Wir Höhlenmenschen Der Entscheidung Des Internationalen Und Künstler Notwendig Und Wichtig
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SAMSTAG, 22. AUGUST 2020 – TANZ – THEATER – PERFORMANCE – MUSIK – LITERATUR – ANZEIGEN-SONDERVERÖFFENTLICHUNG Ode an die Weniger Form, Keine Angst vor der Schräge Bilder, Differenz mehr Energie! Unwahrscheinlichkeit falsche Freunde Die kanadische Choreografin Dana Michel Doris Uhlich steht im Fokus des diesjährigen Das Festival „Implantieren“ Ein Museum für Schwarze Unter- fällt völlig aus dem Rahmen S. 3 Tanzfestivals Rhein-Main S. 5 sucht nach Walen im Main S. 6 haltung und Black Music S. 8 Internationale Solidarität? Verrückte Zeiten: während die Grenzen dicht waren und alle internationalen Gastspiele abgesagt, erkämpften sich Mousonturm, Schauspiel Frankfurt und Museum Ange- wandte Kunst die Ausrichtung des Festivals „Theater der Welt“ für das Jahr 2023 in Offenbach und Frankfurt. Klingt übermütig, ist aber gut so – auch weil mehr denn je neue, andere, viele Perspektiven gebraucht werden: aus aller Welt. VON MATTHIAS PEES Oktober wieder nach Frankfurt reisen dürfen. Ob das auch dem kongolesischen Aus dem Lockdown in New York City Nationalballett gelingen wird für ihre sandten Kelly Copper und Pavol Liska Aufführungen im Frankfurt LAB An- im Juni eine Videobotschaft in die Pro- fang Dezember (S. 4), Akira Takayama grammpressekonferenz des Mouson- aus Japan (S. 8) oder eben dem Nature turms. Ihre Gruppe „Nature Theater of Theater of Oklahoma wird sich zeigen. Oklahoma“ werde die für Ende Januar Nur nicht aufgeben! 2020 verabredete Uraufführung von „Burt Turrido. An Opera“ im Bockenhei- Freilich waren die Grenzen der Welt mer Depot schon hinbekommen. Das auch vor Corona nur für wenige offen, Virus habe man überstanden, zur Bau- für Privilegierte wie uns. Dennoch ist probe im August könne ja ersatzweise beängstigend zu sehen, wie leicht unse- der Bühnenbildner aus Schweden anrei- re (relativ) offene Welt geschlossen wer- sen, und wenn Amerikas Probebühnen den konnte, und wie selbstverständlich auch im Herbst geschlossen blieben, wir das hingenommen haben. Nicht nur müsse man eben im eigenen Wohnzim- mit Blick auf die Einschränkung eige- mer arbeiten, mit Panorama-Blick auf ner Reisefreiheiten – viel besorgnis- Manhattan immerhin. Zu den End- erregender ist die recht umstandslose probenwochen nach Neujahr werde man Infragestellung internationaler Solida- So sieht die Erfindung eines Theaters aus – nach Entwürfen des Architekturkollektivs „raumlaborberlin“ hat das Team um Lehmbauer Karl-Heinz Pritzl aus Otterberg den Bühnen-Raum vom es schon irgendwie nach Frankfurt rität. Sie musste den größtenteils rena- Mousonturm neu gestaltet. Das Gerüst der Höhle ist ganz aus Holz, das sich organisch verbindet mit dem Lehm der Wände. Zu zweit wird das Publikum in Höhlen-Suiten sitzen und durch offene, schaffen, und wenn nicht, sich eben tionalisierten, bestenfalls auf die gesam- augenartige Fenster schauen; natürlich ohne Schutzfolien. Und womöglich atmet es ein bisschen anders. Denn Holz und Lehm atmen mit. Fotos: Christian Schuller was anderes ausdenken: „We‘ll figure te EU ausgeweiteten Sorgen um Gesund- something out. ‘Cause we will not give heit, Hygiene und Konjunktur, Einnah- up until we absolutely have to.“ me- und Verdienstausfälle weichen. Natürlich sind die umfangreichen und In der gleichen Juniwoche erreich- pragmatischen Hilfspakete für in te uns in Frankfurt die Nachricht von Deutschland ansässige Künstlerinnen Wir Höhlenmenschen der Entscheidung des Internationalen und Künstler notwendig und wichtig. Alles wird sein wie immer: von außen. Aber innen werden selbst treue Freundinnen und Freunde „ihren“ Mousonturm Theaterinstituts, die Ausrichtung von Aber all die benefits und Bereicherun- „Theater der Welt“ – eines der größten gen, die wir – auch und gerade im Kul- vermutlich kaum wieder erkennen. Nach Entwürfen des Architektur-Kollektivs „raumlaborberlin“ ist in den vergange- und renommiertesten internationalen turbetrieb – aus dem internationalen nen Wochen ein Theater ins Theater gebaut worden, das strenge Hygiene-Konzepte und amtliche Beschränkungen des Theaterfestivals, das alle zwei bis drei Austausch ziehen, all die gesellschaft- Jahre in einer anderen deutschen Stadt lichen Erweiterungen, notwendigen Per- Bühnenbetriebs anders beantworten will als sonst üblich – nicht, indem Sitze oder ganze Reihen blockiert oder heraus veranstaltet wird – für 2023 nach spektiv- und Paradigmenwechsel, mul- geschraubt werden aus dem Theaterboden, sondern mit einer künstlerischen Idee, die sich zum Ziel setzt, Beschrän- Frankfurt und Offenbach zu vergeben. tiperspektivischen Ansätze und Einsich- Wir hatten uns gemeinsam mit Offen- ten: all das hängt auch materiell maß- kung und Zwang zum Ereignis zu verwandeln. Womöglich wird das sogar befreiend wirken – willkommen im Bau! bach als eine Stadt beworben, als zu- geblich ab von unserer solidarischen Be- sammenhängender urbaner Raum, un- reitschaft, selber Beiträge zu leisten für VON MICHAEL LAAGES stürzen, welchen Jammer werden Ak- jetzt, um überhaupt spielen zu können, sich auch in Fachwerkbauten, die Jahr- trennbar miteinander verwoben und ihre Urheber, Impulsgeberinnen und teurinnen und Akteure empfinden, dann muss halt konsequenterweise hunderte überlebt haben – und wird von aufeinander angewiesen. Eine Welt. Kraftzentren, seien es Künstlerinnen Die traurigsten Bilder vom Theater ste- wenn sie jeden Abend wieder in einen auch das gemeinschaftliche Erleben von aktuellen Studien (etwa an der Univer- Und viele Welten, mit Menschen aus 177 und Künstler, kollektive Organismen, hen ja noch aus. Wer jetzt so stolz ist Saal hinein spielen, dessen partielle Kunst im Raum neu definiert werden. sität in Göttingen) als eins der wichtigs- Nationen, wo Deutschland am internati- zivilgesellschaftliche Initiativen oder darauf, die eigenen Häuser, Bühnen und Leere sie angähnt? Geht’s nicht auch Und zwar so, dass Beschränkung und ten Konstruktionsmaterialen der Zu- onalsten ist und am diversesten, am zu- einfach nur Individuen, Menschen. Spielorte unterschiedlichster Art fit ge- anders? Irgendwie? Zwang nicht mehr schmerzhaft spürbar kunft ausgewiesen. künftigsten vielleicht, in jedem Fall sehr macht zu haben für die Zeit der Locke- sind – sondern im besten Fall Teil des gegenwärtig und damit idealer Reso- Der Mousonturm schiebt derzeit auf- rungen und darum wieder öffnen zu Mit dieser Frage hat der Plan für neuen Abenteuers sind, das immer noch Vorbilder gab es für ein Theater im nanzraum zeitgenössischer Kunst. grund der Corona-Pandemie ein eigent- dürfen, wird nach den monströsen eine Frankfurter Alternative begonnen, „Theater“ und „Mousonturm“ heißt, sich Theater wie dieses; unübertroffen blieb Mühen seit Beginn der Pandemie jetzt das Mousonturm-Team trat mit ihr an aber ganz anders anfühlt. der Nachbau eines Globe-Theaters aus womöglich mit Schrecken den allabend- Barbara Ehnes heran, eine der gefrag- elisabethanischer Shakespeare-Zeit, lichen Blick in nur extrem dürftig ge- testen Ausstatterinnen an deutschen So kam „Günter“ in die Wald- den der stilprägende Bühnenbildner füllte Theatersäle fürchten lernen. Und Theatern und Bühnenbild-Professorin schmidtstraße. Bert Neumann um die Jahrtausendwen- der Stolz auf die errungene Corona- in Dresden. Sie brachte das raumlabor- de in den „Prater“ stellte, die Außen- Tauglichkeit könnte fürchterlich verha- berlin ins Spiel, das für Experimente Die Techniker des Hauses hatten den spielstätte der Volksbühne am Rosa- gelt werden; für alle Beteiligten. Erste zwischen Natur- und Kunst-Raum be- Bau zu Beginn der Entwürfe auf diesen Luxemburg-Platz in Berlin. Hier kletter- Erlebnisse waren ja schon vor der Spiel- kannt ist und bereits faszinierende Namen getauft, warum auch immer … te das Publikum an den Außenseiten zeitpause zu erleiden – im Großen Haus Spiel-Orte für die Künste im öffent- geplant wurde ein arena-artiger Rund- des Rundbaus bis in obere Ränge em- vom Staatstheater in Wiesbaden etwa, lichen Raum etabliert hat, etwa bei der Raum, der das dunkle Rechteck des por, und jede Loge hatte sogar einen ei- wo das Premieren-Publikum einer am- Ruhr-Triennale. Normalerweise, sagt Theater saales im Mousonturm in maxi- genen kleinen Vorhang. Im ebenerdigen bitionierten Beckett-Trilogie quasi mit Benjamin Förster-Baldenius vom raum- maler Weite ausfüllt; von außen sehr Rund-Raum inszenierten derweil Frank der Lupe gesucht werden musste; oder laborberlin, bevorzugten die neun entfernt an das Colosseum in Rom erin- Castorf und viele Kollegen Shakes- im Kleinen Haus des Theaters in Frei- Architektur-Kolleginnen und Kollegen nernd, von innen eher einer Höhle peares Stücke aus der Sequenz der burg, wo Besucherin und Besucher vom den Weg „aus dem Theater hinaus in die ähnelnd, wie sie sich Fuchs und Dachs „Rosenkriege“. Abenddienst an die jeweils ganz spezi- Stadt“, diesmal führe der Weg umge- und Termiten bauen. Und wer im Zoo elle Sitz-Insel im Saal geleitet wurde, al- kehrt von außen ins Theater hinein. Das schon mal den Erdmännchen begegnet In Frankfurt nun lauern also nicht lein, zu zweit, sogar zu dritt; aber im- Ergebnis dieser Bewegung wird das In- ist, die immer wieder hie und da, hin Richard der Dritte und Heinrich der mer unter strenger Aufsicht, auch hin- nenleben vom Mousonturm fundamen- und her und völlig unvorhersehbar die Vierte bis Sechste in der Fantasie vom terher beim Verlassen des Saals. Der tal verändern; zunächst für ein halbes Schnauzen hervor strecken aus einem Bau im Bau, sondern Dachs und Fuchs, wirkte entkernt – und genau so mag Jahr. Denn wenn das Theater nicht mehr lehmfarbenen Erd-Haufen, der mag sich Termiten und Erdmännchen … Anna