21.09.2016 barbarische schönheit IL SUONAR PARLANTE ORCHESTRA VITTORIO GHIELMI VIOLA DA GAMBA UND LEITUNG

SAISON 2016/2017 Abonnementkonzert 1 Mittwoch, 21. September 2016 | 20 Uhr Suite: „Barbarische Schönheit“ Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal Adagio à la Polonoise – Allegro à la Polonoise IL SUONAR PARLANTE ORCHESTRA (aus: Concerto Polonoise TWV 43:B3) VITTORIO GHIELMI VIOLA DA GAMBA und Leitung GRACIELA GIBELLi sopran J. P. KIRNBERGER Mazur (Arr. Vittorio Ghielmi) DOROTHEE OBERLINGER BLOCKFLÖTE (1721 – 1783) ALESSANDRO TAMPIERI VIOLINE STANO PALÙCH VIOLINE GEORG PHILIPP TELEMANN Hanaquoise (aus: Suite TWV 55:D3) MARCEL COMENDANT CYMBALON Scaramouche (aus: Suite TWV 55:B8) (beide: Arr. Vittorio Ghielmi)

GEORG PHILIPP TELEMANN Konzert a-Moll für Blockflöte, Viola da Gamba, ANTONIO VIVALDI Recitativo Grave (1681 – 1767) Streicher und Basso continuo TWV 52:a1 (1678 – 1741) (aus: Concerto D-Dur RV 208a „Il Grosso Mogul“) Grave – Allegro – Dolce – Allegro ANONYMUS Saltus Polonicus und Saltus Hungaricus (aus: FRANTIŠEK JIRANEK Konzert d-Moll für Violine, Streicher und Sammlung Uhrovec, Arr. Ghielmi/Palùch/Comendant) (1698 – 1778) Basso continuo Allegro – Grave – Recitativo – Allegro GEORG PHILIPP TELEMANN La Vielle (aus: Suite TWV 55:Es3 „La Lyra“, Arr. Vittorio Ghielmi) Konzert a-Moll für Viola da Gamba, Streicher und Arie „Solo per voi tra mille“ (1702 – 1771) Basso continuo GWV A:XIII:14 (aus: „Pastorella venga bella“ TWV 20:62) Allegro ma non tanto – Adagio – Allegro Allegro (aus: TWV 42:g12, Arr. Vittorio Ghielmi)

Pause FRANZ BENDA Allegro Scherzando (1709 – 1786) (aus: Konzert für Cembalo, Streicher und B.c.) JOHANN ADOLPH HASSE „L’Augelletto“ Arie für Sopran, Viola da gamba, Allegro scherzando (Arr. Il Suonar Parlante) (1699 – 1783) Streicher und Basso continuo

Das Konzert wird am Freitag, den 11.11.2016, um 20 Uhr in der Sendung „Das Alte Werk“ auf NDR Kultur gesendet.

02 | Programmabfolge Programmabfolge | 03 IL SUONAR PARLANTE ORCHESTRA IL SUONAR PARLANTE ORCHESTRA Besetzung Besetzung Das Bekenntnis zur Musik als einer Form der Im Jahr 2007 gründeten Vittorio Ghielmi und VIOLA DA GAMBA VIOLA CEMBALO Klangrede steckt beim Ensemble Il Suonar Par­ Graciela Gibelli ein größeres Ensemble: Il Suonar lante schon im Namen. Von „suonare parlante“ Parlante Orchestra. Seither gastierte das En­ UND LEITUNG Laurent Galliano Shalev Ad-el sprach Niccolò Paganini, wenn er auf seiner Vio­ semble regelmäßig bei renommierten Festivals Vittorio Ghielmi line die menschliche Rede nachahmte. Der in ganz Europa und wurde auch als Ensemble in VIOLONCELLO CYMBALON Gambist Vittorio Ghielmi fand so den Namen für Residence zu Festspielen wie den Stuttgarter sein Ensemble. Mit Il Suonar Parlante unternimmt Festspielen 2010 und dem Segovia Musik-Festi­ VIOLINEN Marco Testori Marcel Comendant er Streifzüge durch die Welten der Alten Musik, val 2011 eingeladen. Alessandro Tampieri diverser Volksmusiktraditionen und des Jazz. Nicolas Penel KONTRABASS Gegründet wurde das Il Suonar Parlante-Gam­ Die CD „Barbarian Beauty“ („Barbarische Schön­ ben-Quartett 2002 von Vittorio Ghielmi, Rodney heit“), die der Gattung des Konzertes für Viola Riccardo Coelati Rama Prada, Fahmi Alqhai und Cristiano Con­tadin. da Gamba und Orchester (Konzerte von Graun, Nach zwei CDs, die unter den Namen Quartetto Telemann, Tartini) gewidmet ist, wurde mit dem Italiano di Viole da Gamba eingespielt wurden, moldawischen Cymbalonvirtuosen Marcel fand das Ensemble seine endgültige Besetzung Comendant im Jahr 2012 für das Label „Passa­ und fing an, unter seinem heutigen Namen Il caille“ eingespielt. Die CD „The Passion of Suonar Parlante bei wichtigen klassischen Musik­ Musick“, mit Dorothee Oberlinger für Sony Deut­ festivals und zusammen mit Jazzmusikern wie sche Harmonia Mundi aufgenommen, gewann , Kenny Wheeler, Don Byron und Markus den Echo Klassik Preis 2015. Stockhausen weltweit zu gastieren.

04 | besetzung IL SUONAR PARLANTE ORCHESTRA | 05 VITTORIO GHIELMI VERMISCHTER GESCHMACK, BARBARISCHE SCHÖNHEIT VIOLA DA GAMBA UND LEITUNG MUSIK VON GEORG PHILIPP TELEMANN UND SEINEN ZEITGENOSSEN

Der Gambist, Dirigent und Komponist Vittorio „Was Welschland [Italien] Schmeichelndes in aus Polen anregen. Er galt als unübertroffener Ghielmi wurde in Mailand geboren. Heute ist seine Sätze schließet, / Die ungezwung’ne Mun ­ Meister des „vermischten Geschmacks“, der Ghielmi einer der wenigen Gambisten, der regel­ terkeit, so aus der Franzen Liedern fließet, / allerdings auch am preußischen und am sächsi­ mäßig als Solist zu großen Orchestern eingeladen Der Briten springendes gebund’nes Wesen, / Ja, schen Hof gepflegt wurde. Dort spielten neben wird. Als Solist und Dirigent ist er mit diver­sen was Sarmatien [Polen] zu seiner Lust erlesen, / italienischen besonders böhmische Musiker renommierten Orchestern aufgetreten, so mit Bei welchem sich der Scherz den Tönen weiht, / eine wichtige Rolle. Daher berücksichtigt Il Suo­ dem Los Angeles Philharmonic Orchestra, dem Dies alles wird der deutsche Fleiß zu seines Lan­ nar Parlante in seinem Programm außer Tele ­ London Philharmonia, Il Giardino Armonico, dem des Preis, / Mehr aber noch, die Hörer zu ver­ mann vor allem Komponisten aus Berlin (Johann Freiburger Barockorchester oder dem Royal Col­ gnügen, / Durch Feder, Mund und Hand allhier Gottlieb Graun, Franz Benda) und Dresden lege of Music Orchestra. Im Duo mit seinem Bru­ verfügen.“ Georg Philipp Telemann formulierte in (František Jiránek, Johann Adolph Hasse). der Lorenzo Ghielmi oder mit führte diesem Kantatentext die Ästhetik des „vermisch­ er Kammermusikprogramme in den wichtigsten ten Geschmacks“: Nur durch eine Kombination KONZERTE FÜR VIOLA DA GAMBA Konzertsälen der Welt auf. Als einer der führenden der verschiedenen Nationalstile, so glaubten die Drei Konzerte vereint die erste Hälfte des Alte-Musik-Interpreten teilte er die Bühne mit Kol­ deutschen Komponisten im zweiten Drittel des Abends – das eröffnende von Telemann, der über legen wie Gustav Leonhardt, Cecilia Bartoli, Giuli­ 18. Jahrhunderts, ließe sich die Musik zur Voll ­ diese originär italienische Gattung in seiner ers­ ano Carmignola, Christophe Coin, Reinhard Goe­ kommenheit bringen. Telemann verband in sei­ ten, 1718 verfassten Autobiographie Folgendes bel, Giovanni Antonini, Ottavio Dantone, Andràs nen Werken nicht nur die Stile der beiden füh ­ schrieb: „Alldieweil aber die Veränderung belus­ Schiff, Thomas Quasthoff oder Viktoria Mullova. renden Kulturnationen Italien und Frankreich, tiget, so machte mich auch über Konzerte her. schwedischen Chor „Rilke Ensemble“ zusam­ sondern ließ sich auch durch Volksmusik etwa Hiervon muss bekennen, dass sie mir niemals Seine Feldforschungen zu alten Musiktraditi­ menarbeitete. Ghielmi war Artist in Residence onen, die in abgelegenen Teilen der Welt über­ beim Musikfest Stuttgart 2010, beim Segovia lebten, und die neue Perspektiven zur Deutung Festival 2011 und bei Bozar Brüssels 2011. der „alten Musik“ Europas eröffneten, wurden Ghielmis zahlreiche CDs haben verschiedene 1997 mit dem „Erwin Bodky Preis“ prämiert. Kritiker- und Musikpreise, darunter den Echo Seine Zusammenarbeit mit Volksmusikern und Klassik 2015, gewonnen. insbesondere mit den Sängern des Cuncordu de Orosei auf Sardinien wurde im Film „Das Herz Vittorio Ghielmi ist Professor am Mozarteum des Tons – eine Musikreise mit Vittorio Ghielmi“ Salzburg und gibt Meisterkurse an verschie­ dokumentiert. denen Akademien und Universitäten. Er ist Autor zahlreicher musikologischer Artikel und hat Von 2007 bis 2011 arbeitete Vittorio Ghielmi bei diverse, bislang nicht veröffentlichte Werke he­ den Salzburger Festspielen als Assistent Riccar­ rausgegeben. Seine weltweit bekannte Methode do Mutis. 2007 konzipierte und dirigierte er die für das Viola-da-Gamba-Spiel gilt als Standard­ Uraufführung des Schauspiels „7 mystische werk auf ihrem Gebiet. Anblicke“ bei der Semana de Musica Religiosa in Cuenca (Spanien), wo er mit dem amerika­ Vittorio Ghielmi spielt eine Gambe von Michel nischen Filmemacher Marc Reshovsky und dem Colichon, Paris 1688. Sommerabend an der Weichsel, Holzstich nach einem Gemälde von Wilhelm August Stryowski,1865.

06 | Leitung Programm | 07 recht von Herzen gegangen sind, ob ich deren Das folgende Konzert von František Jiránek wäre Regimentskommandeur in Ruppin; dort ver­ Johann Christian Hertel, zweifellos aber auch schon eine ziemliche Menge gemacht habe.“ Telemanns „Hand und Bogen“ mit Sicherheit pflichtete er zuerst den Geiger Johann Gottlieb dem von Burney genannten Kapellmusiker Man darf diese oft zitierte Aussage nicht aus unbequem gewesen – schließlich war der böh­ Graun. Im folgenden Jahr kam Franz Benda hin ­ Ludwig Christian Hesse. Ihn bezeichnete Hiller ihrem Zusammenhang reißen, denn als Ursache mische Komponist, anders als sein deutscher zu, 1735 der jüngere Graun-Bruder Carl Hein­ als den „größten Gambisten in Europa“. für seine Abneigung gab Telemann an, „dass Kollege, ein hochvirtuoser Geiger. Jiránek wurde rich, 1738 Carl Philipp Emanuel Bach und 1741 ich in denen meisten Konzerten, so mir zu als Kind von Bediensteten des Grafen Wenzel Johann Joachim Quantz, ein berühmter Flötist Johann Adolph Hasse stieg nicht zuletzt auf­ Gesichte kamen, zwar viele Schwürigkeiten und Morzin geboren, und in dessen Prager Kapelle und der „Erfinder“ des Begriffs „vermischter grund bester persönlicher Beziehungen zum krumme Sprünge, aber wenig Harmonie und erhielt auch er seine erste Anstellung. 1724 Geschmack“. Johann Gottlieb Graun wurde Kon­ europaweit führenden Komponisten der ernsten noch schlechtere Melodie antraf, wovon ich die ermöglichte ihm der musikliebende Adelige zertmeister des Orchesters, dem er bis zu sei­ italienischen Oper auf. In Neapel von Nicolo ersten hassete, weil sie meiner Hand und Bogen einen dreijährigen Aufenthalt in Venedig, wo er nem Tod im Jahr 1771 treu blieb. Doch auch Porpora und Alessandro Scarlatti ausgebildet, un­bequem waren, und, wegen Ermangelung seine Fähigkeiten aller Wahrscheinlichkeit nach außerhalb Berlins war er weithin anerkannt: So schloss er Freundschaft mit Pietro Metastasio, derer letztern Eigenschaften, als worzu mein bei Antonio Vivaldi vervollkommnete. Dafür sind zwei seiner Trios in Johann Sebastian Bachs dem dominierenden Librettisten der Opera Ohr durch die französischen Musiquen gewöhnet sprechen neben Jiráneks Kompositionsstil auch Handschrift überliefert. Die meisten seiner Solo­ seria. Und 1730 heiratete er die berühmte Pri­ war, sie nicht lieben konnte noch imitieren die engen Verbindungen Vivaldis zu Morzin: Letz­ konzerte, die der zeitgenössische Musikschrift­ madonna Faustina Bordoni, mit der er im folgen­ mochte.“ Daraus wird klar, dass Telemann nichts terer ist heute vor allem noch als Widmungsträ­ steller Johann Adam Hiller als „ungemein feurig“ den Jahr ein Gastspiel in Dresden gab. Dieses gegen die Gattung an sich hatte, sondern nur ger der „Vier Jahreszeiten“ bekannt. Zurück in lobte, widmete Graun seinem eigenen Instru­ war so erfolgreich, dass ihm der Posten des eine besondere Spielart verabscheute – die Prag spielte Jiránek elf Jahre lang in der Kapelle ment, der Violine. Allerdings schrieb er auch Hofkapellmeisters angetragen wurde. Drei Jahr­ des Virtuosenkonzerts. Von seinen eigenen des Grafen, die zu den besten des Landes zählte mindestens acht Konzerte (dazu weitere Werke) zehnte lang wirkte Hasse am Dresdner Hof, des­ Konzerten sagte er, „dass sie mehrenteils nach und von Vivaldi als „virtuosissima orchestra“ für die Viola da gamba. Sie zeigen eine innige sen Orchester kein Geringerer als Jean-Jacques Frankreich riechen“. Sein a-Moll-Konzert TWV gerühmt wurde. Eine neue Stelle musste er sich Vertrautheit mit den technischen Möglichkeiten Rousseau zum vollkommensten in ganz Europa 52:a1 gestaltete er nach Art einer italienischen nach Morzins Tod und der Auflösung des Orches­ des Instruments. Diese Kenntnis verdankte erklärte. Sein Dienstherr, Friedrich August II., Kirchensonate viersätzig (langsam – schnell – ters im Jahr 1737 suchen. Er fand sie in der Graun vermutlich dem befreundeten Gambisten war vor allem an italienischer Oper interessiert, langsam – schnell), doch die Instrumentenwahl Kapelle des sächsischen Premierministers Hein­ und so schrieb Hasse im Durchschnitt zwei sol­ weist ins aristokratische Frankreich: Italienische rich von Brühl. In Dresden verbrachte er die letz­ cher „drammi per musica“ pro Jahr. 1742 ver­ Konzerte sind meist für die Geige bestimmt; ten vier Jahrzehnte seines langen Lebens, und tonte er Metastasios „Didone abbandonata“, die die Viola da gamba dagegen war ein Lieblings­ dort entstanden auch die meisten seiner Kom­ Geschichte der legendären Gründerin Kartha­ instrument Ludwigs XIV., an dessen Hof sie positionen, darunter das wohl für den eigenen gos, die von dem trojanischen Helden Aeneas durch bedeutende Künstler wie Gebrauch bestimmte Violinkonzert d-Moll. verlassen wird und sich daraufhin das Leben oder gepflegt wurde. Der nimmt. Die Arie „L’Augeletto in lacci stretto“ ist Gambe stellte Telemann in seinem Konzert und „Damals war das berlinische Orchester das glän­ in ihrer Dresdner Fassung für Sopran, obligate in einigen weiteren Kompositionen die Block­ zendste in Europa: Es befanden sich darunter Flöte und Streicher bestimmt. Handschriftliches flöte zur Seite. Die sanften, gedeckten Klangfar­ die berühmten Männer Bach, Benda, Czarth, Stimmenmaterial einer Version mit „Viola di ben der beiden Instrumente schienen ihm offen­ Graun, Hesse, Quantz und Richter“, schrieb der Gamba Concertato“ hat sich jedoch in Paris bar besonders gut zusammen zu passen. Ihre englische Musikgelehrte Charles Burney in sei­ erhalten. Dort war die Gambe, die in der italie­ Begrenztheit in Lautstärke und klanglicher Vari­ nem „Tagebuch einer musikalischen Reise“. nischen Oper längst keine Rolle mehr spielte, abilität besiegelte allerdings noch zu Telemanns „Damals“ meinte das Jahr 1752, und „das berlini­ noch immer sehr beliebt. Hasse hielt sich im Lebzeiten ihren Niedergang: Die Block­flöte sche Orchester“ war die Hofkapelle Friedrichs Sommer 1750 auf Einladung des französischen wurde durch die Traversflöte, die Gambe durch des Großen. Ihre Grundlagen hatte der Preußen ­ Hofs einige Monate lang in Versailles auf, und das Violoncello vollkommen verdrängt. könig schon lange vor seinem Regierungsantritt Bildnis einer Dame mit Viola da Gamba, seine „Didone abbandonata“ wurde dort wahr­ (1740) gelegt. Ab 1732 residierte Friedrich als Gemälde von Johann Kupetzky, um 1710. scheinlich am 28. August 1753 aufgeführt.

08 | Programm Programm | 09 „BARBARISCHE SCHÖNHEIT“ Gutes; wenn behörig damit umgegangen wird. und legte mich fast ganz auf derselben Schreib­ und erhielt von Johann Gottlieb Graun Unterricht Zahlreiche Einzelsätze unterschiedlicher Her­ Ich habe, nach der Zeit, verschiedene große art, so dass ich der Ouvertüren in zwei Jahren bei sowohl auf der Violine als auch in Komposition. kunft hat Il Suonar Parlante zur Suite „Barbari­ Konzerte und Trii in dieser Art geschrieben, die 200 zusammen brachte.“ Entwickelt hatte sich Vittorio Ghielmi hat ein „Allegro scherzando“ sche Schönheit“ zusammengestellt, die dem ich in einen italienischen Rock, mit abgewech­ die Orchestersuite aus der französischen Oper, aus Bendas Feder neu arrangiert und dabei dem ganzen Programm den Titel gibt. Dieser Titel selten Adagi und Allegri, eingekleidet.“ Zu diesen der „Tragédie lyrique“, die stets ausgedehnte Bal­ Cymbal oder Hackbrett eine besondere Rolle wiederum geht zurück auf eine Passage aus „Adagi und Allegri“ zählen zum Beispiel die von lettszenen enthielt. Gerne hätten sich die Fürsten zugewiesen. Dieses Instrument, das noch heute Telemanns dritter Autobiographie von 1740: „Im Il Suonar Parlante ausgewählten Sätze aus einer der deutschen Kleinstaaten mit ähnlichen Opern in der osteuropäischen Volksmusik zum Einsatz 1704ten Jahre wurde ich nach Sorau, zu Seiner Triosonate und einem „Concerto Polonoise“, die unterhalten lassen. Doch den Prunk von Versailles kommt, wurde zu Telemanns Zeit durch den Exzellenz, dem Herrn Grafen Erdmann von Prom ­ mit ihren derb-volkstümlichen Rhythmen, gro­ konnten sie sich nicht leisten, und so begnügten Dresdner Hofmusiker Pantaleon Hebenstreit in nitz, als Kapellmeister berufen. [...] Als der Hof tesken Sprüngen, fantasievollen Verzierungen sie sich mit Instrumentalauszügen. Bald schrie­ die Kunstmusik eingeführt. Hebenstreit ließ sich sich ein halbes Jahr lang nach Plesse, einer und ungewohnten Harmonien deutlichen Volks­ ben deutsche Musiker selbst solche Suiten – von dem Orgelbauer Gottfried Silbermann ein oberschlesischen, promnitzischen Standesherr­ musikcharakter zeigen. und zwar ohne vorher eine Oper zu komponieren. stark vergrößertes Hackbrett anfertigen, das er schaft, begab, lernete ich sowohl daselbst als Telemann nahm in seine Suiten neben Tänzen bald virtuos beherrschte und sogar am französi­ in Krakau die polnische und hanakische [mittel ­ Exotisch-folkloristische Elemente enthalten auch Charakterstücke auf – Stücke mit Titeln wie schen Königshof vorführte. Es wurde ihm zu mährische] Musik in ihrer wahren barbarischen oft auch die Orchestersuiten, die Telemann nach „Hanaquoise“ (aus der mährischen Haná-Region), Ehren „Pantale(o)n“ oder (von Telemann) „panta­ Schönheit kennen. [...] Man sollte kaum glauben, ihren ausladenden Eröffnungssätzen gern „Scaramouche“ (so die französische Bezeichnung lonisches Cymbal“ genannt und gab dank Heben­ was dergleichen Bockpfeifer [Dudelsackbläser] „Ouvertüren“ nannte. Er hatte diese typisch der „Commedia dell’arte“-Figur Scaramuccia) streits dynamischer Spielweise wichtige Anre­ oder Geiger für wunderbare Einfälle haben, französischen Stücke ebenfalls schon in seiner oder „La Vielle“ (Drehleier, an den Bordunbässen gungen zur Entwicklung des Hammerklaviers. wenn sie, so oft die Tanzenden ruhen, fantasie­ Sorauer Zeit kennen gelernt, „weil der Herr Graf leicht erkennbar). ren. Ein Aufmerkender könnte von ihnen in acht kurz vorher aus Frankreich wiedergekommen war, Abgerundet wird die Suite „Barbarische Schön­ Tagen Gedanken für ein ganzes Leben erschnap ­ und also dieselben liebte. Ich wurde des Lully, Neben Telemann tragen Vivaldi und Benda Sätze heit“ durch einige anonyme Tanzsätze aus der pen. Genug, in dieser Musik steckt überaus viel Campra und andrer guten Meister Arbeit habhaft, zur Suite „Barbarische Schönheit“ bei. Vivaldis „Sammlung Uhrovec“, die um 1730 entstand und Violinkonzert RV 208 ist in einer deutschen nach ihrem Fundort, einer Gemeinde in der heu­ Abschrift unter dem merkwürdigen Titel „Il tigen Nordwestslowakei, benannt ist. Die Stücke Grosso Mogul“ (Der Großmogul) überliefert. vermitteln noch heute eine Ahnung von den Handelt es sich um einen scherzhaften Beina­ mitreißenden Rhythmen und „wunderbaren Ein­ men ohne tiefere Bedeutung, oder soll die Musik fällen“ polnischer Geiger, wie sie der junge Tele­ tatsächlich indische Assoziationen wecken? mann in Plesse und Krakau erlebt hatte. Diese Von exotischem Reiz ist jedenfalls das Instru­ Volksmusiker beeindruckten ihn so, dass er ihrem mentalrezitativ im Mittelsatz: Die über einen „bei der musikverständigen Welt so schlecht weiten Tonumfang geführten Melodien enthalten geachteten“ Stil noch Jahre später die folgenden übermäßige Intervalle und sind recht ungewöhn­ Verse widmete: „Es lobt ein jeder sonst das, was lich harmonisiert. Franz (oder František) Benda ihn kann erfreun. / Nun bringt ein polnisch Lied stammte aus einer böhmischen Musikerfamilie, die ganze Welt zum Springen, / So brauch ich deren Mitglieder in ununterbrochener Genera­ keine Müh’, den Schluss heraus zu bringen: / Die tionenfolge bis heute aktiv sind. Der „Dynastie- Polnische Musik muss nicht von Holze sein.“ gründer“ war Jan Jiři Benda, ein Leinenweber, der nebenher Tanzmusik machte. Sein Sohn Jürgen Ostmann Cymbalschlägerin und Polnischer Bock (Dudelsack), Kupferstiche von Johann Christoph Weigel, Franz stieß Anfang 1733 zum kleinen Musikkreis aus: Musicalisches Theatrum, Nürnberg ca. 1710. um den späteren Preußenkönig Friedrich II.

10 | Programm Programm | 11 TEXTE Konzertvorschau

JOHANN ADOLph HASSE NDR Das Alte Werk NDR chor L’AUGELLETTO IN LACCI STRETTO WARUM HÖRT MAN Abo-Konzert 2 Abo-Konzert 2 | Jubiläumskonzert L’augelletto in lacci stretto Warum hört man Dienstag, 8. November 2016 | 20 Uhr Sonntag, 6. November 2016 | 19 Uhr perché mai cantar s’ascolta? ein gefangenes Vöglein singen? Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal Hamburg, Hauptkirche St. Nikolai Perché spera un’altra volta Weil es hofft, di tornare in libertà. wieder die Freiheit zu erlangen. Freiburger Barockorchester SALZBURG BAROCK Petra Müllejans Leitung Nel conflitto sanguinoso Warum ächzt jener Krieger Philippe Jaroussky Countertenor Philipp Ahmann Dirigent quel guerrier perché non geme? während des blutigen Kampfes nicht? Bell’Arte Salzburg Perché gode con la speme Weil ihn schon die Hoffnung beglückt auf die GEORG PHILIPP TELEMANN Solisten des NDR Chores quel riposo che non ha. Erholung, die ihm der Augenblick versagt. Kantate „Der am Ölberg zagende Jesus“ für Alt, Streicher und B. c. GEORG MUFFAT Kantate „Jesus liegt in letzten Zügen“ Missa „In labore requies“ für Alt, zwei Oboen, Streicher und B. c. HEINRICH IGNAZ FRANZ BIBER GEORG PHILIPP TELEMANN Missa Alleluia SOLO PER VOI TRA MILLE EINZIG NACH EUCH Kantate „Ich habe genug“ für Alt, Oboe, Streicher und B. c. BWV 82 18 Uhr: Einführungsveranstaltung im Gemeindesaal Solo per voi Einzig nach euch sowie Orchestersätze aus dem Kantatenschaffen tra mille e mille vor tausend anderen, JOHANN SEBASTIAN BACHS care pupille teuerste Augen, arde il mio core. sehnt sich mein Herz. 19 Uhr: Einführungsveranstaltung im Kleinen Saal

Deh rispondete Auf mich als Antwort, con dolci faville lasst Glutblitze wandern con meno rigor seid kalt nicht wie Erz a tanta fé für so viel Treu a tanto amor. in Glück und Schmerz.

Philippe Jaroussky

Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus, Tel. (040) 44 192 192, online unter ndrticketshop.de

12 | Texte vorschau | 13 Impressum Foto: Irene Zandel

Herausgegeben vom NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK Programmdirektion Hörfunk BEREICH ORCHESTER, CHOR UND KONZERTE Rothenbaumchaussee 132 | 20149 Hamburg [email protected] „ NDR Das Alte Werk im Internet: www.ndr.de/dasaltewerk Leitung: Andrea Zietzschmann Musik muss Redaktion NDR Das Alte Werk: Angela Piront Redaktionsassistenz: Janina Hannig auch schroff Redaktion des Programmheftes: Dr. Ilja Stephan und kratzig sein. Der Text von Jürgen Ostmann ist ein Originalbeitrag für den NDR.

Fotos: [M] Klaus Westermann/NDR, Image Source/ Plainpicture (Titel); L. Montesdeoca (S. 5); NILS MÖNKEMEYER Luis Ghielmi (S. 6); AKG-Images (S. 7, S. 9, S. 10); “ Simon Fowler/Erato/Warner Classics (S. 13)

NDR | Markendesign Gestaltung: Klasse 3b; Druck: Nehr & Co. GmbH Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co.

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des NDR gestattet. DIE KONZERTE DER REIHE NDR DAS ALTE WERK HÖREN SIE AUF NDR KULTUR

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