Geschichte , Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406

Geschichte Wichtrach Heft 1, Version 2.7 (www.wichtrach.ch/Portrait/Ortsgeschichte/Wichtracher Hefte)

Übersicht:

Heft Titel Periode 1 Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter 300 v. Chr. - 1406 2 Wichtrach unter Schultheiss und Rat von 1406 - 1740 3 Vom Niedergang des alten Berns bis zum demokratischen Volksstaat 1740 - 1848 4 Vom Bundesstaat bis zum 1. Weltkrieg 1848 - 1914 5 Die Zeit der Weltkriege 1914 - 1945 6 Grosse Veränderungen 1946 - 1975 7 Konsolidierung und Ausbau 1975 - 2003 8 Die Migration in die Gemeinde Wichtrach 2004 - 2016 9 Sonderheft „Wichtrachs Milleniumwerk: Die Fusion“ 1999 - 2004 10 Sonderheft „Kirchgemeinde und Kirche Wichtrach“ 1180 - 2000 11 Sonderheft „Wichtrachs Wirtschaft“ 1848 – 2011 12 Sonderheft «Orte und Häuser erzählen Geschichten» Ab 16. Jahrh.

Kritik, Ergänzungen, Verweise, Anregungen zu diesem Heft sind zu richten an:

Peter Lüthi, Bergacker 3, 3114 Wichtrach; [email protected]; Tf. 031 781 00 38

Aufarbeitungen erfolgen möglichst mit der nächsten Version

Das Konzept/Geschichte der Wichtracher Hefte befindet sich in Heft 1, Anhang 6

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 1 von 20 Geschichte Wichtrach, Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406 Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter

Achtung: Kursiv geschriebene Teile verweisen auf Pendenzen, zu bearbeitende oder in Bearbei- tung stehende Beiträge. Anhang 1 zeigt die verschiedenen Geschehnisse in der zeitlichen Abfolge.

Inhalt

1. Spuren unserer Herkunft ...... 3 1.1. Zur Geologie von Wichtrach ...... 3 1.2. Von den Helvetiern und Römern bis zu den Franken und Burgundern, Bern wird ...... 3 1.3. Verkehrswege beeinflussen die Raumentwicklung ...... 4 1.3.1. Der frühe Verkehr im Aare- und Gürbetal ...... 4 1.3.2. Die Aare ...... 5 1.4. Die Entwicklung des Landvolkes, die «Bauern» ...... 5 2. Belegte frühzeitliche Aussagen zu Wichtrach ...... 6 2.1. Übersicht über die archäologischen Funde auf dem Gemeindegebiet ...... 6 2.2. Die Helvetier (jüngste Latène-Zeit) ...... 6 2.3. Die Römer, etwa von 50 v. Chr. bis ins 4. Jahrhundert ...... 6 2.3.1. Frühe Funde in Wichtrach ...... 6 2.3.2. Der Gutshof in Wichtrach, Ausgrabung 1969 ...... 7 2.3.3. Ausgrabungen 1974/1975 ...... 8 2.3.4. Ausgrabung 1984/85 ...... 8 2.3.5. Sondierungen in der Kirche 1994 ...... 9 2.3.6. Präsentation der Funde ...... 9 2.4. Ab dem Frühmittelalter (von 500 bis 1050), Wichtrach wird ...... 9 2.4.1. Herrschaftsrechte, Wichtrach in Schnittpunkt verschiedener Herrschaften ...... 9 2.4.2. Das Benediktinerkloster Einsiedeln in Oberwichtrach (bis 1527) ...... 9 2.4.3. Die Herrschaft Münsingen und die Herrschaft Niederwichtrach (993 – 1404) ...... 10 2.4.4. Die Herrschaft ...... 11 2.4.5. Das Augustinerkloster Interlaken in ...... 11 2.4.6. Die Herrschaft Diessbach ...... 11 2.5. Die Auswirkung der Besitzverhältnisse auf die Gerichtsbarkeit, etwa ab 1000 - 1406 ...... 11 3. Wichtrachs Namen und Wappen ...... 11 3.1. Über die Herkunft des Namens „Wichtrach“ ...... 11 3.1.1. Wichtracher-Sage und andere Interpretationen...... 11 3.1.2. Herkunftsinterpretationen des Sprachwissenschaftlers ...... 12 3.1.3. Der Ortsname „Wichtracho“, erste Erwähnung von Ober- und Niederwichtrach...... 12 3.2. Das Geschlecht derer von Wichtrach ...... 13 3.3. Zur Geschichte der Wichtracher-Wappen...... 13 Anhänge ...... 15 Anhang 1: Zeittabelle ...... 15 Anhang 2: Ausschnitt aus dem geologischen Atlas der Schweiz...... 16 Anhang 3: Keltische Männer assen mehr Fleisch als ihre Frauen ...... 17 Anhang 4: Römische Fundstellen im Raume Kirche, Schulhaus, Kirchgemeindehaus ...... 18 Anhang 5: Landgrafschaft Klein-Burgund, 13.-15. Jahrhundert, Raum ...... 19 Anhang 6: Konzept/Geschichte Wichtracher Hefte ...... 20

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 2 von 20 Geschichte Wichtrach, Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406

1. Spuren unserer Herkunft

1.1. Zur Geologie von Wichtrach Zur Arbeit des Aaregletschers wird auf das Buch «Oberwichtrach, Gestern und Heute“, verwiesen. Im Anhang 2 dieses Heftes zeigt ein Auszug aus dem Geologischen Atlas der Schweiz die über Jahrtau- sende entstandene Geologie unseres Raumes. 1.2. Von den Helvetiern und Römern bis zu den Franken und Burgundern, Bern wird Verfasser: Urs Maag In Münsingen wurde 1906 im Rain ein grosses kelti- sches Gräberfeld gefunden, das in der Periode von 500 – 200 v. Chr. benutzt wurde. Der Fund ist wich- tig, weil man an den Grabbeigaben über 300 Jahre die Entwicklung von Schmuck und Waffen verfolgen 1 Aaregletscher vor etwa 17'000 Jahren (geolog. Untersuchungen kann . Auch im Gemeindegebiet von Wichtrach wur- 2017 Kiesgrube Bümberg), in der Mitte Belpberg den Gräber aus dieser Zeit gefunden, die Periode wird der Latène-Zeit zugeordnet, sie gilt als eine voll entwickelte vorrömische Eisenperiode. Der Begriff Latène geht zurück auf Funde am Neuenburgersee beim Ort La Tène. Die frühe Latène-Periode gilt etwa von 500 bis 300 v.Chr., die mittlere von 300 bis 150 v. Chr., die späte von 150-30 v. Chr. Die Bevölkerung wurde den Kelten zugerechnet. Von Julius Cäsar ist bekannt, dass zu dieser Zeit der keltische Stamm der Helvetier das schweizerische Mittelland bewohnte, also auch unser Gebiet2. Für Wichtrach von besonde- rer Bedeutung ist die gallo- römische Periode (siehe Ka- pitel 2.3.). Auf eine kriegeri- sche Phase im ersten nach- christlichen Jahrhundert folgte eine 160- jährige Frie- denszeit, die von 260 bis 400 durch eine Periode stän- diger Kriegswirren abgelöst wurde. Ab 400 n. Chr. wur- den die römischen Truppen nach Italien zurückgezogen, nur Kastelltruppen blieben zurück, die den wenigen Überlebenden Schutz boten, das offene Land war sehr dünn besiedelt. Aus der rö- mischen Periode verblieben in unserem Gebiet nur noch die Grenzeinteilung der Bis- tümer, links der Aare das Bistum Lausanne, rechts der Aare das Bistum Konstanz, im Jura das Bistum Basel und im Süden das Bistum Die Schweiz während der Römerzeit Sitten.

Ab dem 5. Jahrhundert verdrängten von Norden die Alemannen und von Westen die Franken, beides Germanenstämme, die Römer. Zum fränkischen Reich gehörten praktisch alle nördlich der Alpen gelegenen Gebiete der heutigen Schweiz. Die Franken lebten als Herren zwischen den keltischen Helvetiern, die ihnen als Unfreie dienen mussten. Sie brachten eine gut entwickelte Bodenbebauung auf der Grundlage der Dreifelderwirtschaft nach Helvetien. Sie kannten die Allmen- den und weideten ihr Vieh auch in den Wäldern, Allmenden und Wälder waren Gemeinbesitz, worüber die Versammlung der Freien verfügte. Diese bestimmte, wie viele Stück Vieh jeder Teilhaber auf der Allmend weiden lassen durfte und ordnete das Jagd- und Holzrecht in den Wäldern. Die Franken führten in ihrem Reich die Christianisierung weiter und es entstanden Klöster (Christianisierung der Schweiz siehe Heft 10, Anhang 2). 843 teilten die drei Enkel Karls des Grossen im Vertrag von Verdun das Frankenreich. Es entstanden in einem längeren Prozess Westfranken-Frankreich, Ostfranken- Deutschland und 888 das Königreich Hochburgund3, dem 922 auch unsere Gegend angegliedert wurde. Nach dem Tode

1 Christin Osterwalder, Die ersten Schweizer, 1977, Seite 183 ff 2 Dorf und Herrschaft Münsingen in alter Zeit, Dr. E. Burkhard, Seite 7 3 Historisches Lexikon Schweiz, Frankenreich; Hans Strahm, Geschichte der Stadt und Landschaft Bern

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 3 von 20 Geschichte Wichtrach, Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406 des letzten hochburgundischen Königs 1032 kam seine Herrschaft an den deutschen Kaiser Konrad II, der 1033 in Payerne und 1034 in der Kathedrale von Genf zum burgundischen König gekrönt wurde. Friedrich I. übertrug 1152 den Zähringern in Burgund die Reichsgewalt, sie hatten die Regalien zu handhaben und die Reichsbeamten zu ernennen. Sie setzten diesen Auftrag «gegen die Grossen» um indem sie günstig gelegene Orte befestigten und neue Städte gründeten. Unter Berchtold IV entstand Freiburg, unter Berchtold V (dem letzten Zähringer) entstand 1191 Bern4. Die Landgrafschaft Klein- Burgund umfasste nach Auflösung des zähringischen Herzogtums ab 1218 das Gebiet rechts der mittleren Aare, von bis Aarwangen (Karte Anhang 5). Inhaber des Landgrafenamtes waren zuerst die Grafen von Buchegg, dann die von Kyburg. 1383/4 nahmen die Berner und ihre Verbündeten den Kyburgern die beiden Städte Thun und Burgdorf ab. Der Einfall der Ungarn (ab 899) erforderte starke, gut geschulte Reiterarmeen statt des germanischen Fussvolks. Das führte zu einer Veränderung der sozialen Struktur: Statt einer gewissen Anzahl Fusssoldaten war ein bewaffneter Reiter mit der nötigen Ausrüstung und Hilfskräften zu stellen. Damit wurden die Ritter in das Feudalsystem eingeführt, indem sie für ihre Dienste mit Landbesitz entschädigt wurden wodurch die Herrschaften entstanden. Klöster und Kirchen wurden immer wichtiger, bei ihnen war dauerhaftes Wissen und Organisation. Sie führten zunehmend Schulen, ihre Hospize si- cherten den Betrieb der Alpenpässe, in Hungerjahren beschafften sie Hilfe für die Notleidenden. Daher suchten Klöster Landbesitz in entfernten Gebieten, um ihren Besitz zu diversifizieren und bei Missernten andernorts auf Erträge greifen zu können. So ist wohl der Besitz des Klosters Einsiedeln im Raum Wichtrach zu erklären. Am 28. August 1406 kaufte Bern den Grafen Berchtold und Egon von Kyburg die landgräflichen Rechte in Klein- burgund ab. Die wichtigste Funktion der Landgrafschaft war das Standesgericht für Adel, Klerus und die freien Bauern. Sie diente daneben auch der Sicherung des Landfriedens und der Wahrung des Reichsgutes. Da Bern auf Reichsgrund erbaut worden war, kam die Stadt unter die Herrschaft des deutschen Kaisers und erhielt ein Stadtrecht, das zu den fortschrittlichsten und freiesten aller Stadtrechte diesseits der Alpen gehörte. Die sogenannte Handfeste5 von 1218 gab der Stadt Bern die Reichsunmittelbarkeit und das Recht, ihre Behörden, vom Schultheissen bis zu Schulmeister alle selbst zu wählen. Auch erreichte Bern den Verzicht der Herzöge von Österreich auf die Lehenshoheit über das Gebiet. Diese Rechtstitel dienten Bern bis ins 17. Jahrhundert als Grundlage ihrer Landesherrschaft, die sie durch die sukzessive Erwer- bung aller Herrschaftsrechte ausbaute. Dass aus der frühen Zeit Berns wenige schriftliche Informationen vorliegen, wird auf den Brand der Stadt im Jahre 1302 zurückgeführt. Um 1300 hatte die Stadt Bern noch kein Landgebiet, um 1400 erstreckte sich «Bern» vom Bielersee bis zur Grimsel und von der Saane bis zur Emme. Für diese Zeit war die Ausdehnung ausserordentlich und ging weit über ihr benötigtes wirtschaftliches Auskommen hinaus. Berns Trieb war die Macht, sie war Eigentümerin, Mittelpunkt und Zusammenhang und definierte das Staatswesen bis 1798. Die Menschen in den ursprünglichen Zuständen suchten nach Schutz und Si- cherheit, nicht Freiheit, was die Stadt bot6 . Zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert fanden die Kreuzzüge statt, daraus ergaben sich Informationen über Wichtrach im Zusammenhang mit der Schenkung des Freiherrn Kuno von Buchsee (siehe Kapitel 3.1.3.). Die Stadt Bern verbündete sich 1323 mit den Waldstätten und verschaffte sich in der Schlacht bei am 21. Juni 1339 mit ihren Verbündeten Respekt. Nach der Bereinigung der Probleme mit Obwalden wegen des Oberhasli wurde 1353 der „ewige Bund" mit den Waldstätten abgeschlossen. Im 14. Jahrhundert ging das “mittelalterliche Klimaoptimum“ zu Ende (11. – 13. Jahrhundert), worauf die Durchschnitts- temperaturen sanken. Die anschliessende „kleine Eiszeit“ sollte bis ins 19. Jahrhundert dauern. 1322/1323 war ein erster extrem kalter Winter. Das „Magdalenen-Hochwasser“ vom 21./22. Juli 1342, als die halbe normale Jahresregenmenge fiel, überschwemmte weite Teile der Schweiz und zerstörte grosse Mengen von Kulturland. Nach weiteren nassen und teil- weise extrem kalten Sommern folgte 1348/49 als nächste Katastrophe die aus Asien eingeschleppte Pest (auch nach Bern), die etwa einen Drittel der europäischen Bevölkerung hinwegraffte mindestens 6 mal wiederkehrte, bis etwa 20007. Dies führte dazu, dass im 14. Jahrhundert Arbeitskräfte Mangelware wurden und damit verschwand die Leibeigenschaft. In der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts hatte Bern verschiedene Kriege zu bestehen, so den Guglerkrieg im Herbst/Winter 1375/76 gegen französische Truppen (eher Banden), die im Mittelland bis vordrangen ( sie wurden als Gugler bezeichnet wegen ihrer Kopfbedeckung)8. Militärische Erfolge von eidgenössischen Verbänden, Winterkälte und man- gelnde Verpflegung zwangen die Gugler zum Rückzug und verminderte ihren Ruf der «Unbesiegbarkeit». 1.3. Verkehrswege beeinflussen die Raumentwicklung Verfasser: Peter Lüthi 1.3.1. Der frühe Verkehr im Aare- und Gürbetal Zum Verkehr von Süden über die Alpenpässe von der Grimsel bis zum Sanetsch liegen in der Berichtsperiode nur wenige Informationen vor. So wird nur für die Grimsel von «Säumern» zur Römerzeit berichtet9. Im Inventar historischer Verkehrs- wege sind die Strassen durch das Gürbe- und Aaretal enthalten, aber keine Informationen über eine römische Strasse, welche vom Gürbetal über den Raum -Kirchdorf weiter nach Wichtrach führt10 11. Die Zähringer dachten in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts in ihren Plänen der Strasse eine wichtige Rolle zu als Zubringerin zur Grimsel oder einen anderen Berner Pass als Transit- und Handelsroute durch die Alpen.1262 wird die

4 Richard Feller, Geschichte Berns, Band 1, Kapitel 2 5 Landgrafschaft Burgund: Wikipedia; hls-dhs-dss.ch 6 Richard Feller, Geschichte Berns, Band 1, Seite 214 7 Thomas Maissen, Geschichte der Schweiz, Seite 20 8 Richard Feller, Geschichte Berns, Band 1, Seite 177 9 Wikipedia: Grimselpass 10 Inventar historischer Verkehrswege der Schweiz, BE 10.3, www.ivs-gis.admin.ch 11 Inventar historischer Verkehrswege der Schweiz, BE 10.1, www.ivs-gis.admin.ch

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 4 von 20 Geschichte Wichtrach, Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406

Strasse von Bern nach Muri in einer Urkunde genannt, 1321 wird deren Fortsetzung nach Münsingen als „strada publica“ erwähnt. Nach dem Aussterben der zähringischen Dynastie waren vor allem die Kyburger und das Kloster Interlaken an der Verbindung interessiert, da sie längs der Linienführung über Grund- und Herrschaftsrechte verfügten. 1.3.2. Die Aare12 Die Aare gehört zu den ältesten Verkehrswegen im Aaretal zwischen Thun und Bern; sie wurde für den Warentransport bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts genutzt. Erst mit der Eisenbahn kam der Schiffsverkehr in wenigen Jahren zum Erliegen. Die Erwähnung einer Korporation der Aareschiffer in Aventicum auf einer Inschrift zeigt, dass die Aare schon in römischer Zeit als Verkehrsweg benutzt wurde. Da sowohl Bern (Engehalbinsel) als auch Thun (Heiligtum Thun-Allmendingen) da- mals regionale Zentren waren, ist anzunehmen, dass zwischen diesen beiden Orten neben den wohl vorhandenen römi- schen Strassen der Fluss als Transportweg diente, da der Wasserweg der einfachste und billigste war. Auch im Mittelalter war der Warentransport auf dem Wasser effizienter. Alle grösseren Gewässer hatten den Status von Reichsstrassen, die im Prinzip für alle offenstehen mussten. Über den Thunersee bestand Anschluss in Richtung Grimsel oder dem Säumerpfad über den Rawilpass,, von Bern aus gelangte man bis nach Koblenz und zur Messe in Zurzach. In einer Urkunde von 1341 wird die Schifffahrt zwischen Thun und Bern erstmals schriftlich belegt. Darin musste Freiburg einen Vertrag zwischen den beiden Städten vermitteln. Für den Schiffstransport bis nach Thun waren die Berner verant- wortlich. Die Transporte erfolgten einerseits mit Weidlingen, aber wohl vor allem mit Flössen, wo die Stämme dann fluss- abwärts als Holz verkauft werden konnten. Die Aare war auf dieser Strecke nicht einfach zu befahren. Der Flusslauf änderte sich ständig. Die Ratsmanuale Berns enthalten verschiedene Räumungsbefehle, in denen die Amtleute aufgefordert wurden, die Wasserwege zu säubern. 1491 wurde zum Beispiel Wichtrach aufgefordert, „die bäum, so in der Ar ligen und die güterswellen, abzuhowen und führer zu wissen“. Ein Unfall führte dazu, dass 1681 ein Schifffahrtsreglement eingeführt wurde, das bis zum Niedergang der Aare- schiffahrt gültig blieb. In diesem Reglement wurden fünf Meister bestellt, die als einzige das Recht hatten, die Aare zwi- schen Thun und Bern zu befahren. Ein Aufseher musste kontrollieren, ob die Schiffleute nüchtern waren, zur rechten Zeit abfuhren, die Tarifordnungen einhielten und die Schiffe nicht überluden. Die Stadt Thun wurde aufgefordert, diese Ordnung „bei Zeiten zu introductieren und die erforderlichen Inspectores beizustellen“. Flussaufwärts wurden die Schiffe auf Treidelpfaden gezogen. Zwischen Bern und Thun gab es wohl keinen festen Reck- weg13, da sich die Ufer immer wieder veränderten. 1505 machte Bern den Schiffleuten die Auflage „so söllen si die wäg- same nebent der Ar obsig uf dem land allzytt versechen, bessren und in eren hallten“. 1.4. Die Entwicklung des Landvolkes, die «Bauern» Gegenüber den aufkommenden Städten, dem Adel und den Klöstern an festen Orten, lebten die Menschen, das Landvolk mit bescheidenen Bedürfnissen vor allem nach den Gegebenheiten durch die Natur, nach fruchtbarem oder unfruchtbarem Boden und der Witterung. Die Berge wurden gemieden wegen ihrer Unergiebigkeit. Das Land war noch stark mit Wald bedeckt und der Landmann musste wachsende Bedürfnisse durch Reuten decken. Er zimmerte sein Haus selbst, bezog weitere Bedürfnisse wie Gewand und Schuhe nicht vom Gewerbe. Ursprünglich war der Landmann frei. Wann ab Ende des Frühmittelalters die Rechte der Landleute eingeschränkt wurden, er frei blieb oder hörig oder völlig unfrei, also leibei- gen wurde, ist kaum dokumentiert, ist aber mit dem Entstehen von Herrschaften etwa ab dem 11. Jahrhundert verbunden14. Fehlende Mittel bewirkten, dass das Lehenswesen Grundlage der ländlichen Wirtschaft und Gesellschaft wurde. Der Grossteil des Bodens gehörte damit weltlichen und geistlichen Grundherren, zu denen immer mehr auch Stadtbürger gehörten. Etwa ab 1300 ist belegt, dass Landleute, die nicht frei waren, auch praktisch den Grundherren gehörten, Eigen- leute waren und auch gehandelt werden konnten. Nach einer Urkunde von 1342 fanden sich in und um Thun Familien «von Wichtrach», «von Grenchen», « von Schlatt» und weiteren Orten, wobei das «von» sich auf ihren ursprünglichen Wohnort und nicht auf Besitz bezog. Erst gegen Ende des 14. Jahrhunderts verstärkte sich die Einsicht, die Eigenleute zu befreien, damit sie ohne Zwischenherren der Stadt pflichtig wurden15. Dies bedingte aber, dass die Stadt Bern ihre Hoheit über das Land ausdehnte. Ein erster beträchtlicher Schritt erfolgte am 23. März 1415, als König Sigmund mit dem grossen Privilegienbrief der Stadt die «Landeshoheit» übertrug16 (Truppenaufgebot, Steuerrecht, hohes Gericht), was aber Bern gegen die bestehenden Herrschaftsrechte nur langsam umsetzte, wohl weil Herrschaftsherren entweder Städter waren oder dahin zogen und es da mit den Jahren in hohe oder höchste Ämter brachten (siehe die Verhältnisse in Münsin- gen/Niederwichtrach im Gegensatz zu Oberwichtrach, wo die Herrschaft in der Reformationszeit an die Stadt überging). Die Auswirkungen sowie die weiteren Entwicklungen sind in Heft 2 beschrieben.

12 Inventar historischer Verkehrswege der Schweiz, BE 80, www.ivs-gis.admin.ch 13 Arbeitsweg unmittelbar dem Fluss entlang 14 Richard Feller, Geschichte Berns, Band 1, Seite 93 15 Richard Feller, Geschichte Berns Band 1, Seite 228 16 Richard Feller, Geschichte Berns Band 1, Seite 261

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 5 von 20 Geschichte Wichtrach, Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406

2. Belegte frühzeitliche Aussagen zu Wichtrach

2.1. Übersicht über die archäologischen Funde auf dem Gemeindegebiet Zusammenfassung: Peter Lüthi Auf Grund der Unterlagen des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern, Stand 19.1.2010, gibt es in Wichtrach 4 archäologische Schutzgebiete und 11 Fundstellen. Die Schutzgebiete sind: • Unterrain-Bachtelen: Grab/Gräberfeld; 14 Grä- ber aus der späten Latène-Zeit. • Seinfeldgrube: 3 Gräber, eines davon aus der frühen/mittleren Latène-Zeit, mit Beigaben. • Kirche bis Kirchgemeindehaus: Fundamente und Funde aus römischer Zeit; Fundationen von Herrschaftshaus, Mauerwerke und Oeko- nomiegebäude. • Oberwil: Mauerreste und Ziegelreste aus römi- scher Zeit. Hier stiess man beim Bau einer Te- lefonlinie vor allem auf Ziegelreste. Es wurden keine weiteren Grabungen durchgeführt. Die Fundstellen sind ausschliesslich östlich der Ei- senbahn und betreffen zumeist Einzelobjekte (Münzen, Schmuckstücke, Werkzeuge) aus der Ei- Archäologische Schutzgebiete bis und mit Römer senzeit bis ins Mittelalter.

2.2. Die Helvetier (jüngste Latène-Zeit) Im Juli 1904 stiessen Arbeiter bei der Kiesgrube im Rain (Koordinate 609 850 / 190 900) südlich des Dorfes Münsingen, auf ein Gräberfeld, eine der berühmtesten Fundstätten dieser Periode, mit mehr als 200 Gräbern und ungefähr 1'200 Objekten. Die räumliche Ausdehnung konnte über eine Zeitspanne von nahezu 300 Jahren rekonstruiert werden. Auf Grund des Reichtums der Grabbeigaben wird auf eine privilegierte Oberschicht, eine lokale Adelssippe geschlossen17. Über jüngste Forschungsresultate siehe Anhang 3. Die Grabstätten in Wichtrach-Bachtelen datieren wie die Grabstätte Münsingen-Schul- hausgasse aus der jüngsten Latène-Zeit. Nicht vom archäologischen Dienst bestätigt ist die Fundstelle im Deiholz, gefunden 1865 von ei- nem G. de Bonstetten, Koordinate 611 000/186 67518. Fibeln, Fundort am Rain 2.3. Die Römer, etwa von 50 v. Chr. bis ins 4. Jahrhundert Die Expedition von Cäsar in der Zeit von 58 bis 52 v. Chr. unterwarf die Kelten westlich und südlich des Rheins. Sofort begann Cäsar damit, seine Veteranen mit Land abzufinden, das er 15 v. Chr. enteignete. Mit dem Alpenfeldzug von Kaiser Augustus begann die flächendeckende Einflussnahme im Gebiet der Helvetier und Rauriker, sowohl militärisch wie kultu- rell. Aus helvetischer Sicht ist auf die vernichtende Niederlage der Helvetier gegen die Römer bei Bibracte im Jahre 58 v. Chr. bedeutsam, wo die Überlebenden in ihre Stammlande im Mittelland zurückgeschickt und unter römische Verwaltung gestellt wurden; Von rund 300'000 Auswanderern kehrten etwa die Hälfte heim. Mit den römischen Gründungen von Militärbasen, Kolonien, Städten und grösseren Dörfern wurde auch die gallische Grundbevölkerung langsam sesshaft. Der steigende Bedarf an Lebensmitteln für die Ballungen verlangte eine Landwirtschaft mit Überproduktion für die Städte. Das Gebiet von Bern war in römischer Zeit besiedelt, das Zentrum war der Vicus in der Enge. In Allmendingen war ein römi- sches Heiligtum vom 1. bis 4. Jahrhundert aus der näheren Umgebung und aus dem Mittelland, die Villen von Muri bis Oberwichtrach belegen die Besiedelung19. Das 1941 in Münsingen gefundene Bad gilt als eines der bemerkenswertesten Denkmäler römischer Kultur in der Schweiz (zu besichtigen bei der USM in Münsingen). 2.3.1. Frühe Funde in Wichtrach Verfasser: Hermann Vogel, Mittelschullehrer in Oberwichtrach, 1904 – 1936 In der Nähe der Kirche fand man 1830 einen Boden von Tuffsteinen und anderes Gemäuer. Lehmziegel fand man viele auf dem ganzen Friedhof, 1907 auch viele auf dem Turnplatz des Schulhauses Kirchstrasse, grosse aus Lehm gebrannte, quadratische Platten beim Eingang zum Friedhof. Ein vollständiger Heizraum (Hypocaustum) einer römischen Villa wurde 1842 blossgelegt. Der damalige Pfarrer Neuhaus fand auch Fragmente einer römischen Hängelampe. Mehrmals hat man am Lerchenberg, am Hängert, in Oppligen, im Hasliwald und in Häutligen römische Gold- und Kupfermünzen gefunden,

17 www.hls-dhs-dss, Münsingen, das keltische Gräberfeld 18 Oberwichtrach Gestern und Heute, Seite 15 19 Hans Strahm, Geschichte der Stadt und Landschaft Bern

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 6 von 20 Geschichte Wichtrach, Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406 darunter eine des Kaisers Augustus. Der Schreiber dieser Zeilen ist im Besitze von Fragmenten einer röm. Schale aus Terra sigilata mit schönen Tierfiguren. Der frühere Besitzer hat mit einem Nagel sei-

Plan Ausgrabung Dimension Gutshof nen Namen eingeritzt: Res. = Resistus. Diese Scher- ben wurden nebst Münzen vor etwa 20 Jahren auf einem Bauplatze beim Schulhaus Kirchstrasse ge- funden. Chr. Lädrach in der Grossmatt soll eine ganze «Bsetzi» ausgegraben und die Steine davon zum Bauen verwendet haben. Auch auf dem «Berg» und im Weiler Maurachern ist man auf Gemäuer rö- mischen Ursprungs gestossen. Oppligen (Oponlen- gis) war ebenfalls schon zur Römerzeit bekannt. Vermutlich stand auf dem Oppligenbergli ein römi- scher Wachtturm. Oppligen kam im Jahre 1005 durch Schenkung an das Kloster Agaunum (St. Mo- ritz) im Wallis. 2.3.2. Der Gutshof in Wichtrach, Ausgra- bung 196920 Verfasser: Karl Heinrich von Grote Rekonstruktion des Gutshofes In Wichtrach gibt es einen «Römerweg». Er verlän- gert die Schulhausstrasse nach Osten bis an den Ler- cheberg und endet dort nach einem Bogen unvermit- telt. Er erinnert an einen römischen Gutshof mit gros- sem Herrenhaus am Hang unmittelbar hinter der Kir- che. Erste Funde sind in den Unterlagen des Archäologi- schen Dienstes dokumentiert in der Zeit von 1830. Im- mer wieder stiess man auf Fundamentreste und Klein- funde in der Umgebung der Kirche. 1969 sollte der Ler- cheberg für die geplante Überbauung mit einer Hangstrasse, ausgehend vom heutigen Römerweg, bis auf die Höhe erschlossen werden. Als man im neuen Weg Leitungen verlegen wollte, stiess man unerwartet auf alte Mauerreste. Eigentlich waren es nur Steine, die der Trax ausbaggerte. Dennoch, man ging dem nach und rief Archäologen herbei. Diese legten rasch die ersten Mauern frei und ordneten sie einer gallo-römi- schen Siedlung aus dem ersten Jahrhundert unserer Fundstelle Gutshof 1969 Zeitrechnung zu. Auf Grund eines ersten archäologischen Gutachtens sprach der Kanton einen beschränkten Kredit für vorläufige Ausgra- bungen, um den Umfang der Fundstelle zu erforschen. Als die nationale Bedeutung des Fundes klar wurde, kaufte der Staat das ganze Hanggrundstück, belegte es mit einem Bauverbot und liess zur Bestandessicherung alles wieder mit

20 Römische Bautechnik, wikipedia.org; www.wichtrach.ch/Porträt/Ortsgeschichte/Römer

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 7 von 20 Geschichte Wichtrach, Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406

Erdreich zudecken. Das Geld für eine ausführliche und erschöpfende Ausgrabung und eine Konservie- rung der offengelegten Mauern war damals nicht ver- fügbar. So ruht also der ganze Fund wieder unter der Erde. Diese sogenannten gallo-römischen Villen umfass- ten nicht nur ein geräumiges Wohnhaus, sondern nebst Gebäuden für die Ökonomie auch solche für Personal und handwerkliche Tätigkeiten. Die Gebäu- dekomplexe waren auf eine grosse Landfläche ver- teilt und häufig durch Umfassungsmauern geschützt. Eine mögliche Rekonstruktion des Gutshofes Wichtrach zeigt Treppenaufgang mit Portikus (Säu- lenvorbau), dahinter der Haupttrakt mit den Wohn- räumen. Links und rechts verschiedene Neben- und Anbauten für Heizung, Bad, Aborte usw.21, die Hof- grösse wird auf etwa 100 m geschätzt. Wandmalerei Gutshof Von besonderer Bedeutung sind Reste von Wand- malereien sowie der Heizanlage22, die Bodenheizanlage, aus Back- steinplatten errichtete Pfeiler tragen den darüber errichteten Raum- boden und ermöglichen den Durchzug der Heissluft zu den in den Wänden eingebauten Kaminen. Lichte Höhe etwa 60 cm. Bemer- kenswert ist, wie gut die Farben der Fresken erhalten sind. Mit ei- nem besonderen Verfahren hat der Archäologische Dienst die er- halten gebliebenen Teile der Wandmalerei – es handelt sich um Fresken auf Kalkputz – vom Mauerwerk bzw. vom Unterputz abge- nommen und auf 8 Tafeln aufgezogen. 2006 wurden die Fresken erstmals anlässlich einer Ausstellung in Münsingen gezeigt. Die Ausgrabungen sind nordseitig nicht vollständig abgeschlossen. Auf Grund der Fresken wird die Baute in die Zeit vom 1. bis 3. Jahrhun- dert datiert. 2.3.3. Ausgrabungen 1974/1975 Weitergehende Sondierungen haben 1974/75 Mauern gebracht, die sich hinter dem Schulhaus bis zum Pfarrhausweg erstrecken, so beim Bau des Turnplatzes sowie später beim Abriss des Bau- Mauerrest beim Schulhaus Kirchstrasse ernhauses Engel bzw. Neubau Römerweg 1.

Fundament des Oekonomiegebäudes Nach Abbruch Haus Engel 2.3.4. Ausgrabung 1984/85 Aus den Quellen des Archäologischen Dienstes Beim Bau des Kirchgemeindehauses wurden 1984/85 schlussendlich die Fundamente eines „Oekonomiegebäudes“ ge- funden. Das Gebäude gehört zum Gutshof und muss im Laufe des 2. Jahrhunderts n. Chr. in Gebrauch gewesen sein.

21 Oberwichtrach, Gestern und Heute, Seite 18 22 Bilder vom Archäologischen Dienst Kt. Bern

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 8 von 20 Geschichte Wichtrach, Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406

Beträchtliche Funde von Dachziegeln legen die Vermutung nahe, dass das Haus durch ein unerwartetes Ereignis zerstört wurde. Übrigens, die Dachziegel wurden mit Nägeln an der Unterkonstruktion befestigt 2.3.5. Sondierungen in der Kirche 1994 Im Sommer 1994 führte Dr. Gutscher vom Archäologischen Dienst im Hinblick auf die geplante Bodenheizung in der Kirche je eine Sondierung im Schiff und im Chor durch. Er stellte unter der heutigen Kirche Reste mehrerer früherer Bauten fest. Die heutige Kirche sei der 7. Bau am gleichen Standort23. Er machte die «Verbindung» zu den Funden des römischen Gutshofes oberhalb der Kirche und vermerkte, dass unterhalb des Gutshofes am Ort der heutigen Kirche in römischer Zeit wohl schon eine Kapelle bestanden habe bis etwa in das Jahr 400. Orte mit der Namensendung «acum) hätten oft auch Kapellen geführt. Die Übersicht über alle Fundstellen ist im Anhang 4. Die Grösse der Anlage belegt auch die Herleitung des Ortsnamens «Wichtrach» von Dr. Blatter: «Victriacum» (siehe Abschnitt 3.1.2.). 2.3.6. Präsentation der Funde In www.wichtrach.ch/Porträt/Ortsgeschichte/Römer ist die zentrale Präsentation über die Funde in Wichtrach in der Aus- stellung «Römer im Aaretal» einzusehen24. Die Präsentation wurde erarbeitet von Karl Heinrich von Grote und der Senio- renorganisation Wichtrach, speziell der Gruppe «Computeria». Neben technischen Informationen bindet die Präsentation den Fund auch in die damalige Zeit ein. Hinweis: Schon die Römer kannten für ihre Bauten den Zement (Opus Caementitium). Das Wissen über diesen Baustoff ging über Jahrhunderte vergessen und in unserem Raume wurde Holz zum wichtigsten Baustoff.. Ab dem 10. Jahrhundert entstanden wurden für Burgen, Kirchen und im Städtebau vermehrt wieder Steinbauten erstellt mit Lesesteinen, Steinen aus den nächsten Brüchen und Mörtel (Sand und Kalk)

2.4. Ab dem Frühmittelalter (von 500 bis 105025), Wichtrach wird Zusammenfassung: Peter Lüthi 2.4.1. Herrschaftsrechte, Wichtrach in Schnittpunkt verschiedener Herrschaften Eine Herrschaft konnte Grundbesitz beinhalten, war aber vor allem zu definieren über die Herrschaftsrechte, die über den eigenen Grundbesitz hinausgingen. Die Herrschaftsrechte umfassten das Recht auf Abgaben und Steuern in Form von Geld, Naturalien und Diensten als Gegenleistung für Verwaltungsaufwand und Schutzrechte und -pflichten. Zudem gehörte zur Herrschaft die Rechte über die Allmenden, die Gewässer, die Wälder und Gewerbebetriebe wie Mühlen oder Gasthäuser. Diese konnten an die Untertanen zur Nutzung überlassen werden (Bann). Im Weiteren war der Herrschaftsherr Richter (Twing), er hatte zumindest die «niedere» Gerichtsbarkeit und konnte Strafen aussprechen, z.B. Bussen. Die Grundherrschaften innerhalb der Landgrafschaften bildeten anfänglich keine zusammenhängenden Bezirke, sondern waren Streubesitz (siehe Anhang 5). Die Mächtigen des Landes suchten aber ihre Rechte über ihren Grundbesitz hinaus auf das Gebiet eines grösseren Bezirks auszudehnen, indem sie die niedere Ge- richtsbarkeit oder Vogteirechte („Twing und Bann“) an sich brachten. So wurden Grundherrschaften auf dem Gebiet eigenen und fremden Eigentums zugleich zu örtlich abgerundeten Gerichtsherrschaften. Die Art ihrer Entstehung dürfte eher auf hoheitlicher Verleihung als auf gewaltsamer Aneignung beruhen. Später voll- zog sich der Verkehr mit solchen Rechten durch Kauf, Tausch, Erbgang, Teilung, Schenkung, Verpfändung oder andere Rechtsgeschäfte26. Der Raum Wichtrach befand sich nach der Jahrtausendwende praktisch im Schnittpunkt der weltlichen Herrschaften Münsingen mit Niederwichtrach (Dienst- leute Senn der Grafen von Kyburg, die um diese Zeit auch die Herrschaft Ober- diessbach besassen), Kiesen (Konrad von bzw. nach 1236 das Klos- ter von Interlaken, später die Herrschaft von Seftigen), Oppligen (wie Kiesen, später Herrschaft von Diessbach). In diesem Schnittpunkt befand sich «von alters her» die Kirche in Oberwichtrach, der Raum Oberwichtrach ab 1266 nachgewie- Das Burkardenbuch von 1444 im sen im Herrschaftsbesitz des Benediktiner-Klosters von Einsiedeln, das spätes- Kloster Einsiedeln tens ab 1333 Kirchherren einsetzte. In Oberwichtrach gab es also kein Schloss wie in Münsingen, Kiesen und , dafür eine Kirche. Für die Bedeutung dieser Kirche spricht wohl, dass Pfarrer Albanus (1345-1393) in der Zeit um 1350 als Pfarrer von Wichtrach und Dekan des Dekanates Langnau bzw. später Münsingen, wirkte (siehe Heft 10). 2.4.2. Das Benediktinerkloster Einsiedeln in Oberwichtrach (bis 1527) Im Mittelalter waren die Klöster Frienisberg (Zisterzienser, gegründet 1131-38), Fraubrunnen (Zisterzienserinnen, gegrün- det 1246-50), und Interlaken (Augustiner, gegründet 1127-28) in Oberwichtrach begütert. Das Kloster Einsiedeln (Bene- diktiner, gegründet 934) besass schon um 1002 und 1024 Güter in Kleinburgund27 und ist 1266 als Grund-, Gerichts- und

23 Protokoll zum Antrag zur Kirchenrenovation 1994 24 Wichtracher Heft 8, Seite 14 25 Wikipedia, Frühmittelalter 26 Sammlung schweizerischer Rechtsquellen, 2. Teil, Band 4, Seite LXI 27 Sammlung schweizerischer Rechtsquellen, 2. Teil, Band 4, Seite XXII

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 9 von 20 Geschichte Wichtrach, Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406

Kirchenherr in Oberwichtrach bezeugt28, aus dem Burkhardenbuch zur Schenkung an Johannes von Ried. Wann und wie das Kloster dazu kam, ist unbekannt; auch der Verfasser des ersten verfügbaren Pfrundurbars der Kirchgemeinde Wichtrach von 1572 konnte darüber keine Aussagen machen29. Im „Liber decimationis“ des Bistums Konstanz von 1275, einem Amts- buch, angelegt zum Zweck der Ein- ziehung eines päpstlichen Kreuz- zugzehnts, das einen weitgehend vollständigen Überblick gibt über die damals bestehenden Pfarreien und Klöster des Bistums, findet sich auch der Leutpriester von Wichtrach. Die Kirche gehörte zur Diözese Langnau30. Am 7. Februar 1333 verlieh Abt Johann dem Philip Hagenauer die Kirche zu Wichtrach mit allen Rechten als Kirchherr31. Bemerkenswert ist die Abschrift der Schenkungsurkunde aus dem Bur- kardenbuch von 1444 im Archiv des Klosters Einsiedeln. Nach dieser Ur- kunde erhielt ein Johannes von Ried und seine Frau am 11. Juli 1266 als Erblehen vom Abt und Kloster Ein- Ausschnitt aus der Schenkungsurkunde von 1266, 4. Zeile: superiori wichtrach, 5. siedeln eine Hube32 und drei Schup- Zeile: inferiori wichtrach posen33 in Oberwichtrach und eine Schuppose zu Niederwichtrach. Es ist die erstmalige bekannte Erwähnung von Ober- und Niederwichtrach (superiori wichtrach für Oberwichtrach und inferiori wichtrach für Niederwichtrach)34. Bis 1527 war das Kloster Grundherr mit Twing und Bann35 in Oberwichtrach, dann schenkte das Kloster „Kirchensatz und niederes Gericht Wichtrach“ dem Ritter und Burger Sebastian von Stein zu Bern, der zu dieser Zeit auch Herrschaftsherr von Münsingen war. Als Grund für die Schenkung vermutete der Verfasser des ersten Pfrundurbars von Wichtrach, dass „ihnen us gerichts twang und collatur dieser pfrund nit vil nutzes gangen“36. Das Kloster Einsiedeln erlebte in dieser Zeit seine wohl kritischste Phase37, wohl auch bedingt durch die zu dieser Zeit laufenden Reformation. Sebastian von Stein verkaufte das Geschenk kurz darauf der Stadt Bern. Zum Zeitpunkt der Schenkung sass Sebastian von Stein im Rat von Bern. Er wurde dann als Anhänger des alten Glaubens aus dem Rat verstossen und zog nach Freiburg38. So war der Verkauf an die Stadt wohl eine Folge der Reformation. 2.4.3. Die Herrschaft Münsingen39 und die Herrschaft Niederwichtrach (993 – 1404) Die ersten Informationen aus dem Mittelalter stammen aus der Zeit von 993-1010, als König Rudolf III von Burgund dem Pfalzgrafen Kuno unter anderem Münsingen zu Lehen gab. 1218 erschienen die Schlösser Diessbach und Münsingen im Besitz der Kyburger. Diese setzten Dienstleute über ihre Eigengüter ein. Im Jahr 1223 ist ein Ritter Senno aktenkundig, ihm entstammt wohl das Geschlecht „Senn“. 1278 erhielt sein ältester Sohn, Ritter Konrad Senn, von König Rudolf von Habsburg für besondere Leistungen (zB. für die Teilnahme an der Schlacht auf dem Marchfeld) den Zehnten von Nieder- wichtrach und Land an der Aare zwischen Münsingen und Niederwichtrach (Seinfeld), belegt durch die Akten im Rechts- streit um den Heu- und Emdzehnt40. Das Pfand wurde nicht eingelöst, somit blieben sie im Besitz der Herrschaft von Münsingen. Konrads Sohn, Ritter Burkhart I., stand mit der Stadt Bern auf gespanntem Fuss. Am 11. November 1311 verbrannten die Berner die Burgen der Senn in Münsingen und Balmegg41.. Laut einem Kaufbrief von 1377 gehörten zur Herrschaft Münsingen die Dörfer Münsingen, Niederwichtrach, Tägertschi, Ursellen und , der Herrschaft waren noch „alle und ganze Gerichte“ zugesprochen, die hohen Gerichte aber dann am 12. Dezember 1469 aberkannt als Folge

28 www.hls.ch, Stichwort Oberwichtrach, Anne-Marie Dubler 29 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Zehndenkontrolle Buch 9, 1572-1723 30 Freiburger Diözesan-Archiv 1 (1865) 31 www.klosterarchiv.ch/urkunde/id/271 und Sammlung schweizerischer Rechtsquellen, 2. Teil, Band 4, Seite XXII 32 Hube oder Hufe entspricht einer Fläche, die von einer Familie bewirtschaftet werden konnte (Wikipedia) 33 Eine Schupose entspricht einer Fläche, die mit der Arbeitskraft eines Kleinbauern bewirtschaftet werden konnte (Richard Feller, Ge- schichte Berns Band 1, Seite 17) 34 www.klosterarchiv.ch/urkunde/id/87 und Oberwichtrach Gestern und Heute, Seite 25 35 Oberwichtrach, Gestern und Heute, Seite 27 und Seite 175 36 Archiv Kirchgemeinde Wichtrach, Zehndenkontrolle Buch 9, 1572-1723 37 www.kloster-einsiedeln.ch/gemeinschaft/porträt/geschichte 38 Sammlung schweizerischer Rechtsquellen, 2. Teil, Band 4, Seite XXIII 39 Sammlung schweizerischer Rechtsquellen, 2. Teil, Band 4, Seite XXXI 40 Wichtracher Heft 2, Kapitel 4.2 41 Dorf und Herrschaft Münsingen in alter Zeit, Dr. E. Burkhard, Seite 22 ff

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 10 von 20 Geschichte Wichtrach, Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406 des „Twingherrenstreits“42. Gekauft wurde die Herrschaft von drei Bernburgern, die die Herrschaft dreiteilten. Über ver- schiedene Handänderungen kamen 1404 zwei Drittel der Herrschaft Münsingen an die Familie von Stein und etwas später der dritte Drittel an die Familie Nägeli43. 2.4.4. Die Herrschaft Kiesen44 Früheste Dokumente gehen zurück bis 1236 und 1250, als Konrad von Walkringen sowie Werner und Heinrich von Kien auf Vogteirechte verzichteten, wohl zugunsten des Kloster von Interlaken. Später wurde die Herrschaft unter verschiede- nen Berner Geschlechtern stark gehandelt, so auch die Herrschaft von Diessbach. 2.4.5. Das Augustinerkloster Interlaken45 in Oppligen Das Augustinerkloster Interlaken (gegründet 1130 und aufgehoben 1528) war Besitzerin von Herrschaftsrechten in Oppli- gen und Kiesen. Erste Dokumente gehen zurück auf die Zeit von 1236. Nach der Aufhebung des Klosters übernahm die Stadt Bern die Gerichtsbarkeit Oppligen und liess sie von der Schaffnerei Interlaken verwalten. Am 13. November 1601 wurde das Gericht Oppligen auf Wunsch der Gemeinde vom Freigericht Steffisburg getrennt und mit dem Vennergericht Oberwichtrach im Landgericht Konolfingen vereinigt. 2.4.6. Die Herrschaft Diessbach46 Man geht davon aus, dass die Herrschaft über die Grafen von Kyburg als Dienstlehen an die Familie der Senn von Münsin- gen kam. Am 29. November 1378 verkaufte die letzte Erbin aus dem Hause Senn unter anderem Burg und Herrschaft an Mathias Bogkess von Thun. Im Jahr 1427 kam die Herrschaft zur Hälfte an Niklaus von Diessbach, den Rest 1469 an seine Enkel Niklaus und Wilhelm von Diessbach. 1467 kam die Herrschaft an das Geschlecht von Wattenwyl. Diese Herrschaft war die einzige in unserer Nachbarschaft im Besitz der hohen Gerichtsbarkeit47, die allerdings durch verschie- dene Ratsbeschlüsse im Lauf der Zeit abgeschwächt wurde48. 2.5. Die Auswirkung der Besitzverhältnisse auf die Gerichtsbarkeit, etwa ab 1000 - 1406 Auf Grund der verschiedenen Besitzverhältnisse ergaben sich für Wichtrach und Umgebung bis 1798 folgende Gerichts- verhältnisse: • Weltliches Gericht (niederes Gericht): Für die Ortsgemeinden Oberwichtrach, Oppligen und Häutligen war der Venner des Landgerichtes Konolfingen zuständig. Das Gericht tagte üblicherweise im Gasthaus Kreuz zu Oberwichtrach, Stell- vertreter des Venners war der Ammann von Oberwichtrach. Für die Ortsgemeinde Niederwichtrach gab es nach der Festlegung der Herrschaft Niederwichtrach ein eigenes Gericht unter der Zuständigkeit des Herrschaftsherrn von Münsingen. Das Gericht tagte in der Schenke von Niederwichtrach. Stellvertreter war der Ammann von Nieder- wichtrach. • Die Ortsgemeinde Kiesen hatte ein eigenes Gericht unter der Herrschaft von Kiesen. • Das kirchliche Gericht (Chorgericht) war zuständig für die Kirchgemeinde Wichtrach, bestehend aus den Ortsgemein- den Oberwichtrach, Niederwichtrach, Kiesen, Oppligen. Die Vereidigung des Chorgerichtes erfolgte durch den Venner des Landgerichts Konolfingen.

3. Wichtrachs Namen und Wappen

3.1. Über die Herkunft des Namens „Wichtrach“ 3.1.1. Wichtracher-Sage und andere Interpretationen49 Verfasser: Hermann Vogel, Mittelschullehrer in Oberwichtrach, 1904 - 1936 Nach der Sage soll der Name Wichtrach herrühren von einem Drachen, der vor Zeiten in einer Höhle im Haubenwald wohnte. Er raubte Menschen und Tiere und machte das ganze Aaretal unsicher. Die Leute litten grosse Not, denn sie wussten sich des Untiers nicht zu erwehren. Manch starker Mann, der mit dem Drachen kämpfte, musste sterben. Da kam ein fahrender Schüler und sprach zu den Leuten: „Ich will euch helfen, höret auf meinen Rat. Nehmet eine starke Lanze, besprengt sie mit geweihtem Wasser, dann ziehet damit gegen den Drachen und wenn er kommt, ruft dreimal „Wiich- Drach““ So zogen die Leute aus dem Aaretal in feierlicher Prozession den Hubeberg hinan, voran der Priester mit der geweihten Lanze. Bald kam der Drache mit mächtigem Schnauben herangeflogen und spie Feuer und Rauch. Aber der wackere Priester fürchtete sich nicht, schrie so laut er mochte „Wiich Drach“- und stiess dem Untier die Lanze in den Rachen, dass es tot zusammenbrach. Jetzt jubelte das Volk und ein langer Zug bewegte sich der Kirche zu, um Gott zu

42 Sammlung schweizerischer Rechtsquellen, 2. Teil, Band 4, Seite 38, Ortsgeschichte Münsingen, Seite 285 43 Münsingen, Geschichte und Geschichten, Seite 281 ff 44 Sammlung schweizerischer Rechtsquellen, 2. Teil, Band 4, Seite XXXI 45 Sammlung schweizerischer Rechtsquellen, 2. Teil, 4. Band, Seite XX 46 Sammlung schweizerischer Rechtsquellen, 2. Teil, Band 4, Seite XXVIII 47 Hohe Gerichtsbarkeit = Blutgericht, Entscheid über Leben und Tod 48 Sammlung schweizerischer Rechtsquellen, 2. Teil, Band 4, Seite XVIII 49 Jahrbuch Amt Konolfingen 1944, K 01.02

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 11 von 20 Geschichte Wichtrach, Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406 danken und zu lobpreisen für die gnädige Erlösung. Zum Andenken stellten sie die Lanze in der Kirche auf. Von der Zeit an nannten sie ihr Dorf Wiichdrach und führten einen Spiess im Wappen bis auf den heutigen Tag. Eine weitere Interpretation ist, dass der Name Wichtrach herkommt vom römischen Vicus trajectus. Schon zur Zeit der Helvetier gab es auf den Schuttkegeln der Waldbäche (siehe Anhang 2), die hier in die Aare mündeten, zwei Siedelungen, bestehend aus mit Schilf gedeckten Hütten. Die Bewohner nannten diese Ansiedlung Vich-traigh = Uferdorf. (Vich = Dorf, traigh = angeschwemmtes Gelände). Die Römer bauten dann ihre Häuser aus Stein am Abhange des Lerchenberges und gaben der Ortschaft den Namen Vicus-trajectus, d. h. Ort der Überfahrt, denn sie sollen hier eine Fähre über den Fluss Arula eingerichtet haben. Diese Fähre verband die Strasse durch das Aaretal mit derjenigen durch das Gürbetal, welche nach Allmendingen und Dunum führte50. Noch heute gibt es hier einen Flurnamen: «Auf der Leueren», das heisst: Landungsplatz. Die Aare floss damals da, wo sich heute die Landstrasse durch das Tal hinab zieht. Vicus-trajectus mag auch eine Pferdewechselstation gewesen sein. Nach den Mauerresten und sonstigen Funden, auf welche man im Friedhof und in der weiteren Umgebung von Kirche, Schulhaus und Pfarrhaus stösst, von der «Fuhren» bis zum «Breitenbach» und hinauf zur «Grossmatt», an der ganzen Seite des Lerchenberges, darf man annehmen, dass Vicus-trajectus eine recht bedeutende Ortschaft gewesen ist. 3.1.2. Herkunftsinterpretationen des Sprachwissenschaftlers Verfasser: Dr. Erich Blatter Erstmals erscheint Wichtrach in einer Urkunde von 1180 als Wichtracho. Diese Form liegt auffällig nahe an der gegenwär- tigen Schreibweise. Basierend auf dieser Ersterwähnung und auf weiteren urkundlichen Notierungen, kann die Namenfor- schung eine ursprüngliche, zweigliedrige Namen-Vollform erschliessen (sie ist allerdings nicht schriftlich bezeugt), die in gallo-römische Zeit hinabreicht und [fundus] Victoriâcum oder – zusammengezogen – Victriâcum gelautet haben muss. Im ersten Namenglied steckt ein römischlateinischer Personenname Victorius oder Victrius. Das zweite Namenglied be- steht aus der gallischen (keltischen) Adjektiv-Nachsilbe -âkos/-âkon, welches sich die Römer von ihren Siedlungsvorgän- gern entlehnt und in ihrer lateinischen Sprache als -âcus/-âcum angepasst haben. Dieses hat besitzanzeigenden Charak- ter und meint etwa so viel wie «gehört zu». Die Blütezeit dieser Art der Ortsnamenbildung (sie illustriert übrigens aufs Schönste den damaligen Sprachkontakt und die schon zu jener Zeit existierende kulturelle und sprachliche Durchmischung in unserem Land) fällt in die Zeit römischer Verwaltung auf gallischem Boden und ist eng geknüpft an das römische Fundus - System: Benannt wurden, nach ihrem (Erst-) Besitzer, die römischen Landgüter, die Fundi. Diesen Landbesitz übertrug der römische Staat einem Bürger für geleistete Dienste zu vollem Eigentum. In der Kombination des Besitzernamens mit der Nachsilbe -âcus/-âcum wird nun – wie angetönt – das Besitzverhältnis des Landguts (des Fundus) zum Ausdruck gebracht und in einem Steuerregister fixiert: Eben zum Beispiel fundus Victoriâcum. Die Interpretation von Dr. Blatter wird gestützt durch den Fund des römischen Gutshofs am Lercheberg (Kapitel 2.3.). Auch zur Leuere hat sich Dr. Blatter geäussert51: Das Benennungsmotiv für das Siedlungsgebiet Leuere (mundartnäher Löiere) vermuten einige Ortsansässige eine Ruhestätte für Pferde, indem sie den Namen in Zusammenhang bringen mit dem schweizerdeutschen Verb lüü(w)en, leu(j)en im Sinne von . Zieht man aber historische Forschungen bei (1638-1641:ab der Löüweren) oder wertet archäologische Funde aus (in Wichtrach stiess man auf hallstattzeitliche Grab- hügel), so liegt als Ursprung das schweizerdeutsche Substantiv Leewere(n), Leebere(n) gerundet Lööwere(n) [weiblich] näher, ein Wort, das bereits in althochdeutscher Zeit als (h)lêo [männlich] und mittelhochdeutsch als lêwer [männlich] nachgewiesen ist und <(Grab) Hügel> bedeutet. Die mittelhochdeutsche Form lêwer ist dann später mit der schweizer- deutschen Endung –ere erweitert worden. Mit dieser Ableitungssilbe drückt man aus, das etwas in grosser Zahl vorkommt, daraus entsteht die Interpretation der Leuere als ein Ort, wo es viele Gräber hat(te). 3.1.3. Der Ortsname „Wichtracho“, erste Erwähnung von Ober- und Niederwichtrach Verfasser: Peter Lüthi Ein „sacerdote (Priester) Hugo de Wichroho“ ist 1180 als Zeuge erwähnt in einer Urkunde über Legate des „freien Cuno von Buchsee“. In einer späteren Übersetzung des Dokumentes steht „Hugo von Wichtrach52. In der Regesta Episcoporum Constantiensium, Regesten zur Geschichte der Bischöfe von Constanz, von 517-1496 wird im Jahr 1180 unter Bischof Berthold von Bussnang diese Schrift erwähnt und da ist „Hugo de Wichtracho“ geschrieben. Am 11. Juli 1266 erhielt ein Jo- hannes von Ried und seine Frau als Erblehen vom Abt und Kloster Einsiedeln eine Hube und drei Schupposen in Oberwichtrach und eine Schuppose in Niederwichtrach (siehe Kapitel 2.4.2.). Im „Liber decimationis“ des Bistums Konstanz von 1275, einem Amtsbuch, angelegt Ausschnitt aus Urkunde von 1180, in der 2. Zeile ist "hugo de wichroho" zum Zweck der Einziehung ei-

50 Diese Auslegung ist nach dem Inventar der historischen Verkehrswege der Schweiz nicht bestätigt, siehe Kapitel zum Aaretal. 51 Drachepost Nr. 22, Dezember 2009, Seite 8 52 Staatsarchiv Bern, C I b 61, alte Abteilung (0932-1903), Kt. Bern, Münchenbuchsee, Dokumentenbuch des Hauses Buchsee

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 12 von 20 Geschichte Wichtrach, Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406 nes päpstlichen Kreuzzugzehnts, das einen weitgehend vollständigen Überblick gibt über die damals bestehenden Pfar- reien und Klöster des Bistums, findet sich auch der Leutpriester von Wichtrach; Diese Schrift ist in lateinischer Sprache geführt. Dabei ist Wichtrach als „Withera“ geschrieben53. 3.2. Das Geschlecht derer von Wichtrach Die Vorlage zum Oberwichtracher Wappen geht auf ein Siegel zurück, welches Ulrich von Wichtrach um 1303 geführt hat. Ulrich war 1299 Schultheiss von Thun, Peter von Wichtrach hatte das Amt 1305. Im 13. und 14. Jahrhundert existierte am Thunersee das Geschlecht derer von Wichtrach. Ein Conrad von Wichtrach und sein Sohn Johann erschienen von der Mitte des 13. Jahrhunderts weg als Burger zu Thun54. Es ist aber kein Bezug derer von Wichtrach zu den Ortsgemeinden Ober- oder Niederwichtrach nachgewiesen. Ob der Sacerdote Hugo de Wichroho, 1180 (Kapitel 3.1.3.), ein Mitglied der Familie derer von Wichtrach war, bleibt nachzuweisen. Das Gut Wichterheer steht in Oberhofen (südlich des Schlosses Oberhofen), eines der grössten Rebgüter am Thunersee, gehörte zuerst zum Kloster Interlaken, dann den Freiherren von Wichtrach, später verschiedenen Berner Patrizierfamilien. 1948 erwarb der Kanton Bern die Liegenschaft, trat sie 1978 im Baurecht für ein Kultur- und Sportzentrum ab. Im Haupt- gebäude befindet sich ein Uhrenmuseum, die oberen Geschosse können für Ausstellungen genutzt werden. Der Name „Wichterheer“ soll auf die Freiherren von Wichtrach zurückgehen55. 3.3. Zur Geschichte der Wichtracher-Wappen Amtlicher Beschrieb: "In Rot eine silberne Pflugschar schrägrechts". Das Wichtracher Wappen ist nach dem Siegel des ältesten Geschlechts derer von Wichtrach gestaltet (Abschnitt 3.2.). Es beinhaltet eine Pflugschar schräg rechts (die Spitze schaut also nach links). Oberwichtrach besass das Wappen seit dem 22.4.1938 mit einer roten Pflugschar, schrägrechts auf weissem Grund. Niederwichtrach hatte die Pflugschar gerade nach oben auf- gestellt und zwar in den Farben silberne Pflugschar auf rotem Grund. Im Jahre 2003 hat die Projektleitung für die Fusion zum Thema des künftigen Wappens der fusionierten Gemeinde einen Wettbewerb ausgeschrieben. Der Schüler Jonas Galli hat mit sei- nem Vorschlag diesen Wettbewerb gewonnen. Das neue Wappen entspricht wieder demjenigen von Wichtrach aus dem 14. Jahrhundert. Im Schweizer Archiv für Heraldik, Ausgabe Heft 2004- II wurde unter dem Titel „Gute Wappen, schlechte Wappen56“ ein Artikel publiziert, der sich be- Wichtrach fasst mit den neu geschaffenen Wappen anlässlich von Fusionen von Gemeinden in den letzten Jahren. Zu Wichtrach wurde folgendes geschrieben: Am 23. April 2003 haben die beiden Berner Gemeinden Ober- und Niederwichtrach im Amtsbezirk Konolfingen mit über- wältigender Ja- Mehrheit der Fusion zur neuen Gemeinde Wichtrach zugestimmt. Für das neue Wappen (wurden im bis- herigen Wappen von Oberwichtrach die Farben vom Niederwichtracher Wappen übernommen bzw. die bisherigen ge-

Wappenentwicklung nach Vorschlag Jonas Galli wechselt. Die Nachforschungen des Staatsarchivars ergaben, dass Wichtrach mit ihrem neuen Wappen über eines der ältesten belegten Wappen sämtlicher bernischen Gemeinden verfügt (14. Jahrhundert). Es geht auf die mittelalterliche Familie von Wichtrach zurück (siehe Kapitel 3.2.).

Anzumerken ist noch, dass das Wappen der bisherigen Gemeinde Niederwichtrach in denselben Farben und mit der Pflugschar in derselben Stellung auch von den Gemeinden Wil ZH, Lohn SH, Mellikon AG und Lampenberg BL geführt wird. Das neue Wappen der fusionierten Gemeinde Wichtrach überzeugt in jeder Beziehung und besitzt unter den Schweizer Gemeinden keine „Doppelgänger“. Das einzige ähnliche Wappen ist dasjenige von Wanzwil im bernischen Amtsbezirk

53 Freiburger Diözesan-Archiv 1 (1865) 54 Oberwichtrach Gestern und Heute, Seite 27; C.F.L. Lohner-Chronik der Stadt Thun 55 Gebäudeversicherung Bern, Berner Hauswege 56 H. Rüegg, Schweizerische Heraldische Gesellschaft

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 13 von 20 Geschichte Wichtrach, Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406

Wangen. Wanzwil führt ebenfalls in Rot eine rechtsschräg gestellte silberne Pflugschar, begleitet aber von zwei goldenen Sternen. Das Wanzwiler Wappen bezieht sich wie zahlreiche andere Wappen mit Pflugscharen auf den Landbau. Über die Entstehung des Oberwichtracher-Wappens wissen wir folgendes: Als im neuen Amtsgerichtssaal im umgebauten Amtshaus in Schlosswil zum Schmuck alle Gemeindewappen angebracht werden sollten, wurde auch der Gemeinderat von Oberwichtrach angefragt, ob die Gemeinde ein Wappen führe und der Rat stellte am 7. April 1937 fest, dass „die Wappenfrage bei uns noch ungelöst ist und wohl vorläufig nichts anderes übrig bleibt, als im fraglichen Saal für unsere Gemeinde ein Feld reservieren zu lassen“. Am 22. April 1938 legte der Sekretär dem Gemeinderat „einen neuen Entwurf eines Gemeindestempels mit Gemeindewappen vor, der nunmehr allseitig Anklang fand“. Der Gemeinderat von Niederwichtrach stand vor dem gleichen Problem, stellte am 16. April 1937 fest, dass „das Wappen im roten Feld eine aufrechtstehende silberne Pflugschar zeige“, der Ursprung sei aber unbekannt. Er verweist aber auf eine Wappenscheibe in der Kirche Wichtrach für die 4 Gemeinden und stellt auch fest, dass die Wappenfrage in den letzten Jahren geprüft worden sei, als die Vereine neue Fahnen anfertigen liessen57. Ende 1943 bestätigte die «kantonale Wappenkommission für die Bereinigung der Gemeindewappen» das Niederwichtracher-Wappen.

57 GR Oberwichtrach, 1937-1940, Seite 20, 115; EWG+GR Niederwichtrach, 1935-1940, Seite 106

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 14 von 20 Geschichte Wichtrach, Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406

Anhänge

Anhang 1: Zeittabelle Die Zeittabelle enthält die wichtigsten Ereignisse in diesem Heft mit Angabe der Seite des Berichtes.

Jahr Ereignis Seiten 150-30 v. Späte (jüngste) La Tène-Zeit; Funde in der Bachtelen, dem Keltenstamm der Helve- 3, 6; Anh. 3 Chr. tier zugeordnet 58 v. Chr Niederlage der Helvetier gegen die Römer bei Bibracte 6 1.-4. Jahrh. Römische Periode, der Gutshof in Wichtrach 6; Anh. 4 Vermutete erste Kapelle in Wichtrach, unterhalb Gutshof (in römischer Zeit?) 9 Ab 5. Jahrh. Einsickern der Germanen (Franken und Alemannen) 3 534 Unser Raum kommt zum Frankenreich 3 843 Vertrag von Verdun: Aufteilung des Frankenreiches 3 922 Unsere Gegend kommt zum Franken-Königreich Hochburgund 3 934 Gründung Benediktinerkloster Einsiedeln 10 1095-1291 Kreuzzüge (1099 Eroberung Jerusalem; 1191 fällt Akkon); Klöster entstehen 9 1130 Gründung Augustiner-Probstei Interlaken 11 1180 Erstmalige Belegung Kirche Wichtrach im Besitze Koster Einsiedeln; Erwähnung 10 eines „Sacerdote Hugo de Wichroho“, Zeuge bei einer Schenkung 1191 Herzog Berchtold V von Zähringen gründet die Stadt Bern 3 1218 Nach dem Tod von Herzog Berchtold V von Zähringen wird Bern zur freien 4, 10, Anh. 5 Reichsstadt, die Schlösser Münsingen und Oberdiessbach gehen an die Kyburger 1223 Ritter Senno erhält Herrschaft Münsingen von den Kyburgern 11 1266 Erste urkundliche Erwähnung von Ober- und Niederwichtrach 13 1275 Erwähnung des Leutpriesters von Wichtrach im Liber decimationis zum Einzug des 10 Kreuzzugzehnts 1278 Ritter Konrad Senn erhält den Zehnten von Niederwichtrach und Land im Seinfeld 11 1311 Die Berner verbrennen ua. die Burg der Senn in Münsingen 11 1322/1323 Erster extremer Winter; Beginn «kleine Eiszeit» 4 1323 Bern verbündet sich mit den Waldstätten 4 1341 Erste schriftl. Erwähnung der Schiffahrt von Thun nach Bern 5 1348/49 Erste Pest, eingeschleppt aus Asien 4 1350 Pfarrer Albans von Wichtrach wird Dekan des Dekanats Langnau 10 1383/84 Bern und ihre Verbündeten nehmen den Kyburgern die Städte Thun und Burgdorf 4 ab 1404 Berner Familie von Stein kauft 2 Drittel der Herrschaft Münsingen, 1 Drittel bei Fa- 11 milie Nägeli 1406 Stadt Bern kauft die landgräfliche Rechte in Kleinburgund von den Kyburgern 4 1491 Erste Aufforderung an Wichtrach zur Pflege der Aare (für Schifffahrt) 5

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 15 von 20 Geschichte Wichtrach, Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406

Anhang 2: Ausschnitt aus dem geologischen Atlas der Schweiz Massstab 1:25'000, Ausschnitt aus Münsingen-Konolfingen-Gerzensee-Heimberg. Quelle: Bundesamt für Landestopogra- phie (Art. 29 Abs.1 Geo IV) Das Kartenbild entspricht dem Kartenbild Siegfriedkarte 1916, Heft 5, Anhang 1

Erläuterungen zur Geologie, erstellt von der schweiz. Geologischen Kommission, von P. Beck und R.F. Rutsch, 1958.

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 16 von 20 Geschichte Wichtrach, Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406

Anhang 3: Keltische Männer assen mehr Fleisch als ihre Frauen Im „Bund“ vom Samstag, 3. Januar 2015 wird über jüngste Forschungsarbeiten der Universität Bern an 2000 Jahre alten Skelette aus dem Gräberfeld Rain in Münsingen berichtet. Die Untersuchungen der Antropologinnen an den Skeletten aus dem Gräberfeld, die sich heute im historischen Museum in Bern befinden und aus dem 5. bis 3. Jahrhundert vor Christus stammen, hatten zum Ziel, Informati- onen über Ernährung, Migrationsverhalten und so- ziale Stellung der Menschen von damals zu erhal- ten. Das Forscherteam aus der Abteilung Anthro- pologie am Institut für Rechtsmedizin bestimmten mit einem Massenspektrometer die Isotopenver- hältnisse von Kohlenstoff, Stickstoff und Schwefel in den Knochen, woraus die Anteile der tierischen Proteine ermittelt wurden. Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigten deut- liche Unterschiede in der Ernährung von Frauen und Männern. Die keltische Bevölkerung ernährte sich grundsätzlich pflanzlich. Die Forscherinnen fanden bei erwachsenen Männern einen erhöhten Anteil an tierischen Proteinen aus Fleischkonsum. Bei Männern, bei denen Waffen in den Gräbern gefunden wurden, fand man einen nochmals er- höhten Anteil an tierischen Proteinen und so wird vermutet, dass diese zu Lebzeiten Krieger waren. Ihre besonders hohen Proteinwerte lassen vermu- ten, dass sie noch mehr Fleisch konsumierten. Es wird vermutet, dass die in Münsingen bestatte- ten Männer Teil einer Kriegerelite gewesen sind. Im 4. Und 3. Jahrhundert vor Christus waren kelti- sche Gruppen aus dem Gebiet nördlich der Alpen unterwegs. Kriegerverbände drangen bis nach Rom vor. Die Forscherinnen gehen davon aus, dass die Münsinger-Gruppe eine relativ homogene Gemeinschaft ohne viele Zuzügler war.

Grabungsarbeit im Rain 1906

Grabbeigaben aus Rain-Münsingen

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 17 von 20 Geschichte Wichtrach, Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406

Anhang 4: Römische Fundstellen im Raume Kirche, Schulhaus, Kirchgemeindehaus

Zu beachten sind auch die Hinweise auf „Frühere Funde in Wichtrach“, Kapitel 2.3.1. im Raume Friedhof, Turnplatz usw.

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 18 von 20 Geschichte Wichtrach, Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406

Anhang 5: Landgrafschaft Klein-Burgund, 13.-15. Jahrhundert, Raum Konolfingen

Nach dem Hinschied des letzten Zähringers, Berchtold V., im Jahre 1218, erbten die Grafen von Kyburg mit andern Be- sitzungen die Gegend von Münsingen. Im heutigen Amt Konolfingen sind folgende Inhaber von Rechten und Grundbe- sitz in jener Zeit festgestellt worden: 1. Die Freiherren: - Die Freiherren von Wyl besassen Güter oder Rechte in Schlosswil, Grosshöchstetten, - die Freiherren von Signau in Signau, Arni, (hohe Gerichtsbarkeit Kyburg) - die Freiherrn von Kien in Oppligen, Walkringen, (Verkauf 1352 an den Ministerialen von Seedorf) 2. Herrschaftsherren (Miniseriale): - von Worb (nach l352) - Münsingen (Münsingen, Niederwichtrach, Tägertschi) - Kiesen - Niederhünigen (Niederhünigen, ) - Diessenberg (Diessbach, Aeschlen, Bleiken, Hauben, Ausserbirrmoos, Schöntal, Barschwand) 3. Klöster und geistliche Stifte , besassen Grundbesitz und Rechte in: - Augustinerpropstei Interlaken (in Aeschlen, , Freimettigen, Häutligen, Kiesen, Oppligen, Rubigen) - Cistercienserinnenkloster Fraubrunnen (in Aeschlen, Brenzikofen, , Rubigen) - Johanniterhaus Münchenbuchsee in Häutligen, Stalden - Chorherrenstift Amsoldingen in Brenzikofen - Karthause Thorberg (gegründet 1393), in Konolfingen-Dorf, Trimstein (Eichi), Walkringen - Cluniazenserpriorat St. Petersinsel, in Grosshöchstetten - Benediktinerabtei St. Gallen in Rubigen (Hunziken) - Benediktinerabtei Einsiedeln in Oberwichtrach - Augustinerkloster Brunadern (Inselkloster) in Rubigen, Rüfenacht, Vielbringen - Cluniazenserkloster Rüeggisberg in Buchholterberg, Kurzenberg - Niedere Spital zu Bern in Biglen, Obergoldbach, Landiswil, Arni

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 19 von 20 Geschichte Wichtrach, Heft 1: Die vor- und frühgeschichtliche Zeit bis ins Hoch-Mittelalter, 300 v. Chr. - 1406

Anhang 6: Konzept/Geschichte Wichtracher Hefte Zielsetzung Die Ortsgeschichte Wichtrach richtet sich primär an Wichtracherinnen und Wichtracher jeder Alterskategorie, die sich für Herkunft und Entwicklungen in unserem Raum interessieren. Schwergewicht ist naturgemäss Wichtrach. Zum Verständnis ist aber der Einbezug des Raumes um Wichtrach, definiert durch die Kirchgemeinde Wichtrach, das Landgericht und Amt Konolfingen sowie als Lebensraum das Aaretal unumgänglich (Perimeter). Auf ein Buch als Arbeitsresultat wird verzichtet, weil zu teuer und zu wenig flexibel in der Erarbeitung und Präsentation. Dagegen soll das moderne Kommunikationsmittel Internet genutzt werden. Über periodisch öffentlich gemachte „Versio- nen“ sollen Interessierte angezogen, neue Quellen eröffnet und die Qualität des Vorhandenen verbessert werden. Inhaltskonzept – Inhaltsverzeichnis Der „rote Faden“ ist die Zeit. Um den zeitlichen Verlauf der Geschichte besser darzustellen, werden Perioden definiert, wobei bei der Bildung der Perioden der Aspekt der Veränderung („Change“) wichtig ist: • Die frühgeschichtliche Zeit bis zur Übernahme der landgräflichen Rechte durch Bern (bis 1406) • Wichtrach unter Schultheiss und Rat von Bern (1406 – 1740) • Vom Niedergang des alten Berns bis zum demokratischen Volksstaat (1740 – 1848) • Vom Bundesstaat bis zum 1. Weltkrieg (1848 – 1914) • Die Zeit der Weltkriege (1914 – 1945) • Grosse Veränderungen (1945 – 1975) • Konsolidierung und Ausbau (1975 – 2003) • Die Migration zur Gemeinde Wichtrach (2004 – 2011)

Am Anfang jeder Periode wird eine knappe Zusammenfassung der Geschehnisse im Perimeter der Ortsgeschichte zum Zwecke der Einordnung in den grösseren historischen Rahmen gegeben. Die Beiträge innerhalb der Perioden („Kapitel“) befassen sich dann mit den Geschehnissen und Gegenständen im Perimeter so, dass ein möglichst plastisches Abbild der Zeit entsteht. Wenn immer möglich ist ein Personenbezug sehr wertvoll („Menschen machen Geschichte“). Für besondere Ereignisse, z.B. die Fusion von Ober- und Niederwichtrach, oder spezielle Organisationen, für deren Ver- ständnis der Zusammenhang wichtig ist, z.B. die Kirchgemeinde Wichtrach, werden Sonderhefte geführt werden. Bearbeitungskonzept – Vorgehensweisen Die Arbeit erhebt nicht den Anspruch eine historische Forschungsarbeit sein zu wollen. Es geht darum, das gefundene Material zu sichten und möglichst plastisch in die Entwicklungen im Perimeter der Ortsgeschichte zu bringen. Dabei ist aber der Nachweis der Quellen von grosser Bedeutung. Jede Periode wird als „Heft“ präsentiert, da durch den Einbezug von Bildern, Schemas und Tabellen das Datenvolumen schnell hoch werden kann. Zudem können Tabellen oder Ab- schriften von Dokumenten als Anhänge eines Heftes präsentiert werden, ohne die Berichterstattung zu überladen. Über die Aufnahme eines neuen Beitrages entscheidet das Redaktionsteam. Die Wichtracher Geschichte wird in Word-Format mit möglichst wenigen Formatierungen bearbeitet, periodisch in das .pdf-Format umgewandelt und im Internet im Rahmen der Rubrik „Ortsgeschichte / Wichtracherhefte“ unter www.wichtrach.ch dem interessierten Publikum als neue Version zur Verfügung gestellt. Im Rahmen der jeweiligen Vorbereitung einer nächsten Version erfolgt eine „kritische Durchsicht“ der gesamten Version. Das Schwergewicht in der Version 1 besteht im „Sammeln und Ordnen“ von Informationen. Ab der Version 2 wird ver- stärkt Gewicht gelegt werden auf die Lesbarkeit. Aus dieser Arbeit entstehen Beiträge in der Rubrik „Geschichte und Geschichten“ der Drachepost. Zur Geschichte der «Wichtracher Hefte» Am 12. Mai 2004 fand ein «Ideen-Nachmittag für Seniorenaktivitäten» statt (Heft 8, Kapitel 3.6.). Eine der Ideen war, eine Senioren-Gruppe zu bilden, welche ergänzend zur bestehenden Geschichte von Oberwichtrach die Geschichte von Wichtrach mit einem besonderen Akzent auf Niederwichtrach erarbeitet, was auch unmittelbar stattfand unter der Leitung des Gemeindepräsidenten Peter Lüthi, der damals im Kernteam der Ortsgeschichte Worb mitwirkte. Bevor man sich re- daktionell hinter die Wichtracher Hefte machte, begann man mit dem Sammeln von Material. So half das Team beim Zusammenführen der Archive von Ober- und Niederwichtrach, dem Ausscheiden und Verwalten der «historischen Akten beider Wichtrach» (siehe Drachepost Nr. 2, Dezember 2004. Seite 9, Aufbau eines Archivs der Ortsgeschichte Wichtrach, das inzwischen mehr als 1'000 Akten enthält), aber dann auch gleich mit der Verwertung in der Rubrik «Ge- schichte und Geschichten im Dorf» ab der Drachepost 1, September 2004, mit dem Artikel «Das Tannli steht in Flam- men» einem Brand im Sommer 1915. In der Drachepost Nr. 3, März 2005, stellte sich die Gruppe vor mit folgenden Akti- vitäten: Einordnen des historischen Archivs mit Katalogisieren von Akten, Durchführen von Interviews mit alten Wichtra- cher/innen, Recherchen zu ausgewählten Themen, Mitwirken bei der Drachepost, Arbeiten nach Absprachen. Später kam eine Ausstellung «Die Römer im Aaretal» dazu, über die Römer in Wichtrach gibt es eine DVD. Mit der Rubrik «Hü- ser von Wichtrach» begannen viele Bürger/innen Häuser, an denen sie früher einfach vorbeigingen, ganz neu anzuse- hen. Im Februar 2010 wurde das obige Konzept mit der 1. Version von Heft 1 erarbeitet und dann in der März-Ausgabe vorgestellt. In der Drachepost Nr. 54, September 2017, wurde die Ortsgeschichte Wichtrach als Gruppenaktivität verabschiedet. Bis zu diesem Zeitpunkt haben mehr als 25 Wichtracherinnen und Wichtracher mitgearbeitet. Die Wichtracher Hefte werden seither von Peter Lüthi betreut.

Ausgabe: 11.12.2020 Version 2.7 Seite 20 von 20