Thomas Murner Und Die Katholische Reform
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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg HERIBERT SMOLINSKY Thomas Murner und die katholische Reform Originalbeitrag erschienen in: Thomas Murner : Humaniste et théologien alsacien 1437-1537; Exposition de la Bibliothèque Nationale et Universitaire de Strasbourg et de la Badische Landesbibliothek de Karlsruhe. Karlsruhe: Verl. Badenia, 1987, S. 35-50 THOMAS MURN ER Humaniste et thologien alsacien 1475-1537 Exposition de la Biblioth6que nationale et universitaire de Strasbourg et de la Badische Landesbibliothek de Karlsruhe Catalogue dexposition edite par la Badische Landesbibliothek de Karlsruhe en collaboration avec la Biblioth6lue nationale et universitaire de Strasbourg Verlag Badenia, Karlsruhe 1987 Thomas Murner und die katholische Reform Heribert Smolinsky, Bochum „Ist es denn Gottes Wille, daß es jetzt zu einer Besserung kommt, und zwar in bezug auf alle Mißbräuche seiner Kirche, nicht nur in bezug auf die, die Du nennst, sondern in bezug auf alle anderen in allen Ständen auch, die Du nicht nennst, so geschehe sein göttlicher Wille im Himmel und auf Erden; wir wol- len untertänig gehorsam sein . ."I Als der Franziskaner Thomas Murner im Dezember 1520 diesen Satz in seiner Schrift An den grosvnechtigsten und Durch- tüchtigsten adel tütscher nation . wyder . Martinuin Luther formulierte, war er schon in heftige Kontroversen mit dem Wittenberger Augustiner und des- sen Anhängern verwickelt, die auch in Straßburg immer zahlreicher wurden. Drei Traktate hatte er kurz vorher, im Abstand von nur wenigen Tagen, gegen Luther herausgebracht. Dieser vierte setzte sich mit dessen populärster und wirksamster Schrift An den christlichen Adel deutscher Nation auseinander. Lu- ther hatte in ihr neben seinen grundlegenden theologischen Überlegungen wie dem Priestertum aller Gläubigen auch Teile aus den bekannten Gravanzina, also den Forderungen der Beschwerdeschriften der weltlichen Stände gegen die Geistlichkeit und die Römische Kurie, aufgenommen und sie rhetorisch wirksam verwertet sowie seinen Intentionen dienstbar gemacht. Während Murner in den theologischen Fragen keine Kompromisse einging und in dem Reformator nur einen Zerstörer des alten katholischen Glaubens sah, verrät der oben zitierte Satz, daß die Situation sich für ihn anders darstellte, als es um die Reform der Mißbräuche ging. In diesem Punkte widersprach er nicht di- rekt, sondern begnügte sich damit, die Entscheidung dem Willen Gottes zu überlassen und im übrigen zu kritisieren, daß Luther nur die Geistlichkeit, nicht aber die weltlichen Stände angeklagt habe. Der Grund, weshalb Murner auf diese Weise reagierte, lag nicht allein darin, daß es so gut wie unmöglich war, die Reformbedürftigkeit der Kirche zu leug- nen. Es gab eine tiefere Ursache: Murner selbst vertrat den Gedanken einer Reform, die in seinem Leben und Werk eine wichtige Rolle spielte, und es war ihm deshalb nicht möglich, in diesem Punkte die Vorschläge Luthers einfach abzulehnen. Die Geschichtsschreibung hat dieses Faktum mit den verschie- densten Qualifikationen versehen. Das Spektrum reicht vom „Vorreforma- tor" über „Wetterzeichen der Reformation" 2 und dem überzogenen Vergleich mit Savonarola3 bis zu der ausgewogenen Darstellung seines Kampfes „um die Kontinuität der kirchlichen Lehre und die Identität des Christenmenschen in den Jahren 1511-1522". 4 Diesen verschiedenen Deutungen von Person und Werk Thomas Murners, welche u. a. durch die Komplexität seines Lebens be- dingt sind, soll hier keine neue umfassende Interpretation hinzugefügt wer- den. Es wird lediglich versucht, seine reformerische Kritik und ihre Eigenart zusammenfassend darzustellen und sie in den Gesamtkomplex „Katholische Reform der Frühen Neuzeit" einzuordnen. Ein erster Zugang zu dieser Problematik ergibt sich aus der historischen Situa- tion, in der Murner lebte. Aus der Fülle der Aspekte, die man nennen könnte, seien einige herausgegriffen. Murner wurde in einer Zeit des Oberganges und, der Neuaufbrüche geboren. Geistige Bewegungen wie Renaissance und Hu- manismus bestimmten große Teile des gebildeten Bürgertums und des Adels und hatten ein Klima geschaffen, das z. B. an den Klerus höhere Ansprüche als in früheren Zeiten stellte. Das Vordringen des komplizierten römischen Rechtes und der studierten Juristen beunruhigte weite Kreise, vor allem auch die Bauern, welche ohnehin durch Mißernten, hohe Abgaben etc. bedrängt waren und im Verbund mit den Handwerkern einen Herd sozialer Unruhen bildeten. Die Stärkung des Territorialfürstentums und die Schwäche des Hei- ligen Römischen Reiches ließen den Ruf nach einer umfassenden Reichs- und Kirchenreform laut werden, die sich z. B. in der anonymen Reformatio Sigis- mundi des 15. Jahrhunderts artikulierte. Systembedingt wandten sich in den Beschwerdepunkten (Gravamina) seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Reichstage und Städte ebenso gegen die Römische Kurie und die Geistlich- keit wie umgekehrt der Klerus seine Gravamina gegen Magistrate und Fürsten verfaßte. Es ist kein Wunder, daß auch in der Kirche des 15. und 16. Jahrhunderts das Wort „Reform" wie ein Leitmotiv immer wieder aufklang. Im einzelnen konn- te sich allerdings dieser Gedanke sehr unterschiedlich ausprägen. So verstan- den sich die beiden großen Konzilien von Konstanz und Basel im 15. Jahrhun- dert sowie das Fünfte Laterankonzil (1512-1517) als Reformveranstaltungen und erließen entsprechende Dekrete gegen die Ämterkumulation, Dispens- praxis, ein überzogenes Fiskalsystem etc., ohne eine durchgreifende Wirkung zu erzielen. Immerhin hielten sie die Reformidee wach. Wirksamer waren Be- wegungen, die über eine reine Organisationsfrage hinausgingen und mit dem Schwerpunkt auf Spanien und Italien seit dem 19. Jahrhundert als die eigentli- che „katholische Reform" bezeichnet werden. Dazu gehörten die Observanz- bestrebungen der verschiedenen Orden, welche auf eine rigoristische Ausle- gung der Ordensregel drängten und die wachsende Diskrepanz zwischen Ide- al und Wirklichkeit beseitigen wollten. Auf der Ebene der Frömmigkeitspraxis entwickelte sich die „devotio moderna", eine sich auf die Bibel stützende, oft von Laien getragene und auf Verinnerlichung drängende Bewegung. Im bibel- orientierten „Evangelismus" setzte man in Frankreich, Spanien und Italien Sti Doe bat) !atm ea xtie gor f se i b 3ii babeit bat Kri fitvt (na 7 ;etc e,, Pattrin eicecurditilbigcn lie C9r prea. ee big ra offalke gelabett intrare eao Alk weit fice %veteii, tvitat. den Quellen) verstärkend wirkte. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts fand schließlich der Bibelhumanismus in Erasmus von Rotterdam seinen imponie- rendsten und wirkmächtigsten Vertreter, der die Schrift als Mittel der Kirchen- und Frömmigkeitskritik einsetzte und mit dem Ideal einer „philosophia chri- stiana" neue Maßstäbe setzte. Schon früher hatten Männer wie Nikolaus von Clemanges und der Universitätskanzler Jean Gerson (t 1429) in Paris eine pra- xisnahe, für die Seelsorge brauchbare Theologie zu entwickeln versucht und die lebensfremde, übermäßig spekulative Spätscholastik kritisiert. Die Rezeption der Gersonschen Theologie und ihrer Reformbestrebungen führt direkt in die Reichsstadt Straßburg und damit zu dem konkreten Ort, wo Thomas Murner seine prägenden Erfahrungen mit Kirche, Reich und städti- scher Gesellschaft machte. Es waren Geiler von Kaysersberg, Jakob Wimphe- ling u. .a., welche editorisch die Werke des Pariser Kanzlers im deutschen Sprachraum bekanntmachten und selber von dessen Ideen ergriffen waren, ohne daß sie im strengen Sinne als „Reformatoren" bezeichnet werden kön- nen. Murner hatte mit ihnen Kontakte, und obwohl er 1502 eine harte Kontro- verse mit Wimpheling und dessen Freunden ausfocht, besteht kein Zweifel, daß seine eigene Idee von Kritik und Reform durch dessen Straßburger Kreis geprägt wurde. Die Predigten des berühmten Münsterpredigers Geiler hat er wahrscheinlich selbst gehört, wie ein Brief von ihm 1502 nahelegt, und sein Ordensbruder Johannes Pauli gab dessen Predigten heraus. Was später die Murnersche Predigt, ihre Form und ihre reformerische Absicht charakterisiert, konnte er hier lernen: den Sinn für das Konkrete, die Sittenpredigt, die emble- matische und allegorisch arbeitende Methode und die von Gerson übernom- mene Forderung nach einer an der Praxis orientierten Theologie. Aber noch ein dritter Straßburger beeinflußte ihn entscheidend: der Stadtschreiber und Dichter Sebastian Brant. Die literarische Form der Satire, in die Murner später seine Sittenkritik aller Stände kleidete, war im Narrenschiff Brants vorgebildet und wurde übernommen. Neben dieser Straßburger Atmosphäre bildete der Eintritt in das berühmte Franziskanerkloster der Stadt ein zweites Element, welches sein Leben und Werk bestimmte. Murner wurde damit in die Tradition einer lebendigen und intensiven franziskanischen Predigt hineingenommen, deren von der Regel vorgeschriebene moralisierende Tendenz und deren Volkstümlichkeit sich gut mit den städtischen Vorbildern traf, so daß sie die Ausgangsbasis für die eige- ne Kritik sein konnte. Sein Eintritt in das Kloster des nicht reformierten Zwei- ges der Franziskaner (Konventualen) bedeutete aber auch, daß er zeit seines Lebens die Ideen der Observanzbewegung strikt ablehnte, was mit dazu bei- getragen haben mag, daß sein Reformgeist immer sehr konservative Züge trug. In einer Widmung an den Ritter Hans Bock sprach er 1521 vom „Affen- spiel", und meinte wohl die Observanten, welche auf Äußerlichkeiten bezo- gen seien, was einem „frommen, aufrichtigen, redlichen christlichen Mann"5 nicht anstehe. In der Narrenbeschwerung