19. Wahlperiode Plenarprotokoll 19/114

HESSISCHER LANDTAG 31. 08. 2017

114. Sitzung

Wiesbaden, den 31. August 2017

Amtliche Mitteilungen ...... 8027 63. Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend eine Aktuelle Stunde (Gute Arbeit am Frank- Entgegengenommen ...... 8027 furter Flughafen: Hessische Landesregierung Vizepräsident Frank Lortz ...... 8027 muss bei Vergaben Tarifbindung sichern – Solidarität mit den Beschäftigten bei den Bo- denverkehrsdiensten) 61. Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE – Drucks. 19/5193 – ...... 8040 GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde (Fipronil-belastete Eier, Bienensterben und Abgehalten ...... 8048 Artenverlust – Hessens Antwort ist die regio- Janine Wissler ...... 8040 nale, bäuerliche und ökologische Landwirt- Wolfgang Decker ...... 8042 schaft) Frank-Peter Kaufmann ...... 8042 – Drucks. 19/5191 – ...... 8027 Heiko Kasseckert ...... 8043 Abgehalten ...... 8033 Jürgen Lenders ...... 8044 Minister Tarek Al-Wazir ...... 8045 Martina Feldmayer ...... 8027 Hermann Schaus ...... 8047 Jürgen Lenders ...... 8028 Angelika Löber ...... 8029 Kurt Wiegel ...... 8030 64. Antrag der Fraktion der CDU betreffend eine Marjana Schott ...... 8031 Aktuelle Stunde (Hessens Schülerinnen und Ministerin Priska Hinz ...... 8032 Schüler freuen sich: Schon 250.000 Schüler- tickets stärken den ÖPNV und machen Mobi- lität erschwinglich) 62. Antrag der Fraktion der SPD betreffend eine – Drucks. 19/5194 – ...... 8048 Aktuelle Stunde (Nationale Bildungsallianz für Deutschland – Hessen muss mehr in Bil- Abgehalten ...... 8053 dung investieren und darf den Bund nicht an Ulrich Caspar ...... 8048 den Schultoren stehen lassen) Uwe Frankenberger ...... 8049 – Drucks. 19/5192 – ...... 8033 Karin Müller (Kassel) ...... 8050 Abgehalten ...... 8040 Gabriele Faulhaber ...... 8050 Jürgen Lenders ...... 8051 Christoph Degen ...... 8033 Minister Tarek Al-Wazir ...... 8052 Daniel May ...... 8034 Wolfgang Greilich ...... 8036 Hans-Jürgen Irmer ...... 8037 Gabriele Faulhaber ...... 8038 Minister Prof. Dr. R. Alexander Lorz ...... 8039

Ausgegeben am 9. Oktober 2017 Hessischer Landtag, Postfach 3240, 65022 Wiesbaden 8022 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

65. Antrag der Fraktion der FDP betreffend eine 11. Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Lan- Aktuelle Stunde (Klare Absage an Diesel- desregierung für ein Zweites Gesetz zur Än- Fahrverbote – Regierung Bouffier darf Bür- derung des Hessischen Ausführungsgesetzes ger und Unternehmen in , Wiesba- zum Betreuungsrecht den und Darmstadt nicht abhängen – Autoin- – Drucks. 19/5160 zu Drucks. 19/5015 – ...... 8077 dustrie in die Verantwortung nehmen) In zweiter Lesung angenommen: – Drucks. 19/5195 – ...... 8053 Gesetz beschlossen ...... 8081 Abgehalten ...... 8060 Sabine Bächle-Scholz ...... 8077 ...... 8053 Irmgard Klaff-Isselmann ...... 8077 Angela Dorn ...... 8055 René Rock ...... 8078 Tobias Eckert ...... 8056 Gerhard Merz ...... 8078 Janine Wissler ...... 8057 Marjana Schott ...... 8079 Ulrich Caspar ...... 8058 Marcus Bocklet ...... 8080 Ministerin Priska Hinz ...... 8059 Minister Stefan Grüttner ...... 8081

41. Antrag der Fraktionen der CDU und BÜND- 13. Große Anfrage der Abg. Merz, Alex, Decker, NIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Realisie- Di Benedetto, Gnadl, Roth, Dr. Sommer rung einer Machbarkeitsstudie über eine (SPD) und Fraktion betreffend Kinderbe- UNESCO-Biosphärenregion Wiesbaden/ treuung in Hessen Rheingau-Taunus/Mainspitze – Drucks. 19/4881 zu Drucks. 19/3810 – ...... 8081 – Drucks. 19/5162 – ...... 8060 Antwort besprochen ...... 8093 Dem Ausschuss für Umwelt, Klimaschutz, Land- Gerhard Merz ...... 8081, 8085, wirtschaft und Verbraucherschutz überwiesen ...... 8068 8088 Ursula Hammann ...... 8060 Bettina Wiesmann ...... 8083 Jürgen Lenders ...... 8061 René Rock ...... 8085 Marius Weiß ...... 8063 Marcus Bocklet ...... 8086, 8089 Petra Müller-Klepper ...... 8065 Marjana Schott ...... 8089 Marjana Schott ...... 8066 Minister Stefan Grüttner ...... 8091 Ministerin Priska Hinz ...... 8067 14. Große Anfrage der Abg. Hofmann, Grum- 51. Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend bach, Kummer, Waschke, Weiß, Özgüven klares Zeichen gegen Atomwaffen setzen – (SPD) und Fraktion betreffend langwierige friedenspolitisches Engagement und Aufklä- Verfahren in Hessen rung unterstützen – Drucks. 19/4889 zu Drucks. 19/4474 – ...... 8093 – Drucks. 19/5173 – ...... 8068 Antwort besprochen ...... 8100 Abgelehnt ...... 8077 Handan Özgüven ...... 8093 73. Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD be- Dr. Frank Blechschmidt ...... 8095 treffend nukleare Abrüstung in Deutschland Hartmut Honka ...... 8096 – Drucks. 19/5211 – ...... 8068 Dr. Ulrich Wilken ...... 8097 Karin Müller (Kassel) ...... 8098 Abgelehnt ...... 8077 Ministerin Eva Kühne-Hörmann ...... 8099 74. Dringlicher Entschließungsantrag der Frak- tionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE 15. Große Anfrage der Abg. Hofmann, Grum- GRÜNEN betreffend Erhalt des Friedens bach, Kummer, Waschke, Weiß, Özgüven und weltweite atomare Abrüstung (SPD) und Fraktion betreffend Opferschutz – Drucks. 19/5212 – ...... 8068 in Hessen Angenommen ...... 8077 – Drucks. 19/4969 zu Drucks. 19/4417 – ...... 8100 Vizepräsident Frank Lortz ...... 8040 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 Vizepräsidentin Heike Habermann ...... 8053 Jan Schalauske ...... 8068 Daniel May ...... 8070 16. Große Anfrage der Fraktionen der CDU und Stephan Grüger ...... 8071 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Armin Schwarz ...... 8072, 8073 nachhaltige Beschaffung in Hessen Marjana Schott ...... 8073 – Drucks. 19/4981 zu Drucks. 19/4418 – ...... 8100 René Rock ...... 8074 Minister Axel Wintermeyer ...... 8075 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8023

17. Große Anfrage der Abg. Löber, Hofmann, 24. Antrag der Abg. Dr. Sommer, Alex, Decker, Gremmels, Lotz, Müller (Schwalmstadt), Di Benedetto, Gnadl, Merz, Roth (SPD) und Schmitt, Siebel, Warnecke, Dr. Sommer Fraktion betreffend Landespflegeplan für (SPD) und Fraktion betreffend Trinkwasser- Hessen initiieren versorgung in Hessen – Drucks. 19/5020 – ...... 8100 – Drucks. 19/5004 zu Drucks. 19/3931 – ...... 8100 Dem Sozial- und Integrationspolitischen Aus- Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 schuss zur abschließenden Beratung überwiesen ...... 8100

18. Antrag der Fraktion der FDP betreffend neues Verfassungsschutzgesetz unverzüglich 25. Antrag der Abg. Dr. Sommer, Decker, Merz, vorlegen Alex, Di Benedetto, Gnadl, Roth (SPD) und – Drucks. 19/4877 – ...... 8100 Fraktion betreffend Außensprechstunden der Versorgungsverwaltung erhalten Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 – Drucks. 19/5021 – ...... 8100 Dem Sozial- und Integrationspolitischen Aus- 19. Antrag der Abg. Siebel, Gremmels, Löber, schuss zur abschließenden Beratung Lotz, Müller (Schwalmstadt), Schmitt, War- überwiesen ...... 8100 necke (SPD) und Fraktion betreffend Kom- munen beim Wohnungsbau unterstützen – für eine aktive Bodenpolitik und Bewirt- 26. Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- schaftung ausschusses zu dem Antrag der Fraktion der – Drucks. 19/4894 – ...... 8100 FDP betreffend Flüchtlingspaten nicht im Regen stehen lassen Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 – Drucks. 19/4811 zu Drucks. 19/4621 – ...... 8100 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 20. Antrag der Fraktion der FDP betreffend Landeselternvertretung der Kindertagesein- richtungen 27. Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- – Drucks. 19/4896 – ...... 8100 ausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 betreffend Verpflichtungserklärungen für sy- rische Flüchtlinge – Drucks. 19/4833 zu Drucks. 19/4787 – ...... 8100 21. Antrag der Fraktion der FDP betreffend kei- ne EEG-Subventionen für neue Windener- Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 gieanlagen, Klimaschutz günstiger realisie- ren – Drucks. 19/4897 – ...... 8100 28. Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- haltsausschusses zu dem Antrag der Landes- Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 regierung betreffend Entlastung der Landes- regierung wegen der Haushaltsrechnung des Landes Hessen für das Haushaltsjahr 2014 22. Antrag der Fraktion der SPD betreffend Vo- – Drucks. 19/4931 zu Drucks. 19/3716 zu gelgrippe und die Auswirkungen auf die Ras- Drucks. 19/3328 – ...... 8100 segeflügelzucht – Drucks. 19/4918 – ...... 8100 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 29. Große Anfrage der Fraktion der SPD betref- fend Belastungen und Befristungen in der 23. Antrag der Fraktion der FDP betreffend Po- Arbeitswelt Schule lizeipräsenz im Frankfurter Bahnhofsviertel – Drucks. 19/5034 zu Drucks. 19/4415 – ...... 8100 hoch halten – Dealerszene konsequent aus- trocknen Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 – Drucks. 19/4967 – ...... 8100 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 30. Große Anfrage der Fraktion der SPD betref- fend Arbeitslehre als Studien- und Unter- richtsfach – Drucks. 19/5035 zu Drucks. 19/4499 – ...... 8100 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 8024 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

31. Große Anfrage der Fraktion der SPD betref- 39. Antrag der Fraktion der FDP betreffend fend Ziele, Kosten und Effizienz von Ausga- Konflikte bei verkaufsoffenen Sonn- und Fei- ben für Ausbildungsförderung und Ausbil- ertagen beenden – „Runden Tisch Ladenöff- dung aus dem hessischen Landeshaushalt nungszeiten“ einrichten – Drucks. 19/5037 zu Drucks. 19/3861 – ...... 8100 – Drucks. 19/5147 – ...... 8100 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100

32. Große Anfrage der Abg. Alex, Decker, De- 40. Antrag der Fraktion der FDP betreffend Fi- gen, Di Benedetto, Geis, Gnadl, Hartmann, nanzplatz Frankfurt stärken – Einführung Hofmeyer, Merz, Quanz, Roth, Dr. Sommer, der Finanztransaktionssteuer verhindern Yüksel (SPD) und Fraktion betreffend Um- – Drucks. 19/5159 – ...... 8100 setzung des Sprachförderprogramms „Inte- Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 gration durch Abschluss und Anschluss“ (In- teA) in Hessen – Drucks. 19/5100 zu Drucks. 19/4466 – ...... 8100 44. Antrag der Fraktion der FDP betreffend Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 „Redet ihr noch oder digitalisiert ihr schon?“ – E-Government in Hessen endlich voran- bringen 33. Große Anfrage der Abg. Degen, Geis, Hart- – Drucks. 19/5165 – ...... 8100 mann, Hofmeyer, Merz, Quanz, Yüksel Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 (SPD) und Fraktion betreffend Umsetzungs- stand inklusiver Beschulung – Drucks. 19/5106 zu Drucks. 19/4446 – ...... 8100 45. Antrag der Fraktionen der CDU und BÜND- Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 NIS 90/DIE GRÜNEN betreffend innovative Hochschulen in Hessen – Drucks. 19/5167 – ...... 8100 34. Große Anfrage der Abg. Decker, Alex, Di Be- Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 nedetto, Gnadl, Merz, Dr. Sommer, Roth (SPD) und Fraktion betreffend Arbeitsschutz und Mindestlohn – Drucks. 19/5117 zu Drucks. 19/4731 – ...... 8100 46. Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be- Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 treffend Deutschland-Rente bietet überzeu- gendes Altersvorsorge-Konzept in Zeiten des demografischen Wandels 35. Große Anfrage der Abg. Dr. Sommer, Alex, – Drucks. 19/5168 – ...... 8100 Decker, Di Benedetto, Gnadl, Merz, Roth Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 (SPD) und Fraktion betreffend Gesundheits- versorgung in Hessen – Drucks. 19/5119 zu Drucks. 19/3929 – ...... 8100 48. Entschließungsantrag der Fraktionen der Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be- treffend bundesweit vorbildliche Ressourcen- ausstattung der hessischen Schulen sichert 36. Große Anfrage der Abg. Decker, Alex, Di Be- Bildungs- und Zukunftschancen der Schüle- nedetto, Gnadl, Merz, Roth, Dr. Sommer rinnen und Schüler in unserem Land (SPD) und Fraktion betreffend Tarifbindung – Drucks. 19/5170 – ...... 8100 in Hessen Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 – Drucks. 19/5120 zu Drucks. 19/4730 – ...... 8100 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 49. Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend afghanischen Flüchtlingen dauerhaft Aufent- 37. Große Anfrage der Fraktion der FDP betref- halt ermöglichen – Hessen muss vorhandene fend Zukunft der Forstwirtschaft in Hessen rechtliche Spielräume ausschöpfen – Drucks. 19/5137 zu Drucks. 19/4781 – ...... 8100 – Drucks. 19/5171 – ...... 8100 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100

38. Antrag der Fraktion der FDP betreffend Ab- 52. Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend schaffung der Rundfunklizenzpflicht für Altersarmut von Frauen wirksam bekämp- Streamer bei Youtube und Twitch fen – Drucks. 19/5095 – ...... 8100 – Drucks. 19/5174 – ...... 8100 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8025

53. Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- 70. Dringlicher Antrag der Abg. Lotz, Grem- ausschusses zu dem Antrag der Fraktion DIE mels, Löber, Müller (Schwalmstadt), LINKE betreffend keine Abschiebeknäste in Schmitt, Siebel, Warnecke, Grüger (SPD) Hessen – in Aufnahmestrukturen investieren, und Fraktion betreffend Erhalt des Landge- nicht in die Abschiebelogistik stüts Dillenburg – Drucks. 19/5094 zu Drucks. 19/5083 – ...... 8100 – Drucks. 19/5198 – ...... 8100 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 Dem Ausschuss für Umwelt, Klimaschutz, Land- wirtschaft und Verbraucherschutz zur abschlie- ßenden Beratung überwiesen ...... 8100 66. Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- haltsausschusses zu dem Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses zum 31. De- 75. Dringlicher Antrag der SPD betreffend Mo- zember 2016 des Hessischen Rechnungshofs bilitätsberatung für das Landes-Ticket – Drucks. 19/5184 – ...... 8100 – Drucks. 19/5213 – ...... 8100 Von der Tagesordnung abgesetzt ...... 8100 Dem Ausschuss für Wirtschaft, Energie, Ver- kehr und Landesentwicklung zur abschließen- den Beratung überwiesen ...... 8100 Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken ...... 8075

Im Präsidium: Präsident Norbert Kartmann Vizepräsidentin Heike Habermann Vizepräsident Frank Lortz Vizepräsidentin Ursula Hammann Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken Vizepräsident Wolfgang Greilich Auf der Regierungsbank: Ministerpräsident Volker Bouffier Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung Tarek Al-Wazir Minister und Chef der Staatskanzlei Axel Wintermeyer Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Bevollmächtigte des Landes Hessen beim Bund Lucia Puttrich Minister des Innern und für Sport Peter Beuth Minister der Finanzen Dr. Thomas Schäfer Ministerin der Justiz Eva Kühne-Hörmann Kultusminister Prof. Dr. R. Alexander Lorz Minister für Wissenschaft und Kunst Boris Rhein Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Priska Hinz Minister für Soziales und Integration Stefan Grüttner Staatssekretär Michael Bußer Staatssekretär Mark Weinmeister Staatssekretär Mathias Samson Staatssekretär Werner Koch Staatssekretärin Dr. Bernadette Weyland Staatssekretär Thomas Metz Staatssekretär Dr. Manuel Lösel Staatssekretär Staatssekretärin Dr. Beatrix Tappeser Staatssekretär Jo Dreiseitel Staatssekretär Dr. Wolfgang Dippel Abwesende Abgeordnete: Brigitte Hofmeyer Regine Müller (Schwalmstadt) 8026 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8027

(Beginn: 9.01 Uhr) Man hat mir gesagt, er habe aus 60 m Entfernung eine Bo- genlampe reingelassen, um den Kasselern ein bisschen Vizepräsident Frank Lortz: Auftrieb zu geben. Wir sind jedenfalls froh, dass wir dich haben. Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie alle zur 114. Plenarsitzung. Ich stelle die Beschlussfähigkeit fest. (Staatssekretär Mark Weinmeister: Ich bin auch froh!) Zur Tagesordnung. Noch offen sind die Punkte 11, 13 bis 41, 44 bis 46, 48, 49, 51 bis 53, 61 bis 66 und 70. – Du bist auch froh. Dann wollen wir dich auch weiterhin in dieser Mannschaft behalten. – Es konnte gar nicht im Zum Ablauf der Sitzung. Vereinbarungsgemäß tagen wir Einzelnen festgehalten werden, wer jeweils die Tore ge- heute bis 18 Uhr bei einer Mittagspause von einer Stunde. schossen hat. Es waren so viele – 14 : 3. Wie mir mitgeteilt Wir beginnen mit den Anträgen für eine Aktuelle Stunde, wurde, haben wir es in der zweiten Halbzeit dann etwas Tagesordnungspunkte 61 bis 65. Nach § 32 Abs. 6 beträgt langsamer angehen lassen, sonst wären wir noch auf 20 die Aussprache für jeden zulässigen Antrag auf Abhaltung Tore gekommen. einer Aktuellen Stunde fünf Minuten je Fraktion. Nach der Aktuellen Stunde fahren wir mit Tagesordnungspunkt 41 Das war jedenfalls eine ganz tolle Sache. Wir haben jetzt fort. noch ein Spiel, und zwar in Idstein-Niederseelbach. Dort treffen wir auf die Hessenauswahl des Hessischen Behin- Entschuldigt fehlen Frau Staatsministerin Lucia Puttrich derten- und Rehabilitationssportverbandes. Das 14 : 3 von bis 10 Uhr, Frau Abg. Brigitte Hofmeyer wegen Erkran- gestern ist jedenfalls der höchste Sieg unserer Mannschaft kung und Frau Abg. Regine Müller (Schwalmstadt) ganz- aller Zeiten. Das wollen wir mal festhalten. tägig. (Allgemeiner Beifall) Dann habe ich noch etwas zum Fußball vorzutragen. Das war ein historischer Tag. Nochmals Dank an alle, die (Zuruf von der SPD: Jetzt kommt es!) sich da beteiligt haben. Mir fällt immer wieder auf: Seit- Fangen wir an mit den Offenbacher Kickers. Die haben dem Günter Rudolph nicht mehr in vorderster Front bei der gestern Abend fast den Deutschen Meister geschlagen. Sie Mannschaft ist, geht es aufwärts. haben in dem Freundschaftsspiel gegen Bayern München (Günter Rudolph (SPD): Ja, seitdem klappts!) nur 4 : 1 verloren. Wir sind jedoch neutral, und daher wol- len wir an dieser Stelle den Bayern danken, dass sie einem Auch das ist ein gutes Zeichen. Man muss sich zurückneh- hessischen Traditionsverein geholfen haben. men, auch im Fußball, wenn es nicht mehr so gut läuft. (Allgemeiner Beifall) Jetzt wollen wir aber wieder ernsthaft weitermachen. Wir können nunmehr in die Tagesordnung einsteigen. Da dürfen auch Sie klatschen, Herr Kollege Rudolph. Ich rufe Tagesordnungspunkt 61 auf: (Günter Rudolph (SPD): Ich musste kurz meine Bril- le putzen! Ging jetzt nicht!) Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN be- treffend eine Aktuelle Stunde (Fipronil-belastete Eier, Das war jedenfalls eine schöne Sache. Wir sind ja alle mit Bienensterben und Artenverlust – Hessens Antwort ist großer Sympathie für den deutschen Meister ausgestattet. die regionale, bäuerliche und ökologische Landwirt- (Günter Rudolph (SPD): Ja, ja!) schaft) – Drucks. 19/5191 – Manche dürfen es nicht so deutlich zeigen. Der Kollege Das Wort hat Frau Kollegin Feldmayer. Bitte sehr. Bellino ist bekannt als großer Bayern-Fan, und er bekennt sich auch offen dazu. Alle Achtung. Martina Feldmayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann haben wir noch etwas ganz Besonders zu vermelden, nämlich das Spiel unserer Landtagself von gestern Abend. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Masse statt Es war das erste Spiel nach der Sommerpause, und die Klasse, wachsen oder weichen – egal welches Motto man Mannschaft spielte frisch gestärkt gegen die Stadtverord- nimmt, wenn wir in der Landwirtschaftspolitik so agieren, neten aus Kassel. Gegen dieses Team haben wir noch vor dass immer mehr, immer schneller, immer billiger produ- vier Jahren auf dem Hessentag 1 : 3 verloren. Sie werden ziert werden muss, dann geraten wir in eine Sackgasse. es nicht glauben: Wir haben gestern Abend mit 14 : 3 ge- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und wonnen. bei Abgeordneten der CDU) (Allgemeiner Beifall) Die industrielle, hoch spezialisierte Produktion von Nah- Ich muss unserem Coach und Trainer ein herzliches Wort rungsmitteln führt zu Problemen wie einem Verlust an Ar- des Dankes aussprechen. Er hat die Mannschaft großartig ten, dem Bienensterben oder zeitigt Lebensmittelskandale eingestellt. Er kennt ja diese ganzen Kasseler Nachtkappen wie aktuell Fipronil in Eiern. dort. Bei Fipronil in Eiern muss ich sagen: Hier ist, soweit wir (Allgemeine Heiterkeit und Beifall) jetzt wissen, von einem Dienstleistungsunternehmen mit krimineller Energie vorgegangen worden, indem das in der Herzlichen Dank. Hier wird die Wahrheit gesagt. Wir ha- Nutztierhaltung verbotene Mittel Fipronil zur Desinfektion ben nur drei Gegentore bekommen. Ein großes Lob geht einem erlaubten Mittel beigemischt wurde. Wir müssen diesmal an unseren Torwart Mark Weinmeister, die Katze ganz klar feststellen: Fipronil hat in Lebensmitteln nichts aus Nordhessen. verloren. (Allgemeine Heiterkeit) 8028 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- man, wo sie herkommen. Am besten stammen sie aus bäu- wie bei Abgeordneten der CDU, der SPD und der erlicher Landwirtschaft im wortwörtlichen Sinne. LINKEN) Bei Fipronil will ich aber auch sagen: Man ist nie und in Auch hier sind die Landwirte wieder einmal die Leidtra- keiner Produktionsform zu 100 % gefeit vor Betrug und genden; denn diese Lebensmittelskandale führen auch zu schwarzen Schafen. Die Erfahrung zeigt, dass dies eher einem Imageproblem in der Landwirtschaft. In Hessen ha- dort vorkommt, wo Masse statt Klasse produziert wird. ben wir in der Landwirtschaft eine neue Richtung einge- Auch deshalb setzen wir uns für bäuerliche, regionale und schlagen, die die ökologische, ressourcenschonende und ökologische Landwirtschaft in Hessen ein. regionale Landwirtschaft fördert. Landwirtschaft und ge- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und sunde Umwelt bedingen sich gegenseitig. bei Abgeordneten der CDU) (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Meine Damen und Herren, wir alle wissen nicht erst seit bei Abgeordneten der CDU) dem Film „More than Honey“, wie wichtig die Bestäu- Die Landesregierung hat einen Ökoaktionsplan auf den bungsleistung von Bienen ist. Rund 80 % aller Bestäu- Weg gebracht, der bereits Früchte trägt. Seitdem der Öko- bungspflanzen benötigen sie, um Früchte auszubilden. aktionsplan ins Leben gerufen worden ist, sind schon 300 Deshalb hat Hessen eine Bienenkampagne ins Leben geru- neue Ökobetriebe in Hessen hinzukommen. Außerdem ist fen, bei der Imker, Landwirte, Bürgerinnen und Bürger zu- die Fläche, die in Hessen ökologisch bewirtschaftet wird, sammenarbeiten. Nach Auskunft des Hessischen Bauern- um rund 17.000 ha auf 95.000 ha angewachsen. Damit ist verbandes haben sich bereits 150 zusätzliche landwirt- Hessen beim Ökolandbau im Vergleich der Bundesländer schaftliche Betriebe bereit erklärt, Blühstreifen anzulegen. führend. Man sieht, es lohnt sich, in Hessen Biobäuerin (Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) oder Biobauer zu werden. Ich finde, hier sieht man gut, dass ökologische und kon- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und ventionelle Landwirtschaft zusammen gut funktionieren. bei Abgeordneten der CDU) Man kann zusammen etwas auf den Weg bringen, und Im Wetteraukreis als einer Modellregion für den Ökoland- zwar ohne Scheuklappen und ohne ideologischen Hinter- bau sieht man, wie ich finde, besonders gut, dass sich in grund. Hessen in Sachen ökologische und nachhaltige Landwirt- schaft etwas getan hat. Selbst hier in der Wetterau, wo die Böden sehr fruchtbar sind und es daher wenige finanzielle Vizepräsident Frank Lortz: Anreize gibt, ökologisch zu wirtschaften, hat sich etwas Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen. getan. Kampagnen wie „In der Wetterau rennt die Biosau“ oder Umweltarbeit auf Biohöfen, die Vernetzung aller Akteure Martina Feldmayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): vom Erzeuger bis zum Verbraucher und letztlich der Zu- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Wir haben die wachs an Biobetrieben von 37 auf 47 in knapp zwei Jahren Richtung in der Landwirtschaftspolitik geändert; denn es im Wetteraukreis zeigen: Es funktioniert. geht um etwas, nämlich um nicht mehr und nicht weniger (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und als um die Existenz der nachfolgenden Generationen. – bei Abgeordneten der CDU) Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Wenn man es in der Wetterau schafft, wo der Boden so gut (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und ist, dass man angeblich aufpassen muss, wenn man den bei Abgeordneten der CDU) Finger in den Boden steckt, dass er nicht anwächst, wo es sich kaum lohnt, auf Bio umzustellen, kann man zu Recht Vizepräsident Frank Lortz: mit Frank Sinatras – leicht abgewandelter – Liedzeile sa- gen: „If you can make it there, you can make it everywhe- Vielen Dank, Frau Kollegin Feldmayer. – Das Wort hat der re“. Abg. Jürgen Lenders, FDP-Fraktion. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU) Jürgen Lenders (FDP): Die Ökomodellregionen sind also schon jetzt ein Erfolg, Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich finde es wie man beispielhaft am Wetteraukreis sieht. Ich freue schon bemerkenswert, dass die Kollegin die ganze Zeit mich schon auf die Auswertung und auf die Erfahrungen, über die Ökolandwirtschaft und die regionale Landwirt- die für ganz Hessen nützlich sein werden; denn darum geht schaft gesprochen hat, die konventionelle Landwirtschaft es ja bei den Ökomodellregionen. aber gerade einmal mit einem Wort im Abgesang erwähnt Aber auch die Unterstützung und Förderung der regionalen hat. Landwirtschaft in Hessen ist wichtig. Das geschieht unter Meine Damen und Herren, gestern Abend war der Hessi- anderem mit der Marketinggesellschaft „Gutes aus Hes- sche Bauernverband hier zu Besuch. Alle haben sich vor sen“ oder mit dem Biosiegel Hessen. Hier werden Erzeu- die Landwirte gestellt und gesagt, wie wichtig die Land- ger und Verbraucher zusammengebracht. wirtschaft ist. Sie sprachen zwar gerade davon, es solle Gerade in Zeiten von Lebensmittelskandalen wie dem ak- keine Scheuklappen geben, aber Ihre ganze Rede war ge- tuellen betreffend Fipronil in Eiern gibt es eine immens nau von solchen Scheuklappen geprägt. große Nachfrage nach regionalen Produkten; denn da weiß (Beifall bei der FDP – Manfred Pentz (CDU): Das stimmt nun wirklich nicht!) Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8029

Meine Damen und Herren, mit den Fakten hat das leider Messstationen zeigt, teilt der Verein mit: Nein. Es sind wenig zu tun, was Sie hier vorgetragen haben. Fakt ist: In zwei Standorte im Krefelder Naturschutzgebiet Orbroich. – Hessen wächst die Zahl der Imkerinnen und Imker und da- Sie müssen nicht wissen, wo das ist. mit auch die Zahl der Bienenvölker. (Heiterkeit des Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP)) (Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) Ich kann Ihnen nur sagen: Genau da bin ich aufgewachsen. Seit 2009 – also seit der Regierungszeit von Schwarz-Gelb Das ist das Gebiet, aus dem meine Familie kommt. – stieg die Zahl der Bienenvölker in Hessen von 48.000 auf Schauen Sie sich einmal an, wo sich diese zwei Messstel- heute 57.000. Das steht übrigens auf der Homepage Ihrer len befinden. Diese stehen in einem ehemaligen Sumpfge- eigenen Ministerin. Das entspricht einer Steigerung von biet, das trockengelegt worden ist, um Wohnungsbau in fast 19 %. Das ist eine erfreuliche Entwicklung. Im Jahr der Stadt Krefeld zu ermöglichen. Dass dort an zwei Mess- 2009 waren es 48.000 Bienenvölker, im Jahr 2017 sind es stellen festgestellt wird, dass es 80 % weniger Insekten 57.000 Bienenvölker. Angesichts dieser Zahlen von einem gibt, das überrascht niemanden, weil dort Boden gewonnen Bienensterben zu sprechen, ist nichts anderes als Panikma- wurde. che und Alarmpolitik, um Stimmen zu fangen. Wer daraus Alarmismus macht, um zu sagen, 80 % der In- (Beifall bei der FDP) sekten würden vertilgt, der ignoriert die Fakten und will Meine Damen und Herren, nun zum zweiten Punkt, ob- Fake-News verbreiten, um politische Ziele zu erreichen. wohl es eigentlich gar keinen inhaltlichen Zusammenhang gibt. Zur Frage Fipronil. Die GRÜNEN behaupten, die Antwort auf den Einsatz von Insektiziden wäre die Bio- Vizepräsident Frank Lortz: landwirtschaft, die Sie mit Millionenbeträgen subventio- Herr Kollege Lenders, Sie müssen zum Schluss kommen. nieren. Das ist ein Mittel, das dazu dient, Milben und ande- re Insekten zu vernichten, und das ausdrücklich nicht bei Tieren eingesetzt werden darf, die der Lebensmittelproduk- Jürgen Lenders (FDP): tion dienen. Wer das macht, handelt kriminell – nichts an- deres. Wir machen da nicht mit. – Vielen Dank. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Meine Damen und Herren, wir müssen uns fragen, ob die Kontrollketten in der EU wirklich funktioniert haben, ob Vizepräsident Frank Lortz: die Nachverfolgung, welche Mittel eingesetzt worden sind, Vielen Dank, Kollege Lenders. – Das Wort hat Frau Abg. wirklich funktioniert. Löber, SPD-Fraktion. Ich will gerne zugeben, dass man, wenn kriminelle Energie im Spiel ist, dem kaum ausweichen kann. Dennoch ist das kein einzelnes Phänomen gewesen, sondern sehr breit an- Angelika Löber (SPD): gelegt gewesen. Deshalb müssen wir uns fragen, ob die Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Behörden an dieser Stelle wirklich richtig funktioniert ha- Kollegen! Jede Woche glaube ich, es ist schon nicht mehr ben und ob die Kontrollmechanismen funktioniert haben. zu toppen, mehr Skurrilität und Absurdität geht nicht. Lie- Dem sollte man auf jeden Fall nachgehen. be Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE Frau Kollegin, Sie haben gesagt, das Allheilmittel sei die GRÜNEN, Sie überraschen mich in dieser Woche aber er- Ökolandwirtschaft. neut. Mit dem Titel Ihrer Aktuellen Stunde „Fipronil-be- lastete Eier, Bienensterben und Artenverlust – Hessens (Martina Feldmayer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Antwort ist die regionale, bäuerliche und ökologische NEN): Habe ich nicht gesagt!) Landwirtschaft“ bringen Sie Begriffe in eine Reihenfolge Fakt ist: 20 % der Eierchargen, die mit Fipronil belastet und suggerieren sogar noch einen Zusammenhang und und aus dem Handel genommen worden sind, sind Bioeier. nennen das aktuell. Das ist so absurd wie die Regierungs- erklärung in dieser Woche. So viel Unsinn ist nur schwer (Beifall der Abg. Angelika Löber (SPD)) zu ertragen. Jetzt müssen Sie mir einmal erklären, inwiefern der Ver- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der braucher da Sicherheit hat. Sie sehen, das hat überhaupt LINKEN und der FDP – Norbert Schmitt (SPD): nichts mit der Erzeugungsart zu tun, sondern mit kriminel- Rührei!) ler Energie, und dagegen müssen wir vorgehen. Die ersten Einzelfälle von Fipronil waren den niederländi- (Beifall bei der FDP) schen Behörden bereits Ende 2016 bekannt. An die breite Frau Kollegin, am Anfang Ihrer Rede haben Sie die Arten- Öffentlichkeit gelangte der Fipronil-Skandal jedoch erst vielfalt angesprochen. Meine Damen und Herren, es gibt Ende Juli. die Schlagzeile, wonach 80 % der Insekten wegsterben (Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE würden. Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ GRÜNEN)) schreibt: Vielleicht hätten Sie genau hierzu eine Aktuelle Stunde ab- Ein Verein von Hobbyforschern in Krefeld ist der halten sollen, um darzustellen, was Sie für die Verbrauche- wichtigste Zeuge. rinnen und Verbraucher in Hessen getan haben, abgesehen Meine Damen und Herren, ich komme aus Krefeld. Auf von der Erklärung, Hessens Eier seien sicher. die Frage, ob das übertragbar ist, ob sich dies an allen (Beifall bei der SPD – Unruhe) 8030 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

Wie haben Sie sichergestellt, dass belastete Eier nicht in Fragen: Nein. Sie haben bisher weitgehend nicht erkannt, Lebensmitteln weiterverarbeitet wurden und die Produkte welche Maßnahmen für einen wirksamen Schutz der Ho- nicht in Hessen verkauft wurden? Erst seit Mitte August nigbienen dringend ergriffen werden müssen. Es gibt le- werden in Hessen Stichproben – – diglich eine Förderung von Maßnahmen zur Verbesserung der Erzeugung und Vermarktung von Honig in Hessen. (Michael Boddenberg (CDU): Schreien Sie doch Gefördert werden hier nur der Landesverband Hessischer nicht so! – Große Unruhe) Imker, das Institut für Bienenkunde der Goethe-Universität Frankfurt und das Bieneninstitut Kirchhain des Landesbe- Vizepräsident Frank Lortz: triebs Landwirtschaft Hessen, mehr nicht. Sich im Sommer blühende Wiesen anzuschauen, reicht für den Schutz der Meine Damen und Herren! Ich darf Sie um etwas Ruhe bit- Bienen nicht. ten. (Beifall bei der SPD) (Michael Boddenberg (CDU): Die Rednerin schreit so!) In Ihrer Aktuellen Stunde haben Sie als dritten Punkt den Artenverlust angesprochen. Nicht einmal auf den Inter- – Jeder spricht, wie er spricht. Hessens Eier sind sicher, netseiten des Umweltministeriums zum Thema Arten- meine Damen und Herren. schutz kann eine Verbindung zur ökologischen Landwirt- (Heiterkeit) schaft hergestellt werden. Meine Damen und Herren, bitte beruhigen Sie sich wieder. (Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE – Das Wort hat Frau Kollegin Löber. GRÜNEN): Was?) Die Broschüre der Landesregierung mit dem Titel „Stoppt den Artenverlust“ stammt aus dem Oktober 2009 und Angelika Löber (SPD): musste bisher anscheinend nicht aktualisiert werden. Was Erst seit Mitte August werden in Hessen stichprobenartig bedeutet Artenschutz in Hessen? – Fast ausschließlich die auch Lebensmittel auf Rückstände von Fipronil untersucht. Umsetzung und Ausführung rechtlicher Regelungen und Verstärken Sie umgehend die Kontrollen für Lebensmittel, Konventionen im nationalen und internationalen Arten- die Eier enthalten, und veröffentlichen Sie alle Ihnen vor- schutzrecht. Auch hier ohne Scham eine Verbindung zur liegenden Fipronil-Testergebnisse. ökologischen Landwirtschaft zu ziehen, ist beachtlich. Der relativ aktuelle Biodiversitätsbericht weist aus, dass es im Kein Tier, das irgendwann auf dem Teller landet oder zur Bereich der Biodiversität keine Verbesserungen, sondern Gewinnung von Lebensmitteln gehalten wird, darf mit Fi- nur Verschlechterungen gab. Sie können sich gerne die pronil in Berührung kommen. Das wurde bereits im Jahre Presserklärungen der Umweltverbände hierzu anschauen. 2013 – also bevor Sie die Regierungsverantwortung über- nommen haben – durch die Europäische Union beschlos- Die Produktion regionaler Lebensmittel ist von einer nach- sen und diese Substanz in Lebensmitteln verboten. In haltigen oder ökologischen Wirtschaftsführung vollkom- Deutschland sind sogar Pflanzenschutzmittel mit dem men unabhängig. Industrielle Landwirtschaft kann regional Wirkstoff Fipronil nicht erlaubt. sein, ökologische Landwirtschaft kann weltweit exportie- ren. Eine bäuerlich geprägte Landwirtschaft muss nicht au- Fipronil wurde in Niedersachsen in Eiern aus vier Betrie- tomatisch ökologisch oder sozial nachhaltiger sein als an- ben nachgewiesen: in einem ökologisch arbeitenden Be- dere Organisationsformen der Landwirtschaft. trieb, zweimal in Freilandhaltungen und in einer Bodenhal- tung. In Eiern aus Käfighaltungen wurde Fipronil nicht Wo bleibt bei Ihnen die konventionelle Landwirtschaft? nachgewiesen. Auch das zeigt: Ist es nicht eher so, dass Die Verknüpfung nicht zusammenhängender Begriffe zu Hessen manchmal nur Glück hat, dass es keinen Lebens- einer Aktuellen Stunde finde ich fatal – fatal für unser mittelskandal gibt? Fipronil-Eier haben rein gar nichts mit Land und fatal für die gute Arbeit der Landwirtinnen und ökologischer Landwirtschaft oder regional erzeugten Pro- Landwirte, egal, wie die Ausrichtung des jeweiligen Hofes dukten zu tun. ist. Der Landwirt des Jahres 2016 aus Roßdorf in Hessen arbeitet konventionell und nicht ökologisch. Kommen wir zum Thema Bienensterben. Bisher hat sich das Umweltministerium nicht klar für den Schutz der Ho- Zum Schluss bitte ich Sie: Beantragen Sie im nächsten Ple- nigbiene ausgesprochen, num bitte eine Aktuelle Stunde, die es wert ist, so genannt zu werden. (Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was?) (Beifall bei der SPD und der LINKEN) obwohl aufgrund der Zahl dieser Tiere nur die Honigbie- nen die Bestäubung im Frühjahr in der Landwirtschaft ge- Vizepräsident Frank Lortz: währleisten können. Was tut das Ministerium aber konkret zum Schutz der Honigbienen? Vielen Dank, Frau Kollegin Löber. – Das Wort hat der Abg. Kurt Wiegel, CDU-Fraktion. (Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) Kurt Wiegel (CDU): – Das frage ich gerade Sie, Frau Dorn. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! (Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wieder einmal stehen die Bäuerinnen und Bauern am Werden Imker direkt unterstützt? Gibt es Förderprogram- Pranger. Wir haben es schon gehört: 10 Millionen mit Fi- me für Imker? Gibt es einen gesetzlich verankerten Schutz pronil belastete Eier sind erzeugt worden und teilweise lei- für Belegstellen? – Leider lautet die Antwort auf alle diese der auch in den Verkauf gelangt. Ein Teil davon wurde Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8031 wahrscheinlich konsumiert. Zum Glück waren in Hessen Ich will in Hessen vielfältige Strukturen erhalten. Ich kann nur wenige betroffen, was auch daran liegt – Frau Löber, jeden nur bitten: Schenken Sie den Bauern Ihr Vertrauen. hier sind wir unterschiedlicher Meinung –, dass die Unter- Lassen Sie sich nicht erzählen, dass wir Landwirte unsere suchungsämter schnell reagiert, umfassend kontrolliert und Tiere schlecht behandeln, dass wir die Umwelt, das Wasser entschlossen gehandelt haben und die belasteten Eier ent- verseuchen und die Artenvielfalt zerstören. Gehen Sie zu sorgt wurden. den Landwirten in Ihrem Dorf. Alle Kollegen, die ich ken- ne, sind bereit, Besuchern ihren Hof und ihre Methoden zu (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE zeigen. Reden Sie mit diesen Menschen darüber, was sie GRÜNEN) tun, wie sie produzieren, wie sie schützen und welches Wir haben kriminelle Machenschaften Einzelner, die of- Verhältnis sie zu ihren Tieren haben. Dann werden Sie se- fensichtlich gegen geltende Gesetze verstoßen, indem sie hen, dass es egal ist, ob biologisch, ökologisch oder kon- einem zugelassenen biologischen Mittel Fipronil zugesetzt ventionell produziert wird. Unsere Landwirte machen eine und dieses in Hühnerställen eingesetzt haben. Das ist nicht gute und wertvolle Arbeit. Meine Fraktion und die Landes- akzeptabel und wird von den zuständigen Gerichten hof- regierung stehen dazu, sie darin zu unterstützen. fentlich hart sanktioniert. Dazu gehört auch, Berufskollegen in Schutz zu nehmen, Auf diese Weise kam es zu Überschreitungen eines Vor- wenn wegen des Fehlverhalten einzelner Idioten eine gan- sorgewertes. Zum Glück gibt es wohl keine ernsthaften ze Branche einmal wieder belastet ist. Ich werbe dafür, Gesundheitsgefahren oder -schäden; denn die Grenzwerte dass das die Botschaft ist, die dieses Haus heute an die sind sehr niedrig, und die Eier wurden nachvollziehbar aus Menschen in Hessen sendet. – Vielen Dank. dem Verkehr gezogen. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Es ist jedoch ein massiver Schaden entstanden. Er entstand GRÜNEN) für die vielen Tausend Landwirte in unserem Land und überall in Europa, die ordentliche Lebensmittel produzie- ren, die sich an eine unfassbare Vielzahl von Vorschriften Vizepräsident Frank Lortz: und Gesetzen halten, die eine gute Ausbildung haben, sich Vielen Dank, Kollege Kurt Wiegel. – Der Ausdruck „Idio- um ihre Tiere und Felder kümmern, die uns mit guten Le- ten“ ist zwar nicht ganz parlamentarisch, aber in dem Sin- bensmitteln versorgen, unsere Kulturlandschaft erhalten ne angebracht und in Ordnung. und Lebensräume nachhaltig bewirtschaften. (Allgemeine Heiterkeit – Kurt Wiegel (CDU): Ent- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE schuldigung!) GRÜNEN) Es geht weiter mit Frau Kollegin Schott, die das Wort für Die Landwirte müssen sich wieder einmal rechtfertigen. die Fraktion DIE LINKE hat. Sie sehen sich einem Skandal ausgesetzt. Die Menschen haben Angst. Sie fragen sich: Kann ich noch gefahrenlos Eier kaufen und essen? – Ich bin es wirklich leid, dass un- Marjana Schott (DIE LINKE): sere Landwirte unter solchen kriminellen Praktiken leiden müssen. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vor so viel kri- mineller Energie, wie sie bei dem Fipronil-Skandal unter- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE wegs war, ist niemand sicher – dass das immer Idioten GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD) sind, wage ich zu bezweifeln. Aber es gibt natürlich Struk- Deshalb will ich sehr deutlich sagen: Nein, unsere Bauern turen, die solche Kriminalität begünstigen, in denen so et- verkaufen kein verseuchtes und gesundheitsgefährdendes was gedeihen kann: Wirtschaftlichkeitsdruck, Existenz- Essen. Sie sind Garanten für gute, gesunde Lebensmittel. ängste, Gewinnvermehrung und andere. Ich will sehr deutlich sagen: Nein, unsere Bauern sind (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) nicht für das Bienensterben verantwortlich. Sie schaffen Wenn sich aber die GRÜNEN hier für ihre Landwirt- mit freiwilligen Maßnahmen, aktuell im Rahmen des Pro- schaftspolitik loben wollen – das ist der Inhalt dieser Aktu- gramms „Bienenfreundliches Hessen“, zusätzliche Lebens- ellen Stunde –, werden sie sicher Verständnis dafür haben, räume; denn sie wissen, dass die Landwirtschaft ohne na- dass ich mich dieser Lobhudelei wenig anschließen kann; türlich Bestäuber nicht überleben kann. denn es gibt eine Menge offene Baustellen in der hessi- Ich sage sehr deutlich: Nein, unsere Bauern rotten unsere schen Agrarpolitik. Ich möchte ein paar benennen. Tier- und Pflanzenwelt nicht aus. Aber man muss auch sa- Wer möchte, dass Hessen bei der Produktion der Grund- gen: Nur ein gesunder Weizen gibt auch ein gutes, ge- nahrungsmittel weitgehend autark wird, muss auch dafür schmackvolles Brot. Sorge tragen, dass die landwirtschaftlichen Flächen zur Die Landwirte tun sehr viel für den Erhalt von Lebensräu- Verfügung stehen. Besonders bei dem Umstieg auf artge- men. Wir unterstützen das, machen über die Agrarpolitik rechte ökologische Tierhaltung braucht man größere Flä- aber auch Vorschriften, z. B. Greening-Vorgaben. Nahezu chen als bei einer konventionelle Haltung. In Südhessen er- jedes Lerchenfenster, jedes Feldgehölz, jeder Magerrasen, leben wir derzeit aber einen starken Flächenverlust für die jede Streuobstwiese, jeder Blüh- und Pufferstreifen wird Landwirtschaft. Zum Beispiel plant Frankfurt aktuell einen von einem Landwirt angelegt, gepflegt und erhalten – vie- neuen Stadtteil von ca. 500 ha Größe – und das auf den al- les davon freiwillig oder im Rahmen des Vertragsnatur- lerbesten Ackerböden. Wenn der Flächenverbrauch so wei- schutzes. Nicht bewirtschaftete Flächen verbuschen – das terginge, gäbe es nach Berechnungen des Regionalbauern- sollten wir immer im Hinterkopf behalten – und werden verbands Starkenburg in Südhessen in vier Generationen auf der Zeitachse zu Wald. Das ist nicht die Artenvielfalt, keine landwirtschaftlichen Flächen mehr. die ich mir vorstelle. (Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) 8032 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

Die Hessische Landesregierung hat derzeit kein Konzept, Umstellungsprämien. Da liegt Hessen im Ländervergleich diese Flächenverluste zu stoppen. Nicht auf jedes Problem nicht vorn, sondern eher im Mittelfeld. Die Erhöhung der ist die ökologische Landwirtschaft die Antwort. Das Pro- Prämie ist eine der wichtigsten Stellschrauben und eine blem kann nur gelöst werden, wenn man begreift, dass weitere offene Baustelle der Landesregierung. Es gibt noch Verdichtung und Wachstum der Ballungsräume eine Seite viele solcher Baustellen, wie der hohe Wasserverbrauch im der Medaille von Landflucht und Verarmung von Dörfern Rhein-Main-Gebiet und der Einsatz von Glyphosat – ich ist. hasse dieses Wort, weil ich das Zeug nicht mag. Rentabilitätskriterien, wonach die soziale Infrastruktur in Die GRÜNEN stellen in den Bundesländern die Mehrheit ländlichen Regionen bei geringer Nutzung einfach plattge- der Landwirtschaftsministerinnen und -minister. Trotzdem macht wird, wie bei Schulen mit wenigen Kindern oder ist es ihnen bis dato nicht gelungen, die Bundesregierung Krankenhäusern, beschleunigen das Problem. Kultus- und auf ein klares Verbot gegen eine Wiederzulassung dieses Sozialministerium bauen Infrastrukturen ab, während das Biodiversitätsvernichtungsmittels festzulegen, und das, ob- Umweltministerium um die Entwicklung ländlicher Räume wohl sie die Bundesumweltministerin auf ihrer Seite hät- bemüht ist. ten, die hier tatsächlich Stärkung und Unterstützung braucht. (Hermann Schaus (DIE LINKE): Außer in Dillen- burg!) Das sind die Dinge, die wir dringend brauchen. Das sind die offenen Baustellen, die angegangen werden müssen. Eine bessere Abstimmung zwischen den Ministerien wäre Ich glaube, es ist kein Zeitpunkt, sich zu loben, weil man bereits ein Fortschritt. Die Entwicklung ländlicher Räume zufällig – hier muss man wirklich sagen: zufällig – an ei- ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Gesundheitsvorsorge, nem Skandal vorbeigegangen ist. Nehmen Sie Ihre Arbeit Schulen und Kindergärten müssen erhalten und ausgebaut ernst, tun Sie an dieser Stelle wichtige Dinge. werden, ebenso wie der ÖPNV und die Breitbandanbin- dung. Da hilft es auch nicht, im x-ten Jahr darüber zu re- (Beifall bei der LINKEN – Kurt Wiegel (CDU): Tun den, sondern man muss es auch machen – und nicht genau wir!) das Gegenteil davon, so wie wir es dieser Jahre erlebt ha- ben. Vizepräsident Frank Lortz: (Beifall bei der LINKEN – Kurt Wiegel (CDU): Was auch geschieht!) Vielen Dank. – Das Wort hat Frau Staatsministerin Priska Hinz. Bitte sehr. Wer schließt Schulen im ländlichen Raum? Wer schließt Krankenhäuser im ländlichen Raum? Die Wasserrahmenrichtlinie wird nur schleppend umge- Priska Hinz, Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, setzt. Das liegt zum einen natürlich an K+S und an den Landwirtschaft und Verbraucherschutz: fortgesetzt erteilten Genehmigungen. Das liegt aber auch Herr Präsident, meine Damen und Herren! Immer mehr an zu hohen Nährstoffeinträgen in Grund- und Fließgewäs- hessische Bürgerinnen und Bürger legen Wert auf regiona- ser durch die Landwirtschaft. Da brauchen wir uns doch le Lebensmittel und auf ökologisch produzierte Lebensmit- nichts vorzumachen. tel. Sie kaufen im Hofladen, auf dem Wochenmarkt und in Sicher hilft hier der Umstieg auf den ökologischen Land- Bioläden. Aber gerade im Lebensmitteleinzelhandel steigt bau. Aber der findet bisher nur auf 11 % der hessischen die Nachfrage nach regionalen und ökologischen Lebens- Flächen – und nicht auf 50 % – statt. Die konventionelle mitteln stark an – vor allen Dingen im kaufkräftigen Landwirtschaft muss hier also unterstützt werden. Anfang Rhein-Main-Gebiet. Juni ist die neue Düngeverordnung in Kraft getreten. In Das ist eine große Chance für die hessische Landwirt- den vergangenen vier Jahren ist es in Hessen nicht gelun- schaft. Das zeigt auch, dass es Vertrauen in die hessische gen, die Nitratbelastung der Gewässer durch die Landwirt- Landwirtschaft gibt. Es gibt Vertrauen dahin gehend, dass schaft entscheidend zu verringern. die Kundinnen und Kunden wissen wollen, woher die Pro- (Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) dukte stammen. Sie finden es gut, wenn die Transportwege kurz sind. Damit ist die Ware frischer. Außerdem ist das Die von den Düngemittelherstellern unabhängige gewäs- gut für den Klimaschutz. Sie können die landwirtschaftli- serschutzorientierte Beratung zur Unterstützung der Land- chen Betriebe besuchen, aus denen die Produkte stammen. wirtinnen und Landwirte kam zu spät und ist aktuell zu Sie können sich davon überzeugen, wie dort produziert schlecht finanziert. Die Hessische Landesregierung muss wird und wie das Tierwohl gestaltet wird. Sie können mit mehr Geld in die Hand nehmen und die Wasser- und Bo- den Bäuerinnen und den Bauern reden und erfahren auch denverbände bei dieser Arbeit stärker fördern. Nur dann etwas über moderne Landwirtschaft. Das ist richtig so, und können wir in die Zukunft schauen und sehen, dass sich et- das unterstützt die Hessische Landesregierung. was verbessert. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der LINKEN) GRÜNEN) Sie müssen auch mehr Landwirte dazu bringen, auf eine Wir unterstützen auch die Umstellung von landwirtschaft- ökologische Landwirtschaft umzusteigen. Der Ökolandbau lichen Betrieben auf den Ökolandbau sehr erfolgreich. in Hessen konzentriert sich vor allem auf die Grünlandre- 12,5 % der landwirtschaftlichen Flächen sind umgestellt, gion und nicht auf den düngeintensiven Ackerbau. und die Umstellungsberatung ist weiterhin gefragt. Wir Auch um des Klimaschutzes willen müssen wir es errei- werden auch in den nächsten Jahren weitere Umstellungs- chen, dass in Ackerbauregionen verstärkt umgestellt wird. betriebe finanzieren können. Das ist eine gute Botschaft für Das Verhältnis Grünland/Ackerland ist ein Spiegel der all die Bauern, die ihren Betrieb verändern wollen. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8033

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE – Herr Lenders, es geht nicht nur um Honigbienen; es geht GRÜNEN) auch um Wildbienen sowie insgesamt um bestäubende In- sekten. Auch die Förderung von drei Ökomodellregionen ist ein wichtiges Element unseres Ökoaktionsplans. Herr Lenders, (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE vielleicht sollten Sie sich doch einmal erkundigen. In den GRÜNEN) Ökomodellregionen arbeiten die Ökobauern, der Bauern- Die Hälfte der Wildbienenarten ist vom Aussterben be- verband, der Handel und die Kommunen zusammen. Sie droht. Wir haben bereits 1.073 landwirtschaftliche Betrie- schließen Bündnisse, um ökologische und regionale Wert- be, die in den letzten beiden Jahren über unser Förderpro- schöpfung voranzubringen. Meine Damen und Herren, das gramm bereits 1.868 ha Blühstreifen und Blühflächen an- finden wir richtig, und das unterstützen wir. gelegt haben. Über die Bienenkampagne, die vom Imker- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE verband, vom Bauernverband, von der Vereinigung Ökolo- GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Auch in der gischer Landbau und vom Gartenbauverband unterstützt Rhön?) wird, wurden über 100 zusätzliche Blühstreifen angelegt. Auch die Kommunen machen mit. Ich finde, das sollte – Wir unterstützen das in der Rhön, in der Wetterau-Gunst- man nicht schlechtreden. Ich bin dafür, dass alle mitma- lage, in Nordhessen, im Werra-Meißner-Kreis und im chen und wir das hoffentlich weiterhin gemeinsam unter- Landkreis Kassel. stützen. – Herzlichen Dank. Mit der Aktionsgemeinschaft „ECHT HESSISCH“ gehen (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE wir noch einen Schritt weiter: regionale Wertschöpfungs- GRÜNEN – Jürgen Lenders (FDP): Wir haben die ketten vom Bauernhof über die Verarbeitung bis hin zur Aktuelle Stunde doch nicht beantragt! Das war doch Vermarktung, vor allen Dingen auch im Lebensmittelein- Ihr Antrag! – Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen zelhandel, da, wo die meisten Menschen einkaufen gehen. des Präsidenten) Wir wollen, dass regionale und ökologische Produkte ihre Käuferinnen und Käufer finden. Wir bringen diese Struktur jetzt in die Marketinggesell- Vizepräsident Frank Lortz: schaft „Gutes aus Hessen“ ein und werden dort die Regio- Vielen Dank, Frau Ministerin. – Meine Damen und Herren, nalvermarktung für die konventionellen Bauern noch ein- es gibt keine weiteren Wortmeldungen. Das war die Aktu- mal stärken. Das ist das Pfund, mit dem wir in Hessen für elle Stunde zu Tagesordnungspunkt 61. unsere Landwirtschaft wuchern können. Regional und Bio, das ist ein super Team, und das wird von uns gefördert. Ich rufe Tagesordnungspunkt 62 auf: (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Antrag der Fraktion der SPD betreffend eine Aktuelle GRÜNEN) Stunde (Nationale Bildungsallianz für Deutschland – Hessen muss mehr in Bildung investieren und darf den Lebensmittelskandale wie jetzt mit den Fipronil-Eiern las- Bund nicht an den Schultoren stehen lassen) – Drucks. sen sich natürlich nie völlig vermeiden. Kriminelle Energie 19/5192 – lässt sich leider nicht verbieten. (Zuruf von der FDP) Es beginnt unser Kollege Christoph Degen, SPD-Fraktion. Aber natürlich begünstigen große Strukturen solche Ma- chenschaften. Bei den vielen Lebensmittelskandalen kann Christoph Degen (SPD): man durchaus nachverfolgen, warum das so ist. Deswegen Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist den sind wir froh über unsere noch kleinräumige, bäuerliche Sozialdemokraten im Deutschen zu verdanken, Landwirtschaft. Deswegen legen wir auch großen Wert dass das Kooperationsverbot im Hochschulbereich abge- darauf, dass wir diese bäuerliche Landwirtschaft in Hessen schafft und im Schulbereich zumindest aufgebrochen wur- erhalten, und dahin geht unsere gesamte Anstrengung. de. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD) GRÜNEN) Ohne diese SPD-Initiative, übrigens gegen den Widerstand Qualität statt Quantität, und dabei das wirtschaftliche Aus- der CDU, würde es jetzt keine 3,5 Milliarden € für ein kommen zu haben, das ist für die Landwirtschaft ja das Schulbausanierungsprogramm für zumindest einige Schul- Wichtigste, setzt solchen Großstrukturen etwas entgegen. träger geben. Ohne diese Initiative würde es auch „KIP Das ist uns besonders wichtig. Zum wirtschaftlichen Aus- macht Schule“ in Hessen nicht geben, weil es vor allem kommen gehört auch, das sage ich immer und überall, dass Bundesgeld ist, das dort ausgegeben wird. die Verbraucherinnen und Verbraucher auch faire Preise zahlen. Die Bauern müssen von ihrer Hände Arbeit leben (Beifall bei der SPD) können. Ich hoffe auch, dass wir hierzu möglichst bald mit einer (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE zweiten Lesung rechnen können, damit die Schulträger in GRÜNEN) Hessen bald Planungssicherheit haben. Das aktuelle Schulmodernisierungsprogramm des Bundes kann aber nur Meine Damen und Herren, die bäuerliche Landwirtschaft, ein erster Schritt sein. Der Investitionsstau an unseren die die Ökologie und das Tierwohl im Blick hat, wächst in Schulen ist viel größer. Im Kern aber besteht das Koopera- Hessen. Dazu gehört auch, den Lebensraum von bestäu- tionsverbot weiter und behindert weiter gehende Maßnah- benden Insekten zu erhalten. men. (Zuruf des Abg. Jürgen Lenders (FDP)) (Beifall bei der SPD) 8034 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

Mit dem Kooperationsverbot wird Bildungsungerechtigkeit (Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Armin zementiert. Bildungschancen hängen in Deutschland ohne- Schwarz (CDU)) hin von zu vielen Faktoren ab, die nichts mit dem Können Die Schülerzahlen wachsen. Wir werden in den nächsten und Wollen der Kinder und Schülerinnen und Schüler zu Jahren neue Schulen und viele neue Lehrkräfte benötigen. tun haben. Der Bildungserfolg hängt viel zu sehr vom Ein- Deshalb wollen wir einen kooperativen Föderalismus. An- kommen der Eltern und leider auch vom Wohnort ab. statt eines Verbots, das es dem Bund und den Ländern, von (Beifall bei der SPD) ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, verbietet, im Schul- bereich zu kooperieren, wollen wir eine nationale Bil- Wir Sozialdemokraten bekennen uns ganz ausdrücklich dungsallianz, bestehend aus Bund, Ländern und Kommu- zum Föderalismus in der schulischen Bildung. Wir wollen nen. Wir würden es sehr begrüßen, wenn der Bund im aber einen kooperativen Bildungsföderalismus. Der Bund Rahmen einer solchen Allianz in den nächsten Jahren 12 soll ermöglichen können, ohne zu verordnen. Milliarden € für bessere Schulen bereitstellen könnte. (Beifall bei der SPD) Es geht bei einer nationalen Bildungsallianz aber nicht Auch beim aktuellen Schulmodernisierungsprogramm bloß um Geld. Es geht auch um vergleichbare Schulab- scheint mir niemand unsere Landesregierung gezwungen schlüsse, um gemeinsame Standards und um mehr gemein- zu haben – korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre –, das same Leistungsmaßstäbe. Mit unserer Forderung stehen Bundesgeld zu nehmen. Wer aber den Föderalismus be- wir nicht ganz allein. Auch die GRÜNEN fordern in ihrem wahren will, muss auch seine Akzeptanz bewahren, und Wahlprogramm zur Bundestagswahl die Abschaffung des dazu muss der Föderalismus in Deutschland zukunftsfähig Kooperationsverbots. Auch die hessischen GRÜNEN ver- ausgestaltet sein. sprachen schon in ihrem letzten Wahlprogramm, dass sie sich für die Abschaffung des Kooperationsverbots einset- (Beifall bei der SPD) zen. In Rheinland-Pfalz ist das gelungen. Dort gibt es eine Deswegen müssen wir ihn so verändern, dass ihn die Men- Koalition aus SPD, GRÜNEN und FDP, die in ihrem Ko- schen in unserem Land mittragen und gut finden. Wir dür- alitionsvertrag vereinbart haben, dass sie das als Bundes- fen nicht stehen bleiben und uns abschotten, wir müssen ratsinitiative entsprechend einbringen wollen. uns weiterentwickeln – gerade innerhalb der Bundesrepu- Meine Damen und Herren, wir befinden uns an einem blik. Wendepunkt. Wir brauchen eine Wende hin zu Wachstum Die Welt verändert sich; die Mobilität der Menschen ver- in der Bildung. Hierfür brauchen wir mehr Mittel. Eine de- ändert sich; die Ansprüche der Menschen, mobil zu sein, mografische Rendite wird es nicht mehr geben. Wer im 21. nehmen beständig zu. Viele Menschen verstehen diese er- Jahrhundert Zusammenarbeit aus Angst verbietet, hat die zwungene komplette Abschottung der einzelnen Länder Zeichen der Zeit nicht verstanden. – Vielen Dank für Ihre nicht mehr. Sie verstehen nicht, warum Bund und Länder Aufmerksamkeit. nicht kooperieren dürfen und jedes Land sein eigenes (Beifall bei der SPD) Süppchen kocht. Gleichzeitig verändern sich auch die Standards für moder- ne Schulen beständig. Die Digitalisierung ist hierfür ein Vizepräsident Frank Lortz: Beispiel; die Ausstattung mit Maschinen an beruflichen Vielen Dank, Herr Kollege Christoph Degen. – Das Wort Schulen ist ein anderes. Die Vielfalt in den Klassen steigt. hat Abg. Daniel May, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Die Lehrerinnen und Lehrer stehen ständig vor neuen Her- ausforderungen. Wir brauchen echte Schulsozialarbeit und mehr Ganztagsschulen. Meine Damen und Herren, wir Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wissen sehr genau, es würde viele Anträge mehr geben in Bezug auf die Ganztagsprofile 2 und 3, wenn die Schulträ- Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kolle- ger auch in der Lage wären, die Schulen entsprechend aus- gen! Die SPD hat gesagt, Hessen dürfe den Bund nicht vor zustatten und auf baulicher Seite den Investitionsbedarf an- den Schultoren stehen lassen. – Leider hat es Herr Kollege zugehen. Degen versäumt, zu erklären, was denn überhaupt vor den Schultoren steht. Wenn Sie Ihre Rede damit beginnen, was (Beifall bei der SPD) die SPD auf Bundesebene angeblich schon alles Segensrei- Wer den Ganztagsschulausbau will, der braucht auch die ches erreicht hätte, dann fehlt so ein bisschen der Problem- nötigen Investitionen, anstatt Mutterglück am Herd zu för- aufriss. dern. Ich glaube auch nicht, dass wir uns von der SPD-Fraktion (Beifall bei der SPD – Armin Schwarz (CDU): Was im Hessischen Landtag Ratschläge geben lassen müssen, haben Sie denn gegen Mutterglück?) was erfolgreiche Schulpolitik angeht. Wir bestreiten hier eine ziemlich erfolgreiche Schulpolitik, die sich sehen las- Bildungsgebühren sind Bildungsbarrieren. sen kann. (Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und ten) der CDU – Norbert Schmitt (SPD): Deswegen öffnet man überall die Tür! – Weitere Zurufe von der SPD) Das sieht man an Ihrem Beispiel der angeblichen Abschaf- fung der Kitagebühren, nämlich nur bis mittags. Bildungs- Herr Kollege Degen, ich frage Sie: Wo gibt es denn sonst gebühren sind Bildungsbarrieren und gehören abgeschafft noch in Deutschland eine 105-prozentige Lehrerversor- – in der Kita, in der Ganztagsschule und in der Ausbil- gung? Wo gibt es denn sonst zusätzlich zu einer 105-pro- dung. zentigen Lehrerversorgung noch 540 Stellen als Zulage Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8035

über den Sozialindex, damit Schulen mit besonderen Her- Vizepräsident Frank Lortz: ausforderungen gestärkt werden? Meine Damen und Herren, beruhigen Sie sich, machen Sie (Hermann Schaus (DIE LINKE): Gilt das auch für ein paar Übungen, dann geht es wieder. – Herr Kollege die Grundschulen? – Anhaltende Zurufe von der May hat das Wort. SPD – Glockenzeichen des Präsidenten) Wo gibt es denn dazu noch viele weitere Stellen für die Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deutschförderung, für die Integration, für die Inklusion, für die Ganztagsbetreuung, wo gibt es das denn noch in der Vielen Dank, Herr Präsident. – Tatsache ist aber auch, dass Art und Weise, wie wir das in Hessen haben? Über 3.500 die SPD in dieser Frage, was das Kooperationsverbot im neue Stellen in dieser Wahlperiode, wo gibt es das denn Schulbereich angeht, in den letzten Jahren überschaubare sonst noch? Aktivitäten hingelegt hat. Von daher kann man schon die Frage stellen, wie glaubwürdig dieses Engagement ist. Ich (Hermann Schaus (DIE LINKE): 105 % Lehrerver- will Ihnen aber zugestehen, dass die Koalitionsfraktionen sorgung in Grundschulen, stimmt das? – Zurufe der in der Frage der Ausgestaltung des Kooperationsverbots im Abg. Christoph Degen und Norbert Schmitt (SPD) – Rahmen des Art. 91b in diesem Hause unterschiedliche Glockenzeichen des Präsidenten) Meinungen haben. Herr Degen, wenn Sie das beantworten würden, dann wür- (Demonstrativer Beifall der Abg. Nancy Faeser den Sie feststellen, dass die meisten Länder sehr neidisch (SPD) – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist auf die Situation in Hessen schauen. fast schon ein Anflug von Selbstständigkeit!) (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Das haben wir allerdings auch schon in einigen Debatten der CDU) vorher festgestellt. Von daher ist der Neuigkeitsgehalt rela- Jenseits der Schulpolitik haben wir in der Bildung, nämlich tiv gering. Ich will auch ganz klar sagen: Wenn der Bund im Bereich der Weiterbildung, mit dem Pakt für die Wei- in der nächsten Wahlperiode auf die Idee käme und etwas terbildung Rekordausgaben auf den Weg gebracht. Wir ha- Konkretes vorlegen würde, würden wir uns mit dem ge- ben einen Rekordhochschulpakt mit 9 Milliarden € abge- nauso auseinandersetzen, wie wir das mit den anderen schlossen. Dieser Pakt findet auch bundesweit Beachtung. Bundesprogrammen, die Sie erwähnt haben, Herr Kollege Ich zitiere aus der Berichterstattung zum letzten „Bildungs- Degen, auch tun. Dann würden wir uns ganz genau an- monitor“ der deutschen Wirtschaft: schauen, was von uns gefordert und was angeboten wird. (Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD)) Eines will ich aber noch ganz klar sagen, weil Sie auch drum herumgeeiert haben: Was wir nicht wollen, ist, dass Bei dem Anteil der Investitionsausgaben an den Ge- aus Bildungsmillionen oder Bildungsmilliarden ein Bun- samtausgaben für die Hochschulen erreicht Hessen desbildungsminister oder ein Bundesschulminister wird mit 18,8 % sogar den besten Wert aller Bundeslän- und versucht wird, von aus in unsere Kultushoheit der. der Länder einzugreifen. Da machen wir nicht mit. (Heike Habermann (SPD): Kooperationsverbot!) (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Das zeigt, Bildungspolitik hat bei uns in allen Bereichen der CDU) Vorfahrt. Wir GRÜNE sagen Ja zur Beteiligung des Bundes in Form (Nancy Faeser (SPD): Was heißt das jetzt?) von Geld. Aber wir sagen Nein zum Bundesschulminister. Da ist für uns die Grenze. Diese Grenze müssten Sie erst Jetzt haben Sie über das Kooperationsverbot gesprochen. einmal bei der SPD auf Bundesebene ziehen. Es gibt eine sehr wolkige Ankündigung des Kanzlerkandi- daten Schulz, die nicht weiter ausgestaltet ist. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU) (Thorsten Schäfer-Gümbel und Nancy Faeser (SPD): Die GRÜNEN auf Bundesebene haben das aus- Die Aktuelle Stunde der SPD war der erfolglose Versuch, drücklich begrüßt! – Norbert Schmitt (SPD): Das den Bundestagswahlkampf der SPD zu unterstützen. waren auch die Bundes-GRÜNEN! – Heiterkeit bei (Heike Habermann (SPD): Vielleicht fällt Ihnen der SPD und der LINKEN) auch noch etwas ein!) Die Bundes-GRÜNEN haben dazu geäußert, dass wir uns Sie haben allerdings nicht deutlich gemacht, was Sie errei- erst einmal wundern, dass die SPD über vier Jahre lang chen wollen. Wir sind gerne bereit, uns mit dem Bund dar- wenig in diesem Bereich auf den Weg bringt und dann vier über zu unterhalten, wenn etwas Konkretes vorliegt. Bis Wochen vor der Bundestagswahl damit um die Ecke dahin verweisen wir auf die Erfolge bei uns in Hessen. Un- kommt. sere Erfolge in der Bildungs- und Schulpolitik können sich (Gerhard Merz (SPD): Vier Wochen vor der Wahl bundesweit messen lassen. Die meisten Länder schauen ist besser als gar nicht! – Weitere Zurufe von der neidisch darauf. Von daher brauchen wir keine Ratschläge SPD) von Ihnen. – Vielen Dank. Ich scheue mich gar nicht, zu sagen, dass in der Ausgestal- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und tung – – der CDU – Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD)) (Anhaltende Unruhe) 8036 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

Vizepräsident Frank Lortz: Einzelstaatliche Zuständigkeit verhindert, dass der gleiche, aber falsche Weg überall beschritten wird. Vielen Dank, Herr Kollege May. – Das Wort hat Herr Abg. Darin liegt das Fehlervermeidungspotenzial des Bil- Wolfgang Greilich, FDP-Fraktion. dungsföderalismus. Genau das ist der Punkt: Wir wollen nicht Bremer, Berli- Wolfgang Greilich (FDP): ner und andere Fehler in Hessen. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der Wenn man sich den bisherigen Verlauf des Vormittags und CDU) die gerade gehaltene Rede des Kollegen May anhört, dann hat man den Eindruck, als gehe es heute um Eier und Geei- Der zweite Satz, der es auch ganz genau auf den Punkt er und Eiertänze. In der Sache ist es lohnend, sich mit dem bringt, da wird es für die Sozialdemokraten ganz besonders auseinanderzusetzen, was die SPD-Fraktion auf die Tages- spannend: ordnung gesetzt hat. Die gemeinsame Verantwortung von Bund und Län- (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD) dern hatten wir bis 2006 – – Vielen Dank für den Beifall, insbesondere aus der sozial- – daran erinnern wir uns noch – demokratischen Fraktion. Mal sehen, ob das so bleibt. wer die Meinung vertritt, damals sei es der Bildung (Zuruf von der FDP: Es waren aber nur zwei!) oder den Schulen besser gegangen oder sei die Bil- dungsgerechtigkeit größer gewesen, hat die Fakten Nationale Bildungsallianz. Sie haben den Auftrag aus dem gegen sich. Willy-Brandt-Haus aufgenommen: Tragen Sie unser Wahl- kampfthema in den Hessischen Landtag. – Dann haben Sie Da sind wir uns hoffentlich einig. Dann kommt der ent- dahinter geschrieben: „Hessen muss mehr in Bildung in- scheidende Satz: vestieren und darf den Bund nicht an den Schultoren ste- Nicht zufällig hat mit Klaus von Dohnanyi ein erfah- hen lassen“. – Hessen muss mehr in Bildung investieren, rener früherer Bundesbildungsminister vor der daran mache ich einfach einmal einen Haken, das haben Rückkehr zu dieser Regelung gewarnt. wir gestern schon ausgiebig diskutiert. (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU (Beifall der Abg. Nancy Faeser (SPD)) – Norbert Schmitt (SPD): Wovor Dohnanyi alles ge- Frau Kollegin Faeser, dann bleibt die Frage, was Sie ei- warnt hat!) gentlich damit meinen, dass der Bund nicht an den Schul- Ich muss Ihnen nicht erläutern, in welcher Partei Herr von toren stehen bleiben darf. Da lese ich dann in der Tat: Dohnanyi Mitglied ist. Ein Freier Demokrat war er nie, (Nancy Faeser (SPD): Kein Kooperationsverbot!) vielleicht wird er es noch, es sind ja schon andere Sozial- demokraten im höheren Alter zu einer besseren Erkenntnis Der Bund darf nicht mehr vor den Schultoren stehen gekommen. bleiben müssen, und gute Ideen an einem Ort sollen schneller übertragen und für alle Kinder und Jugend- Worum es Ihnen geht, wird deutlich und wurde auch von lichen erreichbar sein können. Herrn Degen entsprechend deutlich gesagt: Sie wollen das Kooperationsverbot abschaffen. – Okay, das nehmen wir Das bedeutet, es geht offensichtlich nicht nur ums Geld. Es zur Kenntnis, aber wir sagen Ihnen genauso deutlich: Das geht auch um die Inhalte. Das, was dahinter steckt, ist der wollen wir nicht. Denn ich habe mir aus Ihrer Pressemel- Wunsch nach einer Vereinheitlichung unseres Bildungs- dung notiert, was Sie als Begründung anführen, Herr Kol- systems, nach der Vereinheitlichung unseres Bildungswe- lege Degen: sens. Da sage ich relativ eindeutig, da bin ich auch mit dem Kollegen May einer Meinung: Herr Kollege Schäfer-Güm- In diesem Kooperationsverbot manifestiert sich der bel, wir brauchen keinen Bundeskultusminister. Egoismus der Länder, die offensichtlich befürchten, dass der Bund sich in die Schulpolitik einmischt, (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das wollen wir wenn er sich in diesem Bereich unmittelbar finanzi- auch nicht!) ell engagiert. Wir wollen nicht, dass im hessischen Schulsystem die glei- (Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD)) chen Fehler gemacht werden wie in Bremen, wie in Berlin und wie in anderen Bundesländern, die ganz hinten in der Meine sehr geehrten Damen und Herren, was ist denn das Skala stehen. für ein Selbstverständnis für einen gewählten Landespoli- tiker, für einen Vertreter eines Bundeslandes? Welches (Nancy Faeser (SPD): Wie in Bayern!) Verhältnis haben Sie eigentlich zum Föderalismus? Herr Kultusminister, wir hatten gestern die eine oder ande- (Beifall bei der FDP – Norbert Schmitt (SPD): So re unterschiedliche Auffassung. Ich habe mir einen Artikel war es auch bei Koch!) von Ihnen sehr gut aufgehoben, den ich hervorragend fin- de, aus dem ich zitieren möchte. Ich möchte mich nicht mit Es geht nicht um die Frage, wo die Zuständigkeiten im Fö- fremden Federn schmücken, das stand aber über dem Arti- deralismus verortet sind. kel aus der „FAZ“ vom 6. Oktober 2016: „Zentralisiert (Norbert Schmitt (SPD): So war es bei Koch!) nicht die Bildungspolitik!“ Darin stehen zwei Sätze, die diese Debatte sehr gut beschreiben. Der erste ist die Fest- Herr Kollege Schmitt, es geht um eines ganz besonders, stellung, die insbesondere die Sozialdemokraten sehr ge- Sie beschäftigen sich damit doch immer wieder: Es geht nau zur Kenntnis nehmen sollten: ausschließlich ums Geld. Darin sollten wir uns einig sein. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8037

Wir Freie Demokraten wollen die Ausgaben für Bildung so Sie sagen: Wo es Sinn macht, muss der Bund helfen, Bil- erhöhen, dass Deutschland, gemessen am Staatshaushalt, dung besser zu machen. – Da ist der Heilsbringer Sankt zu den führenden fünf Ländern der OECD-Staaten zählt. Martin. Alle haben auf ihn gewartet. Die Kultusminister Dazu müssen wir uns erheblich anstrengen. Wenn Sie zur sind offensichtlich unfähig, die Probleme zu lösen. Alles Kenntnis nehmen, dass wir in Deutschland – Herr Präsi- wartet auf Martin aus Würselen. dent, ich komme zum Ende – das Siebenfache an finanziel- Das ist eine Ohrfeige für alle Kultusminister der Sozialde- lem Volumen in die Reparaturwerkstatt des Sozialbereichs mokratie. Was bedeutet denn eigentlich, wie Sie es formu- stecken, das Siebenfache von dem, was wir in den Schul- lieren, „Bildung besser machen“? Wer definiert eigentlich, bereich stecken, dann wissen wir, wo die Baustelle ist. was besser ist? Sind es diejenigen, die für Nivellierung Ein Prozentpunkt aus der Umsatzsteuer an die Länder, und sind, für Leistungsabbau und Einheitslehrpläne? Der liebe alle Probleme, die Sie mit einem Angriff auf den Födera- Gott und der Wähler mögen verhüten, dass das am 24. lismus beantworten wollen, sind gelöst. Lassen wir uns September passiert. nicht aufs Glatteis führen. (Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Norbert (Beifall bei der FDP) Schmitt (SPD)) Wir brauchen keinen Bundeskultusminister. Wir brauchen In der Zeitung „Die Welt“ war am 29.08. ein Kommentar die Kohle. Das ist der entscheidende Punkt. zu lesen: (Beifall bei der FDP) Die „Nationale Bildungsallianz“ der SPD ist ein Of- fenbarungseid. Vizepräsident Frank Lortz: Der Kommentator hat recht. Vielen Dank, Kollege Greilich. – Das Wort hat der Abg. Erstens. 2006 haben Sie die strikte Trennung der Kompe- Jürgen Irmer für die CDU-Fraktion. tenzen zwischen Bund und Ländern mit beschlossen. (Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD) – Lachen bei der SPD – Glockenzeichen des Präsidenten) Hans-Jürgen Irmer (CDU): Zweitens. Hätten wir den Föderalismus nicht, hätten wir Höchstverehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! seit den Siebzigerjahren integrierte Gesamtschulen flä- Wenn Sozialdemokraten versprechen, dass sie sich um die chendeckend. Bildungspolitik kümmern wollen, fassen das viele Men- schen als Drohung auf. Drittens. Sie hätten in der zweiten Großen Koalition ent- sprechende Unternehmungen machen können. Sie hatten (Beifall des Abg. Holger Bellino (CDU)) Regierungsbeteiligungen in zwölf Ländern. Sie haben es Ausgerechnet die Partei, die wie in Nordrhein-Westfalen nicht gemacht. Sie blasen jetzt vier Wochen vor der Wahl und Schleswig-Holstein aktuell unter anderem wegen ihrer einen roten Luftballon auf, wohl wissend, dass er bereits Schulpolitik abgewählt worden ist, die innerdeutsche Leis- geplatzt ist, weil Sie eine Zweidrittelmehrheit im Bundes- tungsvergleiche seit 2009 ablehnt – und sie weiß genau, rat und Bundestag benötigen. warum: weil all die Bundesländer, in denen sie lange Ver- (Beifall bei der CDU – Lachen bei der SPD) antwortung trägt, Schlusslicht im Leistungsranking sind –, diese Partei will die Bildungsnation auf Trab bringen. Das Viertens. Was sagt der Kanzlerkandidat der SPD dazu? – ist ein Treppenwitz der Geschichte. „Wir werden die nationale Bildungsallianz auf den Weg bringen, egal wie.“ Was hat denn dieser Herr eigentlich für (Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf der Abg. ein Rechtsverständnis, wenn er sagt: „Wir werden die na- Nancy Faeser (SPD)) tionale Bildungsallianz auf den Weg bringen, egal wie“? – Sie holen wieder den alten Gaul des längeren gemeinsa- Diese Frage müssen Sie beantworten. men Lernens heraus, wie gerade aktuell in dem Papier von Fünftens. Die CDU ist für Wettbewerb. Bildungspolitik ist Herrn Schulz dargestellt. ein Standortfaktor – positiv wie in Bayern oder Hessen, ne- (Zuruf von der SPD) gativ wie in Berlin, Bremen, Hamburg oder Nordrhein- Westfalen. Wenn es in die Berliner Schulen hineinregnet, Alle Studien bescheinigen, dass genau dieses längere ge- ist das schlimm genug, aber dann ist es primär ein Berliner meinsame Lernen zu Chancenungleichheit führt. Problem und nicht ein hessisches Problem. Schule und Bil- (Nancy Faeser (SPD): Wo steht Hessen eigentlich?) dung sind überragend wichtig, und deshalb brauchen wir den Wettbewerb. Sie schwächen die Starken und stärken die Schwachen nicht. Weil Schüler unterschiedliche Begabungen, Neigun- (Zurufe von der SPD) gen und Fähigkeiten haben, brauchen sie unterschiedliche Sechstens. Wir brauchen keinen roten Berliner Zentralis- Lernangebote, also Schulformvielfalt und Schulwahlfrei- mus, heit. Das ist im Übrigen auch ein Ausdruck individueller Förderung. Genau dafür stehen wir in Hessen. (Zuruf von der SPD: Oh!) (Beifall bei der CDU) sondern ein Subsidiaritätsprinzip. Was vor Ort entschieden werden kann, soll vor Ort entschieden werden. Eine Partei, die möglichst keine Klassenarbeiten will, kei- ne Hausaufgaben, die das Sitzenbleiben abschaffen will, Lassen Sie mich abschließend einige wenige Sätze zu den die ein Problem mit Leistung und Elite hat, diese Partei schulzschen Zahlen sagen. Er spricht von 12 Milliarden €. will uns sagen, was wir zu tun und zu lassen haben. Im Kleingedruckten steht: 3 Milliarden € pro Jahr. 3 Milli- arden €, aufgeteilt auf 16 Bundesländer, sind rund 200 Mil- 8038 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 lionen € für Hessen, aufgeteilt auf die 25 Schulträger, sind Vizepräsident Frank Lortz: das rund 8 Millionen €. Für uns als Lahn-Dill-Kreis sind Vielen Dank, Herr Kollege Irmer. – Das Wort hat Frau das grob 8 Millionen €. Abg. Faulhaber für die Fraktion DIE LINKE. (Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD)) Allein aus dem Konjunkturprogramm des Landes haben Gabriele Faulhaber (DIE LINKE): wir als Lahn-Dill-Kreis 55 Millionen € bekommen. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das war jetzt (Zurufe von der SPD – Glockenzeichen des Präsi- eine schöne Vorstellung. „Mir san mir“ ist eigentlich baye- denten – Norbert Schmitt (SPD): Wie hoch ist denn risch und nicht hessisch, aber egal. Sie wollen eine Spit- der Bedarf?) zenposition in der Bildung, aber Sie wollen ein zerklüftetes KIP-I- und KIP-II-Programm von Bund und Land ergeben Schulsystem, das bundesweit überhaupt nicht vergleichbar gemeinsam 35 Millionen €. Das macht insgesamt 90 Mil- ist und auch gar nicht kompatibel. lionen € im Vergleich zu Ihren 8 Millionen €. (Zuruf von der CDU: Leistungsfähig!) Dann wollen Sie von den 12 Milliarden € Folgendes be- Dann sind Sie für Wettbewerb. Jetzt frage ich Sie: Was ist zahlen: 1 Million zusätzliche Ganztagsplätze an Grund- denn mit den Wettbewerbsverlierern? Hessen ist ja nicht schulen. 60.000 sind es für Hessen. Bei ungefähr 20 Schü- vorn. Ich habe Ihrer Rede entnommen, dass Ihnen die lern pro Lehrkraft entspricht das 3.000 Lehrern, die wir be- Wettbewerbsverlierer ziemlich egal sind. Uns sind sie nötigen. Auf den Bund hochgerechnet, sind es 50.000. Sie nicht egal. wollen flächendeckend digitale Medien für jedermann. Sie wollen drittens ein umfangreiches Ausbau-, Sanierungs- (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU: und Modernisierungsprogramm für moderne Schulgebäu- Wissen Sie, wer hinten ist?) de. Denn Bildung muss für alle gelten. Es kann nämlich nicht (Zuruf von der CDU) sein, dass eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe wie die Bildung, also Inklusion, die Integration und vor allem auch Wir haben in Hessen 2.000 Schulen. Bundesweit sind es der Abbau sozialer und finanzieller Bildungshürden, den geschätzte 30.000 bis 40.000 Schulen. Das alles wollen Sie Haushaltsmöglichkeiten eines einzelnen Bundeslandes an- modernisieren. Sie nennen keine Zahlen. Das alles wollen vertraut ist. Sie mit 3 Milliarden € im Jahr machen. Gesamtgesellschaftliche Aufgaben müssen von der gesam- Sie wollen schließlich mehr multiprofessionelle Teams. ten Gesellschaft getragen werden. Sie dürfen nicht dem po- Der Bund baut Schul- und Sozialarbeit und Jugendarbeit litischen Willen oder Unwillen der einzelnen Länder über- aus. Es gibt 800.000 Schüler in Hessen. Wenn man es lassen werden, besonders dann, wenn die Vertreter solche durch 20 Schüler teilt, sind das 40.000 Klassen. Bundes- Reden halten wie hier Herr Irmer. weit sind es 600.000 Klassen. Sie wollen multiprofessio- nelle Teams. Wie viele wollen Sie denn, für welche Schü- Bildung muss in Deutschland anders gedacht werden. Das ler? fängt damit an, dass wir die Bildungsausgaben deutlich er- höhen müssen, um wenigstens im internationalen Ver- gleich mithalten zu können. Vizepräsident Frank Lortz: (Zuruf von der CDU: So wie in Berlin?) Kollege Irmer, Sie müssen zum Schluss kommen. Das heißt, wir müssen wesentlich mehr von unserem Brut- toinlandsprodukt in Bildung, in Kindertagesstätten und in Hans-Jürgen Irmer (CDU): Schulen stecken. Über welche Größenordnung reden Sie denn? Das sind po- (Beifall bei der LINKEN) temkinsche Dörfer, Luftschlösser, vorprogrammierter Das heißt auch, dass Bildung von Anfang an und in allen Wahlbetrug oder auch Scharlatanerie. Bundesländern gebührenfrei sein muss, und zwar von der Ein letzter Satz, Herr Präsident. Wir brauchen keine erneu- Krippe bis zum Hochschulstudium. ten Experimente zulasten unserer Kinder, die nur eine ein- (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der LINKEN: zige Schulzeit haben. Bis zur Bahre! – Heiterkeit bei der LINKEN) (Zurufe von der SPD) Wir benötigen bundesweit endlich eine wirkliche Lehrmit- Sie haben es nicht verdient, erneut als Versuchskaninchen telfreiheit. Studiengebühren dürfen auch nicht durch die einer gescheiterten Einheitsideologie zu dienen. Deshalb Hintertür wieder eingeführt werden. lehnen wir diese Vorstellung Ihrerseits ab. (Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU)) (Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE)) Das bedeutet, dass das Schulsystem nicht von Land zu Überall dort, wo die Union regiert, geht es den Schülern Land unterschiedlich sein kann. In Deutschland finden wir besser. Hessen bleibt Hessen, Bayern bleibt Bayern, und ein völlig zerklüftetes und uneinheitliches Schulsystem, ei- wir wollen dafür sorgen, dass in Hessen auch weiterhin die ne uneinheitliche Schullandschaft vor. Wirkliche Verglei- Schulpolitik auf dem Vormarsch ist. Wir brauchen keiner- che zwischen den Bundesländern sind schon gar nicht lei Belehrungen von Ihnen aus Berlin. – Herzlichen Dank. mehr möglich. Sie können noch nicht einmal die Schule in- nerhalb Deutschlands wechseln, ohne Gefahr zu laufen, (Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Ulrich dass Sie nicht mehr mitkommen, Wilken (DIE LINKE)) (Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie lehnen es doch ab!) Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8039 da jedes einzelne Land eigene Schultypen und -formen ent- Gabriele Faulhaber (DIE LINKE): wickelt hat. Dabei ist doch gerade die Mehrgliedrigkeit das Ich komme zum Schluss. – Mit dieser Zerklüftung, mit die- Hauptproblem. ser Unterfinanzierung, mit diesem falschen Blick auf Bil- (Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer dungschancen muss endlich Schluss sein. Daher unterstüt- (CDU): Oje, oje! Wo leben Sie denn?) zen wir den Antrag der SPD. – Ja, ich weiß, dass ich in einer anderen Welt lebe als Sie. (Beifall bei der LINKEN) Das ist mir völlig klar. Für die Welt, in der ich lebe, stehe ich hier auch. Vizepräsident Frank Lortz: (Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Lebenswirklichkeit!) Vielen Dank. – Das Wort hat der Kultusminister. Staatsmi- nister Prof. Dr. Lorz, bitte. Anstatt von anderen Ländern zu lernen, die ihre Kinder nicht nach der 4. Klasse aussondern, lassen wir es zu, dass unsere Kinder viel zu früh willkürlich in Bildungsbahnen Prof. Dr. R. Alexander Lorz, Kultusminister: gedrängt werden. Der hessische Grundschulverband sagt übrigens, dass Lehrkräfte nach der 4. Klasse überhaupt kei- Herr Präsident, meine Damen und Herren! In 24 Tagen ist ne zuverlässige Prognose über die Schullaufbahn abgeben Bundestagswahl. können. Das heißt, diejenigen, die aussortieren müssen, (Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE wissen selbst, dass sie es nicht sollten und dass sie es nicht GRÜNEN): Ach so! Ah!) können. Da stimmt doch irgendetwas nicht. Wer das noch nicht gemerkt haben sollte, dem muss es (Beifall bei der LINKEN) spätestens bei solchen Aktionen klar werden. Wir brauchen tatsächlich eine gemeinschaftlich verstande- (Zuruf von der LINKEN: Kindergartengebühren!) ne Bildungspolitik, meine Damen und Herren. Inhalt ist das gemeinsame Lernen von der 1. bis zur 10. Klasse. Das Das ist ja auch verständlich. Wenn man in den Umfragen bedeutet eine echte Ganztagsschule in Kooperation mit so weit zurückliegt – Ihr eigener Außenminister hat ja heu- Vereinen und anderen Partnern. Wir brauchen inklusiven te Morgen das Rennen um das Kanzleramt offiziell für ver- Unterricht an allen Schulen. Diese Aufgaben sollten auf loren erklärt –, dann muss man einfach versuchen, von ir- gleichem Niveau in allen Ländern gelöst werden und auch gendwoher noch ein weißes Kaninchen aus dem Hut zu gleich finanziert und gesichert sein. zaubern, egal wie struppig es bei näherem Hinsehen aus- schauen mag. Und um ein solches „Wahlkampfkaninchen“ (Beifall bei der LINKEN) handelt es sich auch bei der sogenannten Bildungsallianz Denn nur damit entkoppeln wir den Zusammenhang zwi- der SPD. schen sozialer und finanzieller Herkunft und dem Bil- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE dungserfolg. Nur so entzerren wir den derzeitigen Konkur- GRÜNEN) renzkampf um gut ausgebildete Lehrkräfte. Nur so kom- men wir gegen die immer weiter boomenden Privatschulen Man packt einfach alles zusammen, was einem in einem an, denen immer mehr Eltern ihre Kinder anvertrauen – bestimmten Bereich attraktiv erscheint, füllt alten Wein in nicht weil sie Privatschulen so toll finden, sondern weil sie einen neuen Schlauch, klebt ein wohlklingendes Etikett vom öffentlichen Schulsystem enttäuscht sind. darauf und hofft, dass in den nächsten dreieinhalb Wochen niemand allzu genau nachschaut, was in Wahrheit dahinter Meine Damen und Herren, mit der Schule ist es nicht ge- ist. tan. Kindertagesstätten dürfen die Eltern auch nichts kos- ten; denn die frühkindliche Bildung ist elementar für den (Zuruf von der SPD: Und dann kommt ein Kanin- weiteren Bildungsverlauf. Da darf auch nicht herumgeze- chen heraus!) tert werden, welche Bundesländer auf Kosten anderer Bun- Denn die Wahrheit ist, meine Damen und Herren: Das ist desländer Kindergartenbesuche gebührenfrei stellen. nicht viel. Keiner der sieben Eckpunkte ist wirklich neu. (Klaus Dietz (CDU): Rheinland-Pfalz!) Mit dem Versprechen, dass der Staat in Zukunft einfach al- Das geht bis hin zu den Studienplätzen. Die FDP hat übri- les im Bildungsbereich bezahlen soll, zieht Herr Schulz gens in NRW damit geworben, Studiengebühren wieder jetzt schon seit Monaten durch die Lande, ohne damit Er- einzuführen. Das ist ein tolles Wahlkampfthema. folg zu haben. (Janine Wissler (DIE LINKE): Ja, allerdings!) Der Rechtsanspruch auf Betreuung im Grundschulalter fin- det sich genauso im Wahlprogramm der Union. Nur am Dass Bildung wichtig ist, darin sind sich alle einig. Aber Rande will ich allerdings anmerken: Ich finde es schon in- niemand möchte sie gebührend finanzieren. Sie sprachen teressant, dass das Papier der Bundes-SPD ausdrücklich von 3 Milliarden €. Aber das ist noch nicht gesetzt. Den die Freiwilligkeit der Teilnahme an Ganztagsangeboten be- Betrag kann man doch verändern, den kann man doch er- tont und keineswegs, wie die hessischen Sozialdemokra- höhen. ten, die gebundene Ganztagsschule als Allheilmittel propa- (Beifall bei der LINKEN) giert. (Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sehr richtig!) Vizepräsident Frank Lortz: Aber ich denke, das diskutieren wir in anderem Zusam- Frau Kollegin Faulhaber, Sie müssen zum Schluss kom- menhang noch einmal aus. men. 8040 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

(Norbert Schmitt (SPD): Gerne!) Das ist das Problem der mangelnden Einheitlichkeit in Deutschland, meine Damen und Herren. Die SPD-regierten Der Gedanke eines Digitalpakts stammt von Frau Wanka; Länder hinken den unionsregierten überall hinterher. das steht auch im Wahlprogramm der Union. (Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sehr richtig!) Wenn es um die Stärkung der Berufsorientierung und die sozial indizierte Unterstützung von Brennpunktschulen Am Schluss Ihres Papiers steht: „Gemeinsam zeigen Mar- geht, dann kann ich nur sagen: Schön, dass sich die Bun- tin Schulz …“ – und dann kommt die ganze Kette der Mi- des-SPD ein Beispiel an unserer Politik in Hessen nimmt. nisterpräsidenten – „wie es gehen kann.“ Dazu kann man nur sagen: Nein. Wenn man in die SPD-regierten Länder (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE schaut und auf deren Bildungspolitik, dann sieht man, wie GRÜNEN – Marius Weiß (SPD): Das kann ja wohl es besser nicht gehen sollte. – Herzlichen Dank für Ihre nicht wahr sein!) Aufmerksamkeit. Für die Sanierung von Schulgebäuden gibt der Bund schon (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE jetzt 3,5 Milliarden €. Dafür sind wir dankbar; ich habe GRÜNEN) Herrn Degen versprochen, das zu sagen. (Marius Weiß (SPD): Wo ist denn das Geld von Frau Wanka?) Vizepräsident Frank Lortz: Aber das ist zugleich der beste Beweis dafür, dass das Vielen Dank, Herr Minister. – Keine weiteren Wortmel- Grundgesetz solchen Initiativen keineswegs im Wege dungen. Dann ist der Punkt 62 beendet. steht, meine Damen und Herren. Deswegen ist es eine blo- Ich habe Ihnen mitzuteilen: Eingegangen und an Ihren ße Ausrede, wenn in dem Papier der SPD zu lesen ist, eine Plätzen verteilt ist ein Dringlicher Entschließungsantrag nationale Bildungsallianz werde es ohne eine neue Bundes- der SPD betreffend nukleare Abrüstung in Deutschland, kompetenz nicht geben können. In Wahrheit geht es Ihnen Drucks. 19/5211. – Die Dringlichkeit wird allseits bejaht. nur darum, die Bildungspolitik nach Ihren Vorstellungen Das wird dann Tagesordnungspunkt 73. Wenn Sie nicht zu zentralisieren, und dazu dient der standardmäßige Lock- widersprechen, kann das mit Tagesordnungspunkt 51 auf- ruf der Opposition: Wenn wir drankommen, gibt es mehr gerufen werden. – Das machen wir so. Geld. – Aber wie viel Geld gäbe es denn? Dann begrüße ich auf der Besuchertribüne Kommunalpoli- (Michael Boddenberg (CDU): Egal!) tiker aus Bayern, aus Stätzling in der Nähe von Augsburg. Das ist auch sehr interessant. Die SPD schreibt selbst in ih- Herzlich willkommen. Sie informieren sich hier im Hessi- rem Papier, dass von 2018 bis 2021 Länder und Gemein- schen Landtag. Schön, dass Sie da sind. den mindestens 360 Milliarden € für Kitas, Horte und (Allgemeiner Beifall) Schulen aufwenden werden. Sie will in derselben Zeit noch einmal 12 Milliarden € zusätzlich mobilisieren. 12 Milliar- Bleiben Sie noch ein bisschen, bei uns ist es immer schön. den € gegenüber 360 Milliarden €, das sind 3 %. Für eine Jetzt geht es weiter in der Debatte. Ich rufe Tagesord- Steigerung von 3 % dieser Aufschlag? Das ist Ihre nie da nungspunkt 63 auf: gewesene nationale Kraftanstrengung? Dafür fordern Sie als Landespolitiker hier Ihre eigene Überflüssigkeit? Dar- Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend eine Aktu- über würde ich vielleicht doch noch einmal nachdenken. elle Stunde (Gute Arbeit am Frankfurter Flughafen: Hessische Landesregierung muss bei Vergaben Tarif- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE bindung sichern – Solidarität mit den Beschäftigten bei GRÜNEN) den Bodenverkehrsdiensten) – Drucks. 19/5193 – Der Clou des Ganzen sind jedoch die einheitlichen Leis- tungsmaßstäbe und gleich schweren Prüfungsaufgaben, Frau Kollegin Janine Wissler beginnt. Bitte sehr. mal abgesehen davon, dass die Länder mittlerweile längst dorthin unterwegs sind. Wer hat sich denn jahrzehntelang gegen Leistungsvergleiche unter den Ländern gewandt? Janine Wissler (DIE LINKE): (Hans-Jürgen Irmer (CDU): Richtig!) Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil wir uns für gute Arbeit am Wer hat denn noch vor wenigen Jahren einen Orthografie- Frankfurter Flughafen einsetzen. Ich freue mich, dass Be- vergleich der Länder verhindert? Wer sperrt sich denn bis schäftigte von Acciona, darunter auch der Betriebsrat, heu- heute gegen einen Staatsvertrag der Länder mit gemeinsa- te auf der Besuchertribüne sind, und begrüße sie ganz herz- men Anforderungen an das Abitur? Das sind doch diesel- lich im Hessischen Landtag. ben SPD-Ministerpräsidenten, die jetzt dieses hochtraben- de Papier unterschrieben haben. (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD – Michael Boddenberg (CDU): Sie wollen doch (Holger Bellino (CDU): Hört, hört!) Tausende Arbeitsplätze abschaffen! – Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) Es gibt einen einfachen Grund dafür. Ich zitiere jetzt eine externe Autorität, nämlich den neuen Vorsitzenden des Die Firma Acciona erbringt bisher Bodenverkehrsdienste Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger. Er hat am Frankfurter Flughafen. Sie erledigt also für die Flugge- es in einem Interview dieser Tage auf den Punkt gebracht: sellschaften die Gepäckabfertigung, die Enteisung, Betan- kung usw. Zwischen Schülern in Bremen und Sachsen liegt in der 9. Klasse konstant ein Leistungsunterschied von Die Beschäftigten bei den Bodenverkehrsdiensten bei Ac- eineinhalb Schuljahren. ciona, Fraport und bei der Fraport-Tochter FraGround leis- ten harte Arbeit im Nacht- und Schichtdienst. Ohne sie Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8041 ginge nichts am Flughafen, und dafür verdienen sie Aner- ter Teil der Beschäftigten sind mittlerweile Leiharbeiter. kennung und vor allem eine gute Bezahlung. Ich habe am Samstag bei der Kundgebung am Flughafen mit Kollegen gesprochen, die jahrelang als Leiharbeiter ge- (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der arbeitet haben. Das lässt sich doch nicht mit den oft ge- SPD sowie des Abg. Frank-Peter Kaufmann nannten Auftragsspitzen begründen – das ist Lohndum- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) ping, nichts anderes. Die 1.300 Beschäftigten bei Acciona fürchten aber derzeit Die Gewerkschaft ver.di spricht von einem „zunehmend um ihre Arbeitsplätze und um ihre Tariflöhne; denn das erbarmungslosen Absenkungswettbewerb um die niedrigs- hessische Wirtschaftsministerium hat im Juli die Konzessi- ten Lohnkosten, die geringsten Qualifikationskosten und on für die Abfertigung am Flughafen nach einer Ausschrei- den knappsten Personaleinsatz“. Durch die Ansiedlung von bung der Firma WISAG zugesprochen, die nicht tarifge- Ryanair am Frankfurter Flughafen haben die Fraport AG bunden ist. und die Landesregierung diesen Billigwahn zusätzlich Ich halte es für ein Unding, dass Fraport – als ein Unter- noch verstärkt. Ryanair wird der rote Teppich ausgerollt nehmen, das sich mehrheitlich im öffentlichen Besitz be- und bekam als Extrawurst eine beschleunigte Abfertigung findet – die Tarifbindung nicht zu einem verpflichtenden zugesagt. Wer aber stemmt die beschleunigte Abfertigung? Ausschreibungskriterium macht. Das sind doch die Kolleginnen und Kollegen, auf deren Rücken das geht und die am Ende noch härter arbeiten (Beifall bei der LINKEN) müssen als bisher. Noch schlimmer finde ich, dass ein Verkehrsminister zu- (Manfred Pentz (CDU): Aber nicht DIE LINKE, die lässt, dass ein nicht tarifgebundenes Unternehmen hier ganz sicher nicht, Frau Wissler!) zum Zuge kommt. Das ist ein Unding, das kann überhaupt nicht sein. Der Druck auf die Arbeitsbedingungen wird durch diese Billigkonkurrenz also noch weiter zunehmen. (Beifall bei der LINKEN) Zukunftsängste durch immer wieder neue Ausschreibun- WISAG hat zwar zugesagt, die Löhne nicht abzusenken, gen, weniger Vollzeitstellen, schlechte Löhne – das darf aber das ist keine Garantie für die Zukunft und auch kein nicht so weitergehen. Wir erwarten, dass sich ein Ver- Tarifvertrag. kehrsminister vor die Beschäftigten stellt und nicht Ent- Wie rau der Umgang mit den Beschäftigten in der Branche scheidungen gegen sie trifft, meine Damen und Herren. ist, zeigt sich in Berlin, wo die WISAG schon tätig ist. In (Beifall bei der LINKEN – Manfred Pentz (CDU): Berlin hat die WISAG 2008 die damalige Globe Ground Wo leben Sie eigentlich? In Venezuela, in der DDR gekauft, die bis dahin die Bodenverkehrsdienste in Tegel oder in Frankfurt?) und Schönefeld erbracht hat. Seitdem hat die WISAG dort ein kaum übersehbares Geflecht von immer neuen Tochter- Flughäfen sind Teil der öffentlichen Infrastruktur. Eigent- gesellschaften und Subunternehmen aufgebaut. Ehemalige lich müssten diese Beschäftigten, die ja auch in einem si- Globe-Ground-Mitarbeiter wurden dazu gedrängt, die Ge- cherheitsrelevanten Bereich arbeiten, meiner Meinung sellschaft zu wechseln, natürlich zu schlechteren Bedin- nach Teil des öffentlichen Dienstes sein. gungen. Dass dies früher oder später auch den Kollegen (Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- von Acciona droht, steht zu befürchten. Das betrifft natür- ten) lich nicht nur die WISAG, sondern diese Dumpingkonkur- renz hat System bei den Bodenverkehrsdiensten. Das ist Das Mindeste aber ist, dass sie tariflich entlohnt werden das Problem, über das wir heute reden müssen. und unbefristete Verträge haben. Natürlich brauchen wir auch einen Branchentarifvertrag, wie ihn ver.di seit Jahren (Beifall bei der LINKEN) fordert. Hier findet ein Wettbewerb auf Kosten der Beschäftigten (Beifall bei der LINKEN) statt. Und diese Zustände sind nicht vom Himmel gefallen, sie sind politisch gewollt. Die Liberalisierung der Boden- Ich komme zum Schluss. Der Frankfurter Flughafen ist ei- verkehrsdienste und die Vorgabe, dass es mindestens zwei ner der größten Flughäfen dieses Kontinents, und die Fra- Anbieter für die Bodenverkehrsdienste an jedem Flughafen port verdient gut damit. Beim Flughafenausbau wird im- in der EU geben muss, sollten angeblich für mehr Effizienz mer gerne vom „Jobwunder“ Flughafen gesprochen, Fakt sorgen – das Versprechen einer jeden Liberalisierung und aber ist, dass die Arbeitsbedingungen schlechter werden. Privatisierung. In Wahrheit aber geht es nicht um verbes- Wenn jemand die gleiche Arbeit für weniger Geld macht, serte Abläufe und höhere Qualität, ganz im Gegenteil: Es dann ist das kein Wunder, sondern eine Sauerei. Deswegen ist ein Preiskampf, der nicht zu einer Verbesserung führt, stehen wir an der Seite der Beschäftigten bei den Boden- sondern zu teils chaotischen Zuständen, wie etwa bei der verkehrsdiensten, die sich gegen Lohndumping wehren. – Gepäckabfertigung in Berlin-Tegel. Vielen Dank. Es ist auch klar, dass in einem so personalintensiven Be- (Beifall bei der LINKEN – Manfred Pentz (CDU): reich – geschätzt 70 % Personalkosten – der Wettbewerb Ei, ei, ei!) auf Kosten der Mitarbeiter geführt wird, und es ist gut, dass sich die Beschäftigten von Acciona genau dagegen wehren. Vizepräsident Frank Lortz: (Beifall bei der LINKEN) Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. „Sauerei“ ist auch nicht so richtig parlamentarisch, aber machen wir mal wei- Die Arbeitsplätze am Frankfurter Flughafen werden insge- ter. – Die nächste Wortmeldung kommt vom Kollegen samt immer prekärer. Bei den Bodenverkehrsdiensten gibt Wolfgang Decker, SPD-Fraktion. es einen Wettbewerb auf Kosten der Beschäftigten, ein gu- 8042 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

Wolfgang Decker (SPD): en für die Auswahl verstoßen hat. Dann hat Ihr Haus, das ersatzweise – die Gründe sind bekannt – für das Ausschrei- Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Schon einmal bungsverfahren zuständig ist, einen neuen Lizenznehmer hat sich der Landtag ausführlich mit den Bodenverkehrs- ausgewählt, offensichtlich gegen die Empfehlung der Fra- diensten am Frankfurter Flughafen befasst. Damals haben port AG. Das nächste Klageverfahren läuft deswegen be- wir uns auf Initiative der SPD-Fraktion in einer fraktions- reits. Herr Minister, vielleicht sind Sie so freundlich und übergreifenden Resolution erfolgreich gegen eine weitere erklären den Beschäftigten nachher einmal, warum es zu Liberalisierung der Bodenverkehrsdienste gewehrt. dieser Entscheidung gekommen ist. Zu guter Letzt ist es Seit damals müsste eigentlich jeder hier im Hause wissen – Ihnen auch noch durch die Lappen gegangen, dass in den damit meine ich auch die Regierungsbank –, dass dies ein von der Fraport AG aufgestellten Kriterien keine Hinweise hochsensibles Gelände ist. Hochsensibel zum einen, weil auf tarifliche Bedingungen standen – das müssen nun alles es sich um sicherheitsrelevante und von harter Knochenar- die Beschäftigen ausbaden, und das kann nicht sein. beit geprägte Bereiche handelt, zum anderen, weil hier re- (Beifall bei der SPD und der LINKEN) gelmäßig der Konkurrenzkampf der Anbieter und damit der Kampf um faire Arbeitsbedingungen und Löhne tobt. Ich will an dieser Stelle einmal deutlich sagen: Sich so ein- fach herauszuhalten und immer auf andere zu verweisen, Nun ist es wieder einmal so weit. Damit hier im Hause das ist nicht ganz die feine englische Art. Da sollten Sie gleich Klarheit herrscht: Auch diesmal stehen wir mit der einmal Ihren Horizont erweitern und zeigen, dass Sie als SPD-Fraktion an der Seite der betroffenen Kolleginnen Wirtschaftsminister so etwas wie politische Mitverantwor- und Kollegen von Acciona. tung für Flughafen und Beschäftigte verspüren. (Beifall bei der SPD uns bei Abgeordneten der LIN- (Beifall bei der SPD) KEN) Kurz und gut, lassen Sie mich noch eines anfügen: Dies- Ich möchte die Kollegen des Betriebsrates oben auf der mal sollten Sie sich keinen schlanken Fuß machen, wie bei Empore auch im Namen der SPD-Fraktion herzlich begrü- der Debatte der Entgeltordnung, mit der Sie dafür gesorgt ßen. haben, dass wir jetzt einen Billiganbieter namens Ryanair Es sind inzwischen schon viele Monate, in denen sich die in Frankfurt haben. 1.300 Beschäftigten von Acciona mit ihren Familien Sor- Meine Damen und Herren, wir erwarten von Ihnen, dass gen und Gedanken machen müssen, wie es mit ihren Ar- Sie sich für gute und faire Arbeitsbedingungen einsetzen, beitsplätzen weitergeht. Auch wenn der neue Lizenzneh- auch bei den Bodenverkehrsdiensten. Wir tun das jeden- mer die Übernahme der Belegschaft versprochen hat, falls. Das ist die klare Botschaft. Wir finden, es ist an der bleibt für sie die bange Frage, zu welchen Arbeitsbedin- Zeit, dass wir uns auch dafür starkmachen, dass hier end- gungen und zu welchen Löhnen das denn geschehen wird. lich vernünftige Branchentarifverträge eingeführt werden. Der Acciona-Betriebsrat hat gemeinsam mit der Gewerk- – Herzlichen Dank. schaft vor 17 Jahren faire und durch Tarifvertrag geregelte (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Bedingungen ausgehandelt. Das war gut so. Man kann die Befürchtung der Belegschaft schon verstehen, dass mit der Vergabeentscheidung des Wirtschaftsministeriums der hart Vizepräsident Frank Lortz: erkämpfte Tarifvertrag den Bach runterzugehen droht; denn der neue Unterlizenznehmer ist nicht tarifgebunden, Vielen Dank, Kollege Decker. – Das Wort hat der Abg. und das bedeutet, dass den Beschäftigten nach einem Jahr Frank-Peter Kaufmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bit- neue – und vor allem schlechtere – Bedingungen drohen te sehr. können. Das kann in diesem Hause doch wirklich niemand wollen, meine Damen und Herren. Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wollen festhalten, dass der Frankfurter Flughafen eine An meine beiden Vorredner gewandt und an alle, die zuhö- Jobmaschine ist. Gott sei Dank ist er das, das soll und muss ren, die zum Teil die Betroffenen sind und deshalb ein ho- auch so bleiben. Auch wenn der Landtag hier weder Ver- hes Interesse haben: Die berechtigt notwendige Hilfe für trags- noch Tarifpartner ist, möchte ich eines feststellen: Betroffene kommt nicht von Kampfparolen, sondern von Von diesem Hause muss auch die klare Botschaft ausge- zutreffender Analyse und gemeinsamer Aktion. hen, dass wir gegen prekäre Beschäftigung mit schlechten Arbeitsbedingungen und schlechten Löhnen sind, meine (Janine Wissler (DIE LINKE): Dann fangen wir ein- Damen und Herren. mal an!) (Beifall bei der SPD) Genau das wussten wir in diesem Landtag schon einmal al- le miteinander; der Kollege Decker hat darauf hingewie- Diese klare politische Botschaft erwarten wir auch von Ih- sen. nen und Ihrem Hause, Herr Minister Al-Wazir. Ich denke, das ist auch an der Zeit; denn die Sensibilität, von der ich (Zurufe von der LINKEN und der SPD – Glocken- vorhin sprach, scheint bei Ihnen und Ihrem Haus nicht son- zeichen des Präsidenten) derlich ausgeprägt zu sein. Wir haben zum Thema Bodenverkehrsdienste hier mehr- Ich will einmal sagen, warum ich das denke: Erst ist das fach diskutiert und eine gemeinsame Resolution verfasst erste Ausschreibungsverfahren in die Hose gegangen, weil und verabschiedet, die mit dazu beigetragen hat, dass es das Land – sprich: das Wirtschaftsministerium – gegen die nicht – man muss es leider sagen – noch schlimmer kam, Pflicht zur Offenlegung wesentlicher Entscheidungskriteri- als es gekommen ist. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8043

Deswegen ist es selbstverständlich richtig und geboten, vorgetragen wird, dass das Ministerium die Ausschreibung festzustellen, dass die Bodenverkehrsdienste ein unver- hätte machen müssen und nicht Fraport, geht schlicht an zichtbarer Teil der Funktionsfähigkeit eines Flughafens der Verordnung vorbei. sind. Wenn nicht ein- und ausgeladen wird, kann auch kein (Janine Wissler (DIE LINKE): Das habe ich nicht Flugbetrieb stattfinden. Deswegen – das möchte ich aus- gesagt!) drücklich unterstreichen – drücken auch wir unseren Re- spekt für die tägliche Leistung und auch nächtliche Leis- Es ist die Rechtsvorgabe, dass der Unternehmer das aus- tung, zumindest außerhalb der Kernstunden, aus, die dort schreibt. erbracht wird und erklären unsere Solidarität. Unser Ziel ist: Auch schwere Arbeit – es handelt sich hierbei darum – (Hermann Schaus (DIE LINKE): Es geht um die soll, kann und wird gute Arbeit sein und soll es auch blei- Entscheidung, nicht um die Ausschreibung!) ben. – Auch die Kriterien festzulegen; das ist Vorgabe der Ver- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und ordnung. – Das Einzige ist, dann als Ersatzentscheider auf- der CDU) zutreten, weil Fraport in dem Fall Mitkonkurrent ist. Sehr zu bedauern ist, dass insbesondere DIE LINKE jetzt (Hermann Schaus (DIE LINKE): Ja! Sie haben es versucht, daraus parteipolitische Gewinne zulasten dieser aber entschieden!) Solidarität zu saugen, Der Ersatzentscheider – verehrter Herr Kollege, auch wenn (Zurufe von der LINKEN: Was?) Sie noch so laut schreien – muss sich an die Kriterien hal- ten, die vorher öffentlich festgelegt worden sind. und mit falschen Fakten kommt. (Hermann Schaus (DIE LINKE): Und einem nicht (Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE)) tarifgebundenen Unternehmen den Zuschlag geben? Wo steht das? – Weitere lebhafte Zurufe) Der Kollege Decker hat sich dem leider in Teilen ange- schlossen. Die Landesregierung muss die Tarifbindung si- Damit ist es genau – – chern, haben Sie gesagt.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ja!) Vizepräsident Frank Lortz: Sie wissen oder sollten wissen – zumindest Ihre Mitarbei- Moment bitte, Herr Kollege. – Meine Damen und Herren, ter sind klug genug, es zu wissen –, dass es die Bodenab- wir haben es hier oben alle mit den Ohren. Seien Sie mit fertigungsdienst-Verordnung des Bundes gibt. Mit dafür den Zurufen etwas leiser, damit es friedlicher wird. – Kol- zuständig ist das Bundeswirtschaftsministerium. Von wem lege Kaufmann, bitte. das geführt wird, wissen Sie selbst. Die Verordnung schreibt exakt vor, wie diese Ausschreibungen stattzufin- den haben. Genau daran hängt z. B., Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Lebhafte Zurufe von der SPD und der LINKEN – Sie versuchen, hier das Bild zu stellen, es sei eine politi- Glockenzeichen des Präsidenten) sche Entscheidung. Es ist eine Entscheidung – so steht es dass es eine Tarifbindung in der Ausschreibung nicht ge- wörtlich in der Bundesverordnung – der Luftfahrtbehörde, ben kann, weil es keinen Branchentarifvertrag gibt. Das ist d. h. eine Entscheidung, die sich ausschließlich an den ge- Fakt. setzlichen Kriterien orientieren kann, die ausschließlich nach Recht und Gesetz erfolgen kann und nicht nach politi- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und schem Willen. der CDU) Ich kann Ihnen versichern, nach meiner Einschätzung hätte Jetzt müsste eigentlich das gemeinsame Interesse in der die Entscheidung wahrscheinlich anders ausgesehen, wenn Unterstützung liegen. Da kann man schon fragen, warum sie politisch treffbar gewesen wäre. Das ist sie aber nicht. ver.di es noch nicht geschafft hat, einen solchen Branchen- Derjenige, der das kritisiert, hilft nicht den Betroffenen, tarifvertrag hinzubekommen. Da sind wir uns ja einig. sondern der versucht hier, Unfrieden zu stiften. Warum Sie (Hermann Schaus (DIE LINKE): Das liegt an den das tun, weiß ich nicht. Aber es wird Ihnen nichts bringen. Arbeitgebern, nicht an ver.di!) (Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Aber das können wir hier – ich denke, das sollte selbst NEN, der CDU und der FDP) Herr Schaus wissen – im Hessischen Landtag nicht regeln. Das Zweite ist die Behauptung der LINKEN, der Minister, Vizepräsident Frank Lortz: (Unruhe – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS Herzlichen Dank, Kollege Frank-Peter Kaufmann. – Das 90/DIE GRÜNEN): Wir verstehen hier nichts mehr! Wort hat Herr Abg. Heiko Kasseckert, CDU-Fraktion. – Glockenzeichen des Präsidenten) (Manfred Pentz (CDU): Guter Mann! – Gegenruf das Ministerium hätte die Neuausschreibung beschlossen. von der SPD: Das werden wir jetzt sehen!) Auch das ist falsch. (Janine Wissler (DIE LINKE): Das habe ich auch Heiko Kasseckert (CDU): nicht gesagt! – Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD)) Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist eine zwingende Vorgabe der EU, spätestens nach Das Thema, über das wir heute diskutieren – auch von un- sieben Jahren wieder auszuschreiben. Die Kritik, die zu- serer Seite geht der Gruß an die Beschäftigten auf der Be- mindest in Ihrer Presseerklärung steht und die von ver.di 8044 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 suchertribüne –, ist ein Thema, das selbstverständlich die rigen übernehmen. Das haben wir nicht nur bei WISAG, Beschäftigten und deren Familien in den letzten Wochen sondern das haben wir auch bei anderen Flughäfen in die und Monaten sehr beschäftigt hat, mindestens seit der Ent- andere Richtung. Entscheidend ist, dass dieser Übergang scheidung im Juli durch das Wirtschaftsministerium. fair stattfindet. Herr Kaufmann hat dazu schon viele Ausführungen ge- Deshalb wird über einen Überleitungstarifvertrag disku- macht. Die Entscheidung war sozusagen eine Ersatzent- tiert. Auch das wissen Sie. Hoffentlich wissen das auch die scheidung, bei der keinerlei politische Wertung hat einflie- Beschäftigten. ßen können. Im Gegenteil, sie wurde anstelle dessen ge- Die WISAG hat schon am 11. Juli 2017, also mit dem Tag macht, weil Fraport selbst Beteiligter in dem Verfahren ist. der Entscheidung, diese Gespräche nicht nur angeboten. Deshalb ist die Entscheidung des Ministeriums an sehr en- Vielmehr hat sie deutlich gemacht, dass keiner, nicht nur ge Grenzen gebunden, die keinen Spielraum gelassen ha- für ein Jahr, Herr Decker, sondern auch darüber hinaus, ben. Ich bin sicher, Minister Al-Wazir wird dazu nachher schlechter gestellt werden wird, weder hinsichtlich seiner noch Ausführungen machen. Vergütung noch in puncto Arbeitsbedingungen. Das ist für Dennoch sind die Beschäftigten zu Recht in Unruhe: Was uns eine wichtige Aussage des Betreibers. Das zeigt Ver- passiert, wenn der Betriebsübergang auf den neuen Bieter, antwortung. Wir haben überhaupt keinen Zweifel daran. die WISAG, ab November dieses Jahres stattfinden wird? Das will ich an dieser Stelle auch sagen: Die WISAG ist Frau Wissler, wenn Sie das hier vortragen, kann man, ein hessisches Unternehmen, das nicht für prekäre Arbeits- wenn man im Detail nicht informiert ist, Ihren Worten verhältnisse bekannt ist. Ich glaube, wir sollten an dieser Glauben schenken. Das kann dazu führen, dass die Ängste Stelle auch deutlich machen, dass wir keinen Zweifel daran und Sorgen der Beschäftigten und ihrer Familien noch grö- haben, dass die WISAG die Vereinbarungen und die Zusa- ßer werden. gen einhalten wird. (Manfred Pentz (CDU): Das ist der Hintergrund! – Lassen Sie mich am Schluss meiner Rede als wirtschafts- Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) – politischer Sprecher der CDU-Fraktion noch ein paar Wor- Glockenzeichen des Präsidenten) te der Freude sagen: Ich freue mich, dass ein hessisches Unternehmen diesen Wettbewerb gewonnen hat. Ich bin Ich glaube, dass es bewusst Ihr Ziel ist, hier diese Bühne mir sicher, mit den Beschäftigten, die bisher am Flughafen zu nutzen und die Menschen zu verunsichern. Sie sollten tätig waren, wird es auch für die nächsten sieben Jahre eine bei der anderen Diskussion zum Thema Flughafen den gute Zukunft werden. – Vielen Dank. Menschen auch sagen, dass Ihre Forderung, (Beifall bei der CDU sowie der Abg. Dr. h.c. Jörg- (Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE)) Uwe Hahn und Nicola Beer (FDP)) auf die 380.000 Flugbewegungen zurückzukehren, tatsäch- lich Arbeitsplätze kostet. Vizepräsident Frank Lortz: (Beifall bei der CDU und der FDP) Kollege Kasseckert, vielen Dank. – Das Wort erhält für die Wenn wir zurückkommen auf die Situation des Jahres FDP-Fraktion Herr Kollege Jürgen Lenders. Bitte sehr. 1992: Damals haben wir rund 15.000 Arbeitsplätze weni- ger an diesem Flughafen gehabt. (Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU)) Jürgen Lenders (FDP): Wenn Ihre Forderung greift – es ist richtig, die Kollegin- Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es gibt selten nen und Kollegen auf der Tribüne werden es nicht wis- die Gelegenheit, dass ich Herrn Kaufmann inhaltlich zu- sen –, heißt es, dadurch werden Arbeitsplätze gefährdet stimme. Aber ich muss sagen: Dem, was Herr Kollege und nicht nur die Bedingungen. Kaufmann und was Herr Kollege Kasseckert gesagt haben, kann ich mich eigentlich nahtlos anschließen. Ich will aber auch ein Wort zur Lösung ansprechen. Ange- sprochen war, dass es einen Wettbewerb gibt, der durch (Beifall der Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn und Wolf- EU- und Bundesgesetzgebung vorgeschrieben ist. Es gibt gang Greilich (FDP) sowie bei Abgeordneten der auch eine Verordnung seitens des Wirtschaftsministeriums, CDU) dass alle sieben Jahre ein Wettbewerb, eine Ausschreibung Die gemeinsame Resolution, was die Bodenverkehrs- stattfinden muss. dienste anbelangt, ist heute schon von den Kolleginnen und Das Problem ist – Herr Schaus hat den Zwischenruf ge- Kollegen erwähnt worden. Das ist ein bisschen her. macht –, dass es eben keinen Branchen- oder Flächentarif- Ich mag mir das gar nicht vorstellen, wenn damals Staats- vertrag gibt. Wir können nur anregen, und wir würden aus- und Europaminister Jörg-Uwe Hahn und vor allem die drücklich unterstützen, dass die Gespräche, die in dieser Europastaatssekretärin Nicola Beer nicht die Verhandlun- Hinsicht laufen, endlich zum Erfolg geführt werden. Denn gen auf der Ebene der Europäischen Union geführt hätten, die Situation, die Sie heute hier beklagen, haben Sie bei je- welchen Wildwuchs wir unter Umständen heute am Frank- der einzelnen Ausschreibung. furter Flughafen bei den Bodenverkehrsdiensten hätten. Ich Sie werden an keinem Flughafen neben dem Bestandshal- mag mir gar nicht ausmalen, wie so eine Diskussion dann ter der Ausschreibung einen weiteren Bieter finden, der ta- heute aussehen würde. rifgebunden sein kann. Das liegt in der Natur der Sache, (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der weil sie sich eben nicht mit fertigen Unternehmen bewer- CDU) ben können, sondern weil sie sich mit Gesellschaften be- werben und dann das vorhandene Personal von den bishe- Neben der Fraport wird es nun einen Übergang der Boden- verkehrsdienste von dem spanischen Unternehmen auf die Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8045

WISAG geben. Man kann lange darüber streiten, warum Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Ver- die erste Ausschreibung gescheitert ist und warum sie kehr und Landesentwicklung: Formfehler hatte. Es ist aber richtig, dass das zweite Aus- Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! schreibungsverfahren von dem Frankfurter Unternehmen Ich muss zugeben, dass ich über das, was in dieser Debatte WISAG gewonnen wurde. Damit werden 1.300 Mitarbei- teilweise gesagt wurde, etwas verwundert bin. Wir waren ter zunächst in einer klassischen Betriebsfortführung in das uns eigentlich in Sachen Bodenverkehrsdienste schon ein- neue Unternehmen übergehen. Dabei muss sich das neue mal sehr viel mehr einig, als das hier gerade dargestellt Unternehmen an bestehende Tarifverträge und Arbeitsver- wurde. Wir waren uns politisch darüber einig, dass wir träge halten. Wir wissen, dass das Unternehmen WISAG nicht auch noch den Zwang zum dritten oder vierten bereit ist, mit ver.di einen Tarifabschluss auszuhandeln. Dienstleister haben wollen. Wir sehen im Moment keinen Grund, Angst zu haben, dass Auch das will ich sagen: Es war auch mit die Einigkeit der Arbeitsplätze abgebaut werden oder dass es zu Entgeltab- Mitglieder dieses Landtags, die dazu geführt hat, dass wir senkungen kommt. Wer sich ein bisschen mit dem Arbeits- entsprechende – ich sage das in Anführungszeichen – Vor- markt dort beschäftigt, wird feststellen, dass es zunehmend aussetzungen der Europäischen Union und des Bundes ver- schwieriger wird, überhaupt Fachkräfte für diesen Bereich hindert haben. Ich hoffe, dass wir irgendwann einmal zu zu finden, und dass dort eine gute Entlohnung durchaus dieser Einigkeit in Sachen Bodenverkehrsdienste zurück- branchenüblich ist. Ich glaube, es ist einfach dem Wahl- kehren können. Das drücke ich jetzt einmal ganz vorsichtig kampf geschuldet, dass DIE LINKE hier dieses Thema aus. aufgerufen hat. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und (Janine Wissler (DIE LINKE): Wir nehmen sonst bei Abgeordneten der CDU) nie gewerkschaftliche Themen! – Gegenruf des Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das ist kein gewerk- Die Diskussion, die hier gerade stattgefunden hat, braucht schaftliches Thema!) vielleicht ein paar Klarstellungen. – Frau Wissler, nein, und es gibt demnächst auch keine Erstens. Das Wirtschaftsministerium hat keine Ausschrei- Bundestagswahl. Es ist gut und legitim, dass man vor einer bung der Bodenabfertigungsdienste vorgenommen und Wahl noch einmal seine speziellen Themen anspricht. Frau wird dies auch in Zukunft nicht tun. Wissler, ich hätte mir dann aber auch schon gewünscht, dass Sie ein bisschen zur Versachlichung beitragen und (Thorsten Schäfer-Gümbel und Wolfgang Decker nicht nur Ängste schüren. (SPD): Das hat auch niemand behauptet!) (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU Ausschreiber ist die Fraport AG. Die Fraport AG hat die – Hermann Schaus (DIE LINKE): Die Ängste sind Ausschreibung und die Bedingungen der Ausschreibung bei den Betroffenen vorhanden! Die müssen wir formuliert. Die Fraport AG hat dies aufgrund einer Ver- nicht schüren! Das ist Unsinn!) pflichtung aus dem Bundes- und Europarecht gemacht. Ja, es ist richtig und gehört zur Aufgabe der Politik, den Die Fraport AG betreibt selbst Bodenabfertigung. Deswe- Sachverhalt richtig darzustellen und die Sachen herunter- gen darf sie nicht selbst darüber entscheiden, wer ihr Kon- zuzoomen. Da haben Sie durchaus recht. Aber zumindest kurrent wird. Deswegen – und nur deswegen – ist das Frau Wissler mit ihrer Rede hat dazu nicht beigetragen. Wirtschaftsministerium der Ersatzentscheider. (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Genau! – Wolf- Heiko Kasseckert (CDU)) gang Decker (SPD): Richtig!) Das müssen Sie sich eben einfach anhören. Sie verfolgen Ich will an dieser Stelle Folgendes sagen: Diese Ersatzent- hier durchaus eine Doppelstrategie. Auf der einen Seite scheidung heißt nicht, dass wir unsere Auswahlentschei- versprechen Sie den Flughafengegnern, dass es zu Be- dung an irgendwelche politischen Bedingungen knüpfen triebsstilllegungen kommen wird. Das sei der einzige Weg, können. Vielmehr müssen wir die Auswahlentscheidung damit weniger geflogen werde. Das, was Sie den Flugha- auf der Grundlage der Ausschreibung treffen, die die Drit- fengegnern permanent versprechen, wird am Ende mit dem te, in diesem Fall Fraport, gemacht hat. Wir dürfen sie Abbau der Arbeitsplätze verbunden sein. nicht ergänzen oder ändern. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) Gleichzeitig stellen Sie sich hin und sagen, Sie seien der beste Anwalt für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zweitens. Die fundamentalen Anforderungen an die Er- Frankfurter Flughafens. Frau Wissler, das ist eine Doppel- bringung der Bodenabfertigungsdienste ergeben sich aus strategie. Das ist Doppelzüngigkeit. Man muss schon viel der Anlage der Verordnung über Bodenabfertigungsdienste Chuzpe haben, um diese Position im Landtag zu vertreten. des Bundes, also aus einem verbindlichen Regelwerk. Es gibt keinerlei Berechtigung von irgendwem, auch nicht (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der vom Verkehrsministerium, darüber hinaus weitere Kriteri- CDU) en zu definieren, auch wenn sie noch so wünschenswert er- scheinen sollten. Vizepräsident Frank Lortz: Frau Wissler, Sie haben sich hierhin gestellt und gesagt, es sei ein Skandal, wie das Wirtschaftsministerium entschie- Herr Kollege Lenders, vielen Dank. – Das Wort erhält der den habe. Dazu sage ich Ihnen sehr deutlich: Sie haben Wirtschaftsminister, Staatsminister Tarek Al-Wazir. mich gerade eben zu einem Rechtsbruch aufgefordert. Das werde ich nicht tun. 8046 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Vizepräsident Frank Lortz: GRÜNEN) Herr Minister, denken Sie bitte an die Redezeit. Warum ich das nicht tun sollte, sieht man übrigens daran, dass wir jetzt überhaupt nur entscheiden mussten, weil – – Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Ver- (Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE)) kehr und Landesentwicklung: – Hören Sie mir doch einmal zu. Jetzt zur Frage, wie es weitergeht. Ich will das politisch (Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das will sie nicht!) ausführen. Für mich kann es keine Rolle spielen, wer am Ende den Zuschlag bekommen hat. Wir haben gerade auf- Wir mussten jetzt nur deshalb entscheiden, weil das letzte grund der Erfahrung, dass das letzte Verfahren aufgehoben Ausschreibungsverfahren vor vier Jahren Rechtsfehler hat- worden ist, bevor die Bewerbungen abgegeben wurden, ei- te und deswegen aufgehoben wurde. Die Unsicherheit, die ne Matrix erstellt, und alle Bewerber haben vorher ge- jetzt entstanden ist, ist also unter anderem darauf zurückzu- wusst, was wir wie bewerten werden. führen, dass ein Verwaltungsgericht entschieden hat, das ginge so nicht. Daher ist es auch nicht im Interesse der Be- Das war den Bewerbern vorher bekannt; denn wir waren schäftigten, ein Verfahren in Gang zu setzen, das gleich uns sicher, dass es am Ende wieder zu einem Gerichtsver- wieder vom nächsten Gericht aufgehoben wird. fahren kommen wird, egal wie die Entscheidung ausgeht. Deshalb haben wir sehr genau darauf geachtet, dass hier (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE schon im Vorfeld klar war, nach welchen Kriterien ent- GRÜNEN) schieden wird. Noch einmal: Wir mussten die Ausschrei- Ich sage Ihnen daher sehr deutlich: Ich habe großes Ver- bung von anderen in eine solche Matrix übersetzen. ständnis dafür, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Janine Wissler (DIE LINKE): Die wir leider immer sich zurzeit in einer Situation der Unsicherheit befinden noch nicht haben!) und dass sie sich Sorgen machen. Ich bedauere, dass sie jetzt diese Sorgen haben, muss aber zugleich darauf hin- Für mich spielt es auch keine Rolle, ob das Unternehmen weisen, dass verbindlich vorgeschrieben ist, alle sieben hessisch ist oder ob es aus Frankreich, Spanien oder der Jahre neu zu vergeben. Schweiz stammt. Da kann man vielleicht Freude oder Trauer äußern, aber ansonsten darf es mich nicht interes- (Zuruf: EU-Recht!) sieren. Das hat uns auch nicht interessiert. Wir haben ein Wer das ändern möchte, muss die Regeln auf Europa- und klares Verfahren durchgezogen, das mit einem bestimmten Bundesebene ändern und darf nicht den hessischen Wirt- Ergebnis endete, und entsprechend wurde dann vergeben. schaftsminister beschimpfen, Frau Wissler. Lassen Sie mich, auch im Sinne der Mitarbeiterinnen und (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Mitarbeiter, noch etwas dazu sagen, wie es nun weitergeht. bei Abgeordneten der CDU) Ein neuer Betreiber, wer immer es ist, ist darauf angewie- sen, dass er qualifiziertes Personal hat. Hier sind vielleicht Ich erkläre ausdrücklich, dass ich es politisch sehr begrü- auch die Erfahrungen ganz hilfreich, die in Berlin im Zu- ßen würde, wenn es einen für allgemein verbindlich erklär- sammenhang mit einem Betriebsübergang gemacht wur- ten Tarifvertrag gäbe. den. Da war es nämlich so, dass die Mitarbeiterinnen und (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- Mitarbeiter nicht übernommen wurden, dass es keinen Be- NISSES 90/DIE GRÜNEN) triebsübergang gab und am Ende das Chaos ausgebrochen ist. Einen solchen Tarifvertrag gibt es jedoch nicht. Die Einzi- gen, die ihn abschließen könnten, sind die Tarifvertrags- (Zuruf von der LINKEN: Schlimm genug!) parteien, und zwar einvernehmlich. Am Ende entscheidet Ich bin mir sehr sicher, dass auch ein neuer Betreiber ganz nicht die Hessische Landesregierung, sondern das Bundes- genau weiß, dass er auf gute und qualifizierte Mitarbeite- ministerium für Arbeit und Soziales, ob ein solcher von al- rinnen und Mitarbeiter angewiesen ist. Deswegen ist es für len gestellter Antrag auf Allgemeinverbindlichkeitserklä- mich logisch, dass derjenige, der die Ausschreibung ge- rung durchkommt oder nicht. wonnen hat, bereits angekündigt hat, die Mitarbeiterinnen Lassen Sie mich noch hinzufügen – – und Mitarbeiter seines Vorgängers im Wege eines Be- triebsübergangs übernehmen zu wollen. Alles Weitere ist (Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten) Sache der Tarifparteien. Entschuldigung, wenn ich das an dieser Stelle ausführen Ich bin mir aber sehr sicher, dass gerade angesichts der gu- möchte. Wir reden viel über die Frage, wie wir es hinbe- ten Arbeitsmarktlage und angesichts der Notwendigkeit, kommen können, dass sich die Menschen zur Demokratie gutes und qualifiziertes Personal zu gewinnen, am Ende bekennen und dass die Politikverdrossenheit abnimmt. dort ein Tarifvertrag stehen könnte, der im Zweifel die Wenn Sie hier aber ein Bild zeichnen, als hätte ich eine po- Sorgen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zerstreut. litische Entscheidungsmöglichkeit gehabt, wo ich mich tat- Aber noch einmal: Das ist nichts, worüber ich entscheide, sächlich nur als Ersatzentscheider in einem Rechtsverfah- sondern das ist am Ende Sache der Tarifparteien. ren befinde, dann tragen Sie Ihren Teil zur Politikverdros- senheit bei. Letzter Punkt: Wie geht es weiter? Wie zu erwarten war, hat einer der unterlegenen Bewerber gegen die Auswahl- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE entscheidung geklagt. Das ist sein gutes und selbstver- GRÜNEN – Janine Wissler (DIE LINKE): Wem ge- ständliches Recht. Ich muss an dieser Stelle allerdings auch hört denn Fraport?) feststellen: Ich sehe es mit einer gewissen Sorge, dass sol- che Klagen bundesweit nach fast jeder Auswahl von Bo- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8047 denabfertigern erhoben werden, und zwar unabhängig da- nen: Die Bereitschaft, nach einem Betriebsübergang einen von, welcher der europaweit agierenden Anbieter den Zu- Betrieb zu überführen, beinhaltet nach § 613a BGB die Ta- schlag erhalten hat. rifgarantie für ein Jahr, aber nicht länger. Danach ist völlig offen, was dann passiert. Tun Sie also nicht so, als hätte es (Zuruf von der SPD: Genau!) eine Erklärung gegeben, den Tarifvertrag und die Inhalte Jahrelange Schwebezustände sind die Folge, mit allen ne- zu übernehmen. Das ist schlicht falsch. gativen Konsequenzen und Unsicherheiten, auch und gera- (Beifall bei der LINKEN – Vizepräsidentin Heike de für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Deswegen Habermann übernimmt den Vorsitz.) setzt sich Hessen auf Bundesebene dafür ein, sowohl das Verfahren als auch die Entscheidungskriterien für die Aus- Natürlich müssen alle sieben Jahre Ausschreibungen vor- wahl von Bodenabfertigern klarer zu fassen. Das klingt genommen werden. Das ist bedauerlicherweise so. Wir ha- vielleicht nicht besonders spektakulär, aber ich bin davon ben Sie aber auch nicht zu einem Rechtsbruch aufgefor- überzeugt, dass es genau das ist, was den betroffenen Mit- dert, als wir kritisierten, dass Sie sich gegen ein Unterneh- arbeiterinnen und Mitarbeitern wirklich hilft. – Vielen men entschieden haben, das tarifgebunden ist. Dank. Geben Sie es doch zu, Herr Al-Wazir: Das ist Ihnen im (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Ministerium schlichtweg durchgerutscht. Sie haben nicht GRÜNEN) darauf geachtet. Das war nicht prioritär bei Ihrer Entschei- dung. Jetzt versuchen Sie, zurückzurudern und das anderen zuzuschreiben. Das finde ich völlig unredlich und unange- Vizepräsident Frank Lortz: bracht. Herr Minister, vielen Dank. – Es gibt eine zweite Runde. (Beifall bei der LINKEN) Jede Fraktion hat, wenn sie will, fünf Minuten und 50 Se- kunden. Der Kollege Schaus hat sich gemeldet. Den Begriff Tarifbindung – ich habe da sehr genau zuge- hört – mit „irgendwelchen politischen Bedingungen“ zu (Zuruf: Vielleicht sollten wir keine Redezeit mehr bezeichnen, das halte ich für unterirdisch. für die Regierung festlegen!) (Beifall bei der LINKEN) Tarifbindung bedeutet nicht „irgendwelche politische Be- Hermann Schaus (DIE LINKE): dingungen“, sondern ist Grundlage der Lebensexistenz von Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, und Herr Minister, es gibt viel zu sagen zu dem, was Sie heute das ist wichtig und bedeutend. vorgetragen haben. Es ist völlig richtig, dass Sie als Ersatz- (Beifall bei der LINKEN) entscheider entschieden haben – entschieden haben! –, wer den Zuschlag erhält. Deshalb muss das mit im Vordergrund einer Entscheidung stehen, die letztendlich auch dazu führt, dass Tarifverträge (Janine Wissler (DIE LINKE): Genau: entschieden nicht nur hier im Landtag angekündigt und für wichtig ge- haben!) halten werden, sondern dass auch beim konkreten Handeln, Ebenso ist es richtig, dass nicht Sie die Kriterien für die wenn das Ministerium eine Entscheidung trifft, dies ein Ausschreibung festgelegt haben, sondern die Firma Fra- wichtiges Kriterium sein muss. Das erwarte ich von Ihnen. port, die mehrheitlich in öffentlichem Besitz steht und die (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU: sehr wohl in der Lage wäre, auch ein Tarifkriterium als Lauter!) Ausschreibungskriterium mit aufzunehmen. Sie haben hier darzustellen versucht, dass die Frage der Deshalb frage ich Sie an dieser Stelle zurück: Was haben Allgemeinverbindlichkeit eine Entscheidung wäre, die das Sie denn in letzter Zeit politisch dafür getan, dass bei Aus- Bundesarbeitsministerium zu treffen hätte. schreibungen, die die Fraport vornimmt – woran das Land einen hohen Anteil hat –, das Tarifkriterium als Entschei- (Zuruf von der CDU: Man hört Sie unten im Hof! – dungs- und Ausschreibungskriterium mit aufgenommen Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE): wurde? Das ist gut so! – Zuruf von der CDU: Wer schreit, hat unrecht!) (Beifall bei der LINKEN) Das ist falsch. Ich zitiere aus einer gemeinsamen Presseer- Herr Minister, Sie haben so getan, als hätten Sie sich nicht klärung des Senats des Landes Berlin und des Landes für einen Tarifvertrag als Kriterium entscheiden können, Brandenburg vom 17.08.2017. Demnach wird rückwirkend weil das nicht als Kriterium in der Ausschreibung gestan- ab dem 1. April dieses Jahres sowohl für den Flughafen den habe. Das ist das Bild, das Sie hier gezeichnet haben. Tegel als auch für den Flughafen Schönefeld die Allge- Da sage ich Ihnen: Das ist eindeutig falsch. Kein Entschei- meinverbindlichkeit der Tarifverträge für die Bodenver- der, auch kein Minister, ist daran gehindert, sich für einen kehrsdienste und für die Sicherheitsdienste von den Lan- Bewerber auszusprechen, der tarifgebunden ist, und gegen desministerien festgestellt – zugegebenermaßen auf An- einen, der nicht tarifgebunden ist. trag. Das ist also nicht eine Frage, die nur auf Bundesebene (Beifall bei der LINKEN) entschieden werden muss, sondern das ist sehr wohl eine Frage, die auf Landesebene entschieden werden kann. Betrachten wir doch einmal ganz genau, was Sie hier ge- sagt haben. Sie haben gesagt, die Firma WISAG habe sich Da frage ich wiederum, Herr Minister: Was tun Sie dafür, bereit erklärt, im Wege des Betriebsübergangs Tarifver- dass die Abfertiger von Bodenverkehrsdiensten am Frank- handlungen zu führen und die Beschäftigten zu überneh- furter Flughafen tatsächlich zu einem einheitlichen Bran- men. Herr Minister, als Gewerkschaftssekretär sage ich Ih- chentarifvertrag kommen oder dass es auf einheitlicher Ba- 8048 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 sis eine Allgemeinverbindlichkeit gibt? Sie können dazu einen Kreis bezogen waren. Jetzt haben Schülerinnen und sowohl als Wirtschaftsminister als auch als Mitglied im Schüler die Möglichkeit, sich über die Kreisgrenzen hinaus Aufsichtsrat, Herr Kaufmann, einen Beitrag dazu leisten. zu bewegen. So haben die jungen Menschen die Möglich- Sie können viel dazu beitragen, dass die Sicherheit der Ar- keit, sich in der Region zu bewegen und weitere Angebote beitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Acciona und an- in einem Maße zu nutzen, wie dies bisher nicht möglich deren am Flughafen tatsächlich besteht bzw. wieder zu- war. rückkommt. Tun Sie das einfach. Herr Rudolph, ich habe den Eindruck, Sie möchten gerade (Beifall bei der LINKEN) eine Ansprache halten. Vielleicht melden Sie sich und ma- chen das dann von hier vorne aus. Dann haben wir alle et- was davon. Vizepräsidentin Heike Habermann: (Günter Rudolph (SPD): Ich mache das, was die Kolleginnen und Kollegen, mir liegt eine weitere Wortmel- CDU immer macht!) dung von Herrn Kaufmann vor. Ich weise darauf hin, dass sich in einer Aktuellen Stunde ein anderer Redner der So haben aber nur Ihre vier Kollegen da vorne etwas da- Fraktion zu Wort melden muss, wenn noch ausstehende von. Es gibt hier so Zettelchen, mit denen man sich melden Redezeit genutzt werden soll. – Das scheint nicht der Fall kann. Vielleicht machen Sie das einmal so. zu sein. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Da- (Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD)) mit ist die Aktuelle Stunde zu Tagesordnungspunkt 63 ab- gehalten. – Im Plenum reden Sie mehr dazwischen als manch ande- rer im gesamten Parlamentsbetrieb. Da haben Sie völlig Ich rufe Tagesordnungspunkt 64 auf: recht, Herr Rudolph. Antrag der Fraktion der CDU betreffend eine Aktuelle (Beifall bei Abgeordneten der CDU) Stunde (Hessens Schülerinnen und Schüler freuen sich: Es ist aber nicht immer alles qualifiziert, was Sie dazwi- Schon 250.000 Schülertickets stärken den ÖPNV und schenreden. Das ist das Problem. machen Mobilität erschwinglich) – Drucks. 19/5194 – (Gerhard Merz (SPD): Jetzt wieder zur Sache, Herr Erster Redner ist Herr Kollege Caspar von der CDU-Frak- Kollege!) tion. Meine Damen und Herren, offensichtlich scheint es bei Ih- nen auf wenig Interesse zu stoßen, dass die Schülerinnen Ulrich Caspar (CDU): und Schüler nun diese guten Möglichkeiten haben. Das ist bedauerlich; denn dies ist ein erheblicher Fortschritt. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ja, Hessens Schülerinnen und Schüler können sich am Beginn dieses (Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD)) Schuljahres aus vielen Gründen freuen. In schulpolitischen Die Fraktion der LINKEN ist hier kaum noch vertreten. Debatten im Plenum haben wir gehört, wie gut die schuli- sche Situation in Hessen ist. Eine gute Schule muss man (Marjana Schott (DIE LINKE): Wir sind zu 50 % aber auch aufsuchen können. Man muss auch gut zu ihr da!) hinkommen können. Es ist schön, dass sich der Saal nun füllt. Frau Wissler, die Viele Schülerinnen und Schüler nutzen hierfür das Ange- jetzt leider nicht da ist, hat in einer Debatte zur Mobilität bot des öffentlichen Personennahverkehrs. Der öffentliche kritisiert, dass für das Schülerticket immer noch 365 € im Personennahverkehr in Hessen ist finanziell so gut ausge- Jahr ausgegeben werden müssen. Nach ihren Vorstellun- stattet wie nie zuvor. Deswegen ist dieser auch in der Lage, gen müsste das alles gar nichts kosten. Wo DIE LINKE re- dieser zusätzliche Nachfrage nach Verkehren nachzukom- giert – beispielsweise in Thüringen, wo sie den Minister- men, die dadurch ermöglicht werden, dass wir ein günsti- präsidenten stellt –, gibt es noch nicht einmal ein Schüler- ges Ticket eingeführt haben für die Schülerinnen und ticket zu günstigen Konditionen, wie es das in Hessen gibt. Schüler, aber auch für die Auszubildenden. Wir sind der Meinung, dass wir die Ausbildung stärken müssen. Deswe- (Marjana Schott (DIE LINKE): Schauen Sie einmal, gen ist dieses Ticket eine gute Sache. was für ein furchtbares Erbe wir übernommen ha- ben!) (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dort haben Sie als LINKE noch einigen Handlungsbedarf. Insofern ist meines Erachtens die Kritik der Opposition, Meine Damen und Herren, die Schülerinnen und Schüler das sei zwar alles gut, dürfe aber möglichst nichts kosten, haben nicht nur den Vorteil, dass sie für 365 € im Jahr und nicht besonders glaubwürdig, weil man das im eigenen damit für 1 € pro Tag den ÖPNV in Hessen nutzen können. Land nicht anders macht. Damit können sie nicht nur zur Schule bzw. zur Ausbil- dungsstätte und zurück, sondern sie können das Ticket Dieses Schülerticket ist ein weiterer Beitrag dazu, dass die auch für andere Aktivitäten nutzen. Wir legen Wert darauf, Menschen in Hessen gut und gerne leben können. – Vielen dass Schülerinnen und Schülern nicht nur schulische Bil- Dank. dung zuteilwird, sondern dass sie auch die Möglichkeit ha- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE ben, sich bei Vereinen und anderen Einrichtungen weiter- GRÜNEN) zubilden und soziale Kompetenz zu erwerben. All das ist mit diesem Ticket möglich, das nur sehr wenig kostet. Besonders wichtig ist, dass die bisherigen Ticketlösungen immer Lösungen waren, die nur auf eine Kommune oder Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8049

Vizepräsidentin Heike Habermann: te –, auf die Herausforderungen der Gegenwart nur wenig eingegangen. Einer der wenigen Punkte, an denen sich der Vielen Dank. – Nächster Redner ist Kollege Frankenber- Minister im Hier und Heute befand, war neben dem Schü- ger, SPD-Fraktion. ler- und Landesticket der Hinweis, dass die Finanzierung der Verbünde bis 2021 gesichert und dass noch nie so viel Uwe Frankenberger (SPD): Geld an die Verbünde geflossen sei. Das stimmt zwar, aber Sie wissen ganz genau, Herr Minister, damit wird lediglich Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr der Status quo gesichert, und Abbestellungen konnten ver- Kollege Caspar, wir haben uns die ganze Zeit gefragt, was mieden werden. Mehr ist beim hessischen ÖPNV aber der Neuigkeitswert dieser Aktuellen Stunde zum Thema nicht drin. Für spürbare Entlastungen für geplagte Pendler Schülerticket war. reicht das in den Hauptverkehrszeiten im ÖPNV nicht aus. (Ulrich Caspar (CDU): Dann hätten Sie zuhören Ich formuliere es vorsichtig einmal so: Die Pünktlichkeit, müssen!) insbesondere der S-Bahnen im Rhein-Main-Gebiet, ist – Wir haben genau zugehört; denn wir von der SPD-Frakti- stark ausbaubar. Die S-Bahnen im Rhein-Main-Gebiet zäh- on können beides, reden und zuhören, Kollege Caspar. len nämlich zu den unpünktlichsten in Deutschland. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) (Günter Rudolph (SPD): Und teuersten!) Jedenfalls haben wir keinen Neuigkeitswert finden können. Wer hier neue Kunden gewinnen und den Umstieg auf den ÖPNV voranbringen will, Herr Minister, der muss mit Über die Einführung des Schülertickets wurden hier im mehr zufrieden sein, als den Status quo abzusichern. Landtag schon mehrere Debatten geführt. Die SPD hat die Einführung des Schülertickets begrüßt. Das ist auch heute (Beifall bei der SPD) noch so. Der Titel der Aktuellen Stunde lautet: „Hessens Wir haben im ÖPNV gewaltige Herausforderungen zu be- Schülerinnen und Schüler freuen sich: Schon 250.000 wältigen, und zwar jetzt und nicht erst im Jahre 2035. Hier Schülertickets stärken den ÖPNV und machen Mobilität kommen insbesondere auf die Kommunen große Heraus- erschwinglich“. Meine Damen und Herren von der CDU- forderungen zu. Ich möchte an dieser Stelle meinen Dank Fraktion, da muss man etwas Wasser in den Wein gießen. an die kommunale Familie richten; denn ohne deren Be- Der Titel hätte eigentlich lauten müssen: Schon 250.000 reitschaft und Unterstützung wäre das Schülerticket über- Schülertickets stärken den ÖPNV und machen Mobilität haupt nicht möglich gewesen. erschwinglich, aber immer mehr Eltern ärgern sich über die soziale Ungleichheit beim Schülerticket. Meine Damen und Herren, ich will Ihnen ein Beispiel aus meiner Heimatstadt Kassel nennen. Hier mussten in den (Beifall bei der SPD) letzten Jahren die Straßenbahnen ersetzt werden. Vom Immer mehr Eltern merken nämlich, dass die bestehende Land gab es dafür kein Geld. Dass das Land Hessen die Regelung im Hessischen Schulgesetz die Schülerinnen und Kommunen im Stich lässt, sind wir ja schon gewohnt. Schüler in zwei Gruppen aufteilt: in diejenigen, die mit (Beifall der Abg. Nancy Faeser (SPD)) dem Schülerticket den ÖPNV in Hessen kostenlos nutzen können, und diejenigen, die in die Röhre gucken und leer Dass es auch anders geht, zeigen folgende Beispiele. Sach- ausgehen. Ich prophezeie Ihnen – das können Sie meinet- sen fördert die Straßeninfrastruktur mit 31 Millionen €. Ba- wegen weglächeln oder ignorieren –, dass das insbesonde- den-Württemberg stellt 60 Millionen € für die Neubeschaf- re bei Klassenfahrten noch zu heftigen Diskussionen an fung und die Sanierung von Schienenfahrzeugen zur Ver- den Schulen führen wird; denn die einen fahren mit dem fügung. Niedersachsen gibt über 63 Millionen € für die erstatteten Schülerticket kostenlos, während die anderen Anschaffung von Stadtbahnwagen in Hannover aus. Und den vollen Fahrpreis bezahlen müssen. was macht Hessen? – Da lobt sich der Minister dafür, dass der Status quo gehalten werden konnte. Das ist zu wenig. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Die Schüler und Eltern leiden darunter, dass sich die schwarz-grünen Koalitionspartner nicht grün sind, wenn es um das Hessische Schulgesetz geht. Ich kann Ihnen von Vizepräsidentin Heike Habermann: den Koalitionsparteien nur raten, diesen Ärger ernst zu Kollege Frankenberger, Sie müssen zum Schluss kommen. nehmen. Meine Damen und Herren, das Schülerticket ist an sich ei- ne gute Sache; denn die Schülerinnen und Schüler, die Ju- Uwe Frankenberger (SPD): gendlichen sollen langfristig an den ÖPNV gebunden wer- Ich komme zum Schluss. – Es ist gut, dass das Schüler- den. Das gelingt aber nur, wenn der ÖPNV leistungsfähig, ticket Akzeptanz findet. Wir werden Ende des Jahres se- attraktiv und vor allen Dingen – ich schaue den Kollegen hen, ob die Kalkulationen aufgegangen sind. Zum Schluss Rudolph an, wir sind da leidgeplagt – pünktlich ist, insbe- bleibt aber immer noch die Frage: Wann geht man in Hes- sondere auch im Rhein-Main-Gebiet. sen die großen Herausforderungen im ÖPNV endlich an? Der Herr Staatsminister ist am Dienstag in einer Regie- Diese Frage bleibt auch in dieser Woche unbeantwortet. rungserklärung, deren Schwerpunkt die Flucht vor den (Beifall bei der SPD) Herausforderungen der Gegenwart war (Heiterkeit und Beifall bei der SPD) – denn der Minister teilte uns hauptsächlich seine Gedan- kengänge dazu mit, was im Jahre 2035 alles so sein könn- 8050 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

Vizepräsidentin Heike Habermann: Das gilt auch für die, die einen Freiwilligendienst leisten. Das Problem war bisher, dass diejenigen, die freiwilligen Vielen Dank. – Das Wort hat die Kollegin Müller, Fraktion Wehrdienst leisten, das Ticket ersetzt bekamen, aber die, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. die den Bundesfreiwilligendienst leisten, teure Fahrkarten kaufen mussten. Für die zuletzt Genannten ist es eine enor- Karin Müller (Kassel) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): me Entlastung, dass sie jetzt weniger für ihre Fahrkarten zahlen müssen und mehr Leistung bekommen. Auch die Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir lassen Eltern zahlen künftig weniger. uns den Erfolg des Schülertickets weder von der SPD- Fraktion noch von anderen schlechtreden. (Marjana Schott (DIE LINKE): Das stimmt so nicht!) (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Ger- – Fragen Sie die Eltern doch einmal, wie viel sie im Monat hard Merz (SPD)) dadurch sparen, dass man jetzt das Schülerticket kaufen kann und mehr Leistung bekommt. Davon können Sie Das Schülerticket ist ein voller Erfolg. Kurze Zeit nach mich nicht abbringen; denn ich kann Ihnen zehn Beispiele dem Verkaufsstart sind schon 250.000 Schülertickets in nennen – – Hessen verkauft worden. Das ist ein Erfolg, den man zwar erwartet, jetzt aber auch bestätigt bekommen hat. (Marjana Schott (DIE LINKE): Im Werra-Meißner- Kreis gab es vorher ein preiswerteres Ticket!) (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU) – Aber das galt nur für den Landkreis. – Die Organisation der Klassenfahrten wird künftig viel einfacher, weil viel Ich wundere mich ein bisschen darüber, dass Sie schon die mehr Schüler diese Tickets haben und die Klassenlehrer ganze Woche darüber lamentieren, dass es keine Regie- die Ausflüge viel einfacher organisieren können. rungserklärung zum Thema Schule gegeben hat, aber jetzt, bei einem originären Schulthema, nämlich dem Schüler- Ich nehme als Beispiel Nordhessen. In ganz Nordhessen ticket, wieder lamentieren und sagen, die Debatte habe kei- sind 58.000 Schülertickets ausgegeben worden; ungefähr nen Neuigkeitswert. 12.000 davon sind verkauft worden. Vorher waren es 6.000. Im Landkreis Waldeck-Frankenberg sind 7.900 (Zurufe von der SPD) Schülertickets kostenlos ausgegeben worden; 1.600 sind Die Punkte, die Sie angesprochen haben, Herr Frankenber- verkauft worden. Vorher sind nur 550 verkauft worden. ger, haben nämlich etwas mit Bildungsgerechtigkeit zu tun. Das zeigt doch, dass man damit auf einen Bedarf eingeht. Das Schülerticket schafft Bildungsgerechtigkeit – ganz im Noch dazu hat die Reaktivierung der Kurhessenbahn, die Gegensatz zu dem, was Sie sagen. wir betrieben haben, dazu beigetragen, dass der ÖPNV von den Schülerinnen und Schülern rege genutzt wird. (Marjana Schott (DIE LINKE): Nein, das tut es wirklich nicht!) (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU) Vorher war es so – und es ist auch jetzt noch so –, dass Schülerinnen und Schüler bis Klasse 10 ab einer Entfer- Außerdem ist das Schülerinnen- und Schülerticket für die nung von 3 km die Schulwegekosten erstattet bekommen Auszubildenden und die Freiwilligendienstler ein Betrag haben. In den Grundschulen wurden die Kosten ab einer zum Klimaschutz. Wir haben heute all die Meldungen über Entfernung von 2 km erstattet. Daran hat sich nichts geän- die Katastrophen in den USA und in Indien gelesen. Das dert. Für die Oberstufen musste jeder sein Ticket selbst be- ist nicht nur ein bestimmtes Wetter, sondern das ist eine zahlen, außer er war so bedürftig, dass die Landkreise die Klimaveränderung. Wir müssen alle Maßnahmen ergrei- Kosten erstattet haben. fen, um die Klimaveränderungen zu verhindern. Jetzt ist es so, dass sich alle für 365 € ein Schülerticket für Deswegen sind die 20 Millionen € für das Schülerticket gut ein Jahr für Fahrten in ganz Hessen leisten können. Das investiertes Geld. Das Schülerinnen- und Schülerticket ist heißt, dass die Auswahl des Schulstandorts nicht mehr vom ein Erfolg, und ich bin der CDU dankbar, dass wir es heute Geldbeutel der Eltern abhängt. noch einmal würdigen konnten. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU) der CDU) Ich möchte Sie auch gern ein bisschen updaten. Die Kolle- gin Wissler hat nämlich in der Debatte zur Mobilität er- Vizepräsidentin Heike Habermann: zählt, dass der Ansatz für die Mobilität bei Hartz-IV-Emp- Vielen Dank. – Als Nächste spricht Kollegin Faulhaber, fängern 26 € beträgt. Das war vielleicht vor zehn Jahren Fraktion DIE LINKE. so. Aktuell beträgt er 34,70 €. Das kommt dem Betrag ziemlich nahe, der für das Schülerticket ausgegeben wer- den muss. Gabriele Faulhaber (DIE LINKE): (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ja, das Schü- bei Abgeordneten der CDU) lerticket ist ein Schritt in die richtige Richtung. Für viele, Das Schülerticket hat natürlich auch noch andere Vorteile. aber nicht für alle, haben sich die Kosten für eine Fahrtkar- Wir haben das hier alles schon erörtert, aber ich will es te im ÖPNV verringert. Auch dass man in der Freizeit mit noch einmal kurz zusammenfassen. Nicht nur die Schüle- dieser Karte fahren kann, ist für viele gut – aber nicht für rinnen und Schüler sind mobil, sondern auch die Auszubil- alle. denden können in ganz Hessen für 365 € im Jahr fahren. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8051

Einer Entlastung für Familien werden wir immer zustim- schon ausgeführt; das brauche ich nicht lang und breit zu men. Wenn jetzt 250.000 Schülertickets genutzt werden, machen. stärkt das den ÖPNV. Auch dagegen würden wir nie etwas (Holger Bellino (CDU): Geben Sie die Rede doch zu sagen. Aber 31 € sind auch ein guter Preis, wie man fest- Protokoll!) stellt, wenn man das mit den üblichen Preisen im ÖPNV, besonders im Rhein-Main-Gebiet, vergleicht. Es bleibt also eine Ungleichheit, von der die Schüler be- troffen sind, die nicht mehr der Schulpflicht unterliegen, Dann gibt es aber kritische Punkte; die sind von den Kolle- also die 9. oder die 10. Klasse besuchen. Oberstufenschüler gen hier schon angesprochen worden. Erstens bleiben Kin- müssen die Kosten für die Fahrt zur Schule immer selbst der aus benachteiligten Familien weiterhin benachteiligt, bezahlen. weil diese sich nicht ohne Weiteres 31 € im Monat dafür leisten können. Ich fasse zusammen: Wir finden recht unterschiedliche Verhältnisse vor. Es gibt Kinder, die durch ganz Hessen Frau Müller, da das hier ein bisschen unklar zu sein fahren können, und es gibt andere, die sich diese Mobilität scheint, möchte ich das einmal ausführen – offensichtlich nicht leisten können. Ich finde, das ist, wenn wir über Bil- können Sie sich das nicht vorstellen –: Inzwischen sind 15 dungsgerechtigkeit sprechen, eine Sache, an der sich drin- bis 20 % der Menschen in unserem Land arm oder von Ar- gend etwas ändern muss. mut bedroht. Sie reden selbst immer über Kinderarmut. Aber Kinder, die arm sind, kommen aus armen Haushalten, (Beifall bei der LINKEN) vor allem aus Haushalten mit alleinerziehenden Müttern oder mit Eltern, die im Niedriglohnsektor beschäftigt sind Es kann wirklich nicht sein, dass es für manche Familien – vielleicht sogar im Jobcenter auf die Höhe der Grundsi- ein Bildungshindernis darstellt, zur Schule zu kommen. cherung aufstocken müssen – oder Harz IV beziehen. Das will ich nur noch einmal sagen. Wenn es bei dem Job- ticket für Landesbedienstete funktioniert, warum funktio- Einem Hartz-IV-leistungsberechtigten Erwachsenen stehen niert es nicht bei einem solchen Ticket für Schülerinnen nicht 34 €, sondern 25,77 € für Mobilität zu. Einem Ju- und Schüler? Die Idee eines Schülertickets ist also gut, gendlichen von ungefähr 15 Jahren stehen knapp 15 € zu. aber auf jeden Fall deutlich verbesserungswürdig. – Ich Ich halte zweimal die Woche eine Hartz-IV-Sprechstunde danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ab. Sie können sich leicht ausrechnen, dass 16 € für das Schülerticket fehlen. Die müssen dann von der Grundsi- (Beifall bei der LINKEN) cherung bezahlt werden, gehen also vom Geld für Essen und Miete ab. Wenn für mehrere Kinder ein Ticket gekauft Vizepräsidentin Heike Habermann: werden muss, ist das gar nicht mehr zu machen. Vielen Dank. – Nächster Redner ist Kollege Lenders, FDP- (Beifall bei der LINKEN) Fraktion. Was Ihnen wenig erscheint, weil Sie alle in gesicherten Verhältnissen leben, bedeutet für viele Familien eine große finanzielle Belastung. Das sollte man vielleicht einmal ein Jürgen Lenders (FDP): bisschen zur Kenntnis nehmen. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich glaube, (Beifall bei der LINKEN) dass das Schülerticket und auch das Jobticket uns nicht nur in dieser Aktuellen Stunde beschäftigen, sondern dass wir Das ist der Grund, warum DIE LINKE eine kostenfreie uns auf Anregung von CDU und GRÜNEN hier wahr- Schülerbeförderung fordert: Unserer Meinung nach gehört scheinlich noch oft mit diesem Thema auseinandersetzen es zur Lehrmittelfreiheit, dass Schüler in die Schule kom- dürfen; denn das ist schließlich eine „Riesenerfolgsge- men können, ohne dass Familien finanziell belastet werden schichte“. – auch nicht durch 31 €. Schauen wir uns beides zusammen an – Kollege Franken- (Beifall bei der LINKEN) berger hat von einer „Zweiklassengesellschaft“ gespro- Zweitens wurde in einigen Städten die Fahrt zur Schule chen –: Ich würde sagen, es ist sogar eine Dreiklassenge- teurer. Frau Wissler hat es hier schon ausgeführt: Für den- sellschaft; denn, Kollege Frankenberger, mit dem Jobticket jenigen, der nur zur Schule fahren will und überhaupt nicht haben wir die Situation, dass der Direktor des Gymnasiums an einer hessenweiten Fahrt interessiert ist, wird es in vie- künftig kostenlos fährt, während der Fünftklässler 365 € len Fällen teurer. In Hanau z. B. beträgt die Teuerung 65 €. zahlen muss. Insofern haben wir sogar noch eine dritte Hanau ist kein Einzelfall; das kam auch in anderen Land- Klasse eingerichtet. Das ist schon ein sehr schiefes Bild. kreisen vor. (Beifall bei der FDP und der LINKEN) Wenn Sie sagen, Schülerfahrten würden dann billiger, las- Wer sich das Schülerticket genau anschaut, merkt auch, sen Sie aus, dass es Schüler gibt, die innerhalb diesseits der dass der eigentliche Sponsor der ganzen Geschichte nicht 2- oder 3-km-Grenze wohnen und vielleicht zu Fuß gehen das Land ist, sondern dass die eigentlichen Sponsoren die müssen, weil sie sich das Schülerticket nicht leisten kön- Schulträger, nämlich die Landkreise und die kreisfreien nen. Die können dann an keiner Schülerfahrt mehr teilneh- Städte, sind. men. Oder wie soll ich das verstehen? Das alles ist also ziemlich unausgegoren. Meine Damen und Herren, oft genug wollten wir von der Landesregierung eine Prognose bekommen, wie teuer es (Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE insgesamt wird. Bisher haben wir immer noch nichts dazu GRÜNEN): So wie Ihre Rede!) erfahren – nur dass es eine große Erfolgsstory ist. Aber Dann entsteht eine Ungleichheit in der Fahrtkostenerstat- wenn es wirklich eine solch große Erfolgsstory ist, kann tung durch den Schulträger. Das hat Frau Wissler ebenfalls man durchaus in Zweifel ziehen, dass man mit den einge- stellten 20 Millionen € hinkommt. 8052 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

Eben ist auch kurz die Bildungsgerechtigkeit angesprochen Vizepräsidentin Heike Habermann: worden. Frau Müller, Sie haben gesagt, das Schülerticket Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Staatsminister Al-Wa- sei ein Teil der Bildungsgerechtigkeit, weil man sich seine zir. Schule jetzt aussuchen könne. Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus dem Landkreis Fulda: Da haben sich Eltern entschie- den – Bildungsfreiheit –, ihre Kinder auf ein Gymnasium Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Ver- zu schicken, das rund 3,5 km entfernt ist. Es gibt aber auch kehr und Landesentwicklung: ein Gymnasium in der Nähe; es ist nur 1,7 km entfernt. Diese Eltern werden künftig, wenn sie zwei Kinder haben, Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! rund 300 € mehr zahlen müssen als vorher – von wegen Ja, es ist ein Riesenerfolg, dass wir in Hessen seit einem Bildungsgerechtigkeit. Monat – denn heute ist der 31. August – ein Schülerticket- angebot haben, das es den Schülerinnen und Schülern und Frau Müller, mit diesem Argument kommen Sie nicht Auszubildenden erlaubt, mit der Jahreskarte für 1 € am durch. Es mag sein, dass es für einen Großteil der Schüle- Tag in ganz Hessen unterwegs zu sein. Ich will das noch rinnen und Schüler ein deutlich besseres Angebot ist; aber einmal ausdrücklich sagen: Wenn wir schon jetzt, nach ei- Sie dürfen nicht verschweigen – das gehört zur Ehrlichkeit nem Monat, über 250.000 verkaufte und ausgegebene dazu –, dass es viele gibt, für die es auch teurer wird. Schülertickets haben, dann ist das ein gutes Zeichen. (Beifall bei der FDP und der Abg. Marjana Schott (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE (DIE LINKE)) GRÜNEN) Am Anfang der Debatte haben Sie uns klargemacht – Herr So ganz nebenbei: Wir haben innerhalb weniger Monate in Al-Wazir, weil Sie schon wieder munter werden; das finde der Vorbereitung einen komplett neuen und hessenweit ich immer schön –, dass das bisherige Angebot, die Clever geltenden Tarif geschaffen, einschließlich der Informati- Card, erhalten bleibe und dass die Schüler diese ja nutzen onskampagne, die dafür da ist, dass die Schülerinnen und könnten, somit müsste es für sie nicht teurer werden. Aber Schüler erfahren, was es für ein Angebot gibt, und die von kurz nachdem das Schülerticket eingeführt wurde, hat der den Verkehrsverbünden gemacht wird, ebenso die Tarifge- RMV eben diese Clever Card als Produkt abgeschafft. Auf nehmigung. diese Idee hätte man einmal kommen können, meine Da- men und Herren. Übrigens auch ganz nebenbei: Die Einführung des E-Tickets im NVV und im Landkreis Bergstraße – auch (Beifall bei der FDP) das ist jetzt hessenweit möglich – wird für die Zukunft Am Ende ist es nicht diese große Erfolgsstory, die Sie hier weitere Angebote ermöglichen. Da bin ich mir ganz sicher. verkünden wollen. Die Umstellung von Tausenden Bestandsverträgen und der Abschluss von Tausenden Neuverträgen wurden umge- (Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜND- setzt. Das ist eine riesige Leistung, für die ich mich bei den NIS 90/DIE GRÜNEN)) Beteiligten in den Verkehrsunternehmen, bei den Städten Ich bin einmal gespannt, ob die Prognosen aufgehen, ob es und Landkreisen, den lokalen Nahverkehrsorganisationen jetzt jeder nutzen wird und der ÖPNV die Erfolgsstory und den Verkehrsverbünden bedanke. wird. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE und der CDU, dann müssen Sie auch erklären, wie Sie, ge- GRÜNEN) rade im Rhein-Main-Gebiet, diese zusätzliche Nachfrage überhaupt bewältigen wollen. In Anbetracht dieser Infra- Ich habe von vielen langjährig im ÖPNV Aktiven gehört, struktur, die wir beim ÖPNV haben – Herr Kollege Fran- dass es die größte Umstellung seit der Schaffung der Ver- kenberger hat es Ihnen gesagt –, können Sie nicht noch kehrsverbünde und damit der letzten 20 Jahre war. mehr Fahrzeuge fahren lassen. Die würden sozusagen (Günter Rudolph (SPD): Weltweit!) Stoßstange an Stoßstange fahren. Die Bahngleise sind schon von vorne bis hinten besetzt. Daher wäre das Geld, Ich will ausdrücklich sagen: Das ist kein Selbstzweck, son- wenn man das verbessern will, erst einmal vernünftiger für dern wir haben für die rund 840.000 Schülerinnen und den Ausbau, für die Qualitätsverbesserung im ÖPNV ein- Schüler sowie für die Auszubildenden in Zukunft den gesetzt gewesen – gerade im Ballungsraum. Damit hätten Grundsatz: ein Ticket, ein Land, 1 € am Tag. Es macht den wir wirklich etwas erreichen können, und dann hätten wir ÖPNV für junge Menschen einfach erfahrbar. Und nun zur auch mehr Menschen dafür begeistern können, auf den Frage: „Was hat die Gegenwart eigentlich mit der Zukunft ÖPNV umzusteigen. zu tun?“ Herr Kollege Frankenberger, wer von klein auf lernt, wie das Fahren mit Bussen und Bahnen funktioniert, (Beifall bei der FDP) weiß auch später, wie er mit dem ÖPNV von A nach B Meine Damen und Herren, wer noch wissen wollte, welche kommt. Erfolgsstory das vor allen Dingen für die CDU ist, der hät- (Gerhard Merz (SPD): Na ja, nicht unbedingt!) te sich heute die Rede vom Kollegen Caspar anhören müs- sen; denn Herr Kollege Caspar hat sich in der Tat mehr mit Ich will etwas hinzufügen, weil hier teilweise einfach den Zwischenrufen des Kollegen Rudolph beschäftigt als Falsches gesagt wird: Aus meiner Sicht ermöglicht es gera- mit der Aktuellen Stunde. de für die Kinder von einkommensschwächeren Familien eine bessere Teilhabe an Klassenausflügen und eine hes- (Heiterkeit bei der SPD) senweite Mobilität. Das sagt eigentlich alles. – Vielen Dank. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP und der SPD) GRÜNEN) Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8053

Für viele Familien sinken die Mobilitätskosten, und zwar Vizepräsidentin Heike Habermann: teilweise drastisch. Schauen Sie sich einmal an, was das im Herr Staatsminister, ich darf an die Redezeit der Fraktio- NVV-Gebiet, wo es die Clever Card nicht gab, die es beim nen erinnern. RMV vorher gab, unterm Strich für viele Familien bedeu- tet. Wenn Sie darüber reden, dass das eine Verschlechte- rung sei, dann tut es mir leid, aber dann wissen Sie nicht, Tarek Al-Wazir, Minister für Wirtschaft, Energie, Ver- wie die Realität ist. kehr und Landesentwicklung: (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Ja. – Ich will deshalb an dieser Stelle dazu sagen, warum GRÜNEN) es eine Erfolgsgeschichte ist und wie wir dafür sorgen, Ich will das ausdrücklich sagen: Gerade für Auszubilden- Herr Lenders, dass wir da nicht noch viele Steuergelder de, die oft nicht nur zwischen dem Wohn- und Schulort, hinzufügen, denn das ist relativ einfach: Wenn Sie das An- sondern zwischen dem Wohnort, dem Ausbildungsbetrieb gebot gerade für die Selbstzahler attraktiver machen und sowie der Berufsschule pendeln, teilweise in sehr unter- diese dann mehr Karten kaufen, dann haben Sie mehr Geld schiedlichen Kreisen, ist damit eine drastische Reduzie- in der Tasche, auch wenn Sie die Kosten für das Ticket so- rung der Mobilitätskosten möglich. Das Ausbildungsjahr zusagen gesenkt haben. Man könnte auch sagen: einfache fängt jetzt erst an. Ich bin mir sicher, dass wir auch in die- wirtschaftspolitische Rechnung; Wirtschaftspolitik wieder sem Bereich mehr Verkäufe haben werden, weil es die verfügbar, Herr Lenders. Menschen als unglaubliche Erleichterung und als unglaub- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE lichen Erfolg wahrnehmen. GRÜNEN) (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Ich sage es noch einmal – Frau Präsidentin, das ist mein GRÜNEN) letzter Punkt –: Allein im Gebiet des NVV haben wir bei Wir sind in einer dreijährigen Erprobungsphase. Das haben den Selbstzahlern, also bei denen, die es über das Schulge- wir ausdrücklich gesagt. So ein Angebot gibt es bisher in setz nicht bekommen, schon jetzt, nach einem Monat, eine Deutschland nicht. Wir sind das erste Flächenbundesland, Steigerung von 14.000 auf 22.000 verkaufte Tickets. Ich das so etwas anbietet. Natürlich werten wir die Erfahrun- bin sicher, das geht weiter. Das zeigt mir, dass es am Ende gen aus. Wir kümmern uns um die Frage: Wie sieht es mit genau die attraktive Situation ist, die wir uns vorgestellt Beziehungen in benachbarte Bundesländer aus? Auch das haben. Die Leute finden es gut. Sie kaufen es; sie nutzen ist eine Frage, die teilweise gestellt wird. Natürlich gibt es es; genau dafür war es gedacht. – Vielen Dank. auch die alte Diskussion darüber, welche Schülerinnen und (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Schüler die Fahrtkosten bezahlen müssen und welche GRÜNEN) nicht. Ich will das einmal ausdrücklich sagen: Frau Faul- haber, wir haben die Regeln des Schulgesetzes mit der Ein- führung des Schülertickets nicht geändert. Sie galten vor- Vizepräsidentin Heike Habermann: her, und sie galten nachher. Kolleginnen und Kollegen, ich habe keine weitere Wort- (Gabriele Faulhaber (DIE LINKE): Das ist ja das meldung vorliegen. Damit ist die Aktuelle Stunde zu Ta- Problem! Eben!) gesordnungspunkt 64 besprochen. – Wieso „eben“? – Deswegen hat die Einführung des Eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt ist noch ein Schülertickets an dieser Stelle keine Veränderung ge- Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU bracht. Wer es vorher umsonst bekommen hat, bekommt es und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Erhalt des weiterhin umsonst. Friedens und weltweite atomare Abrüstung, Drucks. 19/ (Gabriele Faulhaber (DIE LINKE): Ja, wir kennen 5212. Die Dringlichkeit wird bejaht? – Ich sehe keinen Wi- den § 161!) derspruch. Dann wird dieser zu Tagesordnungspunkt 74 und wird zusammen mit Tagesordnungspunkt 51 aufgeru- Diese Kosten können wir nicht senken, weil weniger als fen. umsonst nicht geht. Damit kommen wir zu Tagesordnungspunkt 65: (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Antrag der Fraktion der FDP betreffend eine Aktuelle Stunde (Klare Absage an Diesel-Fahrverbote – Regie- Diejenigen, die es vorher selbst bezahlen mussten, müssen rung Bouffier darf Bürger und Unternehmen in Frank- es auch weiterhin selbst bezahlen. Für diese ist es aber in furt, Wiesbaden und Darmstadt nicht abhängen – Au- den allermeisten Fällen günstiger als vorher, d. h., man be- toindustrie in die Verantwortung nehmen) – Drucks. kommt in diesen Fällen für weniger Geld mehr Leistung. 19/5195 – Meine sehr verehrten Damen und Herren, wo hat das Schü- lerticket damit für eine Gerechtigkeitslücke gesorgt? Wenn Frau Kollegin Beer steht schon bereit. Sie haben das Wort. es eine gibt, dann hat das Schülerticket die Gerechtigkeits- lücke kleiner gemacht. Nicola Beer (FDP): (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Frau Präsidentin, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gestern zur Kenntnis nehmen können, dass die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ titelte: „Al-Wazir lehnt Fahrverbote ab“. Am Dienstag hat der Ministerpräsident wortgewaltig erklärt, auch er sei gegen Fahrverbote, und 8054 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 man brauche den Diesel, um die Klimaschutzziele zu errei- sieht doch, wie verzweifelt Sie angesichts absinkender chen. Umfragewerte den Strohhalm für die Bundestagswahl er- greifen wollen. Sie führen einen ideologischen Kampf ge- Ich frage mich allerdings, wie all das zu den Berichten gen das Automobil. Individualverkehr soll offensichtlich vom Freitag passt, nach denen das Umweltministerium lo- nur noch zu Fuß oder auf dem Fahrrad stattfinden. kale Fahrverbote plane und der Hessische Rundfunk dar- über berichtet, dass das hessische Umweltministerium ihm (Beifall bei der FDP) gegenüber in einer schriftlichen Stellungnahme mitgeteilt Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich weiß nicht, habe, es sehe die blaue Plakette als vielversprechend an, da ob sich die CDU das klargemacht hat: Die Zeche zahlen nur eine Sperrung einer Straße einen vergleichbaren Min- 25 Millionen Dieselfahrer in Deutschland, die Zeche zah- derungswert aufweise wie die blaue Plakette. len 3 Millionen Beschäftigte in der Automobilwirtschaft. Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, da fragt man sich Frau Hinz, von Ihnen ist kein Wort darüber zu hören, dass doch wirklich, was nun gilt. Können sich die Autofahrer in der Verkehrssektor seine Stickoxidemissionen um 70 % re- Hessen auf das Wort des Ministerpräsidenten verlassen, duziert hat. Von Ihnen ist nicht zu hören, dass die CO2- oder bleibt es bei der Forderung nach der Einführung der Ziele in Deutschland ohne den Diesel überhaupt nicht rea- blauen Plakette, die die GRÜNEN mittlerweile als Grund- lisiert werden können. Von Ihnen ist auch nicht zu hören, bedingung für eine Koalition in Berlin genannt haben? dass batteriebetriebene Elektroautos, wenn man den ge- samten ökologischen Fußabdruck, nämlich auch die Her- Liebe Freunde, es ist doch klar, dass man den Menschen stellung und die Entsorgung der Batterien, betrachtet, ganz keinen Sand in die Augen streuen darf. Sehr geehrte Kolle- lange Zeit schlechter sind als jedes Dieselfahrzeug. ginnen und Kollegen, lieber Herr Kollege Wagner, auch wenn Sie den Kopf schütteln, die Einführung der blauen (Beifall bei der FDP – Mathias Wagner (Taunus) Plakette ist nichts anderes als ein Fahrverbot für alle Die- (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Falsch!) selfahrzeuge, die nicht die Euro-6-Norm erfüllen. Wer den Diesel nicht will, der schadet dem Klimaschutz. (Beifall bei der FDP) Genau das ist die Wahrheit. Frau Ministerin, wenn Sie wirklich über Gesundheit sprechen würden, dann müsste Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, ich man einmal über die Sinnhaftigkeit bestimmter Grenzwerte weiß nicht, ob Sie wissen, dass das nahezu 88 % aller Die- reden. Wenn man über Gesundheit redet, wie kann es dann selfahrzeuge in Hessen betrifft. Ich kann als Frankfurterin sein, dass ein Industriearbeiter bei höchster körperlicher jeden Tag beobachten, was das für drastische Folgen hätte. Arbeit 40 Stunden die Woche 950 µg NO einatmen darf, Allein nach Frankfurt pendeln jeden Tag 350.000 Men- x aber seinen Diesel auf dem Weg nach Hause nicht nutzen schen zur Arbeit, und gerade diese Pendler nutzen oft Die- soll, weil an einzelnen Ausfallstraßen der Wert von 40 µg selfahrzeuge, weil sie auf längeren Strecken weniger NO überschritten wird? Treibstoff verbrauchen und damit umweltfreundlicher sind. x (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP) Doch was passiert mit dem Wiederverkaufswert dieser Au- tos? – Schon jetzt hat die aktuelle Diskussion massiven Vizepräsidentin Heike Habermann: Schaden angerichtet. Es ist eine massive Enteignung, die Frau Kollegin Beer, Sie müssen bitte zum Schluss kom- die Dieselfahrerinnen und -fahrer mittlerweile zu verge- men. genwärtigen haben. Ich weiß nicht, ob Ihnen schlicht die Bodenhaftung abhandengekommen ist, auch bei allen Dis- kussionen um die Subventionierung von Elektroautos, dass Nicola Beer (FDP): sich die meisten Menschen trotz einer solchen Subvention kein teures Elektroauto leisten können, sondern darauf an- Verehrte Kolleginnen und Kollegen, fließender Verkehr, gewiesen sind, selbst wenn sie in ein Elektroauto investie- auch beim Diesel, ist die einzige Antwort. Das haben uns ren wollten, wenigstens einen ordentlichen Wiederver- auch die Experten des Fraunhofer-Institut gelehrt. Es geht kaufswert für ihr altes Auto erzielen zu können, sehr ver- um intelligente Verkehrsführung, es geht um digitale Ver- ehrte Kolleginnen und Kollegen. kehrssteuerung, es geht um Forschung und Entwicklung nicht nur beim Diesel, sondern auch bei alternativen Kraft- (Beifall bei der FDP) stoffen wie Wasserstoff oder Methanol, es geht um leichte- Für die Freien Demokraten kann ich klar erklären: Mit uns re Werkstoffe für Autos, aber es geht nicht um Fahrverbote wird es keine Fahrverbote geben, egal ob über die blaue und Enteignungen von Personen, die auf ihr Fahrzeug an- Plakette oder über einen anderen Weg. Bei dieser hysteri- gewiesen sind. Es geht vor allem auch nicht um Bevor- schen Debatte machen wir nicht mit. mundung, wie ich mich in Hessen fortbewege. – Vielen Dank. (Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Lachen der Minis- (Beifall bei der FDP) terin Priska Hinz) – Frau Hinz, wenn Sie jetzt so von der Seite lachen: Es Vizepräsidentin Heike Habermann: geht Ihnen doch an dieser Stelle gar nicht um Gesundheit. Vielen Dank. – Als Nächste spricht Kollegin Dorn, Frakti- (Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. GRÜNEN): Na, na, na!) Wer Herrn Özdemir erlebt hat, der nicht nur die blaue Pla- kette, sondern auch das Verbot des Verbrennungsmotors bis 2030 zur Grundbedingung in der Politik definiert, der Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8055

Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was wird die Landesregierung tun? – Sie wird erklären, dass sie das nicht für verhältnismäßig hält. Wir als Koaliti- Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Frau on, wir als Regierung, wir als GRÜNE wollen keine gene- Beer, Halbwahrheiten statt Fakten, Stimmungsmache statt rellen Fahrverbote, Frau Kollegin Beer. Aufklärung, ignorieren und aussitzen statt Probleme lösen, das ist Ihre Strategie für die Bundestagswahl. Das ist ganz (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und schön traurig. Wenn wir das Ziel haben, generelle Fahrver- bei Abgeordneten der CDU) bote zu verhindern, dann müssen Sie jetzt handeln. Genau Die zweite Halbwahrheit, die Sie hier verkündet haben, ist, das tun wir. Wir wollen nämlich allgemeine und generelle die blaue Plakette bedeute generelles Fahrverbot. Das ist Fahrverbote verhindern, und deswegen handeln wir jetzt – falsch. Fakt ist, dass die GRÜNEN zur blauen Plakette ste- im Gegensatz zu Ihnen. hen, weil es ein milderes Mittel ist. Es würde den sauberen (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Diesel vom schmutzigen trennen. Der saubere Diesel der CDU) könnte überall hinfahren, und der schmutzige könnte in wenige Straßenzüge nicht hineinfahren. Wir würden das Das Thema ist ein wirklich ernstes Thema. Es wäre es erst dann machen, wenn 90 % aller Pkw das erfüllen. Das wert, dass man es ohne diesen ganzen Klamauk behandelt, ist die grüne Position. Es ist richtig, dass wir zur blauen weil es um die Gesundheit geht. Frau Kollegin Beer, zum Plakette stehen; aber was Sie daraus machen, ist die abso- Thema Stickoxid: Ja, wir haben insgesamt einen Rückgang lute Unwahrheit. an Emissionen. In belasteten Städten ist es aber ein großes Problem und belastet Kinder, Ältere und Asthmakranke. Was Sie machen würden, wäre Nichtstun. Mit Nichtstun Das heißt, wir müssen handeln. hätten wir am Ende generelle Fahrverbote. Sie würden zur neuen FDP werden, der Fahrverbotspartei Deutschlands. Zweitens, Frau Kollegin Beer, sollten Sie sich ein bisschen Sie würden das Ganze immer nur ignorieren und so tun, als mit der Materie auseinandersetzen. Wir haben hier gelten- gäbe es kein Problem. des Recht. Wir haben einen geltenden Grenzwert, und wir haben Gerichtsurteile, die man nicht ignorieren kann. Wie (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sind wir denn in Hessen so weit gekommen? – Wir muss- Die nächste Unwahrheit: Frau Kollegin Beer, Ihr Kollege ten fast Zwangszahlungen leisten, weil Ihre Wirtschaftsmi- Lindner hat in einem Interview in der „Rheinischen Post“ nister, die ehemaligen Kollegen Posch und Rentsch, die gesagt: „Wer im Büro arbeitet, darf dauerhaft sehr viel Einrichtung von Umweltzonen blockiert haben. Das wollte mehr Stickoxid einatmen, als auf der Straße für einen kur- damals die Umweltministerin, Sie haben es blockiert. Fast zen Moment erlaubt ist“. Das ist falsch. Ich danke tages- wäre es zu Zwangszahlungen gekommen. Durch Sie haben schau.de für ihren Faktenfinder. Da kann man das wunder- wir wertvolle Zeit verloren, wertvolle Zeit, die wir jetzt gut bar nachlesen. Für Straße und Büros gelten gleiche Werte, brauchen könnten. Frau Kollegin Beer. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Es gibt Ausnahmen in der Industrie. Ja, die gibt es. Da geht Das ist Ihre Politik des Aussitzens und des Ignorierens. Sie es um Menschen, die in der Industrie arbeiten. Das sind ge- ist aber gänzlich gescheitert. Was ich wirklich nicht akzep- sunde Menschen, die regelmäßig überwacht werden. Aber tabel finde, ist, dass Sie sich auf die verunsicherten Ver- auf einer Straße müssen Grenzwerte gelten, die auch für braucherinnen und Verbraucher aufsetzen. Wir alle verste- die Schwächsten ausreichend sind. Da werden kleine Ba- hen, warum diese Menschen so verunsichert sind. Sie wis- bys mit dem Kinderwagen langgeschoben. Da laufen ältere sen gar nicht mehr, welches Auto sie kaufen sollen. Sie Menschen. Da leben viele Menschen und verbringen dort wissen gar nicht mehr, welche Werte gelten. Dazu sage ich tagtäglich ihre Zeit. Frau Kollegin Beer, Sie müssen sich ganz deutlich: In allererster Linie liegt es an der Automo- einmal mit den Fakten beschäftigen, statt einfach nur Stim- bilindustrie, die diese Fehler gemacht hat, das Vertrauen mung zu machen. dieser Menschen wiederherzustellen. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU) bei Abgeordneten der CDU) Frau Kollegin Beer, was Sie hier auch angekündigt haben Wir nehmen unsere politische Verantwortung auch wahr. und was Ihr Kollege Lindner da gesagt hat, das ist schon Deswegen ist es so wichtig, dass wir gemeinsam die Auto- der Gipfel. Das zeigt nämlich, wie Sie agieren, wenn Sie mobilindustrie in die Zukunft führen. Probleme vertuschen wollen. Herr Lindner hat diese Falschbehauptung genommen, die ich gerade vorgelesen Sie nutzen aber diese Verunsicherung für Ihre Zwecke. habe, und dann gesagt, die Grenzwerte würden gar keine Frau Kollegin Beer, Sie verbreiten Halbwahrheiten. Die ei- Wahrheit abbilden, sondern sie seien nur politisch be- ne Halbwahrheit, die Sie gerade eben wieder verkündet ha- stimmt, und man müsse jetzt einmal darüber nachdenken, ben, ist, die Hessische Landesregierung würde Fahrverbote sie anzupassen. für Dieselfahrzeuge in einigen Städten in Hessen planen, weil wir GRÜNE angeblich ein Wahlkampfthema brauch- Was macht also die FDP? – Sie sagt: Gibt es Probleme, ten. Frau Kollegin Beer, das ist absolut falsch. dann passen wir eben die Zahlen an. – Aber dass diese Werte aus einer Empfehlung der WHO resultieren, dass die (Gerhard Merz (SPD): Ihr habt gar keins!) EU diese übernommen hat und dass der Sachverständigen- Fakt ist, es gibt eine gerichtliche Auflage, die wir erfüllen rat für Umweltfragen sogar strengere Grenzwerte fordert, müssen. Da müssen wir ganz viele Maßnahmen und ihre dass es hier um Gesundheitsstudien geht, die ganz langfris- Wirksamkeit vorstellen. Eine dieser verschiedenen Maß- tig angelegt sind, interessiert Sie alles nicht. Sie machen nahmen, die dabei vorgestellt werden, ist ein generelles sich einfach Ihre eigene Wahrheit. Das ist doch keine Ver- Fahrverbot. antwortung für die Gesundheit der Menschen, sehr geehrte Frau Kollegin Beer. 8056 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und rende Autonation stabilisieren und in die Zukunft führen. bei Abgeordneten der CDU) Denn für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist auch klar: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Automobilindustrie tragen nicht die Verantwortung für die Vizepräsidentin Heike Habermann: Vertrauenskrise der Branche in unserem Land. Kollegin Dorn, Ihre Redezeit ist abgelaufen. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- KEN) Angela Dorn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber auch sie sind die Leidtragenden der aktuellen Debat- te, ausgelöst durch unverantwortliches Handeln der Unter- Aber es passt zu Ihnen, Frau Kollegin Beer. Heute haben nehmensführungen großer Unternehmen in unserem Land. wir ja gelesen: Sie zweifeln auch an der Zunahme von Das ist ein Handeln, das in keinster Weise zu rechtfertigen Starkwetterereignissen. Das ist eigentlich unglaublich. Te- und zu billigen ist. xas und Bangladesch müssen sich Sorgen über die Wasser- fluten machen. Sie sagen, das seien alles Fake-News. Aber was ist unsere Aufgabe als Politik? – Ins Lamento Wenn Sie hier anfangen, den Klimawandel zu leugnen, von Scheinlösungen zu verfallen oder gemeinsam mit den dann ist das schon wirklich problematisch. Sie setzen hier Akteuren aus Betriebsräten und Gewerkschaften, den Ver- auf Stimmungen, statt sich um die echten Probleme zu braucher- und Umweltschützern Lösungen für die Zukunft kümmern, die in diesem Land und weltweit existieren. – zu entwickeln – kurzfristige wie langfristige Lösungen? – Vielen Dank. Ich glaube, das ist unsere Aufgabe und eigentlich auch un- ser Thema heute hier. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU) Um bei der Überschrift zu bleiben: Niemand will Fahrver- bote. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher haben näm- lich das Problem, dass sie veraltete Fahrzeuge haben, de- Vizepräsidentin Heike Habermann: nen der neueste Standard der Abgasreinigungstechnologie Vielen Dank. – Nächster Redner ist Kollege Eckert für die fehlt. Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind betrof- SPD-Fraktion. fen, aber sie haben keine Schuld. Man darf natürlich nicht bei den Minimallösungen mit Software-Updates und Ähnlichem bleiben. Wir brauchen Tobias Eckert (SPD): die Nachrüstung der Hardware – aber nicht zulasten der Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! gutgläubigen Verbraucherinnen und Verbraucher. Liebe Kollegin Beer, der Titel der Aktuellen Stunde klingt (Beifall bei der SPD) vielleicht nach Aufreger, aber ich finde, ein Stück weit können wir uns alle beruhigen. Nur weil die GRÜNEN vor Es müssen rechtliche Grauzonen beseitigt werden, die der Bundestagswahl auf Bundesebene irgendetwas im Be- Kontrollen müssen verschärft und unabhängig von den reich Fahrverbote fordern, ist das kein Grund zur Aufre- Herstellern gewährleistet werden. Wir müssen als Staat die gung. Wir haben es in Hessen leidlich erlebt, wie das Gewähr dafür bieten, dass Verbraucherinnen und Verbrau- wechseln kann, falls man nachher tatsächlich in Verant- cher mit Vertrauen in ihre Kaufentscheidung leben und oh- wortung kommt. Deswegen können wir ganz entspannt ne Einschränkungen mobil sein können. und zurückhaltend das Thema angehen. Ja, es ist eine Veränderung. Ja, es ist auch ein Strukturwan- (Beifall bei der SPD) del, den es geben wird und geben muss. Aber gerade auch in Hessen angesichts der Bedeutung der Automobilbranche Aber in der Tat reden wir heute hier über eine Herausfor- in Süd- und Nordhessen ist es geradezu leichtfertig, nicht derung für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft von auch die Herausforderungen eines solchen Strukturwandels großem Ausmaß. für Wirtschaft und Arbeit mit zu bedenken und gestalten zu (Zuruf von der SPD) wollen. Nicht nur die von der FDP genannten Städte haben Proble- Die Entwicklung alternativer Antriebe und eine immer me mit der Qualität ihrer sogenannten frischen Luft in den stärker werdende Digitalisierung der Mobilität entscheiden Innenstädten. Hessenmeister ist Limburg, was die Schad- in unseren Augen über die Perspektiven des Standorts stoffbelastungen in den Innenstädten in Hessen angeht. Deutschland und auch des Automobilstandortes Hessen. Das Problem ist größer und herausfordernder und insge- Ich spreche bewusst nicht von E-Mobilität allein, sondern samt fordernder, als dass man es vielleicht mit plumpen von alternativen Antriebsformen. Fahrverboten vor Ort einfach lösen könnte. Die Politik im Bund ist gefordert, aber auch wir im Land Die Klimaziele von Paris 2015 und der Klimaschutzplan haben unseren Teil dazu beizutragen. Wir müssen den be- für Deutschland geben bis 2050 klare Ziele vor. Es betrifft troffenen Städten und den Bürgern vor Ort helfen. bei der Mobilität, über die wir heute sprechen, nicht nur Dafür nutzt es wenig, wenn wir, wie am Dienstag der Ver- saubere Antriebe, sondern erfordert ganzheitliche Mobili- kehrsminister, in wolkigen Worten abstrakt Prognosen für tätskonzepte. Auf die Debatte am Dienstag sei dabei ver- Sankt Nimmerlein abgeben und rosafarbene Bildchen ma- wiesen. Über die vielen anderen herausfordernden Baustel- len. Wir brauchen im Hier und Jetzt entsprechende Ansätze len in diesem gesamten Paket wollen wir heute nicht reden. und Lösungen für einen konkreten Wandel auch bei uns in Mobilität ist nur eines von vielen Feldern. Hessen. Wir als SPD wollen nicht nur eine ökologisch verträgliche, (Beifall bei der SPD) sondern auch eine sozial verträgliche Mobilität der Zu- kunft. Dabei wollen wir unseren Status als weltweit füh- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8057

Deswegen ist es auch so unambitioniert, Herr Al-Wazir, Politik und Lobby erleben. Das alles hat nichts mit techni- wenn Sie das, was Sie am Dienstag vorgestellt haben, als schen Problemen zu tun. Es kann nur durch eine andere den großen Wurf z. B. in der Elektrobusförderung anprei- Politik gelöst werden. Dazu brauchen wir kein Software- sen, wo Sie 25 der 3.000 Busse umrüsten können. Wir Update, sondern eine grundlegende Verkehrswende. merken, was dort noch an Weg vor uns liegt und welche (Beifall bei der LINKEN) Anstrengungen tatsächlich unternommen werden müssen, um in diesen Bereichen wirklich eine Veränderung hinzu- Auch an die Adresse der FDP sei gesagt: Grenzwerte sind bekommen. keine unverbindliche Empfehlung, an der man sich orien- tieren sollte; nein. Jedes Jahr sterben Tausende Menschen Deswegen brauchen wir gerade für Veränderungen im in- durch Schadstoffe, deren Emission vermeidbar wäre. Hier nerstädtischen Verkehr die Umrüstung der dauerhaften muss sich etwas ändern. Gesundheit und Verbraucher- Verkehre, um fit zu werden für die Zukunft. Das betrifft schutz müssen natürlich Vorrang vor den Gewinnen der den ÖPNV im Bereich der Busse, das betrifft aber auch Konzerne haben. Taxen und Ähnliches, die permanent vor Ort sind und zu- sätzliche Emissionen ausstoßen. (Beifall bei der LINKEN) Dazu muss die Autoindustrie in die Pflicht genommen Vizepräsidentin Heike Habermann: werden. Dass die Konzerne damit davonkommen, wir- kungslose Software-Updates einzuspielen und verkaufsför- Herr Kollege Eckert, kommen Sie bitte zum Schluss. dernde Prämien auszuloben, die es als Neuwagenrabatte sowieso gegeben hätte, darf nicht sein. Tobias Eckert (SPD): Ich sage auch: Gerade diejenigen, denen die vielen Ar- beitsplätze in der Automobilindustrie am Herzen liegen, All das ist für uns wichtig. Wir brauchen entsprechende müssen doch die Automobilindustrie zum Umsteuern Lösungen. Wir brauchen aber auch die gemeinsame Trans- zwingen; denn am Ende sind es auch die Beschäftigten, die formation im Bereich der Automobilwirtschaft. Wir brau- den Preis für eine völlig verfehlte Unternehmensstrategie chen entsprechend keine Veränderung auf dem Rücken der bezahlen. Verbraucherinnen und Verbraucher. Denn am Ende kann es nicht sein, dass Mobilität nur mit Einschränkungen in (Beifall bei der LINKEN – Manfred Pentz (CDU): der Zukunft möglich ist. Dafür haben wir Herausforderun- Am besten mit Planwirtschaft! Das hat immer funk- gen im Interesse der Umwelt, im Interesse der Verbrauche- tioniert, gell?) rinnen und Verbraucher und im Interesse der Arbeitnehme- – Herr Pentz, ich merke, dass Sie beim „Niveaulimbo“ in rinnen und Arbeitnehmer hier in Hessen. – Herzlichen Ihrem fraktionsinternen Wettstreit in dieser Woche wieder Dank. weit vorn liegen. Die Zwischenrufe sind wieder von einer (Beifall bei der SPD) besonderen Qualität. (Vizepräsident Wolfgang Greilich übernimmt den Vizepräsidentin Heike Habermann: Vorsitz.) Vielen Dank. – Die nächste Wortmeldung kommt von Frau Meine Damen und Herren, was macht denn die Bundesre- Kollegin Wissler für die Fraktion DIE LINKE. gierung in dieser Situation? – Sie lässt sich von den Auto- konzernen auf der Nase herumtanzen. Auf dem lang erwar- teten Dieselgipfel wurden Maßnahmen vereinbart, die ein- Janine Wissler (DIE LINKE): fach lächerlich sind. Diese vereinbarten Maßnahmen wer- den den Schadstoffausstoß der betroffenen Autos nicht un- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der soge- ter die Grenzwerte bringen, das hat auch das Umweltbun- nannte Dieselskandal ist in Wahrheit kein Dieselskandal, desamt mittlerweile festgestellt. Es ist sozusagen amtlich: sondern in allererster Linie ein politischer Skandal. Es ist Der Gipfel war nichts anderes als ein Wahlkampfmanöver ein Skandal um einen Filz aus Politik und Automobilindus- der Bundesregierung, er ändert überhaupt nichts. trie. Es ist ein Skandal um einen Bundesminister und ein Kraftfahrt-Bundesamt, die ihren Kontrollpflichten nicht (Beifall bei der LINKEN) nachgekommen sind. Stattdessen reden wir jetzt über Fahrverbote, ja oder nein. Es gab ein kriminelles Vorgehen in den Autokonzernen. Das ist für viele natürlich ein Reizwort, und das ist ver- Ingenieure haben leider viel Zeit und Energie darauf ver- ständlich, weil viele Menschen auf das Auto angewiesen wendet, durch Betrugssoftware Grenzwerte zu unterlaufen, sind. Aus Verbraucherschutzsicht muss klar sein: Es kann statt eine umweltfreundliche Technik zu entwickeln. Aber nicht sein, dass die Betroffenen jetzt die Zeche für die Au- – und das muss man auch sagen – das alles wurde von der toindustrie zahlen müssen. Bundesregierung und den Verantwortlichen auch nicht un- Wenn die heutigen Normen am Ende doch nicht eingehal- terbunden – trotz klarer Hinweise. Deswegen trägt natür- ten werden, wird auch die blaue Plakette nichts nutzen. lich diese Bundesregierung eine Mitverantwortung für die Debatte, die wir jetzt gerade führen, und die Verunsiche- Bei der Gelegenheit muss man schon mal die Frage stellen: rung, die herrscht. Was macht eigentlich das grün regierte Hessen? Man sieht die Position der GRÜNEN gar nicht so richtig. Die Um- (Beifall bei der LINKEN) weltministerin schimpft ab und zu auf die Autoindustrie, Das liegt vielleicht auch daran, dass sich Parteien über ho- ist bei dem Thema aber ansonsten ziemlich auf Tauchstati- he Spenden aus der Automobilindustrie freuen, dass wir on gegangen. seit Jahren einen munteren Personalaustausch zwischen Automobilindustrie und staatlichen Aufsehern, zwischen 8058 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

Ich habe das Gefühl, man will sich nicht so recht festlegen, dass die Luftqualität in den großen deutschen Städten so ob man jetzt auf der Kretschmann-Linie ist – oder auf der gut ist wie seit 120 Jahren nicht. Das ist ein Erfolg einer Bouffier-Linie; das ist ja eine Linie, die beiden waren an Menge an Maßnahmen. Insbesondere in den letzten Jahr- der Inszenierung des erfolglosen Dieselgipfels beteiligt – zehnten ist es gelungen, die Schadstoffe drastisch abzusen- oder ob man die doch sehr scharfe Kritik der grünen Bun- ken und damit die Luftqualität in den Städten zu verbes- destagsfraktion teilt, der ich mich in weiten Teilen an- sern. schließen kann. Gleichwohl hat die EU – das ist meiner Ansicht nach rich- (Zuruf von der CDU: Der Bundestagsfraktion oder tig – sehr strenge Werte angelegt und gesagt: Um jegliche der Kritik?) gesundheitliche Schädigung auszuschließen, muss alles ge- tan werden, damit diese niedrigen Werte erreicht werden. – Klar ist: Bereits vor Bekanntwerden des Abgasskandals Wir konnten sie in den letzten Jahren bei fast allen Schad- wusste die Umweltministerin, dass auch die Euro-6-Diesel- stoffen erreichen – denken Sie an die Feinstaubdebatte in Pkw den Grenzwert nicht einhalten, wie aus einer Kleinen den letzten Jahren –, nur im Bereich der Stickoxide noch Anfrage aus dem Jahr 2015 hervorgeht. Aber statt wirksa- nicht. Deswegen muss man sich mit den Ursachen beschäf- me Maßnahmen gegen die Stickoxidbelastungen zu ergrei- tigen. fen – z. B. Luftreinhaltepläne –, lassen Sie sich lieber von der Deutschen Umwelthilfe verklagen. Bei der EU wird Es hat sehr viel damit zu tun, dass Verkehre auf bestimmte lieber eine Fristverlängerung beantragt, statt für die Einhal- Achsen konzentriert worden sind, was unter dem Gesichts- tung der Grenzwerte zu sorgen. punkt, dass man weite Bereiche entlastet, durchaus gut ist, was meiner Ansicht nach aber zu wenig Rücksicht auf die Hier fehlen die Maßnahmen der schwarz-grünen Landesre- Menschen nimmt, die an den Hauptverkehrstraßen leben; gierung. Am Ende wird auch kein Software-Update und denn sie haben dadurch eine Schadstoffbelastung bekom- keine blaue Plakette helfen, sondern hier muss etwas pas- men, die teilweise über den Grenzwerten liegt. sieren. Der erste Ansatz muss es sein – Schadstoffe sind immer (Beifall bei der LINKEN) ein Thema der Konzentration, nur sie ist für den einzelnen Meine Damen und Herren, wir brauchen eine Verkehrs- Menschen schädlich –, dass wir versuchen, die Konzentra- wende. Die Möglichkeit, Autos von der Straße zu holen, tion wegzubekommen. Das können wir schaffen, indem gibt es, indem man den öffentlichen Personennahverkehr wir mehr Ortsumfahrungen bauen, um den Verkehr zu ent- ausbaut und die deutlichen Preissteigerungen verhindert. zerren, oder indem wir in innerstädtischen Lagen Alterna- Wir brauchen einen umlagefinanzierten Nulltarif für Busse tivrouten anbieten, damit in Zukunft keine Konzentration und Bahnen. Durch einen Ausbau des Angebots kann man mehr auf die wenigen Trassen, wo es dann eine zu hohe auch den Menschen in ländlichen Gebieten ermöglichen, Belastung für die Menschen gibt, ermöglicht wird. das Auto stehen zu lassen. Das wäre Mobilität für alle bei Eine weitere Maßnahme, die wir ergreifen, ist: Die Fahr- weniger Belastung. zeuge sollen weniger Schadstoffe ausstoßen. Deswegen hat Deshalb noch einmal: In der jetzigen Situation helfen keine man ja die Euro-6-Norm gerade beim Diesel eingeführt. Software-Updates, sondern wir brauchen eine grundlegen- Alle neuen Dieselfahrzeuge, die jetzt auf den Markt kom- de Verkehrswende. – Vielen Dank. men, haben diese Vorschrift einzuhalten. Sie trägt dazu bei, dass sich die Luftqualität weiter verbessert. Darum ist (Beifall bei der LINKEN) es wichtig, dass die Menschen gerade heute neue und inno- vative, schadstoffarme Diesel kaufen. Darum ist ein Fahr- Vizepräsident Wolfgang Greilich: verbot für Diesel falsch. Vielen Dank, Frau Wissler. – Als Nächster hat sich für die Man muss doch feststellen, dass der Dieselmotor den ge- Fraktion der CDU Herr Kollege Caspar gemeldet. Bitte ringsten Energieverbrauch hat. Das heißt, wir können heute sehr. Sie haben das Wort. ein gleich schweres Fahrzeug mit einem Dieselantrieb mit weniger Energie bewegen als z. B. ein Fahrzeug mit einem (Manfred Pentz (CDU): Uli, jetzt sagst du mal, was Benzinantrieb oder mit einem Elektroantrieb. Sache ist!) (René Rock (FDP): 20 %!) Wenn man das weiß und sagt: „Wir wollen den Energie- Ulrich Caspar (CDU): verbrauch reduzieren“, dann wäre es natürlich völlig Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die FDP hat falsch, ausgerechnet den energieeffizientesten Motor zur heute eine Aktuelle Stunde beantragt, die sich mit der The- Disposition zu stellen. Das wird es mit uns nicht geben. matik „Fahrverbote für Diesel“ beschäftigt. Deswegen am (Beifall bei der CDU) Anfang unsere klare Aussage: Wir sind gegen Fahrverbote für Diesel. Warum? – Weil die Debatte etwas komplizier- Natürlich hat der Dieselmotor gewisse Nachteile. Insbe- ter ist, als sie manchmal in den Medien dargestellt wird. sondere dass Treibstoffe verbraucht werden, die klima- schädlich sind, ist eine wesentliche Herausforderung, der Die Debatte hat im Wesentlichen mit Gesundheitsschutz zu sich die Wissenschaft auch schon angenommen hat. Sie tun. Der ist uns außerordentlich wichtig. Gesundheits- wissen, dass mittlerweile Treibstoffe entwickelt werden, schutz bedeutet, dass wir alles dafür tun müssen, dass die die von Bakterien oder von Algen produziert werden, um Bevölkerung möglichst wenige Schadstoffe einatmet. sie so CO2-neutral herzustellen. (Beifall bei der CDU) Das dauert aber noch eine Zeit, bis es wirtschaftlich ist – Als Erstes müssen wir feststellen – das ist sehr erfreulich, technisch ist es möglich. Hier müssen wir sicherlich noch damit die Menschen hier gut und gerne leben können –, mehr tun, um diese Innovation zu fördern. Aber wir sind Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8059 eben noch lange nicht so weit. Deswegen ist der Elektro- richtig gut. Das haben wir der Automobilindustrie zu ver- motor eine wichtige Übergangstechnologie, die wir in den danken. nächsten Jahren sicherlich verstärkt einsetzen müssen, um Die Landesregierung macht den Diesel nicht schlecht. Der die Schadstoffbelastung in den Städten zu reduzieren. Diesel ist nach wie vor eine wichtige Übergangstechnolo- gie, auch im Hinblick auf den Klimaschutz, keine Frage. Vizepräsident Wolfgang Greilich: (Beifall bei Abgeordneten der CDU, der SPD und Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es ist aber notwendig, dass die Dieselfahrzeuge, die weit über den Grenzwerten liegen, nachgerüstet werden, und Ulrich Caspar (CDU): zwar auf Kosten der Automobilindustrie und nicht auf Danke, Herr Präsident. – Insbesondere in den großen Städ- Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher, die mit gu- ten ist es deswegen sinnvoll, z. B. den Bus- und Lkw-Ver- tem Gewissen auf diese Fahrzeuge zurückgegriffen und sie kehr mit Dieseltechnologie erheblich zu reduzieren. Auch gekauft haben. dort wird viel getan, wir sind auf einem guten Weg, Fahr- (Beifall bei der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS verbote aber brauchen wir nicht. – Vielen Dank. 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des (fraktionslos)) BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ob die Nachrüstung der Software als erster Schritt ausrei- chen wird, ist zweifelhaft. Aber schauen wir mal, ob es Vizepräsident Wolfgang Greilich: klappt; es wäre hervorragend. Ich befürchte jedoch, dass es weitere Nachrüstungen geben muss. Auch diese dürfen Vielen Dank, Herr Kollege Caspar. – Für die Landesregie- nicht auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher rung spricht Frau Staatsministerin Hinz. Bitte sehr, Sie ha- stattfinden. ben das Wort. (Beifall bei der CDU, der SPD und den BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Priska Hinz, Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Es ist wichtig – für den Erhalt der Arbeitsplätze und der Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Wirtschaftlichkeit der Automobilindustrie, auf die wir in Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Landesre- diesem Land ja angewiesen sind; denn wir sind eine indus- gierung will Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen trielle Wirtschaft in Deutschland –, dass die Verunsiche- weder in Frankfurt, Darmstadt und Wiesbaden abhängen, rung der Kundinnen und Kunden aufhört. Das müssen die sehr geehrte Damen und Herren von der FDP, noch in Gie- Automobilkonzerne wirklich erledigen, das ist deren Part. ßen, Marburg, Kassel, Limburg, Offenbach, Fulda und (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Bensheim – auch dort haben wir Überschreitungen der GRÜNEN) Grenzwerte. Das ist Ihnen vielleicht noch nicht aufgefal- len. Das hessische Umweltministerium erstellt die Luftreinhal- tepläne mit unterschiedlichsten Maßnahmen. Wir haben für (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und einige Städte gerichtliche Auflagen bekommen, was wir bei Abgeordneten der CDU) abprüfen müssen. Die Rechtsstaatspartei FDP, die immer Die Landesregierung hat das Ziel, Fahrverbote zu vermei- so tut, als sei ihr der Rechtsstaat das Wichtigste, sollte den. Das Problem aber ist, dass es erste gerichtliche Ent- mich doch nicht kritisieren, wenn ich alle diese Auflagen scheidungen dazu gibt – noch nicht in Hessen, aber in an- erfülle. Zu diesen Auflagen gehört auch, dass wir das Fahr- deren Bundesländern. Warum gibt es diese gerichtlichen verbot prüfen und diese verschiedenen Prüfnotwendigkei- Entscheidungen? Nicht, weil die Hessische Landesregie- ten am Ende in Fragen der Wirtschaftlichkeit und Verhält- rung Fahrverbote haben will oder weil es keine Luftrein- nismäßigkeit in die Luftreinhaltepläne aufnehmen und ent- haltepläne in Hessen und in anderen Ländern gäbe, son- weder als machbar und notwendig einsetzen oder sie ver- dern weil die Automobilkonzerne über mehrere Jahre mit werfen. Genau dies werden wir entsprechend der gerichtli- den Abschalteinrichtungen von Dieselmotoren getrickst chen Auflage tun, weil es keinen Sinn macht, einen schon und getäuscht haben. Das ist der Grund. formfehlerhaften Luftreinhalteplan aufzustellen, meine Da- men und Herren. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktions- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE los)) GRÜNEN) Verbraucherinnen und Verbraucher wurden getäuscht und die Gesundheit von Bürgerinnen und Bürgern an hoch be- Vizepräsident Wolfgang Greilich: lasteten Straßen beeinträchtigt. Es ist doch verrückt, dass die älteren Dieselfahrzeuge wie auch der Diesel mit der Frau Ministerin, ich darf Sie auf die vereinbarte Redezeit Euro-5-Norm mehr Schadstoffe bzw. mehr Stickoxide aus- hinweisen. stoßen als z. B. der Motor mit der Euro-3-Norm. Das ist doch wirklich verrückt. Priska Hinz, Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, Das bedeutet, dass alle Luftreinhaltepläne auf den neuesten Landwirtschaft und Verbraucherschutz: Stand gebracht werden, weil wir nur mit den ganz neuen Ich komme zum Ende. – Dass die FDP nun fordert, die Dieselmotoren, nämlich mit der Euro-6d-Norm, tatsächlich Grenzwerte hochzusetzen, weil die Autos sie wegen Trick- die Grenzwerte einhalten können. Erst die sind wieder serei nicht einhalten, das ist an Peinlichkeit gar nicht mehr 8060 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 zu überbieten. Sie sollte sich vielleicht daran erinnern, dass dieser Biosphärenregion könnten wir bei einer Anerken- sie im Jahr 2010 an der Bundesregierung beteiligt war, als nung, wenn das alles mit der Machbarkeitsstudie funktio- der Grenzwert in nationales Recht umgesetzt wurde. Inso- niert, die ergebnisoffen ist, es schaffen, dass wir an vierter fern sollten Sie sich ab und zu noch einmal daran erinnern, Stelle weltweit kommen. Das ist ein besonderer Stellen- wann Sie an welcher Regierung beteiligt waren und wofür wert. Das ist besonders zu beachten. Das ist etwas wirklich Sie in diesem Land eigentlich Verantwortung tragen – für Besonderes. die Grenzwerte sind jedenfalls Sie verantwortlich, meine (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Damen und Herren. bei Abgeordneten der CDU) (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Das UNESCO-Programm „Der Mensch und die Biosphä- GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der re“ (MAB) hat die Biosphärenreservate bzw. -regionen – Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos)) man kann es unterschiedlich benennen – mit dem Ziel ver- sehen, eine ausgewogene Beziehung zwischen Menschen Vizepräsident Wolfgang Greilich: und der Biosphäre zu fördern. Das ist das Besondere. Nicht der Mensch wird ausgegrenzt, sondern es geht um den Vielen Dank, Frau Ministerin. – Damit ist auch diese Aktu- Menschen in der Biosphäre. elle Stunde abgehalten. Anträge zur Abstimmung liegen nicht vor. Es ist der Gedanke der Nachhaltigkeit, der im Einklang von Ökologie, Ökonomie und sozialer und kultureller Um- Deswegen rufe ich jetzt Tagesordnungspunkt 41 auf: welt in einer Biosphärenregion zum Ausdruck kommt. Dies beinhaltet beispielsweise die Erhaltung des touristi- Antrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/ schen Kapitals, Natur, Landschaft und Kultur. Gerade in DIE GRÜNEN betreffend Realisierung einer Machbar- dieser Region muss man sagen: Der Tourismus ist ein keitsstudie über eine UNESCO-Biosphärenregion Wirtschaftsfaktor in diesem Bereich und gehört gerade in Wiesbaden/Rheingau-Taunus/Mainspitze – Drucks. einer Biosphärenregion mit einer besonderen Beachtung 19/5162 – ausgestattet. Zu Wort gemeldet hat sich Frau Kollegin Hammann von Es geht um die Bewahrung von Eigenart, Vielfalt und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte sehr. Schönheit auch des Landschaftsbildes. Bedeutend ist aber auch, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit immer unter Berücksichtigung – das macht das Besondere an der Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Biosphäre aus – umwelt- und sozial verträglicher Stan- Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! dards erfolgen muss: der Einsatz nachwachsender Roh- Wir freuen uns über das Interesse der Stadt Wiesbaden, des stoffe und die Nutzung regenerativer Energieträger, die Rheingau-Taunus-Kreises und des Main-Taunus-Kreises in Stärkung des regionaltypischen Handwerks und Gewerbes Bezug auf eine mögliche Biosphärenregion Wiesbaden/ durch regionale Wirtschaftskreisläufe. Rheingau-Taunus/Mainspitze. Es sollen neue Ansätze erprobt und auch etabliert werden, Wenn sich die Kommunen gemeinsam mit dem Zweckver- um den Schutz des Naturhaushalts und die Entwicklung band Naturpark Rhein-Taunus für eine ergebnisoffene der Landschaft als Lebens-, Wirtschafts- und Erholungs- Machbarkeitsstudie aussprechen – ich betone das Wort raum miteinander zu verbinden. Die Entwicklung einer „ergebnisoffen“ –, begrüßen wir das alle sehr. umweltgerechten Landnutzungspraxis, d. h. einer nachhal- tigen land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Nutzung, (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und hat ebenfalls eine große Bedeutung. Dazu gehört auch die bei Abgeordneten der CDU) Bewältigung der Folgen des demografischen Wandels. Da- Deshalb setzen wir uns auch dafür ein, dass die Landesre- zu zählt auch: Wie sieht es aus mit der Transporteffizienz gierung dies unterstützt, indem sie eine ergebnisoffene im Personen- und Güterverkehr? Machbarkeitsstudie dazu erarbeiten lässt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen Im Vorfeld der Debatte wurde immer wieder die Frage ge- und Kollegen, was ganz besonders wichtig ist: Eine Bio- stellt, dass es bereits ein Biosphärenreservat Rhön in Hes- sphärenregion ist keine Käseglocke. Es wird nichts dar- sen gebe und ob wir überhaupt eine Biosphärenregion übergestülpt und nicht alles konserviert, sondern es wird brauchen, wie sie seit einiger Zeit in der Diskussion ist. auch darin eine nachhaltige Weiterentwicklung gefordert. Dazu kann man einfach sagen: Eine Biosphärenregion in (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und dieser Ausprägung wäre etwas ganz Besonderes. Bei Eta- bei Abgeordneten der CDU) blierung einer UNESCO-Biosphärenregion Wiesbaden/ Rheingau-Taunus/Mainspitze wäre dies das einzige urban Es geht um die nachhaltige Entwicklung im Einklang mit geprägte Biosphärengebiet in Deutschland. Ökologie, Ökonomie und sozialer und kultureller Umwelt. Es ist hervorzuheben, dass Biosphärenreservate oder Bio- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und sphärenregionen Umweltschutz und Wirtschaft zusammen- bei Abgeordneten der CDU) bringen und ein einträchtiges Zusammenleben von Men- Es hätte zudem im europäischen Rahmen einen unglaubli- schen und Natur bewirken sollen. chen Stellenwert. Was besonders wichtig ist: Diese Bio- Da muss man schauen: Wie sieht diese Region aus? Diese sphärenregionen gibt es weltweit nur dreimal. Das muss Biosphärenregion im Gebiet einer Metropolregion Rhein- man sich vor Augen führen. In Österreich gibt es den Bio- Main bietet unglaublich gute Chancen für eine beispielhaf- sphärenpark Wienerwald mit der vorgelagerten Hauptstadt te Entwicklung einer auf Nachhaltigkeit gestützten Hand- Wien. In Brasilien ist es Mata Atlantica, und in Italien ist lungs- und Wirtschaftsweise. Dies ist mit Blick – das tun es seit 2016 Collina Po. Das heißt, mit einer Ausweisung wir auch – auf den bedeutenden Wirtschaftsstandort, den Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8061

Bevölkerungszuwachs, die Arbeitsplätze, die Wohnungen, Obere Mittelrheintal. Wiesbaden verfügt über zahlreiche die Verkehrsplanung sowie die nachhaltige Trinkwasser- Thermal- und Mineralquellen. Es ist eines der ältesten Kur- nutzung in der gesamten Metropolregion besonders wich- bäder Europas. Kurbetriebe sind zu finden in Schlangen- tig. bad und Bad Schwalbach. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses Span- bei Abgeordneten der CDU) nungsfeld von urbaner Metropolregion und einem vielfälti- gen Natur- und Landschaftsraum stellt für die UNESCO Dafür gibt es auch einen Kriterienkatalog der UNESCO. sehr wahrscheinlich ein interessantes Projekt dar. Was be- Laut diesem Kriterienkatalog der UNESCO muss eine Bio- sonders zu betonen ist: Eine Anerkennung als UNESCO- sphärenregion Landschaften und Lebensräume umfassen, Biosphärenregion würde bedeutende Chancen für die Ein- die von den Biosphärenreservaten der Bundesrepublik werbung von Fördermitteln bei der Europäischen Union nicht ausreichend repräsentiert werden und die aufgrund bieten, sei es ELER, LEADER, ESF oder EFRE. ihrer natur- und kulturräumlichen wie auch gesellschaftli- chen Gegebenheiten in besonderer Weise geeignet sind, (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und das MAB-Programm der UNESCO beispielhaft umzuset- bei Abgeordneten der CDU) zen und international zu repräsentieren. Das heißt, finanzielle Mittel werden explizit in solche Re- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und gionen geleitet, damit diese Regionen sich so entwickeln bei Abgeordneten der CDU) können, wie man es vonseiten der UNESCO möchte. Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, mitentscheidend Herren, die Gegebenheiten einer Biosphärenregion Wies- für den Erfolg eines Biosphärenreservats ist aber auch die baden/Rheingau-Taunus/Mainspitze würden genau auch Akzeptanz der ortsansässigen Bevölkerung. Diese Akzep- diesen Kriterien entsprechen können. Wir können feststel- tanz ist absolut wichtig. len, dass auch jede Gemeinde in der angedachten Biosphä- (Zuruf der Abg. Martina Feldmayer (BÜNDNIS renregion ihre Besonderheiten und ihre eigenen markanten 90/DIE GRÜNEN)) Aspekte hat. Diese würden im Rahmen einer ausgewiese- nen Biosphärenregion in keiner Weise geschmälert oder Es bedarf daher einer sorgfältigen Beratung, einer guten verloren gehen. Das Gegenteil ist der Fall. Sie können aus Öffentlichkeitsarbeit und Planung sowie eines kontinuierli- dem regionalen Kontext neue Bedeutung und Bekanntheit chen Dialogs. Dieser Dialog muss mit Feingefühl und Fan- gewinnen. Deshalb sage ich, es ist ein erstrebenswertes tasie geführt werden. Das entspricht auch dem Willen der Ziel, diese Schätze zu heben und besser bekannt zu ma- UNESCO. chen durch ein kooperatives Projekt und einen gemeinsa- men Auftritt. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU) (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU) Vizepräsident Wolfgang Greilich: Doch was sind die Besonderheiten dieser angedachten Bio- sphärenregion Wiesbaden/Rheingau-Taunus/Mainspitze? Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen. Ich habe versucht, es Revue passieren zu lassen, aber ich sage gleich vorweg: Das kann ich nicht alles aufzählen. Da sind so viele gute Dinge, so viele Besonderheiten, so viele Ursula Hammann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Pluspunkte, die man benennen müsste. Ich werde es daher Ich komme zum Schluss. – Da ist es besonders wichtig, nur exemplarisch tun. diese Akteure in eine mögliche Realisierung der Biosphä- Wir haben den Qualitätsanbau im Rheingau in Verbindung renregion einzubeziehen. Dieses Programm der UNESCO mit der Rheinromantik. Es sind die touristischen Schwer- mit dem Titel „Mensch und Biosphäre“ zeigt dies aus- punkte, die zahlreiche Menschen anlocken. Dazu gehören drücklich. Es ist gewünscht, dass der Mensch dies mitge- das Niederwalddenkmal und auch Rüdesheim. staltet. Wir von politischer Seite wollen es unterstützen. Ich hoffe, dass wir eine breite Zustimmung zu unserem Im Rheingau-Taunus-Kreis haben wir eine große Waldflä- Antrag erhalten werden. – Vielen Dank. che. Auf 55,7 % der Fläche – das sind über 45.000 ha – ist Wald zu finden. Der Untertaunus ist von Landwirtschaft (Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- geprägt, und der Naturpark Rhein-Taunus bietet eine natur- NEN – Beifall bei der CDU) nahe Erholung nicht nur für Tagesausflügler aus dem Rhein-Main-Gebiet. Wer schon einmal im Naturpark Vizepräsident Wolfgang Greilich: Rhein-Taunus war, der weiß um die Besonderheiten. Dort ist das größte Vorkommen der europäischen Wildkatze und Vielen Dank, Frau Kollegin Hammann. – Als Nächster hat der Äskulapnatter zu finden. Herr Abg. Jürgen Lenders für die Fraktion der Freien De- mokraten das Wort. Bitte sehr. Es gibt eine Reihe von Natura-2000-Gebieten mit einer be- sonderen Verantwortung für bestimmte Arten wie z. B. den Hirschkäfer. Dies sind Perlen im Naturschutz, genauso wie Jürgen Lenders (FDP): die Natura-2000-Gebiete der Rheininseln, die Rast- und Überwinterungsmöglichkeiten für zahlreiche Vögel bieten Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sollten erst wie z. B. für Schwarz- und Rotmilane. einmal festhalten, was ein Biosphärenreservat überhaupt ist und was es bedeutet, wenn wir hier darüber diskutieren Um diese Aufzählung zu erweitern: Es gibt bereits zwei wollen. bedeutende UNESCO-Welterbestätten: den Limes und das 8062 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

Meine Damen und Herren, wir reden von einer Mindestflä- Das sind wirklich große Weinanbaugebiete. Wie könnten che von 30.000 ha. Von diesen 30.000 ha müssen mindes- wir denn für die Vorreiter sein? Denn auch das ist ein Teil tens 3 % als Kernzone stillgelegt und der Natur überlassen eines Biosphärenreservats. Andere würden sich dann an werden. Diese 3 % Kernzone sind, wenn man so etwas in uns orientieren. Ich bin einmal gespannt, wie Sie das dar- Europa überhaupt noch finden kann, so etwas wie Urwald, stellen wollen. Mit den Argumenten, die Sie hier vorgetra- europäischer Urwald. gen haben, kommen Sie da nicht weiter. Hinsichtlich der Kernzone ist eine Bewirtschaftung mit Weinanbau mit Si- Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass sich die Lan- cherheit nicht der richtige Ansatz. desregierung mit der Ausweisung der Kernzone von 3 % im Biosphärenreservat Rhön schon wahnsinnig schwerge- Es geht auch um die Frage der Akzeptanz. Einige kommen tan hat. Frau Kollegin, wenn Sie dieses tolle Projekt be- aus Fulda oder aus der Rhön. Kollege Meysner ist da. Er schreiben, müssen Sie auch die Frage beantworten, woher ist der ehemalige Bürgermeister von Tann. Kollege Arnold Sie diese 3 % Kernzone nehmen wollen. Woher nehmen ist es auch. Wir wissen, über wie viele Jahre man in Fulda Sie diese 3 % Kernzone? Wie groß ist dieses Gebiet insge- sehr skeptisch war, was das Biosphärenreservat Rhön an- samt? Denn davon wird auch abhängig sein, wie viel die belangt hat. Man hat lange gebraucht, um die Menschen in 3 % ausmachen. der Rhön in den Prozess mit einzubinden. Ich habe gestern einmal kurz mit Herrn Dr. Beier darüber gesprochen. Er Es wird auch wichtig sein, dass diese 3 % hinsichtlich des sagt, es habe ungefähr zehn Jahre nach Einführung des Naturschutzes einen sinnvollen Zusammenhang haben. Ich Biosphärenreservates gedauert, bis die Menschen hätten er- bin gespannt, wie Sie das darstellen wollen. Denn die 3 % kennen können, welche Vorteile für sie darin liegen. Kernzone sind von der Pflegezone mit 25 bis 30 % umge- ben, die sich dort herum etablieren muss, damit dieser Ur- Wenn Sie das angehen wollen, ist das eine große Heraus- wald überhaupt erzeugt werden kann. Sie ist sozusagen die forderung. Man will hier jetzt einfach nur einen Prüfauf- Pufferzone. trag vergeben. Das ist ein schönes Projekt. Am Ende sagt man dann: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht Frau Kollegin, Sie müssen dabei auch überlegen, dass das nass. – Am Ende werden Sie sehr konkret werden müssen. in einem dicht besiedelten Gebiet ist. Wenn Sie Pflegezone Dann werden Sie es mit erheblichen Widerständen zu tun und Kernzone zusammennehmen, dann müssen Sie inten- bekommen. siv das Gespräch suchen. Das muss im Vorfeld geschehen. Das kann nicht nach dem Motto gehen: Das klären wir Eines der großen Probleme, das Sie in dieser Region haben dann irgendwann. – Sie müssen im Vorfeld genau sagen, und das Sie von der Rhön unterscheidet, ist, dass es eben wohin Kernzone und Pflegezone kommen sollen. Mit Ih- keine zusammenhängende Identität gibt. Die Rhöner haben rem vorliegenden Antrag werden Sie da nicht so sehr deut- das. Egal, ob das die Bayerische, die Hessische oder die lich. Der Antrag hat für mich keine genaue Zielrichtung. Thüringer Rhön ist, sie sind Rhöner. Sie vertragen sich nicht immer unbedingt mit den Fuldaern. Aber sie haben Offenbar hat man einfach eine Fläche ausgesucht und eine einheitliche Identität. Deswegen ist das auch eine Er- sucht jetzt mit einer Studie nach dem Grund, warum es ein folgsstory. Ob sich ein Wiesbadener mit einem Hochhei- Biosphärenreservat werden soll. Normalerweise wird an- mer am Ende eine eigene, zusammenhängende Identität dersherum ein Schuh daraus. Sie können nicht einfach schaffen kann, da bin ich durchaus im Zweifel. nach dem Motto sagen: Wir hätten hier gerne ein Biosphä- renreservat. – Vielmehr kommt die UNESCO in der Regel Ich glaube, dass der Ballungsraum, so wie er hier vorliegt, auf Antrag. Sie sagt dann: Jawohl, Sie haben recht. Hier für ein Biosphärenreservat nicht geeignet ist. Ich will Ihnen gibt es viel Substanz. Das ist eine einmalige Struktur. – noch eines mitgeben: Bevor wir uns an die Schaffung des Das betrifft z. B. das Wattenmeer oder die Dünen in Spani- zweiten Biosphärenreservats machen, wäre wirklich etwas en. Da sagt man: Jawohl, das ist ein Biosphärenreservat, anderes gut. Wir haben mit dem Biosphärenreservat Rhön bitte lasst uns das schützen. – Dann schafft man dafür die etwas geschaffen, was einmalig ist. Es hat wirklich Vor- Rahmenbedingungen. bildcharakter. Es trägt wirklich etwas zur Wirtschaftskraft bei. Frau Kollegin, Sie sind da die Antwort schuldig geblieben. Was ist die besonders schützenwerte Eigenschaft der Na- (Zuruf) tur? Sie haben den romantischen Rhein erwähnt. Sie haben – Frau Hinz, Sie haben doch gleich die Gelegenheit. Viel- das Niederwalddenkmal genannt. Sie haben das UNESCO- leicht gehe ich Ihnen auf die Nerven. Sie können doch Weltkulturerbe erwähnt. Sie haben die ehemaligen Staats- gleich antworten. bäder erwähnt. Frau Kollegin, Tourismus ist keine Grund- lage für ein Biosphärenreservat. Das hat mit einem Bio- Wichtiger wäre es doch, einmal zu sagen, wie wir mit der sphärenreservat überhaupt nichts zu tun. Kernzone im Biosphärenreservat Rhön umgehen wollen. Sie können das nicht wegdiskutieren. Frau Puttrich hat sei- (Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: nerzeit einen Flickenteppich hinterlassen, der aus dem Ge- Doch, natürlich!) sichtspunkt des Naturschutzes nicht sonderlich sinnvoll Es ist schön und gut, dass wir das dort haben. Aber mit ei- war. Das Land hat mit einem Kraftakt das Geld zur Verfü- nem Ansatz dafür, dass wir sozusagen eine einmalige Na- gung gestellt, um 3 % der Flächen zu erwerben. Nur stehen tur haben, die auch Vorbildfunktion haben kann, hat all die 3 % Flächen in der Rhön in keinem direkten Zusam- das, was Sie geschildert haben, nun leider überhaupt nichts menhang. zu tun. Wenn wir uns auf den Weg machen, wenn wir sagen, wir Welche Erfahrungen aus dem Rheingau – er ist zum wollen mit dem Biosphärenreservat wirklich etwas beson- großen Teil ein Weinanbaugebiet – könnten denn Lehren deres machen, dann lassen Sie uns als Land Hessen lieber für die anderen Regionen Europas sein? Wir haben als das Geld in die Hand nehmen und aus der Kernzone mehr Partnerregionen die Aquitaine und die Emilia-Romagna. als 3 % Fläche machen. Dann könnte nämlich das Biosphä- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8063 renreservat in der Rhön wachsen. Es würde dann für mehr Projekt. Deswegen hat der Kreistag des Rheingau-Taunus- Menschen eine Chance bieten. Frau Kollegin, damit würde Kreises auf Antrag der dortigen SPD-Fraktion beschlossen, dann ein Schuh daraus. Wir würden diesen Flickenteppich dieses Projekt weiterhin zu untersuchen. Unsere Land- endlich beenden. Wir würden damit eine Kernzone schaf- schaft in der Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main steht fen, die wirklich sinnvoll wäre. unter Druck. Die Region wächst dynamisch. Wir stellen einen fortschreitenden Flächenverbrauch fest. (Beifall der Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn und Nico- la Beer (FDP)) Unsere Region hat aber auch große Chancen, Teil des weltweiten Netzwerkes der UNESCO zu werden. Eine Wir haben z. B. die Immobilien, in denen das Jugendbil- Biosphärenregion im Gebiet von Taunus, Rheingau, Wies- dungswerk und die Verwaltungsstelle untergebracht sind. baden, Main-Taunus und Rhein kann vor allem folgenden Das sind die historischen Gebäude auf der Wasserkuppe. Zielsetzungen nachkommen: Bewahrung und Entwicklung Frau Kollegin, sie befinden sich seit Jahren in einem be- einer über Jahrhunderte gewachsenen Kulturlandschaft mit dauerlichen Zustand. Bevor wir uns auf den Weg machen, einmaligen Merkmalen; nachhaltige Entwicklung einer die zweite Baustelle aufzureißen, bei der wir nicht wissen, Metropolregion im Einklang mit der Bewahrung der Natur wie es ausgehen wird, wäre es doch sinnvoll, die Energie und grüner Infrastruktur; Bewahrung und Beförderung der dafür zu verwenden, die Verwaltungsstelle und die Ein- biologischen Vielfalt in einer prosperierenden Region; richtungen, die auf der Wasserkuppe sind, wirklich einer nachhaltig wirksame Maßnahmen zur Klimaanpassung, zur modernen und vernünftigen Nutzung zuzuführen. Damit Energiewende und zur Infrastrukturentwicklung. würde das Biosphärenreservat wirklich für alle erlebbar. Das Provisorium hätte dann endlich ein Ende. Damit wären Das alles sind Punkte, bei denen wir große Chancen mit ei- wir wirklich auf einem guten Weg. Das wäre aller Ehren ner solchen Biosphärenregion sehen. wert. (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- (Beifall der Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn, Nicola NISSES 90/DIE GRÜNEN) Beer (FDP) und Sabine Waschke (SPD)) Aber es gibt – das hat der Kollege Lenders schon ange- Da hätten Sie uns auch an Ihrer Seite. sprochen, und das kann man nicht einfach wegwischen –, viele Akteure vor Ort, die darin auch gewisse Risiken se- Dann haben Sie die nächste Frage zu beantworten. Wer hen. Man muss hier abwägen, man muss vor allem darüber soll denn die Verwaltungsstelle führen? Frau Kollegin, sol- aufklären, was das Ganze für eine Region bedeutet. Dazu len das die Landkreise tun? In Fulda haben wir es zum gehört es dann auch, zu sagen, dass selbstverständlich eine größten Teil mit einem Landkreis zu tun. Oder macht das Kernzone erforderlich ist, die aber schon definiert ist, und dann wieder das Umweltministerium? Die Frage hatten wir dass kein kommunaler Wald betroffen ist, sondern dass es seinerzeit. Für uns war klar, dass es viel sinnvoller ist, die sich ausschließlich um hessischen Staatswald handelt. Stellen und die Verwaltung wirklich in die Region zu ge- ben. Denn die Menschen vor Ort wissen besser, wie sie da- Kollege Lenders, auch eine Pufferregion ist erforderlich, mit umzugehen haben, als wenn das aus dem Ministerium und zwar nicht von 25 % oder 30 %, sondern von 20 %. gelenkt wird. Frau Kollegin, auch das sind Fragen, die Sie Auch diese Region ist schon klar umrissen. Beides wird im irgendwann einmal beantworten müssen. Übrigen im Rheingau-Taunus-Kreis liegen. Wenn der Kreistag des Rheingau-Taunus-Kreises dieser Machbar- (Beifall der Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn und Nico- keitsstudie zustimmt, dann sollte man das auch so hinneh- la Beer (FDP)) men; denn dort hat man sich mit den geäußerten Bedenken Sie haben ein schönes Bild für eine Region gezeichnet, die sicherlich auseinandergesetzt. Im Übrigen bedeutet eine wir für ungeeignet halten. Es wäre besser, wir würden die Pufferzone von 20 % zugleich, dass 80 % dieses Gebiets Energie in das Biosphärenreservat stecken, das wir schon völlig frei von Restriktionen sind. haben. Das ist das Biosphärenreservat Rhön. – Vielen Die Etablierung einer Biosphärenregion im Gebiet einer Dank. europäischen Metropolregion bedeutet eine große Heraus- (Beifall der Abg. Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn und Nico- forderung. In Deutschland ist so etwas noch Neuland. Die la Beer (FDP)) Machbarkeitsprüfung, die rechtliche Ausweisung und das UNESCO-Antragsverfahren, die Etablierung einer urban geprägten Biosphärenregion – das ist ein sehr großes Vor- Vizepräsident Wolfgang Greilich: haben mit vielen Facetten. Herr Kollege Lenders, vielen Dank. – Als Nächster hat Gerade in einer Metropolregion sind die Problemstellun- sich für die Fraktion der SPD Herr Kollege Marius Weiß gen der Umwelt-Mensch-Beziehungen am größten und nur zu Wort gemeldet. Bitte sehr. schwierig zu lösen, da schon heute über 50 % der Mensch- heit in Städten und Ballungsräumen leben. Eine Biosphä- renregion lebt von und mit ihren Menschen. Die Zivilge- Marius Weiß (SPD): sellschaft, ihre Teilhabe und deutliche Einbindung sind da- Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach Fi- her ausschlaggebend für den Erfolg eines solchen Projekts. pronil heute früh jetzt die Biosphärenregion. Da könnte Dies soll und muss daher von Beginn eines solchen Prozes- man rein thematisch sagen: nach den alten Eiern nun die ses an bis zu seiner Realisierung und Durchführung ge- ungelegten Eier. Zumindest dachte ich, dass es sich um un- währleistet sein. gelegte Eier handeln würde. Darauf komme ich später noch Damit kommen wir so langsam in den Bereich, wo die einmal zu sprechen. Landesregierung tätig werden müsste. Das ist eine klare Wir reden über die Biosphärenregion Wiesbaden/Rhein- Aufgabe, eine entsprechende Einbindung der Akteure vor gau-Taunus/Mainspitze – in der Tat ein hochinteressantes Ort zu administrieren. Es gibt vor Ort eine ganze Menge an 8064 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

Einzelpersonen, aber auch an Verbänden und Institutionen, binden. So macht man es nicht, wenn man Akzeptanz die sich bereits mit diesem Thema beschäftigen. schaffen will. An erster Stelle muss der Naturpark Rhein-Taunus mit (Beifall bei der SPD und der LINKEN) dem Geschäftsführer Andreas Wennemann genannt wer- Damit komme ich zum letzten Punkt. Hier steht: „Der den. Der Naturpark könnte als zentrale Kooperationsstelle Landtag … bittet … die Landesregierung, eine ergebnisof- dienen, in der Koordinierung eine wichtige Rolle überneh- fene Machbarkeitsstudie … auf den Weg zu bringen.“ Da men und gegebenenfalls später in der Biosphärenverwal- kann man aus unserer Sicht erst mal nichts dagegen haben. tung aufgehen. Die Stiftung „Unser Land! Rheingau und Daraufhin habe ich interessehalber in der Hessischen Aus- Taunus“ ist hier zu nennen. schreibungsdatenbank nachgeschaut und festgestellt – Re- Ebenso gehören Bildungsinstitutionen vor Ort dazu. Hier ferenznummer 17/3265; das können Sie nachlesen –: Auf- könnte die Hochschule Geisenheim als fester Partner auf- traggeber: Land Hessen, vertreten durch das HCC; Be- treten. Der dortige Prof. Werk hat sich in diesem Zusam- zeichnung des Auftrags durch den Auftraggeber: Rahmen- menhang sehr hervorgetan und hochinteressante Ideen zu vertrag zur Erstellung, Prozessbegleitung und zum -ma- diesem Thema entwickelt. Auch die Hochschule Rhein- nagement einer Machbarkeitsstudie „Biosphärenregion im Main in Wiesbaden oder die Hochschule Fresenius in Id- Gebiet Rheingau-Taunus/Wiesbaden/Mainspitze“; Tag der stein könnten wichtigen Partner werden. Veröffentlichung in der HAD: 24.08.2017. Viele Verbände und Einzelpersonen sind bereits engagiert (Günter Rudolph (SPD): Das glaube ich ja nicht! – und befassen sich mit diesen Themen. Dazu gehören auch Weitere Zurufe) kritische Verbände; so hat sich der Kreisbauernverband da- Liebe Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN, man mit befasst, aber auch – der Kollege Lenders hat den Wein- könnte fast meinen, das sei eine Missachtung des Parla- bau erwähnt, der im Rheingau-Taunus-Kreis besonders ments. wichtig ist – der Rheingauer Weinbauverband. Natürlich gibt es dort auch kritische Stimmen. Der Präsident des (Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Ulrich Wilken Rheingauer Weinbauverbandes, unser ehemaliger Kollege (LINKE)) Peter Seyffardt, hat schon Kontakt aufgenommen mit der Wiener Region – die Kollegin Hammann hat schon gesagt, Zumindest aber ist das eine echte Unverschämtheit, was dass es auch in Wien eine solche Biosphärenregion gibt –, Sie uns hier vorlegen. Wir sollen hier und heute beschlie- um zu schauen, wie man Weinbau in einer solchen Bio- ßen, dass die Landesregierung gebeten wird, eine solche sphärenregion betreiben kann und welche Restriktionen es ergebnisoffene Machbarkeitsstudie auf den Weg zu brin- eventuell gibt. Es gibt also eine Menge Akteure vor Ort. gen, wo sie es doch schon längst getan hat. Jetzt ist die Landesregierung gefordert, diese Akteure mit- (Günter Rudolph (SPD): Genau! So ist es!) zunehmen. Vor allem muss sie jedoch vor Ort für Akzep- tanz werben. Und das mit Datum vom 22. August dieses Jahres – am 24. August hat die Landesregierung das Ganze auf den Weg Einen Vorwurf kann ich Ihnen allerdings nicht ersparen, gebracht. Da muss ich ganz ehrlich sagen: Für dumm ver- Frau Hammann. Bei den GRÜNEN sehe ich bislang wenig kaufen können wir uns alleine. Erfolg bei dieser Handlungsweise. Lassen Sie mich das an ein paar Beispielen erklären. Es sind ja nicht nur der (Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Rheingau-Taunus-Kreis und Wiesbaden dabei, sondern NEN): Das stimmt!) auch der Main-Taunus-Kreis. In Ihrem Antrag steht, dass Das ärgert mich wirklich, weil wir inhaltlich nämlich zu sich auch der Main-Taunus-Kreis dafür einsetzt und die dieser Machbarkeitsstudie stehen. Wir stehen dazu, und Bereitschaft unterstützt. wir würden diesem Antrag eigentlich gerne zustimmen. Ich sage Ihnen mal, wie das wirklich gelaufen ist: Ihre Wenn aber erstens in dem Antrag etwas Falsches im Hin- hauptamtliche Kreisbeigeordnete im Main-Taunus-Kreis, blick auf die Machbarkeitsstudie steht und wir zweitens Frau Overdick, hat die vier betroffenen Bürgermeister ein- veräppelt werden sollen, indem wir etwas beschließen sol- geladen, hat sie mit ziemlich dicken Tischvorlagen bom- len, was die Landesregierung längst beschlossen hat, wir bardiert und gesagt: Ihr könnt jetzt erst mal eine Lesepause also über einen Schaufensterantrag beschließen sollen, machen und euch mit diesem Thema beschäftigen. – Die dann hat das eher etwas mit Eigensinn und amateurhaftem Bürgermeister sind dann wutentbrannt gegangen. Im Kreis- Verhalten zu tun, trägt aber nicht dazu bei, die Akzeptanz tag ist das Thema überhaupt nicht debattiert worden. Wenn für einen solchen Antrag zu erhöhen. hier steht, dass der Main-Taunus-Kreis das Ganze unter- Deswegen können wir uns bei dem Antrag heute nur ent- stützen würde, ist das schlicht die Unwahrheit. So wirbt halten, was ich sehr bedauere. Dafür ist jedoch niemand man nicht für Akzeptanz, wenn man bewusst etwas anders verantwortlich als Sie und Ihre Fraktion, liebe Frau Falsches in einen Antrag schreibt. Hammann. Wenn man weiterhin so mit diesem Projekt (Beifall bei der SPD) umgeht wie Sie, dann fährt man es gegen die Wand. Ein weiterer Punkt. Sie bringen diesen Antrag im Allein- (Beifall bei der SPD) gang ein. Wenn man so etwas politisch auf breite Füße stellen will und wenn man weiß, dass es, mit Ausnahme Vizepräsident Wolfgang Greilich: der FDP, außer der Koalition noch zwei andere Fraktionen gibt – nämlich DIE LINKE und die SPD –, die im Kreistag Vielen Dank, Herr Kollege Weiß. – Als Nächste hat sich zugestimmt haben und die diesem Projekt im Grundsatz Frau Kollegin Müller-Klepper für die Fraktion der CDU zu offen gegenüberstehen, dann finde ich es ziemlich unklug, Wort gemeldet. Bitte sehr, Sie haben das Wort. aus reinem Themenmangel aus diesem Punkt einen Allein- gang zu machen und die anderen Fraktionen nicht einzu- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8065

Petra Müller-Klepper (CDU): (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Hessen ist ein Land voller wunderbarer Landschaften und großartiger Natur. Obwohl wir der Verkehrsknotenpunkt Vizepräsident Wolfgang Greilich: Europas und eine der wirtschaftsstärksten Regionen der Welt sind, haben wir unsere Umwelt und Natur bewahrt. Entschuldigung, Frau Kollegin. – Ich muss jetzt einmal um Wir arbeiten dafür, sie auch in Zukunft zu erhalten. Ruhe bitten. Im Bereich des Plenums haben die Gespräche mittlerweile etwas überhandgenommen. Vielleicht können Neben flächendeckenden Maßnahmen für Umweltschutz wir der Rednerin etwas mehr Aufmerksamkeit widmen. und Artenvielfalt spielen dabei auch und gerade unsere Na- turschutzgroßprojekte eine wichtige Rolle. Wir haben mit (Marjana Schott (DIE LINKE): Das ist auch kein dem Kellerwald einen großartigen Nationalpark, der in der Wunder!) Region sehr gut angenommen wird, der den Tourismus am Edersee belebt und ergänzt hat und der für den Erhalt unse- rer traditionellen Umweltstrukturen gerade im Bereich der Petra Müller-Klepper (CDU): Buchenwälder und der damit verbundenen Arten eine we- Der Kreistag des Rheingau-Taunus-Kreises hat sich schon sentliche Rolle spielt. mehrfach mit diesem Thema beschäftigt und Offenheit für Wir haben ein länderübergreifendes UNESCO-Biosphä- die Idee gezeigt. Vor Kurzem hat nun auch die Stadt Wies- renreservat in der Rhön, das ebenfalls sehr erfolgreich ist. baden signalisiert, dass sie zumindest der Antwort auf die Auch hier funktioniert der Schutzstatus sehr gut mit den offenen Fragen offen gegenübersteht. Zielen einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung, Ich will hier sehr deutlich sagen, dass es mir und meiner mit dem Tourismus und mit den Wünschen der Region. Ich Fraktion an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt genau könnte noch viele weitere erfolgreiche Beispiele nennen, darum geht. Es gibt Fragen, bei manchen Sorgen oder Be- sei es das Großprojekt „Hoher Vogelsberg“, das fürchtungen, bei anderen Hoffnungen oder Erwartungen. UNESCO-Projekt „Lebenswerte Lahn“ oder das „Grüne Beiden, den Hoffnungen und den Befürchtungen, begegnet Band durch Hessen“. man am besten mit Fakten statt mit Spekulationen. Unser heutiges Thema ist ein weiterer Schritt bei diesen Die Regierungsfraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/ Aktivitäten, ein weiterer Baustein, mit dem wir eine Regi- DIE GRÜNEN haben daher vereinbart – dies ist auch in on in den Blick nehmen, die über viele Vorzüge verfügt, der Koalitionsvereinbarung verankert –, dass wir eine die wirtschaftlich stark ist, die über eine einzigartige Land- Machbarkeitsstudie gemeinsam mit den Betroffenen in den schaft, über kulturelle Vielfalt verfügt. All dies gilt es zu Regionen auf die Schiene bringen. Als Land wollen und bewahren und behutsam weiterzuentwickeln. können wir diesen Prozess begleiten. Wir wollen und wer- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE den ihn aber nicht vorschreiben. Wir legen Wert darauf, GRÜNEN) dass diese Studie ergebnisoffen ist. Wir müssen Chancen und Risiken unvoreingenommen ernsthaft prüfen, um zu Frau Kollegin Hammann hat bereits einige Glanzlichter wissen, welche Sorgen berechtigt und welche Sorgen un- dieser Region beschrieben. Wir haben seit vielen Jahren berechtigt sind. Das gilt genauso für die Hoffnungen und die Diskussion über die Idee, gebietskörperschaftsübergrei- Erwartungen, die damit verbunden sind. fend in Wiesbaden, im Rheingau-Taunus, an der Mainspit- ze eine weitere Biosphärenregion einzurichten. Der An- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE satz, eine solche Region im hoch verdichteten Bereich des GRÜNEN) Rhein-Main-Gebiets und unter Beteiligung der Landes- Wir möchten daher, dass man sich fachlich und rechtlich hauptstadt zu entwickeln, ist herausfordernd; denn wenn vertiefter damit beschäftigt, wie eine solche Region ausge- man an Biosphäre denkt, dann kommen einem sicherlich staltet werden könnte. Wir wollen dies wissenschaftlich nicht zuallererst die hoch entwickelten, wirtschaftlich star- fundiert tun. Hat man – das ist schon angesprochen worden ken, von einem engen Straßen- und Schienennetz durchzo- – die notwendigen Flächen, um die Anforderungen der genen Regionen am Zusammenfluss von Rhein und Main UNESCO zu erfüllen, ohne dass man weitere Stilllegungen in den Sinn, ebenso wenig wie die Landeshauptstadt mit oder Eingriffe zulasten des Weinbaus oder von Forst- und ihrer hohen Siedlungsdichte. Landwirtschaft vornehmen muss? Kann man einen wirk- Genau deshalb ist es aber auch eine spannende Frage. lich messbaren Nutzen für den Naturschutz, den Arten- Kann eine UNESCO-Biosphärenregion in einem so ver- schutz und den Landschaftsschutz erreichen? Bringt ein dichteten Raum funktionieren? Bekommen wir den Schutz solches Projekt der Region wirklich bessere Chancen im unserer Landschaft, der Natur und der Arten, die hier le- Bereich des Tourismus? Beschneiden wir an irgendeiner ben, in einen guten Einklang mit der Entwicklung der Re- Stelle Entwicklungsziele oder Entwicklungspotenziale, die gion mit dem notwendigen Straßenausbau, mit der Land- wir als Region brauchen und erhalten wollen? und Forstwirtschaft und natürlich insbesondere auch mit Es gibt – auch das ist schon angedeutet worden – in den dem Weinbau? Können wir den Menschen im Ballungs- Regionen auch Verantwortungsträger, die dem Vorhaben raum ein UNESCO-Naherholungsgebiet vor ihrer Haustür sehr skeptisch gegenüberstehen und die der Auffassung bieten, das Chancen für Tourismus und vieles mehr bietet, sind, dass es nicht geht. Ich habe Verständnis dafür, dass ohne dass wir die Dynamik der Region gefährden? Findet eine solche Debatte Sorgen auslöst und dass hierdurch Wi- ein solches Vorhaben Akzeptanz bei den Menschen vor derstände entstehen; denn die Fragen sind ja nicht trivial, Ort? Nur dann, wenn eine Biosphärenregion von den Men- sondern sie betreffen ganz direkt und unmittelbar viele schen getragen wird, kann sie auch funktionieren. Menschen. Deshalb dürfen wir auch nicht den Eindruck er- wecken, wir würden eine solche Maßnahme mal eben ein- fach über die Köpfe der Leute hinweg umsetzen und dann 8066 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 sehen, was passiert. Genau so machen wir es nicht. Wir Vizepräsident Wolfgang Greilich: nehmen die Ängste und Sorgen sehr ernst, und wir gehen Frau Abg. Schott, wenn Sie meinen, meine Verhandlungs- sehr sorgfältig mit ihnen um. Uns ist wichtig, dass der Pro- führung kritisieren zu müssen, dann machen Sie das bitte zess mit einer breiten Beteiligung der Betroffenen, der Ak- auf einem geeigneten Weg, aber nicht hier in der Sitzung. teure vor Ort im Dialog stattfindet. Es gilt natürlich, die Kommunen einzubinden, den Weinbau, die Bauernverbän- de, aber auch die guten Institutionen, über die wir in den Marjana Schott (DIE LINKE): Regionen verfügen. Die Hochschule Geisenheim Universi- ty ist genannt worden. Ich habe Sie akustisch nicht verstanden. Ich halte es für richtig, dass wir all diese Fragen mit wis- (Horst Klee (CDU): Es gibt keine Debatte mit dem senschaftlicher Expertise prüfen. Sowenig Hoffnungen und Präsidenten!) Erwartungen allein ausreichen, um ein solches Projekt um- zusetzen, so wenig reichen Ängste und Befürchtungen aus, ein Projekt einfach abzulehnen. Hier ist die Machbarkeits- Vizepräsident Wolfgang Greilich: studie der richtige Weg. Für sie hat sich auch ausdrücklich Ich wiederhole: Wenn Sie meinen, es gebe etwas an mei- der Kreistag des Rheingau-Taunus-Kreises mit breiter ner Verhandlungsführung zu kritisieren, dann wählen Sie Mehrheit ausgesprochen. Sie schafft das Fundament für die bitte den dafür geeigneten Weg, aber nicht das Plenum. weitere Debatte, für das Abwägen der Vor- und Nachteile Wenn wir das länger erörtern müssen, dann unterbreche und letztendlich für das Treffen der Grundsatzentschei- ich die Sitzung. – Bitte führen Sie Ihre Rede fort. dung.

Es wird keine Schnellschüsse und auch kein Gefälligkeits- Marjana Schott (DIE LINKE): gutachten geben, sondern eine objektive Prüfung aller As- pekte und eine fundierte Analyse. Anhand der Ergebnisse Herr Präsident, ich habe nicht Ihre Sitzungsleitung kriti- kann dann beurteilt werden, ob die Chancen die Risiken siert. Ich habe lediglich erklärt, warum in diesem Hause überwiegen und ob man für die Probleme Lösungen findet gerade ein gerüttelt Maß an Empörung herrscht. Ich finde, oder ob Probleme und Widerstände doch eine so ernsthafte dass wir hier auch darüber reden sollten. Grundlage haben, dass man von dem Vorhaben Abstand (Beifall bei der LINKEN – Clemens Reif (CDU): Es nimmt. herrscht Empörung, weil Sie reden!) Das ist das richtige und verantwortungsbewusste Vorgehen – Nein, das gerüttelt Maß an Empörung liegt nicht daran, bei einem Projekt wie diesem, das seine Wirkung über dass ich rede, sondern dass es Frau Müller-Klepper fertig- Jahrzehnte entfalten wird. Ich begrüße, dass wir uns mit bringt, im Anschluss an das, was uns Herr Weiß gesagt hat, den Verantwortungsträgern in der Region auf ein solches ihre vorbereitete, standardisierte Rede zu halten, Verfahren einigen konnten. Wenn wir so vorgehen, kann das ein interessanter und spannender Prozess werden. Er (Ismail Tipi (CDU): Was Sie sagen, ist unkollegial! wird auf jeden Fall auch innovativ sein; denn es werden – Weitere Zurufe von der CDU) Kreis- und Stadtgrenzen übergreifend gemeinsam Antwor- und dass wir mit einem Antrag konfrontiert werden, der im ten auf die Fragen der Regionalentwicklung gesucht wer- Grunde genommen obsolet ist. Wenn Sie auch nur ein den. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse. – Vielen Dank bisschen Political Correctness und Respekt vor diesem für die Aufmerksamkeit. Haus an den Tag legten, würden Sie diesen Antrag zurück- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE ziehen und sich bei diesem Parlament dafür entschuldigen, GRÜNEN) dass wir die Landesregierung zu einem Tun auffordern sol- len, was diese längst getan hat. Vizepräsident Wolfgang Greilich: (Beifall bei der LINKEN – Clemens Reif (CDU): Die Einzige, die sich entschuldigen müsste, sind Sie! Vielen Dank, Frau Kollegin Müller-Klepper. – Ich erteile – Weitere Zurufe von der CDU) jetzt Frau Abg. Schott von der Fraktion DIE LINKE das Wort. Jetzt tun Sie so, also ob Sie an dieser Stelle einen Beteili- gungsprozess auf den Weg bringen wollten. Den gibt es aber überhaupt nicht. Marjana Schott (DIE LINKE): (Michael Boddenberg (CDU): Kümmern Sie sich Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Präsident, um Blockupy! – Clemens Reif (CDU): Glauben Sie Sie müssen schon Verständnis dafür haben, dass auf der Ihre gespielte Empörung selbst? – Weitere Zurufe linken Seite des Hauses nach dem, was Marius Weiß in von der CDU) seiner Rede eben öffentlich gemacht hat, ein bisschen Un- Es gibt diesen Beteiligungsprozess offensichtlich über- ruhe herrschte. Dass anschließend Frau Müller-Klepper haupt nicht. Ich finde das gerade bei diesem Thema un- hier ans Mikrofon geht und ihre vorbereitete, standardisier- glaublich traurig. te Rede ohne eine einzige Bemerkung zu dem, was wir zu- vor erfahren haben, hält, das ist schon Hardcore. (Zurufe von der CDU) (Beifall bei der LINKEN) Sie hätten nämlich erreichen können, dass eine große Mehrheit in diesem Hause Ihrem Antrag zustimmt. Wir hätten es getan. Ich bin sicher, auch die SPD-Fraktion hätte es getan, wenn es denn ein ernsthafter Antrag gewesen wä- re, die Regierung aufzufordern, etwas Bestimmtes zu tun. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8067

Sie hat es aber längst getan; deshalb brauchen wir die Re- Priska Hinz, Ministerin für Umwelt, Klimaschutz, gierung nicht mehr dazu aufzufordern. Verkaspern lassen Landwirtschaft und Verbraucherschutz: müssen wir uns hier von niemandem. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, man (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU) kann die Aufregung wieder ein bisschen herunterfahren. Im Grunde genommen ist das, was Biosphärenreservate (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und machen, eine großartige Sache. Es geht um solidarische bei Abgeordneten der CDU) gesellschaftliche Veränderungen, es geht um nachhaltiges Ich begrüße es und freue mich zunächst einmal darüber, Wirtschaften und um nachhaltige Lebensweisen. Einem dass die Stadt Wiesbaden und der Rheingau-Taunus-Kreis solchen Vorhaben würde sich DIE LINKE natürlich nie Beschlüsse gefasst haben, die es ermöglicht haben, dass entgegenstellen; denn das ist der Duktus unserer Politik. wir vom Ministerium aus Gespräche über die Möglichkeit Genau deshalb würden wir einen solchen Antrag im Nor- der Einrichtung einer Biosphärenregion führen konnten. malfall immer mittragen. Da es aber gar nicht mehr um das Beantragen einer Machbarkeitsstudie geht, ist das eine an- Diese Gespräche haben bereits stattgefunden. Aus den Ge- dere Situation. sprächen ging das hervor, was in dem Antrag der Koaliti- onsfraktionen steht, dass es nämlich dringend geboten ist, Fraglich ist, wie ernst Sie es meinen, wie ernst es die Re- eine Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben. Das, was gierung tatsächlich meint, hier etwas im Sinne von Nach- bislang stattfindet, ist lediglich ein Interessenbekundungs- haltigkeit zu verändern. Im möglichen Biosphärenreservat verfahren. Es ist keine Auftragsvergabe erfolgt, und es ist läge beispielsweise das Staatsweingut. Das Staatsweingut vor allen Dingen überhaupt noch nicht über den Auftrag könnte eine Vorreiterrolle spielen. Wenn Sie sowieso entschieden. Von daher kann man die Aufregung wieder schon entschieden haben, dass Sie das machen wollen, ein bisschen zurückfahren und sich hier über das eigentli- dann würde mich schon interessieren, wann auf dem che Thema unterhalten. Staatsweingut die Umstellung auf ökologisches Wirt- schaften beginnt und warum dieser Umstellungsprozess (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und nicht schon längst begonnen hat. Warum werden dort keine bei Abgeordneten der CDU) zertifizierten ökologischen Weine erzeugt? Da hätte das Staatsweingut nämlich eine echte Vorreiterrolle – sozusa- Die Idee für die Entwicklung einer Biosphärenregion muss gen eine doppelte Vorreiterrolle; denn es hätte eine auf an- natürlich in der Region selbst verankert sein; denn es geht dere Unternehmungen und auf die Weinbauern in der Re- ja um deren eigene nachhaltige Entwicklung. Wir alle wis- gion ausstrahlende Wirkung, sich an der Umstellung zu be- sen, dass es sich um eine dynamische Wachstumsregion teiligen und so zu produzieren, wie es – im tieferen Sinne – handelt. Mit einer Machbarkeitsstudie kann geprüft wer- einem Biosphärenreservat entspräche. den, wie dieses Wachstum nachhaltig und zukunftsfest ge- staltet werden kann. Wir wollen ja eine Orientierung auf Ich kann mich ausnahmsweise einigen Kritikpunkten der eine klimafreundliche, naturverträgliche, aber durchaus FDP-Fraktion anschließen. Wir haben nämlich in Hessen auch der Wirtschaft zugeneigte Wachstumsregion vorneh- schon ein Biosphärenreservat, wo viele Dinge nicht ordent- men. lich gemacht werden. Das, was in der Rhön gemacht wird, ist fürchterliches Stückwerk. Dort sollte man erst einmal Auch die Kommunen im Main-Taunus-Kreis, rund um seine Hausaufgaben gut und ordentlich machen. Wir haben Wiesbaden, wären ein Gewinn für diese Biosphärenregion. schon vor Jahren gesagt, dass eine Notwendigkeit besteht, Es wäre wirklich gut, wenn sich diese Kommunen ent- dort endlich einmal das zu machen, was in einer Kernzone schließen würden, mitzumachen. Ich hoffe sehr, dass wir notwendig ist, nämlich nicht auf Munition dort herumzu- sie in dem Prozess, der jetzt begonnen hat, überzeugen trampeln. können und ein positives Votum auch aus dem Main-Tau- nus-Kreis bekommen. Ich werde am Ende meiner Rede (Beifall bei der LINKEN) noch einmal darauf zurückkommen. Es kann auch nicht nur darum gehen, einer Region ein bes- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und ser zu vermarktendes touristisches Etikett aufzudrücken. bei Abgeordneten der CDU) Natürlich soll die Region auch touristisch profitieren; das ist es aber nicht allein. Man muss vielmehr über viele As- Das in Rede stehende Gebiet ist ein bedeutender Wirt- pekte nachdenken, z. B. über einen ökologischen Umbau, schaftsstandort und nimmt am deutlichen Wachstum der über mehr öffentlichen Personennahverkehr und über eine Bevölkerung, an Arbeitsplätzen und an Wohnungen in der Entlastung der Region von Güterverkehr, indem man die- Region teil. Dieses Wachstum gilt es im Hinblick auf das sen anders leitet, damit die Menschen und die Region nicht wertvolle Naturkapital der Region zu gestalten. Hierzu ge- unendlich darunter leiden. hören die Langfristziele der Klimaanpassung – dieses Ziel ist inzwischen in die UNESCO-Kriterien aufgenommen Alle diese Fragen wären zu beantworten und werden in der worden –, der Flächenschonung, einer guten Luftqualität, Zukunft hoffentlich angegangen. Aber bitte erwarten Sie eines nachhaltigen Wasserverbrauchs und einer modernen von uns zu diesem Scheinantrag – es ist nicht einmal ein Verkehrsplanung. Schaufensterantrag – keine Zustimmung. Das haben Sie leider vergeigt. Hier gibt es bekanntlich noch einiges zwischen der Stadt und dem Umland zu tun. Hier ist z. B. das Stichwort „City- (Beifall bei der LINKEN) Bahn-Verlängerung in den Main-Taunus-Kreis“ zu erwäh- nen; denn die wachsenden Verkehrsströme sollen ja um- weltverträglich bewältigt werden. Vizepräsident Wolfgang Greilich: Es sind aber natürlich auch die klassischen Aufgaben einer Vielen Dank, Frau Abg. Schott. – Für die Landesregierung Biosphärenregion zu erfüllen: Wie können Landwirtschaft spricht Frau Staatsministerin Hinz. Sie haben das Wort. und Weinbau noch mehr an Aspekten der nachhaltigen und 8068 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 umweltgerechten Bewirtschaftung ausgerichtet werden? gibt es den Auftrag, eine Machbarkeitsstudie zu erstellen, Den regional agierenden Unternehmen der Landwirtschaft, und danach wird der Prozess gestaltet, an dem alle teilha- der Forstwirtschaft, des Weinbaus und der Gastronomie ben; denn die Biosphärenregion kann nur erfolgreich sein, können in einer Biosphärenregion damit ganz neue Ver- wenn alle mitziehen und am Ende alle überzeugt sind. Ich marktungsmöglichkeiten eröffnet werden, vor allen Dingen hoffe, dass sich am Ende auch wirklich alle beteiligen und wenn die regionale Herkunft der Produkte und so weit wie dass sich die Aufregung nach meiner Rede wieder ein möglich auch ihre ökologische Wertigkeit stärker ins Be- bisschen gelegt hat. – Herzlichen Dank fürs Zuhören. wusstsein gerückt werden, so, wie das in der Rhön der Fall (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE ist. GRÜNEN) (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Lenders, im Naturschutz haben wir z. B. mit der Aus- Vizepräsident Wolfgang Greilich: weisung der Kernflächen im Staatswald im Rheingau-Tau- nus-Kreis eine erste gute Grundlage gelegt. Der Wispertau- Vielen Dank, Frau Ministerin. – Weitere Wortmeldungen nus, der ein weitgehend unzerschnittener Raum ist, ist au- liegen mir nicht vor. ßergewöhnlich und einmalig. Hier sind auch seltene Arten Der Antrag wird, wie vereinbart, zur weiteren Beratung an wie die Bechsteinfledermaus und die Wildkatze zu Hause. den Umweltausschuss überwiesen. Es gibt schon entsprechende Untersuchungen, Würdigun- gen und Zertifikate. Wir treten jetzt in die vereinbarte Mittagspause ein. Wir setzen die Sitzung um 14:30 Uhr fort. Auf diesen Grundlagen können sich mit der Anerkennung als Biosphärenregion vor allen Dingen auch Chancen für (Unterbrechung von 13:14 bis 14:32 Uhr) den Tourismus bieten. Auch das würde wiederum zur Wertschöpfung in der Region beitragen. Vizepräsidentin Ursula Hammann: Natürlich hat jede Gemeinde in dieser Region ihre Beson- derheit. Diese wird durch die Zugehörigkeit zu einer Bio- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir fahren mit der Sit- sphärenregion in keiner Weise geschmälert oder verloren zung fort. gehen. Im Gegenteil, es geht darum – insbesondere im Ich rufe Tagesordnungspunkt 51 auf: Tourismus –, gemeinsam zu gewinnen und aus dem regio- nalen Kontext neue Bedeutung und Bekanntheit zu erlan- Antrag der Fraktion DIE LINKE betreffend klares Zei- gen. chen gegen Atomwaffen setzen – friedenspolitisches En- gagement und Aufklärung unterstützen – Drucks. Es gibt auch etwas ganz Besonderes in dieser möglichen 19/5173 – Biosphärenregion: Ein UNESCO-Biosphärengebiet, das ei- ne große Stadt mit über einer Viertelmillion Einwohnerin- zusammen mit Tagesordnungspunkt 73: nen und Einwohner einbezieht, besäße damit ein besonde- res Merkmal, das die UNESCO überzeugen kann, eine Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend weitere Biosphärenregion in Deutschland auszuweisen. nukleare Abrüstung in Deutschland – Drucks. Die Abg. Ursula Hammann hat darauf hingewiesen, dass 19/5211 – es erst wenige Regionen gibt, die ähnliche Merkmale auf- weisen. sowie Tagesordnungspunkt 74: Wie geht es jetzt konkret weiter? Ich komme auf die Frage Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der am Anfang zurück, wie wir die Akteure vor Ort einbinden CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Er- und im Main-Taunus-Kreis Überzeugungsarbeit leisten halt des Friedens und weltweite atomare Abrüstung wollen. Das Umweltministerium wird die Machbarkeits- – Drucks. 19/5212 – studie in einem transparenten Prozess auf der Grundlage des Kriterienkatalogs der UNESCO in Auftrag geben, auch Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten. Als erster in Absprache mit den Akteuren vor Ort, die in der Diskus- Redner hat sich Herr Kollege Schalauske von der Fraktion sion schon die Grundlage gelegt haben. Wir legen einen DIE LINKE zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege, besonders großen Wert auf einen breit angelegten Beteili- Sie haben das Wort. gungsprozess während der gesamten Diskussion und wäh- rend der gesamten Entwicklung hin zu einer Biosphärenre- Jan Schalauske (DIE LINKE): gion. Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Morgen, am (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE 1. September, begehen Gewerkschaften, Friedensinitiati- GRÜNEN) ven, die politische Linke und viele mehr den Antikriegstag, Er soll alle wichtigen gesellschaftlichen Gruppierungen in den die Gewerkschaften in den 1950er-Jahren unter dem der Region einbeziehen: Vertreterinnen und Vertreter der Motto „Nie wieder Krieg“ ins Leben gerufen haben, um an Landkreise, der Kommunen, der Politik, der Kultur, der die Schrecken von Faschismus und Weltkrieg zu erinnern Wissenschaft, der Wirtschaft und der politischen Parteien und ein Zeichen gegen Krieg und Aufrüstung zu setzen. im Landtag, aber auch von Interessenverbänden und zivil- Die Fraktion DIE LINKE ist der festen Überzeugung, dass gesellschaftlichen Gruppen. dieser wichtige Gedenktag ein mehr als geeigneter Anlass Wir stehen wirklich ganz am Anfang eines Prozesses. Zwei für eine Debatte im Hessischen Landtag über Frieden und kommunale Gebietskörperschaften haben erklärt: Ja, wir Abrüstung ist. wollen den Prozess mitgestalten. – Die dritte kommunale (Beifall bei der LINKEN) Gebietskörperschaft wollen wir noch überzeugen. Dann Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8069

Ein anderes bedeutendes Datum in diesem Jahr ist der Atomwaffen durch Bundeswehrpersonal weder eingeübt 7. Juli 2017. An diesem Tag haben in New York die Ver- werden, noch dürfen Trägersysteme dafür bereitgestellt einten Nationen über einen Atomwaffenverbotsvertrag ab- werden. Es darf auch keine anderweitige Unterstützung für gestimmt. Über 120 Staaten haben für die Annahme dieses diesen Einsatz oder für die Vorbereitung eines Einsatzes Vertrags gestimmt. Damit wurde ein Prozess eingeleitet, an geleistet werden. dessen Ende im Laufe dieses Jahres eine völkerrechtlich Drittens. Die deutsche Politik muss sich ohne Wenn und verbindliche Ächtung von Atomwaffen stehen wird. Ich Aber für einen Abzug der US-amerikanischen Atomwaffen finde, dieser Vertrag ist nicht weniger als ein großer Hoff- aus Büchel in der Eifel einsetzen und darf keine Stationie- nungsschimmer für die Menschheit. rung neuer US-amerikanischer Atomwaffen in Deutsch- (Beifall bei der LINKEN) land zulassen. Die Zeiger der Weltuntergangsuhr – einer symbolischen (Beifall bei der LINKEN) Uhr, welche US-amerikanische Atomwissenschaftler ver- Wie Sie alle wissen: In Büchel in der Eifel lagern – nach wenden, um der Öffentlichkeit zu verdeutlichen, wie groß den Recherchen der IPPNW – noch immer ca. 20 Atom- nach ihrer Meinung das derzeitige Risiko eines Atomkriegs bomben. ist – stehen auf zweieinhalb Minuten vor zwölf. Die Wis- senschaftler warnen – sinngemäß –: Die Möglichkeit einer In dieser Situation begrüße ich es ausdrücklich, dass der globalen Katastrophe ist sehr hoch. Maßnahmen, um das SPD-Vorsitzende den Abzug der US-ameri- Risiko einer Katastrophe zu minimieren, müssen schnell kanischen Atomwaffen aus Deutschland fordert. Aber blo- ergriffen werden. ße Lippenbekenntnisse reichen nicht aus. Auch die ehema- ligen Außenminister Guido Westerwelle, FDP, oder Frank- Im Übrigen: Das letzte Mal, als die Gefahr eines Weltun- Walter Steinmeier, SPD, hatten diesen Abzug gefordert. tergangs von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft- Gefolgt ist diesen Ankündigungen bisher leider nichts. lern als so hoch eingeschätzt wurde, war im Jahr 1984, als die Beziehungen zwischen den Supermächten USA und Im Gegenteil: In der Vergangenheit haben Bundesregie- Sowjetunion einen Tiefpunkt erreicht hatten. rungen aller Couleur nicht ab-, sondern aufgerüstet. Allein unter der Großen Koalition ist der Militärhaushalt in den Im Zusammenhang der atomaren Waffen beunruhigen die letzten vier Jahren von 32,8 Milliarden € auf 37 Milliar- Forscher zahlreiche Entwicklungen: der Ausbau und die den € angestiegen. Deswegen an die Kolleginnen und Kol- Erneuerung der Atomwaffenarsenale in den USA, in Russ- legen der SPD: land, in Indien und in Pakistan sowie die Pläne Nordkore- as, Atomwaffen zu testen und die Sprengkraft ihrer Bom- (Günter Rudolph (SPD): Ich wusste, da kommt noch ben auszubauen. Seit der jüngsten Analyse, aus der ich zi- etwas!) tiert habe, hat sich der Konflikt zwischen Nordkorea und den USA weiter verschärft. Wer den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland wirklich erreichen will, der darf sich nicht hinter – Zitat – Der US-amerikanische Präsident Donald Trump prahlt, „europäischen Lösungen“ verstecken, wie Sie es in dem dass sein Atomwaffenarsenal stärker als jemals zuvor sei, Wahlprogramm tun, sondern er muss gegenüber den USA und droht Nordkorea mit – ich zitiere – „Feuer und Zorn, offensiv auf einen sofortigen Abzug der US-Atomwaffen wie es die Welt noch nicht gesehen hat“. drängen. (Zuruf des Abg. Kurt Wiegel (CDU)) (Beifall bei der LINKEN) Mit wechselseitigen Drohgebärden, Raketentests und Mili- Dabei hätten Sie die Mehrheit der Bevölkerung auf Ihrer tärübungen eskalieren Kim Jong-un und Donald Trump Seite. Die große Mehrheit der Menschen in unserem Land diesen Konflikt. Diese Entwicklungen zeigen: Der Fortbe- ist für ein Verbot und eine Verschrottung von Atomwaffen. stand von Atomwaffen ist eine der größten Gefahren für die Sicherheit der gesamten Menschheit. Jetzt werden Sie in dem weiteren Verlauf der Debatte be- haupten, dass dieses Thema im Landtag nichts zu suchen (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU) hat. Dazu sage ich Ihnen gleich: von wegen. Die Gefahr ei- nes Einsatzes von Atomwaffen, die Gefahr einer nuklearen Notwendig ist eine Politik, die sich ohne Wenn und Aber Katastrophe macht, wie bei vielen anderen Menschheitska- für atomare Abrüstung einsetzt. Was aber müsste eine tastrophen auch, keinen Halt vor der Landesgrenze Hessen. Bundesregierung tun, die die atomare Abrüstung voran- bringen möchte? In diesem Wissen haben sich beispielsweise in Rahmen der Friedensbewegung der Achtzigerjahre gegen den NATO- Erstens. Der Vertrag über das Verbot von Kernwaffen im Doppelbeschluss viele Kommunen in Hessen zu atomwaf- Rahmen der Vereinten Nationen muss ratifiziert werden. fenfreien Zonen erklärt. Dafür haben viele – auch die poli- Bisher hat sich die Bundesregierung noch nicht einmal an tische Linke – lange gestritten. den Verhandlungen beteiligt. (Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD)) Ich finde, es ist völlig inakzeptabel, dass diese deutsche Regierung, die sonst so schnell mit dem Wunsch dabei ist, Ein anderes Beispiel dafür, wo diese Erkenntnis angekom- eine Führungsrolle in der Welt und militärische Verant- men ist, sind die Kommunen. Jedes Jahr am 8. Juli wird wortung zu übernehmen, nicht in der Lage zu sein scheint, am Rathaus meiner Heimatstadt Marburg die „Mayors for Verantwortung für das Verbot von Atomwaffen zu über- Peace“-Flagge gehisst. Marburg ist – wie in Hessen über nehmen. Das ist völlig inakzeptabel. 40 Städte und Gemeinden – Mitglied im Bündnis „Bürger- meister für den Frieden“. Die Organisation „Bürgermeister (Beifall bei der LINKEN) für den Frieden“ ist eine Organisation, die 1982 durch den Zweitens. Aus der NATO-Strategie der nuklearen Teilhabe Bürgermeister von Hiroshima als „Mayors for Peace“ ge- muss ausgestiegen werden. Zukünftig darf ein Einsatz von 8070 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 gründet worden ist und die sich für Frieden und atomare derholt einen nicht gerade für seine Umsichtigkeit bekann- Abrüstung einsetzt. ten US-Präsidenten provoziert, wenn man wahrnimmt, dass Nordkorea auch ganz offen sagt, dass Pläne gemacht Ich finde, der Hessische Landtag könnte sich an diesem würden, die USA mit Atomwaffen anzugreifen, und wenn Engagement ein Beispiel nehmen und es entsprechend man liest, dass die Reaktion aus den USA heißt: „Alle Op- würdigen. tionen liegen auf dem Tisch“, also auch die Option, Atom- (Beifall bei der LINKEN) waffen einzusetzen, dann ist das in der Tat sicherlich ein Anlass, sich über das Thema Abrüstung zu unterhalten. Zweitens. In der Hessischen Verfassung, in unserem Staatsgrundgesetz, wurden Lehren aus Faschismus und Niemand wird bestreiten, dass auch ein Landtag, der nicht Weltkrieg gezogen. In Art. 69 der Hessischen Verfassung für die Außenpolitik zuständig ist, der keine Kompetenz heißt es: hat, Außenpolitik zu machen, trotzdem Meinungen zu The- men abgeben und Willensbekundungen verabschieden Hessen bekennt sich zu Frieden, Freiheit und Völ- kann. Deswegen haben die Koalitionsfraktionen heute zu kerverständigung. Der Krieg ist geächtet. diesem Thema einen Antrag vorgelegt. Wenn man sich die Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen Tagespolitik und die Gefährdungslagen ansieht, die ich ge- wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungswid- rade dargestellt habe, aus denen hervorgeht, dass ein rig. Atomkrieg wieder greifbar, leider bedrohlich nahe, er- scheint, dann sind Neuverhandlungen, neue Bestrebungen Ich meine, unsere Verfassung verpflichtet uns gerade dazu, zur atomaren Abrüstung natürlich äußerst wünschenswert. auch in diesem Landtag ein deutliches Zeichen für Frieden und Abrüstung zu setzen. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU sowie der Abg. Janine Wissler (DIE LIN- (Beifall bei der LINKEN) KE)) Drittens. Da wende ich mich erneut an die Kolleginnen Wenngleich ich feststellen muss, dass neue Verhandlun- und Kollegen von der SPD; denn bereits in den Fünfziger- gen, das Ziel einer atomwaffenfreien Erde doch sehr weit jahren wurde im Hessischen Landtag über Fragen von entfernt sind, so weit wie vielleicht schon lange nicht Wiederbewaffnung und Aufrüstung debattiert. Es war un- mehr. Das ist außerordentlich bedrückend; denn natürlich ter anderem der SPD-Ministerpräsident Georg August ist es so, dass ein Atomkrieg die Möglichkeit, gar die Zinn, der sich damals Militarisierungsplänen von Adenauer Wahrscheinlichkeit beinhaltet, dass alles Leben auf der Er- und der US-Regierung entgegenstellte. de zerstört und beendet wird. Von daher ist es doch klar – (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Was wollen Sie ich glaube nicht, dass es darüber in diesem Plenum Strei- uns damit sagen?) tigkeiten geben wird –, dass diese grausamste und verhee- rendste Waffe, die je von Menschenhand geschaffen wur- Abschließend will ich sagen: Kriege, Krisen und Konflikte de, nie wieder eingesetzt werden sollte. in der Welt nehmen zu. Rüstungsexporte und Waffenex- porte steigen. Millionen Menschen werden in die Flucht (Beifall) getrieben. Noch immer ist eine militärische Konfrontation Nun hat sich Herr Kollege Schalauske über den kürzlich zwischen NATO, USA und Russland nicht aus der Welt, verabschiedeten Vertrag von 120 Staaten zum Verbot von und die Atomwaffen sind nicht verschrottet. In Deutsch- Atomwaffen bereits eingelassen. Das ist ja auch das Thema land wird sogar diskutiert, den Rüstungshaushalt um des Antrags der LINKEN. Es ist Ihnen auch bekannt, dass 30 Milliarden € zu erhöhen. Diese Mittel werden dann feh- die hiesigen Koalitionsfraktionen von CDU und GRÜNEN len, um beispielsweise hessische Schulen zu sanieren oder im 18. Deutschen Bundestag keine Koalition geschlossen auch die Kitabetreuung wirklich kostenfrei zu gestalten. haben. Das mag der eine oder andere bedauern, z. B. ich, Sie sehen, es gibt genügend Gründe, am Antikriegstag an aber das ist nun einmal so. Von daher kommt es regelmä- vielen Orten in Hessen gemeinsam mit Gewerkschaften, ßig vor, dass die Bundestagsfraktionen unterschiedliche Friedensinitiativen und der politischen Linken auf die Stra- Auffassungen und konträre Meinungen haben. Es ist tat- ße zu gehen und ein deutliches Zeichen für Frieden und sächlich auch so, dass in dieser konkreten Frage zu dem Abrüstung zu setzen. Dazu sind alle eingeladen, die etwas kürzlich verhandelten Vertrag zum Verbot von Kernwaffen dazu beitragen wollen, friedliche Konfliktlösungen voran- bei CDU und GRÜNEN im Deutschen Bundestag unter- zubringen. – Vielen Dank. schiedliche Auffassungen vorhanden sind. Das ist so fest- (Beifall bei der LINKEN) zustellen und richtig. Für uns GRÜNE war nämlich klar, dass wir es für notwendig erachtet hätten, dass Deutsch- land an den Verhandlungen teilnimmt und dem Vertrag Vizepräsidentin Ursula Hammann: beitritt. Die GRÜNEN im Bundestag haben die Bundesre- Vielen Dank, Herr Kollege Schalauske. – Als nächster gierung von CDU und SPD dementsprechend nachdrück- Redner spricht nun Herr Kollege May von der Fraktion lich kritisiert. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Bitte schön, Herr Kollege, (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben das Wort. Jenseits der Frage, wie man konkret Außenpolitik macht, was, wie gesagt, Aufgabe des Deutschen Bundestages ist, Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): war es uns wichtig, dass es eine Zusammenführung des ge- meinsamen Zieles geben kann. Das ist auf Bundesebene Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kol- schon passiert. Ich möchte deswegen auf einen Beschluss legen! Wenn man die Tageszeitungen oder andere Medien des Deutschen Bundestages aus der 17. Wahlperiode ver- studiert und aufmerksam beobachtet, wie der Diktator des weisen, der auf eine gemeinsame Initiative von CDU/CSU, kommunistischen Staats Nordkorea mit Raketentests wie- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8071

SPD, GRÜNE und FDP zurückgeht, in dem festgestellt dung, die Meinung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum wurde: Besten geben: Wir halten es nicht für verantwortlich, dass die schwarz-rote Bundesregierung dem Vertrag zum Ver- Eine Welt frei von Atomwaffen ist keine Utopie, bot von Atomwaffen nicht beigetreten ist. Wir möchten sondern eine konkrete Verpflichtung der Unterzeich- dies schleunigst ändern. Wir GRÜNE sprechen uns in un- ner des Nichtverbreitungsvertrages. serem Bundestagswahlprogramm klar dafür aus, den Ab- Die Abrüstungserwartungen dürfen nicht erneut enttäuscht zug der letzten Atomwaffen aus Büchel zu forcieren. werden. Auch Deutschland kann national und international (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auf vielfältige Weise einen wirksamen Beitrag zu einer Welt ohne Atomwaffen leisten. Das sind alles Fragestellungen, die nicht in diesem Parla- ment zu verhandeln sind. Das muss auf Bundesebene dis- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und kutiert werden. Das wird die parlamentarischen Debatten der CDU) des nächsten Deutschen Bundestages und die Arbeit der Aus dem eben Gesagten ergibt sich ganz deutlich, dass das nächsten Deutschen Bundesregierung prägen. Ziel von weltweiter atomarer Abrüstung ein überparteilich Zum Abschluss möchte ich noch einmal an Sie appellieren, geteiltes Ziel der deutschen Politik ist. Genau deswegen dass wir, jenseits der Frage, wie man zu Zielen kommt, das haben wir heute als Koalition einen Antrag eingebracht, Ziel, das uns alle eint, verabschieden sollten, nämlich dass der eben genau dieses Ziel noch einmal benennt, und wir sich dieser Landtag ganz klar zur weltweiten atomaren Ab- hoffen, dass sich eine große Mehrheit dieses Hauses hinter rüstung positioniert. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksam- diesem Ziel, das wir heute noch einmal als Antrag auf den keit. Weg gegeben haben, versammeln kann. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU) der CDU) Wenn jetzt Herr Schulz von der SPD den Abzug von Atomwaffen aus der Eifel fordert, dann ist das an sich si- Vizepräsidentin Ursula Hammann: cherlich gut. Gleichwohl ist es schon ein bisschen skurril, Vielen Dank, Herr Kollege May. – Als nächster Redner wenn die SPD-Fraktion im Landtag beantragt, dass wir die spricht nun Kollege Grüger von der SPD-Fraktion. Bitte Äußerungen von Herrn Schulz, der sich gerade in einer schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort. Bundestagswahlauseinandersetzung befindet, unterstützen sollen. Ich glaube, man kann nicht erwarten, dass andere Parteien dem nahetreten, den Wahlkampf der SPD in die- Stephan Grüger (SPD): ser Art und Weise zu unterstützen. Von daher ist diese In- itiative von uns nicht zu befürworten. Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Damen und Herren! Es ist ein ernstes Thema, über Ich möchte aber noch einmal auf das Verbindende zurück- das wir reden. Es verbietet sich daher ein Ansatz von Kla- kommen. mauk in dieser Frage. Die US-Atomwaffen, über die wir (Gerhard Merz (SPD): Ah!) reden, die wahrscheinlich in Büchel stationiert sind, liegen nur 70 km von der rheinland-pfälzisch-hessischen Grenze Daher möchte ich noch einmal auf den Beschluss des und damit 70 km von Hessen entfernt. Für einen nuklearen Deutschen Bundestages auf Initiative von CDU/CSU, Zwischenfall sind 70 km natürlich keine große Strecke. SPD, FDP und LINKEN – nein, FDP und GRÜNEN; die LINKE war nicht mit dabei – zurückkommen, wo es heißt: Es geht aber gar nicht so sehr um einen möglicherweise drohenden nuklearen Zwischenfall, sondern es geht darum, Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie- dass wir weiterhin eine Welt vorfinden und in einer Welt rung auf, leben, in der es diese nuklearen Waffen gibt. Es gibt davon – weiterhin mit großem Engagement für allgemeine mehr Waffen, als es benötigen würden, um unsere Welt und weltweite Abrüstung einzutreten … mehrfach zu zerstören. – sich auch bei der Ausarbeitung eines neuen strate- gischen Konzepts der NATO im Bündnis sowie ge- Der vielfache nukleare Overkill, der denen, die in der Zeit genüber den amerikanischen Verbündeten mit Nach- des Kalten Krieges aufgewachsen sind, noch ein vitaler druck für den Abzug der US-Atomwaffen aus Begriff ist, besteht weiterhin. Das ist ein bisschen aus dem Deutschland einzusetzen; … Blickfeld gerückt, weil es viele andere Themen gibt. Aber spätestens seitdem wir uns über das Thema nukleare Pro- So die Beschlusslage des Deutschen Bundestages. Diesen liferation unterhalten, seitdem es die reale Befürchtung Beschluss halten wir nach wie vor für maßgebend. Das gibt, dass Kerntechnik, aber auch Kernsprengstoffe oder sollte auch das Ziel sein, über das wir verhandeln müssen. -mittel reichen, um mit dreckigen Bomben Terror zu ver- Wenn man jetzt auf die Idee kommt, fünf Wochen vor ei- breiten, ist klar, dass der einzige Weg aus dieser Gefah- ner Bundestagswahl das Thema noch einmal zu setzen, ist rensituation tatsächlich die nukleare Abrüstung ist. es für das Thema sicherlich gut. Ich äußere aber auch die Hoffnung, dass es auch das Ziel einer Bundesregierung (Beifall bei der SPD und der LINKEN) fünf Wochen nach der Bundestagswahl ist, diesen Be- Das betrifft natürlich auch Hessen. Es ist gerade schon an- schluss des Deutschen Bundestages zu verwirklichen. gesprochen worden. Wir haben im Hessischen Landtag (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und über diese Fragen schon in den Fünfzigerjahren diskutiert. der CDU) Wir haben auch in den Achtzigerjahren darüber diskutiert, als die Friedensbewegung ihren Hochpunkt hatte und wir Da wir heute über dieses Thema reden, möchte ich, auch über den NATO-Doppelbeschluss und die Nachrüstung ge- im Hinblick auf die nahe bundespolitische Wahlentschei- sprochen haben. Auch da spielte das Thema im Hessischen 8072 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

Landtag eine große Rolle. Es ist von daher natürlich ein Dem dritten Punkt können wir so nicht zustimmen, weil es Thema, dessen wir uns als Landtag annehmen sollten, ein bisschen schwach formuliert ist, zu schreiben: nicht nur wegen der geringen Entfernung zu Büchel. Der Landtag nimmt mit Interesse zur Kenntnis, dass Es betrifft natürlich auch die Menschen in unserem Land. unter anderem im Kontext des Vertrags der Verein- Die Bürgerinnen und Bürger in Hessen haben ein Recht, zu ten Nationen ... erfahren, wie die Fraktionen im Hessischen Landtag über (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist freundlich diese Fragen denken. Insofern ist es auch zu begrüßen, formuliert!) dass es diesen Antrag gibt. Wir als Sozialdemokraten be- grüßen den Initialantrag der Linkspartei. Wir begrüßen das Das entspricht nicht dem starken Signal, das wir von hier als Sozialdemokraten auch insofern, als wir einen Partei- aussenden wollen. vorsitzenden haben – das ist auch schon angesprochen worden –, der zu Recht darauf hingewiesen hat, dass dieses (Beifall bei der SPD) Thema nach wie vor auf der Tagesordnung steht. Er hat es Aber, wie gesagt, im Geiste des gemeinsamen Antrags der damit auch wieder auf die Tagesordnung gehoben. vier Fraktionen im Bundestag vom 24.03.2010 werden wir Es ist richtig, man kann natürlich sagen, es ist Wahlkampf- das mittragen. Wir werden uns auch beim Antrag der getöse. Das ist es aber keineswegs. Es ist ein konsequenter Linkspartei enthalten, um einer Mehrheitsfindung für die- Hinweis darauf, was der Kernpunkt sozialdemokratischer sen Antrag nicht im Weg zu stehen. Politik ist. (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und der Es ist auch darauf hingewiesen worden, dass wir den ge- SPD – Hermann Schaus (DIE LINKE): Schön ge- meinsamen Antrag der Bundestagsfraktionen von CDU/ sagt! – Zuruf des Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom (SPD)) 24.03.2010 haben. Es ist ein gemeinsamer Antrag, der ge- – So etwas muss man eben einwirken lassen. meinsam verabschiedet wurde, im Übrigen auf Initiative einer Hessin. Heidemarie Wieczorek-Zeul hat dies massiv Ein letzter Satz. Wir würden uns natürlich freuen, wenn vorangebracht. Wir verdanken ihr, dass wir diesen gemein- andere dem Geist eines gemeinsamen Signals entsprechend samen Antrag haben. Insofern sollte es hier eigentlich recht auch unseren Antrag unterstützen würden. – Vielen Dank, wenig Konflikt um die Grundrichtung geben, um die es meine lieben Kolleginnen und Kollegen. hier geht. (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD und des Abg. Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) Vizepräsidentin Ursula Hammann: Der Antrag ist übertitelt: „Deutschland muss deutliche Zei- Vielen Dank, Herr Kollege Grüger. – Als nächster Redner chen für eine Welt frei von Atomwaffen setzen“. In diesem spricht nun Kollege Schwarz von der CDU-Fraktion. Bitte Antrag geht es auch um die Frage, wie wir eigentlich damit schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort. umgehen, dass wir wahrscheinlich in Büchel noch 20 Atombomben haben. Damit aufgerufen ist auch die Frage der nuklearen Teilhabe. Im Zweifelsfalle könnten auch Jets Armin Schwarz (CDU): der Bundeswehr damit bestückt werden. Solange wir diese Waffen haben, stellt sich die Frage der nuklearen Teilhabe. Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kolle- Wenn wir diese Waffen nicht mehr haben, wenn es diese gen! Unser gemeinsames Ziel in Hessen, in Deutschland, Waffen auf deutschem Boden nicht mehr gibt, ist damit die in Europa und unser gemeinsames Ziel mit den NATO- Frage der nuklearen Teilhabe obsolet, weil es sie auf deut- Partnern ist es, Frieden zu bewahren, bewaffnete Konflikte schem Boden nicht mehr gibt. zu verhindern und dort, wo möglich, auch zu beenden. Das gilt selbstverständlich und insbesondere auch für die Ver- Die Frage der nuklearen Teilhabe beantwortet sich automa- hinderung des Einsatzes von Atomwaffen. Darüber stellt tisch über die Frage der Abrüstung in Deutschland. Aus sich überhaupt keine Frage. Da ist sich dieses Haus zum unserer Sicht ist es ein entscheidender Punkt für die deut- Glück sehr einig. sche Außenpolitik, sich weiterhin für Abrüstung, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, einzusetzen. Dafür muss (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Deutschland aber auch selbst ein Signal setzen. GRÜNEN – Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken über- nimmt den Vorsitz.) (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Die von Konrad Adenauer betriebene Westbindung, der Das ist nichts anderes als das, was der Parteivorsitzende Stützpfeiler der transatlantischen Partnerschaft und die der SPD wieder auf die Agenda gesetzt hat. Deswegen ha- europäische Integration sind unverrückbare Konstanten der ben wir diesen Antrag gestellt. Wir brauchen dieses Signal außenpolitischen und sicherheitspolitischen Architektur aus Deutschland, um damit auch klarzumachen, auch ande- der Bundesrepublik Deutschland. ren Ländern, dass sie sich dem anschließen müssen, damit wir zu einer weltweiten nuklearen Abrüstung kommen. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges, spätestens seit dem 11. September 2001 haben wir neue Herausforderungen in Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, deswegen werden außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Beispiele hierfür wir, um dieses Signal zu unterstreichen, den ersten beiden sind der Arabische Frühling, Kriege in Syrien und Afgha- Punkten des Dringlichen Entschließungsantrags der Frak- nistan, zerfallende Staaten in Afrika, Auseinandersetzun- tionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im gen in Nahost, und wichtig zu erwähnen ist auch hier die Sinne des gemeinsamen Antrags vom 24.03.2010 im Bun- völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch die Atom- destag – auf den in diesem Antrag auch ein bisschen, hin- macht Russland. Ich möchte das noch einmal unterstrei- sichtlich der Formulierungen, rekurriert wird – zustimmen. chen: Seit Ende des Zweiten Weltkrieges hat es keine ge- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8073 walttätige Grenzverschiebung in Europa mehr gegeben. So Ich will Ihnen sehr deutlich sagen: Es gibt hier nur einen etwas darf es auch nie wieder geben. Aggressor, und das ist der kommunistische Diktator Kim Jong-un. Ich will das in einem Satz bewerten. Die Welt ist nicht si- cher. Das ist leider so. Deswegen gestatten Sie mir, Frau (Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Marjana Präsidentin, ein Zitat. Schott (DIE LINKE)) (Zurufe von der CDU) Es ist der kommunistische Diktator Kim Jong-un, der die komplette Region in Angst und Schrecken versetzt, der – Den Rollenwechsel habe ich eben gerade nicht mitbe- Südkorea tagtäglich bedroht, der Raketen über Japan kommen. Ich bitte um Nachsicht, Herr Präsident. schießt und der Nordkorea zu einer Atommacht ausbauen Ohne Sicherheit vermag der Mensch weder seine will, um die Vereinigten Staaten von Amerika zu beschie- Kräfte auszubilden noch die Früchte derselben zu ßen. Das ist die Wahrheit, und das will ich hier sehr deut- genießen. Denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit. lich sagen. Das heißt: Nur wer in Sicherheit lebt, kann sich frei ent- (Beifall bei der CDU – Manfred Pentz (CDU), zur wickeln und entfalten. Dieser kategorische Imperativ LINKEN gewandt: So ist es! Und ihr redet das stammt von keinem Geringeren als von Wilhelm von schön!) Humboldt. Wir müssen uns dessen bewusst sein: Die Welt Geschichte und Gegenwart lehren uns, dass Freiheit und ist in einem Wandel. Demokratie keine Selbstverständlichkeit sind. Jetzt kann man die Frage stellen, was das mit dem Antrag (Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE)) der LINKEN zu tun hat. Ich will das sehr deutlich sagen. Dieser Antrag atmet, wie von Ihnen gewohnt, antiwestliche – Beruhigen Sie sich doch bitte, Herr Kollege. Sie sind ja und antiamerikanische Luft, und zwar durch und durch. ganz aufgeregt. (Manfred Pentz (CDU): So ist es!) (Marjana Schott (DIE LINKE): Wie kann man sich denn da beruhigen?) Sie fordern die Bundesregierung auf, aus der NATO-Stra- tegie der nuklearen Teilhabe auszusteigen. Sie fordern den – Machen Sie ein paar Übungen, dann geht es wieder. Abzug der amerikanischen Atomwaffen aus Büchel in der Geschichte und Gegenwart lehren uns, dass Freiheit und Eifel. Demokratie keine Selbstverständlichkeit sind. Ab- (Hermann Schaus (DIE LINKE): Ja! Ganz be- schreckung – so bedrohlich das auch ist – ist ein Teil einer stimmt!) Strategie, die in Teilen gewirkt hat. Ich will das nur fest- stellen. Im März forderte Willi van Ooyen die Abschaffung der NATO. Im März forderte Willi van Ooyen die Abschaf- Eine einseitige atomare Abrüstung, wobei Russland, Chi- fung der Bundeswehr. na, Indien, Pakistan und Nordkorea ihre Atomwaffen be- halten und der komplette Westen inklusive der NATO dar- (Manfred Pentz (CDU): Ja!) auf verzichtet, dient ganz gewiss nicht der Stabilisierung Das zeigt, wes Geistes Kind Sie sind. und der Sicherheit in dieser Welt. (Beifall bei der CDU – Zuruf von der LINKEN: Wo (Beifall bei der CDU) steht das im Antrag?) – Sie können gern im Protokoll des Landtags vom 23. Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: März dieses Jahres nachlesen. Herr Schwarz, lassen Sie eine Frage der Abg. Schott zu? Ihr Ziel ist es, Deutschland zu schwächen, den Westen zu destabilisieren. (Armin Schwarz (CDU): Bitte!) (Manfred Pentz (CDU): So ist es! – Janine Wissler – Frau Schott, bitte sehr. (DIE LINKE): Das steht so im Landtagsprotokoll?) Ich will noch einmal sehr klar sagen, warum wir heute hier Marjana Schott (DIE LINKE): parlamentarisch frei diskutieren können. Das haben wir un- ter anderem den Vereinigten Staaten von Amerika zu ver- Glauben Sie, es spielt eine ernsthafte Rolle, wenn diese danken, die uns 1945 mit den Alliierten befreit haben und Welt von einem Atomkrieg betroffen sein wird, wer letzt- seither auch unsere Sicherheit garantieren. endlich diesen Krieg begonnen hat, oder wäre es nicht sinnvoll, die Atomwaffen abzuschaffen, damit wir eben (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE nicht von einem Atomkrieg betroffen werden? GRÜNEN)

Die Krönung in Ihrem Antrag ist die Begründung. Armin Schwarz (CDU): (Marjana Schott (DIE LINKE): Ist das Kabarett, was Frau Kollegin Schott, wenn wir am langen Ende dazu Sie da machen?) kommen, dass es auf dieser Welt keine Atomwaffen mehr Sie sprechen von einem Konflikt zwischen den Vereinigten gibt, dann freuen wir uns alle. Aber solange diese Waffe in Staaten von Amerika und Nordkorea. der Welt ist und solange terroristische Regime Zugriff dar- auf haben, müssen wir uns verteidigen können. Das sage (Zuruf von der LINKEN: Ja!) ich in aller Deutlichkeit. 8074 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

(Beifall bei der CDU – Manfred Pentz (CDU): Man Wir müssen daran arbeiten, dass die NATO fit für die Zu- muss den Aggressor auch mal beim Namen nennen! kunft gemacht wird. Wir müssen beides zusammen hinbe- Das sind die Kommunisten! – Gegenrufe von der kommen: internationale Friedenseinsätze und eine einheit- LINKEN – Jan Schalauske (DIE LINKE): Der liche Sicherheitsstrategie. Stahlhelm sitzt fest auf Ihrem Kopf, Herr Pentz! – In einem Teil Ihres Antrags geht es auch um die Frage: Glockenzeichen des Präsidenten) Was sagt eigentlich die hessische Bildungspolitik dazu? Als bildungspolitischer Sprecher unserer Fraktion will ich Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: darauf hinweisen: Im Hessischen Schulgesetz wird in § 6 Abs. 4 auf die besondere Bildungs- und Erziehungsaufgabe Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Schwarz. hingewiesen. Die Aufklärung über die Gefahren von (Janine Wissler (DIE LINKE): Hiroshima waren die Atomwaffen gehört auch dazu, um das Bewusstsein der Kommunisten?) jungen Leute zu schärfen. Das halte ich ebenfalls für wich- tig. Ich schließe sinngemäß nochmals mit Wilhelm von Hum- Armin Schwarz (CDU): boldt: Vielen Dank, Herr Präsident. – In Zeiten wie diesen bedarf (Hermann Schaus (DIE LINKE): Jetzt weiß ich end- es einer ganzheitlichen Sicherheitsstrategie. lich, was „Stahlhelm-Fraktion“ bedeutet!) (Unruhe) Das Maß aller Dinge ist die eigene Stärke. Abrüstung ger- ne, dann aber für alle. – Ich danke herzlich für Ihre Auf- Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: merksamkeit. Einen Augenblick noch einmal, Herr Schwarz. – Ich bitte (Beifall bei der CDU) jetzt wirklich alle im Raum, auf welcher Seite auch immer, die Zwischenrufe etwas ruhiger zu machen. Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: (Marjana Schott (DIE LINKE): Der Herr Pentz hat Danke, Herr Schwarz. – Für die FDP-Fraktion erteile ich gerade einen Vogel gezeigt! – Manfred Pentz ihrem Vorsitzenden, Herrn Rock, das Wort. (CDU): Und Sie haben mich „Stahlhelm“ genannt! – Anhaltende Zurufe) (Zuruf: Gibs ihm!) – Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte jetzt wieder, dem Redner zu lauschen. – Herr Schwarz, Sie ha- René Rock (FDP): ben das Wort. Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Linkspartei hat heute einen Antrag auf die Tagesordnung Armin Schwarz (CDU): gesetzt, dem wir grundsätzlich sogar zustimmen könnten, es aber auf keinen Fall tun werden. Die SPD hat ja in den Herr Präsident, vielen Dank. – Gerade in Zeiten wie diesen Raum gestellt, dass sie Ihrem Antrag durch Enthaltung zu brauchen wir eine konzertierte Sicherheitsstrategie in einer Mehrheit verhelfen wird. Ich kann schon einmal sa- Europa mit unseren NATO-Partnern. Hier sind wir als gen: zumindest bei Stimmengleichheit abgelehnt. Die Bundesrepublik Deutschland und übrigens auch als Hessi- FDP-Fraktion wird Ihren Antrag nicht mittragen, weil wir scher Landtag gefordert, unseren Beitrag zu leisten – auch die Grundhaltung Ihrer Außenpolitik für falsch halten. mit einem klaren Signal und der Unterstützung unserer Bundeswehr. (Beifall bei der FDP und der CDU – Hermann Schaus (DIE LINKE): Schade!) Solange die Bundesregierung – nur sie ist dafür verant- wortlich; denn die Bundesregierung vertritt uns völker- Zum Thema „Atomwaffen in Deutschland“: Ich glaube rechtlich – in der Sicherheitsbewertung der Auffassung ist, schon, dass wir hier über ein symbolisches Thema spre- dass wir weiter an der nuklearen Teilhabestrategie festhal- chen; das kann ich sehr deutlich belegen. Damit zeigt sich ten müssen, ist das auch eine vernünftige und richtige Ent- schon, dass ich hier eine andere Haltung vertrete als mein scheidung. Vorredner von der Union. Sie fallen auch wieder ein Stück weit hinter das zurück, was Sie 2009 in einem Koalitions- Ich will hier noch einmal sagen: Das Maß aller Dinge ist vertrag mit der FDP einmal unterschrieben haben, nämlich zum Schluss die eigene Stärke. Wenn man sich, wie Sie, dass die Atomwaffen abgezogen werden sollen. Wie bei so sehenden Auges wünscht, den Westen zu schwächen, um vielem in dem Koalitionsvertrag: Zu unserem Schaden ist alle anderen, die nun nachweislich nicht die Erfinder von das leider nicht umgesetzt worden. Dennoch ist klar, wo Demokratie, Meinungsfreiheit und Menschenrechten sind, wir hier stehen. zu stärken, dann würde man unserem Vaterland einen Bä- rendienst erweisen. Genau das wäre unser Ende, meine Da- Ich will es noch einmal begründen, weil sich die Weltpoli- men und Herren. tik natürlich weiterentwickelt hat und wir neue Szenarien haben. Aus einer Zeit, in der man darüber nachgedacht hat, Im Sinne unserer Sicherheit – da verweise ich noch einmal wie man Russland an die NATO heranführen kann, wie auf Wilhelm von Humboldt – ist ein einseitiger Verzicht man die verteidigungspolitische Strategie eng mit Russland auf Atomwaffen falsch. Deswegen bin ich – das ist der ak- abstimmen kann, sind wir in eine Situation gekommen, in tuelle Stand der Dinge – auch froh darüber, dass die Bun- der wir klar feststellen müssen, dass Russland ein Störer desregierung ein klares Signal gesetzt hat und im Septem- der Friedenspolitik in Europa ist. Deshalb ist heute eben ber nicht den Vertrag unterschreiben wird, den Sie eben zi- tiert haben. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8075 nicht mehr eine außenpolitische Situation gegeben wie Sie müssen auch wissen, dass wir schon eine besondere 2009. Verantwortung für solche taktischen Kurzstreckenatom- waffen haben; denn eingesetzt werden diese Waffen in (Beifall bei der FDP) Deutschland über deutsche Trägersysteme. Die Waffe ge- Das muss man immer in seine Überlegungen einbeziehen. hört Amerika. Sie wird von zwei, drei amerikanischen Of- Darum ist auch der Wert eines gemeinsamen westlich ori- fizieren begleitet, von 50 bis 100 deutschen Soldaten be- entierten Verteidigungsbündnisses wie der NATO und ei- wacht und im Zweifel über ein deutsches Trägersystem ner Verteidigungsstrategie, die Europa gemeinsam ver- eingesetzt. Das ist die Vorgehensweise der Bundeswehr nünftig, bei gut eingesetzten Mitteln voranbringt, wieder und der NATO mit diesen Waffen. unglaublich wichtig für uns geworden. Wenn wir es ernst damit meinen, dass Atomwaffen geäch- Aber zurück zu den Atomwaffen. Ich gehöre wahrschein- tet gehören, und wenn wir persönlich nicht von einem An- lich einer Minderheit im Hessischen Landtag an, die noch griff bedroht sind, dann gibt es aus meiner Sicht zumindest gedient hat. Ich war nicht bei der anderen Armee, sondern kein moralisches Argument mehr dafür, diese Waffen in ich war bei der Bundeswehr. Deutschland zu stationieren. (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der (Beifall bei der FDP, der SPD und der LINKEN) CDU) Darum werden wir auch einigen Anträgen, die heute vor- Ich habe zu einer Zeit gedient, in der es noch die Mauer liegen, zustimmen. Ich persönlich würde mich freuen, gab. Da hat man in den NATO-Szenarien noch „Blauland“ wenn die Szenarien, die ich in meiner Bundeswehrzeit zum gegen „Rotland“ durchgespielt. Glück nur auf dem Papier erleben durfte, in Deutschland für immer und ewig der Geschichte angehören. – Vielen (Norbert Schmitt (SPD): Ich darf raten: Wir waren Dank. blau?) (Beifall bei der FDP, der SPD und der LINKEN) Ich habe bei einer Einheit gedient – darum kann ich das ziemlich genau sagen –, die Begleitbatterie hieß. Damit wird der Nichtsoldat nicht viel anfangen können. Eine Be- Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: gleitbatterie war die Einheit in der Bundeswehr, die die Atomwaffen im Zweifel eingesetzt hätte. Ich habe als Sol- Danke, Herr Rock. dat bei einer Atomwaffeneinheit der Bundeswehr gedient Bevor ich der Landesregierung das Wort erteile: Es ist und in Manövern erlebt, wie diese Waffen eingesetzt wor- noch eingegangen und an Ihren Plätzen verteilt ein Dringli- den wären – zu einer Zeit, in der wir nicht über eine Hand- cher Antrag der Fraktion der SPD betreffend Mobilitätsbe- voll Atomwaffen gesprochen haben. ratung für das Landesticket, Drucks. 19/5213. – Die Dring- Das Szenario, das die NATO zur Grundlage ihrer Verteidi- lichkeit wird bejaht. Dann wird dies Tagesordnungspunkt gung gemacht hätte, wenn es zu einem massiven Angriff 75, und die Redezeit beträgt fünf Minuten pro Fraktion. des Warschauer Pakts auf die NATO gekommen wäre, hät- Für die Landesregierung erteile ich nun Herrn Staatsminis- te den gemeinsamen Tod Europas nach sich gezogen. Zu ter Wintermeyer das Wort. einer Zeit, in der auf dem Höhepunkt fast 5.000 taktische Kurzstreckenatomwaffen in Deutschland stationiert waren, hätte die Verteidigungsstrategie, die ich noch in Manövern Axel Wintermeyer, Minister und Chef der Staatskanz- mit durchexerzieren durfte, eine völlige Auslöschung der lei: Bundesrepublik Deutschland nach sich gezogen, zum Teil durch selbst eingesetzte taktische Atomwaffen. Darum bin Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf ich immer noch dafür, dass die Waffen, die heute in feststellen, dass wir heute erneut eine Debatte zur großen Deutschland stationiert sind, abgezogen werden sollten. Außen- und Sicherheitspolitik im Hessischen Landtag füh- ren. Erst im März ging es bekanntermaßen bei der insze- (Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS nierten Verabschiedung des LINKEN-Fraktionsvorsitzen- 90/DIE GRÜNEN) den van Ooyen hier heiß her in der Diskussion um Abrüs- Eine Verteidigungsstrategie, die am Ende nur die Vernich- tung und einen NATO-Austritt. tung dessen bedeutet, was man verteidigen will, ist viel- Jetzt stellt die Fraktion der LINKEN wieder einmal einen leicht aus der Not geboren als Abschreckung aufrechterhal- ähnlichen Antrag, und wir müssen uns hier wieder damit ten worden, war aber nicht wirklich eine Alternative. beschäftigen. Es geht erneut um eine rein bundespolitische (Beifall bei der FDP und der LINKEN) Debatte über den Umgang mit Atomwaffen. Diese wird völlig zu Recht im Deutschen Bundestag geführt, und dort Man muss einfach sehen: Was war denn 1989 noch politi- gehört sie meiner Meinung nach auch hin. sche Verhandlungsgrundlage, und wie sieht es heute aus? Es stehen keine Warschauer-Pakt-Panzerarmeen mehr an (Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Thorsten unserer Grenze. Es gibt kein kommunistisches Polen mehr. Schäfer-Gümbel (SPD)) Es gibt die Situation, in der wir damals in unserer Verteidi- Zuständig für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik gungsstrategie scheinbar als einzige Alternative einen phy- ist bekanntermaßen die Bundesregierung – und nicht wir. sischen Selbstmord zugrunde gelegt hätten, einfach nicht Berlin verhält sich in dieser Frage, wie ich finde, klug, be- mehr. Es ist auch falsch, zu meinen, dass wir einen nordko- sonnen, verantwortungsvoll und nicht etwa naiv. Dort hat reanischen Diktator von irgendwelchen irren Taten in Asi- man die sicherheitspolitischen Belange des gesamten Lan- en abhalten könnten, weil bei uns noch 20 Atomwaffen in des im Blick. einem Bunker liegen. Das ist natürlich falsch. Wie gesagt, aus meiner Sicht müssen wir diese Debatte, (Beifall bei der FDP und der LINKEN) die in Berlin gut aufgehoben ist, nicht unbedingt in diesem 8076 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

Landtag führen. Aber mitten im Bundestagswahlkampf ein. Nur kann, darf und sollte sie hier keinen Schritt unter- wundere ich mich nicht über solche Vorstöße, und ich nehmen, der die Bündnisverpflichtungen gegenüber den wundere mich auch nicht über den Änderungsantrag der NATO-Partnern unterminiert – hier auszuscheren, dahinter Sozialdemokraten, der offen Zustimmung zur Äußerung muss man ein großes Fragezeichen machen. des SPD-Kanzlerkandidaten in einer an sich friedenspoliti- (Beifall bei der CDU) schen und so wichtigen außenpolitischen Debatte vom Hessischen Landtag verlangt. Es ist ein weiterer Beweis Auch wenn sich begrüßenswerterweise 122 Staaten für ei- dafür, dass der 24. September naht und jeder versucht, sei- ne Annahme des Vertragsentwurfs für das Verbot von ne Claims noch abzustecken. Kernwaffen ausgesprochen haben, bleibt festzustellen, es war keine Atommacht darunter, und kein einziges NATO- (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Och!) Mitglied – noch nicht einmal die Niederlande, die an den Meine Damen und Herren, unser aller Bekenntnis zu Frie- Vertragsverhandlungen beteiligt gewesen sind. Die vorge- den und zur Achtung der allgemeinen Menschenrechte schlagene Konzeption – so ist jedenfalls aus Berlin zu hö- müssen wir hier nicht extra diskutieren. Niemand von uns ren – ist nämlich nicht mit dem strategischen Konzept der – da habe ich keine Zweifel – befürwortet den Einsatz von NATO vereinbar, das derzeit noch am Prinzip der nuklea- Nuklearwaffen. Jeder von uns kämpft für und träumt auch ren Teilhabe festhält. von einer atomwaffenfreien Welt. Natürlich kann man das strategische Konzept und die nu- (Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des kleare Teilhabe diskutieren. Ich bin nur der Ansicht, dass BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ein Abrücken davon unter den aktuellen Vorzeichen bei massiver Aufrüstung in Nordkorea, Russland, China und Nur ist die Welt leider nicht immer so, wie wir sie gerne den Golfstaaten verantwortungslos wäre. Aber vielleicht hätten. Der Weltfrieden ist kein Wunschkonzert, das wird wollen Sie von den LINKEN das ja. uns tagtäglich vor Augen geführt. Symbol- und Resoluti- onspolitik von wem auch immer wird uns hierbei wenig (Zuruf) helfen. Unsere Logik, die ehrliche Logik muss doch sein: Es müs- Gerade erst vorgestern – einige der Redner haben darauf sen alle auf Nuklearwaffen verzichten, also die NATO- hingewiesen – mussten wir mit Schrecken lesen, dass der Staaten und alle anderen Atomwaffenmächte und Atom- Konflikt um Nordkorea weiter eskaliert. Unbeeindruckt waffenbesitzer. Andernfalls erlangen diejenigen, die weiter von allen Strafmaßnahmen ging die verbrecherische kom- aufrüsten, noch strategische Vorteile für sich, und das wird munistische Führung in Pjöngjang diesmal so weit, eine In- nicht zu einer friedlicheren Welt beitragen und wahr- terkontinentalrakete über japanisches Territorium zu schie- scheinlich auch nicht den Frieden stabilisieren. ßen, und dies ohne Ankündigung. Tokio sprach von einer Als ich den Antrag gelesen habe, habe ich mich gefragt, beispiellos ernsten Bedrohung, und genau das ist es auch. was Sie seitens der LINKEN an sich wirklich wollen. Wir wissen nicht, wie sich dieser Konflikt weiterent- wickeln wird, aber wir wissen schon, dass es weiterhin vie- (Zuruf von der LINKEN: Abrüstung!) lerorts – nicht nur in Ostasien, sondern bis an die Grenzen der Europäischen Union – Bedrohungen und Gefahren Ihre Russlandnähe ist ja nicht nur sprichwörtlich, sie ist gibt. Ich erinnere nur an die völkerrechtswidrige Annexion greifbar. Sie müssten hier einmal die Frage beantworten, der Krim – ich komme später noch einmal darauf zu spre- warum Ihr Bundesparteitag im Juni dieses Jahres auf die chen – und das in regelmäßigen Abständen inszenierte Sä- Verurteilung der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim belrassen des Kremls gegenüber den baltischen Staaten. verzichtet hat, ja, die Verurteilung in einem Antrag, der ge- stellt worden ist, abgelehnt hat. Der Einsatz für den Frieden ist seit Gründung der Bundes- republik Deutschland Grundpfeiler der deutschen Außen- (Manfred Pentz (CDU), zur LINKEN gewandt: Das und Sicherheitspolitik. Ein weiterer Grundpfeiler ist aber wollt ihr doch nicht hören! – Gegenruf des Abg. auch die Solidarität Deutschlands zu seinen Partnern – zur Hermann Schaus (DIE LINKE)) NATO und zu anderen Partnern weltweit. Deutschland ist Meine Damen und Herren von den LINKEN, wie müssen zu groß und bedeutend, um sich, wie etwa Liechtenstein, wir es denn verstehen, wenn Ihr linker Superstar, Frau Wa- neutral aus allem herauszuhalten. Zugleich ist Deutschland genknecht, gerade in diesem Kontext stattdessen auf dem – und das bedauere ich nicht – militärisch zu unbedeutend, Parteitag im Zusammenhang mit Russland fordert: „Wir um ohne seine Verbündeten bestehen zu können. wollen … eine Politik der guten Nachbarschaft“? (Beifall bei Abgeordneten der CDU) (Zurufe von der LINKEN) Die Einbindung in die NATO ist für den Erhalt des Frie- Meine Damen und Herren von den LINKEN, fußt Ihr An- dens auch in Deutschland elementar. Die Zusammenarbeit trag heute etwa auf dem auf Ihrem Parteitag beschlossenen mit unseren Verbündeten unter dem Dach der NATO ist Antrag, der da wörtlich lautet, die US- und NATO-Infra- und bleibt ein entscheidender Baustein für die Sicherheit struktur in Deutschland für den Aufmarsch gegen Russland und den Frieden in Deutschland, in Europa und in der solle beseitigt werden? Welt, und, meine Damen und Herren von den LINKEN, sie ist dringlicher und notwendiger denn je. (Zurufe von der CDU: Aha! – Zuruf des Abg. Her- mann Schaus (DIE LINKE) – Weitere Zurufe von Aber zurück zu den Atomwaffen. Es ist aus Sicht der Hes- der LINKEN) sischen Landesregierung sehr erfreulich, dass die Debatte um das Verbot von Kernwaffen auf der Ebene der Verein- Ich stelle mir die Frage: Ist etwa aus gutnachbarschaftli- ten Nationen so ambitioniert verfolgt wird. Auch die Bun- chen Beziehungen – – desregierung setzt sich im Rahmen der internationalen (Zurufe) Friedensordnung für das Ziel einer atomwaffenfreien Welt Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8077

Meine Damen und Herren, das ist alles so fadenscheinig Punkt 2. Wer stimmt zu? – CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE und offensichtlich, was Sie hier mit Ihrer Resolutionspoli- GRÜNEN und SPD. Wer ist dagegen? – Die Fraktion der tik betreiben – Willi van Ooyen im FDJ-blauen Hemd lässt LINKEN. grüßen. Punkt 3. Wer stimmt zu? – CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU) GRÜNEN. Wer stimmt dagegen? – Die Fraktion der LIN- KEN. Wer enthält sich? Die Hessische Landesregierung, das ist mein letzter Ge- danke, baut hier auf Diplomatie. Auch wenn das manchmal (Günter Rudolph (SPD): Nichtbeteiligung!) schwierig ist, kann das dann doch zum Erfolg führen, bei- Bei Nichtbeteiligung der SPD ist auch der dritte Punkt und spielsweise durch die engagierte Vermittlung der Hohen damit der Antrag in Gänze angenommen worden. Vertreterin Mogherini bei den Verhandlungen um das ira- nische Atomprogramm. Erst durch ihr Einschreiten ist der Meine Damen und Herren, bevor ich den nächsten Tages- Durchbruch dort gelungen, den viele nicht für möglich ordnungspunkt aufrufe, begrüße ich auf der Besuchertribü- hielten. Das Nuklearabkommen mit dem Iran zeigt die Rol- ne die Botschafterin der Republik Philippinen, Ihre Exzel- le, die Diplomatie einnehmen kann, um langjährige Strei- lenz Frau Melita Santa Maria-Tomeczek, sowie Herrn Ho- tigkeiten in einer friedlichen, kooperativen Weise zu be- norarkonsul Torsten Griess-Nega. Herzlich willkommen wältigen. Die Hohe Vertreterin Mogherini hat dafür auch im Hessischen Landtag. am 19. Juli 2017 den Hessischen Friedenspreis verliehen bekommen. Dazu möchte ich an dieser Stelle noch einmal (Allgemeiner Beifall) gratulieren. Meine Damen und Herren, ich rufe Tagesordnungspunkt (Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des 11 auf: BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Landesregie- Meine Damen und Herren, auf der Bühne der großen Au- rung für ein Zweites Gesetz zur Änderung des Hessi- ßen- und Sicherheitspolitik muss Primat sein, dass der schen Ausführungsgesetzes zum Betreuungsrecht Frieden der Welt erhalten bleibt und die Menschen auch – Drucks. 19/5160 zu Drucks. 19/5015 – hierzulande unbesorgt und sicher leben können. Berichterstatterin ist Frau Bächle-Scholz. Ich erteile Ihnen Auch wenn die Hessische Landesregierung hierfür verfas- das Wort. sungsmäßig selbst nicht militärisch zuständig ist, unterstüt- zen wir alle Anstrengungen der Bundesrepublik Deutsch- land. Wie sagte Helmut Kohl, der kürzlich verstorbene Sabine Bächle-Scholz, Berichterstatterin: Kanzler der Bundesrepublik Deutschland schon am 4. Mai Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Sozial- und 1983 in seiner ersten Regierungserklärung? „Frieden Integrationspolitische Ausschuss empfiehlt dem Plenum schaffen mit immer weniger Waffen“. – Dem habe ich mit den Stimmen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE nichts hinzuzufügen. GRÜNEN und FDP gegen die Stimme der LINKEN, den (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Gesetzentwurf in zweiter Lesung unverändert anzuneh- GRÜNEN) men. (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Na gut, dann ma- chen wir das so!) Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: Danke, Herr Staatsminister Wintermeyer. – Wir sind am Ende der Debatte angelangt. Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: Mir ist signalisiert worden, dass wir über alle Anträge so- Danke, Frau Bächle-Scholz, für die Berichterstattung. – fort abstimmen. Bei dem Entschließungsantrag der Regie- Ich eröffne die Aussprache. Die vereinbarte Redezeit be- rungsfraktionen habe ich das Signal gehört, den dritten trägt siebeneinhalb Minuten. Als Erste hat sich Frau Klaff- Punkt getrennt abzustimmen. Isselmann von der CDU zu Wort gemeldet. (Hermann Schaus (DIE LINKE): Alle drei!) – Alle drei getrennt? Okay. – Dann beginnen wir mit dem Irmgard Klaff-Isselmann (CDU): Antrag der LINKEN. Wer diesem Antrag zustimmen will, Herr Präsident, meine Damen und Herren! Jeder von uns den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion kann in die Lage kommen, wichtige Angelegenheiten sei- DIE LINKE. Wer stimmt dagegen? – Das sind CDU, FDP nes Lebens nicht mehr selbst regeln zu können, sei es und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer enthält sich? – durch einen Unfall, eine Krankheit, eine Behinderung oder Das ist die SPD. Damit ist dieser Antrag abgelehnt. aufgrund nachlassender geistiger Kräfte im Alter. Mit einer Als Zweites rufe ich den Entschließungsantrag der SPD Vorsorgevollmacht, einer Betreuungsverfügung oder einer auf. Wer diesem zustimmen möchte, den bitte ich um das Patientenverfügung kann man für solche Situationen vor- Handzeichen. – Das sind SPD, DIE LINKE und FDP. Wer sorgen. ist dagegen? – CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. (Unruhe) (Günter Rudolph (SPD): Das ist unglaublich!) – Haben Sie jetzt fertig diskutiert? Danke schön. – Man Als Drittes nun der Dringliche Entschließungsantrag von kann sicherstellen, dass bei eigener Hilflosigkeit die Ange- CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, zunächst Punkt 1. legenheiten ausschließlich nach dem Willen des Vorsorge- Wer stimmt zu? – Das ist das gesamte Haus. vollmachtgebers geregelt werden. 8078 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

In der ersten Lesung haben wir ausführlich darüber gespro- René Rock (FDP): chen, warum dieses Gesetz weiterhin notwendig ist. Es Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe hilft den Menschen, es hilft jenen, die persönlich davon be- an dieser Stelle schon in der ersten Lesung gesagt, dass Be- troffen sind. Es hilft auch ihren Angehörigen. Es schafft treuungsvereine eine sehr wichtige Funktion übernehmen, Rechtssicherheit und beugt unnötigen Sorgen vor, derer gerade bei der Schulung und Gewinnung von Betreuern, man sich in Zeiten einer außergewöhnlichen Belastung aber einfach auch nur als Ratgeber in einer Situation, in der gerne vorher entledigt hätte. Vorausschauendes Handeln in sich viele Bürgerinnen und Bürger in dem speziellen Mo- diesem Zusammenhang nimmt den seelischen Druck und ment überfordert fühlen. hilft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Wir haben in Hessen ein Netzwerk von Betreuungsverei- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE nen, deren Finanzierung manchmal ein bisschen schwierig GRÜNEN) ist. Der Minister hat uns im Ausschuss gesagt, dass die Auch dann, wenn keine Vorsorgevollmacht vorliegt und Landesregierung dies auch erkannt hat und dass sie dort man in die Situation kommt, dass man seine Angelegenhei- nachsteuern wird. Sie wird versuchen, die hauptamtliche ten nicht mehr alleine regeln kann, greift das Gesetz. Denn Infrastruktur zur Unterstützung der Ehrenamtlichen zu för- in diesem Fall wird ein Betreuungsgericht eingeschaltet, dern, weil viele in den Betreuungsvereinen Tätige natürlich welches einen Betreuer bestellt. Die Betreuerin oder der qualifizierte Berater sein müssen. Dass dies in diesen Betreuer hat sich im Rahmen des Möglichen an den Wün- Haushaltsberatungen eine gewisse Rolle spielen wird, fin- schen des betroffenen Menschen zu orientieren. Er oder sie de ich gut. Das hat mich am Ende auch motiviert, diesem soll die Betreuung so gestalten, dass sie sich an die jeweili- Gesetzentwurf zuzustimmen, obwohl die Frage, warum gen Bedürfnisse und noch vorhandenen Fähigkeiten des Betreuungsvereine, die die Menschen in Hessen unterstüt- Betroffenen anpasst. zen können, aber ihren Sitz nicht in Hessen haben, jetzt ausgeschlossen werden müssen, mir nicht direkt einleuch- Die Rechte und die Eigenständigkeit der betroffenen Per- tend gewesen ist. Denn es geht eigentlich darum, dass die son werden durch das betreuungsgerichtliche Verfahren Hessinnen und Hessen Unterstützung bekommen. Ob die besonders berücksichtigt. Ich danke an dieser Stelle allen jetzt von der anderen Rheinseite kommt, ist für mich ehrenamtlich und beruflich tätigen Betreuerinnen und Be- zweitrangig. treuern für ihre wertvolle Arbeit. Sie leisten einen wichti- gen Dienst an unserer Gesellschaft. Da mir aber klar geworden ist, dass die Landesregierung, der Minister und die Mitglieder des Plenums die Einschät- Hessen hat erstmals 1992 ein Ausführungsgesetz zum Be- zung der Wichtigkeit dieser Einrichtung und die Unterstüt- treuungsrecht erlassen, dieses 2012 geändert, und nun steht zung der Betreuungsvereine verbinden, kann ich diese jetzt dieses Gesetz nach Evaluation wieder zur Veränderung nicht übermächtigen Bedenken zurückstellen, damit wir und Verlängerung an. Das Ausführungsgesetz regelt die diesen Gesetzentwurf einstimmig beschließen. Denn die Zuständigkeit der Betreuungsbehörden auf örtlicher Ebene Erfüllung dieser Aufgabe ist uns wichtig. Von daher wer- und konkretisiert die überörtlichen Aufgaben nach dem den wir diesen Gesetzentwurf mittragen. Dies geschieht Betreuungsbehördengesetz. Dieses Ausführungsgesetz hat mit dem kleinen Hinweis, dass uns diese Einschränkung sich in der Praxis ausgesprochen bewährt. Es besteht daher nicht ganz einleuchtet. wenig Handlungsbedarf. Ich glaube, ansonsten hat die Anhörung nichts ergeben, Redaktionelle Änderungen und zwei Änderungen in der was den Hinweis geben würde, dass diesem Gesetzentwurf Sache sind daher die Folge: zum einen, ob der Betreuungs- nicht zugestimmt werden könnte. Ich persönlich halte die verein seinen Sitz in Hessen haben muss, zum anderen, Arbeit der Betreuungsvereine für besonders wichtig und dass das Merkmal der Gemeinnützigkeit im Sinne des fördernswert. Darum gibt es am Ende auch Zustimmung zu Steuerrechts als weitere Voraussetzung für die Anerken- diesem Gesetzentwurf. nung als Betreuungsverein in Hessen aufgenommen wird. So soll sichergestellt werden, dass Betreuungsvereine kei- (Beifall bei der FDP und des Abg. Michael Bodden- ne ausschließlich wirtschaftlichen Ziele verfolgen. berg (CDU)) (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: Dies ist eine Bedingung, die allerdings bereits heute alle in Herr Rock, danke. – Für die SPD-Fraktion hat sich Herr Hessen anerkannten Betreuungsvereine erfüllen. Merz zu Wort gemeldet. Ich empfehle jeder Bürgerin und jedem Bürger, sich mit der Thematik zum Anfertigen von Vorsorgevollmacht, Pa- tientenverfügung und Betreuungsverfügung auseinanderzu- Gerhard Merz (SPD): setzen. Ich bitte weiterhin um Ihre Zustimmung zu diesem Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben Ausführungsgesetz. – Herzlichen Dank. schon in der ersten Lesung angedeutet, dass gegen den Ge- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE setzentwurf keine grundlegenden Einwände vorgebracht GRÜNEN) werden können. Es gab trotzdem ein paar Bedenken, die sich aus den Unterlagen der Regierungsanhörung ergeben hatten. Dem sind wir in der Ausschussberatung nachgegan- Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: gen. Danke, Frau Klaff-Isselmann. – Für die FDP-Fraktion hat Das betraf unserer Ansicht nach eine Anregung des Städte- sich Herr Rock zu Wort gemeldet. tages. Darauf wurde etwas erwidert. Dazu muss ich sagen, ich finde das nicht wirklich gut nachvollziehbar. Dagegen wurden rechtliche Bedenken geltend gemacht. Das ist aber Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8079 nicht so bedeutend, dass man daraus eine Ablehnung ablei- nicht einfache Tätigkeit. Das kann sich sicher jeder gut ten könnte. vorstellen. Den zweiten Punkt halten wir für etwas bedeutsamer. Er ist Ich dachte eigentlich, es gebe noch mehr Menschen in die- aber in dem Kontext nicht wirklich einzubringen. Dabei sem Haus, die das gerne tun würden. geht es um die Frage der Finanzierung der Betreuungsver- (Holger Bellino (CDU): Dann reden Sie erst einmal eine über die kommunalisierten Landesmittel. Insbesonde- mit den Mitgliedern Ihrer Fraktion!) re hat uns interessiert, ob die Erhöhung, die in der Begrün- dung des Gesetzentwurfs avisiert wurde, eine Finanzie- – Ich habe zu den Mitgliedern des gesamten Hauses ge- rungsquelle für neue Betreuungsvereine oder, so muss ich sprochen. Wenn Sie der Meinung sind, dass Sie den Be- genauer sagen, für bisher noch nicht geförderte Betreu- treuungsvereinen keinen Dank aussprechen wollen, dann ungsvereine über den Abschluss von Zielvereinbarungen nehme ich das zur Kenntnis. Ich spreche für meine Frakti- sein könnte. Das wurde bejaht. Darauf werden wir achten. on. Für diese bedanke ich mich bei den Menschen, die die- Darauf werden wir zurückkommen. se Arbeit machen. (René Rock (FDP): Ich auch!) (Beifall des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE)) Die grundsätzliche Diskussion über die Frage der Finanzie- Die Arbeit, die diese Menschen leisten, kann einfach nicht rung sozialer Dienstleistungen über kommunalisierte Lan- genug wertgeschätzt werden. desmittel wird bei anderer Gelegenheit zu führen sein. Für eine Verbesserung der Querschnittsarbeit fordern die Ich habe mit meinem parlamentarischen Geschäftsführer Wohlfahrtsverbände eine Bezuschussung der Betreuungs- gewettet, dass ich keine zweieinhalb Minuten brauchen vereine über die Erstattung der Kosten für ganze oder hal- werde. – Kurzum: Es hat sich weder aus dem genauen Stu- be Stellen. Es gibt derzeit 53 Betreuungsvereine. Diese dium des Gesetzentwurfs noch aus den Gesprächen, die würden dann durchschnittlich 18.000 € erhalten. Damit wir parallel zur Ausschussberatung geführt haben, noch in kann man aber nicht die Besetzung halber qualifizierter der Ausschussberatung selbst ein Grund gefunden, warum Stellen fördern. Das reicht vielleicht für zwei Minijobs. wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen könnten. Des- Das passt aber nicht zu dem Aufgabengebiet, das sich hier wegen tun wir das auch nicht. Genauer gesagt: Wir werden darstellt. Da braucht es Fachkräfte. ihm zustimmen. – Danke schön. Die Qualifizierung, Beratung und Begleitung der ehren- (Beifall bei der SPD) amtlichen Betreuerinnen und Betreuer ist eminent wichtig. Die Verrechtlichung und restriktive Handhabe der Sozial- leistungsträger bei Menschen mit Erkrankungen und Be- Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: hinderungen hat enorm zugenommen. Die ehrenamtlichen Herr Merz, danke schön. – Für die Fraktion DIE LINKE Betreuerinnen und Betreuer müssen in der Lage sein, die hat sich Frau Schott zu Wort gemeldet. Ansprüche der Betreuten gut zu vertreten. Es ist wichtig, ihnen gute Einstellungen und Hilfen an die Hand zu geben, sodass sie tatsächlich den Festlegungen des § 1901 Bürger- Marjana Schott (DIE LINKE): liches Gesetzbuch entsprechen. Da wird die Aufgabe der Betreuerinnen und Betreuer deutlich festgelegt: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, am Wettbewerb der kürzesten Rede teilzuneh- Der Betreuer hat die Angelegenheiten des Betreuten men. so zu besorgen, wie es dessen Wohl entspricht. Zum Wohl des Betreuten gehört auch die Möglichkeit, im (Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist ein ganz Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach seinen schlechter Anfang!) eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Das ist schon deshalb der Fall, weil wir doch einige Kritik- … punkte an diesem Gesetzentwurf haben. Denn es soll nach Ehe der Betreuer wichtige Angelegenheiten erledigt, wie vor keinen Rechtsanspruch der Betreuungsvereine auf bespricht er sie mit dem Betreuten, sofern dies des- Finanzierung geben. Hessen will zwar im Haushalt die Zu- sen Wohl nicht zuwiderläuft. wendungen erhöhen, was erfreulich ist und was wir durchaus begrüßen. Das wird dann aber immer noch von Innerhalb seines Aufgabenkreises hat der Betreuer den Haushaltsberatungen abhängig sein. Das ist der Sache dazu beizutragen, dass Möglichkeiten genutzt wer- nicht zuträglich. den, die Krankheit oder Behinderung des Betreuten zu beseitigen, zu bessern, ihre Verschlimmerung zu Entweder will man die ehrenamtliche Betreuung und das verhüten oder ihre Folgen zu mildern. Abschließen der Vorsorgevollmachten fördern, um höhere Kosten durch die Berufsbetreuung zu verhindern – dann Das ist eine ganz große Aufgabe. Zu den Vorsorgevoll- muss man die Betreuungsvereine auch ordentlich fördern machten und Betreuungsverfügungen gibt es bei den Betei- und finanzieren –, oder man lässt es. Dann zahlt man das ligten viele Unsicherheiten. Da ist eine gute Beratung uner- Ganze eben aus dem Justizhaushalt. Da muss man sich ent- lässlich. Auch das gehört zur Querschnittsaufgabe der Be- scheiden. Aber da muss man auch Farbe bekennen. treuungsvereine. Sie müssen bei allen Angelegenheiten im- mer gut informiert sein und die neuesten Entwicklungen Ich möchte mich an der Stelle noch einmal ganz deutlich bezüglich der Gesetze und der Rechtsprechung kennen. bei den Betreuungsvereinen für ihr großes Engagement Diese hat sich in den letzten Jahren häufig und sehr schnell und bei all denen bedanken, die Betreuungen durchführen. geändert. Was wir gestern noch rechtlich als vollständige Ich will insbesondere auch den Ehrenamtlichen danken. Ausstattung betrachtet haben, hat sich nach einigen Ge- Denn das ist eine äußerst verantwortungsvolle und oft richtsurteilen wieder verändert. Deshalb muss das ständig 8080 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 auf dem Laufenden gehalten werden. Deswegen muss die tungsdauer zu verlängern, das ist doch nur reiner Bürokra- notwendige Beratung da sein. tieaufwand, der das Parlament beschäftigt. (Beifall des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE)) (Beifall des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE)) Diese anspruchsvolle Arbeit können eben viele, die Be- Wir müssen vielmehr inhaltlich genau hinschauen und die treuung machen, nicht so einfach einmal neben der berufli- Dinge angehen, die wirklich angegangen werden müssen. chen Tätigkeit her erledigen. Das ist die aktuelle Situation. Dabei sehen wir die Landesregierung in der Pflicht, die Die Betreuungsvereine müssen mehr Betreuung beruflich Entwicklung der Betreuung in Hessen genauer in den Blick durchführen, um die Querschnittsarbeit durchführen zu zu nehmen. Der Ausschluss von Menschen mit Beeinträch- können. Das ist aber nicht in Ordnung. Das darf nicht sein. tigungen vom Wahlrecht wurde gerade erst bundesweit ge- Deshalb ist die Landesregierung verpflichtet, die Vereine rügt. Wenn in Hessen jedoch viel mehr Menschen als in besser auszustatten. anderen Bundesländern vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, weil sie eine Betreuung in allen Angelegenheiten ha- Die Kommunalisierung der Mittel ist nicht geeignet, den ben, dann muss dies dringend überprüft werden. Anforderungen zu entsprechen. Nicht alle Betreuungsver- eine erstrecken sich auf Landkreise oder Städte. Es geht Wir überlegen daher sehr genau, ob wir dafür einen Ge- um eine Pflichtaufgabe, die im ganzen Land gleicherma- setzentwurf vorbereiten, um für diese Personengruppe die ßen geleistet werden muss und die sonst keine öffentliche Möglichkeit zu schaffen, an Wahlen teilzunehmen. Sie Einrichtung macht. Es ist vollkommen richtig, dass von sollten sich die entsprechende Statistik einmal anschauen. den Wohlfahrtsverbänden auf die Erweiterung der Aufga- Hessen liegt da ganz weit vorne, was in dem Falle bedeu- ben durch § 1908f Bürgerliches Gesetzbuch verwiesen tet: ganz weit hinten. – Herzlichen Dank. wird. (Beifall des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE)) Wenn die Landesregierung jetzt behauptet, dass im Gesetz keine Vorgaben zur Quantität stehen würden, ist das falsch. Alle Anfragen der Bevölkerung müssen in vertret- Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: barem Zeitraum, also kurzfristig, weil meistens Eile gebo- Danke, Frau Schott. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten ist und es Not gibt, gründlich bearbeitet werden. hat sich zu diesem Tagesordnungspunkt Herr Bocklet ge- Woher die Kommunen die zusätzlichen Mittel haben sol- meldet. len, um die Betreuungsvereine zu fördern, bleibt zumindest bei den vielen Kommunen, die nicht ausgeglichene Haus- halte haben, völlig unklar. Die meisten, die es geschafft ha- Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ben, ihren Haushalt auszugleichen, haben schon alles ge- Herr Präsident, ich bedanke mich, dass es Ihnen gelungen strichen, was gestrichen werden konnte. Sonst würde ihnen ist, mich zum richtigen Tagesordnungspunkt aufzurufen nämlich die Finanzaufsicht auf die Finger hauen. und mir das Wort zu erteilen. – Sehr geehrte Kolleginnen Der Betreuungsverein kann auch nicht entscheiden, ob er und Kollegen! Frau Klaff-Isselmann hatte bereits ausge- die Beratung macht oder nicht, da seine Anerkennung da- führt, dass es einer Verlängerung der Geltungsdauer dieses von abhängig ist, dass er planmäßig über Vorsorgevoll- Gesetzes bedarf. machten und Betreuungsverfügungen informiert. Nicht zu Zwei weitere Voraussetzungen wurden erwähnt. Es hat den vergessen ist dabei die Aufgabe, ehrenamtliche Betreuerin- Eindruck, dass auch aus den Oppositionsfraktionen von nen und Betreuer zu gewinnen. Auch das ist eine gesetzli- SPD und FDP zu diesem Punkt Zustimmung kommt. Le- che Aufgabe der Betreuungsvereine. Der müssen sie nach- diglich DIE LINKE hat, wie gerade gehört, ihre Ableh- kommen. nung begründet. Wohlfahrtsverbände, Städtetag und Landkreistag haben in Ich hatte bereits in der ersten Lesung ausgeführt, dass ich der Anhörung die Notwendigkeit betont, die Bildung re- das Glück hatte, selbst einmal bei einem Betreuer hospitie- gionaler Facharbeitskreise ins Gesetz aufzunehmen, um ren zu dürfen. Ich habe ihn einen Tag lang begleitet. Diese Absprachen treffen zu können und den Austausch zu ge- Aufgaben sind unfassbar umfangreich, wobei die Stunden- währleisten. Die Praxis zeigt: Nur wenn die Betreuungsbe- vergütung von der Bundesebene noch immer nicht so aus- hörde bei der Kommune genügend Personal hat, finden kömmlich finanziert ist, wie man es sich wünschen könnte. diese Arbeitskreise tatsächlich statt. Die Betreuer übernehmen für den Staat unglaublich viele Ich finde das wichtig. Denn das sind meistens die einzigen wichtige Aufgaben und sind insofern betriebswirtschaftlich kollegialen Ansprechpartner, die die Betreuerinnen und sehr günstig. Betreuer sowie die Vereine haben. Es muss gemeinsam mit Man muss sich einmal überlegen, welche Aufgaben dort den Vertreterinnen und Vertretern der Gerichte und Behör- übernommen werden. Würden diese Menschen, die zum den etwas stattfinden, um die Interesen der Betreuten wirk- Teil gesetzlich nicht mehr mündig sind, beispielsweise in lich zur Geltung zu bringen. einer Einrichtung untergebracht werden und nähmen dort Solange es noch keine verpflichtende Fortbildung von Be- täglich professionelle Unterstützung in Anspruch, wäre das treuerinnen und Betreuern gibt, ist es ganz wichtig, dass alles um ein Vielfaches teurer. Die Betreuungsvereine sind auf die notwendige Qualifikation geachtet wird. also sehr sinnvolle sozialpolitische Einrichtungen, die wertvolle Arbeit leisten. Das sind die Gründe, aus denen wir den Gesetzentwurf ab- lehnen. Wir brauchen keine Befristungen, keine Überarbei- Wir bedanken uns für die Arbeit, die diese Vereine für die tung von Gesetzen, wenn nicht die tatsächlich vorhandenen Menschen und die Gesellschaft leisten. In einem ersten Probleme endlich angegangen werden. Was wir hier ma- Schritt verlängern wir nun die Geltungsdauer dieses Ge- chen, nämlich die Gesetze aufrufen, um einfach ihre Gel- setzes, und alles Weitere, was für die Betreuungsvereine Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8081 und für die Berufsbetreuer noch zu tun ist, klären wir zu einbarungen, die wir mit den Kommunen abschließen, sehr späterer Stunde. – Herzlichen Dank. genau nachhalten. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Wir sehen es jedes Jahr erneut beim Hessentag, wenn eh- bei Abgeordneten der CDU) renamtliche Betreuerinnen und Betreuer ausgezeichnet werden, die über viele Jahre hinweg eine solch verantwor- tungsvolle Aufgabe wahrnehmen. Sie brauchen den Rah- Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: men innerhalb eines Betreuungsvereins, wenn sie auf eh- Danke, Herr Bocklet. – Für die Landesregierung erteile ich renamtlicher Ebene tätig sind. Auf diese Weise kann eine Staatsminister Grüttner das Wort. größere Nähe zu betreuten Personen geschaffen werden, als sie entstehen könnte, wenn man über einen gerichtlich festgestellten Betreuer eine Betreuung organisieren wollte. Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: In der Frage des Umgangs mit den zu Betreuenden muss Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! auch immer der Aspekte von Empathie, von Nähe usw. Ich bin sehr dankbar, dass die Redner aller Fraktionen die mitberücksichtigt werden. Hier leisten Betreuungsvereine Wichtigkeit von Betreuung – sowohl ehrenamtlicher als eine unverzichtbare Arbeit, und deshalb verdienen sie un- auch beruflicher Art – dargestellt haben und hier auch die sere Unterstützung. Mit dem Ausführungsgesetz schaffen Betreuungsvereine eine ganz wesentliche Rolle spielen. wir den Rahmen und mit dem Haushalt die finanziellen Möglichkeiten. Ich möchte Ihnen einige Zahlen nennen, die die Entwick- lung im Bereich der Vorsorge verdeutlichen, auch inner- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE halb von Familien und bei Einzelpersonen. Das Thema GRÜNEN sowie des Abg. René Rock (FDP)) „rechtliche Vorsorge“ ist in der Zwischenzeit gesell- schaftsfähig geworden. Beim Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer sind in diesem Jahr über 3 Millio- Vizepräsident Dr. Ulrich Wilken: nen Vorsorgeverfügungen hinterlegt worden. Darüber hin- Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Wir sind damit am En- aus gibt es eine nicht einschätzbare Anzahl von Vorsorge- de der Aussprache angelangt. vollmachten, die privat bzw. im Rahmen der Familie oder im Freundeskreis hinterlegt worden sind. Damit kommen wir zur Abstimmung über den Gesetzent- wurf der Landesregierung für ein Zweites Gesetz zur Än- Man sieht an dieser Stelle, dass Betreuungsvereine, aber derung des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Betreu- auch Betreuungsbehörden einen wichtigen gesellschaftli- ungsrecht. Wer dem Gesetzentwurf seine Zustimmung ge- chen Auftrag haben. Beiden Institutionen schreibt der Ge- ben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind setzgeber die Aufgabe zu, die Bevölkerung über Fragen CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die SPD. der rechtlichen Vorsorge und Betreuung zu informieren Wer ist dagegen? – Die Fraktion DIE LINKE. Damit wird und zu beraten. Im Übrigen gehört die gemeinsam mit dem dieser Gesetzentwurf zum Gesetz erhoben. Justizministerium herausgegebene Broschüre zum Betreu- ungsrecht zu den meistangeforderten Broschüren bei der Ich rufe nunmehr Tagesordnungspunkt 13 auf: Hessischen Landesregierung. Das sollte man gar nicht Große Anfrage der Abg. Merz, Alex, Decker, Di Bene- glauben, aber dem ist so. detto, Gnadl, Roth, Dr. Sommer (SPD) und Fraktion Die Einzelheiten zum vorliegenden Ausführungsgesetz betreffend Kinderbetreuung in Hessen – Drucks. 19/ sind schon dargestellt worden. Auf einige der angesproche- 4881 zu Drucks. 19/3810 – nen Fragen will ich kurz eingehen. Auch hier möchte ich eine Zahl nennen. Wir haben zurzeit insgesamt 1,27 Mil- Die Aussprachezeit ist auf zehn Minuten festgesetzt. Als lionen Betreuungsverfahren. Davon werden heute immer Erster hat sich für die SPD-Fraktion Herr Merz zu Wort noch weit über 50 % ehrenamtlich geführt. Hier wird die gemeldet. Bedeutung von Betreuungsvereinen, die über ein gut funk- tionierendes Netz verfügen, ganz besonders deutlich. Gerhard Merz (SPD): Ich habe im Ausschuss und auch bei der Einbringung Herr Präsident, meine Damen und Herren! Diesmal wird es schon gesagt, dass mit dem Beschluss der Landesregierung nicht so kurz, und es wird auch nicht so friedlich abgehen zum Haushalt eine Erhöhung der finanziellen Zuschüsse wie eben. Es wird unvermeidlich sein, im Rahmen der über die kommunalisierten Mittel in nicht unbeträchtli- Aussprache – jedenfalls in meinem Teil – auf ein paar As- chem Maße für die Betreuungsvereine in Hessen umgesetzt pekte einer Debatte einzugehen, die wir gestern geführt ha- worden ist. Es ist richtig, dass wir im Rahmen der abzu- ben, und diese Aspekte in einen anderen Kontext zu stel- schließenden Zielvereinbarungen sehr genau darauf hin- len. wirken müssen, dass diese auch zielgerichtet eingesetzt werden. Lassen Sie mich zunächst einige grundsätzliche Ausfüh- rungen machen. Mit der Antwort auf diese Große Anfrage Mit den zur Verfügung gestellten Mitteln könnten jetzt bei- ist es im Grunde so wie mit allen Berichtsanträgen und spielsweise neue Betreuungsvereine gefördert werden. Das mündlichen Fragen, die man an die Landesregierung rich- betrifft Vereine, die entweder schon in Gründung sind, wie tet, wenn es um Jugendhilfe geht. Die Landesregierung im Landkreis Offenbach, oder solche, die sich noch in Pla- antwortet darauf mantraartig: Das ist kommunale Aufgabe. nung befinden. Betreuungsvereine, die bislang nicht aus Das ist kommunale Aufgabe. Das ist kommunale Aufgabe. kommunalisierten sozialen Mitteln unterstützt wurden, – Dazwischen könnte man noch jeweils ein „Om“ einfü- können auf diese Weise in Zukunft ebenfalls eine Unter- gen, um die geistige Grundhaltung in diesem Zusammen- stützung bekommen. Das werden wir in unseren Zielver- hang zu charakterisieren. 8082 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

Wenn ich polemisch wäre, was ich bekanntermaßen nicht dengeben und die Kommunen auch damit zufrieden sein bin – – lassen, dass Sie die bereitgestellten Bundesmittel weiterrei- chen. Damit muss es dann sein Bewenden haben. Wenn (Zurufe von der CDU: Oh! – Ach!) man also von 2017 bis 2020 nur 86 Millionen € zur Verfü- – Ich wollte nur wissen, ob Sie wach sind. – Also, wenn gung hat und wenn das auch alles ist, was das Land ausge- ich polemisch wäre, was ich Gott sei Dank nicht bin, wür- ben will, dann muss man auf dieser Geschäftsgrundlage de ich sagen: Das ist organisierte Ahnungslosigkeit, die natürlich auch keine Landesbedarfsplanung mehr machen; sich in dem Satz zusammenfassen lässt: Wir wissen es denn dann gibt man das Geld so lange aus, wie es noch nicht, und wir wollen es auch nicht wissen. – Auch diesen vorhanden ist, und wenn keines mehr da ist, ist es fertig. Satz habe ich hier schon oft vorgetragen. Das springt einen Wir kommen auf den alten Punkt zurück: Bedarf ist das, geradezu an, wenn man die Antwort der Landesregierung was der Finanzminister – in diesem Fall der Sozialminister auf unsere Große Anfrage studiert. – zu zahlen bereit ist. Das ist aber, mit Verlaub, keine zu- (Beifall bei der SPD) kunftsgerichtete Politik. Ich will sagen, sie steht auch in ei- nem gewissen Widerspruch zu den Tönen, die wir immer Das wäre vielleicht noch nicht so schlimm, wenn man aus wieder von Ihnen hören, von Ihnen übrigens weniger als dieser organisierten Ahnungslosigkeit bzw. aus dieser vor- aus diesen Abteilungen – – getäuschten organisierten Ahnungslosigkeit nicht auch eine Art organisierte Verantwortungslosigkeit schlussfolgern (Clemens Reif (CDU): Na, na, na!) würde. – Von Ihnen schon einmal gar nicht. Gott sei Dank haben (Beifall bei der SPD) Sie sich dazu nicht geäußert, Herr Reif. Das ist auch besser so. Denn die Wahrheit ist, dass Planung und Steuerung in wei- ten Bereichen der Jugendhilfe in einem irgendwie geordne- (Zurufe von der CDU – René Rock (FDP): Wo er ten und den Begriffen Planung und Steuerung entsprechen- recht hat, hat er recht!) den Sinne im Lande Hessen nicht stattfinden. Weil das so – Man muss nicht zu allem etwas sagen, wovon man nichts ist, findet auch keine angemessene finanzielle Beteiligung versteht. Selbst ich halte mich manchmal daran. des Landes an den Kosten statt. Man kann das Argument auch umdrehen: Weil man sich aus gutem Grund zu einer (Zuruf des Abg. Dr. Frank Blechschmidt (FDP)) angemessenen finanziellen Beteiligung des Landes an den – Da gibt es nichts zu lachen, Kollege Blechschmidt. Kosten der Jugendhilfe nicht durchringen kann – ich rede hier natürlich in allererster Linie über die Kosten der Kin- (Manfred Pentz (CDU): Ich glaube, die Redezeit ist derbetreuung, nicht über den Teil der Hilfen nach gleich vorbei!) § 27 ff. –, will man auch nicht planen und steuern. Weil man das nicht will, will man auch nicht so ganz genau wis- Wenn man immer wieder, wie zuletzt der Kollege Wagner, sen, was sich eigentlich im Lande abspielt. Oder man will der jetzt vorsichtshalber abwesend ist, sagt, dass man der so tun können, als würde man es nicht so genau wissen. Quantität größte Priorität einräumt, dass man das Platzan- gebot U 3 sichert, dass man das Platzangebot U 3 ausbaut, Ich will das anhand von drei Komplexen etwas detaillierter dass man den Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungs- ausführen. Das ist erstens die Frage, wie man mit der Ent- platz garantiert, dann müsste dem eine eigenständige Pla- wicklung des Angebots von Kinderbetreuungsplätzen um- nungs- und Finanzierungsanstrengung zugrunde liegen. geht. Das betrifft also die Frage der Quantität, zu der die Andernfalls könnte man sagen: Wir erwarten, dass der Regierung gestern und auch sonst immer wieder in der Bund für die Erfüllung dieser Aufgabe geradesteht, und al- Vergangenheit wortreich erklärt hat, dass dies eine ihrer les andere interessiert uns nicht. – Das wäre wenigstens großen Prioritäten sei. Zweitens will ich – wenig überra- ehrlich. Das ist leider Gottes aber auch hier nicht der Fall. schend – etwas zur Frage der Gebühren sagen. Ich will Ehrlichkeit gehört bei diesem Punkt, muss ich bedauerli- drittens – wahrscheinlich auch wenig überraschend – etwas cherweise sagen, nicht zu den hervorstechenden Merkma- zur Frage der Beteiligung des Landes an den Kosten der len der Debatte, soweit sie von Ihnen geführt worden ist. Veranstaltung Kinderbetreuung sagen. Meine Damen und Herren, ich will zum Punkt Gebühren (Präsident Norbert Kartmann übernimmt den Vor- kommen. Wir hatten gestern Abend eine bemerkenswerte sitz.) Sondersitzung des Sozial- und Integrationspolitischen Aus- schusses. Dabei ist deutlich geworden, dass nicht nur die Um auf die Frage der Quantität zu sprechen zu kommen: Punkte unklar waren, die wir bisher für unklar gehalten Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden – das haben hatten, sondern es ist auch eine ganze Reihe von Punkten wir neulich auch in der Ausschusssitzung erläutert –, dass unklar, von denen ich bisher gedacht hatte, dass sie klar nach dem neuen Verfahren der Rahmenbetriebserlaubnisse wären. keine trennscharfe Bestandsaufnahme nach U-3- und Ü-3-Plätzen mehr möglich ist. Das ist richtig. Das gilt z. B. für die Frage, für wen bzw. für welche Plätze und für welche Kinder eigentlich die Pauschale von 136 € Richtig ist aber auch, dass man Annahmen darüber haben gezahlt wird. Das gilt z. B. für die Frage, ob die 136 € auch kann, wie sich die Zahlen entwickeln. Das ist nach wie vor dann gezahlt werden, wenn nur Halbtagsplätze in An- richtig. Mit Verlaub: Diese Annahmen muss man auch ha- spruch genommen werden. All dies ist gestern Abend wie- ben, Herr Minister, wenn man so etwas Ähnliches wie eine der unklar gestellt worden. Es sei denn, Sie sagen jetzt et- Landesbedarfsplanung machen wollte, aus der sich dann was anderes. Es ist aber sehr deutlich geworden, was für eine Planung der einzusetzenden finanziellen Mittel erge- eine Sturzgeburt dieser Vorschlag vier Wochen vor der ben müsste. Das machen Sie natürlich nicht, und zwar aus Bundestagswahl doch tatsächlich war, weil offensichtlich dem einfachen Grund, weil Sie seit Jahr und Tag gar keine niemand uns genau erklären kann, was die Details dieses eigenen Landesmittel einsetzen, sondern sich damit zufrie- Vorschlags sind. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8083

(Beifall bei Abgeordneten der SPD) tung. Das ist wichtig. Vor Ort ist die Fähigkeit gegeben, Bedarfe zu erkennen. Wir tun freiwillig viel auf Landes- Wenn wir mit so etwas hierhergekommen wären, noch da- ebene und auch auf Bundesebene, um das zu befördern. zu wenige Wochen vor einer Wahl, wenn wir auf all die Wir verwechseln das aber nicht damit, dass das Land die Fragen, die gestern Abend gestellt worden sind und auf die Steuerung und Planung sowie die Verwirklichung zu über- es keine befriedigende Antwort gab, auch keine befriedi- nehmen hätte. gende Antwort gehabt hätten, dann wären Hohn und Spott über uns ausgegossen worden. Sie müssen damit leben, Ich möchte mich trotzdem bei Ihnen für diese Große An- dass das für diesen Vorschlag zunächst einmal auch der frage bedanken; denn das Thema Kinderbetreuung verdient Fall ist. Ich warte darauf, was Sie dann als Gesetzentwurf immer rege Aufmerksamkeit, zumal in einem Land mit Fa- vorlegen werden. Ich warte darauf, ob das dann diese Fra- miliensinn, wie es Hessen ja ist. ge beantworten wird. Nach dem, was ich seit gestern Ich will mich auch gleich bei der Regierung für die aus- Abend weiß, und nach dem, mit Verlaub, was ich in der führliche Beantwortung der Großen Anfrage im Rahmen Antwort auf die Große Anfrage gelesen habe, gibt es da dessen, was möglich war, bedanken. nicht so furchtbar viel Hoffnung. Wenn ich eine Überschrift über die Ergebnisse finden (Beifall bei Abgeordneten der SPD) müsste, dann wäre es folgende: Sehr vieles in der hessi- Herr Minister, Sie sagen immer wieder, es sei nicht Ihre schen Kinderbetreuung ist gut, und wo es noch nicht gut Aufgabe, sich einen Überblick über die Gebühren zu ver- genug ist, wird es mit großem Engagement und Voraus- schaffen, und Sie sähen keinen Regelungsbedarf. Sie haben schau von denen, die die Verantwortung tragen, verbessert schon mehrfach und auch in der Antwort auf die Große – und wir helfen ihnen dabei. Anfrage gesagt, dass Sie dabei im Grunde gar keinen Re- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE gelungsbedarf gesehen haben. Das haben Sie letztens unter GRÜNEN) anderem in großer Deutlichkeit gesagt bei der zweiten Le- sung unseres Gesetzentwurfs. Da haben Sie gesagt: Ich ha- Erstens. Das Platzangebot ist mit enormen Anstrengungen be kein Verständnis dafür, warum das gut verdienende der zuständigen Kommunen, aber auch mit massiver Hilfe Ehepaar, das Sorge dafür trägt, dass Einkommensteuer be- – wie eben schon angedeutet – von Bund und Land hervor- zahlt wird, nicht auch einen Beitrag für die Kinderbetreu- ragend vorangekommen. Die Rechtsansprüche der Ü-3- ung aufzubringen hat. Dafür habe ich kein Verständnis. und U-3-Kinder werden landesweit erfüllt. Das hätte manch einer gar nicht gedacht. Im Vergleich zu vor zehn Das war der eine Punkt. Nun zum anderen Punkt. Sie ha- Jahren sind heute doppelt so viele Kinder in der U-3-Be- ben immer gesagt: Das geht mich auch gar nichts an. Ich treuung, und die Ü-3-Betreuungsquote bewegt sich um die will es nicht, und es geht mich auch gar nichts an. – Das 95 %. zieht sich durch Ihre gesamte Antwort, und das ist bis dato die Position der hessischen CDU und auch der Koalition Das Land hat die Investitionen im U-3-Bereich in den letz- gewesen. ten Jahren mit insgesamt 300 Millionen € unterstützt. Da waren auch Bundesmittel dabei, die wir weitergeleitet ha- Zu der angeblichen Priorität auf die Quantität habe ich et- ben. Das ist zutreffend. Dazu wurden die Ausbildungsplät- was gesagt. Gestern habe ich etwas zur Frage der Qualität ze für Erzieherinnen und Erzieher seit 2009/2010 annä- gesagt. Ich sage: Mittlerweile haben Sie eine Kehrtwen- hernd verdoppelt, während die Hochschulen die entspre- dung um 180 Grad vollzogen. Nicht nur, dass Sie das jetzt chenden Studiengänge mit unserem Wohlwollen ausgebaut richtig finden, was Sie vorher für falsch gehalten haben, haben. sondern Sie machen es mittlerweile auch zu Ihrer Angele- genheit. Ich kann nur sagen: Das ist ein Schritt in die rich- Dabei ist der Bedarf in den Gebietskörperschaften tige Richtung, aber es ist noch kein richtiger Schuh daraus durchaus unterschiedlich, wie die Ergebnisse zeigen. Das geworden. überrascht uns nicht. Gerade das ist ja ein gutes Beispiel dafür, dass die kommunale Zuständigkeit richtig und ange- Jetzt habe ich doch viel zu lange gebraucht für diese zwei messen ist, auch wenn auf der linken Seite dieses Hauses Punkte. Vielleicht ergibt sich eine Gelegenheit zu einer immer für mehr Einmischung und mehr Steuerung des zweiten Runde. – Zunächst einmal herzlichen Dank für die Landes plädiert wird. Aufmerksamkeit. Bestätigt wird ferner, dass es weiteren Ausbaubedarf gibt. (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Manfred Pentz Der Zuzug nach Hessen von überallher und die Zunahme (CDU): Bloß nicht!) der Geburtenrate bringen uns mehr Kinder, also auch mehr Kinder in die Kinderbetreuung – in allen Altersstufen. Das Präsident Norbert Kartmann: ist eine gute Nachricht, zumal wir vorbereitet sind und auch der Bund mit einer Investitionsförderung in Höhe von Das Wort hat Frau Kollegin Wiesmann von der Fraktion 86 Millionen € nochmals einen signifikanten Beitrag be- der CDU. reitstellt, der sinnvollerweise auch im Ü-3-Bereich einge- setzt werden kann. Bettina Wiesmann (CDU): Zweitens. Genauso wichtig ist die Qualität. Auch hier gibt es dank des KiföG – wer hätte es gedacht – eine sehr gute Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Entwicklung. Dies ergibt sich auch aus den Ergebnissen Merz, ich finde, das war ein krampfhafter Versuch, mög- der Antwort auf die Große Anfrage. Wir haben nämlich lichst Verantwortung beim Land abzuladen oder dem Land tatsächlich einen guten Mindeststandard eingeführt, der anzuhängen, die das Land gar nicht hat. landesweit gilt, und wir haben die Qualitätsorientierung Wir stehen dazu: Kinderbetreuung ist zuallererst kommu- mithilfe der BEP-Pauschale gestärkt, die sehr gut ange- nale Aufgabe im Rahmen der kommunalen Selbstverwal- nommen wird. 8084 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

Darüber hinaus haben wir weitere Ressourcen für besonde- aus und teilt mit, welche Fachkräfte und Fachberatungen, re Anforderungen, z. B. die Betreuung von sprachlich oder Träger und Einrichtungen sie bei der besonders sensiblen sozial benachteiligten Kindern – Sie wissen das alles –, Fürsorge für Flüchtlingskinder und ihre Familien unterstüt- über die Schwerpunktpauschale bereitgestellt. zen. Die Antwort auf die Große Anfrage zeigt überdies – das Fünftens. All das spricht für eine gute Kinderbetreuung in fand ich wirklich interessant –, dass die Gruppengrößen im Hessen. Die Landesregierung trägt aber zudem Sorge für sensiblen U-3-Bereich deutlich unter der gesetzlich vorge- notwendige Weiterentwicklungen, mit denen auf Heraus- gebenen Maximalgröße liegen. Wenn man sich klarmacht, forderungen reagiert wird. Ich nenne hier nur die Anpas- was diese Durchschnittswerte bedeuten, dann sieht man: sung der BEP-Fortbildungen an inklusive Pädagogik und Werte zwischen 9,3 und etwas darüber, knapp über zehn, die Behandlung von Kindern mit Fluchthintergrund. sind wirklich gute Werte. – Wenn man sich die Gesamtbe- Als Nächstes wird der Bildungs- und Erziehungsplan selbst trachtung der Betreuung von Kindern zwischen 0 und 6 aktualisiert. Die Kooperation von Tagespflegeeinrich- Jahren in Anlage 8 ansieht, kann man errechnen, dass die tungen wird in einem schon andauernden, aber noch fort- massive Personalaufstockung in den letzten Jahren in Ver- dauernden Projekt vorangebracht. bindung mit dem Aufwuchs der Plätze rechnerisch zu ei- nem Betreuungsschlüssel von 1 : 5,6 geführt hat. Das ist Zur Sprachförderung. Die Maßnahmen haben einen ein- ein wirklich guter Wert, wenn man bedenkt, dass die Vor- heitlichen Rahmen erhalten, innerhalb dessen verschiedene gabe im U-3-Bereich, die oft unterschritten wird, bei 1 : 5 Bestandteile ineinandergreifen und aufeinander aufbauen. liegt. In Summe lässt sich sagen: Unsere Gesellschaft verändert Drittens. Auffällig und beruhigend ist außerdem das hohe sich. Die Bedarfe von Familien sind nicht statisch und Qualifikationsniveau des Personals, wobei die gemeinnüt- wahrscheinlich nie abschließend zu erfüllen. Dennoch hat zigen und privaten Träger besser abschneiden als die öf- sich die Kinderbetreuung in Hessen mit der bewussten Un- fentlichen. Auch die Altersstruktur erscheint ausgeglichen, terstützung und Förderung durch diese Landesregierung – sodass auf absehbare Zeit kein Loch durch eine Ruhe- und ihrer Vorgängerin, die ich ausdrücklich erwähnen standswelle – oder Ähnliches – zu befürchten ist. möchte – und durch die sie tragenden Fraktionen sehr gut entwickelt und ist in einem hervorragenden Zustand. Viele Noch eine gute Nachricht: Der Anteil der Männer in der weitere Fortschritte sind angelegt oder bereits unterwegs. Erzieherausbildung ist in den vergangenen zehn Jahren er- heblich gestiegen: von 12 % in den Jahren 2005/2006 auf Das kostet eine Menge Geld. Das ist es uns aber wert. Ich 18 % in den Jahren 2015/2016. Es könnten noch mehr nenne noch einmal den finanziellen Aufwuchs: umgerech- Männer sein, aber das ist unzweifelhaft ein Fortschritt für net 70 Millionen € im Jahre 1999, 100 Millionen € im Jah- die Betreuungs- und Bildungsqualität, da die Geschlechter- re 2006 – das sage ich immer dazu, weil das fair ist – und vielfalt der kindlichen Bezugspersonen bekanntlich ein 460 Millionen € im Jahr 2016. In diesem Jahr werden es wichtiger Faktor ist. über 500 Millionen € sein, und für die kommenden beiden Jahre stehen allein für weitere Qualitätsmaßnahmen noch- (Beifall bei der CDU) mals jeweils 50 Millionen € bereit. Das ist einfach nur be- Viertens. Besondere Erfordernisse erhalten in der hessi- eindruckend. schen Kinderbetreuung eine besondere Aufmerksamkeit. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Ich will es an drei Beispielen kurz zeigen. GRÜNEN) In der Tagespflege, einem aus unserer Sicht unverzichtba- Jetzt habe ich noch etwas Zeit, um zum Schluss ein paar ren, weil besonders familiennahen und flexiblen Bestand- klärende Worte – es ist schade, dass Herr Degen nicht da teil des Betreuungsangebots, haben sich die nun auch im ist – zum Familienbild meiner Partei zu sagen, das gestern, KiföG verankerten Qualifikationsstandards in vielen Krei- davor und auch heute mehrfach zur Sprache kam. Für uns sen durchgesetzt. Teilweise werden sie übertroffen. Das von der CDU-Fraktion ist die Familienpolitik dazu da, die kann man in der Antwort nachlesen. bedeutendste Verbindung von Menschen zu stärken, die Die hessischen Kindertageseinrichtungen nehmen die Auf- wir in unserer Gesellschaft haben, damit sie ihre Aufgabe, gabe der Inklusion flächendeckend an und sehr ernst. Auch Fürsorge, Schutz und Zusammenhalt zu stiften, erfüllen das spricht aus den Zahlen. In über 90 % der Gemeinden kann und damit aus der Familie Individuen hervorgehen, werden Kinder mit Behinderungen oder Beeinträchtigun- die zu eigenverantwortlichen, ihres Selbst gewissen und gen betreut. Es greifen die erheblichen Gruppengrößenre- der Welt zugewandten Persönlichkeiten heranwachsen, die duzierungen – im Gegenzug zu den nochmals deutlich an- ihren Beitrag zu ihrem Land und zu dieser Gesellschaft gehobenen Pauschalen des Landes. Es gibt viele Angaben leisten und diese Eigenschaften an die nächste Generation in der Antwort auf die Große Anfrage, dass nicht bekannt weitergeben. sei, dass Kinder in einer solchen Situation – außer in ganz Nach unserer Überzeugung und gestützt auf alle Erkennt- wenigen Einzelfällen – nicht betreut würden oder nicht nisse der Wissenschaft findet hier ein elementarer Teil des hätten aufgenommen werden können. Bildens statt, auf den alle folgenden Bildungsstufen auf- Drittes Beispiel: die Flüchtlingskinder. Die Landesförde- bauen. Bildung ist auch in diesem Hause immer wieder ein rung behandelt Flüchtlingskinder zu Recht wie alle ande- großes Thema – zu Recht. Deshalb sind wir froh, dass fast ren Kinder im Land. Sie erhalten dieselben Bildungschan- alle Eltern ihre Kinder in den Kindergarten bringen – gerne cen in Kinderbetreuung und Schule. Wie alle anderen pro- auch ganztags; denn wir fördern auch ganztägige Angebote fitieren sie von der besonderen Förderung durch die im U-3-Bereich. Schwerpunktpauschale, die ich schon erwähnt habe. Zu- Wir sind gleichwohl nicht beruhigt, wenn sich schon bei gleich weist die Antwort auf die Große Anfrage eine ganze den Einjährigen mehr als die Hälfte der Betreuungsverhält- Reihe eindrucksvoller Maßnahmen der Landesregierung nisse auf 45 oder mehr Wochenstunden erstreckt. Wir Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8085 blenden nicht aus, dass sich die große Mehrheit der Eltern förderungsgesetzes und die Diskussion, die über die Quali- und übrigens auch der größere Teil der Kinder und Jugend- tät der Betreuung und die Betreuungssituation der Kinder lichen mehr Zeit für ihre Familie wünschen – nicht weni- in unserem Land geführt wird, intensiv mit den Zahlen für ger. Ich bin sicher, eine Befragung der Kindergartenkinder das Land Hessen auseinandergesetzt. Ich finde das aller würde kein anderes Ergebnis erbringen. Ehren wert und möchte an der Stelle auch sagen: vielen Dank an all die Mitarbeiter der kommunalen Gebietskör- Lieber Herr Degen, das hat wahrlich nichts mit Mutter- perschaften und der Landesregierung, die diese Daten und glück am Herd zu tun, sondern im Gegenteil mit dem not- Zahlen zusammengetragen haben. wendigen Respekt für die freien Entscheidungen freier Menschen. Warum ist das so wichtig? Man konnte gerade in dieser Plenarwoche ein Stück weit den Eindruck gewinnen, dass (Beifall bei der CDU) man auf der Regierungsseite gern Politik macht, indem Deshalb ist die gute alte Wahlfreiheit der Maßstab unserer man einfach sagt: Ich weiß nichts darüber, also muss alles Politik auf allen Ebenen. Hierfür haben wir auch auf der in Ordnung sein. – Ich nenne das Beispiel Hebammen, das Bundesebene viel unternommen, wie Sie alle wissen. Lei- wir in der letzten Runde hatten. Die Landesregierung hat der kann ich diese Maßnahmen nicht noch vortragen. Wir festgestellt: Na ja, wenn es da so viel Geschrei und Wider- werden aber nach der Bundestagswahl die zeitlichen und stand und so viele Hinweise gibt, müssen wir jetzt ein Gut- materiellen Spielräume der Eltern nochmals ausbauen, achten erstellen lassen, um Erkenntnisse gewinnen zu kön- wenn wir dazu Gelegenheit bekommen; denn Wahlfreiheit nen. setzt Entscheidungsspielräume voraus. Die CDU-Politik Wir hatten gestern eine Debatte über die Schulsituation. Da sorgt seit vielen Jahren im Bund, aber auch hier in Hessen wurde mit Stellenkontingenten argumentiert; aber das, was für die Familien – für jede nach ihren Bedürfnissen, Not- aus den Schulen berichtet wird, sind die Fakten. Dann wendigkeiten und auch Wünschen. muss man sich um die Fakten kümmern. (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE Wenn wir schon bei den Berichten sind: Wir könnten auch GRÜNEN) einmal über den Landessozialbericht sprechen. Mich inter- essiert, wann der vorgelegt wird. Die Legislaturperiode Präsident Norbert Kartmann: geht in ihre Endphase. Ich denke, wenn die Bundestags- wahl vorbei ist, beginnt hier die Vorwahlkampfphase. Ei- Zu einer Kurzintervention erteile ich Herrn Kollegen Merz gentlich wollten wir diesen Bericht Mitte der Legislaturpe- das Wort. riode vorgelegt bekommen. Ich weise ab und zu darauf hin. Aber vielleicht kann der Herr Minister in seiner Rede er- hellende Ausführungen dazu machen. Gerhard Merz (SPD): Ich war schon ein bisschen entsetzt darüber, wie der Kul- Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kollegin tusminister gestern über die Bertelsmann Stiftung gespro- Wiesmann, ich habe mich eigentlich wegen einer anderen chen hat. Wir alle wissen, man kann solche Prozentzahlen Bemerkung von Ihnen gemeldet. Da Sie Ihre Rede aber in vielleicht nicht bis zur letzten Stelle ernst nehmen, aber die einem sehr ernsthaften Ton beendet haben – die Rede war Trends, die sich dort zeigen, muss man schon ernst neh- insgesamt sehr ernsthaft, wie wir das gewohnt sind – und men. Ich finde es schade, wenn ein Mitglied der Landesre- da dies vielleicht die letzte Gelegenheit ist, um mit Ihnen gierung erklärt: Wenn mir die Fakten nicht passen, blende zu diskutieren, würde ich Ihnen gern einige Punkte in Ihr ich sie aus oder schaue am besten gar nicht erst hin; sonst mögliches neues Amt mitgeben: Wenn Sie die Familie für müsste ich bestimmte Entwicklungen wahrnehmen und so wichtig halten – wir tun das auch, wie Sie wissen –, sor- feststellen, dass meine Selbstwahrnehmung und die allge- gen Sie bitte in Ihrer möglichen neuen oder auch in Ihrer meine Wahrnehmung ein Stück weit auseinanderfallen. derzeitigen Funktion dafür, dass die Forderung von Bun- desinnenminister de Maizière, den Familiennachzug syri- (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD) scher Flüchtlinge für weitere zwei Jahre auszusetzen, nicht Wenn man sich die Zahlen aus der Antwort auf die Große realisiert wird. Das meine ich sehr ernst. Anfrage anschaut, muss man zunächst einmal eine positive (Beifall bei der SPD und der Abg. Marjana Schott Entwicklung feststellen: Die Zahlen bei der Betreuung und (DIE LINKE)) bei den Freistellungen verbessern sich, die Zahl der in Ausbildung befindlichen Erzieher ist maximal angestiegen Deswegen verzichte ich jetzt auf all die anderen Anmer- – eine Qualitätsverbesserung ist nicht möglich, ohne dass kungen zu Ihrer Rede, die ich eigentlich hier zu machen es Erzieher auf dem Arbeitsmarkt gibt. Es hat sich also ei- hätte. niges getan. Die Interpretation der Rednerin der CDU- (Beifall bei der SPD) Fraktion, wonach wir auf einem super Weg seien, ist aller- dings eine völlige Überzeichnung der realen Situation. Wir sind auf dem Weg; das muss man akzeptieren. Präsident Norbert Kartmann: (Beifall bei der FDP) Vielen Dank. – Nächste Wortmeldung, Herr Kollege Rock für die Fraktion der FDP. Der Weg weist zumindest in die richtige Richtung. Aber wir könnten den Weg deutlich zielgerichteter, intensiver und schneller gehen. Das ist es, was dieser Bericht auch of- René Rock (FDP): fenlegt. Wir als FDP-Fraktion werden sicherlich in den De- batten, die wir in Zukunft über das Thema Kinderbetreu- Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die SPD- ung führen werden, sehr von dieser Großen Anfrage profi- Fraktion, vorneweg Herr Merz, hat sich in einer Großen tieren. Von daher sage ich: Alle, die daran mitgewirkt ha- Anfrage, auch im Hinblick auf die Evaluation des Kinder- 8086 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 ben, haben etwas Sinnvolles getan; denn sie haben damit Sie das ganze Geld ausgegeben, das man zur Stärkung hät- die Möglichkeiten verbessert, unsere Politik zu gestalten. te ausgeben können? War das jetzt die Antwort auf die Kritik? Dann haben Sie nicht zugehört. (Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP und der SPD) Es zeichnet sich – im Hinblick auf das, was wir gestern Abend in der Sitzung des Sozial- und Integrationspoliti- Ich glaube, es wird mir ein bisschen klarer werden, wie Sie schen Ausschusses besprochen haben – ein Bild von den denken, auch damit wir die Zukunft planen und unsere po- Auswirkungen der Beitragsfreistellungen ab, wie sie von litische Argumentation daran ausrichten können, wenn Sie der Landesregierung organisiert werden. Allerdings war uns einmal erläutern, wodurch sich Ihre Argumentation der Organisierungsgrad der Landesregierung auch schon verändert hat. einmal besser; denn die Auskünfte, die sie zu den Umset- Wenn ich mir die Zahlen anschaue, dann ergibt sich bei zungen und den konkreten Maßnahmen gegeben hat, hät- den Ausbildungszahlen, die hier vorliegen, wenn nicht ten schon ein bisschen besser sein können. Es zeigt aber kurzfristig, aber zumindest mittelfristig, signifikant das Po- auch, dass ein gewisser Diskussionsprozess von Ihnen tenzial, die Qualität in Kindertageseinrichtungen mit aus- nicht aufgenommen worden ist. reichend Personal voranzutreiben. Wenn ich mir bei den Wir hatten einen Kindergartengipfel zur Auswertung der Erziehern die Teilzeitquoten anschaue, sowie dass es noch Evaluation des Kinderförderungsgesetzes. Dort ist – nicht immer befristete Arbeitsverhältnisse im zweistelligen Be- überraschend – auf systematische, uns schon immer be- reich gibt, dann ist es schon so, dass es vielleicht Reserven kannte Mängel des Gesetzes hingewiesen worden. Ich mei- gibt, die man zur Verbesserung der Qualität heben könnte. ne, wenn man ernsthaft über eine Politik zur Verbesserung Es war interessant, auch das aus dieser Anfrage herausle- der Qualität unserer Kindertagesstätten sprechen wollte, sen zu können. Von daher war die Arbeit, die hineinge- hätte man sich in einem ersten Schritt im Plenum der Dis- steckt worden ist, sinnvoll. Ich bin einmal gespannt, wie kussion über das Kinderförderungsgesetz und über dessen meine Nachredner diese Zahlen interpretieren werden. Ich Auswertung stellen sollen. bin vor allem gespannt, wenn die Landesregierung hierzu etwas sagt, ob vielleicht zur zukünftigen politischen Ge- Überlegen Sie sich einmal, wie intensiv innerhalb der wichtung noch etwas Erhellendes kommt. Ansonsten wer- Community der Fachleute diskutiert worden ist, wie man den viele dieser Zahlen in der politischen Debatte weiter- sich eingebracht hat, dass man sich sehr lange zurückge- hin eine wichtige Rolle spielen. – Vielen Dank. halten und jetzt wieder die Punkte beschrieben hat, bei de- nen Handlungsbedarf besteht. Wenn man ein ernsthaftes (Beifall bei der FDP) Interesse an der Zusammenarbeit mit den Kommunen, den Trägern und den dort Aktiven, an der Qualität unserer Ein- richtungen und an den Kindern in Hessen überhaupt hätte, Präsident Norbert Kartmann: hätte man die Erkenntnisse dieses Gipfels nutzen und in ei- Das Wort hat Herr Kollege Bocklet, Fraktion BÜNDNIS nem ersten Schritt für eine Befriedung der Landschaft sor- 90/DIE GRÜNEN. gen können. (Beifall bei der FDP) Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aus meiner Sicht gehört dazu, dass man den vierten Be- treuungsfaktor finanziert. Sie können nicht erwarten, dass Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Kommunen oder Träger – egal wer in diesem Bereich un- Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage terwegs ist – nichts sagen, wenn sie sehen, dass Sie in dem liegt vor. Sie ist sehr umfangreich. Daher herzlichen Dank Bereich Geld in die Hand nehmen, gleichzeitig aber einen an all die Akteure, die daran mitgewirkt haben. Wenn- systematischen Mangel, den Sie kennen, einfach nicht ab- gleich nicht alle Fragen beantwortet werden konnten, fin- stellen wollen, obwohl Sie es könnten. det sich doch allein schon in der Vorbemerkung ein bemer- kenswerter Vorgang, dass fast eine Seite dafür draufgeht, Das ist ein Punkt, an dem ich mir denke: Wenn wir, die die Akteure aufzuzählen, die alle befragt werden mussten. kommunale Ebene, die Landesregierung, die aktiven Trä- Wer sich also alles damit befassen musste, um die Fragen ger, die Verbände und die Familien, das gemeinsam ins zu beantworten, nimmt etwa zwei Drittel dieser Seite ein. Auge fassen, müssen wir verantwortungsvoll miteinander umgehen. Das heißt, wir müssen uns auch ernst nehmen. Dies zeigt eigentlich auch das Dilemma, was nicht schön Dass wir unsere Interessen nie hundertprozentig in Über- ist, nämlich dass die Hessische Landesregierung selbst einstimmung bringen werden, liegt wahrscheinlich daran, nicht alle Zahlen erfassen kann, sondern immer Hilfe dass wir aus verschiedenen Blickwinkeln darauf schauen. braucht. Darüber kann man sich ärgern, aber man kann es Aber man sollte nicht einfach sagen: „Hier ist ein Bericht nicht instrumentalisieren. Wenn die Kommunen selbst für vorgestellt worden, es gibt Kritik und Überlegungen“, und die Bedarfsplanungen zuständig sind, und das sind sie, ihn dann zu den Akten legen und erklären: Jetzt machen dann kann man sich hierüber ärgern, wenn sie nicht in der wir etwas anderes. – Man sollte die Dinge schon in gewis- Lage sind, die Zahlen so beizubringen, dass man sie tat- sen nachvollziehbaren Schritten abarbeiten. sächlich belastbar diskutieren kann. Ich warte bis heute auf eine Erklärung von CDU und Ich möchte aus der Vorbemerkung gern noch einen Passus GRÜNEN, warum man diesen Schritt der Beitragsfreistel- zitieren. Der Hessische Städte- und Gemeindebund wird lung gegangen ist, bevor man all die anderen Schritte ge- auf Seite 2 wie folgt zitiert: macht hat, die im Raum standen und die hier von Ihnen Belastbare Daten liegen uns zur Beantwortung der auch angekündigt wurden. Sie haben gesagt, Sie werden meisten Fragen nicht vor. Es war und ist aus perso- im Hinblick auf das Kinderförderungsgesetz etwas tun. Ist nellen Gründen auch nicht möglich, bei über 400 das mit diesem Gesetzentwurf obsolet geworden? Haben Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8087

Mitgliedern Umfragen zum Erhalt der fehlenden Da- welchen durchschnittlichen Quoten Alarm zu schlagen, ten durchzuführen. sondern man muss genau hinschauen. Zum anderen ist es offensichtlich, dass es tatsächlich noch zu Engpässen Jetzt wird es noch schöner: kommt. Wenn ich dann auf Seite 9, unten, für den sozial- Fraglich ist zum Teil auch, zu welchem Zweck die demokratisch regierten Vogelsbergkreis lese: „In 40 % der einzelnen Fragen gestellt werden. Insofern sollte der Gemeinden fehlen Ü-3-Plätze“, also Kindergartenplätze – Aufwand im Verhältnis zum Ergebnis bedacht wer- und das Kindergartengesetz haben wir nun schon sehr lan- den. Jedenfalls können wir nur allgemein nach den ge –, muss man tatsächlich einmal darüber nachdenken, derzeit vorliegenden Erkenntnissen zu den gestellten warum das eigentlich so lange nicht problematisiert und Fragen Stellung nehmen. verbessert wurde. Man muss noch eine ganze Menge tun, aber das hat um Gottes willen nichts damit zu tun, dass es Es liegt mir völlig fern, irgendwelche Schuldzuweisungen die jeweilige Hessische Landesregierung verschläft, son- zu machen, aber umgekehrt kann man sie dann auch nicht dern der sozialdemokratische Landrat, wenn man das ein- von anderer interessierter Seite machen, wenn schon der mal so sagen darf. Städte- und Gemeindebund für sich reklamiert: Wir geben Ihnen keine Antworten, weil es so aufwendig ist. – Wenn (Heike Hofmann (SPD): Das hat etwas mit der Au- der Landkreistag ähnlich antwortet, dann ist es schwierig, torität der Kommunen zu tun! – Gegenruf des Abg. tatsächlich zu sagen: Liebe Landesregierung, ihr seid Manfred Pentz (CDU): Frau Hofmann erklärt das schuld. gleich!) (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Es bleibt aber ein Problem. Wenn von der SPD sowie von der CDU) Abg. Merz der Versuch unternommen wird, aufgrund eines angeblichen Desinteresses usw. die Schuld bei der Landes- Das ist die rote Linie, die sich durchzieht. Wenn man weiß, regierung zu suchen – nur deshalb reagiere ich darauf –, dass tatsächlich die Landkreise, Städte und Gemeinden zu- dann finde ich es, um im Bild zu bleiben, wirklich Kinder- ständig wären, den Bedarf von Ü 3 und U 3 festzustellen, gartenkram, zu fragen, wer nun der Schuldige sei. Fakt ist, dann ist es schon ganz spannend, dass viele Zahlen nicht dass in den zuständigen Gemeinden offensichtlich Plätze vorgelegt werden konnten. Wenn ich diese Provokation ein fehlen. Fakt ist wohl auch, dass sie dies nicht ordentlich bisschen annehmen wollte, wozu meine Lust am Abend beplanen. Wir als Land können Folgendes tun: Wir können des dritten Plenartages relativ gering ist, sei mir die Be- die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass sie das tun; merkung gestattet, dass wir in den Kreisen Darmstadt-Die- wir stellen weitere 86 Millionen € für Investitionskosten burg, Groß-Gerau, Gießen, Lahn-Dill, Main-Kinzig, Mar- zur Verfügung, burg-Biedenkopf, Odenwald, Schwalm-Eder, Vogelsberg, Waldeck-Frankenberg, Werra-Meißner, Wetterau oder (Gerhard Merz (SPD): Wessen Millionen? – Heike Wiesbaden sozialdemokratische Regierungen haben, ent- Hofmann (SPD): Ja, vom Bund!) weder durch Landräte, Dezernenten oder andere hauptamt- die, wie wir fairerweise sagen, vom Bund kommen. Wir lich Verantwortliche. Daher muss man sich schon die Fra- behalten sie aber nicht; wir haben keine klebrigen Finger; ge stellen, wenn Sie mit einem Finger auf die Landesregie- wir geben sie gern weiter. Wenn die Leute dort ihre Plätze rung zeigen, weil nicht bedarfsgerecht geplant werde, ob ausbauen wollen, dann können sie dies tun. Ich freue mich nicht mindestens vier Finger auf diese sozialdemokrati- auf Ihre Anfrage an Herrn Landrat Görig, wie er denn dazu schen Hauptverantwortlichen zeigen. Das muss man in die- kommen will, minus 40 % an Plätzen nachzuholen. Wir sem Hause ruhig einmal sagen dürfen. sind darauf gespannt, was sein Plan ist, um diesen Ausbau (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und an Plätzen nachzuholen. Wir stehen dem runden Tisch im der CDU) Vogelsberg auch gern zur Seite. Was immer wir tun kön- nen, werden wir tun. Ich finde, wenn man als SPDler vor Ort für die Bedarfspla- nungen zuständig ist und die Zahlen nicht liefern kann – (Manfred Pentz (CDU): Ja!) daran sind manchmal auch GRÜNE beteiligt, – Ich sehe den Kollegen von der CDU, der gerade nickt. (Heike Hofmann (SPD): Ja, eben!) Ich glaube, das gehen wir gern gemeinsam an. – So viel zu diesem Thema. aber wir GRÜNE haben diese Anfrage nicht eingebracht; wir haben auch keine Schuldzuweisungen betrieben –, (Manfred Pentz (CDU): Herr Kollege Merz erklärt dann sollte man die Fragen vielleicht einmal denjenigen gleich, was dort schiefläuft!) stellen, die dafür zuständig sind. Das wäre in dieser Situati- – Ich habe die Wette gewonnen; es gelingt mir, den Kolle- on vielleicht angebracht. gen Merz zur dritten Runde zu provozieren. Ich hoffe, Sie (Manfred Pentz (CDU): Ja, die Sozis!) sind mir nicht zu sehr gram. In der Tat sind die wenigen Zahlen, die vorliegen, nicht Darüber hinaus haben wir andere Fragen zu beantworten. nur befriedigend. Ich sage Ihnen einmal ein Beispiel; denn Eine andere Frage lautet: Fachkräftemangel, ja oder nein? auf Seite 9 wird ausgeführt, der Landkreis Marburg-Bie- – Natürlich gibt es diesen Fachkräftemangel, aber auch denkopf melde eine „heterogene Situation“. hierauf gibt es zu der Großen Anfrage eine Antwort. Wir haben zumindest eine positive Tendenz, wenn wir noch Während in einigen Kommunen vereinzelt Gruppen 2010 von 4.500 Ausbildungsplätzen sprachen und 2016 – wegen eines Überangebotes an Ü-3-Plätzen – ge- von fast 9.000 Ausbildungsplätzen sprechen. Daher kön- schlossen werden mussten, bestehen in anderen nen wir von einer positiven Tendenz bei der Erzieherin- Kommunen Versorgungsengpässe … nenausbildung sprechen. Dass das nicht reicht, ist unstrit- Damit werden zwei Dinge beschrieben: Zum einen ist es tig. Aber man kann auch nicht das Bild stellen, wie Sie das sehr heterogen, und es ist eben nicht einfach nach irgend- genüsslich tun wollen, nach dem Motto: „Da passiert ja 8088 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 nichts; die verstehen den Gong nicht; die reagieren nicht“. entlastet werden müssen. Das bezieht sich auch auf die Be- Das ist so eine Verdoppelung dieser Zahlen, daher kann treuung der Kinder unter drei Jahren. Das sind doch alles man das beim besten Willen nicht tun. Diese Provokation Felder, die wir sehen. Da ist doch kein Mensch blind. geht ins Leere. Nur, wer regiert, muss es seriös finanzieren, muss schritt- (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und weise vorgehen, muss Konzepte vorlegen. Jetzt liegt ein der CDU) Konzept vor. Ich finde, es ist ein gutes Konzept. Es wird jetzt in der Fachwelt diskutiert. Wie immer, kann man alles Herr Merz, da Sie sicherlich noch einmal reden werden, besser machen. Unser Konzept ist im Gegensatz zu dem, weil Sie immer gern und viel reden, und wir uns auf Ihre was mir sonst bekannt ist, wenigstens seriös durchdacht weitreichenden Ausführungen freuen, nenne ich Ihnen gern und konzipiert. – Ich danke Ihnen. noch einmal das Stichwort „Landeselternbeiräte“. Auch dazu finde ich die Antwort auf die Große Anfrage sehr (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und hilfreich. Man kann sehen, dass es doch tatsächlich drei der CDU) Bundesländer gibt, die keine Landeselternbeiräte haben. Auch diese werden sozialdemokratisch regiert. Auch dort hat der Untergang des Abendlandes offensichtlich noch Präsident Norbert Kartmann: nicht begonnen. Eine Kurzintervention ist von Herrn Kollegen Merz bean- Man kann darüber diskutieren, wie man die Interessenver- tragt. tretungen auf Landesebene organisiert, ob das Ausschüsse sind, ob das im Jugendhilfeausschuss passiert, oder wo im- mer sich Menschen treffen können. Aber der Empörungs- Gerhard Merz (SPD): grad sollte sich doch, wenn Sie regieren, an den Sozialde- Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich nehme zur mokraten messen. Diese machen das ansonsten auch. In Kenntnis, dass der Kollege Bocklet leicht zu provozieren den drei genannten Bundesländern machen auch Sie es ist. Ich hatte ihn gar nicht angesprochen, wenn ich mich nicht. Von daher: Drehen wir doch einfach die Temperatur recht entsinne, und ich fand auch, dass ich für meine Ver- um ein paar Grad runter. hältnisse ziemlich moderat war. Wie dem auch sei, ich will (Günter Rudolph (SPD): Bedeutender Beitrag!) zwei bis drei Dinge sagen. Ich finde, da sind interessante Hinweise drin. Ich finde (Manfred Pentz (CDU): Sie sind so bescheiden!) auch, dass die Anzahl der betreuten Kinder – wie wir wis- – Manch einer hat auch Grund, bescheiden zu sein. sen, reden wir nicht von Platzzahlen, sondern von der An- zahl der betreuten Kinder – deutlich zugenommen hat. Ich (Manfred Pentz (CDU): Die merzsche Bescheiden- finde auch, dass die Betreuungszahlen recht hoch liegen. heit!) Sie müssen immer noch besser werden. Wir kennen doch Erstens. Herr Kollege Bocklet, manchmal ist eine Frage die ganzen Baustellen. nur eine Frage. Manchmal sind auch ganz viele Fragen zu- In meinen letzten zwei Minuten will ich noch sagen – ich nächst einmal nur Fragen. Wir haben Fragen gestellt, um will mich nicht dem Vorwurf aussetzen, irgendetwas eine Geschäftsgrundlage für eine weitere Debatte zu be- schönzureden; das habe ich schon häufig betont –: kommen. Wir haben Fragen gestellt, von denen wir der Auffassung sind, dass eine Landesregierung sie beantwor- (Gerhard Merz (SPD): Ach nee!) ten können muss. Das war der Punkt. Kinderbetreuung ist ein historischer Prozess, in dem wir Mit diesen Fragen ist überhaupt noch keine Kritik verbun- uns befinden. Wir wissen, dass es erst seit 1994 einen den. Sie haben so getan, als sei es schon eine Majestätsbe- Rechtsanspruch für die Betreuung von Kindern über drei leidigung, die Landesregierung irgendetwas zu fragen. Jahren gibt und seit 2012 für die Betreuung von unter Drei- jährigen. Wir wissen, dass die Professionalisierung erst seit (Beifall bei der SPD) zwei Jahrzehnten eingesetzt hat. Wenn man das mit der Das kommt aus dem Munde von jemandem, der die letzte Schule vergleicht, in der es seit 100 Jahren die Schulge- Legislaturperiode damit zugebracht hat, die Landesregie- setze gibt, dann stellt man fest, dieser Professionalisie- rung danach zu fragen, wie viele Plätze eigentlich fehlen, rungsprozess geht mit großen und rasanten Schritten voran. wie viele vorhanden sind, wie viele sie zu finanzieren ge- Von den 510 Millionen €, die wir zur Verfügung stellen, denkt und wer das Geld aufbringt. Da sind Sie genau der sind 440 Millionen € für die Beitragsfreiheit, 86 Millio- Richtige, uns in dieser Beziehung Vorhaltungen zu ma- nen € für die Investitionskosten und 50 Millionen € für die chen. Qualität – weil Sie uns nach unserer grünen Linie gefragt haben, Herr Rock. (Zuruf des Abg. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) Das ist auch die Linie der Hessischen Landesregierung. Wir investieren in den Ausbau und in die Qualität und Zweitens. Sie haben das Spiel betrieben, dass Sie anderen gleichzeitig in eine familienpolitische Entlastung. Keiner etwas vorwerfen. Sie haben mit Fingern auf Leute gezeigt, der Rednerinnen und Redner von CDU und BÜNDNIS nur dass bei Ihnen die Finger auf Leute gerichtet waren, 90/DIE GRÜNEN würde behaupten, dass es sich um das die nicht zuständig sind. Sie haben mit Fingern auf die Ende des Prozesses handelt. Landkreise gezeigt, die für die Frage des Ausbaus, der Fi- nanzierung und der Unterhaltung von Kinderbetreuungs- Wir wissen um die Baustellen, wir wissen, dass weiter das einrichtungen nun wirklich die Letzten in der Zuständig- Personal in den Kitas belastet ist. Wir wissen, dass es nach keitskette sind. Die Landkreise haben eine Aufgabe in der wie vor längerer Betreuungszeiten bedarf. Wir wissen, dass Gesamtplanung, sie haben eine Aufgabe in der Fachbera- auch die Qualität besser werden muss und die Familien tung und in der Kindertagesstättenaufsicht. Sie sind aber Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8089 nicht für den Ausbau, die Bedarfsberechnung und schon zuständig sind. Machen Sie doch diesen Druck bei Ihren gar nicht für die Finanzierung zuständig. sozialdemokratischen Kollegen, damit sie endlich die Zah- len liefern. Dann wüssten wir tatsächlich auch noch mehr. Insofern ist es völlig unerheblich, ob in Marburg-Bieden- kopf eine sozialdemokratische Landrätin oder, wie bis vor Sie wollten zwar den Eindruck erwecken, die Landesregie- bis nicht allzu langer Zeit, eine schwarz-grüne Koalition rung habe keine Ahnung. Es ist doch austauschbar, in wel- regiert hat, ob im Vogelsberg der Kollege Görig oder, in chem Bereich CDU, SPD oder GRÜNE regieren. Vor Ort den Jahren bis 1999 zurück – da kommen wir immer an, sind andere zuständig. Ihre Große Anfrage ist schlicht und wenn die Kollegin Wiesmann die Zahlen vorträgt –, ergreifend in sich zusammengefallen, weil benannt worden ist, was zu benennen ist. Sonst hätten Sie doch jede einzel- ne Zeile zitiert, was skandalös ist. Skandalöses ist aber dar- Präsident Norbert Kartmann: in nicht zu finden. Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende. Was als Botschaft übrig bleibt, ist: Erstens macht die Lan- desregierung eine ganze Menge. Das stinkt Ihnen. Zwei- tens. Die Landesregierung sieht noch weitere Handlungs- Gerhard Merz (SPD): felder und wird sie angehen. Das stinkt Ihnen auch. Und ein paar Christdemokraten Landräte waren. Das können Sie sagen, Opposition sei auch nicht immer Mist. – Wie Sie sich echt schenken. Wenn Sie tatsächlich glauben, dass Kollege Boddenberg es gesagt hat, sage ich es auch: Blei- das ein Argument ist, dann zeigen Sie nur, dass Sie von ben Sie in der Opposition, wir machen weiter so, solides Zuständigkeiten im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe Regieren. keine Ahnung haben. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sa- (Beifall bei der SPD) bine Waschke (SPD): Hochmut kommt vor dem Fall!)

Präsident Norbert Kartmann: Präsident Norbert Kartmann: Zur Erwiderung, Herr Kollege Bocklet. Das Wort in der Debatte hat Frau Kollegin Schott für die Fraktion DIE LINKE. Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Marjana Schott (DIE LINKE): Herr Kollege Merz, zu der Frage, wer hier was wozu kom- mentieren darf: Wir sind alle frei gewählte Abgeordnete. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Bocklet, Offensichtlich tun Ihnen meine Entgegnungen weh. Ich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema dieses will Ihnen in zwei Bemerkungen sagen, was ich meine. Tagesordnungspunkts wäre durchaus angemessener. Zu diesem Thema gibt es eine Menge zu sagen, statt sich hier Erstens. Sie behaupten, Sie hätten hier nur Fragen gestellt, merkwürdige Wortschlachten mit dem Kollegen Merz zu Fragen um der Fragen willen. Keiner im Saal, außer Ihnen, liefern, nur um zu sehen, wer der bessere und schnellere ist von solcher Naivität geprägt, das zu glauben. Rhetoriker ist. Inhaltlich gibt es hier wirklich eine Menge (Gerhard Merz (SPD): Eine Große Anfrage ist eine Beratungsbedarf. Den kann man vonseiten der Regierungs- Große Anfrage!) fraktionen durchaus so gestalten, dass man die Stellen, an denen die Regierung glaubt, sie habe ihr Soll erfüllt, gut Sie haben von Anfang an, auch gestern, der Landesregie- hervorhebt. Dem spricht nichts entgegen. Es bleibt für uns rung vorgeworfen, sie hätte keine Ahnung davon, wie die noch genug Raum für Kritik übrig; denn es gibt noch genü- Situation der Platzbetreuung in Hessen ist. Die Landesre- gend Kritik. Mit der sollte man auch souverän umgehen gierung wisse nicht, worum es gehe und wie die Situation können. draußen sei. Das wiederholen Sie mantraartig auf jeder Po- diumsdiskussion. Mit dieser Großen Anfrage wollten Sie (Beifall bei der LINKEN und des Abg. Gerhard dokumentieren, dass die Landesregierung keine Ahnung Merz (SPD)) hat. Das Problem ist, dass es denjenigen auf die Füße fällt, Es würde einer Regierung und den sie tragenden Fraktio- die dafür zuständig sind. nen auch gut anstehen, dass sie Kritik ertragen können, Wenn Sie jetzt von den Landkreisen sprechen, dann erwi- dass sie damit umgehen, darauf reagieren und Abhilfe dere ich, dass ich in der Kürze der Zeit nicht die Gelegen- schaffen. Da gibt es immer noch ganz schön viel Luft nach heit hatte, alle Städte und Gemeinden aufzuzählen, in de- oben; denn nur Arroganz allein hilft nicht. nen auch die Sozialdemokraten zuständig sind. Den Spaß (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der können wir uns machen. Wir haben in Hessen 426 Ge- SPD) meinden. Darunter wird es auch eine große Anzahl von so- zialdemokratisch geführten Städten und Gemeinden geben. Frau Wiesmann, ich würde gerne an das Ende Ihrer Rede Sie gewinnen ja auch oft Bürgermeisterwahlen. Wenn Sie anknüpfen. Sie haben gesagt, dass Sie es höchst bedenklich wollen, bringe ich Ihnen einmal so eine Liste mit einem finden, wenn Kinder unter einem Jahr 45 Stunden und Überblick, wo Sie regieren und wo es offensichtlich mit mehr betreut werden. Ich bin da ganz an Ihrer Seite. Ich der Bedarfsplanung auch nicht klappt. finde es auch nicht erstrebenswert. Ich finde es auch nicht erstrebenswert bei Kindern über einem Jahr. Ich weiß auch Wenn Sie nur Fragen über Fragen stellen, wollen Sie den nicht, ob ich es bei Zweijährigen oder bei Dreijährigen er- Eindruck erwecken, die Landesregierung habe keine Ah- strebenswert finde. nung. Dann gilt gleiches Recht für alle. Wenn dem so wä- re, dann wäre es zutreffender, die Menschen zu fragen, die 8090 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

Ich glaube, dass Kinderbetreuung eine wichtige Einrich- um ein Viertel mehr geworden ist. Allerdings sind die Her- tung, auch eine Bildungseinrichtung ist. Ich bin überzeugt ausforderungen auch viel größer geworden. Es gibt mehr davon, dass die Kinderbetreuung Kindern viel mit auf den Kinder unter drei Jahren, eine höhere Betreuungsquote, Weg gibt. und die Kinder sind mehr Stunden in der Kita. Auch das braucht mehr Personal. Inklusion braucht mehr Personal, Ich bin auch der Meinung, wie Sie gesagt haben, dass El- Sprachförderung braucht mehr Personal. Da bleibt nicht tern und Kinder gern mehr Zeit miteinander verbringen mehr viel für die Qualitätsverbesserung übrig. wollen. Aber dann nehmen Sie doch auf die mögliche Rei- se mit, dass es in der Regel zwei Gründe dafür gibt, warum Es ist ja eher so, dass in den Kommunen, die Schwierigkei- Kinder so lange betreut werden. ten mit ihrem Haushaltsausgleich oder den Schulden ha- ben, seit der Einführung des Hessischen KiföG der Perso- Das eine ist schlicht und ergreifend die Arbeitsplatzsituati- nalschlüssel reduziert wird. Dies führt aber zu einer hohen on der Menschen einschließlich der Wegesituation und der Belastung des Personals, das sich dann entweder eine an- inzwischen vielfach gleichwertigen Karriereplanung von dere Arbeitsstelle sucht oder die Arbeitszeit reduziert. Da Männern und Frauen. Wenn Frauen es sich nicht leisten beißt sich die Katze in den Schwanz. können, länger als ein halbes Jahr auszusteigen, ohne einen solchen Karriereknick hinnehmen zu müssen, dass sie ihn Ein Siebtel der Fachkräfte ist auch noch befristet ange- nie wieder aufholen können, dann gibt es in dieser Gesell- stellt, was nicht zur Arbeitszufriedenheit und Kontinuität schaft noch viel Aufholarbeit für Frauen am Arbeitsmarkt. beiträgt. Besonders peinlich ist die Antwort auf die Frage nach dem Fachkräftebedarf und danach, wie ihn die Lan- Das zweite Thema ist schlicht und ergreifend die Einkom- desregierung decken will. Erst einmal weiß sie nicht, wie menssituation der Familien, die es sich nicht leisten kön- viele gebraucht werden. Ich werde Ihnen diese Arbeit nicht nen, weniger Einkommen zu haben. Wir haben diese Wo- abnehmen. che an einem parlamentarischen Abend ganz viel über Ent- wicklung der Arbeit und Arbeit für null gehört. Ich glaube, (Minister Stefan Grüttner: Brauchen Sie auch nicht!) wir können ernsthaft wieder über Arbeitszeitverkürzungen Dass Sie das aber in Ihrem Ministerium nicht leisten kön- nachdenken. Das sollten wir auch tun. Denn dann haben nen, kann ich nicht glauben. Dabei hat sich die Landesre- die Familien eine Chance, ihre Kinder betreuen zu lassen gierung bereits bei der demografischen Rendite der und sie trotzdem noch selbst zu erziehen. Das ist nämlich Schulen verrechnet. Ich habe es bereits gestern und auch in kein Widerspruch. Denn wenn man nicht den ganzen Tag der Vergangenheit gesagt: Wir werden den Fachkräfteman- damit verbringen muss, zur Arbeit zu hechten, zu arbeiten, gel nicht beheben, wenn wir nicht die Bedingungen in der zur Kita zu hechten, zum Einkaufen zu hechten, dann frühkindlichen Bildung verbessern. schafft man es auch noch, das zusammen zu packen. Dazu gehört die Bezahlung, auch die Möglichkeit, die Wenn Sie das mit auf den Weg nehmen, dann wäre das ei- Ausbildung zu durchlaufen, ohne dass die Familien da- ne gute Situation. Wenn wir das gemeinsam erreichen kön- durch finanziell zu stark belastet werden. Dazu gehört aber nen, dann ist es großartig für die Familien, für die Eltern in erster Linie ein gutes Arbeitsklima mit einer hohen Per- und insbesondere für die Kinder. Das sollte das Ziel sein. sonalkontinuität und einer guten Personalausstattung. Denn dann muss kein Kind mehr über 40 Stunden betreut werden. Das kann in Wirklichkeit niemand wollen. Wenn man bei der Arbeit immer auf dem Zahnfleisch läuft, kommt es schneller zu Erkrankungen, damit zu (Beifall bei der LINKEN) Mehrbelastungen der Kolleginnen und in der Folge zu Ich will jetzt nicht noch einmal die Debatte über beantwor- chronischen Erkrankungen und Kündigungen oder zu Be- tete oder nicht beantwortete Fragen aufmachen. Wir haben rufswechseln. Damit tun wir uns einen Bärendienst. einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz, mindes- Somit kommen wir zu einem zweiten Ziel. Die Kitas brau- tens bis zum Beginn der Schulpflicht. Immerhin ist be- chen eine ausreichende Personalausstattung. Das KiföG kannt, dass ein Viertel der unter Dreijährigen und 83 % der muss dringend in Bezug auf die Leitungsfreistellung und über Dreijährigen in einer Kindertageseinrichtung betreut die mittelbare pädagogische Arbeit nachgebessert werden. werden. Das muss endlich passieren. Alle sind sich darin einig. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Land- (Gerhard Merz (SPD): Ja!) kreis Kassel – das möchte ich einmal sagen, denn ich kom- me da her – demnächst fast 100 % der zweijährigen Kinder Interessant sind auch die Betreuungszeiten. Mehr als ein in einer frühkindlichen Bildung haben will. Diese Anstren- Drittel, genauer gesagt, 36 %, sind für mehr als 45 Stunden gung verdient aus unserer Sicht Hochachtung, wenn man in der Woche angemeldet. Das wäre dann ein Ganztags- das damit vergleicht, dass es ansonsten nur 54 % sind. platz, der offensichtlich auch eine Ganztagsarbeit möglich macht. Die Zahlen steigen aber auch. Die Bemühungen der Träger und Kommunen, mehr Kinder ab dem ersten Lebensjahr in den Einrichtungen zu be- Mindestens 56 % der Eltern werden auch im nächsten Ki- treuen, verdient Unterstützung durch das Land. Alle Kreise tajahr Elternbeiträge leisten müssen. Da wird es sicher haben hier Bedarf angemeldet. Kinder können so frühzeitig auch einmal eine Gemeinde geben, die den Eltern auch die die Erfahrung einer größeren Gemeinschaft machen, und restliche Zeit beitragsfrei stellt. Aber die Mehrheit der Ge- sie werden von gut ausgebildeten Fachkräften gefördert. meinden wird eher die Beiträge für die restliche Zeit erhö- Wir brauchen also mehr Plätze für die Kinder und für die hen. Da brauchen wir uns doch gar nichts vorzumachen. Es Eltern. wird auch ein paar Kinder geben, die dann exakt auf die sechs Stunden angemeldet werden. Auch das werden wir Ein weiteres zentrales Thema liegt bei der Qualität der erleben, und das hat dann sicherlich auch wieder etwas mit frühkindlichen Bildung, und das ist der Einsatz von genü- Geld zu tun. gend gut qualifiziertem Personal. Es ist durchaus positiv, dass das pädagogische Personal innerhalb von acht Jahren Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8091

Es bleiben aber immer große Unterschiede in Bezug auf Das ist der Gegenpart zu Ihrer Aussage, das sei kommuna- die Elternbeiträge im Land. Bei den unter Dreijährigen gibt le Selbstverwaltung. Sie haben die Verpflichtung, sie fi- es Unterschiede zwischen 75 und 700 € im Monat. Bei den nanziell auszustatten. über Dreijährigen kostet der teuerste Platz ohne Verpfle- (Beifall bei der LINKEN) gungsgeld 300 €. Gleiche oder auch nur ähnliche Lebens- verhältnisse stellt das Land mit dieser Politik nun einmal definitiv nicht her – auch nicht nach der Neuregelung. Präsident Norbert Kartmann: Witzig finde ich auch die Bemerkung, dass über die Aus- Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen. weitung der Beitragsfreistellung „im Gesamtkontext der Entwicklungen und Anforderungen in der frühkindlichen Bildung und Erziehung entschieden werden“ müsse. Marjana Schott (DIE LINKE): (Gerhard Merz (SPD): Ja!) Wenn jetzt die Beitragsbefreiung wieder teilweise aus dem Da war nicht die frühkindliche Entwicklung der Maßstab, Kommunalen Finanzausgleich finanziert werden soll und sondern der Bundestagswahlkampf und die Landtagswahl den Kommunen die Elternbeiträge nicht vollständig ersetzt im nächsten Jahr. Das ist so eindeutig wie das Amen in der werden, dann geht die Konnexität vollständig zum Teufel. Kirche. Das kann man aus den Zeitabläufen sehr genau Das kann nicht das Ziel sein, wenn Sie hier sagen, Sie wol- herauslesen. len Kommunen und Eltern entlasten. Sie können nicht die einen zulasten der anderen entlasten, und Sie selbst sind Deshalb ist das dritte Ziel, Kitas kostenfrei zu machen, da- fein raus, und das Ganze machen Sie fünf Wochen vor ei- mit es für Eltern keine finanzielle Frage mehr ist, ob ihr ner Wahl. Kind die Vorteile der vorschulischen Bildung nutzen kann oder nicht. „Kostenfrei“ bedeutet dann ernsthaft kostenfrei Es gäbe noch eine Menge mehr zu sagen zum Thema In- und nicht nur ein Teil, ein bisschen und nur für bestimmte klusion. Es gäbe noch eine Menge mehr zu frühkindlicher Bereiche. Pädagogik und Elternvertretungen zu sagen, die sie in die- sem Land auch nicht wollen. Überall sonst gibt es Eltern- Wer trägt denn die Kosten? – Ich hoffe, wir sind uns einig, vertretungen landesweit. Sorgen Sie dafür, dass das auch in dass überwiegend die Kommunen die Kosten tragen. Aus Hessen möglich wird. Dann werden die Dinge ein bisschen dem Evaluationsbericht wissen wir, dass es durchschnitt- ernsthafter zu betrachten sein. Aber ich nehme an, Sie ha- lich 59 % bei den kommunalen Einrichtungen sind. Bei ben auch davor ein bisschen Schiss. den freien Trägern sind es knapp 50 %. An manchen Orten sind es aber bis zu 75 % der Kosten. Auch wenn das KiföG (Beifall bei der LINKEN) die Kommunen prozentual leicht entlastet, steigen die Auf- wendungen in den Kommunen durch die Bereitstellung Präsident Norbert Kartmann: von mehr Plätzen und Angeboten. Das ist aber ihre gesetz- liche Pflicht. Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Staatsminister Grüttner. Wie sieht es mit der Gegenfinanzierung dieser Verpflich- tung aus? – Die Regierungsfraktionen und die Landesre- Stefan Grüttner, Minister für Soziales und Integration: gierung werden jetzt wieder mit nichtssagenden Summen um sich werfen – nur verbal selbstverständlich, nicht mit Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Geldscheinen. Es ist ein sehr umfangreicher Fragenkatalog, der der Großen Anfrage hier zugrunde gelegen hat. Natürlich gab Aber es ist nicht einmal ersichtlich, welche Mittel vom es zwischenzeitlich die Vorlage des Evaluationsberichts Land und welche vom Bund kommen. Es ist doch keine zum Kinderförderungsgesetz. Insofern hat sich eine Reihe Nettigkeit, dass das Land die Kinderbetreuung finanziell von Dingen überschnitten, die letztendlich auch durch den unterstützt. Schließlich hat es die Aufgabe, die kommunale Evaluationsbericht schon beantwortet gewesen sind und Selbstverwaltung zu finanzieren und nicht vollständig aus- die an dieser Stelle dann eben auch im Kontext mit diesem zubluten und die Kommunen zu Taschengeldempfängern Bericht zu sehen sind. Ich will auf ein paar Punkte einge- zu degradieren, wie es mit Schutzschirm und Hessenkasse hen. gemacht wird. Denn weder aus Gewerbe- noch aus Grund- steuern und auch nicht aus den Elternbeiträgen ist eine gute Zum einen ist eine sehr grundsätzliche Aussage darüber zu frühkindliche Bildung zu finanzieren. machen, wie unterschiedlich wir gewisse Dinge sehen. Das hängt immer wieder damit zusammen, wo Verantwor- Immerhin steht in Art. 137 Abs. 5 zum Thema kommunale tungsbereiche sind. Selbstverwaltung – und das muss man dann auch dazusa- gen, wenn Sie immer wieder sagen, die Kommunen seien Herr Merz hat gerade davon gesprochen, man brauche eine verantwortlich –: Landesbedarfsplanung. Das ist wieder der ursozialdemo- kratische Wunsch nach einer zentralen Steuerung und nicht Der Staat hat den Gemeinden und Gemeindeverbän- die Berücksichtigung von individuellen Bedürfnissen vor den die zur Durchführung ihrer eigenen und der Ort. übertragenen Aufgaben erforderlichen Geldmittel im Wege des Lasten- und Finanzausgleichs zu sichern. (Beifall bei der CDU – Zuruf von der SPD: Das ist Er stellt ihnen für ihre freiwillige und öffentliche Tä- doch Unfug!) tigkeit in eigener Verantwortung zu verwaltende Wir gehen in eine andere Richtung. Es ist Aufgabe der Einnahmequellen zur Verfügung. Städte und Gemeinden, ihre Bedarfsplanung darzustellen und diese in ihre örtlichen Jugendhilfeplanungen einzubau- en. Sie müssen die Bedarfe anmelden und sehen, wie sie tatsächlich gedeckt werden. Dazu bedarf es Quantität – das 8092 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 hängt in allererster Linie mit der Schaffung von Plätzen zu- Hier können auch die Mittel für den Platzbedarf von unter sammen – und natürlich Geld. Es gibt nicht eine einzige Dreijährigen abgerufen werden, sowohl was den Neubau Klage einer Kommune, dass nicht ausreichend Investiti- als auch den Umbau anbelangt. onsmittel und Investitionskostenzuschüsse seitens des Lan- Das ist auch gut. Ein steigender Bedarf hat ja etwas damit des und des Bundes oder nur des Bundes vorhanden seien. zu tun, dass bei den Eltern auch ein Mentalitätswechsel Nein, wir mussten sogar intensivst in mehreren Anschrei- stattgefunden hat. Die Betreuung von Kindern und Jugend- ben an die Kommunen dafür werben, dass sie die zur Ver- lichen in der Kindertagesstätte wird nicht nur als Aufbe- fügung stehenden Investitionsmittel überhaupt abrufen. wahrung und Betreuung, sondern in der Zwischenzeit zum Dann zu sagen, dass man seiner Verantwortung, den kom- Glück als frühkindliche Bildung angesehen. Da haben wir munalen Bedarf zu decken, nicht nachkommen bzw. ihn doch unglaublich viel erreicht, auch unter dem Gesichts- einfach negieren würde, das ist schlicht und einfach falsch. punkt, dass sich die Auffassungen von Eltern geändert ha- Das geht an der Realität vorbei. ben. Der zweite Punkt ist: Die Kommunen sind geradezu dank- Dass wir bei der Umsetzung des Rechtsanspruchs von U 3 bar dafür, dass sie vor dem Hintergrund der Möglichkeiten, innerhalb kürzester Zeit auf jetzt über 50.000 betreute Kin- ihren Bedarf zu decken, in der Zwischenzeit die Chance der gekommen sind, ist doch ein Erfolg, den man nicht haben, nur mit einer Rahmenbetriebserlaubnis für Plätze zu kleinreden muss. Dass in diesem Kontext natürlich auch arbeiten, um sowohl im U-3- als auch im Ü-3-Bereich, als der Bedarf der über Dreijährigen steigt, ist doch klar. Frü- auch in der Frage der Auslastung entsprechend flexibel her sind die Kinder häufig zu Hause betreut worden und handeln zu können. Das haben die Kommunen gewünscht, dann irgendwann, als sie ca. dreieinhalb waren, im Kinder- und das haben wir ihnen damit ermöglicht. garten angemeldet worden, weil es gerade mit dem Kinder- (Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD)) gartenjahr so passte. Heute wird doch kein Kind, das in der Krippe war, abgemeldet und später im Kindergarten ange- Das begrüßen sie ausdrücklich. Daraus abzuleiten, dass es meldet, sondern der Übergang ist fließend. Je mehr Kinder deswegen keinen Ü-3- und keinen U-3-Gesamtplan gibt, wir im U-3-Bereich haben, desto mehr werden es später im kann ich nicht nachvollziehen. Das ist immer noch kom- Ü-3-Bereich sein, und diese Entwicklung ist gut so. munaler Bereich. Das Land trägt dazu ganz erhebliche Mittel bei, die immer Dann wird ganz wild mit Zahlen hantiert, je nachdem, wie zur Unterstützung einer Aufgabe der kommunalen Selbst- es passt. Ich habe heute Morgen eine Presseerklärung der verwaltung dienen und nicht etwa eine Aufgabe ersetzen Freien Demokraten gelesen, in der sie wieder die Bertels- sollen. Das ist nicht die Aufgabe des Landes. Das bleibt mann-Zahlen von 23.000 fehlenden Plätzen zugrunde ge- nach wie vor so, wie es war. legt haben, die dauernd genannt worden sind. Jetzt akzep- tiere ich, dass die Landkreise keine Plätze schaffen, son- Dann sind wir bei der Frage von Fachkräften. Ich finde, es dern das ist überwiegend die Aufgabe der Städte und Ge- ist ein Erfolg, dass wir in der Zwischenzeit mit 8.500 in meinden, im Wesentlichen der kreisangehörigen, weil sie Ausbildung befindlichen Schülerinnen und Schülern einen größer sind. Dann verweise ich auf die Antwort auf die historischen Höchststand erreicht haben. Hier wird irgend- Große Anfrage, in der der Hessische Städte- und Gemein- etwas mit Wahlkampf erklärt. Das finde ich witzig. debund ausführt: Ich habe heute eine Erklärung von drei bedeutenden SPD- Zur Frage zum Ausbaubedarf bei Betreuungsange- Frauen gelesen – Frau Barley, Frau Dreyer und Frau Nah- boten für Kinder unter drei Jahren ist mitzuteilen, les –, die das Aktionsprogramm „Soziale Berufe stärken“ dass die Städte und Gemeinden in unserem Mitglie- aufgelegt haben. Wunderbar, das finde ich gut. Dann habe derbereich den in der Tendenz durchaus wachsenden ich mir einmal angeschaut, was sie denn machen wollen. Bedarf bei Betreuungsangeboten für Kinder unter Sie wollen die Vergütung von Erzieherinnen und Erziehern drei Jahren haben befriedigen können und absehbar und in sozialen Berufen Tätigen stärken, erhöhen. Ich frage auch weiter befriedigen werden. mich: Wie wollen sie das denn machen? Wollen sie jetzt jedem Anstellungsträger 5 € pro Stunde mehr für eine Er- Das ist die Auskunft von Städten und Gemeinden. Diese zieherin geben, damit er mehr bezahlen kann? Aussage ist sehr hoffnungsfroh und positiv. Das hat aber nichts mit irgendwelchen Bedarfen zu tun, die numerisch Als Nächstes heißt es dort: Wir wollen, dass diejenigen, festgestellt sind. die in sozialen Berufen tätig sind, ihre Karriere fördern, und damit wollen wir die Attraktivität des Erzieherinnen- An der Stelle wird auch deutlich: Das numerische Feststel- berufs und der sozialen Berufe steigern. – Dann wurden len von Bedarfen führt zu nichts, sondern wir müssen das dort noch drei blödsinnige Forderungen aufgestellt. Ich sa- vor Ort sehen. Es ist doch vollkommen klar, dass der Be- ge: Wenn ich auf einer solchen Ebene diskutiere, um Fach- darf in Ballungszentren deutlich höher ist als beispielswei- kräftemangel zu beseitigen, dann brauche ich – – se in ländlichen Bereichen. Dann mit der Gießkanne daran- zugehen, um jedem das Gleiche über eine Landesplanung, (Marjana Schott (DIE LINKE): Wer hat das denn eine Landesförderung par excellence anbieten zu können, heute gesagt? Niemand!) wird an einem qualitativen und quantitativen Ausbau von – Frau Barley hat es gesagt. Sie haben doch gerade von Betreuungsangeboten vorbeigehen. Wahlkampf gesprochen. In solchen Tagen muss man sich Genau die gleiche Aussage, die der Städte- und Gemeinde- immer anschauen, was solide ist und was nicht. bund getroffen hat, hat im Übrigen auch der Städtetag ge- Wenn ich die Aussagen in diesem Kontext ins Verhältnis troffen. Er hat gesagt: Wir würden uns nur wünschen, dass zu der Diskussion darüber setze, wie man die Attraktivität es auch entsprechende Investitionsprogramme für U 3 gä- des Erzieherinnenberufs steigern, wie man mehr Fachkräf- be. Dem sind wir mit unseren Förderrichtlinien für das te bekommen kann, dann stelle ich sehr deutlich fest: Das, jetzt gestartete Förderprogramm 2017 bis 2020 gefolgt. was die Landesregierung auf den Weg gebracht hat zur Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8093

Stärkung der Ausbildung, zur stärkeren Anerkennung von Dieses Zitat und den dazugehörigen Artikel können Sie in Erzieherinnern und Erziehern, mit der weiteren Bereitstel- der „Oberhessischen Presse“ vom 24. April 2017 nachle- lung von Ausbildungsplätzen, ist solide und gut. Den Weg sen. werden wir in Zukunft weitergehen und nicht irgendwelche (Beifall bei der SPD) Luftversprechungen machen. Das Zitat stammt vom ehemaligen Direktor des Amtsge- (Beifall bei der CDU) richts Marburg, Herrn Cai Adrian Boesken. Herr Boesken Deshalb will ich schon sehr deutlich sagen: Wir haben über hat im April dieses Jahres das Handtuch geworfen und das Maßnahmenpaket zur Kindertagespflege und die Inan- nicht nur seinem Amt als Amtsgerichtsdirektor den Rücken spruchnahme des Bildungs- und Erziehungsplans im Hin- gekehrt, sondern auch sein Amt als Richter an den Nagel blick auf die qualitative inhaltliche Arbeit unglaublich viel gehängt, um zukünftig in der Werkzeugbaubranche zu ar- gemacht. Wir haben in Bezug auf die Weiterentwicklung beiten. von der Integration zur Inklusion zusätzliche Mittel im (Heike Hofmann (SPD): Hört, hört!) HKJGB gesetzlich festgeschrieben. Dieser Akt des ehemaligen Marburger Amtsgerichtsdirek- Ich finde es nach wie vor erstaunlich, wenn der Vorsitzen- tors ist das Resultat des jahrelangen systematischen Perso- de des Landesjugendhilfeausschusses in seiner Eigenschaft nalabbaus in der hessischen Justiz durch diese und die vor- als Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes beim angegangenen Landesregierungen. Runden Tisch Kinderbetreuung auf die Frage, wieso die freiwilligen Vereinbarungen von Kommunen und Ligaver- (Beifall bei der SPD) tretern zur Reduzierung von Gruppengrößen nicht umge- setzt worden sind, man das Geld dafür aber genommen hat, Schauen wir uns einmal die Zahlen genauer an. Von 2012 weil es ja gesetzlich festgeschrieben ist – das war Herr bis 2016 haben die CDU-geführten Landesregierungen in Körner, um den Namen zu nennen –, erklärt: Wir haben Hessen rund 430 Stellen in der Justiz abgebaut, seit 2003 Anpassungsbedarf. betrachtet sogar rund 1.200 Stellen. Auch an Ausbildungs- plätzen ist deutlich gespart worden. Während es im Jahr (Beifall bei der FDP) 1999 noch 215 Ausbildungsplätze für den Beruf der Justiz- fachangestellten gab, ist die Zahl der Ausbildungsstellen Vorher sagte er allerdings: Inklusion und Integration fin- bis heute um 53 % reduziert worden. den in unseren Kindertagesstätten nicht statt. Meine Damen und Herren aus den Regierungsreihen, Sie Sie schreiben eine Vereinbarung und halten sich nicht dar- haben über Jahre hinweg einen Ausverkauf der hessischen an, und die Opposition meint überwiegend, die Landesre- Justiz vorgenommen, der für einen funktionierenden gierung sei schuld daran. Ein solches Spiel betreiben wir Rechtsstaat nicht mehr tragbar ist. nicht mit. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- Wir sind auf einem hervorragenden Weg. Die Antwort auf KEN – Holger Bellino (CDU): Ach, du lieber Gott!) die Große Anfrage zeigt das genauso wie die Beitragsfrei- stellung, die Qualitätsverbesserung und der Ausbau von Was ist das Ergebnis dieses Ausverkaufs? Wie aus den Platzangeboten. An dieser Stelle brauchen wir uns von nie- Antworten zu der Großen Anfrage hervorgeht, ist der Zu- mandem etwas vormachen zu lassen. stand der hessischen Justiz höchst besorgniserregend. Die über dem Bundesdurchschnitt liegenden Verfahrensdauern (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE in Hessen ziehen sich wie ein roter Faden durch die ordent- GRÜNEN) liche Gerichtsbarkeit und durch die Fachgerichtsbarkeit: immer länger werdenden Verfahrensdauern in Zivil- und Präsident Norbert Kartmann: Strafsachen, im Bereich des Jugendstrafrechts, im Bereich der Ordnungswidrigkeiten, in Familienrechtsverfahren, in Vielen Dank. – Es liegen keine weiteren Wortmeldungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in der Sozialgerichtsbar- vor. Damit ist die Große Anfrage besprochen. keit, in der Finanzgerichtsbarkeit. Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: Die Belastungssituation der Justizbediensteten ist enorm. Da wundert es auch nicht, dass in einzelnen Bereichen die Große Anfrage der Abg. Hofmann, Grumbach, Kum- Anzahl der Verzögerungsrügen im Jahr 2016 den Höchst- mer, Waschke, Weiß, Özgüven (SPD) und Fraktion be- stand erreicht hat. Es verwundert nicht, dass die Personal- treffend langwierige Verfahren in Hessen – Drucks. belastungsquote in der hessischen Justiz mittlerweile chro- 19/4889 zu Drucks. 19/4474 – nisch und grundsätzlich bei deutlich über 100 % liegt, bei Die vereinbarte Redezeit beträgt zehn Minuten pro Frakti- Richtern in der Verwaltungsgerichtsbarkeit zuletzt bei on. Das Wort hat Frau Abg. Özgüven von der SPD-Frakti- 159 %. on. (Günter Rudolph (SPD): Uiuiui!) Im höheren und im gehobenen Dienst beim Landessozial- Handan Özgüven (SPD): gericht lag sie zuletzt bei 149 %, im Familienrechtsbereich zuletzt bei 120 %, usw. – Das sind Ihre Bilanzen, meine Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte mei- Damen und Herren aus den Reihen der Landesregierung, ne Rede mit folgendem Zitat beginnen: und das ist Ihr Versagen, Frau Justizministerin. Der Personalmangel führt zu Bearbeitungszeiten, die (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LIN- uns als Vertreter einer zügigen Justiz nicht gefallen. KEN) Zumal die Aufgaben, die wir zu erfüllen haben, we- der kleiner noch weniger komplex werden. 8094 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

Bundesweit zählt der Richterberuf seit jeher zu den ange- schen Tat und Hauptverhandlung ein Zeitraum von sehensten Berufen. In Hessen hat sich allerdings die ent- mehr als 18 Monaten gelegen hätte. sprechende Selbstwahrnehmung der Richterinnen und (Zurufe von der SPD) Richter negativ gewandelt. Die Attraktivität des Richterbe- rufs hat abgenommen. Die Gehälter in der hessischen Jus- Liebe Kolleginnen und Kollegen, nur weil die Staatsan- tiz haben sich längst von der allgemeinen Lohnentwick- waltschaft wegen Überlastung so lange für ihre Ermittlun- lung abgekoppelt. Justizbedienstete leisten sehr gute, inten- gen brauchte, ist der Rüdesheimer CDU-Bürgermeister sive und hoch qualifizierte Arbeit. Sie setzen sich mit all heute nicht vorbestraft. ihren Kapazitäten für unseren Rechtsstaat, für unsere De- mokratie und für die Wahrung der öffentlichen Sicherheit (Zurufe von der SPD – Gegenrufe von der CDU) ein. Das zweite Beispiel. Ein ehemaliger Bürgermeister wird (Manfred Pentz (CDU): Genau!) von seinem Nachfolger im Amt angezeigt. Seit einem hal- ben Jahr ruhen die Ermittlungen. Warum? – Ich zitiere aus Diese Landesregierung ist jedoch nicht in der Lage, Justiz- einem Schreiben der Staatsanwaltschaft Wiesbaden vom bediensteten die erforderliche Wertschätzung und Aner- März 2017: kennung entgegenzubringen. In dem Ermittlungsverfahren wird mitgeteilt, dass (Manfred Pentz (CDU): Das stimmt nicht!) das Hessische Landeskriminalamt bedauerlicherwei- se mitgeteilt hat, dass die Ermittlungen mangels per- Abend- und Wochenendarbeit, Erschöpfung, Burn-outs soneller Ressourcen derzeit nicht vorangebracht und Frustration sind für hessische Justizbedienstete häufige werden können. Aus diesem Grunde ist auch die Vorkommnisse. Auswertung der sichergestellten Beweismittel noch (Beifall bei der SPD) nicht abgeschlossen, weshalb ein Verfahrensab- schluss derzeit nicht absehbar ist. Ob Sie all dies gerne hören oder nicht, Frau Justizministe- rin: Tatsache ist, dass Ihr Maßnahmenplan zur Stärkung (Marius Weiß (SPD): Das ist ja skandalös! – Gegen- der hessischen Justiz nicht geeignet ist, all diese Missstän- ruf des Abg. Manfred Pentz (CDU)) de zu beseitigen. Ja, Sie haben vergangenes Jahr beschlos- Frau Justizministerin, Herr Innenminister, hier geht es sen, Ihr Personalabbauprogramm vorerst zu stoppen und schon lange nicht mehr um komplizierte Verfahren, die zusätzlich 250 Stellen in der Justiz zu schaffen. Angesichts eben leider mal länger dauern. der Tatsache, dass Sie in den letzten Jahren 430 Stellen bzw. seit 2003 sogar 1.200 Stellen abgebaut haben und zu- (Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsiden- sätzlich die Reduzierung der Wochenarbeitszeit für Beam- ten) te von 42 auf 41 Stunden kompensiert werden muss, kann Ihr Maßnahmenpaket nur als Tropfen auf den heißen Stein Hier geht es um einen Rechtsstaat, der kapituliert, weil ihn gewertet werden. diese CDU-geführte Landesregierung und die vorherigen personell kaputtgespart haben. (Beifall bei der SPD und der LINKEN) (Beifall bei der SPD und der LINKEN) Erst gestern gab es in der „hessenschau“ einen Bericht über die gnadenlos überlasteten Verwaltungsgerichte. Der Das ist ein Skandal, den Sie verursacht haben. Sie haben Frankfurter Verwaltungsgerichtspräsident Gerster wertete den Skandal verursacht. die in diesem Jahr in der Verwaltungsgerichtsbarkeit ge- (Manfred Pentz (CDU): Wissen Sie eigentlich, wer schaffenen Stellen als unzureichend und forderte noch hier 60 Jahre dieses Land regiert hat? Das ist die mehr Personal. SPD!) (Heike Hofmann (SPD): Und er ist kein Sozialdemo- Seien Sie ehrlich, und hören Sie endlich auf, den Men- krat!) schen vorzugaukeln, die Partei zu sein – – – Genau. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich nenne Ih- (Zuruf des Abg. Manfred Pentz (CDU)) nen gerne zur Veranschaulichung des Problems zwei wei- tere Beispiele, dieses Mal aus dem Rheingau-Taunus- Kreis, beide aktuell aus diesem Jahr. Der Rüdesheimer Präsident Norbert Kartmann: CDU-Bürgermeister ist gerade wegen Vorteilsannahme Herr Kollege Pentz, zum letzten Mal. und versuchter Erpressung zu einer Geldstrafe von 70 Ta- gessätzen verurteilt worden. Er sieht keinen Grund, zu- rückzutreten, weil er ja nicht vorbestraft sei. Warum ist er Handan Özgüven (SPD): das nicht? Nach Gesetzeslage gilt man ab einer Verurtei- lung zu mindestens 91 Tagessätzen als vorbestraft, er aber Hören Sie endlich auf, den Menschen vorzugaukeln, die hat nur 70 bekommen. Partei zu sein, die sich für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger einsetzt. Ich zitiere aus der „FAZ“ vom 21. Juni 2017: (Beifall bei der SPD) Das Gericht erkannte damals ein „eklatantes Fehl- verhalten“ und warf sogar die Frage nach dem Fangen Sie endlich an, die Justiz als das zu behandeln, was Amtsverständnis … [des Bürgermeisters] auf. Das sie ist, nämlich die dritte Staatsgewalt im Land. – Danke Gericht hätte deshalb „unter Abwägung aller Ge- schön. sichtspunkte eine Geldstrafe von 140 Tagessätzen (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD) als schuldangemessen erachtet“, wenn nicht zwi- Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8095

Präsident Norbert Kartmann: habe in Kassel einen Aufschrei im Richterbereich gehört. Die können alle mehr vertragen. Wer kann das nicht in der Vielen Dank. – Die nächste Wortmeldung kommt von Politik? Herrn Dr. Blechschmidt von der FDP-Fraktion. Ich muss allerdings auch feststellen, dass in den letzten drei Jahren wie auch zuvor, aber gerade in den letzten drei Dr. Frank Blechschmidt (FDP): Jahren, im richterlichen Bereich etwas eingestellt, gemacht Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Vielleicht und getan wurde, von dem ich sagen muss: Das muss heute wäre es besser gewesen, wenn ein Vertreter der Regie- ausgesprochen werden, wenn man schon eine Große An- rungskoalition jetzt antworten würde. Aber vielleicht dient frage mit vielen Punkten hat, bei der man es problemati- es auch dem Thema, dass ich jetzt etwas dazu sage. siert. (Günter Rudolph (SPD): Allemal, Herr Kollege! – Im nichtrichterlichen Bereich gibt es drei große Fragezei- Gegenruf des Abg. Clemens Reif (CDU): Wir sind chen und drei Ausrufezeichen. Da wünsche ich mir mehr. erschüttert!) Da kann ich auch von den dreieinhalb Jahren Anwalts- und Notartätigkeit sagen, dass im Rechtspflegerbereich und im – Ich danke für den Zuruf, weil er mir die Arbeit erleich- Geschäftsstellenbereich nachgebessert wurde und auch tert. – Ich bin von Beruf Rechtsanwalt und Notar und weiß, nachgebessert werden kann. Ich hätte mir auch gewünscht, weil ich in meinem Beruf dreieinhalb Jahre etwas intensi- dass der nichtrichterliche Bereich mehr in den Fokus ver tätig war, bis ich nachrücken konnte, in welchem Zu- kommt, weil wir als Landtag, als Landesregierung, aber stand die Justiz ist. Ich danke für das Vorlob. Ob ich es am auch als FDP das Augenmerk darauf gerichtet haben, in Ende von Ihnen noch bekomme, Herr Rudolph, weiß ich dem Bereich etwas zu tun, erst recht aufgrund der aktuel- nicht. len Berichterstattung von gestern, die ich mir in Kassel ha- (Günter Rudolph (SPD): Dann nehme ich es zu- be bestätigen lassen, dass bei der Verwaltungsgerichtsbar- rück!) keit durch Asyl und Besonderheiten der Flüchtlinge und entsprechenden Rechtsschutz ein erhöhter Bedarf gegeben Ich male das Bild nicht so düster, wie die SPD das tut. Ich ist. sage das mit der Praxiserfahrung, die ich habe, weil ich auch eine andere Einstellung zur Staatsanwaltschaft habe, Die Richter haben uns als FDP inständig mitgegeben, dafür die eineinhalb Jahre ermittelt und nicht nur belastende, zu werben, dass der nichtrichterliche Bereich gestärkt wird, sondern auch entlastende Beweismittel hat. Ich sage das weil die Richter im Moment gar nicht zur Rechtsprechung jetzt unabhängig vom Fall. Mir ist auch relativ egal, ob ein kommen, sondern der zuarbeitende nichtrichterliche Be- Richter bei der SPD, der CDU oder FDP ist oder ein Ange- reich so „Land unter“ ist, dass sie gar nicht wissen, wie sie klagter von der CDU oder der FDP, ein Bürgermeister oder die Eingänge abarbeiten können. ein Geschäftsmann ist. Deshalb ein großes Ausrufezeichen. Eine Erkenntnis aus (Manfred Pentz (CDU): Das ist der Punkt!) der Großen Anfrage ist: Ja, d’accord, im Verwaltungsrecht müssen wir nachsetzen, in den Verwaltungsgerichten müs- Ich will es einmal wegbringen von dem Politischen, son- sen wir entsprechende Richterstellen schaffen, in den Ver- dern darüber reden, wie die Justiz sich darstellt. In den fünf waltungsgerichten müssen wir vielleicht auch einmal Jahren habe ich nicht zu einer Großen Anfrage im Bereich schauen, dass junge Richter auf Erprobung mehr zum Aus- Recht reden können, auch nicht in der Vorsitzendenfunkti- tausch gebracht und flexibler eingesetzt werden, um dort on, die ich innehatte. Nach dreieinhalb Jahren Abstinenz entsprechend richten zu können. vom Landtag ist es vielleicht gut, dass ich, wenn ich mich mit der Großen Anfrage und den Erkenntnissen beschäfti- Aber auch im Verwaltungsgericht gilt als Ausrufezeichen: ge, ein bisschen die Praxis einfließen lasse. Der nichtrichterliche Bereich muss dringend gestärkt und ausgebaut werden, damit uns dort die Justiz nicht in kurzer Das Schöne ist: Die Große Anfrage wurde im Januar ein- Zeit – Entschuldigung, ich sage es plakativ – absäuft. Ich gebracht und wurde sehr schnell beantwortet. Es war eines sage das so dramatisch aufgrund der Erkenntnisse, die ich der ersten Machwerke, die ich vorfand. Ich hatte auch ein aus Kassel bekommen habe. Meine Vorrednerin hat es auf- bisschen mehr Zeit, mich damit zu beschäftigen, mehr Zeit, grund der aktuellen Berichterstattung – offenbar vom gest- als ich heute haben würde. Ich habe mir die Zahlen ange- rigen Abend – noch einmal untermauert. schaut und im Sommer eine alte Tradition der FDP fortge- führt: die Sommerpause zu nutzen und zu Gerichten zu ge- Die Zahlen, die vorliegen, zeigen auf, dass die Situation in hen und Gespräche zu führen. Nicht, dass man als Anwalt, den anderen Gerichtsbarkeiten ungleich besser ist. Unser in Bad Homburg und Usingen beim Landgericht und Ar- Hauptaugenmerk liegt auf der Verwaltungsgerichtsbarkeit beitsgericht agierend, blind wird, sondern dass man auch und auch auf dem nichtrichterlichen Bereich, wo dringend einfach einmal nach Kassel fährt und dort hört, wie es in Notwendigkeiten gegeben sind. der Justiz aussieht. Ich sage jetzt auch einmal eines, und das wäre mein Ein- So leid es mir tut als Oppositionspolitiker, ich muss fest- stieg gewesen, wenn nicht mit dem, was meinen Beruf aus- stellen, dass die Justiz besser dasteht, als ich dachte. macht, die Vorredner mich vielleicht das eine oder andere etwas spontaner haben machen lassen. Ich vertrete die Auf- (Beifall bei der FDP, der CDU und dem BÜNDNIS fassung – das muss eigentlich bei uns allen im Fokus 90/DIE GRÜNEN) sein –, dass unsere Justiz eine hervorragende Arbeit macht. Ich habe von keinem meiner Gesprächspartner etwas ge- Durch ihre Rechtsprechung befriedet sie Rechtsstreitigkei- hört – da sind Anknüpfungspunkte in Bad Homburg und ten und behebt Rechtsunsicherheiten. Ihr wird von der Be- Usingen –, gewesen, die mich persönlich sehr gut kennen, völkerung ein hohes Maß an Akzeptanz entgegengebracht. wo ich seit 25 Jahren Berufstätigkeit Kontakte pflege. Ich Das bedeutet auch, dass die gebotene Zeit gefunden wer- den muss, um ausgewogene Urteile finden zu können. 8096 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

Mein Hauptaugenmerk möchte ich in den Bereich hinein Justiz, wie ich gesagt habe, diesbezüglich in der Tat nicht lenken, den ich eben dargestellt habe. Das ist die Verwal- absäuft. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. tungsgerichtsbarkeit. Das sind der nichtrichterliche Bereich (Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der und der richterliche Bereich. Da müssen wir etwas mehr CDU) tun. Da sehe ich das genau wie die SPD. In dem anderen Bereich habe ich versucht, das etwas anders darzustellen. Ich glaube allerdings auch, mit meiner Praxiserfahrung be- Präsident Norbert Kartmann: urteilen zu können, dass das Zahlenmaterial das auch auf- zeigt. Vielen Dank. – Die nächste Wortmeldung stammt von Herrn Abg. Honka von der CDU-Fraktion. Im Übrigen herzlichen Dank für die Ausarbeitung der Ant- wort auf die Große Anfrage. Da sind wirklich viele Infor- mationen drin, auf die man aufbauen kann, wo man auch Hartmut Honka (CDU): einmal nachfragen muss. Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass weitere gesellschaftspolitische Erwägungen Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! da sind, die auch im Redebeitrag der SPD zum Tragen ge- Als Allererstes möchte ich einmal den Damen und Herren kommen sind. Das ist im Bereich des Strafrechts effektiv danken, die die Fragen beantwortet und die Zahlen zusam- der Fall, und zwar im Bereich des Jugendstrafrechts. mengestellt haben. Es sind eine Menge Fragen. Dement- sprechend sind es auch eine Menge Antworten, die zusam- Wenn man die Antwort auf die Anfrage liest, sieht man, mengetragen wurden. dass im Jugendstrafrecht auch ein Bedarf gegeben ist, Ver- fahren schneller zu machen, gerade mit dem, was mit dem Frau Kollegin Özgüven, ich fand es schade, dass Sie zwar Jugendstrafrecht einhergeht: nicht Bestrafung, sondern Hil- viele bunte Bilder gestellt haben, ich am Ende aber doch fe und erzieherischer Gehalt. Da bin ich total d’accord mit fast das Gefühl hatte, es geht doch mehr um den Wahl- der SPD. Im Verfahren gilt aber auch, wenn Einstellungen kampf als um die Antworten auf die Große Anfrage. Sie nach § 170 Abs. 2 StPO zum Tragen kommen, müssen die- hätten einfach einen Antrag stellen können. Ich glaube, se schneller kommen, wenn die Staatsanwaltschaft der dann hätten Sie dieselbe Rede halten können, ohne dass Auffassung ist, dass keine Anklage zu erheben ist. vorher in der Justizverwaltung diese Arbeit erst einmal hät- te gemacht werden müssen. Sie können sich kaum vorstellen, was es für einen Men- schen bedeutet, gerade für einen Deutschen, der gewisse (Beifall bei Abgeordneten der CDU, des BÜNDNIS- Maximen hat, gegenwärtig ein Verfahren zu haben, bei SES 90/DIE GRÜNEN und der FDP) dem er kein Unrechtsbewusstsein hat, und das erst nach ei- Ich möchte ausdrücklich auf die Asylverfahren eingehen. ner längeren Zeit bestätigt zu bekommen, weil das Verfah- Sie haben das eben vonseiten der SPD-Fraktion angespro- ren eingestellt wird. Auch da müssen wir schneller reagie- chen. Da geht es um den Bericht in der „hessenschau“. Ich ren. habe natürlich rein zufällig auch einmal geschaut, weil wir Wenn man die Antwort auf die Große Anfrage liest – den so einen Punkt haben. Auf hessenschau.de findet sich ein Gesichtspunkt will ich nicht unterlassen –, sieht man, dass aktueller Bericht von gestern mit der Überschrift „Warum auch im Rahmen der Familiengerichtsbarkeit durchaus Hessens Richter in Asylklagen versinken“. Da gibt es et- Punkte sind, die wir diskutieren müssen. Wer die Beson- was Interessantes, zu dem ich gerne drei Absätze kurz vor- derheit des familiengerichtlichen Verfahrens kennt – das tragen möchte, die zeigen, wie es dargestellt worden ist. sind nicht nur Scheidung und Gewaltschutzdelikte usw., Da gibt es eine sehr interessante Aussage. sondern gerade bei Kindern ist Handlungsbedarf bezüglich Ich zitiere wie folgt von der Homepage von hessen- der Fürsorge –, sieht auch, dass man in der Antwort auf die schau.de: Große Anfrage Punkte hat, bei denen man nachsetzen muss. Justizministerin Eva Kühne-Hörmann … kritisiert an diesem Punkt das Bundesamt für Migration und Das umfassende Zahlenmaterial, das positiv zu werten ist, Flüchtlinge …, gegen dessen Bescheide die Flücht- muss ausgewertet werden. Ich persönlich werde mit meiner linge klagen. Fraktion beraten, dass wir den einen oder anderen Ge- sichtspunkt hier noch einmal separat aufrufen, weil das Eigentlich müsste bereits das BAMF die Sachverhal- Zahlenmaterial in der Tat aufzeigt, wenn man es groß te beweissicher aufklären. Doch: „Die schlechte sieht, dass im Jugendstrafrecht, bei Einstellungen im Be- Qualität der Arbeit des BAMF führt dazu, dass die sonderen, im Asylbereich und damit in der Verwaltungsge- Gerichtsverfahren noch zusätzlich belastet werden“, richtsbarkeit Nachholbedarf ist, der im parlamentarischen fasst ein Sprecher die Kritik der Ministerin für hes- Bereich separat entsprechend beraten gehört. senschau.de zusammen. Ich bin von meinem Redemanuskript, das ich vorbereitet Das heißt: Oft müssen die Richter nach Beweisen habe, abgewichen. Ich habe einige Punkte aufgegriffen. suchen oder Zeugen befragen, die Berichte der Flüchtlinge bestätigen oder widerlegen, obwohl dies Abschließend möchte ich noch einmal feststellen, dass wir bereits beim BAMF hätte geschehen müssen. ganz großen Nachholbedarf haben. Frau Justizministerin, wir haben einen Bereich, bei dem wir gefragt sind. Das be- Jetzt kommt es: trifft die Verwaltungsgerichtsbarkeit, und dort die Richter Der Hessische Flüchtlingsrat bestätigt diese Kritik und den nichtrichterlichen Bereich. Da müssen wir einfach aus der hessischen Justiz. nacharbeiten, und zwar schnellstmöglich. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will nicht schnell die Möglichkeit Das heißt, hier wird Arbeit auf die Justiz abgeladen, die ei- haben, irgendwelche Stellen zu schaffen. Vielmehr sehe gentlich an anderer Stelle längst schon hätte gemacht wer- ich, dass da ein Bedarf besteht, nachzubessern, damit die den müssen. Das führt natürlich im Zusammenhang mit Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8097 den vermehrten Zahlen zu einer vermehrten Belastung der Präsident Norbert Kartmann: Richterinnen und Richter und des Folgepersonals. Auch Die nächste Wortmeldung stammt von Herrn Abg. Dr. das gehört zum Sachverhalt mit dazu. Ich weiß, Sie wollen Wilken für die Fraktion DIE LINKE. das nicht gerne hören. Aber es gehört mit dazu. Das gehört zur Realität unserer Verwaltungsgerichte und unserer Ver- waltungsrichterinnen und -richter, die eine hervorragende Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Arbeit machen. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Honka, Sie haben gerade mit einem Glaubenssatz ge- Präsident Norbert Kartmann: schlossen. Sie haben gesagt: Ich glaube, dass die Justiz in guten Händen ist. – Das ist keine Frage des Glaubens. Herr Abgeordneter, gestatten Sie Zwischenfragen? Vielmehr diskutieren wir hier Zahlen, Daten und Fakten, die uns mit der Antwort auf die Große Anfrage vorliegen. Hartmut Honka (CDU): Ich gebe Ihnen insofern selbstverständlich recht: Es ge- Die Frau Kollegin kann nachher noch eine Kurzinterventi- bührt denjenigen Dank, die diese Anfrage beantwortet ha- on machen. Von daher brauchen jetzt keine Fragen gestellt ben. Das will ich hiermit ausdrücklich sagen. Ich will das zu werden. Nein. aber auch mit der Bemerkung verknüpfen: Das ist auch der Job, der getan werden muss. Denn die Landesregierung ist Ich möchte deswegen jetzt kurz darauf zu sprechen kom- uns, den Mitgliedern des Parlaments, zu diesen Fragen men, dass wir bereits im Jahr 2015 für den Haushalt 2016 Aussagen und Antworten schuldig. in Ansehung der damaligen Lage den Verwaltungsgerich- ten vier vollständige Kammern und entsprechendes Perso- (Beifall bei der LINKEN) nal zur Verfügung gestellt haben, also das richterliche Per- Prozesse, die nicht beginnen oder die sich ewig hinziehen, sonal und natürlich auch das Folgepersonal. Mit dem Jahr schaden der Gerechtigkeit und gefährden den Rechtsstaat. 2015 geschah das zu einer Zeit, als, so glaube ich, noch Das hat Frau Özgüven mit starkem Tobak hier aus unserer kein anderes Bundesland auf die Idee gekommen ist, für Sicht korrekt dargestellt. Ich weiß nicht, ob das bei mir die Veraltungsgerichte etwas zu tun. durchgegangen wäre. Aber ich hätte auch gerne solche Auch das wurde bereits angesprochen. Letztes Jahr hat die Worte benutzt. Frau Ministerin mit ihrem Zehn-Punkte-Maßnahmenpaket Ich will ein paar Facetten in den Blick nehmen. Vorneweg an vielen Stellen in der Justiz noch etwas aufsatteln kön- sage ich: Das ist nicht alles unter der Verantwortung von nen. Das betraf also nicht nur die Verwaltungsgerichtsbar- Frau Kühne-Hörmann geschehen. Das ist auch in Verant- keit. Vielmehr haben wir durch die Flüchtlingssituation ei- wortung des Herrn Hahn geschehen, damals noch ohne h.c. ne neue Aufgabe hinzugewonnen. Wir haben mit den Rechtsstaatsklassen eine Idee kreiert, die zu einer Aufgabe (Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das nervt Sie! – wurde. Das wird zwar von unserem Justizpersonal ehren- Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE): amtlich wahrgenommen, sie ist aber existenziell, um den Wieso, er hat doch einen echten!) Flüchtlingen den Start in unsere Gesellschaft zu erleich- Das ist unter weiteren vorhergehenden Regierungen ge- tern. Es sind von daher viele Aufgaben hinzugekommen, schehen. die man vielleicht auch gar nicht so hat absehen können. Das wurde in dieser Debatte schon gesagt. Wir haben die Es wurden neue Stellen im Justizvollzug geschaffen. Für Situation, dass wir in der hessischen Justiz seit Beginn die- uns hört der Rechtsstaat nicht an der Tür des Gerichts auf. ses Jahrtausends einen drastischen Stellenabbau zu ver- Vielmehr gehört natürlich auch dazu, dass der Justizvoll- zeichnen haben. Es gingen über 1.200 Stellen verloren. Die zug ordentlich ausgestattet wird. Notbremse, die mit dem letzten Haushalt gezogen wurde, Wir arbeiten z. B. weiterhin an den Häusern des Jugend- reicht nicht aus, um diesen Missstand zu beheben. rechts. Das wurde in einer der früheren Koalitionen begon- (Beifall bei der LINKEN) nen. Das wurde dann ausgebaut. Die nächsten Schritte sind in Planung oder Umsetzung. Das geschieht immer mit den Es reicht auch nicht, darauf zu verweisen, dass wir als beteiligten Kommunen. Denn dazu sagen wir, dass gerade Bundesland nicht alleine dastehen. Das Problem ist bei Jugendlichen schnelle Rechtsprechung gute Rechtspre- durchaus auch in anderen Bundesländern da. Es reicht auch chung ist. nicht aus, darauf hinzuweisen, dass im Bundesamt für Mi- gration und Flüchtlinge nicht ordentlich gearbeitet wird. Ich glaube deshalb, dass der Rechtsstaat bei uns weiterhin Das wissen wir alle. Vielmehr ist unsere Aufgabe: Wenn in guten und sicheren Händen ist. Die Richterinnen und wir ein Problem sehen, das mit mangelnder Personalaus- Richter in Hessen stellen sich verantwortungsbewusst ihrer stattung in den Gerichten, und zwar bei den Richterinnen Aufgabe. Der Folgebereich ist immer mit dabei. und Richtern und im zuarbeitenden Bereich, zu tun hat, Meine Rede abschließend, danke ich in diesem Sinne all dann ist es unsere Pflicht und Schuldigkeit, dafür zu sor- den Damen und Herren, die in unserem Land dafür sorgen, gen, dass dort wieder ordentlich gearbeitet werden kann. dass Recht gesprochen wird. – Vielen Dank. Das ist im Moment halt nicht der Fall. (Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des (Beifall bei der LINKEN und des Abg. Corrado Di BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Benedetto (SPD)) Dr. h.c. Jörg-Uwe Hahn (FDP)) Ein Satz in der Antwort auf die Große Anfrage hat mich erst richtig geärgert. Dann habe ich mir gedacht, ich muss ihn wahrscheinlich ganz anders lesen. Da schreibt die Lan- desregierung – das ist mit Ihrer Unterschrift –: 8098 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

Im Übrigen obliegt die Verfahrensführung – und da- samtheit übertragen. Die Statistiken geben das auf keinen mit letztlich auch die Verfahrensdauer – den jeweils Fall her. zuständigen Richterinnen und Richtern im Rahmen (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und ihrer grundgesetzlich garantierten richterlichen Un- bei Abgeordneten der CDU) abhängigkeit. Im Gegenteil: Wenn man die Antwort auf die Große An- Was denn sonst? Das ist doch selbstverständlich. – Dann frage genau liest, erkennt man eine gut funktionierende folgt der Satz: hessische Justiz, die seit Jahren stabil und zuverlässig ar- Die Landesregierung nimmt insoweit keinen Ein- beitet. Auf keinen Fall herrschen hier desaströse Zustände. fluss auf die Dauer einzelner gerichtlicher Verfah- Die Zahlen sind eben nur nackte Zahlen; es handelt sich ren. um Statistiken. Das ist korrekt. Das darf sie auch nicht. Aber die Landesre- Die einzelnen Fälle müssen jedoch gesondert betrachtet gierung nimmt Einfluss auf die Dauer der Verfahren insge- werden. Manchmal liegt es an den Parteien, dass noch Din- samt, weil sie an der Personalausstattung in den Gerichten ge herangezogen werden müssen, manchmal liegt es an an- zu viel gespart hat. Das ist die Aussage. deren Faktoren. Es gibt sehr aufwendige Verfahren; es gibt aber auch Verfahren, die schnell gehen. So pauschal mit ei- (Beifall bei der LINKEN und der Abg. Sabine ner statistischen Durchschnittszahl umzugehen, wird der Waschke (SPD)) Sache einfach nicht gerecht. Die Richterinnen und Richte- Ich möchte einen letzten Punkt anführen. Wir werden im- rinnen arbeiten unabhängig, und sie arbeiten mit Sorgfalt. mer wieder darauf hingewiesen, dass mit der Einführung Das ist mir lieber, als dass Verfahren schnell abgearbeitet der elektronischen Akte zukünftig eine Entlastung zu er- werden und hinterher weitere Verfahren folgen. warten sei. Dazu noch einige Anmerkungen. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Zunächst: Wir sind noch nicht so weit. In der Einführungs- bei Abgeordneten der CDU) phase der elektronischen Akte werden wir zu Beginn eine In den meisten der abgefragten Bereiche sind die Ein- höhere Belastung zu verzeichnen haben. In der Anhörung gangszahlen noch weitgehend stabil geblieben. Seit 2010 zur Digitalisierung, die vor ein paar Tagen in diesem Saal gibt es zwischen den Eingangs- und Erledigungszahlen stattfand, ist ganz klar noch einmal betont worden, dass keine großen Diskrepanzen mehr. In keinem der Bereiche niemand aus dem richterlichen Bereich mit der Einführung sind die Bestandszahlen explodiert. Die Entwicklung der elektronischen Akte eine Personalentlastung erwartet. zeichnet sich durchgängig durch eine weitgehende Kon- Zwar findet in diesem Zusammenhang eine Veränderung stanz aus. des Anforderungsprofils statt, aber keine Entlastung. Das müssen wir im Weiteren beachten, wenn wir die Justiz In den wenigen Bereichen, wo es Anstiege bei den Be- wieder ausstatten wollen. standszahlen gab, ist inzwischen reagiert worden. Wir ha- ben schon über die Verwaltungsgerichte geredet. Dort war (Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der es unstrittig; inzwischen sind aber schon mehr Verwal- SPD) tungsrichterstellen geschaffen worden. Auch im Bereich Ich schließe, was ich normalerweise nicht mache, mit ei- der Wirtschaftskriminalität ist aufgestockt worden. Tun Sie nem englischen Zitat; denn die englische Sprache bringt also nicht so, als würde man die Umstände ignorieren und manchmal die Dinge viel pointierter auf den Punkt: „Jus- dort nicht handeln, wo Bedarfe bestehen. tice delayed is justice denied“. Das ist das Problem, das Sie (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und lösen müssen, Frau Kühne-Hörmann. bei Abgeordneten der CDU) (Beifall bei der LINKEN) Es gibt zudem Bereiche, in denen die Zahlen rückläufig sind. So betrug beispielsweise 2010 die Anzahl der Ein- Präsident Norbert Kartmann: gänge in Ermittlungsverfahren in der Zuständigkeit der Ju- gendstaatsanwaltschaft Hessen noch 58.981 und sank bis Vielen Dank. – Frau Kollegin Müller von den GRÜNEN, 2016 auf 50.026. Die Zahl der Erledigungen im Jahr 2016 Sie haben das Wort. betrug 51.051 und übersteigt damit die Zahl der Eingänge. Es sind also sichtbare Rückgänge zu verzeichnen. Das Gleiche gilt für Familiensachen. An den Amtsgerichten Karin Müller (Kassel) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gab es 38.497 Fälle im Bestand; 2017 sind es noch 32.470. Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich überlege ge- Ich trage das jetzt vor, weil ich bei Ihrer Rede das Gefühl rade noch, wie lange ich das Plenum hinauszögern soll und hatte, dass Sie sich nicht so detailliert damit beschäftigt ha- ob ich Ihnen meine ganze Rede vortrage oder nur Auszüge ben; sonst hätten Sie nicht einfach nur Einzelfälle skandali- daraus. siert. (Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Natürlich lohnt sich die ganze Rede. bei Abgeordneten der CDU) Zunächst möchte ich feststellen, dass hier ein Bild gezeich- Die Belastung der Richterinnen und Richter ist unstreitig net wird, welches nicht der Wirklichkeit entspricht. Sie ha- hoch. Es stimmt aber nicht, dass es keine qualifizierten ben als SPD-Fraktion eine Große Anfrage gestellt, die in Leute mehr gibt. Wir sitzen zusammen im Richterwahlaus- aller Akribie beantwortet worden ist, mit sehr viel Zahlen-, schuss, und in der nächsten Woche haben wir wieder Sit- Daten- und Faktenmaterial. Sie aber haben sich gerade nur zung. Darin werden wir 45 Neueinstellungen beschließen. Einzelfälle herausgegriffen und diese einfach auf die Ge- Es gibt also immer noch gute Bewerbungen. Die Bewerber sind alle gut geeignet. Sie bewerben sich explizit in der Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8099 hessischen Justiz, obwohl sie zuvor vielleicht in großen Eva Kühne-Hörmann, Ministerin der Justiz: Rechtsanwaltskanzleien gearbeitet haben oder Ähnliches. Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen Sie wollen jedoch in die hessische Justiz gehen; sie wollen und Herren! Die Große Anfrage – das haben einige Kolle- dort unabhängig arbeiten. Sie wissen, dass sie dort eine gu- gen vorhin schon gesagt – enthielt 140 Fragen und umfass- te Aufgabe erwartet und dass sie einen guten Job bekom- te 93 Seiten Antworten mit vielen Statistiken. Daher teile men. ich das, was der Kollege Honka und die Kollegin Müller (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und gesagt haben: Frau Kollegin Özgüven, Sie sind als Frage- bei Abgeordneten der CDU) stellerin in Ihrer gesamten Rede auf keinen einzigen Fall aus der Antwort eingegangen, und das bei 140 Fragen und Bei den Richterinnen und Richtern gibt es auch Bereiche, 93 Seiten Antworten. wo die Zahlen der Eingänge gesunken sind. Im Ordnungs- widrigkeitenbereich bei den Amtsgerichten wurden 2010 So etwas habe ich noch nie erlebt. Dass die Antworten auf noch 1.133 Eingänge verzeichnet, im Jahr 2016 waren es Ihre Anfrage nicht dem entsprachen, was Sie versucht ha- nur 1.068. In den Familiensachen – ich habe es schon er- ben in Ihrer Rede aufzuzeigen, kann ich nicht ändern. Bei wähnt – ist die Belastung deutlich zurückgegangen: von so vielen Fragen und so vielen Antworten aber keinen ein- 441 Eingängen im Jahr 2010 auf 385 Eingänge im Jahr zigen Satz konkret zu den Antworten zu sagen, das finde 2016. ich ziemlich ärmlich für einen Fragesteller. Das muss ich wirklich sagen. Was Sie hier skizziert haben, ist also nicht das, was in der Großen Anfrage beantwortet wurde. Es tut mir leid, dass (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE sie nicht Ihren Erwartungen entsprach. Sie ist auf jeden GRÜNEN – Zurufe von der SPD) Fall sehr umfangreich und für uns sehr hilfreich, auch in – Getroffene Hunde bellen, würde ich jetzt mal sagen. der Argumentation Ihnen gegenüber. (Zuruf: Wau, wau!) (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU) – So etwas habe ich hier im Plenum noch nie erlebt; das muss ich wirklich sagen, und ich bin schon eine ganze Zu den Vakanzen: Seit 2010 gab es im richterlichen Be- Weile dabei. reich kaum Vakanzen. In der Regel waren 90 % der Stellen besetzt. Natürlich gibt es die Fälle, in denen Konkurrenten- Die Frage nach der Dauer der Gerichtsverfahren ist völlig klagen angestrengt werden, bei den Spitzenpositionen, legitim, und die damit oftmals verbundene Vermutung, sie z. B. im Landessozialgericht – Frau Hofmann schaut mich seien regelmäßig zu lang, ist nicht neu. Der Kollege Blech- an –; aber auch das sind Einzelfälle. In der Statistik, die Sie schmidt hat nicht nur aufgrund seiner Berufserfahrung, abgefragt haben, sind 90 % der Stellen besetzt. sondern auch aufgrund seiner Erfahrung als Abgeordneter darauf hingewiesen, dass das ein dauerhaftes Thema für Auch im Bereich der Verzögerungsrügen wäre nicht anzu- uns alle sein muss. Wir müssen uns bei jeder Statistik ge- merken, dass sich die Situation in Hessen überdurch- nau die Hintergründe anschauen; immerhin handelt es sich schnittlich darstellte. Noch vor Kurzem hat Oberlandesge- um ein wichtiges Merkmal für den Rechtsstaat. richtspräsident Poseck in einem Interview gesagt, dass bei allen Amtsgerichten in Hessen die Zahl der Rügen bei 50 Unbestritten ist die Verfahrensdauer ein, aber nur ein pro Jahr liege. 50 pro Jahr bei rund 100.000 Fällen – das Merkmal für die Qualität der Gerichtsverfahren. Die Ver- sind gerade mal 0,05 %. Von den Rügen, die eingereicht fahrensdauer – die Kollegin Müller hat das auch gesagt – werden, sind auch nicht alle berechtigt. Auch in diesem muss Hand in Hand gehen mit der rechtlichen Güte einer Bereich ist der Versuch, ein Schwarz-Weiß-Bild zu malen Gerichtsentscheidung und dem rechtsstaatlichen Verfah- und zu vermitteln, die Justiz wäre schlecht aufgestellt, kei- ren. Eines ist klar: Hinter jedem Verfahren stehen Lebens- nesfalls gerechtfertigt. schicksale, und jeder Rechtsuchende hat den Anspruch auf ein ordentliches rechtsstaatliches Verfahren. (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU) Gerichtsverfahren – das ist von meinen Vorrednern auch schon gesagt worden – verlängern sich immer dann, wenn Ich hoffe, ich habe Ihnen deutlich gemacht, dass die Welt unvorhergesehene Ereignisse eintreten. Hinzu kommt, dass nicht so einfach ist, wie Sie sie malen. Anwälte Verfahren verlängern, aus berechtigten oder unbe- (Günter Rudolph (SPD): Nein! Das ist Ihnen nicht rechtigten Interessen. In manchen Fällen verlängern gelungen! – Gegenruf von der CDU – Günter Ru- Krankheitsfälle das Verfahren. Natürlich ist aber auch die dolph (SPD): Sie hat mich gefragt, und ich habe Personalausstattung ein Kriterium, das darüber entscheidet, geantwortet!) ob Verfahren lang oder kurz sind. Ich finde jedenfalls, die Menschen sind in der hessischen Ich will zu den Asylverfahren kommen, weil viele Kolle- Justiz gut aufgehoben. gen diese auch angesprochen haben. Ja, der Anstieg der Flüchtlingszahlen in den Jahren 2015 und 2016 hat die (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Verfahrenszahlen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit und in bei Abgeordneten der CDU) Kindschaftssachen der Familiengerichte ansteigen lassen. In den Kindschaftssachen haben sich im Vergleich der Jah- Präsident Norbert Kartmann: re 2015 und 2016 die Eingangszahlen sogar verdoppelt, weil zu diesem Bereich auch die Vormundschaftsangele- Das Wort hat nun die Ministerin der Justiz. Bitte schön. genheiten der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge zählen. Bei den Asylverfahren in der Verwaltungsgerichtsbarkeit erklärt sich der Anstieg der Eingangszahlen von selbst. 8100 Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017

Von Januar bis Juli dieses Jahres sind allein in diesem Be- Meine sehr geehrten Damen und Herren, einige Kollegen reich 18.775 Verfahren zu verzeichnen. Da das absehbar haben das wichtige Thema der Jugendkriminalität und die war, haben wir sofort reagiert und – der Kollege Honka hat damit zusammenhängenden Verfahren angesprochen. Ja, es erwähnt – nicht nur sofort Personal eingestellt, sondern diese müssen insbesondere im Fokus stehen, weil all dieje- auch einen Zehn-Punkte-Plan erstellt, um der Verwaltungs- nigen, die wir in den Jugendgerichtsverfahren erreichen gerichtsbarkeit zu helfen, diese Verfahren bei all den und die wir auf den rechten Weg bringen, nicht rückfällig Schwierigkeiten, die es gibt, zu bewältigen. Deshalb will werden. Sie werden auf Dauer auch keine Opfer produzie- ich die Zahlen noch einmal darstellen. ren. Daran wird deutlich, dass infolge von Bemühungen in den Jugendstrafverfahren viel passiert ist und die Quote re- (Beifall des Abg. Holger Bellino (CDU)) lativ gut ist. Sie ist zwar immer noch nicht gut genug, aber Im Jahr 2016 haben wir in der Verwaltungsgerichtsbarkeit gut. Deshalb will ich die Häuser des Jugendrechts erwäh- 32 Planstellen und in der ordentlichen Gerichtsbarkeit sie- nen. Bei den Häusern des Jugendrechts sind Erfolge zu ben Planstellen geschaffen, aber nicht nur für Richter, son- verzeichnen mit Blick auf den Rückgang der Jugendkrimi- dern auch für Rechtspfleger und nachgeordnetes Personal, nalität in den Stadtteilen. Das ist wirklich einen Applaus weil es natürlich nicht nur auf den Anstieg der Zahl der wert. Richter ankommt, sondern weil es letztlich um ein Gesamt- (Beifall bei Abgeordneten der CDU und des BÜND- paket geht. Das heißt, wir haben also nicht einseitig, wie NISSES 90/DIE GRÜNEN) dies in der Vergangenheit passiert ist, vermehrt im nachge- ordneten Bereich Stellen gestrichen. Nun sind wir dazu Staatsanwaltschaft, Polizei und Kommune arbeiten so gut übergegangen, Teams zu beschäftigen, insbesondere bei zusammen, dass die Strafe auf dem Fuße folgt und dass am der Verwaltungsgerichtsbarkeit, damit man sich auf dem Ende die Jugendlichen ein so großes Vertrauen in Staatsan- Weg befindet, den Sie beschrieben haben. waltschaft, Polizei und Jugendgerichtshilfe haben, dass sie, schon bevor etwas passiert, präventiv dorthin kommen. Durch weitere Personalmaßnahmen in der Verwaltungsge- richtsbarkeit haben wir bis zum jetzigen Zeitpunkt insge- Ich freue mich darüber, dass es einzelne Initiativen aus samt 45 Stellen verstärkt, die im Übrigen alle besetzt wer- Städten gibt, die sich jetzt auch auf den Weg machen und den konnten, weil wir genügend Personal finden, mit dem sich für ein Haus des Jugendrechts interessieren. Die Erfol- wir die Stellen besetzen können. Das heißt, wir haben nicht ge in diesen Häusern sind groß. Wenn wir damit die Ju- nur die Stellen geschaffen und die erforderlichen Mittel be- gendkriminalität in den Städten eindämmen können, dann reitgestellt, sondern wir haben auch das Personal einge- ist das sicher der richtige Weg. stellt. Das ist vor Ort in den allermeisten Gerichten schon Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine starke Justiz angekommen, sodass damit auch schon gearbeitet werden schafft Sicherheit. Wir werden weiterhin, wenn die Anstie- kann. ge so sind, Stellen beantragen und Präventionsmaßnahmen Das zeigen auch die Zahlen zur Erledigung der Verfahren. durchführen und hoffentlich noch mehr Häuser des Ju- Die Erledigungsquote ist bei nicht komplexen Sachverhal- gendrechts haben. Deswegen ist die Justiz in Hessen gut ten sogar größer als im Jahr 2014. Bei den schwierigen aufgestellt. Verfahren, die in der Statistik besonders zu Buche schla- (Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE gen, ist das natürlich nicht der Fall. GRÜNEN) Meine sehr geehrte Damen und Herren, wir haben eine Trendwende in der Justiz eingeleitet, indem wir den Stel- lenabbau gestoppt haben. Es hätten noch ca. 200 Stellen Präsident Norbert Kartmann: abgebaut werden müssen. Vielen Dank. – Meine Damen und Herren, es liegen keine (Zuruf der Abg. Heike Hofmann (SPD)) Wortmeldungen mehr vor. Damit ist die Große Anfrage besprochen. Außerdem haben wir 250 neue Stellen im Haushalt 2017 umgesetzt, 140 Stellen für die ordentliche Gerichtsbarkeit, Meine Damen und Herren, lassen Sie uns noch kurz die 52 Stellen für die Staatsanwaltschaften. Frau Kollegin Tagesordnung abräumen. Ich teile Ihnen mit – Sie können Müller hat gesagt, nach jeder Sitzung des Richterwahlaus- noch Einspruch erheben, aber das hoffe ich nicht –: schusses, in der wir die Berufung neuer Richter beschlie- Die Tagesordnungspunkte 15 bis 23 werden im nächsten ßen, werden diese umgehend in der Justiz eingestellt, um Plenum behandelt. die Stellen zu besetzen. Die Tagesordnungspunkte 24 und 25 werden zur ab- Besonders interessant in der Antwort auf die Großen An- schließenden Beratung dem Sozial- und Integrationspoliti- frage ist der Besetzungsgrad im richterlichen Dienst. Der schen Ausschuss überwiesen. Besetzungsgrad ist so hoch wie nie zuvor. In der ordentli- chen Gerichtsbarkeit beläuft sich der Besetzungsgrad auf Die Tagesordnungspunkte 26 bis 40, 44 bis 46, 48, 49, 52, 99 %, in der Sozialgerichtsbarkeit und beim Hessischen Fi- 53 und 66 werden im nächsten Plenum aufgerufen. nanzgericht liegt er kontinuierlich zwischen 96 % und Tagesordnungspunkt 70 wird dem Ausschuss für Um- 97 %. Das trotz der Quote derer, die in Mutterschutz ge- welt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hen, weil wir nämlich in den letzten Haushalten Vorsorge zur abschließenden Beratung überwiesen. getroffen haben durch eine Taskforce Mutterschutz, mithil- fe derer diese Zeiten aufgefangen werden und mithilfe de- Tagesordnungspunkt 75 wird dem Ausschuss für Wirt- rer dafür gesorgt wird, dass in den Gerichten, in denen es schaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung zur ab- zu Ausfallzeiten durch Mutterschutz und Väterzeiten schließenden Beratung überwiesen. kommt, diese aufgefangen werden können durch Richter, Meine Damen und Herren, am Ende der heutigen Sitzung die die Verfahren bearbeiten. darf ich noch ganz kurz um Ihre Aufmerksamkeit bitten. Hessischer Landtag · 19. Wahlperiode · 114. Sitzung · 31. August 2017 8101

Ich möchte Frau Staatssekretärin Dr. Weyland verabschie- (Anhaltender Beifall bei der CDU und dem BÜND- den. Es ist noch nicht ganz Schluss, aber hier im Plenum NIS 90/DIE GRÜNEN) ist heute für Sie Schluss. Sie haben sich entschieden, einen Meine Damen und Herren, ich verabschiede Sie nun bis anderen Weg zu probieren. Schauen Sie einmal, wie das zur nächsten Sitzung, die nach der Bundestagswahl statt- geht. Wir bedanken uns ganz herzlich für Ihre Dienste für finden wird. das Land Hessen und für Ihre Bereitschaft, uns hier im Ple- num zurate zu stehen. Alles Gute für Sie. Bleiben Sie vor (Schluss: 17:59 Uhr) allen Dingen gesund und munter. Das ist das Wichtigste im Leben. Alles Gute.