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Hochwassersituation im deutschen Teil des Klettgaus

Autor(en): Pabst, Wolf

Objekttyp: Article

Zeitschrift: Mitteilungen der Naturforschenden Gesellschaft Schaffhausen

Band (Jahr): 44 (1999)

PDF erstellt am: 28.09.2021

Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-584912

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http://www.e-periodica.ch Mitt. natf. Ges. Schaffhausen 44, 65 - 74 / Schaffhausen 1999

Hochwassersituation im deutschen Teil des Klettgaus

von

Wolf Pabst

Zusammenfassung: Der Autor kommentiert anhand vorliegender Gutachten und aufgrund persönlicher Einschätzung die Hochwassersituation im . Er berich- tet über das derzeit im Bau befindliche Rückhaltebecken "Sperrwerk Griessen" (D) und das geplante Becken "Nübruch" bei Osterfingen (CH).

Die Hauptgewässer des Kiettgaus sind der Klingengraben, der aus Landgraben (Halbbach, Tüfenbach), Ruussgraben, Mülbach (Seltenbach, Fochtelgraben, Ergoltingerbach) entsteht und der Schwarzbach mit dem Zufluss Seegraben (Abb. 1). Zwischen den beiden Hauptgewässern Klingengraben und dem unteren Teil des Schwarzbaches liegt der sogenannte Klettgaurücken (Abb. 2), der in seinem höher gelegenen Teil aus den mächtigen Seetonen eines früheren eiszeitlichen Sees besteht. Die Seesedimente wurden später im Bereich der Gewässer im Laufe der Jahrhunderte ab- getragen, sie lagerten sich in vorhandenen Mulden ab und wurden auch teilweise in den kiesigen Untergrund eingeschwemmt. Der Untergrund ist deshalb relativ undurchlässig (Abb. 3). Besonders nach langanhaltenden Regenfällen bilden sich vielerorts und be- sonders im schweizerischen Teil des Klettgaus kleine flache Seen.

65 Abbildung 1: Oberflächen-Gewässer im Klettgau; Hochwassersperren.

Abbildung 2: Der Klettgaurücken (1) zieht sich in Ost-West-Richtung durch den ge- samten Klettgau. Er besteht aus feinen Seetonen, den Ablagerungen eines eiszeit- liehen Sees. In den seitlichen Bereichen wurden die Ablagerungen durch Klingen- graben (2) und Schwarzbach (3) ausgeschwemmt (Blickrichtung gegen Schaff- hausen).

Das Schwarzbachtal ist im oberen Teil relativ steil, so dass Hoch- wässer als Folge örtlicher Starkniederschläge so rasch entstehen, dass für die im Tal gelegenen Orte, insbesondere für Klettgau-

66 Griessen, kaum ausreichende Vorlaufzeiten bestehen, um durch geeignete Objektschutzmassnahmen das Schlimmste zu ver- hindern. Als Objektschutz bezeichnet man Massnahmen, die am Gebäude selbst verhindern, dass Wasser in die tiefer gelegenen Räume eindringt, z.B. Verschlüsse, die bei Hochwassergefahr vor die Kellerfenster gesetzt werden (Abb. 4).

Die Gewässer im deutschen Klettgau wurden in der Zeit zwischen 1956 und 1971 in der heute vorhandenen massiven Form aus- gebaut. Die Hochwassersituation muss vor dem Ausbau (Abb. 5) unerträglich gewesen sein; nur so lässt sich verstehen, warum derartig in das Ökosystem der Gewässer eingegriffen wurde.

Leider gingen die Erinnerungen an frühere Wassergefahren bald verloren und die nun einigermassen hochwasserfrei gemachten

67 Siedlungen entwickelten sich unbeschwert von Gedanken an künftige Hochwässer auch in die gewässernahen überschwem- mungsgefährdeten Bereiche hin- ein. Gewässerabstände, söge- nannte Gewässerrandstreifen, waren damals noch nicht ge- Abbildung 4: Beispiele für Objektschutz: setzlich verankert. Im Sommer (a) hochgezogene Lüftung; (b) Sicherung 1975 (am 23. Juni und 24. Juni) einer Tür mit Schaltafel, Dichtungsband wurde der Klettgau von einer ^ Schraubzwinge, verheerenden Hochwasserkata- Strophe heimgesucht, die sich, nachdem es tagelang schwül und geradezu stickig und unerträglich gewesen war, in zwei aufein- anderfolgenden Ereignissen über der Landschaft Klettgau entlud. Die eigentliche Katastrophe ereignete sich am zweiten Tag.

Dieses Niederschlagsereignis hatte drei Zentren: Einmal im Räume Dettighofen, sodann im Raum Weisweil und schliesslich ausserhalb der Klettgaurinne im Räume /Wutachtal. Da keine Aufzeichnungen vor- handen sind, kann man nur grob abschätzen, wie das Ereignis statistisch einzuordnen ist. In 5: Ausbau- den ausgebauten Gewässern Abbildung Typische ® querschnitte. oben: Seegraben Weisweil, unterhalb von Klettgau-Gnessen unten: Schwarzbach Griessen. entsprach der Abfluss etwa einem HQ25, also statistisch gesehen einem alle 25 Jahre einmal vorkommenden Ereignis, in Griessen selbst vielleicht einem HQ4Q (Abb. 6). Von Griessen wird berichtet, dass die Fluss grossflächig aus den Feldern auf das Dorf zukam. Das Bachbett selbst sei gar nicht vollgelaufen. Örtlich, speziell auch in Dettighofen, Weisweil, Bühl und Riedern am Sand könnte die Niederschlagsintensität so hoch gewesen sein, wie es vielleicht nur einmal in tausend Jahren vorkommt. Näheres weiss man, wie gesagt, nicht.

68 Danach wurde auf deutscher Seite immer wieder versucht, ein Pegelnetz zur Messung des Abflusses aufzubauen. Aus Kostengründen konnte dieser Wunsch jedoch erst in jüngster Zeit realisiert werden. Grebner & Göldi haben in einer bereits 1983 erschienenen Karte in Iso- Linien-Darstellung nachgewie- sen, dass sich im Klettgau, und zwar im Räume Weisweil/D, Abbildung 6: Veränderung der Hoch- Osterfingen und Neunkirch/CH, wasser-Wahrscheinlichkeit durch vermehr- ein besonders hochwasser- tes Auftreten von Ereignissen des Types Grössere Hochwässer gefährdetes Gebiet befindet. Die (somatisch). ° /*'treten häufiger auf. Ursache hierfür mag der Ab- schluss des Klettgaus nach Nordosten durch die Erhebungen des Randens sein. Seit 1990 häufen sich aber auch im Südschwarz- wald Niederschlagsereignisse vom sogenannten Typus "Warmfront auf Kaltfront" (auch als 5b-Typus bezeichnet; ein solches Ereignis verursachte auch das Oderhochwasser 1997): Eine aus der Biskaya kommende Warmfront schiebt sich über die in den Tälern lagernde kalte Luft, die warme Luft kühlt sich rasch ab und gibt flächendeckend das mitgeführte Wasser ab (Abb. 6).

Derartige Ereignisse statistisch einstufen zu wollen macht keinen Sinn mehr, denn sie können sich zu bestimmten Zeiten wöchentlich wiederholen. In der Zeit vom 14. bis 16. Februar 1990 wurde der Südschwarzwald von einem solchen Hochwasser betroffen, be- sonders der Raum Todtmoos/St. Blasien mit dem nahegelegenen Steinatal und dem an der Mündung der Steina gelegenen Stadtteil Tiengen der Stadt -Tiengen. Die Statistiker ordneten dem Hochwasser in St. Blasien eine Wiederkehrwahrscheinlichkeit "alle 200 Jahre einmal" zu. Doch bereits am 19. Mai 1994 trat das näch- ste Ereignis dieser Art auf. Diesmal wurden der Klettgau, speziell der Ortsteil Griessen, der nahegelegene Raum Winterthur und der benachbarte Aargau schwer betroffen. Unabhängig von den Be- obachtungen der Waldshuter Flussbaubehörde kommt Professor Schär von der ETH Zürich zu dem Schluss, dass sich möglicher-

69 weise erste Anzeichen für grossräumige Änderungen des Wetter- geschehens, speziell in der Schweiz und im Südschwarzwald, be- merkbar machen - war doch am 19. Mai 1994 die gesamte Schweiz von einem grossflächigen Niederschlagsereignis von bisher nicht bekannter Intensität aufs Schlimmste betroffen.

Die Frage, ob momentan ein Trend zu grösseren Niederschlags- intensitäten vorhanden ist, wird in einigen Untersuchungen mit "Ja" beantwortet, wohingegen andere Untersuchungen nicht zu diesem Resultat gelangen (Klimaänderung und Wasserwirtschaft 1995; weitere Quellen zur Hochwassersituation: siehe auch Extreme Naturereignisse und Wasserwirtschaft 1999; Sânchez Penzo & Rapp 1997).

Schon am 24. Dezember 1995 folgte das nächste Hochwasser, welches auch das -Einzugsgebiet betraf und einigermassen glimpflich verlief. Nach dem Ereignis vom 19. Mai 1994 gab das damalige Amt für Wasserwirtschaft und Bodenschutz beim Ingenieurbüro Dr. Ludwig in Karlsruhe ein umfassendes hydrolo- gisches Gutachten für den gesamten Klettgau D/CH in Auftrag. Am Entstehen des Gutachtens hat die schweizerische Seite, vertreten durch das Kantonale Tiefbauamt Schaffhausen, massgeblich mit- gewirkt, sei es durch Bereitstellung von Daten und Kartenmaterial, oder sei es die Bereitstellung von Finanzierungsmitteln. Letztendlich entstanden aus dieser Zusammenarbeit die beiden Hochwasser- schutzprojekte Rückhaltebecken "Sperrwerk Griessen/D" (135000 Inhalt) und Rückhaltebecken "Nübruch/CH" (mit eben- falls 135000 Inhalt). Das Becken Nübruch soll mit deutscher Beteiligung finanziert werden, das Sperrwerk Griessen wurde Ende Juni 1999 fertiggestellt.

Mit Hilfe des Gutachtens Dr. Ludwig, aber nicht zuletzt auch mit der Iso-Linienkarte der schon erwähnten Niederschlagsintensitäten von Grebner & Göldi (1983) konnte nachgewiesen werden, dass der Bau des Beckens Nübruch Sinn macht, obwohl dort das Ein- zugsgebiet relativ klein ist, und dass die investierten deutschen Gelder tatsächlich auch für die deutsche Seite eine Entlastung erbringen werden (Abb. 7).

70 Abbildung 7: Grösste Tagesniederschläge im Kanton Zürich, Auszug aus der Karte von Grebner & Göldi (1983).

Aus den obenstehenden Ausführungen wird die Problematik er- sichtlich, die Hochwasserabflüsse im Klettgau nach Wahrschein- lichkeitskriterien ordnen zu wollen. Die Ausarbeitung Ludwig stellt jedoch in jedem Falle eine wertvolle Grundlage dar, um überhaupt eine Vorstellung zu erhalten, in welcher Grössenordnung Abflüsse zu erwarten sind. Schon morgen kann die Landschaft örtlich wieder von einem extremen Niederschlagsereignis betroffen sein, das sich absolut nicht statistisch einordnen lässt. Der Bau der beiden Rück- halteräume Nübruch und Griessen macht jedoch auf jeden Fall Sinn, da beide Anlagen den betroffenen Bürgern die benötigte Vorlaufzeit einräumen, um an ihren Häusern geeignete Vorsorge- massnahmen zu treffen.

Hochwasserschutzvorkehrungen in der Klettgaurinne bedeuten für die beteiligten Behörden immer wieder eine schwierige Grat- Wanderung zwischen Gewässerökologie und Hochwasserschutz. Ein zu intensiver Unterhalt gefährdet die trotz des massiven Aus- baus in den Gewässern vorzufindenden Bestände an Insekten, Tieren und Pflanzen. Notwendige Rücksichten auf die Belange des Naturschutzes lassen dahingegen immer wieder den Vorwurf auf-

71 kommen, man vernachlässige seine Pflichten zum Unterhalt der Gewässer.

Hochwassersituation im Schweizer Teil des Klettgaus

Die Hochwassergefahren im Schweizer Teil des Klettgaus sind im Gegensatz zum deutschen Klettgaugebiet eher gering. Einerseits weist der Schweizer Klettgau ein fein verästeltes Gewässernetz auf, andererseits ist die Talform breit und der Talboden eher flach und das Gefälle der Bäche meist klein. Steile Gewässer, wie der Ober- lauf des Schwarzbaches, der aus einem Einzugsgebiet mit geringer Durchlässigkeit kommt, sind im Schweizer Klettgaugebiet nicht vorhanden. Bei Hochwasser treten zwar Überflutungen auf, Boden- erosion und Geländeüberschüttungen mit Geröll kommen nur in geringem Umfange vor. Murgänge, also Geröll-Lawinen von Steil- hängen sind in neuerer Zeit nicht aufgetreten. Der letzte grosse Schadensfall war am 23. Juli 1975, als in Trasadingen der Land- graben das gewässernahe Industrie- und Gewerbegebiet über- flutete.

In den letzten Jahren wurden viele Gewässer begradigt und zum Nachteil der Unterlieger für die rasche Ableitung von Hochwässern ausgebaut. In den Dörfern sind im Kanton Schaffhausen viele Ge- wässer eingedolt. Die Einiäufe dieser Verdolungen stellen immer einen Gefahrenpunkt dar, wenn der Bach Treibholz, Heu oder sonstiges Geschwemmsei mit sich führt. Die Gemeinden sind sich der Gefahr bewusst. Eine vom Gemeindebauamt oder von der Feuerwehr erstellte Notfallplanung regelt bei Gefahr, was vor Ort zu veranlassen ist.

Eine ganz besondere Situation findet man im Bereich des so- genannten Wangentales bei Bad Osterfingen vor. Durch dieses Tal floss am Ende der Eiszeit, also vor etwa 10'000 Jahren ein Schmelzwasserfluss in den Klettgau ein, der das Seitental formte und seine mitgeführten Sedimente im Talboden ablagerte. Das Wangental war ursprünglich ein klassisches Überschwemmungs- gebiet mit wassergefüllten Senken und flachen Mooren. Die land-

72 wirtschaftlichen Nutzflächen, die sich im Laufe der Jahre immer weiter in das Tal ausdehnten, waren immer überflutungsgefährdet. Auch der sich auf der deutschen Seite anschliessende Talzug des Seegrabens hatte sehr unter den ständigen Ausuferungen zu lei- den. Bereits 1698 schlössen daher die Schweizer Gemeinden Wilchingen und Osterfingen mit dem Fürst von Schwarzenberg, der damals Herr im deutschen Klettgau war, einen Vertrag über die Durchführung von Hochwasser-Schutzmassnahmen im Wangental. Geplant waren Wehrbauten mit Rückhalteräumen, die auch teils realisiert wurden aber nicht bis in die heutige Zeit überdauerten. Im Rahmen einer gut nachbarlichen Zusammenarbeit erinnerte man sich an den damals geschlossenen Vertrag - der heute noch gilt.

Geplant ist nun, wie schon erwähnt, der Bau eines Rückhalte- beckens Nübruch, an dessen Baukosten sich auch das Land Baden-Württemberg als "Rechtsnachfolger der Schwarzenberger" und die Gemeinde Klettgau als Unterlieger und Nachbar an der Grenze mit ansehnlichen Beträgen beteiligen.

Das gemeinsame Hochwassergutachten für den Klettgau bildet heute auch die Grundlage für alle Hochwasserschutzüberlegungen, Bauvorhaben und Hochwasser-Risikoeinschätzungen im Schweizer Teil des Klettgaus.

Literatur

Grebner, D. & C. Göldi (1983): Niederschlagskarten für den Kanton Zürich. Schweizer Ingenieur und Architekt, Heft 48/1983, Seite 1141.

Klimaänderung und Wasserwirtschaft (1995): Internationales Symposium 27./28. November 1995. Tagungsheft Bayrisches Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen, Abt. Wasserwirtschaft 1995.

Extreme Naturereignisse und Wasserwirtschaft (1999): Internationales Symposium, 25./26. Januar 1999. Tagungsheft Bayrisches Staatsministerium für Landes- entwicklung und Umweltfragen, Abt. Wasserwirtschaft 1999.

Sänchez Penzo, Susanne & Jörg Rapp (1997): Statistische Untersuchung langfristiger Veränderungen des Niederschlags in Baden-Württemberg. Reihe Handbuch Wasser 2/42 Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg, Karlsruhe, Dezember 1997.

73 Adresse des Autors:

Wolf Pabst, Bereichsleiter Gewässerdirektion, Eisenbahnstr. 7a, D-79761 Waldshut-Tiengen. [email protected]

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