ISSN 0948-2407 | 67 485 | 2,00 Euro

DISJanuar 2011 PUT

Vom Politischen Jahresauftakt mit Gesine Lötzsch, und Klaus Ernst Wahl ’11: Interviews und Berichte aus Baden-Württemberg, Hamburg und Sachsen-Anhalt Klein, aber bemerkenswert!? DIE LINKE in Bremen Rote Mützen für heiße Proteste. Vielfältiger Widerstand zu den Nazi-Aufmärschen in Dresden Kabarettist Peter Ensikat: Mit der Freiheit kam auch die Beliebigkeit

Von den Plätzen, fertig, los! Die Partei lebt vom Mitmachen. Also: In die Wahlkämpfe, in die Programmdebatte ...! © Erich Wehnert 4 PARTEI 26 AFRIKA Vom Politischen Jahresauftakt mit : Eindrücke aus Lötzsch, Gysi, Ernst dem leidgeprüften Sudan 8 PARTEI 29 EUROPÄISCHE LINKE : Auf unsere Stärke setzen Interview mit Kinga Kaloscai (Ungarn) 9 WAHL ’11 Hamburgs LINKE gab sich ihr Wahl- 30 KULTUR programm Der Anfang war nicht schwer. ZITAT Politik und Songs im »Kosmos« 10 WAHL ’11 32 PROGRAMMDEBATTE Wer mit 20 kein Kommunist war, hat Was Baden-Württembergs Stefan Hartmann: Zur Diskussion in ohnehin kein Herz. Waren wir früher »Spitzen« Marta Aparicio und Sachsen nicht alle mal links? Roland Hamm wollen Schauspieler Jan Fedder, Hamburger 14 WAHL ’11 34 PROGRAMMDEBATTE Abendblatt, 8./9. 1. 2011 Wulf Gallert (Sachsen-Anhalt): Heiko Kosel, Raju Sharma: Minder- Eine Landtagswahl gewinnen heiten schützen 35 VERBRAUCHERSCHUTZ 16 KREISVERBAND Politik mit dem Einkaufskorb. Hamm: Immer willkommen! Zu Leitlinien der LINKEN 17 FEUILLETON 36 DOKUMENTIERT 18 KREISVERBAND : Geschenk an Zwischen Taunus und Vogelsberg: Alteigentümer Wetterau 37 ANTIFASCHISMUS 20 LANDESVERBAND Zum Widerstand gegen Nazi-Auf- Klein, aber bemerkenswert!? märsche in Dresden Cornelia Barth über die LINKE in 38 DEBATTE Bremen Gerry Woop: Transformationsideen 22 TRADITION auch in der Sicherheitspolitik! Bei Rosa und Karl. Gedenken an 40 PRESSEDIENST Luxemburg und Liebknecht 41 DEMNÄCHST 23 GESCHICHTE © Erich Wehnert Die Gedenkstätte in Berlin- 42 KULTUR Nelken für Luxemburg und Liebknecht. Friedrichsfelde Kabarettist Peter Ensikat: Mit der Seite 22 Freiheit kam auch die Beliebigkeit 24 ANTIFASCHISMUS 46 BÜCHER Immer wieder muss kritische Geschichtspolitik erkämpft werden 47 JANUARKOLUMNE 25 NACHBELICHTET 48 SEITE ACHTUNDVIERZIG

ZAHL DES MONATS 7.190.000

In Deutschland arbeiteten 2009 rund 7,19 Millionen Menschen auf »400-Euro«-Basis. 4,93 Millionen von ihnen bezogen laut Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichem Institut in der Hans-Böckler-Stiftung kein anderes Arbeitseinkommen. Diese Minijobs seien ein »typisch westdeutsches Phänomen«: 6,28

Millionen gab es in den alten © DIE LINKE/Karin Desmarowitz Bundesländern. Sudan zwischen Abstimmung und Teilung. Seite 26

IMPRESSUM DISPUT ist die Mitgliederzeitschrift der Partei DIE LINKE, herausgegeben vom Parteivorstand, und erscheint einmal monatlich über Neue Zeitungsverwaltung GmbH, Weydingerstraße 14 – 16, 10178 Berlin VERÖFFENTLICHUNG gem. § 7A Berliner Pressegesetz Gesellschafter der NDZ GmbH: Föderative Verlags-, Consulting- und Handelsgesellschaft mbH – FEVAC –, Gesellschafter der FEVAC GmbH: Uwe Hobler, Diplom-Agraringenieur, Berlin (40 Prozent), Dr. Ruth Kampa, Rechtsanwältin, Berlin (30 Prozent), Joachim Philipp, Rechtsanwalt, Berlin (30 Prozent) REDAKTION Stefan Richter, Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin, Telefon: (030) 24 00 95 10, Fax: (030) 24 00 93 99, E-Mail: [email protected] GRAFIK UND LAYOUT Thomas Herbell DRUCK MediaService GmbH BärenDruck und Werbung, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin ABOSERVICE Neues Deutschland, Druckerei und Verlag GmbH, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin, Telefon: (030) 29 78 18 00 ISSN 0948-2407 REDAKTIONSSCHLUSS 17. Januar 2011 DER NÄCHSTE DISPUT 17. Februar 2011

INHALT DISPUT Januar 2011 02 TINA SEIDEL Tina, 30, studiert in Kiel in den Fachrichtungen Pädagogik und Soziologie und absolvierte mal eine Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation in Chem- nitz. Seit 2005 ist sie Mitglied der Partei. Tinas Hobbys sind die Gewerkschafts- arbeit und Musik hören, am liebsten in Konzerten und bei Festivals.

Was hat Dich in letzter Zeit am meisten überrascht? © privat Ich mich: dass ich meine berufl iche Sicherheit aufgegeben habe, um mich durch ein Studium selbst zu verwirklichen.

Was ist für Dich links? Ein Lebensgefühl, in dem ich mich wohlfühle. Links ist für mich unter anderem der Kampf für eine gerechte Verteilung in der Gesellschaft.

Worin siehst Du deine größte Schwäche, worin Deine größte Stärke? Meine größte Schwäche ist wahrscheinlich, dass ich sehr ungeduldig sein kann. Ich denke, meine Freundlichkeit und Offenheit gegenüber anderen Menschen ist meine größte Stärke. Gegen mein Lächeln kommt fast nix an.

Was war Dein erster Berufswunsch? Busfahrerin für Fernreisen; ich hatte mich in den Busfahrer unserer Klassen- fahrt verknallt: die Welt bereisen, ständig unterschiedliche Menschen kennen- lernen ...

Wie sieht Arbeit aus, die Dich zufrieden macht? Wenn ich selbstständig tätig sein kann, ohne enge Rahmen vorgegeben zu bekommen. Sowohl was die organisatorische Seite betrifft (zum Beispiel Arbeitszeit) als auch die Inhalte der Arbeit. Ich möchte selbst denken können. Habe auch gern Menschen um mich. Wenn ich denen dann noch zu persön- lichen Erkenntnissen verhelfen kann, bin ich zufrieden.

Wenn Du Parteivorsitzende wärst ... Ich will keine Parteivorsitzende sein.

Was regt Dich auf? Wenn Menschen sich die sogenannten Dokusoaps im Fernsehen ansehen und glauben, das wäre Realität.

Wann und wie hast Du unlängst Solidarität gespürt? Im vorigen Jahr am 13. Februar, als viele Menschen gemeinsam in Dresden gegen die Nazis auf die Straße gegangen sind. Ich hoffe, dass auch in diesem Jahr viele in Dresden die Straßen blockieren.

Wovon träumst Du? Merkwürdige Dinge von Hunden, die Fässer mit Alkohol durchs Land tragen ... und das ziemlich oft.

Wofür gibst Du gerne Geld aus? Für Bücher. Ich frage mich manchmal, ob ich sie wirklich alle lesen werde.

Möchtest Du (manchmal) anders sein, als Du bist? Nö, ich mag mich so, wie ich bin.

Müssen Helden und Vorbilder sein? Nein, ich habe kein allumfassendes Vorbild. Es gibt allerdings viele Menschen, die aus meiner Sicht tolle Dinge getan oder gesagt haben.

Wann fühlst Du Dich gut? Wenn ich mit meinen Liebsten an der See bin, den Wellen zuhöre und die Weite genießen kann.

Welche Eigenschaften schätzt Du an Menschen besonders? Humor, Selbstbewusstsein, Offenheit, Geduld.

Wie lautet Dein Lebensmotto? Alles wird gut!

30 DISPUT Januar 2011 FRAGEZEICHEN Motor für den Politikwechsel werden Vom politischen Jahresauftakt der Partei im Länder-Wahljahr 2011 Von Günter Müller

Die Ersten, die zum politischen Jahres- kein Afghanistankrieg, keine Krisen- der Kapitalismus nicht das Ende der auftakt der LINKEN am 10. Januar in der bewältigung durch Niedriglöhne, kein Geschichte ist und dass dem demokra- Berliner Kongresshalle am Alex erschie- Ausverkauf der parlamentarischen De- tischen Sozialismus die Zukunft gehört. nen, waren Kameragruppen und Kom- mokratie an die Lobbyisten. »Je stärker So steht es auch im Programmentwurf mentatoren von allen bekannten Medi- die LINKE, desto sozialer das Land!«. unserer Partei, und das ist richtig so! en. Kaum, weil sie die Politik der LIN- Und was die LINKE verlangt, das kann Jenseits der veröffentlichten Mei- KEN in die Wohnhäuser tragen wollten. sie auch vorrechnen. Indem wir dies nung gibt es auf diesen Artikel im We- Mehr, weil sie die Personalpolitik der beweisen, machen wir uns unverwech- sentlichen drei unterschiedliche Reak- Partei aufschäumen sollten. Knatsch- selbar und unverzichtbar. tionen per Mail, Post und Telefon: Ers- punkte vernebeln die Kernpunkte: vo- Was wer sagte, soll hier als knapper tens Zustimmung mit dem Grundtenor: riges Jahr Gysi gegen Bartsch oder Auszug stehen, mehr gibt’s im Internet. Endlich reden wir mal wieder über Bartsch gegen Lafontaine – dieses Jahr grundsätzliche Inhalte. Zweitens Kritik Lötzsch gegen Gysi oder alle gegen die Gesine Lötzsch: mit dem Grundtenor: Der Beitrag ist im Richtigen? Superwahljahr 2011 eine Steilvorlage Die Troika Lötzsch, Ernst und Gysi In meinem »junge-Welt«-Artikel für unsere Gegner. Drittens Ablehnung ritt im fl otten Galopp gegen alle, die (3.1.2011) habe ich die Frage nach einer mit dem Grundtenor: Geh doch nach zur Kampagne gegen DIE LINKE ange- neuen Gesellschaft extrem zugespitzt Nordkorea! (...) treten sind. Das war klug, überzeugend und damit deutlich gemacht, dass wir Sehr ernst nehme ich die Kritik von und mitreißend. Das hat der genervten nicht nur die Tagesprobleme der Men- Genossinnen und Genossen, die mei- Basis gut getan. schen aufgreifen, sondern auch die Zu- nen, ich hätte mit meinen Äußerungen Die Wellen des Beifalls brachten kla- kunftsprobleme anpacken müssen. Wir dem politischen Gegner eine Steilvorla- re Sätze: Über das Programm streiten dürfen nicht die alltägliche Illusion ver- ge geliefert. Nein, ich wollte dem politi- alle Mitglieder. Über die Parteispitze breiten, dass wir im Kapitalismus die schen Gegner keine Steilvorlage liefern. entscheidet der Parteitag. Die sieben grundlegenden Probleme der Mensch- Irritationen verstehe ich, doch ich ha- Landtagswahlen verlangen Geschlos- heit lösen können. Wir brauchen eine be in den letzten Tagen immer wieder senheit im Auftreten und Klarheit im andere Gesellschaft, wir brauchen den eindeutig klargestellt, so wie es auch Bekenntnis zum Wählerwillen: Mit uns demokratischen Sozialismus. Ich kom- am Schluss des Artikels steht, dass un- kein Hartz IV, keine Rente erst mit 67, me in dem Artikel zu dem Schluss, dass ser Ziel der demokratische Sozialismus

PARTEI DISPUT Januar 2011 04 © Erich Wehnert (3) ist und dass wir keine kommunistische entweder ignorant oder böswillig. (...) Partei gewinnen, weil sie spüren, dass Partei sind. Der amerikanische Soziologe Ri- sie bei uns einen tiefen Sinn fi nden. Ich bin der Auffassung, dass unsere chard Sennett schreibt über den Kapi- Diesen Sinn kann der Kapitalismus ih- Vorstellungen von einer gerechten Ge- talismus: »Ein Regime, das Menschen nen nicht geben. Haken wir uns also sellschaft, vom demokratischen Sozia- keinen tieferen Grund gibt, sich umei- unter – so, wie es Oskar gestern bei der lismus viele Menschen im tiefsten In- nander zu kümmern, kann seine Legi- Veranstaltung im »Kosmos« gefordert neren bewegen und sie dringend nach timität nicht lange aufrecht erhalten.« hat –, gehen wir gemeinsam selbstbe- Antworten suchen. Was die Menschen Wir, DIE LINKE, geben den Menschen wusst in den Wahlkampf und gewinnen nämlich wirklich schreckt, ist der Kapi- einen tiefen Grund, sich umeinander wir viele Menschen, die sich mit uns ge- talismus, der aus dem Ruder gelaufen zu kümmern. Dieses gute Gefühl der meinsam auf den Weg machen wollen, ist, und nicht das Nachdenken über ei- Solidarität werden wir in allen Wahl- diese Gesellschaft zu verändern und ei- nen demokratischen Sozialismus! (...) kämpfen vermitteln. nen demokratischen Sozialismus auf- Ich will eine andere Gesellschaft, ei- Wir werden Menschen für unsere zubauen! ne Gesellschaft, in der Menschen nicht ausgegrenzt werden. Das schließt Sta- Gregor Gysi: linismus und autoritären Sozialismus grundsätzlich aus. Nein, ich habe nicht Wir stehen vor sieben wichtigen Land- die Opfer des Stalinismus und des au- tagswahlen, zum Teil gekoppelt mit toritären Sozialismus vergessen, natür- Kommunalwahlen, und vor zwei ge- lich nicht, wie könnte ich! sonderten Kommunalwahlen im Jahr Wir haben schon 1990 auf unserem 2011. Und wenn wir irgendetwas tau- Gründungsparteitag (der PDS – d. Red.) gen, dann müssen wir diese Wahlen mit dem Stalinismus gebrochen und erfolgreich gestalten, um ein Signal uns bei den Opfern entschuldigt. 20 in die Gesellschaft zu setzen, dass sie Jahre lang haben wir nicht nur Artikel sich zu verändern hat. Das ist unsere und Bücher geschrieben, sondern uns politische Aufgabe. Und ich will versu- sehr intensiv und schmerzhaft mit un- chen zu beweisen, dass wir unersetz- serer Geschichte auseinandergesetzt. bar sind für unsere Gesellschaft. Wenn Und es ist kein Geheimnis, dass die- wir das nicht wären, hätten wir gewisse ses Ringen nicht jedem gefallen hat. Es Tendenzen, überfl üssig zu werden. Das gibt auch Menschen, die unsere Partei Die Troika Lötzsch, Ernst und Gysi ritt betrifft aber eigentlich andere. (…) deshalb verlassen haben. Wer also im- zum fl otten Galopp gegen alle, die zur Zum Schluss unserer Programmde- mer noch behauptet, wir hätten unsere Kampagne gegen DIE LINKE angetreten batte stehen wir vor folgender span- Geschichte nicht aufgearbeitet, der ist sind. nenden Frage: Beschließen wir ein Pro-

50 DISPUT Januar 2011 gramm für 55 Prozent der Mitglieder wir den Begriff nicht. Aber eine theo- te, die sie niemals hatte, die sie heu- gegen 45 Prozent der Mitglieder, oder retische, politische Auseinanderset- te nicht hat und die sie niemals haben beschließen wir ein Programm für 90 zung wird es selbstverständlich ge- wird, dann erfordert das unsere ganze Prozent der Mitglieder. Wenn wir Letz- ben, und dazu muss man auch den Be- Solidarität mit ihr. Und die wird sie von teres wollen, müssen wir Kompromis- griff verwenden. Und wir haben schon mir auch bekommen, damit das ganz se suchen und finden. Ich bin jetzt 1989 und auch bei der jetzigen Partei- klar ist. (…) schon sicher, dass wir uns verstän- bildung für DIE LINKE eins entschie- Wir müssen der Motor für gesell- digen. Lasst Euch nicht kirre machen, den: Wir sind und bleiben eine plura- schaftliche Korrekturen, für einen Po- wir kriegen ein vernünftiges Programm listische, linke Partei. Wir waren keine litikwechsel werden. Nicht Koalition Ja oder Nein ist die spannende Frage, sondern welchen Politikwechsel wir anstreben wollen, für den wir streiten. Das ist das Entscheidende. Aber ein Motor in der Entwicklung können wir nur mit eigenständigen Positionen wer- den, und ich sage Euch, wir haben viele Alleinstellungsmerkmale. (…) Also: Parlamente stärken, Lobbyis- ten zurückdrängen, Bürgerinnen- und Bürgerbeteiligung ausbauen, Volks- entscheide ermöglichen, das Recht auf politischen Streik durchsetzen, Demo- kratie in der Wirtschaft ausbauen und einführen. Das heißt Vergesellschaf- tung der Banken und des Energiesek- tors, Mitarbeiterbeteiligung und Mitei- gentum bei großen Unternehmen. Da- für streiten wir. Und wir sind es, die am konsequentesten die Interessen der Menschen in Ostdeutschland vertreten. Wir kämpfen – übrigens zum Teil auch gegen die Gewerkschaften – endlich zum Ende des Jahres! Und jetzt haben kommunistische Partei, wir sind keine für die Angleichung der Löhne, Gehäl- wir noch eine Kommunismus-Debatte. kommunistische Partei und wir werden ter und Renten in Ost und West. Glei- Also, lasst mich ganz kurz, aber auch auch keine kommunistische Partei wer- che Leistung, gleicher Lohn und glei- sehr eindeutig zumindest meine Hal- den. Das ist entscheidend, und diese che Arbeitszeit, gleiche Lebensleistung, tung dazu beschreiben. Botschaft können wir der Bevölkerung gleiche Rente! Und wer das nicht will, Erstens, die alte Bundesrepublik mitteilen! (…) ist nicht für die Einheit Deutschlands, Deutschland war politisch und struk- Und nun sage ich auch ganz klar: sondern für die Spaltung! (…) turell völlig anders strukturiert und or- Man kann ja über Artikel streiten, man All das ist n ur unsere Politik. Wir sind ganisiert als die anderen Länder, auch kann auch den einen Satz anders for- diesbezüglich einmalig. Damit können Westeuropas. Es gab und gibt zum Teil mulieren und so weiter, das weiß ich al- und müssen wir versuchen die Men- immer noch einen militanten Antikom- les sehr gut. Mir sind auch schon Sätze schen zu überzeugen. Das gelingt aber munismus. Den kannten weder Itali- missglückt. Es geht mir um etwas ganz nur, wenn wir sieben erfolgreiche Land- en noch Frankreich, aber der war aus- anderes. Wenn jetzt so getan wird, als tagswahlen gemeinsam schaffen. Wenn geprägt in der alten Bundesrepublik ob Gesine Lötzsch Einstellungen hät- wir immer mehr Mitglieder, Sympathi- Deutschland. (…) In den neuen Bundesländern ist der Begriff des Kommunismus gar nicht so diskreditiert wie in den alten. Weil vie- le Menschen in den alten Bundeslän- dern, wenn sie den Begriff Kommu- nismus hören, eben nicht an die Visi- on von Marx denken, sondern sie den- ken an Stalin, sie denken an Mauer, sie denken an Tote. Das kann man ignorie- ren und sagen: interessiert mich nicht, ich verstehe ja etwas anderes darunter. Wenn man es ignoriert, selektiert man sich allerdings. Weil man ja aufgibt, diese Menschen zu erreichen. Das will ich auf gar keinen Fall. (…) … dieser Be- griff wird nicht unser Ziel im kommen- den Programm sein. Da bin ich ganz si- cher. Und dieser Begriff wird auch nicht unsere Alltagspolitik prägen. Auch da

bin ich ganz sicher. Dafür brauchen © Erich Wehnert (3)

PARTEI DISPUT Januar 2011 06 santinnen und Sympathisanten dazu mit uns gibt es Mehrheiten zur Regu- die Vergesellschaftung der Banken. motivieren, leidenschaftlich zu kämp- lierung der Leiharbeit. Nur mit uns gibt Warum ist das ein zentraler Punkt? Wir fen – ich sage Euch, ein Wahlkampf oh- es die Rücknahme der Rente ab 67. (...) erleben, dass inzwischen die Banken ne Leidenschaft taugt gar nichts, Lei- hat vollkommen über die Haushalte der Länder und denschaft müssen wir erzeugen –, und recht, wenn er sagt: Je stärker DIE LIN- über die Haushalte der Nationen be- wer das nicht will, wer für diese Ziele KE, desto sozialer das Land. Das gilt stimmen. Wir müssen die Banken wie- nicht steht und wer nicht will, dass wir auch in der Zukunft. der zu dem machen, was sie sein müs- bei Landtagswahlen erfolgreich sind, Eine zentrale Forderung der LIN- sen: Dienstleister der Realwirtschaft. der will auch keine linke Politik. Der will KEN ist und bleibt, eine gerechte Ver- Weil es so nicht weiter geht, brauchen auch nicht die notwendige Veränderung teilung in diesem Land herzustellen. wir den Bankensektor unter gesell- in der Gesellschaft. Da wir die genann- Dazu brauchen wir den Mindestlohn. schaftlicher Kontrolle. (...) ten Ziele gemeinsam tragen, müssen Dazu brauchen wir gleichen Lohn bei Die letzte große Überschrift bei un- wir jetzt gemeinsam und leidenschaft- gleicher Arbeit in der Leiharbeit. Da- seren Themen ist natürlich die Frage lich für top Wahlergebnisse für DIE LIN- zu brauchen wir eine Regelung, dass des Friedens. Es bleibt dabei, dass KE in Hamburg, in Sachsen-Anhalt, in befristete Beschäftigung nicht einfach wir Kriegseinsätze ablehnen, dass für Rheinland-Pfalz, in Baden-Württem- eingeführt werden kann, sondern dass uns der Krieg kein Mittel der Politik ist. berg, in Bremen und Bremerhaven, in diese tatsächlich an sachliche Gründe Ausschließlich humanitäre Einsätze Mecklenburg-Vorpommern und in Ber- gebunden ist und dass man Jugendli- sind unser Vorschlag, weil wir der Auf- lin kämpfen und streiten. chen eine Chance gibt. fassung sind, dass Geld in humanitä- ren Einsätzen bei Weitem mehr Men- schen hilft als jeder Einsatz, der mit Krieg verbunden ist. Bei dieser Positi- on muss es bleiben. Mit all diesen Punkten waren wir in der Vergangenheit sehr erfolgreich. Natürlich müssen wir den einen oder anderen Punkt aufgrund von aktuel- len Entwicklungen weiterentwickeln. Wir werden unsere Positionen und For- derungen ausbauen. Wir müssen sie auch in den Landtagswahlen einbrin- gen, die jetzt anstehen. Keine dieser Landtagswahlen ist unwichtig. Wir wollen im Osten un- seren Charakter als Volkspartei aus- bauen, und wir wollen in zwei weite- ren Ländern im Westen in die Landta- ge einziehen. (...) Wir sind im Wahlkampf. Das bedeu- tet, dass der Gegner außerhalb der Neben den Reden fand die Gesprächsrunde mit den SpitzenkandidatInnen aus den Partei und nicht in den eigenen Reihen »Wahlländern«, moderiert durch Luc Jochimsen, besonderes Interesse. steht. Wenn wir das beachten, werden wir unsere Erfolgsserie auch fortset- Im Theater heißt es, dass nur eine Das zweite wichtige Thema für uns zen können und stärker werden. misslungene Generalprobe zu einer gu- ist die Frage eines modernen Sozial- Nicht für uns selber, sondern für ten Premiere führt. Den ersten Teil ha- staats. Da geht es natürlich um die die Menschen in unserem Land müs- ben wir hervorragend absolviert. Nun Finanzierung des Sozialstaats. Dafür sen wir das machen! muss uns der zweite einfach top gelin- wollen wir eine Millionärssteuer. Da- gen. für wollen wir einen Spitzensteuersatz. Die Ersten, die die Berliner Kongress- (...) Es bleibt dabei, dass wir den Sozi- halle am Alex beim Jahresauftakt der Klaus Ernst: alstaat neu gestalten wollen. Dazu ge- LINKEN verließen, waren jene Medi- hört, dass unsere Kernforderung »Weg envertreter, die umsonst auf Spreng- Aufgrund der aktuellen Debatte hat mit Hartz IV« weiterhin gilt. Das gilt stoff hofften. Die Sitz- und Stehplätze sich Herr Gabriel in den letzten zwei, insbesondere angesichts des entwür- reichten trotzdem nicht. Aber die Teil- drei Tagen geäußert, dass er keine Ko- digenden Geschachers um fünf Euro nehmerinnen und Teilnehmer gingen alition mit uns eingehen will. Da kann mehr Hartz-IV-Regelsatz, während 500 mit Wind in den Segeln. Die Partei ist ich nur sagen: Wenn die SPD nicht ei- Milliarden Euro mehr für die Banken jung, pluralistisch und demokratisch, ne grundlegend andere Politik in der für die Bundesregierung kein Problem und sie wird von allen Fregatten der Frage guter Löhne, guter Beschäfti- sind. Das ist nicht akzeptabel. (...) politischen Gegner auf ihrem Kurs be- gungsverhältnisse und regulierter Ar- Das dritte große Thema ist natür- drängt. Dieser Kurs zielt nicht auf eine beitsmärkte betreibt, dann kommt sie lich die Frage der Demokratie. Es ist ferne Insel der Seligen, sondern zu er- für uns als Koalitionspartner nicht in- bereits angesprochen worden, auch reichbaren Ufern: Mehr Frieden, mehr frage. von Gregor: unsere Forderungen nach Demokratie, mehr soziale Gerechtig- Niemand soll sich Illusionen ma- Volksentscheiden auf Bundesebene keit, mehr Solidarität und Mut bei den chen. Nur mit uns gibt es Mehrheiten und nach der Legalisierung des poli- Schwachen! für die Einführung eines gesetzlichen tischen Streiks. Aber ich möchte noch Der Jahresauftakt in Berlin bewies, Mindestlohns – fl ächendeckend. Nur auf einen Punkt eingehen. Das betrifft dass wir wieder Fahrt aufnehmen.

70 DISPUT Januar 2011 Auf ein erfolgreiches Jahr 2011! Unser Programmjahr ist zugleich auch Wahljahr für (fast) die halbe Republik Von Bundesgeschäftsführerin Caren Lay

Zu Beginn des neu- Denn unser Programm muss dem Cha- sozialer Gerechtigkeit. Deswegen heißt en Jahres möchte rakter der LINKEN als Sammlungsbewe- es auch in unserer Wahlstrategie für al- ich nicht versäumen, gung entsprechen, oder es wird diesen le Wahlkämpfe: »Konsequente Politik allen zu danken, die konterkarieren. gegen soziale Spaltung und Ausgren- im letzten Jahr mit Es gibt für die in unserer Partei ver- zung, gegen den Kahlschlag im Bereich ihrer Arbeit zum Er- sammelten Menschen mit ihren ver- sozialer Leistungen, Rückgewinnung folg der LINKEN bei- schiedenen linken Politikansätzen auf des Öffentlichen, längeres gemeinsa- getragen haben. Mein Dank geht auch Dauer nur dann einen Grund, versam- mes Lernen, Bürgernähe und mehr De- an die vielen Genossinnen und Genos- melt zu bleiben, wenn ihr politisches mokratie, fi nanziell gut ausgestattete sen, die kluge Beiträge zur Verbesse- Denken auch entsprechend repräsen- Kommunen, gleichwertige Lebensver- rung unseres Programms verfasst ha- tiert ist. Die von Bisky erwähnte erfolg- hältnisse in Ost und West, Integration ben. Und ich bedanke mich an dieser reiche Immunisierung gegen den Spalt- der Migrantinnen und Migranten, regi- Stelle besonders bei den Leserinnen pilz bedeutet zu akzeptieren, dass wir onal und lokal ausgerichtete Nutzung und Lesern des Dezember-»DISPUT«, nicht gegeneinander Recht haben kön- der dezentralen, regionalwirtschaft- die sich an der Befragung zu den Par- nen. Gelingen kann Zusammenarbeit lichen Potenziale der erneuerbaren teimedien und zum »DISPUT« beteiligt nur mit Toleranz und Offenheit, auch Energie und des sozialökologischen haben. was die Änderung und Verbesserung Umbaus.« Das Jahr 2011 wird für die weitere des vorliegenden Programmentwurfs Entscheidend sind für uns nicht Entwicklung unserer Partei von erheb- anbelangt. Konstellationen und frühzeitige Spe- licher Bedeutung sein. Dabei haben wir Zugleich aber gibt es für Parteien kulationen über Koalitionen. Wir wer- es selbst in der Hand, in welche Rich- keine Auszeiten zur Selbstfi ndung. Un- den in allen Wahlkämpfen auf unsere tung wir uns bewegen. DIE LINKE ist ser Programmjahr ist zugleich auch eigene Stärke setzen. DIE LINKE ist in eine pluralistische Sammlungsbewe- Wahljahr für (fast) die halbe Repub- allen Parlamenten unverzichtbar. Sie gung, die von deutlich unterscheidba- lik. Wir stehen mit unseren Vorschlä- allein ist der Garant, dass das Ziel der ren Denk- und Handlungsansätzen ge- gen permanent auf dem Prüfstein der sozialen Gerechtigkeit konsequent ver- prägt ist. Das wussten und das wollten öffentlichen Wahrnehmung. Unser al- folgt wird. wir so, und auf dieser Basis haben wir ler Verantwortung für unsere Partei, al- in den letzten Jahren eine ganze Reihe so auch für die Möglichkeit der gesell- Alle mobilisieren! großer Erfolge erzielt. for- schaftlichen Verankerung und Verwirk- mulierte 2008 die wesentliche Grund- lichung unserer Politikvorstellungen, Wesentlich für möglichst viele Wahl- lage dafür: »Es ist (...) eine LINKE, die ist hier gefordert. Schlechte Wahler- erfolge wird nicht nur sein, wie wir un- erfolgreich gegen den tödlichen Spalt- gebnisse können in niemandes Inter- sere guten Ideen und Konzepte öffent- pilz geimpft wurde und nicht alle linken esse sein. lich vertreten, sondern auch, ob es uns Kinderkrankheiten noch einmal durch- gelingt, alle Parteimitglieder für den leben will.« Wahlkampf zu mobilisieren. Diese Auf- Auf unsere eigene Stärke setzen In den kommenden Monaten ha- gabe ist inzwischen etwas schwerer zu ben wir Gelegenheit nachzuweisen, ob Unterschiedlicher könnten die Situati- lösen als in den euphorischen Anfangs- wir dieser Selbstbeschreibung gerecht onen in den Ländern und folglich die jahren unserer Partei. Es ist leider un- werden. Wahlziele im Superwahljahr 2011 für übersehbar geworden, dass der inner- DIE LINKE nicht sein: Wir kämpfen für parteiliche Dissens an einigen Stellen den gestärkten Wiedereinzug in Ham- den gemeinsamen Kampf für eine ge- Keine Auszeit zur Selbstfi ndung burg und Bremen. In Rheinland-Pfalz rechtere Gesellschaft überlagert. Das Zuerst und als Aufgabe aller Genossin- und Baden-Württemberg geht es dar- Bestreben, gegeneinander Recht zu nen und Genossen haben wir ein Par- um, dass DIE LINKE den Einzug in die haben und innerparteilich den »Sieg« teiprogramm zu erarbeiten. Im vergan- Landtage schafft. Völlig anders ist die zu erringen, anstatt unsere linke Viel- genen Jahr wurden dafür wesentliche Situation im Osten des Landes: Wir falt als Stärke zu entwickeln, hat da- Grundlagen gelegt. wollen in Sachsen-Anhalt erstmals den zu nicht unwesentlich beigetragen. So- Der Textentwurf der Programmkom- Ministerpräsidenten stellen. In Berlin wohl für den Erfolg in den sieben Land- mission stieß auf starken Widerhall und in Mecklenburg-Vorpommern wol- tagswahlen dieses Jahres als auch für in der Partei. Sehr viele Ideen, Anre- len wir in der Regierung bleiben bzw. das Gelingen eines Programms, das ein gungen und Vorschläge aus allen Rich- die Regierungsbeteiligung zurück- tragfähiges Fundament unserer Partei tungen sind dazu inzwischen erarbeitet gewinnen. Dieser Spagat gelingt nur bildet, sollten wir daraus die richtigen worden. Allerdings ist die Erarbeitung durch gegenseitige Toleranz und inner- Schlüsse ziehen. eines Programms einer so heterogenen parteiliche Solidarität. In diesem Sinne: Lasst uns gemein- Partei wie der LINKEN um einiges an- Bei aller Unterschiedlichkeit in den sam für einen starken Einzug in die spruchsvoller als in einer kleinen Ka- Wahlkampf führenden Ländern eint Landtage kämpfen. Beweisen wir un- dergruppe oder in einer stärker hie- uns doch der Kampf für einen Politik- seren Kritikern, dass DIE LINKE nichts rarchisch strukturierten Organisation. wechsel hin zu mehr Demokratie und von ihrer Stärke verloren hat!

PARTEI DISPUT Januar 2011 08 »Ich fi nde, da geht noch was!« Für einen Politikwechsel in der Hansestadt – Hamburgs LINKE verabschiedet ihr Wahlprogramm Von Stefan Richter

gramm heißt es dazu: »Wir sehen uns nicht als Arzt am Krankenbett von SPD und Grünen, sondern stehen für ei- nen Einstieg in einen Politikwechsel. Wir unterstützen jeden Schritt in die- se Richtung, aber sind für einen puren Austausch von Personen allein nicht zu haben.« Wollten SPD und GAL, dass wir ihren Bürgermeister tolerieren, sollte es mit ihren Mandaten nach der Wahl nicht reichen, dann müssten sie sich substanziell bewegen. Ihre Schritte zu einem Politikwechsel müssten glaub- würdig gegangen werden. In dem Fall werde DIE LINKE mit Initiativen, Ge- werkschaften und Bewegungen und auf einem Sonder-Landesparteitag die

© Stefan Richter © Stefan Lage beraten und die Mitglieder in ei- ner Urabstimmung entscheiden lassen. »Pünktlich sein«, »Schuhe anziehen«, schließlich sollen doch gerade jene »Für uns gilt: Original sozial – vor und »leise sein«, »sitzen bleiben«. Ein angesprochen werden, denen der Zu- nach der Wahl.« paar Regeln sollen sein, in der Louise- gang zur politischen Debatte erschwert Im Vergleich zum vorigen Wahlpro- Schroeder-Schule in Hamburg-Altona. oder verwehrt ist. Was in jeder Diskus- gramm sei das jetzige viel konkreter, Am 8. Januar sind es andere Regeln, sion beachtet werden sollte, versucht bestätigt die Fraktionsvorsitzende und DIE LINKE diskutiert und beschließt ihr Horst Bethge mit einem indonesischen Spitzenkandidatin Dora Heyenn: »Das Wahlprogramm für die Bürgerschafts- Sprichwort zu illustrieren: »Wer nur ei- geht hin bis zur Gummibereifung vom wahl am 20. Februar. Begrüßt werden nen Hammer hat, für den sieht jedes Bus, bis zu klaren Forderungen für den die Delegierten durch Landesspreche- Problem wie ein Nagel aus.« Hart ins ÖPNV in bestimmten Stadtteilen. Durch rin Regine Brüggemann: Als erster Ter- Gericht mit dem Programmentwurf geht unsere Erfahrungen in der Bürgerschaft min im Wahlkalender 2011 komme Lilo Lottermoser; sie vermisst Sinnlich- und in den sieben Bezirksversammlun- Hamburg eine besondere Bedeutung keit: »Halbtote Herzen erreichen wir so gen kennen wir jetzt natürlich auch die zu. Sechs bis sieben Prozent der Stim- nicht.« ganz konkreten Probleme besser. Das men würden derzeit für DIE LINKE vor- Eine große Übereinstimmung wird Wahlprogramm ist auch insofern ein ausgesagt – »Ich fi nde, da geht noch deutlich bei der Beschreibung Ham- bisschen anders, als wir gelernt ha- was!« Das fi nden auch Gesine Lötzsch burgs als einer »sozial tief gespalte- ben, dass wir die ganz großen Würfe und Gregor Gysi. »Euer Wahlergeb- nen« Stadt. »Viele Bürgerinnen und nicht innerhalb von vier Jahren schaf- nis wird die Messlatte für die anderen Bürger sind arm, nicht trotz, sondern fen, sondern dass man kleinere Schrit- sein«, sagt die Parteivorsitzende; »Nur wegen des Reichtums weniger«, heißt te gehen muss, damit man sich den eine gestärkte hanseatische LINKE er- es im Programm. Nach dem Bruch der Frust nicht selbst organisiert, indem möglicht einen Politikwechsel – egal Koalition aus CDU und GAL (Grün-Al- man sich zu viel vornimmt.« ob in Regierung oder in Opposition«, ternative-Liste) bestehe nun die Chan- Insgesamt 80 Änderungsanträge betont der Fraktionsvorsitzende. Bei- ce, dass die Stadt wieder ihre Aufga- sind zu beraten, ehe das Wahlprogramm de zollen der Partei in der Hansestadt ben wahrnimmt. Mit einem bloßen Re- gegen 23 Uhr ohne Gegenstimme verab- Anerkennung für ihr Wirken in den ver- gierungswechsel, hin möglicherweise schiedet werden kann. DIE LINKE setzt gangenen Jahren und ermutigen sie, zu einer Koalition aus SPD und Grünen, sich programmatisch – und praktisch! – mit Leidenschaft und Selbstbewusst- sei es jedoch nicht getan. Gerald Kem- für soziale Gerechtigkeit ein, für Armuts- sein für einen Politikwechsel und zu- ski hebt hervor, DIE LINKE müsse im bekämpfung, die Schaffung von Arbeits- gleich für ein gutes Ergebnis zu kämp- Wahlkampf gegen »Amnesie« kämp- plätzen, die Abschaffung von Hartz IV, fen, auch als Motivationsschub für die fen, gegen das Vergessen, welchen An- für gebührenfreie Bildung, einen Kurs- folgenden Wahlkämpfe. teil beispielsweise SPD-Spitzenkandi- wechsel in der Haushaltspolitik und für Ein Wahlprogramm sei kein Partei- dat bei der Durchsetzung Hamburg als Friedensstadt. programm, unterstreicht Joachim Bi- der und bei der Auswei- Ach so, unter den Schulhinweisen schoff in der Aussprache: Wir müssen tung der Leiharbeit gehabt habe. fehlt nicht der folgende: »wir fangen noch hart an uns arbeiten, um unse- Zu einem der Streitpunkte wird er- zusammen an«. Hamburgs LINKE hat’s re Botschaften knapp und verständ- wartungsgemäß die Frage, ob DIE LIN- beherzigt. lich rüberzubringen. Ein Gedanke, der KE schon vor der Wahl eine theore- auch andere beschäftigt. »Werden tisch mögliche Koalition mit SPD und www.fuer-ein-soziales-hamburg.de/ wir verstanden?«, fragt eine Genossin, GAL defi nitiv ausschließen soll. Im Pro- programm/wahlprogramm

90 DISPUT Januar 2011 WAHL ‘11 Ihr seid bei der Landtagswahl Ende März Marta: Wir haben eine Doppelspitze gewählt, um ein Zei- eine Doppelspitze – aber in anderer Wei- chen zu setzen: Chancengleichheit für Frauen und Männer, se als sonst bei Landtagswahlen bekannt ... gleichwertige Integration und Chancen für Migranten. Wir Roland: Das ist relativ kompliziert: Wir sind für politische Pluralität, wie es sie in der LINKEN gibt: beide sind nicht die Nr. 1 und 2 (oder 2 und Roland kommt aus der SPD, ich komme aus linken Basisbe- 1) auf einer Landesliste. In Baden-Württem- wegungen. berg haben wir ein völlig anderes Wahlsys- Spitzenkandidaten zu sein bedeutet nicht, dass wir in tem, es gibt keine Landesliste und damit den Landtag kommen. Wir müssen in ganz Baden-Württem- auch keine abgesicherten Plätze. Wir müs- berg und in unserem Wahlkreis gewinnen. Das ist eine gro- sen uns in allen Wahlkreisen massiv anstrengen, um insge- ße Herausforderung für uns. DIE LINKE muss in den Landtag! samt die 5-Prozent-Hürde zu nehmen. Daraus errechnet sich Denn Baden-Württemberg braucht eine starke und lebendi- die Anzahl unserer Mandate. In den Umfragen liegen wir so ge Bürgerbewegung und ein Sprachrohr im Parlament, um um die fünf Prozent. Das wird also kein Selbstläufer. Nur ge- als linke Opposition die Politik endlich verändern zu kön- meinsam werden wir es schaffen, und wenn wir es schaffen, nen. wird das ein weiterer Schritt zur Abwahl von Schwarz-Gelb auf Bundesebene. Und zugleich wird der Einzug in den Land- Was ist für Euch Baden-Württemberg, wo fühlt ihr Euch be- tag eine ganz wichtige Voraussetzung dafür sein, um als LIN- sonders heimisch? KE bundespolitisch noch stärker in die Offensive zu kommen. Marta: und Baden-Württemberg sind meine

WAHL ‘11 DISPUT Januar 2011 010 zweite Heimat geworden. Nicht nur emotional, weil ich hier te Heimat Argentinien: viel Grün überall. Auch die Waldhei- meine Familie gegründet habe und weil meine Kinder hier me Gaisburg und Clara Zetkin sind ein Stück mein Zuhause geboren sind, sondern weil ich mit sehr vielen deutschen geworden: auf der einen Seite gute preiswerte Angebote für Freunden meinen Kampf gegen diktatorische, autoritäre Re- die ganze Familie, auf der anderen Seite sehr viel deutsche gime in Lateinamerika fortsetzten konnte. antifaschistische Geschichte. Als Bürgerin, als Menschenrechtsaktivistin habe ich hier Roland: Heimat heißt für mich, ich habe dort den Lebens- ein Stück meines politischen Lebens gestalten können. Auch mittelpunkt, meine Familie, meine Arbeit. Über viele Jahr- mein Arbeitsplatz hat sehr viel mit mir zu tun: eine Arbeit zehnte war in Baden-Württemberg Arbeit eine Selbstver- mit Jugendlichen und für Jugendliche ohne Zukunftspers- ständlichkeit. Es war ein wohlhabendes Land mit geringer pektiven, mit Frauen in prekären Lebensverhältnissen, mit Arbeitslosigkeit und starken Gewerkschaften. Aber Baden- Menschen, die meistens von der Gesellschaft abgestoßen Württemberg ist für mich auch strukturkonservativ, und es werden. In vielen Stadtteilen Stuttgarts herrschen sowohl war für mich immer ein Anreiz, mit dafür zu sorgen, dass da verdeckte als auch offensichtliche Armut, Arbeitslosigkeit, frische Luft reinkommt. Wohnungsnot. Und das in einer reichen Stadt! Mein Lieblingsplatz ist nach wie vor meine Heimatstadt Mein Lieblingsort in Stuttgart ist Untertürkheim-Roten- Aalen. Nicht zuletzt wegen des revolutionären Dichters berg. Das ist ein Plätzchen mitten in Weinbergen, mit einem Christian Friedrich Daniel Schubart, der viele Jahre auf dem tollen Spiel- und Grillplatz und der Möglichkeit zum Dra- Hohenasperg verbringen musste, weil er sich in seinen so- chensteigen. Das erinnert mich ein bisschen an meine al- zialkritischen Schriften gegen die absolutistische Herrschaft © Stefan Richter (2) Richter © Stefan

Es ist an der Zeit In Baden-Württemberg geht’s am 27. März um den Einzug in den Landtag. Interview mit den Spitzen- kandidaten Marta Aparicio und Roland Hamm

11 0 DISPUT Januar 2011 gewandt hat. Von daher mag ich unsere Sturköpfi gkeit und werkschaften entschieden. Beides ist wichtig. Nun hoffe ich, unser Widerstandspotenzial. dass ich sie überzeugen kann. Marta: Seit meiner Kandidatur bei der Bundestagswahl Was bewegt Euch, die bisherige Arbeit gegen die parlamen- 2009 bin ich als LINKE öffentlich bekannt. Ich arbeite in der tarische Tätigkeit eintauschen zu wollen? Stadt und in einigen Ausschüssen im Gemeinderat. Natür- Marta: Es ist an der Zeit, dass DIE LINKE in den Landtag lich war die Überraschung groß, als nun meine Spitzenkan- kommt. 55 Jahre ohne eine linke Partei sind genug. Für uns didatur bekannt wurde. Für mich ist sie die konsequente Ent- ist es unerträglich, dass für gesellschaftlich zentrale Zu- scheidung zu meinem politischen Leben. In der Volkshoch- kunftsaufgaben des Landes wie Bildung, Erziehung, Integ- schule bin ich unter anderem für die politische Bildung zu- ration, Soziales und Kultur kein Geld da ist und für Großpro- ständig und meine Objektivität in der Programmgestaltung jekte wie »Stuttgart 21« Milliarden zum Fenster rausgewor- wird mir hoch angerechnet. Wenn wir ins Parlament kommen, fen werden. will ich mich ganz der politischen Arbeit widmen. Wir wollen erreichen, dass unsere Kinder eine gute Er- Aus meinem umfangreichen Freundeskreis habe ich ganz ziehung und Bildung erhalten, Schulen und Kindergärten in unterschiedliche Reaktionen erfahren. Na ja, ich fi nde es einem guten Zustand sind und der Regionalverkehr ausge- sogar gut, dass nicht alle Freunde meine Entscheidung un- baut wird. Wir streben eine gerechtere Frauenpolitik in Ba- terstützen. Denn auf diese Weise werde ich immer auch mit den-Württemberg an. Wir wollen gegen Sparprogramme und Gegenargumenten konfrontiert, was mir natürlich einiges zu soziale Einschnitte des Landes und der Kommunen steuern. denken geben wird. Weiterhin ist ein soziales Konzept für erneuerbare Energie, die für alle bezahlbar bleibt, ein Teil dessen, was DIE LINKE Welche Argumente können das sein, was sind für DIE LIN- anstrebt. Und natürlich werden wir keine Arbeitsplätze mehr KE in Baden-Württemberg die landesspezifi schen Schwer- für Billiglöhne zulassen. Um das alles zumindest in Ansät- punkte? zen erfüllen zu können, brauchen wir das politische Mandat. Roland: Natürlich ist das Megathema »Stuttgart 21« nicht Roland: Aalen liegt in einer strukturschwachen Gegend, mehr wegzudenken. Wobei wir als Partei klarmachen müs- die sehr von der Automobilindustrie abhängig ist und in der sen, dass das deutlich mehr ist als lediglich ein Konfl ikt um die alten industriellen Kerne in hohem Maße verloren ge- einen Bahnhof. Das ist ein verteilungspolitischer Konfl ikt gangen sind. Wir mussten uns schon immer Gedanken um und damit auch eine soziale Frage, das ist die Frage, ob – fo- die Zukunft der Region machen. Ich habe schnell gelernt, kussiert auf Stuttgart – Milliarden verbuddelt werden und in dass es neben meiner gewerkschaftspolitischen Tätigkeit der Fläche für Verkehrs- und soziale Infrastruktur nicht mehr und dem konkreten Konfl ikt um den Erhalt der Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. »Stuttgart 21« ist auch eine Demokra- wichtig ist, dass so etwas auch politisch fl ankiert wird. tiefrage, weil hier deutlich wird, wie parlamentarische Demo- Trotz der hauptberufl ichen Perspektiven eines Abgeord- kratie am Bürger vorbei Dinge durchpeitscht und wie wichtig neten würde ich mir gern beide Standbeine erhalten, weil außerparlamentarischer Widerstand ist. ich mit dem einen die Erdung in den Betrieben haben möch- Das zweite Thema ist für mich die Zukunft der Arbeit. Die te und mit dem anderen die Chance, politische Initiativen Zukunft der Mobilität wird den industriellen Kern für Ba- auf den Weg zu bringen, um Baden-Württemberg insgesamt, den-Württembergs Automobilindustrie und die dazugehöri- und nicht nur die Metropolregion Stuttgart, voranzubringen. gen Zulieferbetriebe in hohem Maße in Frage stellen. Dazu braucht es Antworten, vor allem von uns als Partei für die ar- Habt Ihr lange gebraucht, um Ja zur Spitzenkandidatur zu beitenden Menschen. Arbeitsplätze und Lebensqualität las- sagen? sen sich im Land nur sichern, wenn jetzt die Weichen dafür Roland: Es war bei mir keine spontane Entscheidung, es gestellt werden und wenn für den Erhalt und Ausbau von Ar- war eine Herzens- und eine Verstandsentscheidung. Es geht beitsplätzen in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst ge- ja in unserem Fall nicht um einen abgesicherten Listenplatz, sorgt wird! sondern darum, Gesicht zu zeigen, Positionen einzunehmen Und wir haben – Marta hat es gesagt – die Bildungspolitik und gemeinsam mit Marta und vielen anderen dazu beizu- als große Herausforderung. Jedes zehnte Kind lebt in oder an tragen, dass wir es in der Fläche wirklich über fünf Prozent der Armutsgrenze, in Mannheim jedes vierte Kind. Wir haben schaffen. immer noch nicht den Anspruch auf einen Kindergartenplatz Marta: Es war keine einfache Entscheidung. Ich war mir für Kinder unter drei Jahren durchsetzen können ... lange nicht sicher, ob ich die Erwartungen erfüllen kann. Ich Als LINKE können wir uns inhaltlich klar abgrenzen. Wir bringe eben eine etwas andere Sozialisation mit. Jedoch ha- müssen verdeutlichen, dass der Politikwechsel, der in Ba- be ich viel Zustimmung von meinen Genossen bekommen, den-Württemberg nach 57 Jahren CDU-Herrschaft möglich sie trauen mir die wichtigen Aufgaben zu. Und so habe ich erscheint, mit uns als LINKE auch tatsächlich möglich wird. gelernt, meine Kandidatur als eine Chance wahrzunehmen. Marta: »Stuttgart 21« betrachte ich als Anlass, mit den Eine Chance, um im Dienste der LINKEN zu arbeiten und un- Menschen auf der Straße politisch diskutieren zu können sere Ziele Stück für Stück zu erreichen. und die Bürgerbewegung voranzubringen. Ich komme von einem Kontinent mit autoritären Strukturen, wo die einzige Wie haben Kolleginnen und Kollegen, Freunde auf die Kan- Bühne des Volkes die Straße ist, wo viele Revolutionen statt- didatur reagiert? fi nden mussten, um Demokratie möglich zu machen. Roland: In einem meiner »Kampfbetriebe« debattier- Für mich ist die Bewegung gegen »Stuttgart 21« ein lang ten Vertrauensleute, ob sie mich wählen sollen – sie wollen ersehntes Erwachen. Die Frage, ob »Stuttgart 21« gebaut mich in der Gewerkschaftsarbeit nicht verlieren. Das signali- wird, bringt viele soziale Fragen zusammen, die seit Jahr- siert hohe Wertschätzung gegenüber meiner Gewerkschafts- zehnten unbeantwortet geblieben sind. Die Proteste bilden arbeit, ist aber eine völlig falsche Botschaft. Denn ich setze einen Sammelplatz, wo wir unsere Themen besprechen: Ar- gerade darauf, dass mich meine Metallerinnen und Metal- mut, Bildungspolitik, Perspektivlosigkeit von Kindern, feh- ler und die anderen Kolleginnen und Kollegen aus den DGB- lende Ausbildungsplätze, Studiengebühren, schlechte oder Gewerkschaften wählen. Politik wird in Parlamenten aber befristete Arbeitsverhältnisse. Um diese Missstände zu be- auch durch außerparlamentarische Bewegungen wie Ge- kämpfen, haben wir einige wichtige Schritte in unserem Lan-

WAHL ‘11 DISPUT Januar 2011 012 deswahlprogramm formuliert. Eine gerechtere, sozialere und Mir war neben meiner Positionierung als Mitglied der LIN- konsequentere Politik ist unser Ziel. Eine gerechte Bezah- KEN auch eine Identifi kation gegen »Stuttgart 21« in der Ge- lung in einem Land, das nicht arm ist und in dem dennoch werkschaftsbewegung wichtig. Deswegen gründeten wir die viele Menschen in Armut leben. landesweite Initiative »Gewerkschafter gegen ›Stuttgart 21‹«. Auf die Integration und Partizipation von Minderheiten Marta mit der LINKEN-Fahne und wir mit dem Transparent wie Migranten, Menschen mit Behinderung, Schwulen und »Gewerkschafter gegen ›Stuttgart 21‹«, das war schon eine Lesben gehen wir ein. Es gibt Schulen, wie in meinem Wahl- wichtige Verbindung das ganze Jahr über. kreis, die zu 90 Prozent von Migrantenkindern besucht wer- Wobei ich Marta recht geben möchte: Wir müssen uns als den. Sehr viele von ihnen landen über kurz oder lang in Son- LINKE in der »Stuttgart 21«-Frage nicht so stark zurückneh- derschulen, Hauptschulen oder werden gar ohne Abschluss men, wie wir das gemacht haben, selbst wenn das in brei- die Schule verlassen. Solche Zustände müssen wir dringend ten Bündnissen immer problematisch ist. DIE LINKE ist die ändern. einzige Partei, die ohne Wenn und Aber gegen »Stuttgart 21« Eine gerechte Frauenpolitik für Alleinerziehende und steht. Wir müssen allen klar sagen, ohne dass DIE LINKE in Lohnaufstockerinnen und gleiche Bezahlung wie für Männer den Landtag kommt und wir die Grünen unter Druck setzen, sind wichtige Anliegen in unserem Wahlprogramm. Denn es ist das Risiko, dass die Grünen nicht nur wackeln, sondern kann nicht mehr sein, dass fast die Hälfte von alleinerzie- am langen Ende in der Koalitionsfrage mit der CDU oder mit henden Frauen in Baden-Württemberg Aufstockerinnen sind der SPD sogar fallen, relativ groß. und 90 Prozent der Minijobs von Frauen ausgeübt werden. Es läuft einiges verkehrt in unserem Ländle. Unsere Partei unterscheidet inhaltlich sehr viel von den an- deren. Dazu auch die viel geringeren Möglichkeiten, unse- re Alternativen zu verbreiten. Wie wollt Ihr den Wahlkampf führen? Marta Aparicio, 59, musste ihr Geburtsland Argentinien zur Zeit Roland: Als einen sehr engagierten Straßenwahlkampf in der Militärdiktatur verlassen. Sie lebt seit 27 Jahren in Stutt- der Fläche. gart, leitet seit 1994 den Bereich International/Interkulturell der Volkshochschule Stuttgart und ist in all den Jahren in sozial-po- Haben wir dafür genügend Leute? litischen Bewegungen aktiv, weil schon während ihres Studiums Roland: Regional ist das unterschiedlich. Doch in allen in Köln Themen wie ethnische Minderheiten, Menschenrechte Wahlkreisen haben wir engagierte, glaubwürdige Kandida- und Konfl iktforschung im Mittelpunkt standen. 2007 kam Mar- tinnen und Kandidaten, eine gute Truppe. Und in fast allen ta zur LINKEN. Sie arbeitet im Kreisvorstand und im Landesvor- Wahlkreisen stehen auch die Wahlkampfteams. Die Stütz- stand, engagiert sich in der politischen Bildung und in der Lan- unterschriften für die Wahlantritte haben wir fast zusammen, desarbeitsgemeinschaft Frauen. 150 pro Wahlkreis. Das zu schaffen ist in manchen Regionen, wie im Oberschwäbischen und im Schwarzwald, kein Kin- Roland Hamm, 54, ist Industriekaufmann, seit 1981 Gewerk- derspiel gewesen. schaftssekretär bei der IG Metall Aalen und seit 1989 ihr 1. Be- Neben dem Straßenwahlkampf wollen wir zahlreiche Ver- vollmächtigter. Er hat viele Auseinandersetzungen um Arbeits- anstaltungen machen. Ich werbe dafür, dass die Promis der plätze mit organisiert und steht dafür, Konfl ikte offensiv aus- Partei nicht nur in die großen Städte gehen, sondern auch zutragen. Politisch stark sozialisiert wurde er als einer der dorthin, wo wir besonders hohe Hürden nehmen müssen. Aktivisten gegen die Stationierung von Raketen mit Atomspreng- Marta: Du hast recht, Roland, wir sind keine etablierte köpfen in den 80er Jahren in Mutlangen. Nach 27 Jahren Mit- Partei, wir haben wenig Geld, wir haben wenig Mitglieder. gliedschaft verließ Roland 2003 die SPD und trat 2004 in die Aber wir sind sehr motiviert, alles für den Einzug in das Lan- WASG ein. desparlament zu tun. Wir wollen die Menschen davon über- zeugen, dass wir ihnen eine Stimme geben. Wir wollen ih- nen das Programm erläutern. In den Monaten Januar, Febru- Das Stichwort »Stuttgart 21« kann nicht fehlen. Auf welche ar und März werden wir verstärkt auf die Straße gehen. Weise beteiligt Ihr Euch an den Protesten? Selbstverständlich müssen wir unsere Kräfte einteilen. Marta: Ich bin seit Beginn der Proteste gegen »Stuttgart Deshalb haben wir uns angeschaut, wo wir bisher die meis- 21« mit auf die Straße gegangen: jeden Montag und bei jeder ten Wählerinnen und Wähler hatten. Dort wollen wir beson- großen Demonstration samstags. Ich beteilige mich auch ders präsent sein. Wir haben eine Chance, und diese wer- an der Versorgung der Mahnwache und ab und zu an den den wir nutzen. Sitzblockaden. Ich schreibe Protestbriefe an die Zeitungen, wenn ihre Berichterstattung nicht korrekt gewesen ist. Ich Wie sieht es mit Unterstützung aus anderen Landesverbän- diskutiere im Büro, in den Sitzungen, mit Freunden und Be- den aus? kannten über dieses Thema, laufe konsequent mit unserer Roland: Damit haben wir im Bundestagswahlkampf her- LINKE-Fahne und habe gar keine Bedenken oder Angst, mein vorragende Erfahrungen gemacht: mit Wahlkampfbussen, linkes Gesicht zu zeigen, auch wenn dies manchmal unnöti- mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus der Bundesge- ge Diskussionen mit sich bringt. schäftsstelle und von Abgeordneten – in vielen Städten, wo Den Schlichterspruch zu »Stuttgart 21« werden wir nicht wir sonst vielleicht nicht die Möglichkeiten und die Kraft ge- einfach hinnehmen. Nur mit der LINKEN im Landtag wird es habt hätten, eigene Leute zu mobilisieren und einen Info- möglich sein, »Stuttgart 21« zu stoppen. Wir treten nicht nur stand in der Fußgängerzone zu machen. Wir sind auf Hilfe für mehr Demokratie ein, sondern auch für mehr Demokra- angewiesen und für jede Hilfe dankbar. tie in der Wirtschaft. Roland: Ich bin seit Anfang 2010 dabei. Gemeinsam mit Wie lautet Euer Lieblingsmotto? ver.di-Kollegen hatten wir angefangen, eine kritische Positi- Roland: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. on der Gewerkschaften zu »Stuttgart 21« zu erarbeiten. Das Marta: Gerecht, konsequent, solidarisch – nur mit uns! konnten wir am Ende mit einer klaren Mehrheit im DGB-Lan- desbezirk Baden-Württemberg durchsetzen. Interview: Stefan Richter

13 0 DISPUT Januar 2011 Eine Landtagswahl gewinnen Verantwortung übernehmen, um die Verhältnisse zu ändern. Am 20. März wählt Sachsen-Anhalt den neuen Landtag Von Wulf Gallert

Die Landtagswahl am 20. März 2011 hat Dieses objektive Spannungsverhältnis halt sehen können – und zwar völlig über die Landesgrenze von Sachsen- ist als solches zu begreifen und lässt unabhängig davon, dass wir die soge- Anhalt hinaus eine weitreichende Be- sich durch keinen politischen Formel- nannte Schuldenbremse natürlich als deutung für die politische Landschaft kompromiss aufl ösen. Selbst die klas- völlig unsinnig ablehnen. der Bundesrepublik Deutschland. Zwar sische Oppositionsrolle in einem Lan- Vor diesem Hintergrund scheint es handelt es sich nach dem Bruch der desparlament oder in einer kommu- erst einmal äußerst attraktiv, sich in Hamburger Koalition nicht mehr um die nalen Vertretung verhindert meiner Er- den Parlamenten auf die klassische erste Landtagswahl im Jahr 2011, trotz- fahrung nach nicht, dass wir uns mit Oppositionsrolle festzulegen, noch dem werden wir vor allem für die Kons- diesem Spannungsverhältnis ausein- konsequenter eigentlich, in den Kom- tellation in den ostdeutschen Ländern andersetzen müssen. Oppositionelle munen und Ländern gar nicht zur Wahl und auch für die nächste Bundestags- Forderungen, die sich auf der kommu- anzutreten und sich ausschließlich auf wahl entscheidende Weichen stellen. nalen und Landesebene auf die Forde- außerparlamentarische Opposition In Sachsen-Anhalt geht es darum, erst- rung nach Veränderung der politischen festzulegen. mals in der Geschichte der LINKEN eine Rahmenbedingungen beschränken, Landtagswahl zu gewinnen. Damit ver- werden im Regelfall die jeweiligen po- Eine andere Aufgabe bunden ist der politische Führungsan- litischen Mehrheiten nicht dazu brin- spruch, der natürlich auch mit dem An- gen, ihre Handlungsstrategien zu än- Unsere Partei hat jedoch eine andere spruch untersetzt werden muss, die Re- dern. Es sei denn, man verbindet die Aufgabe. Unsere Funktion ist es, die gierung zu führen. Kritik an den Rahmenbedingungen mit politische Umsetzbarkeit von Hand- So kommt die Partei genau in das umsetzbaren Vorschlägen für die jewei- lungsalternativen unter Beweis zu stel- Spannungsverhältnis hinein, das in lige Handlungsebene, die auch dann len. Dazu benötigen wir eine entspre- jüngster Vergangenheit Auslöser kont- umgesetzt werden können, wenn man chende Stärke in Kommunalvertretun- roverser Diskussionen gewesen ist. die Rahmenbedingungen noch nicht gen und Landesparlamenten genau so Der eigentliche Entscheidungsspiel- geändert hat. wie im , und wir brauchen raum, den DIE LINKE dabei hat, ist je- Am deutlichsten wird dieser Zusam- die Möglichkeit, die Realisierbarkeit doch kleiner, als manche emotionalen menhang fast immer bei der Frage nach unserer Konzepte in Gestaltungsver- Debatten vermuten lassen. Wenn uns den fi nanziellen Ressourcen, die den antwortung unter Beweis zu stellen. die Wählerinnen und Wähler auf kom- jeweiligen Parlamenten zur Verfügung Tun wir dies nicht, werden wir auch munaler Ebene, in den Ländern oder im stehen. Über deren Umfang entschei- weiterhin mit dem Problem konfrontiert Bund Gestaltungsverantwortung zuwei- det im Wesentlichen die Bundesebene sein, dass viele unserer politischen For- sen, ist es faktisch kaum möglich, die- mit der steuerpolitischen Rahmenset- derungen zwar mehrheitliche Zustim- se abzulehnen, es sei denn, man ris- zung. Deren Konsequenzen manifestie- mungen in der Bevölkerung erfahren, kiert eine substanzielle Enttäuschung ren sich aber zu allererst in den Kom- in den Wahlen aber die Parteien Mehr- der eigenen Wählerinnen und Wähler. munen und den Landeshaushalten. heiten bekommen, die genau das Ge- Dieser Zusammenhang besteht übri- Hier beklagen wir völlig zu Recht, genteil vertreten. hat dies gens nicht nur dort, wo der Anspruch dass die strukturelle Krise der öffent- einmal in drastischer Weise so formu- darin besteht, eine Wahl zu gewinnen, lichen Kassen seit der Eichel’schen liert: »Die Menschen stimmen unse- sondern auch dann, wenn es darum Steuerreform von 1999/2000 noch rer Ablehnung der Rentenkürzungen geht, in einem politischen Bündnis auf einmal substanziell verschärft worden von CDU, SPD, FDP und Grünen mehr- Grund der Mehrheitsverhältnisse Ent- ist. In unseren Argumentationen wei- heitlich zu, wählen diese Parteien aber scheidungsverantwortung übertragen sen wir auf die verheerenden Auswir- trotzdem mit überwältigender Mehr- bekommen zu haben. Letzteres wurde kungen dieser Steuerpolitik hinsicht- heit, weil sie Angst davor haben, dass kurzzeitig bereits in Hessen und aktuell lich der sozialen Polarisation der Ge- bei uns das Rentensystem gar nicht in Nordrhein-Westfalen deutlich. sellschaft und der Erosion der öffentli- mehr funktionieren würde.« chen Daseinsvorsorge hin. Unsere entscheidende Baustelle ist Und so besteht unser Problem dar- also, genau diese Angst zu überwin- Spannungsverhältnis begreifen in, dass wir diese Zusammenhänge mit den und den Menschen unsere Gestal- Damit wird DIE LINKE mit dem Prob- anderen Mehrheiten in Ländern und tungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. lem konfrontiert, Gestaltungsverant- Kommunen nicht einfach weg beschlie- Wir können durchaus konstatieren, wortung in einem Land übernehmen ßen können, dort aber trotzdem von dass dafür auf der konzeptionellen zu müssen, obwohl die politischen Vo- Wählerinnen und Wählern Verantwor- Ebene in den letzten Jahren eine Men- raussetzungen für linke Gestaltungs- tung übertragen bekommen. Wir wis- ge erreicht worden ist. Überzeugungs- konzepte auf der Bundesebene und sen zudem, dass wir dieses Problem kraft werden diese Konzepte in der im europäischen Rahmen nur sehr un- nicht dauerhaft über die Erhöhung der Mehrheit der Bevölkerung erst dann zureichend vorhanden sind. Dasselbe Neuverschuldung lösen können, wie erringen, wenn sie wirklich umgesetzt strukturelle Problem besteht übrigens wir gerade auch an der Entwicklung der werden. Da sind die Kommunen und bei der Gestaltungsverantwortung in Haushalte in Schleswig-Holstein, Bre- die Länder entscheidend. Hier haben einer Kommune. men, im Saarland und in Sachsen-An- wir die Möglichkeiten, uns zu bewei-

WAHL ‘11 DISPUT Januar 2011 014 sen, hier haben wir die Chance, auch Unter den gegenwärtigen politi- Trotzdem ist es wichtig, auch an die- deutlich werden zu lassen, dass wir Ge- schen Rahmenbedingungen sinken ser Stelle Gestaltungsverantwortung staltungskraft auf Bundesebene und die zur Verfügung stehenden Haus- zu übernehmen. Zum einen geht es da- im europäischen Maßstab besitzen. haltsmittel in den ostdeutschen Län- rum, die Ausbildungskapazitäten so zu Natürlich können wir unsere Projekte dern in den nächsten neun Jahren real erhöhen, dass zumindest ab dem Jahr hier immer nur teilweise oder modell- um rund 20 Prozent und erreichen da- 2018 wieder genügend Absolventen zur haft umsetzen. Und natürlich werden mit das pro Kopf-Ausgabe-Niveau der Verfügung stehen. Zum anderen ist es wir es damit zu tun haben, dass diese westdeutschen Flächenländer. Dies wichtig, gerade in solch schwierigen Wirkungen nicht für alle und substan- bedeutet zum Beispiel in der Konse- Situationen alle Reserven zu erschlie- ziell erfahrbar sind. Aber die Alternati- quenz, dass sich der wesentlich bes- ßen (zum Beispiel Quereinsteiger, Ein- ve, deshalb ganz auf solche Einfl uss- sere Schüler-Lehrer-Schlüssel in den satz pädagogischer Mitarbeiter), um möglichkeiten zu verzichten, bedeutet ostdeutschen Bundesländern mittel- die Probleme wenigstens zu begrenzen letztlich auch, mittel- und langfristig fristig nur halten lässt, wenn die fi nan- und nicht im Interesse einer noch stär- keine Chance zu haben, die Rahmen- ziellen Rahmenbedingungen der Län- keren Reduzierung der Personalkosten bedingungen im Bund und in Europa zu der insgesamt deutlich verbessert wer- zuzuspitzen. verändern. den. Von einer gleichbleibenden oder Ähnlich sieht die Situation im Be- sogar steigenden Zahl von Lehrkräften reich der Polizisten, der Hochschulleh- Welche Spielräume sind kann vor dem Hintergrund der Halbie- rer und beim Verwaltungspersonal mit vorhanden? rung der Schülerzahlen in Ostdeutsch- einer technisch-akademischen Ausbil- land ohnehin nicht gesprochen werden. dung aus. Vor diesem Hintergrund ist Es ist deshalb so wichtig, sich vor Ort Dazu kommt nun noch, dass in den es unmöglich, in den nächsten Jahren in die konfl iktbeladenen Auseinander- letzten zehn Jahren in der gesamten in Regierungsverantwortung in Sach- © Thomas Drzisga Beim Protest gegen den Castor, 16. Dezember 2010: Spitzenkandidat Gallert (Bildmitte) auf dem Magdeburger Domplatz setzungen hineinzubegeben und klar Bundesrepublik deutlich weniger Pä- sen-Anhalt einen stabilen Personal- und deutlich werden zu lassen, welche dagogen ausgebildet wurden, als für körper im Landesdienst zu garantieren. Spielräume wirklich vorhanden sind den Schuldienst benötigt werden. So- Aber deshalb die Übernahme von poli- und an welcher Stelle Wahlversprechen mit wird zumindest in Ostdeutschland tischer Gestaltungsverantwortung aus- unter den gegenwärtigen Bedingungen kein Bundesland in der Lage sein, aus- zuschließen, wäre ebenso falsch, weil unrealistisch sind. reichend Personal einzustellen. Auch es damit völlig unmöglich wird, die- Dieses Problem trifft in Sachsen-An- die finanzstärkeren westdeutschen se Rahmenbedingungen jemals zu än- halt unter anderem auf die Personal- Länder erreichen dies nur durch geziel- dern. entwicklung zu. Hier kommt zu den mit- te Abwerbung aus anderen Ländern. telfristig sinkenden fi nanziellen Mitteln In Sachsen-Anhalt wird dieses Pro- Wulf Gallert ist Fraktionsvorsitzender von Bund und EU neben der sinkenden blem in den nächsten beiden Legisla- und Spitzenkandidat zur Landtagswahl Bevölkerungszahl noch das Problem turperioden vor jeder Regierung stehen, 2011 in Sachsen-Anhalt. der mangelnden Ausbildung des be- unabhängig davon, ob wir daran betei- www.dielinke-fraktion-lsa.de rufl ichen Nachwuchses hinzu. ligt sind oder nicht. www.wulf-gallert.de

15 0 DISPUT Januar 2011 Immer willkommen! Zum Vorbeischauen und Mitmachen: der Kreisverband Hamm (Nordrhein-Westfalen) Von Roland Koslowski

Hamm ist eine kreisfreie Stadt in Nord- Sympathisanten. Einige Mandatsträ- terscheiben, mit Stahlgeschossen zer- rhein-Westfalen und liegt im Nordwes- ger der Bundesebene haben sich eben- trümmerte Hinweistafeln, Aufkleber ten des Regierungsbezirkes Arnsberg, so regelmäßig an der Bürofi nanzierung mit menschenverachtenden Inhalten am Ostrand des Ruhrgebietes. Die beteiligt wie unser Partnerkreisverband auf dem PKW eines Ratsmitgliedes so- nördlich der Lippe gelegenen Stadt- in den neuen Bundesländern Oranien- wie an der Haustür, auf dem Ostfried- teile werden dem Münsterland zuge- burg (Brandenburg). Dafür noch einmal hof beschädigte und besprühte Grab- ordnet. Nach mehreren Gebietsrefor- unser herzlicher Dank. steine, kaum ein Ampel- oder Laternen- men erreichte Hamm 1975 seine heuti- Die in den alten Bundesländern mast in der Stadt, der nicht mit Parolen ge Ausdehnung. Hier leben ca. 182.000 häufi g anzutreffenden Differenzen zwi- der Neonazis versehen ist ... Diese un- Einwohner, davon mehr als 27 Prozent schen WASG und Linkspartei spiel- vollständige Aufzählung beschreibt die mit Migrationshintergrund. Hamm ist ten in Hamm keine wesentliche Rolle, Situation im Sommer des Jahres 2010. Sitz des größten bundesdeutschen nicht von ungefähr sind die Vorstands- Die lokale Monopolpresse berichtet allenfalls über Vandalismus, denn in Hamm kann nicht sein, was politisch nicht sein darf. Von den im Rat vertre- tenen anderen Parteien ist leider keine Solidarität zu erwarten. Der Kreisverband gerät dadurch in eine äußerst prekäre Situation, denn obwohl versichert, müssen wir fürch- ten, nach der nächsten Schadensmel- dung gekündigt zu werden. Ein Blick auf unsere Homepage macht das Di- lemma deutlich: Die gerade erneuer- te Scheibe wurde bereits in der folgen- den Nacht wieder eingeworfen. Abhilfe könnte hier ein Rollgitter schaffen, das aber ist durch den Kreisverband nicht

© Thomas Schulte zu fi nanzieren. Also liebe Leserinnen Infostände in der Fußgängerzone gehören zu den regelmäßigen Aktivitäten und Leser: Eure (fi nanzielle) Unterstüt- zung ist jederzeit willkommen! Oberlandesgerichtes. Im Jahre 2006 mitglieder des Kreisverbandes von De- Regelmäßig fi nden Infostände in der gab es in Hamm den ersten Ratsbür- zember 2005 bis Juni 2010 im Wesentli- Fußgängerzone sowie Veranstaltungen gerentscheid. In dieser Abstimmung chen bei den Wahlen bestätigt worden. zu politisch aktuellen Themen in unse- entschieden die Bürger über den Bau Dass 2010 nur noch zwei Genossen zur ren Räumen in der Oststraße 48 statt. eines Stadtsees, der bis 2010 gebaut Wiederwahl antraten, war allerdings Dort ist nicht nur die Partei, sondern werden sollte. Hierzu wurde – bisher auch der vorausgegangenen Kommu- auch die Ratsfraktion untergebracht einmalig in Nordrhein-Westfalen – ein nalwahl am 30. August 2009 geschul- und seit Dezember 2010 auch das Bür- freiwilliger Bürgerentscheid durchge- det. Mit 4,7 Prozent der Stimmen sind gerbüro des Landtagsabgeordneten führt. Am 18. Juni 2006 lehnten die Bür- wir seitdem im Rat der Stadt Hamm als Rüdiger Sagel. Veränderungen sind al- gerinnen und Bürger mit 56,9 Prozent Fraktion vertreten – in allen sieben Be- lein durch den ständigen Dialog mit al- aller abgegebenen Stimmen den Bau zirksvertretungen mit jeweils einem len demokratischen gesellschaftlichen des Sees ab. In diesem Zusammen- Genossen. Die Reserveliste für den Rat Strömungen zu erreichen. Auch und ge- hang trat die WASG erstmalig politisch war bis Platz 12 quotiert. Es ist uns dar- rade dann, wenn die Ratszusammen- in Erscheinung. über hinaus gelungen, viele Menschen setzung uns leider nicht die erhofften Die Partei DIE LINKE entstand in mit Migrationshintergrund für die Par- Mandate gebracht hat, um einen parla- Hamm aus den Quellparteien Wahlal- teiarbeit, aber auch als Kandidaten mentarischen Wechsel herbeizuführen. ternative Arbeit und soziale Gerech- und Mandatsträger zu gewinnen. Solltet Ihr – aus welchem Grund tigkeit (WASG) sowie Linkspartei.PDS Seit der Eröffnung der Kreisge- auch immer – nach Hamm kommen, wenige Wochen nach dem Berliner schäftsstelle waren sowohl die Räum- seid Ihr herzlich eingeladen! Gründungsparteitag am 16. Juni 2007. lichkeiten als auch einzelne Parteimit- Bereits am 18. August 2006 war in zen- glieder regelmäßig das Ziel von Angrif- Roland Koslowski ist Fraktionsgeschäfts- traler Lage das gemeinsame Büro der fen aus der Neonaziszene. Wiederholt führer. zwei Quellparteien eröffnet worden. Da mit Pflastersteinen eingeschlagene beide Parteien auf lokaler Ebene nicht Fensterscheiben im Büro unserer Par- www.dielinke-hamm.de parlamentarisch vertreten waren, er- tei, verschmierte und beschädigte Oststraße 48, 59065 Hamm folgte die Finanzierung fast ausschließ- Stolpersteine, regelmäßig mit faschis- Fon: (02381) 997 66 84 lich über Spenden der Mitglieder und tischen Parolen beklebte Schaufens- [email protected]

KREISVERBAND DISPUT Januar 2011 016 er Generalsekretär der CSU warnt: und vom »lateinamerikanischen Kir- Ein Gespenst »Lötzsch« geht um chen-Kommunismus«. Außerdem ist D in Europa – das Gespenst des der Begriff »Kommunismus« selbst un- Kommunismus! Man müsse DIE LINKE ter den Kommunisten umstritten. Die sofort verbieten. SED legte Wert darauf, keine »kom- Richtig, aber das reicht nicht! Man munistische«, sondern eine »sozia- muss das Übel an der Wurzel packen, listische« Partei zu sein. Und die PDS wobei das ein weitverzweigtes Wurzel- startete mit der Verurteilung des Sta- werk ist. Viele brave Bundes- und BILD- linismus und dem Gelöbnis zum »de- Bürger nennen »Kommunismus« al- mokratischen Sozialismus«. Den hatte les, was jenseits der Elbe stattgefun- auch die SPD zum Ziel. Die Cheftheo- den hat: die Enteignung der Junker in retiker im Osten unterschieden säuber- Mecklenburg, die Verstaatlichung der lich den »Aufbau der Grundlagen« des Ferienheime in Polen, die Subventio- Sozialismus, die »entfaltete Gestal- nierung der Theaterkarten in Prag, die tung« der sozialistischen Gesellschaft Errichtung eines Weltraumbahnhofs und die spätere »Vollendung«. Ganz in Kasachstan. Aber auch die Vorleser nebulös war, wann einst die Grund- in den Zigarrenfabriken auf Kuba, die lagen des Kommunismus geschaffen Baubrigaden in Tansania, den Präsi- sein können und wann jene Epoche be- denten Allende in Chile, den Massen- ginnt, wo die Arbeit zum ersten Lebens- mörder Stalin in Moskau, den Aufwieg- bedürfnis wird und ein solcher Über- ler Lumumba in Afri- fluss an Lebensgütern erzeugt wird, ka, die Roten Briga- dass jeder nach seinen Bedürfnissen Das »K-Wort« den in China, auch daran teilhaben kann, wobei die Frei- die Raketengegner heit des Einzelnen die Bedingung der in Westdeutschland Freiheit aller sein wird. Kein Land hat- und vieles mehr. te das je erreicht. Nur im bayerischen Das trifft aber al- Wildbad Kreuth hat man das jedes Jahr les nicht den Kern. als »vollbracht« gegeißelt. Die Wurzel des Kom- Nein, die gestandenen Bundesbay- Von Jens Jansen munismus liegt nicht ern haben einen getrübten Blick aus östlich der Elbe, son- mindestens drei Gründen, die Gregor dern westlich vom Rhein – in Trier an Gysi gern erklärt: Sie stehen seit 97 der Mosel! Dort steht in der Brücken- Jahren im Trommelfeuer eines militan- straße 10 das »Karl-Marx-Haus«. Da ten Antikommunismus, der vom Kaiser trifft man heute noch die Pilgerströme über den Führer bis zum Bundeskanz- von allen Kontinenten, weil dieser ab- ler reicht und nirgends in Europa so trünnige Advokat mit dem Fabrikanten- ausgeprägt ist. Sie arbeiten seit 66 Jah- sohn Engels 1848 das »Kommunisti- ren an der Restauration des schuldbe- sche Manifest« ausgeheckt hat. Dieser ladenen Kapitalismus, obwohl der die »Pulverturm der Weltrevolution« muss beiden schlimmsten Kriege über die sofort abgerissen werden! Welt brachte. Als die Gefangenen nach Dann gibt es in Augsburg das Ge- Hause kamen, da hatten sie im Straf- burtshaus eines gewissen Bertolt lager natürlich andere Eindrücke vom Brecht. Der Kerl gilt zwar als der bedeu- Kommunismus als im Leningrader Fünf- tendste deutsche Dramatiker, aber der Sterne-Hotel. Und sie sahen den »rea- schrieb doch nebenbei das »Lob des len Sozialismus« der DDR nur durch Kommunismus«: »Er ist vernünftig, je- die Brille ihrer Zeitungen, die jeden Tag der versteht ihn … Du bist doch kein »Mauer, Stacheldraht und Schießbe- Ausbeuter, du kannst ihn begreifen fehl« anprangerten – wobei ja schon … die Dummköpfe nennen ihn dumm, die Begegnung mit einer Autobahnto- und die Schmutzigen nennen ihn ilette auf der Transitstrecke genügte, schmutzig … Er ist gegen den Schmutz um Antikommunist zu werden. und die Dummheit …« Alles, was nach So wurde das »K-Wort« zum Reiz- Brecht riecht, muss weg! wort. Dabei besteht kein Grund zu Außerdem sympathisierte Marx mit zweifeln, dass die Linke Gesine Lötzsch den utopischen Kommunisten in Lon- für einen demokratischen Sozialismus don, und die waren mit den Revoluz- und gegen jede Form des Stalinismus zern in Paris verwandt. Und was vom ist. Hätte sie vor 25 Jahren in der »Jun- Propheten Lukas über die Reichen in gen Welt« veröffentlicht, dass es »ver- der Bibel steht, passt auch ins »Kom- schiedene Wege« zum Kommunismus munistische Manifest«. Also, wenn gibt, dann hätte die SED ein Parteiver- schon ausmisten, dann gründlich! fahren veranstaltet. Nun bemüht sich Das ist aber leichter gesagt als ge- der CSU-Generalsekretär darum. Das tan. Inzwischen hörte man ja vom »Eu- nenne ich Ironie der Geschichte. Dabei ro-Kommunismus«, vom »chinesischen ist das Verbieten einer Utopie einfach Kommunismus«, vom »afrikanischen« Schwachsinn. Gott vergelt’s!

170 DISPUT Januar 2011 FEUILLETON Die Werrraa soll leawe! Zwischen Taunus und Vogelsberg: der Kreisverband Wetterau (Hessen) Von Gabi Faulhaber

kommensschwache Familien, weil sie die hohen Mieten im Westkreis und in der Umgebung Frankfurts nicht bezah- len können. Vieh- und Waldwirtschaft prägen eine schöne ländliche Gegend. Unsere Kreisorganisation hatte zu- nächst mehr für negative Schlagzeilen gesorgt: Zur Landtagswahl in Hessen traten fünf Wetterauer LINKE gegen DIE LINKE in allen denkbaren Medien auf. Die anderen Parteien mussten sich gar nicht erst die Mühe machen, uns zu diskreditieren. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde. Von sieben Mandaten verloren wir fünf durch die- se Querelen und einen Übertritt in die SPD. Doch das ist vorbei. Wir sind inzwischen eine stabile Kreisorganisation von ungefähr 80 Mit- gliedern. Zwei Ortsverbände gibt es im Westkreis: in der Kreisstadt Friedberg und in Karben. Seit März 2010 freu- en wir uns über eine Gruppe in Nid- da und Umgebung. Das ist uns beson- ders wichtig, denn im Ostkreis erziel- ten wir bei Wahlen gute Ergebnisse. Wir haben noch ein Mandat im Kreis- tag und eines in der Stadtverordneten- versammlung von Friedberg. Zur Kom- munalwahl im März 2011 treten wir wie- der mit einer Liste zum Kreistag an, und auch die Ortsverbände kandidieren für ihre Stadtparlamente und teilweise für Ortsbeiräte. Es ist uns gelungen, eini- ge Parteilose für die Kandidaturen zu gewinnen.

Unsere Öffentlichkeitsarbeit wirkt Ein großes Problem für uns ist, dass uns die örtlichen Medien überwiegend totschweigen. Nur ein kleiner Teil un- serer Pressemeldungen erscheint, und

© DIE LINKE.Wetterau (2) © DIE LINKE.Wetterau dann meist verfälscht. Deswegen ge- ben wir an einigen Orten kleine Zei- »Die Wetterau soll leben!« – Diese Lie- viele Menschen wohnen hier und pen- tungen heraus. Wir berichten über die beserklärung richtete der Mundartdich- deln nach Frankfurt. Hier ist das Land Kommunalpolitik und aus dem Kreistag ter Peter Geibel an seine Heimat. Nur fruchtbar, und es wird intensiv Acker- und verbinden die Themen vor Ort mit bei dem 48er-Revolutionär hörte sich bau betrieben. der großen Politik. Die Gruppe in Kar- das für den Rest der Welt eher unver- Im strukturschwachen Ostteil sind ben zum Beispiel druckt fünf bis sechs ständlich an: »Die Werrraa soll leawe!« Arbeitsplätze rar. Die Handwerksbetrie- Ausgaben pro Jahr und verteilt eine Die Wetterau ist ein großer Land- be nehmen Aufträge aus der gesamten Aufl age von 5.600 in die Briefkästen. kreis nördlich von Frankfurt am Main, Rhein-Main-Region an und weite We- Dafür wurden feste Verteiler und Bezir- eingebettet zwischen Taunus und Vo- ge in Kauf. Nicht selten pendeln Arbei- ke vereinbart. Das schaffen die ande- gelsberg. ter/innen und Angestellte 50 bis 60 Ki- ren Gruppen noch nicht in dieser Dich- Im Westteil des Kreises ist die Infra- lometer zum Arbeitsplatz. Der öffent- te. Dennoch ist festzustellen: Unsere struktur gut ausgebaut, mittelständi- liche Nahverkehr lässt zu wünschen Öffentlichkeitsarbeit wirkt. Leserinnen sche Betriebe haben sich angesiedelt, übrig. Im Ostkreis leben vermehrt ein- und Leser melden sich und unterrich-

KREISVERBAND DISPUT Januar 2011 018 ten uns über berichtenswerte Themen: nahme Contis durch Siemens hatte so die Gebührenerhöhungen im Kinder- viel gekostet, dass jetzt eine Abwäl- Ich abonniere garten, Ein-Euro-Jobber in den Einrich- zungsmöglichkeit gesucht wurde. Den tungen des Kreises, die Privatisierungs- anderen Parteien war dies keinen Pro- DISPUT absichten beim städtischen Pflege- test wert. Doch seither wird unsere Zei- dienst, die schlechte Behandlung bei tung auch am Werkstor von Conti ver- der JobKomm usw. teilt und gern genommen. Wir berich- Die politischen Gegner ärgern sich, ten immer wieder über Conti, über dass wir mit unseren Themen eine Kurzarbeit, über Lohnkürzungen oder Plattform haben, und fürchten die spit- unsichere Arbeitsplätze. ze Feder. Name, Vorname Einige Themen konnten wir wirksam Nette Sache mit Marx aufgreifen und bekannt machen. Zum

Beispiel den gesetzeswidrigen Einsatz Neben kommunalpolitischen Themen Straße, Hausnummer von Ein-Euro-Jobbern. Eine gemeinnüt- beschäftigt unsere Kreisorganisation, zige Beschäftigungsgesellschaft des dass es in der Wetterau eine lebhafte

Kreises, die WAUS, schickte die Jobber neofaschistische Szene gibt. Seit Jah- PLZ, Ort als Hausmeister an Schulen, verlieh sie ren sitzt die NPD in Wölfersheim im Ge- in die Privatwirtschaft oder beschäftig- meinderat. In der letzten Legislaturpe- te sie im Tourismusbereich. DIE LINKE riode stellte sie Abgeordnete im Kreis- Ich bestelle ab sofort Exemplar(e) im Kreistag deckte das auf und forder- tag und in mehreren Gemeindeparla- der Zeitschrift DISPUT im te feste sozialversicherungspfl ichtige menten. Die Auftaktveranstaltung für Beschäftigungsverhältnisse. Die unge- den Kommunalwahlkampf der NPD Halbjahresabonnement zum Preis von setzliche Praxis musste nach unseren Hessen fand im Dezember in Büdin- 12,00 Euro inkl. Versandkosten Veröffentlichungen eingestellt werden. gen statt. Gemeinsam mit Initiativen DIE LINKE in der Wetterau unter- gegen rechts und der Antifa-Bi protes- Jahresabonnement zum Preis von stützt eine Erwerbsloseninitiative, die tieren wir und klären auf. Das ist uns 21,60 Euro inkl. Versandkosten regelmäßig Treffen und Beratungen sehr wichtig! durchführt. Diese Initiative hat regen Über bundespolitische Themen in- und nutze den vorteilhaften Bankeinzug Zulauf. formieren wir auch außerhalb von Bei der OVAG – dem oberhessischen Wahlzeiten: sei es Hartz IV, die Gesund- Enegieversorgungsunternehmen dreier heitsreform oder der Krieg in Afghanis- Landkreise – kommen mehr als 40 Pro- tan. Dazu finden immer wieder Info- Geldinstitut zent des Stroms aus Atomenergie. Wir stände statt.

Rudi Kreich kandi- diert zur Kreistags- Bankleitzahl wahl am 27. März. Und ein deutli- cher Fingerzeig der Kontonummer Wetterauer LINKEN zur Bundestags- oder wahl 2009 bitte um Rechnungslegung (gegen Gebühr) an meine Adresse.

Das Abonnement verlängert sich automatisch um den angegebenen Zeitraum zum gültigen Bezugszeitraum, falls ich nicht 15 Tage (Poststempel) vor dessen Ablauf schriftlich kündige.

machten darauf aufmerksam und for- Wir können nicht über alle Aktivi- Datum, 1. Unterschrift derten die Ausweitung regenerativer täten berichten, doch zuletzt noch ein Energien. CDU, FWG und FDP im Kreis- kleines Zuckerstückchen: Junge Leute Ich habe zur Kenntnis genommen, dass ich die Bestellung tag sehen hier keinen Handlungsbe- richteten im linken Büro einen Marx-Le- innerhalb von 10 Tagen widerrufen kann. darf. Auch die SPD wagt sich nicht vor. sekreis ein, den wir unterstützen. Dass Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung des Denn in der Wetterau gibt es an einigen es in Universitätsstädten solche Le- Widerrufs. Orten eine Initiative gegen »Windkraft- sekreise gibt, verwundert niemanden. monster«. Doch DIE LINKE tritt für den Aber in einem Landkreis wie der Wet- Bau von Windenergieanlagen ein. terau ist das schon eine nette Sache. Datum, 2. Unterschrift Continental in Karben stellte die Coupon bitte senden an: Parteivorstand DIE LINKE, Zahlung von Gewerbesteuern ein, so Gabi Faulhaber ist Kreisvorsitzende des Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin. dass ein Loch von zwei Millionen in die Wetteraukreises. Bestellungen auch möglich unter: www.die-linke.de Stadtkasse gerissen wurde. Die Über- www.die-linke-wetterau.de

190 DISPUT Januar 2011 Klein, aber bemerkenswert!? DIE LINKE in Bremen Von Landessprecherin Cornelia Barth

Die Freie Hansestadt Bremen, so der of- fizielle Name unseres Bundeslandes, setzt sich aus den Städten Bremen und Bremerhaven zusammen. Dazwischen liegen ca. 50 Kilometer Niedersachsen. Bremen umfasst eine Fläche von 419 Quadratkilometern, 546.125 Einwoh- ner/innen leben in Bremen und 113.529 in Bremerhaven. Die Wahlbeteiligung schwankt je nach Stadtteil zwischen un- ter 50 und über 80 Prozent. Die Arbeitslosenquote beträgt 11,5 Prozent, setzt sich aber zusammen aus 10,4 Prozent in Bremen und 16,7 Prozent in Bremerhaven. Die Anzahl der ALG-II- Empfänger/innen schwankt je nach Stadtteil zwischen 1,9 und 35 Prozent in Bremen beziehungsweise zwischen vier und 43,4 Prozent in Bremerhaven. Wäh-

rend in reichen Stadtteilen zwei Prozent Heigl © Christoph

In der Überzeu- meinsamen Wahlantritt zu bewerkstelli- gung, dass sich gen. Letztendlich haben wir ihn erfolg- die Politik eher reich gemeistert und konnten als Erste durch Bewegung im Westen mit 8,4 Prozent und sieben auf der Straße ver- Abgeordneten in den Landtag, mit drei ändert ..., Abgeordneten in die Stadtverordne- ... ist auch Bre- tenversammlung Bremerhaven und mit mens Landesvor- 23 VertreterInnen in 16 Beiräte einzie- stand aktiv (Cor- hen. Wir konnten aufatmen, als Anfang nelia Barth: vorn 2008 die Wahlen auch in Niedersach- links) sen, Hessen und Hamburg erfolgreich waren – so waren wir glücklicherweise nicht mehr die einzigen Parlamentarier im »Westen« und konnten die eine oder andere interne Auseinandersetzung in der Kinder in Hartz-IV-Bedarfsgemein- schaften leben, sind es in den armen bis zu 60 Prozent. Die Berichte der Arbeit- nehmerkammer weisen seit Jahren auf diese Spaltung der Stadt hin, ohne dass daraus ein ernsthaftes Handeln der ver- antwortlichen Politikerinnen und Politi- ker folgt. Dabei liegt Bremen an dritter Stelle bezüglich der Einkommensmillio- näre (2004: 14,9 von 100.000 Einwoh- nerInnen), und die Gegensätze sind hier mehr als offensichtlich.

Gleich starke »Quellen« Bremen ist der einzige Landesverband der LINKEN, der mit gleich starken Quell- parteien (PDS und WASG) im Sommer 2007 in die Vereinigung gegangen ist. Es war daher keine einfache Aufgabe, be-

reits Anfang des Jahres 2007 einen ge- Hundt (2) © Sönke

LANDESVERBAND DISPUT Januar 2011 020 Bremen, unabhängig von der eventuel- Unser Landesverband hat aktuell 616 Das Prinzip des »gedeckelten Budgets«, len Mediendarstellung, auch etwas ge- Mitglieder und ist derzeit in vier Kreis- das sich in der Sozialpolitik und in der lassener angehen. verbänden organisiert. In zwei Kreisver- Gesundheitspolitik bereits verheerend Unsere ehrenamtlich arbeitende Re- bänden haben sich inzwischen Orts- ausgewirkt hat, wird von SPD und Grü- daktion gestaltete eine hervorragen- verbände gegründet, um sich zusam- nen nunmehr zum Leitmotiv ihrer Lan- de Website des Landesverbandes, die men mit den BeiratsvertreterInnen ent- despolitik erhoben und führt dazu, dass über aktuelles politisches Geschehen in sprechend engagiert und speziell in die die Regierungspartner nicht einmal ihre Bremen berichtet und auch kontroverse Stadtteilpolitik einmischen zu können. eigene Koalitionsvereinbarung umset- Themen aufgreift (ein Besuch ist unbe- Dabei sind in unterschiedlicher Ausge- zen. dingt zu empfehlen: www.dielinke-bre- staltung immer wieder auch die Abge- Die Zustimmung zur Schuldenbrem- men.de). In der Bundestagswahl 2009 ordnetenbüros der Fraktion, die wir in se und die Bereitschaft, bis 2020 jähr- gelang uns erstmalig mit 14,28 Pro- Bremerhaven und drei Bremer Stadttei- lich immer weitere Kürzungen im oberen zent ein Wahlergebnis über dem Bun- len realisieren konnten, im Zentrum des zweistelligen Millionenbereich zu pla- desdurchschnitt – und so konnte unse- Geschehens. Die Zusammenarbeit zwi- nen, werden die ohnehin äußerst ange- re Spitzenkandidatin zur schen Partei und Fraktion gestaltete und spannte soziale Lage unverantwortlich Bundestagsabgeordneten werden. Es gestaltet sich in Bremen dabei nicht im- eskalieren lassen. Armutsbekämpfung war eingetreten, was wir nicht erwartet mer einfach. Manche Wünsche und An- soll möglichst ehrenamtlich erfolgen. hatten – eine eigene Abgeordnete aus sprüche an die Fraktion wurden als un- Die Benachteiligung von MigrantInnen, Bremen im Bundestag! Diese Tatsache realistisch und / oder unpraktikabel ver- Armen und Kindern von Nichtakade- erleichterte sicher »unserem« bisheri- abschiedet, an anderen Punkten gibt es mikerInnen in der Bildungspolitik ist gen Abgeordneten den voll- sicher noch Verbesserungs- und Opti- skandalös und wird nicht offensiv be- ständigen Wechsel nach Sachsen. mierungsmöglichkeiten. kämpft. Anstatt von sozialen und öf- Zumindest ein zweistelliges Ergebnis fentlichen Bedarfen auszugehen, wer- würden wir gerne auch am 22. Mai 2011 den die Haushaltslage und die Schul- Zusammenarbeit auf Augenhöhe bei der Bürgerschaftswahl erreichen, denbremse zu unantastbaren Götzen. denn eine starke LINKE wird in Bremen Wir haben die Zusammenarbeit mit au- Damit kann keine Armutsbekämpfung, benötigt. Seit 2007 regiert eine Koaliti- ßerparlamentarischen Gruppen inten- sondern nur noch Armenbekämpfung on aus SPD und Grünen, dennoch ist es siviert und konnten dabei die Befürch- stattfi nden. Wir werden uns dieser Po- keineswegs zu einer grundlegenden po- tung, von der Partei vereinnahmt zu wer- litik mit aller Kraft entgegenstellen und litischen Veränderung gekommen. Es den, minimieren. So entwickelte sich nicht zulassen, dass die unterschied- werden zwar andere Akzente als zu Zei- mit ganz unterschiedlichen Akteuren lichen Gruppen gegeneinander ausge- ten der Großen Koalition gesetzt, aber (Bremer Friedensforum, Gewerkschaf- spielt und stigmatisiert werden. von einer Armutsbekämpfung ist diese ten, Sozialberatungsstellen, Initiativen) Die Bundestagswahl hat in Bremen Politik nach wie vor weit entfernt. 2009 eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, bestätigt, dass DIE LINKE in neuer Weise wurde ein Armuts- und Reichtumsbe- die sicher auch noch weiter ausbaufä- als konsequente linke und soziale Kraft richt für das Land Bremen erstellt, die hig ist. In der Überzeugung, dass sich Anerkennung und Bestätigung fi ndet. daraus entwickelten Maßnahmen sind die Politik weniger durch die Parlamen- Wir haben bereits jetzt, auch durch die jedoch, mit Rücksicht auf die Bremer te, sondern eher durch die Bewegung verlässliche Arbeit in den Beiräten und Haushaltslage, größtenteils kostenneu- auf der Straße verändert, arbeiten wir im Parlament, bei vielen eine akzeptier- tral, das heißt sie kommen über mini- kontinuierlich im Bremer Anti-Krisen- te Alleinstellung als konsequente Inter- male und keineswegs ausreichende Ver- bündnis mit. Dementsprechend haben essenvertretung. Aber wir wollen unse- besserungen nicht hinaus. wir auch zu den Bildungsstreikaktivitä- re Verankerung in den Stadtteilen, bei Das Ergebnis der »langen Januar- ten und zu den Demonstrationen gegen Beschäftigten, Erwerbslosen, sozial Be- nacht 2010« zur Veränderung in der die Laufzeitverlängerung der Atomkraft- nachteiligten, Initiativen und Bewegun- Führungsstruktur unserer Bundesebe- werke, das Sparpaket und die Abwäl- gen weiter steigern, um die Politik der ne wurde von uns begrüßt. Durch ein- zung der Krisenlasten mobilisiert. LINKEN auf eine noch breitere Grundla- stimmigen Vorstandsbeschluss haben Die Bürgerschaftswahl 2011 wirft ge zu stellen. wir uns dann dazu entschieden, den schon seit Längerem ihre Schatten vor- Die Landespolitik in Bremen fi ndet Mitgliederentscheid über die zukünf- aus und beschäftigt zumindest Teile un- im Rahmen einer verfehlten Bundespo- tige Struktur des geschäftsführenden seres Landesverbandes in außerordent- litik statt. Sie darf sich jedoch nicht auf Parteivorstandes zusammen mit sieben licher Weise. Darüber ist sicher bei eini- diese herausreden, sondern muss lan- anderen Landesverbänden aus Ost und gen die Beschäftigung mit dem bundes- despolitische Ziele verfolgen, die sich West zu initiieren. Nach wie vor bin ich weiten Programmentwurf bis jetzt ein auf Arbeit, Einkommen und Aneignung überzeugt davon, dass wir die für uns wenig zu kurz gekommen. Inzwischen für die breite Bevölkerung und die sozi- richtige Führungsstruktur entwickelt ha- haben die vom Parteitag beschlosse- al benachteiligten Gruppen richten. Bre- ben, denn nur quotiert und breit aufge- nen Vorstellungsrunden der Kandida- men braucht eine gezielte Politik der Ar- stellt können wir die vor uns liegenden tinnen und Kandidaten stattgefunden, mutsbekämpfung auf Landesebene, die Aufgaben bewältigen und unsere Plura- und der überwiegende Teil des umfas- sich an den sozialen Bedarfen orientiert lität selbstbewusst zu einer Stärke ent- senden Wahlprogramms ist bereits ver- und materiell untersetzt ist. Dafür wol- wickeln. In Bremen haben wir uns in den abschiedet. len wir mit den Menschen kämpfen, vor letzten Jahren erfolgreich um eine Ent- und nach der Wahl! wicklung in diese Richtung bemüht. Da- Mit aller Kraft gegen unsoziale rüber haben sich manche Konfl ikte auf- Politik DIE LINKE. Landesverband Bremen gelöst, andere sind aufgrund dessen Faulenstraße 75, 28195 Bremen neu entstanden und werden uns min- Armut, Arbeitslosigkeit und soziale Telefon: (0421) 32 06 66 destens bis zur Verabschiedung des Pro- Spaltung der Stadt sind in Bremen oh- E-Mail: [email protected] grammentwurfes begleiten. nehin enorm und nehmen weiter zu. www.dielinke-bremen.de

210 DISPUT Januar 2011 Viele Tausende – darunter die Par- teispitze der LIN- KEN sowie Vertre- ter/innen der EL – ehrten wieder am zweiten Januar- sonntag in Berlin- Friedrichsfelde die 1919 ermordeten Rosa Luxemburg und Karl Lieb- knecht.

TRADITION DISPUT Januar 2011 022 FRIEDRICHSFELDE

Vor sechzig Jahren, am 14. Janu- ar 1951, wurde die »Gedenkstät- te der Sozialisten« in Berlin-Fried- richsfelde in ihrer heutigen Gestalt – mit der vier Meter hohen Porphyr- stele mit der Inschrift »Die Toten mahnen uns« und der Ringmauer aus Klinkersteinen – feierlich ein- geweiht. Insbesondere Wilhelm Pieck, seit Oktober 1949 erster (und einziger) Präsident der DDR, hatte bereits seit der Befreiung vom Faschismus im Mai 1945 dar- auf gedrängt, an historischem Ort einen neuen Ehrenfriedhof für he- rausragende Persönlichkeiten der deutschen Arbeiterbewegung zu errichten. Er hatte wiederholt eige- ne Entwürfe beigesteuert und per- sönlich Einfl uss auf die Planungen und die Bauarbeiten genommen. Seit der Beisetzung von Wilhelm Liebknecht im August 1900, als mehr als 150.000 Menschen den großen Sozialdemokraten zu sei- ner letzten Ruhestätte geleiteten, hatte sich der Städtische Friedhof in Friedrichsfelde zu einer tradi- tionellen Begräbnisstätte der So- zialisten und Kommunisten ent- wickelt, die sehr schnell und weit über Berlin hinaus als »Sozialis- tenfriedhof« bekannt wurde. Im Ja- nuar 1919 wurden hier Karl Lieb- knecht und weitere Opfer der Re- volutionskämpfe 1918/1919 beer- digt, später auch Rosa Luxemburg, deren toter Körper erst im Juni 1919 gefunden wurde. 1926 entstand im hinteren Teil des Friedrichsfelder Friedhofs,

© Erich Wehnert (3) dort, wo sich die Gräber von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg befanden, auf Initiative der KPD ein architekturgeschichtlich be- deutsames Revolutionsmonument, das vom späteren Bauhausdirektor Ludwig Mies van der Rohe entwor- fen worden war. Im Januar 1935 ließen die deut- schen Faschisten das Revolutions- monument abreißen und die Grä- ber einebnen. Seit 1983 erinnert eine Stele an diesen Ort und seine Geschichte.

Ronald Friedmann

230 DISPUT Januar 2011 Auf der Tagesordnung Zum Umgang mit dem NS-Faschismus. Immer wieder muss kritische Geschichtspolitik erkämpft und verteidigt werden Von

Die Studie »Das Amt und die Vergan- Dieses Muster wurde von der Jus- rung der »Kriegsverräter« mit absur- genheit« zur Vergangenheit des Aus- tiz übernommen und führte zu einer den Argumenten der Konservativen, wärtigen Amtes hat die Frage des Um- schier unglaublichen Entlastung von einer verpennten SPD und allen Fin- gangs mit dem NS-Faschismus in der Schwerstschuldigen, wie der Politik- ten der Verschleppungstaktik. Gleich- Geschichte der Bundesrepublik erneut wissenschaftler Joachim Perels tref- wohl zeigte die einstimmige Rehabili- auf die Tagesordnung gesetzt. Neu sind fend feststellt: »Subjekt der Tat waren tierung im Jahre 2009, dass es bis hin- die Erkenntnisse der Studie nicht. Neu nicht die Administratoren und Prakti- ein in liberale Kreise ein kritisches Be- ist allerdings, dass sie von offi zieller, ker des Mordes, sondern Hitler, Himm- wusstsein gibt, das die Rehabilitierung staatlicher Seite in Auftrag gegeben ler und Heydrich, die sogenannten mit ermöglichte. Nicht zuletzt die Un- wurde. Und dafür ist die Kernaussage Haupttäter. Der Polizeipräsident von terstützung auch von bürgerlichen Me- des Autors Eckart Conze, das Auswärti- Memel, der seine Polizeikräfte aus ei- dien ermöglichte die Würdigung die- ge Amt sei eine »verbrecherische Orga- genem Antrieb zum Mord an den Ju- ser einfachen Soldaten, die sich dem nisation« gewesen, ein echter Meilen- den abkommandiert, der Komman- Angriffs- und Vernichtungskrieg wider- stein in dieser geschichtspolitischen deur der Einsatzgruppe 8, der die Tö- setzten. Auseinandersetzung. tung von 15.000 Juden befohlen und Die mit großem Aufwand verbreite- eigenständig getötet hat, der Adjutant Verstrickungen aufdecken te Legende, die Geschichte der Bun- des Vernichtungslagers Auschwitz, der desrepublik sei eine ganz und gar de- an Selektionen beteiligt war, den Bau Die Linksfraktion im Bundestag hat ei- mokratische Erfolgsgeschichte gewe- neuer Gaskammern in Auftrag gab und ne Reihe von parlamentarischen Ini- sen und die Aufarbeitung der Vergan- Zyklon B beschaffte, der stellvertreten- tiativen für eine kritische Geschichts- genheit sei vorbildlich verlaufen, wird de Lagerkommandant des Konzentra- politik gestartet. Kern der Anträge und durch die Reaktionen auf die Studie tionslagers Majdanek, der sich an vie- Anfragen ist die Aufdeckung der per- widerlegt. Globke und Oberländer wa- len Tötungen beteiligte, sie alle wur- sonellen Verstrickungen zwischen NS- ren nur die Spitze des Eisberges. Viel den – ungeachtet ihrer organisatori- Regime und Bundesrepublik sowie die gefährlicher und skandalöser war die schen Verankerung in der SS – von den Frage, inwieweit die ausgebliebene massenhafte Rückkehr der ehemali- Gerichten der Bundesrepublik nicht als Aufarbeitung in den ersten Jahrzehn- gen Funktionseliten an die Schaltstel- Täter, sondern als Gehilfen, ohne ideo- ten der Bundesrepublik die Entwick- len von Staat, Wirtschaft, Armee und logische Identifi kation mit dem Natio- lung des demokratischen Rechtsstaa- Justiz. Mit der »131er-Regelung« wurde nalsozialismus, eingestuft.« tes beschädigt hat. Unter anderem wur- ermöglicht, dass das Berufsbeamten- Diese Entwicklungen wurden poli- de ein Antrag eingebracht, der verlangt, tum, was von den Alliierten als beson- tisch von den Konservativen massiv endlich die Geschichte des BND aufzu- ders naziverseucht eingeschätzt wur- unterstützt, da sie Wahlerfolge garan- arbeiten und besonders die Akten zum de, wieder in den öffentlichen Dienst tierten. Es gab eine bedenkliche Soli- Fall Eichmann offenzulegen. Ein ande- zurückkehrte. Unter ihnen Verbrecher darität der Bevölkerung mit den inhaf- rer Antrag will die Aufarbeitung der Ver- aus den Reihen der Gestapo. tierten Wehrmachtsverbrechern. Nor- gangenheit in allen relevanten Ministe- Eines der ersten Gesetze der Bun- bert Frei bezeichnete dieses Klima als rien und Behörden des Bundes analog desrepublik überhaupt war das Straf- »sekundäre Bestätigung der Volksge- zur Studie des Außenamtes anschie- freiheitsgesetz von 1949. Bereits kurz meinschaft«. ben. Mit einer großen Anfrage will die nach Gründung der BRD waren ein Vier- Gleichwohl gab es in den fünfziger Fraktion eine allgemeine Debatte über tel der Abteilungsleiter in den Bonner und sechziger Jahren hörbare Gegen- den Umgang mit der NS-Vergangenheit Ministerien ehemalige NSDAP-Mitglie- positionen. Etwa die des hessischen in Deutschland auf den Weg bringen. der. Diese administrativen Entwicklun- Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer, Aktuell wird ein Antrag diskutiert, der gen wurden getragen von einer mas- der im Rahmen des Remer-Prozesses von rechtsextremen Auslassungen ei- senhaften Praxis der Schuldabwehr für die Anerkennung des Widerstan- niger CDU-Abgeordneter begleitet wird. und der Verleugnung der Involvie- des des 20. Juli stritt, der damals als Der Widerstand von Kommunistinnen rung in den Nationalsozialismus. So- Landesverrat galt. Oder Menschen wie und Kommunisten als Opfer des NS- wohl die Täter, die Funktionseliten, als Martin Niemöller und Eugen Kogon, die Regimes soll durch den Bundestag an- auch die große Mehrheit der Bevölke- sich gegen Verdrängung und Antikom- erkannt werden. Zudem sollen die da- rung zeigten sich völlig unwillig, ihr ei- munismus wandten, um eine demo- maligen Streichungen von Entschädi- genes Handeln kritisch zu refl ektieren kratische Entwicklung zu ermöglichen. gungszahlungen für kommunistische oder gar Empathie mit den Opfern zu Dies waren zwar Minderheitenpositi- Widerstandskämpfer als Unrecht aner- entwickeln. Stattdessen dominierten onen, aber sie bereiteten den Boden, kannt we rden. Schuldabwehrstrategien wie die Re- auf dem heute Studien wie »Das Amt« In diesem Sinne versucht die Links- duzierung der Täter auf Hitler, Himm- entstehen konnten. fraktion eine kritische Geschichtspoli- ler und Goebbels. Der Verweis auf Hit- Trotzdem muss kritische Geschichts- tik zu unterstützen. ler entlastete alle anderen von ihren ei- politik immer wieder erkämpft und ver- genen Verbrechen bzw. ihrer Unterstüt- teidigt werden. Man denke etwa an die Jan Korte ist Bundestagsabgeordneter. zung für das NS-Regime. fast vier Jahre dauernde Rehabilitie- Mehr Informationen: www.jankorte.de

ANTIFASCHISMUS DISPUT Januar 2011 024 © Gert Gampe

NACHBELICHTET

Von Arthur Paul   Man kann gar nicht Fahrstuhl. Der Eiffelturm wurde die At- Gemeinwohl unter einen Hut zu brin- weit genug vorausblicken, wenn man traktion der Weltausstellung, das Wahr- gen. Das ist ähnlich wie mit der Losung einen Auftrag übernimmt. Das wüsste zeichen von Paris, ein Symbol für Fran- der französischen Revolution »Freiheit, heute auch der französische Ingenieur kreich, ein Touristenmagnet für die Gleichheit, Brüderlichkeit!« Freiheit für Gustave Eiffel. Da kam vor 122 Jahren Welt – bis heute. die Aktionäre erwürgt die Gleichheit jemand bei ihm vorbei und sagte: »Du Drum sagt man wohl mahnend: und die Brüderlichkeit. hast so schöne Brücken und Markthal- »Nichts ist beständiger als ein Provi- Unser Foto deutet auch dies an: Da len aus Stahl gebaut – wie wär’s, wenn sorium!« Was man auch an unserem steht einer, vermutlich ein Einwanderer Du einen großen Turm als Zeigefi nger für Grundgesetz als provisorischer Verfas- aus den ehemaligen französischen Ko- die Weltausstellung 1889 in Paris konst- sung bis zur Vereinigung erkennt. Die lonien, und bietet Eiffeltürme als Sou- ruieren würdest? Nicht für ewig, nicht so nötige Nacharbeit wurde 1990 abge- venir an. Daneben steht noch einer und teuer, am besten zum Zusammenklap- lehnt. In diesem Grundgesetz wird die noch einer. Nur stehen da keine Touris- pen nach der Ausstellung.« Und Gusta- Unantastbarkeit der Würde des Men- ten. Drum wird der Mann, der wie ein Ar- ve Eiffel nickte, grübelte, zeichnete und schen und der Anspruch des Privat- beiter-Denkmal als Schöpfer aller Wer- rechnete. Am Ende stand dann der gra- eigentums auf Schutz und Förderung te dasteht, am Abend seine Sachen pa- zile 300 Meter hohe Turm mit drei Aus- gelobt, sofern dies dem Gemeinwohl cken und unter irgendeiner Brücke in Pa- sichtsplattformen auf 58, 115 und 276 nutzt. Wie sich zeigt, ist es unmöglich, ris schlafen, denn auch die »Stadt der Höhenmetern sowie Wendeltreppe und Menschenwürde, Privateigentum und Liebe« liebt nicht alle.

25 0 DISPUT Januar 2011 Falsches Spiel im Sudan Eindrücke aus einem leidgeprüften Land kurz vor seiner (voraussichtlichen) Teilung Von Christine Buchholz

Das Referendum über die Abtrennung Referendum soll die Umsetzung des sinken des Grundwasserspiegels. Im- des Südsudans endete am 15. Janu- Friedensabkommens abschließen. mer mehr Menschen konkurrieren um ar und wird höchstwahrscheinlich zur Wir besuchten die zentral gelegene immer weniger Ressourcen. Mehrere Gründung eines unabhängigen Staates Hauptstadt Khartum, die Hauptstadt Millionen Menschen leben in Lagern Südsudan im Sommer führen. Das UN- des Südsudans Dschuba und El-Fasher für Binnenfl üchtlinge. Mandat (Unims) läuft aus, und die De- in der westlichen Region Darfur. Dschuba im Südsudan hingegen ist batte über ein neues militärisches Khartum ist eine Großstadt mit einer kaum mehr als eine große Ansamm- Mandat wird beginnen. DIE LINKE ver- langen Geschichte und einer lebendi- lung von Rundhütten, zwischendurch tritt die Position, dass Not und Leid der gen, widerspruchsvollen Bevölkerung. findet man einige befestigte Häuser Menschen in dem afrikanischen Land Die Regierung behindert Oppositionel- aus der Kolonialzeit. Die Vereinten Na- nur zivil zu bekämpfen sind. le, aber gewährt zumindest momentan tionen, Nichtregierungsorganisationen ein gewisses Maß an Freiheit für poli- und Hotelbesitzer haben Container auf- Im November 2010 reisten vier Abge- tische Arbeit. Das bestätigen uns Mit- gestellt, in denen gearbeitet, gegessen ordnete der LINKEN in den Sudan, um arbeiter von verschiedenen sudanesi- und geschlafen wird. sich ein Bild von der Lage in dem von schen und internationalen Menschen- Öl ist die wichtigste Einnahmequel- Krieg und Armut gezeichneten Land rechts- und Hilfsorganisationen. le in beiden Landesteilen. Die meisten zu machen. Fünf Jahre zuvor hatte das Hinter der Stadtgrenze von Khartum Ölfelder liegen im Süden und im Grenz- Friedensabkommen CPA den zwanzig- beginnt die Wüste und damit die Unsi- gebiet, die Raffi nerien und die Pipeline jährigen Bürgerkrieg zwischen dem cherheit. In vielen Regionen, wie in Dar- zum einzigen Hafen, Port Sudan, im Norden und dem Süden beendet. Das fur, führt der Klimawandel zu einem Ab- Norden.

Wo die Trocken- heit herrscht und Konfl ikte um Land und Wasser Folgen sind: Darfur im Westen. Junge Frau in Dschuba, Süd- sudan. © Christine Buchholz

AFRIKA DISPUT Januar 2011 026 © DIE LINKE/Karin Desmarowitz

Die Regierungsvertreter des Südens werden getragen von einer riesigen Hoffnung in der Bevölkerung.

Im Südsudan gibt es im besten Falle esse an einem fairen und freien Ablauf tion zu erhalten: Teilhabe am Ölreich- eine reine Subsistenzwirtschaft, aber des Referendums haben. Die Lager tum des Südens, Reintegration in die weder Industrie noch mittelständische sind zwar tief zerstritten, den Regie- Weltgemeinschaft, Schuldenerlass und Produktion. In den Ölfeldern arbeiten rungen ist aber klar, dass sie wegen der ein Wegsehen der Weltgemeinschaft, so gut wie keine Südsudanesen, son- Öleinnahmen kooperieren müssen. Der wenn Militär und Polizei die Oppositi- dern Nordsudanesen, Asiaten und Eu- Norden besitzt kaum Ölquellen, der Sü- on im restlichen Sudan, inklusive Dar- ropäer. Keine hundert Kilometer Stra- den auf absehbare Zeit keine Pipelines fur, unterdrückt. Letzteres befürchtet ßen sind asphaltiert. Es gibt keine Ei- und Raffi nerien. auch die Kommunistische Partei des senbahn. Die Hauptstadt Dschuba ist Die Regierung in Khartum ist we- Sudan, die momentan noch offen ar- ohne Stromnetz, ohne zentrale Was- sentlich verantwortlich für die katast- beiten kann. serversorgung und Wasserentsorgung. rophale soziale Lage im Südsudan und Die Regierungsvertreter des Südens Die Koordinatorin der humanitären in anderen Provinzen. Die Prioritäten wirken von der neuen Situation über- Hilfe im Rahmen der UN, Lise Grande, der Zentralregierung liegen in der Be- fordert. Sie werden getragen von einer erläuterte uns, dass im Jahr 2010 von dienung ihrer Klientelinteressen und riesigen Hoffnung in der Bevölkerung, den geschätzten rund zehn Millionen nicht in einer ausgeglichenen wirt- dass mit der Abtrennung alle Probleme Menschen im Südsudan 4,3 Millionen schaftlichen Entwicklung des gesam- verschwinden. Aber diese Hoffnung ist Nahrungsmittelhilfen benötigten. We- ten Sudans. trügerisch. Viele unserer Gesprächs- niger als die Hälfte der Bevölkerung hat Allerdings machen es die internati- partner äußerten die Befürchtung, dass Zugang zu sauberem Wasser, weniger onalen Wirtschaftssanktionen gegen die internen Konfl ikte wieder aufbre- als jeder Zehnte hat Zugang zu Sani- den Sudan, der Haftbefehl gegen Prä- chen, sobald der gemeinsame Kampf täranlagen. Es sind zwar 1,3 Millionen sident Al-Bashir, aber auch die Been- gegen den gemeinsamen Gegner, den Schulkinder eingeschrieben, aber nur digung der deutschen Entwicklungs- Nordsudan, beendet ist. eins von 50 beendet die Grundschule. zusammenarbeit mit dem Norden der Während des Bürgerkrieges sind Auf tausend Grundschüler kommt ein Zentralregierung leicht, die sozialen mehr Menschen in Stammeskonflik- Lehrer. Die Wahrscheinlichkeit, dass und politischen Konflikte zwischen ten innerhalb des Südsudans getötet ein 15-jähriges Mädchen bei der Geburt Herrschern und Beherrschten als Kon- worden als durch den Bürgerkrieg mit ihres Kindes stirbt, ist höher, als dass flikte zwischen Muslimen und dem dem Norden. Ein Problem sind 60.000 sie die Schule erfolgreich abschließt. Rest der Welt darzustellen. Angehörige von Rebellengruppen, die Wir trafen Vertreter der Regierungs- Khartum wird die Abtrennung nicht nach dem Friedensabkommen von der parteien in Nord und Süd. Unser Ein- verhindern, aber versuchen, einen SPLA, der ehemaligen südsudanesi- druck ist, dass beide Seiten ein Inter- möglichst hohen Preis für die Koopera- schen Bürgerkriegsarmee, übernom-

270 DISPUT Januar 2011 schnell handgreifl ich. Zu diesen zu er- wartenden Konfl ikten kommen Streitig- keiten um die Grenzziehung in einigen, zumeist ölreichen Regionen. Eine davon ist Abyei. Dort geht es um den Zugang zum Öl, aber auch um den Einfl uss verschiedener Stäm- me. Der Grenzverlauf trennt die Sied- lungsgebiete des Nomadenstammes der Misseria von den Weidegründen ab, in die sie ihr Vieh acht Monate im Jahr treiben. Angesichts von 120.000 Stammesmitgliedern unter Waffen bietet das alleine schon Stoff für Kon- fl ikte. Voraussetzungen für die Lösung der Konfl ikte sind eine gerechte Verteilung der Ressourcen, vor allem Wasser und Weideland, aber auch der Bodenschät- ze, der Aufbau von sozialer Infrastruk- Gespräche wurden mit Regierungsvertretern im Norden wie im Süden geführt. tur und die Förderung wirtschaftlicher Straßenszenen in Khartum und ehemalige SPLA-Kämpfer. Entwicklung entsprechend den Bedürf- nissen der Menschen. Alle diese Punk- men wurden. Im Jahr 2009 fanden al- ausreichend zu ernähren. Zudem hat te erfordern die Einbeziehung der Be- lein von März bis August sieben Mas- die Gewalt der Kriegsjahre die Men- troffenen. Was nicht hilfreich ist, ist die saker statt, an denen Angehörige der schen zerstört. Es gibt so gut wie kei- Entsendung von Soldaten oder fernge- SPLA beteiligt waren. ne Einrichtungen, in denen zivile Kon- steuerte »Governance«-Programme der Die Armut verstärkt diese internen fl iktbearbeitung gemacht wird und die internationalen Gemeinschaft. Konfl ikte, da selbst jene Südsudane- Menschen ihre Kriegstraumata aufar- Auch wenn die Bundesregierung sen, die Landwirtschaft betreiben, nie beiten können. Viele ehemalige Kämp- keine tragende Säule des internationa- genug ernten, um ihre Familie davon fer greifen daher zum Alkohol, werden len Engagements im Sudan ist, hat sie

Unser Eindruck ist, dass beide Seiten ein Interesse an einem fairen und freien Ablauf des Referendums haben. © DIE LINKE/Karin (4) Desmarowitz

AFRIKA DISPUT Januar 2011 028 mit der Isolierung des Nordens und der INTERVIEW Unterstützung des Aufbaus eines ei- genständigen Staates im Süden an der Seite der USA in die politischen Prozes- se nach 2005 eingegriffen. Ihre Motivation liegt jedoch nicht im Sudan selbst, der ist nur Mittel zum Zweck. Die Bundesregierung will sich in der UN profi lieren. Der Beitrag der Bun- deswehr ist eher symbolisch. Die meis- Zur Situation in Ungarn. Kinga Kaloscai, Mitglied des ten der 30 Bundeswehrsoldaten, die für Unims arbeiten, sind unbewaffne- Vorstandes der EL für die Arbeiterpartei 2006 te Militärbeobachter. Sie berichten Si- cherheitsvorfälle an eine Stelle, in der Kinga, bei den Wahlen im April 2010 sich dann Vertreter des Nordens und erreichte die national-konservative des Südens mit der Konfliktbearbei- Partei Fidesz von Viktor Orban eine tung befassen. Soldaten wären dafür Zweidrittelmehrheit. Was bedeutet nicht erforderlich. dies für die Ungarinnen und Ungarn? Es wäre durchaus möglich, den Das ist ein großes Problem. Die Fidesz kann mit der Zweidrittelmehr- heit jedes Gesetz ändern. Sie kann im Prinzip machen, was sie will. Wie bei dem neuen Mediengesetz, das © Erich Wehnert Zensur für das Fernsehen, die Radios, Ich habe den Eindruck, dass Un- die Zeitungen und Internetportale in garn eine Art Testfeld für eine neue Ungarn bedeutet. Weitere neue Ge- national-konservative und populis- setze sind hanebüchen: Obdachlo- tische Politik ist. Sie probieren aus, sen ist es beispielsweise untersagt, wie weit man gehen kann. Und in Be- in den Bahnhöfen der Metro zu näch- zug auf das Mediengesetz: Was die tigen. Und den Armen – von denen Regierung schon während des Gift- gibt es sehr viele in Ungarn – wurde schlammunglücks im Oktober ge- es verboten, im Müll nach verwertba- macht hat – nämlich eine objekti- ren Dingen Ausschau zu halten. ve Presseberichterstattung über das Ausmaß und die Folgen des Unglücks Wie fällt die Bilanz der Regierung Or- für die Bevölkerung zu unterdrücken ban nach den ersten Monaten aus? –, das können sie jetzt durch den aus- Katastrophal, und das wird von schließlich von Fidesz-Mitgliedern sehr vielen Ungarn so gefunden. Es besetzten Medienrat offi ziell tun und gibt sehr viele, die Fidesz gewählt dich ins Gefängnis stecken, wenn du haben und das jetzt bereuen. Sie ha- dich nicht an den Maulkorb hältst. ben schon nach den wenigen Mona- ten die Politik von Fidesz satt, was Wie ist die Situation Deiner Partei, auch an einer steigenden Anzahl der Arbeiterpartei 2006? kleinerer Demonstrationen deutlich Das ist ambivalent: Einerseits ist wird. unsere Situation schlecht, was sich aus der Zweidrittelmehrheit für Fi- Ungarn hat seit Januar 2011 die EU- desz und der Existenz der starken Ratspräsidentschaft inne und trotz- rechtsradikalen Partei Jobbik (mehr dem werden Gesetze wie das ziem- als 16 Prozent bei den Wahlen 2010) lich skandalöse Mediengesetz um- erklärt. Menschen im Sudan zu helfen. Bei- gesetzt. Was haben wir vor diesem Auf der anderen Seite haben wir spielsweise durch einen bedingungslo- Hintergrund von der ungarischen die Hoffnung, dass es aufwärts ge- sen Schuldenerlass, die Wiederaufnah- Ratspräsidentschaft zu erwarten? hen kann. Die Menschen sehen, me der Entwicklungszusammenarbeit Wie sieht das Programm aus? dass auch der Wechsel von der neo- mit dem Norden, die Unterstützung der Über das Programm der Ratsprä- liberal orientierten sozialistischen humanitären Hilfe und Entwicklungszu- sidentschaft wird in Ungarn nicht ge- Partei MSZP zur Fidesz nichts ge- sammenarbeit mit dem Süden und da- sprochen. Meines Wissens ist auch bracht hat, im Gegenteil. Sie wenden durch, dass man zivile Konfl iktbearbei- noch nichts veröffentlicht worden. sich jetzt verstärkt den kleineren Par- tung unterstützt. Die Pläne existieren gewiss in den teien zu. Unsere Mitgliedszahl ist in Das hat der Deutsche Entwicklungs- Köpfen der Regierungsmitglieder, den letzten Monaten gestiegen, und dienst (DED) bis Ende des Jahres 2010 aber wir wissen nichts davon. Ge- wir wurden aktionsfähiger. getan, allerdings wurden ihm Gelder nerell kann man sagen, dass Orban In dieser Situation ist es für uns gestrichen, so dass er diese wichtige die Unterstützung konservativer Re- unheimlich wichtig, Mitglied der Eu- Arbeit einstellen muss. gierungen genießt – beispielsweise ropäischen Linken zu sein. Das stärkt sind Sarkozy und Berlusconi wichti- uns, denn wir wissen: Wir sind nicht Christine Buchholz ist Mitglied des ge Unterstützer der ungarischen Re- allein. Geschäftsführenden Parteivorstandes. gierung. Interview: Oliver Schröder

290 DISPUT Januar 2011 Der Anfang war nicht schwer Politik und Kultur nach der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung Von Gert Gampe

Bisher gab es sie noch nicht. Jetzt soll es sie jedes Jahr geben. Immer am Tag des Gedenkens für Rosa und Karl. Nach der Kranzniederlegung in Berlin-Fried- richsfelde, nach der Demo (siehe Sei- te 22). Sie soll diesen Charakter haben und diese Mischung von Politik und Kultur. Und sie soll die gemeinsame Veranstal- tung der Europäischen Linken und der LINKEN sein. Der Auftakt dafür war emotional, in- telligent und erfolgreich. Unter dem Ti- tel »Rage against the capitalist machi- ne« versammelten sich Gesine Lötzsch, Klaus Ernst und Oskar Lafontaine, die französischen Gäste Pierre Laurent und Jean Luc Mélenchon sowie Aurora La- casa mit ihren chilenischen Musikern, der griechische Barde Kostas Papana- stasiou, der Italiener Andrea Rivera und Geier Sturzfl ug & Gebrüder Engel, die- se gedimmt auf zwei Sangesbrüder. So waren es am 9. Januar drei Stunden Programm im Foyer des Berliner »Kos- mos« vor über 400 Gästen, die, man- che wegen Platzmangel auf dem Stein- fußboden sitzend, »durchhielten«. fühlte sich wohl in seiner Rolle als Moderator, führte char- mant durchs Programm, sang Brecht- Lieder, begleitet von Michael Letz am Piano. Klaus Ernst und Gesine Lötzsch eröffneten mit leidenschaftlichen Kurz- reden über die Notwendigkeit, öffent- lich darüber nachdenken zu dürfen, was nach einem übrig gebliebenen Ka- pitalismus kommt und was die LINKE dafür tun muss, um eine gerechte, so- ziale und solidarische Gesellschaft zu erkämpfen. Nachdenken über die Zu- kunft sollte nicht nur erlaubt sein, son- dern ein Muss in der Gesellschaftsde- batte. Dem folgte Pierre Laurent, Vorsit- zender der FKP und der Europäischen Linken (EL), der von der Unfähigkeit des Kapitalismus sprach, soziale, öko- logische und globale Probleme zu lö- sen. »Die menschliche Entwicklung ropa ausgedehnt werden. Die Kämp- das Publikum wieder in Höchststim- selbst ist in Gefahr, und der Kapitalis- fe müssen zusammengeführt werden. mung. Bei der gegenwärtigen Propa- mus ist unfähig, etwas anderes zu tun, Die EL wird eine Kampagne zur Errich- gandawelle der Bundesregierung über als Ausbeutung, Herrschaft und Ent- tung eines Europäischen Fonds für so- den Aufschwung und den geschönten fremdung jeder Art aufrechtzuerhal- ziale und ökologische Entwicklung er- Statistiken zeigte er auf das Grundpro- ten.« greifen. Mehr Kooperation, Gedanken- blem der Entwicklung: Wirtschaftslob- Und Jean Luc Mélenchon, Vorsitzen- austausch und Koordinierung werden byisten diktieren der Regierung den der der Parti de Gauche (Linkspartei), über unsere Stärken entscheiden. Rahmen. Die Bankenkrise und Finanz- führte den Gedanken weiter: Streiks Im Programm an vorletzter Stelle krise ist nicht gelöst. Soziale Gerechtig- und Mobilisierungen müssen auf Eu- positioniert, brachte Oskar Lafontaine keit ist ohne Steuergerechtigkeit nicht

KULTUR DISPUT Januar 2011 030 Emotional, intelligent und erfolgreich. Politik und Kunst entfachten Begeisterung wie Nachdenklichkeit. © Erich Wehnert (4) denkbar. Das Alleinstellungsmerkmal Demokratie und ohne Demokratie kein mehreren Sprachen, in denen sie sich der LINKEN bleibt bestehen: im Kampf Sozialismus‹ sagt nichts anderes, als zu Hause fühlt, in Anknüpfung an ih- gegen Hartz IV, in der Friedens- und dass es ohne eine gerechtere Vermö- re Eltern und in musikalischen Refe- Demokratiefrage. »Der deregulierte Fi- gensverteilung keine Demokratie gibt. renzen an Garcia Lorca und Daniel Vi- nanzkapitalismus hat die Demokratie DIE LINKE wirft als einzige politische glietti setzte sie den künstlerischen Hö- ausgehöhlt. Entweder der Staat kon- Kraft die Frage auf, was wem warum hepunkt. trolliert und reguliert die Banken, oder gehört.« Das »Bruttosozialprodukt zu stei- die Finanzindustrie kontrolliert und Aurora Lacasa hatte sich mit ihrem gern« war dann Anliegen und Ende der reguliert die Politik ... Der Satz Rosa Repertoire klug auf das Programm ein- Veranstaltung, die 2012 ihre Fortset- Luxemburgs ›Ohne Sozialismus keine gestellt. Mit ihren »Lebenslinien« in zung erfahren soll.

310 DISPUT Januar 2011 Breite Beteiligung anstreben Zur Organisation der Programmdebatte im Landesverband Sachsen Von Stefan Hartmann

»Weniger Selbstbeschäftigung, mehr tei. Die praktische Gestaltung der Pro- Ort in irgendeiner Form zu protokol- rausgehen zum Bürger!« lautet eine der grammdebatte und die Fähigkeit, die- lieren oder zusammenzufassen. Diese Standardforderungen, die gern an die se in Ergebnisse umzusetzen, können Aufgabe verbleibt selbstverständlich in Genossinnen und Genossen in unse- dementsprechend als ein Prüfstein un- der Pfl icht der interessierten Genossin- rer Partei ausgegeben wird. In der De- serer Glaubwürdigkeit gelten. nen und Genossen. Beteiligung kann batte um das Programm unserer Par- Als Instrument zur Gestaltung, Or- nicht in Stellvertretung erfolgen. tei ist dieser sicher richtige Gedan- ganisation und Auswertung der Pro- Nach einem dreiviertel Jahr Pro- ke nichts anderes als unangemessen. grammdebatte nutzt der Landesver- grammdebatte in Sachsen kann re- Denn wenn das zu erarbeitende Pro- band Sachsen die seit vielen Jahren sümiert werden, dass nahezu jeder gramm einen Beitrag zu unserer politi- und in verschiedenen Zusammenhän- Ortsverband wenigstens einmal den schen Identität leisten und kein weite- gen bewährte Grundsatzkommission. Programmentwurf auf seiner Tages- rer Papierstapel in der Schublade wer- Sie wurde für diese Aufgabe entspre- ordnung hatte. Einige Kreisverbände den soll, dann wird dies nur dadurch chend verschiedener Kriterien besetzt haben interessante weitere Formen gelingen, dass die verschiedenen lin- (Quotierung, Regionen, politische Her- der Arbeit am Programmtext entwi- ken Ansätze, Gedanken und Erfahrun- kunft, Alter). Es handelt sich um ei- ckelt. Es wurden Arbeitsgruppen bzw. gen einfl ießen. Dafür bedarf es jedoch ne Struktur beim Landesvorstand, die Kommissionen gebildet, die entspre- eines intensiven Beteiligungsprozes- in dessen Auftrag handelt, sich aber chend den Bedürfnissen der Genossin- ses, denn keine noch so repräsentativ grundsätzlich selbst organisiert und nen und Genossen Veranstaltungen auf zusammengesetzte Kommission oder Methoden zur Umsetzung der Be- Kreisebene anbieten und einen konti- Arbeitsgruppe kann die tatsächliche schlusslagen von Bund und Land ent- nuierlichen Ablauf der Debatte über linke Vielfalt in der LINKEN ersetzen. wickelt. den gesamten bisherigen Zeitraum er- Die sächsische Grundsatzkommissi- möglichen. Auch hier wurde die enge on erarbeitete zur methodischen Unter- Zusammenarbeit mit der Grundsatz- Langfristige Vorbereitung stützung und thematischen Bündelung kommission gesucht und gefunden. Von diesen Gedanken ausgehend, be- der Programmdebatte ein Papier mit reitete der sächsische Landesvorstand Leitfragen (zum Nachlesen auf www. Klassische Form und »Experiment« die Programmdebatte sehr langfristig dielinke-in-sachsen.de/). In diesen vor. Als grundlegend wurde von den fol- Leitfragen werden die Themenberei- Im Auftrag des Landesvorstandes orga- genden Kriterien ausgegangen: Debat- che Kapitalismus und bürgerliche Ge- nisierte die Grundsatzkommission eine te ermöglichen und breite Beteiligung sellschaft, Eigentum, Subjekte gesell- Reihe von regionalen und landeswei- anstreben, die Genossinnen und Ge- schaftlicher Veränderung, Freiheit und ten Veranstaltungen. Dazu zählen der nossen sprechen lassen und ihre Mei- Demokratie, Ansätze für gesellschaftli- Auftakt der Programmdebatte, drei Re- nung ernst nehmen sowie die Debatte chen Wandel, Transformationsprojekte, gionalkonferenzen und ein landeswei- für die inhaltliche Auseinandersetzung Politische Kultur und Selbstverständnis ter Programmkonvent. aller Parteistrukturen nutzen. der LINKEN bis hin zu Sprache, Stil und Der Auftakt der Programmdebat- Dies klingt banal. Allerdings wäre Umfang des Programmtextes für eine te wurde in klassischer Form durchge- auch eine Herangehensweise denkbar kritische Diskussion aufbereitet. führt, ein Mitglied der ehemaligen Pro- gewesen, die darauf abstellt, den Ent- Selbstverständlich haben diese grammkommission referierte und da- wurfstext zu erklären und zu verteidi- Leitfragen keinen verbindlichen Cha- nach wurde die Diskussion freigege- gen. Damit würde jedoch die politische rakter im Sinne einer verpfl ichtenden ben. Kompetenz der Genossinnen und Ge- Vorgabe. Vielmehr entwickeln sie eine Für die Regionalkonferenzen in den nossen als Beteiligte des Programm- ordnende und damit Vergleichbarkeit drei Regionen Sachsens, die nach ei- prozesses in den Hintergrund gescho- herstellende Wirkung. ner ersten Debattenphase stattfan- ben. Die Programmdebatte wäre dann den, wurde eine etwas experimentelle- nur noch ein Bühnenstück verschie- re Form gewählt. Auf Grundsatzreferate, Rege Debatte in Ortsverbänden dener Akteure, die auf ein Mehr an Bei- Podien oder andere Formen der Reprä- fall hoffen. Der weit überwiegende Teil der Dis- sentanz wurde verzichtet, in die Debat- Es ist möglich, dass dies in ande- kussionsveranstaltungen zum Ent- te der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ren Parteien üblich ist und als profes- wurf wurde weder zentral vorgegeben wurde unmittelbar eingetreten, wo sie sionell angesehen wird, für unsere Par- noch organisiert, sondern entstand ihnen wichtige Aspekte aus der Debat- tei wäre so etwas in jedem Falle Gift. aus der Initiative der örtlichen Verbän- te vor Ort, aus den inhaltlichen Zusam- Denn der linke Grundgedanke von ei- de. Die vom Landesvorstand beauftrag- menschlüssen bzw. aus ihrer eigenen ner Gesellschaft, in der kein Mensch te Grundsatzkommission versucht si- Beschäftigung mit dem Entwurfstext über oder unter einem anderen steht, cherzustellen, dass ReferentInnen bzw. ausführten. Dieses Experiment kann die sich nicht in irgendwelche Möchte- Gesprächspartner/innen für die Debat- im Ergebnis als gelungen bezeichnet gern-Eliten, deren Gefolgschaften und ten zur Verfügung stehen. Dabei ist es werden. Die Genossinnen und Genos- den Rest gliedert, gilt selbstverständ- nicht die Aufgabe dieser Gesprächs- sen haben sich auch ohne »Leitwesen« lich für die Gegenwart unserer Par- partner/innen, die Diskussionen vor viel zu sagen, die Qualität der inhalt-

PROGRAMMDEBATTE DISPUT Januar 2011 032 lichen Auseinandersetzung ließ nichts Sachsen die Möglichkeit zur dauerhaf- die den Kompromiss der Mitglieder der zu wünschen übrig. ten Beteiligung gibt, entstanden eine Programmkommission auf eine deut- Einen zwischenzeitlichen Höhe- Reihe von Wortmeldungen. So unter lich breitere und damit erst relevante punkt der Programmdebatte im Lan- anderem der Beschluss des Landes- Basis gestellt hätten. desverband bildete unser Programm- vorstandes in Vorbereitung auf den Pro- Ausgehend von einer solchen Be- konvent auf Landesebene. Dieser wur- grammkonvent in Hannover. schlusslage ergaben sich selbstver- de gemeinsam mit einer Beratung von ständlich andere Beteiligungsmetho- Landesvorstand, Landesrat und Kreis- diken, als sie notwendig sind, wenn Kein Schnellboot vorsitzenden als selbstverständlich nur förmliche Anträge potenziell ver- öffentliche Veranstaltung durchge- Ein nicht unerhebliches Problem für die ändernde Wirkung haben, wie dies aus führt. Nach einem Einführungsreferat Organisation und methodische Orien- der neuen Beschlusslage folgt. Dies des Landesvorsitzenden und einer Ple- tierung der Programmdebatte stellte ist natürlich sehr bedauerlich, da da- numsdiskussion wurde in an den Leit- die aus Sicht der verschiedenen säch- mit auch die innerparteiliche Verläss- fragen orientierten Arbeitsgruppen sischen Parteigremien ungünstige Ver- lichkeit von Vorstandsbeschlüssen ge- diskutiert. Die Ergebnisse der Arbeits- änderung der Beschlusslage durch den litten hat. Schließlich ist eine so gro- gruppen wurden zum Abschluss dem Parteivorstand dar. Ausgehend vom Be- ße Organisation wie DIE LINKE kein Plenum vorgestellt. Im Ergebnis des schluss aus dem Dezember 2009 des Schnellboot, das man nach Belieben Konvents und der bis zu diesem Zeit- Parteivorstandes konnte angenommen hin- und herlenken kann. Wenigstens punkt geführten Debatte im Landes- werden, dass in einem niederschwelli- dann nicht, wenn die Beteiligung aller verband wurde eine umfangreiche Bro- gen Prozess Anregungen aus der De- unserer Mitglieder als wesentlich er- schüre (www.dielinke-in-sachsen.de) batte in einen überarbeiteten (»zwei- achtet wird. erstellt. ten«) Entwurf einfl ießen könnten. Der Auf der Grundlage einer außeror- Vorteil wäre gewesen, dass, ohne die Stefan Hartmann ist Mitglied des Partei- dentlich intensiven Debatte zum Ent- innerparteiliche Auseinandersetzung vorstandes und Mitglied der Grundsatz- wurf des Programms, die prinzipiell al- auf die Spitze zu führen, Formulierun- kommission des Landesverbandes Sach- len Mitgliedern des Landesverbandes gen hätten erarbeitet werden können, sen.

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330 DISPUT Januar 2011 Minderheiten schützen Praktisch und programmatisch Von Heiko Kosel und Raju Sharma

Europa ist Heimat für viele große und tik in der programmatischen und prak- halb ist es richtig und notwendig, wenn kleine Völker, unter ihnen sind rund tischen Arbeit unserer Partei einsetzt, sich auch die »Mehrheitsbevölkerung« 300 nationale Minderheiten mit insge- hat deshalb in ihrer vergangenen Sit- gegen Kürzungen im Bereich der För- samt 100 Millionen Angehörigen. Et- zung konkrete Formulierungsvorschlä- derung kultureller und wissenschaftli- wa 90 Sprachen werden in den euro- ge zum Programmentwurf erarbeitet cher Einrichtungen der autochthonen päischen Ländern gesprochen, darun- und an die Redaktionskommission ge- Minderheiten wehrt. Bedroht wird da- ter über 50 Regional- oder Minderhei- schickt. durch nicht nur die Existenz der jeweili- tensprachen. Zum Schutz der Sprachen Ausgangspunkt dieser Vorschläge gen Einrichtung, sondern auch die Viel- und Kulturen der Minderheiten haben ist ein weitreichender Politikansatz, falt des kulturellen Lebens in der be- die europäischen Staaten in den letz- der Minderheitenpolitik im »Einwan- treffenden Region und im ganzen Land. ten Jahren vielfältige Regelungen ge- derungsland Deutschland« als Teil des Um diese Vielfalt dauerhaft zu erhalten schaffen, die einiges an Verbesserun- Kampfes für die umfassende Gleich- und um die Autonomie der Minderhei- gen gebracht haben. Doch auch heu- stellung aller in der Bundesrepublik, ten zu stärken und weiterzuentwickeln, te noch gehört die Diskriminierung von gegen die Diskriminierung von Men- braucht es vor allem Verlässlichkeit. Minderheiten in Europa zum Alltag: Sie schen wegen des Geschlechts, der eth- Dies gilt für eine Haushaltspolitik, reicht von der Nichtanerkennung der nischen Herkunft, der Religion oder die den Erhalt der Kulturarbeit der dä- im eigenen Land lebenden Minderhei- Weltanschauung, des Alters, der sexu- nischen Minderheit in Schleswig-Hol- ten und ihrer Sprachen durch einzelne ellen Orientierung und Identität oder stein gewährleistet, genauso wie für Staaten über offene oder latente Assi- aufgrund körperlicher oder geistiger eine Regionalpolitik, die den Fortbe- milation bis hin zur Reduzierung der Beeinträchtigung, begreift. stand der Minderheiten in ihrer Hei- Rolle von Minderheiten auf Folklore. mat sichert und die weitere Zersiede- Was der Mehrheitsbevölkerung lung, wie durch den Braunkohleab- Aufklärungsbedarf wie selbstverständlich zugebilligt bau im Siedlungsgebiet der Sorben, wird, nämlich das Recht auf individu- Während in anderen Gebieten der verhindert. Dazu gehört, rechtliche elle und kollektive Identität, wird den Gleichstellungs- und Antidiskriminie- und sprachliche Hemmnisse für die »eigenen« Minderheiten häufig ver- rungspolitik bei den meisten Mitglie- Entwicklung grenzüberschreitender weigert. Die Diskriminierung von na- dern der LINKEN zumindest ein hohes Wirtschafts- und Arbeitsmärkte an tionalen, ethnischen und kulturellen Problembewusstsein vorausgesetzt der deutsch-dänischen sowie an der Minderheiten war und ist weltweit ei- werden kann, besteht bei der Frage der deutsch-polnischen und der deutsch- ne der häufi gsten Konfl iktursachen. Ei- »angestammten« oder »autochtho- tschechischen Grenze soweit wie mög- ne Minderheitenpolitik, die Minderhei- nen« Minderheiten vielfach noch Auf- lich zu beseitigen. tenrechte als Menschenrechte begreift, klärungsbedarf, bevor die von der AG Deshalb sollte DIE LINKE alle Be- dient somit der Verständigung unter Ethnische Minderheiten (und einigen mühungen zur Schaffung von Rechts- den Völkern und dem Frieden. anderen »Insidern«) seit Jahren ver- grundlagen unterstützen, die den au- Völkerverständigung, Frieden, Men- tretenen Positionen zum programmati- tochthonen Minderheiten die Gleich- schenrechte – Themen, die zu Recht schen Allgemeingut der Partei gezählt stellung in der Gesellschaft und den mit der LINKEN in Verbindung ge- werden können: In Deutschland le- Ausbau ihrer Partizipationsmöglich- bracht werden. Wer aber glaubt, dass ben derzeit über 200.000 Dänen, Frie- keiten auf allen Ebenen sichert. Dazu deshalb auch die Minderheitenpolitik sen, Sinti und Roma sowie Sorben, die gehört vor allem die Verankerung ih- ganz selbstverständlich zum »Marken- deutsche Staatsbürger und Angehö- rer Rechte nicht nur in den Landesver- kern« der Partei zählt, wird bei der Lek- rige von in Deutschland anerkannten fassungen, sondern auch im Grundge- türe des vorliegenden Entwurfs für ein autochthonen Minderheiten sind. Nur setz. Dies gilt insbesondere für die Sin- Grundsatzprogramm der LINKEN eine wenn die nationale Identität der Min- ti und Roma, deren Schutz bisher nicht Überraschung erleben: Das wichtigs- derheiten bundesweit geachtet und ge- verfassungsrechtlich gesichert ist. DIE te programmatische Dokument unse- fördert wird, können die Angehörigen LINKE muss sich dafür einsetzen, dass rer Partei enthält nämlich – zumindest der Minderheiten gleichberechtigt ihre die Rechte der Minderheiten, insbe- in seinem Entwurf – keinerlei konkre- Sprache, Kultur und Traditionen pfl e- sondere ihr Recht auf Selbstbestim- te Aussagen zu den sogenannten au- gen und als nationale Minderheit im mung, geschützt werden und ihre Re- tochthonen oder angestammten Min- friedlichen Zusammenwirken mit der präsentanz und Mitwirkung im gesell- derheiten. Ohne solide minderheiten- Mehrheitsbevölkerung eine gemeinsa- schaftlichen Meinungs- und Willens- politische Grundlagen können aber me Zukunft gestalten. bildungsprozess gefördert wird, damit auch die Herausforderungen bezüglich Regionale, ethnisch bestimmte Kul- sie ihre Sprache, ihre Kultur und so- der sogenannten neuen Minderheiten turen sind keine musealen Überbleib- mit ihre Identität bewahren und erhal- nicht wirklich im Sinne eines linken Po- sel, sondern bereichernde Aktivpos- ten können. Das ist die Mehrheit nicht litikansatzes gelöst werden. ten. Sie tragen dazu bei, die für die nur der Minderheit schuldig – sondern Die AG Ethnische Minderheiten, die Entwicklung der Gesellschaft unent- auch sich selbst. Und DIE LINKE muss sich seit Jahren für eine stärkere Be- behrliche Ressource »kulturelle Viel- sich auch in ihrem Programm klar da- rücksichtigung der Minderheitenpoli- falt in Deutschland« zu mehren. Des- zu bekennen.

PROGRAMMDEBATTE DISPUT Januar 2011 034 Politik mit dem Einkaufskorb Leitlinien für LINKE-Verbraucherpolitik Von Caren Lay

Ob Abofallen am Telefon und im Inter- die Wiedereinführung der staatlichen len wir ein durchsetzungsfähiges Bun- net, giftiges Kinderspielzeug oder Kle- Energiepreisaufsicht, desverbraucherministerium. Es muss beschinken: Verbraucherfallen gibt es • ein Girokonto für alle, in wichtigen Verbraucherfragen wie viele. Das eine Mal ärgern wir uns, das • Preisobergrenz en etwa bei Dispo- und Spielzeugsicherheit, Abofallen im In- andere Mal merken wir es nicht ein- Überziehungskrediten sowie beim ternet und Anlegerschutz federführend mal. Stets geht es um unseren Geld- Abheben am Geldautomaten, sein, statt nachrangig am Katzentisch beutel, oft auch um Risiken für unsere • Sozialtickets, zum Beispiel für Verkehr zu hocken. Zugleich brauchen wir eine Gesundheit. Wir sind zunehmend mit und Kultur, starke Verbraucherschutzbehörde und aggressiven Werbestrategien und un- • die fl ächendeckende Versorgung mit fi nanziell wie personell gut ausgestat- lauteren Geschäftspraktiken konfron- Breitband-Anschlüssen als gesetzli- tete Verbraucherverbände. Anders als tiert. Nicht selten wird geltendes Recht cher Mindeststandard, andere Parteien sagen wir: Wir brau- ignoriert. So sind Fluggesellschaften • Investitionen in Barrierefreiheit in al- chen eine verbrauchergerechte Markt- verpfl ichtet, Fluggäste über ihre Ent- len Bereichen wie Verkehr, Bau und regulierung. schädigungsrechte bei Verspätungen Kommunikation. Klare und verständliche Kennzeich- zu informieren, trotzdem erhalten die nungen sind ebenfalls wichtig. DIE LIN- meisten Passagiere keinerlei Hinweise. Sozial und ökologisch verträglicher KE tritt zum Beispiel für eine Ampel zur Verbraucherinnen und Verbraucher ver- Konsum darf kein Luxus für wenige Nährwertkennzeichnung ein. Versteck- lieren dadurch jährlich Millionen. bleiben. Viele Menschen mit geringem te Dickmacher und Schummelwerbung Die Globalisierung hat die Welt kom- Einkommen können sich den regelmä- lassen sich so auf den ersten Blick er- plexer und unübersichtlicher gemacht. ßigen Einkauf an der Bio-Theke nicht kennen. In Berlin ist die LINKE-Ver- Privatisierungen haben neue Märk- leisten. DIE LINKE tritt konsequent da- brauchersenatorin Katrin Lompscher te geschaffen. Neue Märkte sind auch für ein, die Einkommenssituation zu mit gutem Beispiel vorangegangen, in- durch technische Entwicklungen wie In- verbessern, zum Beispiel durch Min- dem sie das Modellprojekt des Gast- ternet und Mobilfunk entstanden. DIE destlöhne und eine bedarfsdeckende, stätten-Smileys eingeführt hat: La- LINKE reduziert Menschen jedoch nicht sanktionsfreie Mindestsicherung. Der chende Smileys oder ernst blickende auf Verbraucherinnen und Verbraucher. Griff ins Einkaufsregal darf aber auch und missmutige Gesichter teilen dem Bereits privatisierte Bereiche der öf- bei günstigen Angeboten nicht zum Ri- Gast unmissverständlich das Ergebnis fentlichen Daseinsvorsorge wollen wir siko werden. der Lebensmittelkontrolle mit. Die Le- rekommunalisieren, zum Beispiel im Gleichzeitig wollen auch wir eine bensmittelsicherheit konnte so bereits Energie- und im Gesundheitsbereich. »Politik mit dem Einkaufskorb« ermög- merkbar verbessert werden. Das alles heißt: Verbraucherpolitik lichen. Immer mehr Menschen möch- Gute Verbraucherarbeit benötigt ist ein Thema für DIE LINKE! Mit Ber- ten ihre Verbrauchermacht nutzen, um Geld. 30 Jahre würde es dauern, bis je- lin und Brandenburg sind bereits zwei ökologische und faire Produktionswei- der Haushalt einmal eine unabhängige Verbraucherministerien in der Hand der sen zu fördern. Deshalb müssen Kenn- Finanzberatung von einer Verbraucher- LINKEN. Wir wollen das Zukunftsthema zeichnungen halten, was sie verspre- zentrale erhalten hätte. Trotz des enor- Verbraucherpolitik als wichtige Quer- chen. DIE LINKE setzt sich für aussage- men Bedarfs können die Verbraucher- schnittsaufgabe in der LINKEN stärken. kräftige und verlässliche Zertifi zierun- zentralen dem aus fi nanziellen Grün- Deshalb haben wir uns in der Bundes- gen von Lebensmitteln und anderen den nicht nachkommen. Eine gesetz- tagsfraktion Leitlinien für LINKE-Ver- Gebrauchsgütern ein. liche Verpfl ichtung für Unternehmen, braucherpolitik gegeben. Zweitens will DIE LINKE die Rech- Verbraucherberatung mitzufi nanzieren, Die Bundesregierung versteckt sich te von Verbraucherinnen und Verbrau- existiert in Deutschland nicht. DIE LIN- hinter dem Leitbild des »mündigen chern stärken. Sie benötigen umfas- KE will Unternehmen verbindlich an der Verbrauchers«, um selbst nicht tätig zu sende Rechte gegenüber Staat und Un- Finanzierung beteiligen. Dabei setzen werden. DIE LINKE will stattdessen Ver- ternehmen, um ihre Interessen wirk- wir uns für Modelle ein, die die Unab- braucherrechte stärken und Märkte ver- sam vertreten zu können. Zum einen hängigkeit der Beratung von unterneh- brauchergerecht regulieren. Was unter- sind das individuelle Rechte wie das merischen Interessen wahren. scheidet unseren Ansatz von dem an- Recht auf Anonymität oder Datenlö- Mit ihren verbraucherpolitischen derer Parteien? schung im Internet und umfassende Leitlinien betritt DIE LINKE politisches Erstens wollen wir die soziale Frage Preistransparenz. Zum anderen sind Neuland. Sie sind ein Maßstab zum mit Verbraucherpolitik verbinden. Ver- das kollektive Rechte wie kollektive Handeln für die Bundesebene und ei- braucherschutz darf keine Frage des Klagerechte für die Verbraucherverbän- ne Anregung für die Länder. Geldbeutels sein. LINKE-Verbraucher- de: Dadurch gelten Urteile im Interes- politik ist auch Politik für soziale Ge- se von Verbraucherinnen und Verbrau- Die Bundestagsabgeordnete Caren Lay rechtigkeit. Das unterscheidet unseren chern automatisch für alle Betroffenen. ist verbraucherpolitische Sprecherin der Ansatz etwa von den Grünen. LINKE- Drittens fordert DIE LINKE, anders Bundestagsfraktion. Verbraucherthemen sind zum Beispiel: als die anderen Parteien, einen wirk- samen Verbraucherschutz durch hand- www.linksfraktion.de/positionspapiere/ • Sozialtarife im Energiebereich und lungsfähige Institutionen. Deshalb wol- leitlinien-linke-verbraucherpolitik

35 0 DISPUT Januar 2011 VERBRAUCHERPOLITIK Geschenk an Alteigentümer Aus der Rede von Kirsten Tackmann am 17. Dezember 2010 im Bundestag zum Flächenerwerbsänderungsgesetz

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kol- sondern in voller Höhe der Ausgleichs- lative Bodenkäufe tut, obwohl im Koa- leginnen und Kollegen! Liebe Gäste! leistungen Boden erwerben. Ab heu- litionsvertrag die Überprüfung der ge- Für viele Menschen in Ost und West te können sogar Erben bis zum vierten genwärtigen Verkaufspraxis der BVVG ist das heutige Thema sehr emotio- Verwandtschaftsgrad Boden erwerben. (Bodenverwertungs- und -verwaltungs nal. Sie merken das sicherlich; denn ( (CDU/CSU): Die GmbH) vereinbart ist. Bodeneigentum hat eine besondere volle Höhe haben Sie aber beschlos- Ein Motor der extremen Bodenpreis- Bedeutung: Boden ist Grundlage für sen! Hans-Michael Goldmann (FDP): steigerung ist das politisch verordnete ein existenzielles Gut der Menschheit, Das ist nicht die Verwandtschaft, das ist Preisfi ndungssystem der BVVG. Sie ver- nämlich die Nahrungsmittel, und Bo- Erbschaftsrecht! (Bünd- kauft im Auftrag des Bundes ehemals den ist nicht vermehrbar. nis 90/Die Grünen): Das ist eine Ver- volkseigene Äcker in Ostdeutschland Im Gegenteil: Wir verlieren noch mischung unterschiedlicher Sachver- zum Höchstgebot nach europawei- heute jeden Tag 100 Hektar Ackerbo- halte! (FDP): Sie waren noch ter Ausschreibung. Das heißt, aktive den, beispielsweise durch den Stra- nie Eigentümer!) Landwirtschaftsbetriebe konkurrieren ßenbau. Fragen Sie sich einmal, wie das auf beim Flächenkauf mit landwirtschafts- Boden wird also dringend ge- die 70.000 ostdeutschen Bodenreform- fremdem Kapital, das nur nach si- braucht. Er ist knapp, und er kann nur erben wirkt, die nach bundesdeut- cheren Renditen sucht. einmal verteilt werden. Deshalb war schem Recht entschädigungslos ent- Ich gebe Ihnen einmal zwei aktu- und ist die Bewirtschaftung der eige- eignet wurden, nur weil sie nicht land- elle Beispiele für das, was dabei he- nen Scholle eine der sensibelsten Fra- wirtschaftlich tätig waren. Das sind die rauskommt: In meiner Heimat, der gen der Menschheit. Prignitz, gingen gerade knapp 23 Hek- (Otto Fricke (FDP): Der eigenen!) tar mit recht mageren 35 Bodenpunk- Wir tragen als Gesetzgeber an dieser ten für fast 15.000 Euro pro Hektar über Stelle große Verantwortung. den Tisch der BVVG. In der Uckermark Gemessen an diesem strategischen kosteten knapp 47 Hektar mit 45 Bo- Anspruch an die Bodenpolitik ist die denpunkten 21.000 Euro pro Hektar. vorliegende Gesetzesnovelle ein Ar- Das sind Boden- und Pachtpreise, die mutszeugnis dieser Regierung; durch landwirtschaftliche Arbeit nicht (Beifall bei der LINKEN sowie bei Ab- mehr erwirtschaftet werden können. geordneten der SPD) (Hans-Michael Goldmann (FDP): denn sie begünstigt nicht landwirt- Was hat das mit den Alteigentümern zu schaftlich tätige Alteigentümer gegen- tun? Haben die das gekauft?) über aktiven Landwirtschaftsbetrieben Es gibt nur einen gerechten Weg aus in Ostdeutschland beim Bodenerwerb, dieser schwierigen Situation: die Ver- und das ohne Not. hinderung spekulativer Bodenkäufe, Der Bundestag hatte 1994, auch und zwar in Ost und in West. wenn es schwierig war, eine Regelung (Beifall bei der LINKEN sowie bei Ab- gefunden: Alteigentümer können als geordneten der SPD) Ausgleichsleistung begrenzt verbilligt Stattdessen verschenkt Schwarz- ostdeutschen Acker erwerben. Gelb heute an Alteigentümer und ihre

Das können sie noch heute, wenn © Thomas Herbell Nachkommen Weihnachtsgutscheine auch zeitlich verzögert. Wem gehört das Land? für »Ostäcker zum Schnäppchen- Die PDS hatte diese Regelung da- preis«, wie selbst die »Financial Times mals als Einstieg aus dem Ausstieg Alteigentümer heute auch nicht; aber Deutschland« schreibt. aus der Bodenreform abgelehnt. Offen- sie werden begünstigt. Das ist eine gro- (Hans-Michael Goldmann (FDP): Ihr sichtlich hatte sie damals recht. Heute be Ungleichbehandlung. seid eben Altsozialisten!) ist es eine schwarz-gelb-grüne Koaliti- (Beifall bei der LINKEN) Das lehnt DIE LINKE ab. Sie fordert on, die das weiter verfolgt und die Bo- Damit die Alteigentümer trotz stark ganz klar: kein Bauernland in Speku- denreform infrage stellt. gestiegener Bodenpreise mehr Fläche lantenhände! Ich sage für DIE LINKE an dieser Stel- kaufen können, soll der Bodenpreis (Beifall bei der LINKEN) le ganz klar: Wer die Bodenreform in- vom 1. Januar 2004 gelten. Für den Wie das geht, steht in unserem Ent- frage stellt, der legt die Axt an eine kommenden Bundeshaushalt bedeu- schließungsantrag. Beenden Sie end- der wesentlichen Grundlagen des Eini- tet das – das ist schon gesagt worden lich Ihre Klientelpolitik zum Nach- gungsvertrages. Das ist nicht hinnehm- – mindestens 370 Millionen Euro weni- teil der aktiven Landwirtschaft in Ost- bar. ger Einnahmen. deutschland! (Beifall bei der LINKEN sowie bei Ab- Dabei ist das Problem hausgemacht: Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. geordneten der SPD) Die drastischen Preissteigerungen für (Beifall bei der LINKEN sowie bei Ab- Zum Beispiel können die Alteigentü- ostdeutsche Äcker kommen zustande, geordneten der SPD. Otto Fricke (FDP): mer nicht zur Hälfte, wie ursprünglich, weil die Koalition nichts gegen speku- Kein Wort über das Unrecht!)

DOKUMENTIERT DISPUT Januar 2011 036 Rote Mützen für heiße Proteste Der Widerstand gegen die Naziaufmärsche im Februar in Dresden wird intensiv und vielfältig vorbereitet Von Jens Thöricht

Nun ist es raus! Für den 13. Februar KEN, berichtet: »In den Kreisverbänden nings und Infoveranstaltungen in ganz 2011 plant die Junge Landsmannschaft sind bereits mehr als 100 gestrick- Deutschland statt – oft mit großer or- Ostdeutschland in Dresden einen oder te Mützen eingetroffen. Der Kreisver- ganisatorischer Unterstützung der LIN- mehrere Fackelmärsche in den Abend- band, der bis zum 1. Februar die meis- KEN. stunden, wahrscheinlich in den Stadt- ten Mützen in der Landesgeschäfts- Am 15. Januar gab es bundesweit gebieten Gorbitz und Prohlis. Dabei stelle abgibt, erhält eine tolle Überra- Aktionen, die auf die Naziaufmärsche wird mit bis zu 2.000 Nazis gerechnet, schung. Schon jetzt danken wir für die in Dresden und die geplanten Protes- die hauptsächlich aus Sachsen und konkrete Unterstützung. Wir glauben, te und Blockaden dagegen hinwiesen. den angrenzenden Bundesländern dass wir so ein Zeichen der Solidarität In Dresden fand auf dem Theaterplatz kommen werden. setzen können. Durch die Strickaktion ein öffentliches Probesitzen statt. Die Und die NPD mit dem sogenannten versuchen wir, auch all jenen Genos- ersten Plakatierungsaktionen gab es »Freien Netz« mobilisiert zu dem euro- sinnen und Genossen ein Beteiligungs- ebenfalls, für den 18. Januar ist eine paweiten Naziaufmarsch am 19. Febru- feld zu bieten, die nicht an den Blocka- bundesweite öffentliche Plakatierungs- ar nach Dresden. An diesem Tag ist mit den selbst teilnehmen können. Der aktion geplant. bis zu 7.000 Nazis zu rechnen. Ruf nach roten Mützen, Schals, Hand- In vielen Bundesländern haben sich Dass an beiden Tagen diesem Trei- schuhen und vielem mehr zum ›Vertei- Parteien, Gewerkschaften, antifaschis- ben deutlich antifaschistischer Pro- len‹ und ›Verschenken‹ ist schnell da – tische und zahlreiche andere Gruppen test entgegengesetzt wird, ist selbst- verständlich. Dieser wird intensiv auch vorbereitet. So gibt es Überlegungen, den Nazis am 13. Februar mit kreati- ven Aktionen und deutlichen Protes- ten in Sicht- und Hörweite ihren Fackel- marsch zu verderben. Hier sind vor al- lem AntifaschistInnen und Nazigegner/ innen aus Sachsen und den angren- zenden Bundesländern aufgerufen, nach Dresden zu kommen. Und das Bündnis »Nazifrei! Dresden stellt sich quer!« hat beschlossen, für den 19. Fe- bruar bundesweit zu friedlichen Blo- ckaden zu mobilisieren. Wie haben sich Antifaschistinnen und Antifaschisten spektrenübergrei- fend auf die Naziaufmärsche vorbe- reitet? Im Hintergrund hat das Bünd- nis »Nazifrei! Dresden stellt sich quer!« seit den erfolgreichen Blockaden im Jahr 2010 weitergearbeitet. Mit der

Aktivierungskonferenz am 9. Oktober © DIE LINKE.Sachsen mit über 250 Teilnehmenden wurde Auf einem guten Weg, sich Nazis in den Weg zu stellen. die »Saison 2011« offi ziell eröffnet. Ei- ne ähnliche Konferenz gab es in Dort- nur leisten kann sich das kein Landes- in Bündnissen zusammengefunden. mund, weitere sind geplant. oder Bundesverband. Deshalb packen Sie planen die Anreise für den 19. Fe- alle mit an!« bruar bunt gemischt und gemeinsam. Jetzt, in der heißen Phase der Mo- Unterdessen wird in Sachsen und den Zeichen der Solidarität bilisierung, wurden schon über 25.000 angrenzenden Bundesländern die An- Die Arbeitsgemeinschaft 13. Februar Plakate, über 50.000 Aufrufe zu den reise zu den Protesten am 13. Februar der LINKEN. Sachsen hat ihre Mitglie- Blockaden ausgeliefert. 100.000 Zei- organisiert. der und Sympathisanten aufgerufen, tungen werden in den nächsten Wo- Wir sind auf einem guten Weg, dass rote Mützen zu stricken. Diese werden chen hauptsächlich in Dresden verteilt. die Naziaufmärsche auch in diesen am Protesttag verteilt. Damit soll deut- Wer Exemplare für seine Stadt benö- Jahr erfolgreich blockiert werden. Helft lich gemacht werden, dass wir uns mit tigt, kann sich im Bürgerbüro Dresden, dabei mit, mobilisiert Eure Freunde allen solidarisieren, die am 13. und 19. Bischofsplatz 6, 01097 Dresden (Tel.: und Bekannten und kommt nach Dres- Februar den Weg nach Dresden fin- 0351/8996845 oder Mail: kontakt@ den! Wir sehen uns bei den Blockaden. den, um mit uns gemeinsam die Na- dresden-nazifrei.com) melden. zis zu blockieren. Antje Feiks, Landes- Seit Herbst 2010 finden Aktivie- Jens Thöricht ist Mitglied des Landesvor- geschäftsführerin der sächsischen LIN- rungskonferenzen, Blockadetrai- standes Sachsen.

370 DISPUT Januar 2011 ANTIFASCHISMUS Schritte zu einer friedlicheren Welt Transformationsideen auch in der Sicherheitspolitik! Von Gerry Woop

DIE LINKE ist Antikriegspartei. Syno- Reste von Wehrpfl icht und der »Nor- zu Guttenberg beruhigte überraschend nym wird auch die Zuschreibung Frie- malität« von Kriegseinsätzen im Aus- erfolgreich in CDU und CSU selbst die denspartei genutzt. Obwohl beides in- land kommt ein konservativer Verteidi- konservativsten Wehrpfl ichtanhänger haltlich gleich ist, kann letzterer Va- gungsminister mit einem Sparplan und und kann seine Armee nun einer Radi- riante durch die Positivformulierung will die Bundeswehr deutlich verklei- kalkur unterziehen. Sein Ziel ist mehr eine stärkere Assoziation mit alterna- nern. Die SPD hat Sorge, dass zu viele Effektivität für globale Interventions- tiven Reformvorschlägen zur schritt- Standorte geschlossen werden. IG Me- einsätze. DIE LINKE schwankt zwischen weisen Veränderung von Institutionen taller sorgen sich um Rüstungsaufträge Sorgen um Standortschließungen und oder Konfliktlagen aus dem Jetztzu- für Unternehmen mit hoch qualifi zier- Arbeitsplatzabbau und dem Präsentie- stand heraus unterstellt werden. Inso- ten Arbeitsplätzen. DIE LINKE scheint ren der Totalalternative einer Bundes- republik ganz ohne Armee. Jetzt rächt sich der plakative An- strich großer Teile der Außen- und fast vollständig der Sicherheitspolitik der Partei. Im Wachen über das Alleinstel- lungsmerkmal als Friedenspartei ging der realpolitische Diskurs um Daseins- weise und Aufgaben der Bundeswehr, um offenkundig doch sehr lange Über- gänge hin zu einer Welt ohne Gewalt, Militärbündnisse und Armeen fast ver- loren. Aber ohne kreative Debatte da- zu entsteht kein Konzept. Und damit keine Grundlage zum Anknüpfen auch an öffentliche Diskurse, an Vorstellun- gen von Friedensforschern oder ande- ren gesellschaftlichen Akteuren beim Ringen um Mehrheiten für Verände- rungen. Die absolut auf Bewegungen und Opposition orientierten Teile der Partei argumentieren nun mehr oder weniger deutlich, dass bei einer tota- len Ablehnung von jeglichen Auslands- einsätzen und einem Ausblenden von Bündnisverpflichtungen angesichts mangelnder aktueller militärischer Be- drohungen für Mitteleuropa die Bun- deswehr aufgelöst werden kann. Ein

© Bundeswehr/Rott kurzer und zunächst logisch erschei- »Hausbesuch – Soldaten trainieren den Ortskampf.« Mit diesen zynischen Worten nender Schluss, der im gesellschaftli- versieht die Bundeswehr den Text zum Bild. chen Diskurs allerdings nicht ernst ge- nommen wird. weit ist DIE LINKE auch gefragt, wenn es sprachlos, und das nicht nur aus Grün- um Sicherheitspolitik und konkret die den blockierender Medien. Läuft da ein Drei Aufgaben weitere Entwicklung der Bundeswehr falscher Film? Leider nicht. geht – ein schwieriges Feld, in den Ver- Ein genauerer Blick indes zeigt auf: Auch wenn derzeit davon ausgegan- ästelungen des Konkreten und Lang- Die IG Metall betreibt wenig zukunftsfä- gen werden kann, dass Deutschland wierigen zuweilen nicht einfach profi l- hige Klientelpolitik für einige Tausend nicht unmittelbar bedroht ist, wird den- schärfend. Eine kluge Debatte in der Beschäftigte (in der Rüstungsindust- noch angesichts einer waffenstarren- Partei ist nötig, um in der laufenden öf- rie insgesamt sind es unter 100.000 in den Welt in einem Staat wie Deutsch- fentlichen Diskussion zur Bundeswehr- Deutschland), anstatt sich engagiert land militärisches Potenzial als Rest- reform überhaupt vorzukommen. wieder Diskurstraditionen zu sinnvol- versicherung zur Landesverteidigung Die neue politische Lage entstand len Konversionsmöglichkeiten zu wid- vorzuhalten sein. Das gilt auch bei ei- überraschend und brachte DIE LINKE men. Die SPD schlingert ohne friedens- ner dringend notwendigen Abrüstungs- in Argumentationsnot und Kommuni- politisch normierten sicherheitspoliti- perspektive, die eine Verringerung des kationsschwierigkeiten. Nach Jahren schen Kompass und setzt mangels Al- Bestands und von Offensivfähigkeiten steigender Rüstungsetats, quälender ternativkurs auf Regionalpopulismus meint. Zur Verteidigung im engen Sin- Debatten zur Begründung der letzten ohne reale Erfolgsaussicht. Minister ne gehören logisch Aufwuchsoptionen

DEBATTE DISPUT Januar 2011 038 für den Fall einer sich verschlechtern- onale Schwerpunkte, Besonderheiten die Zielgröße für den Abrüstungspro- den Bedrohungslage. Das ist der erste und einen Wandel der Konfl iktformen. zess, zum Beispiel eine Soldatenper- Auftrag der Bundeswehr entsprechend Ganz wesentlich – und für die Debatte sonalstärke von 100.000 in der nächs- Grundgesetz. Wenn DIE LINKE keine unter dem Stichwort Souveränität bzw. ten Dekade und die Obergrenze für im grundsätzlich pazifistische Position Gewaltmonopol – ist die Zunahme von Ausland befi ndliche Einsatzkräfte bei einnimmt und wenn sie hier realpoli- innerstaatlichen Konfl ikten und deren 10.000 mit kleinerteiliger Aufteilung tisch auftreten will, kann es daran ei- spill-over-Effekte (Übertragungseffek- in verschiedene Einsätze, feste Man- gentlich keinen Zweifel geben. Gleich- te) auf die jeweilige Region. Die Ver- datsbindung, eher Teilhabe an reinen wohl ist der Punkt schon umstritten. einten Nationen versuchen, diese Pro- UN-Missionen und Vorrang für klassi- Der zweite relevante Debattenpunkt bleme konzeptionell und praktisch zu sche Kapitel-VI-Missionen (Blauhel- sind Bündnispfl ichten. Sie betreffen lösen. So waren neben 88.129 Solda- me mit Zustimmung der Konfl iktpartei- Artikel 5 des NATO-Vertrages und die ten im Mai 2010 13.407 Polizisten und en). Wichtig bleibt ein klares Nein zu Beistandsklausel der EU – alles völ- 8.378 Zivilisten in reinen UN-Friedens- Einsätzen mit hoher Gewaltintensität. kerrechtlich verankert und durch das missionen aktiv. Soll das nun durch DIE Deutschland darf keine Kriege mehr Grundgesetz begründet. Natürlich gibt LINKE alles nur unter der Überschrift führen, weder allein noch im Bündnis es hier keine Pfl icht. Aber es existie- Imperialismus und Krieg abgehakt wer- und auch nicht mit UN-Mandat. Die nu- ren Verträge, und die gelten zunächst. den? Sicher nicht. Wer davon ausgeht, kleare Teilhabe sollte schnellstmög- Und selbst, wenn man Verträge ändern dass die Gewalt aus den internationa- lich beendet werden. Darüber hinaus möchte, muss man sich die Folgen für len Beziehungen nur über einen langen müssten bei Einsätzen von Beginn an das entstandene Vertrauen und die Si- Zeitraum zurückzudrängen ist, wird die Exit-Strategien verankert werden, eine cherheitsarchitektur gut überlegen so- auf zahlreiche Kriterien gestützte Ein- permanente öffentliche Einsatzkont- wie die Möglichkeiten bei Vertragsver- zelfallprüfung für Auslandseinsätze rolle und externe Evaluierungen gilt es handlungen mit zahlreichen souverä- auch bei allem Vorrang für zivile Kom- zu sichern. Auch eine Art parlamentari- nen Partnern bedenken. Zumindest ponenten nicht ausschließen können. scher Bundessicherheitsrat könnte oh- sollte auch für DIE LINKE beachtens- Dazu werden noch bis kommenden ne Geheimniskrämerei wirklich politik- wert sein: Wer keine Renationalisie- Herbst programmatische Debatten ge- feldübergreifend Konfl iktlösungsstra- rung der Sicherheitspolitik will, wird führt. Realistisch und politisch vernünf- tegien erörtern. auch hier als Auftrag anerkennen, dass tig ist es nun nicht, die Sache nur an Aus all diesen Faktoren ergeben sich die gegenseitigen Beistandspfl ichten sich offen zu debattieren und deutsche Möglichkeiten für drastische Abrüs- Auftrag sind. Dies gilt natürlich mit dem Streitkräfte dabei unbedingt außen vor tungsschritte. Dazu kommt die Aufga- politischen Vorbehalt, geeignete Maß- zu halten. Daraus ergäbe sich der dritte be überholter Rüstungsprojekte, selbst nahmen je nach konkreter Lage be- Auftrag für die Bundeswehr, als Dienst- mit hohen Vertragsstrafen. Ein Bundes- schließen zu können. Aus dieser Situ- leister für die Vereinten Nationen. konversionsprogramm mit kreativen ation ergeben sich nun ganz gravieren- Konzepten wäre nötig. Dabei könnten de und spezifi sche Anforderungen an auch Ideen zu einer schnell einsatzfä- Logische Konsequenzen die multinationale Funktionsfähigkeit higen Katastrophenhilfstruppe (bisher der Streitkräfte. Mit großer Mehrheit steht DIE LINKE partiell unter dem Begriff der Grünhel- Es könnte in diesem Zusammen- für die konsequente Abschaffung der me gefasst), angebunden beim Aus- hang geprüft werden, wie neben einer Wehrpflicht als nicht mehr begründ- wärtigen Amt, berücksichtigt werden. Transformation der NATO in Richtung ei- barem massivem Eingriff in die Grund- Es würde der LINKEN politisch hel- nes gesamteuropäischen und transat- rechte von Bürgern. Sie geht damit fen, auch im Bereich der Außen- und lantischen Sicherheitsverbundes mit deutlich über die derzeitige Ausset- Sicherheitspolitik Überlegungen zu Einbeziehung Russlands die engere zungsregelung hinaus. In der Konse- Transformationsprozessen anzustellen, Bündnisverteidigung auch im Rahmen quenz bedeutet das den Übergang zu um neben Kritik und Friedensvision der EU perspektivisch effizienter ge- einer Freiwilligenarmee aus wenigen auch Vorschläge zu notwendigen Ver- währleistet werden kann. Dazu bedürf- Berufs- und vielen Zeitsoldaten. änderungen auf diesem Wege, zu rea- te es allerdings gravierender Demokra- Aus den genannten Aufträgen erge- listischen Ideen für die Umgestaltung tisierungs- wie Integrationsschritte bei ben sich notwendige Fähigkeiten, Aus- der europäischen Sicherheitsarchitek- der Gemeinsamen europäischen Au- rüstungen und Strukturen. Wer die Auf- tur, zur UN-Reform oder eben zu einer ßen- und Sicherheitspolitik. träge aus pazifi stischen oder anderen abgerüsteten Bundeswehr mit Frie- Der dritte Aspekt ist die Gretchen- Gründen ablehnt, muss einen bloßen densauftrag zu entwickeln. Das wür- frage bei der LINKEN, die Frage nach Aufl ösungsprozess auf einen Nullpunkt de für breitere Gesellschaftsschichten der Zulässigkeit von Auslandseinsät- hin planen. Je nach Auftragsakzeptanz nachvollziehbarer, glaubwürdiger und zen. Es lohnt, neben dem wichtigen bestünden Anforderungen an verschie- damit überzeugender sein. Es könnte Friedensengagement gegen die Krie- dene Fähigkeitsprofi le – bei den drei andere Parteien, auch potenzielle Part- ge in Jugoslawien, im Irak oder in Af- genannten eben in aufsteigender Ka- ner des Mitte-Links-Spektrums, in der ghanistan etwas weiter und genauer pazität. Debatte um deutsche internationale zu blicken. Nicht jeder bewaffnete Ein- Verantwortung unter Druck setzen. Und satz auf der Welt ist im Sinne des Völ- vielleicht könnte damit auch für eine Normativ bleiben kerrechts rechtswidrig, nicht jeder Ein- Regierungsoption die schrittweise rea- satz lässt sich als Krieg bezeichnen Aber zunächst kommt wieder das Politi- le Veränderung hin zu einer friedliche- und nicht jeder Einsatz mit UN-Mandat sche. So gehören zu den Aufträgen als ren Welt vorbereitet werden. Sicher nur ist abzulehnen. 2009 wurden nach An- Rahmen normative Vorgaben: das Völ- ein bisschen Frieden, aber das sollte gaben des Heidelberger Instituts für in- kerrecht, Multilateralismus, Stärkung doch auch lohnen. ternationale Konfl iktforschung 39 ge- der UNO, Ressourcen für die Millenni- waltförmige Konfl ikte in der Welt ge- umsziele, Vorrang für zivile Konfl iktprä- Gerry Woop ist Mitglied des Parteivor- zählt, davon neun Kriege. Es gibt regi- vention und -bearbeitung; aber auch standes.

390 DISPUT Januar 2011 PRESSEDIENST

  Bremen-Wahl: DIE LINKE in Bre- DIE LINKE fordere Müller auf, endlich men wählte am 15. und 16. Januar (bis einen Termin zu nennen, an dem er als morgens 3:45 Uhr!) ihre Kandidatinnen Ministerpräsident zurücktritt. und Kandidaten für die Bürgerschafts- wahl am 22. Mai. Die Liste wird ange-   Studierendenverband Die Linke. führt von Kristina Vogt, Klaus-Rainer SDS: Auf ihrem Bundeskongress vom Rupp, Claudia Bernhard, Jost Beilken, 14. bis 16. Januar in Regensburg be- Thea Kleinert, Christian Wechselbaum, rieten Delegierte und Aktive der SDS- Songül Ergün-Bulut, Christoph Spehr, Gruppen die Perspektiven für das Jahr Cornelia Barth und Cindy Tuncel und 2011. Im Rahmen eines bundesweiten umfasst insgesamt 24 Plätze. Aktionstages nahmen knapp 70 Stu- dierende am 15. Januar an einem Pro-   Berlin-Wahl: Wirtschaftssenator besitzen auf dem Campus der Uni teil, Harald Wolf soll die Berliner LINKE in um so auf die Mobilisierung nach Dres- den Wahlkampf für die Abgeordnetenh- den gegen die Nazi-Aufmärsche am 19. auswahl am 18. September führen. Das Februar aufmerksam zu machen.

beschloss einstimmig der Landesvor- © Die Linke.SDS stand, gab Landesvorsitzender Klaus   Mindestlohn: Parteivorsitzender Lederer am 16. Januar bekannt. DIE LIN- Wahlprogramms der LINKEN in Meck- Klaus Ernst warf am 13. Januar der Bun- KE wolle wieder mitregieren und ihr Er- lenburg-Vorpommern vor. Er orientie- desregierung eine Blockadehaltung gebnis von 13,4 Prozent im Jahr 2006 re sich am Machbaren, ohne Visionen beim Mindestlohn vor und begrüßte verbessern. aus dem Auge zu verlieren, betonten die Ankündigung von Protesten durch sie. Wichtigste Schwerpunkte sind die die Gewerkschaften. Nach Ernsts An-   Hamburg-Wahl: Die Hambur- Neuordnung der Wirtschaftsförderung, sicht dürfen auch organisierte Proteste ger LINKE bestimmte am 9. Januar ih- Verlässlichkeit in der Bildungspolitik, während der Arbeitszeit kein Tabu sein. re 24-köpfi ge Landesliste für die Bür- das Einführen eines kostenfreien, ge- Ein »politischer Streik für den Mindest- gerschaftswahl am 20. Februar. Mit der sunden Mittagessens an Grundschu- lohn« könne ein Zeichen des Bürger- Nominierung der Abgeordneten Do- len sowie die Stärkung der Kommunen protestes gegen Schwarz-Gelb sein. ra Heyenn (Platz 1) sowie Joachim Bi- und öffentlicher Unternehmen. Helmut Ernst erklärte: »Am 1. Mai 2011 wird schoff, Christiane Schneider, Norbert Holter versprach, an die Erfolge der frü- der deutsche Arbeitsmarkt weitgehend Hackbusch, Kersten Artus, Mehmet Yil- heren rot-roten Landesregierung an- nach Osteuropa geöffnet. Wir brauchen diz und Wolfgang Joithe auf den Plät- zuknüpfen, besonders bei der Haus- in Deutschland bis dahin einen gesetz- zen eins bis sechs und Platz zehn setzt haltskonsolidierung, die ohne Schul- lichen Mindestlohn.« Das sei der ein- sie auf Kontinuität. Die KandidatInnen denbremse erreicht wurden. zige Weg, um zuverlässig eine neue Christin Bernhold, Marc Roach und Lohndumpingwelle zu verhindern. Cansu Özdemir sollen frischen Wind in   Hessen-Kommunalwahl: »Im be- die kommende Fraktion bringen. ginnenden Kommunalwahlkampf er-   Asylrecht: Zu den Verschärfun- setzt die CDU Hessen die rassisti- gen des Asylrechts in den Niederlan-   Rheinland-Pfalz-Kommunen: Die schen Kampagnen früherer Wahlkämp- den und Griechenland betonte Partei- fi nanzielle Ausstattung der Kommunen fe durch Antikommunismus«, erklärte vorstandsmitglied Katina Schubert am zu sichern, forderte der Spitzenkandi- , stellvertretender Lan- 13. Januar: »Mit diesen neuerlichen Ver- dat der LINKEN für die Rheinland-Pfalz- desvorsitzender der LINKEN, am 7. Ja- schärfungen wird die Mauer um die EU Wahl am 27. März, Robert Drumm, am nuar. Die CDU greife dabei zu hinter- weiter erhöht. Asylsuchende sollen 13. Januar: »Die Landesregierung lässt hältigen und primitiven Mitteln, um DIE schneller abgeschoben, schneller in- die Kommunen ausbluten, um unwirt- LINKE zu diffamieren. haftiert und in Griechenland außerdem schaftliche Leuchtturmprojekte zu fi - noch in ehemaligen Kasernen inhaftiert nanzieren.« DIE LINKE erwarte, dass   Saarland-Perspektive: LINKE-Lan- werden.« Das alles habe nichts mit der die Kommunen in die Lage versetzt desvorsitzender Rolf Linsler warf dem Idee eines freiheitlichen Europa zu tun, werden, ihre Aufgaben wahrzunehmen, CDU-Ministerpräsidenten Müller am das seiner internationalen Verantwor- und dass sie einen fi nanziellen Spiel- 14. Januar vor, er schade dem Saarland. tung gerecht wird, und sei schwerlich raum zur Erfüllung freiwilliger Aufgaben »Das Saarland braucht keinen Zauder- mit Geist und Wort der UN-Flüchtlings- erhalten. Ministerpräsidenten, der Angst vor ei- konvention zu vereinbaren: »Die LIN- ner Entscheidung über seine Nachfolge KE streitet weiter für ein europäisches   Mecklenburg-Vorpommern-Wahl: hat. Der Angst hat, auf einmal zwischen Asylrecht, das Flüchtlingen Schutz und Der Landesvorsitzende Steffen Bock- allen Stühlen zu sitzen, ohne die Bezü- Aufnahme in den EU-Ländern garan- hahn und Helmut Holter, Kandidat ge eines Richters dazustehen und statt- tiert und ihnen Perspektiven für ein für das Amt des Ministerpräsidenten, dessen gegebenenfalls mit beamten- selbstbestimmtes Leben eröffnet. Und stellten am 11. Januar den Entwurf des rechtlichen Nachteilen leben muss.« wir streiten dafür, dass die Mitglieds-

DISPUT Januar 2011 040 DEMNÄCHST

staaten der EU dieser Linie folgen müs- Jubiläen und Jahrestage 12. Februar sen.« Tag des Kindersoldaten (Red Hand 18. Januar 1961 Day)   Afghanistan: Die Ankündigung Der kongolesische Freiheits- 19. Februar 1861 der SPD, dem Afghanistan-Mandat der kämpfer Patrice Lumumba wird Der erste deutsche Arbeiter- Regierung zuzustimmen, wurde von ermordet. bildungsverein wird in Leipzig Christine Buchholz, Mitglied des Ge- 19. Januar 2006 gegründet. schäftsführenden Parteivorstandes Bundestag besiegelt Aus für Palast der LINKEN, am 11. Januar scharf kriti- der Republik in Berlin. Termine siert: »Die SPD beurteilt den Mandats- 27. Januar entwurf der Bundesregierung für den Tag des Gedenkens an die Opfer bis 21. Januar Beginn des Abzugs der Bundeswehr des Nationalsozialismus/Interna- Sitzungswoche im Bundestag aus Afghanistan positiv. Der Text für ei- tionaler Tag des Gedenkens an die 22. Januar ne Abzugsperspektive noch in diesem Opfer des Holocaust Landesparteitag Rheinland-Pfalz Jahr sei ›deutlich genug‹ formuliert. (Wahlprogramm), Trier, Hotel Trier Entweder die SPD fällt auf die Augen- 28. Januar Europahalle wischerei der Regierung herein oder Europäischer Datenschutztag sie beteiligt sich wissentlich an ihr.« 30. Januar 22. und 23. Januar Beides sei ein Armutszeugnis. Vertei- Jahrestag der Machtübertragung Bildungspolitische Konferenz, digungsministers zu Guttenberg (CSU) an die Nazis Stuttgart, Gewerkschaftshaus lege sich auf keinen Abzugstermin fest. 31. Januar 1933 29. und 30. Januar Wieder versuche eine Regierung, die In Mössingen (Baden-Württem- Sitzung Parteivorstand, Berlin Bevölkerung hinzuhalten. Und wieder berg) fi ndet der einzige große 2. und 3. Februar beteiligten sich Teile der Opposition Protest gegen die Machtergreifung Sitzungstage im Europaparlament daran. »DIE LINKE bleibt auch zehn Jah- Hitlers statt. re nach Beginn der Besatzung Afgha- 5. Februar nistans dabei: Der Krieg ist wesentli- 1. Februar 1951 Sitzung Bundesausschuss, Berlin Bundesrat beschließt Gesetz zur che Ursache der Probleme im Land. Nur 7. bis 11. Februar Einrichtung des Bundesverfas- der Abzug bietet die Chance auf Demo- Sitzungswoche im Bundestag kratie, Frieden und wirtschaftliche und sungsgerichtes. 11. Februar soziale Entwicklung in Afghanistan. DIE 1. Februar 2001 Plenarsitzung Bundesrat LINKE wird gegen die Mandatsverlän- Atomtransporte zwischen Fran- gerung stimmen.« kreich und Deutschland werden 14. Februar wieder aufgenommen. Sitzung Geschäftsführender Partei-   Arbeitslosigkeit: Zu den Arbeits- vorstand, Berlin 2. Februar 1971 losenzahlen im Monat Dezember un- Internationales Übereinkommen 14. bis 17. Februar terstrich Bundesgeschäftsführer Wer- über die politischen Rechte der Sitzungswoche im Europaparla- ner Dreibus am 4. Januar: »Die offi ziell Frau von 1953 (!) tritt für die Bun- ment 3,016 Millionen Arbeitslosen sind das desrepublik Deutschland in Kraft. Resultat einer nicht existenten Arbeits- 26. Februar marktpolitik. Auf statistische Tricks ver- 6. Februar Gewerkschaftspolitische Konfe- zichtend, läge die Arbeitslosigkeit mit Internationaler Tag gegen weib- renz, Mannheim 4,137 Millionen deutlich höher.« Ange- liche Genitalverstümmelung Zusammenstellung: Daniel Bartsch sichts der Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt sei das pure Verwalten Versammlung eines Arbeiterbildungsvereins, 1868 von Arbeitslosigkeit zu wenig. DIE LIN-

KE bleibe bei ihrer Forderung nach ei- © Archiv nem gesetzlichen, fl ächendeckenden Mindestlohn – so ließe sich die Lohn- spirale nach unten verhindern, die Bin- nennachfrage ankurbeln und letztlich gute Arbeitsplätze schaffen. »DIE LINKE fordert darüber hinaus ein Investitions- programm für Ostdeutschland – hier ist die Arbeitslosigkeit prozentual beinahe doppelt so hoch wie im Westen.«

Zusammenstellung: Florian Müller

410 DISPUT Januar 2011 Mit der Freiheit kam auch die Beliebigkeit Der Kabarettist Peter Ensikat über Dieter Hildebrandt, DDR-Zensur und die Grenzen der Satire

Irgendwie werde ich die DDR nicht mehr retttexte, und er wurde einer der meistgespielten Kabarett- los, so oder so ähnlich hat es Peter Ensikat autoren in der DDR. Als dann viele dachten, die DDR und die gesagt, als er sich daransetzte, sein inzwi- Satire darüber habe sich nun erledigt, wurde Peter Ensikat schen etwa zehntes Buch in Angriff zu neh- zunächst notgedrungen Kabarettdirektor der »Distel« in Ber- men. Dabei ist Ensikat durch und durch ein lin, um dann als einer der wenigen ostdeutschen Satiriker Mann der Gegenwart, eben ein Satiriker. auch weiterhin nicht zu verstummen. Das allerdings war ihm nicht an der Wiege Sein erstes Buch erschien 1993 (»Ab jetzt geb’ ich nichts gesungen worden, als er am 27. April 1941 mehr zu. Nachrichten aus den neuen Ostprovinzen«). Es in Finsterwalde geboren wurde und als eins folgten so aussagekräftige Titel wie: »Uns gab’s nur einmal«, von drei Kindern einer alleinerziehenden Mutter, der Vater »Hat es die DDR überhaupt gegeben?«, »Was ich noch ver- war im Krieg geblieben, aufwuchs. gessen wollte«, »Das Schönste am Gedächtnis sind die Lü- Seine frühe Begeisterung fürs Theater brachte ihn zu- cken« oder das Lexikon »Populäre DDR-Irrtümer«. nächst zur Schauspielerei. Die Kinder- und Jugendtheater in Nicht selten wurde er als Gesprächspartner über das Dresden und in Berlin waren seine Bühnen. Große Lorbee- deutsche Menetekel ausgewählt. Wohl, weil sich Böses mit ren erntete er dabei nicht, durfte aber schon vor dem Mau- Satire besser ertragen lässt. Aber bei ihm, der zeit seines Le- erfall hin und wieder beim Klassenfeind auftreten. Neben- bens nie einer Partei angehörte, bekommt noch jeder sei- her schrieb er auch, vor allem Stücke für Kinder, dann Kaba- ne unparteiische, parteiliche Antwort. Nach 20 Jahren deut-

KULTUR DISPUT Januar 2011 042 © Erich Wehnert

sche Einheit ist die ostdeutsche Realität ohnehin nur noch im schreiben wolle, was man brauchen könne. Als ich fragte, Zusammenhang mit der westdeutschen zu betrachten. Was was das sei, sagte er, na Kabaretttexte. Er leitete damals das ihn inzwischen sowieso am meisten verblüffe, sagt Ensikat, Leipziger Studentenkabarett »Rat der Spötter«. Ich hab’s ver- sind nicht die Unterschiede der Systeme, sondern ihre Ähn- sucht und nach zwei, drei Anläufen bekam ich ein, zwei Tex- lichkeiten. te zustande, die sie dann aufführten. Beim nächsten Pro- Nun, vor seinem 70. Geburtstag, erschienen gleich drei gramm allerdings wurde dann der ganze »Rat der Spötter« Bücher: Satiren aus 20 Jahren »Wo der Spaß aufhört«, sei- verboten. Und so widersinnig das jetzt klingt, das war für ne Autobiografi e »Meine ganzen Halbwahrheiten« und »Ihr mich der Grund, beim Kabarett zu bleiben. Wenn man mit so könnt ja nichts dafür! Ein Ostdeutscher verzeiht den Wessis«. ein bisschen Schreiberei so viel Aufsehen erregt und schein- bar so viel bewirkt, dachte ich, muss man dabeibleiben. Wie sind Sie überhaupt zur Satire gekommen? Durch Peter Sodann. Ich habe als junger Mensch Gedich- Und was ist für Sie Satire? te geschrieben, im Stile von Kästner, Brecht hatte ich auch Eine Art, die Welt zu sehen. Früher habe ich immer ge- drauf. Wenn wir in der Theaterhochschule in Leipzig nachts dacht, die DDR könne man nur satirisch betrachten, aber zusammensaßen und diskutierten, habe ich ab und an mei- inzwischen weiß ich, das war keine Besonderheit der DDR. ne Gedichte vorgelesen. Eines Tages fragte mich der Sodann Denn im Grunde bringt ja Satire Leute zum Lachen über Din- – wir waren Kommilitonen –, ob ich nicht auch mal etwas ge, über die sie im Leben gar nicht lachen können.

43 0 DISPUT Januar 2011 Man liest öfter über Sie, Sie seien der Dieter Hildebrandt sich doch etwas dabei gedacht haben. In den achtziger Jah- des Ostens, wer hat das eigentlich aufgebracht? ren wurde die Zensur beim Kabarett weitgehend unterlaufen. Das war ein Buchhändler in Kiel. Als ich mein erstes Buch Das hatte dann allerdings zur Folge, dass sie 1988 noch mal geschrieben hatte, 1993, lud er mich nach Kiel in seine Buch- richtig zugeschlagen hat. Da wurden dann fast überall in der handlung ein. Als ich dann dahin kam, fragte ich etwas be- DDR plötzlich wieder ganze Kabarettprogramme verboten. sorgt, wer kommt denn hier, hier kennt mich doch keiner. Doch er meinte nur, erstens kommen die Leute, weil ich sie Warum blieben Sie trotz solcher Verbote beim Kabarett? einlade, und zweitens, sehen Sie mal, was da im Schaufens- Wenn das mit dem Kabarett zu deprimierend war, also ter steht. Da war ich angekündigt als »der Hildebrandt des die Zensureingriffe, dann habe ich eben Kindertheater ge- Ostens« – der Buchhändler hatte dann wirklich einen vol- macht, das war meine Freiheit. Wenn ich nicht Kabarett ma- len Laden. chen wollte oder sollte, was ja beides vorkam, hatte ich im- mer mein Kindertheater. Das hatte zwar den Nachteil, dass Ihr Freund Dieter Hildebrandt war also so etwas wie Ihre man da schlechter bezahlt wurde und nicht berühmt werden Eintrittskarte in den Westen. Funktionierte das auch umge- konnte, noch dazu als Schreibender, aber das war für mich kehrt? meine Freiheit. So etwas brauchte er nicht, den kannte man auch im Os- ten. Wir hatten uns 1986 in Leipzig bei der inzwischen le- Inzwischen haben Sie noch mehr Freiheit. gendären Vorstellung von Dieter Hildebrandt und Werner Nun ja. Heute haben wir ein anderes Problem. Das ist we- Schneyder kennengelernt. Wobei Hildebrandt sich schon niger die Freiheit als viel mehr die herrschende Gleichgültig- im Kabarett der DDR gut auskannte, er gehörte zu den nicht keit. Es ist allzu einfach, sich auf den Tucholsky-Satz zu be- sehr zahlreichen Westdeutschen, die sich schon immer auch rufen, Satire dürfe alles. Tucholsky hatte in seinem Artikel, für den Osten interessiert haben. aus dem der Satz stammt, ganz bestimmte Einschränkun- gen gemacht. Die Grenzen der Satire sah er nach unten bei Er gehört mit seinen 80 Jahren immer noch zu den wich- Hitler und nach oben bei Buddha. Er wusste, dass eine Ge- tigsten Kabarettisten des Landes. sellschaft ohne Tabus gar nicht existieren kann. Wenn man Mit Recht. Der Mann ist einfach großartig. Mir wurde frü- das Wort freigibt von jeder Verantwortung, dann nimmt man her manchmal vorgeworfen, ich hätte ihn mir als Vorbild ge- ihm auch jede Wichtigkeit. Das scheint mir ein Problem un- nommen und versucht, ihn zu imitieren. Das stimmt zwar so serer Zeit zu sein. nicht, aber man kann auch schlechtere Vorbilder haben. Wenn alle bei einem Witz lachten, sind sicher auch die da- Welche Vorbilder haben Sie denn? bei, auf die der Witz zielt. Das fi ng an mit Werner Finck, der übrigens auch zu Hilde- Das ist auch heute so. Allerdings brauchen die Zuschau- brandts Vorbildern gehörte. Und für mich war es dann auch er ohne die Zensur auch keine Anstrengung mehr, um etwas Hildebrandt, das stimmt schon. Ich habe ihn immer darum zu verstehen. Es wird ja alles direkt gesagt. Ich habe da ein beneidet, dass er diese Art Kabarett sogar in den öffentlich- wunderbares Zitat von Theobald Tiger, also Tucholsky, von rechtlichen Medien machen durfte. 1919 gefunden: »Der echte Satiriker, dieser Mann, der kei- nen Spaß versteht, fühlt sich am wohlsten, wenn ihn ein Zen- Sie meinen diese Art der Gesellschaftskritik? sor hindert zu sagen, was er leidet. Dann sagt er’s doch und Ja. Hildebrandt war immer einer, der die Bundesrepub- wie er es sagt, ohne es zu sagen, das macht schon einen lik von links her kritisiert hat und im Grunde für das Anse- Hauptteil des Vergnügens aus, der von ihm ausstrahlt.« Das hen dieser Bundesrepublik viel mehr getan hat als die Leu- ist auch eine treffende Beschreibung der Situation des Sati- te, die nur ihre Vorzüge gepriesen haben. Das wissen ja bis rikers in der DDR. heute die wenigsten Politiker, dass im Grunde Satire fast im- mer System erhaltend wirkt. In dem Sinne: Ein Land, das sich Wirklich gute Satire muss man inzwischen eher suchen. solche Kritiker leistet wie Hildebrandt oder andere – es gab Nicht, dass die Leute weniger zu lachen haben wollen, aber ja noch andere wie beispielsweise das Komödchen in Düs- Comedy bringt nicht nur im Fernsehen mehr Quote, oder? seldorf –, das kann nicht ganz so schlecht sein. Ich glaube, Kabarett war nie was für große Säle. Georg Schramm hat die Qualität einer Demokratie erkennt man unter anderem »Die Anstalt« im ZDF zwar verlassen, aber es gibt sie weiter. an den Möglichkeiten, die sie ihren Kritikern einräumt. Auch Dann gibt es noch die »heute-Show«, da wird Satire mit den die schärfste Kritik kann hilfreicher sein als das schönste Mitteln des Fernsehens gemacht. Mit abgefi lmtem Kabarett Loblied. hatte ich eigentlich schon immer meine Schwierigkeiten. Ob- Schon Voltaire hat gesagt, dass er die Ideen seines Geg- wohl ich auch gut fand, dass es das überhaupt gab, im Wes- ners bis zum letzten Blutstropfen bekämpfen würde, aber ten zumindest. In den Medien der DDR kam Kabarett ja so genauso würde er dafür kämpfen, dass der Gegner seine gut wie gar nicht vor. In den späten Sechzigern oder frühen Meinung sagen dürfe. Das haben die Politiker in der DDR bis Siebzigern gab es beim ZDF übrigens schon mal einen Ver- zum Schluss nicht einsehen wollen. such, Kabarett mit den Mitteln des Fernsehens zu machen. Das hieß damals »Hallo, Nachbarn« und war so gut, dass es Da funkte dann die Zensur dazwischen, über die Sie sich ja – selbst im Westen – ganz schnell verboten, pardon, abge- schon öfter mal geäußert haben … setzt wurde. Es ist ja eine Sage, dass es in der Bundesrepu- Vieles war trotzdem möglich, und es gab einen Trick. Da blik überhaupt keine Zensur gegeben hat, ich hab sie noch es in der DDR keine zentrale Zensurbehörde für Kabarett ge- erlebt, als ich in diese Bundesrepublik eintrat oder einge- geben hat, anders als bei der Literatur oder beim Film, konn- treten wurde. te jeder »Ortskommandant« bzw. SED-Bezirksparteichef zwar nach Gutdünken verbieten oder erlauben. Aber wenn Aber doch wohl nicht mehr heute? wir an einem Ort etwas durchbekommen hatten, konnten wir Doch, da wird man als Satiriker eben einfach nicht mehr uns am anderen immer herausreden, dass es woanders er- gefragt. Stumm muss man deshalb nicht werden, es gibt laubt worden war. Da galt das Motto, die Genossen werden ja so viele Medien, und was der eine Sender nicht nimmt,

KULTUR DISPUT Januar 2011 044 nimmt der andere. Aus nicht gedruckten Kolumnen zum Bei- Es gab Zeiten, in denen wäre ich sofort in die SPD einge- spiel habe ich dann eben Kabaretttexte gemacht. Mit der treten, das war die Zeit von Brandt, Bahr … Inzwischen wäre DDR-Zensur kann man das, was heute an Beschränkung ich allerdings auch schon längst wieder ausgetreten. Günter herrscht, nicht vergleichen. Mir scheint heute nicht man- Grass zum Beispiel geht ja immer wieder mal rein, mal raus, gelnde Freiheit das Problem zu sein, sondern der Hang zur ich fi nde es für mich besser, gleich draußen zu bleiben. Beliebigkeit. Aber links ist doch eine Richtung, mit der Sie sympathisie- Beliebigkeit ist doch der Tod der Satire, die muss doch im- ren? mer konkret sein, um zu treffen. Na ja, gerade unter Linken gibt es viel Humorlosigkeit. Bei Eben. In Thomas Manns »Doktor Faustus« steht: »Was den Achtundsechzigern mal angefangen. Mein Einwand ge- ist Freiheit? Nur das Gleichgültige ist frei. Das Charakteristi- gen die Achtundsechziger war vor allem ihre wahnsinnige sche ist niemals frei, es ist geprägt, determiniert und gebun- Humorlosigkeit, das Dogmatische, da waren mir die Rechten den«. Also zwischen Freiheit und Beliebigkeit sollte man ge- manchmal sogar lieber. Wobei die Rechten sich damals auch rade heute unterscheiden. Und was hilft es, wenn ich heute Toleranz leisten konnten: Ein Mann wie der Lothar Späth hat- Frau Merkel kritisiere oder unseren Baron oder Westerwelle, te sich mit seiner Kulturpolitik beispielsweise die bunten Vö- die Macht sitzt doch ganz woanders. Diese Macht ist für die gel nach Baden-Württemberg geholt und dort eine lebendige meisten anonym, und etwas Anonymes anzugreifen ist ziem- Theaterszene geschaffen, eine linke, das machte ihm nichts lich unmöglich. Insofern glaube ich, dass Kabarett heute oft aus. viel weniger ans Wesen der Sache herankommt als zu DDR- Zeiten, wo man die Namen der Akteure nicht nennen durf- Auch mit kritischen Geistern kann man seine politischen te. Wir waren also gezwungen, uns mehr dem Wesen der Sa- Ziele schmücken. che zu nähern. Stimmt. Ich habe nie begriffen, warum das in der DDR nie

Wenn man mit so ein bisschen Schreiberei so viel Aufsehen er- regt und scheinbar so viel bewirkt, dachte ich, muss man dabei- bleiben. © Erich Wehnert

Ich behaupte, dass manches in unseren DDR-Kabarett- erkannt wurde. Wir hatten doch die besten politischen Wit- programmen damals systemkritischer war als das meiste, ze. Dass die allerbesten von ganz oben, aus dem Politbü- was sich heute Kabarett nennt. Das trifft zumindest für die ro, gekommen wären, wie man sich erzählte, halte ich aller- Stücke zu, die Wolfgang Schaller und ich damals für die Dres- dings für ein Gerücht. dener »Herkuleskeule« geschrieben haben und die dann re- Die DDR war mit ihrem gepredigten dialektischen Ma- publikweit nachgespielt wurden. terialismus eine ziemlich idealistische Angelegenheit. Da glaubte man wirklich, man könne mit Worten die Welt ver- Haben Sie eigentlich schon mal wie Peter Sodann daran ge- ändern, »mit Worten, die Blitze waren«, wie es in einem Lied dacht, in die Politik zu gehen? von Peter Hacks hieß. Um Gottes willen, nie. Das stand sowieso immer außer Frage. Schon wegen der Ähnlichkeit politischer Karrieren. Ich Kann Satire nicht wenigstens ein bisschen auch die Welt dachte immer, die wären nur bei uns so stereotyp verlaufen, verändern? auf dem geraden Weg: Pioniere, FDJ, SED … Doch das ist in Nein. Man macht damit vielleicht die Welt ein bisschen der Bundesrepublik genauso. erträglicher – aber das ist dann natürlich auch gleich wieder System erhaltend. Ist es für Sie als Satiriker so undenkbar, sich in einer Par- tei zu engagieren? Gespräch: Ingrid Feix

45 0 DISPUT Januar 2011 BÜCHER

Vom Nachleben Erfahrungen berichten bzw. die Be- Während ein Text über die Tages- schreibungen der noch immer in ver- zeitungen in der DDR die Kommuni- schiedenen Ländern existierenden und kationsstrukturen aufzeigt, beschäf- eines Staates von der DDR hinterlassenen Einrichtun- tigt sich ein anderer mit den Möglich- Bemühungen um ein differenziertes gen. So wird verständlich, woraus sich keiten und Unmöglichkeiten für Satire Bild in den Erinnerungen an die DDR. die Dankbarkeit in einzelnen Ländern in der Zeitschrift »Eulenspiegel«, ein Gelesen von Ingrid Feix gegenüber der DDR speist, wenn man weiterer mit dem Einfl uss von Westlite- weiß, dass beispielsweise in Nicara- ratur und Leipziger Buchmesse, und im ugegeben, die Wahl des Titels ist gua das Berufsausbildungszentrum Interview wird über die Herstellung ei- Z vielleicht nicht die glücklichste, »Ernesto Thälmann« und das Kran- ner illegalen Literaturzeitschrift berich- denn was in der Mehrheit der 28 Bei- kenhaus »Carlos Marx« – beide von tet. Es geht um das unrealisierbare Pro- träge in diesem Band beschrieben wird, der DDR eingerichtet und unterstützt – jekt einer fi lmischen Rockoper, den so- hat kaum etwas mit einer sehnsuchts- noch immer zu den besten Einrichtun- zialen Anspruch der Filmarchitektur in vollen Rückschau auf vergangene Zei- gen des Landes gehören. DEFA-Filmen, um die Ausrichtung von ten, die ja der Begriff Ostalgie sugge- Oder wenn man weiß, dass es zum Unterrichtsmedien, die Nachwirkung riert, zu tun. Eher geht es darum, die Beispiel etwa 40.000 deutsch spre- der Langzeitdokumentation »Die Kin- Spuren zu zeigen, die die DDR mit ih- chende Akademiker in Vietnam gibt, der von Golzow«, die Breite der Schall- ren Bemühungen um internationale die meist in der DDR studiert haben, plattenproduktion bis hin zu Automa- Anerkennung in verschiedenen Län- sowie viele vietnamesisch-deutsche tenglücks- und Computerspielen in der dern der Welt sowie in einigen ausge- Vereine, die von ehemals in der DDR DDR. wählten Bereichen hinterlassen hat. Arbeitenden oder Lernenden gegrün- Es sind weniger Erinnerungsberich- Dass die Herausgeber gleich in ihrem det wurden. te als Fakten, die hier gut recherchiert Vorwort anmerken, »nicht in jedem Fall Die DDR leistete an der Seite der So- zusammengetragen wurden. Und wie wjetunion Entwicklungshilfe in Afgha- Thomas Kunze und nistan. Dort allerdings sind, wie ein Thomas Vogel (Hg.) Beitrag beschreibt, nur noch ganz we- Stefan Zahlmann Ostalgie international nige Spuren auffi ndbar. Von der Ge- (Hg.) Erinnerungen an meinschaft der »DDR-Kinder« in Na- Wie im Westen, die DDR von Nicaragua mibia bis zur Wahrnehmung der DDR- nur anders. bis Vietnam Kunst in Los Angeles gibt das Buch Medien in der DDR Ch. Links Verlag insgesamt einen überaus spannenden Panama Verlag 256 Seiten Einblick in das Nachleben der DDR im 424 Seiten

19,90 Euro Repro Ausland. 29,90 Euro Repro mit den Aussagen der einzelnen Auto- m ein sachliches und differen- bei wissenschaftlichen Darstellungen ren« übereinzustimmen, ist verständ- U ziertes Bild über die Medien der üblich, sind die Quellen belegt und der lich, und dem Leser geht es nicht an- DDR geht es in dem Band »Wie im Wes- aktuelle Erkenntnis- bzw. Forschungs- ders. Zu unterschiedlich ist die Pers- ten, nur anders. Medien in der DDR« stand aufgezeigt. Es herrscht eine an- pektive, aus der heraus die Dinge be- mit 22 ebenfalls recht unterschiedli- genehme Sachlichkeit, die bei dem trachtet werden. chen Beiträgen, die eine gelungene Mi- Thema Medien in der DDR nicht allzu Es ist klar, dass ein einst in diplo- schung aus wissenschaftlichem Text, häufi g anzutreffen ist. matischer Mission in Afrika Arbeiten- Interview, Erinnerungsskizze und Er- Letztlich wird gegen die These ar- der eher die Spuren seiner erfolgrei- fahrungsbericht bieten. gumentiert, der Zusammenbruch der chen Hinterlassenschaft beschreibt, Ausgangspunkt ist es nicht, wie so kommunistischen Herrschaft in Ost- wie Hans-Georg Schleicher, der ehe- oft bei diesem Thema, die Mechanis- europa, also auch in der DDR, sei vor malige DDR-Botschafter in Windhouk. men der Medien als Propagandain- allem auf die politische Aufklärung Anders fällt natürlich der Bericht von strumente von Partei- und Staatsfüh- durch die Westmedien zurückzufüh- Rainer Eppelmann aus, der als noch rung zu zeigen. Vielmehr geht es dem ren. Zwar dürfe der Einfl uss der West- DDR-Minister für die NVA und ihre Ab- Herausgeber um das Wechselspiel von medien nicht unterschätzt werden, lau- wicklung zuständig war. Erfreulicher- Produktion und Rezeption im Bereich tet das Fazit, doch sei die Politik in den weise sind die meisten Beiträge um ei- Medien, die sich nicht nur auf die Klas- Medien im Laufe der 40-jährigen Ge- ne sachliche Darstellung bemüht. Da- siker Zeitung, Fernsehen und Rund- schichte der DDR sukzessive vor den gegen fällt der von Vera Lengsfeld über funk beschränken und als ein Bestand- Interessen der Gesellschaft zurückge- das DDR-Bild der westlichen Linken – teil der Lebenskultur begriffen werden. wichen, was letztlich auch das Schei- allerdings wenig überraschend – rein In fünf Bereiche – lesen, sehen, insze- tern einer absoluten Abgrenzung vom polemisch aus. nieren, hören, spielen – sind die ohne Westen zur Folge hatte. Am interessantesten sind die Bei- Vorgaben des Herausgebers entstan- Ein lesenswertes und streitbares träge von denen, die über ihre eigenen denen Beiträge gegliedert. Buch.

DISPUT Januar 2011 046 ie Bundesregierung hat vor auch die Grünen daran teil. Eigentlich Kurzem die Wehrpfl icht, geregelt müsste das Gros der Bundestagsabge- D in Artikel 12 des Grundgesetzes, ordneten im Gefängnis sitzen (»Hand- ausgesetzt. DIE LINKE war mit guten lungen, die geeignet sind ..., insbeson- Gründen immer gegen die Wehrpfl icht dere die Führung eines Angriffskrieges und andere Zwangsdienste. Nach dem vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Ende der militärischen Blockkonfronta- Sie sind unter Strafe zu stellen.«). Aber tion wäre ohnehin die Zeit für radikale vielleicht werden Sozial-, Christ- und Abrüstung und die Aufl ösung aller Mili- Freidemokraten sowie Grüne argumen- tärorganisationen gewesen. Die in der tieren, sie hätten den Angriffskrieg ja Bundesrepublik und anderen Staaten nicht »vorbereitet«, sondern durchge- herrschende Politik hat diese Chan- führt. ce und Notwendigkeit jedoch ignoriert, Die »Aussetzung« der Wehrpfl icht stattdessen eine weitere Militarisierung ist sowieso eine Bagatelle gegen die der internationalen Beziehungen durch- eigentlichen Veränderungen in der ak- gesetzt. tuellen deutschen Militärpolitik. Sie Rechtlich mag es unproblematisch sollen die Bundeswehr auch offi ziell sein, eine Verfassungsbestimmung aus- zu einer weltweit operierenden Inter- zusetzen, zumal sie als eine »Kann-Be- ventionsarmee machen und auf schlei- stimmung« formuliert ist. Politisch ist chendem Wege den von den Westalli- es bezeichnend, dass es nicht einmal in ierten in den fünfziger Jahren aus guten diesem Fall zur Red- Gründen verhinderten Generalstab für lichkeit einer demo- die Bundeswehr durchsetzen. Artikel Das ausgesetzte kratischen Entschei- 26 wird damit endgültig zur Makulatur. dung reichte, Artikel In der ersten Ausgabe der von Ste- Grundgesetz 12 a endlich aus dem fan Heym mitbegründeten »Neuen Zei- Grundgesetz zu strei- tung« am 18. Oktober 1945 schrieb chen. der damalige US-amerikanische Mi- Aber warum soll es litärgouverneur Dwight D. Eisenho- der Wehrpflicht bes- wer: »Neben dem Nationalsozialis-

Von André Brie ser ergehen als an- mus muss aber auch der Militarismus Parlament © Europäisches deren, wirklich wich- vernichtet werden. Die physische Ent- tigen Festlegungen der Verfassung? militarisierung Deutschlands wird er- Artikel 1 (»Die Würde des Menschen folgreich durchgeführt, aber sie allein ist unantastbar.«) ist für Hartz-IV-Emp- bietet keine Sicherheit ... Militarismus fängerinnen und -Empfänger, Gering- muss aus der deutschen Gedankenwelt verdienerinnen und -verdiener, allein- ausgerottet werden. Für alle Kulturvöl- erziehende Mütter und viele Migran- ker der Erde ist Krieg etwas an sich Un- tinnen und Migranten offensichtlich moralisches, die Deutschen müssen schon längst und ohne Debatte »aus- zu dieser selbstverständlichen Wahr- gesetzt« worden. heit erst erzogen werden.« Auch wenn Das Gleiche gilt unter anderem für Eisenhower wie viele andere US-Präsi- Artikel 14 (»Eigentum verpfl ichtet. Sein denten diese Wahrheit später selbst in Gebrauch soll zugleich dem Wohle der den Dreck traten, sie bleibt eine Wahr- Allgemeinheit dienen.«, 15 (»Vergesell- heit. Die große Mehrheit der Menschen schaftung«), Artikel 20 (»Die Bundes- in der Bundesrepublik lehnt heute Mili- republik Deutschland ist ein demokra- tarismus und eine neue Militarisierung tischer und sozialer Bundesstaat.«), Ar- der Politik ab. Aktiver Widerstand ist al- tikel 30 (»Hoheitsrechte der Länder«) lerdings wenig zu spüren. oder Artikel 28, Absatz 3 (kommunale Die deutsche Verfassungswirklich- Selbstverwaltung). keit hat zunehmend weniger mit den geschriebenen Grundsätzen zu tun. Eigentlich müsste das Gros Doch wir sollten deshalb nicht das der Abgeordneten im Gefängnis Grundgesetz kritisieren (auch wenn sitzen es in vielen Fragen verbesserungsbe- dürftig ist), sondern eben diesen Wi- Das Asylrecht (Artikel 16) wurde mit derspruch zwischen der Politik der an- den Stimmen von CDU, CSU, FDP und deren Parteien und dem Grundgesetz. SPD dermaßen eingeschränkt, dass Unsere Verfassung ist nicht nur hin- man nicht nur von seiner Aussetzung, sichtlich der Wehrpfl icht (Friede ihrer sondern seiner faktischen Abschaffung Asche!), sondern in ihrer sozialen Sub- sprechen muss. stanz »ausgesetzt«. Das Grundgesetz Artikel 26, der die Führung von An- war und ist ein großartiges, aber auch griffskriegen verbietet, ist offensicht- empfi ndsames Kind deutscher Demo- lich spätestens am 24. März 1999 mit kratie. Wie um jedes ausgesetzte Kind der Aggression gegen Jugoslawien muss man sich besonders um es küm- »ausgesetzt« worden. Diesmal nahmen mern.

470 DISPUT Januar 2011 JANUARKOLUMNE Auslese

Hans Staden

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