Laura Kiehne, Viola Köster, Ines Schneider, Nele Winter

Im Vorfeld unserer diesjährigen Jahreskonferenz »Wie wollen wir arbeiten?« baten wir Leiter ausgewählter Dramaturgie- -Konferenz, Mannheim 2014: Viel Diskussion um neue Tape- den, die unendlich steigerbar scheint. Wer wirklich Die Autorinnen sind studiengänge zu beschreiben, auf welche Arbeitswelt sie ihre Studierenden vorbereiten. Einige Antworten wurden in dra- dg ten. Wir waren dabei. Wir waren ganz Ohr. Denn wir bren- für seine Arbeit brennt, der braucht keine Ruhe, an Studierende des Master- maturgie 1/2014 abgedruckt. Auf den nächsten Seiten schildern nun Studentinnen des Master-Studiengangs Dramaturgie nen für das Theater. Wir studieren Dramaturgie an der Thea- diese Parole wurde auch schon vor ihrer flächen- studiengangs Dramaturgie der Theaterakademie Hamburg. der Hamburger Theaterakademie ihre Eindrücke von der Konferenz. Zuvor reichen wir jedoch die Antwort der Theater- terakademie Hamburg und sehen uns als Theatermacher deckenden Übernahme durch den emotionalen akademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg auf unsere Frage nach. der Zukunft. Uns beschäftigt die Frage nach »Leben, Kunst Kapitalismus geglaubt.« und Produktion. Wie wollen wir arbeiten?«, ganz besonders Uns stellt sich nach der Konferenz also weiterhin die ich mit Dramaturgie befassen, eine Dramaturgie erstellen 360°-Projektion für einen interaktiven Bühnenraum oder und ganz allgemein. Frage, wie sich die momentanen Widersprüche von Leben, soder gar dramaturgisch denken sind Aufgabenfelder, die entwickeln einen interaktiven comic zu den Räubern, wobei Kunst und Produktion in Zukunft reduzieren lassen. Mit nicht allein auf das Theater beschränkt sind. Hatte Lessing die von Schiller sehr auffällig konstruierten Drehpunkte Mannheim hinterlässt bei uns ein schales Gefühl. Es wurde dem unsichtbaren Komitee gefragt: Wie können wir uns mit der Hamburgischen Dramaturgie seinen Wir- die Möglichkeit bieten, in die Handlung des Dramas ein- viel vorgetragen zum Thema prekäre Arbeitsbedingun- am Leben erhalten? Wie werden wir uns wiederfinden? Kerstin Retemeyer ist kungsbereich auf das Verfassen und Aufführen von zugreifen. Diese Potenziale, in einem Seminar zusammen- gen, Überlastung, Burnout, keine Frage. Zu einer gemein- Und dazu gemeinsam an gesellschaftlich relevanter und stellvertretende Studien- Dramen konzentriert, so weitet sich das Aufgaben- gefasst, zeigen die Entdeckungsreise in neue Gefilde, auf samen Antwort oder Aktion, wie auf diese Probleme in genussvoller Kunst arbeiten? gangsleiterin Dramaturgie an gebiet der Dramaturgie heute gewaltig. Das Thea- die sich das Theater und mit ihm die Dramaturgie derzeit Zukunft reagiert werden soll, kam es nicht. Wir sind ohne der Akademie für Darstellende Stattdessen: Den Neubau wagen! Kunst Baden-Württembergn ter ist längst aus den Gebäuden in den öffentlichen begibt – die Konvergenz mit dem Fremden. Diese ständige konkrete politische Forderungen auseinander gegangen. Raum gezogen und mit ihm die DramaturgInnen. Herausforderung der Interdisziplinarität, des Transmedi- Zu kurz kamen die ökonomischen hard facts, die Theater- Zur Beantwortung dieser Frage wagen wir das Gedankenex- Sie arbeiten neben ihrem ursprünglichen Ort, dem alen, Grenzen nicht als Hindernis sondern als Herausfor- leute gern umgehen. Kaum eine Erwähnung von Betriebs- periment des Neubaus: Wenn die alten Strukturen verkrus- Theater, und der ursprünglichen Tätigkeit als Autoren heute derung zu sehen, sie überschreiten zu wollen, macht die rat und Tarifverträgen. Und auch die Bühnengenossen- tet sind und krank machen, dann muss ein neues Haus her. auch als Producer, als Lektorin, als Redakteur, als Kurato- Dramaturgiestudierenden der ADK in ihrer Ausbildung schaft fiel nicht weiter auf. Die Probleme wurden einmal Und das sähe so aus: 3 Stockwerke unter einem Dach, ver- ren, im Bereich des Managements, in den Redaktionen der stark und bereitet sie vor auf ein sich ständig in Bewegung mehr individualisiert: Tipps zur persönlichen Work-Life- bunden durch einen Paternoster, bestückt mit vielen Fens- Medien, in Agenturen … - in allem, was der Bereich »crea- befindendes Arbeitsfeld. Neue Arbeitszusammenhänge und Balance und betriebsinternen Umstrukturierung wurden tern und Türen. Der Aufbau ist von unten nach oben, ist ver- tive producing« umfasst. -weisen entdecken und für sich nutzen, neue Kontakte und verteilt, auseinandergenommen, zerschlagen oder notiert. tikal zu verstehen. Der Dramaturg fährt beständig auf und Die Frage, für welchen Markt eine Hochschule ausbil- Netzwerke herstellen, auf neue Wahrnehmungsweisen und Doch diese müssen bloße Symptombekämpfungen bleiben, ab. Er hat ausreichend Zeit, in jeder Etage auszusteigen und det, ist nicht zu trennen von der, wo wir bereits jetzt schon Interessen reagieren, das sind Aufgaben, mit denen sie sich wenn an den krankmachenden Produktionsbedingungen am Proben- und Gesprächsprozess teilzunehmen. Er ver- DramaturgInnen außerhalb des traditionellen Theaterbe- auseinandersetzen müssen, um künftig bestehen zu kön- nicht gerüttelt wird. Wie Rolf Bolwin es in der »Elefanten- bindet die Etagen miteinander und ist Teil jeder Etage. Die triebs finden, vor allem jedoch, was sie als und wie sie ihre nen. Hier ist die junge Generation bereits dabei, den Grund- runde« auf den Punkt brachte: Die Arbeitsbedingungen vertikale Struktur des Hauses ist in keinem Fall als hierar- Tätigkeit auffassen. Das Wirken von DramaturgInnen ist stein für Arbeits-, Umgangs- und Kommunikationsformen sind tarifvertraglich festgelegt. Für das technische Per- chische Arbeitsweise misszuverstehen. Diese gilt es ganz grundlegend und notwendig, klären sie doch Strukturfra- der Zukunft zu legen. Wer lernt hier von wem? sonal gilt eine maximale Wochenarbeitszeit von 46 Stun- im Gegenteil zu enthierarchisieren. gen, Zielsetzungen, die berühmten W-Fragen (wer, wann, Bei aller Öffnung, die die Dramaturgie als Forschungs- den, das künstlerische Personal hat mindestens 11 Stunden Im EG befindet sich die Produktion, die Organisations- was, warum, wie, wo) mit dem Zentrum – warum mache bereich und Arbeitsfeld in den letzten Jahren erfahren hat, Nachtruhe und 4 Stunden Zeit zwischen Probe und Auffüh- struktur des Theaters. Diese hat den Auftrag, der Kunste- ich das eigentlich? Ausgleichen, Strategien entwickeln um gibt es doch Grundlagen, die weiterhin zur dramaturgi- rung bzw. Abendprobe verdient. Das Problem liegt tiefer: tage im 1. OG Freiräume für Kunst, der Publikumsetage im Ideen Form zu geben, Teams zusammenstellen und -halten, schen Ausbildung gehören sollten. Kenntnisse in Theater- Der einzelne Theaterarbeiter hat das neo-kapitalistische 2. OG Freiräume für Begegnung, Austausch und Diskussion den kreativen Ball immer weiterspielen, das sind einige und Medientheorie, in historischen Dramaturgien und Lite- »Verausgabe dich selbst!« bereits körperlich und praktisch zu schaffen. Die Produktionsetage hat keinen Eigenwert, Schwerpunkte im großen Aufgabenfeld der Dramaturgie. raturen, in Kulturgeschichte und Philosophie, die Fähigkeit internalisiert. Die wachstums- und innovationsfetischis- verfolgt keinen Selbstzweck. Es geht ihr nur um qualitative, Die Dramaturgen sind an der ADK wohl die Studieren- zur Analyse und schöpferischen Interpretation bleiben tischen Produktionsbedingungen sind uns in Fleisch und gesellschaftlich relevante Kunst und den politischen Aus- den, die am intensivsten den Campus zwischen Film- und wesentlich für die Ausbildung. Diese Kompetenzen könnte Blut übergegangen. Die ausbeuterische Forderung, sein tausch- und Versammlungsort. Die festen Größen dieser Theaterakademie kreuzen, um den Theorieunterricht in man in ihrer Gesamtheit »den dramaturgischen Blick« nen- Leben für den Dienst an der Kunst zu opfern, ist eine inhä- Etage heißen: Tarifverträge, Betriebsrat, Genossenschaft, beiden Bildungseinrichtungen wahrzunehmen und so ihre nen; ein Vermögen, das in der Übung immer wieder auf neue rent kapitalistische. Hier wird der Künstler gegen die Kunst Arbeitszeit, Arbeitslohn. Bei der Festlegung dieser Größen Netzwerke aufzubauen, aber auch ihre Projekte zu verwirkli- Gegenstände und Formen angewandt wird, das nichts Stati- ausgespielt – allerdings nicht mehr für den Zweck der Kunst, ist uns wichtig zu betonen, dass es ohne Reduktion von chen. Die Grenzen sind fließend, Arbeits- und Denkweisen, sches hat, entsprechend der Variabilität des Marktes. Diese sondern für die ökonomische Institution Theater bzw. das Arbeitszeit und zu betreuender bzw. zu bestreitender Pro- auch neue dramatische Formen längst transmedial. Die Stu- Beweglichkeit, Freiheit und Erfindungsreichtum müssen Unternehmen der freien Gruppe. (In dieser Hinsicht neh- duktionsanzahl je Künstler zu keiner weiteren Verbesserung dierenden machen auf der einen Seite die Erfahrung der oft wie ein Handwerk trainiert und hinterfragt werden. Des- men sich das Stadttheater und Freie Performancegruppen der Arbeitsbedingungen im Theaterhaus kommen kann! eher hierarchisch gegliederten Arbeit am Theater, auf der halb baut unsere zweijährige Masterausbildung auf einem tatsächlich nichts, beide opfern ihre Künstler.) Bernd Ste- Nur durch eine Reduktion der Repertoirestücke pro anderen erleben sie die kreativen Teams der interaktiven geisteswissenschaftlichen Studium auf. Wir sehen die Aka- gemann hat diesen Zusammenhang in Kritik des Theaters Spielzeit pro Dramaturg kann sich der Einzelne seiner Medien – und lernen so z.B. als Quintessenz einer Kinder- demie und in ihr den Studiengang Dramaturgie mit ihrem treffend beschrieben: »Die Arbeitsbelastung ist bei den Arbeit inhaltlich und künstlerisch ausreichend tiefgehend buchadaption in einem nüchternen Betonraum digital Blu- Bestreben nach interdisziplinärem Arbeiten als ein »Labo- projektgestählten, unternehmerisch denkenden Mitarbei- widmen. (Gleiches gilt selbstverständlich für alle ande- men wachsen zu lassen, knobeln im Team tagelang an einer ratorium für Theaterformen der Zukunft« tern in der Kulturindustrie zu einer fiktiven Größe gewor- ren Mitarbeiter.) Nur durch Reduktion kann eine fünfte 64 65 Die Spielzeit 2014/2015 Sparte aufgebaut und etabliert werden, in der auf aktuelle gesichert wäre. Ziel wäre, dass die Menschen der Region, gesellschaftliche Probleme und Fragestellungen mit klei- der Kommune, der Stadt ihr Theater als so lebensnotwendig SchauSpiel neren Spielformaten eingegangen werden kann. Nur wenn begreifen, dass sie sich vor seine Türen stellen, wenn ihm »Reduktion« sich auf die Arbeitsbelastung des Einzelnen doch die Schließung drohen sollte. Aber das lässt sich nur und NICHT auf die künstlerisch-inhaltliche Qualität der erreichen, wenn die in ihm produzierte Kunst und die statt- Arbeit am Theater bezieht, ist dies DAS Wort der Stunde! findenden Diskussionen tatsächlich eine inhaltliche Rele- Wir freuen uns auf die Jahreskonferenz der Die fünfte Sparte hat zudem das Potenzial, eine Verbin- vanz besitzen – der Theaterraum zu einem gemeinschaftli- dung von 1. und 2. OG zu schaffen. Denn in ihr haben Stadt- chen, jedem offen stehenden Lebensraum geworden ist. Ziel Dramaturgischen Gesellschaft von 29.1. bis 1.2.2015 in Linz. teilprojekte ebenso Platz wie Bürgertheater und politische wäre, Lebensraum, Kunstort und Produktionswerkstätten Aktionskunst. Hier öffnet sich das Theater nach außen, hier unter einem Dach zu vereinen, auf dem folgender Satz sei- Seien Sie auch davor und danach herzlich willkommen bei uns! geht es auf die Straße und holt die Straße in seine Räumlich- nen angemessenen Platz finden würde: keiten zurück. Hier bekommt Theater seine oft erwähnte »Theater ist der Ort der Gesellschaft in der Gesellschaft, Agorafunktion. Wenn das Stadttheater an gesellschaftlicher an dem sich in Gesellschaft über Gesellschaft ästhetisch Relevanz gewinnen will – und daran müsste jedes Haus ein reflektieren lässt.« Interesse besitzen – muss die fünfte Sparte zukünftig also Premieren eine zentrale Rolle spielen. Also: Wer will fleißige Handwerker sehen… FunKelnDe geiSter Floh im ohr Nach innen führen feste Ensemblestrukturen zu einer … der verbünde sich und entwerfe einen politischen For- DaS Wintermärchen eine unwahrscheinliche Farce von noël Coward Komödie von Georges Feydeau langfristigen, kontinuierlichen künstlerischen Arbeit im derungskatalog, den es bei den zuständigen Kulturbehör- romanze von William Shakespeare 12. Dezember 2014 1. mai 2015 1. OG. Der Fokus läge – wie mit dem Künstlertheater frühe- den vorzulegen gilt! 20. September 2014 rer Jahre bereits mehrfach versucht und propagiert – auf der Die Frage, was wir nächsten Montag umsetzen wollen, Der VerrecKte hoF unSer mann in haVanna Gemeinschaftsarbeit, auf Theater als sozialer Kunstform. steht weiter im Raum. Wir jungen Theatermacher fordern Kabale unD liebe eine Stubenoper von Georg ringsgwandl CervezA TrOPiCAL (UA) Der Theaterbetrieb erhielte so einen Laborcharakter zum die Mitglieder der Dramaturgischen Gesellschaft – und ein bürgerliches Trauerspiel 30. Jänner 2015 Schauspiel nach dem gleichnamigen roman Ausprobieren neuer Gesellschafts- und Lebensmodelle auf alle anderen TheatermacherInnen – dazu auf, nicht beim von Friedrich Schiller von Graham Greene kleinem Raum. Hier könnten neben der konzentrierten Schwadronieren und der zynisch-esoterischen Problemver- 26. September 2014 WinterreiSe 23. mai 2015 künstlerischen Arbeit neue Lebens- und Arbeitsmodelle für handlung stehen zu bleiben, sondern neue Produktions- ein Stück von elfriede Jelinek die Realität außerhalb der Theaterwände erprobt werden. bedingungen im Theater jetzt einzuleiten. Beispielweise Supergute tage oDer 31. Jänner 2015 PLATTFOrm PrOmenADe Als Gemeinschaft kennzeichnet sich eine Gruppe von schlagen wir vor, eine neue »AG Praktische Produktions- Die SonDerbare Welt mythoS meDea Menschen, die sich solidarisch zueinander verhalten. Soli- bedingungen« zu gründen, die auf der kommenden Jahres- DeS chriStopher boone hiob ein Projekt des Schauspielensembles darität unter uns Theatermachern ist aber erst möglich, konferenz die praktische Forderungssammlung zur Diskus- Schauspiel von Simon Stephens Schauspiel nach dem gleichnamigen roman 28. mai 2015 wenn wir uns von der Sorge um unsere individuelle Ver- sion und Unterschrift vorstellt. nach dem roman von mark Haddon von Joseph roth sorgung trennen und erreichen, dass die tariflichen Unter- In jedem Fall gilt es, die Mittel-Zweck-Verkehrung umzu- 18. Oktober 2014 21. Februar 2015 WieDerAUFn AHmen schiede zwischen Schauspielern und Sängern, die Unter- drehen: Die Produktionsbedingungen dürfen nicht Kunst schiede im Brutto-Gehalt zwischen zwei Angestellten im und Künstler dominieren! Ganz im Gegenteil müssen sie ronja räubertochter hamlet iSt tot. Der eingebilDete KranKe gleichen Anstellungsjahr und auch zwischen Intendanten das Fundament des neuen Künstlertheaterhauses bilden, Theaterstück nach dem Kinderbuch Keine SchWerKraFt Komödie von molière kleiner oder großer Bühnen aufgehoben werden. auf dessen Festen sich Künstler und Publikum austauschen, von Astrid Lindgren Schauspiel von ewald Palmetshofer 13. September 2014 Und 1. und 2. OG befruchten sich gegenseitig: Die zusammenschließen, füreinander einstehen und mit ihrer Für alle ab 6 Jahren 6. märz 2015 Kunstetage profitiert von der Publikumsnähe, vom Reali- Kunst Standpunkte setzen. Das Theaterhaus muss dabei 16. november 2014 max'n morizz feat. texta tätsbezug, die den gegenwärtigen Theaterschaffenden nur sowohl kreativer Rückzugsraum für eine konzentrierte peer gynt ein ritzeratze-BilderBuch-musikTheater-Abend zu häufig abhanden gekommen ist durch die permanente Arbeit an der Kunst als auch gesellschaftlicher Marktplatz Verbrennungen Dramatisches Gedicht von Henrik ibsen mit der HipHop-Band TeXTA Selbstreferenz. Im 2. OG werden die in den Aufführungen sein. Schauspiel von Wajdi mouawad 27. märz 2015 frei nach Wilhelm Busch behandelten Themen weiter diskutiert. Hier bekommt die Zu allen diesen Angängen stehen wir theoretisch und 29. november 2014 22. Oktober 2014 Realität neue Denk- und Handlungsimpulse von der Fik- praktisch zur Verfügung. tion, aus den Geschichten und Performances. Ziel wäre es, die Qualität der Kunst nicht an Auslas- tungszahlen und Zuschauerzahl zu bemessen, weil die www.landestheater-linz.at Finanzierung des Hauses und seiner Künstler so oder so

dram. ges. LTL März 2014.indd 1 03.04.14 17:36 67 kleist - förderpreis 2014 neues aus den arbeitsgruppen

Michel Decar erhält den Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker 2014 für das Stück »Jenny Jannowitz«

ag tanz

Der gebürtige Augsburger Michel Decar erhält den Michel Decar wurde 1987 in Augsburg geboren. Er studierte Die AG Tanz besteht aus Dramaturginnen und Dramatur- aus, um intensiv ins Gespräch zu kommen. Weitere Themen Kleist-Förderpreis 2014. Die Jury wählte das Stück Germanistik und Geschichte an der LMU München und gen, die im Tanzbereich oder tanzaffin arbeiten: in Stadt- werden sein: Zusammenspiel von Produktionsleitung und Jenny Jannowitz aus 155 Einsendungen aus. Die Insze- Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin. und Staatstheatern, in der freien Szene, in performativen Dramaturgie, gewinnbringende Produktionsdramaturgie, nierung übernimmt in diesem Jahr das Staatsthea- 2012 gewann sein Jonas Jagow den Förderpreis für neue Dra- Zusammenhängen. In der AG geht es primär um Austausch. Tanz im Schauspiel – was muss der Schauspieldramaturg ter Braunschweig. Regie führt Catja Baumann. Die matik des Berliner Stückemarktes und wurde am Maxim- Wir verstehen uns nicht als Lobby, sondern als Gesprächs- dafür über Tanz wissen? Uraufführung erfolgt zu den Ruhrfestspielen Reck- Gorki-Theater Berlin uraufgeführt. Das Stück Waldemarwolf forum, in dem Spezialthemen der Tanzdramaturgie erörtert Ein nächstes Treffen ist in Planung, Ort und Zeit sind aber linghausen am 12. Juni 2014. Auch in diesem Jahr wurde in spanischer Übersetzung in Bogotá (Kolumbien) werden. Zuletzt haben wir bei unserem Treffen Ende Feb- noch unklar. Wer sich für das Protokoll und weitere Infos wird das preisgekrönte Stück im Anschluss an die inszeniert. Zusammen mit Jakob Nolte verfasste er das ruar auf der Tanzplattform in Hamburg über das Kuratieren der AG Tanz interessiert und in den Tanz-Verteiler aufge- Michel Decar Preisverleihung im Rahmen der Kleist-Festtage im Kleist Stück Das Tierreich, welches mit dem Brüder-Grimm-Preis gesprochen: Wie mischt sich Dramaturgie mit der kurato- nommen werden möchte, melde sich bitte bei Forum in Frankfurt (Oder) zu sehen sein. Das jährliche Fes- 2013 ausgezeichnet wurde, sowie Helmut Kohl läuft durch , rischen Praxis? Wie gestaltet man ein Festival, das blei- [email protected] tival zu Ehren des in Frankfurt (Oder) geborenen Dichters das an der Schaubühne Berlin, dem Burgtheater Wien und bende Werte schafft und in die Stadt hineinragt? Braucht Heinrich von Kleist findet vom 16. bis 19. Oktober 2014 statt. dem zu sehen war. ein Festival ein Motto? Welche Stadt braucht welches Festi- val? Können Festivals auch rotieren? Neben Paar-Dialogen Hauptperson des Stücks ist Karlo Kollmar, der nach einem und Speed-Runden probieren wir unterschiedliche Formate monatelangen Schlaf erwacht. Als er an seinen hektischen Arbeitsplatz zurückkehrt, sind einige Dinge in seinem Leben merkwürdig durcheinandergeraten. Der Chef möchte viel lieber sein Kumpel sein, seine Mutter nur noch mit Vor- namen angeredet werden, sein bester Freund entwickelt ag landesbühnen sich zum Widersacher und seine Freundin heißt Sybille ... oder Sabine oder vielleicht auch Sabynne. Gut, dass Carlo Collmar – die Namensänderung mit den »C«s klingt gleich Im Rahmen des Open Space auf der Jahreskonferenz 2014 eine Landesbühne, was ein Stadttheater nicht kann? Digi- viel globaler und schicker – auf seinen Chef gehört hat und traf sich die AG Landesbühnen erstmalig zum konspirati- tale Vernetzung und regelmäßige Arbeitstreffen im wahren flexibel genug ist, sich auf alles Neue einzustellen. So kann ven Austausch über unterschiedliche Abstechermodelle, Leben sollen ein nachhaltiges Netzwerk für Dramaturgin- er auch immer weiter nach Osten versetzt werden – bis er mögliche Projekte und bestehende Vorurteile. Unter dem nen und Dramaturgen aller Landesbühnen schaffen. Die in Hannover landet. Eigentlich stehen dem jungen Collmar Motto »Jede Landesbühne ist anders« richtet die AG den AG freut sich über weitere Mitglieder. Bei Interesse einfach alle Möglichkeiten offen, und trotzdem hat er das deutli- Fokus ihrer Arbeit auf Qualitäten und Vorteile der Landes- eine E-Mail an [email protected] che Gefühl, keine Wahl zu haben und ständig etwas zu bühnen gegenüber Stadt- und Staatstheatern: Was kann senden und mitdiskutieren. verpassen. Doch bevor er an der Suche nach einem fest- stehenden Koordinatensystem völlig verzweifelt, begeg- net ihm Jenny Jannowitz, die eine ganz andere Sicht auf die Dinge hat. Michel Decar hat ein schwindelerregendes Stück über den alltäglichen Wahnsinn der modernen Welt ag musiktheater geschrieben, über die komischen Seiten unserer unendli- chen Verlorenheit. Musiktheater und Dramaturgische Gesellschaft? Da war Was ist die Rolle der Dramaturgie im Musikthea-ter heute? Die Jury begründet ihre Entscheidung für das Stück folgen- doch was. Stimmt! Es gibt sie, die Musiktheater-Dramatur- Wie unterscheiden sich die Sparten voneinander, was kön- dermaßen: »Themen des modernen Alltags, wie Be- und gen. Und, ja, stimmt: Seit der Jahreskonferenz in Mannheim nen sie voneinander lernen? Wie kann spartenübergreifende Entschleunigung, Traum und Wirklichkeit finden in Jenny 2014 gibt es erstmals eine eigene Arbeitsgruppe Musikthea- Arbeit gelingen? Wie weit reicht das Spektrum des Musik- Jannowitz auf leichte und humorvolle Weise zu einer schlüs- ter innerhalb der Dramaturgischen Gesellschaft. Doch was theaters? Vom Kostümdrama zum szenischen Konzert, vom sigen Form. Voller Spiellust spiegelt Michel Decar aus der macht die AG in der DG? Ganz einfach: Sie thematisiert das Oratorium bis zur Operette, vom klassisch-romantischen Perspektive einer aus der Zeit gefallenen Figur den alltäg- Musiktheater als dramaturgischen Arbeitsplatz, sie vernetzt Repertoire bis zur Musique Concrete und Elektronik: Die lichen Arbeits- und Lebensrhythmus wider.« und repräsentiert Musiktheaterdramaturgen, sie stellt Fra- AG Musiktheater geht es an. Kontakt über gen nach traditionellen und zeitgenössischen Formen und [email protected] Spielarten des Musiktheaters. Oder doch nicht so einfach?

68 69 die dg dg vorstand

Die Dramaturgische Gesellschaft dg( ), 1956 in Berlin gegrün- Website der dg. Außerdem verleiht die dg gemeinsam mit Natalie Driemeyer Birgit Lengers Geschäftsstelle: det, vereint Theatermacher aus dem gesamten deutschspra- der Stadt Frankfurt (Oder), dem dort ansässigen Kleist- Freiberufliche Dramaturgin, Stellvertretende Vorsitzende chigen Raum. Sie versteht sich als offene Plattform für den Forum und den Ruhrfestspielen Recklinghausen jährlich seit 2013 Jurymitglied für die der dg, seit 2009/2010 Suzanne Jaeschke Austausch über die künstlerische Arbeit, die Weiterent- den Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker. Projektförderung freier Leitung des Jungen DT am Geschäftsführerin der dg, wicklung von Ästhetiken, Produktionsweisen und nicht Mit ihren Tagungen und Aktivitäten rund ums Jahr leis- Berliner Theater- und Tanzschaffender, Deutschen Theater in Berlin. Zuvor tätig geboren und aufgewachsen zuletzt über die gesellschaftliche Funktion des Theaters. tet die dg einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Autorin bei Theater der Zeit und Leitung des als Theaterwissenschaftlerin (Universität in den Niederlanden, seit 1996 Zu den Mitgliedern der dg zählen Theatermacher aus allen Positionsbestimmung des Theaters. Indem zu den Konfe- »Forum Diskurs Dramaturgie« mit Jan Hildesheim, UdK Berlin), Dramaturgin Dramaturgin und freie Produktionsleiterin Genres und allen Organisationsformen des Theaters, egal renzen stets auch zahlreiche »theaterfremde« Referenten Deck. Zuvor Schauspielleitung am (German Theater Abroad, Theater T1) und in Berlin. Arbeit u.a. mit Constanza ob Stadttheater oder freie Szene, sowie Verleger, Journa- eingeladen werden, befördert die dg den Wissenstransfer Stadttheater Bremerhaven. Sie arbeitete u.a. Moderatorin (u.a. Theatertreffen/Berliner Macras, Lotte van den Berg (Niederlande), listen und Studierende. zwischen den verschiedenen Disziplinen und setzt so neue am Les Kurbas Theater L´viv / Ukraine, Festspiele). Publikationen u. a. in Text + Anne Hirth, Public Movement (Israel), Zwei zentrale Aktivitäten der dg sind die Organisation Impulse für die künstlerische Arbeit. beim Climate Art Festival in Indonesien, Kritik, Theater der Zeit und Die Deutsche Bühne. Rundfunkchor Berlin. der Jahreskonferenz und die Herausgabe des Magazins Mitglieder der dg können diese als Netzwerk nutzen, auf Kampnagel Hamburg und bei Theater dramaturgie. Einmal im Jahr veranstaltet die Dramaturgi- zum Beispiel für die Bewerbung fachspezifischer Aktivitä- der Welt 2008. Amelie Mallmann Cordula Welsch sche Gesellschaft eine an wechselnden Orten stattfindende ten, Sie haben freien Eintritt zur Jahreskonferenz, erhalten Freiberufliche Dramaturgin, Assistentin der Geschäfts- öffentliche Jahreskonferenz, zu der Referenten aus dem In- das Magazin dramaturgie kostenlos, bekommen regelmäßig Uwe Gössel Theaterpädagogin, Dozentin führung, ist Musikerin, und Ausland eingeladen werden, sich in verschiedenen For- den E-Mail-Newsletter und können sich in Arbeitsgruppen Theaterwissenschaftler, und Moderatorin. Seit Kulturwissenschaftlerin maten mit den Konferenzteilnehmern zu einem virulenten innerhalb des Vereins engagieren. Neue Mitglieder erhalten Dramaturg und Autor. Seit 2013 als Teilzeit-Dramaturgin und und Geigenpädagogin. Lebt seit 2007 Thema der zeitgenössischen dramaturgischen Berufspraxis zudem ein kostenloses Halbjahresabo der Deutschen Bühne. 2006 Leiter des Internationa- -Theaterpädagogin am Jungen DT, in Berlin, unterhält diverse Tango- und auszutauschen. Das Magazin dramaturgie greift die Themen len Forums, Theatertreffen/Berliner Deutsches Theater Berlin. 2005-2011 Unterhaltungsmusik-Projekte und konzer- der Jahreskonferenz in Form von schriftlichen und bildli- Werden Sie Mitglied der dg! Festspiele sowie Leitung des Lab Moderne Theaterpädagogin und Dramaturgin am tiert weltweit. chen Beiträgen auf. Der Jahresbeitrag liegt bei 70 Euro, ermäßigt 25 Euro Proben 2013. 2002–2004 Dramaturg am Theater an der Parkaue, Berlin. 2002–2005 Die Konferenzthemen der letzten Jahren waren: Mün- und 240 Euro als Förderbeitrag für Institutionen. Den Maxim Gorki Theater Berlin, 1999–2002 Dramaturgin am u\hof:, Theater für junges Ehrenmitglieder der dg sind Manfred chen 2013 – Es gilt das gesprochene Wort. Sprechen auf der Bühne – Antrag auf Mitgliedschaft finden Sie als Download auf unse- Schauspieldramaturg am Volkstheater Publikum am Landestheater Linz. Beilharz, Arnold Petersen (†), Henning und über das Theater; Oldenburg 2012 – Hirn. Geld. Klima. Thea- rer Website www.dramaturgische-gesellschaft.de, oder wen- Rostock. Jurymitglied des Theatertreffens Rischbieter (†) und Peter Spuhler . ter und Forschung; Freiburg 2011 – Wer ist WIR? Theater in der den Sie sich direkt an unsere Geschäftsstelle: Mariannen­ der deutschsprachigen Theaterschulen Jörg Vorhaben interkulturellen Gesellschaft; Zürich 2010 – Vorstellungsräume. platz 2, 10992 Berlin, Tel. 0049 (0)30 77908934. Email: 2013. Leitender Schauspiel- Dramaturgien des Raums; Erlangen 2009 – europa erlangen. Wie [email protected]. Ihre Ansprechpartne- dramaturg am Olden- kommt Europa auf die Bühne?; Hamburg 2008 – Geteilte Zeit. Thea- rinnen sind Suzanne Jaeschke und Cordula Welsch. Christian Holtzhauer burgischen Staatstheater ter zwischen Entschleunigungsoase und Produktionsmaschine; Hei- Vorsitzender der dg, und verantwortlich für das Festival delberg 2007 – Dem »Wahren, Guten, Schönen.« Bildung auf der Weitere Informationen unter Künstlerischer Leiter Go-West:Theater aus Flandern und den Bühne; Berlin 2006 – Radikal sozial. Wahrnehmung und Beschrei- www.dramaturgische-gesellschaft.de des Kunstfestes Weimar. Niederlanden. 2002 bis 2006 Dramaturg am bung von Realität im Theater. 2005-2013 Schauspieldramaturg und Schauspiel Köln, 2000 bis 2002 Dramaturg Innerhalb der dg widmen sich die Arbeitsgruppen Projektleiter am Staatstheater am Nationaltheater Mannheim.Ab 2014 »Forum Diskurs Dramaturgie«, »dg:möglichmacher«, »Tanz«, mit Schwerpunkt auf internationa- Chefdramaturg des Staatstheaters Mainz. »Musiktheater« und »Landesbühnen« verschiedenen künst- len Projekten. Von 2001–2004 gemein- lerischen, gesellschaftlichen und berufspraktischen The- sam mit Amelie Deuflhard verantwort- Jonas Zipf men. Informationen zur Arbeit der AGs finden Sie auf der lich für das künstlerische Programm der Seit 2011 Mitglied der Sophiensaele Berlin. Jurymitglied für den Künstlerischen Leitung am Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker Theaterhaus Jena. Er promo- und Mitglied des Kuratoriums des Fonds viert an der HfBK Hamburg zu urbanisti- Impressum Darstellende Künste e.V. scher Kunst. Zuvor arbeitete er als freier ISSN-Nr. 1432 - 3966 Dramaturg, Autor und Regisseur. Mit der Dramaturgische Gesellschaft (dg) freien Gruppe O-Team inszenierte er denkraum no. 6: swap ideas! Mariannenplatz 2 verschiedene ortsbezogene Theaterpro- 10997 Berlin Eine Austauschrunde zwischen jungen Dramaturgen und Autoren, initiiert von den jekte, zuletzt Flüchtlinge am Thalia Theater +49 (0)30 779 089 34 dg:möglichmachern Hamburg. Ab der Spielzeit 2014/2015 [email protected] Schauspieldirektor des Staatstheaters www.dramaturgische-gesellschaft.de Die festivaltourende Gesprächsserie »Denkraum« geht in 2. Mai 2014: 16–18 Uhr, Theater Heidelberg, Zwingerstraße Darmstadt. Vorstand Natalie Driemeyer, Uwe Gössel, die sechste Runde – und besucht erstmalig den Heidelber- 10, Festival-Sprechzimmer Christian Holtzhauer (Vorsitzender), ger Stückemarkt! Die dg:möglichmacher laden junge Dra- Birgit Lengers (stellv. Vorsitzende), Amelie Mallmann, maturgInnen und Studierende ein, die sieben eingeladenen Die Teilnahme ist wie immer kostenlos, aber beschränkt, Jörg Vorhaben, Jonas Zipf Autoren des Stückemarkts kennenzulernen und gemeinsam deshalb bitten wir um verbindliche Anmeldung unter Geschäftsstelle Suzanne Jaeschke, Cordula Welsch Redaktion Suzanne Jaeschke, Vorstand mit ihnen über konstruktive Arbeitsverhältnisse zwischen [email protected] Lektorat zWeitblick, Susanne Dowe Autoren und Dramaturgen nachzudenken: Wie wollen und Ansprechpartnerin: Lene Grösch (Schauspieldramaturgie Bildredaktion anschlaege.de, Uwe Gössel wie können wir am besten miteinander arbeiten? Wieviel und Internationale Kontakte, Theater und Orchester Hei- Druckerei Brandenburgische Universitätsdruckerei Distanz und wieviel Nähe brauchen beide Seiten? Welche delberg) Informationen zum Stückemarkt unter und Verlagsgesellschaft Potsdam mbH Modelle der Zusammenarbeit erleben wir – und welche www.heidelberger-stueckemarkt.de Kritzeleien von Tiziana Jill Beck, Doris Freigofas, Mona Leinung wünschen wir uns für die Zukunft? Gestaltung anschlaege.de 70 71

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