Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades eines Magisters der Philosophie

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von Thomas STOPPACHER

am Institut für Geschichte Begutachter: Ass.-Prof. Dr.phil. Eduard Staudinger

Graz, 2011

Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ...... 4 2. Geschichte des Kurortes Bad Gleichenberg ...... 8 2.1. Von der Gründung bis zur Gegenwart ...... 8 2.2. Die Gleichenberger Heilquellen ...... 18 3. Die Tradition der jüdischen Sommerfrische ...... 22 3.1. Entstehung und Etablierung ...... 22 3.2. Soziale Diversifikation im 20. Jahrhundert und Sommerfrischen-Antisemitismus ... 26 4. Das jüdische Bad Gleichenberg ...... 31 4.1. Die Anfänge ab 1870 ...... 31 4.2. Jahrhundertwende bis zum Ende der Habsburgermonarchie ...... 38 4.3. Zwischenkriegszeit: Aufkommender Antisemitismus und letzte Blüte ...... 43 4.4. Abruptes Ende 1938: „Arisierung“ und Zweiter Weltkrieg ...... 54 5. Ein vergessenes Kapitel Kulturgeschichte ...... 71 6. Das israelitische Hospital als Beispiel jüdischer Infrastruktur im Kurort ...... 76 6.1. Von der Idee bis zur Gründung ...... 76 6.2. Das Hospital als Unterkunft für Kurgäste aus ärmeren Gesellschaftsschichten – eine wohltätige Institution ...... 79 6.3. „Arisierung“ und Restitution ...... 84 7. Nach 1945: Was blieb vom einstigen Glanz? – Eine Spurensuche ...... 91 7.1. Restitutionen ...... 91 7.2. Der jüdische Friedhof in Trautmannsdorf ...... 101 7.3. Jüdische Kurgäste nach der Shoa ...... 106 8. Zusammenfassung ...... 110 9. Quellen- und Literaturverzeichnis ...... 115 9.1. Archivquellen ...... 115 9.2. Literatur ...... 119 9.3. Zeitungsberichte ...... 127 9.4. Internetquellen...... 128 9.5. Andere Quellen ...... 129 9.6. Ausschnitte aus Archivquellen ...... 130

Thomas Stoppacher Seite 2 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Vorwort Als im Rahmen meines Geschichte-Studiums der Zeitpunkt, an dem die Diplomarbeit fällig wird, näher rückte und ich mir über ein mögliches Thema Gedanken machte, war meine Intention, etwas über die Zeit des Nationalsozialismus in meinem Heimatbezirk Feldbach zu schreiben. Gingen die Ideen anfangs in die Richtung, möglichen Widerständen gegen die faschistische Diktatur auf den Grund zu gehen, wurde ich während der Suche nach einem passenden Thema auf den traditionsreichen Kurort Bad Gleichenberg und dessen Vergangenheit als beliebtes Sommerfrische-Domizil für jüdische Gäste aufmerksam gemacht. Als ich begann, mich näher mit dem Thema auseinanderzusetzen und die Quellenlage prüfte, wurde mir schnell klar, dass der Inhalt der nun vorliegenden Abschlussarbeit meines Studiums gefunden war. Neben der Dokumentation der Auswirkungen der nationalsozialistischen Machtübernahme auf Bad Gleichenberg steht mit dem Fokus auf die jüdischen Kurgäste und der Beschäftigung mit deren Geschichte, deren Bräuche und der antisemitischen Ablehnung durch die Mehrheitsbevölkerung ein weiterer Aspekt im Mittelpunkt, mit dem ich mich in den letzten Semestern in verschiedenen Lehrveranstaltungen am „Centrum für Jüdische Studien“ intensiv beschäftigte.

Bedanken möchte ich mich bei Herrn Rudolf Grasmug, der mir in einem Gespräch den Impuls zum Thema meiner Diplomarbeit gegeben hat. Weitere wichtige Hilfestellungen bei der Recherche gaben mir Ria und Hermann Mang, die mich in ihrem Privatarchiv in Bad Gleichenberg betreuten, Gerald Lamprecht vom „Centrum für Jüdische Studien“ in Graz, Elisabeth Schöggl-Ernst vom „Steiermärkischen Landesarchiv“ und Susanne Uslu-Pauer vom „Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien“. Ein ganz besonderer Dank geht an meine Familie, die es mir ermöglicht hat, mein gewähltes Studium zu absolvieren, an Carolin und Kathi für das sorgfältige Lektorat des Textes und an Eduard Staudinger für die hervorragende Betreuung meiner Diplomarbeit!

Thomas Stoppacher Seite 3 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

1. Einleitung

Bad Gleichenberg war nicht nur ein Kurort, in den unter anderen auch Gäste mit jüdischem Glauben kamen. Über einen langen Zeitraum hinweg war weit mehr als die Hälfte der sommerlichen Kurbesucher Juden. Wie es dazu kam, wie sich mit dem Aufkommen dieses jüdischen Sommertourismus in Gleichenberg eine dementsprechende Infrastruktur entwickelte, und wie die Blütezeit dieses „vergessenen Kapitels Kurgeschichte“ 1938 abrupt beendet wurde, wird nun in dieser Diplomarbeit beschrieben. Das Ziel der Arbeit ist es, die Entwicklung des jüdischen Lebens in Gleichenberg in einer historischen Entwicklung von den Anfängen im 19. Jahrhundert über die letzten Jahre der Habsburgermonarchie und der Zwischenkriegszeit bis zum „Anschluss“ von Österreich an das „Deutsche Reich“ zu dokumentieren. Die folgende nationalsozialistische Herrschaft und der Zweite Weltkrieg waren zwar ein tiefer Einschnitt für den jüdischen Kurtourismus, da sie aber nicht das Ende bedeuteten und es nach 1945 durchaus wieder jüdische Gäste in Bad Gleichenberg gab, geht der Fokus der Diplomarbeit über diesen Zeitrahmen hinaus und beleuchtet die Entwicklungen bis in die Gegenwart. Neben dem Schwerpunkt der jüdischen Sommerfrische und deren Protagonisten in Gleichenberg wird mit einem Kapitel über das „Kulturleben“ und den darin vorgestellten Schriftstellern mit Bezug zum südoststeirischen Kurort auch der Einfluss meines Zweitstudiums Germanistik sicher gestellt. In der Arbeit wird demnach versucht, interdisziplinär vorzugehen und das titelgebende Thema von verschiedenen Seiten zu betrachten.

Der Stand der Forschung zum Thema Bad Gleichenberg besteht hauptsächlich aus Ortschroniken und Büchern über die Geschichte und Entwicklung des traditionsreichen Kurortes. Ria Mang und Anatol P. Fuksas sind mit ihren Werken in dieser Rubrik zu nennen. Zusätzlich existieren wissenschaftliche Arbeiten über spezielle Aspekte des Tourismus in der Region. Den expliziten Zugang zum Aspekt des jüdischen Lebens im Kurort wählten bis dato lediglich zwei Autoren. Rudolf Grasmug mit seinem Beitrag „‘Nur für arische Gäste!‘ Der Kurort Bad Gleichenberg als Beispiel für den Antisemitismus in der Südoststeiermark“ im Sammelband „Projekt Hainfeld“ und Franz Josef Schober mit dem Text „Antisemitismus,

Thomas Stoppacher Seite 4 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Zwangsarbeit und ‚Endlösung‘. Jüdisches Schicksal an der Grenze“ in seiner zweibändigen Dokumentation „Vom Leben an der Grenze“ .

Inhalt und Aufbau Zu Beginn steht ein historischer Abriss von den Ursprüngen und der Entstehung des Kurortes Bad Gleichenberg bis hin zu seiner Entwicklung im 21. Jahrhundert. In einem kurzen Unterkapitel dazu werden die heilenden Wirkungen der sich dort befindlichen Quellen vorgestellt. Im nächsten Kapitel liegt der Schwerpunkt auf der Tradition der jüdischen Sommerfrische. Sie wird in ihrer Entstehung und Etablierung im Kontext der Habsburgermonarchie vorgestellt. Neben der Darstellung eines Kurablaufs und des Alltagslebens im Feriendomizil sollen auch die sozialen Unterschiede, sowohl innerhalb der jüdischen Gäste als auch zwischen reichen Städtern und provinzieller Landbevölkerung, zur Geltung kommen, um die im 20. Jahrhundert explodierenden Probleme und den auch in den Sommerfrischen steigenden Antisemitismus „verstehen“ zu können. Im folgenden Hauptteil steht der südoststeirische Kurort Bad Gleichenberg im Mittelpunkt der Geschehnisse. Aufgeteilt in zeitlich-chronologische Abschnitte wird der Bogen vom Beginn des jüdischen Kurtourismus nach der Dezemberverfassung 1867 über die Jahrhundertwende und die letzten Jahre der Habsburgermonarchie, bis zur Zwischenkriegszeit und zum, für die jüdischen Gäste schicksalshaften, Jahr 1938 gespannt. Neben den Protagonisten aus der Infrastruktur in Gleichenberg und Begebenheiten, die sich vor Ort zugetragen haben, wird parallel dazu auch immer auf die allgemeine politische Lage und Entwicklung, zuerst in der Monarchie und dann in der Ersten Republik, eingegangen, um die Zusammenhänge und deren Auswirkungen auf das Leben der österreichischen jüdischen Bevölkerung und der Gleichenberger Kurgäste zu erfassen. Ein kurzes, aber umso interessanteres, Kapitel nimmt anschließend Bezug auf die Kulturgeschichte des Kurortes und verweist auf die Namen berühmter jüdischer Künstler, die in Bad Gleichenberg zu Besuch waren und teilweise bei Veranstaltungen im Kurort auftraten. Dann wird das israelitische Hospital als Exempel jüdischer Infrastruktur im Ort genauer vorgestellt. Dank seiner Geschichte, die von der Gründung im 19. Jahrhundert bis zur „Arisierung“ der Nationalsozialisten reicht und nach 1945 in einen langwierigen Gerichtsstreit über die Restitution an die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) mündet, verdient es einer genaueren Betrachtung. Nicht zuletzt war dafür auch die gute Quellenlage zu dieser sozialen Einrichtung im Archiv der Kultusgemeinde in Wien von Bedeutung.

Thomas Stoppacher Seite 5 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Das ausführliche siebente Kapitel steht schließlich unter dem Aspekt: Was blieb nach 1945? Neben den gut dokumentierten Rechtsstreitigkeiten, die exemplarisch für die Schwierigkeiten stehen, mit denen überlebende und zurückgekehrte österreichische Juden zu kämpfen hatten, wird dabei der noch immer existierende jüdische Friedhof in Trautmannsdorf unter die Lupe genommen. Außerdem wird anhand von Besucherstatistiken dargelegt, dass es auf Grund der in einigen Jahrzehnten überproportional vorhandenen israelischen Kurgäste, vielleicht doch so etwas wie eine Kontinuität des jüdischen Kurtourismus gab. Abschließend folgen eine Zusammenfassung und ein Resümee der herausgearbeiteten Inhalte, sowie ein Anhang mit der Auflistung aller verwendeten Quellen.

Quellen Archivquellen bilden ein wichtiges Grundgerüst dieser Arbeit. In jenem der „Israelitischen Kultusgemeinde“ in Wien fand ich umfangreiche Dokumente des „Vereins zur Erhaltung eines Israelitischen Hospitales“ in Gleichenberg, außerdem Mikrokopien aus dem Bestand in Jerusalem, die Auskünfte über Statuten und Alltagsleben im Hospital geben. Das „Steiermärkische Landesarchiv“ in Graz offenbarte mir in seinem großen Fundus eine Menge an Akten, die die systematische rechtliche Enteignung der jüdischen Infrastruktur nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten einerseits, und die langwierigen Rückstellungsverfahren nach 1945 andererseits dokumentieren. In den Arisierungs- und Rückstellungsakten, sowie den Dokumenten aus der Finanzlandesdirektion und der Vermögensverwaltung finden sich aber auch immer wieder Passagen, die Einblicke in das jüdische Alltagsleben in Gleichenberg vor 1938 geben. Das Privatarchiv des Ehepaars Mang in Bad Gleichenberg stand mir schließlich als dritte Recherchebasis zur Verfügung. Dort fand ich mit Unterstützung der beiden Gastgeber einige Quellen zur Situation der jüdischen Kurgäste in Gleichenberg, die sonst nie in mein Blickfeld gekommen wären und auch nirgends sonst zur Verfügung stehen. Zur Charakterisierung der Sammlung des ehemaligen Kurdirektors Wilhelm Rauch im Hause Mang sei an dieser Stelle ein Bericht der „Kleinen Zeitung“ vom August 2011 erwähnt, publiziert in der Serie „Helden des Alltags“ unter dem Titel „Die Hüter des Schatzes von Bad Gleichenberg“ : „Mit der Erbschaft eines historischen Archives über den Kurort Bad Gleichenberg und seine Umgebung haben Hermann und Ria Mang eine verantwortungsvolle Aufgabe übernommen. Der verstorbene Kurdirektor Wilhelm Rauch hatte ein umfangreiches, einzigartiges Archiv über Bad Gleichenberg aufgebaut und es nach seinem Tod seinem Freund und Mitarbeiter Hermann Mang zur Bewahrung vererbt. ‚Für uns ist es eine Verpflichtung, dieses kostbare

Thomas Stoppacher Seite 6 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Archiv zu bewahren, auszubauen, und für wissenschaftliche Arbeiten zu öffnen. Wir stellen für Dokumentationen und interessierte Personen Kopien zur Verfügung und gewähren auch Einblick in das Archiv‘, erklärt Ria Mang. Oft ist es mit viel Aufwand verbunden, unter den Tausenden Dokumenten und Fotos das Gewünschte zu finden. Die Weiterführung des Archives erfolgt durch tägliche Sortierungen und die Durchsicht von Publikationen, in denen etwas über Bad Gleichenberg steht. Alle diese Artikel werden von Hermann Mang ausgeschnitten und in das Archiv eingeordnet. Durch intensive Archivstudien entstehen auch eigene Bücher und Dokumentationen über Gleichenberg. Und ein Teil des Archives wurde auch schon digitalisiert.“ 1

Das Spektrum der verwendeten und im Anhang aufgelisteten Literaturquellen geht von den schon erwähnten Texten von Grasmug und Schober aus und wird erweitert durch diverse Bücher über den Kurort Bad Gleichenberg, sei es aus politisch-historischer oder touristisch- wirtschaftlicher Perspektive, weiteren regionalhistorischen Werken über alte Reiseführer aus dem 19. Jahrhundert und vereinzelte lebensgeschichtliche Erinnerungen bis zu Standardwerken über das jüdische Leben in Österreich bzw. der Steiermark sowie die Tradition der Sommerfrische im Allgemeinen. Ergänzend notwendig sind außerdem Werke zur Erläuterung der rechtlichen Hintergründe zu „Arisierung“ und Rückstellungsverfahren. Neben Archiv- und Literaturquellen sind Zeitungsberichte der letzte wichtige Baustein zu dieser Arbeit. Die, wie alle anderen Quellen im Anhang angeführten, ausgewählten Artikel kommen dabei sowohl aus der regionalen Tages- und Wochenpresse, zum Beispiel aus den „Gleichenberger Nachrichten“ und der „Kleinen Zeitung“ , aber auch aus speziellen jüdischen Medien. Hierfür sei als Beispiel die in der Zwischenkriegszeit publizierte Zeitschrift „Die Wahrheit“ genannt.

An dieser Stelle sei noch darauf hingewiesen, dass in der Diplomarbeit alle männlichen Pluralformen auch die weiblichen (sofern inhaltlich hervorgehend) implizieren. Dies ist in keinster Weise diskriminierend zu verstehen, sondern dient allein dem besseren Textfluss.

1 „Die Hüter des Schatzes von Bad Gleichenberg“. Online im Internet: http://www.kleinezeitung.at/steiermark/feldbach/bad_gleichenberg/2812717/hueter-des-schatzes-bad- gleichenberg.story . Thomas Stoppacher Seite 7 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

2. Geschichte des Kurortes Bad Gleichenberg

2.1. Von der Gründung bis zur Gegenwart

Anfänge, 19. Jahrhundert, Erster Weltkrieg Spuren menschlichen Lebens reichen in Bad Gleichenberg bis in die Jungsteinzeit zurück. Vor rund 5.000 Jahren gab es eine erste kleine Ansiedlung. Kurz vor Christi Geburt kam das Gebiet des heutigen Kurortes unter die Herrschaft des römischen Reiches. 1845 wurde der Römerbrunnen entdeckt, in dessen Brunnenschacht man römische Münzen aus den Jahren 14- 284 n. Chr. fand. 2 Demnach haben die Römer die Mineralquellen schon im ersten nachchristlichen Jahrhundert zugänglich gemacht. Es ist zu vermuten, dass die Quellen auch im Mittelalter bekannt waren und genutzt wurden. 3 Indiz dafür ist der im 12. Jahrhundert von bayrischen Siedlern auf dem heutigen Gemeindegebiet von Bad Gleichenberg gegründete Ort Sulz, dessen Name auf Quellen, die als Säuerlinge bekannt sind, hinweist. 4 Die Nutzung des Heilwassers blieb dennoch über Jahrhunderte den Bauern der Umgebung überlassen, das ohnehin schwach besiedelte Gebiet um Gleichenberg wurde von den Feldzügen der Hunnen, Awaren und in späterer Zeit von türkischen Heerscharen verwüstet. 5 Zwar gab es schon im 17. und 18. Jahrhundert vereinzelte Bemühungen, mit dem bekannten heilkräftigen Gleichenberger Wasser Handel zu treiben, die Erfolgsgeschichte des ältesten steirischen Heilbades beginnt allerdings erst im Jahre 1833. Reichsgraf Matthias Constantin Capello von Wickenburg, damals Gouverneur der Steiermark, wurde, nach mehreren Analysen des Wassers in den Jahren davor, vom Grazer Arzt Dr. Ignaz Werle auf die Gleichenberger Quellen aufmerksam gemacht. Im Jahr darauf, am 10. Mai 1834, gründete er den „Gleichenberger und Johannisbrunnen Aktienverein“. Dieser machte es sich zur Aufgabe, genügend Quellen und Grundstücke zu erwerben um eine Infrastruktur für ein Heilbad zu errichten. 6 Bis zu diesem Zeitpunkt war das unbewohnte und sumpfige Heilquellengebiet eine wirtschaftlich arme Gegend. 7 Im Protokoll der konstituierenden Versammlung in Graz wurde

2 Vgl. Mang, Ria: …und diesen Erdenwinkel lieb‘ ich. (Peter Rosegger). Graz 2007, S. 15. [In der Folge zitiert als Mang/Erdenwinkel] 3 Vgl. Mang/Erdenwinkel, S. 19. 4 Vgl. Schleich, Johann: Heilende Wasser. Heilbründl, Heilquellen und Thermen in der Oststeiermark. Graz 1997, S. 63. 5 Vgl. Mang, Ria: Bad Gleichenberg, kurzgefasste Abhandlung über das Heilbad (nicht veröffentlicht). Bad Gleichenberg 2010. 6 Vgl. Hausmann, Robert F.: Erlebnis Thermenland. Gesundheit, Kultur, Freizeit. Graz 2000, S. 27-28. 7 Vgl. Putz, Edeltraud: Bad Gleichenberg. Soziokulturelle Entwicklung von den Anfängen bis 1945. Diplomarbeit. Graz 2005, S. 5. Thomas Stoppacher Seite 8 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte der erklärte Zweck des Vereines folgendermaßen definiert: „Die Mineralquellen des Johannesbrunnen zu erkaufen; die gemachten Erfahrungen über ihre Heilkräfte allgemein kund zu machen; dadurch den Absatz dieser Mineralwässer zu fördern und in der Gegend dieses Brunnens die nötigen Realitäten zu erbauen; um Kur und Badegästen den Aufenthalt daselbst möglich und bequem zu machen.“ 8 Mit dem Erlös aus den 1.000 aufgelegten Aktien, - jede einzelne hatte einen Nennwert von 100 Euro - wurden Vorarbeiten und Planungen zur Errichtung des Kurbetriebs und eines Mineralwasserversandes aufgenommen. Das Gelände erstreckte sich über rund 20 Hektar großteils versumpfter landwirtschaftlicher Fläche. Diese musste entwässert werden, um die Landschaft in einen Kurpark umzuwandeln. Die Planung und Realisierung des Parks oblag der Leitung von Wickenburgs Gattin Emma. Während der nächsten Jahre, in denen Gleichenberg eine Großbaustelle war, besuchten Wissenschaftler, Mediziner und Chemiker den Ort und führten Studien über die Heilwirkung der Quellen durch. Publikationen darüber machten den neuen Kurort schnell bekannt, innerhalb weniger Jahre wurde es zu einem beliebten Erholungsort für die Grazer Stadtbewohner. In der ersten Kursaison 1837 kamen 118 Gäste. In den folgenden Jahren erschienen Büchlein über Gleichenberg in Wien, sowie Ungarn, Italien, Frankreich und Italien. Die Anzahl der Gäste stieg rapide an 9. In rascher Folge entstanden, oft nach Plänen namhafter Architekten, Villen, Pensionen, Hotels und weitere für die Infrastruktur wichtige Gebäude. Zehn Jahre nach der Gründung des Heilbades standen den Gästen in Gleichenberg 200 Zimmer zur Verfügung. 10 In der Mitte des 19. Jahrhunderts war Gleichenberg zusammen mit Baden bei Wien bereits der renommierteste Mineralquellen-Kurort in Österreich mit einem großen Einzugsgebiet aus dem Süden und Osten der Monarchie. 11

Die zweite große Bauperiode im Kurort fand in den 1870er Jahren statt. Damit war der ältere Häuserbestand in Gleichenberg im Wesentlichen erbaut, viele der Villen sind heute noch Teil Ortsbildes. 12 Das schnelle Wachsen des Kurortes bestätigen Zahlen über die ständigen Einwohner: 1843 gab es derer ganze Drei, 1860 schon 211. 13 Brunnenarzt Dr. Clar beschreibt die besondere Lage des Kurortes: „Merkwürdigerweise zeigen nur wenige Curorte das in Gleichenberg durchgeführte Prinzip der Anlage zerstreuter Villen in einem großen

8 Mang/Erdenwinkel, S. 20. 9 Vgl. Hausmann, S. 27-29. 10 Vgl. Hausmann, S. 31. 11 Vgl. List, Eveline: Mutterliebe und Geburtenkontrolle – Zwischen Psychoanalyse und Sozialismus. Die Geschichte der Margarethe Hilferding-Hönigsberg. Wien 2006, S. 53. 12 Vgl. Riegler, Josef: Bad Gleichenberg – ein historischer Überblick. In: Fremdenverkehrsverein Bad Gleichenberg (Hg.): Bad Gleichenberg. Ein Führer für Kurgäste. Weiz 1984, S. 43. 13 Vgl. Fuksas, Anatol P.: Bad Gleichenberg. Geschichte eines steirischen Heilbades. Graz 1979, S. 44. [In der Folge zitiert als Fuksas/Geschichte] Thomas Stoppacher Seite 9 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte gemeinschaftlichen Parke, freilich ist auch nicht überall das Terrain einer solchen Anlage so günstig wie hier. Das sanfte Wellenland, welches sich dem sonnigen Südabhange des Gleichenberger Kogels anschließt, bietet ja in seinem anmutigen Wechsel von Wiese und Wald schon an und für sich eine natürliche Parkanlage, welche nur der verschönernden Nachhilfe der Kunst bedurfte, um in ihrer Eigenart vollendet zu sein. Das Areal, die Verpönung jeder straßenartigen Häuseranlage, die für Neubauten einzuhaltende Minimaldistanz von zwanzig Metern gegenüber den bestehenden Gebäuden, sind lauter Maßnahmen, welche von Anbeginn festgehalten wurden, und auch unseren modernen Anschauungen vollkommen entsprechen.“ 14 Einige dieser Gebäude stehen in weiterer Folge im Mittelpunkt der jüdischen Geschichte von Bad Gleichenberg. Das Kurzentrum und dessen technische Einrichtungen wurden ständig modernisiert. In den 1870er Jahren kamen ein Kaltbad und die erste pneumatische Kammer dazu. Außerdem wurde mit der Zerstäubung von Quellsole zu Inhalationszwecken begonnen. 15 Der langjährige Brunnenarzt Clar erwarb sich große Verdienste bei der Einführung dieser Innovationen in Gleichenberg und bei der baulichen Verbesserung der Kuranstalt.16 Schon 1834 hatte man begonnen, neben dem Kurbetrieb vor Ort, das Heilwasser für den Versand abzufüllen. Im ersten Jahr des Bestehens setzte der Aktienverein rund 100.000 Tonkrüge ab. Die Qualität des Gleichenberger Wassers war bald international bekannt und wurde 1878 in Paris, sowie 1883 in Amsterdam mit Goldmedaillen prämiert. 17 Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden auch die Gleichenberger Pastillen erzeugt. 18

Graf Matthias Wickenburg weilte trotz seiner Aufgaben als Gouverneur der Steiermark und Präsident der Wiener Stadterweiterungskommission, er erhielt in der Hauptstadt sogar die Ehrenbürgerschaft, oft in Gleichenberg. Nach seinem Tod 1880 errichteten ihm die dankbaren Bewohner sieben Jahre später ein Denkmal im Kurpark, welches noch heute steht und an den Gründer des Kurbetriebs im Ort erinnert. 19 Mit dem Wachsen des Kurortes kam es zu wichtigen Änderungen in der Verwaltung: Zum Ersten wurde 1875 der Sitz des Aktienvereines von Graz nach Bad Gleichenberg verlegt, die praktische Durchführung vieler Aufgaben war bis dahin der vor Ort ansässigen

14 Clar, Conrad: Der Curort Gleichenberg in Steiermark. Eine Skizze zur Orientirung für Curgäste. Wien 1886, S. 4-5. 15 Vgl. Mang/Erdenwinkel, S. 21. 16 Vgl. Riegler, S. 37-39. 17 Vgl. Hausmann, S. 29-30. 18 Vgl. Schleich, S. 64. 19 Vgl. Mang/Erdenwinkel, S. 66-67. Thomas Stoppacher Seite 10 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Brunnendirektion übertragen worden. 20 Zum Zweiten wurde das Dorf Gleichenberg, welches in unmittelbarer Nähe des Kurortes lag und Zentrum der gleichnamigen Gemeinde war, ebenfalls 1875 auf Beschluss der Landesregierung vom Kurort getrennt. Die neue selbstständige Gemeinde „Curort Gleichenberg“ bekam eine eigene kommunale Infrastruktur, auch verschiedene Handwerksbetriebe, die in den Beherbergungsbetrieben Arbeit fanden, ließen sich in der Ortschaft nieder. 21 Die Trennung in zwei Gemeinden sollte sich für das gesellschaftliche Klima nicht unbedingt positiv auswirken: „Die Beziehungen der beiden Orte waren einseitig: Die bäuerliche Bevölkerung suchte Arbeit im Kurort, aus dem Kurort aber besuchte kaum jemand das Dorf.“ 22 Auf Konflikte dieser Art, unter denen auch die jüdischen Kurgäste zu leiden hatten, wird im vierten Kapitel Bezug genommen.

In der Kursaison 1883 besuchte Kaiser Franz Joseph I. am 9. Juli den Kurort. Im Zuge dieser Reise passierte er Feldbach und erhob die jetzige Bezirkshauptstadt erstmals in den Status einer Stadt. Ein Jahr darauf erreichte die Gästezahl mit 4.920 einen neuen Höchstwert, 894 davon kamen aus dem Ausland. 23 Der Besuch vom serbischen König Milan I., der 1883 als Gast von Franz Joseph in Gleichenberg weilte, ließ die Besucherfrequenz serbischer, kroatischer und slowenischer Kurgäste von Jahr zu Jahr steigen. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs machten diese zusammen einen Anteil von nahezu 30 Prozent aller Kurgäste aus. 24 Die Anreisezeiten mit der Eisenbahn von den wichtigsten Städten der Monarchie, aus denen Kurgäste kamen, waren für die damalige Zeit in einem erträglichen Rahmen. Von Graz brauchte man drei Stunden nach Gleichenberg, Wien (zehn Stunden) Budapest (dreizehn Stunden) und Triest (zwölf Stunden) lagen eine Tagesreise entfernt. 25 Vor allem im 19. Jahrhundert kam eine große Menge an fürstlichen, hochgeistlichen und hochadligen Persönlichkeiten zur Kur nach Gleichenberg. Neben dem schon erwähnten Kaiser Franz Joseph und dem serbischen König Milan waren bekannte Adelsfamilien aus Österreich, Ungarn, Russland und Polen darunter. 26 Unter diesen Gästen, die meist mit großem Gefolge anreisten, waren bekannte Familien wie jene von Karl Fürst Liechtenstein oder Emmerich

20 Vgl. Kernbichler, Thomas: Der Fremdenverkehr in Bad Gleichenberg. Diplomarbeit. Graz 1990, S. 100. 21 Vgl. Hausmann, S. 34-35. 22 List, S. 53. 23 Vgl. Grasmug, Rudolf: „Nur für arische Gäste!“ Der Kurort Bad Gleichenberg als Beispiel für den Antisemitismus in der Südoststeiermark. In: Dornig, Wolfram / Grasmug, Rudolf / Wiesflecker, Peter (Hg.): Projekt Hainfeld – Beiträge zur Geschichte von Schloss Hainfeld, der Familie Hammer-Purgstall und der gesellschaftspolitischen Situation der Südoststeiermark im 19. und 20. Jahrhundert. Innsbruck 2010, S. 158. 24 Vgl. Rauch, Wilhelm: 150 Jahre Apotheke Bad Gleichenberg (nicht veröffentlicht). Bad Gleichenberg 1993, S. 1. [In der Folge zitiert als Rauch/Apotheke] 25 Vgl. Clar, S. 1-2. 26 Vgl. Mang, Ria: Gleichenbergs berühmte Gäste und Besucher (nicht veröffentlicht). Bad Gleichenberg 2010. Thomas Stoppacher Seite 11 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Prinz von Thurn und Taxis. Zweiterer heiratete die Tochter des Grafen Wickenburg und errichtete sich im Ort eine Bleibe. 27 Nahezu bei allem, das in den Gleichenberger Kurbetrieben geschah, hatte der von Wickenburg gegründete „Gleichenberger und Johannisbrunnen-Aktien-Verein“ seine Finger im Spiel. Um 1900 war er Eigentümer sämtlicher Quellen, aller Kurmittel, des Kurhauses, des Kurtheaters und 34 anderer Objekte. Drei Viertel der den Kurzwecken dienenden Realitäten gehörten dem Aktienverein und der Familie Wickenburg. 28 Die Aktiengesellschaft erhob jede Saison eine Kurtaxe, über dessen Verwendungszweck ein „Curcomite“ selbst verfügte. Die Mitglieder dieses Komitees wiederum ernannte der Vorsitzende der Aktiengesellschaft. Diese Tatsache - die Aktiengesellschaft nahm oftmals keine Rücksicht auf die Wünsche der Fremdenverkehrsbetriebe - führte ab der Ägide von Max Graf von Wickenburg einige Male zu Unstimmigkeiten im Kurort. Unter Kurgründer Matthias und dessen Sohn Ottokar waren wesentliche Unruhen noch ausgeblieben. 29 Auch diese Zwistigkeiten werden im Zusammenhang mit dem jüdischen Leben später genauer beleuchtet. In den letzten Jahren der Monarchie, vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, hatte der Kurort internationale Bedeutung erlangt. Herauszulesen ist dies unter anderem aus einem vom Aktienverein 1910 herausgegebenen Reiseführer: Die Anreisezeiten nach Gleichenberg werden darin von weit entfernten Städten wie Berlin, Bukarest, London, Moskau, Odessa, Paris, Riga (über 53 Stunden Fahrzeit mit der Bahn ohne Unterbrechungen), St. Petersburg und Sarajevo angegeben. 30

Der Ausbruch des Weltkriegs brachte für Gleichenberg eine brenzlige Situation: Am 28. Juni 1914, dem Tag des Attentats von Sarajevo, weilte der Woiwode General Radomir Putnik im Kurort, seines Zeichens zu diesem Zeitpunkt der Chef des serbischen Generalstabs. Obwohl er einige Drohbriefe erhielt und etliche Kurgäste die Verhaftung des Gastes forderten, blieb Putnik in Begleitung seiner Tochter bis zum 26. Juli in Gleichenberg, die Möglichkeit zu Gesprächen mit einem wichtigen Vertreter Serbiens ließen die Verantwortlichen der k. u. k. Monarchie allerdings verstreichen. Putnik bekam bei seiner Abreise sogar Sicherheitsbeamte an die Seite gestellt. 31 Nach dem ersten Weltkrieg kam es in der Leitung des Kurortes zu

27 Vgl. Hütter, Karl: Quellen und ihre Heilkräfte. Das Wasser und seine religiös-medizinische Bedeutung für die Menschen am Beispiel Maria Fieberbründl und Bad Gleichenberg. Diplomarbeit. Graz 2000, S. 102. 28 Vgl. Grasmug, S. 137. 29 Vgl. Fuksas, Anatol P.: Bad Gleichenberg. Skizzen der Zeit. Graz 1988, S. 158-159. [In der Folge zitiert als Fuksas/Skizzen] 30 Vgl. Gleichenberger und Johannisbrunnen-Aktien-Verein (Hg.): Kurort Gleichenberg. Steiermark. 1910, S. 10-11. [In der Folge zitiert als Kurort] 31 Vgl. Fuksas/Skizzen, S. 161-170. Thomas Stoppacher Seite 12 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte einem Wechsel: „An der Spitze der Aktiengesellschaft vollzog sich eine Wachablöse. Dr. Max von Wickenburg, der dritte in der Reihe der Präsidenten, ist 1918 verstorben. Er war der Enkel des Kurortgründers. Das Aktienpaket ging auf dem Erbwege auf seine Tochter Sophie Gräfin Brusselle-Schaubeck geb. Gräfin Wickenburg über. Die kränkliche Dame übertrug die Leitung der Gesellschaft ihrem Gatten Alfred Graf Brusselle-Schaubeck, er wurde, wie es damals nach österreichischem Gesetz hieß, Präsident der Gesellschaft.“ 32

Erste Republik, Zweiter Weltkrieg In der nun folgenden Periode der Zwischenkriegszeit erfuhr der Kurtourismus in Gleichenberg einen weiteren enormen Aufschwung. Vor allem in die Anreise-Infrastruktur wurde investiert: Anfangs erfolgte diese noch mit Pferdekutschen. Nachdem die Eisenbahn Graz-Feldbach--Budapest 1873 eröffnet wurde, musste man nur mehr das letzte Stück der Reise von Feldbach aus mit dem Fiaker bewältigen. Ab 1920 gab es nun einen Omnibusverkehr zwischen Gleichenberg und Feldbach, ab 1920 sogar einen Linienbus von Graz. 33 Und 1931 wurde nach langen Diskussionen schließlich die über 22 Kilometer lange Bahnstrecke Feldbach-Gnas-Bad Gleichenberg in Betrieb genommen. Zu spät, wie sich herausstellte, denn sie wurde von Anfang an zu einem Misserfolg. Anstelle der 40-minütigen Bahnfahrt über eine kurvige und von vielen Steigungen geprägte Strecke war es von kürzerer Dauer und gemütlicher mit Omnibus oder PKW anzureisen. 34 1926 wurde dem Kurort das Prädikat ‚Bad‘ verliehen, um der Bedeutung der Heilstätte weit über die Landesgrenzen hinaus gerecht zu werden. 35 Die jährliche Besucherzahl war mittlerweile kontinuierlich weitergestiegen, 1930 zählte man 7.235 Gäste in Bad Gleichenberg. 36 Um für diese Masse an Leuten auch Betten zur Verfügung stellen zu können, waren Zu- oder Neubauten von Unterkünften immer wieder notwendig. Wesentliche Veränderungen brachte beispielsweise das Jahr 1929, in dem das „Grazerhaus“ um zwei Stockwerke zum „Grazerhof“ ausgebaut wurde, außerdem ein neues Kaffeehaus am Kurplatz und ein neu erbautes Kurhotel errichtet wurden. 37 1934 wurde in Bad Gleichenberg die 100-Jahr-Feier zelebriert und Bundespräsident Wilhelm Miklas besuchte das Heilbad. 38 Bei einem, zu diesem Anlass stattfindenden, Ärztekongress, veranstaltet von der „Gesellschaft für innere Medizin“ aus Wien und dem

32 Fuksas/Skizzen, S. 197. 33 Vgl. Hausmann, S. 31. 34 Vgl. Fuksas/Skizzen, S. 194-196. 35 Vgl. Hausmann, S. 35. 36 Vgl. Ensbrunner, Georg: Geschichtliches über Bad Gleichenberg und dessen Umgebung. 1934, S. 11. 37 Vgl. Ensbrunner, S. 18. 38 Vgl. Putz, S. 176. Thomas Stoppacher Seite 13 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

„Verein der Ärzte Steiermarks“, nahmen 300 teils prominente Vertreter aus Österreich, aber auch aus Budapest und Zagreb, teil. 39

Der Zweite Weltkrieg traf den Gleichenberger Kurort in vollem Ausmaß. Da er auch das Ende der Blüte des „jüdischen Bad Gleichenberg“ bedeutete, werden im Folgenden die Ereignisse dieser Zeit etwas genauer umrissen: Die Aktiengesellschaft blieb bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten ein Familienbetrieb. Nach 1938 verkaufte das Ehepaar Brusselle das komplette Aktienpaket im Alleingang an Dr. Lutz Rosenkranz, einen hochrangigen Nationalsozialisten aus Wien. Diese Lösung war der Familie Brusselle noch lieber als den Besitz dem Gau einzuverleiben, wie es von den steirischen NSDAP-Funktionären gewünscht wurde. Die neuen Männer an der Spitze der Aktiengesellschaft brachten diese durch Unerfahrenheit und Misswirtschaft in eine prekäre Lage, die Zahlungsverpflichtungen konnten nur durch den Verkauf von Liegenschaften eingehalten werden. Diese eilig durchgeführten Verkäufe führten nach 1945 zu langwierigen Rückstellungsprozessen. 40 Zwei der zum Verkauf angebotenen Häuser waren die „Villa Ottokar“ und das „Hotel Venedig II“. Schon im Juli 1938 gab es dafür Interessenten. Die Vermögensverkehrsstelle erlaubte einen Verkauf, wenn es sich dabei nicht um jüdischen Besitz handelte und der Käufer kein Jude, Mischling oder eine politisch belastete Person war.41 Die Gebäude des Kurortes selbst dienten im Zweiten Weltkrieg als Lazarett für deutsche Soldaten. Peter Maier, einer von diesen, war in der Lazarettstation der „Villa Albrecht“ untergebracht und berichtet über die Infrastruktur in Bad Gleichenberg: „Im Kurhotel befand sich ein gut eingerichteter Operationssaal. Im Kurhaus befanden sich die notwendigen Sanitäts- und Hygieneartikel für das gesamte Lazarett. Seife und große Bestände an Kerzen als Notbeleuchtung waren eingelagert. Weitere Stationen befanden sich in den Villen Vereinshaus, Max, Possenhofen, Plankenstein, Rosenhof, Triestina, Grazerhof, Venedig und in der Schweizerei. Im Charlottenhof befand sich ein Gerätedepot und im Hotel Mailand ein gut sortiertes Lebensmittellager […]. Wir Verwundeten und Kranken konnten dort wirklich Genesung finden. Die Verpflegung war gut und ausreichend. Sämtliche Quartiere und Wäsche waren peinlichst sauber.“ 42 Geleitet wurde das Lazarett vom örtlichen Kur- und Distriktsarzt Dr. Franz Blumauer, der zum Oberstabsarzt-Chef ernannt wurde. Die benutzten

39 Vgl. Rauch, Wilhelm K.: Bad Gleichenberg und seine Ärzte 1772-1992. Weiz 1993, S. 30-31. [In der Folge zitiert als Rauch/Ärzte] 40 Vgl. Fuksas/Skizzen, S. 202-207. 41 Vgl. Arisierungsakten: LG 2130 (Gleichenberger Johannisbrunnen). 42 Praßl, Johann: Teil II. In: Grasmug, Rudolf / Praßl, Johann / Schober, Franz Josef: So war es 1938 – 1945. 50 Jahre Kriegsende in der Südoststeiermark (= Schriften aus dem „Museum im Tabor“ Feldbach, Band 3). Feldbach 1996, S. 193. [In der Folge zitiert als Praßl/Kriegsende/III] Thomas Stoppacher Seite 14 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Hotels wurden auf den Dächern mit aufgemalten roten Kreuzen gekennzeichnet. 43 Als die russischen Truppen näher kamen, wurden ab dem 26. März die verbliebenen 1.000 Verwundeten aus den Bad Gleichenberger Hotels evakuiert. 44 In den letzten Kriegsmonaten kam es schließlich auch im Kurort zu Kampfhandlungen. Mehrere Gebäude, darunter auch das etwas außerhalb liegende Schloss Gleichenberg, wurden zerstört. 45 Am 31. März 1945, dem Karsamstag, rollte der sowjetische Vormarsch von Ungarn kommend mit 200 Panzern über die Weinberge von Kalch über Neustift und Bairisch Kölldorf nach Bad Gleichenberg. Nach einem etwa einstündigen Gefecht musste sich der „Volkssturm“ gegen die Übermacht geschlagen geben, der Kurort war besetzt. 46 Der damals 16 Jahre junge Soldat Anton Repp, der ebenfalls im Lazarett stationiert war, berichtet über die Ereignisse dieser Tage im Kurort: „Gegen Mitte April 1945 wurde ich mit einem Wehrmachtswagen in meinen Heimatort Gleichenberg gebracht, da dieser Kurort damals zum Lazarett umfunktioniert war. Dort wurde ich im Feldlazarett ‚Marienburg‘ untergebracht. Dieses Hotel war wie viele andere am Dach mit einem aufgemalten roten Kreuz gekennzeichnet. Die Gesamtleitung hatte Dr. Blumauer inne. Wir hatten dort ausreichend gutes Essen. Unsere Quartiere und Wäsche waren ständig peinlichst sauber, somit konnten wir wirklich Genesung finden. Ab dem Zeitpunkt, als es uns Verwundeten wieder besser ging, wurden wir mit Wehrmachtsfahrzeugen zu den nahegelegenen Trautmannsdorfer Sumpfwiesen gebracht, um dort Seegräser zu schneiden. Diese wurden notwendig für Matratzenfüllungen gebraucht. Ich blieb allerdings auf Grund meines gesundheitlichen Zustands davon verschont. Am Karsamstag, dem 31.4.1945, erlebte ich eine weitere negative Überraschung, als die ersten Russen über Bairisch Kölldorf in Richtung Gleichenberg vorrückten. Bereits am Vormittag hatten viele Reservelazarette ihre Pforten geschlossen und die Häuser geräumt. Sie wurden meist nach Graz in das Barmherzigenspital verlegt. Nur die Schwerverwundeten wurden abtransportiert, die anderen mußten sich selbst weiterhelfen. Ich wurde von meiner Nachbarin [...] mit einem Kuhfuhrwerk nach Hause gebracht [...] Jeder von uns bekam eine Schachtel Verbandsmaterial und einen warmen Händedruck mit nach Hause. Gegen 18.00 Uhr desselben Tages rasselten bereits die ersten Panzer der Roten Armee gegen Gleichenberg. Der Widerstand der deutschen Volkssturmabteilung verzögerte zwar den

43 Vgl. Mang, Ria: Gleichenberger Schicksalstage. Spuren des Krieges in Bad Gleichenberg. Graz 2009, S. 131. [In der Folge zitiert als Mang/Schicksalstage] 44 Vgl. Grasmug, Rudolf: Zur Einstimmung. In: Karrer, Othmar / Praßl, Johann: 50 Jahre Kriegsende in der Südoststeiermark. 1945-1995 (= Schriften aus dem „Museum im Tabor“ Feldbach, Band 2). Feldbach 1995, S. III. 45 Vgl. Hausmann, S. 33. 46 Vgl. Karner, Stefan: Die Steiermark im „Dritten Reich“ 1938-1945. Unter besonderer Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Graz 1986, S. 407. Thomas Stoppacher Seite 15 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Einmarsch ein wenig, da auch HJ dazu eingesetzt wurde, dennoch trafen erste Schüsse bald die in der Abendsonne glänzende Fenster-Rosette der Gleichenberger Kirche. Bald darauf brannte es rings um Gleichenberg lichterloh. Das gesamte Untertal leuchtete im Feuerschein. Sogenannte Stalin-Orgeln schossen pausenlos über das Tal in Richtung Waldbach und Trautmannsdorf, wo die deutsche Stellung lag. Später wurde das Schloss Gleichenberg samt dem Meierhof durch einen Angriff von den Deutschen eingenommen.“ 47 Schon bald nach Ostern wurden in der südöstlichen Steiermark wichtige Orte, wie auch Bad Gleichenberg, für einige Zeit von den deutschen Truppen der 6. Armee wieder zurückerobert. 48 Doch das Ende nahte: Dies geht aus den Tagebuchaufzeichnungen von Rittmeister Franz-Rudolf Zilm, Rittmeister der 3. Kavalleriedivision II. Abt. des Reiterregiments 32 der Deutschen Wehrmacht hervor, der über die Kämpfe in der Südoststeiermark in den letzten Kriegsmonaten berichtet: „6./7.4.1945 […] Um Bad Gleichenberg wird heftig gekämpft. Dort ist die 14. SS-Division, die aus Ukrainern besteht, eingesetzt. Diese Division sollte wegen mangelnder Zuverlässigkeit vor drei Tagen noch entwaffnet werden! In Gleichenberg kämpften die Ukrainer tapfer und haben schwere Verluste […]. 10. April: Wir müssen bei Bad Gleichenberg im Abschnitt der Ukrainer einen Angriff gegen eingebrochene Russen führen. Es geht wüst bergauf und bergab und es knallt von allen Seiten. Die schweren Waffen können nicht unterstützen. Mehrere Stunden wird heftig um den kleinen Bahnhof Trautmannsdorf gekämpft. In der Nähe ist die Burg – Schloß Gleichenberg. Sie wird schwer beschossen und zerstört.“ 49 Im Mai 1945 war das Gemeindegebiet von Bad Gleichenberg unmittelbares Kriegskampfgebiet, insgesamt gab es im Kurort zwischen 1939 und 1945 219 Gefallene und 37 zivile Opfer. Dazu kommen noch 144 Gefallene und 41 zivile Opfer aus dem Nachbarort Trautmannsdorf, in dem bei schweren Kämpfen 1945 das Schloss Gleichenberg zur Ruine wurde. 50 Die dramatischen Auswirkungen, die der „Anschluss“ an das Deutsche Reich und die Folgen der Kriegshandlungen für die jüdischen Hoteliers und Kurgäste hatte, werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit ein Hauptthema sein.

Von 1945 bis ins 21. Jahrhundert Nach Kriegsende gab es schon 1945 wieder eine kurze Kursaison, allerdings kamen nur 500 Gäste, die mit argen Verkehrsschwierigkeiten und zahllosen Unbequemlichkeiten in den

47 Praßl, Johann: Teil I. In: Karrer, Othmar / Praßl, Johann: 50 Jahre Kriegsende in der Südoststeiermark. 1945- 1995 (= Schriften aus dem „Museum im Tabor“ Feldbach, Band 2). Feldbach 1995, S. 56-57. 48 Vgl. Karner, S. 413-414. 49 Praßl/Kriegsende/III, S. 183-184. 50 Vgl. Karner, S. 577. Thomas Stoppacher Seite 16 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Unterkünften vorlieb nehmen mussten. 51 Doch Bad Gleichenberg erholte sich schnell: Schon ab 1950 überschritten die Besucherzahlen wieder die Vorkriegsfrequenzen, 1954 kamen erstmals über 10.000 Gäste in den Kurort. 52 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in einem umfangreichen Sanierungsprogamm alle Behandlungsabteilungen unter einem Dach zusammengefasst. Das Thermal- und Hallenbad öffnete seine Pforten 1974. 53 Der Werbeslogan für das wiedererstandene Bad Gleichenberg lautete „Große Tradition in neuem Glanz“. 54 Unter Organisation und Leitung von Dr. Blumauer fanden im Kurort in regelmäßigen Abständen wieder wichtige Ärztetagungen statt. 55 1968 gab es auf der Verwaltungsebene eine Änderung: Die Gemeinden Gleichenberg-Dorf und der Kurort wurden wieder zu einer Einheit zusammengefasst.56

Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts kam es in der Steiermark vermehrt zu Entdeckungen hochmineralisierter Heißwasserquellen, woraufhin in der Region in der Folge einige neue Thermen entstanden. Im Jahre 1994 schloss sich Bad Gleichenberg mit , Loipersdorf, Blumau und Bad Waltersdorf zum „Steirischen Thermenland“ zusammen, um gemeinsam unter Wahrung der jeweiligen Individualität für sich zu werben. 57 Nachdem das gräfliche Eigentum an Aktien der Gleichenberger und Johannisbrunnen Aktiengesellschaft über die Jahrzehnte einige Male die Besitzer gewechselt hatte, kam es in den 1990er-Jahren zu einem freiwilligen Verkauf der Aktienmehrheit durch die Familie Brusselle. 58 Im Jahr 1998 erwarb das Land Steiermark die Mehrheitsanteile an der Gleichenberger und Johannisbrunnen AG. Ein Jahr darauf begann die groß angelegte Neugestaltung der Therme. Neben einer Schaffung eines neuen 4-Sterne Hotels wurden Therapieeinrichtungen modernisiert und der Kurpark saniert. Im Jahr 2000 standen im Kurort insgesamt 2.000 Betten zur Verfügung, durchschnittlich 20.000 Gäste kamen pro Jahr. Neben den traditionellen Kurmitteln wird mittlerweile auch ein breit angelegtes Freizeitprogramm mit Golf, Tennis und dem Abenteuerland „Styrassic-Park“ angeboten. Außerdem gibt es ein eigenes Tagungszentrum für den Kongress- und Bildungstourismus. 59 Im September 2004 wurden die verbleibenden Aktien der Familie Wickenburg-Brusselle abgetrennt, dadurch entstanden zwei Organisationen: Die „Gleichenberger Therapie- und Thermengesellschaft“

51 Vgl. Fuksas/Geschichte, S. 47. 52 Vgl. Fuksas/Geschichte, S. 162. 53 Vgl. Mang/Erdenwinkel, S. 21. 54 Vgl. Putz, S. 332. 55 Vgl. Rauch/Ärzte, S. 36. 56 Vgl. Hausmann, S. 35. 57 Vgl. Hausmann, S. 17. 58 Vgl. Putz, S. 333. 59 Vgl. Hausmann, S. 35-36. Thomas Stoppacher Seite 17 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte mit Sitz in Bad Gleichenberg und die „Gleichenberger- und Johannisbrunnengesellschaft“ mit Sitz in Hof bei . 60 Dass die Aktiengesellschaft die Gründe im Kurort über 170 Jahre in ihrem Besitz hielt, trug wesentlich zum Erhalt der Einheit der Kurlandschaft mit ihrem harmonischen Aussehen und dem Biedermeiercharakter bei. 61 Zu Beginn des 21. Jahrhunderts kam es schließlich wieder zu einer Neustrukturierung. Der ursprüngliche Thermenkomplex wurde abgetragen und innerhalb von zwei Jahren durch eine neue, modernere Anlage ersetzt. Im Mai 2008 wurde das „life medicine Resort Bad Gleichenberg“ eröffnet. 62 „Die Eigenart und Lieblichkeit der Landschaft hatte ihre Gründe in den eigenartigen geologischen Verhältnissen, ein flachwelliges Hügelland, weinrebenumrankt, mit Mais und Kürbis bebaut, sonnig und freundlich. Gleichenberg, zwischen den beiden Flüssen Raab und Mur gelegen, ist von einer fast unvergleichlichen Anmut. Die malerisch gelagerten, von vielen Bächen und munteren Quellen durchquerten Taleinschnitte, die saftig grünen Wiesen und fruchtbaren Äcker fließen mit aufsteigenden, in der weiten Runde gruppierten, nadelholzreichen Berg- und Hügelketten harmonisch zusammen. Im Zentrum dieses Gebietes, das im Norden den großen Tufffelsen mit der romantisch thronenden aufweist und im Süden einen mächtigen Basaltblock, den ‚Stradner Kogel‘, enthält. Hier liegt der Kurort Gleichenberg […].“63 Mit diesem Lobgesang endet der chronologische Abriss des Kurortes, im folgenden zweiten Teil der Einleitung werden die Quellen, auf denen die Entstehung und Entwicklung zu dieser wichtigen Örtlichkeit erst beruht, und ihre heilbringenden Anwendungsmöglichkeiten kurz vorgestellt.

2.2. Die Gleichenberger Heilquellen

„Das Wort Kur stammt vom lateinischen ‚cura‘, ‚curatio‘ und bedeutet sowohl Heilung, Genesung als auch ärztliche Behandlung mit dem Ziel der Heilung. Das Prädikat Kurort darf heute laut österreichischem Bundesgesetz nur führen, wer über natürliche Heilsvorkommen verfügt und die zu ihrer Nutzung erforderlichen Betriebsanlagen, Aufbereitungsanlagen und hygienischen Voraussetzungen nachweisen kann.“ 64

60 Vgl. Putz, S. 333. 61 Vgl. Putz, S. 5. 62 Vgl. Wild, Julia Christine: Die Thermen im Dreiländereck Österreich-Ungarn-Slowenien. Die Bedeutung der Thermen für die Regionalentwicklung. Magisterarbeit. Graz 2010. Online im Internet: http://ema2.uni- graz.at:8090/livelinkdav2/nodes/272555/Wild_Julia%20Christine%2029.10.2010.pdf , S. 74. 63 Putz, S. 5-6. 64 Hausmann, S. 19. Thomas Stoppacher Seite 18 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Entdeckung Die Heilquellen von Bad Gleichenberg sind das Resultat vulkanischer Tätigkeit vor rund einer Million Jahren. Dadurch begann sich die heutige Landschaft herauszubilden und die Mineral- und Thermalwässer entstanden. Kohlensäure stieg aus der Erdtiefe auf und vermischte sich mit dem Grundwasser. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Quellen liegen im wechselnden Kohlensäureanteil, den verschiedenen mitgeführten Mineralstoffen (z.B. Natrium, Kalzium und Magnesium) und der Tiefe des Grundwassers. 65 1766 erstellte der Radkersburger Physiker Dr. Hermann von Gleisner die erste Analyse der Sulzleithenquelle und der Klausner Stahlquelle. Darin schrieb er, dass sie bei Katarrhen der Atmungsorgane und Übersäuerung des Magens anzuwenden seien. Nach weiteren Aufsehen erregenden Berichten über Heilerfolge der von der Sulzleithen- zur Konstantin- umbenannten Quelle veröffentlichte 1822 Dr. Ignaz Werle, ein Schwager von Erzherzog Johann, eine Abhandlung über das Wasser des Johannisbrunnens und dessen Wirkung. 66 Die Quelle wurde von der Bevölkerung der Umgebung schon früh als Heilquelle genutzt, zur kontinuierlichen Nutzung kam es aber erst mit der Gründung der Aktiengesellschaft 1834. Bis 1960 wurde das Wasser mit Molke oder Milch vermischt verabreicht. Außerdem wurde es ab 1880 zur Sole eingedickt und für Inhalationen angewendet. Heute wird das Konstantinwasser für Bäder verwendet. 67 Wie bringt man das wertvolle flüssige Gut eigentlich an die Erdoberfläche? In früheren Zeiten wurde das Wasser der Quellen in Schächten gefasst, für die Nutzung aufgefangen und bei Bedarf auch gespeichert. Heutzutage wird das Wasser mit der Kraft von modernen Pumpen zu Tage gefördert. 68

Nutzung einst und heute Die bekannteste Mineralwasserquelle ist der Johannisbrunnen im zehn Kilometer südöstlich von Gleichenberg gelegenen Hof bei Straden. Sie wurde 1819 nach Erzherzog Johann von Österreich benannt. 69 „Das Mineralwasser (Natrium-Hydrogencarbonat-Säuerling) wird für Trinkkuren im Quellenhaus verwendet und für Haustrinkkuren versandt. Jährlich werden rund zwei Millionen Liter ‚Gleichenberger Johannisbrunnen‘ in Flaschen abgefüllt. Anwendung findet das Mineralwasser bei Störungen des Magen-Darm-Traktes und der Harnwege, bei Erkrankungen der Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse und bei

65 Vgl. Hütter, S. 79. 66 Vgl. Mang/Erdenwinkel, S. 20. 67 Vgl. Schleich, S. 68-70. 68 Vgl. Hütter, S. 87. 69 Vgl. Hausmann, S. 36. Thomas Stoppacher Seite 19 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Diabetes.“ 70 Im Jahr 1930 überschritt die Zahl der versandten Mineralwasser-Flaschen erstmals die Millionengrenze. 71 Die Konstantin-, Emma-, Maria-Theresia-, Römer-, Werle-, Klausen-, Mineral-Thermal- und Mariannenquelle sind die weiteren Quellen, die für das Heil- und Thermalwasser im Kurort sorgen. 72 Die Römerquelle, benannt nach den eingangs geschilderten aufsehenerregenden Münzfunden 1845, ist seit 1991 als Heilquelle anerkannt. Das Wasser wird in die Aufbereitung gepumpt und dort zum Kochen von Sole verwendet. 73 Die Mariannenquelle wurde 1979-1983 entbohrt und wird 1984 als „Natrium-Hydrogencarbonat-Chlorid-Therme“ mit hypotonischer Konzentration anerkannt. 74 Sie wird für das Thermalbad und als Trinkquelle verwendet, das Wasser wird empfohlen bei Rheumatismus, Bandscheibenschäden und Cellulitis. 75 Das Wasser der Konstantin- und der Emmaquelle wird bei Katarrhen und Entzündungen der Luftwege verwendet. 76 Jenes aus der, seit 1860 genutzten, Maria- Theresien-Quelle wirkt hautberuhigend. 77 Die nördlichste unter den Gleichenberger Quellen ist jene in der Klause. Sie wurde von den Bewohnern der Umgebung zum Mischen mit Most und Wein verwendet. Schon in Abhandlungen um 1830 war die Mineralquelle analysiert, die unter anderem bei Blutarmut, nach Typhus und bösartigem Wechselfieber empfohlen wurde. Der Aktienverein kaufte die Klausenquelle schon ein Jahr nach seiner Gründung und nützte das Wasser zum Versand und zum Ausschank an die Kurgäste. 78 Schlussendlich zur Gleichenberger Thermalquelle: „1971/72 führte man für das neue Thermalbad eine Bohrung durch, und 1974 erfolgte bereits die Eröffnung des Thermalhallenbades. 1975 erfolgte die Klassifizierung des Thermalwasssers als ‚Natrium-Hydrogencarbonat-Thermalsäuerling‘. Das Wasser wird für Bäder und Trinkkuren verwendet, und die Quelle trägt die Bezeichnung ‚Gleichenberger Therme‘.“ 79

Heute wird das Quellwasser wie folgt angewendet: Die Gleichenberger Pastillen enthalten die natürlichen Bestandteile des Heilwassers. Das darin enthaltene Quellsalz wird durch Verdampfung aus der Quellsole gewonnen. 80 „Sie finden Anwendung bei Erkrankungen der

70 Hausmann, S. 36. 71 Vgl. Ensbrunner, S. 9. 72 Vgl. Hausmann, S. 36-37. 73 Vgl. Schleich, S. 71. 74 Vgl. Schleich, S. 67. 75 Vgl. Hütter, S. 93. 76 Vgl. Pristavnik, Fritz: Bad Gleichenberg von A-Z. In: Fremdenverkehrsverein Bad Gleichenberg (Hg.): Bad Gleichenberg. Ein Führer für Kurgäste. Weiz 1984, S. 18. 77 Vgl. Schleich, S. 75. 78 Vgl. Fuksas/Geschichte, S. 91-92. 79 Hütter, S. 93. 80 Vgl. Schleich, S. 64. Thomas Stoppacher Seite 20 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte oberen und unteren Luftwege, Katarrhen der Atmungsorgane (z.B. bei grippösen Infekten), akuter und chronischer Bronchitis, Lungenemphysem, Asthma bronchiale, akute und chronische Kehlkopfkatarrhe. Bad Gleichenberger Pastillen sind auch besonders zu empfehlen für Redner, starke Raucher und Personen, die an ‚trockenem Mund‘ leiden.“ 81 Neben den Pastillen wird natürlich auch das Mineralwasser verkauft. Der Füllbetrieb und die Etikettierung laufen mittlerweile automatisch. 82 Die Kurgäste können Bad Gleichenbergs natürliche Heilvorkommen auf verschiedensten Wegen nutzen: Trinkkuren, natürliche Quellsoleinhalation, natürliche Kohlensäurebäder sowie ein Thermalhallenbad mit Whirlpools sorgen für das Wohl der Besucher. 83 Die Bad Gleichenberger Quellen, die alle eine überdurchschnittlich hohe Wassertemperatur vorweisen und thermischen Ursprung haben, sind amtlich anerkannt und werden alle 20 Jahre großen Heilwasseranalysen unterzogen. Des Weiteren finden alle fünf Jahre Kontrollanalysen und alle drei Monate bakteriologische Untersuchungen der Quellen statt. Seit 1971 ist die Gegend in und um Bad Gleichenberg Quellschutzgebiet. 84 Heute werden den Patienten in der Kuranstalt vielfältige Möglichkeiten angeboten, um die natürlichen Heilvorkommen zur Krankheitsbekämpfung zu nützen: „Trinkkuren, Rachenspülungen, Quellsole-Inhalationen, Medikamenten-Inhalationen, natürliche Kohlensäurebäder, Luftperlbäder, Moorschwebstoffbänder, Schwimmen im Mineral-Thermal-Hallenbad, Sitzungen in pneumatischen Kammern, Respirationsübungen, Atemgymnastik, Frühgymnastik und Wandern unter Anleitung einer Gymnastin, Elektrische Lichtbäder, Sauna, Bürstenbäder und Güsse, Duschen, Massagen, Para-Fango-Packungen, Benützung eines Solariums, Traubenkuren.“ 85

81 Fuksas/Geschichte, S. 127. 82 Vgl. Kernbichler, S. 114. 83 Vgl. Haberl, Gerhard: Die Kur… eine wichtige Säule im Gesundheitswesen. In: Fremdenverkehrsverein Bad Gleichenberg (Hg.): Bad Gleichenberg. Ein Führer für Kurgäste. Weiz 1984, S. 26. 84 Vgl. Fuksas/Geschichte, S. 96. 85 Hütter, S. 97. Thomas Stoppacher Seite 21 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

3. Die Tradition der jüdischen Sommerfrische

3.1. Entstehung und Etablierung

Bedeutung der Sommerfrische Die Juden in Österreich-Ungarn, an der Nahtstelle zwischen westlichem „Fortschritt“ und traditionellem östlichen Judentum gelegen, lebten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einem Spannungsverhältnis zwischen jüdischer Tradition, jüdischer Aufklärung und Assimilation. 86 Ab den 1880er Jahren emigrierten über einige Jahrzehnte hinweg mehr als zwei Millionen Juden von Osteuropa in den Westen, der Großteil davon in die Vereinigten Staaten, aber auch eine beträchtliche Anzahl nach Wien.87 Diese, zum Großteil sehr armen, Glaubensbrüder aus Galizien erregten im etablierten Wiener Judentum kein großes Wohlgefallen, diese sahen die „Ostjuden“ und deren Erscheinungsbild als Grund für die Verschlechterung der christlich-jüdischen Verhältnisse und den steigenden Antisemitismus der Mehrheitsgesellschaft.88 Die wohlhabenderen und assimilierten Juden erhofften sich nach der rechtlichen Gleichstellung durch die Dezemberverfassung 1867 89 eine bürgerliche Karriere in Besitz und Bildung. Soziale Anerkennung als gleichberechtigte Bürger suchten sie dabei unter anderem in der Sommerfrische. 90 Diese war ein wesentliches Merkmal des Strebens nach Emanzipation, wie die Tatsache beweist, dass das Thema „Sommerfrische“ in vielen österreichisch-jüdischen Erinnerungen in einem immer wiederkehrenden positiven Muster nahezu stereotyp dargestellt wird. 91 Wie kam es zu dieser großen Bedeutung des sommerlichen Kurtourismus?

Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts wurde es in der Aristokratie und der bürgerlichen Oberschicht modern, „auf Kur zu fahren“. Hinter dem medizinischen Vorwand eines solchen Aufenthalts stand nicht selten ein Vergnügen mit gesellschaftlichen Absichten. Während

86 Vgl. Haas, Hanns: Der Traum vom Dazugehören – Juden auf Sommerfrische. In: Kriechbaumer, Robert (Hg.): Der Geschmack der Vergänglichkeit. Jüdische Sommerfrische in Salzburg (= Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 14). Wien – Köln - Weimar 2002, S. 41. 87 Vgl. Hödl, Klaus: Als Bettler in die Leopoldstadt. Galizische Juden auf dem Weg nach Wien. Wien 1994, S. 11-12. 88 Vgl. Hödl, S. 152-153. 89 Genaueres zu dieser im 4. Kapitel. 90 Vgl. Haas, S. 41-42. 91 Vgl. Lichtblau, Albert: Die Chiffre Sommerfrische als Erinnerungstopos. Der retrospektiv- lebensgeschichtliche Blick. In: Hödl, Sabine / Lappin, Eleonore: Erinnerung als Gegenwart. Jüdische Gedenkkulturen. Berlin/Wien 2000, S. 89. Thomas Stoppacher Seite 22 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte anderswo Seebäder florierten, dominierten im Binnenland Österreich hauptsächlich, je nach Saison, Mineralquellen- und Luftkurorte. 92 War es im 18. Jahrhundert, abgesehen vom Adel, noch eine dünne bürgerliche Oberschicht, wurde die Badereise im 19. Jahrhundert zur gesellschaftlichen Gewohnheit des aufsteigenden Bürgertums. 93 Einige Jahre später folgte als nächste soziale Schicht, wenn auch auf etwas bescheidenere Weise, der so genannte Mittelstand. 94 Durch die zunehmende Arbeitsbelastung bestand auch erhöhter Bedarf an Erholung. Viele Bade- und Kurorte reagierten auf diesen Trend und ließen ihre Quellen von Medizinern untersuchen, um die heilende Wirkung bestimmten Krankheiten und Leiden zuordnen zu können. 95 Das soziale Leben auf Kur hatte eine spezifische Qualität, es implizierte einen gewissen Festcharakter. Etikette und soziale Unterschiede hatten weniger Bedeutung als in der Großstadt. Das Kurmilieu ermöglichte auch für weniger Reiche die Teilnahme am Gesellschaftsleben. 96 „Muße und Genuss, familiäre Intimität und ungezwungene Gastfreundschaft prägten das Milieu und setzten Grenzen gegenüber der nach wie vor dominant repräsentativen Lebenswelt des Adels.“ 97 Die Entwicklung in Gleichenberg, welche im Fokus dieser Arbeit steht, erfolgt nach einem ähnlichen Muster.

Die Sommerfrische wurde in der Habsburgermonarchie die dominierende Form der touristischen Erholung. Die Angehörigen des Adels und des Bürgertums verbrachten die Sommermonate außerhalb der Großstädte. Sie residierten in Villen, Sommerhäusern, Hotels und Pensionen und vertrieben sich die Zeit mit „gepflegtem Nichtstun“. 98 Die jüdische Bevölkerung war dabei ein durchaus beträchtlicher Bestandteil der österreichisch-ungarischen Oberschicht: Im österreichischen Teil der Monarchie wurden vom 18. Jahrhundert weg immerhin 450 Juden in den Adelsstand erhoben, in der ungarischen Reichshälfte wurden ab 1800 374 jüdische Familien nobilitiert. 99 Das Aufeinanderprallen von reichen Großstädtern mit der ländlichen Provinz barg Spannungen in sich: „Die Beziehung des Sommerfrischlers zur Natur basiert auf Emotionen und/oder Erwartungshaltungen: die Landschaft, die Seen

92 Vgl. List, S. 52-53. 93 Vgl. Kernbichler, S. 97. 94 Vgl. Kriechbaumer, Robert: Statt eines Vorwortes – „Der Geschmack der Vergänglichkeit…“. In: Kriechbaumer, Robert (Hg.): Der Geschmack der Vergänglichkeit. Jüdische Sommerfrische in Salzburg (= Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 14). Wien/Köln/Weimar 2002, S. 9. 95 Vgl. Kernbichler, S. 97. 96 Vgl. List, S. 53. 97 Kriechbaumer, S. 9. 98 Vgl. Bajohr, Frank: „Unser Hotel ist judenfrei“. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2003, S. 143. 99 Vgl. Bihl, Wolfdieter: Die Juden in der Habsburgermonarchie 1848-1918. In: Schubert, Kurt (Hg.): Zur Geschichte der Juden in den östlichen Ländern der Habsburgermonarchie (Studia Judaica Austriaca, Bd. VIII), S. 46. Thomas Stoppacher Seite 23 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte und Berge als Ort des ‚Baumelns der Seele‘, der Orts- und Stimmungsveränderung, als notwendig erachtetes Ambiente für Erholung und Urlaub, als Luftkurort und gesuchter hypokratischer Heilquell für Stadt- oder Zivilisationskrankheiten. Bereits um die Jahrhundertwende entdeckten Werbetexter die therapeutischen Effekte einer Luftveränderung für den (Groß-)Städter. Der so umworbene (groß)städtische, meist aus Wien kommende Sommerfrischler begann bereits im späten 19. Jahrhundert seine Spuren zu hinterlassen, deren Konturen das Erscheinungsbild des zuvor noch unberührten provinziellen Ambientes beeinflussten […].“ 100 Der sich etablierende Sommerfrischen-Tourismus brachte die Großstadtgesellschaft, und damit auch von den Städten ausgehende neue kulturelle Impulse, in die Provinz. Eigentlich ländliche, fernab der Metropolen gelegene, Ortschaften erfuhren somit eine partielle Modernisierung. 101 Auch dieses besondere Aufeinandertreffen von verschiedenen Lebensstilen und Gewohnheiten fand sich in Bad Gleichenberg statt.

Das Leben auf Kur Nun zum Ablauf eines typischen Kuraufenthalts: Die Freizeit während der Sommerfrische war in der Regel großzügig bemessen, der gemächliche Tagesverlauf verlief hauptsächlich in geordneten Familienbeziehungen. Zu anderen Gästen und Einheimischen wurden meist nur belanglose soziale Kontakte geknüpft. 102 Gelegentlich lud man Nachbarn oder Bekannte zum Tee ein. Doch im Prinzip entsprach die selbst gewählte Isolation perfekt den traditionell engen, familiären Bindungen der jüdischen Sommerfrischler. Man verbrachte einen ganzen Sommer mit der engen Verwandtschaft zusammen am Land. 103 Mit auf die Reise nahm man die ganze Familie, außerdem die Köchin, das Stubenmädchen und sonstige Hausangestellte. 104 Der 1919 in Wien geborene Jude Kurt Spielmann, er überlebte die Shoa und wanderte nach Uruguay aus, beschreibt dieses Prozedere, welches er bis 1937 jeden Sommer erlebte: „Die Mutter fuhr meist einige Wochen vor dem Sommer in den jeweiligen Ort und sah sich Häuser bzw. größere Wohnungen an, die dann in Wien besprochen wurden und zur Wahl der Unterkunft führten. Schließlich übersiedelte man den ganzen Haushalt samt Dienstmädchen, Geschirr und Küchenutensilien […] Der Vater kam stets auf einen ganzen Monat mit, in dem er Urlaub nahm, und kam dann immer wieder auf Wochenende, sofern es die Entfernung von Wien erlaubte, wo er seinen Rucksack voll bepackt mit Lebensmitteln, vor allem Süßigkeiten,

100 Kriechbaumer, S. 8. 101 Vgl. Kriechbaumer, S. 9. 102 Vgl. Haas, S. 45. 103 Vgl. Haas, S. 51-52. 104 Vgl. Haas, S. 42. Thomas Stoppacher Seite 24 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte für uns Kinder mitbrachte und wir ihn mit großer Spannung auf den Bahnhöfen erwarteten.“ 105 Die durchschnittliche Länge einer Kur war im 19. Jahrhundert, in dem die Sommerfrische für die gehobenen Kreise eine gesellschaftliche Pflicht darstellte, im Schnitt zwei bis drei Monate, heutzutage sind es im Vergleich dazu höchstens vier bis sechs Wochen. Ein typischer Kurtag begann zeitig am Morgen mit einer Trinkkur, es folgten verschiedene Therapien. In der Freizeit konnte man wandern, Sehenswürdigkeiten in der Umgebung ansehen oder einfach nur im Kurpark flanieren. Am späteren Nachmittag stand in Gleichenberg ein Besuch des Kurtheaters am Programm, nach dem Abendessen besuchte man noch diverse Veranstaltungen. 106 Der schon angesprochene Widerspruch zwischen medizinischer Verhaltensregelung und ferienmäßigen Vergnügen bestimmte das Kurleben. Es gab von den Kurärzten zwar Richtlinien zum gesundheitsförderlichen Verhalten, Askese wurde den Gästen aber keine auferlegt. Spaziergänge und gesellschaftliche Zerstreuung gehörten zur Kur. In Gleichenberg gab es eine zweimal täglich spielende Kurmusik, ein Theater in dem während der Sommermonate nachmittags täglich Vorstellungen stattfanden, eine Tombola für wohltätige Zwecke, Tanzveranstaltungen, ein Musikzimmer und einen Lesesaal, ein Caf é, einen Billardraum und eine Konditorei. 107 Für Wanderungen und Ausflüge in der Nähe von Gleichenberg waren als Ziele Feldbach, Trautmannsdorf, Straden, sowie die Schlösser Kornberg, und Bertholdstein bestens geeignet.108 Das Wandern und die damit verbundene „Naturerfahrung“ gehörten zu den oft wiederkehrenden positiven Elementen in Aufzeichnungen jüdischer Kurerinnerungen. 109 „Nichts sollte die aus Mäßigung und Leidenschaftslosigkeit entstandene Ausgewogenheit der Sommerfrische tangieren. Kurz gesagt, die Sommerfrische war eine bewältigte Welt ohne Schroffen und Klippen der pittoresken Romantik, gebändigte Leidenschaft, Natur und Kultur ausgesöhnt, ein Ort der Milde und Zuversicht, des friedlichen Ausgleiches, und so ist auch die Affirmation der um Einordnung ins bürgerliche Ensemble bemühten jüdischen Bürger kaum zufällig. Selbst die sonst so allgegenwärtige Politik hatte in der Sommerfrische nur wenig Platz. Die soziale Frage blieb ohnehin in der heißen Stadt zurück. Die nationale Sinngebung verschonte zwar auch nicht die touristisch beanspruchten und definierten ethnischen Übergangszonen und national umstrittenen Regionen; doch erschlaffte das Ruhebedürfnis der

105 Lichtblau, S. 91. 106 Vgl. Hausmann, S. 21-22. 107 Vgl. List, S. 56-57. 108 Vgl. Hausmann, S. 43-49. 109 Vgl. Lichtblau, S. 93. Thomas Stoppacher Seite 25 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Urlaubsdestinationen in aller Regel den Antagonismus zur Zeit der Hochsaison.“ 110 Diese in der Idealvorstellung „heile Kurwelt“ hatte keinen dauerhaften Bestand. Spätestens nach dem Ersten Weltkrieg und den damit verbundenen politischen und gesellschaftlichen Neuordnungen kam sie ins Wanken, die sozialen Fragen der Stadt und die hässliche Fratze des Antisemitismus hielten Einzug im Sommerfrischen-Idyll.

3.2. Soziale Diversifikation im 20. Jahrhundert und Sommerfrischen-Antisemitismus

Assimilierte „Wiener Juden“ – Orthodoxe „Ostjuden“ Die jüdische Gemeinde in Österreich war keineswegs eine einheitliche. Auf der einen Seite die stark assimilierten Juden, welche meist der mittelständischen Kaufmannsschicht oder den freien Berufen angehörten, sie waren zu einem Großteil überzeugte österreichische Patrioten und schlossen sich, wenn sie überhaupt das religiöse Ritual einhielten, dem Reformjudentum an. Den Gegensatz zu diesen sogenannten „Westjuden“ bildeten die Einwanderer aus Galizien und der Bukowina. Sie waren weit weniger an die Mehrheitsgesellschaft angepasst und arbeiteten oft als „Hausierer“, kleine Geschäftsleute oder Industriearbeiter. Während die ältere Generation der „Ostjuden“ am orthodoxen Glauben festhielt, wurden die jüngeren Einwanderer oft Zionisten oder Sozialisten. 111 Durch die massenhafte Immigration von Juden aus den östlichen Gebieten des Reiches erfuhr die bis dahin hauptsächlich groß- und mittelbürgerlich orientierte Sozialstruktur der Wiener Juden eine entscheidende Veränderung. Es ergab sich die Besonderheit, dass bei Statistiken über die Berufszugehörigkeit der Bevölkerung in der Hauptstadt die jüdischen Einwohner neben der Berufsklasse „Industrie, Handwerk und Gewerbe“ nun auch bei der Bezeichnung „Berufslose“ an der Spitze aller österreichischen Kronländer lagen. 112 Die eingewanderten galizischen Juden waren im Gegensatz zu den Juden in Wien und den anderen westlichen Provinzen der Habsburgermonarchie tiefreligiös, sie mussten sich oft erst Einrichtungen schaffen, um die Fortsetzung der gewohnheitsmäßigen Ausführung ihrer religiösen Bräuche garantieren zu können. 113 Diese sozialen und religiösen Gegensätze zwischen wohlhabenden Assimilierten

110 Haas, S. 45. 111 Vgl. Pauley, Bruce: Eine Geschichte des österreichischen Antisemitismus. Von der Ausgrenzung bis zur Auslöschung. Wien 1993, S. 256. 112 Vgl. Bihl, S. 36-37. 113 Vgl. Hödl, S. 133-134. Thomas Stoppacher Seite 26 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte und ärmeren Orthodoxen gab es auch in den Kurorten. „Strikt religiös lebenden Juden stand ohnehin nur ein eingeschränktes Angebot von Orten und Unterkünften zur Verfügung. Sie waren in jedem Fall auf eine ‚jüdische Infrastruktur‘ mit koscheren Restaurants ‚unter Aufsicht des Rabbinats‘ und rituell geführten Hotels angewiesen. auch eine Synagoge oder mindestens ein Betsaal, der Gottesdienste am Ferienort ermöglichte, gehörte zu den essenziellen Bestandteilen dieser Infrastruktur.“ 114 Bad Gleichenberg erfüllte diese Voraussetzungen und war somit, neben dem traditionellen Kurpublikum aus der bürgerlichen Oberschicht und den Angehörigen des Adels, auch für orthodoxe Juden ein potentielles Sommerfrische-Ziel. Die Entwicklung einer jüdischen Infrastruktur, die in den nächsten Kapiteln ausführlich dargestellt wird, machte Gleichenberg zu einem internationalen Treffpunkt. Über Europa verstreute jüdische Familien kamen zu Verwandtschaftstreffen zusammen, die unter Umständen auch als „Heiratsbörsen“ Bedeutung erhielten. 115 Auf diese Weise fanden Familien, die durch die zahlreiche Emigration aus Osteuropa in den Westen bis in die Vereinigten Staaten zerrissen wurden, für ein paar Wochen im Sommer wieder zusammen. Popularität genossen in den Kurorten die sogenannten „Cur- und Fremdenlisten“, in denen man nach bekannten Gästen und Namen oder einfach nach Verwandten und alten Bekannten schmökern konnte. Solche lagen auch in Gleichenberg auf: Neben der Liste über den südoststeirischen Ort selbst existierten ebenso die Verzeichnisse aller wichtigen Bäder der Monarchie wie Ischl, Baden bei Wien oder die böhmischen Kurorte Karlsbad, Franzensbad und Marienbad. 116

Antisemitismus Auf welche Art und Weise wählte die jüdische Bevölkerung ihr Sommerfrischen-Domizil aus? Abgesehen von persönlichen Kontakten und Empfehlungen gab es ab dem Jahr 1895 beispielsweise den „Kalender für Israeliten“, der alle israelitischen Kultusgemeinden und weitere offizielle jüdische Institutionen in Österreich-Ungarn auflistete. Die wichtigsten Werbeträger für spezifische Kurangebote waren aber die jüdischen Zeitungen, in denen viele Artikel über die Sommerfrische erschienen und in denen die Hotels und Pensionen auch ihre Werbeannoncen schalteten. 117 In der Steiermark gab es als solches Medium von 1908 bis 1914 den „Grazer Israelitischen Gemeindeboten“ . Der Sinn der Zeitung lag darin, über Graz

114 Bajohr, S. 89. 115 Vgl. List, S. 55. 116 Vgl. Verzeichnis der in den Lesesalons des Curhauses aufliegenden Zeitschriften. [In der Folge zitiert als Zeitschriften-Verzeichnis] 117 Vgl. Triendl-Zadoff, Mirjam: Nächstes Jahr in Marienbad. Gegenwelten jüdischer Kulturen der Moderne. Göttingen 2007, S. 34. Thomas Stoppacher Seite 27 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte hinausgehend Kontakt mit den Mitgliedern der Kultusgemeinde in der übrigen Steiermark, in Kärnten und in Krain zu pflegen. Die Zeitschrift ist eine wichtige Quelle über das interne Leben der jüdischen Bevölkerung in der Region. Nach ihrer Einstellung existierte erst ab 1926 wieder ein ähnliches Blatt, die „Mitteilungen der Israelitischen Kultusgemeinde Graz“. 118 In der Grazer Zeitung ist auch das Aufkommen des Antisemitismus in den Ferienorten dokumentiert, wie folgende Episode veranschaulicht: Auf die Beschwerde einer jüdischen Dame, die im obersteirischen Schladming keine Auskunft und kein Prospekt zugeschickt bekam, weil der dortige „Verschönerungsverein“ beschlossen hatte, dass Juden keine Auskunft mehr erteilt werde, versuchte der Grazer Rabbiner David Herzog in der Sache zu vermitteln. Vom katholischen Pfarrer und evangelischen Superintendenten bekam er Antworten, die vom „minderwertigen Benehmen“ jüdischer Gäste in den vergangenen Jahren berichteten. Beide betonten, dass sie um konfessionellen Frieden bemüht seien und grundsätzlich nichts gegen jüdische Kurgäste hätten. Allerdings stehe es nicht in ihrer Macht, auf den Beschluss des „Verschönerungsvereins“ einzuwirken. 119 Herzog appellierte im „Grazer Israelitischen Gemeindeboten“ im Juni 1908 an die jüdischen Sommerfrischler: „Ich weiß nun allerdings nicht, inwieweit die Klagen der Schladminger Hausbesitzer berechtigt sind oder aber nicht. Soviel aber ist gewiss, und ich spreche hier leider aus Erfahrung, dass es in der Tat zuweilen Glaubensgenossen gibt, die gerade in Sommerfrischen durch ihr unbescheidenes, häufig vorlautes und zwangloses Wesen Unwillen, ja Ärgernis erregen und ein hohes Maß von Mißfälligkeit und Abgeneigtheit nicht allein gegen sich, sondern gegen Juden im allgemeinen in der schlichten Umgebung wecken. Und Hand aufs Herz, wie oft gewahren wir nicht, dass namentlich Glaubensgenossinnen, die zu Hause schlicht, bescheiden und anspruchslos sind und auch alle Veranlassung dazu haben, in Sommerfrischen durch einen geradezu ekelerregenden Aufwand an Mode- und Putztorheiten, durch eine Überladung von Schmuck- oder sonst in die Augen fallender Gegenstände, die leider gar oft im diametralen Gegensatze zu ihrer Intelligenz und ihren tatsächlichen materiellen Verhältnissen stehen, durch Großtuerei, Protzentum und ein flunkerhaftes Benehmen sich sehr unangenehm bemerkbar machen. Möchten doch auch sie bedenken, dass die Sommerfrischen durchaus nicht zur Entfaltung modetorheitlicher Pracht und abstoßender Untugenden dienen, sondern um den Körper zu stählen und um für neue Arbeit gesunde Kräfte zu sammeln. Da nun

118 Vgl. Reit(t)er, Gudrun: Die Geschichte der Israelitischen Kultusgemeinde Graz von 1914 bis zur Gegenwart. In: Israelitische Kultusgemeinde für Steiermark, Kärnten und die politischen Bezirke des Burgenlandes Oberwart, Güssing und Jennersdorf (Hg.): Geschichte der Juden in Südost-Österreich. Graz 1988, S. 154. [In der Folge zitiert als Reiter] 119 Vgl. Herzog, David: Sommerfrischen. Ein gutgemeintes Mahnwort an seine Glaubensgenossen. In: Grazer Israelitischer Gemeindebote. 1. Jahrg. Nr. 5-6. Graz 1908, S. 39-40. Thomas Stoppacher Seite 28 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte namentlich die Länder, in welchen ich die Seelsorge ausübe, eine Menge von Sommerfrischen besitzen, die von meinen Glaubensgenossen aufgesucht werden, möchte ich die gutgemeinte Mahnung an dieselben ergehen lassen: durch ein schlichtes, bescheidenes Auftreten sich von dem allein richtigen Zwecke einer Sommerfrische leiten zu lassen, nämlich der Gesundung des Körpers. Sie werden dann von der hierländischen biederen und schlichten Bevölkerung immer mit Achtung und Liebe empfangen und bewirtet werden, werden aber dadurch auch bewirken, daß nicht infolge der Untugenden einzelner Weniger die vielen braven und vornehm-schlicht denkenden Glaubensgenossen zu leiden haben.“ 120 Versuchte bei diesem Fall Rabbiner Herzog noch zu kalmieren, entwickelte sich Schladming in den nächsten Jahren zu einem explizit antisemitischen Kurort, in dem „Juden nicht erwünscht“ waren. Auch die Ramsau und Pöllau titulierten sich als „Arische Sommerfrische“. 121 Neben solchen Horten der Judenfeindlichkeit entwickelten sich im Gegensatz dazu auch typisch jüdische Kurorte, als solche galten in Österreich Bad Gastein, Bad Ischl und Bad Aussee. 122 Eine ähnliche Entwicklung zeigt ein Blick über die Grenze: Im Deutschen Kaiserreich war das bayrische Bad Kissingen, abschätzig „Judenbad“ genannt, ein solcher Kurort. Im Gegensatz zu Gleichenberg gab es dort auch eine beträchtliche ortsansässige jüdische Gemeinde. An der Nordseeküste war das ostfriesische, von Antisemiten „Judeninsel“ genannte, Eiland Norderney ein solches jüdisches Sommerfrischendomizil. 123 Die in unmittelbarer Nähe gelegene Insel Borkum hingegen war ein Zentrum antisemitischer Agitation. Ein ähnliches Beispiel an der Ostsee war Zinnowitz. 124

Wie kam es zu diesen starken judenfeindlichen Entwicklungen? „Der von Politikern wie dem deutschnationalen Georg von Schönerer und dem Wiener christlichsozialen Bürgermeister Karl Lueger um 1900 verbreitete Antisemitismus schwappte auch auf die steiermärkischen Ferienorte über. Die Sommerfrische Tragöß ließ 1908 Bänke mit der Aufschrift: ‚Für Juden und Judensprößlinge kein Platz‘ aufstellen. Pöllau nannte sich ‚arische Sommerfrische ersten Ranges‘, in Schladming war zu lesen: ‚Juden nicht erwünscht‘. Trofaiach formulierte es diskreter: ‚Angenehmer Aufenthalt für christliche Familien‘. In Bad Aussee, wo 34 Villen von Juden erbaut wurden, dürfte die Akzeptanz aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt sein.“ 125 Die Auflistung von antisemitischen Vorfällen in Kurorten könnte man lange fortführen, die

120 Herzog, S. 40. 121 Vgl. Bajohr, S. 196. 122 Vgl. Bajohr, S. 148. 123 Vgl. Bajohr, S. 94. 124 Vgl. Bajohr, S. 69. 125 Kremshofer, Engelbert: Mutige Steiermark. Ziegenberg 2007, S. 57. Thomas Stoppacher Seite 29 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte folgende Auswahl ist auf zwei Beispiele beschränkt: In Frohnleiten wurden am 10. August 1919 jüdisch-ungarische Kurgäste vom örtlichen Arbeiterrat dazu gezwungen, den Ort und damit das Sanatorium von Dr. Weiß innerhalb von 24 Stunden zu verlassen. Grund dafür waren die Lebensmittelankäufe der jüdischen Gäste, die vor allem für Milch höhere Preise als üblich boten. Die jüdische „Wiener Morgenzeitung“ warnte in der Folge vor einem Besuch Frohnleitens. 126 Außerhalb der Steiermark erregte 1921 der Salzburger Kurort Mattsee antisemitisches Aufsehen. Die Bemühungen, jüdische Gäste aus dem Ort fernzuhalten, gipfelten in der Vertreibung des bekannten Komponisten Arnold Schönberg. Mittels einer Pressekampagne, Artikeln mit Titeln wie „Die Judenkolonie von Mattsee“, wurde gegen den Komponisten und seinen Anhang agiert. Vor unterschwelligen Gewaltandrohungen, sollte Schönberg Mattsee nicht verlassen, wurde nicht zurückgeschreckt. 127 Die „Union österreichischer Juden“ legte gegen solche offenen antisemitischen Haltungen von Kurgemeinden offizielle Beschwerde bei diversen Ministern ein. Die Reaktionen der Regierungsvertreter blieb in diesen Fällen allerdings meist ausweichend und nichtssagend: „Vizekanzler Schumy ist so ein Beispiel. Er ließ 1929 auf die Beschwerde der Union beim Bundeskanzleramt wissen, dass ihm nicht bekannt sei, ob antisemitische Gemeinderatsbeschlüsse, dass Juden unerwünscht wären, noch aufrecht seien. Sollte dies der Fall sein, würden die Beschlüsse zwar gegen das Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 verstoßen, doch sei es zunächst Aufgabe der Bezirkshauptmannschaften, dies zu klären. Über antisemitische Vereine meinte er süffisant, dass deren Antisemitismus möglicherweise gegen das Vereinsgesetz verstoße, doch müsse dies keineswegs immer der Fall sein.“

Das Ideal der klassischen Sommerfrische hatte spätestens mit dem Ersten Weltkrieg ein Ende. Die wirtschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen wurden zum Großteil zerstört. In den 20er und 30er Jahren belebte sich die Szene nochmals, das Publikum war nun schon ein gemischtes. Alte Villenbesitzer erholten sich neben kleinen Beamten, Geschäftsleuten und Handwerkern, die von den sozialpolitischen Errungenschaften der Republikzeit profitierten. Die soziale Diversifikation der Städte erreichte die Sommerfrische. 128 Die jüdischen Kurgäste passten sich in den Urlaubsdomizilen immer öfter den örtlichen Gebräuchlichkeiten an: „Die meisten jüdischen Sommerfrischler kleideten sich auf der Kur mit den Symbolen der

126 Vgl. Kremshofer, S. 57-58. 127 Vgl. Waitzbauer, Harald: Arnold Schönberg ist in Mattsee unerwünscht. In: Kriechbaumer, Robert (Hg.): Der Geschmack der Vergänglichkeit. Jüdische Sommerfrische in Salzburg (= Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 14). Wien/Köln/Weimar 2002, S. 158-166. 128 Vgl. Haas, S. 54. Thomas Stoppacher Seite 30 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

österreichischen Provinzkultur: Dirndl, Tracht und Lederhose. Im Nationalsozialismus kam es zu einem Trachtenverbot für Juden. Dieses Gesetz zeigt, wie wichtig den Rassisten der kulturelle Aspekt war. Ihnen war es ein Dorn im Auge, dass sich die meisten Juden in ihrer Lebensweise kaum von der Mehrheitsgesellschaft unterschieden und nur die wenigsten an Hand ihrer Kleidung als religiöse Juden zu erkennen waren.“129 Inwiefern sich diese neuen Tendenzen in Gleichenberg bemerkbar machten, wird in den nächsten Kapiteln unter die Lupe genommen. Vorweggenommen sei, dass es zwar auch in Gleichenberg zu antisemitischen Vorfällen kam, der Ort aber nie auf einer Liste der judenfeindlichen Sommerfrischen stand, sondern bis zum „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialitische Deutschland 1938 zu einem traditionell beliebten Kurort für jüdische Gäste gehörte.

4. Das jüdische Bad Gleichenberg

4.1. Die Anfänge ab 1870

Österreich-Ungarn Um die Entwicklungen des jüdischen Kurtourismus in Gleichenberg zu verstehen, ist es notwendig, parallel dazu die rechtliche und gesellschaftliche Situation der Juden in der Habsburgermonarchie zu betrachten: Mit dem Toleranzpatent Joseph II. ging 1782 zwar eine Lockerung für den Aufenthalt von Juden einher, trotzdem blieb eine rigorose Passpflicht aufrecht. Jüdischen Händlern und „Hausierern“ war es ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung nicht gestattet, über Nacht in der Steiermark beherbergt zu werden. 130 Nach der Schaffung der Doppelmonarchie mit Ungarn wurde am 21. Dezember 1867 eine neue Verfassung beschlossen. Diese bestätigte die Rechte der österreichischen Juden (Landbesitz, freie Berufswahl und Wohnsitznahme, Zeugenaussage gegen Christen, die Einstellung jüdischer Dienstboten und die Erlaubnis, Handwerkermeister werden zu dürfen), die ihnen durch ein Patent von Kaiser Franz Joseph schon 1860 zugestanden worden waren und garantierte, dass sämtliche öffentliche Ämter nun allen Staatsbürgern offen standen. Jedem war nun, zumindest formalrechtlich, freigestellt, eine oder keine Religion zu praktizieren, sowie kulturelle und schulische Institutionen zu gründen. Die letzten fünfzig Jahre der Habsburgermonarchie unter

129 Vgl. Lichtblau, S. 115. 130 Vgl. Grasmug, S. 130. Thomas Stoppacher Seite 31 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte der Herrschaft von Kaiser Franz Joseph werden als das „goldene Zeitalter“ der österreichischen Juden bezeichnet.131 Sie waren nun als Einzelstaatsbürger emanzipiert. 132 Nach einer 1861 eingeführten Sonderregelung für Graz war es den Juden mit der Einführung des Staatsgrundgesetzes nun auch in den übrigen Orten der Steiermark erlaubt, sich niederzulassen und ein Gewerbe zu gründen. 133 Dies war ein sehr wichtiger Zeitpunkt für die Entwicklung des jüdischen Kurtourismus in Gleichenberg. Die Juden wussten den Kaiser und seine tolerante Politik ihnen gegenüber zu schätzen. Sein Geburtstag, der am 18. August mitten in die Sommerferien fiel, wurde auch in den Kurorten gefeiert. Überwiegend waren es jüdische Bürger, die dazu die Initiative ergriffen und damit ihre vaterländische Gesinnung kund taten. 134 Einschränkend muss allerdings festgehalten werden, dass in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts parallel zur Verbesserung der rechtlichen Situation der jüdischen Bevölkerung auch antisemitische Strömungen in der breiten Öffentlichkeit stiegen. Verantwortlich dafür zeichnete zum Beispiel der deutschnationale Georg von Schönerer, in dessen Linzer Parteiprogramm wurde 1895 in einem Punkte hinzugefügt, „die Beseitigung des jüdischen Einflusses aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens ist unerläßlich für die Durchführung der angestrebten Reformen.“ 135 Während der Antisemitismus von Schönerer rassisch motiviert war, gab es auch von der katholischen Seite heftigen Widerstand gegen die Verfassungsartikel von 1867 zu religiöser Toleranz. Papst Pius fand diese Gesetze „wahrhaft gottlos“ , außerdem „zersetzend, widerwärtig und verdammenswert“ . Freiherr Karl von Vogelsang brachte alles Übel der modernen Gesellschaft, er meinte damit den Liberalismus, Materialismus, Atheismus und Kapitalismus, in direkten Zusammenhang mit den Juden. Sein Zorn richtete sich nicht gegen die jüdische Religion, sondern gegen die säkularisierten Juden. Er rief die jüdische Bevölkerung auf, zum katholischen Glauben überzutreten. Dieser opportunistische Antisemitismus gegen die Emanzipation der Juden wurde vom späteren Wiener Bürgermeister Karl Lueger salonfähig gemacht. 136

Gleichenberg Vereinzelte jüdische Gäste, meist begüterte Geschäftsleute, kamen schon seit 1844 zum Kuraufenthalt nach Gleichenberg. Sie hatten vermutlich individuelle

131 Vgl. Pauley, S. 54. 132 Vgl. Bihl, S. 19. 133 Vgl. Lohrmann, Klaus / Wadl, Wilhelm / Wenninger, Markus: Die Entwicklung des Judenrechts in Österreich und seinen Nachbarländern. In: Lohrmann, Klaus (Hg.): 1000 Jahre Österreichisches Judentum. Ausstellungskatalog (= Studia Judaica Austriaca IX). Eisenstadt 1982, S. 53. 134 Vgl. Haas, S. 53. 135 Vgl. Pauley, S. 68-69. 136 Vgl. Pauley, S. 72-75. Thomas Stoppacher Seite 32 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Aufenthaltsgenehmigungen. Nach der Einführung der neuen Verfassung 1867 vermehrte sich der Anteil an jüdischen Kurgästen stetig.137 Dass es schon davor vereinzelte Besuche gab, zeigt eine Episode aus dem Juni 1855: Der Trautmannsdorfer Wundarzt Nikolaus Josef Benatti meldete dem Bezirksamt, dass eine jüdische Mutter im Kurort eine Totgeburt gehabt habe. Der Pfarrer von Trautmannsdorf verweigerte die Beisetzung des totgeborenen Kindes am katholischen Friedhof, schlussendlich beerdigte der Arzt die Leiche in seinem eigenen Garten. 138 1862 wurde die Errichtung eines israelitischen Speiselokals von der Gemeinde noch verboten, doch schon 1863 wurde im Haus „Stadt Mailand“ von Salomon Heinrich Klinger für jüdische Gäste geschächtet. Für das koschere Essen sorgte die israelitische Köchin Julie Brüll. Weil dies ohne ordentliches Dienstverhältnis für fremde Personen ohne Bewilligung geschah, waren an den Kurfonds für die Zeit ihres Aufenthaltes in Gleichenberg wöchentlich 52 ½ Kreuzer zu entrichten. 139 Ab den 1870er Jahren entwickelte sich in Gleichenberg ein richtiger jüdischer Kurtourismus, der die bis dahin bestehenden Gäste, die sich hauptsächlich aus Angehörigen des Adels, hohen Militärs und reichen Bürgern zusammensetzte, erweiterte. Die jüdischen Besucher kamen aus Österreich, Ungarn und Galizien. 140 Von dieser Zeit an bis 1938 bildeten jüdische Gäste einen großen Teil der Besucher und waren für den Ort ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. 141 Zu den Entwicklungen im Detail: Bereits 1867, sofort nach dem Inkrafttreten des Staatsgrundgesetztes, errichtete der Grazer Baumeister Philipp Schweighofer im Nebengebäude seines 1849 erbauten „Berliner Hofs“ die „jüdische Traiteurie“, eine koschere Küche. Diese übersiedelte 1874 in die von ihm neu gegründete „Villa Stadt Petersburg“. Weiters gab es in der von Helene Kremsier geführten Restauration „Hohe Warte“ eine „Israelitische Bäckerei“. 142 Da die römisch-katholische Pfarre Trautmannsdorf, zu welcher Gleichenberg bis 1940 gehörte, auf ihrem Friedhof weiterhin keine Bestattung Andersgläubiger zuließ und dies außerdem nicht den jüdischen Glaubensvorschriften entsprochen hätte, wurde 1880 in Trautmannsdorf ein jüdischer Friedhof angelegt. 143 Die

137 Vgl. Putz, S. 311. 138 Vgl. Grasmug, S. 131. 139 Vgl. Grasmug, S. 137. 140 Vgl. Schober, Franz Josef: Vom Leben an der Grenze. O Zivlejenju ob Meji. 2. Teil. Aufsätze zur Zeitgeschichte der südoststeirisch-slowenischen Grenzräume (Wissenschaftliche Schriftenreihe des Pavelhauses, Band 13, 2. Teil). Graz 2009, S. 162. 141 Vgl. Grancy, Antje Senarclens de: Trautmannsdorf. Jüdischer Friedhof für den Kurort Bad Gleichenberg. In: Grosseger, Gertrude Maria / Grancy, Antje Senarclens de Grancy / Sterry, Petra: Bruchstücke. Jüdische Friedhöfe in der Steiermark. Graz 2010, S. 108. 142 Vgl. Schober, S. 163-165. 143 Vgl. Schober, S. 166. Thomas Stoppacher Seite 33 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Initiative zur Errichtung war von der Israelitischen Kultusgemeinde Graz (IKG Graz) ausgegangen, die erste Beisetzung fand am 5. Juli 1881 statt. 144 Die Inschriften auf den Grabsteinen der verstorbenen Kurgäste waren teilweise in hebräischer Schrift gehalten.145 1882 wird von einem Restaurationsgeschäft für Juden ohne Konzession berichtetet, betrieben wurde es von einem gewissen August Frossini. Seit sechs bis sieben Jahren wurden dort täglich zu Mittag Speisen für etwa 30 Israeliten nach rituellen Sitten zubereitet. Ab leitete Abraham Effres aus Wien mit seiner Frau und einer Köchin eine gewerbsmäßige Auskocherei, die Gäste waren hauptsächlich Polen aus dem zum Habsburgerreich gehörenden Galizien.146 1884 wurde das israelitische Hospital „Zur Barmherzigkeit“ eröffnet. 147 1892 gab es laut dem Gleichenberg-Buch des Kurarztes Dr. Karl Höffinger eine israelitische Küche im „Wilhelmshof“ und im „Theresienhof“. 148 Das letztgenannte Haus war schon zu diesem Zeitpunkt jeden Samstag Schauplatz eines jüdischen Gottesdienstes, der in einem Gebetsraum im Hotel abgehalten wurde. 149 Der „Wilhelmshof“ wurde 1881 von Maria Magdalena Edle von Berks erstanden, die Restauration mit der koscheren Küche wurde von ihrem Wirtschafter Manes Beer aus Galizien geführt. Maria und ihr Gatte, Hugo Ritter von Berks, beide kamen aus dem Bezirk Cilli/Celje, mussten aufgrund von Intrigen der Konkurrenz, die keinen zusätzlichen Gastwirt wollte, um ihre Konzession kämpfen. Trotz aller Widrigkeiten bestand das Lokal bis 1897, in diesem Jahr musste das Ehepaar Tritsch, welches die Liegenschaft zwei Jahre davor von den Berks erstanden hatte, Konkurs anmelden. 150 Aus den Debatten, für den „Wilhelmshof“ um die Erteilung einer Erlaubnis für eine koschere Küche anzusuchen, geht der hohe Anteil der jüdischen Kurgäste in Gleichenberg hervor: „Am 10. April 1890 rekursierte Maria Magdalena Berks an das k. u. k. Ministerium des Inneren: ‚Da nun fast die Hälfte der Gleichenberger Curgäste Juden sind, so trifft es sich, dass die Mieter meiner Häuser fast nur Juden sind, und diese verlangten, dass ich jüdisch-rituelle (koschere) Küche führen lasse.‘ Gleichenberg habe eine Frequenz von mehreren Tausend Juden, aber nur eine einzige koschere Restauration. Trotzdem gebe es eine beharrliche Weigerung des Gemeinderates, die nur den einen Zweck haben, ‚den wenigen erbgesessenen Hoteliers, welche gleichzeitig Gemeinderäte sind, ein Monopol für immerwährende Zeiten zu

144 Vgl. Grasmug, S. 132-133. 145 Vgl. Putz, S. 312. 146 Vgl. Grasmug, S. 139. 147 Vgl. Schober, S. 168. Näheres dazu im sechsten Kapitel, das sich eingehend mit dieser Einrichtung beschäftigt. 148 Vgl. Höffinger, Dr. Karl: Der Curort Gleichenberg in Steiermark. Sechste, wesentlich verbesserte und vermehrte Auflage. Wien/Leipzig, 1992, S. 114. 149 Vgl. Höffinger, S. 96. 150 Vgl. Grasmug, S. 148-152. Thomas Stoppacher Seite 34 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte sichern.‘“ 151 Nach dem Tod seiner Frau übernahm Hugo Ritter von Berks den Betrieb, er suchte 1893 um die Verleihung der Konzession zum Ausschank von Wein und Bier im Wilhelmshof mit folgender Begründung an: „Von den 6.000 Gleichenberg besuchenden Curgästen sind mindestens 2/3 Juden, welche die Vorschriften ihrer rituellen Speisengesetze einhalten […] Bei mir speisen täglich in der Hochsaison 80 bis 100 Personen. Curgäste aus aller Herren Länder und dieselben werden vier Jahre hintereinander bemüßigt sich die Getränke aus ihrer Heimat nachsenden zu lassen und in den Taschen in Flaschen zum Dinner mitbringen, da die jüdischen Speisengesetzte vorschreiben, dass auch der Wein koscher sein müsse.“ 152 Wie aus den beiden vorhergehenden Zitaten herauszulesen ist, war Gleichenberg innerhalb von zwei Jahrzehnten zu einem Zentrum jüdischer Sommerfrischler geworden. Auch wenn man die Angaben „fast die Hälfte der Gleichenberger Curgäste“, „Frequenz von mehreren Tausend“ und „mindestens 2/3“ mit Vorsicht interpretiert, lässt die enorme Anzahl der Gäste keinen Zweifel an der Bedeutung der jüdischen Gäste für den südoststeirischen Kurort.

Schon zwischen 1875 und 1878 kam der ehemals in Wien als Armenarzt tätige Jude Paul Hönigsberg nach Gleichenberg. Jeder Arzt mit Praxisberechtigung durfte in Gleichenberg praktizieren, allerdings benötigte er die Zustimmung der anderen Kurärzte und der Kurverwaltung. 153 1886 kaufte er schließlich den 1843/44 erbauten „Wienerhof“ und führte ihn als Kurhaus für jüdische Gäste.154 Als „Managerin“ im Kurhotel, das zwanzig Zimmer hatte, fungierte seine Frau Emma. Sie leitete das Personal und war die „Dame und Seele des Hauses“, der unumschränkte Autorität zukam. 155 Nach der Übernahme des „Wienerhofs“ nutzte er das Gebäude einerseits als Kurhotel für seine Patienten und deren Angehörige sowie, sofern noch Platz war, für andere Kurgäste. Andererseits diente es auch als Unterkunft für seine Familie. 1912, im Alter von 79 Jahren, verkaufte Hönigsberg das Anwesen. 156

151 Grasmug, S. 151. 152 Grasmug, S. 152. 153 Vgl. List, S. 52. 154 Vgl. Mang/Erdenwinkel, S. 41. 155 Vgl. List, S. 57. 156 Vgl. List, S. 54. Thomas Stoppacher Seite 35 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Der „Wienerhof“ des langjährigen Kurarztes Paul Hönigsberg (1. Bild). 157

Gäste aus der österreichischen Hauptstadt und aus Ungarn bildeten zu dieser Zeit das Rückgrat des florierenden Kurortes. 158 Im Jahr 1900 beispielsweise kamen von den 4.754 Kurgästen 1.034 aus Wien und 2.143 aus Ungarn/Siebenbürgen. Weitere Details aus dieser Statistik weisen jeweils zwischen 140 und 160 Gäste aus Mähren/Schlesien, Galizien/Bukowina und aus Russland aus. 159 Die internationale Vielfältigkeit der Besucher beweist auch eine Liste der 78 verschiedenen in den Lesesalons des Curhauses aufliegenden Zeitschriften: Die Erscheinungsorte reichen von Wien und Graz über Budapest, Prag, Triest, Lemberg, Czernowitz, über Berlin, Paris, Petersburg, Warschau, Bukarest bis nach Rom und Mailand. 160 Ihnen stand ein hervorragendes kulturelles Angebot zur Verfügung: Neben der zwei- bis dreimal pro Tag konzertierenden Kurmusik, einer öffentlichen Bibliothek, einem kleinen Gesangsverein, Tanz- und Ballveranstaltungen im großen Kursaal oder Mailandsaal und Tombolas gab es in den Sommermonaten ein vielfältiges Angebot des örtlichen Kurtheaters zu bewundern. 161

Leider kehrte mit der zunehmenden Anzahl an jüdischen Gästen in Gleichenberg auch der Antisemitismus ein, besonders das Zusammentreffen der in bescheidenen Verhältnissen lebenden Landbevölkerung mit den gut situierten Kurgästen aus den Großstädten barg einiges an Konfliktpotential in sich und stärkte antisemitische Legenden vom „reichen Juden“. Ein überlieferter Vorfall aus dem Jahr 1894 veranschaulicht: „Als der ungarische

157 Fotografie aus dem Archiv Mang. 158 Vgl. Lamprecht, Gerald: Jüdische Friedhöfe in der Steiermark im 19. und 20. Jahrhundert. In: Kulturabteilung der Steiermärkischen Landesregierung. Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz (Hg.): Jüdische Friedhöfe in Österreich – Aspekte der Erhaltung. Dokumentation einer Expertenkonferenz. Graz 2010, S. 57. [In der Folge zitiert als Lamprecht/Friedhof] 159 Vgl. Schluss-Ausweis über die Saison des Jahres 1900 im Curorte Gleichenberg. 160 Vgl. Zeitschriften-Verzeichnis. 161 Vgl. Rauch, Wilhelm: Chronik des Kurtheaters (nicht veröffentlicht). 1985, S. 5. [In der Folge zitiert als Rauch/Kurtheater] Näheres zum Theater in Gleichenberg im fünften Kapitel zum Thema „Kulturgeschichte“. Thomas Stoppacher Seite 36 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Landtagsabgeordnete und Schriftsteller Koloman Mikszath bei den Spaziergängen mit seinen Kindern durch die frei herumlaufenden Pferde des Michael Grein wiederholt bedroht wurde, äußerte sich der Bauer nach einer Beschwerde bei der Bezirkshauptmannschaft u.a. folgendermaßen: ‚Die Juden sollen einfach nicht die Straße passieren.‘“ 162 Solche Zwischenfälle waren kein Einzelfall, aus dem Jahr 1899 ist überliefert, dass die minderjährige Lola Rosenbaum in der „Villa Rudolfshof“ als „unverschämte Person und gemeine Jüdin“ bezeichnet wurde. 163

Die Ergebnisse der Volkszählungen - der jeweilige Stichtag dazu war der 31. Dezember und somit außerhalb der von Mai bis September dauernden Kursaison - zeigen, dass es trotz der enormen Anzahl an jüdischen Kurgästen keine nennenswerte ortsansässige Gemeinde gab. 1880 deklarierte sich eine einzige Person der israelitischen Konfession zugehörig. Bei den Volkszählungen 1890 und 1900 waren es immerhin elf bzw. fünf Personen. 164 Aufgrund des Gesetzes zur Regelung der äußeren Rechtsverhältnisse der israelitischen Religionsgesellschaft mussten sich Ortschaften ohne eigene Kultusgemeinde deklarieren, ob sie eine solche konstituieren oder sich einer bestehenden einverleiben wollten. Für Gleichenberg meldete Gemeindevorsteher Ottokar Graf Wickenburg am 12. Juli 1892, dass Sigmund Breiner sich der IKG Graz angeschlossen habe. 165 „Hinsichtlich der in Gleichenberg Steuer zahlenden, dort jedoch nur vorübergehend (drei bis vier Monate) wohnhaften Israeliten, wurde für folgende Personen um Verhaltungsmaßregeln ersucht: für die ungarischen Staatsbürger Dr. David Kaufer, Dr. Josef Kentzler, Dr. Emil Ziffer, Dr. Martin Szigeti, Dr. Moriz Lazar, für den Handelsmann Moriz Weihs, für den Juwelier Josef Kardohs, für die Modistin Etelka Koch, für den Weinhändler Benjamin Hauer, für den nach Wien zuständigen Dr. Paul Hönigsberg und für den reichsdeutschen Handelsmann Albert Wiener. Von der Bezirkshauptmannschaft kam daraufhin die Antwort, dass es den ansässigen Israeliten vollkommen freistehe, sich zu einer Kultusgemeinde zu konstituieren bzw. eine diesbezügliche Erklärung abzugeben.“ 166 Die fünf erstgenannten ungarischen Staatsbürger und Hönigsberg waren 1892 und, abgesehen von Lazar, 1902 allesamt Kurärzte in Gleichenberg.167 Der schon erwähnte Paul Hönigsberg führte den „Wienerhof“. Misco Lazar praktizierte in der „Villa Max“, David Kaufer in der „Villa Streichenwein“, Emil Ziffer in der „Charlottenburg“ und

162 Grasmug, S. 160. 163 Vgl. Grasmug, S. 160-161. 164 Vgl. Schober, S. 163. 165 Vgl. Grasmug, S. 136. 166 Grasmug, S. 136. 167 Vgl. Grasmug, S. 156. Thomas Stoppacher Seite 37 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Josef Kentzler führte seine Arztpraxis im „Theresienhof“. 168 Der hohe Anteil von jüdischen Kurärzten war kein Zufall: Im 19. Jahrhundert wurden die medizinischen Berufe akademisiert. Der Anteil an jüdischen Medizinstudenten an der Universität Wien war enorm hoch. 23,5 Prozent im Jahr 1857, 41,5 Prozent im Jahr 1861 als Spitzenwert und noch immer 32,36 Prozent 1866. 169 Durch die vielen Absolventen gab es in der Großstadt unter den Ärzten eine wachsende Konkurrenzsituation. Dies war ein Grund, weshalb das junge Kurarztwesen sich einer solchen Popularität erfreute, weil es ein besonderes Tätigkeitsfeld außerhalb der urbanen Zentren ermöglichte. 170 Da die Kursaison in Gleichenberg nur von Mai bis September dauerte, hatten einige Ärzte noch andere Tätigkeitsbereiche, beispielsweise eine Praxis in Wien oder Budapest. Ein spezieller Fall war Paul Hönigsberg: Er arbeitete auch in der zweiten Hälfte des Jahres als Kurarzt. Ab 1883 war er über den Winter in Meran in Südtirol wohnhaft und tätig.171

4.2. Jahrhundertwende bis zum Ende der Habsburgermonarchie

Österreich-Ungarn In der Habsburgermonarchie gestalteten sich die Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden in den Zeiten des Wohlstands erträglich, während sozialer oder wirtschaftlicher Krisen verschlechterten sie sich allerdings rapide. Antipathien gegen Juden wurden oft von Seiten der christlichen Theologie hervorgerufen. Das Überleben der jüdischen Bevölkerung hing jedenfalls immer vom Wohlwollen und Schutz der jeweiligen Herrscher ab. Besonders seit der Thronbesteigung Joseph II. im Jahre 1780 behandelten die Habsburger die Juden zum größten Teil vorurteilsfrei, so dass diese ihre Ghettos verlassen konnten um in der modernen säkularisierten Welt ihren Beitrag zur Entwicklung der westlichen Zivilisation zu leisten. 172 Im Jahr 1910 wurden innerhalb der Grenzen der Habsburgermonarchie über 2,2 Millionen Angehörige der jüdischen Konfession gezählt, das entsprach einem Anteil von 3,9 Prozent der Gesamtbevölkerung. Damit waren die Juden eine doch beträchtliche Religionsgemeinschaft bzw. Bevölkerungsgruppe im Vielvölkerstaat der Habsburger. 173 In Galizien waren zwei Drittel der Bevölkerung Juden, in Niederösterreich, inklusive der Kaiserstadt Wien, immerhin

168 Vgl. Clar, S. 42. 169 Vgl. List, S. 42. 170 Vgl. List, S. 52. 171 Vgl. List, S. 58. 172 Vgl. Pauley, S. 42. 173 Vgl. Bihl, S. 7. Thomas Stoppacher Seite 38 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

14 Prozent. 174 In Gleichenberg allerdings schien bei der Volkszählung 1910 keine ortsansässige jüdische Bevölkerung mehr auf. 175 Schon 1904 gab es keine jüdischen Bürger mit Heimatrecht mehr. Die saisonale jüdische Gemeinde in Gleichenberg prägte den Kurort von Mai bis September allerdings nach wie vor maßgeblich. 176

Gleichenberg Ab der Kursaison 1902 war der in Trnowitz/Mähren geborene Mag. Julius Roda Assistent von Dr. Ernst Fürst an der Apotheke im Kurort. Als Fürst seinen Beruf wegen chronischem Gichtleiden aufgeben musste, bestellte er Roda zum Stellvertreter und Leiter der Apotheke. Er geriet als Parteigänger des Aktienvereins in Streitigkeiten mit der Gleichenberger Bürgerschaft und wurde von dieser wegen seiner jüdischen Abstammung beschimpft.177 In die Streitigkeiten zwischen Gemeinde und Aktienverein mischten sich vermehrt antisemitische Töne: „Der Gegensatz zwischen Gemeinde und Aktienverein (AV) kam 1909 durch die Eingabe von Gemeindevorsteher Höflinger an die Bezirkshauptmannschaft zum Ausdruck, wobei antisemitische Tendenzen erstmals klar zum Ausdruck kamen: ‚Die Verhältnisse im Kurort Gleichenberg sind geradezu unleidliche geworden, da sämtliche Machtbefugnisse in die Hände des AV gelegt sind und dieser Verein nun daran geht, dieselben in jeder Weise auszunützen. Dieses Vorgehen erzeugt natürlich aus Notwehr einen Gegendruck, der dem Kurorte zum großen Schaden gereicht.‘ Über den Kurdirektor Vallon schreibt Höflinger: ‘Wird Gleichenberg häufig von deutschen Bauersfrauen aus dem Banat besucht; dieselben sind sehr vermögend, sehr rein und nett gekleidet und es gehört zu ihrer Landestracht ein schwarzes Kopftuch. Dieses letztere bewog den Herrn Direktor, gegen diese Frauen einzuschreiten und ihnen das Sitzen auf den Bänken im Brunnenpark zu verbieten, trotzdem er von ihnen vorher 20 Kronen Kurtaxe einkassiert hatte. Wir sind der Ansicht, dass sich diese Frauen neben den vielen polnischen Juden wie Königinnen ausnehmen.‘“ 178

Die infrastrukturelle Situation in Gleichenberg gestaltete sich folgendermaßen: Der „Wienerhof“ kam um die Jahrhundertwende zusammen mit dem christlichen „Haus zum Pilger“ zum Hospitalfond. Begüterte adelige Kurgäste erhielten mit Tombola- Veranstaltungen, Spenden und Sammlungen eine Einrichtung, um armen und sozial

174 Vgl. Bihl, S. 14. 175 Vgl. Schober, S. 163. 176 Vgl. Grasmug, S. 136. 177 Vgl. Grasmug, S. 157. 178 Grasmug, S. 158-159. Thomas Stoppacher Seite 39 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte schwachen Kranken den Kuraufenthalt zu ermöglichen. 179 Neben den Leitern des israelitischen Hospitals waren um die Jahrhundertwende Dr. Martin Szigeti aus Kecskemét und Dr. David Kaufer aus Pécs/Fünfkirchen Kurärzte mit israelitischer Konfession, die in Gleichenberg ordinierten. 180 Die rituelle Küche des „Wilhelmshof“ übersiedelte um 1900 in die danebengelegene „Villa Hungaria“. Der „Theresienhof“ ging von Siegmund Breiner an den neuen Pächter Max Goldschmied, dessen „rituelle vorzügliche Wiener Küche“ ein Aushängeschild des Kurortes war. 181 Nach dem Ableben von Breiner hatte seine Witwe Antonia den Gastbetrieb geführt. Als sie jedoch 1907 nach Abbazia zog, verpachtete sie ihr Haus an Goldschmied. 1918 kaufte dieser den „Theresienhof“. 182 Eine wichtige Person im jüdischen Gleichenberg war der kurz vor der Jahrhundertwende aus dem ungarischen Papa gekommene Beschneider, Schächter und Gastwirt Salomon Eisen. Nachdem er anfangs im Dorf Gleichenberg über die Kursaison ein rituelles Speiselokal führte, arbeitete er vorübergehend als Schächter für die Hotelierin Ernestine Tritsch, der die Villen „Hungaria“ und „Wilhelmshof“ gehörten. 1906 betrieb er wieder eine rituelle Küche, diesmal in der Restauration „Baumer“. Da dieses Gasthaus etwas abseits des Zentrums lag, wurde den Gästen zur Mittagszeit gratis ein Wagen zur Verfügung gestellt. Vor Beginn des Ersten Weltkriegs führte er schließlich eine israelitische Küche im Gasthaus „Fünfkirchen“.183 Diese ist in der ersten Auflage des „ Steiermark. Hand- und Reisebuch“ aus dem Jahr 1914 zusammen mit dem „Theresienhof“ als israelitische Küche genannt. Ausdrückliche Erwähnung findet dort auch das israelitische Hospital „Zur Barmherzigkeit“. 184 Dieselben beiden Restaurationen, im Falle des „Theresienhofs“ zusätzlich auch Pension, sind im Reiseführer des Aktienvereins 1910 als „israelitisch“ gekennzeichnet. In diesem Heft ist zusätzlich vermerkt, dass der israelitische Gottesdienst jeden Samstag im Hotel „Theresienhof“ stattfand. 185 Während der Kursaison zwischen Mai und Oktober waren laut Aufzeichnungen aus dem Archiv von Willy Rauch ständig zwei Rabbiner und mindestens ein Schächter in Gleichenberg, um den jüdischen Kurgästen ein Leben nach ihren religiösen Vorschriften zu gewährleisten.186 Neben den bis dahin angeführten Lokalen fanden Schächtungen auch in der

179 Vgl. Mang/Erdenwinkel, S. 41. 180 Vgl. Schober, S. 168-169. 181 Vgl. Schober, S. 165. 182 Vgl. Grasmug, S. 138. 183 Vgl. Schober, S. 165-166. 184 Vgl. Untersweg, Hans: Mittelsteiermark. IV. Staatsbahnlinie Graz-Fehring. In: Gawalowski, Karl W.: Steiermark. Hand- und Reisebuch. 1. Auflage. Graz 1914, S. 345. 185 Vgl. Kurort, S. 62-63. 186 Vgl. Mang, Ria: Jüdisches Leben in Bad Gleichenberg. Aus dem Archiv von Willy Rauch. (nicht veröffentlicht). Thomas Stoppacher Seite 40 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Fleischerei Kaulfersch statt. Über diese berichtet der Kurortfotograf Franz Wurm laut einer Reportage in der „Kleinen Zeitung“ : „Ich wurde von Juden beauftragt, die Schlachtung einer Kuh zu fotografieren. Sie verwendeten dazu ein säbelartiges langes Messer, das sie aus einem Futteral nahmen. Mit diesem Messer schnitten sie der Kuh den Hals durch.“ 187 Wurm benannte laut diesem Bericht aus dem September 2011 den „Annahof“ als „Judenhotel“ und das Tempelhaus lokalisierte er „bei Haus Würzburg“.188

Jüdische Kurtouristen waren schon zur Jahrhundertwende mit dem sogenannten „Sommerfrischen-Antisemitismus“ konfrontiert. Der christlich-soziale Reichsratsabgeordnete und Priester Joseph Scheider schrieb in seinem utopisch-antisemitischen Werk „Aus dem Jahre 1920 “: „Wo man hinspuckt – nichts als Juden. Alle Sommerfrischen, Bäder, alle Wintercurorte, überall wimmelt es von Juden.“ 189 Im Zuge seines steilen Aufstiegs in Gleichenberg hatte Salomon Eisen immer wieder mit antisemitischen Querschlägen seitens der Gemeinde zu kämpfen. Als er anfangs ein von Philipp Schweighofer gepachtetes Lokal, um dessen Genehmigung es schon eine langwierige Kontroverse gegeben hatte, in Gleichenberg-Dorf betrieb, wurde ihm vorgeworfen, einen „unreinen“ Betrieb zu führen, „so dass die ganze Luft verpestet und nicht einmal das Vieh in Folge des Gestankes vorüber zu treiben war“. 190 Ein interessantes Zeugnis über den schon in der Monarchie offenkundig vorhandenen Antisemitismus einerseits, aber auch Indiz für die in auffallend großer Anzahl vorhandenen jüdischen Kurtouristen ist ein Eintrag aus dem Fremdenbuch auf der „Albrechtswarte“, ein Aussichtspunkt auf den Hügeln um den Kurort in Gleichenberg. Dort schrieb am 13. August 1907 ein Besucher aus Wien in launiger Reimform: „Die Aussicht ist gewiss hier sehr schön, darum pflegen sehr viele hier her zu gehen. Die Berge und Täler ziehen weit sich hinaus, aber Juden sind so viele hier: Das is a Graus! Darum flüchten wir uns in die Klause, bei den Leuten da ist es gut jausnen!“ 191 Dieser aggressive Sommerfrischen-Antisemitismus war vor dem Ersten Weltkrieg vor allem in den österreichischen Ferienorten weit verbreitet. 192

187 Schleich, Johann: „Sie kamen gerne in den Kurort“. Online im Internet: http://www.kleinezeitung.at/steiermark/feldbach/trautmannsdorf_in_oststeiermark/2839358/kamen-gerne-den- kurort.story . [In der Folge zitiert als Schleich/Kleine Zeitung] 188 Vgl. Schleich/Kleine Zeitung. 189 Lichtblau, S. 109. 190 Vgl. Grasmug, S. 139-140. 191 Eintrag im Fremden-Buch der Freien Erzherzog „Albrechts Warte“. 1907. 192 Vgl. Triendl-Zadoff, S. 155. Thomas Stoppacher Seite 41 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Der Umschlag des Fremdenbuchs von der Albrechtswarte (2. Bild) und der zitierte antisemitische Eintrag (3. Bild). 193

Aus der Zeit von 1908 bis 1914 lassen sich dank dem „Grazer Israelitischen Gemeindeboten“ die in Gleichenberg verstorbenen Kurgäste nach ihrer Herkunft rekonstruieren, hier aufgelistet in chronologischer Reihenfolge nach Sterbemonat: Simon Kerpel, Hausierer aus Wien. David Rappaport, Reisender aus Zürich/Schweiz. Adalbert Breisach, cand. Med. aus Wien (Juni 1909). Israel Kahan, Kaufmann aus Marmaros-Sziget (Juli 1909). 194 Alexander Bäder, Handlungskommis aus Budapest (September 1909). 195 Karl Langberg, Kaufmann aus Striziwojna/Slawonien (Juni 1910). 196 Johanna Weiß, Kaufmannsgattin aus Ödenburg/Ungarn (Juli 1910). 197 Aladar Schimek, Handelsangestellter aus Budapest. Bernard Kaufmann, Kaufmann aus Fogaras. Samuel Kohn, Kaufmann aus Modos/Komitat Torontal (Juni 1911). Franz Klein, Lampenarbeiter aus Budapest (August 1911). 198 Nandor Viola, Bankbeamter aus Budapest (September 1911). 199 Dr. Bernhard Rechberger, Advokat aus Belovar (Juli 1912). 200 Julie Meisel, Lehrerin aus Budapest (Juli 1913). Marie Rapoport, Kaufmannsgattin aus Stanin/Galizien (August 1913). 201 Aus dieser Auflistung lässt sich zusammenfassen: „Von den 15 in diesen Jahren Verstorbenen stammten zwei aus Wien, fünf aus Budapest, einer aus Sopron/Ödenburg, drei aus dem übrigen Ungarn,

193 Beide Bilder sind Fotografien des Originalmaterials aus dem Privatarchiv Mang. 194 Vgl. Grazer Israelitischer Gemeindebote, Nr. 5/1909. 195 Vgl. Grazer Israelitischer Gemeindebote, Nr. 6/1909. 196 Vgl. Grazer Israelitischer Gemeindebote, Nr. 5/1910. 197 Vgl. Grazer Israelitischer Gemeindebote, Nr. 6/1910. 198 Vgl. Grazer Israelitischer Gemeindebote, Nr. 5/1911. 199 Vgl. Grazer Israelitischer Gemeindebote, Nr. 6/1911. 200 Vgl. Grazer Israelitischer Gemeindebote, Nr. 4/1912. 201 Vgl. Grazer Israelitischer Gemeindebote, Nr. 5/1913. Thomas Stoppacher Seite 42 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte zwei aus Kroatien-Slawonien (einer der beiden, ein Rechtsanwalt aus Bjelovar/Belovar, wurde aber in seine Heimatstadt überführt), einer aus Galizien und schließlich einer aus Zürich.“ 202 Neun der fünfzehn Toten kamen also aus Ungarn und bestätigen eindrucksvoll die große Affinität der ungarischen Juden zu Gleichenberg. Bis zu 2.000 Gäste aus dem transleithanischen Teil der Monarchie kamen um die Jahrhundertwende jährlich nach Gleichenberg. Sie blieben dem Kurort auch nach der politischen Neuordnung nach dem Ersten Weltkrieg treu. 203

Ende der Monarchie Mit dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie begann im Sommer 1918 eine neue Antisemitismuswelle. Im Juni 1918 wurden die Juden bei einer Großdemonstration der Christlichsozialen und Alldeutschen als Kriegsgewinnler verunglimpft, ihnen wurde auch die Schuld für die Lebensmittelknappheit gegeben. Selbst Aufrufe zu einem Pogrom wurden vernommen. Öffentliche Demonstrationen, die mitunter in Gewalttätigkeiten ausarteten, hielten sich bis Ende 1923. Die Vorkommnisse ab dem Kriegsende 1918 waren ein Vorgeschmack auf die Zukunft, der Erste Weltkrieg mit seinen politischen Folgen erwies sich als wichtiger Wendepunkt in den Beziehungen zwischen den Juden und der deutschsprachigen Bevölkerung in Österreich. 204 Für die jüdischen Kurgäste in Gleichenberg sollte es trotz dieser politischen Entwicklungen und Umwälzungen vorerst verhältnismäßig ruhig bleiben, es kam in den 1920er und 1930erJahren sogar zu einem letzten Aufschwung des jüdischen Lebens im Kurort.

4.3. Zwischenkriegszeit: Aufkommender Antisemitismus und letzte Blüte

Österreich und Antisemitismus Eingangs ein Blick zur Anzahl und zur gesellschaftlichen Situation der jüdischen Bevölkerung in Österreich: Gemäß der Volkszählung 1923 wurden in der im November 1918 gegründeten Republik Österreich von 6,5 Millionen Einwohnern 220.000 Juden gezählt. 201.513 davon lebten in Wien, das waren 10,8 Prozent der Stadtbevölkerung. 205 Damit war

202 Schober, S. 166-168. 203 Vgl. Riegler, S. 55. 204 Vgl. Pauley, S. 111-112. Über die Auswirkungen dieses politischen Umbruchs wird im Kapitel 4.3 berichtet. 205 Vgl. Pauley, S. 123. Thomas Stoppacher Seite 43 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte die österreichische Hauptstadt, gemessen an der Anzahl sich zum jüdischen Glauben bekennenden Personen, nach New York, Warschau, Chicago, Philadelphia und Budapest sogar die sechstgrößte jüdische Stadt der Welt. 206 Trotz der beachtlichen Präsenz der österreichischen Juden im neuen Staat verschlechterte sich deren Status in der Mehrheitsbevölkerung. Da in der Monarchie der Antisemitismus großteils „von oben“ unterdrückt oder zumindest eingeschränkt wurde, war die jüdische Bevölkerung in den letzten Jahren der Habsburgerära besser vor Attacken geschützt als in den nun folgenden Jahren. 207 In der ersten Republik waren plötzlich viele ehemalige Österreicher Ausländer. 1919 und 1920 versuchten die Behörden in Niederösterreich ehemalige Staatsangehörige der Doppelmonarchie auszuweisen. Diese Maßnahmen, die auf die jüdischen Flüchtlinge aus Galizien abzielten, wurden letztendlich doch nicht durchgeführt. 208 Doch allein die Intention zeigt die feindliche Haltung gegenüber den „Ostjuden“. Die galizischen Juden, wegen der Bedrohung der Pogrome im nahen zaristischen Russland vor und während des ersten Weltkriegs nach Wien geflüchtet, waren meist der Unterschicht zuzuordnen, sprachen jiddisch und polnisch und waren sehr religiös. Damit standen sie in vielfachem kulturellem Gegensatz zur assimilierten Mehrheit der jüdischen Gemeinde in Wien. 209 Rede- und Versammlungsfreiheit als demokratische Rechte in der neuen Republik bewirkten auch eine Zunahme von Demonstrationen und antisemitischen Parolen in der Presse. In den wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit hoher Arbeitslosigkeit, dies betraf vor allem die Nachkriegsjahre bis 1923 und die Weltwirtschaftskrise ab 1930, waren judenfeindliche Strömungen in Österreich am Höhepunkt. 210 Die jüdische Bevölkerung selbst wurde von der Wirtschaftskrise ebenfalls hart getroffen, ihre Zahl ging bis 1934 auf 176.034 zurück. Austritte, interkonfessionelle Ehen und ein drastischer Geburtenrückgang wurden von neuen Zuwanderern nicht mehr ausgeglichen. Der Prozentsatz der jüdischen Studenten sank von 42,1 Prozent im Jahr 1920/21 auf 24,8 Prozent 1925/26. Neben der schlechten Wirtschaftslage waren dafür die hohen Inskriptionsgebühren für Ausländer sowie der gewalttätige Antisemitismus an den Wiener Hochschulen verantwortlich.211

206 Vgl. Pauley, S. 17. 207 Vgl. Pauley, S. 114. 208 Vgl. John, Michael: Migration und Multikulturalität in Österreich. Kontinuitäten und Brüche im 19. und 20. Jahrhundert. In: Böhler, Ingrid / Steininger, Rolf (Hg.): Österreichischer Zeitgeschichtetag 1993. 24. bis 27. Mai 1993 in Innsbruck, S. 205. 209 Vgl. John, S. 200. 210 Vgl. Pauley, S. 114-115. 211 Vgl. Lappin, Eleonore: Juden in Wien. In: Museen der Stadt Wien (Hg.): Wir. Zur Geschichte und Gegenwart der Zuwanderung nach Wien. 217. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien. 19. September bis 29. Dezember 1996. Ausstellungskatalog, S. 65. Thomas Stoppacher Seite 44 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Die Schlussfolgerung, die neu eingeführte Demokratie habe den Antisemitismus gestärkt, ist trotzdem falsch. Bestimmte Errungenschaften der Demokratie, wie beispielsweise die Abschaffung der Zensur, erleichterten zwar hinsichtlich gewisser Möglichkeiten die Äußerung dieser judenfeindlichen Strömungen, waren aber keineswegs die Ursache davon. 212 „Antisemiten waren die Feinde der Demokratie. Man kann jedenfalls mit Befriedigung feststellen, dass im allgemeinen diejenigen Österreicher, die zu den heftigsten Verfechtern der Demokratie zählten, am wenigsten zum Antisemitismus neigten, ja in manchen Fällen sogar Philosemiten waren. Die fanatischsten Anhänger des Antisemitismus waren meist auch Erzfeinde der Demokratie. Bis 1933 hatten die Antisemiten das Ihre dazu beigetragen, dass der eben flügge gewordenen österreichischen Demokratie vorzeitig der Todesstoß versetzt wurde.“ 213 Faktoren für die Eskalation und Radikalisierung des Antisemitismus in Österreich waren neben dem Wegfallen der „Schutzherrenfunktion“ des Kaisers für die jüdische Minderheit die Wirtschafts- und Ernährungskrise. Dies wirkte sich vor allem in Touristenorten aus, dort wurde durch die schwierige finanzielle Lage das Verhältnis zwischen Einheimischen und Gästen empfindlich belastet. Der Sozialneid richtete sich dabei oft auf die „reichen jüdischen“ Besucher. Die Juden waren nach dem Zusammenbruch der Monarchie und dem damit verbundenen Wegfall der Nationalitätenkonflikte als einzige nennenswerte Minderheit in Österreich, die sich als Angriffsfläche eignete, übriggeblieben.214 So wurde der Antisemitismus im Österreich der Zwischenkriegszeit eine weit verbreitete Unart. Neben den größeren politischen Parteien bedienten sich auch verschiedene Vereine und private Organisationen antijüdischer Propaganda. Viele Gesetze gegen Juden, die in Deutschland nach 1933 in Kraft gesetzt wurden, waren in Österreich schon nach dem Ersten Weltkrieg oder früher diskutiert worden. Der österreichische Antisemitismus und die in Deutschland schon von Hitler und der NSDAP diktierte antijüdische Politik beeinflussten sich gegenseitig.215 „Der Antisemitismus in Österreich lässt sich am besten verstehen, wenn man ihn in Kategorien einteilt und diese Kategorien den verschiedenen politischen Parteien und Bewegungen zuordnet. Die Kategorien blieben im Österreich der Zwischenkriegszeit die gleichen, wie sie es im späten 19. Jahrhundert gewesen waren: eine religiöse, wirtschaftliche, soziale und rassische […]. Wirtschaftliche und soziale Motivationen fanden sich in jeder Form des österreichischen Antisemitismus. Der religiöse Antisemitismus stand naturgemäß in engster Verbindung mit den Katholiken und ihrer Christlichsozialen Partei, doch scheuten

212 Vgl. Pauley, S. 116. 213 Pauley, S. 115. 214 Vgl. Bajohr, S. 145-146. 215 Vgl. Pauley, S. 21. Thomas Stoppacher Seite 45 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte auch die übrigen bürgerlichen Parteien des Landes keineswegs davor zurück. Selbst den Sozialdemokraten kann religiöser Antisemitismus vorgeworfen werden, nur dass sie eben allen Religionen, nicht nur der jüdischen, misstrauten. Rassischer Antisemitismus fand sich am häufigsten bei den großdeutschen Parteien, doch nahmen einige der extremen Katholiken einen ähnlichen Standpunkt ein, wenn sie getaufte Juden erst nach drei Generationen als vollwertige Christen betrachteten.“ 216 Zwei Beispiele aus Graz veranschaulichen, wie judenfeindliche Parolen und Aktionen in der Öffentlichkeit zunahmen: Der Verlagsgründer und Nationalrat Leopold Stocker sprach am 4. Oktober 1920 bei einer Veranstaltung der nationalen Bauernbündler im Hotel Erzherzog Johann unter begeisterndem Jubel in einer Rede über die ostjüdischen Einwanderer: „So ein Pogrom braucht gar nicht allzu blutig zu verlaufen; denn wenn auch nur ein Dutzend Juden einmal auf den Laternenpfählen baumeln, dann verschwinden die übrigen 800.000 von selbst nach Galizien und Ungarn, woher sie gekommen sind. Dann wird es wieder möglich sein, eine wahre Heimat- und Volkspolitik zu betreiben.“ 217 Die Partei von Stocker, welche ab 1922 „Landbund für Österreich“ hieß, stand auf „antisemitischer Grundlage“ und sah die „jüdische Rasse“ als zu bekämpfendes, „volkszersetzendes“ Element. Der Verlag vom Vorsitzenden Leopold Stocker stellte sich ganz in den Dienst der antisemitischen Propaganda und brachte eine Reihe von Schriften dieser Art heraus. 218 Aus dem Jahr 1923 ist bekannt, dass der steirische Landesrabbiner David Herzog von nationalen Studenten der Sängerschaft „Gothia“ in einem Café mit einem auf Papier gemalten Hakenkreuz empfangen wurde. Auf diesem „gehört der Jude gehängt“ , teilte ihm einer der Hochschüler mit. Im November desselben Jahres kam es zu einem weiteren antisemitischen Zwischenfall im Studentenmilieu. Die jüdische Sportvereinigung „Hakoah“ hatte das heutige Schubertkino für eine Filmvorführung gemietet und wurde von Nationalsozialisten überrascht, woraufhin es zu tätlichen Auseinandersetzungen kam. Vier Tage nach diesem Vorfall fasste die „Deutsche Studentenschaft“ den Beschluss, die Universität für jüdische Kommilitonen zu sperren. Obwohl sie diesen auf Druck der Rektoren zurücknehmen musste, zeigt auch diese Begebenheit das Anschwellen eines aggressiven Antisemitismus in der Öffentlichkeit. 219

216 Pauley, S. 180. 217 Kremshofer, S. 59. 218 Vgl. Rütgen, Herbert: Antisemitismus in allen Lagern. Publizistische Dokumente zur Ersten Republik. Österreich 1918-1938. Dissertation. Graz 1989, S. 187-189. 219 Vgl. Reitter, Gudrun: Die Grazer Israelitische Kultusgemeinde 1908-1938. In: Binder, Dieter A. / Reitter, Gudrun / Rütgen, Herbert: Judentum in einer antisemitischen Umwelt. Am Beispiel der Stadt Graz 1918-1938. Graz 1988, S. 82-83. Thomas Stoppacher Seite 46 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

In der Ersten Republik gab es in Österreich ein großes Spektrum an völkisch-nationalen Vereinen. Diese hatten die Abwehr des Judentums mit einem auf rassischer Grundlage stehenden Antisemitismus in ihrem Programm. Der „Antisemitenbund“ oder die „Pan-arische Union“ waren Organisationen dieser Art. Aber auch Sport-, Turn- oder Alpenvereine hatten den „Arierparagraphen“ in ihren Statuten, der die Mitgliedschaft von Juden in ihren Bünden ausschloss. Die drei Grundsätze des „Deutschen Turnerbunds“ waren „Rassereinheit, Volkseinheit und Geistesfreiheit“, die Mitglieder sollten ihre ganze Lebensführung danach ausrichten. Der Verein griff demnach auch ins politische Tagesgeschehen ein und beteiligte sich an antisemitischen Veranstaltungen und Krawallen. 220 „Der im Vereinswesen so weitverbreitete Antisemitismus, primär sichtbar gemacht durch den ‚Arierparagraphen‘, widerspiegelte das politische und gesellschaftliche Leben des Landes.“ 221 Im Gegensatz zu privaten Organisationen waren Fremdenverkehrs- und Kurorte nicht berechtigt, bei der Aufnahme ihrer Mitglieder Unterschiede zu machen. 222 Nichts desto trotz mehrten sich in österreichischen Beherbergungsbetrieben die Manifestationen, Juden seien als Gäste nicht willkommen. Manche Gemeinden definierten sich öffentlich als „judenrein“. Diese Art von „Sommerfrischen-Antisemitismus“ war bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme eigentlich rechtswidrig. Im Artikel 6 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, der in die Verfassung der Ersten Republik übernommen wurde, war schließlich jedem Bürger Bewegungsfreiheit zugesagt. Dies wurde auf eine Anfrage der „Union Österreichischer Juden“ in einem Erlass des Bundeskanzleramtes 1929 bestätigt. Vor dem Ersten Weltkrieg scheint es nur selten zu solchen Diskriminierungsversuchen gekommen zu sein und die wenigen Vorfälle wurden in der Regel von den Behörden schnell unterbunden. 223 Nun war das nicht mehr der Fall: „Die in mehrfacher Hinsicht als krisenhaft zu bezeichnenden Jahre vom zu Ende gehenden Ersten Weltkrieg bis in die frühen zwanziger Jahre stellen für die Geschichte des österreichischen Antisemitismus eine Wende dar, gekennzeichnet von Radikalisierung der Sprache und größerer Bereitschaft zu Tätlichkeiten. Der Sommerfrischen-Antisemitismus ist dafür ein sprechendes Beispiel. Wenn das propagandistische Getöse auch nicht überschätzt werden sollte und seine Konjunktur bald wieder abflachte, nahmen neben Wohlbefinden und Sicherheit der jüdischen Gäste

220 Vgl. Rütgen, S. 376-395. 221 Rütgen, S. 395. 222 Vgl. Pauley, S. 163. 223 Vgl. Fellner, Günther: Judenfreundlichkeit, Judenfeindlichkeit. Spielarten in einem Fremdenverkehrsland. In: Kriechbaumer, Robert (Hg.): Der Geschmack der Vergänglichkeit. Jüdische Sommerfrische in Salzburg (= Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 14). Wien/Köln/Weimar 2002, S. 60-61. Thomas Stoppacher Seite 47 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Rechtsstaat und politische Kultur Schaden.“ 224 In der Zwischenkriegszeit schritt der Ausschluss von Juden aus dem Alpenverein und anderen Tourismus- und Freizeitsportvereinen immer weiter voran. Der „Sommerfrischen-Antisemitismus“ wird zum bekannten Begriff und zum Thema zahlreicher Zeitungsartikel. Trotzdem gibt es in den Erinnerungen von österreichischen Juden wenige Hinweise und Nennungen dieses Phänomens, lebensgeschichtliche Texte und zeitgenössische Quellen zeigen hier keine einheitliche Lage. 225 Der Grund liegt wohl darin, dass viele Hotel- und Pensionsbesitzer über den Sommer ihre nationalsozialistisch-antisemitische Einstellung „vergaßen“. Dies ist gut dargestellt in einem jüdischen Witz: „Blau trifft in Ischl auf einer Cafehausterrasse seinen Freund Grün. ‚Ich wohne im „Roten Ochsen“‘, berichtet Grün. ‚Aber ich bitt‘ dich‘, sagt Blau, ‚der Besitzer ist doch ein bekannter Nazi!‘ Grün eilt ins Hotel und kündigt. ‚Aber Herr Grün!‘ sagt der Wirt, ‚waren sie nicht zufrieden?‘ ‚Zufrieden war ich schon‘, gibt Grün zu. ‚Aber man hat mir erzählt, dass Sie ein Nazi sind.‘ Wirt, entrüstet: ‚Was! I, in der Sommersaison a Nazi?‘“ 226 Fakt ist, dass die „Union österreichischer Juden“ alljährlich eine Liste mit Orten, in denen es zu antisemitischen Vorfällen gekommen war, und judenfeindlichen Vermietern veröffentlichte. 1933 wurde sogar eine eigene Informationsstelle eingerichtet, in der man sich unentgeltlich Auskünfte über Kurorte und Sommerfrischen einholen konnte. 227 In der Auflistung der judenfeindlich eingestellten Ortschaften 228 fanden sich Gemeinden aus allen Bundesländern, in der Steiermark waren prominente obersteirische Tourismusorte wie Alt-Aussee, Frohnleiten, Murau oder Schladming vertreten. 229

Gleichenberg Bad Gleichenberg schien in diesen Aufzählungen zwar nie auf und gehörte mit Sicherheit nicht zu den als „antisemitisch“ bekannten Kurorten, doch frei von den judenfeindlichen Zwischenfällen war man auch in der südoststeirischen Provinz nicht. Die Besucherfrequenz in Gleichenberg stieg in der Zwischenkriegszeit von rund 5.000 Gästen pro Saison vor dem Ersten Weltkrieg kontinuierlich auf bis zu 8.048 (Spitzenwert 1928). 230 Auch der jüdische Kurtourismus in Bad Gleichenberg erlebte in der Zwischenkriegszeit seine letzte Blütezeit. Die jüdische Wochenzeitung „Die Wahrheit“ schrieb 1930: „Wenn man nach einer Pause von einigen Jahren wieder nach Gleichenberg kommt, so empfindet man fast

224 Fellner, S. 61. 225 Vgl. Lichtblau, S. 109-110. 226 Lichtblau, S. 111. 227 Vgl. Lichtblau, S. 112. 228 Vgl. Lichtblau, S. 116-124. 229 Vgl. Lichtblau, S. 122. 230 Vgl. Fuksas/Geschichte, S. 162. Thomas Stoppacher Seite 48 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Reue über die Unterlassungssünde und freut sich doppelt beim Anblick dieses paradiesischen Badeortes in der grünen Steiermark. Jeder Kurort hat seine besonderen Anziehungspunkte. Nach Gleichenberg aber kommt man wegen des Ortes selbst. Ein förmlicher Zauber liegt ausgebreitet über dieses gesegnete Tal. Beim Anblick dieser prächtigen Naturschönheiten lacht einem das Herz im Leibe. Das milde, staubfreie Klima Gleichenbergs, vereint mit seinen mannigfachen Kurmitteln, ist bestimmt geeignet, leidenden Menschen Genesung und Heilung zu bringen. Dass die Kurverwaltung bestrebt ist, den Badeort immer moderner auszugestalten, beweisen die neuen, streng hygienisch eingerichteten Bade- und Inhalationsräume. Auch die Fahrt nach Gleichenberg soll nun weit angenehmer werden, wie es bis jetzt der Fall war. Ab nächstes Jahr soll die Bahn bis Gleichenberg verkehren. An der Herstellung der Bahnstrecke wird fleißig gearbeitet.“ 231 Der Bezirk Feldbach war bei der Volkszählung 1934 nach heutiger Einteilung der steirischen Bezirke der einzige ohne jegliche ortsansässige jüdische Bevölkerung. 232 Trotzdem konnten die Besucher aus dem In- und Ausland - bis in die letzten Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg kamen viele Kurgäste aus dem osteuropäischen Raum (Ungarn, Jugoslawien, Polen, Rumänien, Tschechoslowakei etc.) - auf eine funktionierende jüdische Infrastruktur vor Ort zurückgreifen. 233 In Gleichenberg nahm der Aufstieg des Salomon Eisen seine Fortsetzung, er kaufte die nahe bei den Kuranlagen gelegene „Villa Scherbaum“, die in den nächsten Jahren „Hotel Eisen“ und „Villa Dreibaum“ hieß. 234 Vorerst kämpfte er zwei Jahre darum, seine Gasthauskonzession von der Restauration „Baumer“ in Gleichenberg-Ort aufs Haus „Dreibaum“ ins Kurzentrum zu verlegen. Er argumentierte damit, dass viele reiche jüdische Kurgäste in Orte wie Baden bei Wien oder Reichenhall abwandern, weil sie dort eine bessere Infrastruktur für die Ausübung ihrer jüdischen Glaubensgesetze vorfinden. 235 Als Beispiel nannte er die Erklärung des aus dem heutigen Oradea in Rumänien stammenden Großkaufmanns Alexander Leitner, „[…] dessen Vater schon zehn Mal Reichenhall aufgesucht habe, wo man bequemere örtliche Verhältnisse vorfinde: ‘Es ist eine bekannte Tatsache, dass ungefähr 90% der Kurgäste in Gleichenberg jüdischen Glaubens sind; darunter befinden sich sehr viele, die streng nach jüdischen Gesetzen leben und nur streng rituelle Kost genießen.‘“ 236 Nachdem die Bezirkshauptmannschaft am 1. September 1921 die Entscheidung zugunsten von Salomon Eisen fällte, gab es heftige antisemitische Proteste des

231 Die Wahrheit, Nr. 35/1930. 232 Vgl. Kremshofer, S. 60. 233 Vgl. Putz, S. 214-215. 234 Vgl. Schober, S. 166. 235 Vgl. Grasmug, S. 141. 236 Grasmug, S. 141. Thomas Stoppacher Seite 49 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Heimkehrerbundes und der Reichsleitung des Alpenländischen Verbandes der Kriegsteilnehmer. 237 Aus einer Erklärung des Heimkehrerbundes: „Die Kriegsteilnehmer sehen nicht ein, warum in einer rein arischen Gegend den land- und rassenfremden Ostjuden, die noch dazu in den seltensten Fällen deutschösterreichische Staatsbürger sind, ein derartiges Entgegenkommen gezeigt wird, damit sie auch hier zu Hause leben können. Es dürfte der Gemeindevorstehung bekannt sein, dass unter der jüngeren männlichen Bevölkerung des Kurortes und seiner Umgebung gegen diese Ostjuden eine starke Gärung besteht…Schließlich wird noch bemerkt, dass es ganz den Anschein erweckt, als ob der Kurort planmäßig zu einem Kurorte der Ostjuden gemacht werden soll, was bei der zähen und zielbewussten Arbeit der Juden umso leichter möglich sein wird, als dagegen niemand einschreitet und jene Behörden, die es hindern könnten, diesem Treiben teilnahmslos gegenüberstehen.“ 238 Die Proteste wurden jedoch abgewiesen und die Bezirkshauptmannschaft verwies in ihrer Stellungnahme darauf, dass die Kurgäste „zum allergrößten Teil“ Juden seien und der Kurort, auch wenn darüber unter der bäuerlichen Bevölkerung keine Freude herrsche, auf diese angewiesen sei. Ein Boykott jüdischer Kurgäste wäre für Gleichenberg nicht zu verkraften, weil entsprechende kapitalkräftige christliche Besucher nicht vorhanden seien. Eisen erhielt schlussendlich seine Konzession und blieb bis zu seinem Tod in Gleichenberg. Nachdem er 1924 im Alter von 69 Jahren verstarb, wurde er auf dem jüdischen Friedhof in Trautmannsdorf bestattet. 239 Seine Erbinnen Charlotte Weiß und Helene Hirschenhauser (beide geborene Eisen) führten das Haus als Fremdenheim mit koscherem Restaurant weiter. Die „Villa Dreibaum“ war in dieser vorläufig letzten Phase des jüdischen Kurtourismus das vielleicht bedeutendste Haus: Im Sommer 1922 fand hier die einzige in Gleichenberg stattgefundene Hochzeit nach jüdischem Ritus statt. Später baute David Weidenfeld, der seit 1928 der neue Besitzer war, im Kellertrakt ein rituelles Bad ein.240 Ab 1935 gehörte die „Villa Dreibaum“ Riwka Schächter. Sie und ihr Mann waren bis zum „Anschluss“ 1938 die Eigentümer. 241

237 Vgl. Grasmug, S. 141. 238 Grasmug, S. 161. 239 Vgl. Grasmug, S. 141-142. 240 Vgl. Rauch, Wilhelm: Von der Villa „Schuch“ zum „Gleichenbergerhof“. In: Bad Gleichenberger Nachrichten, Dezember 1989. [In der Folge zitiert als Rauch/Bad Gleichenberger Nachrichten] 241 Vgl. Grasmug, S. 142. Thomas Stoppacher Seite 50 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Die „Villa Dreibaum“ (4. und 5. Bild) wurde von Salomon Eisen viele Jahre als Gaststätte speziell für jüdische Gäste geführt. Rechts sein noch erhaltener Grabstein am israelitischen Friedhof in Trautmannsdorf (6. Bild).242

Neben der „Villa Dreibaum“ gab es in den 20er und 30er Jahren noch im „Theresienhof“ und in der „Franzensburg“, sie war dem Besitzer S. Komet eingetragen, jüdische Speiselokale. 243 Der „Theresienhof“, in der Monarchie das Zentrum des jüdischen Lebens im Kurort, hatte in der Zwischenzeit wieder neue Besitzer. 1924 hatte Max Goldschmied an die Herren Horn und Imbermann verkauft. 244 Für 1926 wird in der zweiten Auflage des „Steiermark. Hand- und Reisebuch“ Aron Barschok als Betreiber geführt. Der „Theresienhof“ wird als Unterkunft mit 30 Zimmern und „ritueller Küche“ beschrieben. Diese Beifügung erhalten im Steiermark- Reisebuch auch die Villen „Dreibaum“ und „Franzensburg“, als „israelitisch“ wird das Spital „Zur Barmherzigkeit“ beschrieben. 245 Diese Häuser hatten ihre Expansion der beachtlichen Steigerung der jüdischen Gästefrequenz in der Zwischenkriegszeit zu verdanken. Ein Grund dafür war, dass drei jüdische Ärzte aus Wien und Budapest in der Kursaison ihre Praxen nach Bad Gleichenberg verlegten. Viele ihrer Patienten reisten ihren Hausärzten nach und nutzten die Gelegenheit zu einer Kur im Heilbad. 246 Auch das kulturelle jüdische Leben erfuhr in den 1930er Jahren in Bad Gleichenberg seine letzte Blüte. Beispielsweise fand am 11. August 1935 um 20:15 Uhr ein Chor- und Solistenkonzert des „Grazer Jüdischen Gesangvereines“ statt. Unter der musikalischen Leitung von Kapellmeister Pollak wurde ein breites Repertoire von religiösen Stücken bis hin zu jüdischen Volksliedern dargeboten. Wie man dem

242 Die ersten beiden Fotografien sind aus dem Privatarchiv Mang. Das Foto vom Grabstein wurde vom Autor der Arbeit selbst aufgenommen. 243 Vgl. Schober, S. 168. 244 Vgl. Grasmug, S. 138-139. 245 Vgl. Untersweg, Hans: Mittelsteiermark. IV. Bundesbahnlinie Graz-Fehring-Mogersdorf. In: Gawalowski, Karl W.: Steiermark. Hand- und Reisebuch. 2. Auflage. Graz 1926, S. 521-522. 246 Vgl. Schober, S. 169. Thomas Stoppacher Seite 51 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Programm entnehmen kann, wurde der Großteil der Gesänge in deutscher Sprache dargebracht. Es gab aber auch einige hebräische und jiddische Stücke. Die Lieder wurden musikalisch teilweise von Klavier und/oder Violine begleitet. 247

Der Programmzettel des Konzerts vom „Grazer Jüdischen Gesangsverein“ (7. Bild).248

Wenn man das jüdische Leben der Zwischenkriegszeit in Gleichenberg in den Fokus nimmt, darf am Ende dieses Abschnitts die Erwähnung eines Protagonisten nicht fehlen: Julius Roda wurde 1918 in den Heimatverband des Kurortes aufgenommen. Er besaß ein recht ansehnliches Vermögen und betrieb erfolgreich die Apotheke. 1921 meldete Roda eine Drogerie mit Ausschluss des Handels mit Medizinal-, Kolonial-, Material- und Spezereiwaren an. Außerdem war er von 1920 bis 1929 im Besitz des Gewerbescheines für die Erzeugung und den Vertrieb kosmetischer Artikel. 1925 meldete Roda zusätzlich noch das freie Gewerbe des Materialwaren-Handels an und 1935 erwarb er den Gewerbeschein für die Erzeugung von Parfümerien und Kosmetikartikeln. 249 Julius Roda und seine Familie werden im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch eine gewichtige Rolle spielen.

247 Vgl. Vortragsfolge zu dem Chor- und Solisten- Konzert des Grazer Jüdischen Gesangvereines in Gleichenberg, am 11. August 1935, Konzertsaal des Kurhauses. Beginn 8 Uhr 15 Min. abends. Musikalische Leitung: Kapellmeister Pollak. 248 Originalmaterial aus dem Privatarchiv Mang. 249 Vgl. Grasmug, S. 157. Thomas Stoppacher Seite 52 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Austrofaschismus und Judentum Die jüdische Bevölkerung Österreichs sah in den 1930er Jahren im austrofaschistischen Ständestaat ihren Beschützer vor der drohenden Gefahr des Nationalsozialismus. Dies machte sich auch in den Kurorten bemerkbar. 1935 forderte der Vorstand der „Grazer Israeltischen Kultusgemeinde“ seine Gemeindemitglieder explizit dazu auf, den durch die 1.000-Mark- Sperre verursachten wirtschaftlichen Schaden durch eine zahlreiche Frequentierung der heimischen Kurorte zu kompensieren. Dies ist ein exemplarisches Beispiel für den Patriotismus der Kultusgemeinde, die in Dollfuß und seinem ständestaatlichen Regime die Verteidiger gegenüber dem Nationalsozialismus sah.250 Die Zusicherung der Regierung, es werde zu keinen antisemitischen Störungen kommen, erinnert an die Zeiten von Österreich- Ungarn, als die Juden noch unter dem Schutz des lokalen Adels bzw. des Kaisers standen. 251 Bundeskanzler Dollfuß war bei den Juden sehr populär, jüdische Zeitungen schrieben nach seiner Ermordung durch österreichische Nationalsozialisten am 25. Juli 1934 in den Nachrufen wahre Lobeshymnen auf ihn. 252 Die jüdische Wochenzeitschrift „Die Wahrheit“ verbreitete beispielsweise am 27. Juli in ihrem Nachruf: „Mit der übrigen staatstreuen Bevölkerung beklagen auch die österreichischen Juden tief den Heimgang dieses lauteren Menschen. Er war ihnen gegenüber durchaus von loyaler Gesinnung und diese Loyalität dankten sie ihm mit treuer Anhänglichkeit, die sich in begeisterter Gefolgschaft manifestierte, wann immer sein Ruf an die staatstreue Bevölkerung dieses Landes erging. Die österreichischen Juden schätzten ihn als den guten Österreicher, der bis zum bitteren Ende, das er gefunden hat, von heißester Liebe zu unserem Vaterlande erfüllt gewesen ist. Sie anerkannten vor allem den Heroismus, mit dem er die historische Aufgabe erfüllte, Österreich und seine Bevölkerung vor der Annexion durch das dritte Reich, vor der Usurpation durch den Barbarismus zu retten. Sein begeisterter Patriotismus und die Tatkraft, mit der er die Unabhängigkeit Österreichs verteidigte, sichern ihm ein bleibendes ehrendes Angedenken auch in den Herzen der vaterlandstreuen österreichischen Judenschaft.“ 253 Zwei Jahre nach dem Tod des austrofaschistischen Kanzlers berichtet „Die Wahrheit“ über einen Trauergottesdienst der jüdischen Kurgäste in Bad Gleichenberg zum Dollfuß-Gedenktag. Dieser hat im Gebetsraum der „Villa Dreibaum“ stattgefunden. Bei der Festrede wurde die tolerante Gesinnung des „Märtyrer-Kanzlers“ hervorgehoben. Die Zeitung rühmt den

250 Vgl. Reiter, S. 155. 251 Vgl. Lichtblau, S. 99. 252 Vgl. Pauley, S. 320-321. 253 Die Wahrheit, Nr. 31/1934. Thomas Stoppacher Seite 53 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte würdigen Ausdruck der patriotisch-religiösen Gesinnung der jüdischen Gleichenberger Kurgemeinde. 254 Es erwies sich als Trugschluss, dass Dollfuß, beziehungsweise sein Nachfolger Schuschnigg, sich mit seinem austrofaschistischen Ständestaat auf Dauer etablieren konnte. Wenige Jahre später war Österreich als eigener Staat für sieben Jahre von der Weltkarte radiert. Was passierte in dieser Zeit in Bad Gleichenberg?

4.4. Abruptes Ende 1938: „Arisierung“ und Zweiter Weltkrieg

Der „Anschluss“ in Bad Gleichenberg „Im Grunde genommen kennzeichnete die Nacht vom 11. auf den 12. März 1938 das Ende von tausend Jahren österreichisch-jüdischer Geschichte. Am Freitag, dem 11. März, brachten alle jüdischen Zeitungen Wiens ihre üblichen Wochenendausgaben heraus. Am nächsten Tag waren die Redaktionen und die Büros anderer jüdischer Organisationen von den Nationalsozialisten in Besitz genommen. Innerhalb von wenigen Tagen, im besten Fall von wenigen Monaten, hatten alle österreichischen Juden ihre Lebensgrundlagen und in vielen Fällen ihre Wohnungen verloren. Bis spätestens 1942 waren fast alle 220.000 Juden Österreichs (nach den eigenen Worten der Nationalsozialisten) zur Auswanderung gezwungen oder deportiert worden, um in Vernichtungslagern in Polen zu arbeiten. Mit Kriegsende hatten 65.000 Juden ihr Leben verloren.“255 Dieses Zitat fasst die Auswirkungen der Eingliederung von Österreich in das nationalsozialistische Deutsche Reich für die jüdische Bevölkerung in Österreich in aller Kürze zusammen. Für Bad Gleichenberg galt im Besonderen: „Die Zeit der jüdischen Gäste in Bad Gleichenberg war mit dem ‚Anschluss‘ an NS-Deutschland 1938 endgültig vorbei. Sie waren entweder auf der Flucht oder auf dem Weg in die Konzentrationslager des ‚Dritten Reiches‘. Den Gleichenberger Prospekten hatte man nun einen Stempel aufgedruckt: ‚NUR FÜR ARISCHE GÄSTE!‘‘ 256

„Arisierungen“ Schon am 24. März 1938 hatte die NSDAP mit dem israelitischen Spital, der Pension „Theresienhof“, der „Villa Franzensburg“ und dem Hotel „Dreibaum“ die wichtigsten Zentren

254 Vgl. Die Wahrheit, Nr. 32/1936. 255 Pauley, S. 336. 256 Grasmug, S. 161. Thomas Stoppacher Seite 54 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte der jüdischen Infrastruktur im Kurort beschlagnahmt.257 Diese ersten Zwangsenteignungen fallen in die Kategorie „Wilde Arisierungen“, dabei eigneten sich Nationalsozialisten ohne jegliche Rechtsgrundlage jüdisches Eigentum an und ernannten sich zu den Besitzern bzw. Verwaltern. 258 Gegen die Praktiken der Partei und deren „wilden“ Kommissare regte sich bald Widerstand innerhalb der Nationalsozialisten. Die Enteignung der jüdischen Betriebe sollte auf einer gesetzlichen Grundlage basieren und „nach sachlichen Gesichtspunkten“ vollzogen werden. Am 13. April 1938 erließ der Reichsstatthalter Seyß-Inquart eine Verordnung, welche offiziell eingesetzte Kommissare zur vorübergehenden Verwaltung von jüdischem Vermögen bestimmte. 259 In den nächsten Wochen und Monaten wurde der Prozess der „Arisierung“ durch eine Reihe von Verordnungen legalisiert. Als staatliche Zentralinstanz war die am 18. Mai im „Ministerium für Wirtschaft und Arbeit“ gegründete „Vermögensverkehrsstelle“ zuständig. Die für Bad Gleichenberger Belange meist verantwortliche Grazer Zweigstelle befand sich zunächst im Landhaus, später im Amtshaus in der Schmiedgasse 34. Von dort wurden der Vermögensentzug und die Übertragung von jüdischem Besitz in „arische Hände“ durchgeführt, auch die Bestellung der kommissarischen Verwalter oblag dieser Institution. Die „Arisierungen“ im eigentlichen Sinn betrafen nur 5.000 der etwa 33.000 als „jüdisch“ geltenden Betriebe. Ein Fünftel der Unternehmen wurde schon im Verlauf des „Anschlusses“ zerstört oder aufgelöst, von den verbliebenen Betrieben wurden mehr als 80 Prozent liquidiert. Mit der Ausschaltung jüdischer Geschäftstreibender durch das Instrument der Liquidierung und „Arisierung“ wollten die NS-Dienststellen neben den „rassepolitischen“ Zielen auch volkswirtschaftliche Kalküle erreichen, Strukturveränderungen und neue Konzentrationen in der österreichischen Wirtschaft zu Gunsten der nationalsozialistischen Politik sollten geschaffen werden. Diese Pläne scheiterten in der Praxis aber oft an den Ansprüchen lokaler Versorgungsinteressen und individueller Bereicherungslust. Trotz der vielen Reglementierungen versuchten NS-Anhänger und Günstlinge sich Betriebe anzueignen, die sie dann auf Grund wirtschaftlicher Unfähigkeit in den Ruin führten. 260

257 Vgl. Karner, S. 170. 258 Vgl. Staudinger, Eduard: Arisierung sagt viel mehr über die Täter aus. Mehr als über die Opfer (Interview). In: Sotill, Wolfgang: Es gibt nur einen Gott und eine Menschheit. Graz und seine jüdischen Mitbürger. Graz 2001, S. 149. [In der Folge zitiert als Staudinger-Interview] 259 Vgl. Rosenkranz, Herbert: Verfolgung und Selbstbehauptung. Die Juden in Österreich 1938-1945. Wien 1978, S. 60. 260 Vgl. Staudinger, Eduard G.: „Ich bitte die Vermögensverkehrsstelle um baldige Entscheidung“. Aspekte der „Arisierung“ in der Steiermark. In: Lamprecht, Gerald (Hg.): Jüdisches Leben in der Steiermark. Marginalisierung – Auslöschung – Annäherung (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien, Band 5). Innsbruck 2004, S. 209-210. [In der Folge zitiert als Staudinger/Arisierung] Thomas Stoppacher Seite 55 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Zur Bilanz der konsequent und effektiv durchgeführten „Arisierung“ in Österreich: „Arisierung im engen Wortsinn bedeutet den Entzug jüdischen Eigentums und dessen Übertragung in den Besitz von Ariern. In ganz Österreich waren etwa 5000 Betriebe betroffen. Studien gehen davon aus, dass von den circa 33.000 als ‚jüdisch‘ qualifizierten Unternehmen, die es 1938 gegeben hat, ein Fünftel bereits im Verlauf des ‚Anschlusses‘ von sogenannten ‚wilden Ariseuren‘ zerstört oder übernommen worden ist. Mehr als 80 Prozent der verbliebenen rund 26.000 Betriebe und Geschäfte, die Juden gehörten, wurden liquidiert und die übrigen 5000 eben arisiert. Liquidiert heißt: entweder zerstört oder aufgelöst. So wurden bei einem Sägewerk die Holzvorräte und die Maschinen von einem ‚kommissarischen Verwalter“ verkauft und das Geschäft aus dem Handelsregister gelöscht. Die Nazis bezeichneten diese Liquidierung als Strukturbereinigung. Es ging ihnen unter anderem darum, Konkurrenzunternehmen auszuschalten. Der Ertrag aus dem Verkauf wurde dem Staat überwiesen. Dass diese ‚Verwalter‘ auch in die eigene Tasche gewirtschaftet haben, lässt sich in so manchem Fall klar nachweisen.“ 261 Die den jüdischen Eigentümern beim „Verkauf“ zur Seite gestellten kommissarischen Verwalter mussten im Übrigen von ihnen selbst bezahlt werden. 262 Interessenten für die rasche Übernahme von jüdischen Geschäften gab es auch in Bad Gleichenberg zur Genüge. Franz Hufnagl, ein ortsansässiger Kaufmann, schrieb im August 1938 an die Vermögensverkehrsstelle, dass er einen Gemischtwarenhandel übernehmen wolle. Beigelegt hatte er einen detaillierten Lebenslauf, in dem unter anderem eine Bestätigung über die illegale Mitgliedschaft in der NSDAP vor 1938 enthalten war. Wie aus der Antwort auf sein Ansuchen hervorgeht, hatte Hufnagl keinen konkreten Laden, den er arisieren wollte, angegeben. Er wollte einfach die sich bietende Möglichkeit nutzen und zu günstigen Konditionen einen jüdischen Betrieb übernehmen. Da Hufnagl Anfang September zum Militär eingezogen wurde, erübrigte sich dieser Fall. 263 Einen jüdischen Gemischtwarenhandel gab es in Bad Gleichenberg allerdings tatsächlich. Dieser befand sich in der „Villa Clar“ und war ein Saisongeschäft, welches nur von Mai bis September geöffnet hatte. Verkauft wurden von der Inhaberin Berta Földi, die ungarische Staatsbürgerin war, Handarbeiten, Damenmodewaren und Geschenkartikel verschiedener Art. Der Verkauf an die Hartbergerin Franziska Prix, die in den 1920er Jahren schon zwei Jahre in Bad Gleichenberg gearbeitet hatte, schien anfangs für eine „Arisierung“ relativ harmonisch

261 Staudinger-Interview, S. 149. 262 Vgl. Halbrainer, Heimo / Hainzl, Joachim: „Ersuche um Mitteilung, wie ich zu einem jüdischen Geschäft komme“. In: Korso. Nummer 11/1998. Online im Internet: http://www.korso.at/archive/korso/DStmk/mitteilung.html . 263 Vgl. Arisierungsakten: HG 1306 (Hufnagel). Thomas Stoppacher Seite 56 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

über die Bühne zu gehen. 264 Földi schrieb am 28. Juni an Prix: „Ich nehme höfl. Bezug auf die mit ihnen geführten Verhandlungen zwecks Übernahme meines Geschäftes in Bad Gleichenberg, Stmk., im Arisierungsverfahren und bestätige vorbehaltlich der behördlichen Genehmigung folgende Vereinbarung mit ihnen getroffen zu haben: Sie übernehmen, beziehungsweise, ich überlasse Ihnen mein im Standort Bad Gleichenberg, Villa Klar, befindliches Gemischtwarengeschäft mit dem gesamten Einrichtungsinventar (ohne Ware) laut der Ihnen übergebenen Liste, zum dem weit herabgesetztem Pauschal-Nettobetrag von Reichsmark 450 prompter Kassa. Ferner übernehmen sie auch meine Mietverpflichtungen mit sofortiger Wirkung der Hausinhabung gegenüber. Andererseits verpflichte ich meinen auf Gemischtwarenhandel lautenden Gewerbeschein zu ihren Gunsten zurückzulegen und keine wie immer gearteten weiteren Ansprüche an Sie zu stellen. Diese Vereinbarung tritt in dem Augenblick in Kraft, als die behördliche Genehmigung erteilt wurde; und Sie den oben angeführten Kauf-Betrag zu meinen Gunsten erlegt haben.“ 265 Am 6. August wurde die Übernahme genehmigt, der Kaufpreis war Frau Prix aber plötzlich zu hoch, sie zahlte über Monate lang kein Geld auf das Sperrkonto, wie es im Vertrag vorgesehen war, ein. Berta Földi richtete wiederholt Bittschreiben an die NSDAP, ihr die 450 Reichsmark (RM) freizugeben, da sie mittlerweile in argen finanziellen Schwierigkeiten stecke. Ihr Mann, bei dem es sich nach der deutschen „Rasseneinteilung“ um einen Vollarier handelte, wurde von seiner Arbeit gekündigt. Im Jänner 1939 meldete sich Prix nach mehrmaliger Aufforderung bei der Vermögensverkehrsstelle und behauptete, sich nur zu einer Zahlung von 300 RM (abzuzahlen in 6 Raten) verpflichtet zu haben. Die Vermögensverkehrsstelle stieg auf das „Angebot“ ein. Die 300 RM wurden im Laufe des Jahres auch tatsächlich abbezahlt. Als Berta Földi höflich um die weiteren 150 RM anfragte, wurde ihr von der Vermögensverkehrsstelle mitgeteilt, dass der Preis gesenkt wurde und sie zu keinen offenen Forderungen mehr berechtigt sei. 266 In dieser Causa zeigt sich, wie willkürlich die nationalsozialistischen Behörden trotz der gesetzlichen Legitimierung ihrer Ausbeutung handelten und wie jüdische Geschäftsbesitzer hilflos zusehen mussten, wie ihre Existenz und ihr Vermögen innerhalb kürzester Zeit verscherbelt wurden. Abschließend zu dieser Einführung über den Vorgang der „Arisierung“ eine „steirische“ Bilanz der nationalsozialistischen Geschäftsübernahmen: „Die Arisierung – im nazistisch-rassistischen Jargon die ‚Entjudung‘ – betraf in der Steiermark 241 Betriebe und Betriebsbeteiligungen

264 Vgl. Arisierungsakten: HG 1144 (Földi Berta). 265 Arisierung HG 1144. 266 Vgl. Arisierung HG 1144. Thomas Stoppacher Seite 57 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte sowie über 1000 städtische Häuser und landwirtschaftliche Objekte, wobei die beiden letzteren allein einen Wert von 30 Millionen Reichsmark repräsentierten.“ 267

Mit dem „Anschluss“ an das „Deutsche Reich“ galten für Bad Gleichenberg die „Richtlinien über den Besuch jüdischer Kurgäste in Bädern und Kurorten“, veröffentlicht vom „Deutschen Fremdenverkehrsverband“. Die Bestimmungen dieses Blattes waren schärfer als die damaligen Richtlinien des dafür zuständigen deutschen Reichsinnenministeriums zur Judengesetzgebung. 268 Das Ministerium bemühte sich nicht, den Verband zur Angleichung seiner Regelungen an die Gesetzeslage aufzufordern, sondern glich 1939 vielmehr seine Vorschriften an die härteren Bestimmungen des unter Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Goebbels‘ Aufsicht stehenden Vereins an. 269 Unter diesen Rahmenbedingungen kann man sich vorstellen, dass es keinen weiteren jüdischen Kurtourismus gab. Wie ging es den jüdischen Grundbesitzern und Betreibern von Pensionen und Lokalitäten? Gewerbetreibende gerieten sofort ins Visier der Nationalsozialisten. Nach einer Reihe von Repressionen, beispielsweise dem Ausschluss aus den organisierten Gewerbevertretungen, wurde am 26. April 1938 die „Verordnung über die Anmeldung des jüdischen Vermögens“ erlassen. 270 Die weitere Zielrichtung war vorgegeben: „In einer Ministerbesprechung am 28. April 1938 gab Göring nähere Einzelheiten über die künftige Judenpolitik auf wirtschaftlichem Gebiet bekannt. Er betonte, dass die Judenfrage gelöst werden mußte und wies darauf hin, dass die Anmeldungsverordnung eine einleitende Maßnahme darstellte. Als Ergebnis skizzierte er die endgültige Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben durch Umwandlung des jüdischen Vermögens in Werte, die keinen wirtschaftlichen Einfluß mehr gestatteten.“ 271 Die entscheidende Sitzung zur Vorbereitung der systematischen „Arisierung“ fand am 12. November im Reichsluftfahrtministerium statt. Sie sollte laut Göring „Schlag auf Schlag“ stattfinden. Sofort nach Beendigung der Besprechung begann die Gesetzesmaschinerie zu arbeiten: Erstens die „Verordnung über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit“ in der Höhe von einer Milliarde Reichsmark zur Tilgung der Versicherungsschäden nach dem „Novemberpogrom“. Zweitens die „Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben“: Betroffene Juden mussten die Schäden, welche durch die „Empörung des deutschen Volkes“

267 Halbrainer/Hainzl. 268 Vgl. Adam, Uwe Dietrich: Judenpolitik im Dritten Reich. Düsseldorf 1972, S. 185. 269 Vgl. Adam, S. 221. 270 Vgl. Adam, S. 176-177. 271 Adam, S. 177. Thomas Stoppacher Seite 58 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte entstanden waren, auf eigene Kosten beseitigen. 272 Beim hier und in weiteren Beispielen dieser Arbeit angeführten „Novemberpogrom“ handelt es sich um gewalttätige organisierte Ausschreitungen gegen jüdische Einrichtungen und Personen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. Anlass zur Aufstachelung der Bevölkerung durch die Medien war das Attentat auf den in der deutschen Botschaft in Paris tätigen NSDAP-Angehörigen Ernst Eduard vom Rath durch den polnischen Juden Herschel Grynszpan. Das Dulden des Pogroms bei Beachtung gewisser Vorsichtsmaßnahmen, zum Beispiel sollten keine ausländischen Staatsbürger betroffen sein, und die darauffolgenden Massenfestnahmen von Juden waren im Vorhinein detailliert geplant worden.273 Die bedeutsamste Maßnahme dieser unmittelbar nach dem Novemberpogrom beschlossenen Repressionen gegen die jüdische Bevölkerung war schließlich die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“, die besagte: „Juden wurde der Betrieb von Einzelhandelsverkaufsstellen, Versandgeschäften, Bestellkontoren sowie der selbstständige Betrieb eines Handwerks untersagt. Mit Wirkung vom 1. Januar 1939 war ihnen jede Tätigkeit auf Märkten, Messen oder Ausstellungen verboten, sie konnten nicht Betriebsführer, leitende Angestellte oder Mitglied einer Genossenschaft sein.“274 Komplettiert wurde diese Regelung am 3. Dezember mit der „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“: Sie regelte Umfang und Ablauf der Enteignung des jüdischen Kapitals. Dem Inhaber eines jüdischen Gewerbebetriebes konnte aufgegeben werden, seinen Gewerbebetrieb oder sein land- und forstwirtschaftliches Vermögen binnen einer bestimmten Frist zu veräußern. Juden hatten ihre gesamten Aktien und andere Wertpapiere dem Depot einer Devisenbank zu übergeben. Es war ihnen verboten, Gegenstände aus Edelmetall sowie Edelsteine und Perlen zu erwerben, zu verpfänden oder zu veräußern. Am 21. November wurde festgesetzt, dass die Sühneleistung als Vermögensabgabe erhoben werde, auf die zusätzlich 20. V. H. des Vermögens aufgeschlagen wurden. Der erste Teilbetrag war am 15. Dezember 1938 fällig, die weiteren am 15. Februar 1939 und dann in vierteljährlichem Turnus, bis der volle Betrag von einer Milliarde Reichsmark erreicht war. Auf keinen Fall durften jedoch Juden ausländischer Staatsangehörigkeit abgabepflichtig gemacht werden. Eine weitere Verordnung vom 23. November bestimmte mit sofortiger Wirkung die Auflösung aller jüdischen Einzelhandelsverkaufsstellen und ordnete an, jüdische Inhaber von Handwerksbetrieben aus

272 Vgl. Adam, S. 209-211. 273 Vgl. Fernschreiben von Reinhard Heydrich zur Reichspogromnacht („Reichskristallnacht“). Online im Internet: http://www.ns-archiv.de/verfolgung/pogrom/heydrich.php . 274 Adam, S. 211-212. Thomas Stoppacher Seite 59 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte der Handwerksrolle zu löschen.“ 275 Um die Durchführung der Erfassung des gesamten jüdischen Vermögens verwaltungstechnisch zu regeln und die Beteiligung der verschiedenen Instanzen festzulegen, ergingen in den folgenden Monaten eine Vielzahl von Durch- und Ausführungsbestimmungen. 276 Diese nationalsozialistische Repressionspolitik hatte natürlich auch auf die Protagonisten des jüdischen Lebens in Bad Gleichenberg ihre Auswirkungen.

Theresienhof Jonas Imbermann, seit 1924 zu 13/32 einer der Besitzer des „Theresienhofs“, füllte das „Verzeichnis über das Vermögen von Juden“ am 15. Juli 1938 aus. Der Handelsagent hatte seinen Wohnsitz in Wien. Der Wert des „Theresienhof“-Grundstücks wurde mit 41.680 RM angegeben, allerdings existierten ausstehende Fakturenforderungen und weitere Belastungen. 277 Diese wurden von den Gläubigern über die nationalsozialistischen Behörden eingefordert, allerdings war Imbermann noch im Sommer in die Schweiz geflüchtet und konnte nicht persönlich belangt werden. Über den Aufenthalt von Miteigentümer Leibisch Horn war nichts bekannt. Die minderjährigen Breiner-Kinder Josef, Gustav und Alfred, die ebenfalls Anteile am Grundstück besaßen, hielten sich laut einer Meldung aus dem Dezember 1941 angeblich in Wien auf. Die Zimmer im „Theresienhof“, der ja schon im März von den ersten Beschlagnahmungen der Nationalsozialisten betroffen war, wurden bei Bedarf von der Gemeinde als Wohnungen vergeben. So bekam Bürgermeister Adler im August 1939 die Erlaubnis, den örtlichen pensionierten Gendarmeriebeamten dort unterzubringen. Die eigentlich geplante Zwangsversteigerung des Gebäudes wurde auf Grund der „Untersagung der Versteigerung von Liegenschaften, die Juden gehören“ aus dem Dezember 1938 eingestellt. Nach der elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz, die besagte, dass sämtliche Vermögenswerte von Juden, die beim Inkrafttreten der Verordnung am 27. November 1941 ihren gewöhnlichen Wohnsitz im Ausland haben, zu Gunsten des Reiches beschlagnahmt werden, befand sich das Grundstück „offiziell“ im Besitz der Nationalsozialisten. 278 Die elfte Verordnung war eine Entscheidende: Der Vermögens- und Pensionsbezügeverfall wurde durch den Verlust der Staatsangehörigkeit aller bis dahin deutschen Juden im In- und Ausland legitimiert. Auch Juden aus sogenannten „privilegierten Mischehen“, ausgenommen ein Eheteil oder ein aus der Ehe hervorgegangenes Kind lebte noch im Inland, waren davon

275 Adam, S. 212. 276 Vgl. Adam, S. 212. 277 Vgl. Arisierungsakten: VA 13641, Heft 15 (Imbermann Jonas). 278 Vgl. Arisierungsakten: LG I 2333 (Imbermann Jonas). Thomas Stoppacher Seite 60 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte betroffen. 279 Ausstehende Schuldnerforderungen von Versicherungen und Gläubigern des „Theresienhofs“ wurden allerdings von den Nationalsozialisten weiterhin nicht ausbezahlt. 1942 begann der steirische Reichsstatthalter über den Aufenthaltsort der ehemaligen Besitzer zu ermitteln. Dabei stellt sich heraus, dass Leibisch Horn bereits 1937 verstorben war. Auch Josef Breiner war im April 1942 gestorben, über den Verbleib von Alfred und Gustav Breiner sowie über Imbermann war weiterhin nichts bekannt. Am 21. Oktober 1942 ließ die Vermögensverkehrsstelle durch den Grazer Stadtbaumeister und Gerichtssachverständiger Hans Häupl den Wert der Liegenschaft schätzen. Dieser kam in seinem Befund auf 48.159,65 RM.280 Offensichtlich befand sich der „Theresienhof“ in keinem so schlechten Zustand. Aus der Beurteilung von Häupl: „Wohnhaus […] steht auf einer kleinen Anhöhe mit Hauptfront zur Straße […], diente zur Beherbergung von Kurgästen unter dem Namen „Theresienhof“[…], Unterbau aus Steinen, das übrige Mauerwerk aus Ziegeln hergestellt, ist bis auf den nachbeschriebenen Saal unterkellert, ein Stock hoch mit teilweise ausgebautem Dachstock. Die Eindeckung besteht teils aus Eternit, teils aus Biberschwanzziegel. Das Gebäude ist mit Dachrinnen, Abflussrohren und Blitzableiter versehen […], genaue Auflistung der Räumlichkeiten […], Bauzustand gut, Ausnahme Saaltrakt mit festgestelltem Hausschwamm […], Nebengebäude (Hofgebäude) steht etwa 10m östlich vom Wohngebäude, ist teilweise in den Hang hinein gebaut, ist aus Steinen und Ziegeln erbaut, ebenerdig mit teils ausgebautem Dachstock, Satteldach mit Biberschwanzziegel-Eindeckung […], Bauzustand des verwahrlosten Gebäudes schlecht […], Garten-Veranden, Grundstücke […]. Bewertung: Diese erfolgt nur nach dem gegenwärtigen Verkaufswert (Verkehrswert) mit Berücksichtigung von Lage und Beschaffenheit und aller sonstigen für die Bewertung maßgebenden Umstände. Für eine Ertragsbewertung sind keine entsprechenden Unterlagen vorhanden. Die Liegenschaft diente für die Beherbergung von Kurgästen und die Gebäude wurden diesem Zwecke entsprechend erbaut. Gegenwärtig ist wie bereits erwähnt nur ein Teil der Gebäude ganzjährig an Wohnparteien vermietet und vermietbar, weil ein Teil der Zimmer nicht heizbar ist. Das Nebengebäude ist überhaupt unbenützt […].“281 Es wurde nach der vollzogenen „Arisierung“ während der Kriegszeit für Wohnzwecke verwendet. 282

279 Vgl. Adam, S. 297-298. 280 Vgl. Arisierung LG I 2333. 281 Arisierung LG I 2333. 282 Vgl. Mang/Erdenwinkel, S. 44. Thomas Stoppacher Seite 61 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Apotheke Roda Am 5. Juni 1938, dem fünften Jahrestag des Verbotes der NSDAP in Österreich, erschienen nach 21 Uhr NS-Männer vor dem Hause des Apothekers, um in Sprechchören „Juda verrecke!“, „Juden hinaus!“ und Ähnliches zu schreien. 283 Die Apotheke musste von Heimatschutzmännern mit Gewehr und aufgepflanztem Bajonett bewacht werden. 284 Der seit über 30 Jahren in Bad Gleichenberg ansässige Apotheker Julius Roda, dessen Geburtsname Rosenfeld lautete, er war schon vor Jahrzehnten zum römisch-katholischen Glauben konvertiert, wurde von den Nationalsozialisten vorerst in „Schutzhaft“ genommen. Nach dem Novemberpogrom wurde er mit seiner Familie mit nur wenig Gepäck über die neue deutsch- ungarische Grenze gebracht und abgeschoben. 285 Mitnehmen durfte er dabei nur einen kleinen Koffer und ganze zehn Schilling. 286 Da die Apotheke im Kurort einen unverzichtbaren Teil der Infrastruktur darstellte, war es für die Nationalsozialisten nicht möglich gewesen, Roda sofort nach seiner ersten Festnahme zu entfernen, ohne vorher einen Nachfolger für ihn gefunden zu haben. Am 11. Mai 1938 schrieb die SA der NSDAP an das Gauwirtschaftsamt Graz: „Die SA-Standarte 26 stellt an das Gauwirtschaftsamt der Steiermark das Ansuchen um Bestellung eines Kommissarischen Verwalters für den nichtarischen Betrieb (Apotheke) des Roda in Bad Gleichenberg mit folgender Begründung: Da es sich bei diesem Betrieb um die einzige Apotheke des Kurortes Gleichenberg handelt, ist deren klaglose Fortführung unbedingt notwendig. Die nächsten beiden Apotheken Feldbach und sind 13 bzw. 24 km von Gleichenberg entfernt. Die Bevölkerung von Bad Gleichenberg verlangt die Umstellung des Betriebes auf eine arische Grundlage. Weiter bestehen Anzeichen, welche darauf hinweisen, dass der Jude Roda Geld ins Ausland verschieben will. Da aus dieser Begründung eine Überwachung notwendig erscheint, wird um die Beistellung eines Kommissarischen Verwalters, welcher über eine entsprechende Vorbildung (Magister), verfügt, ersucht. Hierorts steht keine geeignete Kraft zur Verfügung […].“287 Am 19. Juni 1938 gab Julius Roda verspätet seine Vermögensanmeldung an. Neben dem Betriebsvermögen der Apotheke gehörte ihm das Grundstück samt Gebäude, sowie einige Aktien und Wertgegenstände. 288 Zwei Monate später gab seine Tochter Olga Roda beim Ausfüllen des Formulars „Verzeichnis über das Vermögen der Juden“ folgende Erklärung ab: „Ich bezog als Magister in der Apotheke meines Vaters monatlich 200 S als Gehalt und hatte

283 Vgl. Fuksas/Skizzen, S. 202. 284 Vgl. Schleich/Kleine Zeitung. 285 Vgl. Schober, S. 171-172. 286 Vgl. Mang/Schicksalstage, S. 8. 287 Arisierungsakten: Komm. Verwalter 181 (Roda Julius). 288 Vgl. Arisierungsakten: VA 3148, Heft 28 (Roda Julius). Thomas Stoppacher Seite 62 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte freie Station, welche ich mit monatlich 200 S bewerte. Die Apotheke wird arisiert, weshalb ich mit 1. September 1938 meine Stellung verliere. Von einem Kapitalwert meiner Bezüge kann daher nicht gesprochen werden. Dieses Verzeichnis wird erst heute eingebracht weil ich kein 5000 RM übersteigendes Vermögen besitze und davon stets am Lande lebend keine Kenntnis hatte, dass Gehälter als Rentenrechte anzumelden sind, zumal mir schon am 27.4.38 bekannt war, dass ich wegen Arisierung meinen Posten verlieren werde.“ 289 Am 15. September 1938 fertigte Roda mit dem in Graz wohnhaften Friedrich Prosser ein Gedächtnisprotokoll über die „Arisierung“ der Apotheke an. Im Beisein der jeweiligen Anwälte wurden darin Vereinbarungen über den Kaufpreis, das Warensortiment und die Beibehaltung der nichtjüdischen Angestellten getroffen. Schon zuvor hatte sich bei der Vermögensverkehrsstelle mit Augustin Jungschaffer allerdings ein weiterer Bewerber mit den notwendigen Unterlagen gemeldet. Zwischen diesen beiden Herrschaften sollte sich in den nächsten Wochen ein erbitterter Streit um die Roda-Apotheke in Bad Gleichenberg zutragen. Jungschaffer hatte seit Anfang August die Leitung übernommen, allerdings fehlte ihm die Konzession. Prosser hingegen hatte nach der Gedächtnisprotokoll-Vereinbarung mit Roda das Vorkaufsrecht. Die endgültige Entscheidung für Prosser traf schließlich am 4. November der steirische Gauhauptmann und SS-Obersturmbannführer Dadieu. Als Roda im Zuge des Novemberpogroms vertrieben wurde, wandte sich Jungschaffer an Edwin Renner, den kommissarischen Leiter zur Entjudung der Apotheken in der Ostmark im Ministerium für kulturelle und soziale Angelegenheiten, und argumentierte, Roda habe freiwillig auf sein Vermögen verzichtet, weswegen die Sachlage neu zu beurteilen sei. Doch auch weitere Interventionen in Wien, sowie zuvor beim steirischen Gauleiter Uiberreither, änderten nichts an der Entscheidung. 290 Nach langem Hin und Her erhielt Prosser am 14. Jänner 1939 von der Vermögensverkehrsstelle im Ministerium für Arbeit und Wirtschaft die Nachricht, dass die Übernahme auf Basis seines Antrags, des Gedankenprotokolls zwischen ihm und Roda und dem Gutachten des Wirtschaftsprüfers, genehmigt wurde. Der Übernahmewert betrug 43.435,75 RM. 291 In der Dokumentation von Wilhelm Rauch über die Bad Gleichenberger Kurärzte wird Jungschaffer für 1938 und 1939 als Apotheker geführt. Erst ab 1940 steht Prosser als Betreiber der Kurapotheke eingetragen. 292 Die Apotheke von Julius Roda war 1938 die einzige in jüdischem Besitz im gesamten Gau Steiermark. 293 Dementsprechend hartnäckig versuchten Prosser und Jungschaffer, sich im Streit um die „Arisierung“

289 Arisierungsakten: VA 11808, Heft 28 (Roda Olga). 290 Vgl. Arisierungsakten: LG 2251 (Roda Julius). 291 Vgl. Arisierung Komm. Verwalter 181. 292 Vgl. Rauch/Ärzte, S. 32-33. 293 Vgl. Rosenkranz, S. 66. Thomas Stoppacher Seite 63 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte durchzusetzen. Denn mögliche Alternativen für den leer ausgehenden Anwärter gab es zumindest in der näheren Umgebung nicht. Der Versuch von Roda, sich seinen Ariseur selbst auszusuchen, basierte auf der Hoffnung, nach dem Ende der NS-Diktatur mit diesem ein Rückarrangement zu treffen. Mit Friedrich Prosser funktionierte dieser Plan, wie im übernächsten Kapitel zur Rückstellung veranschaulicht wird, nicht. In einzelnen Fällen waren solche Fälle aber wirklich erfolgreich. 294 Bezüglich des weiteren Schicksals von Julius Roda ist wenig bekannt. Am 19. März 1939 schrieb sein Konsulent Dr. Sigmund Strassmann an die Vermögensverkehrsstelle, dass Roda seit der gewaltsamen Abschiebung im Zuge des Novemberpogroms völlig mittelos in Ungarn lebe. Da er auf Grund seines hohen Alters von 76 Jahren nicht in der Lage sei, sich einen Lebensunterhalt zu verdienen, sei er deshalb auf die finanzielle Unterstützung seiner Verwandten angewiesen. Trotz dieser Information wurde an Roda Ende April die Forderung zur Zahlung der Reichsfluchtsteuer in der Höhe von 19.765 RM gestellt. Grundlage für die Berechnung war sein vom 1. Jänner 1938 ermitteltes Gesamtvermögen von 79.061 RM. 295 Innerhalb eines Jahres hatten die Nationalsozialisten den erfolgreichen Apotheker seiner kompletten Existenz beraubt.

Weitere Auswirkungen der NS-Politik Im Zuge des Novemberpogroms wurde der israelitische Friedhof geschändet. Das Zeremonienhaus wurde angezündet und Grabsteine umgeworfen. Die meisten Grabsteine und die Friedhofsmauer verschwanden in den folgenden Jahren. 296 Die „Villa Dreibaum“, bekannt aus dem vorangehenden Kapitel als Zentrum des jüdischen Lebens in der letzten Blütezeit der Zwischenkriegszeit, wurde zum Parteihaus der lokalen Nationalsozialisten. Neben der NSDAP-Ortsgruppe waren der SA-Sturm 2/65/26, die HJ- Gefolgschaft, die NS-Frauenschaft und die NS-Volkswohlfahrt im Haus untergebracht. 297 Diese hielten dort auch dem Propaganda-Zweck dienende Parteiveranstaltungen ab, so zum Beispiel die erstmalige Verleihung des Mutterkreuzes am Muttertag 1939 durch den Ortsgruppenleiter der NSDAP. 298 Ebendieser hatte am 30. Jänner 1939 der „Vermögensverkehrsstelle im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit“ in einem Schreiben gemeldet, dass es sechs Villen in Bad Gleichenberg gäbe, bei denen es sich um jüdischen Besitz handelte und die momentan von einem gewissen Walter Ryzienski verwaltet würden.

294 Vgl. Staudinger-Interview, S. 153. 295 Vgl. Arisierung VA 3148. 296 Vgl. Schober, S. 172. 297 Vgl. Putz, S. 312. 298 Vgl. Praßl/Kriegsende/III, S. 97. Thomas Stoppacher Seite 64 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Dies waren die schon genannten „Villa Dreibaum“ (Besitzer Dr. Emanuel Schächter), der „Theresienhof“ (Besitzer Jonas Imbermann, Leibisch Horn sowie Josef, Gustav und Alfred), die „Villa Franzensburg“ (Besitzer Ester Komet, laut Schreiben angeblich nach Palästina ausgewandert) und das israelitische Hospital (Besitzer IKG Wien). Auf den „Theresienhof“ und die „Villa Dreibaum“ wurde hier schon genauer eingegangen, die „Franzensburg“ diente zu diesem Zeitpunkt als Wohnhaus, das israelitische Hospital wurde von der SA genutzt. Der „Hubertushof“ wurde von der Gestapo wieder frei gegeben. Besitzer war ein gewisser Isidor Gutmann aus Wien. Weshalb die Nationalsozialisten vorläufig von ihm abließen, ist unklar. Die, in diesem Schreiben „Villa Kokron“ genannte, Liegenschaft von Frau Lanzer konnte vorläufig nicht beschlagnahmt werden, weil sie arischer Abstammung war. Nur ihr, mit den beiden Söhnen in Rumänien verweilender, Gatte war Jude. 299 Im Falle der „Arierin“ Magda Lanzer blieb es nicht bei diesem ersten Versuch, ihr Eigentum zu beschlagnahmen. 1942 wurde vom Oberfinanzpräsident in Graz ein Antrag gestellt, ihr Vermögen gemäß der „Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz“ dem Deutschen Staate verfallen zu lassen. Doch auch er musste von der Grazer Gestapo erfahren, dass Lanzer arischer Abstammung ist.300 Hinter den Bemühungen, das Haus von Lanzer zu enteignen, stand der Gleichenberger Bürgermeister. Er wollte die Liegenschaft als Wohnhaus für die Gemeinde benützen und setzte daher alles daran, die in Rumänien verweilende Magdalena Lanzer aufgrund ihres geschiedenen jüdischen Ehemannes zu behelligen. 301 Am 24. Mai 1943 zeigten die wiederholten Anstrengungen der Nationalsozialisten, an den Besitz und das Vermögen von Frau Lanzer zu kommen, schließlich ein Ergebnis. Die Gestapo Graz schrieb an den Reichsstatthalter der Steiermark: „Ich habe mit Verfügung vom 19.3.1943 auf Grund des §2 der Verordnung über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens im Lande Österreich vom 18.11.1938 RGVI.I.1620, das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen – einschließlich aller Rechte und Ansprüche – der Magdalena Lanzer, die alleinige Eigentümerin des Hauses Bad Gleichenberg 120 ist, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mit dem Ziele der späteren Einziehung beschlagnahmt und die Beschlagnahme im Grundbuch anmerken lassen. Gleichzeitig habe ich beim Reichssicherheitshauptamt Berlin den Antrag gestellt, dass das Vermögen der Lanzer der Förderung volks- und staatsfeindlicher Bestrebungen gedient hat und gebeten, die Einziehung dieses Vermögens zugunsten des Deutschen Reiches auszusprechen. Eine Entscheidung des Reichssicherheitshauptamtes ist bisher nicht getroffen worden. Robert Isr. Lanzer besitzt bei

299 Vgl. Grasmug, S. 160. 300 Vgl. FLD/Arisierungsakten 05300 lfd 333-P8 (Lanzer Magdalena). 301 Vgl. Arisierungsakten: LG 2342 (Lanzer Magdalena). Thomas Stoppacher Seite 65 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte der Länderbank Wien I ein Guthaben von RM 3413,66. Dieser Betrag ist, da Lanzer bereits das Reichsgebiet verlassen hat, auf Grund der 11. Verordnung zum RBG. dem Reiche verfallen. Gegen ihn wurde bereits mit Schreiben vom 6.4.1943 der Antrag auf Feststellung des Vermögensverfalles gemäß §3 der vorangeführten Verordnung beim Reichssicherheitshauptamt gestellt.“ 302 Der Verordnungsentwurf über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens war für Österreich vom Reichsstatthalter Seyß-Inquart angeregt worden. Er besagte, dass das Vermögen von Personen oder Personenvereinigungen eingezogen werden konnte, wenn diese volks- oder staatsfeindliche Bestrebungen gefördert hatten. Der Entwurf wurde von Hitler aufgenommen und Anfang November erlassen. 303 Zurück zur „Villa Dreibaum“: Am 26. August 1940 ging das Haus an die Vermögensverkehrsstelle der Gauleitung, Riwka und ihr Gatte Emanuel Schächter waren schon längst über die Grenzen geflüchtet. Da sich die Gemeinde aufgrund finanzieller Probleme nicht in der Lage sah, das Gebäude für Amtsräume zu erwerben, erfolgte am 7. September auf Antrag der Gauleitung der NSDAP Steiermark der Ankauf der jüdischen Liegenschaft. In den folgenden Kriegsjahren wurde es weiterhin von verschiedenen Organisationen der Nationalsozialisten benutzt. Kurz vor Kriegsende wurde die Villa vor der Ankunft der Russen bis auf die Grundmauern niedergebrannt. 304 Der Gleichenberger Pater Fidelis Pfreundtner schildert diese Begebenheit und datiert sie mit dem 31. März, dem Karsamstag des Jahres 1945: „Da brannte gegen ½ 8 Uhr abends plötzlich das nationalsozialistische Parteihaus (Haus „Dreibaum“), ausgehend von der Kanzlei des bisherigen Ortsgruppenleiters im 1. Stock, lichterloh und prasselnd auf. Die Parteileute hatten es zur Vernichtung der Akten und Karteien vor ihrer Flucht angezündet.“ 305

In einer Dokumentation über die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs auf das jüdische Leben in Bad Gleichenberg darf der Hinweis nicht fehlen, dass es in den letzten Kriegswochen im Kurort und der nahen Umgebung im Rahmen der berüchtigten Todesmärsche zu Tötungsaktionen an Juden kam, die bei Schanzarbeiten am „Ostwall“ eingesetzt worden waren. 306 Auch wenn diese Hinrichtungen nicht direkt mit der jüdischen Vergangenheit des Kurortes in Verbindung stehen, gehört auch ihr Schicksal zur Thematik

302 Arisierung LG 2342. 303 Vgl. Adam, S. 183. 304 Vgl. Grasmug, S. 142-145. 305 Mang/Schicksalstage, S. 34. 306 Vgl. Reiter, S. 168. Thomas Stoppacher Seite 66 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte dieser Arbeit. Den Getöteten wurde am israelitischen Friedhof in Trautmannsdorf ein Denkmal gewidmet.307

Niedergang des Kurbetriebs Anatol Fuksas, der einige Bücher über die Geschichte des Kurorts geschrieben hat, berichtet von einem Gespräch mit Kurt Schuschnigg, der zum Zwecke eines Vortrags in Bad Gleichenberg weilte, aus dem Jahre 1971, in dem sich der Bundeskanzler des austrofaschistischen Ständestaats über die Folgen für Bad Gleichenberg nach dem „Anschluss“ 1938 erkundigte. Fuksas erwähnte nur das Ausbleiben von Gästen aus Südosteuropa, ohne dabei explizit auf die große Anzahl der jüdischen Kurgäste in Bad Gleichenberg einzugehen. Außerdem meinte er, dass durch die Aufhebung der 1.000-Mark- Sperre immerhin etwas mehr Gäste aus Deutschland kamen. 308 Diese Darstellung, die signalisiert, dass der „Anschluss“ für den Kurbetrieb keine großen Auswirkungen gehabt hätte, ist grundlegend falsch. Bad Gleichenberg war im Sommer 1938 eine mit 847.097 RM hoch verschuldete Gemeinde. Laufende Zahlungsaufforderungen konnten nicht mehr beglichen werden, die Darlehens- und Verwaltungsschulden waren übermäßig hoch. Hauptgläubiger war die Zentralsparkasse in Wien. Die Einnahmen der Fremdenverkehrsgemeinde wurden nahezu zur Gänze verpfändet, das gemeindeeigene E- Werk stand unter Zwangsverwaltung. Schuld an der finanziellen Misere waren zu optimistische Investitionen in den Kurbetrieb, welcher durch das Ausbleiben der jüdischen Gäste um die Hälfte geschrumpft war. Zur Sanierung des Gemeindehaushalts erhielt Bad Gleichenberg Gelder aus der „Sanierungsaktion für notleidende österreichische Gemeinden“, außerdem zusätzliche Mittel aus dem Erlös der Veräußerung von Pfandbriefen aus dem Besitz der Republik Österreich und der „Verwertung des ‚Habsburg-Vermögens‘“. 309 Der Kurort war also innerhalb kürzester Zeit von einem traditionellen Touristenort, der wirtschaftliche Gewinne abwarf, zu einer Problemgemeinde geworden.

Wie wurde die Kurinfrastruktur, der ein Großteil der Gäste abhanden gekommen war, nun in den Jahren der NS-Herrschaft genutzt? Ab dem Sommer 1939 wurden Abteilungen verschiedener politischer Gruppierungen in den ältesten Kurort der Steiermark geschickt. Reisegruppen der Nationalsozialistischen Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF) sowie Angehörige der „Nationalsozialistischen Volkwohlfahrt“ kamen teilweise als Tagesausflügler,

307 Näheres dazu im Kapitel 7.2. 308 Vgl. Fuksas/Skizzen, S. 192-193. 309 Vgl. Karner, S. 226-227. Thomas Stoppacher Seite 67 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte teilweise aber auch für wochen- und monatelange Aufenthalte. Außerdem waren immer wieder Gruppen des Reichsarbeiterdienstes in Bad Gleichenberg untergebracht. 310 Der Kurort wurde zum „Heilbad im Deutschen Süden“. 311 Neben der Umstrukturierung des Kurtourismus standen im eigentlichen Erholungsort bald vermehrt andere Veranstaltungen am Programm. Am 7. Mai 1939 beispielsweise war Bad Gleichenberg Schauplatz des „1. Feldbacher Kreisbauerntags“, der in den Räumlichkeiten des Hotels Mailand und des Kurhotels stattfand. 312 Die Familie Brusselle musste die Aktienmajorität am „Gleichenberger- und Johannisbrunnenverein“ abtreten. Laut Eintragung im Handelsregister wurde Dr. Lutz Rosenkranz am 26. Juni 1939 neuer Geschäftsführer. 313 Der praktische Arzt und Sohn eines Berliner Industriellen führte den Aktienverein bis 1941 und war somit der Hauptverantwortliche für die Leitung des Kurbetriebs in dieser Zeit. 314 In der Betriebsordnung von 1940 heißt es: „Der Gleichenberger und Johannisbrunnen-Aktienverein betreibt die in Bad Gleichenberg gelegenen Kuranstalten unter restloser Ausnützung der erdgebundenen Kurmittel, den Heilwasserversand (Emma- und Konstantinquelle), den Tafelwasserversand (Johannisbrunnen) und die Herstellung der Gleichenberger Pastillen, Gleichenberger Quellsalz, Sole usw., sowie deren Vertrieb. Ferner befasst sich der Gleichenberger und Johannisbrunnen-Aktienverein mit dem Fremdenbeherbergungsgeschäft sowie in Ausnutzung seiner Liegenschaften mit Garten-, Land- und Forstwirtschaft. Allein daraus, dass der Gleichenberger und Johannisbrunnen-Aktienverein als Inhaber des Heilbades Gleichenberg der Heilung der Kranken dient, geht hervor, dass das Heilbad Gleichenberg der Volksgemeinschaft im weitesten Sinne dient. Beherrscht von den Grundsätzen der Ehre, Treue, Fürsorge und des gegenseitigen Vertrauens, bilden Betriebsführer und Gefolgschaft die Betriebsgemeinschaft mit der gemeinsamen Aufgabe, den Gleichenberger und Johannisbrunnen-Aktienverein in seinem Gesamtumfange gesund zu erhalten und seine Leistungsfähigkeit ständig zu steigern. Jedes Mitglied unserer Betriebsgemeinschaft hat auf dem Boden gegenseitigen Wohlwollens und gegenseitiger Achtung alles zur Förderung des Betriebes und damit zum Nutzen der erkrankten Volksgenossen zu tun. Dazu gehört, dass jedes Mitglied unserer Betriebsgemeinschaft an seinem Arbeitsplatz vollwertige Arbeit leistet, seine Aufgaben gewissenhaft, zuverlässig und unter Einsatz seiner ganzen Kräfte und Fähigkeiten verrichtet, jede Arbeit stets für einen

310 Vgl. Praßl/Kriegsende/III, S. 194-195. 311 Vgl. Gleichenberger und Johannisbrunnen-Aktienverein (Hg.): Betriebsordnung für sämtliche Betriebe des Gleichenberger und Johannisbrunnen-Aktienverein. Graz 1940, Umschlag. [In der Folge zitiert als Betriebsordnung] 312 Vgl. Praßl, Johann: „Mei Hoamat“ zwischen Raab und Gleichenberg. Mühldorf (Giem) 1988, S. 378-379. 313 Vgl. LGZRS Graz / Rückstellungskommissionsakten: RK 30/1948. 314 Vgl. Rauch/Ärzte, S. 32. Thomas Stoppacher Seite 68 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte wichtigen Teil des Ganzen hält und sich in Kameradschaft und Disziplin dem Betriebsganzen einordnet. Durch solche persönlichen Leistungen und treueste Pflichterfüllung hilft jedes Gefolgschaftsmitglied mit, die Voraussetzungen zu schafften, unter denen der Gleichenberger und Johannisbrunnen-Aktienverein ihm Brot, Arbeit und Sicherung geben kann, denn nur überlegene Leistungen lassen uns im Wettbewerb bestehen.“ 315

Ausbleibende Gäste Dass der „neue“, von den Nationalsozialisten initiierte, Tourismus bei den alteingesessenen Gleichenberger Kureinrichtungen nicht immer auf große Gegenliebe stieß, ist anzunehmen. Auf Helgoland in Deutschland, früher ein exklusives und auch bei Juden beliebtes Reiseziel, beispielsweise klagten Einheimische, die KdF-Touristen kamen zwar in Massen, waren aber arm und ließen, meist als Tagesbesucher, kaum Geld auf der Insel. Der Helgoländer Volksmund übersetzte KdF mit „Kotz durchs Fenster.“ 316 „Die Bilanz der nationalsozialistischen Kompensationsanstrengungen für die ehemaligen ‚Judenbäder‘ fiel insgesamt zwiespältig aus: An die Stelle der ausgegrenzten jüdischen Touristen traten neue Gäste, vorzugsweise vermittelt durch KdF, aber damit auch neue touristische Strukturen, die bei den Einheimischen nicht auf ungeteiltes Wohlwollen stießen. Und wer als traditioneller Gast eines etablierten Seebades eine gewisse soziale Exklusivität des Reisepublikums geschätzt hatte, rümpfte über die neuen Touristen die Nase. Die nicht nur ‚rassisch‘, sondern auch sozial homogene ‚Volksgemeinschaft am Urlaubsort‘ blieb in der NS-Zeit daher eine propagandistische Fiktion.“ 317 Aus Bad Gleichenberg ist die konkrete Beschwerde von A. H. Rauch, dem Inhaber der Pension „Grazerhof“, bekannt. Er schrieb schon im Juni 1938 in einem persönlichen Brief an den Gauleiter: „Die katastrophale Entwicklung der Verhältnisse im Fremden- Beherbergungsgewerbe zwingt uns, ihre Aufmerksamkeit auch auf Bad Gleichenberg zu lenken. Bad Gleichenberg, das bekanntlich auf eine jahrhundertalte Tradition als Kurort zurückblickt, hatte bis zum Jahre 1937 alljährlich einen immerhin zufriedenstellenden Fremdenbesuch aufzuweisen. Im heurigen Jahre jedoch ist dieser Fremdenbesuch, obwohl die meisten Häuser in Bad Gleichenberg den Betrieb bereits am 1. Mai (wie schon am 1. April) eröffneten, nahezu ganz ausgeblieben. In erster Linie ist dies wohl auf den Umstand zurückzuführen, dass Bad Gleichenberg bis 1937 zum überwiegenden Teil von jüdischen Kurgästen besucht war, während seit dem Umbruch Bad Gleichenberg Juden nicht mehr

315 Betriebsordnung, S. 3-4. 316 Vgl. Bajohr, S. 124-126. 317 Bajohr, S. 126-127. Thomas Stoppacher Seite 69 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte aufnimmt. Wir selbst betreiben in Bad Gleichenberg die Hotel-Pension „Grazer-Hof“, welche über 37 vermietbare Zimmer mit einem Gesamtbelag von 60 Betten verfügt. Während noch im Jahre 1937 alle Zimmer voll besetzt waren, haben wir derzeit, also anfangs Juni, nur 11 Gäste. Die Situation ist für uns aber umso mehr untragbar, als wir ebenso wie durchwegs die anderen Betriebe in Bad Gleichenberg den Zinsendienst für die auf unserer Realität eingetragenen Hypothek von 110.000 S zu leisten haben. Dieser Zinsendienst verträgt natürlich keine Stockungen, da andernfalls mit exekutiven Schritten gerechnet werden muss. Könnten die bestehenden Schwierigkeiten also nicht in kürzester Frist beseitigt werden, so steht zu befürchten, dass der Betrieb einfach nicht weiter geführt werden kann. In diesem Zusammenhang erlauben wir uns, Herr Gauleiter, darauf hinzuweisen, dass wir bereits am 16. April 1938 auf Veranlassung der Innung des Gast- u. Schankgewerbes der Treuhandstelle für das Fremdenbeherbergungsgewerbe im Kreditinstitut für öffentliche Unternehmungen und Arbeiten zwecks Einbeziehung in die geplante Entschuldungsaktion für das Hotelgewerbe einen in allen Einzelheiten beantworteten Fragebogen übersendet haben, ohne jedoch von dieser Stelle eine weitere Nachricht erhalten zu haben. Wir bitten sie daher, sehr geehrter Gauleiter, womöglich dadurch, dass Besucher aus dem Altreich nach Bad Gleichenberg dirigiert werden, Abhilfe zu schaffen, um die sonst unvermeidlich scheinende Katastrophe zu verhindern. Heil Hitler!“ 318 Die Steiermärkische Gast- und Schankgewerbeinnung unterstützte in einer beiliegenden Stellungnahme das Anliegen ihres Mitglieds. Eine konkrete Antwort der nationalsozialistischen Behörden an den Hotelbesitzer Rauch liegt nicht vor, eine Umschuldung stand aber nach Mitteilung eines Vertreters des zuständigen Ministeriums für Handel und Verkehr nicht auf der unmittelbaren Agenda. 319 Das Schreiben von Rauch, in dem sachlich die immense Bedeutung der jüdischen Kurgäste in Bad Gleichenberg bis 1937 geschildert wird, ist ein beeindruckendes Beweisstück für die herausragende Stellung des südoststeirischen Kurortes als jüdisches Sommerfrischen-Domizil.

Abschließend zu diesem und überleitend zum „Kulturgeschichte“-Kapitel ein Seitenblick in die Literatur: Das Szenario der durch den „Abgang der Juden“ mit finanziellen Verlusten kämpfenden Kurbetreiber hatte schon Hugo Bettauer in seinem 1922 publizierten, den Untertitel „Roman von Übermorgen“ sechzehn Jahre später tragisch bestätigten, Werk „Die Stadt ohne Juden“ vorausgesehen, aus dem Kapitel über die nunmehr „billige Sommerfrische“: „Es gab in den schönsten Sommerfrischen keine Überfüllung […]. Die

318 Arisierungsakten: HG 1339 (Rauch). 319 Vgl. Arisierung HG 1339. Thomas Stoppacher Seite 70 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Besitzer der großen Etablissements, Kuranstalten und sogenannten Sanatorien schnitten allerdings sauere Mienen. Sie hatten immer von dem internationalen Judentum gelebt, ihr ganzer Betrieb war auf jene Menschen eingestellt, die nicht rechnen, wenn es sich um Behaglichkeit handelt, und nun fanden sie, da sie auch bei gutem Willen nicht billig sein konnten, nicht genügend Gäste […]. Der Bürgermeister von Semmering hatte den Mut, es in einer Gemeinderatssitzung offen herauszusagen: ‚Mit den Juden hat man bei uns den Wohlstand vertrieben, ein paar Jahre noch und wir werden zwar gute Christen, aber bettelarm sein!‘“ 320

5. Ein vergessenes Kapitel Kulturgeschichte

Berühmte Schriftsteller in Gleichenberg Unter den zahlreichen prominenten Gästen, die einen Kuraufenthalt in Gleichenberg verbrachten, befanden sich auch einige jüdische Künstler. Elias Canetti erwähnt im zweiten Teil seiner Biographie „Die Fackel im Ohr“ den südoststeirischen Kurort: „Für den Sommer sei die Übersiedlung nach Paris angesetzt. Das werde eine anstrengende Zeit für sie sein. Um sie gut zu überstehen, wolle sie vorher eine Kur machen und zwar wie voriges Jahr in Bad Gleichenberg, das habe ihr gutgetan. Ob ich für diese Zeit die Brüder übernehmen wolle? Die müssten richtige Ferien haben […]“321 Diese Passage ist dem Jahre 1926 zuzuordnen. Dass sich neben seiner Mutter Mathilde auch Elias Canetti selbst zum Besuch in Bad Gleichenberg eingefunden hat, ist aus einem Interview aus dem Jahre 1975 mit Alfred Holzinger vom ORF- Landesstudio Steiermark herauszulesen. Canetti hatte als erster Schriftsteller den Grazer Franz-Nabl-Literaturpreis erhalten und sprach zu diesem Zwecke über seine Erinnerungen an den Namensgeber des Preises und die Steiermark: „Es war nicht immer so, zum Beispiel bei dem Ausflug - er lud mich zu einem Ausflug in die Südsteiermark ein, er wollte mir da einiges zeigen - da wurde schon mehr gesprochen, er zeigte mir auch vieles; er hatte eine unglaubliche, fast humoreske Art, einem alles darzubieten, was er gut kannte. er hat sich bei dieser Gelegenheit auch, also was mein persönliches Leben betrifft, auf eine so unerhört taktvolle Weise zu mir benommen, dass ich es nicht vergessen kann. Ich weiß nicht, ob ich das erzählen soll [...]. Er wusste, dass ich vor dem Krieg die Steiermark nicht gut gekannt hatte,

320 Bettauer, Hugo: Die Stadt ohne Juden. Ein Roman von Übermorgen (= Gesammelte Werke. Band 4). Salzburg 1980, S. 134-135. 321 Canetti, Elias: Die Fackel im Ohr. Lebensgeschichte 1921-1931. Frankfurt am Main 1982, S. 163-164. Thomas Stoppacher Seite 71 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte ich war nur manchmal in Gleichenberg gewesen, wo meine Mutter zur Kur war - die hatte ich in meiner Studentenzeit einige Male besucht. Ich hatte auf dem Weg in Graz Station gemacht, war aber nie mehr als ein paar Stunden in Graz gewesen. Und auf dieser Fahrt nun, zu der mich Franz Nabl eingeladen hatte, kamen wir auch nach Gleichenberg. Eine junge Freundin des Ehepaars Nabl chauffierte den Wagen, und als wir an den Kurhauspark kamen, berührte er ganz leicht ihre Schulter und sagte ihr, sie solle langsam um den Kurpark herumfahren [...]. Und ich wusste sofort, dass er mir einen Raum geben will, meiner Erinnerung nachzuhängen. Er sagte kein Wort, der Wagen fuhr ganz langsam um den Kurpark herum; ich dachte natürlich an frühe Jahre, an Gespräche mit meiner Mutter, die ja längst nicht mehr lebte [...]. Als wir nun am Ende wieder angekommen waren, sagte er ganz leise: ‚Noch einmal.‘ Und da fuhr sie noch einmal ganz langsam um den Park rum. Es ist vielleicht für jemanden, der das hört, nicht verständlich, warum mich diese Zartheit so tief ergriff, aber es ist etwas, wofür ich ihm heute noch dankbar bin.“322

Kurioserweise, der Namensgeber des Preises war völkisch-nationalistisches Mitglied der NS- Vorfeldorganisation „Bund deutscher Schriftsteller Österreichs“ 323 , hat auch der zweite Preisträger des Franz-Nabl-Literaturpreises aus dem Jahr 1977 eine Gleichenberg- Vergangenheit vorzuweisen. Der in Galizien, das damals zur Habsburgermonarchie gehörte, geborene und in deutscher Sprache schreibende jüdische Schriftsteller Manes Sperber berichtet in seiner Biographie davon: „Am 23. Juni 1921 fuhr ich zusammen mit einigen jungen Frauen und Männern nach Gleichenberg in eine Lungenheilanstalt, die das ‚Joint Distribution Committee‘, eine jüdische-amerikanische Hilfsorganisation, eingerichtet hatte. Das Datum kenne ich so genau, weil ich es auf der Rückreise eines Photos lesen kann, auf dem etwa 30 Patienten um den leitenden Arzt gruppiert sind. Alle Namen sind ordentlich vermerkt und auch die Dauer meines Aufenthaltes, der bis zum 29. September, also fast 100 Tage gedauert hat“ . 324 Offensichtlich genoss der damals 16-Jährige den Aufenthalt im beschaulichen Kurort, um sich für einige Wochen von den Schrecken des Kriegs zu erholen: „Wir waren alle Kriegsopfer, doch nicht in gleichem Maße. Nicht wenige der Männer, Frontsoldaten, waren verletzt oder tuberkulös zurückgekehrt. Fast keiner von ihnen hatte sich eine Existenz schaffen können – sie waren Schiffbrüchige, die in dieser Anstalt während einiger Monate sorglos dahinleben durften. Natürlich wollten sie genesen, doch nicht zu

322 Gespräch zwischen Elias Canetti und Alfred Holzinger, ORF-Landesstudio Steiermark 1975, unveröffentlicht. Online im Internet: http://www.kulturservice.steiermark.at/cms/beitrag/10168112/10890155 . 323 Vgl. Fuchs, Gerhard: Franz Nabl. Online im Internet: http://www.uni-graz.at/nabl1www/nabl1www- franz_nabl.htm . 324 Sperber, Manes: Die vergebliche Warnung. Als das Vergangene.... Wien 1975, S. 56-57. Thomas Stoppacher Seite 72 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte schnell, damit sie so lange als möglich die gute Nahrung und die schöne sonnige Hügellandschaft der Steiermark genießen und die Sorgen, die ja sowieso nicht ‚weglaufen‘ würden, warten lassen konnten.“ 325 Die dominierende Therapieform bei seinem Aufenthalt in Gleichenberg war für Sperber die Liegekur, entweder im Garten oder bei Regen am abgedeckten Balkon. Auch mehrstündige Sonnenbäder standen an der Tagesordnung. 326 Über die Auswirkungen seiner Zeit in der Südoststeiermark resümierte Sperber folgendermaßen: „Die Kur in Gleichenberg hatte mein Leiden nicht geheilt, hingegen mein Krankheitsbewusstsein gefördert. Nein, ich befürchtete nicht einen verfrühten Tod und glaubte nicht einmal, dass ich während langer Jahre das Leben eines Tuberkulösen würde führen müssen. Jedoch wusste ich, dass ich einige Zeit außerstande sein würde, souverän über meinen Körper zu verfügen.“ 327 An den Besuch des später berühmt gewordenen Schriftstellers erinnerte man sich im Kurort, unter dem Titel „ Manes Sperber war zur Kur in Bad Gleichenberg“ , erschien nach seinem Tod 1984 ein kurzer Bericht in der örtlichen Gemeindezeitung, in dem auch sein jüdischer Hintergrund nicht unerwähnt bleibt: „Der kürzlich verstorbene, weltbekannte Schriftsteller und Philosoph Manes Sperber litt als Jugendlicher an chronischer Bronchitis. Zum Zwecke der Ausheilung dieser Krankheit weilte Sperber als 16-jähriger drei Monate und zwar vom 23.6. bis 29.9.1921 zur Kur in Bad Gleichenberg. Diese Kur ermöglichte damals der sogenannte Joint Distribution, eine jüdisch- amerikanische Hilfsorganisation, für den noch mittellosen Sperber. Manes Sperber wohnte damals gemeinsam mit anderen auch an der Bronchitis erkrankten Patienten im sogenannten ‚Israelitischen Hospital‘, welches von einem Wiener Arzt betreut wurde. Dieses Gebäude, das 21 Betten beinhaltete, wurde nach dem 2. Weltkrieg geschleift.“ 328

Theater, Kabarett, Musik und Künstler als Kurgäste Das Kurtheater wurde 1873 von Kärntner Leiter Josef von Bertalan eröffnet. Die Aktiengesellschaft trug einen Großteil der Finanzierung bei. Der Zuschauerraum fasste 500 Plätze und streckte sich, wie auch der Bühnenraum, über zwei Etagen. Der Dachboden diente als Kulissenraum und in der Versenkung war vor der Bühne ein Orchesterraum für bis zu 40 Musiker integriert. 329 „Josef von Bertalan begann nicht gleich mit einem vollen Theaterbetrieb, sondern baute das Programm langsam auf: Es gab zunächst nur Einakter, kurze kleine Schauspiele und Gesangsabende auf dem Spielplan, sodass Bertalan mit

325 Sperber, S. 57. 326 Vgl. Sperber, S. 57. 327 Sperber, S. 67. 328 Manes Sperber war zur Kur in Gleichenberg. Bad Gleichenberger Nachrichten, 1984. 329 Vgl. Rauch/Kurtheater, S. 1-3. Thomas Stoppacher Seite 73 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte geringem Personal- und Kostenaufwand die ersten Jahre über die Runden brachte. Später engagierte er regelmäßig Gästeensembles aus Graz und Wien. Als schließlich in den 80iger- Jahren des vorigen Jahrhunderts die Kurmusik auf einen Stand von 30 Musikern erweitert wurde, wagte man sich mit großem Erfolg an Inszenierungen von Operetten […]. Sowohl in dieser Zeit, als auch noch einige Jahre nach dem ersten Weltkrieg war das Sommertheater von Bad Gleichenberg für österr. und ungar. Sänger und Schauspieler ein beliebter Gastspielort […].“330 Die Spielsaison dauerte 1912 vom 8. Juni bis zum 20. August. Wie im „Theater-Almanach“ dieses Jahres unter „Bemerkenswertes“ erklärt, war Gleichenberg ein Spezialkurort für Sänger, weswegen für Mitglieder des Kurtheaters die Kurmittel frei waren. So kam es oftmals zu Auftritten von prominenten Künstlern. 331 Fritz Grünbaum beispielsweise war von 6. bis 18. September 1933 im Gleichenberger Kurtheater zu Gast. Unter der Woche gab er in dieser Zeit eine Vorstellung um 20:15 Uhr, an Sonn- und Feiertagen war er sogar zweimal, jeweils um 16 und 20 Uhr, zu bewundern. 332 In der Zwischenkriegszeit wurde das Kurtheater zur ständigen Sommerfiliale des Stadttheaters Leoben, verstärkt durch Mitglieder der Städtischen Bühnen in Graz. Auf dem Programm standen Stücke von bekannten Namen wie beispielsweise Schnitzler oder Ibsen. Obwohl die jeweiligen Werke mindestens zwei- bis dreimal aufgeführt wurden, war das Haus meist ausverkauft. Ab 1928 gab es in Bad Gleichenberg zusätzlich Kinovorstellungen. 333 In der Blütezeit der 1920er Jahre traten berühmte jüdische Künstler des Weiteren im Saal des „Hotel Mailand“ und im Kurcafè auf. Neben Fritz Grünbaum gehörte sein kongenialer Partner Karl Farkas ebenso dazu, wie Hermann Leopoldi und Hugo Wiener. 334 Nicht nur Kabarett, auch hochklassige jüdische Musik wurde den Gästen in Gleichenberg geboten. „Die Wahrheit“ berichtete im September 1926: „Aus Bad Gleichenberg wird uns geschrieben: Einem allgemeinen Wunsche des hiesigen Kurpublikums Rechnung tragend, gaben die bekannten Wiener Oberkantoren Margulies und Postolow am 23. v. M. im Festsaale des Hotels Mailand einen Arien- und Lieder-Abend. Die formvollendete Wiedergabe der Schöpfungen Kienzl, Verdi, Mascagnie, Bizet, Puccini usw. enthusiasmierte das überaus zahlreiche Auditorium, das zum Schlusse des Konzertes noch jüdische Lieder stürmisch verlangte, welchem Verlangen die beiden Oberkantoren gerne entsprachen und auch mit diesen Darbietungen vollen Erfolg erzielten. Die Gesangsvorträge der beiden Herren wurden

330 Rauch/Kurtheater, S. 5. 331 Vgl. Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (Hg.): Neuer Theater-Almanach. Theatergeschichtliches Jahr- und Adressenbuch. Vierundzwanzigster Jahrgang. Berlin 1913, S. 432. 332 Vgl. Rauch/Kurtheater, S.16. 333 Vgl. Rauch/Kurtheater, S. 12. 334 Vgl. Mang/Erdenwinkel, S. 25. Thomas Stoppacher Seite 74 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte von einem Kurgaste, Herrn Direktor Hans Singer, dem Sohne des verewigten Wiener Oberkantors Josef Singer, in mustergültiger Weise begleitet. Zu erwähnen wäre noch, daß die genannten auf Burg Gleichenberg von dem Schloßherrn Graf Trauttmannsdorff eingeladen, über dessen Verlangen demselben Proben von jüdischen und hebräischen Liedern vorführten, die das Entzücken der dortselbst versammelten vornehmen Gesellschaft hervorriefen.“ 335

Zum Abschluss des Kapitels weitere bekannte Namen jüdischer Künstler, die südoststeirische Heilbad besuchten: In Gleichenberg zur Kur verweilten die Schauspielerin Elisabeth Bergner und der Kabarettist Armin Berg. 336 Auch der Schriftsteller Friedrich Torberg wusste die angenehme Atmosphäre des Kurortes zu schätzen. 337 Filmregisseur Franz Marischka, die Opernsängerin Vera Schwarz und der deutsche Tenor Joseph Schmidt vervollständigen die Liste der prominenten Künstler jüdischer Herkunft in Gleichenberg. 338 Schmidt, der aus einer jüdisch-orthodoxen Familie aus Czernowitz in der Bukowina stammt und dort als Kantor- Sänger tätig war, wohnte privat bei Frau Kienzl in der „Villa Maria“. Die Enkelin der Besitzerin erinnert sich an Schmidt als einen liebenswürdigen und bescheidenen Mann von sehr kleiner Statur (er war nur 1,56 Meter groß). Der genaue Zeitpunkt seines Aufenthalts konnte nicht mehr eruiert werden, nach der Schilderung der Kienzl-Enkelin war Schmidt damals aber noch nicht öffentlich bekannt. Es dürfte demnach Mitte der 1920er Jahre gewesen sein. Der Kuraufenthalt und die Unterkunft mit Verpflegung wurden, wie es damals sehr häufig der Fall war, von vermögenden Juden gespendet. Jedenfalls verließ er Gleichenberg mit einer wesentlichen Genesung seiner Heiserkeit. 339 Ein weiterer bekannter Schriftsteller, der zwischen 1918 und 1931 regelmäßig in Gleichenberg verweilte, war Alexander Roda Roda, dessen schon erwähnter Bruder Julius Roda die örtliche Apotheke leitete. 340 Roda war mit seiner roten Weste mit silbernen Knöpfen und seinem ständig getragenen Monokel eine markante und allseits bekannte Erscheinung im Kurort. 341 Nach dem Zweiten Weltkrieg bekam Olga Roda die Apotheke restituiert 342 und führte sie mit ihren beiden Schwestern. Auf den bekannten Namen wurden auch Medien aufmerksam. Die „Neue Zeit“ beispielsweise begab sich auf Erkundungsreise in den südoststeirischen Kurort und wusste zu berichten: „Wer nach Bad Gleichenberg kommt,

335 Die Wahrheit, Nr. 37-39/1926. 336 Vgl. Putz, S. 313. 337 Vgl. Putz, S. 175. 338 Vgl. Auflistung: Folgende Künstler, Schriftsteller und Andere weilten zu Gastspielen bzw. Kuraufenthalten in Bad Gleichenberg. [In der Folge zitiert als Künstlerliste] 339 Vgl. Rauch, Wilhelm: Schmidt, Joseph (Sänger u. Filmschauspieler). Karteikarte. 1984. 340 Vgl. Putz, S. 166. 341 Vgl. Rauch/Ärzte, S. 27. 342 Ein Vorgriff auf Kapitel 7.1, in welchem diese Begebenheit genau geschildert wird. Thomas Stoppacher Seite 75 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte findet mitten im Ort ein Schild ‚Apotheke Roda‘ […] und denkt natürlich sofort an Roda Roda. Journalisten glauben immer, daß sie von Beruf wegen neugierig sein dürfen. Also fragen wir drinnen, wo es kühl ist und so gut nach Apotheke riecht. Und wir erfahren, dass wir nicht die einzigen sind, die fragen. Und wir erfahren, dass wir Recht haben. Es ist die Apotheke des Bruders von Roda Roda. Sie wird von dessen drei Töchtern geführt, von drei Nichten des Autors also. Und das sind derzeit nicht die drei einzigen Rodas in Gleichenberg. Zu Besuch ist überdies noch Frau Roda Roda, die Witwe des Autors.“ 343

6. Das israelitische Hospital als Beispiel jüdischer Infrastruktur im Kurort

6.1. Von der Idee bis zur Gründung

Im Dezember 1882 wurden die Gründung und die Statuten des „Vereins zur Errichtung eines israelitischen Hospitales in Gleichenberg“ mit Sitz in Wien von der niederösterreichischen Statthalterei bestätigt. Vertreter vor Ort war der Feldbacher Notar Ludwig Loetsch. Das Grundstück, auf welchem das Hospital erbaut werden sollte, wurde 1883 von Moritz Steiner um den Kaufpreis von 5.000 Gulden erworben. Es hatte eine Fläche von 575 m 2. Steiner war zusammen mit dem Advokaten Gustav Kohn Obmann-Stellvertreter. 344 Die Obmann-Rolle übernahm der Dichter Leopold Kompert. 345 Die drei Herren kamen allesamt aus Wien. Im Grundbuch ist mit dem Datum 13. Februar vermerkt: „Auf Grund des Kaufvertrages vom 11. Feber 1884 wird das Eigentumsrecht für den Verein zur Errichtung eines israelitischen Hospitals in Gleichenberg einverleibt.“ 346 Am 29. Februar 1884 wurde das mittlerweile auf dem Grundstück erbaute Haus von einer Kommission geprüft. Es war gemauert, mit Ziegeln gedeckt und befand sich am südwestlichen Ende des Kurortes. Das 17 Meter lange und 9,8 Meter breite villenartige Gebäude war vor allem für den Sommeraufenthalt gedacht. Die Prüfung ergab, dass noch

343 Roda Roda in Bad Gleichenberg. Eine Apotheke und eine junge alte Dame mit fünfzig roten Westen im Koffer. Neue Zeit. 344 Vgl. Grasmug, S. 153. 345 Vgl. Baumgarten, Emanuel: Die Juden in Steiermark. Eine historische Skizze. Wien 1903, S. 49. 346 A / VIE / IKG / I-III/ VEREI/ Verein zur Erhaltung eines Israelitischen Hospitales in Gleichenberg / 1 / 4. Quellarchiv: Grundbuch. Quellsignatur: BG Feldbach, KG Bad Gleichenberg, EZ 191. [In der Folge zitiert als IKG Wien 1/4] Thomas Stoppacher Seite 76 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte einige bauliche Bedingungen, zum Beispiel die Ersetzung der Holzstiegen durch gusseiserne Treppen, erfüllt werden mussten. 347 In einem Schreiben der Statthalterei an Notar Loetsch hieß es im April 1884: „[…] es wird sich nicht um ein eigentliches Krankenhaus (Hospital) handeln, sondern nur um ein Asyl zur Unterbringung von bettlägerigen, der ärmeren Klasse angehörigen Israeliten, abseits des lebhaften Verkehrs des Kurortes.“ 348 Schließlich war es soweit: Am 23. Juni 1884 kam es zur feierlichen Eröffnung. Bei dieser widmete Kurvorsteher Ottokar Graf Wickenburg zusätzlich zu einem Geldbetrag noch eine Grundfläche, um eine spätere Erweiterung der Anstalt zu ermöglichen. 349

Eröffnung Die Eröffnungsrede wurde von Dr. Adolf Jellinek, einem bekannten jüdischen Prediger aus Wien, gehalten. Seine festliche Ansprache begann mit der Beschreibung des Wortes Mitleid, welches gerade in einem Kurort, in dem alle Leute von ihrem Leiden loskommen wollen, eine besondere Bedeutung bekomme und Rang-, Standes- sowie nationale und konfessionelle Grenzen überschreite.350 Überleitend kam er zur Entstehungsgeschichte des Hospitals: „Von diesem mitleidvollen Erbarmen ergriffen, hat ein edler Menschenfreund (Herr Moritz Steiner) aus der Residenz, der zu Hause als ein religiös und mildgesinnter Mann hochgeachtet ist, den Entschluss gefasst, in dem heilkräftigen Gleichenberg den armen Kranken israelitischen Bekenntnisses ein Asyl zu gründen. Das Vorhaben war ein edles, die Aufgabe eine sehr schwierige. Sie verlangte größere Summen zu ihrer Ausführung, Umsicht und Beharrlichkeit. Allein nichts vermochte seinen glühenden Eifer abzukühlen, sein reges Schaffen zu ermüden, seine tatkräftige Ausdauer zu schwächen. Ging er doch selbst mit gutem Beispiele voran, öffnete die eigene Hand und bewährte die eigene Mildtätigkeit, bevor er an fremde Herzen pochte, um Teilnahme für die Kranken und Leidenden zu erwecken […]. Und so gelang es seinem nie erhaltenden Bemühen, unterstützt von Freunden und Genossen in der Hauptstadt Steiermarks und in der Residenz, hier dieses Krankenasyl zu errichten und am heutigen Tage zu eröffnen.“ 351 In weiterer Folge gingen Worte des Dankes an Ottokar Graf Wickenburg, der bei der Eröffnung anwesend war und das Versprechen seines 1880 verstorbenen Vaters Matthias einlöste, die Gründung eines israelitischen Hospitals zu unterstützen. Auch

347 Vgl. Grasmug, S. 153. 348 Grasmug, S. 153. 349 Vgl. Baumgarten, S. 49. 350 Vgl. Jellinek, Adolf: Rede zur Eröffnung des israelitischen Spitals im Curorte Gleichenberg, gehalten am 23. Juni 1884. Wien 1884, S. 3-4. 351 Jellinek, S. 4-5. Thomas Stoppacher Seite 77 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Bürgermeister Carl Mayr erhielt lobende Erwähnung. 352 Jellinek beendet seine Rede mit den besten Wünschen für die Zukunft: „So sei denn dieses Haus dem Wohlwollen und der menschenfreundlichen Förderung der Edlen und Guten in Gleichenberg empfohlen. Möge ihm reichliche Unterstützung zu Teil werden von allen denen, die ein warmes Herz und eine offene Hand für ihre leidenden Mitmenschen haben, besonders von edlen Frauen, in deren Seele Liebe und Erbarmen mit Himmelschrift eingegraben ist. Mögen die heil- und hilfesuchenden Armen hier ihr Ziel erreichen, gesund und gekräftigt, erleichtert und neu belebt es zu verlassen. Was Menschenliebe geschaffen hat, möge die göttliche Liebe schirmen und segnen fort und fort.“ 353

Das israelitische Hospital stand als Stiftung bedürftigen Juden zur Verfügung. Lungenkranke Patienten stellten dabei den Großteil der zu versorgenden Heilsuchenden. 354 1885, im ersten Jahr nach der Eröffnung, waren im israelitischen Hospital acht Personen untergebracht. Der Gemeindesvorsteher Carl Mayr unterstrich in einem Brief an die Bezirkshauptmannschaft den humanitären Charakter der Anstalt, sie werde nicht gewinnorientiert betrieben. Er betonte auch, dass die Auflagen des Vorjahres, abgesehen von der Errichtung der gusseisernen Treppe, erfüllt worden waren. 355

Statuten Obwohl das Hospital nun gebaut war und schon die ersten Gäste zum Kuraufenthalt kamen, lautete der Name der Institution immer noch „Verein zur Errichtung eines israelitischen Hospitales in Gleichenberg“. Die Statuten aus dem Gründungsjahr des Vereines sind nicht mehr erhalten, dafür aber jene aus dem Jahr 1887, die sich inhaltlich nicht wesentlich von den ersten Grundsätzen unterscheiden dürften. Aus den vorliegenden Satzungen geht hervor, dass der Zweck des Vereines die Gründung und Erhaltung des Hospitales war, um damit hilfsbedürftigen Israeliten eine Kur in Gleichenberg zu ermöglichen. Weitere aus den Statuten hervorgehende Informationen zum Aufbau und zur Finanzierung der wohltätigen Institution waren: Die Mittel des Vereines mit Sitz in Wien summierten sich aus dem Gründungsfond und den durch dessen Veranlagung erzielten Zinsen, den Jahresbeiträgen der Mitglieder, sowie dem Verein gewidmeten Spenden, Schenkungen, Stiftungen und Legate. Zum Förderer des Vereines wurde man mit mindestens 400 Kronen, „Mitglied auf Lebenszeit“ ab 200

352 Vgl. Jellinek, S. 6-7. 353 Jellinek, S. 7-8. 354 Vgl. List, S. 55. 355 Vgl. Grasmug, S. 154. Thomas Stoppacher Seite 78 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Kronen, der normale Jahresbeitrag belief sich auf einen Mindestbeitrag von sechs Kronen. Damit hatte man das aktive und passive Wahlrecht und durfte sich an den Generalversammlungen beteiligen. Diese fanden alle drei Jahre statt, in ihnen wurde unter anderem über gestellte Anträge und Änderungen der Statuten debattiert, sowie der Vorstand gewählt. Dieser setzte sich aus mindestens acht Mitgliedern zusammen, welche unter sich den Obmann, Stellvertreter, Kassier etc. bestimmten. Die höchstmögliche Verweildauer im Vorstand betrug sechs Jahre. Eingaben und Urkunden des Vereines mussten vom Obmann oder seinem Stellvertreter plus zwei weiterer Vorstandsmitglieder unterzeichnet werden. In den Statuten stand außerdem geschrieben, dass sechs der acht Vorstände ihren Wohnsitz in Wien haben mussten. Für den Fall der Auflösung des Vereines gehe das Hospital samt Inventar an die IKG Wien, das Vereinsvermögen werde zwischen den Kultusgemeinden Wien, Graz und Budapest aufgeteilt, mit der Bestimmung die Erträgnisse alljährlich an hilfsbedürftige israelitische Kurgäste in Gleichenberg zu verteilen. 356 Solch wohltätige Fürsorgeeinrichtungen, meist ins Leben gerufen von reichen jüdischen Kurgästen, waren keine Seltenheit. Es gab sie in allen großen Kurorten der Monarchie und garantierte auch armen osteuropäischen Juden die Möglichkeit einer Heilbehandlung. 357

6.2. Das Hospital als Unterkunft für Kurgäste aus ärmeren Gesellschaftsschichten – eine wohltätige Institution

Im Mai 1888 wurde in der „Österreichischen Wochenschrift“ von Dr. Bloch ein „Vierter Jahresbericht des Vereines zur Errichtung eines israelitischen Hospitales in Gleichenberg“ publiziert. In diesem Artikel findet sich eine Erfolgsbilanz der ersten Jahre, die auch einen Überblick über die Herkunft und das Geschlecht der Kurgäste gibt: „Wer hätte gedacht, dass ein so schwieriges Unternehmen in so kurzer Zeit so riesige Fortschritte machen wird. Aber der Wohltätigkeitssinn unserer Glaubensgenossen ist immer noch frisch, wenn es gilt, bedrängten leidenden Menschen zu Hilfe zu kommen. Und wenn sich edle Fürsprecher finden, dann gibt es der edlen Spender genug, die mit vollen Händen ihre Gaben auf den gemeinsamen Altar der Humanität niederlegen. Hievon gibt Zeugnis das Hospital in Gleichenberg, wo während der drei Curperioden 31 Personen (21 Männer und 10 Frauen) u. zw. 14 aus Wien, 12 aus Ungarn, 3 aus Mähren und 2 aus Galizien Aufnahme und Pflege

356 Vgl. Bestand Jerusalem (Mikrofilm Nr. 1418): A/W 2445. 357 Vgl. Triendl-Zadoff, S. 70. Thomas Stoppacher Seite 79 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte fanden.“ 358 Der Besucherquerschnitt der Hospital-Gäste entsprach mit einer überwiegenden Mehrheit von Besuchern aus Wien und Ungarn jenem des gesamten Kurortes. Trotz des positiven Resümees, wird in der weiteren Folge des Artikels davon gesprochen, das Hospital zu erweitern, da jährlich hilfsbedürftige Menschen abgewiesen werden müssten, weil das Haus vollbelegt sei. Ein Grundstück dafür stehe schon zur Verfügung, aber die finanziellen Mittel zur Fortsetzung des Baus fehlten, weil die gesammelten Spenden und Jahresbeiträge für die Pflege der Kranken verwendet würden. Der Bericht endet folgerichtig auch mit einem Spendenaufruf. 359

Die Finanzierung des Spitalbetriebs erfolgte neben den schon beschriebenen Mitgliedsbeiträgen über Sammlungen unter den jüdischen Kurgästen in Gleichenberg. Diese wurden von Stammgästen durchgeführt und brachten in der Regel etwa 1.000 Kronen pro Jahr ein. 1909 hatte die Kurinspektion die Sammlung verboten, als Ersatz solle jeder Kurgast in Gleichenberg eine Krone als freiwillige Gabe spenden. Den Erlös teilte sich das israelitische Hospital mit dem von den „Barmherzigen Schwestern“ aus Graz geführten christlichen Hospital „Zum Pilger“. Zusätzlich erfreute sich die Krankenanstalt auch verschiedener Stiftungen. 360

Später, nachdem die Gründungsphase des Hospitals längst abgeschlossen war, wurde die dem wohltätigen Haus zu Grunde liegende Organisation umbenannt und hieß nun „Verein zur Erhaltung des israelitischen Hospitals in Gleichenberg“. Das genaue Datum der Namensänderung ist unbekannt. Da in den vorliegenden Statuten schon die Währungseinheit „Schilling“ angegeben ist, muss es nach 1925 gewesen sein. In dieser erneuerten Variante der Vereinsgrundsätze stand als Zweck neben der Erhaltung des Spitals, hilfsbedürftigen Israeliten den Gebrauch der Kur in Gleichenberg zu ermöglichen. Die finanziellen Mittel der Institution, deren Sitz sich nach wie vor in Wien befand, lukrierten sich aus den Jahresbeiträgen der Mitglieder (mindestens fünf Schilling) sowie den Vereinszwecken gewidmeten Stiftungen, Schenkungen und Legaten. Stifter des Vereines wurde man durch die Leistung eines Beitrags von mindestens 200 Schilling. Wenigstens 100 Schilling waren für eine „Mitgliedschaft auf Lebenszeit“ notwendig. Mitglieder hatten das aktive und passive Wahlrecht und durften an der jährlichen Generalversammlung teilnehmen. Bei dieser wurde

358 Dr. Blochs Österreichische Wochenschrift. Centralorgan für die gesamten Interessen des Judenthums: Nr. 19/1888. 359 Vgl. Dr. Blochs Österreichische Wochenschrift, Nr. 19/1888. 360 Vgl. Grasmug, S. 154-155. Thomas Stoppacher Seite 80 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte unter anderem über aktuelle Anträge debattiert und abgestimmt, über etwaige Änderungen der Statuten diskutiert und die Vereinsleitung gewählt. Diese setzte sich aus einem Vorstand aus mindestens acht Mitgliedern zusammen, aus welchen der Obmann, sein Stellvertreter, der Kassier etc. bestimmt wurden. Jedes Vorstandsmitglied durfte längstens zwei Jahre im Amt bleiben. Des Weiteren war in den Statuten festgehalten, dass im Falle der Auflösung des Vereines das Hospital samt Inventar und das übrige Vereinsvermögen an die Zentralstelle für jüdische soziale Fürsorge in Wien überginge.361 Im Vergleich zu 1887 gab es in den Statuten also doch einige Änderungen, was die Führung des Vereins und bestimmte interne Regelungen betrifft.

Ärzte Bis 1910 war der aus Cernec in Slawonien stammende Dr. Paul Hönigsberg Leiter des Hospitals, sein Nachfolger war der in Debrecen geborene Dr. Josef Kentzler. 362 Nach dem Rückzug von Hönigsberg aus Gleichenberg kam der „Wienerhof“, sein ehemaliger Besitz, laut Verzeichnis der Häuser der Pfarre Trautmannsdorf ebenfalls in den Besitz des Hospitalfonds. 363 Die im israelitischen Hospital tätigen Ärzte hatten allesamt eine sehr gute Reputation. In einem Artikel der „Kleinen Zeitung“ aus dem Jahr 1987 zum Anlass der Eröffnung der Ausstellung „Judentum in Wien“ wird den Lesern die jüdische Kultur in Österreich näher gebracht. Dabei wird unter „historischen Hinweisen“ unter anderem bemerkt: „wer von uns weiß […], dass in einem israelitischen Hospital in Bad Gleichenberg bedeutende Ärzte wirkten.“ 364 Zum Aufgabenbereich der Kurärzte aus dem Hospital und den übrigen medizinischen Einrichtungen im Ort gehörte neben der Betreuung der Gäste auch die Überwachung der sanitären und hygienischen Maßnahmen in den Kurbetrieben sowie der Kurvorschriften. Diese waren nach der Jahrhundertwende in deutscher, ungarischer, serbischer, polnischer und französischer Sprache verfasst. Sie sind somit auch ein Indiz für die internationale Touristenschar in Gleichenberg. Regelmäßig kontrolliert wurden von den Ärzten die gastgewerblichen Betriebe, die Mineralquellen und das Trinkwasser aus den über den ganzen Ort verstreuten Ziehbrunnen. 365

361 Vgl. A / VIE / IKG / I-III/ VEREI/ Verein zur Erhaltung eines Israelitischen Hospitales in Gleichenberg / 1 / 1. Quellarchiv: WStLA. Quellsignatur: WStLA, 1.3.2.119.A32, 6124/1924. [In der Folge zitiert als IKG Wien 1/1] 362 Vgl. Schober, S. 168 und List, S. 35. 363 Vgl. List, S. 54. Näheres zum „Wienerhof“ im Kapitel 4.1. 364 Spies, Hansjörg: „Jom Kippur für uns alle“. In: Kleine Zeitung. Nr. 286/1987 am 11.12.1987. 365 Vgl. Rauch/Ärzte, S. 21. Thomas Stoppacher Seite 81 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Alltagsleben Der tägliche Betrieb im israelitischen Hospital war gewissen Regelungen unterworfen: „Die Beaufsichtigung und Pflege im Spital oblag dem ‚Hausvater‘, der bezüglich der Kranken den ordinierenden Ärzten und sonst dem Gremiumsvorstand unterstand. Die Kranken mussten sich an die Zeit der ärztlichen Visite halten und hatten zu den verschiedenen Mahlzeiten anwesend zu sein. Bei groben Verletzungen der Hausordnung, Widersetzlichkeit, Störung des Friedens oder Vergehungen gegen die Sittlichkeit konnte der ordinierende Arzt die Entfernung des Patienten verfügen. Über den jeweiligen Fall musste ein kurzer Bericht an den Gremiumsvorstand erstattet werden.“ 366 Der 1921 im Hospital untergebrachte Schriftsteller Manes Sperber bezeichnet die Gleichenberger Heilanstalt in seiner Autobiographie als „improvisiert“. 367 Dies deutet auf eine an die Grenzen ihrer Kapazität stoßende Einrichtung hin, obwohl sie seit den ersten Jahren nach der Gründung, in denen insgesamt nur acht Betten zur Verfügung standen, in ihrem Auslastungspotential verdreifacht wurde. Dokumente aus den späten 1920er Jahren beweisen, dass das Hospital immer ausgelastet war. Eine Aufnahmeliste aus dem Jahr 1928 umfasst 75 Namen, Männer und Frauen gemischt. Die Kurgäste waren auf zehn Gästezimmer aufgeteilt. Im Erdgeschoss befanden sich neun Räume, davon drei 2-Bett-, fünf 3-Bett- und ein Einzelzimmer. Im zweiten Stock gab es ein weiteres Zimmer für drei Personen. Somit konnten jeweils 24 Kurgäste gleichzeitig das Hospital in Anspruch nehmen. Wie Zimmereinteilungspläne aus dem Juni und August 1929 zeigen, gab es keine gemischten Räume. Männer und Frauen waren getrennt untergebracht. 368

Die Weltwirtschaftskrise ab 1929, mit der die „goldene Ära“ der 1920er Jahre endete, machte sich auch für die Betreiber des israelitischen Hospitals in Bad Gleichenberg bemerkbar. In Bittschreiben wurde um finanzielle Unterstützung begehrt, folgender Brief ging an einen gewissen Herrn. D. Goldmann aus dem ersten Bezirk in Wien: „Euer Wolgeboren! Das ‚Israelitische Hospital in Gleichenberg‘ ist das einzige in Österreich bestehende jüdische Heim für Lungenkranke, in welchem unbemittelten, in Wien wohnhaften Personen, insbesondere Familienerhaltern und lungenschwachen Jugendlichen die Möglichkeit geboten wird, durch Absolvierung einer mehrwöchentlichen Kur Gesundheit und Erwerbsfähigkeit wiederzuerlangen. Da der größte Teil der Aufnahmswerber nicht in der Lage ist, aus eigenen Mitteln die Verpflegekosten aufzubringen, sind wir genötigt, zur Erhaltung des Heimes an die

366 Grasmug, S. 155. 367 Vgl. Sperber, S. 123. 368 Vgl. Bestand Jerusalem (Mikrofilm Nr. 1427): A/W 2446. Thomas Stoppacher Seite 82 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Hochherzigkeit edler Menschenfreunde zu appellieren, und richten über Veranlassung des Herrn Julius Toch, I. Graben 39, an Euer Wolgeboren die Bitte, unser eminent soziales Hilfswerk gütigst zu unterstützen. Mit vorzüglicher Hochachtung [...].“ 369 Aus diesem Schreiben geht neben dem Spendenaufruf auch die Wichtigkeit der Bad Gleichenberger Einrichtung als einzige dieser Art in Österreich hervor. Ebenfalls aus dem Jahr 1929 liegt ein Schreiben von Dr. Leo Werdesheim an das Kuratorium der israelitischen Kurfürsorge in Wien vor. Der damals im Hospital tätige Arzt forderte „auf Grund der allgemein bekannten wirtschaftlichen Verhältnisse“ eine Erhöhung seines Honorars. Er begründet dies unter anderem damit, dass ein Kurarzt nur über die Saison Einkommen bezieht und außerdem die Anforderungen der Gäste in den letzten Jahren gestiegen seien.370 Produkte für den täglichen Betrieb bezog das Hospital beispielsweise von der Firma „May & Herold“ in Wien, die „Leinen- und Baumwollwaren, Weiß-Futter und Blauwaren eigener Erzeugung“ herstellte und von den ebenfalls in der Hauptstadt ansässigen „Kunerolwerken“, die Kunerol 371 und Thea-Milchmargarine schickten. 372 Die Firma „Kunerolwerke Emanuel Khuner & Sohn“ wurde als Aktiengesellschaft geführt und hatte ihren Sitz in der Wiener Innenstadt. Die Fabrik, in der zirka 600 Arbeiter beschäftigt waren, lag außerhalb der Stadt in Atzgersdorf. 373 Wie aus reklamierten Rechnungen aus dem Jahr 1929 hervorgeht, wurde in Folge der finanziellen Misere auch hier um jeden Schilling gerungen. Die Kunerolwerke erließen auf Grund einer telefonischen Intervention der „Jüdischen Sozialen Fürsorge“ die Frachtspesenvergütung im Wert von fünf Schilling. 374 Kurz vor dem „Anschluss“ scheint sich das Finanzgebaren des Vereines geändert zu haben. In einer Jahresbilanz stammt der Großteil der Einnahmen aus „Beiträgen der Pfleglinge“. Diese machen 6.855,50 Schilling aus, die Subventionen humanitärer Vereine, Kurbeiträge der Kultusgemeinde und weitere Spenden zusammen hingegen nur etwa 3.500 Schilling. Auf der Ausgabenseite schlagen sich Wirtschafts- und Personalkosten mit 5.250 bzw. 2.238 Schilling am höchsten zu Buche. 375

369 BJ A/W 2446. 370 Vgl. BJ A/W 2446. 371 Kunerol ist eine Bezeichnung für Pflanzenöl. 372 Vgl. BJ A/W 2446. 373 Vgl. Compass. Finanzielles Jahrbuch 1936. Neunundsechzigster Jahrgang. Wien 1936, S. 896. 374 Vgl. BJ A/W 2446. 375 Vgl. A / VIE / IKG / I-III/ VEREI/ Verein zur Erhaltung eines Israelitischen Hospitales in Gleichenberg / 1 / 2. Quellarchiv: OeStA/AdR. Quellsignatur: AT-OeStA/AdR ZNsZ Stiko Wien, 31-D 4. [In der Folge zitiert als IKG Wien 1/2] Thomas Stoppacher Seite 83 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

6.3. „Arisierung“ und Restitution

„Anschluss“ und „Arisierung“ Schon im März 1938, nach dem „Anschluss“ von Österreich ans „Deutsche Reich“, beschlagnahmte die lokale NSDAP das jüdische Spital in Bad Gleichenberg. Somit handelt es sich dabei, noch vor der „rechtlichen Legitimierung“ der Inbesitznahme von jüdischem Eigentum durch die Nationalsozialisten, um eine „wilde Arisierung“.376 Dr. Löwy, zu diesem Zeitpunkt zuständiger Leiter, musste einen Fragebogen über die Strukturen des Vereines ausfüllen und diesen mit einer genauen Auflistung des Vermögens an die neuen nationalsozialistischen Machthaber schicken. Neben dem Hospital samt Inventar wurden dabei 71 Schilling auf einem Postsparkasse-Konto angegeben. Löwy erklärte beifügend die Kontobewegungen des Jahres und legte auch eine Bilanz von 1937 bei. In seinem Schlussbericht über den jüdischen Verein bezifferte der Stillhaltekommissar für Vereine, Organisationen und Verbände, der für die Abwicklung der Auflösung von jüdischen Vereinen verantwortlich war, den Wert des Hospital-Grundstücks und des Gebäudes mit 10.000 RM plus Postsparkasseneinlagen im Wert von 47,98 RM. Schon im Sommer 1938 war der Verein nicht mehr aktiv gewesen, davon zeugen wiederholt unbeantwortete „dringende“ Schreiben an den damaligen Amtsvorstand Engel, in denen er von der „Allgemeinen Versicherungs-Gesellschaft Phönix“ zur Zahlung der ausstehenden Feuerversicherungs-Prämie aufgefordert wird. Im August 1938 erfasste die NSDAP- Ortsgruppe in einem „Fragebogen betreffend die statistische Erfassung sämtlicher von der NSDAP sowie den der NSDAP angeschlossenen Verbänden gemieteten, gepachteten, entliehenen uw. Gebäude, Gebäudeteile usw.“ das Hospital. Darin wurden sieben Diensträume, sieben Zimmer im ersten Stock, vier Dachzimmer, ein Turmzimmer und neun Kellerräume vermerkt. Im Oktober ersuchte der zuständige Stillhaltekommissar das Postsparkassenamt erstmals um die Löschung des Vereinskontos und um die Überweisung des Geldes aufs eigene Konto. 377

Schließlich wurde der „Verein zur Erhaltung des israelitischen Hospitals in Gleichenberg“ am 21. März 1939 nach einem Antrag des Stillhaltekommissars für Vereine, Organisationen und Verbände vom 5. März gemäß dem „Gesetz über die Überleitung und Eingliederung von Vereinen, Organisationen und Verbänden“ von den nationalsozialistischen Machthabern

376 Vgl. Halbrainer/Hainzl. 377 Vgl. IKG Wien 1/2. Thomas Stoppacher Seite 84 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte aufgelöst. 378 Der diesbezügliche Bescheid wurde vom Wiener Magistrat an den letzten Obmann Kommerzialrat Karl Klemperer an dessen Adresse in der Schmalzhofgasse 8 verschickt. Darin hieß es: „Es ist unstatthaft den organisatorischen Zusammenhang zwischen den Mitgliedern dieses hiermit aufgelösten Vereines weiterhin aufrecht zu erhalten. Die weitere Aufforderung oder Anwerbung zu dem aufgelösten Verein oder die Fortsetzung der Wirksamkeit dieses Vereines wird, sofern die Handlung nicht unter die strengeren Bestimmungen […] fällt […] als Vergehen, die Teilnahme an einem solchen Verein […] als Übertretung bestraft […]. Dieser Auflösungsbescheid bedarf gemäß der im 1. Absatze zitierten Gesetzesnovelle keiner weiteren Begründung und ist unanfechtbar.“ 379 Am 12. April gab der Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem „Deutschen Reich“ bekannt, dass das Eigentumsrecht im Grundbuch auf die „Aufbaufonds- Vermögensverwaltungs-Gesellschaft“ zu übertragen ist. Dies geschah am 15. Juni. 380 Im November 1939 zeigte sich der Weinhändler Alois Wolf aus Merkendorf an einem Kauf des israelitischen Hospitals interessiert, nach Rückmeldung der Verkehrsvermögensstelle über das Prozedere inklusive einer selbst zu bezahlenden Schätzung verwarf er seine Ambitionen. 381 Am 15. Jänner 1940 notierte die NSDAP in einem Aktenschlussblatt, dass der „Verein zur Erhaltung des Israelitischen Hospitales in Gleichenberg“ aufgelöst und das Vermögen eingezogen werde. Übertragen wurde dieses an die Aufbaufonds-Vermögensverwaltungs G.m.b.H. 382 „Auf Grund der ermittelten und einzuweihenden Vermögenswerte wird eine einmalige Aufbauumlage für Österreich in Höhe von 98% des Reinvermögens (9.847,02 RM) und eine einmalige Verwaltungsgebühr in Höhe von 2% des Reinvermögens (200,96 RM), zusammen 10.047,98 RM, erhoben. Der vorliegende Betrag ist dem Konto des Stillhaltekommissars für Vereine, Organisationen und Verbände bei dem Bankhaus Schelhammer & Schattera unter Aufgabe zu überweisen.“ 383 Wie war das Gebäude in der Zwischenzeit genutzt worden? Das Hospital wurde nach dem „Anschluss“ und der Beschlagnahmung durch die Nationalsozialisten zunächst der SA zur Benutzung übergeben. Im März 1939 mietete schließlich die Gemeinde acht Räume für die örtliche Hitlerjugend. 384 Der Mietpreis betrug 30 RM pro Monat. Am 2. März 1940 mussten

378 Vgl. IKG Wien 1/1. 379 IKG Wien 1/2. 380 Vgl. IKG Wien 1/4. 381 Vgl. Arisierung LG 199. 382 Vgl. IKG Wien 1/2. 383 IKG Wien 1/2. 384 Vgl. Staudinger/Arisierung, S. 211. Thomas Stoppacher Seite 85 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte die zwei heizbaren Zimmer des Hauses vorgemerkt werden, um dort deutsche Rückwanderer aus Südtirol unterzubringen. 385

1940 bekam das Gebäude einen neuen Eigentümer: Die „Aufbaufonds- Vermögensverwaltungs-Gesellschaft“ verkaufte das Gebäude am 2. Juli an den Feldbacher Beamten Hermann Trummer. Der Kaufpreis für die Liegenschaft samt Inventar betrug 9.680 RM, davon entfielen laut der Schätzung des gerichtlich beeideten Sachverständigen Anton Rauch vom 4. März 1939 8.084,77 RM auf das Grundstück und 1.595,23 RM auf die Möbel und Einrichtungsgegenstände. Als Übergabetermin wurde im Vertrag der 1. Juni genannt, Hermann Trummer erhielt laut Grundbucheinlage ab diesem Tag das Eigentumsrecht. Ausdrücklich festgehalten wurde in der Verkaufsvereinbarung, dass etwaige Beschwerden bezüglich Beschädigungen am Inventar der Gemeinde Bad Gleichenberg vorzutragen seien, da diese das Grundstück nach dem „Anschluss“ der HJ und dem BDM vermietet habe. 386 Für die Aufbaufonds-Vermögensverwaltungs-Gesellschaft unterschrieb Hans Scholz als Geschäftsführer den Vertrag. Am 2. Mai 1941 nahm Hermann Trummer von der Sparkasse in Feldbach ein Darlehen im Ausmaß von 6.000 RM auf. 387 Vermutlich benötigte er das Geld, um sich den Kaufpreis leisten zu können. Im Grundbuch wurde eingetragen: „Auf Grund des Schuldscheines […] wird das Pfandrecht für die Darlehensforderung der Sparkasse in Feldbach per sechstausend Reichsmark samt 5% allenfalls 6% Verzugszinsen und einer Nebengebührenkaution im Höchstbetrage von sechshundert Reichsmark einverleibt.“ 388 Ob dieses Darlehen in Zusammenhang mit dem in der Folge beschriebenen 1941 gegen Trummer in die Wege geleiteten Verfahren wegen sogenannter „Entjudungsgewinne“ steht, ist nicht bekannt. Der idente Betrag von 6.000 RM lässt es vermuten, denn am 5. März 1941 schrieb der Reichsstatthalter der Steiermark an den Regierungsrat Froner bezüglich der Überprüfung von Entjudungsgewinnen: „Der SA-Sturmbannführer Hermann Trummer aus Feldbach hat in Gleichenberg von einem Juden im Wege der Vermögensverkehrsstelle eine vollkommen eingerichtete Villa um 6000 RM gegen monatliche Abzahlung von 50 RM erworben. Nachdem es sich in diesem Falle um einen ungerechtfertigten Entjudungsgewinn handelt, wäre es notwendig im Sinne der Verordnung der Beauftragten für den Vierjahresplan einen Ausgleich zu Gunsten des Reiches herbeizuführen. Bekanntlich haben

385 Vgl. Grasmug, S. 160. 386 Vgl. A / VIE / IKG / I-III/ VEREI/ Verein zur Erhaltung eines Israelitischen Hospitales in Gleichenberg / 1 / 5. Quellarchiv: IKG-Wien (Vienna Holdings). Quellsignatur: A / VIE / IKG / I-III / LG / Bad Gleichenberg / 1 / 1. [In der Folge zitiert als IKG Wien 1/5) 387 Vgl. IKG Wien 1/4. 388 IKG Wien 1/4. Thomas Stoppacher Seite 86 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte den Umbruch verschiedene alte Parteigenossen dazu benützt, um durch „Arisierungen“ sich ungerechtfertigte Vermögensgewinne zu verschaffen. Der gegenständliche Vorgang erregt in den Kreisen der Bevölkerung und ganz besonders in solcher von wirklichen Nationalsozialisten berechtigten Entrüstung. Ich ersuche diesem Falle nachzugehen und das Erforderliche zu veranlassen, damit von diesem Entjudungsgewinn der Staat einen Ausgleich enthält.“ 389 Diese Intervention beruhte auf der „Verordnung über die Nachprüfung von Entjudungsgeschäften“ vom 10. Juli 1940. Hintergrund waren offenbar Anschuldigungen aus der Gleichenberger Bevölkerung, denen zu Folge Trummer sich bei der Beschlagnahmung von jüdischem Besitz persönlich bereichert haben soll. Nach langen Querelen und einer erneuten Schätzung des Grundstücks wurde festgestellt, dass Trummer das Haus weit unter dem eigentlichen Wert gekauft hatte und er eine Ausgleichszahlung von über 8.000 RM an das Reich leisten solle. Da Trummer im Kriegseinsatz war, erfuhr er eigenen Angaben zu Folge erst 1943 von den Vorwürfen gegen ihn. Er verteidigte sich in einem Brief an den Landrat, dass die höhere Schätzung einzig und allein auf von ihm durchgeführten Verbesserungs- und Instandhaltungsarbeiten zurückzuführen sei. Rechnungen dazu konnte er wenige vorweisen, seinen Angaben nach investierten er und seine Angehörigen aber rund 800 Arbeitsstunden in die Renovierungsarbeiten. Bis Ende 1943 war keine Einigung erzielt, Trummer weigerte sich die Nachzahlung zu leisten und brachte immer wieder neue Argumente und Stellungnahmen (z.B. von der Kreisleitung Feldbach), die seine Sicht der Dinge unterstützen. Wie die Sache endete, geht aus den Akten nicht hervor. 390 Für Trummer sollte es aber nicht das letzte Mal sein, dass er sich für die Umstände des Kaufs des ehemaligen Hospitals rechtfertigen musste.

Wohnhaus Zu Kriegsende 1945 wurden im ehemaligen Hospital Gleichenberger Familien untergebracht. 391 Einen Beleg dafür liefern die Schilderungen von Josef Schwarz über die Erinnerungen an die letzten Kriegstage in Bad Gleichenberg, die folgendermaßen beginnen: „Zu Kriegsende war ich 13 Jahre alt. Meine Familie wohnte im ehemaligen Judenspital, das sich dort, wo heute das neue Studentenheim, beim Kreisverkehr gegenüber dem Minigolfplatz steht, befand. Später übersiedelte die Familie in den Theresienhof […].“392 Die Familie

389 Arisierungsakten: LG 199 (Israelitisches Hospital). 390 Vgl. Arisierung LG 199. 391 Vgl. Schleich/Kleine Zeitung. 392 Mang/Schicksalstage, S. 111. Thomas Stoppacher Seite 87 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte wohnte demnach innerhalb kürzester Zeit in zwei der wichtigsten Häuser der jüdischen Infrastruktur in Bad Gleichenberg.

Restitution Nach dem Krieg bemühte sich die IKG Wien als Rechtsnachfolger des „Vereins zur Erhaltung des Israelitischen Hospitals in Gleichenberg“ um die Rückstellung 393 des Grundstücks: Aus einem Schreiben der Feldbacher Bezirkshauptmannschaft an die Abteilung für Vermögenssicherung in der Steiermärkischen Landesregierung von Anfang Februar 1947 geht hervor, dass der in Bad Gleichenberg wohnhafte Rudolf Becker zum provisorischen öffentlichen Verwalter über das Vermögen von Hermann Trummer und des israelitischen Hospitals bestellt wurde. Der Antrag dazu wurde von Hermann Wenkart, einem Kultusrat der IKG Wien, eingebracht. Im Schreiben wird zusätzlich gebeten, die fixe Berufung von Becker schleunigst zu erledigen. Dies geschah auch, Becker blieb bis zum 14. April 1948 in seinem Amt und wurde dann von Ernst Korcovicz abgelöst. Interessant ist ein Brief der Bezirkshauptmannschaft Feldbach aus der Amtszeit von Becker, der auch an Trummer, die Kultusgemeinden Graz und Wien sowie an die Steiermärkische Landesregierung ging, „mit dem Bemerken, dass die IKG Wien als Eigentümerin die Wiederverwendung des Hauses als Hospital anstrebt.“ 394 Auch wenn dieses Vorhaben nie verwirklicht wurde und ob des Zustands des Gebäudes zu diesem Zeitpunkt auch nicht realistisch erschien, existierten offensichtlich zumindest Überlegungen dieser Art. Am 27. Jänner 1950 wurde Ernst Knöpfelmacher zum öffentlichen Verwalter der Liegenschaft bestellt. 395 Diese Einstellung geschah erneut auf ausdrücklichen Wunsch der IKG Wien, die eine Vertrauensperson für diesen Posten einstellen wollte. Der Antrag auf die Abbestellung des bis dahin tätigen Ernst Korcovicz wurde eingebracht, da dieser schon seit einiger Zeit von Bad Gleichenberg nach Stübing übersiedelt war.396

Am 20. November 1951 war das ausführliche Rückstellungsgesuch eingelangt. Als Beweis für die Einverleibung der Liegenschaft wurden die Grundbuchauszüge vorgelegt. Die Kultusgemeinde verlangte vom Antragsgegner Hermann Trummer außerdem die Erträgnisse herauszugeben und zu ersetzen. Trummer erwiderte in einer ersten Stellungnahme, die Kosten

393 Genaueres zu den Rückstellungsgesetzen im Kapitel 7.1. 394 Vgl. L-REG 15 – Tu/27 (1947). 395 Vgl. IKG Wien 1/5. 396 Vgl. L-REG 15 – Ja/1 (1950). Thomas Stoppacher Seite 88 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte seiner Anwendungen an der Liegenschaft würden die Erträgnisse bei weitem übertreffen. 397 Die Sicherheitsdirektion Wien gab auf ein Ansuchen der IKG Wien am 14. Jänner 1952 in einer Amtsbestätigung bekannt, dass der „Verein zur Erhaltung des Israelitischen Hospitals in Gleichenberg“ seine Rechtspersönlichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wiedererlangt habe. Die IKG Wien benötigte diese Erklärung zur Vorlage bei der Rückstellungskommission in Graz. 398 Am 21. Jänner 1952 kam es zur Verhandlung in der steirischen Landeshauptstadt. Nach geheimer Beratung wurde die Teilerkenntnis verkündet 399 : Die Rückstellungskommission für Steiermark beim Landesgericht für Zivilrechtssachen in Graz hat das Eigentumsrecht für das Hospital der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien einverleibt. 400 Aus der schriftlichen Formulierung des Teilerkenntnis geht Folgendes hervor: „1.) Der Antragsgegner ist bei Zwangsvermeidung schuldig, die Liegenschaft E.Z. 191 K.G. Bad Gleichenberg binnen 14 Tagen zurückzustellen und in die Einverleibung des Eigentumsrechtes ob dieser Liegenschaft für die Israelitische Kultusgemeinde in Wien zu willigen. 2.) Es wird festgestellt, dass bei Abschluss des Kaufvertrages die Regeln des redlichen Verkehrs […] nicht eingehalten wurden […]. Über die Herausgabe der Erträgnisse und die Gegenforderungen des Antragsgegners, sowie über die Kosten des Verfahrens wird im Enderkenntnis entschieden.“ 401 In der Begründung wird angeführt, dass ein Vermögensentzug vorliegt, weil der aufgelöste Verein zum Personenkreis der politisch Verfolgten gehörte. Ohne die NS- Machtübernahme wäre der Verein nicht gezwungen gewesen, das Grundstück zu verkaufen. Von einer freien Käuferwahl des Vereins könne beim Aufbaufonds keine Rede sein. Als dritter Punkt der Teilerkenntnis wurde das Pfandrecht der Sparkasse Feldbach, welches ihr für die Darlehensforderung am 2. Mai 1941 einverleibt wurde, mit dem Einverständnis dieser, da die Schuld von Trummer schon getilgt war, gelöscht.402 Vor der nächsten Verhandlungsrunde bat Trummer um eine Fristverlängerung, damit er alle Belege und Rechnungen zusammentragen könne, um seine finanziellen Aufwendungen am Gebäude unter Beweis zu stellen. Schließlich argumentierte Trummer beim nächsten Gerichtstermin am 4. April, ohne seine Renovierungen wäre das Haus unbenutzbar, das einzige Inventar wäre ein Wäscheschrank gewesen. Die IKG bestritt dies, schließlich wäre das Hospital bis 1937 in einwandfreiem Zustand gewesen. Trummer konnte mit Zeugen

397 Vgl. LGZRS Graz / Rückstellungskommissionsakten: RK 79/1951. 398 Vgl. IKG Wien 1/1. 399 Vgl. RK 79/1951. 400 Vgl. Grasmug, S. 156. 401 IKG Wien 1/5. 402 Vgl. IKG Wien 1/5. Thomas Stoppacher Seite 89 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte aufwarten, die seine These stützten: Baumeister Anton Rauch, der beim Erwerb des Grundstücks von Trummer den viel zu niedrigen Verkaufspreis geschätzt hatte, gab an, dass schon vor 1938 immer wieder Grundwasser im Keller des Gebäudes war. Der Glaser Josef Lenz war ebenfalls an einem Kauf des Hauses interessiert und wollte es nach der Besichtigung „nicht einmal als Geschenk“ haben. Der nunmehrige Gendarmeriebeamte und damalige Verwalter Adalbert Niterl beschrieb den Zustand in ausführlichen Schilderungen als „sehr wüst“ .403 Offener Antisemitismus war aus den Aussagen von Polizeibeamten Franz Gutmann herauszuhören: „Glaublich im Jahre 1933 war ich im gegenständlichen Haus. Damals war es in diesem Hause, wie in allen rein jüdischen Fremdenbeherbergungshäusern und zwar Orthodoxenhäusern, der Zustand im Innern schlampig“ .404 Nach einer Mitte Juni durchgeführten Besichtigung der Liegenschaft vor Ort, kam es am 14. Juli 1952 zur letzten Verhandlungsrunde. Nochmals wurden die Umstände des Kaufes in Erinnerung gerufen. Trummer berichtete, er habe vom Aufbaufonds erst die Freimachung des Gebäudes durch die Hitlerjugend verlangen müssen. Die Möbel und Einrichtungsgegenstände habe er vom „Theresienhof“ gekauft oder aus eigenem Besitz ins Haus gebracht. 405 Schließlich wurde im Enderkenntnis beschlossen, dass die IKG Wien an Herrn Trummer 7.889 Schilling als Ersatz für unbedingte und nützliche Aufwendungen zu bezahlen hatte, die dieser nach dem Erwerb der Liegenschaft durchgeführt und finanziert hatte. Trummer wiederum wurde angewiesen, 899,60 Schilling für die Kosten des Rückstellungsverfahrens zu berappen. Die restlichen Verhandlungskosten wurden gegeneinander aufgehoben.406 Zusammengefasst bedeutet diese Entscheidung, dass die Kultusgemeinde die Kosten für die in den Jahren 1938-1940 durch Verwahrlosung und Zerstörung der örtlichen Nationalsozialisten entstandenen Schäden an ihrem Hospital zahlen musste. Eine solche Begebenheit, in denen der „geschädigte Eigentümer“ sein ihm zustehendes Eigentum zu einem gewissen Teil selbst zurückzahlen musste, war kein Einzelfall. Ausgleiche und „salomonische“ Urteile dieser Art waren bei Restitutionsverfahren vor Gericht sehr häufig und eines der Probleme, die sich in der Praxis des dritten Rückstellungsgesetzes für jüdische Kläger offenbarten. 407

403 Vgl. RK 79/1951. 404 RK 79/1951. 405 Vgl. RK 79/1951. 406 Vgl. IKG Wien 1/5. 407 Vgl. Bailer-Galanda, Brigitte: „Ohne den Staat weiter damit zu belasten…“ Bemerkungen zur österreichischen Rückstellungsgesetzgebung. In: Forum Politische Bildung (Hg.): Wieder gut machen? Enteignung, Zwangsarbeit, Entschädigung, Restitution. Österreich 1938-1945 / 1945-1999. Wien 1999, S. 106. Genauere Informationen zum 3. Rückstellungsgesetz im Kapitel 7.1. Thomas Stoppacher Seite 90 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Trotz der schlussendlich erfolgten Rückstellung des Gebäudes wurden die Pläne, den Spitalbetrieb zu revitalisieren, nie realisiert. Noch in den 1950er Jahren wurde das Hospital auf Anordnung der IKG Graz geschleift. Heute befindet sich an dieser Stelle ein Studentenheim. 408

7. Nach 1945: Was blieb vom einstigen Glanz? – Eine Spurensuche

Als der Zweite Weltkrieg, der die Frontlinie in den letzten Kriegswochen direkt in den Kurort gebracht hatte, Geschichte und Österreich als Zweite Republik wieder ein eigener Staat war, hatten sich in Bad Gleichenberg die Verhältnisse grundlegend geändert. Das jüdische Leben und die Infrastruktur waren aus dem Ort verschwunden. Im folgenden Schlusskapitel wird die Zeit nach 1945 aus drei verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Als erstes werden die Rückstellungsverfahren, in denen die Erben der schon bekannten jüdischen Protagonisten aus Bad Gleichenberg um ihre Liegenschaften kämpfen, unter die Lupe genommen. Dann wird der jüdische Friedhof in Trautmannsdorf als einziges, sichtbar erhaltenes Zeichen der jüdischen Infrastruktur vorgestellt und zum Abschluss wird analysiert, inwiefern trotz der Shoa und der Vernichtung der spezifisch jüdischen Einrichtungen Gäste aus dem neuen Staat Israel nach Bad Gleichenberg zurückkehrten.

7.1. Restitutionen

Olga Roda Der Mai 1945 war für die jüdische Bevölkerung kein Neubeginn. Der Antisemitismus war innerhalb der Politik und in weiten Teilen der Bevölkerung ungebrochen. In der Verwaltung, Medizin und Bildung gab es in Folge der mangelhaft stattfindenden Entnazifizierung Kontinuitäten zur NS-Zeit. Diese Entwicklungen wurden durch die Erklärung von Österreich, das erste Opfer des Nationalsozialismus zu sein, unterstützt. Dadurch wurden die Verbrechen und Kriegsgräuel viel zu wenig aufgearbeitet. Die Verantwortung für die Verbrechen wurde

408 Vgl. Mang/Erdenwinkel, S. 44. Thomas Stoppacher Seite 91 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte auf einzelne Personen oder auf Organisationen wie die SS, SA und die Gestapo zurückgewiesen. Die Bevölkerung hingegen sah sich in der tristen Nachkriegslage selbst als Opfer und stand den heimgekehrten österreichischen Juden, die ihr geraubtes Eigentum zurückforderten, feindlich gegenüber. 409 Damit wurden auch die Kinder des Apothekers Roda und der ehemaligen „Theresienhof“-Besitzer konfrontiert. An die Bedeutung und den Sinn der Rückstellungsgesetze vorangestellt, exemplarisch die Geschichte von Olga Roda, der Tochter des vertriebenen Apothekers Julius Roda: „Man brachte die Familie Roda mit dem nur ganz kleinen Handgepäck, das ihr mitzunehmen gestattet war, zur neuen deutsch-ungarischen Grenze und schob sie nach Ungarn ab. Die Apotheke wurde „arisiert“, ein Beauftragter des Gaues führte sie. Für 12.000 RM konnte ein geeigneter Bewerber die Apotheke kaufen. Der Käufer fand sich, übernahm Apotheke und Wohnung; den Verkauf tätigte der Gau. Das in der Wohnung befindliche Eigentum des Apothekers Mag. Julius Roda und seiner Familie war schon vorher von der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) abgeholt worden. Nach Kriegsende, 1945, kam die Tochter des Apothekers, Mag. Olga Roda, mit einer ihrer Schwestern aus Ungarn zurück. Der Vater war in den Kriegsjahren verstorben, die Töchter hatten die letzten Jahre in einem katholischen Kloster in der Nähe von Budapest gelebt. Mag. Olga Roda wollte 1945 das Eigentum ihres Vaters übernehmen; man legte ihr nahe, einen Rückstellungsprozess einzuleiten. Der für die Gegend zuständige Abgeordnete zum Landtag regelte die Sache aber auf seine Art: Er wies den Ariseur aus Apotheke und Wohnung und übergab alles an Frau Magister Olga Roda. Nachträglich erfolgte selbstverständlich eine gerichtliche Erledigung der Angelegenheit.“ 410 Ganz so einfach, wie es in dieser Schilderung klingt, war der „Kampf“ von Olga Roda um die Apotheke ihres Vaters freilich nicht. Die Geschichte spielte sich wesentlich komplizierter ab: Nach dem Zusammenbruch des „Deutschen Reiches“ waren vorerst Mag. Alderich Eberlin und Mag. Hubert Satz jeweils für kurze Zeit die Leiter der Apotheke. 411 Bei der ersten Sitzung der medizinischen Verantwortlichen nach dem Weltkrieg, zur Saisoneröffnung im Juni 1947, war zwar schon Roda neben den vier Vertretern aus der Ärzteschaft als Apothekerin vertreten, rechtlich endgültig zugesprochen wurde ihr der Betrieb ihres Vaters allerdings erst 1949. 412 Wie kam es dazu?

409 Vgl. Lamprecht, Gerald: Israelitische Kultusgemeinde in Graz. Wiedereinsetzung in den früheren Stand. In: Stadt Graz (Hg.): Historisches Jahrbuch der Stadt Graz. Band 34/35. Graz 2005, S. 274-275. [In der Folge zitiert als Lamprecht/Jahrbuch] 410 Fuksas/Skizzen, S. 208. 411 Vgl. Rauch/Apotheke, S. 2. 412 Vgl. Rauch/Ärzte, S. 35. Thomas Stoppacher Seite 92 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Friedrich Prosser, der während des Kriegs die Apotheke geleitet hatte, wurde am 18. Juni 1945 ins Gefangenenhaus des Bezirksgerichts Feldbach eingeliefert. Sein Vermögen wurde beschlagnahmt. Die in Bad Gleichenberg verbleibende Gattin von Prosser stellte über ihren Rechtsanwalt ein Ansuchen um Unterhaltszahlungen und meldete später auch Eigentumsansprüche zu verschiedenen Einrichtungsgegenständen der Apotheke an. Da der seit Kriegsende als Verwalter tätige Eberlin um die Enthebung bat, bekam den Posten Hubert Satz. Währenddessen stellte Olga Roda den Antrag auf Rückstellung und Wiedergutmachung, bis zum Abschluss des Verfahrens sollte sie nur als Angestellte von Satz in der Apotheke arbeiten. 413 Dies war für sie schon bald ein untragbarer Zustand, wie sie in einem Schreiben 414 an den Leiter der Bezirkszweigstellte der Vermögensverwaltung und an einen Köflacher Nationalrat aus dem Ministerium für Soziale Verwaltung kund tat. Sie berichtete, dass Satz gegen Vorschriften verstoße und sich selbst überhaupt nicht um den täglichen Betrieb kümmere, stattdessen schikaniere er Roda bei jeder sich bietenden Möglichkeit und drohe ihr, dass sie die Leitung der Apotheke nie zurückbekäme. Olga Roda schildert außerdem, dass Satz bei der Gattin des verhafteten Prossers wohne und mit diesem verbündet wäre. 415 Ihre Bemühungen zeigten Wirkung: Obwohl das Restitutionsverfahren noch nicht beendet war, wurde Olga Roda am 1. Dezember 1946 wirklich die Leitung der Apotheke übertragen. Anfang 1948 folgte allerdings eine erneute Wende: Am 21. Februar kam es plötzlich zur Aufhebung des Gerichtsurteils gegen Prosser, der Prozess sollte neu verhandelt werden. Damit war er vorübergehend freigesprochen, auch die Beschlagnahmung seines Vermögens wurde aufgehoben. 416 In der Begründung des obersten Gerichtshofes417 wird verlautbart, dass allein die Mitgliedschaft von Prosser bei der NSDAP noch kein Beweis dafür sei, den Kauf der Gleichenberger Kurapotheke als „verwerfliche Handlung unter Ausnützung nationalsozialistischer Maßnahmen“ einzustufen. Prosser habe sich nicht für die Partei betätigt, sondern seine Mitgliedschaft lediglich zur Erreichung eines persönlichen Zieles eingesetzt. Dies sei nicht strafbar. Das Gerichtsurteil gegen Prosser wurde auch in dem Punkt angezweifelt, dass er durch den Kauf der Apotheke Julius Roda Schaden zugefügt habe. Dies sei fraglich, weil Roda bezüglich des Verkaufs an Prosser herangetreten sei. Auch der im Ersturteil als „unverhältnismäßig niedrig“ eingestufte Kaufpreis könne ohne Beiziehung eines Sachverständigen so nicht stehen gelassen werden. 418

413 Vgl. L-REG 15 – Ro/11 (1946). 414 Der komplette Brief im Wortlaut Rodas befindet sich im Anhang unter 9.6. 415 Vgl. Ro/11. 416 Vgl. Ro/11. 417 Die Begründung der Aufhebung des Gerichtsurteils im Wortlaut befindet sich im Anhang unter 9.6. 418 Vgl. Ro/11. Thomas Stoppacher Seite 93 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Roda hatte in der Zwischenzeit wiederholt die Staatsanwaltschaft aufgefordert, ihr Verfahren nach dem Zweiten Rückstellungsgesetz gegen Prosser, in dem sie auch den Gewinn der Apotheke aus den Kriegsjahren verlangte, zu beschleunigen. Die Finanzlandesdirektion forderte allerdings immer wieder weitere Beweisdokumente, das Verfahren verzögerte sich und kam nach dem Freispruch von Prosser und dem damit verbundenen neuen Stand der Dinge, sein Vermögensverfall war hinfällig geworden, endgültig zum Stillstand.419 Es stand sogar im Raum, Prosser bis zum Einlangen des Bescheids wieder zum Leiter der Apotheke zu ernennen. Dies konnte Roda aber verhindern und schlussendlich wurde ihr am 11. Jänner 1949 auf Basis des Dritten Rückstellungsgesetzes die Apotheke in Bad Gleichenberg zugesprochen. 420 Olga Roda leitete die Apotheke in der Folge bis 1963. 421

Olga Roda mit Angehörigen und Apotheken-Personal (8. Bild). 422

Das Dritte Rückstellungsgesetz Als Grundlage für die Mehrzahl der Forderungen von jüdischen Opfern galt das im Februar 1947 erlassene Dritte Rückstellungsgesetz: „Dieses politisch sehr umstrittene Gesetz behandelte ganz allgemein Vermögen, das während der deutschen Besetzung Österreichs, sei es eigenmächtig, sei es auf Grund von Gesetzen oder anderen Anordnungen, insbesondere auch durch Rechtsgeschäfte und sonstige Rechtshandlungen, dem Eigentümer oder Berechtigten im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Machtübernahme entzogen worden war.“ 423 Dieses Dritte Rückstellungsgesetz, welches auch im Fall von Olga Roda entscheidend war, behandelte die Rückgabe von in privater Hand befindlicher entzogener Vermögen. Dem Erlass des Gesetzes, welches für das Ansehen der Republik Österreich im

419 Vgl. FLD L-17 136/1948. 420 Vgl. Ro/11. 421 Vgl. Rauch/Apotheke, S. 2. 422 Fotografie aus dem Privatarchiv Mang. 423 Lamprecht/Jahrbuch, S. 283. Thomas Stoppacher Seite 94 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Ausland von größter Bedeutung war, gingen langwierige Diskussionen voraus. Erste Entwürfe der Rechtsanwaltskammer stießen auf heftige Kritik von Seiten der „Israelitischen Kultusgemeinde“ und dem „Österreichischen Bundesverband ehemals politisch verfolgter Antifaschisten“. Der „Ariseur“, im Gesetz „Erwerber“, wurde gegenüber dem „geschädigten Eigentümer“ klar bevorteilt, zum Beispiel musste das Opfer den Kaufpreis zurückzahlen, den kaum ein geschädigter Eigentümer je erhalten hatte und schon gar nicht bei seiner Flucht ins Ausland mitnehmen konnte. 424 Die Anfänge der Rückstellungsgesetzgebung lagen in der „Londoner Deklaration“ 1943, in dieser hatten die Allierten beschlossen alle unter nationalsozialistischer Besetzung erfolgten Enteignungen und scheinlegalen Vermögensübertragungen für ungültig zu erklären. Auf Basis dieser Prinzipien verabschiedete der Nationalrat im Mai 1946 das „Bundesgesetz über die Nichtigerklärung von Vermögensübertragungen, die während der deutschen Besetzung Österreichs erfolgt sind“. Es folgte im Herbst die Vermögensentziehungsanmeldeverordnung, dabei lag die Anmeldepflicht beim derzeitigen Inhaber des Eigentums, also beim „Ariseur“, und in den nächsten Monaten das Erste und Zweite Rückstellungsgesetz. Diese regelten die Rückgabe von der durch nationalsozialistische Gesetze, z.B. der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz (die „Theresienhof“-Inhaber und Magdalena Lanzer waren damit konfrontiert), entzogenes Vermögen, welches sich in der Verwaltung oder im Eigentum der Republik befand. 425 Die Rückstellungsprozesse waren mit einem hohen finanziellen Aufwand verbunden. Verschiedene Gutachten und die Gefahr eines negativen Bescheids, in dessen Fall man die Prozesskosten zu tragen hatte, waren für viele Juden bei der Einbringung von Restitutionsforderungen eine nicht zu vernachlässigende Hemmschwelle. 426

Jules Imbermann / Betty Gruschka Für viele von den Nationalsozialisten arisierte jüdische Liegenschaften wurden fürs Erste öffentliche Verwalter bestellt. Rudolf Becker, schon bekannt als zeitweiliger Verantwortlicher für das Hospital, übernahm diese Aufgabe auch für den „Theresienhof“. An der raschen Wiederherstellung dessen war auch der Österreichische Wirtschaftsbund interessiert, wie aus einem Schreiben vom 17. Februar 1946 an die Steiermärkische Landeshauptmannschaft hervorgeht: „Das Grundstück Theresienhof, Bad Gleichenberg Nr. 124 […] stand früher als Pension in Verwendung, wurde aber von den vorherigen Besatzungstruppen vollkommen ausgeplündert. Es erweist sich daher als notwendig, zur Ankurbelung des Fremdenverkehrs,

424 Vgl. Bailer-Galanda, S. 105. 425 Vgl. Bailer-Galanda, S. 104. 426 Vgl. Lamprecht/Jahrbuch, S. 290. Thomas Stoppacher Seite 95 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte dieses Haus wieder in Stand zu setzen und seiner ursprünglichen Verwendung zuzuführen. Wir erachten es daher als zweckmässig, dieses Haus unter öffentliche Verwaltung zu stellen, damit sich um dieses verlassene Gebäude endlich jemand kümmert. Wir stellen daher den Antrag, Herrn Rudolf Becker, Intendant a. D., Bad Gleichenberg, zum öffentlichen Verwalter für obbezeichnetes Grundstück zu bestellen. Herr Rudolf Becker besitzt die fachlichen Voraussetzungen für die Verwaltung und besitzt auch die Eignung dieses Haus dem Fremdenverkehr wieder nutzbar zu machen, da er selbst in früheren Zeiten laufend Pensionsgäste beherbergte.“ 427 In einem Ende März angefertigten Vermögensregister wird der „Theresienhof“ als Villa für den Kurbetrieb mit 20 Zimmern plus einer eingerichteten Küche für einen möglichen Gasthausbetrieb beschrieben. Außerdem gehören zwei Hektar Grund, bestehend aus Obstbäumen und Wald, zum Anwesen. Aus dem Bericht geht hervor, dass die Einrichtung zwar nahezu gänzlich geplündert, zerstört oder verschleppt wurde, das Haus an sich allerdings mit wenigen Kriegsschäden davongekommen war. Die Ansprüche auf das Anwesen laut Grundbuch lagen zu 13/32 bei Jonas Imbermann, zu jeweils 2/32 bei Alfred und Gustav Breiner sowie zu 15/32 bei der Finanzverwaltung. 428 Im März 1947 stellte das Referat für Vermögenssicherung der Steiermärkischen Landesregierung einige Anfragen bezüglich des Grundstücks von Alfred und Gustav Breiner an die Bezirkshauptmannschaft Feldbach. Diese antwortete, dass beide zu je 2/32 Anteil am „Theresienhof“ hätten und berichtete, dass die Vermögensregister schon 1946 dem Amt für zivile Angelegenheiten, Abteilung Vermögenskontrolle, vorgelegt wurden. Außerdem wurde das Amt der Landesregierung über den Verwalter Becker informiert, an welchen auch die auszufüllenden Einkommens- und Vermögenssteuererklärungen weitergeleitet wurden. 429 Die unklare Situation um den „Theresienhof“ hielt an, die komplizierte Aufteilung der Anteile am Besitz, verschärft durch Todesfälle der Beteiligten im Zweiten Weltkrieg und unklarer Aufenthaltsorte von Erben, war dafür verantwortlich. Am 19. Oktober 1948 schrieb das Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung an das Amt der Steiermärkischen Landesregierung in Graz: „Die Liegenschaft EZ. 150, KG. Bad Gleichenberg mit der Pension Theresienhof, Haus Nr. 124 war zu je 13/32 Eigentum des Jonas Imbermann und Leibisch Horn und zu je 2/32 Eigentum des Gustav, Josef und Alfred Breiner; die beiden Letzteren sind italienische Staatsbürger. Die Liegenschaft wurde, soweit sie Eigentum des Jonas Imbermann, Leibisch Horn und Gustav Breiner war, auf Grund der 11. Verordnung zum

427 L-REG 15 – Te/15 (1946). 428 Vgl. Te/15. 429 Vgl. L-REG 15 – Be/76 (1947). Thomas Stoppacher Seite 96 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Reichsbürgergesetz vom 25.9.1941 zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen. Die Verwaltung derselben war dem Oberfinanzpräsidenten Graz übertragen und ging gemäß §28 des Beamtenüberleitungsgesetzes vom 20.8.1945 StGBl. Nr. 94/45 auf die Finanzlandesdirektion Graz über. Nach dem Schreiben der Bezirkshauptmannschaft in Feldbach vom 19.8.1946, Zl. G 28 6-46 war das Vermögen auf Grund der Verfügung des H. Qu. der britischen Militärregierung Land Steiermark, Vermögenskontrolle (Ref. S/5/2//U/258 H vom 2.3.1946) als Vermögen der Vereinten Nationen zu erfassen und die Vermögensakten waren dem Hauptquartier direkt zuzuleiten. Mit einer weiteren Verfügung vom 29.5.1946, Ref. S/5/2/U/536 H wurde der Major a. D. Rudolf Becker zum öffentlichen Verwalter obiges Vermögens bestellt. Der bisherige Verwalter, Josef Klein jun. hatte die Verwaltung unverzüglich an Becker zu übergeben […].“ 430 Offensichtlich wussten auch die Verantwortlichen der britischen Besatzungsmacht nicht, wie mit dem Gebäude und dem Vermögen umzugehen sei, bemerkenswert ist die Verordnung die Liegenschaft als „Vermögen der Vereinten Nationen“ zu erfassen. Neben den im obigen Zitat angeführten Klein und Becker gab es noch mindestens zwei weitere öffentliche Verwalter des ehemaligen Hotels. Theodor Kern hatte die Aufgabe bis zum 1. Juli 1947 inne und übergab dann an den in Bad Gleichenberg wohnhaften Othmar Leitner, der vom Bezirksgericht Feldbach als neuer Abwesenheitskurator bestellt wurde. 431 In diese unklare Situation hinein meldete sich im Mai 1946 Jules Imbermann, der Sohn von Jonas Imbermann, aus New York. Er stellte an die Finanzlandesdirektion die Anfrage, welche Schritte er zu unternehmen habe, um den „normalen Rechtszustand“ wieder herzustellen und erkundigte sich auch über die gegenwärtige Verwaltung des Grundstücks. Außerdem ergänzte Jules, auch im Interesse und in Vertretung von Betty Gruschka, der Tochter des 1937 verstorbenen Leibisch Horn, zu handeln. Diese widerrufe ihre unter Zwang bei der Ausreise aus Wien 1938 abgegebene Erklärung, auf ihre Erbschaft zu verzichten. Die Finanzlandesdirektion antwortete, die jeweils 13/32 Anteile von Horn und Imbermann seien nach der elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz dem deutschen Staate verfallen. Alle mit den Eigentumsverhältnissen eingezogener und verfallener Vermögen zusammenhängenden Fragen würden in der nächsten Zeit eine gesetzliche Regelung erfahren. Die beiden Erben setzen sich mit dem Grazer Rechtsanwalt Biro in Verbindung, dieser stellte für Gruschka im September 1947 einen Rückstellungsantrag. Vier Jahre später, im November 1951, lehnt die

430 L-REG 15 – Je/29 (1948). 431 Vgl. Je/29. Thomas Stoppacher Seite 97 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Finanzlandesdirektion Graz den Antrag ab, weil die Antragstellerin mit der Vorlage der Einantwortungsurkunde ihre Erbenqualität nicht vorgewiesen habe. 432

Der „Theresienhof“ wurde später doch restituiert und blieb noch für einige Jahre in jüdischem Besitz. Die genaueren Umstände der Rückstellung liegen nicht vor. Das vierjährige, erfolglose Warten von Gruschka auf die Entscheidung ihres Antrags ist symptomatisch für die unverhältnismäßig lange Dauer der Rückstellungsverfahren. Während die Gründe dafür allzu oft in unnötigen Behördenwegen und Schikanen lagen, mussten die, auf Grund der Verfolgung im Krieg, oft weitgehend mittellosen geschädigten Eigentümer jahrelang auf die Möglichkeit der Wiederaufrichtung ihrer Existenz warten. 433

Magdalena Lanzer Für Magdalena Lanzer, der nach Rumänien ausgewanderten Besitzerin einer Liegenschaft, welche ihr während des Krieges von den Behörden geraubt wurde, erreichte nach dem Ende der nationalsozialistischen Ära die nächste Hiobsbotschaft. Bei Grundstücken wie jenem von Lanzer, bei denen die Besitzer abwesend waren und ihr Aufenthalt unbekannt war, wurde vom Land Steiermark eine Vermögenskontrolle durchgeführt. Diese ergab, dass das Haus inklusive Inventar in den Turbulenzen der letzten Kriegswochen nahezu komplett abgebrannt war. Des Weiteren wurde festgestellt, dass die aus der Nachbargemeinde Bairisch Kölldorf stammende Maria Rauch seinerzeit von der Besitzerin beauftragt wurde, die Liegenschaft zu verwalten. Nun akzeptierte die Vermögensstelle den Vorschlag der Gemeinde, den örtlichen Ortsbauernrat Wilhelm Gigerl als Verwalter einzusetzen. Er kümmerte sich um die Nutzung des Obstgartens, welche die einzig verbleibende Rentabilität des Grundstücks darstellte. Ende September 1949 entschied das Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung in Wien schließlich, dass die Bestellung eines öffentlichen Verwalters für die Liegenschaft nicht weiter notwendig sei. Es stellte sich heraus, dass die abwesende Lanzer mit Maria Rauch in Briefkontakt stand und schließlich Anfang 1948 eine vom politischen Vertreter der österreichischen Bundesregierung in Bukarest bestätigte Vollmacht schickte, in der sie ihre Freundin bis auf Widerruf zur Verantwortlichen für ihren verbleibenden Besitz in Bad Gleichenberg erklärte. 434 Zuvor hatte Lanzer von Bukarest aus vergeblich um eine Rückstellung bzw. eine Freigabe ihrer Konten bei der Länderbank gekämpft. Die Finanzlandesdirektion in Graz sah sich für die

432 Vgl. FLD L-17 201/1948. 433 Vgl. Bailer-Galanda, S. 106. 434 Vgl. L-REG 15 – La/58 (1946). Thomas Stoppacher Seite 98 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Aufhebung einer Beschlagnahmung allerdings nicht zuständig, eine Einziehung des Lanzer- Vermögens zu Gunsten des „Deutschen Reiches“ liege nicht vor, weswegen das Rückstellungsgesuch abzulehnen sei. Trotz mehrmaliger Berufung änderte sich an dieser Entscheidung nichts, Lanzer bekam den Ratschlag sich mit einem Auftrag auf Aufhebung der Beschlagnahme und Freigabe der Vermögenswerte an das Bundesministerium für Inneres zu wenden. 435 Maria Lanzer verlor als Österreicherin, deren jüdischer Gatte schon vor dem „Anschluss“ nach Rumänien geflüchtet war, durch die Verfolgungspolitik der Nationalsozialisten und der unklaren Rechtslage nach dem Zweiten Weltkrieg ihr komplettes Hab und Gut. Ihr Fall, der sich in keinem typischen Opfer-Muster kategorisieren lässt, ist ein Beispiel für die zu wenig ausgereifte Rückstellungsgesetzgebung im Österreich der ersten Nachkriegsjahre.

Weitere Restitutionen Die Unterstützung bei Rückstellungs- und Wiedergutmachungsverfahren nach 1945 bildete einen wichtigen Bestandteil in der Arbeit der IKG Graz. Diese war zu Jahresbeginn 1946 neu gegründet worden. Der schon als Verwalter des Hospitals bekannte Sekretär Ernst Knöpfelmacher, sowie die beiden Rechtsanwälte Dr. Fritz Straßmann und der ebenfalls schon genannte Dr. Ludwig Biro sind dabei namentlich zu nennen. 436 Sie leisteten in vielen Rückstellungsverfahren und anderen rechtlichen Belangen fachkundigen Beistand. 437 Knöpfelmacher wurde für seine wertvolle Sozialarbeit 1961 das goldene Ehrenzeichen der Republik verliehen. Der gebürtige Voitsberger war als einer der ersten Juden nach dem Krieg in die Steiermark zurückgehrt. Dank seines reichen Erfahrungsschatzes in Sozialhilfe-, Opferfürsorge- und Pensionsversicherungsangelegenheiten verhalf er vielen Überlebenden des NS-Regimes zu einem erträglichen Lebensabend. Der Rechtsanwalt Biro, Spezialist für Rückstellungsverfahren und Wiedergutmachung, war mit Knöpfelmacher zusammen der Grazer Vertreter des Verbandes der Israelitischen Kultusgemeinden Österreichs. 438 Die angeführten Herren vertraten einen Großteil der Betroffenen, die in Bad Gleichenberg um die Rückerstattung von Grundstücken und Geld kämpften.

435 Vgl. FLD L-17 155/1948. 436 Vgl. Binder, Dieter A.: Jüdische Steirer – steirische Juden. 1945 bis 2000. In: Lamprecht, Gerald (Hg.): Jüdisches Leben in der Steiermark. Marginalisierung – Auslöschung – Annäherung (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien, Band 5). Innsbruck 2004, S. 226. 437 Vgl. Lamprecht/Jahrbuch, S. 287. 438 Vgl. Reiter, S. 171-172. Thomas Stoppacher Seite 99 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Bezüglich der Restitutionsprozesse ist noch anzumerken, dass jene von Graf Brusselle, dem vormaligen Präsidenten des Aktienvereins, und Bürgermeister Böck im Vergleich zu den Bemühungen der jüdischen Rückkehrer von größerem Erfolg geprägt waren. Mit dem Kinobesitzer Brudl einigte sich die Familie Brusselle als Vertreter des Aktienvereins im Jänner 1949 zu einem außergerichtlichen Vergleich und Rückkauf. 439 Im April folgte der Ausgleich mit dem Ehepaar Stadler, das die „Villa Possenhofen“ nach dem „Anschluss“ vom kommissarischen Verwalter Lohberger erworben hatte.440 Keine einvernehmliche Einigung gab es mit Josef Melchart, der das „Hotel Venedig“ von den kommissarischen Verwaltern Lohberger und Rosenkranz gekauft hatte, der Aktienverein bekam im Rückstellungsverfahren, das sich bis 1953 hinzog, aber schlussendlich Recht. 441 Einzig das Verfahren gegen Maria Schäfer, die „Villa Ottokar“ dem Aktienverein zurückzuerstatten, scheiterte. Wie sich herausstellte, war Schäfers Schicksal dem von Magdalena Lanzer nicht unähnlich. Ihr Gatte war „Volljude“ und während des Kriegs in einem Konzentrationslager verstorben. Er ließ sich noch vor dem Beginn der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung von seiner Gattin scheiden, um auf diesem Weg sein Vermögen zu retten. 442 Maria Schäfer berichtete in einer Aussage vom 16. Februar 1948, dass es beim Kauf der Liegenschaft Interventionen vom damals schon gleichgeschalteten Aktienverein gab, die besagten, dass Schäfer wegen ihrer politischen Einstellung als Erwerberin des Grundstücks untragbar sei: „[…] teilte mir mit, dass er erfahren habe, mein Vermögen sei jüdischen Ursprung, ein Kauf mit derartigem Geld sei für Gleichenberg und den Aktienverein untragbar. Ich erfuhr dann auch, dass Dr. Lutz Rosenkranz hinter der Sache stehe, der sich angeblich darüber ärgerte, dass das Objekt ‚Villa Ottokar‘ nicht mehr ihm zur Erwerbung zur Verfügung stehe. Die Sache hatte für mich noch ein Nachspiel bei der Gestapo, zu welcher ich vorgeladen wurde. Wer mich bei der Gestapo angezeigt hatte weiß ich nicht genau, ich kann es nur vermuten. Es ist richtig, dass das Geld zur Erwerbung der Villa Ottokar von meinem geschiedenen Gatten stammte, der auf diese Weise wenigstens einen Teil seines Vermögens retten wollte.“ 443

439 Vgl. LGZRS Graz / Rückstellungskommissionsakten: RK 12/1948. 440 Vgl. LGZRS Graz / Rückstellungskommissionsakten: RK 11/1948. 441 Vgl. LGZRS Graz / Rückstellungskommissionsakten: RK 14/1948. 442 Vgl. LGZRS Graz / Rückstellungskommissionsakten: RK 13/1948. 443 RK 13/1948. Thomas Stoppacher Seite 100 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

7.2. Der jüdische Friedhof in Trautmannsdorf

Die Historikerin Heidemarie Uhl hatte sich Anfang der 1990er Jahre zu Forschungszwecken auf die Suche nach dem jüdischen Friedhof in Trautmannsdorf gemacht und schildert ihre Schwierigkeiten, diesen zu finden: „Der jüdische Friedhof war hingegen nicht aufzufinden, trotz mehrmaliger Fahrt durch das Dorf. Neben der Kirche befand sich das Kriegerdenkmal für die örtlichen Gefallenen des Ersten und Zweiten Weltkrieges – so wie praktisch in jeder steirischen Gemeinde. Keine Tafel, kein Hinweisschild verwies allerdings auf die Existenz eines jüdischen Friedhofs, auch mein in der Oststeiermark ortskundiger Vater, der mich begleitete, wusste keinen Rat. Unser Weg führte zurück zum Ortsfriedhof – vielleicht hatten wir ja etwas übersehen. Dort trafen wir auf den Totengräber, der auf unsere Frage nach dem Jüdischen Friedhof meinte, wir bräuchten uns doch nur umzudrehen und auf eine unmittelbar gegenüberliegende Straßenböschung deutete. Dahinter sei der Friedhof. Wir waren bereits einige Male daran vorbeigefahren.“ 444 Der Eingang zum Areal war nicht öffentlich zugänglich, sondern nur über ein Privatgrundstück zu erreichen. Auf dem von Gras und Buschwerk überwucherten und von hohen Bäumen umgebenen Gelände fehlte schließlich jeglicher Hinweis auf den historischen Hintergrund des kleinen Friedhofs. 445 Mittlerweile hat sich die Situation gebessert, nicht zuletzt dank dem „Washingtoner Abkommen“ aus dem Jahr 2001, in dessen Rahmen sich Österreich gegenüber der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika verpflichtete „zusätzliche Unterstützung für die Restaurierung und Erhaltung bekannter und unbekannter jüdischer Friedhöfe in Österreich zu leisten.“ Bei diesem Abkommen ging es um verschiedene Regelungen zur Frage der Entschädigung und Restitution für Opfer des Nationalsozialismus. Nichtsdestotrotz wird die Verantwortung über die Zuständigkeit der Pflege von jüdischen Friedhöfen in der Steiermark immer wieder zwischen Bund, Land und Gemeinde hin- und hergeschoben. 446 In den letzten Jahren einigte man sich mit der „Israelitischen Kultusgemeinde“ auf eine Stiftungslösung: „Bund und Länder werden nach einem näher bestimmten Schlüssel in eine Stiftung einzahlen, die die Restaurierungs- und Erhaltungsarbeiten der Kultusgemeinden unterstützt. Dem Schlüssel nach liegt das Schwergewicht der Beiträge demnach beim Bund. Aber auch die

444 Uhl, Heidemarie: Nach der Shoah: Jüdische Friedhöfe als Gedächtnisorte. In: Kulturabteilung der Steiermärkischen Landesregierung. Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz (Hg.): Jüdische Friedhöfe in Österreich – Aspekte der Erhaltung. Dokumentation einer Expertenkonferenz. Graz 2010, S. 39-40. 445 Vgl. Uhl, S. 40. 446 Vgl. Russ, Gabriele: Noch ist nicht Chanukka! Erkenntnisse im Rahmen eines Symposiums zur Erhaltung der jüdischen Friedhöfe in Österreich und danach. In: Kulturabteilung der Steiermärkischen Landesregierung. Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz (Hg.): Jüdische Friedhöfe in Österreich – Aspekte der Erhaltung. Dokumentation einer Expertenkonferenz. Graz 2010, S. 7-10. Thomas Stoppacher Seite 101 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Leistungen der Kultusgemeinde, zu denen diese Beiträge geleistet werden sollen, werden festgeschrieben.“ 447

Entstehung und Geschichte Da die katholische Pfarre Personen israelitischer Konfession die Beerdigung auf ihrem Friedhof verweigerte, fehlte für während ihres Aufenthalts in Gleichenberg verstorbene jüdische Kurgäste eine Begräbnisstätte. Die IKG Graz legte deshalb 1880 im Nachbarort Trautmannsdorf, zu dessen Pfarrgebiet Bad Gleichenberg bis 1940 gehörte, einen Friedhof an. 1887 wurde dieser durch eine kleine Leichenhalle ergänzt. 94 Personen wurden hier beerdigt, die letzte davon im Jahr 1932. 448 Der israelitische Friedhof erlangte für die jüdische Kurszene in Gleichenberg schnell eine gewisse Bekanntheit, schon 1892 war er im Gleichenberg-Buch des Kurarztes Höffinger ausdrücklich vermerkt. 449

Die jüdische Begräbnisstätte in Trautmannsdorf liegt schräg gegenüber dem Soldatenfriedhof, der dem katholischen Ortsfriedhof angeschlossen ist. Er besteht heute nur mehr aus vier Grab- und Gedenksteinen. Zwei erinnern an die hier in einem Massengrab beigesetzten Opfer der NS-Zeit, die anderen zwei Grabsteine an Personen aus dem nahe gelegenen Kurort Bad Gleichenberg. 450 Es handelt sich dabei um Jakob Pohoryles (1861-1921), über dessen Leben keine näheren Daten bekannt sind, und den aus Papa in Ungarn stammenden Salomon Eisen. Der 1924 verstorbene Hotelier hatte im Gasthaus „Fünfkirchen“ und in der „Villa Dreibaum“ koschere Restaurants geführt. 451 Im Zuge des Novemberpogroms wurde der Friedhof nahezu komplett zerstört. Die Mauern wurden niedergerissen, Grabsteine von der NSDAP mitgenommen und verkauft. 452 Vermutlich wurden sie für private Bauzwecke genutzt. Die Zeremonienhalle wurde in Brand gesetzt. 453 1940 war der Friedhof schon komplett zerstört, denn in einer Bestandsaufnahme durch Landeskonservator Walter Semetkowski, in der es um die Verwertung der jüdischen Grabsteine und Friedhöfe in der Steiermark ging, schienen jene aus Knittelfeld und eben

447 Kneihs, Benjamin: Die jüdischen Friedhöfe in Österreich. Zuständigkeiten aus völkerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Sicht. In: Kulturabteilung der Steiermärkischen Landesregierung. Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz (Hg.): Jüdische Friedhöfe in Österreich – Aspekte der Erhaltung. Dokumentation einer Expertenkonferenz. Graz 2010, S. 30. 448 Vgl. Grancy, S. 108. 449 Vgl. Höffinger, S. 125. 450 Vgl. Grancy, S. 105. 451 Vgl. Grancy, S. 108. 452 Vgl. Grancy, S. 105-107. 453 Vgl. Uhl, S. 40. Thomas Stoppacher Seite 102 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Trautmannsdorf gar nicht mehr auf. 454 Die Nationalsozialisten verwandelten die Gräberanlage in eine Wiese und einen Acker und verpachteten dies zur Bewirtschaftung. Ende 1942 wurde der Friedhof im Grundbuch dem „Deutschen Reich“ einverleibt. 1947 wurde es an die IKG restituiert und ist seither wieder offiziell ein Friedhof. 455

Zwischen 1947 und 1954 wurden aus den oststeirischen Bezirken Radkersburg, Feldbach, Fürstenfeld und Weiz Leichen von ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern auf den Friedhof in Trautmannsdorf überführt. 456 Die IKG Graz errichtete einen Gedenkstein, der an die von den Nationalsozialisten ab Jänner 1945 während des Todesmarsches nach Mauthausen ermordeten Zwangsarbeiter erinnert, die hier bestattet wurden. 457 Einer dieser Züge aus dem Barackenlager „Höll“ in St. Anna am Aigen hatte auf seinem Weg nach Gnas vermutlich auch Bad Gleichenberg passiert. 458 1954 wurde der Gedenkstein für die in Trautmannsdorf beerdigten Juden feierlich eingeweiht. 459 Zu den 94 vor 1938 verstorbenen jüdischen Kurgästen kamen also noch zirka 190 im Jahre 1945 verstorbene bzw. ermordete ungarisch- jüdische Zwangsarbeiter. Der Gedenkstein aus dunklem böhmischem Granit mit dem Zionsstern trägt die Aufschrift „Zum Gedenken der hier ruhenden jüdischen Toten und Opfer der Jahre 1938-1945“ . Die Einweihung fand am 4. Juli 1954 im Rahmen einer Gedenkfeier statt. Nur zwei Grabsteine mit Namen erinnern an die Opfer von 1945. Am Gedenkstein wurde vermutlich nachträglich Otto Neuwalder (1924-1945) eingetragen, ein weiterer Stein wurde für Ernö Ackermann errichtet. 1964 wurde das Eingangstor zum Friedhof repariert, Gräber eingeebnet und der Denkmalstein, der sich gesenkt hatte, von einem Steinmetz aufgerichtet. Bei weiteren Sanierungen 1992 wurde gegenüber dem Gedenkstein ein neuer Eingang errichtet. 460 Der jüdische Friedhof Trautmannsdorf wurde in den letzten Jahren zwar an einigen Stellen erneuert - so wurde anstelle der Böschung eine Hecke errichtet und ein neues Eingangstor erlaubt den Zugang von der Bundesstraße - doch die Identifikation mit dem Ort ist weiterhin schwierig. In den Wanderführern der Kurgemeinde Bad Gleichenberg über die Umgebung ist der Friedhof nicht verzeichnet. 461 „Es wäre aber falsch, vom ‚ehemaligen“ jüdischen

454 Vgl. Lamprecht/Friedhof, S. 61. 455 Vgl. Lamprecht/Friedhof, S. 62. 456 Vgl. Schober, S. 189-192. 457 Vgl. Grancy, S. 107. 458 Vgl. Lappin, Eleonore: Die Todesmärsche ungarischer Juden durch den Gau Steiermark. In: Lamprecht, Gerald (Hg.): Jüdisches Leben in der Steiermark. Marginalisierung – Auslöschung – Annäherung (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien, Band 5). Innsbruck 2004, S. 274. 459 Vgl. Reiter, S. 174. 460 Vgl. Schober, S. 192-193. 461 Vgl. Uhl, S. 46. Thomas Stoppacher Seite 103 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Friedhof in Trautmannsdorf zu sprechen, denn ein jüdischer Friedhof besteht nicht nur aus den Grabsteinen, sondern das Wichtigste sind die dort Begrabenen. Nach jüdischer Tradition darf niemand die Würde der Toten entehren. Jüdische Grabmäler und Friedhöfe gehören für ewige Zeiten den dort begrabenen Toten und dürfen nicht angetastet werden, denn sie sind als Stätten der Ewigkeit von hohem religiösem Wert.“ 462

Das Bundesdenkmalamt hat in den letzten zehn Jahren Erhebungen durchgeführt, welche 67 jüdische Friedhöfe in Österreich ergaben. 61 davon wurden in die §2a Verordnung aufgenommen und stehen somit unter Denkmalschutz. Unter den fünf steirischen befindet sich auch jener in Trautmannsdorf. 463 Bei der Auflistung der Zusammenstellung des Bundesdenkmalamtes lautet der Text dazu: „In der kleinen, gegenüber dem Kommunalfriedhof gelegenen Anlage des israelitischen Friedhofs, ein Grabdenkmal in Form einer Stele als Gedenkstein für die im Friedhof ruhenden jüdischen Toten und die Opfer der Jahre 1938-1945 gestaltet (M. 20. Jh.).“ 464 Die weiteren jüdischen Friedhöfe der Steiermark befinden sich in Graz, Fohnsdorf, Knittelfeld und Bad Aussee. 465 Der mittlerweile gut gepflegte kleine Friedhof im beschaulichen Trautmannsdorf ist im 21. Jahrhundert die einzig sichtbare Erinnerung an das jüdische Leben in Bad Gleichenberg geblieben.

462 Schober, S. 193. 463 Vgl. Neubauer, Barbara: Die Erhaltung der jüdischen Friedhöfe in Österreich. Denkmalschutz – Denkmalpflege – Denkmalforschung. In: Kulturabteilung der Steiermärkischen Landesregierung. Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz (Hg.): Jüdische Friedhöfe in Österreich – Aspekte der Erhaltung. Dokumentation einer Expertenkonferenz. Graz 2010, S. 33. 464 Bundesdenkmalamt: Jüdische Friedhöfe in Österreich unter Denkmalschutz. In: Kulturabteilung der Steiermärkischen Landesregierung. Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz (Hg.): Jüdische Friedhöfe in Österreich – Aspekte der Erhaltung. Dokumentation einer Expertenkonferenz. Graz 2010, S. 116. 465 Vgl. Bundesdenkmalamt, S. 113-115. Thomas Stoppacher Seite 104 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Zur Veranschaulichung der Gedenkstätte die folgenden Fotos, aufgenommen am 1. September 2011:

Der israelitische Friedhof in seiner unscheinbaren Ansicht von außen (9. Bild) und eine Innenansicht aus der Perspektive des Eingangs (10. Bild). 466

Der Gedenkstein an die Toten 1938-1945 (11. Bild) und das Grab von Jakob Pohoryles mit hebräischen Inschriften (12. Bild). 467

466 Beide Fotografien vom Autor der Arbeit selbst aufgenommen. 467 Beide Fotografien vom Autor der Arbeit selbst aufgenommen. Thomas Stoppacher Seite 105 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

7.3. Jüdische Kurgäste nach der Shoa

Österreich und die Juden nach 1945 Der Antisemitismus in Österreich ist mit dem faktischen Verschwinden der jüdischen Gemeinde des Landes nicht verschwunden, gewisse Stereotypen haben bis zum heutigen Tag überlebt. 468 Diese latent vorhandene Judenfeindlichkeit zeigt, dass der Antisemitismus nicht vom Judentum provoziert wird, sondern von den Antisemiten selbst. Er ist das „Problem“ dieser und wird erst in seiner Auswirkung und Aggression das Problem der angegriffenen Gruppen, die dadurch in ihrer Freiheit behindert werden. 469 „Es handelt sich noch unter zwei weiteren Aspekten um einen Antisemitismus ohne Juden: er ist in jenen Regionen deutlich stärker, in denen heute keine Juden leben und auch zuvor praktisch nie; und er ist signifikant stärker bei jenen Personen, die keinerlei persönlichen Kontakt zu Juden haben oder jemals hatten.“ 470 Wie standen die aus Österreich vertriebenen jüdischen Kurgäste nach der Shoa im Zweiten Weltkrieg zu „ihrem“ Bad Gleichenberg? Kamen sie in den südoststeirischen Kurort, in dem von der jüdischen Infrastruktur nicht mehr viel übrig geblieben war, zurück? Die Rückkehr in die mit schönen Erinnerungen behafteten Ferienorte, in denen oft nicht mehr viel an die frühere Zeit erinnerte, ist schwierig. So ist zum Beispiel Bad Gastein, das in Salzburg der traditionelle jüdische Kurort schlechthin war, für viele alte zurückgekehrte Israelis das Synonym für ihr entwendetes und entfremdetes Österreich. 471 Dennoch offenbarte sich bei vielen ausgewanderten Juden nach einigen Jahren die Sehnsucht nach den Sommerfrischenorten ungehemmter als jene nach dem früheren Wohnort. Dieser mobilisierte viel stärker schmerzhafte Erinnerungen an Demütigungen und Deportationen nahestehender Menschen, oftmals durch Nachbarn, die sich am Raubzug beteiligten. Eine Rückkehr in den sommerlichen Urlaubsort hingegen war meist mit positiven Gedanken verbunden. Die Landschaft und die Natur der früheren Heimat existierten schließlich schon vor Hitler.472

468 Vgl. Pauley, S. 337. 469 Vgl. Binder, Dieter A.: Antisemitismus und Juden. In: Binder, Dieter A. / Reitter, Gudrun / Rütgen, Herbert: Judentum in einer antisemitischen Umwelt. Am Beispiel der Stadt Graz 1918-1938. Graz 1988, S. 2. 470 Marin, Bernd: Ein historisch neuartiger „Antisemitismus ohne Antisemiten“?. In: Bunzl, John / Marin, Bernd: Antisemitismus in Österreich. Sozialhistorische und soziologische Studien (= Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit, Band 3). Innsbruck 1983, S. 177. 471 Vgl. Haas, S. 53. 472 Vgl. Lichtblau, S. 104-106. Thomas Stoppacher Seite 106 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Bad Gleichenberg In Bad Gleichenberg sind bis heute vereinzelt jüdische Kurgäste zu Besuch, spezifisch jüdische Einrichtungen gibt es aber seit 1938 keine mehr: Der „Theresienhof“ blieb bis 1961 in jüdischem Besitz. Dann wurden die 32 Anteile des Besitzes von den Erben von Breiner, Imbermann und Horn an den Hotelier Hermann Glückstein verkauft. Der Inhaber des Hotels „Annahof“ renovierte das Haus und führte es bis zum Verkauf an die Aktiengesellschaft als „Haus “. 2005 wurde es abgerissen, das Areal dient nunmehr als Parkplatz. 473 Auf dem Grund der niedergebrannten „Villa Dreibaum“ befindet sich heute der „Gleichenbergerhof“. Das Areal war stark verwildert 1952 von den nachbarlichen Besitzern des Hotels „Würzburg“ erworben und 1962 an die Familie Kaulfersch weiterverkauft worden. Diese setzte den Neubau des nunmehrigen 4-Sterne-Hotels in die Tat um. 474 Der Name der Apotheke „Zum schwarzen Hund“ existiert für die sich im selben Gebäude wie die heutige Apotheke befindliche Foto-Drogerie weiter. 475 Nachfolger von Olga Roda als Apothekerin wurde ab 1963 Johann Lenz. 476 Das Gebäude des „Wienerhofs“ von Paul Hönigsberg stand bis 1970 und wurde dann abgetragen. Wie beim „Theresienhof“ befindet sich auf dem Grundstück mittlerweile ein Parkplatz. 477 Das ehemalige Hotel Mailand, in dessen prunkvollen Sälen in der Blütezeit des jüdischen Bad Gleichenbergs viele Künstler aufgetreten waren, ist heute Teil der Landesberufsschule. 478

Auskunft über israelische Kurgäste geben Statistiken über die Besucherzahlen nach Herkunftsländern. Aus diesen geht hervor, dass Mitte der 1950er Jahre einige Gäste aus Israel ihre Kur in der Südoststeiermark verbrachten. 1957 waren es 18, die nach Bad Gleichenberg kamen, damit waren die Israelis nach Herkunft der Kurgäste immerhin an sechster Stelle der Nationen hinter Deutschland, Italien, Großbritannien, Schweiz, den USA und Schweden. 479 Bekannt ist auch, dass die Witwe des Schriftstellers Roda Roda, Elisabeth, ab 1954 nach langer Unterbrechung ihre sommerliche Kur wieder in Bad Gleichenberg verbrachte. 480 Zu dieser Bilanz muss angemerkt werden, dass es natürlich auch jüdische Kurgäste, die einer anderen Nationalität als der israelischen angehören, gibt. Diese aus den Statistiken herauszufiltern ist allerdings nicht möglich. Durch die Herrschaft der Kommunisten in

473 Vgl. Mang/Erdenwinkel, S. 44. 474 Vgl. Rauch/Bad Gleichenberger Nachrichten. 475 Vgl. Pristavnik, S. 10. 476 Vgl. Rauch/Ärzte, S. 38. 477 Vgl. Haan, S. 68. 478 Vgl. Pristavnik, S. 15. 479 Vgl. Fuksas/Geschichte, S. 165. 480 Vgl. Fuksas/Geschichte, S. 163. Siehe den „Neue Zeit“-Artikel am Ende des 5. Kapitels. Thomas Stoppacher Seite 107 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Ungarn und der Entstehung des „Eisernen Vorhangs“ blieb der Gästestrom aus dem Osten, der traditionell einen großen Anteil des Kurpublikums ausmachte, auf Jahrzehnte aus. 481 Dadurch wurden Kontinuitäten von jüdischen Gästen aus diesen Ländern unmöglich gemacht. Der Zeitrahmen von 1938 bis 1990 war dann wohl zu groß, um diese nochmals wiederzubeleben.

Ein in Israel weit verbreiteter Witz lautet: „‘Gibt es in Österreich noch Antisemitismus?‘ Worauf die Antwort lautete: ‚Nicht während der Saison.‘“ 482 Das Zusammentreffen zwischen in ihre Urlaubsdomizile zurückgekehrten Juden und Einheimischen mit nationalsozialistischer Vergangenheit funktionierte, solange die Zeit zwischen 1938 und 1945 nicht thematisiert wurde. 483 Dies veranschaulichen treffend die Erinnerungen von Sofie Kobrinsky. Sie wurde 1921 in Güssing geboren und lebte dort bis 1938. Nach dem „Anschluss“ Österreichs ans „Deutsche Reich“ konnte sie im September über Triest nach Palästina fliehen. Ihre Eltern wurden deportiert und starben in Ausschwitz. Sofie Kobrinsky blieb in Palästina und heiratete einen polnischen Emigranten. Sie kam 1963 das erste Mal wieder nach Güssing zurück und besucht seither regelmäßig Österreich. Ein Kuraufenthalt in Bad Gleichenberg gehört dabei zu ihren fixen Programmpunkten 484 : „[…] deswegen fahre ich auch immer nach Bad Gleichenberg. Ich fühle mich dort wohl. Jetzt war ich alleine dort, meine Kinder haben mich geschickt. ‚Du fühlst dich dort wohl, also fahr hin!‘ […] Eine Geschichte: Vor drei Jahren sitze ich in Bad Gleichenberg auf einer Bank, da geht ein Herr vorüber und fragt mich, ob er sich niedersetzen darf. Sage ich: ‚Ja, bitte!‘ Dann beginnt er mit mir zu plaudern und fragt mich, wo ich wohne. Da sage ich ihm, dass ich weit weg wohne. Sagt er: ‚Aber Sie sind aus Österreich!‘ Sage ich: ‚Ja, geboren!‘ Sagt er: ‚Wie weit ist das, wo Sie wohnen?‘ Sage ich: ‚Das ist Israel, ich bin Jüdin!‘ Er war aus Klagenfurt, dieser Mann. Und er erzählte mir, dass er damals vor dem Krieg studiert hatte und danach in russischer Gefangenschaft war. Man habe ihm damals gesagt, die Juden seien Schmarotzer. Es war ein interessantes Gespräch, sehr interessant sogar. Er war auch auf Kur. Und dann sagte er: ‚Aber das werden Sie mir nicht glauben! Ich habe mein Studium nach der Befreiung beendet und bin nach 1948 nach

481 Vgl. Riegler, S. 55. 482 Embacher, Helga: Jüdische „Gäste“ im Gasteinertal nach 1945. In: Kriechbaumer, Robert (Hg.): Der Geschmack der Vergänglichkeit. Jüdische Sommerfrische in Salzburg (= Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 14). Wien/Köln/Weimar 2002, S. 237-238. 483 Vgl. Embacher, S. 237. 484 Vgl. Kobrinksy (geb. Rothstein), Sofie: Güssing – Tel Aviv. In: Tschögl, Gert / Tobler, Barbara / Lang, Alfred (Hg.): Vertrieben. Erinnerungen burgenländischer Juden und Jüdinnen. Wien 2004, S. 63-76. Thomas Stoppacher Seite 108 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Israel gefahren! Ich war sieben Mal in Israel, ich habe Freunde in Israel!‘ Und er hat mir erzählt, wo er überall war. Der kennt Israel vielleicht besser als ich. Er hat mir gesagt: ‚Man hat uns den Antisemitismus von klein auf gelernt, das ist das Schlechte!‘ Es war ein sehr interessantes Gespräch. Im Hotel war einmal eine Sache, als mein Mann noch lebte. Mein Mann hat ausgesehen wie ein Christ. Er war rotblond, mit blauen Augen, wie ein Engländer. Im Speisesaal hat man zwei Leute aus Klagenfurt zu uns gesetzt. Ich habe mit meinem Mann natürlich Hebräisch gesprochen. Sagt die Frau: ‚Sind sie aus Holland?‘ Sage ich: ‚Nein, ich bin nicht aus Holland, ich bin in Güssing geboren.‘ ‚Aber wie sprechen Sie mit ihrem Mann?‘ Sage ich: ‚Ich spreche Hebräisch!‘ Das Ehepaar ist bleich geworden, ältere Leute wie wir, und sie haben gesagt: ‚Aus Israel sind Sie?‘ ‚Ja‘, sage ich, ‚ich bin aus Israel!‘ Sagt sie: ‚Und wann sind Sie nach Israel?‘ Habe ich gesagt: ‚Als Hitler in Wien einmarschierte, musste ich weg.‘ Wir haben dann weiter gesprochen, aber es war ihnen unangenehm, sehr unangenehm. Ich habe ihnen erklärt, dass mein Mann nicht Deutsch kann und ich deshalb mit ihm Hebräisch spreche, sie sollen nicht beleidigt sein. Aber sie hat mich dann draußen gefragt: ‚Sagen Sie, Sie haben einen Christen geheiratet?‘ Sage ich: ‚Nein, mein Mann ist Jude!‘“ 485 Die Reaktionen auf ihr „Outing“ als 1938 aus Österreich vertriebene Jüdin fallen demnach komplett unterschiedlich aus, die zweite geschilderte Begegnung mit dem Ehepaar ist ein typisches Beispiel, das veranschaulicht, wie schwierig einem Großteil der österreichischen Bevölkerung der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit fiel und teilweise noch fällt.

Beeindruckend sind die Statistiken aus den 1970er Jahren in Bad Gleichenberg, in denen von den ausländischen Kurgästen nur Deutsche einen höheren Anteil als Besucher aus Israel haben. 161 Besucher im Jahr 1978 sind der bisherige Höchstwert. 486 Zehn Jahre später wurde dieser noch um einiges übertroffen: 399 israelische Gäste bedeuten den klaren zweiten Platz bei den ausländischen Besuchern hinter 907 Deutschen. An dritter Stelle: 76 Schweizer. Noch bemerkenswerter sind diese Zahlen, wenn man sich die Anzahl der Nächtigungen anschaut, die Besucher aus Israel kommen dabei mit 8.107 Übernachtungen den 8.866 von deutschen Gästen ziemlich nahe. Demnach war die Aufenthaltsdauer der israelischen Gäste bedeutend länger als jene der Gäste aus der Bundesrepublik Deutschland. 487 Es ist folglich unübersehbar, dass es eine Kontinuität von jüdischen Kurgästen gab. Diese kamen, nachdem das Grauen des Zweiten Weltkriegs einige Jahre vorbei war, wieder in ihre geliebten Feriendomizile in

485 Kobrinsky, S. 75-76. 486 Vgl. Fuksas/Geschichte, S. 167. 487 Vgl. Kernbichler, S. 143-145. Thomas Stoppacher Seite 109 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Österreich zurück. Die Tradition der jüdischen Künstler in Gleichenberg konnte nicht aufrecht erhalten werden, als einzig berühmter Gast mit jüdischen Wurzeln aus dem Kulturbereich ist Otto Schenk bekannt. 488

Im 21. Jahrhundert scheint sich die jüdische Tradition in Bad Gleichenberg endgültig aufzulösen. Waren es im Jahr 1999 immerhin noch 54 israelische Gäste, die gesamt 859 Nächte im Kurort verbrachten, sinkt die Anzahl der Gäste und Nächtigungen in den nächsten Jahren rapide. Im Jahr 2000 sorgten 15 israelische Gäste für 299 Nächtigungen, bis 2007 pendelte sich die Summe der Nächtigungen pro Jahr auf 100 bis 200 ein. In den letzten Jahren schließlich blieben nur noch einige Wenige übrig, 2010 war ein einziger jüdischer Kurgast aus Israel für vier Nächte in Bad Gleichenberg. Des Weiteren geht aus den Statistiken hervor, dass der Großteil der Gäste in Hotels der 3-Sterne-Kategorie abgestiegen ist. 489 Ob der starke Rückgang der israelischen Gäste im Zusammenhang mit der Neuorientierung von Bad Gleichenberg zu einem Kurort mit hauptsächlich teuren und hochklassigen Hotels steht, die israelischen Besucher bevorzugten laut den Statistiken Privatunterkünfte und 3-Sterne-Hotels, ist nicht bekannt und kann nur vermutet werden.

8. Zusammenfassung

Der Kurort Bad Gleichenberg Die Spuren der Heilquellen in Gleichenberg reichen bis in die Römerzeit zurück, der Aufbau des Kurortes erfolgte allerdings erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nach der Gründung 1834 entwickelte sich der landschaftlich wunderschön, inmitten der südoststeirischen Hügel gelegene Ort schnell zu einem beliebten Kurdomizil für Gäste aus der ganzen Habsburgermonarchie und darüber hinaus. Besucher aus Wien und Ungarn bildeten den Kern der Heilsuchenden, die auf eine stetig weiter entwickelte Infrastruktur im wachsenden Kurort zurückgreifen konnten. Die Bemühungen der Kurverwaltung in Gleichenberg, die in den Händen des Aktienvereins lag, den Ort bis weit über die Grenzen der Steiermark hinaus bekannt zu machen, fruchteten. Gästelisten mit Namen aus der ganzen

488 Vgl. Künstlerliste. 489 Vgl. Tourismusverband Gleichenberg (Rathkolb, Anna M.): Statistik Kategorie 01.01.1999-31.12.2010. Auflistung der israelischen Kurgäste in diesem Zeitraum. Tourismusverband Gleichenberg (Obere Brunnenstraße 1, 8344 Bad Gleichenberg), 20.06.2011. Thomas Stoppacher Seite 110 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Welt und Zeitschriften mit Erscheinungsorten aus den verschiedensten Teilen Europas sind Indizien dafür. Während die Geschehnisse des Ersten Weltkriegs in Gleichenberg vor Ort wenig zu spüren waren, erschütterte der Zweite Weltkrieg den Kurort in seinen Grundfesten. Nicht nur, dass der Frontverlauf in den letzten Wochen teils direkt durch den Ort ging, der „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische „Deutsche Reich“ zerstörte schon 1938 den bisherigen Verlauf der jährlichen Kursaisonen. Denn nun blieben jüdische Kurgäste, die bis dahin einen Großteil der Besucher ausmachten, komplett aus.

Sommerfrische und Antisemitismus Nach der rechtlichen Gleichstellung durch die Dezemberverfassung 1867 wurde es bei der wohlhabenden und bürgerlichen Schicht innerhalb der österreichischen Juden populär auf Sommerfrische zu fahren. Dieser Trend des auf mehrere Wochen ausgedehnten „Familienausflugs“ im Sommer, der Erholung mit gesellschaftlichen Absichten verband, weitete sich in den kommenden Jahrzehnten auch auf die Mittelschicht aus. Später hatten sogar Juden aus ärmeren Bevölkerungsschichten, dank wohltätiger Einrichtungen wie dem israelitischen Hospital in Gleichenberg, die Möglichkeit „auf Kur“ zu fahren. Diese soziale Diversifikation innerhalb der kontinuierlich steigenden Anzahl von Kurgästen führte bei der provinziellen Landbevölkerung, wenn sie vermehrt mit armen und oft fremdsprachigen „Ostjuden“ konfrontiert wurde, zu oftmaligen antisemitischen Reaktionen. Die judenfeindlichen Strömungen hatten im ausgehenden 19. Jahrhundert in Österreich an Popularität gewonnen, später in der Ersten Republik häuften sich auch öffentliche Agitationen dieser Art. Sie hatten ihren Ursprung und ihre Hetzer sowohl im deutsch-nationalen und somit rassisch-motivierten Antisemitismus, als auch im christlich-konservativen Milieu, dessen Judenfeindlichkeit religiös begründet war. Trotzdem stand die jüdische Bevölkerung in Österreich rechtlich zuerst im Schutz des Kaisers und später, auch wenn sich dies in der Realität oft als Fehleinschätzung erwies, der Protagonisten des austrofaschistischen Ständestaats. Die Tradition der jüdischen Sommerfrische entwickelte sich im 19. Jahrhundert mit Sicherheit in der bürgerlichen Gesellschaftsschicht, wurde aber bald auch von „normalen“ Leuten, die eben in billigeren Pensionen und Hotels abstiegen, übernommen. Ein einheitliches Bild über den typischen Kuraufenthalt und dessen Gepflogenheiten zu zeichnen, ist daher schwierig. Aus den Quellen geht hervor, dass der sommerliche Aufenthalt im Rahmen der Familie genossen wurde. Gleichzeitig ist allerdings oft von den vielfältigen kulturellen

Thomas Stoppacher Seite 111 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Abendveranstaltungen, die es in Gleichenberg ja auch gegeben hat, oder von internationalen „Heiratsbörsen“ die Rede. Hier ist zu beachten, dass das Kurpublikum, und das trifft auf jeden Fall für Gleichenberg zu, aus sehr unterschiedlichen sozialen Verhältnissen stammte und deshalb die jüdischen Gäste naturgemäß im Rahmen ihres Kuraufenthalts verschiedene Prioritäten setzten.

Jüdisches Leben und Infrastruktur vor Ort In Gleichenberg hatte sich ab den 1870er Jahren in kurzer Zeit eine Infrastruktur gebildet, in der die vielen jüdischen Gäste gemäß ihren religiösen Vorschriften leben konnten. Rein koschere Küchen sowie die Möglichkeit zur Abhaltung eines Gottesdienstes bis zu einem rituellen Bad in der „Villa Dreibaum“ sind Beispiele dafür. Die von dem aus Ungarn stammenden Salomon Eisen geführte Gaststätte „Villa Dreibaum“ und der „Theresienhof“ waren die wichtigsten Häuser der jüdischen Kurgäste in Gleichenberg. Aber auch andere Gaststätten, wie die „Franzensburg“ oder der „Wienerhof“ waren zeitweise Zentren jüdischen Lebens. Der letztgenannte „Wienerhof“ wurde lange von Paul Hönigsberg, einem von mehreren jüdischen Kurärzten in Gleichenberg, geführt. In der Zwischenkriegszeit verlegten sogar einige Ärzte aus Wien und Budapest für die Sommermonate ihre Praxen in die Südoststeiermark, ihre Patienten reisten ihnen nach. In der Nachbargemeinde Trautmannsdorf wurde noch im 19. Jahrhundert ein jüdischer Friedhof angelegt, auf dem Kurpatienten, die während ihres Aufenthalts in Gleichenberg verstarben, begraben wurden. Die hohe Anzahl dieser, zum Teil in Reiseführern explizit angeführten, koscheren Küchen und Unterkünfte, dazu israelitische Gottesdienste, ein rituelles Bad, ein israelitisches Hospital, eine israelitische Bäckerei und ein jüdischer Friedhof lassen keine Zweifel daran: Bad Gleichenberg war über Jahrzehnte in den Sommermonaten ein Zentrum jüdischen Lebens und auch speziell darauf ausgerichtet. Es gibt zwar keine Statistiken über die genaue Anzahl der jüdischen Gäste, angeführte Zitate aus verschiedenen Quellen geben aber einen Anteil von 60 bis 90 Prozent der Kurgäste an. Selbst wenn man diese Anzahl vorsichtig interpretiert und etwas senkt, waren die jüdischen Kurgäste für den Kurort Bad Gleichenberg und dessen Betriebe von enormer Bedeutung. Als zusätzlicher Beweis dient ein Beschwerdebrief des Hotelbesitzers Rauch an die Gauleitung wenige Monate nach dem „Anschluss“ (und noch vor Kriegsbeginn), in dem er das Leerbleiben der Zimmer mit dem Ausbleiben der jüdischen Gäste begründet.

Thomas Stoppacher Seite 112 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Zu den Betreibern der jüdischen Gaststätten und Einrichtungen vor Ort ist festzuhalten, dass es sich bei ihnen fast zur Gänze um Personen handelte, die nicht ihren fixen Wohnsitz in Gleichenberg hatten, sondern nur in der Kursaison von Mai bis September in der Südoststeiermark verweilten. Wie aus den Dokumenten, die über „Arisierungen“ und Restitutionen Auskunft geben, hervorgeht, hatten viele Hotelbesitzer, wie etwa die Herren Imbermann, Horn und Breiner vom „Theresienhof“, ihren Hauptwohnsitz in Wien. Ähnlich verhielt es sich mit dem Sitz des „Vereins zur Erhaltung des Israelitischen Hospitales in Gleichenberg“. Fix in Gleichenberg wohnhaft war der Apotheker Julius Roda und später auch seine Tochter Olga. Die Familie war zwar schon lange zum christlich-katholischen Glauben konvertiert, was sie allerdings nicht vor der späteren Verfolgung durch die Nationalsozialisten schützte.

Die Zwischenkriegszeit war die letzte Blüte des jüdischen Lebens in Gleichenberg. Obwohl die Monarchie nicht mehr existierte, kamen weiterhin viele Gäste aus den ehemaligen Kronländern. Schon vor dem Ersten Weltkrieg waren sehr viele jüdische Besucher aus Ungarn gekommen, aber auch aus Böhmen/Mähren und Galizien strömten die Gäste nach Gleichenberg. Von den inländischen Gästen stammte der Großteil aus der Landeshauptstadt Wien. Besonders erwähnenswert ist, dass viele jüdische Kulturschaffende - die literarischen Erinnerungen von Manes Sperber und Elias Canetti wurden als Beispiele angeführt - nach Gleichenberg kamen und im Kurort einige bemerkenswerte Konzertveranstaltungen und Kabarettabende mit bekannten Künstlern wie Fritz Grünbaum und Karl Farkas stattfanden.

Der „Anschluss“ und die Folgen Bis 1938 blieb Bad Gleichenberg trotz des hohen Anteils an jüdischen Gästen von eskalierenden Auswüchsen der judenfeindlichen Stimmung in Österreich verschont, selbst der viel zitierte „Sommerfrischen-Antisemitismus“ hielt sich in Grenzen. Ganz ausgeblieben sind antisemitische Vorfälle allerdings nicht, Alltags-Episoden wie der Gästebucheintrag auf der Albrechtswarte oder die Spaziergangserinnerung von Koloman Mikszath beweisen dies. Auch hatten Salomon Eisen und das Ehepaar Berks im Kampf um Konzessionen für ihre Restaurationen mit antisemitischen Vorurteilen der Konkurrenz zu kämpfen. Inwiefern judenfeindliche Zwischenfälle in Bad Gleichenberg die Ausnahme oder die Regel waren, ist schwer festzustellen. Festzuhalten ist, dass der Kurort nie in einschlägigen Listen

Thomas Stoppacher Seite 113 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte antisemitischer Fremdenverkehrsbetreiber aufschien und es bis 1937 zu keinem Rückgang der jüdischen Kurgäste gekommen ist.

Nach dem „Anschluss“ blieb nichts wie es war, die jüdischen Einrichtungen, wie das Hospital oder die „Villa Dreibaum“ wurden noch im März von der NSDAP beschlagnahmt. In den nächsten Wochen und Monaten begannen die sogenannten „Arisierungen“, bei denen die nationalsozialistischen Machthaber das jüdische Vermögen, Schritt für Schritt und durch neu eingeführte Gesetze legitimiert, in ihren Besitz nahmen. Apotheker Roda wurde nach dem „Novemberpogrom“ über die Grenze nach Ungarn abgeschoben. „Im Gegensatz zur „Arisierung“ bei großen Industriezweigen, beispielsweise der Maschinenfabrik in Graz- Andritz, wo sich Interessensgemeinschaften aus Rechtsanwälten, Betriebsvertretern und Gauverantwortlichen zur Übernahme zusammenschlossen, handelte es sich in Gleichenberg um lokale Einzelariseure, die in einem Ort versuchten das gesamte jüdische Vermögen an sich zu ziehen.“ 490 Nach der Zerstörung der jüdischen Infrastruktur zeigte sich rasch, dass die neuen Kurbetreiber wenig Ahnung vom Kurgeschäft hatten. In den Kriegsjahren dienten die Hotels in Bad Gleichenberg nicht zur Unterkunft von Gästen aus ganz Europa, sondern als Lazarett für verwundete Soldaten der deutschen Wehrmacht.

Nach der Shoa Nach dem Kriegsende 1945 waren in Bad Gleichenberg einige Häuser, so auch die „Villa Dreibaum“, die von der NSDAP abgebrannt wurde, komplett zerstört. Andere, wie das israelitische Hospital und der „Theresienhof“ waren relativ unbeschädigt geblieben. Was nun folgte, waren langwierige Rückstellungsverfahren, bei denen die Erben der ehemaligen jüdischen Besitzer um ihr Recht kämpften. Die Schwierigkeiten, die Olga Roda bei ihrem Kampf um die Rückgabe der Apotheke ihres Vaters hatte, sie musste Schikanen von den Verwaltern mit nationalsozialitischer Vergangenheit über sich ergehen lassen, stehen exemplarisch dafür. Ähnlich verhält es sich mit dem israelitischen Hospital, dass die IKG Wien zwar restituiert bekam, allerdings den „Ariseur“ für Renovierungsarbeiten, notwendig geworden durch Zerstörungen und Verwahrlosung des Hauses durch die örtliche Hitler- Jugend, bezahlen musste. Auch wenn ein Großteil der Restitutionen schlussendlich erfolgte, das „jüdische Bad Gleichenberg“ erreichte nie mehr seine Blüte aus den Zeiten der Monarchie und der Ersten

490 Vgl. Halbrainer/Hainzl. Thomas Stoppacher Seite 114 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Republik. Die Gebäude, die sich in jüdischem Besitz befanden, wurden verkauft oder abgerissen. Heute ist von der speziellen jüdischen Infrastruktur nichts mehr übrig geblieben.

Die österreichisch-jüdische Bevölkerung war durch die Shoa ermordet oder vertrieben worden, Überlebende hatten wenig Lust nach Österreich zurückzukommen und mit den Menschen mit nationalsozialistischer Vergangenheit konfrontiert zu werden. In anderen Fällen, und zwar in jenen der osteuropäischen Länder, war es ihnen auf Grund des „Eisernen Vorhangs“ ohnehin nicht möglich. Umso interessanter ist es, dass es in den 1970er Jahren in Bad Gleichenberg zu einem beachtenswert hohen Zustrom von Kurgästen aus Israel kam. Gewisse Kontinuitäten scheinen also geblieben zu sein, einige ehemalige jüdische Besucher kehrten in ihr geliebtes Sommerfrischen-Domizil zurück. Diese Bewegungen blieben allerdings ein kurzes Aufflackern. Aktuelle Statistiken zeigen, dass sich die Zahl der israelischen Gäste wieder verringert hat und im 21. Jahrhundert sich die jährliche Anzahl der Gäste aus dem „Heiligen Land“ an einer Hand abzählen lässt. Ein Grund für den drastischen Rückgang dürfte sein, dass die der Shoa-Überlebenden nachfolgenden Generationen aus Israel keinen direkten Bezug mehr zu Bad Gleichenberg und Österreich haben und deswegen aus nostalgischer Erinnerung motivierte sommerliche Kuraufenthalte ausbleiben. Als Erinnerung an das „vergessene Kapitel Kurgeschichte“ und gleichzeitig als Mahnmal des Zweiten Weltkriegs und der Shoa blieb einzig der kleine, sich mittlerweile in gutem Zustand befindliche, jüdische Friedhof in Trautmannsdorf.

9. Quellen- und Literaturverzeichnis

9.1. Archivquellen

Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Wien

A / VIE / IKG / I-III/ VEREI/ Verein zur Erhaltung eines Israelitischen Hospitales in Gleichenberg / 1 / 1. Quellarchiv: WStLA. Quellsignatur: WStLA, 1.3.2.119.A32, 6124/1924.

Thomas Stoppacher Seite 115 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

A / VIE / IKG / I-III/ VEREI/ Verein zur Erhaltung eines Israelitischen Hospitales in Gleichenberg / 1 / 2. Quellarchiv: OeStA/AdR. Quellsignatur: AT-OeStA/AdR ZNsZ Stiko Wien, 31-D 4.

A / VIE / IKG / I-III/ VEREI/ Verein zur Erhaltung eines Israelitischen Hospitales in Gleichenberg / 1 / 4. Quellarchiv: Grundbuch. Quellsignatur: BG Feldbach, KG Bad Gleichenberg, EZ 191.

A / VIE / IKG / I-III/ VEREI/ Verein zur Erhaltung eines Israelitischen Hospitales in Gleichenberg / 1 / 5. Quellarchiv: IKG-Wien (Vienna Holdings). Quellsignatur: A / VIE / IKG / I-III / LG / Bad Gleichenberg / 1 / 1.

Bestand Jerusalem (Mikrofilm Nr. 1418): A/W 2445.

Bestand Jerusalem (Mikrofilm Nr. 1427): A/W 2446.

Steiermärkisches Landesarchiv

Arisierungsakten: HG 1144 (Földi Berta).

Arisierungsakten: HG 1306 (Hufnagel).

Arisierungsakten: HG 1339 (Rauch).

Arisierungsakten: LG 199 (Israelitisches Hospital).

Arisierungsakten: LG 2130 (Gleichenberger Johannisbrunnen).

Arisierungsakten: LG 2251 (Roda Julius).

Arisierungsakten: LG 2342 (Lanzer Magdalena).

Arisierungsakten: LG I 2333 (Imbermann Jonas).

Thomas Stoppacher Seite 116 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Arisierungsakten: Komm. Verwalter 181 (Roda Julius).

Arisierungsakten: VA 3148, Heft 28 (Roda Julius).

Arisierungsakten: VA 11808, Heft 28 (Roda Olga).

Arisierungsakten: VA 13641, Heft 15 (Imbermann Jonas).

FLD/Arisierungsakten 05300 lfd 333-P8 (Lanzer Magdalena).

FLD L-17 136/1948.

FLD L-17 155/1948.

FLD L-17 201/1948.

LGZRS Graz / Rückstellungskommissionsakten: RK 11/1948.

LGZRS Graz / Rückstellungskommissionsakten: RK 12/1948.

LGZRS Graz / Rückstellungskommissionsakten: RK 13/1948.

LGZRS Graz / Rückstellungskommissionsakten: RK 14/1948.

LGZRS Graz / Rückstellungskommissionsakten: RK 30/1948.

LGZRS Graz / Rückstellungskommissionsakten: RK 79/1951.

L-REG 15 – Be/76 (1947).

L-REG 15 – Ja/1 (1950).

L-REG 15 – Je/29 (1948).

Thomas Stoppacher Seite 117 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

L-REG 15 – La/58 (1946).

L-REG 15 – Ro/11 (1946).

L-REG 15 – Te/15 (1946).

L-REG 15 – Tu/27 (1947).

Privatarchiv Mang (Kopien der Dokumente liegen dem Autor vor)

Eintrag im Fremden-Buch der Freien Erzherzog „Albrechts Warte“. 1907.

Auflistung: Folgende Künstler, Schriftsteller und Andere weilten zu Gastspielen bzw. Kuraufenthalten in Bad Gleichenberg.

Mang, Ria: Bad Gleichenberg, kurzgefasste Abhandlung über das Heilbad (nicht veröffentlicht). Bad Gleichenberg 2010.

Mang, Ria: Gleichenbergs berühmte Gäste und Besucher (nicht veröffentlicht). Bad Gleichenberg 2010.

Mang, Ria: Jüdisches Leben in Bad Gleichenberg. Aus dem Archiv von Willy Rauch. (nicht veröffentlicht).

Rauch, Wilhelm: 150 Jahre Apotheke Bad Gleichenberg (nicht veröffentlicht). Bad Gleichenberg 1993.

Rauch, Wilhelm: Chronik des Kurtheaters (nicht veröffentlicht). 1985.

Rauch, Wilhelm: Schmidt, Joseph (Sänger u. Filmschauspieler). Karteikarte. 1984.

Schluss-Ausweis über die Saison des Jahres 1900 im Curorte Gleichenberg.

Thomas Stoppacher Seite 118 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Verzeichnis der in den Lesesalons des Curhauses aufliegenden Zeitschriften.

Vortragsfolge zu dem Chor- und Solisten- Konzert des Grazer Jüdischen Gesangvereines in Gleichenberg, am 11. August 1935, Konzertsaal des Kurhauses. Beginn 8 Uhr 15 Min. abends. Musikalische Leitung: Kapellmeister Pollak.

9.2. Literatur

Adam, Uwe Dietrich: Judenpolitik im Dritten Reich. Düsseldorf 1972.

Bailer-Galanda, Brigitte: „Ohne den Staat weiter damit zu belasten…“ Bemerkungen zur österreichischen Rückstellungsgesetzgebung. In: Forum Politische Bildung (Hg.): Wieder gut machen? Enteignung, Zwangsarbeit, Entschädigung, Restitution. Österreich 1938-1945 / 1945-1999. Wien 1999. S. 103-112.

Bajohr, Frank: „Unser Hotel ist judenfrei“. Bäder-Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 2003.

Baumgarten, Emanuel: Die Juden in Steiermark. Eine historische Skizze. Wien 1903.

Bettauer, Hugo: Die Stadt ohne Juden. Ein Roman von Übermorgen (= Gesammelte Werke. Band 4). Salzburg 1980.

Bihl, Wolfdieter: Die Juden in der Habsburgermonarchie 1848-1918. In: Schubert, Kurt (Hg.): Zur Geschichte der Juden in den östlichen Ländern der Habsburgermonarchie (Studia Judaica Austriaca, Bd. VIII). S. 5-73.

Binder, Dieter A.: Antisemitismus und Juden. In: Binder, Dieter A. / Reitter, Gudrun / Rütgen, Herbert: Judentum in einer antisemitischen Umwelt. Am Beispiel der Stadt Graz 1918-1938. Graz 1988. S. 1-8.

Thomas Stoppacher Seite 119 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Binder, Dieter A.: Jüdische Steirer – steirische Juden. 1945 bis 2000. In: Lamprecht, Gerald (Hg.): Jüdisches Leben in der Steiermark. Marginalisierung – Auslöschung – Annäherung (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien, Band 5). Innsbruck 2004. S. 223-233.

Bundesdenkmalamt: Jüdische Friedhöfe in Österreich unter Denkmalschutz. In: Kulturabteilung der Steiermärkischen Landesregierung. Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz (Hg.): Jüdische Friedhöfe in Österreich – Aspekte der Erhaltung. Dokumentation einer Expertenkonferenz. Graz 2010. S. 73-126.

Canetti, Elias: Die Fackel im Ohr. Lebensgeschichte 1921-1931. Frankfurt am Main 1982.

Clar, Conrad: Der Curort Gleichenberg in Steiermark. Eine Skizze zur Orientirung für Curgäste. Wien 1886.

Compass. Finanzielles Jahrbuch 1936. Neunundsechzigster Jahrgang. Wien 1936.

Embacher, Helga: Jüdische „Gäste“ im Gasteinertal nach 1945. In: Kriechbaumer, Robert (Hg.): Der Geschmack der Vergänglichkeit. Jüdische Sommerfrische in Salzburg (= Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried- Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 14). Wien / Köln / Weimar 2002. S. 227-247.

Ensbrunner, Georg: Geschichtliches über Bad Gleichenberg und dessen Umgebung. 1934.

Fellner, Günther: Judenfreundlichkeit, Judenfeindlichkeit. Spielarten in einem Fremdenverkehrsland. In: Kriechbaumer, Robert (Hg.): Der Geschmack der Vergänglichkeit. Jüdische Sommerfrische in Salzburg (= Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch- historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 14). Wien / Köln / Weimar 2002. S. 59-126.

Fuksas, Anatol P.: Bad Gleichenberg. Geschichte eines steirischen Heilbades. Graz 1979.

Fuksas, Anatol P.: Bad Gleichenberg. Skizzen der Zeit. Graz 1988.

Thomas Stoppacher Seite 120 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger (Hg.): Neuer Theater-Almanach. Theatergeschichtliches Jahr- und Adressenbuch. Vierundzwanzigster Jahrgang. Berlin 1913.

Gleichenberger und Johannisbrunnen-Aktienverein (Hg.): Betriebsordnung für sämtliche Betriebe des Gleichenberger und Johannisbrunnen-Aktienverein. Graz 1940.

Gleichenberger und Johannisbrunnen-Aktien-Verein (Hg.): Kurort Gleichenberg. Steiermark. 1910.

Grasmug, Rudolf: „Nur für arische Gäste!“ Der Kurort Bad Gleichenberg als Beispiel für den Antisemitismus in der Südoststeiermark. In: Dornig, Wolfram / Grasmug, Rudolf / Wiesflecker, Peter (Hg.): Projekt Hainfeld – Beiträge zur Geschichte von Schloss Hainfeld, der Familie Hammer-Purgstall und der gesellschaftspolitischen Situation der Südoststeiermark im 19. und 20. Jahrhundert. Innsbruck 2010. S. 130-161.

Grasmug, Rudolf: Zur Einstimmung. In: Karrer, Othmar / Praßl, Johann: 50 Jahre Kriegsende in der Südoststeiermark. 1945-1995 (= Schriften aus dem „Museum im Tabor“ Feldbach, Band 2). Feldbach 1995. S. I-V.

Grancy, Antje Senarclens de: Trautmannsdorf. Jüdischer Friedhof für den Kurort Bad Gleichenberg. In: Grosseger, Gertrude Maria / Grancy, Antje Senarclens de Grancy / Sterry, Petra: Bruchstücke. Jüdische Friedhöfe in der Steiermark. Graz 2010. S. 105-109.

Haan, Victoria: Bad Gleichenberg. Von der römischen Heilquelle bis zur Gegenwart. Graz 1999.

Haas, Hanns: Der Traum vom Dazugehören – Juden auf Sommerfrische. In: Kriechbaumer, Robert (Hg.): Der Geschmack der Vergänglichkeit. Jüdische Sommerfrische in Salzburg (= Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried- Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 14). Wien – Köln - Weimar 2002. S. 41-57.

Haberl, Gerhard: Die Kur… eine wichtige Säule im Gesundheitswesen. In: Fremdenverkehrsverein Bad Gleichenberg (Hg.): Bad Gleichenberg. Ein Führer für Kurgäste. Weiz 1984. S. 23-28.

Thomas Stoppacher Seite 121 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Hausmann, Robert F.: Erlebnis Thermenland. Gesundheit, Kultur, Freizeit. Graz 2000.

Hödl, Klaus: Als Bettler in die Leopoldstadt. Galizische Juden auf dem Weg nach Wien. Wien 1994.

Höffinger, Dr. Karl: Der Curort Gleichenberg in Steiermark. Sechste, wesentlich verbesserte und vermehrte Auflage. Wien / Leipzig, 1992.

Hütter, Karl: Quellen und ihre Heilkräfte. Das Wasser und seine religiös-medizinische Bedeutung für die Menschen am Beispiel Maria Fieberbründl und Bad Gleichenberg. Diplomarbeit. Graz 2000.

Jellinek, Adolf: Rede zur Eröffnung des israelitischen Spitals im Curorte Gleichenberg, gehalten am 23. Juni 1884. Wien 1884.

John, Michael: Migration und Multikulturalität in Österreich. Kontinuitäten und Brüche im 19. und 20. Jahrhundert. In: Böhler, Ingrid / Steininger, Rolf (Hg.): Österreichischer Zeitgeschichtetag 1993. 24. bis 27. Mai 1993 in Innsbruck. S. 197-208.

Karner, Stefan: Die Steiermark im „Dritten Reich“ 1938-1945. Unter besonderer Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Graz 1986.

Kernbichler, Thomas: Der Fremdenverkehr in Bad Gleichenberg. Diplomarbeit. Graz 1990.

Kneihs, Benjamin: Die jüdischen Friedhöfe in Österreich. Zuständigkeiten aus völkerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Sicht. In: Kulturabteilung der Steiermärkischen Landesregierung. Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz (Hg.): Jüdische Friedhöfe in Österreich – Aspekte der Erhaltung. Dokumentation einer Expertenkonferenz. Graz 2010. S. 17-31.

Kobrinksy (geb. Rothstein), Sofie: Güssing – Tel Aviv. In: Tschögl, Gert / Tobler, Barbara / Lang, Alfred (Hg.): Vertrieben. Erinnerungen burgenländischer Juden und Jüdinnen. Wien 2004. S. 65-76.

Thomas Stoppacher Seite 122 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Kremshofer, Engelbert: Mutige Steiermark. Ziegenberg 2007.

Kriechbaumer, Robert: Statt eines Vorwortes – „Der Geschmack der Vergänglichkeit…“. In: Kriechbaumer, Robert (Hg.): Der Geschmack der Vergänglichkeit. Jüdische Sommerfrische in Salzburg (= Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr.- Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 14). Wien / Köln / Weimar 2002. S. 7-39.

Lappin, Eleonore: Die Todesmärsche ungarischer Juden durch den Gau Steiermark. In: Lamprecht, Gerald (Hg.): Jüdisches Leben in der Steiermark. Marginalisierung – Auslöschung – Annäherung (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien, Band 5). Innsbruck 2004. S. 263-289.

Lappin, Eleonore: Juden in Wien. In: Museen der Stadt Wien (Hg.): Wir. Zur Geschichte und Gegenwart der Zuwanderung nach Wien. 217. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien. 19. September bis 29. Dezember 1996. Ausstellungskatalog. S. 57-69.

Lamprecht, Gerald: Israelitische Kultusgemeinde in Graz. Wiedereinsetzung in den früheren Stand. In: Stadt Graz (Hg.): Historisches Jahrbuch der Stadt Graz. Band 34/35. Graz 2005. S. 273-302.

Lamprecht, Gerald: Jüdische Friedhöfe in der Steiermark im 19. und 20. Jahrhundert. In: Kulturabteilung der Steiermärkischen Landesregierung. Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz (Hg.): Jüdische Friedhöfe in Österreich – Aspekte der Erhaltung. Dokumentation einer Expertenkonferenz. Graz 2010. S. 49-70.

Lichtblau, Albert: Die Chiffre Sommerfrische als Erinnerungstopos. Der retrospektiv- lebensgeschichtliche Blick. In: Hödl, Sabine / Lappin, Eleonore: Erinnerung als Gegenwart. Jüdische Gedenkkulturen. Berlin / Wien 2000. S. 89 – 128.

List, Eveline: Mutterliebe und Geburtenkontrolle – Zwischen Psychoanalyse und Sozialismus. Die Geschichte der Margarethe Hilferding-Hönigsberg. Wien 2006.

Thomas Stoppacher Seite 123 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Lohrmann, Klaus / Wadl, Wilhelm / Wenninger, Markus: Die Entwicklung des Judenrechts in Österreich und seinen Nachbarländern. In: Lohrmann, Klaus (Hg.): 1000 Jahre Österreichisches Judentum. Ausstellungskatalog (= Studia Judaica Austriaca IX). Eisenstadt 1982. S. 25-53.

Mang, Ria: Gleichenberger Schicksalstage. Spuren des Krieges in Bad Gleichenberg. Graz 2009.

Mang, Ria: …und diesen Erdenwinkel lieb‘ ich. (Peter Rosegger). Graz 2007.

Marin, Bernd: Ein historisch neuartiger „Antisemitismus ohne Antisemiten“?. In: Bunzl, John / Marin, Bernd: Antisemitismus in Österreich. Sozialhistorische und soziologische Studien (= Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit, Band 3). Innsbruck 1983. S. 175-192.

Neubauer, Barbara: Die Erhaltung der jüdischen Friedhöfe in Österreich. Denkmalschutz – Denkmalpflege – Denkmalforschung. In: Kulturabteilung der Steiermärkischen Landesregierung. Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz (Hg.): Jüdische Friedhöfe in Österreich – Aspekte der Erhaltung. Dokumentation einer Expertenkonferenz. Graz 2010. S. 33-38.

Pauley, Bruce: Eine Geschichte des österreichischen Antisemitismus. Von der Ausgrenzung bis zur Auslöschung. Wien 1993.

Praßl, Johann: „Mei Hoamat“ zwischen Raab und Gleichenberg. Mühldorf (Giem) 1988.

Praßl, Johann: Teil I. In: Karrer, Othmar / Praßl, Johann: 50 Jahre Kriegsende in der Südoststeiermark. 1945-1995 (= Schriften aus dem „Museum im Tabor“ Feldbach, Band 2). Feldbach 1995. S. 3-127.

Praßl, Johann: Teil II. In: Grasmug, Rudolf / Praßl, Johann / Schober, Franz Josef: So war es 1938 – 1945. 50 Jahre Kriegsende in der Südoststeiermark (= Schriften aus dem „Museum im Tabor“ Feldbach, Band 3). Feldbach 1996. S. 50-262.

Thomas Stoppacher Seite 124 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Pristavnik, Fritz: Bad Gleichenberg von A-Z. In: Fremdenverkehrsverein Bad Gleichenberg (Hg.): Bad Gleichenberg. Ein Führer für Kurgäste. Weiz 1984. S. 6-22.

Putz, Edeltraud: Bad Gleichenberg. Soziokulturelle Entwicklung von den Anfängen bis 1945. Diplomarbeit. Graz 2005.

Rauch, Wilhelm K.: Bad Gleichenberg und seine Ärzte 1772-1992. Weiz 1993.

Reit(t)er, Gudrun: Die Geschichte der Israelitischen Kultusgemeinde Graz von 1914 bis zur Gegenwart. In: Israelitische Kultusgemeinde für Steiermark, Kärnten und die politischen Bezirke des Burgenlandes Oberwart, Güssing und Jennersdorf (Hg.): Geschichte der Juden in Südost-Österreich. Graz 1988. S. 151-177.

Reitter, Gudrun: Die Grazer Israelitische Kultusgemeinde 1908-1938. In: Binder, Dieter A. / Reitter, Gudrun / Rütgen, Herbert: Judentum in einer antisemitischen Umwelt. Am Beispiel der Stadt Graz 1918-1938. Graz 1988. S. 9-172.

Riegler, Josef: Bad Gleichenberg – ein historischer Überblick. In: Fremdenverkehrsverein Bad Gleichenberg (Hg.): Bad Gleichenberg. Ein Führer für Kurgäste. Weiz 1984. S. 29-57.

Rosenkranz, Herbert: Verfolgung und Selbstbehauptung. Die Juden in Österreich 1938-1945. Wien 1978.

Russ, Gabriele: Noch ist nicht Chanukka! Erkenntnisse im Rahmen eines Symposiums zur Erhaltung der jüdischen Friedhöfe in Österreich und danach. In: Kulturabteilung der Steiermärkischen Landesregierung. Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz (Hg.): Jüdische Friedhöfe in Österreich – Aspekte der Erhaltung. Dokumentation einer Expertenkonferenz. Graz 2010. S. 7-10.

Rütgen, Herbert: Antisemitismus in allen Lagern. Publizistische Dokumente zur Ersten Republik. Österreich 1918-1938. Dissertation. Graz 1989.

Schleich, Johann: Heilende Wasser. Heilbründl, Heilquellen und Thermen in der Oststeiermark. Graz 1997.

Thomas Stoppacher Seite 125 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Schober, Franz Josef: Vom Leben an der Grenze. O Zivlejenju ob Meji. 2. Teil. Aufsätze zur Zeitgeschichte der südoststeirisch-slowenischen Grenzräume (Wissenschaftliche Schriftenreihe des Pavelhauses, Band 13, 2. Teil). Graz 2009.

Sperber, Manes: Die vergebliche Warnung. Als das Vergangene.... Wien 1975.

Staudinger, Eduard: Arisierung sagt viel mehr über die Täter aus. Mehr als über die Opfer (Interview). In: Sotill, Wolfgang: Es gibt nur einen Gott und eine Menschheit. Graz und seine jüdischen Mitbürger. Graz 2001. S. 148-153.

Staudinger, Eduard G.: „Ich bitte die Vermögensverkehrsstelle um baldige Entscheidung“. Aspekte der „Arisierung“ in der Steiermark. In: Lamprecht, Gerald (Hg.): Jüdisches Leben in der Steiermark. Marginalisierung – Auslöschung – Annäherung (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien, Band 5). Innsbruck 2004. S. 209-221.

Triendl-Zadoff, Mirjam: Nächstes Jahr in Marienbad. Gegenwelten jüdischer Kulturen der Moderne. Göttingen 2007.

Uhl, Heidemarie: Nach der Shoah: Jüdische Friedhöfe als Gedächtnisorte. In: Kulturabteilung der Steiermärkischen Landesregierung. Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz (Hg.): Jüdische Friedhöfe in Österreich – Aspekte der Erhaltung. Dokumentation einer Expertenkonferenz. Graz 2010. S. 39-47.

Untersweg, Hans: Mittelsteiermark. IV. Staatsbahnlinie Graz-Fehring. In: Gawalowski, Karl W.: Steiermark. Hand- und Reisebuch. 1. Auflage. Graz 1914. S. 247-400.

Untersweg, Hans: Mittelsteiermark. IV. Bundesbahnlinie Graz-Fehring-Mogersdorf. In: Gawalowski, Karl W.: Steiermark. Hand- und Reisebuch. 2. Auflage. Graz 1926. S. 506-525.

Waitzbauer, Harald: Arnold Schönberg ist in Mattsee unerwünscht. In: Kriechbaumer, Robert (Hg.): Der Geschmack der Vergänglichkeit. Jüdische Sommerfrische in Salzburg (= Schriftenreihe des Forschungsinstituts für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried- Haslauer-Bibliothek, Salzburg. Band 14). Wien / Köln / Weimar 2002. S. 153-173.

Thomas Stoppacher Seite 126 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

9.3. Zeitungsberichte

Bad Gleichenberger Nachrichten (Kopien der Artikel beim Autor): Manes Sperber war zur Kur in Gleichenberg. 1984. Genaues Datum/Ausgabe unbekannt (= Privatarchiv Mang). Rauch, Wilhelm: Von der Villa „Schuch“ zum „Gleichenbergerhof“. Ausgabe Dezember 1989.

Die Wahrheit: Nr. 37-38/1926, Nr. 35/1930, Nr. 31/1934, Nr. 32/1936. Alle Artikel online verfügbar auf: http://www.compactmemory.de/ .

Dr. Blochs Österreichische Wochenschrift. Centralorgan für die gesamten Interessen des Judenthums: Nr. 19/1888. Verfügbar in der Bibliothek der Jüdischen Museums in Wien. Kopie des Artikels beim Autor.

Grazer Israelitischer Gemeindebote: Herzog, David: Sommerfrischen. Ein gutgemeintes Mahnwort an seine Glaubensgenossen. In: Grazer Israelitischer Gemeindebote. 1. Jahrg. Nr. 5-6. Graz 1908. S. 39-40. Nr. 5/1909, Nr. 6/1909, Nr. 5/1910, Nr. 6/1910. In: Sammelband 1. Grazer Israelitischer Gemeindebote 1-3, 1908-1910. Nr. 5/1911, Nr. 6/1911, Nr. 4/1912, Nr. 5/1913. In: Sammelband 2. Grazer Israelitischer Gemeindebote 4-7, 1911-1914. Beide Sammelbände verfügbar in der Universitätsbibliothek Graz / Zweigstelle Hauptbibliothek.

Kleine Zeitung: Spies, Hansjörg: „Jom Kippur für uns alle“. Nr. 286/1987 am 11.12.1987. Kopie des Artikels beim Autor.

Neue Zeit:

Thomas Stoppacher Seite 127 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Roda Roda in Bad Gleichenberg. Eine Apotheke und eine junge alte Dame mit fünfzig roten Westen im Koffer. Datum, weil unleserlich, unbekannt (= Privatarchiv Mang). Kopie des Artikels beim Autor.

9.4. Internetquellen Alle Internetquellen wurden am 5.12.2011 positiv auf ihre Verfügbarkeit geprüft.

„Die Hüter des Schatzes von Bad Gleichenberg“. Online im Internet: http://www.kleinezeitung.at/steiermark/feldbach/bad_gleichenberg/2812717/hueter-des- schatzes-bad-gleichenberg.story .

Fernschreiben von Reinhard Heydrich zur Reichspogromnacht („Reichskristallnacht“). Online im Internet: http://www.ns-archiv.de/verfolgung/pogrom/heydrich.php .

Fuchs, Gerhard: Franz Nabl. Online im Internet: http://www.uni- graz.at/nabl1www/nabl1www-franz_nabl.htm .

Gespräch zwischen Elias Canetti und Alfred Holzinger, ORF-Landesstudio Steiermark 1975, unveröffentlicht. Online im Internet: http://www.kulturservice.steiermark.at/cms/beitrag/10168112/10890155 .

Halbrainer, Heimo / Hainzl, Joachim: „Ersuche um Mitteilung, wie ich zu einem jüdischen Geschäft komme“. In: Korso. Nummer 11/1998. Online im Internet: http://www.korso.at/archive/korso/DStmk/mitteilung.html .

Schleich, Johann: „Sie kamen gerne in den Kurort“. Online im Internet: http://www.kleinezeitung.at/steiermark/feldbach/trautmannsdorf_in_oststeiermark/2839358/k amen-gerne-den-kurort.story .

Wild, Julia Christine: Die Thermen im Dreiländereck Österreich-Ungarn-Slowenien. Die Bedeutung der Thermen für die Regionalentwicklung. Magisterarbeit. Graz 2010. Online im Internet: http://ema2.uni- graz.at:8090/livelinkdav2/nodes/272555/Wild_Julia%20Christine%2029.10.2010.pdf . Thomas Stoppacher Seite 128 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

9.5. Andere Quellen

Tourismusverband Gleichenberg (Rathkolb, Anna M.): Statistik Kategorie 01.01.1999- 31.12.2010. Auflistung der israelischen Kurgäste in diesem Zeitraum. Tourismusverband Gleichenberg (Obere Brunnenstraße 1, 8344 Bad Gleichenberg), 20.06.2011.

Abbildungsverzeichnis

Die Bilder 1, 2, 3, 4, 5, 7 und 8 sind aus dem Privatarchiv Mang.

Die Bilder 6, 9, 10, 11 und 12 sind vom Autor der Arbeit am 1. September 2011 selbst aufgenommene Fotografien.

Thomas Stoppacher Seite 129 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

9.6. Ausschnitte aus Archivquellen

Brief von Olga Roda an den Leiter der Bezirkszweigstellte der Vermögensverwaltung, in dem sie sich über das Verhalten des Verwalters Hubert Satz beschwert: „Mr. Satz benimmt sich derart unmöglich, dass ein Zusammenarbeiten nicht mehr vorstellbar ist. Seit 6 Wochen, seitdem er hier ist, lungert er herum. Anstatt zu arbeiten studiert er die alten Rechnungen, macht sich ein Verzeichnis der Lieferanten da er eine Pacht übernehmen will. Heute machte er mir eine Szene, weil ich mich dagegen wehrte, dass er in die agn.carm.Regia, Zucker geben soll. Der Zucker dient ja nur zur Geschmacksverbesserung. Bekanntlich haben wir so wenig Zucker, dass wir kaum im Winter Syrup für die kleinen Kinder genug haben werden. Er nannte mich einen Betrüger, der über Leichen geht. Er wird eine Eingabe machen, dass ich nicht sobald die Leitung bekomme, da ich nichts verstehe. Übrigens solle ich mich nicht einbilden, dass die Apotheke mir gehört, und er wird dafür sorgen, dass ich hier heraus fliege […]. Als ich ihm fragte, warum er nicht arbeitet, erwiderte er mir, er sei nicht zum arbeiten hergekommen, sondern um mich zu beaufsichtigen. Er forderte die Schlüssel der Apotheke, da ist es leicht möglich dass er mit Prosser zusammenhält, er hat ja auch bei Frau Prosser ein Zimmer gemietet, nachdem das Inspektionszimmer ihm nicht gepasst hat. Er lässt sich von Frau Prosser das Frühstück und die Jause geben, ja sogar die Wäsche waschen. Macht ihnen Medikamente, zahlt erst nach dreimaliger Mahnung (wahrscheinlich aus eigener Tasche). Gestern sagte er mir ich soll nicht so frech sein, wenn ich nicht meine Hintermänner hätte, wäre ich ganz, ganz klein. Den ganzen Tag arbeitet er nichts, ich mache alles allein, er steht herum, stänkert vor dem Publikum, um den Patienten zu imponieren, was für eine Kapazität er ist. Bemerken möchte ich, dass er erst im Jahre 1937 fertig geworden ist und während des Krieges eingerückt war, also scheinbar noch sehr wenig Dienstjahre hat, höchstens 3-4. Nachdem ich bis jetzt, ihm die Inspektion nicht übergeben konnte, da er sich gar nicht auskennt, bestand er heute darauf, von nun an die Inspektion zu machen. Auf meine Frage wer hinuntergehen wird, wenn es läutet, während er essen geht, sagte er, er bringt mir die Schlüssel. Selbstverständlich habe ich erwidert, wer Inspektion hat, muss Zuhause bleiben. Trotzdem ging er nachtmahlen. Also hat er gegen die Vorschrift verstoßen, da er nicht allein arbeitender Apotheker ist und außerdem niemand da ist der ihn holen soll, weil kein Laborant im Haus wohnt. Nach den trüben Erfahrungen mit Eberlin bin ich über die Übergabe der Schlüssel nicht erbaut, umso mehr als er erzählte, dass er Cardiazol, Codein etc. aus Klagenfurt mitgebracht hat, wo er Thomas Stoppacher Seite 130 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte

Leiter einer Naziapotheke vom 1.6.-31.8. war. Das Laborieren will ich ihm schon deshalb nicht überlassen, da er die Stadtapotheke in Bruck pachten wird, und mir durch Prosser sowieso die meisten Rezepte von Papa verschwunden sind. Jetzt will mir Mr. Satz noch den Rest ausholen, er hat mir heute gesagt, er verbietet mir das laborieren, ich verstünde nichts von einer Apotheke, es kommt nicht auf die Jahre an, sondern aufs Können. Den Spir.aromat hat er beanstandet, dass er nicht destilliert ist, ich habe ihm gefragt, ob er nicht weiß, dass 7 Jahre Krieg war und die Apotheke ziemlich ausgeraubt wurde und man vieles nicht bekommt, auch wenig Kohle da ist. Bei der Aufnahme des Inventars, hat er sich bei der Familie Prosser informiert, was Prosser angeschafft hat, aber darüber was während dieser Zeit verschwunden ist, z.B. Platintiegel, Tubenfüll- und Schließmaschiene, teilw. Einricht. Des Magisterzimmers, Bettzeug, Matratzen, Bettwäsche, Apothekenwäsche etc. hat ihn nicht im Mindesten interessiert. Der gleiche Brief geht heute an den Nationalrat Mr. Wölfler in Köflach zu, er ist im Ausschuss für Sanitätswesen des Ministers für Soziale Verwaltung.“ 491

Begründung des Obersten Gerichtshofes zur Aufhebung des Urteils vom Volksgericht Graz gegen Friedrich Prosser: „Dagegen besteht erhebliches Bedenken gegen die Schuldsprüche in der Richtung des §11VG. Und des §6KVG..Den Tatbestand des §11VG findet das Urteil darin, dass der Angeklagte durch den Kauf der Kurapotheke in Gleichenberg unter Ausnützung nationalsozialistischer Maßnahmen eine Handlung aus besonders verwerflicher Gesinnung begangen habe. Im Spruch des Urteils wird hiebei nicht angeführt, dass die Handlung in Verbindung mit seiner Bestätigung für die NSDAP gesetzt wurde; nur in der Begründung wird der Annahme Ausdruck verliehen, dass eine solche Verbindung bestanden habe, ohne dass aber näher erörtert wird, bei welcher Betätigung für die NSDAP der Angeklagte diesen Verkauf getätigt habe. Das Urteil ist offenbar der Meinung, dass schon die Tatsache der Parteimitgliedschaft genüge, um den Zusammenhang zwischen der verwerflichen Handlung und der Betätigung für die Partei herzustellen. Hierin liegt eine unrichtige Anwendung strafgesetzlicher Bestimmungen zu Ungunsten des Angeklagten. Nach §11VG ist nicht jede auf besonders verwerflicher Gesinnung beruhende Handlung eines Illegalen ohne weiteres strafbar, sondern nur solche verwerfliche Handlungen, die aus Anlass der Betätigung für die Partei gesetzt worden sind. Nur dann, wenn die Handlung anlässlich der Ausübung einer Parteifunktion, bei Durchführung eines Auftrages oder einer Aktion der Partei oder zur Durchsetzung oder Förderung von Parteizwecken begangen wurde, kann die Verbindung mit

491 Ro/11. Thomas Stoppacher Seite 131 von 132 Das jüdische Bad Gleichenberg – ein vergessenes Kapitel Kurgeschichte der Betätigung für die Partei im Sinne des §11VG als hergestellt angesehen werden. Wer aber im privaten Verkehr oder zur Erreichung persönlicher Zwecke die Tatsache, dass er Parteimitglied oder Illegaler war, ausgenützt hat, hat sich damit nicht für die Partei betätigt. Im vorliegenden Verfahren sind keine Anhaltspunkte dafür vorgekommen, dass der Angeklagte die sogenannte Arisierung der Apotheke im oben dargelegten Sinn anlässlich einer Betätigung für die NSDAP vorgenommen hat. Jedenfalls fehlen im Urteil des Volksgerichtes Feststellungen in dieser Richtung. Der Schuldspruch wegen Verbrechen nach $11VG war schon daher aus diesen Gründen gemäß §3 des Überprüfungsgesetzes aufzuheben. Der Oberste Gerichtshof hat auch Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Urteil zu Grunde gelegten Tatsachen, aus denen das Volksgericht eine besonders verwerfliche Gesinnung des Angeklagten und die Zufügung eines Schadens am Magister Roda in Ausnützung nationalsozialistischer Maßnahmen gefolgert hat. Der Angeklagte hat sich stets darauf berufen, dass Magister Roda ihm die Apotheke angetragen habe und dass es dessen Wunsch gewesen sein, dass die Apotheke in den Besitz des Angeklagten übergehe…unzureichend ist aber auch die Begründung der Tatsachenfeststellungen hinsichtlich der Schädigung des Magister Roda. Hier geht das Urteil davon aus, dass der vom Angeklagten vereinbarte Kaufpreis unverhältnismäßig niedrig gewesen sei als der Wert der Apotheke zur Zeit des Vertragsabschlusses […], auch die folgenden Ausführungen der Urteilsgründe zur Frage des Wertes der Apotheke und des unverhältnismäßigen Vorteils der Angeklagten müssen Bedenken erregen […]. Es ist also auch hier die Begründung des Urteils unzureichend und zeigt, dass ohne Beiziehung eines Sachverständigen eine verlässliche Feststellung des Wertes der Apotheke für den kritischen Zeitpunkt nicht erreicht werden kann. Diese Feststellung ist aber notwendig, um durch Vergleich der ermittelten Werte mit den seitens des Angeklagten erbrachten Leistungen die Frage beantworten zu können, ob der Verkäufer durch de Angeklagten im Sinne des §6KVG geschädigt worden ist. Es muss daher auch der Schuldspruch wegen Verbrechen nach §6KVG gemäß §3 Überprüfungsgesetzes aufgehoben werden.“ 492

492 Ro/11. Thomas Stoppacher Seite 132 von 132