Plenarprotokoll 13/65

Deutscher

Stenographischer Bericht

65. Sitzung

Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Inhalt:

Abweichung von den Richtlinien für die DIE GRÜNEN: Fortsetzung der Bun- Fragestunde, für die Aktuelle Stunde so- deswehrreduzierung und Verzicht auf wie der Vereinbarung über die Befragung Umstrukturierung der Bundeswehr für der Bundesregierung in der Sitzungs- weltweite Kampfeinsätze (Drucksache woche ab 6. November 1995 5563 A 13/499) 5564 C

Zur Geschäftsordnung in Verbindung mit Dr. PDS 5563 B Zusatztagesordnungspunkt 14: Joachim Hörster CDU/CSU 5563 D Beschlußempfehlung und Bericht des Tagesordnungspunkt 13: Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten der PDS: a) Abgabe einer Erklärung der Bundes- Kampfeinsätze der Bundeswehr (Druck- regierung sachen 13/136, 13/1880) ...... 5564 D 40 Jahre Bundeswehr — 5 Jahre Armee . . . 5564 D der Einheit Dr. , Bundeskanzler SPD 5568 C b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Paul Breuer CDU/CSU 5572 A wurfs eines Gesetzes zur Änderung Rolf Köhne PDS 5573 C wehrrechtlicher Vorschriften (Wehr- rechtsänderungsgesetz) (Drucksachen BÜNDNIS 90/DIE GRÜ 13/1801, 13/2209, 13/2547, 13/2548) . 5564B NEN 5575 A Dr. Heiner Geißler CDU/CSU . . . 5577 A in Verbindung mit Dr. F.D.P 5577 C Zusatztagesordnungspunkt 12: Heinrich Graf von Einsiedel PDS . . . 5580 C Antrag der Abgeordneten Andrea Volker Rühe, Bundesminister BMVg . 5582 C Lederer, Heinrich Graf von Einsiedel, Dr. Helmut Lippelt BÜNDNIS 90/DIE Dr. Willibald Jacob und der weiteren GRÜNEN 5584 A- Abgeordneten der PDS: Abschaffung SPD 5585 D der Wehrpflicht (Drucksache 13/580) . 5564 C CDU/CSU 5588 C in Verbindung mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5590 D Zusatztagesordnungspunkt 13: Günther Friedrich Nolting F.D.P. . . . 5592 C Antrag der Abgeordneten Winfried 5594 C Nachtwei, Angelika Beer, Christian Dieter Heistermann SPD Sterzing und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Paul Breuer CDU/CSU 5595 D II Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Dr. Klaus Rose CDU/CSU 5597 C Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 5612C Winfried Nachtwei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 5598A Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. 5613 C Dr. PDS 5600A Hildebrecht Braun (Augsburg) F.D.P. . 5614 B Volker Kröning SPD 5601 D Detlev von Larcher SPD 5614 C Jürgen Augustinowitz CDU/CSU . . . 5603 B Klaus-Jürgen Warnick PDS 5615 D Gerhard Schulz (Leipzig) CDU/CSU . 5616D Rolf Köhne PDS 5605 C Achim Großmann SPD 5618 A Dr. Uwe-Jens Heuer PDS (Erklärung nach § 30 GO) 5606A Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister BMBau 5620 B Otto Reschke SPD 5621 D Tagesordnungspunkt 10: Franziska Eichstädt-Bohlig BÜNDNIS 90/ a) Zweite und dritte Beratung des von der DIE GRÜNEN 5622 A Bundesregierung eingebrachen Ent- Ingrid Matthäus-Maier SPD (Erklärung wurfs eines Gesetzes zur Neuregelung nach § 31 GO) 5622 B der steuerrechtlichen Wohneigentums- förderung (Drucksachen 13/2235, 13/ 2476, 13/2784, 13/2785) 5607 A Zusatztagesordnungspunkt 15: b) Beschlußempfehlung und Bericht des Aktuelle Stunde betr. Haltung der Finanzausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Altschuldenrege- Abgeordneten Franziska Eichstädt- lung für ostdeutsche Kommunen an- Bohlig, Christine Scheel, weiterer Ab- gesichts erster Bewertungsergebnisse geordneter und der Fraktion BÜND- eines Rechtsgutachtens zur Auferle- NIS 90/DIE GRÜNEN: Eckwerte für ein gung von Rückzahlungsverpflichtun- grünes Selbsthilfe-Gesetz für eine so- gen 5623 C ziale und ökologische Reform der Dr. SPD 5623 D Wohneigentumsförderung CDU/CSU . . . 5624 D zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus-Jürgen Warnick, Dr. Barbara (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE Höll, Dr. Uwe-Jens Rössel und der GRÜNEN 5625 D Gruppe der PDS: Reformierung der Jürgen Türk F.D.P 5626 D Wohneigentumsförderung als ein Bestandteil der Wohnungsbaupolitik Dr. Uwe-Jens Rössel PDS 5627 C (Drucksachen 13/2304, 13/2357, 13/2784) 5607 A Irmgard Karwatzki, Pari. Staatssekretärin c) Beschlußempfehlung und Bericht des BMF 5628 B Ausschusses für Raumordnung, Bauwe- Dr. Uwe Küster SPD 5629 A sen und Städtebau zu dem Antrag der Abgeordneten Otto Reschke, Achim Dr. Michael Luther CDU/CSU 5630 B Großmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Neugestaltung Gunter Weißgerber SPD 5631 A der Wohneigentumsförderung Susanne Jaffke CDU/CSU 5631 D zu dem Antrag der Abgeordneten Die- Dr. Mathias Schubert SPD 5632 D ter Maaß (Herne), Achim Großmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- Arnulf Kriedner CDU/CSU 5633 B tion der SPD: Wohnungsbaugenossen- Ingrid Matthäus-Maier SPD 5634 B schaften stärken - Mitglieder steuer- lich fördern (Drucksachen 13/1501, 13/1644, 13/2771) 5607 B Zusatztagesordnungspunkt 16: Dr. , Parl. Staatssekretär Erste Beratung des von den Fraktionen BMF 5607 C der CDU/CSU und F.D.P. eingebrach- ten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Otto Reschke SPD 5608 D Änderung des Asylbewerberleistungs- gesetzes und anderer Gesetze (Druck- Hannelore Rönsch (Wiesbaden) CDU/CSU 5610 C sache 13/2746) 5635 B Klaus-Jürgen Warnick PDS 5611B CDU/CSU 5635 C Dr. Barbara Höll PDS 5611 D Brigitte Lange SPD 5636 C Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 III

Andrea Fischer (Berlin) BÜNDNIS 90/DIE Anlage 1 GRÜNEN 5638 A Liste der entschuldigten Abgeordneten 564 1 * A Cornelia Schmalz-Jacobsen F.D.P. . . 5639A

Dr. Heidi Knake-Werner PDS 5640 A Anlage 2

Nächste Sitzung 5640 D Amtliche Mitteilungen 564 1 * C

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65. Sitzung

Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Beginn: 9.00 Uhr

Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Meine Damen und gerade weil das Gesetz so wichtig ist, ist es notwen- Herren, die Sitzung ist eröffnet. dig, gründlich zu beraten. Erst am Mittwochabend zwischen 22 Uhr und 23 Uhr fanden mehr als Ich teile zunächst mit, daß der Ältestenrat in seiner 50 Einzelabstimmungen und die Schlußabstimmung gestrigen Sitzung vereinbart hat, daß in der kom- im federführenden Ausschuß statt. Über 20 Ände- menden Sitzungswoche wegen der Haushaltsbera- rungen am Regierungsentwurf wurden vorgenom- tungen keine Befragung der Bundesregierung, keine men. Ich denke, das zeugt eher von Schludrigkeit Fragestunden und keine Aktuellen Stunden stattfin- beim Einbringen des Gesetzes. den. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann werden wir so verfahren. Ein wichtiger Vorschlag - wichtig vor allen Dingen für die Betroffenen -, wie die Einbeziehung der Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen Haus- und Grundstückskäufe nach dem Sachen- wir über Geschäftsordnungsanträge abstimmen. rechtsbereinigungsgesetz, wurde mit der Begrün- Zwischen den Fraktionen und der Gruppe der PDS dung abgelehnt, daß die Zeit für die Beratung fehle. war vereinbart, den Tagesordnungspunkt 10 - zweite Der Gipfel allerdings ist die Formulierung eines und dritte Beratung des von der Bundesregierung Ermächtigungsparagraphen, wonach das Finanzmi- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neurege- nisterium nach der Verabschiedung des Gesetzes im lung der steuerrechtlichen Wohneigentumsförde- Bundestag noch beliebig am Gesetz herumarbeiten rung - heute nach der Debatte über die Bundeswehr darf. Da muß man sich schon fragen: Wer ist denn zu beraten, obwohl die Beschlußempfehlung des Fi- hier nun eigentlich der Gesetzgeber? nanzausschusses erst gestern abend verteilt wurde. Die Gruppe der PDS hat nun gestern nachmittag ihre Gravierende Fehler, wie sie u. a. beim Mietenüber- Zustimmung zu dieser Vereinbarung zurückgezogen leitungsgesetz passiert sind, also bei der Frage, ob und die Absetzung des Tagesordnungspunktes bean- nun Mietsteigerungen möglich sind und ob das bei tragt. Die Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. dem Vorhandensein von Bad und/oder Zentralhei- haben fristgerecht einen Antrag eingereicht, von der zung möglich ist, sind so eigentlich vorprogrammiert. Frist für den Beginn der Beratung abzuweichen. Die Folgen solcher Fehler in mit heißer Nadel ge- strickten Gesetzen sind, daß Tausende von Gerichts- Wird das Wort zur Geschäftsordnung gewünscht? - verfahren gegen Mieterinnen und Mieter in den Frau Enkelmann. neuen Bundesländern stattfinden.

Dr. Dagmar Enkelmann (PDS): Frau Präsidentin! Das Gesetz soll am 1. Januar 1996 in Kraft treten. Meine Damen und Herren! Gerade weil wir der Auf- Eine Vertagung heute auf die nächste Sitzungs- fassung sind, daß dieses Gesetz so wichtig ist, haben woche würde diesen Termin nicht gefährden. Ich wir zunächst Fristverzicht erklärt, und zwar vor der denke, wir tragen als Gesetzgeber durchaus Verant- abschließenden Beratung in den betreffenden Aus- wortung. Wir, die Abgeordneten des Bundestages, schüssen. In dieser Nacht, um 0.30 Uhr, ist dieses Pa- sind kein politisches Kasperletheater, bei dem die ket auf den Tischen der Fraktionen und der Gruppe Bundesregierung mit den Figuren spielt. Stimmen gelandet. Es kann keiner - ich denke: wirklich kei- Sie deshalb mit mir einer Vertagung zu. ner - hier sagen, daß es ausreichend in den Fraktio- (Beifall bei der PDS) nen und in der Gruppe beraten werden konnte.

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Herr Kollege Hör- CSU) ster. Es war nicht mehr möglich, Änderungsanträge, Ent- schließungsanträge usw. in der Gruppe bzw. in den Joachim Hörster (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Fraktionen ausreichend zu beraten. Deswegen ha- Meine Damen und Herren! Die Geschäftsführerkolle- ben wir den Fristverzicht zurückgezogen. Ich denke, gen von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und F.D.P. 5564 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Joachim Hörster haben mich gebeten, für uns alle dafür zu plädieren, bb) Bericht des Haushaltsausschusses den Antrag der PDS abzulehnen. (8. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- schäftsordnung (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) - Drucksache 13/2548 - Wir hatten in voller Kenntnis des Beratungsstandes vereinbart, dieses Gesetz heute zu verabschieden. Berichterstattung: Die Beratungsdauer hatte lediglich den Hintergrund, Abgeordnete Dietrich Austermann daß man dieses Gesetz auch bis in die letzten Ver- Jürgen Koppelin ästelungen gründlich beraten wollte. Daß noch zu- Ernst Kastning sätzliche Änderungsanträge aufgesetzt wurden, Frau Oswald Metzger Enkelmann, beruhte auf der Tatsache, daß das Bun- ZP12 Beratung des Antrags der Abgeordneten An- desfinanzministerium in wesentlichen Teilen Formu- drea Lederer, Heinrich Graf von Einsiedel, lierungshilfen geleistet hat, um Wünsche zu erfüllen, Dr. Willibald Jacob und der weiteren Abgeord- die im Ausschuß mit dem Ziel vorgetragen worden neten der PDS sind, das Gesetz noch besser und exakter zu machen. Abschaffung der Wehrpflicht Aus diesem Grunde ist Ihr Antrag, die Beratung heute abzusetzen, nichts anderes als Obstruktion. - Drucksache 13/580 — Denn wenn es Ihnen um die Sache gegangen wäre, Überweisungsvorschlag: hätten Sie diesen Gedanken sehr viel früher haben Verteidigungsausschuß (federführend) können. Der Beratungsstand war hinreichend klar. Auswärtiger Ausschuß Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, den Antrag Ausschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der PDS abzulehnen. ZP13 Beratung des Antrags der Abgeordneten Win- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) fried Nachtwei, Angelika Beer, Ch ristian Ster- zing und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es gibt keine weite- ren Wortmeldungen. Dann kommen wir zur Abstim- Fortsetzung der Bundeswehrreduzierung und mung. Verzicht auf Umstrukturierung der Bundes- wehr für weltweite Kampfeinsätze Zunächst stimmen wir über den Absetzungsantrag der PDS ab. Wer stimmt dafür, den Tagesordnungs- - Drucksache 13/2499 — punkt 10 abzusetzen? - Wer stimmt dagegen? - Ent- Überweisungsvorschlag: haltungen? - Damit ist der Absetzungsantrag mit den Verteidigungsausschuß (federführend) Stimmen der CDU/CSU, der F.D.P., der SPD und des Auswärtiger Ausschuß Rechtsausschuß BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN abgelehnt. Wer stimmt für den Antrag der Fraktionen der ZP14 Beratung der Beschlußempfehlung und des CDU/CSU und der F.D.P., von der F rist für den Be- Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- ginn der Beratung abzuweichen und den Gesetzent- schuß) zu dem Antrag der Abgeordneten der wurf heute in zweiter und dritter Beratung zu behan- PDS deln? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Kampfeinsätze der Bundeswehr Antrag ist mit der erforderlichen Mehrheit angenom- - Drucksachen 13/136, 13/1880 - men. Der Tagesordnungspunkt 10 wird nach der Aussprache zur Bundeswehr aufgerufen. Berichterstattung: Abgeordnete Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13a und b so- Karsten D. Voigt (Frankfurt) wie die Zusatzpunkte 12 bis 14 auf: Ludger Volmer Ulrich Irmer 13. a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregie- Andrea Lederer rung 40 Jahre Bundeswehr - 5 Jahre Ar- mee der Einheit Zum Wehrrechtsänderungsgesetz liegen ein Ände- rungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der b) Zweite und dritte Beratung des von der F.D.P., ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD Bundesregierung eingebrachten Entwurfs und ein Entschließungsantrag der Fraktion BÜND- eines Gesetzes zur Änderung wehrrechtli- NIS 90/DIE GRÜNEN vor. cher Vorschriften (Wehrrechtsänderungs- gesetz) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Aussprache im Anschluß an die - Drucksachen 13/1801, 13/2209 - Regierungserklärung drei Stunden vorgesehen. (Erste Beratung 47. Sitzung) Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Wir verfahren so. aa) Beschlußempfehlung und Be richt des Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung Verteidigungsausschusses hat der Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl. (12. Ausschuß) - Drucksache 13/2547 - Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler: Frau Präsidentin! Berichterstattung: Meine Damen und Herren! Wir danken heute der Abgeordnete Jürgen Augustinowitz Bundeswehr für ihre Leistungen im Dienste unserer Dieter Heistermann freiheitlichen Demokratie. Die Bundeswehr ist jetzt Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5565

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl 40 Jahre alt. Seit fünf Jahren dient sie als Armee der vier Einsichten leiten, die untrennbar zusammenge- Einheit. Unser Dank und unsere Anerkennung gel- hörten: ten ihr für den Beitrag, den sie in dieser Zeit für Frie- den und Freiheit geleistet hat. Ich spreche diesen Erstens. Die Bundesrepublik Deutschland konnte Dank im Namen vieler Mitbürger und Mitbürgerin- Freiheit und Sicherheit nicht aus eigener Kraft erhal- nen aus. ten und fördern; sie brauchte den Schutz anderer, al- len voran der Vereinigten Staaten von Amerika. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und der SPD) Zweitens. Um die Souveränität der Bundesrepu- Wir haben uns in diesem Jahr aus gutem Grund in blik Deutschland zu gewinnen, war ein aktiver Bei- vielen Diskussionen und auch in nachdenklichen Ge- trag zur Verteidigung des Westens notwendig. sprächen an das Ende des Zweiten Weltkriegs erin- nert. Die Bundesrepublik Deutschland hat seither - Drittens. Sicherheit für Deutschland und Sicherheit gemeinsam mit ihren Freunden und Pa rtnern in Eu- vor Deutschland - wie unsere Nachbarn es damals ropa und in Nordamerika - einen guten, einen erfolg- sahen -, dieser scheinbare Gegensatz der Nach- reichen Weg zurückgelegt. Und wir erinnern uns kriegspolitik konnte nur durch eine konsequente dankbar an die große Aufbauleistung in den vergan- Politik der Westintegration gelöst werden. genen 50 Jahren. Ein zusammenwachsendes, friedliches, stabiles Seit fünf Jahren ist Deutschland wiede rvereinigt. und prospe rierendes Westeuropa würde dann vier- Wir haben allen Grund zur Zuversicht, daß Friede tens auch eine Anziehungs- und Ausstrahlungskraft und Freiheit unserem Volk erhalten bleiben, wenn entfalten, die die Einheit ganz Europas und die Wie- wir den Willen haben, unsere Freiheit zu verteidigen. dervereinigung Deutschlands begünstigen müßte. Frieden und Freiheit bedingen einander; sie sind un- lösbar miteinander verbunden. Die Integration war fortan Ziel und Gestaltungs- prinzip deutscher Außen-, Sicherheits- und Verteidi- Vor 50 Jahren begann die längste Friedensperiode gungspolitik. Integration sollte Europa Frieden und der neueren deutschen Geschichte. Die Bundeswehr Freiheit sowie Deutschland die Einheit bringen. Der hatte und hat ihren eigenen, ganz wesentlichen An- Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur NATO teil an dieser Entwicklung. Ohne die Entscheidung am 5. Mai 1955 und die Aufstellung der Bundeswehr der Bundesrepublik Deutschland für die politische nur zehn Jahre nach Kriegsende waren ein histori- und militärische Integration in die westliche Ge- scher Schritt. Heute wissen wir: Es war der richtige meinschaft wäre all dies nicht denkbar gewesen. Wir Schritt. Die Geschichte hat Konrad Adenauer recht können stolz sein auf unsere Bundeswehr. Ihre Ein- gegeben. satzbereitschaft und ihr Ausbildungsstand finden hohe internationale Anerkennung. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so wie bei Abgeordneten der SPD) Am 12. November 1955 händigte der erste Bundes- minister der Verteidigung, Theodor Blank, den er- Die Bundeswehr ist die erste Wehrpflichtarmee ei- sten freiwilligen Soldaten der neuen Streitkräfte der ner Demokratie in Deutschland. Ihr Leitbild ist der Bundesrepublik Deutschland hier in Bonn ihre Er- Bürger in Uniform. Persönliche Freiheit, Menschen- nennungsurkunden aus. würde und Recht sind die Fundamente ihrer inneren Verfassung; sie bestimmen ihren Auftrag seit ihrer Gewaltige Schwierigkeiten waren zu überwinden. Gründung. Sie wurden rasch gemeistert. Insbesondere unter der Die Bundeswehr war Teil eines fundamentalen tatkräftigen Führung von Franz Josef Strauß wurden Neuanfangs - politisch und moralisch. Ihr Selbstver- der Aufbau und die Struktur der Bundeswehr in den ständnis und ihre Tradition sind ganz wesentlich ersten Jahren entscheidend vorangebracht. von den freiheitlichen Werten der deutschen Mili- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - tärgeschichte geprägt, wie sie sich etwa mit Namen Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Na! - Wei- von Reformern wie Schamhorst verbinden. Der tere Zurufe von der SPD und dem BÜND- Geist des deutschen Widerstands gegen die natio- NIS 90/DIE GRÜNEN) nalsozialistische Diktatur gehört ebenso zum ethi- schen Fundament, auf dem die Bundeswehr seit ih- - Sie werden doch wenigstens zugeben, daß Sie rer Gründung aufbaut. Ich nenne hier aus gutem heute hier nicht die Geschichte umschreiben kön- Grund vor allem die Männer und Frauen des nen; das ist es doch, was Sie wollen. - 20. Juli 1944. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und (Joseph Fischer [Frankfurt] [BUNDNIS 90/ der SPD) DIE GRÜNEN]: Nein, nein, wir wollten sie ergänzen!) Als im Jahr 1950 erste Überlegungen zu einem möglichen Beitrag Deutschlands zur Verteidigung - Warten Sie doch erst einmal ab, was jetzt kommt! Westeuropas angestellt wurden, stand die deutsche Dann haben Sie gleich Grund zum Klatschen. Politik noch ganz im Banne der Katastrophe, die der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg verur- (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ sacht hatten. Damals ließ sich Konrad Adenauer von DIE GRÜNEN]: Starfighter! HS 30!) 5566 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl - Sie waren nicht dabei. Sie waren in jenen Jahren 3. Oktober 1990 - ich finde, dies ist etwas, was alle auf Straßen und Plätzen und haben gegen die Frei- zur Kenntnis nehmen sollten - hat sich am Beispiel heit der Bundesrepublik Deutschland demonstriert. der Bundeswehr gezeigt, was erreichbar ist, wenn Deutsche aus Ost und West aufeinander zugehen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.- und sich mit Tatkraft und mit Offenheit im Umgang Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ miteinander einer gemeinsamen Aufgabe widmen. DIE GRÜNEN]: Es waren auch viele bei Ih Es waren große Anstrengungen nötig, um die Natio- nen nicht dabei, mein Lieber!) nale Volksarmee aufzulösen, ihre Einrichtungen und Leute Ihres Schlages haben gestern und heute kei- Geräte zu übernehmen und zugleich die Bundes- nen Beitrag zur Freiheit geleistet wehr in den neuen Ländern aufzubauen. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Noch wichtiger als diese Entscheidungen im mehr DIE GRÜNEN]: Wer hier einen Schlag technischen Bereich war es, die Aufgabe zu lösen, hat ... Sie haben völlig recht!) das menschliche Miteinander zu gestalten. Die Bun- deswehr hat Streitkräfte zusammengeführt, die ein- und werden dies sicherlich auch morgen nicht tun. mal verschiedenen Bündnissystemen angehört ha- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - ben. Die Integration von 11 000 ehemaligen Soldaten Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ der NVA in die Bundeswehr ist eine Leistung, die DIE GRÜNEN]: In der ersten Klasse waren historisch wohl einmalig ist; ich sage dies voller Re- wir schon dagegen! 1950!) spekt. - Herr Abgeordneter, das paßt heute gut: Sie sind (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- und bleiben ein Trittbrettfahrer der Geschichte, aber wie bei Abgeordneten der SPD) kein Gestalter. Die Bundeswehr muß sich heute auf vielfältige (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - neue Aufgaben einstellen. Dies erfordert eine Um- Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ gliederung, die sich zum Teil sehr schwierig gestal- DIE GRÜNEN]: Besser Trittbrett als Brett tet. Ich finde, daß auch diese Anstrengung in der Öf- vor dem Kopf! Das sage ich Ihnen!) fentlichkeit viel zu wenig gewürdigt wird. Denken wir an die Widerstände, auf die der notwendige Aber auch alle Nachfolger von Franz Josef Strauß Strukturwandel in anderen Bereichen unserer Ge- im Amt des Verteidigungsministers - ich denke, sellschaft stößt, so ist die Bereitschaft der Soldaten Frau Kollegin, jetzt werden Sie zufrieden sein -, Kai der Bundeswehr zum Umdenken alles andere als Uwe von Hassel, Gerhard Schröder, , selbstverständlich. - ihn nenne ich mit besonderer Sympa- thie -, , Manfred Wörner, Es ist im übrigen schon bemerkenswert - auch das und , haben einen entscheiden- gehört in diese Stunde -, daß gerade jetzt in vielen den Beitrag dazu geleistet, daß die Bundeswehr das Standorten in der Bundesrepublik Deutschland der wurde, was sie heute ist. Wir schulden allen herzli- Wirtschaftsfaktor Bundeswehr neu entdeckt wird. chen Dank. Ich kann mich noch gut an die vielen Proteste gegen Manöverschäden und vieles andere mehr erinnern. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und Diese neue Wertschätzung tut der Bundeswehr gut, der SPD) übrigens auch den alliierten Streitkräften. Meine Damen und Herren, mehr als acht Millionen Männer und Frauen haben in den vergangenen vier Jahrelang konnte ich beispielsweise in meiner Hei- Jahrzehnten in der Bundeswehr ihren Beitrag zur Si- mat die törichte Parole „Ami go home" an den Wän- cherung des Friedens und der Freiheit geleistet. den lesen. Jetzt schreiben mir zum Teil die gleichen Dazu gehören auch bereits über 200 000 Wehrpflich- Bürgermeister, die damals für diese Parole einstan- efe und fordern den Verbleib unse- tige aus den neuen Bundesländern, die in den letz- den, erbitterte B ri ten fünf Jahren ihren Dienst getan haben. rer Freunde und Partner. So ändern sich die Zeiten. Auch das gehört zum Bild der Gegenwart. Wenn ich die Leistungen der Angehörigen unserer Bundeswehr anspreche, dann will ich in diesen Dank (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ganz ausdrücklich deren Ehepartner und Kinder ein- Meine Damen und Herren, die existenzielle Bedro- beziehen. Ihnen wurden und werden oft große per- hung unseres Landes ist nach dem Ende von Ost- sönliche Opfer bei der Gestaltung des gemeinsamen West-Konflikt und Kaltem Krieg verschwunden. Die Lebensweges zugemutet. Auch dies verdient unse- internationale Lage hat sich in den letzten Jahren - ren besonderen Respekt und unsere besondere Aner- grundlegend, ja dramatisch verändert. Die interna- kennung. tionale Verantwortung Deutschlands ist nach der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so Wiedervereinigung gewachsen. wie bei Abgeordneten der SPD) Deutschland braucht auch weiterhin Streitkräfte, Meine Damen und Herren, unsere Streitkräfte ha- die zur Landesverteidigung befähigt bleiben. Sie ben im Einigungsprozeß Außergewöhnliches gelei- müssen aber auch im Bündnisrahmen zur Krisen- stet: im Zusammenführen der Sold aten und im Be- reaktion fähig sein und schließlich für die Völkerge- reich des sich neu entwickelnden Zusammenlebens meinschaft zur Verfügung stehen, wenn unsere Hilfe ebenso wie in der militärischen Integration. Seit dem geboten erscheint. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5567

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl Schon in der Vergangenheit - auch das gehört zur deure dieses Korps abwechseln und damit bedeu- Geschichte der letzten 40 Jahre - hat sich die Bun- tende Teile der Streitkräfte der jeweils anderen Na- deswehr in zahllosen Hilfseinsätzen und in neuen tion befehligen werden. Vor 40, vor 30 oder noch vor Einsätzen im Rahmen internationaler Friedensmissio- 20 Jahren hätten wir dies gemeinsam für unmöglich nen vielfach bewährt. Auf diese Tradition des Hel erachtet. Daß das nicht mehr unmöglich ist, ist eine fens kann die Bundeswehr in einer besonderen großartige Entwicklung, für die wir dankbar sind. Weise stolz sein. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- So hat sie bei Sturmfluten, Schneekatastrophen, wie bei Abgeordneten der SPD) Waldbränden, Hungersnöten, Erdbebenkatastro- phen und Überschwemmungen vielen Menschen Wie weit wir in Europa dabei fortgeschritten sind, Hilfe leisten können. Ich erinnere vor allem an die verdeutlicht auch die enge deutsch - französische Zu- Hilfsaktion während der Sturmflut im Februar 1962 sammenarbeit im Eurokorps, vor allem aber in der in der Küstenregion zwischen Hamburg und Bremen, deutsch-französischen Brigade. Ein weiteres Beispiel bei der rund 40 000 Soldaten der Bundeswehr im Ein- für die sich immer noch weiterentwickelnde militäri- satz waren. Unvergessen bleibt, wie damals die Bun- sche Zusammenarbeit im Bündnis ist die verstärkte deswehr den Menschen in Not Beistand geleistet hat. deutsch - amerikanische Integration auf Korpsebene. Mit all diesen nicht mehr rein national besetzten Stä- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und ben und Verbänden bringen wir gemeinsam mit un- der SPD) seren Partnern im Bündnis unseren festen Willen Zugleich unterstützt unsere Bundeswehr die Ver- zum Ausdruck, uns den sicherheitspolitischen Her- einten Nationen dabei, deren Aufgaben bei der Frie- ausforderungen unserer Zeit zu stellen. denssicherung zu erfüllen. Wesentlich ist, daß wir Vor allem die Vereinigung wichtiger Teile der unseren Bündnispartnern zur Seite stehen, wenn es deutschen Streitkräfte mit Einheiten europäischer darauf ankommt, bedrängten Menschen zu helfen Verbündeter weist weit in die Zukunft. Sie dient dem und dem Frieden zu dienen, so wie unsere Verbün- Ausbau der europäischen Verteidigungs - und Si- deten über vier Jahrzehnte für uns und unsere Si- cherheitsidentität, und sie stärkt zugleich den euro- cherheit und nicht zuletzt für die Freiheit Berlins ein- päischen Pfeiler in der Atlantischen Allianz. standen. Die enge Zusammenarbeit der Bundeswehr mit (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so Truppenteilen anderer Bündnispartner in gemeinsa- wie bei Abgeordneten der SPD) men Verbänden ist für die Männer und Frauen, die Die Soldaten unserer Partner zeigen im früheren hier zusammenarbeiten, zugleich, wie ich denke, Jugoslawien, was Solidarität bedeutet. Stellvertre- eine gute Chance der Begegnung. Hier können sich tend für sie alle nenne ich die Vereinigten Staaten Freundschaften zwischen Angehörigen verschiede- von Amerika, Frankreich, Großbritannien, die Nie- ner Nationen im Alltag bewähren. Man hat die derlande und Belgien. Das gilt auch für unsere italie- Chance, sich besser kennenzulernen. nischen Freunde, die auf ihrem eigenen Territorium einen wichtigen Beitrag leisten. Zugleich leistet die Bundeswehr im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden einen aktiven Beitrag Vor wenigen Monaten haben Bundesregierung zur Heranführung der Staaten Mittel-, Ost- und Süd- und Bundestag den Einsatz von Bundeswehreinhei- osteuropas an die Strukturen der Atlantischen Alli- ten zum Schutz und zur Unterstützung der schnellen anz. Die jüngsten gemeinsamen Manöver beispiels- Eingreiftruppe im früheren Jugoslawien beschlos- weise in Polen sind ein deutlicher Ausdruck für den sen. Unsere Soldatinnen und Soldaten erfüllen dort Geist der Verständigung und Zusammenarbeit, der eine Pflicht, die das vereinte Deutschland im Rahmen diese Länder mit der NATO verbindet. In diesem Zu- der Völkergemeinschaft wahrnimmt. Sie leisten da- sammenhang begrüße ich ausdrücklich auch die Pa- mit einen Dienst für uns alle, vor allem jedoch für die ten- und Partnerschaften zwischen grenznahen deut- ganz unmittelbar Betroffenen, für die leidenden schen Garnisonen und polnischen und tschechischen Menschen in dieser Region. Einheiten. Wir hoffen zuversichtlich, daß die sich jetzt bie- Meine Damen und Herren, wer als Soldat durch tende Chance zum Frieden genutzt wird. Mit dem Gelöbnis oder Eid bekundet, unserer Bundesrepu- Kabinettsbeschluß vom Dienstag dieser Woche zur blik Deutschland treu zu dienen und das Recht und Unterstützung der multinationalen Friedenstruppe die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidi- bei der Umsetzung einer künftigen Friedensverein- gen, der hat Anspruch auf die Unterstützung aller barung wollen wir dazu unseren Beitrag leisten. gesellschaftlichen Kräfte. Er hat Anspruch auf die - Unterstützung des ganzen Volkes. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir stehen heute vor vielfältigen sicherheitspolitischen (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und Herausforderungen. Diese können wir nur gemein- der SPD) sam mit unseren Partnern und Freunden bewältigen.

Jüngstes Beispiel ist die Gründung des Deutsch - Nie- Denn von ihm wird erwartet, daß er in letzter Konse- derländischen Korps vor gerade zwei Monaten. Wel- quenz bereit ist, Gefahren für Leib und Leben in chen Weg wir in diesen Jahrzehnten zurückgelegt Kauf zu nehmen. Gerade in diesen Tagen denken wir haben, veranschaulicht u. a. die Tatsache, daß deut- in Trauer an jene Soldaten, die in Ausübung ihres sche und niederländische Offiziere sich als Komman- dienstlichen Auftrags ihr Leben verloren haben. 5568 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl

Wir sollten niemals vergessen: Es ist die junge Ge- schaft und - fähigkeit verbürgen. Nur so können wir neration unseres Landes, die in der Bundeswehr ih- Frieden und Freiheit gemeinsam mit unseren Freun- ren Dienst tut. Aus der Sicht meiner Generation kann den und Partnern sichern und garantieren. ich sagen: Es ist die Armee unserer Söhne. Als ver- Wir können uns - ich glaube, das ist ein wichtiges antwortungsbewußte und engagierte Mitbürger stel- Bekenntnis von uns allen - auf diese Bundeswehr len sie sich für uns alle in eine besondere Pflicht. verlassen, eine Armee des Friedens, unsere Armee, Wehrpflicht ist und bleibt Ausdruck der Bürgerver- auf die wir stolz sein können. antwortung in einer freiheitlichen-demokratischen Grundordnung. Meine Damen und Herren, der (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Beifall bei der SPD) Wehrdienst ist die vom Grundgesetz vorgesehene Normalität. Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Es spricht jetzt der (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Fraktionsvorsitzende der SPD, Rudolf Scharping. Die Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissens- gründen ist die Ausnahme. Ich sage das so bewußt, Rudolf Scharping (SPD): Frau Präsidentin! Meine weil es manche im Lande gibt, die dies andersherum Damen und Herren! 40 Jahre Bundeswehr sind An- haben möchten. laß zum Dank, zum Dank an jene 8 Millionen Frauen Wer Rechte hat, hat auch Pflichten. Es gehört, wie und Männer, die in der Bundeswehr seit ihrer Grün- ich denke, zum Erziehungsauftrag unserer Bildungs- dung Dienst dafür geleistet haben, daß sich dieses einrichtungen, an diese einfache Wahrheit immer Land friedlich und freiheitlich entwickeln konnte. wieder zu erinnern. Überall kann davon mehr die (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Rede sein. F.D.P.) Ich füge ganz ausdrücklich hinzu: Ich habe großen 40 Jahre Bundeswehr sind auch Anlaß zur Aner- Respekt vor denen, die Ersatzdienst leisten. Diejeni- kennung, sowohl für die politischen Leistungen, die gen, die ihren Dienst in Krankenhäusern, auf Inten- mit ihrem Aufbau verbunden sind, wie auch für den sivstationen oder in Pflegeeinrichtungen für enormen Beitrag, den die Bundeswehr gemeinsam Schwerstbehinderte tun, verdienen ebenfalls unsere mit unseren Freunden und Verbündeten für die Si- Anerkennung. cherheit dieses Landes geleistet hat. (Beifall im ganzen Hause) (Beifall bei der SPD) Gleichwohl wiederhole ich: Der Wehrdienst ist der 40 Jahre Bundeswehr sind auch Anlaß zu einer kri- vom Grundgesetz, unserer Verfassung, vorgesehene tischen Bilanz. In diesem Sinne war es nach den Er- Regelfall. fahrungen der deutschen Geschichte nicht selbstver- Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich ständlich, daß eine demokratieverträgliche, besser wünsche mir für diese Wochen der Erinnerung an gesagt: eine demokratieunterstützende Institution 40 Jahre Bundeswehr, daß möglichst viele in unse- mit der Bundeswehr gefunden werden konnte. Im rem Land darüber nachdenken, welchen Weg wir in Unterschied zu früheren Epochen wurde mit der mili- diesen vier Jahrzehnten genommen hätten, wenn die taristischen Tradition durch den Aufbau der Bundes- Soldaten der Bundeswehr ihre Pflicht nicht erfüllt wehr gebrochen und die geschichtliche Hypothek hätten. aus der Nazizeit in eine angemessene Wehr- und Verteidigungspolitik umgesetzt. Konrad Adenauer hat anläßlich seines Appells vor den Soldaten der im Aufbau begriffenen Bundes- Mit ihrem verteidigungspolitischen Auftrag und wehr am 20. Januar 1956 in Andernach gesagt - ich mit ihrer verfassungsrechtlichen Verankerung, dem zitiere -: Konzept der Inneren Führung und dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform wurde der Bundeswehr ein Das deutsche Volk sieht in Ihnen die lebendige Fundament gegeben, das einer Demokratie ange- Verkörperung seines Willens, seinen Teil beizu- messen ist. tragen zur Verteidigung der Gemeinschaft freier Völker, der wir heute wieder mit gleichen Rech- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten und Pflichten wie die anderen angehören. ten der F.D.P.) Dieser unser Beitrag und die enge Zusammenar- Nicht nur der Primat der Politik, auch die Konzep- beit .mit unseren Verbündeten ... bedeuten für tion der Streitkräfte als Wehrpflichtarmee haben zur uns mehr als eine vertragliche Verpflichtung; sie gesellschaftlichen Offenheit und zur demokratischen - sind uns eine Herzenssache. Verankerung der Bundeswehr entscheidend beige- Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr - in tragen. Heer, Luftwaffe und Marine - haben ihren Einsatz- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- willen und ihre Leistungsfähigkeit in den letzten ten der F.D.P.) 40 Jahren immer wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Das persönliche Engagement aller Bundes- Deshalb ist auch der Dienst jener acht Millionen wehrangehörigen - der Männer und der Frauen, der Frauen und Männer in den Streitkräften oder in der Wehrpflichtigen, der Zeit- und Berufssoldaten, der Bundeswehrverwaltung wichtig für eine zivile Kul- Reservisten, der Beamten und der Arbeitnehmer - tur der Bundeswehr und zugleich eine entschei- wird auch in Zukunft die notwendige Einsatzbereit dende Basis ihrer Legitimation. Aus diesem Grund Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5569 Rudolf Scharping betonen wir auch für die Zukunft die Notwendigkeit, Es ist für die Sozialdemokraten aber auch wichtig, an der Wehrpflicht festzuhalten. darauf hinzuweisen, daß die Bundeswehr einen Bei- trag zur Überwindung der kulturellen Spaltung lei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne stet. Georg Leber hat bei der Festsitzung des Vertei- ten der CDU/CSU und der F.D.P.) digungsausschusses zu Recht auf die Bedeutung der Die große Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert die Wehrpflicht auch für die innere Einheit unseres Lan- Bundeswehr als ein notwendiges Instrument zur des hingewiesen und darauf, daß der gemeinsame Wahrung unserer äußeren Sicherheit. Wenn man Dienst von jungen Menschen aus den neuen und den über die historischen Weichenstellungen in der Ge- alten Bundesländern Verständigung miteinander schichte der Bundeswehr und der Bundesrepublik und Verständnis füreinander fördert. Deutschland redet, dann darf man die glücklichen Meine Damen und Herren, gerade weil die Bun- Umstände deutscher Außen- und Sicherheitspolitik deswehr in den 40 Jahren ihrer Existenz einen aner- nicht unerwähnt lassen. Die Aufnahme der Bundes- kannten Platz in unserem demokratischen Rechts- republik Deutschland in die Gemeinschaft der westli- staat gefunden hat, gerade weil sie auf eine freiheitli- chen Demokratien, die Westintegration der Bundes- che demokratische Verfassung gründet, konnte sie republik, bildete nicht nur einen stabilen äußeren auch einen guten Beitrag zur Fähigkeit unseres Lan- Rahmen für die Entwicklung einer demokratischen des, sich zu verteidigen, und zur Sicherheit unseres Gesellschaft, sondern sie hat gleichzeitig entschei- Landes, zur Integration in der NATO und zur Frie- dend den Aufbau und die Ausrichtung der Bundes- denssicherung leisten. Das ist, allen anderen aktuel- wehr geprägt als eine Armee im Bündnis. len Debatten und Meinungsverschiedenheiten zum Trotz, eine beispielhafte Leistung. Deshalb betonen wir: Die militärische Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in die NATO war (Beifall bei der SPD) und bleibt wesentlicher Bestandteil unserer Außen- politik, war wesentlicher Bestandteil der Aussöh- Die Sozialdemokratie hatte nicht immer - das will nung und ist jetzt ein festes Fundament dafür, daß ich genauso offen ansprechen - ein in der Politik hier aus Partnern auch Freunde geworden sind, zwischen und da zwischen Regierung und Opposition umstrit- denen Krieg nicht mehr denkbar ist. tenes, aber in den Grundsätzen so ungebrochenes Verhältnis zu Streitkräften. Das hat mit dem Charak- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ter der bewaffneten Macht im Kaiserreich und der ten der CDU/CSU und der F.D.P.) tradierten Rolle der Streitkräfte bis hinein in die Wei- marer Republik zu tun, das hat zu tun mit der Be- In diesen Rückblick auf 40 Jahre Bundeswehr fürchtung, die damals zu Recht bestand, daß Streit- schließen wir ausdrücklich die Würdigung der Arbeit kräfte im Innern eingesetzt und zugunsten autoritä- der Bundeswehr bei der Gestaltung einer gesamt- rer Kräfte mißbraucht werden könnten. Gleichwohl deutschen Streitmacht ein. Seit dem 3. Oktober 1990 war die Sozialdemokratie nie eine pazifistische Par- hat die Bundeswehr etwa 10 000 ehemalige Soldaten tei, sondern sie hat auch schon in der ersten Republik der NVA integriert. Das ist eine große Leistung, ihre Unterstützung von Streitkräften von der Exi- wenn man berücksichtigt, daß auch 200 000 Wehr- stenz eines kollektiven Sicherheitssystems und der pflichtige aus den östlichen Bundesländern mittler- Demokratisierung und Demokratieverträglichkeit weile Dienst in der Bundeswehr getan haben. der damaligen Wehrmacht abhängig gemacht, Wenn wir heute also von einer gesamtdeutschen (Beifall bei der SPD) Bundeswehr sprechen können, dann verbergen sich dahinter enorme Anpassungsleistungen, große An- Bedingungen, die leider nicht erfüllt waren. strengungen, Einsatzbereitschaft und auch Füh- rungsfähigkeit. Man darf dabei nicht vergessen, daß Vor dem Hintergrund des rassistischen Vernich- tungskrieges der Nationalsozialisten und der tiefen die Bundeswehr in ihrer gesamtdeutschen Dimen- sion aus einem tiefgreifenden Umstrukturierungspro- Spaltung Deutschlands nach 1945 hat die SPD am zeß hervorgegangen ist. Die Streitkräfte wurden von Beginn der zweiten Republik gegen die Wiederbe- waffnung etwa 600 000 auf 370 000 Soldaten reduziert, die zivi- gerungen. Das war aber, sorgfältig be- len Mitarbeiter von 230 000 auf etwa 160 000. In nur trachtet, eine Ablehnung, die nie aus pazifistischer vier Jahren wurden zudem 200 Standorte in den Verweigerung herrührte, sondern den internationa- westlichen Bundesländern geschlossen, in den östli- len Handlungsbedingungen geschuldet war. Denn chen Bundsländern 2 300 Standorte der NVA über- schon 1952 hat die Sozialdemokratie formuliert, daß nommen und weitgehend aufgelöst. sie gemeinsame Anstrengungen zur Sicherung des Friedens und der Verteidigung der Freiheit auch mit - Dieser Prozeß ist noch nicht abgeschlossen. Für die militärischen Mitteln befürwortet, wenn sie in die Be- Gegenwart und die nähere Zukunft gilt: Wir brau- mühungen um Wiedervereinigung und ein europä- chen einen stabilen Rahmen. Die bisher viermalige isches Sicherheitssystem, in die Gleichberechtigung Umstrukturierung der Bundeswehr und die noch im- der Teilnehmer an einem solchen System und in die mer nicht abgeschlossenen Maßnahmen signalisie- demokratisch-parlamentarische Kontrolle der Streit- ren, daß dem Einsatzwillen und der Bereitschaft der kräfte selbst eingebettet bleiben. Diese Bedingungen Soldatinnen und Soldaten ein zukunftsweisendes sind heute erfüllt. Deshalb fällt es uns nicht schwer, Konzept noch nicht gegenübersteht. sondern wir sind fest davon überzeugt, daß unter sol- chen Bedingungen Streitkräfte in einer Demokratie (Beifall bei der SPD) mit einer festen demokratischen Verankerung sinn- 5570 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Rudolf Scharping voll und angesichts der äußeren Bedingungen unse- mit bestimmten Beschaffungsvorhaben gemacht res Landes nach wie vor notwendig sind. hatte, dringend erforderlich war, (Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD) Neuordnung der Ausbildung und der Bildung der Ich erwähne, meine Damen und Herren, diese Ent- Soldaten, staatsbürgerlicher Unterricht, weibliche wicklung auch, um deutlich zu machen, daß die SPD Sanitätsoffiziere, Traditionserlaß. All das sind Stich- mit ihren Erfahrungen und auf ihnen aufbauend ei- worte für das demokratische Fundament und für so- nen richtungsweisenden Beitrag zum Aufbau der zialdemokratische Verteidigungspolitik; dies reicht Streitkräfte geleistet hat, von Streitkräften, die der bis hin zur Stärkung der Position des Vertrauensman- Freiheit und der Demokratie und dem Frieden glei- chermaßen verpflichtet sind. Denn unter der geisti- nes. gen Führung eines meiner Vorgänger, des, wie ich (Beifall bei der SPD) denke, nun wirklich bedeutenden Abgeordneten Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit Fritz Erler, begann die sozialdemokratische Opposi- dem Stichwort Traditionserlaß möchte ich hinzufü- tion, sich 1956 aktiv und prägend an der Ergänzung gen, daß es unredlich wäre, frühere Auseinanderset- des Grundgesetzes um die Wehrverfassung zu betei- zungen zu verschweigen. Es war nicht selbstver- ligen. Das fand auch auf der Seite der Angehörigen ständlich - auch bis heute ist es leider nicht selbstver- der Bundeswehr Respekt und Anerkennung. Ich will, ständlich -, daß man sich uneingeschränkt, wie es um ein Wort von Ulrich de Maizière aufzugreifen, richtig wäre und wie wir es fordern, auf die demokra- ganz deutlich sagen, daß diese parlamentarische tische, die verfassungsorientierte Tradition von Streit- große Koalition mit Fritz Erler und Richard Jaeger, kräften beruft. Es war damals und es ist leider auch mit dem wir manche Konflikte, manche Sträuße aus- heute hier und da noch notwendig, harte, zum Teil zufechten hatten, durch Regelungen wie Befehls- bittere Auseinandersetzungen um diese Orientie- und Kommandogewalt, allgemeine Wehrpflicht, In- rung zu führen; denn sie war weder in der Bundes- stitution des Wehrbeauftragten und die genannten wehr noch in ihrer politischen Führung in den 50er Elemente einen Aufbau der Bundeswehr ohne einen und 60er Jahren selbstverständlich. Die Auseinan- Verfassungskonflikt ermöglicht hat. dersetzungen um den Namen mancher Kaserne zei- gen, daß diese Orientierung auch heute noch nicht Unter dem Einfluß von Fritz Erler, der zusammen völlig selbstverständlich geworden ist. mit Georg Leber in der Kluft zwischen Armee und Arbeiterschaft eine - ich sage: eine - der Ursachen (Beifall bei der SPD, beim BÜNDNIS 90/DIE für das Scheitern der Weimarer Republik sah, hat GRÜNEN sowie des Abg. Heinrich Graf von sich die SPD zur Landesverteidigung bekannt und Einsiedel [PDS]) Konzept der inneren Führung als ein Markenzei- das Die Bundeswehr steht heute vor einer dritten gro- chen sozialdemokratischer Verteidigungspolitik im ßen Zäsur. Das Urteil des Bundesverfassungsgerich- Gegensatz zur alten Tradition des Kaiserreichs und tes vom 12. Juli 1994 beinhaltet zwei entscheidende der Weimarer Republik, von der Nazizeit gar nicht zu Festlegungen: Erstens ist neben dem Einsatz zur reden, durchgesetzt. Landes- und Bündnisverteidigung der Einsatz be- (Beifall bei der SPD) waffneter Streitkräfte auch im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit wie beispielsweise der Verein- Deshalb bleibt für uns der Satz „Der Soldat bleibt ten Nationen möglich. Zweitens ist die Bundesregie- auch in Uniform Staatsbürger" der Leitsatz für eine rung verpflichtet, für einen solchen Einsatz der Bun- moderne Stellung der Streitkräfte in der Demokratie. deswehr die konstitutive Zustimmung des Parla- ments einzuholen. Die Bundeswehr ist Parlaments- (Beifall bei der SPD) heer, und manchem Eindruck zum Trotz: Sie muß auch Parlamentsheer bleiben und darf nicht Instru- Meine Damen und Herren, wir haben uns längs die- ment alleine einer Regierung oder gar einer Partei ser grundsätzlichen Erwägungen und Überzeugun- werden. gen verhalten. (Beifall bei der SPD) Ohne die Verdienste anderer zu schmälern, will ich Deshalb sind wir der Auffassung, daß es ein Bun- doch sagen, daß die drei sozialdemokratischen Ver- deswehraufgabengesetz geben sollte, in dem Auf- teidigungsminister Helmut Schmidt, Georg Leber trag, Form und Ausmaß der parlamentarischen Mit- und Hans Apel sowie der damalige Wehrbeauftragte wirkung beim Einsatz der Streitkräfte geregelt wer- Karl Wilhelm Berkhan einen wesentlichen Anteil den. Das wäre eine sinnvolle und notwendige Er- daran haben, daß die Streitkräfte in Struktur und gänzung der guten Entwicklung der letzten Jahr- Ausrüstung, in Ausbildung und innerem Gefüge ein zehnte. modernes und der Gesellschaft angemessenes Ge- sicht erhielten. In jener Zeit wurde unter der Füh- Für Deutschland bleibt nämlich nicht nur die Ein- rung von und später von Helmut bettung in die NATO, sondern bleiben auch das poli- Schmidt die gesellschaftliche Integration der Bun- tische Engagement und die Präsenz der Vereinigten deswehr gefördert und vorangebracht. Dies geschah Staaten in Europa wesentlich. Ihre Präsenz und die in vielen Reformen, die auch heute noch tragfähig der anderen Freunde und Verbündeten hat diesem sind: Schaffung der Universitäten der Bundeswehr, Land erheblich geholfen in seiner äußeren Sicher- Einführung der Weißbücher, Reorganisation des Rü- heit, schließlich auch in der Gestaltung seiner staatli- stungsbereiches, die nach den Erfahrungen, die man chen Einheit. Allerdings, für die Zukunft wird eine Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5571

Rudolf Scharping Reform der NATO angesichts der großen Umbrüche heitspolitik, sondern auch gegenüber den Vereinten in den internationalen Beziehungen notwendig, und Nationen und ihrer Wirksamkeit, daß Entscheidun- sie muß mit dem Ziel betrieben werden, das transat- gen des Weltsicherheitsrates manchmal erst mit mo- lantische Bündnis aufrechtzuerhalten. natelanger Verzögerung durchgesetzt oder umge- setzt werden können. Auch deshalb wäre es gut, (Beifall bei der SPD) wenn Deutschland eine speziell ausgerüstete und Neben die Stärkung des Bündnisses muß die Stär- ausgebildete Truppe zur Verfügung stellte, die ein kung der Europäischen Union treten. Ich sage das rascheres Umsetzen von Entscheidungen des Weltsi- aus zwei Gründen. Wir sollten an der Maxime fest- cherheitsrates ermöglicht. halten, daß ein geeintes Deutschland auch der euro- (Beifall bei der SPD) päischen Einheit bedarf. Und wir sollten auch daran festhalten, daß die Sicherung und dauerhafte Stabili- Damit wird die Bedeutung der Vereinten Nationen tät für demokratische und friedliche Entwicklungen nicht gemindert, die ja im wesentlichen darin be- in Europa nicht allein abhängig sein können von der steht, zivile, globale, gemeinsame Entwicklung vor- Stärkung militärischer und auf Sicherheit orientierter anzubringen. Deshalb sage ich auch hier: Die sozial- Bündnisse, sondern genauso die wirtschaftliche, die demokratische Politik bleibt der Sicherung des Frie- soziale und kulturelle Verständigung und Integration dens, dem Willen zu weiterer Abrüstung, einer re- in Europa brauchen. striktiven Exportpolitik und der Solidarität und Ge- (Beifall bei der SPD) rechtigkeit gegenüber Partnern, gegenüber sozial Schwächeren und gegenüber späteren Generationen Also ist die mögliche Erweiterung beider Organisa- verpflichtet. tionen miteinander verbunden, und dabei wird zu berücksichtigen sein, daß kluge Außen- und Sicher- Wenn wir diesem Anspruch gerecht werden wol- heitspolitik immer Rußland an der Schaffung eines len, dann muß Deutschland mehr und solidarisch europäischen Sicherheitsraumes beteiligt und einbe- handeln, und dann darf das deutsche Handeln nicht zieht. reduziert werden auf hier und da notwendige, unver- (Beifall bei der SPD) meidliche, richtige Beiträge zur militärischen Siche- rung von Frieden, sondern dann muß der Schwer- Meine Damen und Herren, für den Westen Euro- punkt des deutschen Engagements in einer friedli- pas ist uns das gelungen, und die Sozialdemokratie chen Entwicklung, in gegenseitiger Hilfe und in der stimmt ausdrücklich zu, daß mit der Schaffung der Unterstützung von Schwächeren liegen. deutsch-französischen Brigade, aber auch durch das deutsch-niederländische Korps ein Beitrag zur euro- (Beifall bei der SPD) päischen Sicherheit und zur europäischen Ausrich- tung und Integration der Streitkräfte geleistet wird. Meine Damen und Herren, ich will mich zum Ende Allerdings, gerade der Krieg im ehemaligen Jugosla- meiner Bemerkungen namens der Sozialdemokrati- wien führt eindringlich vor Augen, daß eine Renatio- schen Partei Deutschlands bei den Angehörigen der nalisierung der Außenpolitik für diesen notwendigen Bundeswehr für ihren Dienst, der ein Dienst für den Prozeß kontraproduktiv ist. Frieden ist, bedanken, bei den Soldaten und Solda- tinnen im aktiven Dienst genauso wie bei den Reser- (Beifall bei der SPD) visten der Bundeswehr, bei den Vorgesetzten ge- nauso wie bei den Untergebenen. Ich betone: Unser Einheitliches außen- und sicherheitspolitisches Dank gilt insbesondere den Wehrpflichtigen, die ih- Handeln ist zwingend erforderlich, um in Europa ren Wehrdienst leisten, der heute nicht nur schwieri- Konflikte zu verhindern, sie zu begrenzen oder sie zu ger, sondern hier und da auch politisch schwieriger beenden, wenn der Ausbruch gewaltsamer Ausein- begründbar geworden ist. Dennoch bleibt die Wehr- andersetzungen nicht zu unterbinden war. Dabei pflicht das konstitutive Element einer in der Demo- kommt der politischen Einbettung der Verteidi- kratie verankerten Streitmacht. gungspolitik in eine Strategie der Prävention von Konflikten entscheidende Bedeutung zu. Und es (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- bleibt für die Zukunft auch dabei, daß politische, ten der CDU/CSU - Beifall des Abg. Hans- nicht militärische Lösungen im Vordergrund unseres Dietrich Genscher [F.D.P.]) Handelns stehen. Wir wollen nicht vergessen, den zivilen Mitarbeite- In diesem Zusammenhang ist es dann wichtig und rinnen und Mitarbeitern der Bundeswehr zu danken richtig zu betonen: Die SPD steht für Landes-, und und mit Trauer und Anerkennung auch jener 2 440 sie steht für Bündnisverteidigung. Die SPD hat wie- Männer zu gedenken, die im Dienst der Bundeswehr - derholt deutlich gemacht, daß sie es für außerordent- und für unser Land ihr Leben verloren haben. lich wünschenswert hält, daß Deutschland entspre- chend seinen Fähigkeiten die Vereinten Nationen Die Bundeswehr hat in den 40 Jahren ihres Be- bei der Friedensbewahrung, also beim Peacekeep- stehens eine verfassungsmäßig bewährte Aufgaben- ing, unterstützt. Die SPD plädiert in diesem Zusam- verteilung zwischen Streitkräften und ziviler Verwal- menhang für die Aufstellung einer speziell ausgerü- tung, zwischen militärischem Kommando und dem steten und ausgebildeten Truppe, die den Vereinten Primat der politischen Führung erfahren. Wir sagen Nationen zur Verfügung steht und im Rahmen ihrer also allen daran Beteiligten Dank und Anerkennung Aktivitäten eingesetzt wird. Wir halten es für einen und wünschen eine Zukunft in Frieden. Den Mitar- Fehler nicht nur der deutschen Außen- und Sicher beiterinnen und Mitarbeitern, den Soldatinnen und 5572 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Rudolf Scharping Soldaten wünschen wir Zufriedenheit in ihrem stern abend beim Zapfenstreich dabeigewesen wä- Dienst und persönlich eine gute Zukunft. ren? (Anhaltender Beifall bei der SPD - Beifall (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- bei Abgeordneten der F.D.P.) ordneten der F.D.P. - Rudolf Scharping [SPD]: Können Sie verstehen, daß ich nicht dazu da bin, Ihre Vermutungen zu demen- Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Als nächster tieren?) spricht der Kollege Paul Breuer. Es kommt ja, geschätzter Herr Kollege Scharping, nicht von ungefähr, daß solche Vermutungen immer Paul Breuer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine direkt aufkommen. Ich habe gestern abend - und ich Damen und Herren! 40 Jahre Bundeswehr und fünf war nicht alleine damit - bei den Demonstranten Jahre Armee der Einheit, zwei Anlässe, die Grund auch Juso-Fahnen sehen müssen. genug dafür sind, die Leistungen der aktiven und ausgeschiedenen Soldaten und der Zivilbediensteten (Beifall bei der PDS - Günter Verheugen der Bundeswehr zu würdigen. Es geht darum, dank- [SPD]: In diesem Land herrscht Meinungs- bar dafür zu sein, daß die Geschichte der Bundes- freiheit!) wehr eine Erfolgsgeschichte sein konnte. Ich glaube nicht, daß do rt irgend jemand Fremdes die Fahne der Jungsozialisten in der SPD mißbraucht (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. hat, sondern daß es Jungsozialisten gewesen sind. Dr. [F.D.P.]) (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Burkhard 40 Jahre Frieden und Freiheit für die Menschen im Hirsch) Westen Deutschlands, fünf Jahre Freiheit für alle Deutschen. Dies ist mit ein Verdienst der Bundes- Auf der anderen Seite, Herr Kollege Scharping, wehr. kenne ich natürlich sehr geschätzte Kollegen Ihrer Fraktion, die für die Bundeswehr eintreten und viel (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Gutes tun. Es ist notwendig, daß nicht nur Sie, Herr Meine Damen und Herren, dieser Weg der Bun- Scharping, sich darum bemühen, sondern daß die deswehr war nicht selbstverständlich. Am Anfang SPD sich insgesamt darum bemüht, diese Wider- der Diskussion um die Wiederbewaffnung, in den sprüchlichkeit in Ihrer Partei zu beseitigen. 50er Jahren, standen tiefe Meinungsverschiedenhei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ten in unserem Volk einander gegenüber. Es wurde ordneten der F.D.P.) sehr emotional über die Frage gestritten, wie diese erste deutsche Bürgerarmee in der Demokratie ver- Wenn wir über die Geschichte der Bundeswehr re- faßt sein werde. den, liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsiden- tin - - In dieser Debatte ist schon darauf hingewiesen (Heiterkeit) worden, daß Scharnhorsts Aussage „Der Bürger in Waffen und die allgemeine Wehrpflicht untermauern - Entschuldigung, Herr Präsident, dies ist nicht mir den Willen des Volkes, Freiheit durch Mitverantwor- als erstem passiert, daß man, weil hier keine Rück- tung zu verteidigen", für das Leitbild des Staatsbür- spiegel eingebaut sind, den Präsidentenwechsel gers in Uniform Pate stand. Es war aber hart umstrit- nicht zur Kenntnis nehmen kann. ten. Dieses Leitbild des Staatsbürgers in Uniform hat (Walter Kolbow [SPD]: Das fühlt man, Herr sich bis heute bewährt. In der damaligen Zeit, in den Kollege!) 50er Jahren, wurde darüber gestritten, meine Damen und Herren, wie groß der Beitrag des einzelnen sein Meine Damen und Herren, die Aufstellung der konnte. „Ohne mich" war eine Parole, die es damals Bundeswehr stand von Anfang an im Zusammen- gab, und diese Parole ist - das muß im Hinblick auf hang mit dem Wunsch der Deutschen im freien Teil manche Diskussionen über die allgemeine Wehr- Deutschlands nach Souveränität und nach Wieder- pflicht leider gesagt werden - heute wieder in unse- vereinigung. So stellte Konrad Adenauer 1952 fest: rer Bevölkerung vorhanden. „Nur die Beteiligung an einer integrierten westlichen Streitmacht gewährleistet die Sicherheit Deutsch- (Zurufe von der CDU/CSU: Sehr richtig!) lands und bereitet den Weg zur Wiedervereinigung." Adenauer erfuhr damals zum Teil herbste Kritik. Ihm Bei aller Verankerung der Bundeswehr in der deut- wurde der Vorwurf gemacht, durch das klare Einbin- schen Bevölkerung, die groß ist, ist dies ein Punkt, den der damaligen Bundesrepublik in das westliche der unsere Aufmerksamkeit stärker verdient. Bündnis eine Politik, die gegen die Einheit gerichtet Meine Damen und Herren, in diesem Zusammen- sei, zu betreiben. Er hat mit seiner Vision recht behal- hang will ich mich auch auf die Debatten der letzten ten, und der 3. Oktober 1990, der Tag der deutschen Tage beziehen. Herr Scharping, jeder von uns hat Einheit, hat ihn eindrucksvoll bestätigt. Probleme mit seinem Terminkalender. Es steht mir (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) überhaupt nicht zu, über den Ihren zu urteilen. Aber meinen Sie im nachhinein nicht auch, daß manche Wichtig, meine Damen und Herren, ist die Feststel- Vermutungen und Verwirrungen der letzten Stunden lung, daß an der Schwelle, am Anfang der Aufstel- und Tage vermeidbar gewesen wären, wenn Sie ge- lung der Bundeswehr, das Streben nach Souveränität Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5573

Paul Breuer und das Streben nach Integration und Kooperation Aber wir haben es durch gemeinsame Anstrengun- stand. Die Bundeswehr hat mit ihrem Leitbild des gen der Regierungen, durch gemeinsame Anstren- Staatsbürgers in Uniform, das dem Soldaten prinzipi- gungen des Parlaments, durch gemeinsame Anstren- ell die gleichen Rechte wie den zivilen Bürgern gibt, gungen in der Bundeswehr geschafft, derartig Dane- einen neuen Meilenstein in der deutschen Wehrge- bengegangenes zu überwinden und trotzdem zu ei- schichte gesetzt. Mit dem unpolitischen Soldaten der nem großen Erfolg zu kommen. An dieser Stelle darf Reichswehr, der nicht einmal wählen durfte, haben ich insbesondere den Wehrbeauftragten des Deut- wir in der Bundeswehr Schluß gemacht. schen Bundestages aus den letzten Jahrzehnten und auch unserer heutigen Wehrbeauftragten Claire (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Marienfeld herzlich für ihre Arbeit danken. Es gibt natürlich in der deutschen Wehrverfassung (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- viel mehr an Neuem, was von Ihnen, Herr Fischer, wie bei Abgeordneten der SPD) wenn ich mich denn mit Leuten Ihrer Prägung aus- einandersetze, zum Teil gar nicht zur Kenntnis ge- Die Bundeswehr war von Beginn an eine Bündnis- nommen wird. armee, was ja im Hinblick auf die deutsche Ge- schichte nicht selbstverständlich war, die wie ein (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Krater zu Beginn der 50er Jahre die Aufstellung der DIE GRÜNEN]: Ich habe schon einen Helm neuen deutschen Streitkräfte belastete. Eine große auf!) Hürde des Mißtrauens mußte von den deutschen Sol- Wenn ich die Vorwürfe von Militarismus höre und daten in dieser neuen Armee überwunden werden. die Soldaten der Bundeswehr in der Eingebunden- heit in unser friedliebendes Volk und die deutsche Vizepräsident Dr. : Herr Kollege Wehrverfassung sehe, dann ist es beschämend, daß Breuer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- Ihre Leute gestern abend als Demonstranten vor den gen Köhne? Gattern standen und „Mörder! Mörder! " riefen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Paul Breuer (CDU/CSU): Bitte sehr. Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Meine Güte, Herr Breuer, wer in die Öffentlichkeit geht, muß mit Pro Rolf Köhne (PDS): Herr Kollege, Sie haben eben test rechnen! Ich bitte Sie! Wir sind in einer von Menschenführung gesprochen. Was halten Sie Demokratie, da darf der Zapfenstreich wie von der Menschenführung der Feldjägertruppe, die die Gegendemonstration stattfinden!) in ihrem Schlachtruf „Knüppel frei" zum Ausdruck gekommen ist? Es ist beschämend, Herr Fischer. (Widerspruch bei der CDU/CSU und der (Bundesminister Dr. Theodor Waigel: Sie F.D.P.) sind eine Fraktion von Schreihälsen! - Jo- seph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Helm ab zum Gebet! - Weitere Paul Breuer (CDU/CSU): Ich weiß nicht, woher Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ihre profunde Kenntnis der Feldjägertruppe stammt. - Brüllen Sie sich hier ruhig aus. (Rolf Köhne [PDS]: Ich war Mitglied dieser Truppe!) Ich will mich gar nicht allzu lange mit der grünen Bürgermeisterin der Stadt Bonn beschäftigen. Ich bestreite, daß es bei den Feldjägern in der Bun- deswehr üblich ist, sich mit derartigen Parolen im (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ täglichen Dienst zu beschäftigen. DIE GRÜNEN]: Doch, tun Sie das!) (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Ty- Aber eines ist mir in den letzten Tagen noch einmal pisch PDS!) deutlich geworden. Es ist schon bezeichnend, Herr Kollege, daß Ihnen in Das, was Sie in den letzten Wochen versucht ha- einer solchen Debatte, in der es darum geht, den Sol- ben - der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und daten für 40 Jahre Frieden und Freiheit Dank zu sa- dieser Partei einen staatstragenden Anstrich zu ge- gen, nichts Besseres als eine derartige Parole einfällt. ben, auch im Hinblick auf internationale Verantwor- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) tung -, das ist in den letzten Tagen und auch gestern - abend absolut gescheitert. Mit der Wiedervereinigung unseres Volkes, meine (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Damen und Herren, stand nicht nur unser ganzes Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Volk, sondern insbesondere auch die Bundeswehr DIE GRÜNEN]: O nein!) vor einer großen Herausforderung. Gerade dort, wo die Gräben der deutschen Teilung und der Spaltung Meine Damen und Herren, die Bundeswehr hat in am tiefsten waren, dort, wo man in der ehemaligen der Menschenführung Erfolg gehabt, aber sie hat na- NVA durch eine gezielte Erziehung zum Haß ver- türlich auch Rückschläge erlitten. Für einen Rück- sucht hatte, die Menschen gegeneinander aufzubrin- schlag steht nach wie vor der Name eines sehr schö- gen, gerade dort mußte es gelingen, sehr schnell zu- nen Ortes in Baden-Württemberg, nämlich Nagold. einanderzukommen. Wir können heute dankbar fest- 5574 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Paul Breuer stellen, daß dies mit der Bundeswehr und in der Bun- Ich habe mich dabei sehr unwohl gefühlt. Das war deswehr sehr schnell gelungen ist. gestern abend beschämend.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ordneten der F.D.P.) Wir sollten alle Anstrengungen unternehmen, damit Das stand ja in keinem Regiebuch. Genausowenig das geändert werden kann. wie es in einem politischen Regiebuch stand, wie die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - deutsche Einheit hergestellt werden konnte, stand es [PDS]: Wie im Dritten in keiner Vorschrift der Bundeswehr, in welcher Art Reich! Da wurde das auch geändert!) und Weise mit deutschen Soldaten, die aus der ehe- maligen NVA in die Bundeswehr integriert werden - Hören Sie doch auf, Herr Kollege. Als Mensch auf sollten und mußten, umzugehen war. Es waren viel- dem Weg in der Geschichte kann man sich täuschen. fach schwierige menschliche Begegnungen, die dort Das kann jedem passieren und ist vielen passiert. stattfanden. Das wird den Kollegen, die die NVA aus Aber wenn man sich täuscht und es dann, wenn die der Wendezeit kennen, noch gut in Erinnerung sein. Zeiten sich ändern, nicht zugibt und immer noch die Ich sage noch einmal herzlichen Dank an Rainer alten Platten abspielt, so wie Sie das tun, dann ist das Eppelmann, den Abrüstungs- und Verteidigungsmi- nicht in Ordnung. Das muß deutlich gesagt werden. nister der DDR in der ersten frei gewählten Regie- rung. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) Ich will noch einmal auf gestern abend eingehen. (Joseph Fischer [Frankfu rt] [BÜNDNIS 90/ Es war für uns schon eine ganz besondere Erfahrung DIE GRÜNEN]: Das muß ja wirklich ein und Situation, diesen Menschen, die zum Teil auch prägendes Erlebnis gewesen sein!) mißbraucht worden sind, zu begegnen und ihre Fra- gen zu hören und zu sehen, daß sie damals in eine - Ja, das war ein großes Erlebnis. Schade, daß Sie ungewisse Zukunft gingen. nicht dabei waren. Nur, man hätte dann befürchten müssen, daß Sie sich auch dort danebenbenehmen, Ich stelle heute fest: Wir haben aus dieser ungewis- Herr Kollege Fischer. sen Zukunft für viele in der Bundeswehr eine gute Zukunft auf dem Boden unserer freien Verfassung in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - unserem freien Bündnis gemacht. Das ist eine tolle Joseph Fischer [Frankfurt)] [BÜNDNIS 90/ Sache, meine Damen und Herren. DIE GRÜNEN]): Da haben Sie mal keine Sorgen!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge ordneten der F.D.P.) Vor uns stand gestern die Präsidentin des Bundes- verfassungsgerichts. Ich und andere auch hatten Ge- Die deutsche Einheit hat uns insgesamt stark her- legenheit, sie bei ihrer Reaktion auf diese beschä- ausgefordert, nicht zuletzt auch finanziell. Besser ge- menden Rufe zu beobachten. sagt: Das Wegräumen der Trümmer des Sozialismus (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: hat uns so herausgeforde rt, auch die Bundeswehr. Die letzten Jahre waren oftmals dadurch geprägt, Nicht petzen!) daß in der Bundeswehr an allen Ecken und Kanten Ich hoffe, daß dieses Erlebnis von gestern abend ein gespart werden muß. Ich denke, wir, Bundeswehr Stück mit dazu beigetragen hat, daß eine Änderung und Politik, haben es geschafft, die Einsatzfähigkeit in dieser Beziehung erfolgen kann. trotzdem zu bewahren. Aber es gibt auf dem harten Weg des Sparens, Umstrukturierens und Rationalisie- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rens noch große Herausforderungen. Wir haben ordneten der F.D.P. - Joseph Fischer keine Mark zuviel. Es lohnt, den Schweiß der Edlen [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zu vergießen, um die neuen Strukturen in der Bun- Das muß ja furchtbar gewesen sein!) deswehr, die natürlich immer mit menschlichen Her- ausforderungen befrachtet sind, aufzubauen. Dafür Ich will jetzt noch eines feststellen - mich animie- braucht die Bundeswehr unsere Begleitung und un- ren diese Zwischenrufe natürlich ganz besonders: sere Unterstützung. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ - DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt eine Anti Ich weiß nicht, wie es Ihnen gestern abend gegan- Schock-Therapie!) gen ist. Was geht in den Köpfen von deutschen Sol- daten vor, die der freiheitlichsten Demokratie dienen, Was die deutschen Soldaten tun, das tun sie in unse- die es auf deutschem Boden je gegeben hat, wenn rem Auftrag. Das beschließt das deutsche Parlament. sie ertragen müssen, daß die Chaoten dort „Mörder! Es gibt den Primat der Politik. Wer „Mörder! Mör- Mörder!" schreien und der freiheitlichste Rechtsstaat der!" ruft, der beleidigt nicht nur die Soldaten, son- nicht in der Lage ist, das zu unterbinden. dern insbesondere auch das freigewählte Parlament der Bundesrepublik Deutschland. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so wie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5575

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege tiert worden ist, nämlich das Recht auf Demonstra- Breuer, Sie müssen zum Abschluß Ihrer Ausführun- tionsfreiheit und freie Meinungsäußerung, hochge- gen kommen. halten und die Demonstrantinnen und Demonstran- ten gestern abend begrüßt hat. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich bete jeden Abend für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die unterdrückten Seelen! Jeden Abend schließe ich sie in meine Gebete ein! Ich bin Ich möchte aber trotzdem feststellen, daß die Diffa- halt christlicher als Sie!) mierungen im Vorfeld und das Bedrohungsszenario, das aufgebaut worden ist, weil versucht werden sollte, diesen pompösen Zapfenstreich, der einer Paul Breuer (CDU/CSU): Meine Damen und Her- ganz schlechten militaristischen preußischen und ren, lassen Sie uns gemeinsam die Bundeswehr, die dann auch deutschen Tradition entstammt, zu verhin- jungen Menschen in unserem Lande, die wir als dern, mich an die Diffamierung der Friedensbewe- Wehrpflichtige in der Zukunft benötigen, auf ihrem gung damals erinnern. Wir, die wir gestern abend Weg für eine freiheitliche Demokratie in diesem dort gestanden haben - ich rede nicht von denen, die Lande und in einem freiheitlichen Europa unterstüt- zen! „Mörder" geschrieen haben; ich halte davon über- haupt nichts und weise das zurück-, Herzlichen Dank. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU - SES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ger- Beifall bei der F.D.P.) hard Zwerenz [PDS]) waren dort, weil wir zu der Tradition der Friedens- Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile das bewegung stehen, die von diesem Platz, dem Hofgar- Wort der Abgeordneten Angelika Beer. ten, 1981 und auch danach weltweit Signale gegen die atomare Aufrüstung, gegen die Militarisierung Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr gesendet hat, und sie heute mit einem demokrati- Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr schen und friedensbewegten Protest verteidigen. geehrter Herr Dr. Kohl, Sie haben sich gestern einen wahrscheinlich lang gehegten Wunsch mit der Insze- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nierung des Großen Zapfenstreichs anläßlich des sowie bei Abgeordneten der PDS) 40. Jahrestages der Bundeswehr erfüllt. Im Bonner Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben Hofgarten haben Sie sich im Mittelpunkt des Fackel- heute in die Diskussion zum vierzigjährigen Be- scheins postiert. stehen der Bundeswehr einen Antrag eingebracht, in (Zuruf von der CDU/CSU: So ein Quatsch!) dem wir die weitere drastische Reduzierung der Bun- deswehr fordern und uns dafür einsetzen, die jetzt Mit einem Riesenaufgebot an Polizisten und einem stattfindende Umrüstung zu einer Armee, die auf faktischen Ausnahmezustand am gestrigen Nachmit- mögliche weltweite Kampfeinsätze vorbereitet wird, tag und Abend in der Bonner Innenstadt zu beenden. Wir werden heute gegen den Antrag auf (Zuruf von der CDU/CSU: Wieso denn? We Reduzierung der Wehrdienstzeit auf zehn Monate gen Ihnen! - Christian Schmidt [Fürth] stimmen, nicht weil wir gegen die Reduzierung sind, [CDU/CSU]: „Haltet den Dieb!" ruft der sondern weil wir für die Abschaffung der Wehr- Brandstifter!) pflicht sind, weil wir meinen, daß jede Art von Zwangsdienst beendet werden muß. haben Sie die Rahmenbedingungen geschaffen, um Ihr Bekenntnis zur Remilitarisierung Deutschlands Wir würdigen die Leistungen der Zivildienst- nach dem Zweiten Weltkrieg leistenden - die Sie, Herr Scharping, heute nicht ein- mal mit einem Satz erwähnt haben -, (Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der F.D.P.) (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Doch!) und Ihr Bekenntnis zum Zwangsdienst zu vertreten. aber wir meinen, daß dies kein Zwang sein darf. Wir (Zuruf von der F.D.P.: Da klatscht nicht mal sind für freiwillige zivile Dienstleistungen. Die j Herr Fischer! - Günther Friedrich Nolting gen Leute dürfen nicht unter Zwang - und dann auch noch mit Ungleichberechtigungen - eingezo- [F.D.P.]: Was sagt Herr Fischer dazu?) gen werden. - Wir Grünen haben nach ausführlicher Diskussion, in der es einzelne durchaus lesenswerte Stellungnah- In Richtung von Frau Ministerin Nolte, aber auch men gab, Ihre Einladung zur Teilnahme an diesem der F.D.P., die heute sicherlich noch die Gelegenheit Zapfenstreich abgelehnt. Ich freue mich ganz beson- nutzen wird, endlich die Einbeziehung der Frauen in ders, daß die grüne Oberbürgermeisterin in Bonn die Bundeswehr hier einzufordern, (Widerspruch bei der SPD) (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Richtig, woher wissen Sie das?) sämtlichen Diffamierungsversuchen im Vorfeld wi derstanden hat und ein Grundrecht der freien, demo sage ich: Dieser fehlverstandene Feminismus und kratischen Grundordnung, das heute so oft schon zi diese fehlverstandene Emanzipation treffen auf unse- 5576 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Angelika Beer ren massiven Widerstand, aber nicht nur auf unse- higkeit umzuhängen versucht. Für diese Unfähigkeit ren, sondern auch auf den der Gesellschaft. sind Sie verantwortlich, weil unsere finanziellen Res- sourcen verschwendet werden, um Riesenprojekte (Günther Fried rich Nolting [F.D.P.]: Da soll wie den Jäger 90 zu finanzieren und Krisenreaktions- ten Sie sich einmal Umfragen ansehen, Frau kräfte auszurüsten, während der UNO und auch der Kollegin!) OSZE nicht genügend Geld zur Verfügung gestellt Frau Ministerin Nolte, Sie haben gestern betont, ge- wird. rade die Frauen hätten einen wesentlichen Anteil am Ich möchte das Wort - auch heute oft gebraucht - Aufbau der Bundeswehr. Das ist aus meiner Sicht ein „Bündnisfähigkeit" erwähnen. Bündnisfähigkeit Schlag ins Gesicht der Trümmerfrauen, die die Trüm- wird uminterpretiert. Die Möglichkeit der einseitigen mer des Faschismus in Deutschland weggeräumt ha- Abrüstung - das darf man heute schon gar nicht ben. mehr benennen - wird als Gefahr eines Weges in die (Beifall des Abg. Heinrich Graf von Isolierung der deutschen Außenpolitik und als Ge- Einsiedel [PDS]) fahr eines deutschen Sonderweges diffamiert. Diese Wortwahl ist typisch für den demagogischen Diskus- Diese Frauen haben einen wichtigen Anteil an einer sionsmarathon der letzten Wochen. „Sonderweg" ist antimilitaristischen und friedlichen Grundüberzeu- die Bezeichnung für den preußischen und deutschen gung in unserer Gesellschaft. Militarismus, der in diesem Jahrhundert zu den zwei Weltkriegen und zum deutschen Nazismus geführt Nun sind es wahrscheinlich gerade diese Grund- hat. Wenn sich jemand in diese Tradition stellt, dann überzeugungen, die durch die Strategien der Bun- sind es nicht die Abrüstungsbefürworter, sondern desregierung scheibchenweise revidiert werden sol- diejenigen, die gestern den Großen Zapfenstreich len. Das, was uns heute so schön unter „militärischer abgehalten haben. Handlungsbereitschaft", „Verantwortung der Bun- deswehr" , „Souveränität Deutschlands" und „inter- (Beifall des Abg. Heinrich Graf von nationalen Verpflichtungen" verkauft wird, ist nichts Einsiedel [PDS]) anderes als das, was im Rahmen dieser Krisenreakti- onskräfte konstruiert wird: Sondereinheiten, Füh- Wir möchten - auch mit unserem Antrag - darauf rungszentren, die schon in Richtung Generalstab ge- hinweisen, daß noch Zeit für eine Kurskorrektur der hen, und weltweite Kampfeinsätze. Unter diesen deutschen Außenpolitik ist. Wir möchten deutlich Voraussetzungen werden rigide Jubelveranstaltun- machen, daß es einen finanziellen, vor allen Dingen gen zum Geburtstag der Bundeswehr durchgezogen. aber den politischen Spielraum gibt - wenn der Wille vorhanden ist; ich sage das gerade im Blick auf die Wer als Soldat durch Gelöbnis oder Eid bekundet jetzigen Konflikte und die sich anbahnenden Kon- hat, unserer Bundesrepublik Deutschland treu zu flikte in Europa, aber auch darüber hinaus -, die zivi- dienen und das Recht auf Freiheit des deutschen Vol- len Strukturen endlich mit den Mechanismen der kes tapfer zu verteidigen, der braucht in der Tat die frühzeitigen Konfliktlösung zu versehen und diese Unterstützung aller gesellschaftlichen und demokra- Mechanismen auch zum Einsatz zu bringen. tischen Kräfte: um sein Grundrecht auf Verweige- rung durchzusetzen, und sei es nachträglich, wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) er für eine Politik der nationalen Interessendurch- setzung mißbraucht wird. Ich spreche von der Stärkung der OSZE, von der Stärkung der Vereinten Nationen, von der Stärkung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN konfliktschlichtender Blauhelmkonzeptionen und und bei der PDS - Günther Friedrich Nol- der Verantwortung der Vereinten Nationen und nicht ting [F.D.P.]: Wo bin ich hier eigentlich? - von „peace enforcement" oder „peace implementa- Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Wer wird hier tion" , die zur Zeit dauernd in den Vordergrund ge- mißbraucht? - Siegfried Hornung [CDU/ drängt werden. CSU]: Wo wird denn jemand mißbraucht?) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Symptomatisch sind die Verstärkung der militäri- schen Komponenten der Außenpolitik, die Demon- Diese zivilen Strukturen sind in unserer Gesell- tage des Blauhelmkonzeptes der Vereinten Natio- schaft mehrheitlich gewollt. Das zeigen nicht nur die nen. Umfragen; das zeigen auch die Wahlergebnisse. Schauen Sie sich doch an, woher Sie Ihre Wähler- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Der Kol stimmen bekommen. Wer von den Jugendlichen un- lege Fischer ist seltsamerweise sehr ruhig!) ter 20 Jahren teilt denn Ihre Vorstellungen von der - Hier sind Sie, Herr Rühe, federführend. Sie haben Bundeswehr? Diese Jugendlichen haben die Cou- z. B. im „Spiegel" gesagt: Nie wieder Blauhelme al- rage, zu verweigern und Zivildienst zu leisten. Für leine; die Grünhelme müssen immer dabeisein, da- sie treten wir ein, wenn wir die Abschaffung der mit man sich notfalls wirksam schützen und durch- Wehrpflicht fordern. setzen kann. - Sie sind derjenige, der das Konzept (Zuruf von der F.D.P.: Das Protokoll Ihrer einer vernünftigen Peace-keeping-Operation, die wir Rede werden wir in der Bundeswehr vertei- durchaus für richtig halten, abbaut und zu militarisie- len!) ren versucht, der alleine der NATO die Entschei- dungsbefugnis zu Kampfeinsätzen zugestehen will Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bin über- und der UNO das Mäntelchen der politischen Unfä zeugt, daß der Große Zapfenstreich dem Ziel einer Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5577

Angelika Beer friedlichen gesellschaftlichen Außenpolitik wider- mit dem Gewehr zu begehen und auf sie zu schie- sprochen hat. Wer keinen Krieg führen will, wer die ßen, überall eingehalten wird! Menschen nicht zum Kriegführen motivieren will, (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie wider- braucht diese Rituale nicht. In diesem Sinn: Helm ab zur Abrüstung! sprechen sich!) Sorgen Sie dafür, daß bei uns die Demokratie auf- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rechterhalten wird und daß die Kriegsdienstverwei- sowie bei Abgeordneten der PDS) gerer nicht aus den eigenen Reihen ständig diffa- miert und als Drückeberger hingestellt werden! Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Frau Kollegin (Zurufe von der CDU/CSU: Das ist keine Beer, gestatten Sie eine Nachfrage des Kollegen Antwort auf die Frage!) Geißler, wenn Sie schon keine Zwischenfrage zulas- sen wollen? Dieses Grundrecht zu verteidigen heißt noch lange nicht, Zwangsdienste zu etablieren. Darüber sind wir in unserer Gesellschaft hinaus. Wir haben in Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eine Deutschland infolge unserer historischen Erfahrung Nachfrage? allen Grund, mit gutem Beispiel voranzugehen und die Verpflichtung, den Dienst an der Waffe zu lei- sten, endlich zu streichen. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Eine Zwischen- frage. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)

(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich Angelika Beer Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile dem gestatte die Zwischenfrage, wenn sie nicht auf die Abgeordneten Dr. Wolfgang Gerhardt das Wort. Redezeit unserer Fraktion angerechnet wird. Meine Redezeit ist vorbei; deshalb muß ich das sagen. Dr. Wolfgang Gerhardt (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einen entscheidenden Dr. Heiner Geißler (CDU/CSU): Frau Kollegin Beer, Unterschied zu der eben vorgetragenen Position der da in fast allen Staaten der Welt Wehrdienstverwei- Kollegin gleich vorweg: Unserem Land wird heute gerer rechtlich nicht anerkannt werden, teilweise im international großes Vertrauen entgegengebracht. Gefängnis landen, in Irrenhäuser verbracht, zur Das ist das Verdienst vieler, vieler in der Gesellschaft Zwangsarbeit verurteilt werden, zur Zeit der Frie- und vieler Bürger. Aber es ist auch das Verdienst un- densbewegung 1982, 1983 und 1984 friedensbe- serer Soldaten, weil sie zum erstenmal in der Ge- wegte Bürgerinnen und Bürger in den Diktaturen schichte unseres Landes international als Verteidiger des Ostens verhaftet und unterdrückt worden sind einer Demokratie angesehen werden. und wir in Deutschland als einziger Staat das Recht auf Wehrdienstverweigerung - ebenso wie das De- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) monstrationsrecht - in der Verfassung verankert ha- Deshalb gehören bei einem solchen Jubiläum unsere ben, frage ich Sie: Würden Sie nicht bitte einmal an- Soldaten, auch wenn sie ihren Dienst ansonsten in erkennen, daß dieser Staat gerade deswegen vertei- Kasernen und anderswo versehen, auf die Plätze der digungswert ist und daß Sie damals Ihre Demonstra- Demokratie, wie gestern abend. tionen nur deswegen durchführen konnten, weil es die Bundeswehr und die NATO gibt? (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU und des Abg. Walter Kolbow [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so wie bei Abgeordneten der SPD) Sie brauchen sich dafür nicht zu entschuldigen; sie können sich dort im wahrsten Sinne des Wortes se- hen lassen. Denn auch sie haben eine Gewissensent- Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr scheidung getroffen: Sie haben sich mit ihrem Ge- Kollege Geißler, ich würde mir wünschen, daß Sie wissen verpflichtet, notfalls mit der Waffe in der Grundrechte, die bei uns in der Tat weitgehender Hand Freiheit und Leben von Menschen einer frei- sind als in anderen Staaten, vor allen Dingen aber heitlich-demokratischen Gesellschaft zu verteidigen, auch weitgehender sind als in NATO-Mitgliedstaa- und dafür danken wir ihnen. ten, gegenüber unseren Bündnispartnern genauso (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so-- massiv vertreten. Sorgen Sie dafür, daß die Kriegs- wie des Abg. Walter Kolbow [SPD]) dienstverweigerer in der Türkei nicht inhaftiert und in den Knast gesperrt werden! Auch sie dienen dem Frieden. Kein Soldat wünscht sich mehr Frieden als der, der sich bewußt entschei- (Beifall bei Abgeordneten der PDS - Zurufe det, seine Pflicht nach der Verfassung zu erfüllen. von der CDU/CSU: Hier!) Der Aufbau und die Organisation der Bundeswehr Sorgen Sie dafür, daß dieses Grundrecht zu sagen: vor 40 Jahren haben auf einem ganz anderen Hinter- wir sind nicht bereit zur Ausübung des Dienstes an grund begonnen, als wir das in der Geschichte unse- der Waffe, wir sind nicht bereit, einen tatsächlich res Landes gewohnt waren. Es kam zur demokrati- stattfindenden Mord an der kurdischen Bevölkerung schen Einbettung der deutschen Streitkräfte in eine 5578 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Dr. Wolfgang Gerhardt freiheitliche und offene Gesellschaft. Wir sprechen ken kann. Das ist die ganz deutliche Leistung der doch deswegen vom Staatsbürger in Uniform. Wir Bundeswehr. wissen, daß die Bundeswehr zum erstenmal in der (Beifall bei der F.D.P.) Geschichte unseres Landes ihrem Auftrag verpflich- tet ist, niemand anderen anzugreifen, sondern uns in Wir haben in diesem Jahr viele Gedenkmomente, den Grenzen unseres Staatswesens zu verteidigen, die zwischen epochemachenden Ereignissen - dem für das wir uns eine Verfassung gegeben haben. Ende des Zweiten Weltkriegs und der Vereinigung unseres Landes - der deutschen Nachkriegsge- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) schichte liegen. Wir müssen aufpassen, daß sie in diesem schnellen Ablauf nicht ein Stück geschichtli- Wir wissen doch auch, daß heute Befehl, Gehor- che Normalität werden, ohne daß wir uns vergewis- sam und Disziplin, militärische Führung in Form der sern, warum diese Schlüsselentscheidungen und -er- inneren Führung, zum erstenmal in der Geschichte eignisse deutscher Geschichte uns das Glück be- unseres Landes nicht mehr einer überhaupt nicht de- schert haben, heute hier so leben zu können. mokratisch legitimierten Führungspersönlichkeit die- nen, sondern im Grunde einer demokratischen Wer- Wir müssen schon ein Stück Vergewisserung be- tegemeinschaft verpflichtet sind. Das ist ein gewalti- treiben, weil auch auf die neuen Herausforderungen ger Unterschied, den wir jetzt erleben dürfen. Des- immer ein Fingerzeig aus abgelaufenen Zeiten wich- wegen muß man sich bei solchen Jubiläen dieser ent- tig ist. Entscheidend ist, daß die Einbindung scheidenden Grundlagen immer wieder bewußt wer- Deutschlands in die westliche Wertegemeinschaft den. Das war die entscheidende Grundlage für die und das transatlantische Verteidigungsbündnis die Akzeptanz der Bundeswehr in unserer Gesellschaft. große politische Grundentscheidung dieses Landes Das war auch die entscheidende Grundlage für ein waren, an der wir festhalten wollen. anderes, ein neues Bild eines deutschen Soldaten, Wir wissen heute, daß die Westintegration und die das sich deutlich von dem unterscheidet, das andere Bündnisfähigkeit der alten Bundesrepublik im geteil- vorher abzugeben gezwungen wurden. ten Deutschland Garant für die heutigen Chancen Das ist die Chance auch für die Zukunft. Denn die sind. Wir sollten unseren Frieden damit machen. Er- Bundeswehr hat zwei ganz kritische, aber wichtige hard Eppler hat in einer früheren Feierstunde zum Aufgaben bewältigt, die man nach 40 Jahren nennen 17. Juni einmal in einem Vortrag zur Versöhnlichkeit muß: Das war erstens zum erstenmal in der Ge- zwischen den politischen Grundströmungen dieses schichte unseres Landes die erfolgreiche Einbindung Landes aufgerufen. einer deutschen Armee in eine offene, demokratisch Es ist wahr, daß die Grundentscheidung Konrad verfaßte Gesellschaft, und das war zweitens die Ge- Adenauers, damals von der sozialdemokratischen währleistung einer glaubwürdigen Landes- und Partei heftig befehdet, richtig war. Ich sage das als Bündnisverteidigung gemeinsam mit unseren Ver- Freier Demokrat sehr gelassen, weil wir diese Ent- bündeten, ohne die der Wiederaufbau und die Wie- scheidung gestützt haben. Aber ich erinnere eine an- dervereinigung unseres Landes in Frieden und Frei- dere große politische Kraft daran, daß auch die ersten heit nicht möglich gewesen wären. Schritte auf die osteuropäischen Nachbarn zu, für de- ren Unterstützung die Freien Demokraten fast mit ih- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so rer Existenz eine Bundestagswahl verloren hätten, wie bei Abgeordneten der SPD) dazugehören. Das war die erste deutsche Armee, die nicht auf Jede politische Grundströmung könnte ihren Bei- Sonderwege geführt und nicht in Abenteuer ge- trag auch anläßlich einer solchen Situation positiv schickt wurde, sondern die in die Demokratie einge- herausstellen. Es ist nicht nötig, darüber zu streiten. gliedert war. Das ist die gewaltige Leistung von vie- len Soldaten. Sie haben für uns international Ver- (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- trauen und Ansehen gewonnen. Dafür danken wir ten der CDU/CSU und der SPD) alle. Es gibt Leistungen, die das gemeinsam möglich ge- Für die Freie Demokratische Partei sage ich den macht haben. Soldatinnen und Soldaten, den Beschäftigten der Für die Koalition ist heute wichtig, zu sagen: Ich Bundeswehr und auch den Bürgerinnen und Bür- habe den Eindruck, daß im Kern das Bewußtsein, gern, die das so wie wir sehen, Dank für ihre Arbeit, daß dieses Land das Vertrauen der anderen Länder für ihre Zustimmung und für die Schaffung der Ak- durch Bündnisfähigkeit braucht und daß wir deshalb zeptanz der Armee. international handlungsfähig sein müssen, daß wir - (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der mit unseren Partnern zusammen notfalls anderen CDU/CSU) entgegentreten müssen, nicht überall beheimatet ist. Deshalb erinnere ich daran: Dieses Land muß inter- Wir sind auch durch Soldaten, durch ihren Um- national in Rechten und Pflichten bündnisfähig und gang mit Soldaten anderer Nationen in der Bündnis- verantwortungsfähig sein. politik eigentlich schon viel früher, als der Zwei-plus- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so- Vier-Vertrag das festgemacht hatte, aus einem Ob- wie bei Abgeordneten der SPD) jekt der Geschlagenen zu einem geachteten Bünd- nispartner geworden. Viel früher haben wir Respekt Das ist der Kern des Lernens aus der Geschichte. gehabt, als das ein Zwei-plus-Vier-Vertrag ausdrük Deshalb glaube ich, man kann nicht durch Weg- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5579 Dr. Wolfgang Gerhardt schauen abtauchen, wenn es auf bestimmte Ent- Job versehen, daß sie Wertvolles für unsere Gesell- scheidungen ankommt. Wer dieses Land regieren schaft leisten. Wir respektieren ausdrücklich die Ge- will, muß wissen, welche Geschichte dieses Land hat wissensentscheidung eines Zivildienstleistenden. und welche Pflichten der Regierung dieses Landes auferlegt werden. (Beifall bei der F.D.P.) Wer diese Frage nicht beantworten kann, der kann Wir akzeptieren auch seinen Beitrag für eine freiheit- hier nicht sitzen. Deshalb sitzen der Bundeskanzler liche Gesellschaft. Wir wehren uns nur in einem: daß und der Bundesaußenminister für uns zu Recht hier. über die Gewissensentscheidung so geredet wird, als Denn das ist die positive Grundentscheidung in der wären manche das Gewissen selbst. Auch die Solda- Politik Deutschlands. ten haben Anerkennung verdient, weil sie die glei- chen Ziele der Friedenserhaltung wie die Zivildienst- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) leistenden mit anderen Mitteln verfolgen. Ich will für die Freien Demokraten eine Grundent- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so- scheidung ausdrücklich befürworten. Die gesell- wie bei Abgeordneten der SPD) schaftliche Einbettung und die Akzeptanz der Bun- deswehr wären ohne die allgemeine Wehrpflicht so Deshalb darf sich eine Gesellschaft in diesen Diskus- nicht denkbar gewesen. Sie ist die entscheidende sionen nicht spalten lassen. Auch unsere Soldaten Klammer zwischen einer Gesellschaft und den Streit- dienen dem Frieden. kräften; sie ist zugleich Ausdruck des Willens und Die Bundeswehr hat als Armee der deutschen Ein- der Bürgerpflicht, einen eigenen Beitrag zum Schutz heit in den letzten fünf Jahren die zweite große Auf- von Demokratie und Freiheit zu leisten. bauleistung ihrer Geschichte gemeistert. Sie hat mit Allein der Verfassungsrang begründet nicht die unglaublichem Engagement, mit viel menschlichem hohe politische und moralische Qualität der Wehr- und kameradschaftlichem Einsatz, einen Vereini- pflicht. Viele meinen, nach Wegfall der alten Kon- gungsprozeß ganz konkret vollzogen. Es mag im Be- frontation könne man über eine Berufsarmee nach- reich der Wirtschaft über Joint-ventures diskutiert denken. Die Wehrpflicht wird zunehmend durch eine werden, über den Kauf eines Betriebes. In der Bun- wachsende Zahl von Zivildienstleistenden in Frage deswehr haben bei dieser gewaltigen Leistung in be- gestellt. Nicht wenige diskutieren viele Modelle ei- zug auf die ehemalige NVA Personen täglich neben- ner Freiwilligenarmee oder einer allgemeinen einander diesen Vereinigungsprozeß leisten müssen. Dienstpflicht als Alternative zur Wehrpflicht. Ich Das ist eine gewaltige Leistung der deutschen Solda- meine und sage das für die F.D.P.: Diese Entwicklun- ten, gen dürfen nicht vom politischen Kern der Wehr- (Beifall des Abg. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig pflichtfrage ablenken, wer nämlich in unserem Land [F.D.P.]) die Verantwortung für die Verteidigung trägt. Für mich gibt es eine ganz klare Antwort: Die Verteidi- auch in einer massiven Verkleinerung von über gung unserer Freiheit muß auch in Zukunft die An- 600 000 auf demnächst 340 000 Soldaten, mit vielen gelegenheit aller bleiben. Umzügen, mit Belastungen, mit familiären Proble- men. Es gibt angesichts vieler Saturiertheiten einer (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so freiheitlichen Gesellschaft in unserem Land kein Be- wie bei Abgeordneten der SPD) rufsbild, das Veränderungen mit diesem Tempo in ei- Der Schutz von Freiheit und Recht ist nicht aus- nem solchen Pflichtgefühl wie die deutschen Solda- schließlich als Leistung von Berufssoldaten zu verste- ten in dieser Zeit auf sich genommen hat. hen. Theodor Heuss hat die Wehrpflicht deshalb zu (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Recht als legitimes Kind einer Demokratie bezeich- net. Der frühere Bundespräsident Richard von Weiz- Dafür müssen wir den gesamten Familien Dank und säcker hat sie als konstitutives Merkmal unserer Anerkennung aussprechen. Streitkräfte genannt. Fünf Jahre deutsche Einheit - das bedeutet außen- Wir sprechen uns für die Beibehaltung der Wehr- und sicherheitspolitische Souveränität. In diesen pflicht aus. Sie ist Ausdruck des Willens einer Demo- fünf Jahren hat sich Deutschland seiner gewachse- kratie, die Verteidigung der Freiheit als ständige nen internationalen Verantwortung für den Frieden Aufgabe in der gesamten Gesellschaft zu verankern. erfolgreich gestellt. Dieser Prozeß ist angesichts der Wir werden den Gedanken an Wehrpflicht nicht auf- Rückkehr von Gewalt, Haß und Nationalismus und geben, nur weil es schwieriger geworden ist, eine eines brutalen Terrors in der Mitte Europas noch Wehrpflichtarmee zu organisieren. nicht am Ende. - Wehrpflicht und Wehrgerechtigkeit sind zwei Sei- Wir wollen eine Kultur der Zurückhaltung üben. ten einer Medaille. Wir müssen Wehrgerechtigkeit Sie beruht auf der historischen Erfahrung zweier gewährleisten. Es ist deshalb Aufgabe der Politik, Weltkriege. Sie wird auch in Zukunft, wie das der den Wehrdienst deutlich zu verbessern, immer wie- Bundesaußenminister immer ausführt, unser interna- der qualifizierten und motivierten Nachwuchs sicher- tionales Engagement bestimmen. Aber Zurückhal- zustellen. tung und Gewaltverzicht können nicht am Ende bloß Wegschauen bedeuten. Es ist wichtige Aufgabe in einer Demokratie, an- dere Meinungen zu respektieren. Es ist überhaupt Deshalb sage ich auch hier: Die Entscheidung in keine Frage, daß Zivildienstleistende einen harten der Bosniendebatte, die wir in diesem Haus geführt 5580 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Dr. Wolfgang Gerhardt haben, eine der neuen Schlüsselentscheidungen der schwieriger gewordenen, aber demokratischen Auf- deutschen Politik, die sich, die sie befürwortet ha- trag verlassen kann. ben, gegenüber den Soldaten nicht leichtgemacht Wer Freiheit verwirklichen und schützen will, haben, war schwierig, aber sie war doch - das wie- braucht Macht. Niemals wurde das dramatischer er- derhole ich hier - richtig. Sie hat eben nicht, wie fahren als beim ersten Versuch einer Verfassungsge- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN damals behauptet hat, bung in Deutschland in der Paulskirchenversamm- zu einer Militarisierung der deutschen Außenpolitik lung. geführt. Sie hat auch nicht, wie die Mehrheit der SPD damals behauptet hat, zu einer Eskalation der Ge- Eine Demokratie braucht Streitkräfte. Unsere Sol- walt geführt. Die Entscheidung, die wir mit anderen daten sind dazu da, uns, unsere Gesellschaft in ihrer getroffen haben, hat dazu geführt, daß zum ersten- freiheitlichen Verfassung in den Grenzen unseres mal die Chance eines Friedensprozesses in Bosnien Landes zu verteidigen. Sie werden auch bei der Er- Herzegowina eröffnet wird. Das ist die Wahrheit füllung ihrer neuen, internationalen Aufgaben das nach diesen Tagen. bleiben, was sie 40 Jahre für uns gewesen sind: Sol- daten in der Bundeswehr, eine Armee der Freiheit (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) und der Demokratie. Wir danken ihnen. Das wird später als eine große Schlüsselentschei- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) dung des deutschen Parlaments bewertet werden; ich sehe das jedenfalls so. Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Das Wort hat Ich glaube, wir haben Glück gehabt, daß wir in un- nun der Abgeordnete Graf von Einsiedel. serem Land wichtige Grundentscheidungen in Kern- fragen nach langer und kontroverser Beratung im- mer einigermaßen richtig getroffen haben. Auch Heinrich Graf von Einsiedel (PDS): Herr Präsident! diese Entscheidung, die die Bundeswehr betrifft, ist Meine Damen und Herren! Herr Dr. Gerhardt, auch richtig getroffen worden; denn glaubwürdige Frie- ich fürchte, das wird eine Schlüsselentscheidung des denswahrung muß in letzter Konsequenz auch die Parlaments sein. Wir können uns an andere, ähnliche Bereitschaft zum Kampfeinsatz beinhalten. Das Völ Schlüsselentscheidungen erinnern, z. B. an die Be- willigung der Kriegskredite 1914. Hoffentlich wird -kerrecht kann sich nicht selbst schützen. Es muß von denen geschützt werden, die es tragen. Oder es wird diese Schlüsselentscheidung nicht solche Folgen ha- nicht geschützt, und es wird nirgends mehr respek- ben. tiert. Die große Mehrheit dieses Hauses feiert heute den (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) 40. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr. Aber ich und die Fraktion, für die ich hier spreche, können Wir wollen dort möglichst schnell zu einem Frie- sich diesen Festreden nicht anschließen. densschluß kommen. Der Bundesaußenminister, der Bundesverteidigungsminister und der Bundeskanz- (Zuruf von der CDU/CSU: Ihr seid keine ler müssen wissen: Sie haben die Unterstützung der Fraktion!) F.D.P. bei einer deutschen Beteiligung an der vorge- sehenen NATO-Friedenstruppe. Ich wünsche mir, - Ja, keine Fraktion, ich weiß. Für mich sind wir eine daß der dann dafür notwendige Beschluß des Bun- Fraktion. Ihre Geschäftsordnungstricks, die uns be- destages mit größerer Mehrheit gefaßt wird als der nachteiligen, interessieren mich nicht. damalige Beschluß. Das wäre für die Soldaten als (Beifall bei der PDS) entscheidendes Signal der Politik in Deutschland wichtig. Fast 90 % der heutigen Mitglieder des Hauses wa- ren damals, als die Wiederbewaffnung Deutschlands (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) beschlossen wurde, höchstens Teenager oder noch Meine Damen und Herren, als dieses Land zusam- jünger. Sie sind alle - ob sie nun in der Bundesrepu- mengebrochen war, war die erste Forderung: Nie- blik oder in der DDR erwachsen geworden sind - in mals wieder Krieg! Der europäische Aufbau und un- einem politischen Umfeld, in einem politischen Klima ser eigener Umgang mit dem Bündnis haben dazu herangereift, das vom kalten Krieg geprägt war, von geführt, daß wir in einer Stabilitätsgemeinschaft le- der Vorstellung, daß die militärische Auseinanderset- ben. Wir müssen alles versuchen, um Konfrontation zung mit der Sowjetunion unvermeidlich oder doch und Renationalisierung in Europa zu verhindern. Das nur durch die Politik der militärischen Stärke zu ver- wird auch in Zukunft Ziel der Außenpolitik bleiben hindern sei. Aber sie sind meistens nicht genug her- müssen. Wir werden das in engerer Abstimmung und angereift, um dieses Geschichtsbild einmal zu hinter- in stärkerer gesamteuropäischer Verantwortung und fragen. - Orientierung in Europa wahrnehmen müssen. Ich will gar nicht bestreiten, daß die Sowjetunion mit ihrer Politik nach dem Sieg über Hitler-Deutsch- Für diese Aufgabe ist in Zukunft eines unverzicht- bar: Man kann Frieden nicht schützen, man kann land viel Anlaß geliefert hatte, diese Einschätzung Menschen nicht helfen, wenn man nicht über Solda- der Lage in Europa mit anscheinend unwiderlegli- chen Argumenten zu untermauern. Wer wie ich da- ten verfügt. mals und noch heute die Lage anders einschätzte, Die Bundeswehr hat Zukunft. Sie muß wissen, daß galt bestenfalls als nützlicher Idiot, wenn nicht gar sie sich auf die politische Unterstützung der F.D.P. als Schlimmeres. Aber ich habe sie anders einge- und der Koalition bei ihrem gewachsenen, klaren, schätzt, nicht weil ich gegenüber der Sowjetunion Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5581

Heinrich Graf von Einsiedel blauäugig gewesen wäre, sondern weil ich sie besser Volk nach dem Zweiten Weltkrieg vollbracht hat, ist kannte. nicht der Entschluß zur Wiederbewaffnung, sondern die Anerkennung dieser Grenze, das Sich-Abfinden Die Unterwerfung der durch die Rote Armee unter mit der massenhaften Vertreibung, ungeheuren Blutopfern auf beiden Seiten von der Hitler-Wehrmacht befreiten Länder zu Satellitenstaa- (Beifall bei der PDS) ten der Sowjetunion war aus der Angst geboren, aus einem tiefsitzenden Unterlegenheitsgefühl, aus dem die, selbst wenn man sie als Strafe für die schreckli- Schock, daß der Vernichtungsfeldzug der Wehr- chen Verbrechen Hitler-Deutschlands ansieht, eine macht gegen die Sowjetunion um ein Haar, wie Sta- nur sehr schwer zu verkraftende Verletzung der Psy- lin selber eingeräumt hat, erfolgreich gewesen wäre. che von Millionen Menschen war. Aber das hat eben Diese Satellitenstaaten sollten ein Glacis für die Fe- Generationen gedauert. stung Sowjetunion bilden, ein Vorfeld ihrer Verteidi- Deshalb kann ich nicht Ihren Optimismus teilen, gung, keine Absprungbasis für weitere Aggressio- der möglicherweise bevorstehende, mit Waffenge- nen. walt erzwungene Frieden in Ex-Jugoslawien werde Die Drohung, Westdeutschland, die Bundesrepu- bereits in einem Jahr unumkehrbar sein. Die blik, wiederzubewaffnen hatte zunächst Erfolg: Sta- schrecklichen ethnischen Säuberungen in Jugosla- lin lenkte ein. Er bot einen Friedensvertrag mit wien, die mit deutscher und NATO-Hilfe dort jetzt Deutschland an, die Wiedervereinigung unter der festgeschrieben werden sollen, werden sich als Bedingung, daß das wiedervereinigte Deutschland schwere Hypothek für einen dauerhaften Frieden er- sich keinem gegen die Sowjetunion gerichteten Mili- weisen. tärpakt anschließen dürfe und die Oder-Neiße-Linie (Beifall bei der PDS) anerkennen müsse. Dieses Angebot kam sicher sehr Doch zurück zur Bundeswehr. In Ihren Augen war spät. Aber war der Westen nicht sowieso längst ent- die Wiederbewaffnung die Grundlage des Friedens schlossen, den kalten Krieg zu führen und die So- in den letzten 40 Jahren. Woher Sie aber wissen wol- wjetunion so lange unter militärischen Druck zu set- len, ohne diese Wiederbewaffnung hätte es Krieg in zen, bis sie aufgab? Wie dem auch gewesen sein Europa gegeben, bleibt Ihr Geheimnis. mag: Daß dieses Angebot der Sowjetunion nicht ein- mal in Verhandlungen auf seine Stichhaltigkeit hin (Beifall bei Abgeordneten der PDS) überprüft worden ist, halte ich für einen unverzeihli- In meinen Augen war der Entschluß zur Wiederbe- chen, schlimmen Fehler der Außenpolitik Adenau- waffnung eine höchst risikovolle Provokation der So- ers. wjetunion. Sie war nämlich das einzige Motiv, das (Beifall bei der PDS) die Sowjetunion für eine Aggression gegen Westeu- Wir haben damals ohne Not die Menschen in der ropa hätte haben können, zumal die Wiederbewaff- DDR im Regen stehenlassen, und wir haben sie die nung von recht aggressiven Attitüden begleitet war. Hauptlast dieses Krieges, nämlich die Reparationen Erinnern Sie sich nicht mehr an die Sprüche vom an die Sowjetunion, zahlen lassen. Für mich waren Rollback der Sowjetunion bis an den Ural aus Ihren die Bedingungen dieses Angebots annehmbar. Es Reihen, an die Plakate der F.D.P. „Niemals Deutsch- hätte uns 40 Jahre Spaltung, 40 Jahre kalten Krieg land dreigeteilt", an all die großen Kundgebungen und vielleicht 2 Billionen DM Rüstungskosten erspa- der Vertriebenenverbände, auf denen die Redner der ren können. Wir hätten dabei sogar eine Bundeswehr beiden großen Parteien dem deutschen Volk verspra- zur eigenen Verteidigung haben dürfen, nicht zur chen, daß Wroclaw wieder Breslau heißen werde, Vorwärtsverteidigung, wie man die Angriffsfähigkeit daß Pommern, Schlesien und Ostpreußen wieder der Bundeswehr umschreibt, und auch ohne welt- deutsch sein würden? weit einsatzfähige Krisenreaktionskräfte, wie man sie jetzt aufbauen will. Aber das wäre ja schon mehr Unter diesen Umständen sollten die Polen und die als genug gewesen, jedenfalls für mich. Sowjetunion keinen Grund zu der Befürchtung ha- ben, die Deutschen könnten doch noch einmal zur Ich weiß, Sie sind davon überzeugt: Dieses Ange- Revanche antreten? Das konnten doch nur die glau- bot war nur ein taktisches Manöver, nur ein Trick. ben, die vollkommen verdrängt hatten, was die Aber, meine Damen und Herren, die Viererbande, Wehrmacht und die SS im Osten angerichtet hatten. wie sie in der Sowjetunion genannt wurde, die bereit Statt so stolz auf die Wiederbewaffnung zu sein, soll- war, die DDR gegen die militärpolische Neutralisie- ten Sie lieber wie der Reiter über den Bodensee zu- rung Deutschlands aufzugeben, hat es doch gege- rückschauen. ben. Semjonow hat mir das drei Wochen vor seinem (Beifall bei der PDS) Tode in einem Gespräch noch einmal ausdrücklich bestätigt. Er war nicht wenig stolz darauf, im letzten Glauben Sie etwa, es war ein Zufall, daß der Aner- Moment nach Stalins Tod und vor Berijas Liquidie- kennung der Oder-Neiße-Linie in Polen als erster rung von diesem Zug abgesprungen zu sein. Schritt die Gründung der Solidarno ść auf dem Fuße folgte, nämlich als die Polen nicht mehr das Gefühl In einer Beziehung allerdings kam das Angebot hatten, sie müßten sich fest an die Sowjetunion an- Stalins zu früh, weil niemand im Westen Deutsch- klammern, um diese Grenze zu sichern? lands es im Unterschied zum Osten wagen durfte, die Oder-Neiße-Linie anzuerkennen, ohne als Vater- Auch bitte ich Sie, einmal darüber nachzudenken, landsverräter zu gelten. Ich möchte es hier gleich sa- ob die Wiederbewaffnung Deutschlands nicht eine gen: Die größte politische Leistung, die das deutsche sehr entscheidende Ursache für das Ausbleiben jeder 5582 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Heinrich Graf von Einsiedel tieferen Reform oder Perestroika nach Stalins Tod in Fackeln, die am 30. Januar 1933 unter dem Branden- der Sowjetunion gewesen ist. Unter dem militäri- burger Tor getragen worden sind. schen Druck von außen und der Bedrohung, unter der sich die Menschen dort genauso wie im Westen (Beifall bei der PDS - Widerspruch bei der fühlten, war es eben für die Machthaber dort nicht CDU/CSU und der F.D.P.) leicht - jedenfalls haben sie es nicht gewagt -, Refor- Wir sagen nein dazu. Stoppen Sie die Militarisie- men einzuleiten, die zunächst immer auch eine rung der Gesellschaft! Lassen Sie uns umkehren in Schwächung der zu reformierenden Strukturen dar- Richtung konsequenter Entmilitarisierung! stellen. Sie sind übrigens auf dem besten Weg, diesen Feh- Danke sehr. ler jetzt zu wiederholen, nämlich mit der NATO-Er- (Beifall bei der PDS - Zurufe von der CDU/ weiterung, mit dem militärischen Druck, den Sie CSU: Buh!) jetzt wieder auf Rußland, das sich in einem aller schwierigsten Reformprozeß befindet, ausüben. das (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Wo leben Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich erteile Wort dem Bundesminister Volker Rühe. Sie denn?) Sie machen sich offenbar nicht die Mühe, oder Sie sind unfähig, sich einmal in die Schuhe des vermeint- Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung lichen Gegners zu stellen. Rußland ist heute als Groß- (von der CDU/CSU mit Beifall begrüßt): Herr Präsi- macht in Europa um Jahrhunderte, fast in die Zeit vor dent! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Peter dem Großen zurückgeworfen. Die Russen ha- zunächst im Namen der ganzen Bundeswehr dem ben große Teile ihres in Jahrhunderten gewachsenen Bundeskanzler für die ehrenvollen Worte, die er an Imperiums aufgegeben. Was für Demutsgebärden er- unsere Soldaten gerichtet hat, sehr herzlich danken. warten Sie eigentlich noch? Sollen sie den Kreml an (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Walt Disney verkaufen, um die Unterwerfung kom- plett zu machen? Das erfüllt alle Angehörigen der Bundeswehr, die Soldaten und die zivilen Mitarbeiter, mit Freude und (Beifall bei der PDS) auch mit Stolz. Ihre Außenpolitik ist leider viel zu stark vom Denken in militärischen statt in politischen Kategorien befan- Ich bin auch für die vielfältige Zustimmung und gen. Anerkennung aus fast allen Bereichen des Deut- schen Bundestages dankbar, denn bis auf PDS und Noch eine Bemerkung kann ich Ihnen nicht erspa- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben alle unseren Sol- ren. Nicht nur die Sieger über Hitler, sondern auch daten ihren Respekt bezeugt. Das ist wichtig. Diese viele Menschen meiner Generation waren aus der haben 40 Jahre lang einen großartigen Dienst für un- schrecklichen Erfahrung, die wir mit unseren Gene- ser Land geleistet. Sie tun das tagtäglich weiter. Des- rälen gemacht haben, 1945 der tiefen Überzeugung, wegen ist es wichtig, daß das an einem solchen Tage wir Deutschen dürften so bald nicht wieder Waffen in deutlich wird. die Hand nehmen - das war auch das Ziel des Krie- ges gegen Hitler-Deutschland -, schon gar nicht un- (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und ter deni Befehl von Männern, die sich durch den er- der SPD) neuten Ruf zu den Waffen mit dem alten Feindbild Sowjetunion nachträglich noch in ihrem bedin- Die Bundeswehr ist die Armee der deutschen De- gungslosen Gehorsam gegenüber Hitler und seiner mokratie. Sie ist eine Bündnisarmee, und sie ist eine verbrecherischen Kriegsführung weitgehend ge- europäische Armee. Bei diesem Dreiklang wird es rechtfertigt und entschuldigt wähnten. In einer Zeit, bleiben. als noch jeder Widerstand gegen Hitler, nämlich in (Zustimmung bei der CDU/CSU) den 50er Jahren, nicht nur der kommunistische, son- dern selbst der der Verschwörer vom 20. Juli, auf die Ich möchte ausdrücklich dem Vorsitzenden der Herr Bundeskanzler Dr. Kohl abgehoben hat, als Ver- SPD-Fraktion, der sich jetzt für einen kurzen Zeit- rat angesehen wurde, wo der militärische Gehorsam raum entschuldigt hat - das ist völlig in Ordnung -, noch vielen als die höchste Tugend galt, gleichgültig, für die Würdigung danken, die er mit seinem Beitrag wem er geleistet wurde, war es ein schwerer Rück- der Bundeswehr hat zukommen lassen. schlag für die geistige Gesundung dieses Volkes, seine Söhne wieder in Uniform zu stecken. (Vorsitz : Vizepräsident Hans Klein) - Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und Diese Würdigung muß sich natürlich in der Praxis be- nach dem Wegfall des vermeintlichen Grundes für währen und darf nicht nur in Feierstunden geäußert die Wiederbewaffnung die nächste Enttäuschung: werden. Der jüngste Beschluß der SPD-Fraktion, was zunächst Abrüstung, jetzt aber schon wieder ver- Auslandseinsätze angeht, geht in die richtige Rich- stärkte Rüstung, statt militärischer Zurückhaltung tung. Ich möchte hier unterstreichen, was die Kolle- Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Bündnisge- gen Gerhardt und Paul Breuer gesagt haben: Für un- biets, statt Verbot des Rüstungsexports seine stän- sere Soldaten ist es ganz wichtig, daß soviel Konsens dige Steigerung. Und dann das wilhelminische Prim wie möglich herrscht; denn sie gehen in Einsätze, in borium des Großen Zapfenstreichs mit denselben denen sie notfalls ihr Leben riskieren. Deswegen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5583

Bundesminister Volker Rühe brauchen sie hier im Deutschen Bundestag soviel Bruchteil Ihrer Wähler weiß, welche Positionen Sie Unterstützung wie irgend möglich. zum Schaden unseres Landes hier vertreten. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wie bei Abgeordneten der SPD) Während Sie im Ausschuß - so Frau Beer auch Herr Scharping hat sich in die Tradition des SPD- hier - die Abschaffung der Bundeswehr und der Fraktionsvorsitzenden Erler gestellt. Ich habe Herrn NATO fordern, führen Sie eine große Diskussion dar- Erler damals auch mit großer Begeisterung zugehört, über, daß man die Schutzzonen in Bosnien schützen und ich muß sagen, daß es ein großer Anspruch ist, muß. Hier stellt sich doch genau die Frage, was ei- dem gerecht zu werden, daß dies Führungsstärke gentlich moralisch geboten ist. verlangen wird. Im übrigen habe ich mich auch rie- sig gefreut, daß jetzt die drei sozialdemokratischen (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Verteidigungsminister gewürdigt worden sind, daß DIE GRÜNEN]: Der Zapfenstreich?!) Helmut Schmidt, Georg Leber und Hans Apel wenig- stens im nachhinein eine späte Würdigung erfahren Herr Fischer, Sie haben ja erste Versuche gemacht. haben. Ist es nicht richtig, daß es in der Situation von Srebre- nica, in der Situation des früheren Jugoslawien zu- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) tiefst unmoralisch wäre, den Einsatz von Soldaten zu verweigern? Darum geht es doch. Und dann muß Als Verteidigungsminister weiß ich, daß es ganz hilf- man ihnen auch bei einem solchen Zapfenstreich Re- reich ist, wenn man schon unterstützt wird, solange spekt bezeugen. man im Amt ist. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Es kamen in der Vergangenheit viele Ihrer Fraktions- kollegen zu mir und sagten, ich müsse mehr zum Und weil Sie von der SPD zur Zeit keinen stellen - Schutz von Tuzla und von Srebrenica tun. Ich habe das wird ja vielleicht noch ein bißchen dauern -, Hochachtung vor ihnen. möchte ich Ihnen empfehlen, damit anzufangen, daß Sie Ihre Verteidigungspolitiker unterstützen. Denen Übrigens: Wie müssen sich eigentlich diejenigen in möchte ich nämlich auch meinen Respekt sagen; sie Ihren Reihen fühlen, die die Nationale Volksarmee bestehen manche schwierige Auseinandersetzung. erlebt haben und jetzt miterleben müssen, wie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hier der Armee der De- wie bei Abgeordneten der SPD) mokratie und des vereinten Deutschlands den Re- spekt verweigern? Beschämend ist das Auftreten der Grünen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ wahr!) DIE GRÜNEN]: Reicht es, wenn wir einmal aufstehen und salutieren? Sind Sie dann zu- Herr Fischer, Sie haben gestern Kübel voll Schmutz frieden? Reicht das?) über den Zapfenstreich ausgegossen. Es ist beschä- mend, daß Sie den deutschen Soldaten den Respekt Frau Beer, das große Polizeiaufgebot war doch verweigern. nicht wegen der Soldaten da, sondern wegen der friedlosen Störer, die sich dort versammelt hatten. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich verweigere dem (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Zapfenstreich den Respekt!) Und beim Hofgarten kommen wir ja wirklich auf - Dann erinnere ich an das, was Frau Beer gesagt den Punkt. Da fühlen sich einige Grüne auf den hat. Wissen Sie, der letzte, den ich mit dem Zapfen- Schlips getreten, und sie sagen: Das ist doch eigent- streich geehrt habe, war der französische General- lich unser Platz gewesen, der Platz der großen De- stabschef, Admiral Lanxade. Er hat mir geschrieben, monstrationen Anfang der 80er Jahre, wo man ge- daß er und mit ihm alle französischen Soldaten sich sagt hat, der sowjetischen Hochrüstung darf nichts niemals mehr geehrt gefühlt hätten. entgegengestellt werden. Heute wissen wir: Nur (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ durch die Bereitschaft, dem etwas entgegenzustel- DIE GRÜNEN]: So unterschiedlich sind die len, haben wir den Frieden in Europa gesichert. Geschmäcker!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - - Wie kann der Zapfenstreich ein vordemokratisches, Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ nationalistisches Zeremoniell sein, wenn sich die DIE GRÜNEN]: Der ewige Kanzler wollte französischen Soldaten durch ihn geehrt fühlen? Es auch mal diesen Platz betreten!) ist doch Unsinn, was Sie da verbreiten, Deswegen ist es ein wirkliches Symbol, daß jetzt die (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) eigentliche Friedensbewegung der 80er und 90er Jahre, nämlich die Bundeswehr, dort diesen Zapfen- Im übrigen frage ich mich, wer eigentlich für die streich durchgeführt hat, genau auf diesem Platz. Grünen spricht. Ich sage das hier einmal, weil es wichtig ist; denn ich bezweifele, daß auch nur ein (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 5584 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Vizepräsident Hans Klein: Herr Bundesminister, allem den Angehörigen möchte ich in dieser Stunde gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen sagen, daß ihnen unser ganzes Mitgefühl gilt. Dr. Lippelt? Vierzig Jahre Bundeswehr, fünf Jahre Armee der Einheit: Freiheit und Menschenwürde, Recht und Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung: Frieden, Solidarität mit Verbündeten, Hilfe für Men- Bitte, ja. schen in Not bestimmen den Dienst der Soldaten der Bundeswehr. Diese vierzig Jahre waren vier Jahr- Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zehnte Kriegsverhinderung in schwieriger Zeit. In Herr Minister, wären Sie erstens bereit anzuerken- vielen europäischen Krisen der Nachkriegszeit ha- nen, daß es möglicherweise einen Unterschied gibt ben Bundeswehr und Nordatlantisches Bündnis der zwischen einem vordemokratischen martialischen Bundesrepublik Rückhalt gegeben, und die Bundes- Zeremoniell und dem demokratischen Inhalt der wehr war und ist das Rückgrat der NATO-Verteidi- Bundeswehr nach Baudissin, den wir ja nicht abstrei- gung in Mitteleuropa. ten? Ich möchte eine Bemerkung von Herrn Scharping Zweitens. Wären Sie bereit anzuerkennen, daß bei aufgreifen. Er hat vor der Gefahr der Renationalisie- der Frage, wodurch in den 80er Jahren dieses Land rung gewarnt. Wolfgang Schäuble und ich haben vor einer möglicherweise hochgefährlichen Situation uns angeschaut: Das ist genau der Punkt, warum wir stand, in einem System, wo Raketen nur sieben Mi- in den letzten Jahren so energisch darum gekämpft nuten von hier bis Moskau brauchten, haben, daß unsere Soldaten, die auch vor Gericht standen, an Bord der AWACS-Maschinen bleiben. Es (Zurufe von CDU/CSU und F.D.P.: Umge ist ein großartiger Fortschritt, daß jetzt zwölf Natio- kehrt!) nen gemeinsam ein Flugzeug betreiben und - ob Lu- beide Seiten ihr Recht hatten xemburger oder Amerikaner - jeder dieselben Infor- mationen bekommt. Wer dort aussteigt, der führt ge- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das ist nau diese Renationalisierung herbei. entlarvend!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und nicht nur Sie, die eine hochriskante Politik be- trieben haben? Herr Scharping, man kann nicht das deutsch-nie- derländische Korps begrüßen - ich bin auf das, was (Widerspruch bei der CDU/CSU und der wir da verwirklicht haben, stolz - und gleichzeitig F.D.P.) darauf bestehen, daß ich, wenn es ernst wird, den niederländischen Kollegen sagen muß: Unsere Ein- Volker Rühe, Bundesminister der Verteidigung: heiten bleiben leider zu Hause bzw. im Hafen. Herr Kollege Lippelt, wir haben vor allen Dingen Wir reden doch über eine weitere Vertiefung der eine erfolgreiche Politik für den Frieden gemacht. Gemeinsamkeiten. Das ist der Kern der Dinge: Wer Heute sind alle diese Waffen verschwunden, die hin- die europäische Gemeinsamkeit will, wer eine Rena- zunehmen Sie bereit waren. Das ist genau der ent- tionalisierung verhindern will, der muß uns auf die- scheidende Punkt. sem Wege folgen. Die Bundeswehr muß bereit sein, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zusammen mit ihren Freunden, Nachbarn und Ver- bündeten hier ihren Beitrag zu leisten. Das ist die ei- Im übrigen: Zapfenstreiche haben alle Verteidi- gentliche Aufgabe, der Sie sich stellen müssen, wenn gungsminister der Bundesrepublik Deutschland Sie mit uns darin übereinstimmen. durchgeführt, alle Bundeskanzler; dabei wird es auch in Zukunft bleiben. Es ist eine gute Tradition 40 Jahre Bundeswehr sind auch 40 Jahre Innere der Bundeswehr, die sich dort entwickelt hat. Führung. Darüber hat es manche Debatten gegeben, heute aber nicht mehr. Ich muß Ihnen sagen: Ich bin (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ zutiefst beeindruckt gewesen, als ich die Soldaten im DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal was zur Einsatz erlebt habe. In schwierigen Situationen, in Dietl-Kaserne!) Somalia und anderswo, hat nicht Zackigkeit gezählt, Meine Damen und Herren, wenn wir heute an sondern Souveränität, auch die Souveränität des 40 Jahre Bundeswehr denken, dann erinnern wir uns Feldwebels, sich auf die Kultur einzustellen und lie- auch an die vielen Soldaten, die im Frieden ihr Le- ber ein paar Stunden zu reden und einen Brunnen zu ben ließen. In tiefer Trauer verneigen wir uns vor den bauen, statt nur daran zu denken, Sicherheit mit Ma- Kameraden der Luftwaffe, die am vergangenen schinengewehren herzustellen. Sonntag mit ihrer Transall-Maschine auf den Azoren - Auf die Verteidigungskultur, die wir entwickelt tödlich verunglückt sind. Diese Männer gehören zu haben und die heute ein großer Exportartikel in Rich- denen, die seit Jahren überall auf der Welt, zuletzt tung der neuen Demokratien in Mitteleuropa ist, auch für Sarajevo und Bosnien, Tausenden von not- können wir stolz sein. Wir sind hier auf dem richtigen leidenden Menschen Hilfe gebracht und Hoffnung Wege. Das ist der Alltag der Bundeswehr. Daran gegeben haben, unter Gefahr für Leib und Leben, sollte niemand herumnörgeln. unter Beschuß. Um so tragischer ist es, daß sie ihr Le- ben auf diesem Flug gelassen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir müssen in einer solchen Stunde daran erin- Dankbar bin ich auch dafür, daß eigentlich von je- nern, daß wir um diese toten Soldaten trauern. Vor dem die Leistung der Bundeswehr, was die innere Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5585

Bundesminister Volker Rühe Einheit angeht, gewürdigt wurde. Wir wollen aber sere junge Generation und eine verbesserte Attrakti- nicht nachlassen, nachdem wir so viel Lob bekom- vität der Bundeswehr wichtig. men haben. Es gilt, noch viel zu tun. Mancher West- Das wichtigste ist - der Bundeskanzler hat es ge- deutsche hat den verschütteten Idealismus in sich wieder entdeckt; das spüre ich immer wieder in Ge- stern abend auch gesagt -: Wir brauchen zwar mo- sprächen mit Soldaten. Das sollte uns nachdenklich dernes Material, aber das wäre alles nichts, wenn wir machen. nicht die richtigen Menschen hätten, die in der Bun- deswehr dienen. Weil sie eine Wehrpflichtarmee ist, Ich möchte an dieser Stelle auch sagen: Ich habe bekommen wir auch die richtigen Berufssoldaten. ganz großen Respekt vor den Soldaten der Nationa- Wir wollen keine Rambos, wir wollen keine Legio- len Volksarmee, die wußten, daß wir sie nicht über- näre. Das muß man im übrigen immer auch bei Aus- nehmen - zum Teil haben sie das selbst entschieden -, landseinsätzen wissen: Eine Armee muß eingesetzt und ihren Dienst trotzdem ganz treu und loyal für werden können - für die Demokratie, für das Bünd- einen begrenzten Zeitraum verrichtet und diesen nis -, aber es muß schwer sein, diese Entscheidung phantastischen Übergang mit ermöglicht haben. Sie zu treffen. Diese Entscheidung ist schwer zu treffen, verdienen es, daß wir dies in dieser Stunde würdi- wenn es sich um eine Wehrpflichtarmee handelt. gen. Auch die 11 000 Männer, die heute nicht mehr (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- in der Bundeswehr sind, haben unserem Vaterland wie bei Abgeordneten der SPD) durch ihr Verhalten loyal gedient. Wir haben uns die Entscheidung schwer gemacht. (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und Weil die Menschen das gespürt haben, hat sich ein der SPD) Konsens entwickelt, den viele in den vergangenen Ich will aber nicht nur sagen, daß wir nicht nach- Jahren nicht für möglich gehalten haben. Ich finde, lassen werden, sondern möchte das, was die Bundes- das sollte man auch einmal sagen, weil soviel von wehr im Hinblick auf die innere Einheit gemacht hat, Unbeweglichkeit gesprochen wird: Dies geschah auch zur Nachahmung empfehlen. Wir haben näm- mitten im deutschen Einigungsprozeß, als die Men- lich Führungseinrichtungen von West nach Ost verla- schen in Dresden, Leipzig und Rostock wirklich an- gert, die es nur einmal gibt; das ist der eigentliche dere Probleme hatten als Auslandseinsätze und auch Kern. So können dort auch neue Eliten entstehen. die Menschen im Westen mit anpacken und für die Wiedervereinigung große Leistungen erbringen Ich war vor einigen Tagen mit 600 jungen Offiziers- mußten. Heute gibt es ein Verständnis dafür, daß die schülern in Hannover zusammen; sie waren im Bundeswehr die Solidarität zurückgeben muß, die Schnitt 21 Jahre alt. Dort wurde auch die große Ver- sie in der Vergangenheit erfahren hat, daß sie nicht antwortung deutlich. In wenigen Jahren wird diese aus dem internationalen Verbund ausscheren kann. Ausbildung, die es nur einmal in Deutschland gibt, in Dresden stattfinden. Das ist eine Entscheidung, die Deswegen möchte ich mich zum Schluß bei den sich andere vielleicht zum Vorbild machen könnten. Menschen in unserem Lande dafür bedanken, daß Manche bleiben sogar in Westdeutschland, obwohl sie den Weg der Soldaten und der Bundeswehr mit sie in asbestverseuchten Gebäuden sitzen. Ich denke so viel Verständnis begleiten. da z. B. an eine Einrichtung in Köln. Ich bedanke mich. Wir werden modernste Einrichtungen in München (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und und Hannover verlassen, weil wir gesagt haben: Die der F.D.P. - Beifall bei Abgeordneten der Investition in die Menschen ist wichtig. Eine Füh- SPD) rungseinrichtung, die es nur einmal in Deutschland gibt, muß es im Osten geben. Es dürfen nicht immer nur Ableger sein. Das empfehle ich zur Nachah- Vizepräsident Hans Klein: Kollege Walter Kolbow, mung. Sie haben das Wort. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Walter Kolbow (SPD): Herr Präsident! Meine sehr Die Bundeswehr ist Teil des Volkes; sie gehört in verehrten Damen und Herren! Zu vielen Ihrer Aus- unsere Mitte. Hier darf ich dankbar feststellen, daß führungen, Herr Bundesminister der Verteidigung, sich nicht nur die Koalitionsparteien voll zur Wehr- habe ich meine Zustimmung zu bekunden. Dies ist pflicht bekannt haben, sondern auch der Vorsitzende auch bei der Veranstaltung meiner Fraktion vor drei der SPD. Auch daraus erwächst Verantwortung; Tagen deutlich geworden, auf der wir das 40jährige denn es gibt immer wieder andere Stimmen. Ich Jubiläum der Bundeswehr gewürdigt haben. Die so- möchte ausdrücklich festhalten - es ist wichtig, daß zialdemokratische Bundestagsfraktion hat dies mit - das von allen gemeinsam gewürdigt wird -: Wehr- Selbstbewußtsein getan, nicht nur, um die Leistun- dienst ist in der Demokratie ein Ehrendienst. Wir alle gen unserer Streitkräfte herauszustellen, sondern müssen uns Mühe geben, dies den Wehrpflichtigen auch, um unsere eigenen Verdienste zu würdigen. deutlicher zu machen. Herr Kollege Gerhardt, Sie haben das anempfohlen. Wer könnte Ihnen da widersprechen? Wir diskutieren auch über das Wehrrechtsände- rungsgesetz. Hier gibt es wichtige Veränderungen. Die Leistungen der demokratischen Parteien, auch Wir bemühen uns, wirklich einen kompakteren auf dem Sektor der Außen-, Sicherheits- und Vertei- Dienst zu gestalten: Wehrdienst so lange wie nötig, digungspolitik, sind identitätsstiftende Grundlagen aber auch so kurz wie möglich. Das ist gerade für un für unser Gemeinwesen. Deshalb ist dieser Tag, 5586 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Walter Kolbow meine Damen und Herren, auch im Parlament so Wir in der parlamentarischen Opposition fühlen wichtig. uns heute wie in der Gründungszeit für die Bundes- wehr mitverantwortlich. Dies wird aus den deutlich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne bekundeten Übereinstimmungen, aber natürlich ten der CDU/CSU und der F.D.P.) auch in den Gegensätzen zur Bundesregierung sicht- Als Redner für eine Partei, in der Pazifisten und Pa- bar. Ich komme darauf zurück. zifistinnen immer ihren angestammten Platz in Re- Ich will hier für meine Fraktion noch einmal in Un- spekt vor einem wehrhaften Demokraten wie mir terstreichung dessen, was mein Fraktionsvorsitzen- hatten und haben werden, will ich sagen, daß es we- der gesagt hat, herausstellen, daß dieser Tag eine nig Sinn macht, den gestrigen Abend und den Ort hervorragende Bedeutung ebenso deswegen hat, möglicherweise als Sieg der Bundeswehr über die weil wir fünf Jahre Armee der deutschen Einheit be- Friedensbewegungen darzustellen. gehen können. Auch da gibt es keinen Dissens zwi- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schen den wesentlichen, die Streitkräfte stützenden DIE GRÜNEN) politischen Kräften in unserem Lande. Ich weise auf Empfindlichkeiten, die in diesem Land Mir ist dabei die Botschaft des damaligen Befehls- bestehen, auch als jemand, der nicht bei Demonstra- habers in den neuen Ländern General Schönbohm tionen der Friedensbewegungen dabei war, hin, weil im Bewußtsein, der in seinem Buch „Ein Staat, eine dies zur Versöhnung in unserem Lande gehört. Ihrer Armee" geschrieben und den NVA-Soldaten quasi Einseitigkeit, meine Damen und Herren von der Ko- zugerufen hat: alition, steht nicht eine Einseitigkeit in diesem Lande Wir kommen nicht als Sieger zu Besiegten, son- gegenüber. Dies muß von dieser Stelle aus gesagt dern als Deutsche zu Deutschen. Wir wollen ge- werden dürfen, ja gesagt werden müssen. Wir, meine meinsam die Zukunft gestalten, in Kenntnis der Damen und Herren, haben bei der Inneren Führung, Vergangenheit. Nur dies konnte der Weg sein, beim Leitbild des Staatsbürgers in Uniform, wesentli- der auch tragfähig war. Wir müssen eine gemein- che Grundlagen dafür gelegt. same Perspektive entwickeln, damit es für alle (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne lohnend war, sich einzubringen. ten der F.D.P.) Das war der Maßstab des Erfolgs, den sich die Poli- tik gesetzt hatte. Der Erfolg ist eingetreten. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Kolbow, Deshalb ist nach der Vereinigung zu sagen: Die gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Loyalität der Bundeswehr als verläßlicher Teil unse- Breuer? rer Demokratie steht außer Frage. Unsere Soldatin- nen und Soldaten sind wesentlicher Bestandteil un- Walter Kolbow (SPD): Herr Kollege Breuer, wenn serer freien Gesellschaft, und sie haben zusammen Sie mich im Zusammenhang vortragen lassen wollen. mit den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Wir können so oft im Verteidigungsausschuß die einen wichtigen Anteil am Aufbau des Staates. Sie Klingen kreuzen. Ich glaube zu wissen, was Sie fra- stehen für die Sicherheit ein, und tagtäglich bewäh- gen wollen. Ich komme darauf während meiner Aus- ren sie sich auch als demokratische Mitbürgerinnen führungen sicherlich noch zurück. Ich bitte aus- und Mitbürger. drücklich, dies nicht als fehlenden Respekt vor dem Kollegen Breuer zu werten, sondern ich möchte in Deswegen schulden wir ihnen und ihren Familien meiner kurzen Redezeit im Zusammenhang vortra- Dank. Weil dies so ist, liebe Kolleginnen und Kolle- gen. gen, darf man nicht blind auf die Soldatinnen und Soldaten und auf die, die sie stützen, einschlagen, Innere Führung, das Leitbild des Staatsbürgers in auch nicht im Zusammenhang mit dem Großen Zap- Uniform sind Markenzeichen unseres Beitrages. Ich fenstreich. Man muß - das kann nicht befohlen wer- füge die Stichworte Bildungsreform in den Streit- den - in unserem Lande, in unserer Demokratie, den kräften, Bundeswehruniversitäten und Militärge- Zapfenstreich nicht mögen - ich mag ihn -, aber man schichtliches Forschungsamt hinzu; Sie haben das muß, so meine ich - und da richte ich mich an die auch in Ihren Aussagen zu diesem Tag gewürdigt. links von uns stehenden Parteien und Gruppen in diesem Bundestag -, in jedem Fall soviel Gelassen- Ich nenne nicht ohne Grund auch das Sozialwis- heit aufbringen, ihn zu tolerieren. Das verlangen wir senschaftliche Institut, das im Augenblick unter Ih- als Demokraten, um Sie als solche zu respektieren, rer Verantwortung, Herr Bundesminister der Vertei- von Ihnen. digung, ein Kümmerdasein führt. Ich rege an dieser - Stelle auch an zu überlegen, ob man dieses wichtige, (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der auch unabhängige Meinungen fördernde, im Zusam- F.D.P.) menhang mit wichtigen Fragen unserer Landesver- teidigung notwendige Institut nicht der Wehrbeauf- Heute, im vierzigsten Jahre des Bestehens, steht tragten unterstellt und es damit dem Parlament gibt, die Bundeswehr vor einer weiteren Zäsur. Es ist auf damit wir gemeinsam mit den Streitkräften diese das wichtige Urteil des Bundesverfassungsgerichts Leitideen der Inneren Führung und des Staatsbür- hingewiesen worden, vor dem, Herr Kollege Rühe, gers in Uniform vertiefen können. nicht die Soldaten standen. Dieses Wort, glaube ich, wollten Sie so, wie es angekommen ist, nicht sagen. (Beifall bei der SPD) Vor dem Gericht stand eine Weiterentwicklung unse- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5587

Walter Kolbow rer Politik in bezug auf notwendige internationale wir dafür ein, in unseren Streitkräften einen Dialog Entwicklungen, und die Politik selbst stand durch über die große Bundeswehrreform zu führen, die wir den Klagevertreter Herrn Kinkel, der mit in Ihrem nach wie vor nicht haben. Kabinett sitzt, vor Gericht. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Es ist der Beharrlichkeit der Sozialdemokratinnen NEN]: In der Gesellschaft vor allem!) und Sozialdemokraten zu verdanken, Wir sind bereit, mit unseren Kräften dabei mitzuwir- (Widerspruch bei der F.D.P.) ken und einen Beitrag zum Konsens zu leisten. daß dies ein Parlamentsheer auch bei internationalen (Beifall bei der SPD) Einsätzen ist, meine Damen und Herren. Meine Damen und Herren, im Verhältnis von Par- (Beifall bei der SPD) lament und Bundeswehr - ich habe die Bedeutung des Parlamentsheeres herausgestrichen - hat das Weil es ein Parlamentsheer ist, bitte ich Sie - beschei- Amt des Wehrbeauftragten einen überragenden den aus der parlamentarischen Arbeit heraus, wie es Stellenwert. Mir ist es persönlich, aber natürlich auch dem Sprecher einer Oppositionsfraktion zukommt - politisch ein wichtiges Anliegen, dem Sozialdemo- zu überlegen, ob nach diesen deutlichen Worten des kraten Karl Wilhelm Berkhan, der von 1975 bis 1985 Verfassungsgerichts bei einem wichtigen Zeremo- dieses Amt vorbildlich ausübte, im nachhinein Dank niell unserer Streitkräfte nicht auch die Bundestags- zu sagen und an dieser Stelle an sein Wirken zu erin- präsidentin auf das Ehrenpodium gehört. nern. Er war das Auge und das Ohr, und er war das (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Jetzt soziale Gewissen. Das ist seither der Maßstab für die hat das Schicksal aber zugeschlagen! - Paul Arbeit aller Wehrbeauftragten in unserem Land. Breuer [CDU/CSU]: Kolbow wollte ja nicht (Beifall bei der SPD - Dr. Wolfgang Schäu- klagen!) ble [CDU/CSU]: Was ist denn mit den ande- Denn auch das Parlament repräsentiert unsere Streit- ren Wehrbeauftragten? - Wolf-Michael Ca- kräfte. Sie haben das Recht, Frau Kollegin tenhusen [SPD]: Die haben Sie doch schon Dr. Süssmuth - so darf ich in diesem Fall sagen -, gelobt! - Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/ CSU]: Wir haben alle gelobt! Das ist der Un- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Profes terschied!) sor!) Wir haben heute festzustellen - trotz der richtigen die Ehrungen mit abzunehmen, und brauchen nicht Worte des Herrn Bundeskanzlers und auch des Herrn wie wir nur auf der Besuchertribüne zu stehen. Bundesministers der Verteidigung: Wehrpflicht ist und bleibt Ausdruck der Bürgerverantwortung -, daß (Beifall bei der SPD - Günter Verheugen sich die Wehrpflicht heute in einer Krise befindet. [SPD]: Das sind die kleinen Stillosigkeiten!) Ihre Legitimation in unserer Gesellschaft ist zumin- Meine sehr verehrten Damen und Herren, die dest brüchiger geworden, wenn nicht gar brüchig. neuen Aufgaben fordern notwendigerweise eine Mo- Von den jungen Männern wird sie immer weniger dernisierung der Bundeswehr. Sie muß breit ange- akzeptiert. Hier ist die Praxis gefordert, die Sie ange- legt sein. Sie muß die Konkretisierung des Auftrags, mahnt haben. Ich habe den Eindruck, daß niemand das Konzept der Inneren Führung, die Personalfüh- frei davon ist, an Sonntagen feierlicher und grund- rung, die Ausbildung, die Ausrüstung, die Integra- sätzlicher zu sprechen als an Werktagen. Aber bei tion in Staat und Gesellschaft sowie die Integration der Wehrpflicht - das muß ich Ihnen auch nach dem der Streitkräfte in das westliche Verteidigungs- und sagen, was Sie wieder vorschlagen - sind Sie den Sicherheitsbündnis nicht nur wie bisher umfassen, Sonntagsreden näher als wir. sondern auch vertiefen. Ich unterstreiche ausdrück- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) lich das zur Verbreiterung im Bündnis Gesagte, was internationale Korps betrifft und was die Grundlage Deswegen mahne ich an, miteinander ins Ge- der Bündnisfähigkeit ist. spräch zu kommen. Ein „Weiter so!" genügt hier nicht. Die Defizite in der gesellschaftspolitischen Dis- In diesem Prozeß haben die Soldaten und Soldatin- kussion sind zu groß. Wir haben sie miteinander aus- nen einen Anspruch auf besondere Fürsorge. Daher zugleichen. Die Feststellungen der Grünen und der ist eine vorausschauende mittelfristige Bundeswehr- Gruppe der PDS hierzu müssen wir aus Überzeu- planung notwendig, die alle politischen, militäri- gung ablehnen. Die Abschaffung der Wehrpflicht ist schen, betriebswirtschaftlichen und sozialen Fakto- nicht die richtige Antwort darauf. ren sowie die Ergebnisse politischer Erwägungen - einbezieht. Wir setzen uns nachdrücklich dafür ein, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- die Reform der Bundeswehr für alle nachvollziehbar ten der F.D.P.) und über einen längeren Zeitraum hinweg zu pla- Hier gilt: Nicht alles - und ich kenne viele ernstzu- nen. Ein knapper, inhaltlich auch noch umstrittener nehmende Kolleginnen und Kollegen gerade unter Koalitionsvereinbarungsbeschluß von 1994 kann den Verteidigungspolitikerinnen und Verteidigungs- doch nicht die Grundlage dafür sein, meine Damen politikern und diskutiere mit ihnen -, was gut ge- und Herren von der Koalition, wie die Bundeswehr in meint ist, ist auch gut. In diesen Zusammenhang ge- der Zukunft aussehen soll. Das ist zu kurz gesprun- hört Ihre Position zur Wehrpflicht. gen. Das erreicht auch nicht unsere ganze Gesell- schaft, die dabei mitwirken muß. Deswegen treten (Beifall bei der SPD) 5588 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Walter Kolbow Meine Damen und Herren, die Soldatinnen und Ich danke für die Geduld. Soldaten sind von allen gewürdigt worden. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ ten der CDU/CSU und der F.D.P.) NEN]: Ich kann „Soldatinnen und Solda ten" nicht mehr hören!) Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- - Daran müssen Sie sich gewöhnen; denn auch Sol- lege Rainer Eppelmann. datinnen tragen Uniform. Ich habe mich ebenfalls daran gewöhnen müssen. Dem Anspruch auf Eman- zipation werden wir auch dadurch gerecht, daß wir Rainer Eppelmann (CDU/CSU): Herr Präsident! jungen Frauen das Recht geben, Soldatinnen zu wer- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wußten ei- den, auch wenn sie es selber nicht wollen. gentlich die Menschen in der DDR von der Bundes- wehr, die in diesen Tagen ihr 40jähriges Bestehen fei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ern kann? Ein weitverbreitetes DDR-Wörterbuch der ten der CDU/CSU und der F.D.P.) Geschichte charakterisierte die Bundeswehr als Ich will zum Abschluß meiner Rede deutlich ma- ... wichtigstes bewaffnetes Machtorgan des chen: Wir haben in den Art. 87a und 87 b des Grund- staatsmonopolistischen Regimes der BRD, dessen gesetzes die Aufgabenteilung zwischen den Streit- innenpolitische Funktion die Sicherung der mo- kräften und der Bundeswehrverwaltung zur gemein- nopolkapitalistischen Klassenherrschaft ist und samen Aufgabenerfüllung festgeschrieben. Dieses dessen außenpolitische Funktion darin besteht, hat sich bewährt. Dabei wollen wir bleiben. Nur müs- expansionistische Ziele unter militärischer Ge- sen dann auch die Bediensteten, die Mitarbeiterin- waltanwendung erreichen zu können. nen und Mitarbeiter im zivilen Bereich, merken, daß Sie, die politische Führung, mit ihnen bei der Redu- Ich mute Ihnen allen diesen typischen SED-Text zu, zierung auf soziale Weise umgehen. Ich mahne die weil mir wichtig ist, mit diesem Zitat deutlich zu ma- Behandlung der Fragen der Vertiefung des Tarifver- chen, was die Menschen in der DDR nach dem Wil- trages und der Sozialfürsorge an. Die Wohnungsfür- len der DDR-Machthaber von der Bundeswehr glau- sorge für unsere Bundeswehr ist eine Katastrophe. ben sollten. Ich will den Bundesverteidigungsminister nicht für Das Eintreten für den Frieden und die Verweige- etwas in Anspruch nehmen, was er nicht zu vertreten rung des Waffendienstes in der Nationalen Volksar- hat. Aber wenn der Bundesfinanzminister, weil er mee kein Geld mehr hat, jetzt Bundeswohnungen ver- kauft, müssen wir genau darauf achten, ob es sich (Zuruf des Abg. Ludger Volmer [BÜND- dabei nicht auch um bundeswehreigene Wohnungen NIS 90/DIE GRÜNEN]) handelt, (Beifall bei der SPD) - hör doch zu! - gehörten in der DDR zu den wichtig- sten Motiven für Widerstand und Opposition. Ich so daß dann im Ergebnis die Bediensteten der Bun- selber wurde endgültig zu einem politischen Men- deswehr die Benachteiligten sind. schen, als ich mich zum Dienst in den Baueinheiten Ich will auch an die Reservisten erinnern, die ei- der NVA entschloß und als „Spatensoldat" das Ge- nen wichtigen Dienst leisten und die auch von dieser löbnis verweigerte, mit dem ich meinen militärischen Stelle im Deutschen Bundestag aus gesagt bekom- Genossen Vorgesetzten unbedingten Gehorsam ge- men sollen, daß wir anerkennen, welch wichtigen loben sollte. Das konnte und das wollte ich nicht. Dienst sie leisten, und daß wir sie weiter brauchen. (Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/ Wir grüßen von dieser Stelle aus alle, die heute in DIE- GRÜNEN]: Wie war das in der Ost den Kasernen sind und uns möglicherweise zu- CDU?) schauen oder sich eine Aufzeichnung anschauen Nach dem Sturz der SED-Diktatur wurde aus können. Wir grüßen die Familien der Soldaten. dem Bausoldaten, der wegen Gelöbnisverweigerung (Dr. Klaus Rose [CDU/CSU]: Das ist doch acht Monate Militärhaft hatte abbüßen müssen, ein eine Sonntagsrede!) Minister. Ich legte großen Wert darauf, daß sich das Ministerium, an dessen Spitze ich berufen wurde, - Das ist ein wichtiger Anspruch, Herr Kollege Rose, „Ministerium für Abrüstung und Verteidigung der den Sie in Ihrer Rede, die folgen wird, einlösen kön- DDR" nannte. Ich glaube auch heute noch, daß wir nen. damit damals ein wichtiges Zeichen gesetzt hatten. Für uns gilt unverändert der Satz von Willy Brandt, Der Verteidigungsauftrag wird im Interesse der Men-- der eine Gesamtwürdigung dessen darstellt, was die schen, um deren Verteidigung es geht, immer nur Bundeswehr 40 Jahre lang bewirkt hat, und der ein dann richtig begriffen, wenn er alle Möglichkeiten, Wunsch in bezug darauf ist, was die nächsten zu geordneten Formen der Abrüstung zu kommen, 40 Jahre für unser Land Gutes bringen sollen: „Der im Blick behält. Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles Die Position, die meine Freunde und ich damals nichts. " einnahmen, war damals keineswegs selbstverständ- Deswegen wünschen wir den Angehörigen der lich. Wir begannen aber zu begreifen, daß die Verei- Bundeswehr Glück auf dem weiteren Weg in eine nigung unseres geteilten Landes in Frieden und Frei- friedliche Zukunft. heit nur dann möglich sein würde, wenn es gelingt, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5589

Rainer Eppelmann die Vereinigung von Volksarmee und Bundeswehr nannten Klassenauftrag zu erfüllen. Wir wissen erfolgreich zu gestalten. heute: Diese Armee bereitete sich im Auftrag der SED-Machthaber auf die Eroberung Westberlins vor, Welche harten Konflikte sich damit auch im ganz entwickelte Pläne für die Besetzung Westdeutsch- persönlichen Bereich ergaben, will ich Ihnen mit ei- lands bis zum Rhein und war - auch das wissen wir ner kleinen Geschichte, an die ich mich noch erin- inzwischen durch die Arbeit der Enquete-Kommis- nern kann, illustrieren: Als ich zu der Zeit, in der ich sion - voll einsatzbereit, als in Prag und Warschau Minister für Abrüstung und Verteidigung war, eines die kommunistischen Diktaturen zu wanken began- Tages nach Hause kam - ich wohnte damals noch in gen. Erst - aber auch das muß fairerweise dazuge- der Gemeinde, in der ich Pfarrer war -, war mit gro- sagt werden - in den letzten Wochen und Monaten ßen Lettern an die Wand des Hauses, in dem ich der DDR begann sich dieser blinde Gehorsam gegen- lebte, gesprüht: „Eppelmann treibt uns in die über den Diktatoren zu wandeln. Und in der Wende- NATO". Ich habe hinterher erfahren, daß es ein lie- zeit stellte sich die NVA in ihren allergrößten Teilen ber Mensch war, der das an die Wand gesprüht hatte. auf die Seite der ersten demokratisch gewählten Re- Er hat seine Sorgen öffentlich gemacht und ver- gierung in der DDR. Dafür gehört ihr Dank. suchte auf diese Weise, seinem Vater etwas ins Stammbuch zu schreiben. Es war mein ältester Sohn, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der das an die Wand gesprüht hat. Bundesverteidigungsminister Volker Rühe hat die (Dr. Helmut Lippelt [BÜNDNIS 90/DIE Überleitung der NVA in die Bundeswehr am GRÜNEN]: Gute Familie!) 9. Oktober als eine Leistung gewürdigt, die histo- - Ja, und - darauf lege ich Wert - nicht ohne den Va- risch ohne Beispiel ist. Als einer, der an diesem Pro- ter denkbar. zeß beteiligt war, kann ich dieses Urteil aus meiner Sicht bestätigen. Ich glaube, wir dürfen heute sagen: (Heiterkeit bei der CDU/CSU) Die Integration ist - gemessen am Leben und nicht Ich erzählte diese Geschichte, um Ihnen deutlich an irrationalen Träumen - beispielhaft gut gelungen. zu machen: Die deutsche Vereinigung erfordert von Aus Menschen, die sich als Feinde gegenüberstan- allen daran Beteiligten ein neues Denken. Wir von den, sind Kameraden geworden. Alte Feindbilder der unabhängigen Friedensbewegung in der DDR sind innerhalb von wenigen Monaten zerbrochen. mußten unsere Auffassungen zur politischen Auf- Rund 3 000 Offiziere und 7 600 Unteroffiziere der gabe der Verteidigung und zur politischen Funktion ehemaligen NVA wurden von der Bundeswehr über- einer Bürgerarmee grundlegend überdenken. Bei al- nommen. Bundeswehrdienststellen wurden in den len Parallelen gab es nämlich gewaltige grundsätzli- neuen Bundesländern neu aufgebaut, Wehreinrich- che Unterschiede zwischen Bundeswehr und Natio- tungen, Truppenteile und Dienststellen vom Westen naler Volksarmee, zwischen NATO und WVO. Ar- in den Osten verlegt. In jedem Jahr der deutschen mee ist eben nicht gleich Armee, und militärisches Einheit wurden die sanitären und hygienischen Ver- Bündnis ist eben nicht gleich militärisches Bündnis. hältnisse, wurde die Unterbringungs- und Betreu- ungssituation der Soldaten besonders in den neuen (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Bundesländern durch Milliardenbeträge massiv ver- bessert. Heute ist mir klar - als Pazifist sage ich das eigent- lich gar nicht so gerne; aber um der Ehrlichkeit wil- Solche Zahlen und Aussagen verdeutlichen nicht len muß ich es sagen -: Ohne NATO und ohne Bun- alles. Wichtig war und ist mir, welche Schicksale sich deswehr gäbe es heute kein demokratisches Europa dahinter erkennen lassen. In der gesamtdeutschen mit einem demokratischen Deutschland. Davon bin Bundeswehr ist jenes Vertrauen gewachsen, das ich überzeugt. Darum bin ich froh, daß es sie gege- Menschen brauchen, die sich im Ernstfall total auf- ben hat. einander verlassen müssen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so Inzwischen hat auf der Ebene der Wehrpflichtigen wie des Abg. Walter Kolbow [SPD]) jene Durchmischung stattgefunden, die die Integra- Im Bonner Verteidigungsministerium, in der Bun- tion erst wirklich dauerhaft macht. Bis heute haben deswehr und in der Führung der Nationalen Volksar- 200 000 ostdeutsche junge Männer ihren Wehrdienst mee mußte man darüber nachzudenken beginnen, in der Bundeswehr abgeleistet - viele von ihnen an wie zwei Armeen, die sich fast vier Jahrzehnte lang Standpunkten, die sich in den alten Bundesländern als potentielle Kriegsgegner gegenüberstanden, nun befinden. Die Erfahrungen, die sie da mit ihren Ka- zusammengeführt - zusammen geführt - werden meraden gemacht haben, waren überwiegend posi- können. Die NVA-Angehörigen sahen sich zusätzlich tiv. Das finde ich gut. Auch in diesem Bereich wächst - einer völlig ungewissen Zukunft gegenüber. Hervor- allmählich zusammen, was zusammengehört. ragend ausgebildet und ausgestattet sahen sie, die doch wie alle anderen Bürger auch ihre persönlichen Mit dem Prinzip der Durchmischung von Wehr- Hoffnungen und Ängste hatten, sich einer mehr als pflichtigen, längerdienenden Soldaten und Zivilbe- ungewissen Zukunft gegenüber. schäftigten aus Ost und West wird für das Zusam- menwachsen der Menschen ein besonders wichtiger Das politische Urteil über die Nationale Volksar- Beitrag geleistet. Die Bundeswehr bereitet sich damit mee als Klassen- und Machtinstrument der SED auf die völlig neuen Aufgaben vor, die ihr ein zusam- konnte durch diese Einsicht jedoch nicht getrübt menwachsendes Europa stellt, in dem Integration, werden. Die NVA stand immer bereit, ihren soge Konfliktbegrenzung und Katastrophenhilfe in ge- 5590 Deutscher Bundestag -- 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Rainer Eppelmann meinsamer Verantwortung organisiert werden müs- Rechtsstaat als überlegen und als der menschlichere sen. Staat erwiesen.

Ich könnte hier noch sehr viel davon berichten, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) was ich als Pazifist und Zivilist in der Zeit der Über- Die Bundeswehr ist heute eine leitung der Nationalen Volksarmee in die Bundes- gesamtdeutsche Armee, in der Menschen aus den alten und neuen wehr erlebt habe. Gewiß habe ich dabei auch Fehler Bundesländern gemeinsam wirken. Sie verstehen gemacht. Gewiß bin ich dabei von den Profis auch sich als „Staatsbürger in Uniform", die sich in Befehl gelegentlich über den Tisch gezogen worden. Ich und Gesetz nicht an eine Parteiclique, sondern an die habe aber auch hohe Einsatzbereitschaft, Vermitt- Grundwerte unserer freiheitlichen Demokratie und lungsfähigkeit in schwierigen Konfliktsituationen ihr Gewissen gebunden fühlen. Sie verstehen sich als und hohe fachliche Kompetenz bei den Männern er- Angehörige einer Armee, die unlösbar in ein umfas- lebt, mit denen ich da zu tun hatte. sendes Bündnis der parlamentarischen Demokratien Auch an dieser Stelle möchte ich deutlich sagen: in dem sich vereinenden Europa eingebunden ist. Sie Es ist ein ungeheures Verdienst, daß bei der Fülle erproben und bewältigen vor dem Hintergrund un- von Waffen, Munition und Material, die uns überge- terschiedlichster Biographien Tag für Tag alle die ben worden ist - das läßt sich heute nachweisen -, vielfältigen Probleme, die der Prozeß der deutschen nicht eine Pistole, nicht ein Schuß Munition verloren- Einheit uns allen aufgibt. gegangen ist. Da ist eine ganz wichtige Arbeit zur Er- Die Bundeswehr ist zu einer Schmiede der Integra- haltung des inneren Friedens für uns alle geleistet tion und der deutschen Einheit geworden. Die Bun- worden. deswehr als Bürgerarmee des vereinigten Deutsch- lands ist zu einem guten Modell dafür geworden, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) was wir in allen Bereichen unseres Lebens erreichen Das hätte im Frühjahr 1990 alles ganz anders laufen wollen und müssen. Darum muß sie, solange wir können. noch eine Armee brauchen, eine Bürgerarmee blei- ben; sie sollte keine Berufsarmee werden und keines- (Zustimmung bei der CDU/CSU) falls eine Parteiarmee, wie es die NVA war. Die Gefahr eines Putsches einzelner bewaffneter Ich sage Ihnen ganz ehrlich, daß ich mir vor fünf Kräfte der SED-Diktatur war nicht nur ein Hirnge- Jahren diese Entwicklung zwar vorstellen konnte, spinst überängstlicher Gemüter. daß ich keineswegs aber gewiß war, ob es sich auch realistisch umsetzen läßt. Heute kann ich voller Wenn wir heute an die Gründung der Bundeswehr Dankbarkeit feststellen: Das große Experiment ist ge- vor 40 Jahren denken, dann gehört für mich auch der lungen. Verantwortung füreinander und die Bereit- fünfte Jahrestag der Integration der Nationalen schaft, aufeinander zuzugehen und sich völlig neu zu Volksarmee in die Bundeswehr dazu. Immerhin ist orientieren, haben sich in der Bundeswehr des ver- das schon ein Achtel ihrer Gesamtgeschichte. einten Deutschlands bewährt. Dafür danke ich allen aus den alten und den neuen Bundesländern, die Natürlich hätte ich mir gewünscht, daß noch mehr dazu beigetragen haben und dies geschafft haben. Menschen in diesen Integrationsprozeß hätten einbe- Danke schön ihnen allen! zogen werden können. Ich weiß aber auch, wo die Grenzen - auch vor dem Hintergrund von Wien I und (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und Wien II - des Machbaren und Möglichen liegen. In der F.D.P. - Beifall bei der SPD) manchen Punkten hätte man gewiß großzügiger sein können. So halte ich es noch immer für möglich, daß Offiziere der NVA, die sich nichts zuschulden kom- Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- men ließen, ihren militärischen Rang mit einem sach- lege Winfried Nachtwei. lich präzisen Zusatz, z. B. Oberst a. D. oder Oberst der NVA a. D., führen dürfen. Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Geburts- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge tage sind in der Regel Anlaß für Lobeshymnen, Um- ordneten der F.D.P.) armungen und oft auch Rauschzustände. Hiervon hat Auch im Bereich der Versorgungsleistungen halte es in den letzten Wochen aus Anlaß des 40jährigen ich Verbesserungen noch immer für machbar. Wir Bestehens der Bundeswehr reichlich gegeben. Un- sollten da so großzügig wie nur möglich verfahren. sere Aufgabe hier und heute ist, zu einer nüchternen- Wer hier aber kritisiert, sollte dabei fair sein. Das Zwischenbilanz beizutragen. Das will ich aus unserer heißt, es geht und es ging uns in unserem politischen Perspektive versuchen. Bemühen um eine allgemeinverträgliche Lösung. Die Gründung der Bundeswehr wurde gegen den Nicht alle Wünsche sind erfüllbar, und das Ergebnis Willen eines Großteils der Bevölkerung durchgesetzt ist nicht immer von allen zu akzeptieren. Wer zu laut und war keineswegs d e r demokratische Neuanfang, über nach seiner Meinung zu schlechte Behandlung wie es heute verklärend dargestellt wird. Sie wissen, schimpft, sollte bedenken: Wenn die Geschichte an- daß damals wegen der Wiederbewaffnung Gustav ders gelaufen wäre, hätte kein Soldat und kein Offi- Heinemann aus der CDU ausgetreten ist. zier der Bundeswehr in der NVA anerkannt Dienst tun können. Auch hier hat sich der demokratische (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5591

Winfried Nachtwei Den Aufbau der Bundeswehr prägten 10 000 ehe- gerät die Innere Führung insgesamt wieder stärker malige Wehrmachtsoffiziere, die zur Bedingung ihrer unter Druck. Wenn politische Bildung vielfach ver- Mitarbeit die „Rehabilitierung des deutschen Solda- nachlässigt wird, wenn laut Bericht des Wehrbeauf- ten" gemacht haben. So wurde die aktive Beteili- tragten in der Truppe wiederholt körperliche und gung der Wehrmacht am nationalsozialistischen Ver- Kollektivstrafen angewandt werden, also schikaniert nichtungskrieg systematisch verdrängt und die Le- wird, dann sind das beunruhigende Zeichen. gende von der „sauberen Wehrmacht" und ihren so- genannten soldatischen Leistungen zur jahrzehnte- (Michaela Geiger [CDU/CSU]: Vielleicht langen Lebenslüge und faktisch vorherrschenden gibt es auch ein paar gute Sachen!) Traditionslinie in der Bundeswehr. Das ging einher Stolz behaupteten die vorherigen Festredner, die mit der Achtung derjenigen ehemaligen Wehr- Bundeswehr habe 40 Jahre Frieden und Freiheit ga- machtssoldaten, die damals nicht mehr mitgemacht rantiert. Als Angehöriger der Nachkriegsgeneration haben, der Deserteure. Das ging einher mit einem bin ich in der Tat froh, bisher keinen Krieg erlebt ha- Bild von der Sowjetunion, das sich kaum von dem ben zu müssen. Aber die Tatsache, daß die Blockkon- vor 1945 unterschied und das bis Ende der 80er frontation glimpflich zu Ende ging, kann das System Jahre so fortexistierte. der atomaren Abschreckung und die Rolle der Bun- deswehr dabei nachträglich keineswegs heiligspre- Eindeutig stellt der Traditionserlaß von 1982 fest: chen: „Ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich kann Tra- dition nicht begründen." Dieser Anspruch ist bis (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN heute längst nicht durchgesetzt. In unserer Debatte sowie des Abg. Heinrich Graf von Einsiedel zur Benennung von Kasernen nach antidemokrati- [PDS]) schen - sogenannten - „Helden" der Wehrmacht wurde das überdeutlich. Daß weiterhin, über sieben Über Jahrzehnte pflegte man in Ost und West völlig Jahre lang, Kasernen nach überzeugten nationalso- überzogene Bedrohungsbilder, kräftig geschürt von zialistischen Generälen benannt sind, ist ein fortdau- entsprechenden Rüstungsinteressen. Die atomare ernder Skandal. Abschreckung baute auf der Bereitschaft zum atoma- ren Völkermord auf. Sie ging schließlich mit einem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sich gegenseitig hochschaukelnden Wettrüsten ein- sowie bei Abgeordneten der SPD) her, das gigantische Summen fraß. Die Jahrzehnte des ostwestlichen Rüstungswahns waren für die so- Kein Wunder, daß es angesichts solcher Un-Vorbilder ziale und ökologische Entwicklung der Menschheit in der Truppe des öfteren zu einem kritiklosen Rück- verlorene Jahre. griff auf Wehrmachtstraditionen kommt, wie der Wehrbeauftragte selbst bemängeln mußte. Vizepräsident Hans Klein: Gestatten Sie eine Zwi- Es ist allen Armeen gemeinsam, daß ihre Soldaten schenfrage des Kollegen Mahlo? gegebenenfalls für ihren Auftrag zerstören, töten und verstümmeln und dabei selbst Leben und Ge- sundheit riskieren müssen. Unterhalb dieser Ebene Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): können wir aber nicht verkennen, daß sich die Bun- Nein, jetzt nicht. deswehr in wesentlichen Punkten von allen früheren Sein tödliches Erbe - vor allem das der Atomwaf- deutschen Armeen und der Nationalen Volksarmee fen - ist noch längst nicht bewältigt. unterscheidet. (Beifall der Abg. Kerstin Müller [Köln] (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung mit der Mit dem Ende des Ost-West-Konflikts kam in Eu- Waffe, das verfassungsmäßige Verbot des Angriffs- ropa ein Abrüstungsprozeß in Gang, wie er zu Frie- krieges, den Primat der Politik, die Innere Führung denszeiten in der Tat ohne Beispiel ist. Auch die Bun- mit dem Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform", die deswehr schaffte dabei enorme Abrüstungsschritte rechtsstaatliche Bindung von Befehl und Gehorsam und löste die NVA weitgehend lautlos auf. Über- und vor allem die Institution des Wehrbeauftragten schattet wurde das von einer Politik der Bundesregie- nenne ich als besondere Merkmale. rung, die die Lieferung überschüssiger Rüstungsgü- Die Bundeswehrangehörigen sind so sehr in die ter in Krisenländer wie die Türkei und Indonesien zu- Gesellschaft integriert, daß von einem „Staat im ließ. Hier pervertierte Abrüstung in ihr Gegenteil. Staate" keine Rede sein kann. Wie weit dieser hohe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Anspruch der Inneren Führung auch in die Tat um- gesetzt wird, muß sich jeden Tag neu erweisen. Das Während in der Öffentlichkeit der Eindruck vor- zeigt sich nicht zuletzt am Umgang von Vorgesetzten herrscht, es gehe mit der Abrüstung weiter, ist diese mit internen Kritikern. Die Männer des „Darmstädter hoffnungsvollste Phase in der Geschichte der Bun- Signals" wissen ein Lied von der oft mangelnden de- deswehr in Wirklichkeit längst zu Ende, ist wieder mokratischen Souveränität von Vorgesetzten zu sin- der Rückwärtsgang eingelegt. Erstmals seit Jahren gen. wächst der Anteil der Militärausgaben am Gesamt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haushalt wieder, nämlich von 10 % in diesem Jahr auf 10,7 % im nächsten Jahr. Die Bündnisgrünen leh- Mit der Auftragserweiterung der Bundeswehr und nen diesen neuen Aufrüstungskurs einhellig ab. der Forderung nach mehr Härte in der Ausbildung Denn daß die Bundeswehr mit Kampfeinsätzen zur 5592 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Winfried Nachtwei Bewältigung überwiegend innerstaatlicher Konflikte Sicherheits- und Friedenspolitik geht alle an. Des- beitragen könnte, ist ein gefährlicher und zudem halb appelliere ich an die vielen Bürgerinnen und äußerst teurer Irrglaube - Ihr Irrglaube. Bürger, die sich der Friedensbewegung zurechnen oder zurechneten: Mischt euch wieder ein! Zwischen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Grün und Olivgrün liegen meist Welten. Gerade des- Möglich und nötig ist eine weitere Reduzierung halb ist der kritische Dialog zwischen Friedensbe- wegten und Soldaten unverzichtbar. der Bundeswehr, die mit der Abschaffung der Wehr- pflicht einhergehen muß. Dieser Zwangsdienst, der Danke schön. inzwischen so schwindelerregend idealisiert wird, ist schlichtweg nicht mehr legitimierbar. Sie kennen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Bericht der Jugendoffiziere, die feststellen, daß sowie bei Abgeordneten der PDS) unter Jugendlichen die Wehrpflicht einhellig abge- lehnt wird. Vizepräsident Hans Klein: Kollege Günther Nol- ting, Sie haben das Wort. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gott sei Dank!) Günther Friedrich Nolting (F.D.P.): Herr Präsident! Hierzu werden wir in Kürze einen Antrag in den Meine Damen und Herren! Die Bundeswehr und alle Bundestag einbringen. die, die ihr als Grundwehrdienstleistende, als Frei- willige, als Reservisten oder als Zivilangestellte die- Seit 30 Jahren habe ich Entscheidungsprozesse nen und gedient haben, sicherten zusammen mit un- junger Männer miterlebt, die sich fragen mußten: seren Freunden und Partnern Deutschland und Eu- Wie halte ich es mit dem Wehrdienst bzw. mit dem ropa vier Jahrzehnte den Frieden. Sie tun dies bis Zivildienst? Über viele Jahre erforderte es besonde- heute. Der Dienst der Bundeswehrangehörigen war rer Zivilcourage, den Kriegsdienst mit der Waffe zu und ist somit Friedensdienst und verdient als solcher verweigern. Wenn inzwischen Kriegsdienstverweige- Anerkennung. rer und Zivildienstleistende in der Gesellschaft aner- kannt sind, dann liegt das an ihrer sichtbar hilfrei- Herr Kollege Kolbow, der Platz für den Zapfen- chen Arbeit, dann ist das ein echter zivilisatorischer streich gestern abend war richtig. Die Bundeswehr Fortschritt. ist eine, ist die Friedensbewegung in der Bundesre- publik Deutschland. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) Vertreter der Koalition versuchen in der letzten Herr Kollege Nachtwei, auch Sie sollten dies zur Zeit verstärkt, die Kriegsdienstverweigerer abzuwer- Kenntnis nehmen. Sie sollten ebenfalls die Erfolge in ten, ja zu diskreditieren. Um den Nachwuchssorgen der Abrüstung, in der Abrüstungskontrolle anerken- der Bundeswehr entgegenzuwirken, soll der Zivil- nen. Wenn Sie hier den Anstieg der Mittel für den dienst zur „lästigen Alternative" - so ein CDU-An- Verteidigungshaushalt ansprechen, so vergewissern trag - und der Wehrdienst attraktiver gemacht wer- Sie sich bitte noch einmal: Das waren Mittel für Per- den. sonalstärkung, also Gelder für tarifliche Gehaltserhö- hungen. Ich denke, daß unsere Soldaten hierauf Im Unterschied zu Ihnen habe ich gelernt - unab- auch einen Anspruch haben. hängig von meiner Auffassung -, die Entscheidung (Beifall bei der F.D.P.) der jungen Wehrpflichtigen für Wehrdienst oder Zi- vildienst zu respektieren. Deshalb treten wir in unse- Meine Damen und Herren, die vor 40 Jahren ge- rem Antrag zum Wehrrechtsänderungsgesetz dafür gründete deutsche Bundeswehr hat ihren Auftrag ein, endlich wieder dem Buchstaben des Grundge- zur Verteidigung Deutschlands und Mitteleuropas setzes zu folgen und die Dauer des Ersatzdienstes an erfüllt. Ihre bisherige Organisationsstruktur war die des Wehrdienstes anzugleichen. überwiegend auf die Landes- und Bündnisverteidi- gung ausgerichtet. Heute dagegen müssen unsere In den 80er Jahren standen Friedensbewegung Streitkräfte an die neuen politischen Verhältnisse an- und Soldaten bei Tausenden Gelegenheiten in hei- gepaßt werden. Dieser Prozeß ist in Gang gesetzt ßen Auseinandersetzungen. Es waren Auseinander- worden. Dabei bleibt die feste Bindung in das Nord- setzungen, die oft lehrreich waren. Ich glaube, die atlantische Bündnis die grundsätzliche Vorausset- heutige Bundeswehr wäre nicht so - auch hinsicht- zung für eine erfolgversprechende europäische Ent- lich ihrer Behutsamkeit -, wie sie von der militäri- wicklung. schen und politischen Führung nach außen darge- stellt wird, wenn es nicht die Kritik und die Ausein- Parallel zum Umstrukturierungsprozeß der NATO andersetzung mit der Friedensbewegung gegeben hat die Bundeswehr eine bewundernswerte Leistung hätte. für die deutsche Einheit erbracht, die sich zahlreiche gesellschaftliche Institutionen und Organisationen Inzwischen gibt es diese öffentliche Auseinander- zum Vorbild nehmen sollten. Meine Damen und Her- setzung um Sicherheits - und Friedenspolitik in der ren, die Armee der Einheit hat sich bewährt. Bevölkerung kaum noch. Das, denke ich, ist von übel! Ich bin zuversichtlich, daß unsere Streitkräfte in gleicher Weise Hervorragendes leisten werden, (Uwe Lühr [F.D.P.]: Das ist hervorragend!) wenn es darum geht, mit ehemaligen Gegnern und Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5593

Günther Friedrich Nolting heutigen Freunden im Rahmen der Pa rtnerschaft für der Bundeswehr zurück, die Sie in diesem Zusam- den Frieden zusammenzuarbeiten. Herr Minister menhang hier vorgenommen haben. Die Bundes- Rühe, Sie haben auf diesen Bereich schon hingewie- wehr ist demokratisch legitimiert. Aber dies werden sen. Das Vertrauenskapital, das hier aufgebaut wird, Sie als Vertreter der SED-Nachfolgeorganisation reicht weit über die Sicherheitspolitik hinaus in an- wahrscheinlich nie verstehen. Ich habe den Ein- dere Politikbereiche hinüber. Darüber sind sich, druck, daß einige von ihnen immer noch dem alten glaube ich, viele nicht im klaren, die eine Armee be- System nachtrauern. stenfalls als notwendiges Übel betrachten. Meine Damen und Herren, ich denke, solch eine Die Wehrpflicht bleibt aus ideellen Gründen wie Geburtstagsfeier bietet auch die Möglichkeit zu ei- praktischen Überlegungen weiterhin ein legitimes nem Ausblick in die Zukunft. Ich will hier einige we- Kind der bundesdeutschen Demokratie. Der Kollege nige Punkte nennen: Gerhardt hat dies schon angesprochen. Ich will aber eins dazusagen: Es muß dem in der jüngeren Ver- Erstens. Es muß eine umfassende gesamtgesell- über die zukünftige Rolle gangenheit entstandenen Eindruck entgegengewirkt schaftliche Diskussion werden, es handele sich hier um ein Stiefkind. deutscher Streitkräfte geführt werden, die die neue außenpolitische Situation Deutschlands berücksich- Die historisch gewachsene sehr kritische Einstel- tigt. Ausgangspunkt dafür sollte die heutige Diskus- lung großer Teile der Gesellschaft bzw. auch der mei- sion sein, die aber auf allen Ebenen fortgesetzt wer- nungsbildenden gesellschaftlichen Gruppen würde den muß. Es genügt eben nicht, hier eine Feier- sich bei einer Aufgabe der Wehrpflicht - wie von vie- stunde abzuhalten und ab morgen wieder zur Tages- len hier im Hause gefordert - in Gleichgültigkeit ordnung überzugehen. Ich denke, Herr Kollege Kol- wandeln. Diese Gleichgültigkeit wäre aus meiner bow, wir werden Sie beim Wort nehmen, auch wenn Sicht weitaus gefährlicher für unser Gemeinwesen es um die Frage des Konsenses geht. als jede noch so distanzierte Kritik, die immerhin Zweitens. Es muß erreicht werden, daß zukünftig noch ein gewisses Interesse deutlich macht. Dies gilt auch für öffentliche Veranstaltungen der Bundes- schneller klare politische Vorgaben für die Streit- wehr, wie z. B. gestern für den Zapfenstreich. kräfte erlassen werden, die nicht auf Knopfdruck ei- nen Auftrag erfüllen können, sondern die sich ent- Meine Damen und Herren, die Meinungsfreiheit sprechend vorbereiten müssen. Auch hier, denke ich, gehört zu den Grundrechten der Bundesrepublik ist eine verantwortungsbewußte Opposition gefor- Deutschland. Ich sage an dieser Stelle aber ganz of- dert. fen: Ich schäme mich für das, was wir gestern abend von einigen sogenannten Demonstranten hören muß- Drittens. Das Recht auf Wehrdienstverweigerung ten. bleibt ein wichtiges Grundrecht. Wehr- und Zivil- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) dienst müssen aber im Bewußtsein der Bevölkerung, besonders der jungen Menschen, wieder in das Ver- Die Soldaten der Bundeswehr verteidigen das hältnis zueinander gerückt werden, das das Grund- Recht und die Freiheit, auch das Recht und die Frei- gesetz ihnen zumißt. heit dieser Demonstranten. Ich möchte mich an die- ser Stelle ausdrücklich für die F.D.P.-Bundestagsfrak- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) tion bei der Bundeswehr, der Polizei, dem Bundes- Viertens. Der Deutsche Bundestag sollte noch in grenzschutz und allen anderen bedanken, daß dieser dieser Legislaturperiode die gesetzlichen Möglich- Zapfenstreich gestern abend stattfinden konnte. Ich keiten schaffen, die Bundeswehr für Frauen in allen hoffe, Herr Minister, daß ähnliche öffentliche Zap- Bereichen gleichberechtigt zu öffnen, wenn diese auf fenstreiche auch in Zukunft noch stattfinden werden. freiwilliger Basis Dienst in der Bundeswehr leisten (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) wollen. (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Ich halte es für mehr als bedenklich, wenn ein Kol- lege der traditionsreichen - ich betone ausdrücklich: ten der CDU/CSU) traditionsreichen! - SPD den gestrigen Großen Zap- Fünftens. Die jetzt geschaffene Bundeswehrstruk- fenstreich als - ich zitiere - „mieses Geburtstagsge- tur muß sich festigen und die Streitkräfte ins nächste schenk" für die Bundeswehr bezeichnet hat. Herr Jahrhundert führen. Hierzu ist es unabdingbar, daß Kollege Kolbow, ich hätte heute zumindest erwartet, für den Haushalt der Bundeswehr weiterhin Pla- daß Sie sich von dieser Aussage eindeutig distanzie- nungssicherheit besteht. Wenn man den Streitkräf- ren. ten Aufträge erteilt, bei denen sie gegebenenfalls auch ihr Leben einsetzen müssen, dann haben auch (Walter Kolbow [SPD]: Ich kommentiere - auch nicht alles, was Herr Möllemann sagt! ihre Familien Anspruch auf unsere Unterstützung. Kümmern Sie sich einmal um Ihren Mölle Herr Kollege Nachtwei, die Soldaten haben aus die- mann, dann kümmern wir uns um unseren ser Frage heraus einen Anspruch auf ausreichend Kollegen!) gutes Gerät und Ausstattung. Ich denke, das gebietet die Fürsorge, die wir gerade als Mitglieder des Ver- - Sie haben von Sonntagsreden gesprochen. Dann teidigungsausschusses gegenüber diesen Soldaten müssen Sie hier auch zeigen, wie Sie zu solchen Aus- haben. sagen stehen. Sechstens. Der Grundwehrdienst muß materiell, Graf Einsiedel - er ist jetzt nicht mehr hier -, ich aber auch ideell attraktiver gemacht werden. Ein er- weise die Diffamierungen gegenüber den Soldaten ster Schritt im materiellen Bereich wird durch das 5594 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Günther Friedrich Nolting heute hier zu verabschiedende Wehrrechtsände- Entschuldigen Sie bitte meine Stimme. Da weiß rungsgesetz getan. Insbesondere die Mobilitätszu- man eine Zweitstimme erst einmal zu schätzen. lage und das doppelte Verpflegungsgeld sowie das Vorziehen des Dienstzeitausgleichs auf den vierten Vielen Dank. Dienstmonat sind erste Maßnahmen, die wir begrü- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) ßen. Als weitere Schritte werden wir uns als F.D.P. dafür einsetzen, den Dienstzeitausgleich in finanziel- ler Form vom ersten Tag an zu gewähren. Ich denke, Vizepräsident Hans Klein: Kollege Dieter Heister- wir werden uns im kommenden Jahr auch über eine mann, Sie haben das Wort. Wehrsolderhöhung unterhalten müssen.

Siebtens. Ein ganz wichtiger Bereich - ebenso Dieter Heistermann (SPD): Herr Präsident! Meine wichtig wie die materielle Besserstellung - ist die sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben wahr- ideelle Akzeptanz der Bundeswehr und besonders lich Grund zum Feiern. Aber es gibt auch den Alltag auch der Wehrpflichtigen. Hier ist die Politik gefor- der Bundeswehr, und dem möchte ich mich jetzt zu- dert, aber nicht nur sie, sondern darüber hinaus auch wenden. alle anderen gesellschaftlich relevanten Gruppen: die Kirchen, die Gewerkschaften, die Verbände und Sie mögen es drehen und wenden, wie Sie wollen, insbesondere auch die Medien. meine Damen und Herren von der Koalition: Die Pro- bleme sind hausgemacht. Dafür müssen Sie die Ver- Meine Damen und Herren, ich will auf einige we- antwortung übernehmen, auch dafür, daß die Akzep- nige Vorredner kurz eingehen. Herr Kollege Nacht- tanz der Wehrpflicht in der Bevölkerung schwindet wei, die Grünen „gratulieren der Bundeswehr nicht". und die Attraktivität des Wehrdienstes im Vergleich Dies habe ich einer Pressemeldung entnommen. Es zum zivilen Ersatzdienst spürbar nachgelassen hat. heißt weiter: (Beifall bei der SPD) Erst dann, nach der Abschaffung der Bundes- wehr, haben wir einen wirklichen Grund zum Ein Versuch der Bundesregierung, die Probleme der Feiern. Bundeswehr durch einen parteiübergreifenden An- satz zu lösen, wäre zu begrüßen gewesen. Er ist un- (Zuruf von der F.D.P.: Hört! Hört! - Zustim terblieben. Auch das haben Sie zu verantworten. mung bei der PDS) Das jetzt zu beschließende Gesetz zur Änderung Aber es heißt hierin auch: wehrrechtlicher Vorschriften beinhaltet letztendlich nicht nur die Anpassung wehrrechtlicher Bestim- 40 Jahre nach der Gründung der Bundeswehr mungen an die veränderte sicherheitspolitische üben deutsche Soldaten für den Einsatz auf dem Lage, sondern es soll auch der Verstärkung von An- Balkan. Wir können Verteidigungsminister Vol- reizen zum Dienst als Soldat in der Bundeswehr die- ker Rühe für diesen unrühmlichen Schritt nicht nen. Wird dieses Gesetz diesem Anspruch aber ge- gratulieren. recht? Darauf geben wir Sozialdemokraten die klare Haben Sie von den Grünen eigentlich vergessen, Antwort: Nein, es wird nicht der große Wurf. Dieses welche Greuel - Mord, Vergewaltigung, Verschlep- Gesetz bleibt Stückwerk, es löst nicht die entschei- pung und Vertreibung - sich in diesen Gebieten ab- denden Probleme, und es hilft nicht mit, die Attrakti- spielen bzw. abgespielt haben? Ich denke, das, was vität der Wehrpflicht zu erhöhen. Sie hier aufgezeigt haben, ist an Menschenverach- Der Bundesverteidigungsminister a. D. Georg Le- tung nicht mehr zu überbieten. ber hat in seiner großen Rede in der Feierstunde des (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so Verteidigungsausschusses zum 40jährigen Bestehen wie bei Abgeordneten der SPD) der Bundeswehr in beeindruckender Weise die Be- reitschaft beschrieben, dem Volk und seinem Staat Eine Waffe ist nicht ein Übel, nur weil es eine zu dienen. Er sagte: Waffe ist. Sie wird vielmehr zum Übel in der Hand des Gangsters, der damit Geiseln bedroht oder tötet; Die Bereitschaft, dem Volk und seinem Staat zu in der Hand des Polizisten, der die Geiseln vor ihrem dienen, diese Einsicht muß aus der Überzeugung Schicksal rettet, ist diese Waffe etwas Positives. Ge- des ganzen Volkes wachsen. Wir müssen nach nauso verhält es sich mit Streitkräften, die demokra- Wegen suchen, wie wir, nicht nur bei den jungen tisch kontrolliert und legitimiert zur Wahrung von Männern, die gerufen werden, sondern in der ge- Recht und menschlichen Werten eingesetzt werden. samten Bevölkerung, immer wieder Einsicht wek-- ken und stärken können, daß dieser Dienst Meine Damen und Herren, ich möchte zum Ab- schluß sagen: Die F.D.P. steht zu dieser Wehrpflicht- - das gilt, füge ich ein, auch für die allgemeine Wehr- armee. Wir stehen zu dieser Armee, die in den letz- pflicht - ten 40 Jahren Großartiges geleistet hat. Ich weiß, daß sich aus unserer Freiheit ergibt und daß er ein Be- die deutsche Außenpolitik Verantwortung für weis unserer Staatsgesinnung ist. 40 Jahre Frieden in diesem Vaterland trägt - wie sollte ich gerade als Liberaler das vergessen? -, aber Hier wird vom Dienen gesprochen. Unterstützen all das, was wir erreicht haben, wäre ohne diese Bun- wir also diejenigen jungen Menschen, die in unserer deswehr nicht möglich gewesen. Republik in vorbildlicher Weise dienen, unterlassen Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5595

Dieter Heistermann wir jene Versuche, zwischen den Diensten moralisch Dieses Geld nehmen Sie, meine Damen und Herren zu differenzieren. Das hilft niemandem. von der Koalition, um den sogenannten Mobilitätszu- schlag für Grundwehrdienstleistende und anderes zu (Walter Kolbow [SPD]: Sehr wahr!) finanzieren. Wer also die Akzeptanz und die Attraktivität der Nicht zu bestreiten ist, daß dieser Mobilitätszu- Wehrpflicht wiederherstellen will, muß verständlich schlag sicherlich bei denen Freude auslösen wird, erklären, warum die Wehrpflicht notwendig ist und die davon profitieren. Aber es bleibt die Tatsache, wie die persönlichen Fähigkeiten und erworbenen daß alle Wehrpflichtigen, die weniger als 50 km vom Qualifikationen der Grundwehrdienstleistenden an- Standort entfernt wohnen, keinen Mobilitätszuschlag gemessen in der Bundeswehr berücksichtigt und ge- bekommen und zudem weniger Entlassungs- und fördert werden können. Er wird auch Auskunft dar- Weihnachtsgeld erhalten. über geben müssen, wie die Lebens- und Arbeitsbe- dingungen der Soldaten attraktiver gestaltet werden (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Die an- können, damit der Dienst in den bewaffneten Streit- deren haben doch auch höhere Kosten!) kräften gegenüber den Ersatzdiensten konkurrenzfä- Wie formulierte ein Grundwehrdienstleistender so hig bleibt. treffend: „Nicht der Wehrdienst wird entschädigt, Den jungen Menschen ist nicht entgangen, daß in sondern die Entfernung." Das ist eine Grundhaltung, jedem Geburtsjahrgang inzwischen die Grundwehr- die Sie bei vielen Wehrpflichtigen antreffen werden. dienstleistenden eine Minderheit darstellen. Wer die Wir werden sehen, wie Sie mit diesem Problem nicht Zahl der Kriegsdienstverweigerer, die Zurückstellun- nur hier im Bundestag, sondern auch im praktischen gen und sonstigen Ausnahmeregelungen zusammen Alltag umgehen werden. gewichtet, wird an dieser Tatsache nicht vorbeikom- (Beifall bei der SPD) men. Während der Beratungen im Verteidigungsaus- In der jungen Generation und in der Bevölkerung schuß wurde immer deutlicher, daß dieser Mobilitäts- wird anerkannt, daß diejenigen, die einen Dienst an zuschlag nur eingeführt wird, um die Grundwehr- diesem Staat leisten, allen Respekt verdienen. dienstleistenden und Zivildienstleistenden auseinan- derzudividieren. Dazu reichen wir nicht unsere (Beifall bei der SPD) Hand. Kolleginnen und Kollegen, unser Problem liegt bei (Beifall bei der SPD) der Dienstgerechtigkeit; denn über 30 % eines Jahr- Die SPD fordert seit Jahren eine Erhöhung des ganges leisten überhaupt keinen Dienst. Hier liegt Wehrsolds um 2 DM pro Tag. Mit welchem Recht das eigentliche Grundübel. Junge Menschen akzep- verweigern die Bundesregierung und die Fraktionen tieren nicht, daß einige zum Dienst herangezogen von CDU/CSU und F.D.P. den sozial Schwächsten, werden, während andere ihren privaten Lebenspla- die einen „Ehrendienst für unser Land leisten" - wie nungen nachgehen können. Das verärgert junge immer unter dem Beifall aller festgestellt wird -, Menschen. Hier ist die Politik gefordert. Hier ist die Bundesregierung gefordert, ihre Position einzubrin- (Günter Verheugen [SPD]: Das sind nur gen. schöne Worte!) (Paul Breuer [CDU/CSU]: Aber die SPD ist die überfällige Wehrsolderhöhung? auch gefordert!) Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege Heister- - Ich komme gleich zu dem, was wir bringen, Kollege mann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- Breuer. gen Breuer? Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf fällt auf, daß der Wehrsold nicht erhöht wird, daß das Entlassungs- Dieter Heistermann (SPD): Da ich nur wenig Zeit geld von derzeit 1 800 DM auf 1 500 DM reduziert habe, Kollege Breuer, möchte ich meine Ausführun- wird gen im Zusammenhang machen. Ich bitte um Ver- ständnis. (Günter Verheugen [SPD]: Das ist ein Skan dal!) Vizepräsident Hans Klein: Es wird Ihnen nicht auf und daß das Weihnachtsgeld von derzeit 450 DM auf Ihre Redezeit angerechnet. 375 DM gekürzt wird. - (Günter Verheugen [SPD]: Eine Schweine Dieter Heistermann (SPD): Herr Präsident, Sie ha- rei ist das!) ben mich überzeugt. Die Konsequenz daraus ist: Jeder Wehrpflichtige Vizepräsident Hans Klein: Bitte, Herr Kollege wird am Ende seines Grundwehrdienstes 375 DM Breuer. weniger im Portemonnaie haben.

(Paul Breuer [CDU/CSU]: Stimmt nicht! - Paul Breuer (CDU/CSU): Geschätzter Kollege Hei- Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Krämer stermann, eben haben Sie den Vorwurf erhoben, wir rechnung!) wollten Wehrdienstleistende und Zivildienstleistende 5596 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Paul Breuer durch den Mobilitätszuschlag auseinanderdividie- Wer mehr Dienst anordnet, Kollege Breuer, muß ren. Sind Sie bereit, festzustellen, daß einer der we- vom ersten Monat an bezahlen. Kein Grundwehr- sentlichen Unterschiede zwischen beiden Gruppen dienstleistender wird dafür Verständnis aufbringen, darin liegt, daß die Zivildienstleistenden zumeist die daß die Mittelansätze für Zeit- und Berufssoldaten er- Möglichkeit haben, in ihrem Heimatort zu wohnen, höht werden, sie aber zugleich drei Monate lang leer während die Wehrdienstleistenden dies gerade nicht ausgehen. Ob die vorgesehenen Vergütungen für können? Dies soll durch den Mobilitätszuschlag aus- Soldaten mit besonderer zeitlicher Belastung bei geglichen werden. Es liegt also in der Situation der Mehrarbeit von 12 bis 16 Stunden bzw. 16 bis jeweiligen Gruppen begründet. 24 Stunden große Freude auslöst, darf zu Recht be- zweifelt werden. Bei den Grundwehrdienstleisten- (Zustimmung bei der CDU/CSU) den werden die Entschädigungssätze seit Jahren als unsozial gewertet. Dieter Heistermann (SPD): Herr Kollege Breuer, Wir bekräftigen, daß wir in Friedenszeiten soviel man muß sich das, was Sie eben ausgeführt haben, wie möglich gesellschaftliche Normalität auch bei einmal auf der Zunge zergehen lassen; denn Sie wer- den Soldaten haben wollen, also Freizeit vor finan- den doch auch feststellen müssen, daß Sie dem zieller Vergütung. Wir werden genau hinsehen, wie Wehrpflichtigen, der weniger als 50 km vom Standort die Truppe mit dem Faktor Zeit und dem Faktor Frei- entfernt wohnt, 37,50 DM aus der Tasche nehmen. zeit umgeht. (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wieso Wo bleibt eigentlich ein flexibles Dienst-, Lauf- das denn?) bahn- und Statusrecht, das seit fünf Jahren durch die - Das ist der Tatbestand. - Und auf der anderen Seite Opposition und den Deutschen Bundeswehrverband wissen Sie, daß die Wehrpflichtigen in immer ferner gefordert und angemahnt wird? Wo bleibt die Ein- von ihrer Heimat liegende Standorte einberufen wer- führung der Feldwebellaufbahn? Wo bleibt die Ein- den, weil es nicht so viele Kasernen in den einzelnen führung einer Mannschaftslaufbahn mit kürzeren Be- Ländern gibt. Warum haben wir denn das Problem förderungszeiten? Wo bleibt die Begrenzung des Ein- der Heimatferne? Weil durch die Struktur, die die berufungshöchstalters auf 25 Jahre? Bundeswehr neuerdings hat, die Entfernungen zwi- Im letzten Punkt zeigt nun auch die Koalition schen Wohnort und Standort immer größer werden. leichte Beweglichkeit. Sie will die Einberufungspra- Das ist aber bei den Zivildienstleistenden nicht der xis bei Wehrpflichtigen, die das 25. Lebensjahr voll- Fall. endet haben, überprüfen. Ein SPD-Antrag zum glei- Wenn Sie wirklich gerecht hätten handeln wollen, chen Inhalt wurde vor noch gar nicht langer Zeit ab- dann hätten Sie den Wehrsold um 2 DM erhöht; denn gelehnt. Kolleginnen und Kollegen, wir helfen aber der kommt den Zivildienstleistenden in gleicher der Koalition in dieser Frage gern auf die Sprünge. Höhe zugute. Die Absicht der Bundesregierung, auch Grund- (Beifall bei der SPD) wehrdienstleistende im Wehrpflichtverhältnis, die Das wollten Sie natürlich nicht. Deshalb waren Sie dies freiwillig wollen, außerhalb der Landes- und gegen eine Wehrsolderhöhung. Bündnisverteidigung einzusetzen, lehnt die SPD ab, weil damit der Sinn und der Zweck der Wehrpflicht (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Warum aufgegeben und deren Legitimation in Frage gestellt soll der Zivildienstleistende davon profitie wird. Die SPD bleibt bei ihrer Auffassung, Grund- ren?) wehrdienstleistende nicht außerhalb der Landes- und Bündnisverteidigung einzusetzen. Ich kann nur feststellen: Es gibt keine rechtferti- genden Gründe für den Mobilitätszuschlag. Ihr Ver- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Ja, wer halten in dieser Frage, den Wehrsold nicht zu erhö- will das denn?) hen, ist schlichtweg unerträglich. Der Status der freiwilligen Verpflichtung ist überflüs- (Beifall bei der SPD) sig wie ein Kropf und nur eine finanzielle Hilfs- brücke. Der Status Soldat auf Zeit oder auf Monate Es bleibt dabei: Wir Sozialdemokraten wollen mit- reicht völlig aus. Wir werden sehen, ob die Zahl der tel- und langfristig eine kontinuierliche Anpassung erforderlichen Weiterverpflichtungen erreicht wird, an die jährlich steigenden Lebenshaltungskosten mit wie das die Koalition bei ihrem Strukturmodell unter- dem Ziel, den Wehrsold an die Einkommen der Aus- bildungsvergütung im ersten Ausbildungsjahr des stellt. - öffentlichen Dienstes anzugleichen. Die Dauer des Grundwehrdienstes soll auf zehn Wer zudem, wie im vorliegenden Wehrrechtsände- Monate verkürzt werden. Anschließend sollen die rungsgesetz vorgesehen, die wöchentliche Rahmen- Wehrpflichtigen für zwei Monate in Verfügungsbe- dienstzeit auf 46 Stunden verlängert und den Dienst- reitschaft bleiben. Die Verkürzung auf zehn Monate ergibt sich nur aus den fehlenden Haushaltsmitteln, zeitausgleich erst nach dem dritten Monat finanziell vergüten will, macht den Wehrdienst noch unattrak- nicht aus einer sicherheitspolitisch begründeten Kon- tiver, als er heute schon ist. Dies lehnt die SPD als un- zeption. Das Aufgeben der quartalsweisen Einberu- soziale Maßnahme ab. fung bei W 10 verursacht einen erheblichen organi- satorischen Aufwand, allein schon deshalb, weil der (Zustimmung bei der SPD) bewährte quartalsweise Einberufungsrhythmus auf- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5597

Dieter Heistermann gegeben und statt dessen ein zweimonatiger Einbe- Aus den dargelegten Gründen lehnen wir das Ge- rufungstermin eingeführt werden muß. setz ab. Die Anschlußbeorderung von zwei Monaten, die Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. nur angeordnet wird, um schnell auf 370 000 Solda- ten Präsenzstärke aufwachsen zu können, verursacht (Beifall bei der SPD) ebenfalls einen nicht vertretbaren Verwaltungsauf- wand. Dieser der unter den Verwaltungsaufwand, Ich erteile dem Kollegen heutigen politischen Bedingungen nicht zu vertreten Vizepräsident Hans Klein: Dr. Klaus Rose das Wort. ist und nicht notwendig wäre, verursacht zudem Ko- sten in zweifacher Hinsicht: erstens auf Grund der Aufrechterhaltung eines aufgeblähten Streitkräf- Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine teumfangs und zweitens auf Grund der unwirtschaft- sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige Par- lichen Verfügungsbereitschaft von zwei Monaten, lamentsdebatte aus Anlaß des 40jährigen Bestehens die nicht erforderlich ist. Auch wird sich die Situation der Bundeswehr geht ihrem Ende entgegen. Den der Wehrpflichtigen durch die Einführung einer Ver- Aussagen des Kollegen Heistermann wird unser Kol- fügungsbereitschaft von zwei Monaten nach dem lege Augustinowitz entgegnen; denn es lohnt sich normalen Grundwehrdienst nicht verbessern, da sie wirklich, manche Dinge richtigzustellen und damit in dieser Zeit präsent bleiben müssen. im Interesse der Bundeswehr für Klarheit zu sorgen. Die SPD tritt seit 1990 für die Verkürzung des Ich als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses Grundwehrdienstes auf neun Monate ein. Neun Mo- möchte der Bundesregierung herzlich Dank sagen, nate Grundwehrdienst reichen aus, um bei den ge- daß sie heute eine Regierungserklärung abgegeben genwärtigen Sicherheitsrisiken die Wehrpflichtigen hat und der Bundeskanzler selbst die Bedeutung der so auszubilden, daß die gemeinsame Landesverteidi- Bundeswehr unterstrichen hat. Unsere Soldaten ha- gung im Bündnis sichergestellt werden kann. Das ben diese Anerkennung verdient. sieht der Beirat für Fragen der Inneren Führung ebenso. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- wie bei Abgeordneten der SPD) Für zur Alarmreserve beorderte Mannschaftssolda- ten könnte die Verkürzung des Grundwehrdienstes Zu den gestrigen Ereignissen soll von meiner Seite um einen Monat erwogen werden, mit der Maßgabe, nur soviel gesagt sein: Die Bundeswehr sorgt für den die Pflichtwehrübungstage entweder im direkten Frieden und die Freiheit aller Mitbürger. Sie darf sich Anschluß an den Grundwehrdienst oder durch spä- selbstverständlich an ihrem Geburtstag freuen und tere Wehrübungen zu erbringen. Für nichtbeorderte ein so friedvolles Zeremoniell wie gestern in aller Öf- Mannschaften entfiele die Wehrübungsverpflichtung fentlichkeit abhalten. Gestört hat nicht die Bundes- nach Entlassung aus dem Grundwehrdienst. wehr, gestört haben die Schreier. Es gibt also bessere Alternativen zum jetzt einge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so- schlagenen Weg. wie bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann nicht Wer nicht versteht, daß die Bundeswehr für den auf alle Bestimmungen des Wehrrechtsänderungsge- Frieden und die Freiheit aller Mitbürgerinnen und setzes eingehen. Vieles ist unausgegoren und mit Mitbürger sorgt, dem ist nicht zu helfen. Er wird heißer Nadel gestrickt. ewig Außenseiter bleiben und niemals Regierungsfä- (Walter Kolbow [SPD]: Sehr wahr!) higkeit erlangen. Der Kollege Fischer, der sich sonst so gerne als ein Mann innerparteilicher Stärke dar- Ein gut durchdachtes Konzept ist nicht erkennbar. stellt, wird gerade auf diesem Feld Schiffbruch erlei- (Walter Kolbow [SPD]: Koalitionsflickwerk!) den. Ihm scheint offensichtlich auch der Fraktions- vorsitz wichtiger zu sein als der Eintritt für Vernunft. Wir erkennen durchaus an, daß einige Punkte die- Er sollte die Aufgabe der Bundeswehr endlich als das ses Gesetzes unsere Zustimmung erhalten können. ansehen, was sie seit 40 Jahren ist, nämlich die Ge- Insgesamt aber wird der Gesetzentwurf den dringen- währleistung der Freiheit dieses Landes. den Notwendigkeiten für die Personallage der Bun- deswehr nicht gerecht. Viele Maßnahmen sind falsch (Beifall bei der CDU/CSU) gewichtet. Meine Damen und Herren, wir haben bei unserer (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Opposi öffentlichen Sitzung des Verteidigungsausschusses - tionsflickwerk!) am 27. September im Wasserwerk über alle Frakti- onsgrenzen hinweg Einigkeit in dem Sinne demon- Dieses Gesetz stärkt nicht die Wehrpflicht und gibt , daß die Bundeswehr eine Armee des ganzen den Grundwehrdienstleistenden nicht den notwendi- striert Volkes ist. Wir haben damals auch bewußt den frühe- gen Rückhalt. ren Bundesverteidigungsminister Georg Leber ein- Sie wissen doch wie wir, daß der Nachwuchs der geladen, der als Sinn der Wehrpflicht die Integration Bundeswehr aus den Grundwehrdienstleistenden aller Bevölkerungsschichten bezeichnet hat. Ich er- gewonnen werden muß. Deshalb müssen sie Aus- wähne das deshalb, weil ich damals natürlich beob- gangspunkt aller Maßnahmen sein. Dem werden Sie achtet habe, wie über alle Fraktionsgrenzen hinweg mit Ihrem Gesetz nicht gerecht. Beifall gespendet wurde. Auch die Grünen haben 5598 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 Dr. Klaus Rose wegen der Begeisterung über manche Aussage die- unserem System überzeugt werden konnten. Dies ist sen Beifall öffentlich gezollt. - und das möchte ich deutlich sagen - eine Pioniertat der Wiedervereinigung. Es ist kein Zufallsprodukt, (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ sondern Ernte einer gelungenen Erziehung unserer NEN]: Weil der Mann Charakter hat!) Soldaten. Darauf läßt sich aufbauen, denn wir brau- Wenn Sie aber wieder in Ihren eigenen Kreisen sind, chen in Zukunft eine von allen bürgerlichen Kräften muß ich mit riesiger Enttäuschung feststellen - ich gemeinsam getragene Außen- und Sicherheitspoli- sage das auch öffentlich -, daß ich gestern z. B. im tik. Gerade deshalb und weil ich mich über das, was Fernsehen den Kollegen Nachtwei unter den Randa- ich gerade geschildert habe, sehr ärgere, hoffe ich, lierern gegen die Bundeswehr gesehen habe, ein daß sich auch die Vertreter der Grünen mehr auf die Mitglied des Verteidigungsausschusses unter den Seite der Bundeswehr stellen können und nicht Randalierern! Das halte ich nicht für mit dem, was dann, wenn es irgendwo zu schwierigen Ereignissen ich mir vorstelle, verträglich. kommt, plötzlich wieder alles vergessen, was sie in vernünftiger Kleinarbeit auch zugunsten der Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) wehr leisten.

(Zuruf der Abg. B rigitte Schulte [Hameln] Vizepräsident Hans Klein: Gestatten Sie eine Frage des Kollegen Nachtwei? [SPD]) Meine Damen und Herren, die CSU war und ist - Dr. Klaus Rose (CDU/CSU): Er hat selbstverständ- lassen Sie mich das als Vertreter der CSU deutlich sa- lich das Recht, diese Darstellung des Sachverhalts gen - alles andere als nur ein Schönwetterfreund der noch zu bestätigen. Bundeswehr. In Fragen der Landesverteidigung und der Bundeswehr sind wir in jahrzehntelanger Konti- nuität immer einen klaren Weg gegangen, ob dies (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Winfried Nachtwei das Thema der Wiederbewaffnung war, das Thema Lieber Kollege Rose, sind Sie bereit festzustellen, daß des NATO-Doppelbeschlusses ich wohl bei dieser Kundgebung und auf der Straße war und dann ungefähr eine Stunde lang in dem von (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Das sind der Polizei gebildeten Schlauch war, daß ich aber in doch alte Kamellen!) keiner Weise herumrandaliert habe? Sie kennen mich doch nun soweit, daß Sie das in keiner Weise oder wie zur Zeit der deutsche Beitrag für eine Frie- annehmen können. Im Gegenteil: Ich habe dort die- denslösung in Bosnien. 40 Jahre Armee in der Demo- sen Reden nur ruhig zugehört. kratie heißt: 40 Jahre Diskussion und politische Aus- einandersetzungen um die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung, 40 Jahre politischer Streit um einen (CDU/CSU): Herr Kollege Nacht- Dr. Klaus Rose ausreichenden Verteidigungsetat und nicht zuletzt wei, weil ich Sie kenne, antworte ich jetzt noch ein- 40 Jahre Überzeugungskampf gegen die trügerische mal ganz bewußt - ich habe es ja nur im Fernsehen Irrlehre von Pazifismus, die noch von einigen in un- gesehen -: Statt daß ich Sie als Mitglied des Verteidi- serem Land wider bessere Erfahrung gepredigt wird. gungsausschusses bei denen gesehen habe, die den Zapfenstreich mit der Bundeswehr begangen haben, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- habe ich Sie im Fernsehen leider unter denen gese- ordneten der F.D.P. ) hen, die gegen die Bundeswehr demonstriert haben, randaliert haben und die „Mörder" gerufen haben, Meine Damen und Herren, wie der Blick auf die was ich selber gehört habe. Ränder Europas zeigt, benötigen wir auch in Zukunft eine gesicherte Verteidigungsfähigkeit. Nicht sub- (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ jektiver Pazifismus, sondern nur qualitativ hoch- NEN]: Wir haben nicht randaliert, aber un wertige motivierte Streitkräfte bilden die Garantie sere gesamte Fraktion hat da mitgemacht!) für die äußere Sicherheit unseres Landes. Unsere Ich habe nie behauptet - vorher nicht und auch jetzt Bürger haben Anspruch auf eine realistische, glaub- nicht -, daß Sie es selber gemacht haben, aber Sie würdige und stabile Sicherheitspolitik, die sie wirk- standen unter diesen Leuten. Ich finde das sehr be- lich schützt. Sie haben Anspruch auf eine Politik, die schämend. auch in Friedenszeiten nüchtern die Risiken analy- siert und die nötige Vorsorge trifft. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ Meine Partei hat sich immer klar zu den erweiter- NEN]: Werfen Sie doch bitte nicht alle De ten Aufgaben der Bundeswehr bekannt. Das vereinte - monstranten in einen Topf!) Deutschland muß sich seiner gewachsenen Verant- wortung stellen. Wir dürfen dafür auch keine Sonder- Meine Damen und Herren, wir haben heute nicht rolle beanspruchen. bloß diese 40 Jahre Bundeswehr, sondern auch fünf Jahre Armee der Einheit. Gerade die Wiedervereini- Ich habe das Zutrauen in diese Demokratie - ich gung und die Übernahme der Nationalen Volksar- möchte das dem Kollegen von der PDS sagen, der mee haben gezeigt, wie tragfähig und attraktiv die vorhin gesprochen hat -, daß wir es jederzeit verhin- Bundeswehr ist und mit welchem demokratischen dern werden, daß deutsche Streitkräfte je wieder für Selbstverständnis, offen und unverkrampft, viele verbrecherische Ziele mißbraucht werden. Kein Sol- NVA-Soldaten in die Bundeswehr integriert und von dat, auch kein Bürger muß befürchten, daß unsere Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5599

Dr. Klaus Rose Armee je wieder von falschen Ideologen in einen völ- Wenn wir heute unseren Soldaten der Bundeswehr kerrechtswidrigen Angriffsk rieg geführt wird. danken, dann müssen wir uns in Erinnerung rufen, daß unsere Berufs- und Zeitsoldaten und unsere Schöne Worte des Dankes allein nützen nichts. Wir Wehrpflichtigen sich für Aufgaben bereithalten, die müssen deshalb auch bereit sein, den Preis zu zah- es verlangen, daß sie nötigenfalls auch ihre Gesund- len, um unsere Bundeswehr modern und leistungsfä- heit und ihr Leben aufs Spiel setzen. Ich weise des- hig zu halten. Deshalb wird heute auch von Verbes- halb um so entschiedener jede Diffamierung und Be- serungen gesprochen, und ich sage nochmals: Kol- leidigung unserer Soldaten zurück. lege Augustinowitz wird diesem Kapitel noch beson- dere Worte widmen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Meine Damen und Herren, da es um unsere Si- Ich muß in diesem Zusammenhang nochmals auf cherheit geht, müssen wir uns auch öffentlich zu un- die sogenannte Mörder-Diskussion zurückkommen. serer Bundeswehr bekennen. Für mich ist es eine Sie ist schändlich, sie ist beschämend, sie ist uner- Form der Undankbarkeit, wenn gefordert wird, die träglich. Bundeswehr solle sich in unserer Demokratie mit ih- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ren Gelöbnissen in ihre Kasernen zurückziehen. Ich sage Ihnen: Das Gegenteil ist richtig. Gelöbnisse in Was mich an dieser typisch deutschen Diskussion der Öffentlichkeit sind eine Selbstverständlichkeit so nachdenklich macht, sind die Häme und der Zy- für eine gesellschaftlich integrierte, in die Demokra- nismus derer, die mit dem Selbstanspruch des Pazifi- tie eingebettete Armee, sten versuchen, bitteren Unfrieden in unsere Gesell- schaft zu bringen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so wie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) und dieses öffentliche Bekenntnis zu unserer Bun- Ich bin persönlich äußerst unglücklich darüber, deswehr ist wichtig für unsere Soldaten und wichtig daß es dem Verfassungsgericht nicht gelungen ist, für unsere Gesellschaft. mit seinem Urteil die Klarheit zu schaffen, die die Bürger unseres Landes, wie aktuelle Umfrageergeb- Die Bundeswehr hat in ihrer Geschichte immer nisse zeigen, mit Recht erwartet haben. wieder massive Strukturveränderungen in Anpas- sung an neue Aufgaben hinnehmen müssen. Das hat Meine Damen und Herren, es ist schwierig, in ei- bekanntlich nicht so sehr die allgemeine Bevölke- ner freien und pluralistischen Gesellschaft Werte und rung bewegt, aber das hat die Soldaten und ihre Fa- Autoritäten zu erhalten, auf die die Bürger vertrauen milien getroffen. Viele Bürger in unserem Land kön- können und die unserem Staat Stabilität und inner- nen sich nämlich gar nicht vorstellen, was es bedeu- gesellschaftlichen Frieden geben. Gerade deshalb tet, wenn man unseren Soldatenfamilien in kurzen haben Gerichte eine besondere Verantwortung. Ge- Zeitabständen immer wieder Mobilität, Versetzung rade deshalb dürfen diese Werte nicht durch falsche abverlangt. oder zumindest unverständliche Urteile schwierig gemacht werden. Wir werden denen entschieden wi- Um so wichtiger ist es, daß wir unseren Soldaten dersprechen, die versuchen, die Dinge auf den Kopf und ihren Familien in unseren Gemeinden und Städ- zu stellen. ten offen und freundschaftlich begegnen, um ihnen die jeweilige Integration leichtzumachen, daß wir sie (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) immer wieder aufnehmen, daß wir sie akzeptieren, Meine Damen und Herren, jeder Staat hat Vor- so daß sie sich bald auch am neuen Ort wieder zu sorge zu treffen, Leben und Freiheit seiner Bürger zu Hause fühlen und daß sie bei der Bevölkerung mer- verteidigen. Deshalb sage ich - wie vorhin Minister ken, daß sie unterstützt sind. Rühe - nochmals laut und deutlich: Wehrdienst ist (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Ehrendienst. Es ist ein lebenswichtiger Dienst für un- ser Land und für die Menschen in unserem Land, für Meine Damen und Herren, wir erleben, daß Solda- deren Lebensqualität, für ihre Freiheit und für ihren ten in vielen Vereinen und Ehrenämtern engagierte Wohlstand. Wenn jemand Wehrdienst geleistet hat, Bürger sind, die zu erkennen geben, daß sie einen kann er immer noch alte und behinderte Menschen Beruf gewählt haben, den die Bereitschaft und die pflegen. Deshalb ist die Priorität auf jeden Fall auch Begabung, die Dinge anzupacken, auszeichnet. unter diesem Gesichtspunkt zu werten. Ich meine, wir brauchen dringend auch eine öf- Ich meine, wir sollten auch zukünftig für eine lei- fentliche Diskussion über den Wert und die Wichtig- stungsfähige Landesverteidigung streiten. Deshalb - keit der Wehrpflicht. Das ist in diesem Jahr ohnehin fordere ich alle Parteien im Deutschen Bundestag häufig zitiert worden, aber wenn wir die Erfolgsge- auf, sich geschlossen hinter den Auftrag der Bundes- schichte der Armee in der Demokratie fortschreiben wehr zu stellen. wollen, dann - davon bin ich felsenfest überzeugt - müssen wir die Wehrpflicht bewahren. (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das haben wir doch nun schon ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) klärt!) Wir müssen die Wehrpflicht attraktiv halten und ihr Wir sind gegen jede weitere Reduzierung der Stärke den gesellschaftlichen Wert zukommen lassen, der der Bundeswehr; das sage ich jetzt als CSU-Politiker. ihrer Bedeutung entspricht. Die Wehrpflicht muß für die jungen Menschen in un- 5600 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Dr. Klaus Rose serem Land ein attraktiver und anerkannter Dienst 1990 ist endlich die Gefahr vorbei, daß es einen Krieg bleiben. zwischen den beiden deutschen Staaten gibt. Deshalb möchte ich zum Abschluß allen Soldaten (Zurufe von der CDU/CSU: Ja, warum und ihren Familien sagen: Wir sind der Bundeswehr denn? - Was haben Sie denn dazu beigetra- sehr dankbar. Wir sind stolz auf unsere Bundeswehr. gen?) Sie hat ihren Platz mitten unter uns. Wir brauchen Das ist, wenn Sie so wollen, das positivste Ergebnis sie, um weiter in Frieden leben zu können. der deutschen Einheit. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so (Beifall bei der PDS - [CDU/ wie bei Abgeordneten der SPD) CSU]: Herr Honecker hatte die Marschbe- fehle schon vorgedruckt!) Vizepräsident Hans Klein: Das Wort hat der Kol- Wenn wir schon über die NVA sprechen - über die lege Dr. Gregor Gysi. ich viel Kritisches sagen könnte -, muß ich Ihnen ei- nes vorhalten: Es ist eine historische Leistung, daß Dr. Gregor Gysi (PDS): Herr Präsident! Meine Da- eine Armee, die für einen Staat da ist, bei der Auflö- men und Herren! Wir hatten in dieser Woche zwei sung dieses Staates genau nicht zur Waffe greift Jubiläen. Das eine war der 50. Jahrestag der Grün- (Paul Breuer [CDU/CSU]: Dem geht es doch dung der UNO, das andere war der 40. Jahrestag der nur um die Stimmen, um sonst gar nichts!) Gründung der Bundeswehr. Was mir eigentlich Sorge bereitet, ist, daß sich der Kanzler weigert, zur und daß es auch keinen solchen Befehl gab, sondern UNO zu fahren, weil seine Redezeit begrenzt ist - ich daß sie sich friedlich auflöst und mit dem Staat zu- bin auch für nur fünf Minuten hierhergekommen -, sammen untergeht. Das hat es in der Geschichte und daß er auch in der Bundestagsdebatte dazu nicht noch nie gegeben. Das will ich an dieser Stelle aus- spricht, drücklich würdigen. (Widerspruch bei der CDU/CSU) (Beifall bei der PDS) während er heute zum 40jährigen Jubiläum der Bun- Sie sprechen in diesem Zusammenhang immer von deswehr spricht. der Armee der Einheit. Das ist allerdings mehr eine (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Illusion als eine Tatsache. Von 50 000 Berufssoldaten haben Sie 11 000 übernommen. Davon sind heute Hat er doch!) noch 2 575 in der Bundeswehr. Da kann man natür- - Zu Beginn hat Herr Kinkel gesprochen. lich leicht von einer „Armee der Einheit" reden. (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Der ist Sie haben dort ganz unterschiedliche Besoldungs- auch Außenminister!) gruppen. Wenn jetzt jemand mit 53 Jahren aus der Bundeswehr entlassen wird und er aus dem Osten Das hatte auch seine Gründe. Damit haben Sie den kommt, bekommt er 1 844 DM und muß davon noch unterschiedlichen Stellenwert deutlich gemacht, den Sozialversicherung bezahlen. Anschließend muß er UNO und Bundeswehr in Ihrer Politik haben. Das Sozialhilfe beantragen. Jemand, der von Anfang an darf man wohl noch kritisch und zugleich auch be- im Westen gedient hat, bekommt 3 465 DM brutto. sorgt feststellen. Das heißt: Es gibt eine klare soziale Spaltung inner- halb der Bundeswehr, übrigens zum Teil in bezug auf Die Bundeswehr ist im kalten Krieg entstanden. völlig idiotische Dinge, nämlich beispielsweise in Ab- Das ist wahr. Nun vertreten alle die These, daß aus hängigkeit davon, wo man den Dienstvertrag unter- dem kalten kein heißer Krieg wurde, weil es die Bun- schreibt. Unterschreibt man ihn in Westberlin, be- deswehr gegeben hat. Ich halte diese These zumin- kommt man Westbezüge; unterschreibt man ihn zu- dest für sehr leichtfertig; denn in der Zeit, in der es fällig in Ostberlin, bekommt man Ostbezüge. Ratio- keine Bundeswehr gab, ist aus dem kalten auch kein nal ist das Ganze nicht zu erklären. Vielmehr dient es heißer Krieg geworden. Das heißt, ich glaube, daß auch nur der Demütigung. diese zwangsläufige Feststellung abenteuerlich ist. Herr Eppelmann hat erklärt, daß er umdenken (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU mußte, daß er Pazifist war, daß er den Wehrdienst und der F.D.P. - Kurt J. Rossmanith [CDU/ verweigert hat, daß er Abrüstungsminister werden CSU]: Das sagt ein Kommunist!) wollte und auch wurde, daß er heute ein tiefes Be- Wenn sie denn zutreffen sollte, müßten Sie allerdings kenntnis zur Bundeswehr, zur NATO und zu interna- hinzufügen, daß es dann auch berechtigt wäre, zu sa- tionalen Einsätzen der Bundeswehr ablegt und daß - gen, daß die NVA mit dafür gesorgt hat, daß aus dem das eben daran liegt, daß die Armeen nicht gleich kalten Krieg kein heißer wurde. Damit stünden Sie sind, die Bündnisse nicht gleich sind und auch offen- vor einer komplizierten Frage. sichtlich die Kriege nicht gleich sind. Ich denke, Sie, Herr Eppelmann, hätten nur noch hinzufügen müs- (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Trauern Sie ihr nur sen, daß dieses Ihr Bekenntnis auch damit zu tun hat, nach!) daß Sie natürlich andernfalls nicht hätten CDU-Ab- geordneter im Bundestag werden können und auch - Wissen Sie, mich wundert eines. An dem 3. Oktober nicht Mitglied im Präsidium der CDU. 1990 wird vieles gewürdigt, nur eines nicht, und das halte ich für das Entscheidende: Seit dem 3. Oktober (Beifall bei der PDS) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5601

Dr. Gregor Gysi Dann wären wir der Wahrheit schon etwas näher ge- Aber wenn es schon eine Wehrpflicht gibt, dann ist kommen. es ein Skandal, daß beim Sozialabbau in erster Linie die Wehrpflichtigen herhalten müssen und natürlich Ich glaube eben, daß es eine Fehlentwicklung ist, nicht die Offiziere und die Berufssoldaten. Das ist daß die Hoffnungen, die am 3. Oktober 1990 bestan- Ihre Art. den, nämlich die einer Demilitarisierung der Gesell- schaft, sich völlig zerschlagen haben und wir eine permanente Militarisierung erleben. Vizepräsident Hans Klein: Herr Kollege. Ich habe es doch noch erlebt: Als ich ein Kind war, war schon der Besitz einer Wasserpistole verpönt. Dr. Gregor Gysi (PDS): Mein letzter Satz: Wenn Sie Dann habe ich erlebt, wie sich auch unser Leben ge- in bezug auf Friedenspolitik glaubwürdig sein wol- sellschaftlich sozusagen militarisiert hat, was ich un- len, dann müssen Sie erst einmal erklären, weshalb erträglich fand. Mein Bedarf an Großen und Kleinen der Waffenexport derart zunimmt. Wer so viel Waffen Zapfenstreichen und Militärparaden ist in der DDR exportiert und so viel daran verdient, verdient letzt- ein für allemal gedeckt worden. Meine schwache lich an Krieg und Bürgerkrieg. Das ist der eigentliche Hoffnung, daß das wenigstens hier nicht stattfindet, Skandal der heutigen Situation. haben Sie gestern zerstört. Jetzt stelle ich fest: Das gleiche Säbelgerassel, dasselbe Getue (Beifall bei der PDS - Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das sagt ein Ex-DDR-Kommu- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wollen nist! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Sie das etwa vergleichen?) Laßt nächstens die Leute reden, die Ah- nung davon haben!) - ja -, nur um der Bevölkerung klarzumachen, wie wichtig Ihnen das Militär ist. Deshalb veranstalten Sie doch diesen Großen Zapfenstreich, um uns an die Vizepräsident Hans Klein: Bei allen Rednern, Herr Militarisierung der Außen- und der Innenpolitik zu Kollege Gysi, hat es bisher geklappt, daß ich, ohne gewöhnen. Genau dagegen richtet sich unser Wider- das Mikrophon einzuschalten, von hinten leise ge- stand. sagt habe: Ende der Redezeit. Dann sind sie zum Schluß gekommen. Sie haben locker eine Minute (Zuruf von der F.D.P.: So was wird noch ge weitergeredet. Das finde ich nicht fair. wählt!) Sie sind dann gestern noch weiter gegangen. Sie (Widerspruch bei der PDS - Dr. Gregor Gysi haben gestern das erste Mal über das Brandenburger [PDS]: Das hätte der Kanzler in der UNO Tor Tornados, Phantom-Flugzeuge und MiGs ge- auch versuchen können! - Hannelore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]: Wann hat schickt. sich die PDS je an Spielregeln gehalten?) (Zuruf von der CDU/CSU: Pfui Teufel!) Ich erteile das Wort dem Kollegen Volker Kröning. Was wollten Sie denn eigentlich der Berliner Bevöl- kerung zu verstehen geben? frage ich Sie. Dazu ha- ben Sie nicht Stellung genommen. Volker Kröning (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte auf die Ta- (Beifall bei der PDS - Unruhe bei der CDU/ gesordnung zurückkommen, und zwar auf das Wehr- CSU) rechtsänderungsgesetz, und darf mich dabei auf den Wir bleiben ganz entschieden dabei, daß wir die Antrag der SPD - Fraktion auf Drucksache 13/2757 internationalen Konflikte mit nichtmilitärischen Mit- beziehen. teln lösen müssen. Für uns kommt ein Bundeswehr- Die SPD-Fraktion hat aus Anlaß des 40jährigen Ju- einsatz unter Blauhelmen oder anderen Helmen biläums der Bundeswehr vielfach ihre Grundsatz- nicht in Frage. Deshalb wenden wir uns dagegen. position zum Ausdruck gebracht, daß sie zur Wehr- Sie wissen, daß wir gegen die Wehrpflicht sind. Ich pflicht steht, d. h. zum Wehrdienst und zu den als Er- habe jetzt keine Zeit, das hier näher auszuführen. satz für den Wehrdienst gesetzlich vorgesehenen Für uns geht es um das Signal der Entmilitarisierung, Dienstarten. Man sollte diese Dienste - Friedensdien- das sich damit verbinden würde, auch mit der Ab- ste mit und ohne Waffe - nicht gegeneinander aus- schaffung der anderen Zwangsdienste. spielen. ( [CDU/CSU]: Damit hät (Beifall bei Abgeordneten der SPD) ten Sie anfangen sollen; dann wäre es noch Da kann ich mich nicht nur mit einem Appell, son-- glaubhaft gewesen! - Weitere Zurufe von dern sogar mit einer Referenz ausdrücklich an die der CDU/CSU) Koalitionsfraktionen wenden: Sie haben dies heute - Eines muß ich zu dem Zwischenruf sagen: Den Pa- nicht getan. Deshalb wende ich mich an die anderen zifismus haben Sie vorhin verurteilt. Wenn über- Oppositionsvertreter, auch wenn ich nicht sehr hoff- haupt, dann hat er seinen Ursprung in der Bergpre- nungsfroh bin, sie von unserem Anliegen überzeu- digt. Sie nennen sich christlich; also sollten Sie ein- gen zu können: Friedensdienste mit und ohne mal darüber nachdenken. Waffe - (Beifall bei der PDS - Widerspruch bei der (Angelika Beer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- CDU/CSU) NEN]: Der Dienst mit der Waffe ist keiner!) 5602 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Volker Kröning das sollten wir in dieser Minute noch einmal deutlich Darüber hinaus forde rt die SPD zum wiederholten machen - haben ein gemeinsames Fundament, näm- Male, die Dauer von Zivildienst und Grundwehr- lich die Pflichterfüllung gegenüber der Allgemein- dienst zu vereinheitlichen. Dazu sagt der erwähnte heit. In einer Zeit der Überordnung des Einzelinter- Bericht der Bundesregierung: esses über das Allgemeininteresse, einer ebenso un- gelösten wie lösungsbedürftigen Konkurrenz von In- Dem Gesetzgeber ist durch die Unterschiede, die dividualismus und Solidarität ist es nicht das Gering- die beiden Dienste prägen, ein Gestaltungsspiel- ste, neben dem Recht, das immer gegen die Pflicht raum eröffnet; er ist nicht zu einer schematischen ausgespielt wird, vor allen Dingen die Pflicht von Gleichbehandlung verpflichtet. Menschen gegenüber Menschen zu betonen, die in Dies ist ein seltener Fall von richtig und falsch: Rich- beiden Dienstarten erfüllt wird. tig ist, daß der Gesetzgeber anders handeln könnte. Ob er aus rechtlichen Gründen auch anders handeln Das ist für uns Ausgangspunkt für zwei Initiativen, muß, will ich hier und heute offenlassen. Doch falsch von denen eine neu und eine leider alt ist; doch nach ist, daß sich die Bundesregierung noch immer auf das unserem Dafürhalten sind beide überfällig. Es geht Bundesverfassungsgericht beruft, das in der Tat die um die Gleichbehandlung der Dienstarten im Wehr- unterschiedliche Dauer von Wehr- und Zivildienst le- pflichtgesetz und im Zivildienstgesetz, nämlich in fi- gitimiert hat. nanzieller Hinsicht des sogenannten Dienstes im Ausland - einer Alternative zum Zivildienst - mit die- Es bleibt nämlich ein Unikum unserer Rechtsord- sem Zivildienst und in zeitlicher Hinsicht des Zivil- nung - und das ausgerechnet im Kernbereich von dienstes mit dem Grundwehrdienst. Rechten und Pflichten, von Dienen und Helfen, ja von Leben und Tod - daß gegen den klaren Wortlaut Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, dazu einer Verfassungsnorm verstoßen wird, daß - im Klar- einen Blick auf den „Bericht der Bundesregierung text - entgegen Art. 12a des Grundgesetzes der Zi- zur Gleichbehandlung von Grundwehrdienstleisten- vildienst noch immer länger dauert als der Wehr- den und Zivildienstleistenden" werfen, der schon vor dienst und nach dem vorliegenden Gesetzentwurf anderthalb Jahren dem Deutschen Bundestag vorge- auch weiterhin länger dauern soll. legt und neulich im Verteidigungsausschuß behan- delt worden ist. Der Bericht spricht in beeindrucken- Die grundgesetzliche Vorschrift, daß die Dauer des der Weise von einem „gesetzgeberischen Willen, Ersatzdienstes die Dauer des Wehrdienstes nicht ... beide Gruppen von Dienstpflichtigen gleichzu- übersteigen darf, wird in einer für das juristisch ge- stellen" und stellt fest, daß „die Problematik der bildete wie für das unverbildete Publikum erstaunli- rechtlichen und tatsächlichen Gleichbehandlung der chen Weise uminterpretiert: Grundwehrdienstleistenden und der Zivildienstlei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD - Ingrid stenden im Bewußtsein der Betroffenen besonders Matthäus-Maier [SPD]: Das kann man wohl sensibel" ist. Ich meine, auch ein 40jähriges Jubi- sagen!) läum der Bundeswehr gibt Anlaß, diesen Punkt, der die Öffentlichkeit ebenfalls interessiert, noch einmal Nicht die Dauer, sondern die Belastung wird ver- zur Sprache zu bringen. glichen. Die Wehrübungen werden angerechnet. Da- bei werden nicht die tatsächlich geleisteten Übun- (Beifall bei der SPD) gen, sondern eine gegriffene Größenordnung zu- grunde gelegt. Wer z. B. als junger Mann auch Russisch gelernt hat und sich verpflichten möchte, in Moskau Kinder Auch diese Begründung ist beinahe überholt. Die und Jugendliche zu betreuen, die von Verwahrlo- Bundesregierung bemüht in ihrem erwähnten Be- sung bedroht sind, die Gefahr laufen, nicht einmal richt ein denkbar dürftiges Zitat der letzten Entschei- mehr Kindergärten und Schulen zu besuchen, stellt dung des Bundesverfassungsgerichts. fest, daß sein Dienst, der im Zivildienstgesetz gere- gelte sogenannte Andere Dienst im Ausland - die (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Na! Na!) vom Gesetzgeber selber eröffnete Alternative zum - Doch, doch. Ich will mich nicht auf das Glatteis der Zivildienst im Inland -, in dem Bericht der Bundesre- Kritik am Bundesverfassungsgericht begeben; aber gierung überhaupt nicht erwähnt wird. Das muß ihn ich muß Ihnen dieses Zitat, auf das sich die Bundes- wundern. Denn dieser Dienst wird, anders als der regierung bezieht, vorlesen. Es heißt dort: Wehr- und der Zivildienst, nicht entgolten. Die Ko- sten für dieses Engagement müssen die jungen Der Zivildienstleistende ... ist in der Regel einem Leute selber tragen - oder ihre Eltern und freie Trä- weniger strengen Dienstverhältnis unterworfen ger, die dazu oft nicht in der Lage sind. und befindet sich typischerweise in einer weniger belastenden Lebenssituation. Das ist ein krasser Fall von Ungleichbehandlung, der auch dein Zweck der Regelung zuwiderläuft, der (Zuruf von der CDU/CSU: Ja!) im Gesetz ausdrücklich mit der „Förderung des fried- Jeder mag sich darauf einen Reim machen. Doch ei- lichen Zusammenlebens der Völker" - eine vielleicht nes besagt dieser Satz: Es kommt auf die Realität an etwas altmodisch klingende, aber nach wie vor be- und darauf, wie sie bewertet wird. rechtigte Formulierung - umschrieben wird. Wir for- dern, daß dieses Defizit beseitigt wird. Für uns ist die Antwort eindeutig: Längst werden nahezu alle Wehrpflichtigen, auch alle, die den (Beifall bei der SPD) Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigern, Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5603

Volker Kröning zum Dienst herangezogen. So wichtig der Wehr- Denn es gibt in der Tat ein Problem, nämlich die Aus- dienst ist, so unentbehrlich ist der Zivildienst für un- wirkungen dieser Verkürzung auf die personelle Be- sere Gesellschaft inzwischen geworden. Die Zahl der darfsdeckung der Bundeswehr. Wehrübungen ist so verschwindend gering, daß sie - selbst wenn man der bisher herrschenden Meinung Es ist zweifelsohne auch richtig, daß es einen ge- wissen Zielkonflikt zwischen der Verkürzung auf folgen wollte - eine pauschale Ungleichbehandlung des Zivil- und des Wehrdienstes nicht mehr rechtfer- zehn Monate und der Friedensstärke von 340 000 Soldaten gibt, vor allem mit Blick auf die doch sehr tigt. stark gestiegene Quote der Wehrdienstverweigerer. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Es kommt entscheidend darauf an, daß wir diese auch vom Bundesminister immer als kompakt be- Meine Damen und Herren, die Funktionsfähigkeit zeichnete zehnmonatige Ausbildung entsprechend der militärischen Komponente unserer Sicherheit ist umsetzen. Dazu brauchen wir genügend Ausbilder, bei einer Gleichbehandlung, wie die Verfassung sie die für die Durchführung dieser kompakten und for- fordert oder wie sie der Gesetzgeber zumindest mit dernden Ausbildung zur Verfügung stehen. Es ist dem gegebenen Spielraum einführen sollte, nicht in auch politisch besonders wichtig für das Ministerium, Gefahr. genügend Ausbilder zu bekommen. ( Vo rs it z : Vizepräsident Hans-Ulrich Klose) Wir haben gesagt, daß diese Frage intensiv disku- tiert worden ist. Die Voraussetzungen für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind somit entfallen. Der (Brigitte Schulte [Hameln] [SPD]: Na!) Gesetzgeber sollte keiner der beiden Gruppen von Dienstleistenden die Ernsthaftigkeit ihrer Entschei- - Frau Kollegin Schulte, das wissen Sie genau; Sie dung absprechen. waren doch immer dabei. - Letztlich war es so, daß dies auch von der Leitung des BMVg für machbar ge- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das halten worden ist. Die Risiken sind also beherrsch- gebe ich bei meinen nächsten Truppenbe bar. suchen weiter!) Einhergehend mit der Verkürzung des Grund- Er sollte für die Attraktivität beider Dienstarten sor- wehrdienstes auf zehn Monate wird auch die Grund- gen. Er sollte endlich die Gleichwertigkeit beider ausbildung bei Heer und Luftwaffe auf zwei Monate Dienstarten anerkennen. Es wird Zeit. reduziert. Ich möchte die Hardthöhe wirklich bitten, diese Verkürzung der Grundausbildung zu einer (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Fahren echten Entrümpelung zu nutzen, damit nicht immer sie mal in die neuen Bundesländer, wo die wieder zivil erlernte Maßnahmen in der Bundeswehr Dienstleistenden mehr als 100 Kilometer zu neu erlernt werden müssen, z. B. Stichwort Führer- rücklegen müssen!) schein. - Sie können sich zu einer Zwischenfrage melden. - (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Keine der beiden Dienstarten ist „2. Klasse". Die Koalitionsfraktionen - man muß wirklich blind Wir bitten deshalb um Annahme unseres Antrages. sein, wenn man das nicht anerkennt - haben in den (Beifall bei der SPD) parlamentarischen Beratungen im Ausschuß - das wissen Sie ganz genau, Herr Kollege Heistermann - deutliche Verbesserungen für die Grundwehrdienst- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Kollege Augustinowitz, CDU/CSU-Fraktion. leistenden mit einem Gesamtvolumen von annä- hernd 300 Millionen DM erreicht. (Zuruf von der CDU/CSU: Endlich mal ein Fachmann!) (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Wenn Sie ehrlich und redlich sein wollen, hätten Sie Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Herr Präsi- auch dies einmal erwähnen müssen. dent! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das (Beifall bei der CDU/CSU) Wehrrechtsänderungsgesetz wird die tiefgreifendste gesetzliche Eingriffsmaßnahme in die Bundeswehr in Sie haben den Eindruck vermittelt, als ob es hier zu dieser Wahlperiode sein. Deswegen will ich mich auf Kürzungsmaßnahmen gekommen wäre. Aber ich dieses Gesetz konzentrieren. habe Ihnen angemerkt: Sie haben sich bei der Dar- stellung dieses Themas in Ihrer eigenen Haut nicht - Kernpunkt des Gesetzes ist die Verkürzung des wohlgefühlt. Grundwehrdienstes auf zehn Monate, mit der Mög- lichkeit, freiwillig bis zu 23 Monate in der Bundes- Alle Maßnahmen, die wir umgesetzt haben, haben wehr zu dienen. Es gehört zur Redlichkeit dazu, zu nur ein Ziel: Die Stärkung des verfassungsmäßig vor- sagen, daß es im Vorfeld dieser politischen Entschei- rangigen Grundwehrdienstes. Ich möchte auf diese dung Diskussionen über diese Frage in der Gesell- Punkte im einzelnen eingehen. schaft und natürlich auch in der CDU/CSU und der F.D.P., also in der Koalition, gegeben hat. Das erste ist der schon zitierte Mobilitätszuschlag, ein völlig neues Instrument, das wir in der Tat dazu (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wir sind konzipiert haben, den Grundwehrdienst zu stärken. sehr diskutierfreudig!) Ich finde, 90 DM pro Monat für jemanden, der mehr 5604 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Jürgen Augustinowitz als 50 Kilometer fährt, und 180 DM pro Monat für je- können Sie und die Vorgesetzten in der Truppe noch manden, der mehr als 100 Kilometer fährt, sind bei etwas tun, und darum bitten wir Sie hier im Parla- einem Wehrsold von etwa 400 DM eine sehr deutli- ment. che Verbesserung, die man auch hier im Parlament einmal deutlich hervorheben muß. Nur wenn der Soldat die Bundeswehr mit dem Be- wußtsein verläßt, wirklich gebraucht worden zu sein (Beifall bei der CDU/CSU) und einen sinnvollen Dienst geleistet zu haben, wird er ein positives Bild von den Streitkräften mit in das Der zweite Punkt. Herr Kollege Heistermann, Sie Zivilleben nehmen und in die Bevölkerung tragen. haben so getan, als ob es schon seit Jahren ab dem vierten Monat Dienstzeitausgleich gäbe. Wir haben Es ist sehr zu begrüßen, daß der Fraktionsvorsit- mit diesem Gesetz umgesetzt, daß der Dienstzeitaus- zende der SPD heute ein klares Wort zur Wehrpflicht gleich auch für unsere Grundwehrdienstleistenden gesagt hat. Dafür bin ich ihm auch im Namen der ab dem vierten Monat gilt. Nicht Sie, sondern wir ha- CDU/CSU-Fraktion dankbar. Das ist für unsere Bun- ben das umgesetzt. Bisher war das nämlich ab dem deswehr wichtig. siebten Monat der Fall. Aber das eine ist das Reden, das andere ist das tat- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) sächliche Handeln. Ihr Antrag, die Dauer des Zivil- dienstes an die Dauer des Grundwehrdienstes an- Man kann das doch wirklich einmal sagen, wenn zugleichen, bedeutet doch in der Praxis die Aufgabe sich etwas verbessert hat. Tun Sie doch nicht so, als der allgemeinen Wehrpflicht, weil wir dann Verwei- ob wir hier nur Dinge machten, die nicht passen! gerungszahlen bekommen würden, die den Perso- Ich will hinzufügen, daß dieser Dienstzeitausgleich nalumfang der Bundeswehr nicht mehr sicherstellen auch für die militärische Leitung und das Ministe- würden. rium in der Regel in Geld geleistet werden soll. Aber (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- wir wollen den militärischen Führern auch das Füh- ordneten der F.D.P.) rungsinstrument Freizeitausgleich in Zeit lassen. Wir werden bei der Formulierung des Erlasses genau Das ist ein unverantwortlicher Antrag, den Sie zum darauf achten, daß das eingehalten wird. wiederholten Male gemacht haben. Schauen Sie, Herr Kollege, einmal nach Frankreich. Die Franzosen (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wir hal haben einen Grundwehrdienst von zehn Monaten. ten am Dienstzeitausgleich fest!) Wissen Sie, wie lange dort der Zivildienst dauert? Er Die Forderung einer Gleichbehandlung zwischen dauert 20 Monate, und die Franzosen haben eine Wehrdienstleistenden und Zivildienstleistenden bleibt Verweigerungsquote von 5 %. auch beim Dienstzeitausgleich. Wir haben bei den Ehrlicher sind dabei die Grünen. Die Grünen sa- parlamentarischen Beratungen eine Änderung des gen: Wir wollen die Abschaffung der Wehrpflicht, um § 32 des Zivildienstgesetzes eingefordert. Die Bun- die Bundeswehr insgesamt abzuschaffen. Das ist zu- desregierung ist hier in der Bringschuld. mindest eine ehrliche Antwort auf die Fragen, die Drittens: Verkürzung der Beförderungsintervalle. wir uns alle stellen. Dafür muß ich sie ausdrücklich In der nächsten Zeit wird der Grundwehrdienstlei- loben. stende bereits nach drei Monaten Gefreiter. Das ist Ich möchte noch etwas Grundsätzliches zum nicht nur finanziell, sondern vor allem auch ideell Thema Wehrpflicht sagen: Es ist eine der grundle- wichtig. Wir haben außerdem bereits zum 1. Oktober genden Pflichten des Staates, seine Bürger vor äuße- dieses Jahres das doppelte Verpflegungsgeld an al- ren Gefahren zu schützen. Für Deutschland ist diese len dienstfreien Tagen eingeführt. Das kostet übri- Verpflichtung in Art. 1 Grundgesetz ausdrücklich gens 90 Millionen DM im Jahr, Herr Kollege Heister- festgeschrieben. Dem Privileg des Bürgers, vom mann. Warum reden Sie eigentlich nicht einmal da- Staat geschützt zu werden, steht die Pflicht gegen- von? Das ist doch eine positive Sache. über, als Teil unseres Staates am Erhalt der äußeren (Beifall bei der CDU/CSU) Sicherheit mitzuwirken, zumindest zeitweise mitzu- wirken. Das sind wichtige Erfolge der Koalitionsfraktionen für die Grundwehrdienstleistenden. Ich will deutlich Der Bürger erfüllt diese Pflicht, indem er sich für machen: Das sind materielle Anreize, im Mittelpunkt einen Zeitraum in den Dienst der bewaffneten Streit- unserer Bemühungen müssen aber die immateriellen kräfte stellt. Die allgemeine Wehrpflicht ist der greif- Dinge stehen, auf die ich gleich noch eingehen bare Ausdruck der persönlichen Mitverantwortung werde. Sie sind wichtiger als die materiellen Leistun- des Bürgers für ein Leben der deutschen Nation in gen. Frieden und Freiheit. - Aber auch die Bundeswehr muß einen eigenen Der Grundwehrdienstleistende ist verpflichtet, treu Beitrag zur Senkung der Verweigererquote leisten. zu dienen und das Recht und die Freiheit des deut- Hierzu zählt insbesondere der Umgang mit den schen Volkes tapfer zu verteidigen. Das bedeutet für Wehrpflichtigen in der Truppe wie bei den Wehrer- den Grundwehrdienstleistenden, im Katastrophen-, satzbehörden. Die Jahresberichte der Wehrbeauf- im Spannungs- oder im Verteidigungsfall unter Ein- tragten zeigen immer wieder, daß es in diesen Berei- satz seiner Gesundheit oder seines Lebens für Frie- chen noch erheblichen Spielraum für Verbesserun- den und Freiheit unseres Volkes einzutreten. Das un- gen gibt. Gerichtet an die Inspekteure der Teilstreit- terscheidet den Grundwehrdienstleistenden funda- kräfte und den Generalinspekteur sage ich: Hier mental vom Zivildienstleistenden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5605

Jürgen Augustinowitz Es ist eine entscheidende politische Führungsauf- Es muß deutlich werden, daß bewaffnete Streit- gabe, den unauflösbaren Zusammenhang zwischen kräfte ein entscheidendes Merkmal der Souveränität Wehrpflicht und Landesverteidigung zu verdeutli- unseres Staates sind. In Deutschland ist die Bundes- chen. Landesverteidigung und Wehrpflicht sind zwei wehr das sichtbare Symbol unserer wehrhaften De- Seiten der gleichen Medaille. mokratie. Die Bundeswehr hat nach dem Ende des kalten Georg Leber hat zu recht bei der Feierstunde des Krieges aus Sicht vieler junger Menschen ein Be- Verteidigungsausschusses am 27. September 1995 gründungsproblem. Die hohe KDV-Quote ist ein Be- gesagt: leg dafür. Seit dem Wegfall der massiven, unmittel- baren Bedrohung Deutschlands durch den War- Die Bundeswehr ist ein natürlicher Teil unserer schauer Pakt glaubt mancher Wehrpflichtiger, daß staatlichen Daseinsvorsorge geworden. sein Dienst in der Bundeswehr nicht mehr notwendig Das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht hat sich be- sei, da Deutschland mangels einer konkreten Bedro- währt. Der Erfolg der Bundeswehr ist auch ein Erfolg hung keine Streitkräfte mehr brauche. von Millionen Grundwehrdienstleistenden. Diese Fehleinschätzung ist eine Folge der ober- Es muß sichergestellt werden, daß die Bundeswehr flächlichen Begründung der Existenz der Bundes- auch unter den geänderten Bedingungen ihren Auf- wehr während des kalten Krieges. Die Bundeswehr trag, für ein Leben der deutschen Nation in Frieden wurde zu wenig als Ausweis für die Souveränität und Freiheit zu sorgen, uneingeschränkt erfüllen Deutschlands begründet, als die Fähigkeit des deut- kann. Die Soldaten haben daher Anspruch auf un- schen Staates, seine Bürger vor Gewalt und Bedro- sere volle Unterstützung. hung von außen zu schützen. Statt dessen wurde die bequemere, weil offensichtliche Begründung der Be- Vielen Dank. drohung aus dem Osten als Existenzgrund ange- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) führt. Dies rächt sich jetzt.

Daß sich viele Wehrpflichtige unter diesen Bedin- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort zu ei- gungen gegen den Dienst in der Bundeswehr ent- ner Kurzintervention hat der Kollege Köhne, PDS. scheiden, deren Sinn und Legitimation ihnen zum Teil nie richtig vermittelt wurde, kann nicht verwun- dern. Hier ist die Politik in der Verantwortung, Ver- Rolf Köhne (PDS): Ich beziehe mich auf die Ant- änderungen durchzusetzen. Dabei spielen auch z. B. wort vom Kollegen Breuer, der meinte, ich hätte über Schulen eine Rolle. Im Schulunterricht muß über die- die Bundeswehr keine Kenntnis. ses Thema vernünftig geredet werden. (Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt!) (Abg. Dr. Uwe-Jens Heuer [PDS] meldet Ich habe 1972/73 im Feldjägerbataillon 720 gedient. sich zu einer Zwischenfrage) In der Ausbildungskompanie dieses Bataillons wurde der Schlachtruf „Knüppel frei" offiziell und mit Wis- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege, ge- sen des Bataillonskommandeurs beim täglichen An- statten Sie eine Zwischenfrage? treten benutzt. Dies war ein bewußtes, gezieltes Mit- tel der Menschenführung, ebenso wie das gepflegte Liedgut und andere erzieherische Elemente. Jürgen Augustinowitz (CDU/CSU): Nein, nicht von diesem Herrn. Meine Frage zielte darauf zu problematisieren, in welche Richtung junge Menschen wohl geführt wer- (Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Setzen!) den sollen, wenn sie gezwungen werden, täglich In einer Zeit eines objektiv und subjektiv ge- mehrmals beim Antreten den Schlachtruf „Knüppel schwundenen Bedrohungsgefühls der Menschen ste- frei" zu rufen. Eine solche, sehr zweifelhafte Art von hen die militärischen Führer und Unterführer der Menschenführung, für die es auch noch diverse an- Bundeswehr vor einer völlig neuen, auch intellek- dere Belege gibt, ist mindestens bis Mitte der 70er tuellen Aufgabe. Jahre in der Feldjägertruppe, die sich immer als mili- tärische Elite gesehen hat, betrieben worden. Das ist Die Erkenntnis, daß der Staat als nationale Schutz- keine Besonderheit des Feldjägerbataillons 720. und Schicksalsgemeinschaft nur dann bestehen kann, wenn Rechte und Pflichten gegenüber dem An der Feldjägerschule in Sonthofen, die jeder Staat gleichermaßen wahrgenommen werden, muß Feldjäger durchlaufen mußte, herrschte ein ähnlicher in das Bewußtsein der Bürger zurückgerufen wer- Geist. Dort galten bereits Jusos als subversive Ele- den. CDU und CSU stehen als christlich-konserva- mente. tive Parteien bei der Erfüllung dieser Aufgabe in ei- (Beifall bei der CDU/CSU) ner besonderen Verantwortung und Verpflichtung. So Hauptmann Klee im Unterricht. Es ist insbesondere die Aufgabe der Verteidi- gungspolitik, das Begründungsproblem der Bundes- Um nicht falsch verstanden zu werden: Diese Kri- wehr zu beenden. Die Bundeswehr ist und bleibt un- tik trifft nur einen Teil der Bundeswehr. Sie trifft sere Versicherung gegen die Wechselfälle der Ge- nicht alle Soldaten, und ich hoffe, sie trifft nur für ver- schichte in einer ungewissen Zeit. gangene Zeiten zu. Ich habe in der Bundeswehr auch viele Menschen mit zutiefst demokratischer Ge- (Beifall bei der CDU/CSU) sinnung getroffen. Ich bin heute noch froh und den 5606 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Rolf Köhne Offizieren des Panzerbataillons, die seinerzeit mit Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktio- uns am Truppenübungsplatz Ehra-Lessien waren, nen der CDU/CSU und F.D.P. auf Drucksache 13/ dankbar dafür, daß sie gegen das Absingen des 2748? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Horst-Wessel-Liedes durch Teile unseres Bataillons, Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions- durch fast alle Offiziere, u. a. auch durch den Kom- fraktionen gegen die Stimmen der Opposition ange- mandierenden dieses Panzerbataillons, eingeschrit- nommen. ten sind, und daß sie dadurch verhindert haben, daß es in diesem Bataillon zu einer Schlägerei zwischen Wer stimmt für den Änderungsantrag der SPD auf den Faschisten und den Demokraten gekommen ist. Drucksache 13/2757? - Gegenprobe! - Enthaltun- Auch das gehört zu 40jähriger Geschichte der Bun- gen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koaliti- deswehr und muß hier und heute einmal gesagt wer- onsfraktionen bei Stimmenthaltung von BÜNDNIS 90/ den. DIE GRÜNEN und PDS gegen die Stimmen der SPD (Beifall bei der PDS) abgelehnt. Wir kommen zum Gesetzentwurf. Ich bitte dieje- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Der Kollege nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfas- Breuer hat mir erklärt, er wolle nicht erwidern. sung mit der beschlossenen Änderung zustimmen (Beifall bei der CDU/CSU) wollen, um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in Dann schließe ich jetzt die Aussprache und gebe zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitions- für eine Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsord- fraktionen gegen die Stimmen der Opposition an- nung dem Kollegen Dr. Heuer von der PDS das Wort. genommen.

Interfraktionell ist vereinbart, jetzt sogleich in die (PDS): Danke schön, Herr Prä- Dr. Uwe-Jens Heuer dritte Beratung einzutreten, obwohl in der zweiten sident. - Meine Damen und Herren, Herr Breuer hat Beratung Änderungen angenommen wurden. Ich erklärt, er sei nicht bereit, mir eine Frage zu beant- gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden worten. Deswegen möchte ich dazu jetzt etwas sa- ist. - Kein Widerspruch. Dann ist das mit der erfor- gen. derlichen Mehrheit so beschlossen. Herr Breuer hat gesagt - wenn ich ihn recht ver- standen habe -, es gebe keine konkrete Bedrohung. Dritte Beratung Er hat weiterhin erklärt, es sei ein großer Fehler ge- wesen, früher nur von einer Bedrohung aus dem und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die Osten zu sprechen. dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- ben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Ich frage mich: Aus welcher Himmelsrichtung ist Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitions- denn heute die Bundesrepublik Deutschland be- fraktionen gegen die Stimmen der Opposition ange- droht? Das möchte ich gerne von Herrn Breuer wis- nommen. sen. Wir kommen zur Abstimmung über den Ent- Meine zweite Bemerkung: Hier ist gesagt worden, schließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE die Soldaten seien heute zur Landesverteidigung GRÜNEN auf Drucksache 13/2770. Wer stimmt für aufgerufen. Aber in der Realität geht es jetzt um diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dage- Kampfeinsätze, die mit Landesverteidigung nicht das gen? - Enthaltungen? - Dieser Entschließungsan- Geringste zu tun haben und die man mit dem Begriff trag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen der Landesverteidigung nicht verknüpfen kann. und der SPD gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Gruppe Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege PDS abgelehnt. Dr. Heuer, ich habe Ihnen das Wort zu einer Erklä- rung nach § 30 der Geschäftsordnung gegeben. Sie Interfraktionell wird die Überweisung der Vorla- hatten Anlaß, etwas zu sagen, wegen der Verweige- gen auf den Drucksachen 13/580 und 13/2499 an die rung der Zwischenfrage und der Begründung durch in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor- den Kollegen Augustinowitz - nicht Breuer. geschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Jetzt machen Sie einen Debattenbeitrag, und dazu haben Sie nicht das Wort. Es tut mir sehr leid. Die Er- Jetzt kommen wir zu dem Zusatzpunkt 14, zur Ab- klärung haben Sie abgegeben. stimmung über die Beschlußempfehlung des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Gruppe (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) der PDS zu Kampfeinsätzen der Bundeswehr, Druck- Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir sache 13/1880. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag kommen jetzt zur Abstimmung über den von der auf der Drucksache 13/136 abzulehnen. Wer stimmt Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines für diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Ent- Wehrrechtsänderungsgesetzes. Das sind die Druck- haltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den sachen 13/1801, 13/2209 und 13/2547. Dazu liegen Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD bei Änderungsanträge der Fraktionen der CDU/CSU Stimmenthaltung von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und der F.D.P. sowie der Fraktion der SPD vor, über NEN und gegen die Stimmen der Gruppe der PDS die wir jetzt zuerst abstimmen. angenommen. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5607

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 10a bis Wohnungsbaugenossenschaften stärken - Mit- 10c auf: glieder steuerlich fördern a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- - Drucksachen 13/1501, 13/1644, 13/2771 - desregierung eingebrachten Entwurfs eines Berichterstattung: Gesetzes zur Neuregelung der steuerrechtli- Abgeordnete Otto Reschke chen Wohneigentumsförderung Dieter Maaß (He rne) - Drucksachen 13/2235, 13/2476 - Dr. (Erste Beratung 55. Sitzung) Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD und der aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Fi Gruppe der PDS sowie ein Änderungsantrag der nanzausschusses (7. Ausschuß) Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und - Drucksache 13/2784 - zwei Änderungsanträge des Abgeordneten Klaus- Jürgen Warnick vor. Berichterstattung: Abgeordnete Hildebrecht Braun (Augs- Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist für die burg) gemeinsame Aussprache eine Stunde vorgesehen. Franziska Eichstädt-Bohlig Kein Widerspruch? - Dann ist so beschlossen. Dr. Barbara Höll Otto Reschke Sobald etwas Ruhe eingekehrt ist, werde ich die Gerhard Schulz Aussprache eröffnen. - Darf ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, Platz zu nehmen bzw. ihre Unterhal- bb) Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- tungen in die Lobby zu verlagern. schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregie- - Drucksache 13/2785 - rung hat Herr Staatssekretär Kurt Faltlhauser das Berichterstattung: Wort. Abgeordnete Adolf Roth (Gießen) Dr. Wolfgang Weng (Gerlingen) Dr. Kurt Faltlhauser, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine Da- b) Beratung der Beschlußempfehlung und des men und Herren! Zu Beginn der Schlußberatung des Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuß) Gesetzes zur Neuregelung der steuerlichen Wohn- zu dem Antrag der Abgeordneten Franziska eigentumsförderung will ich auf einen Umstand bei Eichstädt-Bohlig, Christine Scheel, Ulrike der Entscheidungsfindung vorrangig hinweisen. Wir Höfken, weiterer Abgeordneter und der Frak- haben dieses Gesetz im Finanzausschuß und parallel tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Wohnungsbauausschuß nicht nur einvernehmlich Eckwerte für ein grünes Wohnungs-Selbsthil- innerhalb der Koalition zu einer Entscheidung ge- fe-Gesetz für eine soziale und ökologische bracht, sondern auch Einvernehmen mit der Opposi- Reform der Wohneigentumsförderung tion erzielt. Dies war nicht einfach, aber wir haben es trotzdem in diesem Bundestag erreicht. zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus-Jür- gen Warnick, Dr. Barbara Höll, Dr. Uwe-Jens (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Rössel und der Gruppe der PDS F.D.P.) Reformierung der Wohneigentumsförderung Ich glaube, daß dies für das Selbstverständnis die- als ein Bestandteil der Wohnungsbaupolitik ses Hauses gut ist. Denn es ist nicht besonders er- - Drucksachen 13/2304, 13/2357, 13/2784 - freulich, wenn die Mitglieder dieses Bundestages im- mer wieder erfahren müssen, daß die eigentlichen Berichterstattung: und letzten Entscheidungen in der Dunkelkammer Abgeordnete Hildebrecht Braun (Augsburg) des Vermittlungsausschusses schnell und mit vielen Franziska Eichstädt-Bohlig Prämissen Dr. Barbara Höll Otto Reschke (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der Gerhard Schulz (Leipzig) F.D.P.) und nicht auf der offenen Bühne dieses Parlaments c) Beratung der Beschlußempfehlung und des abschließend getroffen werden. Bedeutung hat die- Berichts des Ausschusses für Raumordnung, ser Umstand nicht nur für das Selbstverständnis des Bauwesen und Städtebau (18. Ausschuß) Bundestages, sondern auch für die Bürger, weil sie - zu dem Antrag der Abgeordneten Otto Resch- auf diese Weise klarere Entscheidungsstrukturen ke, Achim Großmann, Dr. Ulrich Böhme (Un- und Verantwortlichkeiten erkennen können. Dies ist na), weiterer Abgeordneter und der Fraktion ein Punkt, der so wichtig ist, daß er hier erwähnt wer- der SPD den muß. Wir werden das nicht immer durchhalten Neugestaltung der Wohneigentumsförderung können. Aber ich glaube, dieses Beispiel ist Grund genug, es auch in anderen Bereichen zu probieren. zu dem Antrag der Abgeordneten Dieter Maaß (Herne), Achim Großmann, Dr. Ul rich Böhme In diesem Sinne bedanke ich mich nicht nur für die (Unna), weiterer Abgeordneter und der Frak- engagierte und hochfachkundige Mitarbeit der Kol- tion der SPD legen aus dem Wohnungsbauausschuß und aus dem 5608 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Dr. Kurt Faltlhauser Finanzausschuß, der federführend war, sondern auch und die deutliche Anhebung des Baukindergeldes bei den Kollegen vor allem aus der Opposition, die als ein Paket sehen. Das gehört zusammen. letztlich doch mitgewirkt haben. Es war natürlich nicht immer leicht. Man ist manchmal verzweifelt. Fünftens. Wir haben eine besondere Förderung Manchmal habe ich gedacht, in München wird das der Schwellenhaushalte geschaffen. In diesem Punkt wohl ein bißchen leichter werden, da gibt es klarere war die Anhörung interessant. Es wird immer wieder Mehrheiten. gesagt, diejenigen, die eigentlich bauen könnten, werden gar nicht gefördert. Die Anhörung hat erge- Meine Damen und Herren, ich glaube, die Rege- ben, daß § 10e EStG schon bisher in sehr starkem lung, die vorliegt, ist deutlich besser als das, was wir Maße von Personen mit Einkommen bis 50 000 DM gegenwärtig noch im Gesetzblatt stehen haben. beansprucht wird. Genau in diesen Bereich zielt § 10e EStG ist eine der kompliziertesten Regelun- diese Förderung. Ich bin fest davon überzeugt, auch gen, die wir überhaupt im Steuerrecht haben. Man- wenn es aus fiskalischen Gesichtspunkten nicht un- che sagen, es ist das Komplizierteste überhaupt, und bedingt erfreulich sein muß, daß diese Art der Förde- niemand versteht es mehr. Das war für die Bauwilli- rung breitere Wirkung haben wird. gen nicht unbedingt günstig. Wir haben jetzt die Grundlage geschaffen, daß diese Kompliziertheit ab- Damit ist diese Regelung auch gut für die Baukon- gebaut wird. junktur. Wir haben dadurch gerade in der jetzigen Situation auch ein Signal für das Baujahr 1996 ge- Ich finde, daß das neue Gesetz sechs Vorteile hat, setzt. die hervorzuheben sich lohnt. Erstens: administra- tive Vereinfachungen. Wir haben nur noch einmal Wir haben dabei noch ein Problem - das haben wir eine Einkommensprüfung. Alleine das entlastet die alle miteinander immer gesagt -: Wie wirkt die För- Finanzbehörden. derung in den teuren Großstädten? Um hier ein biß- chen was zu tun, wird ein Vorkostenabzug von Zweitens: Diese Regelung ist für die Bauwilligen 22 500 DM für Erhaltungsaufwendungen beibehal- berechenbarer geworden. Wenn wir etwa für den ten, und zwar nach den Beratungen auch noch ohne Neubau 5 000 DM mal 8 nehmen, und wenn der Bau- Einkommensgrenze. Das ist für die Großstädte ein herr zwei Kinder hat, noch einmal 1 500 DM mal 2 richtiges Signal. gleich 3 000 DM und dies mal 8 nehmen, dann kann der Bauwillige mit einem Gesamtbetrag der Förde- Meine Damen und Herren, mein Fazit: Der heutige rung durch den Staat von 64 000 DM im Zeitablauf Freitag ist ein guter Tag für die Bauwilligen, die Fa- rechnen. Ich glaube, dies wird für mehr Bauwillige milien und die Baukonjunktur. als bisher ein Anreiz zum Bauen sein. Ich bedanke mich. Drittens: Diese Regelung ist gut für die neuen Bun- desländer. Es gibt dabei vier Ansätze. Allein durch (Beifall bei der CDU/CSU, der F.D.P. und die Umstellung des Systems auf eine von der Steuer- der SPD) progression unabhängige Förderung werden die Bür- ger gerade in den neuen Bundesländern wesentlich Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der deutlicher als bisher gefördert, weil das Einkom- Kollege Reschke, SPD. mensniveau in den neuen Bundesländern bedauerli- cherweise noch niedriger ist. Es ist eine Regelung, die vom System her auf die neuen Bundesländer ab- Otto Reschke (SPD): Herr Präsident! Meine sehr gestellt ist. Zweiter Ansatzpunkt: Wir haben in den verehrten Damen und Herren! Nach einem sech- Ausschußberatungen die Förderung des Altbaus von zehnstündigen Marathon mit kaum einer Unterbre- 2 200 DM auf 2 500 DM angehoben. Ich habe dies chung haben wir am vergangenen Mittwoch den Ge- sehr begrüßt, auch wenn dadurch Finanzierungspro- setzentwurf im Fachausschuß verabschiedet. Für bleme entstanden, weil der Abstand zwischen Neu- mich war es in meiner langjährigen Praxis die läng- bauförderung von 5 000 DM und der Altbauförde- ste Ausschußssitzung, und ich kann heute nach einer rung von 2 200 DM tatsächlich eine schmerzliche Bilanz sagen, daß es sich gelohnt hat. Förderungslücke war. Ich glaube, diese Regelung ist Erstens. Wir haben das Ziel erreicht - das ist das jetzt gut vertretbar. Dazu kommt für die neuen Bun- Wichtigste für mich -, die Neuregelung zum 1. Ja- desländer die Bürgschaftsregelung und sicherlich nuar 1996 in Kraft zu setzen, nachdem es lange Zeit auch das, wofür sich besonders die Kollegen aus der unklar war, ob wir überhaupt etwas erreichen. SPD eingesetzt haben, die Genossenschaftsförde- rung. Zweitens. Ein Vermittlungsverfahren ist wohl auch verhindert worden. Ich halte es für ein wichti-- Viertens ist diese Regelung gut für die Familien. ges Ziel, daß der Bundestag damit Herr der Gestal- Wir haben das um 50 % aufgestockt. Baukindergeld tung bleibt. Das ist für die Zukunft wichtig; das sehe Das ist kein kleines Signal. Das ist ein deutliches Si- ich genauso wie der Staatssekretär. gnal. Das kommt zu den 7 Milliarden DM unseres Fa- milienleistungsausgleichs hinzu. Das neue Gesetz entspricht jahrelangen sozialde- mokratischen Forderungen: erstens einkommensun- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) abhängig, zweitens durchschaubar, drittens familien- Wir müssen den Familienleistungsausgleich, wie wir gerecht, viertens berechenbar, fünftens verwaltungs- ihn Mitte dieses Jahres im Vermittlungsausschuß be vereinfachend. Die Schränke bei manchem Steuer- schlossen haben, mit im Ergebnis 7 Milliarden DM berater können in Zukunft ausgeräumt werden; die Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5609 Otto Reschke Meterware „7 b/10 e" kann ins Archiv gestellt wer- Steigerung von 50 % zu verzeichnen. Für insgesamt den. acht Jahre wird die Förderung pro Kind 12 000 DM (Beifall bei der SPD) betragen. Das ist ein wichtiger Schritt, eine Initial- zündung für die Familienpolitik aus diesem Hause. Schon 1986 forderten wir in unserem Gesetzent- wurf die einkommensunabhängige Förderung. Die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- Koalition hat es damals abgelehnt, den komplizierten ten der CDU/CSU) und ungerechten § 10e in eine einkommensunab- hängige Regelung umzuwandeln. Die Folge war Diese Verbesserung kommt vor allem Familien mit nach unserer Auffassung eine milliardenteure Fehl- Kindern im unteren und mittleren Einkommensbe- förderung. Wir haben über acht Jahre lang größten- reich zugute. Auch beginnt der neue § 10e endlich in teils die Falschen gefördert. Die Eigentumsquote er- den neuen Bundesländern zu wirken. höhte sich nicht; das hat sich ganz deutlich gezeigt. Viertens. Durch die einmalige Überprüfung der Drei Bauminister kamen und gingen, und es dau- Einkommensgrenze wird das Verfahren wesentlich erte acht Jahre, bis die Regierung ihr Versagen in der vereinfacht. Das geben wir zu. Aber der Regierungs- Eigentumsförderung erkannte. Erst Bauminister entwurf bot insbesondere für Freiberufler und Unter- Nr. 4, um es chinesisch auszudrücken, ist endlich be- nehmer die Möglichkeit, ihr Einkommen einmalig reit, die Förderung sozial und gerecht zu gestalten. unter die 120 000- bzw. 240 000-DM-Einkommens- Wir freuen uns darüber, daß wir einen gemeinsamen grenze zu senken und sie damit unwirksam zu ma- Weg gefunden haben. chen. Um Manipulationen dieser Art zu verhindern, wird bei der Prüfung des Einkommens ein zweijähri- (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Hanne ger Zeitraum zugrunde gelegt. Wir halten das als Mi- lore Rönsch [Wiesbaden] [CDU/CSU]) nimallösung für richtig, um Manipulationen auszu- Ich sage es in vollem Ernst: Herr Minister Töpfer, schließen. wie Sie die Koalition binnen eines Jahres um 180 Grad gedreht haben, verdient Respekt und Aner- Fünftens. Auf die Ökokomponente und die Genos- kennung. Laßt es uns bei anderen Beispielen ge- senschaftsförderung im neuen Gesetz und auf das nauso tun! Bürgschaftsprogramm Ost wird Achim Großmann noch stärker eingehen. Wir sind uns einig, wenn Sie sagen: Unser Weg ist richtig. - Dies ist eine klare Bestätigung für die Rich- Sechstens. Nicht zuletzt gehört zur Eigentumsför- tigkeit des SPD-Konzeptes, obwohl Sie mit dieser derung die deutlich verbesserte Vorsparförderung. Presseschlagzeile natürlich sich selbst gemeint ha- Wir begrüßen die Anhebung der Einkommensgren- ben. zen auf 50 000 bzw. 100 000 DM und die Anhebung der förderungsfähigen Höchstbeträge der Woh- Unsere parlamentarische Beharrlichkeit zahlt sich nungsbauprämie auf 1 000 bzw. 2 000 DM. jetzt für die Bauherren aus. Damit unterstützt die SPD deutlich das Ziel, die Ei- Erstens. Die Bauherren werden sich nun über eine gentumsquote in Deutschland weiter zu verbessern. Grundförderung von jährlich 5 000 DM beim Neu- Aber wir sagen dabei ganz deutlich. Dieses Gesetz bau und 2 500 DM beim Bestandserwerb freuen. Wir ist ein erster Schritt auf dem Weg zu diesem Ziel. Wir haben dringend auf einer Verstärkung beim Be- sagen: Eigentum ist der beste Mieterschutz, aber es standserwerb im Blick auf die Ballungsgebiete be- müssen noch flankierende Maßnahmen dazu kom- standen. men. Zweitens. Auch in einem anderen Punkt haben wir eine Verstärkung durchgesetzt. Der Neubau wie Ich will aber zuvor noch sagen: Jeder Bürger kann auch der Erwerb aus dem Bestand werden durch die die Eigenheimzulage nur einmal in seinem Leben in Anspruch nehmen. Es wäre für uns Sozialdemokra- Einigung bei den Vorkosten und den Erhaltungsauf- wendungen gestärkt. Hier haben wir einen tragfähi- ten sinnvoll gewesen, wenn Ehepaare, die in der Re- gen Kompromiß erzielt. Die Erhaltungsaufwendun- gel nur einmal bauen, ihre Förderbeträge hätten zu- gen vor Bezug beim Erwerb einer Bestandsimmobilie sammenlegen können. Diesen Punkt konnten wir lei- sind weiterhin bis zu 22 500 DM von der Steuerbe- der nicht durchsetzen, auch nicht gegenüber unse- messungsgrundlage einkommensunabhängig ab- ren Bundesländern - das geben wir gerne zu -, und zugsfähig. Eine wichtige Neuerung dabei ist, daß zwar aus Kostengründen. Mieter, wenn sie die Wohnung kaufen, in der sie Die SPD hat die Zusammenlegung der Förderung wohnen, Erhaltungsaufwendungen auch noch im für Ehepaare bis zum anderthalbfachen Betrag ge- Jahr nach dem Kauf geltend machen können. Die fordert. Prinzipiell bleiben wir bei diesem Vorschlag. - neue Vorkostenpauschale, die auch die Finanzie- Wir haben diese Forderung deshalb auch in unseren rungs-, Notar- und Gerichtsgebühren umfaßt, kann Entschließungsantrag aufgenommen. in Höhe von 3 500 DM von der Steuerbemessungs- grundlage abgezogen werden, allerdings einkom- (Beifall bei der SPD) mensabhängig. Auch das halten wir für richtig; ob- wohl hier ein kleiner Systembruch gegeben ist, sind Das Problem bei der Kumulation sind für den Fi- wir für diesen Kompromiß angetreten. nanzminister die Vorzieheffekte, nicht die Mehraus- gaben. Später würde der Staat ohnehin vom Objekt- Drittens. Die Anhebung des Baukindergeldes auf verbrauch bei Ehepaaren profitieren, die ihre Förde- 1 500 DM begrüßen wir nachdrücklich. Hier ist eine rung heute zusammenlegen. 5610 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Otto Reschke Es ist ja schon gar keine Praxis mehr bei Finanzmi- trägliches Stadtkonzept mit einer stärkeren Beto- nistern - das möchte ich zwischendurch anmerken -, nung des Wohnens. schon heute für ihren Nachfolger zu sparen. Viel- leicht ist das ein sinnvoller Hinweis, für ihre Nachfol- Für eine höhere Baulandbereitstellung müssen die ger in naher Zukunft hauszuhalten. Kommunen endlich ein zoniertes Satzungsrecht ha- ben. Sobald es wieder Spielraum im Bundeshaushalt gibt, muß über die Einführung der Kumulationsmög- Weiterhin - dies nenne ich als letzten Punkt - steht lichkeit für Ehepaare neu nachgedacht werden. durch den Karlsruher Spruch zu den Einheitswerten Dazu gehört auch die Frage besonderer Hilfe für Al- die Reform der Bodenbesteuerung dringend an, da- leinerziehende. Wir werden diese Punkte aufgreifen. mit hier nichts aus dem Ruder läuft.

Eine Übergangsregelung für das neue Gesetz, die Eine Menge Reformarbeit liegt vor uns. Wir sind sofort greift, also ab heute, ist wichtig, um Attentis- bereit dazu, weil wir meinen, daß Wohnen ein wichti- mus zu verhindern. ges soziales Gut in diesem Staat ist. Wir hätten gern schon den 28. Juni und nicht den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- heutigen Tag als Stichtag für die neue Förderung mit dem neuen Wahlrecht vorgeschlagen, weil wir schon ten der CDU/CSU und der F.D.P.) die ersten Schreiben vorliegen haben. Danach haben viele nach dem 28. Juni per Kaufvertrag eine Immo- Das Wort hat die bilie gekauft, die erst 1996 bezugsfertig wird, und ge- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Kollegin Rönsch, CDU/CSU-Fraktion. dacht, bereits in die neue Förderung zu kommen. Ein Stückchen Ungerechtigkeit ist also vorhanden. Das Eigenheim-Zulagengesetz allein reicht nicht Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Herr aus, um eine Eigentumsquote von 50 % und mehr zu Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! erreichen. Die Rahmenbedingungen für die Bildung Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich glaube, die von Wohneigentum müssen deshalb in weiteren Nachfolgeregelung zu § 10e in dem vorliegenden Punkten bei den in den kommenden Jahren anste- Gesetzentwurf zur Wohneigentumsförderung, der henden Beratungen im Fachausschuß entscheidend heute zur zweiten und dritten Beratung ansteht, ist verbessert werden. ein wichtiger Beitrag zur Unterstützung der Familien in Deutschland. Ich denke, diese Neuregelung ist Wir fordern die Bundesregierung daher auf, wei- aber auch für uns wichtig, weil sie zeigt, daß Parla- terhin auf Möglichkeiten zur verstärkten Bauland- mentarismus anders aussehen kann. ausweisung für bauwillige Familien hinzuweisen und die Möglichkeiten dafür zu schaffen. Wir müs- In vielen Stunden wurde gemeinsam gerungen. sen das Erbbaurecht aktivieren, kostengünstiges Ich glaube, all diejenigen, die mitgestritten haben, Bauen fördern und nach meiner Einschätzung auch sind mit dem Ergebnis ausgesprochen zufrieden. das Wohneigentumsgesetz bald novellieren, um eine Selbstverständlich, Herr Kollege Reschke: Ich ge- gute Voraussetzung für Wohneigentum in den Bal- stehe ein, daß wir miteinander gerungen haben, aber lungsgebieten zu haben. nicht in allen Punkten - in einem Punkt war ich mit (Beifall bei der SPD) Ihnen einig, Frau Eichstädt-Bohlig - mit Ihnen einig werden konnten. Wir hätten uns an der einen oder Den wichtigen ersten Teil der dringend notwendi- anderen Stelle etwas mehr, vielleicht auch etwas an- gen Reform der Wohnungspolitik schließen wir heute deres vorstellen können. ab. Aber Verhandlungsbedarf besteht nach wie vor. Das zeigen ja auch die noch fehlenden zwei Millio- Wir waren uns aber von vornherein einig, daß für nen Wohnungen, und das zeigt die Bevölkerungsent- uns vier wichtige Kriterien ausschlaggebend sind: wicklung bis zum Jahre 2010. Preisgünstiger Wohn- Zum einen wollten wir die Neuregelung familien- raum wird dringend benötigt, und deshalb müssen freundlicher gestalten. Zum anderen wollten wir die wir jetzt das Dritte Wohnungsbaugesetz in Angriff Bezieher der unteren und mittleren Einkommen we- nehmen. Die Unterlagen dazu liegen auf dem Tisch. sentlich stärker berücksichtigen. Wir wollten auch - Das ist eine Forderung von Sozialdemokraten aus der ich hoffe, daß uns dies umfänglich gelungen ist - das letzten Periode. Steuerrecht vereinfachen und mußten uns darauf verständigen, daß das Ganze aufkommensneutral ist. (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja nun Das waren vier wichtige Kriterien, die Grundlage der übertrieben!) Beratung gewesen sind. Was wir zudem zwingend- Die direkten und indirekten Förderungsinstru- erreichen wollten, war ein Inkrafttreten zum 1. Januar mente in der Wohnungspolitik müssen endlich har- 1996. monisiert und effizienter gemacht werden. Wir brau- Ich habe deshalb überhaupt kein Verständnis da- chen einen neuen Schub für den sozialen Wohnungs- für, wenn eine Gruppe heute morgen meint, die Zeit bau, nicht dessen Abschaffung, Herr Kollege Braun, für die Beratung habe auch in den jüngsten Tagen vielleicht arbeiten wir auch wieder zusammen, um nicht ausgereicht - viele Kolleginnen und Kollegen dieses Ziel zu erreichen. haben sehr ernsthaft bis zu 13 Stunden zusammen- Wir müssen die Novellierung des Baugesetzbu- gesessen -, und damit das Inkrafttreten zum 1. Januar ches angehen. Wir brauchen ein neues umweltver 1996 in Frage gestellt wird. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5611

Hannelore Rönsch (Wiesbaden) Diese neue gesetzliche Regelung bringt für die Fa- einig sind, daß die Opposition das schon dargestellt milien in den neuen Bundesländern gegenüber dem hat. Ich gehöre nicht dazu. Wir haben die Regierung, bestehenden § 10e umfassende Verbesserungen. wir haben die Opposition. Was sind wir dann in Ihren Augen? Als Opposition werden wir von Ihnen an- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so scheinend nicht dargestellt und wahrgenommen. wie bei Abgeordneten der SPD) Darauf hätte ich gerne eine Antwort. Vielleicht habe Deswegen wäre es schändlich, wenn man genau ich in der letzten Zeit etwas übersehen. diese Familien jetzt noch einmal auf einen späteren Zeitpunkt hätte vertrösten müssen, weil irgend je- Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Herr mand meint, nicht genug Zeit für die Beratung ge- Kollege, die Gruppe, die Sie repräsentieren, hat sich habt zu haben. Ich bin froh, daß wir heute abschlie- heute morgen als die Gruppe der Verhinderer darge- ßend beraten, weil wir damit für die Familien, die stellt. So war es bei dem Gesetzentwurf heute mor- bauen wollen, einen guten Weg beschreiten. gen, und so ist es bei diesem Gesetzentwurf. Wenn wir bedenken, daß auf dem Gebiet der alten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Bundesrepublik die Eigentumsquote bei 41 % liegt ordneten der SPD) und die Eigentumsquote in den neuen Bundeslän- dern 24 % beträgt, dann sind wir ganz besonders auf- Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, daß Sie gerufen, den Familien in den neuen Bundesländern gerade hier, wo es fast um eine Sonderregelung für den Weg zu Eigentum zu ermöglichen. Zudem ist zu die neuen Bundesländer geht, Fristeinrede geltend beachten, daß die Bundesrepublik bezüglich des machen und meinen, Sie bräuchten noch Zeit zur Be- Durchschnittsalters beim Eigentumserwerb in Eu- ratung. An der Struktur dieses Gesetzes hat sich in ropa an der Spitze steht. Bei uns erwirbt man im den letzten drei Tagen überhaupt nichts geändert. Durchschnitt mit 38 Jahren Eigentum. Sehr oft haben Sie betreiben bewußt Verzögerung und Verhinde- Familien dann schon Kinder. rung, weil Sie ganz bewußt das Inkrafttreten verhin- dern wollen. Das werden wir den Bürgern in den Es ist ein seltener Fall, daß man all das, was im Ge- neuen Bundesländern auch ganz deutlich machen. setzentwurf an Neuregelungen enthalten ist, als er- ster Redner der Koalition nicht mehr vortragen muß, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- weil dies schon die Opposition ganz korrekt darge- ordneten der SPD) stellt hat. Mein Kollege Schulz, der heute noch einmal darle- Ich freue mich, daß wir jetzt eine progressions gen wird, wie sich dieses neue Gesetz gerade für die unabhängige Bauzulage von 5 000 DM haben, weil Mitbürgerinnen und Mitbürger in den fünf neuen dadurch gerade die kleinen und mittleren Haushalte Bundesländern auswirkt, wird deutlich machen, daß bevorzugt werden. Ich freue mich gleichfalls, Herr Sie diejenigen gewesen sind, die dieses Gesetz so Kollege Faltlhauser - und ich danke dabei besonders schnell nicht auf den Weg bringen wollten. auch dem Wohnungsbauminister -, daß es möglich (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- war, die Kinderzulage auf 1 500 DM zu erhöhen. Da- ordneten der SPD) durch bieten wir den Familien tatsächlich einen An- reiz zur Schaffung von Eigentum. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin Ich will es einmal an einem Rechenbeispiel deut- Rönsch, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage lich machen: Eine Familie mit zwei Kindern wird bei der Kollegin Höll? - Bitte sehr. einem zu versteuernden Einkommen von 60 000 DM im Jahr künftig eine Gesamtförderung von bis zu Dr. Barbara Höll (PDS): Frau Kollegin Rönsch, ich 64 000 DM erhalten können. Ich denke, das ist eine hätte trotzdem gerne eine Beantwortung der Frage stolze Summe. Hier wird dann der Wunsch nach Ei- bezüglich der Opposition. Das kann man nicht mit gentum vielleicht an der einen oder anderen Stelle dem Wort Verhinderer erklären. Das ist meines Er- die Sorge vor Eigentum überlagern, und man hat achtens keine parlamentarische Kategorie. Vielleicht dann die Möglichkeit, Eigentum zu schaffen und sei- läßt sich dieses aber nachholen. nen Kindern den entsprechenden Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Des weiteren möchte ich sagen: Sie sind in der Re- gierungsverantwortung, und Sie sind von vornherein an so ein wichtiges Gesetz mit einer Zeitspanne der Frau Kollegin Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: parlamentarischen Beratung von sage und schreibe Rönsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- nur einem Monat herangegangen. gen Warnick? - (Zuruf von der CDU/CSU: Seit drei Jahren reden wir davon!) Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Bitte. Wir haben als PDS an allen Beratungen teilgenom- men, sogar bis zum Ende der 14stündigen Sitzung. Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Frau Kollegin Rönsch, können Sie mich vielleicht unterstützen? Bitte behaupten Sie nicht, daß da eine ordentliche Vielleicht habe ich irgend etwas in der letzten Zeit parlamentarische Arbeit noch möglich ist. übersehen - ich weiß nicht, ob wir eine Parlamentsre- form oder etwas ähnliches hatten -: Hier wird immer Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Kollegin, davon gesprochen, daß Sie sich mit der Opposition ich habe Ihnen das Wort zu einer Zwischenfrage ge- 5612 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose geben. Sie machen aber eine Kurzintervention. Das diskutieren. Ich freue mich, daß es uns gelungen ist, müssen Sie vorher ankündigen. Machen Sie jetzt dies gemeinsam zu tun. bitte ein Fragezeichen und kommen Sie zum Ende. Ich denke auch, daß es gerade für die Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern ausgespro- Dr. Barbara Höll (PDS): Entschuldigung, Herr Prä- chen sinnvoll ist, daß wir die Altbauförderung auf sident. Frau Kollegin Rönsch, haben Sie zur Kenntnis 2 500 DM pro Jahr hochsetzen konnten; denn auch genommen, daß die PDS einen eigenen Gesetzesan- dies ist ein Betrag, mit dem man eine Wohnung oder trag vorgelegt hat und damit nicht einfach als Ver ein Haus aus dem Bestand kaufen kann. Diese För- hinderer dargestellt werden kann? derung gilt zwar in ganz Deutschland, aber gerade (Otto Reschke [SPD]: Aber sehr spät!) die Bürger in den neuen Bundesländern werden daran speziell partizipieren.

Hannelore Rönsch (Wiesbaden) (CDU/CSU): Jetzt Ich erhoffe mir davon - auch wieder besonders in erschließt sich mir nicht ganz, warum Sie auf der ei- den neuen Bundesländern - eine Privatisierungsof- nen Seite behaupten, Sie hätten nicht genügend Zeit fensive, damit gerade Familien mit Kindern, die sonst gehabt, um die vorliegenden Gesetzesentwürfe zu auf dem Wohnungsmarkt doch oft erhebliche beraten, auf der anderen Seite aber sagen, Sie hätten Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche haben, selbst einen Gesetzentwurf eingebracht. Offensicht- durch unsere gemeinsame Regelung aller demokra- lich hat die Zeit doch ausgereicht, die weit über ei- tischen Kräfte in der Zukunft mehr, besseren und nen Monat hinausging. Wenn Sie sich immer intensiv schöneren Wohnraum bekommen. an den Beratungen beteiligt hätten, hätten Sie, (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) glaube ich, wie 98 % des Hauses mitgestalten kön- nen. Aber dies haben Sie nicht gewollt. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat Ich bin heute nicht bereit, hier mit Ihnen über den die Kollegin Eichstädt-Bohlig, BÜNDNIS 90/DIE Parlamentarismus zu diskutieren. Das werden wir bei GRÜNEN. einer anderen Debatte machen. Ich werde meine Zeit heute nutzen, um über den Wohnungsbau, vielleicht auch mit Ihnen, zu streiten, damit auch Sie Erkennt- Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE nisse gewinnen können, die Sie über 40 Jahre DDR GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und schmählich vermissen mußten. Kollegen! Herr Töpfer! Herr Faltlhauser! (Joachim Hörster [CDU/CSU]: So alt ist sie (Zuruf des Abg. Dr.-Ing. Dietmar Kansy noch nicht!) [CDU/CSU]) - Nein. Aber man hofft und wünscht sich, wenn man - Das werde ich bei Gelegenheit wieder machen, die Nachfolge einer Partei antritt, die nichts anderes Herr Kansy. getan hat, als Wohnraum zu vernichten, daß man sich dann einfach schlau macht. Einen kurzen Satz zum Beratungsverfahren: Ich muß schon sagen, daß die Zeit sehr knirsch war, aber (Dr. Barbara Höll [PDS]: Genau den „ver nicht die Zeit zur Beratung. Das sollte man, glaube nichteten Wohnraum" wollen Sie verkau ich, wirklich deutlich unterscheiden. fen! Das ist doch Blödsinn!) Herrn Thiele ist es gelungen, uns sehr ausführlich - Wenn Sie damit die Plattenbauten meinen, Frau alle Einzelpunkte beraten zu lassen, und dafür Kollegin Höll - das ist das letzte, was ich von Ihrer möchte ich mich jenseits aller inhaltlichen Differen- Seite an Zwischenrufen aufnehme -: Bis 1989 mußte zen bedanken, auch wenn Herr Thiele nicht da ist. man ausgesprochen privilegiert sein, um in Berlin (Ost), der Hauptstadt der DDR, eine Plattenwohnung (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der zu bekommen. F.D.P.) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Ich muß aber sagen - an dieser Stelle sollten wir in Lachen bei der PDS - Dr. Barbara Höll Zukunft auch noch etwas achtsamer mit Gesetzen [PDS]: So ein Schwachsinn!) umgehen -, wir sollten darauf achten, den Ministeri- albeamten und -angestellten die Zeit, die sie brau- Hellersdorf, Marzahn, Hohenschönhausen - wer chen, um nach unseren Beratungen ein Gesetz zu er- wohnt denn da? Man mußte wirklich relativ system- arbeiten, zu geben. treu sein, um überhaupt eine dieser Wohnungen be- ziehen zu dürfen, und jetzt tun Sie so, als seien diese (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Wohnungen nicht mehr zu beziehen und zu bewoh- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der nen. F.D.P. und der SPD) (Dr. Barbara Höll [PDS]: Die Vorlage eines Zum Inhalt: Ich muß sagen, daß ich trotz dieser gro- Gesetzes ist nicht die parlamentarische Dis ßen Koalition der Zufriedenheit doch etwas Wasser in kussion!) den Wein gießen muß. Wir selbst sehen dieses Ge- setz mit zwiespältigen Gefühlen. Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind eigentlich heute hier zusammengekommen, um Einerseits ist eindeutig klar - das möchten wir die Weiterentwicklung der Eigentumsförderung zu auch anerkennen -, daß gegenüber dem § 10e EStG Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5613

Franziska Eichstädt-Bohlig deutliche Fortschritte erreicht worden sind. Darum mitglied die Zulage bekommen soll, haben Sie das sollte man nicht herumreden. Solidarprinzip empfindlich gestört. Trotzdem möchte ich begründen, an welchen Stel- len wir nach wie vor deutliche Bauchschmerzen ha- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Frau Eichstädt- ben und warum wir diesen Erfolgen und auch eini- Bohlig, gestatten Sie eine Zwischenfrage? gen sehr positiven Einzelpunkten zum Trotz das Ge- setz in der Gesamtheit ablehnen. Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE Ich möchte den wichtigsten Punkt nennen; ich GRÜNEN): Ja. habe ihn auch bei meiner Einstiegsrede zu diesem Thema und auch im Ausschuß angesprochen: Für Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Liebe Frau uns war nicht die Diskussion Aufkommenssteigerung Eichstädt-Bohlig, ist Ihnen bekannt, daß auch jetzt versus Aufkommensneutralität, sondern Aufkom- nach dem Wohneigentumsgesetz der einzelne Eigen- mensneutralität kontra Geldeinsparung wichtig, und tümer Verantwortung für das gemeinschaftliche Ei- ich bedauere sehr, daß Sie die Diskussion in dieser gentum hat? Richtung kein einziges Mal mitgetragen haben. Wir sind nach wie vor der Meinung, daß bei den Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE Einkommensgrenzen zu großzügig verfahren worden GRÜNEN): So weit, wie das Gemeinschaftseigentum ist, daß der Vorkostenabzug ein zu großzügiges und vernünftig gepflegt wird. Er soll den Wert des Eigen- auch systemwidriges Geschenk ist und daß wir deut- tums aber für sich selbst realisieren können. Bei der lichere Einsparungen gebraucht hätten, wie sie in Genossenschaft ist das nicht möglich. Das ist eine unserem Antrag auch vorgesehen waren. hohe Qualität und nicht, wie Sie sagen, ein negativer Aspekt bei Genossenschaften. Darüber sollten wir Wenn man da strenger herangegangen wäre, wäre ausführlicher diskutieren. Denn gerade darin besteht das auch möglich gewesen. Dieses Geld bräuchten der Unterschied zwischen beiden Eigentumstypen. wir nicht nur zur Haushaltskonsolidierung und für die Lösung der Probleme, die Herr Waigel sonst hat, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sondern wir bräuchten es gerade für den Einzelplan 25, und der SPD - Hildebrecht Braun [Augs- für das Wohngeld, für die Städtebauförderung, für burg] [F.D.P.]: Das werden wir tun!) den sozialen Wohnungsbau. Diese Ungleichheit in Ich möchte einen dritten Punkt ansprechen, den den Proportionen muß ich wirklich massiv kritisieren. Ökobonus. Das finde ich ganz toll, und dafür will ich Ich bedaure sehr, daß sie nie Gegenstand der Diskus- mich bedanken. Ich habe ein bißchen das Gefühl, sion waren. daß auch wir dazu unseren Beitrag geleistet haben. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Daß Sie den Mut haben, Eigentumsförderung mit CO2-Minderung und anderen ökologischen Kriterien Zum zweiten Punkt. Wir haben jetzt einen sehr zu verknüpfen, finde ich wirklich sehr toll. Ich hoffe, wichtigen Punkt hereinbekommen; das ist die Förde- daß das greift und daß es ein Stück Vorarbeit für die rung des Erwerbs von Anteilen an Genossenschaf- nächste Wärmeschutzverordnung ist, um daraus ge- ten. Das finde ich im Grundsatz sehr positiv. Ich nerelle Ziele für ökologisches Bauen zu machen. Ich möchte besonders Herrn Großmann für die enga- bedanke mich, daß das gelungen ist, und hoffe, daß gierte Art danken, in der er sich dafür eingesetzt hat, es in diesem Sinne wirkt. daß in den Länderdiskussionen und in all den Zwi- schengesprächen dieser Punkt immer wieder ange- (Parl. Staatssekretär Dr. Kurt Faltlhauser: sprochen und jetzt auch einbezogen worden ist. Das war die erste Lesung!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Ja, danke. und der SPD sowie bei Abgeordneten der Trotzdem möchte ich einen bedenkenswerten CDU/CSU und der F.D.P.) Punkt anfügen. Es ist in der ganzen Debatte leider Das finde ich im Grundsatz sehr wichtig und sehr un- nicht gelungen, den Aspekt der Zersiedlung, der terstützenswert. nach wie vor ein großes Problem bei diesem Gesetz ist, intensiver zu problematisieren. Insofern bleibt es Trotzdem haben wir uns auch an dieser Stelle ent- dabei, daß ich die bautechnische Seite hervorragend halten. Ich werde gleich sagen, was unsere Sorge da- finde, die stadtstrukturelle und siedlungspolitische bei ist. Sie von der Koalition haben mit dieser Förde- Seite aber mit großer Sorge sehe. Das Gesetz, wie es rung den Genossenschaften praktisch etwas aufge- momentan angelegt ist, ist ein Instrument zur weite- zwungen, was für Genossenschaften systemwidrig ren Zersiedlung. Diese Tendenz sollten wir beobach-- ist. Die Qualität von Genossenschaften besteht im So- ten, und wir sollten prüfen, ob es nicht Instrumente lidarprinzip und in der Verantwortung für das Ge- gibt, dem entgegenzuarbeiten. meinschaftseigentum. Das ist der Unterschied zum Individualeigentum. Der Wert wird nicht aus der Ge- Lassen Sie mich einen letzten Aspekt aufgreifen, nossenschaft individuell herausgezogen, sondern der eigentlich gar nicht zur Wohneigentumsförde- man beläßt ihn dort. Das macht Genossenschafts- rung gehört, der aber nach der Methode „Ostpoliti- wohnungen preisgünstig, und das ist das sozial- und sche Schwierigkeiten müssen in anderen Gesetzen gesellschaftspolitisch Hervorragende an Genossen- durch Art. X oder Y geregelt werden" hineingekom- schaften. Mit Ihrer Forderung, Individualeigentum men ist. Meiner Meinung nach ist er nicht ausrei- zur Auflage zu machen, wenn ein Genossenschafts chend geregelt. Wir haben deshalb einen Ande- 5614 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Franziska Eichstädt-Bohlig rungsantrag dazu gestellt. Das ist die Grunderwerb- lich. Wir haben uns an die Vorgaben der Kostenneu- -steuerbefreiung für alle Vermögens-, Bereinigungs tralität gehalten. und Zuordnungsfälle, die im Osten nach wie vor an- stehen und die bis 1996 in keiner Weise geregelt wa- (Beifall bei der F.D.P.) ren. Für viele Menschen in den unteren und mittleren (Rolf Rau [CDU/CSU]: Ist doch geregelt!) Einkommensgruppen Geld freizubekommen war deswegen nur dadurch möglich, daß wir es denen Im Grundsatz haben Sie - das finde ich auch sehr weggenommen haben, die deutlich mehr verdienen. gut - der Verlängerung bis 1999 zugestimmt. Damit Das müssen wir hier offen sagen. Wir nehmen vielen sind wir völlig d'accord. Darüber brauchen wir uns auch Geld weg zugunsten einer Umschichtung, die nicht zu streiten. Aber die Bundesvereinigung der wir gemeinsam wollen. Kommunalen Spitzenverbände hat dringend darum gebeten, nicht nur diesen Tatbestand bis 1999 zu ver- Ich bin der Meinung, daß es hocherfreulich ist, längern, sondern gleichzeitig die Vereinigungen und wenn wir mit diesem Gesetz heute einen wichtigen Anteilsvereinigungen und die Aufspaltung kommu- Beitrag dazu leisten können, daß die Eigentums- naler Gesellschaften, die derzeit auf Grund von Ge- quote in unserem Land steigen wird, eine Eigen- meindeänderungen oder zu schnellen und zu kurz tumsquote, die bei uns, im reichsten Land Europas, gegriffenen Gesellschaftsgründungen in der Start- niedriger liegt als irgendwoanders in Europa. phase dringend nötig sind, steuerfrei zu stellen. Darum haben wir den Ergänzungsantrag, der neu- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Kollege lich im Ausschuß abgelehnt worden ist, nochmals ge- Braun, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kolle- stellt. Interessanterweise haben wir im Ausschuß gen von Larcher? allerdings etliches an Zustimmung quer durch die Fraktionen bekommen. Wir bitten Sie sehr eindring- lich. Es sind wirklich fast Peanuts. Aber für den Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Bitte sehr. Osten und die Kommunen dort ist es ein sehr wichti- ger Punkt. Wir haben Sorge, daß dort die Vermö- Detlev von Larcher (SPD): Kollege Braun, mit Freu- gensbereinigung nicht solide vonstatten geht, wenn den höre ich Ihr großes Lob über dieses Gesetz. Kön- ständig das Steuerhindernis dazwischensteht. nen Sie mir sagen, warum es so viele Jahre gedauert hat, bis Sie zu dieser Erkenntnis gelangt sind? Insofern habe ich die dringende Bitte: Stimmen Sie dem zu! Es handelt sich überhaupt nicht um etwas (Dr.-Ing. Dietmar Kansy [CDU/CSU]: Er ist Ideologisches. Sie machen damit nichts Grünes. Viel- erst ein Jahr in diesem Parlament!) mehr helfen Sie den ostdeutschen Städten und den - Ich meine natürlich Ihre Partei und nicht Sie per- städtischen Wohnungsbaugesellschaften. sönlich. In diesem Sinne bedanke ich mich für das gesamte Verfahren; ich fand es sehr korrekt und kollegial. Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Ehrlich ge- sagt, ich bin mit dieser Reform seit Februar dieses (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Jahres befaßt, wie alle, die wir heute zusammensit- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der zen. Wir haben heftig diskutiert, alle haben auch hef- SPD, der F.D.P. und der PDS) tig dazugelernt und viele Dinge von außen aufge- nommen. Wir sind insgesamt zu dem Ergebnis ge- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der kommen, daß die Grundrichtung, die wir eingeschla- Kollege Braun, F.D.P.-Fraktion. gen haben, für unsere Zeit richtig ist. Ich wüßte nicht, wem hier ein Vorwurf zu machen wäre. (Detlev von Larcher [SPD]: Wir hätten das Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Wertes Prä- vor acht Jahren haben können!) sidium! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für die deutsche Bevölke- - Ich sage Ihnen ehrlich: Vor acht Jahren habe ich rung; heute bringen wir eine Reform zu Ende, die meine segensreiche Wirkung als Stadtrat in Mün- vielen, vielen Menschen in unserem Land neue Hoff- chen entfaltet. Ich war damals noch nicht in dem nung geben wird. Normalerweise verhält es sich so, Maße in der Lage, auf die Willensbildung hier Ein- daß in unseren Zeiten von diesem Platz aus die Be- fluß zu nehmen. völkerung um Verständnis dafür gebeten werden muß, daß vom Staat weniger Leistungen erbracht Lassen Sie mich fortfahren. werden können, weil die finanzielle Situation des Wichtig ist, daß wir eine Reform zustande gebracht Staates schlecht ist. Aber wir können heute Hundert- haben, die viel schwieriger war als der Familienla- tausenden von Menschen verkünden, daß sie in Zu- stenausgleich. Denn dort standen etliche Milliarden kunft die Chance haben werden, Wohneigentum zu zusätzlich zur Verfügung; hier ging es darum, erwerben, Menschen, die bisher dazu nicht in der kostenneutral ganz neue, und zwar effizientere, Wir- Lage waren. Das ist eine sehr, sehr gute Nachricht. kungen insgesamt zu erzielen. Das war natürlich nicht deshalb möglich, weil wir Was wir anstreben, ist gesellschaftspolitisch ge- plötzlich das System der wundersamen Geldvermeh- wollt. Wir wollen ein Volk von Eigentümern; denn rung erlernt hätten, nein, ganz im Gegenteil. Die Re- Eigentum macht frei. Selbst der beste Mieterschutz - form kostet den Steuerzahler keinen Pfennig zusätz- durch noch so mieterfreundliche Gesetze - gibt dem Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5615

Hildebrecht Braun (Augsburg) einzelnen nicht die Freiheit und Unabhängigkeit, die nicht ganz so kraß ausfallen, wie das sonst der Fall Eigentum gewährt. Wir tragen auch zu einem Wan- gewesen wäre. del der Stellung des einzelnen in unserer Gesell- schaft bei. Aus vielen Mietern werden viele Eigen- Wir sind der Meinung, daß diejenigen, deren Ein- tümer werden. Das ist einer der ganz zentralen Wün- kommen jenseits der Grenzen liegen, selbst für sche von uns, nämlich daß Mieter ihre eigenen vier Wohneigentum sorgen müssen. Sie können das aber Wände, in denen sie bisher schon wohnten, kaufen auch, weil sie ein ausreichendes Einkommen haben. können. Das führt zu mehr Eigenverantwortlichkeit, Ich möchte die Gelegenheit nehmen, dem Kolle- aber eben auch zu mehr Unabhängigkeit. Das ist ge- gen Faltlhauser ausdrücklich für seinen Einsatz in nau das, was wir wollen. diesem Zusammenhang zu danken. (Beifall bei der F.D.P.) (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so- Wohneigentum ist eine besonders gute Form der wie der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig Altersvorsorge. Wer die eigenen vier Wände recht- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) zeitig erworben hat, hat weniger Angst vor dem Le- ben im fortgeschrittenen Alter. Ich möchte auf einige Das wird eines der letzten großen Gesetzeswerke Bestandteile der Änderung eingehen. sein, die Herr Faltlhauser in diesem Haus erlebt, be- vor er seinen Tätigkeitsort nach München verlegt. Die Zulagenregelung insgesamt schafft Sicherheit Aber ich hoffe, daß er in Zukunft in ähnlicher Weise für den einzelnen, der vor der Entscheidung steht, ob zum Wohl der Bayern beitragen wird. er sich die Investition leisten will oder nicht - ein un- schätzbarer Vorteil. Ich bin zuversichtlich, daß dieses Gesetz sehr posi- tive Auswirkungen haben wird, daß viele neue Ei- Das Baukindergeld ist um 50 % angehoben wor- gentümer gewonnen werden. Und ich bin auch zu- den. Das ist in unserer Zeit eine enorme Zuwachs- versichtlich, daß sich die Skepsis, die bei einigen rate. Dies war eine ausdrückliche Forderung der Fachleuten sehr wohl noch vorhanden ist - nämlich F.D.P. ebenso wie die Forderung, das Bausparen wie- daß die Umstellung der Förderung zu stark ausgefal- der attraktiv zu machen. Dies ist durch eine Anhe- len ist -, nicht bestätigen wird. Wir haben uns viele bung der Einkommensgrenzen um nahezu 100 % ge- Monate - es war nicht ein so kurzer Zeitraum, wie lungen. das hier dargestellt wurde - intensiv mit der Thema- Ganz besonders wichtig ist, daß es noch gelungen tik beschäftigt. Wir sind davon überzeugt, daß wir ist, die Grundförderung für den Erwerb aus dem Be- insgesamt die richtigen Entscheidungen getroffen stand anzuheben. Denn gerade durch diesen Schritt haben. werden viel mehr Mieter in die Lage versetzt, Eigen- tümer zu werden. So wird sich das neue Fördersy- Ich bedanke mich bei allen Beteiligten, auch und gerade bei der SPD, daß sie diese Reform in toto mit- stem nicht nur zugunsten des Wohnungsbaus auf dem flachen Land auswirken, sondern es fließt auch trägt. Fördergeld in die Städte, die zusätzliches Wohn- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so- eigentum dringend nötig haben. Denn gerade dort wie bei Abgeordneten der SPD) ist die Wohneigentumsquote besonders gering. (Beifall bei der F.D.P.) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der Zugleich schaffen wir hiermit eine Förderkompo- Kollege Warnick, PDS. nente zugunsten der neuen Bundesländer. Denn dort wird der Kauf aus dem Bestand ganz besonders häu- fig Wirklichkeit werden. Und wir leisten einen Bei- Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Herr Präsident! trag dazu, die von den Parteien des Bundestags ge- Meine Damen und Herren! Zu Anfang für meine forderte Privatisierung von kommunalen Wohnungs- liebe Kollegin Frau Rönsch eine kleine Lektion im beständen im Osten deutlich zu erleichtern. DDR-Sprachgebrauch: Plattenbauwohnungen in der DDR nannte man allgemein „Arbeiterschließfächer". Wir haben das Bürgschaftsverfahren für die neuen Man wird sie wahrscheinlich deswegen Arbeiter- Bundesländer erweitert. Das steht zwar nicht aus- schließfächer genannt haben, weil da nur Beamte drücklich im Gesetz, aber zwischen allen Beteiligten und Stasi-Leute gewohnt haben; dies nehme ich ein- ist vereinbart worden, daß für die neuen Bundeslän- mal an. Dies jedenfalls wollte Frau Rönsch in ihrer der eine Bürgschaftsregelung geschaffen wird, wo- wirklichkeitsfremden Äußerung vorhin so darstellen. nach es dem einzelnen, der eben nicht, wie im We- sten, die Möglichkeit hatte, Wohneigentum zu bilden (Beifall bei der PDS - Zuruf von der CDU/ und damit einen Grundbetrag anzusammeln, erleich- CSU: Aber eingeschlossen habt ihr sie, die tert wird, Kredite zu bekommen. Die Kredite werden Arbeiter!) zudem billiger werden, weil ein Teil staatlich ver- Zum Gesetz. Wir alle waren uns einig darüber, daß bürgt wird. Das ist eine gezielte, sehr preiswerte das Gesetz zum 1. Januar kommen soll. Es ist völlig echte Hilfe für die neuen Bundesländer. falsch, zu behaupten, wir wollten verhindern, daß Der Vorkostenabzug wurde reduziert, aber er dieses Gesetz zum 1. Januar in Kraft tritt. Wir hatten bleibt progressionsabhängig. Das ist richtig und not- einfach zuwenig Zeit. Wir hätten uns mehr Zeit neh- wendig, weil auf diese Weise die Nachteile für dieje- men müssen - die notwendige Zeit -, um dieses Ge- nigen, die wir jetzt doch kräftig zur Ader lassen, setz entsprechend sauber auszuarbeiten. 5616 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Klaus-Jürgen Warnick Dieses Gesetz ist in den Ausschüssen auf Zuruf zu- Erwähnen und begrüßen möchte ich vor allem die sammengebastelt worden. Jede neue Idee wurde Einbeziehung der Genossenschaften in die Wohn- kurzfristig schriftlich niedergelegt. Auf diese Weise eigentumsförderung und auch die Aufnahme der hat man am Mittwoch 14 Stunden an diesem Gesetz ökologischen Komponenten. herumgebastelt. Es gibt aber auch grundlegende Unterschiede. Es Herr Thiele hat die Sitzung zweifelsfrei hervorra- stimmt: Das Gesetz ist einfacher; aber es ist nicht ein- gend geleitet; das muß man anerkennen. Trotzdem fach. Es ist gerechter, aber noch lange nicht so ge- ist nicht auszuschließen, daß sich - wie beim Mieten- recht, wie es hätte sein können. Es ist familienfreund- überleitungsgesetz - Fehler eingeschlichen haben, licher, aber nicht so familienfreundlich, wie wir es ge- die in den Ausschüssen keiner der Abgeordneten er- braucht hätten. Das liegt daran, daß Sie nicht die kannt hat. wohnungspolitischen, sondern die vermögenspoliti- schen Aspekte in den Vordergrund gestellt haben. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Fehler kann man nie ausschließen!) Der gravierende Unterschied zu unserer Vorstel- lung besteht darin, daß wir grundsätzlich gegen den Mir ist noch sehr gut im Ohr, wie Leute in den Erwerb aus dem Bestand waren, daß wir für eine Ku- neuen Bundesländern uns hinsichtlich der schlampi- mulierung waren, die leider nicht erreicht werden gen Art und Weise beschimpft haben, mit der das konnte, daß wir eine weitere Erhöhung des Baukin- Mietenüberleitungsgesetz verabschiedet wurde. dergeldes beantragt hatten und daß wir auch diejeni- Hunderttausende, nein, Millionen Bürger mußten gen, die unter das Sachenrecht fallen, mit einbezo- unter dieser Art und Weise leiden. gen haben wollten. Mit dem Hinweis, die Zeit reiche (Lachen bei der SPD) nicht aus, das entsprechend einzuarbeiten, wurden diese Forderungen nicht mit aufgenommen. Auch - Das ist so. Fragen Sie die Bürger do rt , welche Pro- das haben wir der kurzen und knappen Arbeit zu bleme sie damit hatten. verdanken. Man kann den Bürgern draußen kaum erzählen, in Deswegen haben wir noch einen Entschließungs- welchem Hauruckverfahren hier im Bundestag Ge- antrag eingebracht und bitten um Unterstützung, um setze gemacht werden. Sie würden es uns nicht glau- wenigstens das, was im Ausschuß dazu gesagt ben. Wir haben heute früh um 0.30 Uhr die Beschluß- wurde, klar und deutlich zu machen. empfehlung des Finanzausschusses bekommen. Also konnte man erst heute morgen diese Beschluß- Warum haben wir noch Änderungsanträge ge- empfehlung einsehen. bracht? Es stimmt auch nicht - wie heute morgen in der Geschäftsordnungsdebatte gesagt wurde -, daß wir Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Die Redezeit, nicht schon vorher auf die Art und Weise hingewie- Herr Kollege! sen hätten, mit der dieser Gesetzentwurf hier verab- schiedet werden soll. Ich habe das im Ausschuß ein- Klaus-Jürgen Warnick (PDS): Es ist klar: Wir haben deutig kritisiert und gesagt, ich sei nicht damit ein- keine Chance, daß sie durchkommen. Aber wir wol- verstanden, daß das Gesetz in diesem Eilverfahren len der Öffentlichkeit dokumentieren, wie hier abge- durchgepeitscht werden soll. stimmt wird. Die nächsten Wahlen kommen be- Es stimmt auch nicht, daß dieses Gesetz, wenn wir stimmt. Wir sammeln schon einmal Material. Sie wer- es vierzehn Tage später verabschieden würden, nicht den uns dabei unterstützen. zum 1. Januar in Kraft treten könnte. Vielen Dank. (Zuruf von der CDU/CSU: Hätten Sie denn (Beifall bei der PDS) zugestimmt?) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der - Nein. Kollege Gerhard Schulz, CDU/CSU-Fraktion. (Lachen bei der CDU/CSU, dem BÜND NIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) Gerhard Schulz (Leipzig) (CDU/CSU): Herr Präsi- Das hat aber eine völlig andere Ursache. Die Gefahr, dent! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich den Vermittlungsausschuß des Bundesrates anzuru- hatte eigentlich vor, weite Teile meines Manuskripts fen, hat zu keiner Zeit bestanden, weil sich die SPD wegzulassen, weil ein paar Vorredner das schon ge- schön brav in allem gefügt und angepaßt hat. sagt haben. Aber ich halte es doch für notwendig, ei- niges noch einmal zu sagen, damit wir wissen, wor- - (Widerspruch bei der SPD) über wir eigentlich reden. Ich bitte also um Entschul- Es gibt hier ja nur noch wenige Unterschiede. Bei digung, wenn ich manches wiederhole. den Wahlen in Berlin hat man es gesehen: Die Berli- Im November 1994 kündigten die Regierungspar- ner wählen lieber gleich das Original und nicht die teien in ihrer Koalitionsvereinbarung eine Reform Kopie oder uns als Alternative. der steuerlichen Wohneigentumsförderung an. Die (Beifall bei Abgeordneten der PDS) Ansprüche an diese Reform waren: Die Steueraus- fälle des neuen Fördersystems sollten im Vergleich In einigen Punkten können wir diesen Gesetzent- zur bestehenden Regelung nicht höher sein, es sollte wurf mittragen bzw. haben nur geringe Differenzen. eine vorrangige Förderung von Familien mit Kindern Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5617

Gerhard Schulz (Leipzig) erfolgen, und es sollte eine sozialere Ausgestaltung Das ist auch notwendig; denn in Ostdeutschland be- erreicht werden, damit mehr Familien als bisher trägt die Wohneigentumsquote - das wurde er- Wohnungseigentümer werden können. wähnt - nur 22 %. Wir belegen damit im westeuro- päischen Vergleich den letzten Platz. Hier ist also Heute, nach rund einem Jahr, ist das neue Eigen- wirklich Abhilfe notwendig. heimzulagengesetz fertig. Die Koalition dokumen- tiert damit erneut ihre Verläßlichkeit und Kontinuität Zweitens. Im Gesetzgebungsverfahren konnte er- in ihrem politischen Handeln. reicht werden, daß die Zulage für Erwerb aus dem Bestand, also Altbau, von 2 200 DM auf 2 500 DM er- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) höht wurde. Das ist für die alten Länder, wenn man so will, so etwas ähnliches wie eine Ballungsraumzu- In dieses Lob beziehe ich ausdrücklich - da bin ich lage. Für die Ostländer ist das aber eine Zusatzförde- nach der Debatte mit Frau Rönsch vorsichtiger ge rung. Warum sage ich das? In Leipzig wird geschätzt, worden - den gutwilligen Teil der Opposition mit ein. daß dort allein durch das Sanieren des gesamten sa- (Beifall und Heiterkeit bei der CDU/CSU nierungsfähigen Wohnraums die Wohnungspro- und der F.D.P.) bleme zu lösen seien. Man bräuchte quasi keinen Neubau. Durch Konzentration auf die Sachprobleme ist dieses Parlament in der Lage, innerhalb kurzer Zeit wich- Durch das jetzt vorhandene Instrumentarium, wel- tige und notwendige Reformen zum Wohle der Bür- ches sich zusammensetzt aus erstens der Förderung gerinnen und Bürger zu verabschieden. Wenn jetzt für den Erwerb von Altbau über acht Jahre mit je- noch der Bundesrat diesem Gesetz zustimmt, ist das weils 2 500 DM plus 1 500 DM für jedes Kind, zwei- ein tolles Ergebnis. tens progressionsabhängiger Vorkostenabzug von maximal 22 500 DM für Renovierung und Sanierung Mit diesem Gesetz vollziehen wir eine grundle- am gekauften Altbauobjekt und drittens 40 000 DM gende Umstellung der steuerlichen Wohneigentums- für Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen förderung. Das wurde bereits gesagt; ich lasse es nach § 7 des Fördergebietsgesetzes - das Gesetz exi- weg. Diese Umstellung ist ein wichtiger Schritt zur stiert ja noch immer -, die zusätzlich wie Sonderaus- Erzielung einer höheren Effizienz der Eigentumsför- gaben abgesetzt werden können, besteht für die derung. Wir leisten damit einen Beitrag zur Steuer- Menschen in den neuen Bundesländern ein attrakti- vereinfachung, und wir leisten einen notwendigen ves Fördersystem für den Erwerb von Wohneigen- Beitrag zur Abgrenzung von Steuer- und Transfer- tum. recht. Zudem werden vor allem die mittleren Ein- kommensschichten, die sogenannten Schwellen- Drittens. In Ostdeutschland konnte in den vergan- haushalte, in die Lage versetzt, Wohneigentum zu er- genen Jahren - darüber wurde an dieser Stelle oft werben und damit die Eigentümerquote in ganz genug berichtet - keine Vermögensbildung stattfin- Deutschland zu erhöhen. den. Insgesamt ist die Neuregelung der Wohnungsför- Die Haushalte verfügen über wenig Eigenmittel derung zwar aufkommensneutral. In den neuen und müssen beim Erwerb von Wohneigentum hohe Ländern ergeben sich aber überwiegend Verbesse- Kredite aufnehmen. Hier besteht die Gefahr, daß ih- rungen. Von dem gesamten Volumen von über nen diese Kredite wegen fehlender Sicherheiten ver- 17 Milliarden DM steuerlicher Förderung entfällt weigert werden. Um diesem Problem Rechnung zu auf die neuen Länder ein Anteil von über 4 Milliar- tragen, wird ein nur für die neuen Bundesländer gül- den DM. Mit dieser Eigenheimzulage wird in den tiges Bürgschaftssonderprogramm für den Erwerb neuen Bundesländern eine ganz neue Förderdimen- von Altbauten aufgelegt. Die Höhe der Bürgschaft sion erreicht. Darauf möchte ich mich jetzt konzen- beträgt 20 % des Kostenaufwands für den Erwerb, je- trieren. doch maximal 30 000 DM. Aber dieses Sonderpro- gramm ergänzt das bereits bundesweit existierende Erstens. Bisher konnten nach § 10e des Steuerge- Bürgschaftsprogramm für Neubauten. Es rundet da- setzes nur äußerst wenige Haushalte in den neuen mit das Bürgschaftsinstrumentarium des Bundes ab Ländern am bestehenden Fördersystem partizipie- und erleichtert die Kreditfinanzierung für den Kauf ren, weil Einkommen und Steuerlast im Durchschnitt von billigen Wohnungen. niedriger liegen als in den alten Bundesländern. So können die Steuervergünstigungen bei einer ost- Das vorliegende Eigenheimzulagengesetz ist die deutschen Familie mit zwei Kindern erst ab einem Grundlage für eine effektive soziale und familien- jährlichen Bruttoeinkommen von 47 000 DM vollstän- freundliche Wohneigentumsförderung. Wir legen da- dig in Anspruch genommen werden. Der durch- mit in den neuen Bundesländern den Grundstein für - schnittliche Bruttojahresverdienst eines ostdeutschen mehr selbstgenutztes Wohneigentum, vor allem in Industriearbeiters betrug 1994 jedoch lediglich rund den mittleren Einkommensschichten. Darum halte 39 000 DM, also 8 000 DM weniger. ich es für ein gutes Gesetz. Schönen Dank. Die Steuerersparnis nach § 10e beträgt für diese Familie rund 27 200 DM. Mit der neuen Eigenheim- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zulage erhöht sich diese Förderung auf 64 000 DM, also um rund 135 %. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Das Wort hat der (Beifall bei der CDU/CSU) Kollege Großmann, SPD. 5618 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Achim Großmann (SPD): Herr Präsident! Meine verdient, das Doppelte derjenigen Förderung be- Damen und Herren! Es ist schön, daß wir viele Ge- kommt, die eine Familie mit mittlerem Einkommen meinsamkeiten festgestellt haben. Das werde auch bezieht. Er ist familien- und kinderfreundlich; denn ich in meinem Redebeitrag tun. Aber es ist natürlich das Baukindergeld, auch wenn es bis jetzt als Ab- ebenso wichtig, daß man den Unterschied zwischen zug von der Steuerschuld gezahlt wurde, hat den- Regierung und Opposition nicht verwischt. Deshalb noch dazu geführt, daß viele Familien auf Grund will ich versuchen, auch diesen Teil nicht zu kurz ihrer Steuersituation das Baukindergeld nicht nut- kommen zu lassen. zen konnten. Mehr als ein Jahrzehnt hat die SPD dafür ge- Er ist ökonomisch sinnvoll, weil die Mittel, die der kämpft, die sozial ungerechte, familienfeindliche und Staat zur Verfügung stellt, stärker auf die Menschen, nicht treffsichere Wohneigentumsförderung durch die sonst nicht bauen könnten, konzentriert sind. Er eine wirklich neue Reform zu ersetzen. ist einfacher zu verstehen und schafft Klarheit, weil jeder Bauherr beim ersten Spatenstich bis auf die (Joachim Poß [SPD]: Sehr wahr!) letzte Stelle hinterm Komma genau weiß, was er an Wenn die Hälfte einer staatlichen Förderung 20 % Förderung bekommen wird. der Haushalte, die das höchste Einkommen haben, Der neue Gesetzentwurf hat innovative Elemente, bekommen und wenn Familien mit mittlerem Ein- nämlich den Ökobonus und die Förderung von Ge- kommen mangels Masse nicht bauen können, dann nossenschaftsanteilen. muß ein solches Gesetz weg. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der SPD) Dazu möchte ich ein paar Bemerkungen machen. Wenn die Menschen in den neuen Bundesländern kein Eigentum schaffen können, weil sie auf Grund Die Ökokomponente finden Sie im SPD-Antrag niedrigerer Einkommen § 10e EStG nicht nutzen vom Mai dieses Jahres. Dort heißt es: können, dann muß ein solcher Paragraph weg. Im- Die neue Wärmeschutzverordnung erreicht nicht mer und immer wieder haben wir Ihnen das gesagt - den Standard des Niedrigenergiehauses. Drama- das ist heute schon angeklungen -, und wir haben tische Änderungen der klimatischen Bedingun- viele Jahre gebraucht, ehe Sie in der Lage waren, gen erfordern aber weitere Anstrengungen. Fa- diesen Weg mitzugehen und das Gesetz zu reformie- ren. milien, die selbstgenutztes Wohneigentum auf Niedrigenergiestandard schaffen, sollten zusätz- In der Zwischenzeit hätten Hunderttausende von lich gefördert werden. Menschen Eigentum schaffen können. Das sollte Wir haben diesen Antrag eingebracht. Ich bin in man an einem solchen Tag einmal festhalten. einigen Landeshauptstädten gewesen und habe für (Beifall bei der SPD) die Idee geworben; denn wir brauchen ja nicht nur die Bundestagsmehrheit, sondern auch die Bundes- Ich habe eine Reihe von Zitaten vorliegen, die ich ratsmehrheit. Ich bin froh, daß der Bundesrat die For- nicht vortragen will, die aber belegen, mit welchen derungen der SPD übernommen, eingespeist und teilweise abenteuerlichen Argumenten Sie eine Re- auch vorgeschlagen hat, die Ökokomponente in das form der Wohneigentumsförderung verhindern. Das Gesetz hineinzunehmen. beginnt mit Herrn Solms im März 1985 und reicht bis in die letzten Monate hinein. Ich will nicht zitieren, (Beifall bei der SPD) denn das ist Vergangenheit. Es sollte hier nur noch Ich bin ebenfalls dankbar, daß aus dem Bundes- einmal festgehalten werden: Jahrelang hat sich die bauministerium ein zusätzlicher Vorschlag kam - das Koalition geweigert, § 10e EStG zu ändern, der zu sollte man hier der Wahrheit halber sagen -, eine einer krassen Fehlförderung in der Wohneigentums- zweite Ökokomponente mit hineinzunehmen. förderung geführt hat. (Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/ Heute erleben wir ein kleines Wunder: Die, die uns DIE GRÜNEN]: Von uns!) jahrelang wegen unserer Idee der einkommensunab- hängigen Förderung beschimpft haben, preisen mit Wir haben das sehr gerne unterstützt und tragen es wortreichen Redebeiträgen an die eigene und damit heute mit. an die falsche Adresse die Vorzüge, die Effizienz und die Gerechtigkeit der neuen Paragraphen. Natürlich - das sage ich auch wegen der Wahr- heitsfindung, Frau Eichstädt-Bohlig - haben auch die (Beifall bei der SPD) Grünen in ihrem Antrag, der im August etwas später als unserer kam, Vorschläge für Ökoboni gemacht. Wenigstens einer, Bauminister Töpfer, hat in der Ich hoffe, daß wir Sie mit unserem Antrag in Ihrem Diskussion der vergangenen Wochen gesagt: Okay, Anliegen ein wenig befruchtet haben. das war eine gute Idee der SPD. Er hat sich dafür be- dankt und bestreitet nicht die Urheberschaft der (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Du bist aber Idee. milde gestimmt!) Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, Der zweite Punkt, auf den ich etwas näher einge- entspricht in weiten Teilen - nicht in allen - den hen will, ist die Förderung von Genossenschaftsan- Forderungen der SPD. Er ist sozial gerecht, weil die teilen. Die Förderung von Genossenschaftsanteilen, Fehlförderung aufhört, daß jemand, der sehr viel die jetzt ermöglicht wird, kann man, glaube ich, nicht Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5619 Achim Großmann hoch genug werten. Es ist ein historischer Durch- rechte an Wohnungsgenossenschaften zu unter- bruch in der Geschichte der Genossenschaftsbewe- suchen. Außerdem ist dabei der Frage nachzuge- gung. hen, wie die genossenschaftlichen generellen (Beifall bei der SPD) Mitwirkungsbefugnisse auf unternehmenspoliti- sche Entscheidungen einschließlich der Gestal- Erstmals wird es möglich, daß ein Mitglied, das Ge- tung der Nutzungsentgelte gestärkt werden müs- nossenschaftsanteile erwirbt, mit einer Zulage des sen. Staates gefördert wird. Diese Förderungsmöglichkeit betrifft Genossenschaften, die nach dem 1. Januar Das ist ein Weg, den wir gerne mitgehen wollen; 1995 gegründet werden. Das bedeutet: Es ist im Mo- denn das bedeutet nichts anderes, als daß wir an un- ment noch eine auf die ostdeutschen Bundesländer serer Forderung weiterhin festhalten, auch Mitglie- zugeschnittene Förderung. Das begrüßen wir aus- dern bestehender Genossenschaften eine steuerliche drücklich; denn in den neuen Bundesländern läuft Förderung ihrer Geschäftsanteile zu gewähren. die Privatisierung. Aber sehr viele Leute, sehr viele Daran werden wir in den nächsten drei Jahren arbei- Mieterinnen und Mieter, auch in Genossenschaften, ten. haben vor dieser Privatisierung Angst, weil sie sich (Beifall bei der SPD) entscheiden mußten, eine Wohnung unter Umstän- Ein Großteil dieses Gesetzes - es ist schon gesagt den als Volleigentum zu kaufen, dafür jedoch nicht worden - führt zu großem Nutzen in den neuen Bun- das Geld hatten. desländern. Wir haben bei den vielen Versuchen zur Mit dem Weg, den wir jetzt beschreiten, gibt es die Reform des § 10e immer wieder darauf hingewiesen, Entscheidung nicht, auf der einen Seite Mieter oder daß die Menschen in den neuen Bundesländern Mieterin zu bleiben und auf der anderen Seite Voll- diese Bestimmung nicht nutzen konnten. Ich habe eigentum zu erwerben, was man sich finanziell viel- eben schon darauf hingewiesen. leicht gar nicht leisten kann oder sich nur aus Angst In einer Presseerklärung von Februar 1992 hatte leistet, wobei man nachher feststellt: Ich muß es wie- ich gesagt: der abgeben, ich muß das zwangsversteigern lassen oder verkaufen. Die Bauministerin hängt den Speck staatlicher Förderung so hoch, daß selbst vergleichsweise Nein, es gibt einen dritten Weg. Es gibt einen Weg gut verdienende Familien in den östlichen Län- des mittelbaren Eigentums, der steuerlich oder per dern leer ausgehen. Hunderttausende Arbeitneh- Zulage über das genossenschaftliche Eigentum ge- merfamilien können kein Eigenheim erwerben fördert wird. Das ist ein guter Weg. Dafür haben wir und werden von der Vermögensbildung ausge- im Gesetzgebungsverfahren lange fechten müssen. schlossen. (Beifall bei der SPD) Die starke Benachteiligung der Menschen in den Aber auch die Baugenossenschaften im Westen, neuen Bundesländern ist ab heute beendet; denn die Norden und Süden unseres Landes werden diesen einkommensunabhängige Förderung wird dazu füh- Weg aufgreifen. Es werden sich Bauträgergenossen- ren, daß viele Menschen, die von Eigentum bisher schaften bilden. Ich bin sicher, daß das innovative nur träumen konnten, diesen Traum verwirklichen Angebot Flügel bekommen wird und daß es sehr können. kreative Leute geben wird, die dieses Angebot aus- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der füllen und eine neue Form der Eigentumsbeteiligung CDU/CSU) schaffen werden. Auch die Genossenschaftsregelung als Einstieg ist Ich sage aber auch ganz deutlich: Dies kann nur typisch für die neuen Bundesländer; das habe ich be- ein erster Schritt sein. Wir haben einvernehmlich be- reits dargestellt. Aber auch die Erhöhung der Förde- schlossen, daß weitere Schritte folgen. Wenn wir also rung der Bestandskäufe von 2 200 auf 2 500 DM und heute unseren eigenen Antrag zum Genossen- der Tatbestand, daß wir in dem Gesetz die Möglich- schaftsweg formal für erledigt erklären, dann muß keit belassen, Erhaltungsaufwendungen bis zu ich das begründen, damit es nicht falsch verstanden 22 500 DM geltend zu machen, wenn man aus dem wird. Bestand erwirbt, werden von den Menschen in den Wir machen diesen Schritt deshalb, weil wir auf neuen Bundesländern sehr gut genutzt werden kön- der einen Seite einen ersten Schritt geschafft haben, nen. Ich denke, das ist gut und richtig so. nämlich den Einstieg in die Förderung der Genossen- Fazit: Wir haben nach wirklich langem Kampf - schaftsanteile, und der Bauausschuß gleichzeitig ein- das muß ich für die SPD sagen - ein Gesetz geschaf- vernehmlich folgendes beschlossen hat. In der gut- fen, das eine derartig deutliche SPD-Handschrift - achterlichen Stellungnahme für den Finanzausschuß, trägt, daß wir heute sehr froh und glücklich sind, die- die auch im Bericht auftaucht, heißt es: ses Gesetz verabschieden zu können. Herr Reschke hat aufgezeigt, daß wir weitere Aufgaben zu erledi- Es besteht Einvernehmen darüber, daß die Förde- gen haben, daß einige unserer Wünsche nicht erfüllt rung des Erwerbs von Genossenschaftsanteilen in die steuerliche Wohneigentumsförderung ein- worden sind. Deshalb werden wir nicht die Hände in den Schoß legen, sondern wollen an weiteren Refor- bezogen werden soll. Eine umfassende Regelung men für den Wohnungsbau arbeiten. sollte noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden können. Dabei ist eine sachenrechtliche Ein Dank gilt - das ist schon gesagt worden - Ausrichtung der genossenschaftlichen Mitglieds Herrn Faltlhauser, aber auch Herrn Töpfer. Wir wis- 5620 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Achim Großmann sen: Eine gute Idee der SPD aufzugreifen und dies nicht konfliktfähig. Kompromiß hat so etwas an sich öffentlich zuzugeben, dazu gehört Mut. Diese SPD- wie Mauschelei, den anderen über den Tisch ziehen, Idee dann auch noch in der Koalition durchzusetzen, dem anderen irgend etwas reindrücken. Das Wort dazu gehört noch mehr Mut. Dafür unseren herzli- „Kompromiß" ist also nicht von vornherein positiv chen Dank, Herr Bauminister. belegt. Viele Bürgerinnen und Bürger bei uns sind der Meinung: Da haben sie wieder einmal gemau- (Beifall bei der SPD) schelt; man hat verwässert und nicht verbessert. Des- Aber Achtung! Zu Ihrer bisherigen Bilanz gehören wegen will ich das aufgreifen. nicht nur Erfolge - die Sie übrigens fast immer zu- Meine Damen und Herren, richtig ist - ich habe sammen mit der SPD erstritten haben, z. B. das Mie- das schon mehr als einmal zitiert -, was der große tenüberleitungsgesetz -, sondern es gibt auch Münchener Philosoph Robert Spaemann im Rahmen schlimme wohnungspolitische Entwicklungen. der Laudatio für Hans Jonas in der Paulskirche ge- In den letzten Tagen konnten wir lesen, daß die Be- sagt hat. Er hat darauf hingewiesen: Wenn man sich stände der Post- und Bahnwohnungen verkauft wer- zu schnell auf das Falsche einigt, bleibt es immer den sollen, daß die Deutschbau ihre Wohnungen ab- noch das Falsche. geben soll. Wenn der Bund die Aushöhlung der Woh- Die Frage ist also berechtigt: Haben wir uns auf et- nungsfürsorge mitmacht und die Wohnungsfürsorge was Falsches geeinigt? Ich meine, einen Kompromiß schleifen läßt, wenn in der Bevölkerung der Eindruck zu schließen heißt auch, die Kraft zu haben, darüber entsteht, daß die kleinen Beamten in den Großstäd- nachzudenken, welche Positionen bei dem jeweils ten, die für Post und Bahn arbeiten, demnächst große anderen richtig sein können, und sie dann auf zuneh- Sorgen haben müssen, während gleichzeitig in Ber- men. Diese Kraft sollten wir wechselseitig haben. lin Wohnungen für Ministerialdirigenten gebaut wer- den, dann ist das ein falsches Signal. Wohnungspoli- Mich erinnert das an ein Bild, das ich Norbert Blüm tisch bliebt viel zu tun. verdanke. Als ein Gesetzgebungsvorhaben, das sein Ressort betraf, parteiübergreifend möglich geworden Vielen Dank. war, hat man gefragt: Wer ist der Urheber dieses Ge- (Beifall bei der SPD) setzes? Ist das eher die SPD, ist das eher die CDU/ CSU, oder ist das die Koalition? Dazu hat er gesagt: Das Wort hat Das ist so, als wenn ein Kind geboren wird; dann Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: streitet man sich auch, ob es eher dem Vater oder Herr Bundesminister Töpfer. eher der Mutter ähnlich sieht. Ich, so hat Norbe rt Blüm gesagt, verweise darauf: Hauptsache, das Kind Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord- ist gesund. - So würde auch ich heute sagen: Haupt- nung, Bauwesen und Städtebau: Herr Präsident! sache, das Kind ist gesund. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin Herrn Kollegen Großmann für seine letzte Bemer- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der kung sehr dankbar. Er hat zunächst auf das hinge- F.D.P.) wiesen, was wir angeblich falsch gemacht haben. Wenn wir uns streiten, ob es eher der Mutter oder Hätte mich die Opposition nur gelobt, hätte ich an dem Vater ähnlich sieht, möchte ich nur auf eines anderer Stelle Ärger bekommen. Deswegen herzli- hinweisen: Manche Kinder sehen über die Jahre et- chen Dank für die Kritik, Herr Kollege Großmann. was anders aus, als sie bei der Geburt ausgesehen (Beifall bei der CDU/CSU - Lachen bei der haben. Hoffentlich finden wir uns in unserem Geset- SPD) zesvorhaben am Ende auch wieder und sagen: Es ist unser gemeinsames Kind; dieser Kompromiß ist ver- Zum Ernst zurück: Es ist sicherlich gute Arbeit ge- nünftig. Ich möchte, daß man bis nach Buxtehude leistet worden, für die ich mich insgesamt bedanken hinein sagen kann: Das ist etwas Vernünftiges ge- möchte. Dieses Gesetz hat immerhin ein Volumen worden. Das wollte ich doch schon immer einmal ge- von 17,3 Milliarden DM pro Jahr. Mit ihm können wir sagt haben. Wohneigentum gezielter fördern, damit die Wohn- eigentumsquote steigt. (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das Gesetz ist ein Kompromiß, der über die Koali- tion und die Opposition hinweggreift; das finde ich Meine Damen und Herren, Hauptsache, es ist ein besonders gut. Wenn wir demnächst auch bei der sinnvoller Kompromiß. Ich glaube, das ist der Fall. Frau Kollegin Eichstädt-Bohlig noch die letzten Vor- Mit diesem Gesetzentwurf können wir wichtige fami- behalte beseitigen können, bekommen wir hier ins- lienpolitische und gesellschaftspolitische Ziele errei- gesamt einen Schulterschluß zustande. Das wäre chen. Wir können wirklich nicht gescholten werden, doch etwas ganz Interessantes, Frau Eichstädt-Boh- wir hätten wieder einmal verwässert. Es kann viel- lig. Bei Ihren Darstellungen habe ich manchmal den mehr gesagt werden: Wir haben verbessert. Eindruck gehabt, Sie hätten ganz gern mitgestimmt, Deswegen habe ich in besonderer Weise dem Kol- aber so ganz gedurft haben Sie noch nicht. Aber legen Faltlhauser und dem gesamten Finanzministe- auch das bekommen wir noch hin. rium zu danken. Sie sehen, welche Kontinuität wir Mit Kompromissen ist das in Deutschland so eine haben: von Faltlhauser zu Hauser. Ein Namensbe- Sache. Wenn du einen Kompromiß eingehst, wird dir standteil stimmt bereits; es bleibt alles beim alten. meistens zunächst einmal vorgeworfen: Du bist gar Herr Kollege Hauser, herzlich willkommen in dieser Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5621

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer Arbeit. Dem Kollegen Faltlhauser vielen Dank für sagt könnten wir dies bei den Postbediensteten gar das, was er gemacht hat. nicht, denn an der Deutschbau ist die Post unmittel- bar beteiligt. Was sie mit ihren Anteilen macht, ist Ich habe mit ihm darüber gesprochen: Er wird uns doch ihre eigene Sache. Ich wäre Ihnen auch im in die Bayerische Staatskanzlei zu einem Weißbier Sinne einer verminderten Emotionalisierung und mit Weißwürsten einladen. Wir müßten aber vor damit Verängstigung von Mieterinnen und Mietern 12 Uhr mittags kommen, sonst wäre das nicht mög- sehr herzlich dankbar: Lassen Sie diese Argumenta- lich. tion sein! (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich bitte darum, das Präsidium in die Einladung einzuschließen. Gehen wir sachlich an die Frage heran, ob wir auf Dauer bundeseigene Wohnungen haben müssen oder ob wir nicht mit seriösen Erwerbern dieser Un- Bundesminister für Raumord- Dr. Klaus Töpfer, ternehmen und klarer Kennzeichnung des Mieter- nung, Bauwesen und Städtebau: Ich werde mich be- schutzes arbeiten können! mühen, das Präsidium einzuschließen, Herr Präsi- dent. Wenn ich mich hier umsehe, sehe ich viele Anwe- sende, die wissen, welche Aufgaben des Wohnungs- Lassen Sie mich eines hinzufügen: Wenn ich den baus in Berlin bestehen. Ich habe unter dem Beifall Kollegen Faltlhauser nenne, dann meine ich auch die des Bundestages gesagt: Wir wollen diese Wohnun- vielen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Finanz- gen nicht nur mit bundeseigenen Gesellschaften ministeriums und - mit aller Bescheidenheit - auch bauen, sondern wir wollen sie auch im Investoren- meines eigenen Ministeriums. wettbewerb bauen. Wenn es dort richtig ist, ist es (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem nicht falsch, wenn wir uns hier darüber Gedanken BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der F.D.P.) machen, ob solche Unternehmen privat nicht genau- sogut geführt werden können und wir die dadurch Das ist eine hervorragende Arbeit gewesen, die nur frei werdenden Mittel für wichtige Aufgaben einset- mit viel Sachverstand bewältigt werden konnte. Sie zen können. war erforderlich, damit wir uns nicht etwas in die Ta- schen rechnen, was uns andere hinterher vorwerfen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das Ganze ist sicherlich eine vernünftige und gute Sache gewesen. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reschke? Das zu konservieren sollten wir uns auf jeden Fall vornehmen. Denn das, was vor uns liegt, ist nicht we- niger schwierig. Wir haben die Probleme des Wohn- Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord- gelds zu bewältigen, wir haben das dritte Wohnungs- nung, Bauwesen und Städtebau: Bitte. baugesetz zu erarbeiten, wir müssen uns um den so- zialen Wohnungsbau kümmern. Wir haben das Bau- Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte. gesetzbuch zu novellieren, wir haben die Baunut- zungsverordnung zu novellieren. Es ist also nicht so, (SPD): Herr Bauminister, sind Sie als hätten wir in dem Bereich, in dem wir auch ein- Otto Reschke nicht der Auffassung, daß der Finanzminister und mal über die Grenzen blicken müssen, schon alles sein Haus mit den Informationen ziemlich tölpelhaft ausgearbeitet. Insofern wäre ich sehr dankbar, wenn an die Öffentlichkeit gegangen sind, und sind Sie man diese Art der Zusammenarbeit - ich habe das nicht der Meinung, daß diese beiden Gesellschaften, schon an anderer Stelle gesagt - ein Stück konservie- nämlich die Frankfurter Siedlungsgesellschaft und ren könnte. die Deutschbau, die Funktion des Wohnungsbaus für Lassen Sie mich, Herr Kollege Großmann, ab- Bundesbedienstete nach wie vor übernehmen soll- schließend auf Ihren Hinweis, was wir mit der Priva- ten? tisierung von Wohnungsgesellschaften so Böses ma- chen, mit zwei, drei Sätzen eingehen. Bereits am Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord- 5. Juli dieses Jahres habe ich als Bauminister dem nung, Bauwesen und Städtebau: Ich kann nur eines Kollegen Finanzminister, , geschrieben noch einmal unterstreichen: Mein Angebot auch an und habe ihm erklärt: Es gibt eigentlich kein hinrei- die Opposition in diesem Hause, über diese Gesell- chendes Bundesinteresse, Wohnungsgesellschaften schaften zu sprechen, besteht. Wir wollen Ihnen gern zu haben. sagen, was dort sinnvollerweise gemacht werden - Sie müssen mir endlich einmal sagen, warum wir kann und - ich füge das hinzu - welche hilfreiche das brauchen. Wir wollen doch, Frau Kollegin Mat- Möglichkeit damit für den Finanzminister verbunden thäus-Maier, nichts verscherbeln, sondern wir wollen ist. Wer könnte das anders sagen? Wir haben eine uns überlegen, ob nicht andere Unternehmen diese schwierige Situation, und diese kann dadurch ver- Dinge genauso gut, vielleicht sogar noch besser ma- bessert und erleichtert werden. Mein Angebot be- chen können als wir. steht; seien Sie mir wirklich herzlich willkommen. Wir werden Sie mit allen Informationen weiter auf Wir wollen den Postbediensteten oder den Bahn- dem laufenden halten, damit Sie sehen, daß hier bediensteten in seinen Mieterrechten nicht auch nichts verscherbelt wird, daß hier nichts zu Lasten nur im entferntesten andersstellen. Nebenbei ge von Mietern gemacht wird, sondern an einer ver- 5622 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Bundesminister Dr. Klaus Töpfer nünftigen Perspektive für Bundeseigentum gearbei- freue mich, daß sie heute kommt -: als einfache Ab- tet wird. geordnete, als Vorsitzende des Finanzausschusses, als Mitglied der Opposition. Ich finde, darüber kön- nen wir alle zufrieden sein. Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Herr Minister, gestatten Sie eine zweite Zwischenfrage? Ich möchte den wichtigsten Punkt hervorheben. Über Jahrzehnte war es so: Je mehr der Bauherr ver- Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord- diente, desto höher war und ist bis heute für ihn die nung, Bauwesen und Städtebau: Aber gerne. Entlastung. Das ändern wir heute gemeinsam. Das ist so ähnlich wie beim Kindergeld: Wir ersetzen den Kinderfreibetrag für etwa 95 % der Eltern durch das Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Bitte, Frau Eich- Kindergeld. Das ist ein enormer Fortschritt. städt-Bohlig. Ich danke meinen Kollegen in der SPD, daß sie das in mühevoller Kleinarbeit durchgesetzt haben. Ich Franziska Eichstädt-Bohlig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, können Sie dafür Sorge danke Ihnen von den Koalitionsfraktionen, daß das tragen, daß ausschließlich an Gesellschaften mit an nach langem Widerstand heute durchkommt. Da ich sehr milde gestimmt bin, will ich nicht zitieren, was der Gemeinnützigkeit orientierter Satzung verkauft Sie über all die Jahrzehnte dagegengehalten haben. wird, wenn wir schon keine Wohnungsgemeinnüt- zigkeit mehr haben, und nicht an verwertungsorien- (Zuruf des Abg. Dr.-Ing. Dietmar Kansy tierte Gesellschaften? [CDU/CSU]) - Nicht Sie, Herr Kansy, aber viele von Ihnen. Dr. Klaus Töpfer, Bundesminister für Raumord- nung, Bauwesen und Städtebau: Wir können auf je- (Zurufe von der CDU/CSU) den Fall sicherstellen, daß in dem Vertrag - jedem - Ich habe es doch miterlebt! Nun freuen Sie sich solchen Kauf muß ja ein Vertrag zugrunde liegen - doch, daß wir das heute machen! vom Grundsatz her diese Anforderung fixiert wird. Frau Eichstädt-Bohlig, auch wir stehen in der öffent- (Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU) lichen Diskussion. Keiner wird es anders bewerten Ich stimme dem Gesetz zu und freue mich, daß wir können. Es ist das originäre Interesse des Finanzmi- dafür heute endlich eine Mehrheit haben. nisters und des Bauministers, hier einen Beleg dafür zu erbringen, daß Privatisierung nicht etwas ist, was Danke schön. man besser nicht macht, sondern daß Privatisierung (Beifall bei der SPD) etwas ist, was wir alle - wo immer möglich - mittra- gen sollten, damit sich der Staat wirklich auf seine Aufgaben beschränkt. Das, was Sie gefordert haben, Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Wir kommen zur werden wir grundsätzlich tun. Abstimmung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ab- der steuerrechtlichen Wohneigentumsförderung auf schließend sagen: Ich habe vielen in diesem Hohen den Drucksachen 13/2235, 13/2476 und 13/2784 Hause und weit darüber hinaus zu danken. Wir be- Nr. 1 a. Dazu liegen ein Änderungsantrag der kommen ein wichtiges Gesetz, das die Bildung von Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und zwei Wohneigentum, auch in Genossenschaften, ermög- Änderungsanträge des Abgeordneten Klaus-Jürgen licht und einen Ökobonus und viele andere Ergän- Warnick vor, über die wir zuerst abstimmen. zungen enthält. Es war ein gutes Verhandeln; herzli- chen Dank dafür. Ich hoffe, wir können in dieser Wer stimmt für den Änderungsantrag der Fraktion Weise weiterarbeiten. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Drucksache 13/ 2795? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Än- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) derungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions- fraktionen und der SPD gegen die Stimmen von Vizepräsident Hans-Ulrich Klose: Ich schließe die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Gruppe PDS Aussprache und gebe das Wort für eine Erklärung abgelehnt. zur Abstimmung nach § 31 unserer Geschäftsord- Wer stimmt für den Änderungsantrag des Abge- nung der Kollegin Matthäus-Maier. ordneten Warnick auf Drucksache 13/2798? - Die Ge- genprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Sehr geehrter Herr ist mit den Stimmen der vier Fraktionen gegen die- Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß, es ist Stimmen der Gruppe PDS abgelehnt. spät, aber ich möchte kurz erklären, warum ich dem Wer stimmt für den Änderungsantrag des Abge- Gesetz zustimme. ordneten Warnick auf Drucksache 13/2799? - Gegen- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Es hat Vor probe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist teile, wenn man in Bonn wohnt!) mit der gleichen Mehrheit wie zuvor abgelehnt. Politik ist das Bohren von dicken Brettern, und Wir kommen zum Gesetzentwurf. Ich bitte diejeni- manchmal sind sie besonders dick. Das heutige Re- gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschußfassung formpaket gehört dazu. Seit 25 Jahren kämpfe ich zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer auf verschiedenen Ebenen für eine Änderung - ich stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzent- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5623

Vizepräsident Hans-Ulrich Klose wurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Ko- Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu alitionsfraktionen und der SPD gegen die Stimmen dem Antrag der Gruppe der PDS zur Reformierung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthal- der Wohneigentumsförderung, Drucksache 13/2784 tung der Gruppe PDS angenommen. Nr. 3. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag auf der Drucksache 13/2357 abzulehnen. Wer stimmt für Wir kommen zur diese Beschlußempfehlung? - Gegenprobe! - Enthal- dritten Beratung tungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit den Stim- men der Koalitionsfraktionen, von BÜNDNIS 90/DIE und Schlußabstimmung. Ich bitte diejenigen, die GRÜNEN und SPD gegen die Stimmen der PDS an- dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- genommen. ben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitions- Beschlußempfehlung des Ausschusses für Raum- fraktionen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen ordnung, Bauwesen und Städtebau zu den Anträgen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthal- der Fraktion der SPD zur Neugestaltung der Wohn- tung der PDS angenommen. eigentumsförderung und zur Stärkung der Woh- nungsbaugenossenschaften, Drucksache 13/2771. Der Finanzausschuß empfiehlt unter Nr. 1 b seiner Der Ausschuß empfiehlt, die Anträge auf den Druck- Beschlußempfehlung die Annahme einer Entschlie- sachen 13/1501 und 13/1644 für erledigt zu erklären. ßung. Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? Wer stimmt für diese Beschlußempfehlung? - Gegen- probe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung (Detlev von Larcher [SPD]: Herr Präsident, ist einstimmig angenommen. welche ist das? Es muß doch drei geben!)

- 1 b. - Ist das Haus einig, worüber wir abstimmen? Ich rufe auf den Zusatzpunkt 15: (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD) Aktuelle Stunde - Können wir über diese beiden Texte unter den Haltung der Bundesregierung zur Altschul- Buchstaben aa und bb gemeinsam abstimmen? denregelung für ostdeutsche Kommunen an- gesichts erster Bewertungsergebnisse eines (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Ja!) Rechtsgutachtens zur Auferlegung von Rück- - Dann frage ich noch einmal: Wer stimmt der Be- zahlungsverpflichtungen schlußempfehlung des Finanzausschusses unter Diese Aktuelle Stunde ist von der SPD-Fraktion Nr. 1 b zu? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Be- beantragt worden. schlußempfehlung ist mit den Stimmen der Koali- tionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Stimment- Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle- haltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PDS gin Dr. Christine Lucyga, SPD. angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- Dr. Christine Lucyga (SPD): Herr Präsident! Meine ßungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache Damen und Herren! Die Debatte über die sogenann- 13/2786. Wer stimmt für diesen Entschließungsan- ten Altschulden der ostdeutschen Kommunen kommt trag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Ent- spät, obwohl das Thema seit langem auf der politi- schließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali- schen Tagesordnung steht. tionsfraktionen und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die SPD-Fraktion bei Stimmenthal- Wie dringlich diese Debatte ist, belegen der noch tung der PDS abgelehnt. nicht allgemein zugängliche Bundesrechnungshof bericht über die Abwicklung der Altkredite der DDR, Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- der der Bundesregierung in der Altschuldenfrage ßungsantrag der Gruppe PDS auf Drucksache 13/ schwere Fehler und Unterlassungen bescheinigt, so- 2794. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - wie Expertengutachten zur Verfassungswidrigkeit Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungs- der Altschuldenforderungen des Bundes an die ost- antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen deutschen Kommunen. und der SPD gegen die Stimmen der PDS bei Stimm- enthaltung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abge- Die Erklärungsnot von Bundesfinanzminister und lehnt. Bundeskanzleramt wird größer. Wie anders kann die Tatsache gedeutet werden, daß sich die Bundesregie- Beschlußempfehlung des Finanzausschusses zu rung nach einem kurzen und enttäuschenden Le- - dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- benszeichen in der Altschuldenfrage jetzt wieder NEN zu Eckwerten für ein grünes Wohnungs-Selbst- einigelt und vereinbarte Verhandlungsrunden ab- hilfe-Gesetz, Drucksache 13/2784 Nr. 2. Der Aus- setzt? schuß empfiehlt, den Antrag auf der Drucksache 13/ 2304 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluß- Das Altschuldenproblem ist aber weit mehr als ein empfehlung? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Schildbürgerstreich des Hauses Waigel; es ist auch Die Beschlußempfehlung ist mit den Stimmen der ein Präzedenzfall politischer Unmoral. Bis jetzt hat es Koalitionsfraktionen und der SPD bei Stimmenthal- die Bundesregierung nämlich nicht vermocht, einen tung der PDS gegen die Stimmen von BÜNDNIS 90/ im Einigungsvertrag angelegten Fehler zuzugeben. DIE GRÜNEN angenommen. Nein, sie versucht, den entstandenen und täglich 5624 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Dr. Christine Lucyga wachsenden Schaden aus ihrer Fehlentscheidung Jahren irgendwie entschuldet" zu Protokoll gegeben den Betroffenen aufzuladen. wurde. Dann muß aber auch die Frage erlaubt sein, ob nicht die Schulden der übrigen Kommunen eben- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne falls auf den Prüfstand gehören. ten der PDS - Beifall der Abg. Franziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- NEN]) ten der PDS) Die Drohung der Bundesregierung, ihre Forderun- Andernfalls erhalten willkürliche Zufallsentschei- gen auf gerichtlichem Wege durchsetzen zu wollen, dungen - oder auch zufällige Willkürentscheidun- sollten sich die Gemeinden länger renitent zeigen, ist gen; wie man es formulieren will - nachträglich eine ein mittelalterlicher Willkürakt. Besser wäre es, die rechtliche Anerkennung. Zudem werden regionale Bundesregierung würde den betroffenen Kommunen Disparitäten festgeschrieben. eine akzeptable politische Lösung anbieten; denn hier hat sie eindeutig eine Bringepflicht. Die eigentlichen lachenden Erben dieser zweifel- haften Erbschaft sind die Banken, denen die Über- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) nahme der dubiosen Altkredite durch absurd hohe Zinsen bisher einen wahren Goldregen beschert hat. Weiteres Aussetzen und Liegenlassen machen nichts besser, im Gegenteil. Dieses vom BMF zu verantwortende Mißmanage- ment zu Lasten der Kreditgeschädigten und der Auch sollte es sich für einen Rechtsstaat verbieten, Steuerzahler kommentiert der Bundesrechnungshof willkürliche Entscheidungen des DDR - Staatsappa- so: Eine direkte Übernahme der Altschulden in den rates nachträglich zu Rechtsakten umzuinterpretie- Bundeshaushalt wäre um Milliarden günstiger gewe- ren, die der Realität in den neuen Ländern so nicht sen als der Umweg über das teure Schuldenkarussell standhalten können. privater Banken. (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Fran (Beifall bei der SPD) ziska Eichstädt-Bohlig [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Wenn der Bundesfinanzminister mit einem Haus- haltsdefizit in Milliardenhöhe im Nacken Altschul- Es ist ein Stück aus dem politischen Tollhaus, den bei den Kommunen geltend macht, die wirklich wenn in glatter Umkehr der Beweispflicht ostdeut- keine Mark zuviel haben, dann sollte doch eher dar- sche Städte und Gemeinden für Altkredite, die oft über nachgedacht werden, ob man diese Milliarden- gar nicht zuzuordnen sind ,und denen oft kein kon- beträge nicht gerechterweise aus den Taschen zu- kreter Vermögenswert gegenübersteht, zur Kasse ge- rückholen sollte, die die Klientelpolitik der Bundesre- beten werden und sie den Nachweis selbst liefern gierung laut Bundesrechnungshofbericht so über- sollen. Hier hat der Bund die Verpflichtung, einen reich gefüllt hat. konkreten, objektbezogenen Nachweis und gegebe- nenfalls Wertberichtigungen vorzulegen. Das ist bis (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- jetzt nicht geschehen. ten der PDS) Wie ruinös die Durchsetzung der Altschuldenfor- Die Kommunen können in ihrer Haltung ange- derungen des Bundes für die Betroffenen ist, soll das sichts der Forderungen des BMF nicht nachgeben. Beispiel der Hansestadt Rostock zeigen. Diese Stadt Der angedrohte Rechtsstreit kann jedoch nicht der müßte bei der jetzt bestehenden Altschuldenforde- richtige Weg sein; denn er würde auf Jahre hinaus rung von 270 Millionen DM, davon 90 Millionen DM Kräfte binden, die wir dringend benötigen. Zinsen, ungefähr 10 % ihres Haushaltes für Altschul- (Vorsitz : Vizepräsidentin Dr. Antje Voll- den binden. Allein der Kapitaldienst würde das, was mer) die Stadt aus eigener Kraft - einschließlich Kreditauf- nahme - aufbringen könnte, verschlingen. Zitat des Daher das Fazit: Es ist die politische und morali- Stadtkämmerers: Dann bewegen sich in der Stadt sche Pflicht der Bundesregierung, sich endlich zu be- keine Kelle und kein Kran mehr. wegen und ein verhandlungsfähiges Konzept für eine einvernehmliche Lösung vorzulegen. Im Klartext: Die Stadt muß lebensnotwendige Inve- stitionen zurückstellen, vor dem Hintergrund eines Ich danke Ihnen. allgemeinen kommunalen Finanzdefizits durch die anhaltend schlechte Arbeitsmarktsituation, wach- (Beifall bei der SPD und der PDS) sende Sozialleistungen und einen gewaltigen Infra- strukturnachholbedarf. Hier ist dem Berliner Gutach- Vizepräsidentin Dr. : Das Wort hat- ter Harms zuzustimmen, der die Auferlegung einer jetzt der Abgeordnete Dietrich Austermann. ruinösen Geldleistungspflicht durch den Bund fest- stellt. Dietrich Austermann (CDU/CSU): Frau Präsiden- So wie der Stadt Rostock geht es 16 % der ostdeut- tin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist schen Kommunen, in Zahlen: 1 400 Städten und Ge- auch bei der Kürze einer Aktuellen Stunde wichtig, meinden. Die übrigen 84 % wurden so willkürlich, daß man sich wieder einmal deutlich macht: Was ver- wie sie belastet wurden, auch wieder entschuldet, birgt sich eigentlich hinter dem Gedanken der Alt- was von der Bundesregierung in einer Fragestunde schulden der DDR-Gemeinden? Dies scheint mir dieses Jahres salopp mit „irgendwann in den 80er auch deshalb nötig zu sein, weil die Nostalgie in Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5625

Dietrich Austermann manchen Bereichen, insbesondere bei den immer Drittens. Die Kredite sind in der Regel auch trag- dreister werdenden SED-Nachfolgern, so manches bar. Ich sage, es gibt Ausnahmefälle. Die Stadt Ro- mit verklärtem Blick darstellt, und zwar nach dem stock ist mit Blick auf die Größe und die Finanzkraft Motto: Seht mal, wie schön dieses und jenes in der der Gemeinden ein denkbar ungünstiges Beispiel. DDR gelaufen ist, was heute nicht mehr läuft. Viertens. Finanzierung kommunaler Aufgaben ist Wir sollen jetzt - das ist die Erwartung der SPD, keine Bundesaufgabe. der Kollegin Lucyga - die Schulden bezahlen, die ge- macht worden sind, weil Kindertagesstätten, Kinder- Fünftens. Der notwendige Ausgleich kann bei den gärten, Turnhallen, Schulen und Rathäuser gebaut Gemeinden selber vorgenommen werden. worden sind. Dies ist eine Aufgabe, die natürlich in (Zuruf der Abg. Ingrid Matthäus-Maier erster Linie die Gemeinden haben, denen diese Ein- [SPD]) richtungen zugute kommen. (Beifall bei der CDU/CSU) - Ich glaube, daß sich unsere Positionen da nicht un- terscheiden, Frau Kollegin. Sie bzw. Frau Lucyga Ich sage noch einmal: Es würde kein Mensch auf den hätte ja die Frage beantworten können, wo die Gedanken kommen, wenn sich die Gemeinde XY - 7,5 Milliarden DM zusätzlich herkommen sollen. Sich vorhin wurde Buxtehude genannt; ich weiß nicht, in dieser Woche über angeblich nicht zu stopfende warum - ein neues Schwimmbad baut, zu sagen: Haushaltslöcher zu beklagen, die Haushaltsberatun- Jetzt muß der Bund die Kosten dafür übernehmen. Es gen zu verweigern, hier ein neues Faß aufzumachen besteht kein Zweifel daran, daß die Schulden, die da- und zu sagen, das muß der Bund übernehmen - das mals zu 80 % bei der Staatsbank der DDR oder - in ist politisch und argumentativ nicht redlich, Frau den 70er Jahren - bei den Sparkassen gemacht wur- Matthäus-Maier. den, gemacht worden sind, um Projekte zu finanzie- ren. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. - Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Das hat über- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das sind doch gar haupt keiner gesagt!) keine Schulden!) Wir als Bund wollen den Gemeinden ein Angebot Es gibt einen Punkt, der in der Tat streitig ist, über machen, indem wir sagen: Wir wollen dabei helfen, den man sich unterhalten kann, bei dem man die diese Kredite in zinsgünstige Kredite der Kreditan- Frage stellen muß, wer für die Regulierung eigentlich stalt für Wiederaufbau umzuschulden. Dieses Ange- zuständig ist. Das ist der Fall, daß eine sehr kleine bot steht. Gemeinde - wie es vielfach vorkommt - ein Projekt finanzieren mußte, das zugleich vielen anderen Ge- Was haben denn die neuen Bundesländer mit dem meinden zugute kam. Man fragt sich ja, warum 16 % Geld gemacht, das sie seit dem 1. Januar nach dem unter dieser Belastung stöhnen müssen, wenn an an- Föderalen Konsolidierungskonzept bekommen? Das derer Stelle 84 % angeblich entlastet worden sind. Es sind 35 Milliarden DM zusätzlich. Wieviel haben die war ja falsch, was die Kollegin gesagt hat. Die 84 % neuen Bundesländer davon eingesetzt, um in einzel- sind ja nicht entschuldet worden. Man fragt sich nen Fällen in Bedrängnis gekommenen Gemeinden dann: Ist es in der Tat eine Aufgabe, diesen kleinen tatsächlich zu helfen? Nach einer pauschalen Über- Gemeinden zu helfen? Bloß, wer hat diese Aufgabe sicht der Schuldensituation der Gemeinden entsteht zu leisten? Nach unserem Verständnis, nach der Fi- durch Übernahme dieser Verpflichtungen aus der nanzregelung, nach dem Einigungsvertrag ist es Auf- Vergangenheit, für die ja Vermögenswerte geschaf- gabe der Bundesländer - für uns ganz klar eine Auf- fen worden sind, nach unserer Einschätzung in der gabe der neuen Bundesländer -, den Finanzaus- Regel kein höherer Schuldenstand für einzelne Ge- gleich in der Weise vorzunehmen, daß den Gemein- meinden. Wir sagen deshalb: Wir machen das Ange- den in ihrer sicher sehr schwierigen Situation gehol- bot der Umschuldung. Eine Übernahme durch den fen wird. Bund ist weder rechtlich noch politisch noch finan- ziell vertretbar. Es kann - ich möchte dies wegen der vorgerückten Zeit kurz zusammenfassen - keinen Zweifel an dem Herzlichen Dank. rechtlichen Bestand der Altkredite geben. Der Rech- nungshof sagt nicht, daß die Forderung unberechtigt (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) ist, er sagt, es wäre möglicherweise günstiger gewe- sen. Noch einmal: Es gibt keinen Zweifel an dem Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat rechtlichen Bestand der Altkredite. jetzt der Abgeordnete Werner Schulz. Zweitens muß die Frage gestellt werden: Wer hat eigentlich davon profitiert? Wie ist es denn: Wenn Werner Schulz (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Bund jetzt die Schulden zahlt, kriegt er dann NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! auch das Eigentum, ist er dann auch gleichzeitig Ei- Mein Vorredner hat ein beredtes Beispiel geliefert, gentümer? Wer verfügt künftig über das Vermögen? das deutlich macht, daß Sie selbst nach fünf Jahren Wer hat die Vorteile, wenn alte Rathäuser möglicher- deutscher Einheit immer noch nicht die Verhältnisse weise nicht mehr als solche genutzt werden und von in der DDR durchschauen. den Gemeinden verkauft werden? Es ist, glaube ich, unbestreitbar, daß der wi rtschaftliche Zuwachs den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Gemeinden zufließt. bei der SPD und der PDS) 5626 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Werner Schulz (Berlin) Darin liegt die eigentliche Ursache dafür, daß Sie die- zu stopfen. Man möchte die Postbank AG möglichst ses verschleppte Problem heute immer noch vor sich lukrativ veräußern, herschieben, warum Sie das Problem der Altschul- den heute noch nicht verstehen, warum Sie an dieser (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Das hat Stelle solche entscheidenden Fehler machen, obwohl mit dem Bundeshaushalt nichts zu tun!) Sie an anderer Stelle, z. B. in der Präambel des Eini- obwohl gerade bei der Veräußerung der DDR-Staats- gungsvertrages, von einer friedlichen Revolution bank, der Deutschen Kreditbank, deutlich geworden sprechen, auf die Sie immerzu Bezug nehmen. ist, daß man sich dabei keineswegs mit Ruhm beklek- kert, sondern - im Geenteil - ein Milliardenverlust- Nach dieser Revolution, in der es zu einer Umwäl- geschäft für diesen Staat gemacht und auf die Steu- zung der Verhältnisse gekommen ist, bei der nicht erbürger abgewälzt hat. Ich glaube, das ist ein Kapi- ein Stein auf dem anderen geblieben ist, nicht ein tel, über das wir uns hier noch etwas intensiver un- Aktenordner mehr neben dem anderen steht, über- terhalten müssen; denn das, was hier passiert ist, ist nehmen Sie ausgerechnet die in den Altschulden ein Finanzskandal, gegenüber dem die Affären Graf Rechtsstaat. Sie haben somit dazu beigetragen, daß und Zwick - und wie sie alle heißen mögen - fast - aus diesen fragwürdigen Verrechnungseinheiten Peanuts sind. denn nichts anderes ist das - (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Zuruf von der SPD: Spielgeld!) bei der SPD und der PDS) regelrechte Altschulden geworden sind, die heutzu- Ich meine, wer die Sache richtig versteht, der wird tage die Kommunen, aber auch landwirtschaftliche begreifen: Hier liegen, wenn überhaupt, Schulden Betriebe und, wie wir das bei der Privatisierung der des Bundes vor, zu denen man stehen sollte. Ein Treuhand erlebt haben, Gewerbebetriebe in den wirkliches Zeichen des guten Willens wäre zunächst Ruin treiben. der Verzicht der Bundesregierung auf die verlangten Zinsen, wäre auch der definitive Verzicht auf die an- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - gedrohten Mahnbescheide. Der beste Weg wird mei- Zuruf von der SPD: Wem nützt das?) ner Meinung nach der sein, daß sich Bund, Länder Heute haben wir die absurde Situation - meine und Kommunen zusammensetzen und hier eine poli- Vorrednerin hat das bereits gesagt -, daß 16 % der tische Lösung finden. Alles spricht meines Erachtens ostdeutschen Kommunen exorbitant verschuldet dafür, daß es zu einer völligen Entschuldung der sind. In einer Situation, in der sie das kommunale Kommunen kommen muß. Selbstbestimmungsrecht eigentlich als einen Segen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dieser Demokratie erleben könnten, weil es ihnen bei der SPD und der PDS sowie des Abg. die Möglichkeit der freien Gestaltung gibt, wird ih- Jürgen Türk [F.D.P.]) nen diese Garrotte aus der Vergangenheit zum Ver- hängnis. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt Nun ist es nicht etwa so, daß die anderen Städte der Abgeordnete Jürgen Türk. gut gewirtschaftet hätten; die haben nur Glück ge- habt. Die sind in die Vorgaben, Auflagen, die von der Jürgen Türk (F.D.P.): Sehr geehrte Frau Präsiden- Staatlichen Plankommission bei von dieser verord- tin! Sehr geehrte Damen und Herren! Heute soll es neten Bauvorhaben gemacht worden sind, nicht ein- nicht nur um die Haltung der Bundesregierung zur bezogen worden. Manche haben sogar doppelt Altschuldenregelung der Kommunen gehen. Das Glück gehabt: Denen ist nämlich sogar etwas gebaut Problem ist vielmehr so ernst, daß sich auch Länder worden, was sie gar nicht bezahlen mußten. Wenn und Kommunen umgehend mit einer fairen Lösung Sie sich z. B. die ehemalige Hauptstadt Ost-Berlin an- befassen sollten, bevor sich wieder das Verfassungs- schauen, dann stellen Sie fest, daß die schuldenfrei gericht damit beschäftigen muß. ist. (Zuruf von der SPD) Grundlage für die Lösung sollten meines Erachtens folgende Fakten sein: Nach der bis 1986 gültigen Andere Städte haben darunter gelitten, daß ihnen DDR-Gesetzgebung wurden Gemeinschaftseinrich- materiell-technische Kapazitäten, Baukapazitäten tungen wie Schulen, Kindergärten und Turnhallen zu entzogen worden sind, die dann - durch Plan und 90 % über aufgezwungene Staatskredite und zu 10 % Gegenplan, Jugendinitiativen und dergleichen mehr; aus dem kommunalen Haushalt finanziert. Ab 1987 vielleicht haben Sie mal etwas davon gehört, Herr wurden die Kredite dann zu 100 % aus dem Staats- Austermann - für Bauten in Ost-Berlin genutzt wor- haushalt bezahlt. Das heißt, es waren willkürliche den sind. Auflagen der DDR-Regierung. Ich befürchte - darüber sollten wir uns einmal ganz Das wird auch dadurch belegt - Herr Schulz hat offen und ehrlich verständigen -, daß der Bundesfi- das schon gesagt -, daß Ost-Berlin als Hauptstadt der nanzminister im Moment äußerst angeschlagen und DDR zu 100 % von Schulden befreit wurde und somit bereit ist, zum äußersten Mittel zu greifen. Er befin- keine Altschulden aufweist. Städte wie Dresden oder det sich in einer Situation, in der offenbar jeder Gro- Chemnitz - früher Karl-Marx-Stadt - wurden eben- schen benötigt wird. Offenbar möchte man über falls auf 100 DM pro Einwohner entlastet. Der Partei- Mahnbescheide selbst die Zinsen auf die Altschul- spitze in Berlin und Karl Marx sollte eben keine den eintreiben, um die Milliardenlöcher im Haushalt Schuld zugeschoben werden. Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5627

Jürgen Türk Dagegen hat ein Teil der mit Altschulden belaste- Dr. Uwe-Jens Rössel (PDS): Sehr geehrte Frau Prä- ten Gemeinden Schuldenlasten von bis zu 1 000 DM sidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die 1 400 pro Kopf, teilweise auch darüber. Das ist untragbar; ostdeutschen Kommunen müssen unverzüglich - ich das müssen wir hier klar feststellen. Die 16 % Kom- betone: unverzüglich - von den unberechtigten, von munen, die mit Altschulden belastet sind, müssen da- den rechtswidrigen Altschuldenforderungen befreit von befreit werden. Denn Verursacher der unsoliden werden. Daher hat die Gruppe der PDS am Finanzierung war die DDR-Regierung. Es darf nicht 28. September dieses Jahres als erste der im Bundes- sein, gerade die Kommunen mit dieser Hypothek zu tag vertretenen Parteien einen Antrag zur Lösung belasten, da Kommunen sowieso den schwierigsten der kommunalfeindlichen Altschuldenforderung ein- Neuanfang haben. Außerdem waren die Kommunen gebracht. zu DDR-Zeiten sehr vernachlässigte Körperschaften. Sie würden mit den Altschulden ein zweites Mal Unser Antrag hat zwei Eckpunkte: Erstens. Die so- bestraft werden. genannten Altschulden auf gesellschaftliche Einrich- tungen ostdeutscher Kommunen, die auf Grund von Wie könnte also die Lösung - wir brauchen sie - in der DDR getätigten Investitionen entstanden sind, aussehen? werden nicht den Kommunen übertragen.

Erstens. Die Kommunen sollten einer Bereinigung Zweitens. Die aus Investitionen für den Bau gesell- zustimmen. Das würde bedeuten: Stehen die Ob- schaftlicher Einrichtungen resultierenden sogenann- jekte in der langfristigen Planung zum Verkauf, so ist ten Verbindlichkeiten ostdeutscher Kommunen ge- dieser Betrag gegenzurechnen - so sehe ich das je- genüber der Gesellschaft für kommunale Altkredite denfalls -, und Objekte, die den Kommunen nicht ge- und Sonderaufgaben der Währungsumstellung - hören bzw. bei denen eine Zuordnung der Schulden GAW - sind Staatsschulden der DDR. Sie sind voll- nicht möglich ist, sind zugunsten der Kommunen zu ständig als Schulden des Bundes im Rahmen des bereinigen. Erblastentilgungsfonds zu übernehmen.

Zweitens. Die Länder müssen die im Rahmen des Das ist unsere klare Position, ohne Wenn und Aber. Länderfinanzausgleichs zur Verfügung gestellten Bestandteil unseres Antrages ist selbstverständlich Mittel endlich den Kommunen ungekürzt und in vol- eine detaillierte Begründung, die auf der Kenntnis ler Höhe weitergeben. Denn zur ganzen Wahrheit der Situation in Ostdeutschland, in der früheren gehört auch, daß die Länder ihren Verpflichtungen DDR, basiert. Sie belegt u. a.: Die sogenannten Alt- nicht nachgekommen sind, den Kommunen Til- schulden - hier möchte ich ausdrücklich Wider- gungshilfe zu leisten. Ich darf Ihnen sagen: Wenn wir spruch zu der Position von Herrn Austermann anmel- noch in den Landtagen und in den Landesregierun- den - sind keine Schulden im Sinne des bürgerlichen gen wären, wäre das, glaube ich, so nicht passiert, Rechts und damit auch keine Schulden der Kommu- jedenfalls nicht in diesem Umfang. nen gegenüber dem Bund.

(Zuruf von der SPD: Wird die F.D.P. wieder Zweitens. Die Kommunen in der DDR verfügten gesund?) kaum über nennenswerte eigene Einnahmen. Sie waren bis 1990 lediglich - ich zitiere aus der Verfas- Drittens. Sind die durch Länderfinanzausgleich sung - „Gemeinschaften im Rahmen der zentralen und Zuweisungsverzicht westdeutscher Kommunen Leitung und Planung". Kommunale Selbstverwal- bereitzustellenden Mittel nicht ausreichend, muß der tung stand in der DDR bekanntlich nur in den Ster- Bund als Rechtsnachfolger der DDR die restlichen nen; das ist sicherlich aus heutiger und auch aus da- Altschulden der Kommunen decken. Ich glaube, der maliger Sicht sehr kritisch zu sehen. Es war leider so. Wille zu dieser politischen Lösung muß da sein. Es darf keinesfalls zugelassen werden, daß eine Reihe Ausgaben der Städte, Gemeinden und Kreise von von Kommunen zahlungsunfähig wird und nach Belang und damit auch die Investitionen für gesell- Haushaltssperre - das wäre dann die Folge - und schaftliche Einrichtungen wurden in der DDR dem- Einsatz eines Staatskommissars nur noch gesetz- zufolge fast vollständig durch Zuschüsse und Zuwei- lichen Verpflichtungen nachkommen kann, aber sungen aus dem Republikhaushalt an die Kreishaus- keine freiwilligen Leistungen mehr möglich sind. halte bestritten und eben nicht durch eigene Einnah- men der Städte, Gemeinden und Kreise. Ich fordere also Bund, Länder und Kommunen auf, sich sofort an einen Tisch zu setzen und unter Beach- Die Entscheidungen über den Bau und die Finan- tung der aufgeführten Fakten einen vernünftigen zierung von Schulen und Kindergärten sowie Alten- Kompromiß zu finden. Der Umweg über das Verfas- heimen und ähnlichem lagen eben nicht im Ermes- sungsgericht ist zu lang und zu teuer. sen der Kommunen. Sie wurden von der Volkskam- mer mit den jährlichen Gesetzen zum Volkswirt- Vielen Dank. schaftsplan und zum Staatshaushaltsplan festgelegt. Diese Positionen - ich habe es verkürzt dargestellt - (Beifall bei der F.D.P. und der SPD sowie bei hat auch das Rechtsgutachten von Professor Harms Abgeordneten der CDU/CSU) von der Freien Universität Berlin vor kurzem bekräf- tigt. Es ist Zeit, daß die Bundesregierung endlich diese Realitäten zur Kenntnis nimmt und sich von ih- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt rem kommunalfeindlichen Wunschdenken verab- der Kollege Uwe-Jens Rössel. schiedet. 5628 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Dr. Uwe-Jens Rössel Die unmittelbar von Altschuldenforderungen des nicht durch irgendwelches Aussitzen oder irgend- Bundes betroffenen 1 400 ostdeutschen Städte und eine Moralität sind Schulen, Kindergärten, Turnhal- Gemeinden, die ohnehin arge Finanznöte haben, len oder Rathäuser, also die sogenannten gesell- brauchen eine befreiende Entscheidung. Unser An- schaftlichen Einrichtungen, denjenigen Körperschaf- trag würde die Kommunen aus der Altlastenschul- ten übertragen worden, die sie für ihre Aufgaben denfalle herausführen. Ein Verfahren vor dem Bun- nutzen. Das sind zum Teil beachtliche Vermögens- desverfassungsgericht hingegen, wie es die kommu- werte. Mit diesen Vermögenswerten sind aber auch nalen Spitzenverbände anregen, könnte Jahre dau- die darauf ruhenden Verbindlichkeiten, d. h. die ern. Eile tut aber not. Die Gemeinden in Ostdeutsch- Kredite, die zum Bau dieser Einrichtungen aufge- land brauchen dringend Planungssicherheit für ihre nommen wurden, auf die Kommunen übergegangen. Finanzen, hier und heute. Deshalb muß der Bundes- Durch die mittlerweile aufgelaufenen Zinsen sind tag schnell handeln und entsprechende Anträge be- dies knapp 8 Milliarden DM. Der Schuldenstand war fördern. am 1. Juli 1990 rund 5 Milliarden DM. Per saldo ha- ben die Gemeinden von der Übertragung der Ein- Es tickt nämlich die Zinsuhr. Das jahrelange richtungen profitiert; denn die Vermögenswerte Tauziehen der Bundesregierung hat die bei der übersteigen in den meisten Fällen die auf ihnen ru- Währungsumstellung bestandene Altschuld von henden Schulden. Die Kommunen erkennen die 4,9 Milliarden DM inzwischen dank satter Zinsforde- Rechtmäßigkeit der Altkredite aber leider nicht an - rungen auf nahezu 8 Milliarden DM vermehrt, also das haben wir eben schon gehört -, obwohl sie auf fast verdoppelt. Mit der vom Kanzler geliebten Me- Grund einer Reihe von Gerichtsurteilen wissen, daß thode des Aussitzens kommt man hier nicht weiter. zu dem nach dem Einigungsvertrag übergegange- Müßten eines Tages die Kommunen zahlen - die nen Vermögen auch die darauf lastenden Verbind- Mahnbescheide flattern ja in die Rathäuser -, wären lichkeiten gehören. Aber für die Rechtsprechung ist die meisten von ihnen bankrott. Die Leidtragenden Finanzminister Waigel nicht verantwortlich zu ma- sind die Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland; chen. das darf auf keinen Fall zugelassen werden. Daran kann auch das Bundeskabinett wohl nicht Auch wirtschaftlich sind die Kredite für die mei- ernsthaft interessiert sein. Für Theo Waigel zählt sten Kommunen tragbar. Nur 16 % der Gemeinden wohl ganz offensichtlich nur der Bundeshaushalt. sind mit Altschulden belastet; 4 % mit mehr als 1 000 Die dramatisch hohe Bundesverschuldung, die off e- DM pro Einwohner. Auch sind die Gemeinden mit nen Positionen im Haushaltsentwurf 1996, Steuer- gesellschaftlichen Einrichtungen bessergestellt ge- mindereinnahmen zwingen dazu, Kehraus zu ma- genüber anderen Gemeinden, die diese Einrichtun- chen, die Finanzlöcher zu stopfen. Nun gibt es offen- gen - ich sage noch einmal: Schulen, Rathäuser, bar in der Bundesrepublik nichts Schwächeres als Turnhallen - erst schaffen und zu Marktpreisen fi- die Kommunen, wie jüngst Geras Oberbürgermeister nanzieren müssen. erklärte. Den Letzten beißen die Hunde, und wer Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht zu be- hier von den Hunden gebissen wird, sind die finanz- streiten, daß es insbesondere in kleinen Gemeinden schwachen ostdeutschen Kommunen. Gehen Kom- Härtefälle gibt, wenn der Schuldendienst für ein grö- munen pleite - es gibt ja bereits Zwangsverwaltun- ßeres, überregional genutztes Objekt die finanzielle gen in einigen Bundesländern -, spüren das gerade Leistungsfähigkeit einer Kommune überfordert. Zu Handwerker und Gewerbe, die von öffentlichen Auf- einer ungleichen Verteilung von Vermögenswerten trägen leben. Bleiben deren Auftragsbücher leer, fällt und Belastungen haben aber auch Entscheidungen die Gewerbesteuer noch kläglicher aus. Sie ist im in der ehemaligen DDR über Sondertilgungen Mitte Osten ohnehin verkümmert und lag 1994 bei gerade der 80er Jahre beigetragen. einmal 26 % des Westniveaus. Eine Regelung des Altschuldenproblems muß in Die heutige Aktuelle Stunde ist, so meinen wir, ein erster Linie - das ist schon gesagt worden - auf Län- Schritt in die richtige Richtung. Die Kommunen er- erfolgen. Nur die Länder verfügen mit dem warten aber nicht nur Reden und Debatten. Der gor- derebene kommunalen Finanzausgleich über ein Instrument, dische Knoten muß endlich zerschlagen, die Kommu- das geeignet ist, unterschiedliche Belastungen der nen müssen von den sogenannten Altschulden be- Gemeinden durch die Altschulden auszugleichen. freit werden. Im Interesse von Millionen Bürgerinnen und Bürgern in den neuen Bundesländern verlange Der Bund ist seit längerem bereit, seinen Beitrag ich hierzu eine schnelle Entscheidung. zu einer Lösung zu leisten. Er hat dazu ein zinsgün- Vielen Dank. stiges KfW-Programm zur Umschuldung der Altver- (Beifall bei der PDS) bindlichkeiten angeboten, das die Zinslast der Ge- meinden deutlich verringern würde. Zusätzliche Lei- stungen des Bundes wären angesichts der ange- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat spannten Haushaltslage nicht vertretbar. Und es jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin, Frau Kar- kann keinen Zweifel geben: Wenn dem Bund wei- watzki. tere Lasten aufgebürdet werden, müßten dafür an anderer Stelle kompensatorische Kürzungen vorge- Irmgard Karwatzki, Parl. Staatssekretärin beim nommen werden. Das wäre im Ergebnis kontrapro- Bundesminister der Finanzen: Frau Präsidentin! duktiv; denn es macht keinen Sinn, die begrenzten Liebe Kolleginnen und Kollegen! Durch den Eini- Bundesmittel für die neuen Länder noch stärker auf gungsvertrag - darauf mache ich aufmerksam - und den Konsum zu konzentrieren. Nein, Priorität müs- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5629 Parl. Staatssekretärin Irmgard Karwatzki sen wir beim Ausbau der Infrastrukturinvestitionen Das ist die Regierungspolitik in Sachen Altschulden: setzen. Konsumtive Mittelverwendungen sollten Die einen wollen verhandeln, die anderen wollen ab- nicht weiter verstärkt, sondern zugunsten der Inve- kassieren. Da weiß doch die eine linke Hand nicht, stitionen zurückgeführt werden. was die andere linke Hand tut. Eine Bundesregie- rung mit linken Händen und dann auch nur Daumen Ich möchte abschließend betonen, daß gerichtliche - das ist schon schlimm genug. Auseinandersetzungen nicht der Weg sind, den wir uns wünschen, um eine angemessene Lösung zu er- Die Situation ist aber noch viel verfahrener. Nach reichen. Die Bundesregierung führt deshalb seit län- dem Gutachten von Professor Harms steht endgültig gerem Gespräche mit den Ländern und Gemeinde- folgendes fest: Juristisch gesehen sind die sogenann- vertretern. Bei den derzeitigen Beratungen sind Fo rt ten keine kommunalen Kredite, sondern -schritte erkennbar. Es liegen jedoch leider immer Altschulden noch keine Ergebnisse vor. Die Bundesregierung ist buchungstechnische staatliche Maßnahmen des Herr Schulz hat vorhin eindrück- bereit, die Versendung von Mahnbescheiden an die DDR-Zentralstaats. lich darauf hingewiesen. Nehmen Sie also zur Kennt- Kommunen für einen begrenzten Zeitraum zu ver- nis, daß die sogenannte DDR diese sogenannten Ver- schieben, solange in den Gesprächen zielgerichtet schuldungen als Instrument zur Disziplinierung von an einer Lösung des Altschuldenproblems gearbeitet unbotmäßigen Kommunen ausgespielt hat. Die Un- wird. Sie kommt damit den Kommunen weiter entge- terstellungen „Hier gilt bürgerliches Recht; hier gilt gen. Verwaltungsrecht" sind nicht exakt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, Länder und Gemeinden nehmen dieses Angebot der Bun- Jeder sollte mittlerweile wissen, daß allein die Ban- desregierung auf und leisten ihren Beitrag zu einer ken ein Riesengeschäft mit diesen sogenannten Alt- gemeinsamen Lösung des Altschuldenproblems. schulden machen - unabhängig, wer sie zahlt: Null Risiko für die Banken. Das können Sie entweder im (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) „Spiegel" oder- besser noch - in dem Sonderbericht des Bundesrechnungshofs zu diesem Thema genauer Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Die Staatssekre- nachlesen. In diesem Be richt wird dem Bundesfi- tärin hat sich vorbildlicher Kürze befleißigt. nanzminister die Verschleuderung von Steuergel dern in Milliardenhöhe nachgewiesen; denn durch Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Uwe Küster. die Zwischenschaltung privater Banken zur Abwick- lung der Altschulden wurden die Zinsen „erheblich Dr. Uwe Küster (SPD): Sehr geehrte Frau Präsiden- verteuert" . Es ist mehrfach darauf hingewiesen wor- tin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Auster- den. Das sind katastrophale Versäumnisse der Bun- mann, Frau Staatssekretärin Karwatzki, wie schön desregierung. Dafür können und dürfen die Kommu- wäre es gewesen, wenn wir in der DDR bürgerliches nen in Ostdeutschland nicht in Haftung genommen Recht gehabt hätten, wenn wir ein Verwaltungsrecht werden. gehabt hätten. Das unterstellen Sie immer wieder. Also: Alles das, was Sie auf diese Hypothese bauen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne ist falsch. Das halten wir erst einmal fest. ten der PDS) (Beifall bei der SPD) Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, bei den Zur Sache: Diese 60 Minuten der Aktuellen Stunde sogenannten Altschulden handelt es sich um Luftbu- kosten exakt 60 000 DM. chungen. Insofern wundert es kaum, daß Herr Wai- gel als einziger etwas mit Luftbuchungen anfangen (Dr. Michael Luther [CDU/CSU]: Dann fas kann. Schließlich ist er der Schöpfer dieses Haus- sen Sie sich kürzer!) haltsinstruments. Das ist das tägliche Geschäft unse- Das ist die stündlich fällige Rate für die 8 000 Millio- res „Luftbuchungsministers" . nen DM Altschulden der Kommunen in Ostdeutsch- land. Die Höhe der sogenannten Altkredite auf kom- ( [CDU/CSU]: Also bitte!) munale Einrichtungen steigt also täglich um 1,3 Millionen DM. Man muß sich vor Augen halten, - Es ist leider richtig, ich muß das so sagen. Luftbu- welches Risiko sich dahinter versteckt. Angesichts chungen sind sein tägliches Geschäft geworden. dieser Tatsache kann ich nur sagen: Die Verweige- Während der Haushaltsberatungen hat der Finanz- rungshaltung der Bundesregierung ist grob fahrläs- minister wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt, sig und muß aufgegeben werden. wie man Milliarden kurzerhand hin und her - schiebt, um damit den Haushalt scheinbar zu sanie- (Beifall bei der SPD) ren. Die gesamte Diskussion hat in den letzten Wochen eine ganz groteske Form angenommen. Am 4. Ok- Aber kommen wir zum eigentlichen Thema zu- tober waren die Vertreter der Landesregierungen im rück. Ich zitiere aus dem Gutachten von Professor Kanzleramt bei Minister Bohl zu Gast. Nach dem Harms. Erstens. Kanzlermotto „Chefsache" sollte do rt eine einver- nehmliche Lösung gefunden werden. Aber: Nur drei Aus den geltend gemachten „Altkrediten" sind - Tage später droht die GAW wieder mit Mahnbeschei- selbst nach DDR-Recht - keine Rückzahlungs- den für die Kommunen, die nicht bezahlen wollen. pflichten entstanden. 5630 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 Dr. Uwe Küster Wie wollen Sie das also bitte rückwirkend geltend glaube, das ist auch einer der wesentlichen Gründe machen? dafür, warum die DDR 1989 dort war, wo sie war: Sie war intern pleite. Dann kam Gott sei Dank der Eini- Zinsen und Rückzahlungen waren aus dem zen- gungsprozeß. In diesem Einigungsprozeß wurde tralen Staatshaushalt zu erbringen. überlegt, wie wir die Vereinigung letztendlich gestal- Machen Sie das mal, wenn der Staat nicht mehr da ten können, wie wir mit dem vorgefundenen Zustand ist! der DDR umgehen können und wie für die Men- schen eine erträgliche Situation erreicht werden Zweitens. kann. Eine Auferlegung von Rückzahlungsverpflich- Begonnen hat das mit der Währungs-, Wirtschafts- tungen wäre verfassungswidrig. und Sozialunion. Ich bin dankbar für das, was mit ihr Das sind zwei zentrale Feststellungen, mit denen wir . geregelt worden ist; denn das war eine sehr soziale uns in der Zukunft auseinandersetzen müssen. Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion für die Menschen. In diesem Zusammenhang - das muß ich Angesichts dieser Tatsache enttäuscht es mich deutlich sagen, auch wenn wir uns heute über die ganz besonders, daß 65 ostdeutsche Kollegen der Form und die Merkwürdigkeiten der Altschulden un- CDU ganz lapidar von einem „Konstruktionsfehler terhalten müssen - sind diese Schulden tatsächliche im Einigungsvertrag reden. Keiner spricht davon, Schulden geworden. Diese - das bestreitet niemand - wie man den Konstruktionsfehler belieben kann, wie müssen beglichen werden. man versuchen sollte, das zu sanieren und damit um- zugehen. Um auf das Argument einzugehen, diese Schulden seien nur durch den Staatshaushalt der DDR verur- Wenn der Bund diese Altschulden tatsächlich über sacht und nur durch den Staatshaushalt getilgt wor- den Cerichtsvollzieher eintreiben läßt, wird der ge- den: Im Rahmen des Einigungsvertrags wurde es als samte West-Ost-Transfer ad absurdum geführt. Ein eine wesentliche und wichtige Aufgabe angesehen, paar Milliarden hin - ein paar Milliarden her: Der das Volksvermögen der DDR auf die föderale Struk- Aufbau Ost wird zu einem finanzpolitischen Ver- tur der Bundesrepublik Deutschland aufzuteilen. Es schiebebahnhof. Und nicht nur das: Die jüngsten wurde zwischen den Kommunen, den Ländern und Pläne des Finanzministers offenbaren, daß der Ab- dem Bund aufgeteilt. Das war eine Aufgabe des Eini- schwung in den neuen Ländern weitergehen soll. gungsvertrages. 22 Milliarden - das sind 22 000 Millionen; damit man sich einigermaßen vorstellen kann, worum es geht - Die Überlegung, die an dieser Stelle immer wieder will Herr Waigel beim Aufbau Ost zukünftig einspa- unterstellt wird, nämlich daß die Aufteilung so erfol- ren. Dabei werden Haushaltslöcher vor allem auf Ko- gen sollte, daß die Kommunen mit Grundvermögen sten Ostdeutschlands gestopft. Man müßte schlicht ausgestattet werden, während der Bund die andere weg mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn Seite, die Passiva, übernehmen möge, ist natürlich man das nicht erkennt. aberwitzig. Diese Form der Aufgabenteilung geht nicht. Deswegen halte ich es auch grundsätzlich Herr Waigel hat 1990 fahrlässig die sogenannten nicht für richtig, sich heute hinzustellen und aus dem Altschulden als Forderungen übernommen. Jetzt Problem, das uns die DDR durch ihr Finanzgebaren muß er zur Kenntnis nehmen, daß er ein Haushaltsri- hinterlassen hat, den Schluß zu ziehen, daß der Bund siko von 8 000 Millionen DM hat. alle Schulden übernehmen und die Probleme lösen Vielen Dank. möge. Ich denke, das ist genau der falsche Weg. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Wir haben diesen Weg auch in vielen anderen Fäl- ten der PDS) len nicht beschritten, sondern sind einen anderen Weg gegangen. Dazu gehört - das war in der letzten Legislaturpe riode ein wichtiges Thema - der Ge- Vizepräsidentin Antje Vollmer: Das Wort hat jetzt danke des Solidarpaktes. Beim Solidarpakt wurde der Abgeordnete Luther. nicht danach gefragt, wem man welche Schulden zu- ordnen müsse. Ich denke hierbei an die große Dis- Dr. Michael Luther (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau kussion um die Schulden der Wohnungsbaugesell- Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben schaften. Statt dessen wurde überlegt: Wie kann ich heute eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Haltung mit dem, was an Schulden tatsächlich vorhanden ist, der Bundesregierung zur Altschuldenregelung für umgehen? Wie kann ich sie im Sinne eines Solidar- ostdeutsche Kommunen angesichts erster Bewer- paktes zwischen den verschiedenen Gebietskörper- tungsergebnisse eines Rechtsgutachtens zur Auferle- schaften aufteilen? Wie kann ich die neuen Bundes-- gung von Rückzahlungsverpflichtungen" . Herr Kü- länder in die Lage versetzen, daß sie ihre Finanzauf- ster, Sie haben freundlicherweise aus dem Gutachten gaben lösen können? zitiert. Leider konnte ich mir dieses Gutachten nicht Zu den kommunalen Altschulden sagt der Solidar- beschaffen und deswegen auch nicht lesen. Deshalb pakt nichts. Vielleicht ist das nur vergessen worden; kann ich nur auf die Zitate eingehen, die Sie heute aber auf jeden Fall wurde darin nichts erwähnt. Man hier gebracht haben. könnte natürlich auf den Gedanken kommen, zu sa- Es ist natürlich wahr, was das Gutachten an vielen gen, das sei so gewollt gewesen, und zwar von allen Stellen ausweist, nämlich daß die DDR-Finanzwirt- Beteiligten. Das müßte dann im Rahmen der Mög-

schaft ein . sehr merkwürdiges Gebaren hatte. Ich lichkeiten, die die neuen Bundesländer durch ihre Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5631 Dr. Michael Luther Finanzausstattung haben, geregelt werden. Die der Belastung der Kommunen im Westen in etwa ent- Kommunen werden das nicht alleine regeln können; spricht. Wir haben dazu aber nur fünf Jahre ge- denn die Ungleichbehandlung, die ungleiche Vertei- braucht. 40 Jahre sind aufzuholen. Dazu wollen wir lung der Schulden auf die Kommunen gebietet eine keine weiteren 40 Jahre brauchen, aber wir müssen andere Denkweise. Hier sind ganz besonders die doch sehen, wo wir uns jetzt schon befinden. Wir ha- Bundesländer gefordert, mit einzusteigen. ben noch viel aufzuholen. Wer soll denn diese Ver- schuldung abbauen? Kann sich das jemand vorstel- (Zustimmung bei der CDU/CSU) len? Trotzdem glaube ich, daß man die Länder und die (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Kommunen hier nicht alleine lassen sollte, sondern GRÜNEN und der PDS) daß auch der Bund mit einsteigen sollte. Die Ange- bote liegen auf dem Tisch. Sicherlich kann man sich Uns Sozialdemokraten wird immer Erfindungs- in dieser Richtung auch Weiteres vorstellen. Aber ich reichtum bei den Steuern und Abgaben vorgewor- bin traurig, daß ich von den Kommunen und von den fen. Was hier passiert, ist nichts anderes als eine Son- Ländern bisher keine Signale bekommen habe, daß derabgabe der ostdeutschen Kommunen. Das ist ein man bereit ist, sich an diesem Schuldenausgleich zu Abkassierungsmodell, bei dem Finanzen in die Bun- beteiligen. deskasse zurückgegeben werden. Ich hoffe und wünsche, daß sich alle an den Tisch Dabei ist es doch so einfach: Es handelt sich um setzen und über diesen Ausgleich miteinander Phantomzahlen. Hier sind Bilanzen von den Banken reden. aufgebläht worden. Lassen wir doch die Luft wieder raus! Das muß doch gehen. Die Banken müssen doch Recht herzlichen Dank. auch ein Interesse an realistischen Zahlen haben. In (Beifall bei der CDU/CSU) dem Fall muß der Bund nichts übernehmen, und die Kommunen hätten nichts zu bezahlen; denn es han- delt sich nur um Phantomzahlen. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt der Abgeordnete Gunter Weißgerber. Mir ist natürlich klar, daß der Finanzminister rie- sige Haushaltslöcher stopfen muß. In dieser Woche Gunter Weißgerber (SPD): Frau Präsidentin! Liebe war viel davon die Rede. Aber daß er dafür realsozia- Kolleginnen und Kollegen! Ich meine, es hat etwas listische Staats- und Kommunalfinanzierung in Kre- von einer Gespensterdebatte, die wir führen. Wir re- dite bürgerlichen Rechts ummünzt, kann es doch den über Dinge, die so nicht existierten, wie sie von wohl nicht gewesen sein. seiten der Bundesregierung und der Koalitionspar- (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE teien gesehen werden. GRÜNEN und der PDS) In den letzten Jahren ist einiges Verwunderliches Meinem Oberbürgermeister, Hinrich Lehmann- geschehen: Dinge, die 30, 40 Jahre eindeutig fest- Grube, kann ich nur raten, bei seinem Standpunkt zu standen und einer Diskussion standhielten, werden bleiben und nichts zu bezahlen. Recht so, Hinrich! heute generell entgegengesetzt bewe rtet. Dazu ge- Ich kann der Bundesregierung nur sagen: Wer den hören die Mauergrundstücke. Das Unrechtsregime Aufbau Ost wirklich ernst meint, kann nicht auf so- wurde verteufelt - natürlich zu Recht -, die Wirt- genannten Altschulden bestehen. schaftsbeziehungen waren total unlogisch und wur- den auch als solche bezeichnet. Heute ist es so, daß Frau Karwatzki, an Sie habe ich eine Frage, die Sie die Mauergrundstücke plötzlich rechtens enteignet natürlich jetzt auf Grund der Geschäftsordnung nicht worden sind, der Fiskus und nicht die Leute, denen beantworten können. Was geschieht mit den Ge- das gehört hat, darauf Anspruch hat, und die Wirt- meinden, die Altschulden haben und deren Objekte schaftsbeziehungen sind plötzlich auch in Ordnung nicht aufzufinden sind? Die Antwort darauf interes- gewesen. siert mich. Herr Schulz hat das bereits deutlich angesprochen Danke schön. - ich brauche das nicht zu wiederholen -: Das, was (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE als Altschulden bezeichnet wird, waren keine. Aber GRÜNEN und der PDS) uns wird vorgemacht, es soll so sein. Das waren und sind keine Altschulden. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt Ich nenne als Beispiel die Stadt Leipzig. Die Stadt die Abgeordnete Susanne Jaffke. Leipzig gilt als größter Schuldner der neuen Bundes- länder. 420 Millionen DM sogenannte Altschulden beinhalten 280 Millionen DM direkte Schulden und Susanne Jaffke (CDU/CSU): Tau Präsidentin! 140 Millionen DM an Zinsen. Das Gewandhaus steht Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe dem Kol- mit 72 Millionen DM und das Affenhaus im Zoo mit legen Weißgerber recht: Es ist schon ein wenig ge- 1,4 Millionen DM angeblich in der Kreide. spenstisch. Über dieses Thema am Freitag nachmit- tag zu reden ist auch nicht gerade schön. Welche Folgen hat das für Leipzig? Leipzig hat (Zuruf von der SPD: Richtig!) jetzt eine Pro-Kopf-Verschuldung von knapp 1 350 DM. Wenn ungefähr 1 000 DM pro Kopf Altschulden Ich hoffe, daß wir die Kollegin Matthäus-Maier in hinzukommen, erreichen wir eine Verschuldung, die ausreichendem Maße zufriedenstellen konnten; 5632 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Susanne Jaffke denn überwiegend stehen hier Kollegen aus den die Bundesregierung mit den Ländern auf einem gu- neuen Bundesländern am Rednerpult, d. h. solche, ten Wege. Sie unterhalten sich. Das Angebot der die in der DDR gelebt haben. Das finde ich alles in Umschuldung, das die Bundesregierung an die Kom- Ordnung. munen und Länder gemacht hat, ist, finde ich, ein sehr gutes Angebot. Ich finde es weniger in Ordnung, daß viele Leute jetzt nicht mehr da sind. Wir aus den neuen Bundes- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Für die Bundesre- ländern haben aber einen unendlich längeren Heim- gierung!) weg. Die Verkehrsverhältnisse sind noch nicht so - Nein, es ist auch für die Kommunen ein sehr gutes gut, daß wir nur ein Stückchen länger brauchen, um Angebot. nach Hause zu kommen und die Heimat Freitag abends noch zu erreichen, was mir jetzt nicht mehr Ich kann Ihnen dazu sagen: Ich bin nebenbei Ab- vergönnt ist. Ich kann erst morgen früh fahren. Ich geordnete eines Kreistages in den neuen Bundeslän- komme heute nicht mehr nach Hause. Aber ich dern. Wir haben ein Objekt, das mit Altschulden be- nehme das trotzdem gerne auf mich. lastet ist und irgendwo in unserem Kreishaushalt zu Buche schlägt. Aber auch wir in unserem Kreis müs- Ich möchte zwei Bemerkungen machen: Es ist sen uns an eine gewisse Haushaltsdisziplin halten. heute aus einem Gutachten von Herrn Harms, das ich nicht kenne, sehr viel zitiert worden. Mir liegt Die Kreiskämmerin und alle anderen, die dort in aber der Rechnungshofbericht vor. In dem Gutachten Verantwortung stehen, können bei der Veräußerung werden all die Dinge, die im Rechnungshofbericht dieser Immobilie, die mit den Altschulden belastet sehr sachlich beschrieben wurden, nicht gewürdigt. ist, den Gesamterlös nicht zur Sanierung der Kreis- Der Rechnungshof hat in seinem nichtöffentlichen finanzen in den Kreishaushalt einstellen. Das wird Gutachten - es enthält vertrauliche Daten; man kann natürlich auch versucht. Das muß man auch anspre- es nur unter Einhaltung besonderer Vorschriften ein- chen dürfen. sehen - sehr sachlich und nüchtern festgestellt, daß Ich denke, das, was die Kollegin Karwatzki bezüg- sind. die Schulden doch echte Schulden lich des Pokers gesagt hat, der immer veranstaltet Es ist alles richtig gesagt worden: Das Finanzgeba- wird - sind es echte Schulden, oder sind sie es ren in der ehemaligen DDR war schon ein bißchen nicht? -, ist vollends richtig: Mit der Übertragung der merkwürdig. Aber eines hat es nicht gegeben. Es Liegenschaften an die Kommunen ist auch ein großes gab eine ordentliche Buchung, das muß man den Ge- Stück Vermögen an diese übertragen worden. nossen lassen. Sie haben alle Sparguthaben der Be- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Wollte der Bund das völkerung für das Geld, das sie gedruckt haben, ge- auch noch haben?) gengerechnet, in welchem Wertverhältnis es auch immer stand. Es gab eine ordentliche Kostenstellen- - Nein, das wollte er nicht. rechnung. Die war gegeben und ist natürlich im Danke. Zuge des Einigungsprozesses zur Grundlage genom- men worden, um das vorhandene Geld in stabiles (Beifall bei der CDU/CSU) Geld umzuwandeln. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat Die Grundlagen dazu - das ist im Rechnungshof jetzt Kollege Mathias Schubert. bericht auch gesagt worden - sind nicht unbedingt im Zuge der Währungsunion gelegt worden. Sie sind schon unter der Modrow-gegierung ausgearbeitet Dr. Mathias Schube rt (SPD): Frau Präsidentin! worden. Die Modrow-Regierung hat die Beschlüsse Meine Damen und Herren! Ich möchte vor allem ein gefaßt, daß das Bankensystem der ehemaligen DDR paar kommunalpolitische Anmerkungen machen. umgestellt wird, und zwar nach rechtsstaatlichen - In meiner Heimat Brandenburg gibt es einen 200 Prinzipien, wie sie hier im bürgerlichen Recht vor- Einwohner-Ort namens Bernsdorf. Weil diesem Ort handen waren. Das geschah vor der Volkskammer- zu DDR-Zeiten von oben der Bau eines Kulturhauses wahl im März 1990. Das haben wir heute ein Stück- verordnet worden war, und zwar ohne die Gemeinde chen nachzuvollziehen. zu fragen, sind die Einwohner jetzt mit 12 000 DM Ich denke, in der insgesamt öffentlichen Diskus- pro Kopf verschuldet. Wenn es nach dem Bundesfi- sion hat es bereits einen Erkenntniswandel gegeben. nanzministerium geht, soll die Gemeinde - jedenfalls Es gab zuerst eine emotionale Darstellung des Ge- nach dem jetzigen Stand der Dinge - die auch bezah- samtverhaltes, daß die Schulden überhaupt keine len. echten Schulden sein können. Heutzutage wird das An diesem zugegebenermaßen extremen Beispiel- seitens des Gemeindebundes und des Städtetages wird die ganze Brisanz der Auseinandersetzung um schon ein bißchen moderater gesehen und aner- die kommunalen Altschulden klar. Es handelt sich kannt, daß die Schulden echte Schulden sind. hierbei natürlich auch um ein juristisches und ein fi- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Das hat keiner ge nanztechnisches Problem, vor allem aber um ein poli- sagt!) tisches. Die politische Behandlung der Altschulden wird - Doch, das können Sie im Protokoll nachlesen. wieder einmal erweisen, ob es der Bundesregierung Die Frage ist zu klären: Wie wollen wir diese mit ihrer so inbrünstig beschworenen Gestaltung der Schulden behandeln? In dem Punkt, denke ich, ist Einheit ernst ist oder ob sie bereit ist, die schwäch- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5633

Dr. Mathias Schubert sten Glieder in der Kette politischer Gestaltungsmög- lungnahme zu diesem Thema wahrscheinlich etwas lichkeiten mit einem Schuldenberg allein zu lassen, anders ausgefallen als die des Kollegen Waigel, der der für die Betroffenen die kommunale Selbstverwal- zur Zeit Finanzminister ist. tung bis zur Unfähigkeit verstümmelt. (Dr. Uwe Küster [SPD]: Sie hätte den Fehler, (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE den Herr Waigel gemacht hat, schon 1990 GRÜNEN und der PDS) nicht gemacht!) Das Elend dieser Dramatik besteht nicht in ihrer - Da war er noch nicht Finanzminister, wie Sie alle oppositionellen Polemik, sondern in ihrer tatsächli- wissen. chen Wahrheit. Denn in der Regel haben ostdeutsche Kommunen weit weniger als 20 % ihrer ohnehin (Dr. Uwe Küster [SPD]: Natürlich! - Ingrid schwindsüchtigen Finanzvolumina als Gestaltungs- Matthäus-Maier [SPD]: Er war doch damals potential ihres öffentlichen Lebens zur Verfügung. Finanzminister!) Würde der Bund also den betroffenen Gemeinden die Schulden überhelfen, wären die Auswirkungen - Als der Einigungsvertrag geschlossen wurde, war verheerend. Investitionsmöglichkeiten würden viel- es meines Erachtens Herr - - fach auf Null sinken. Finanzielle Unterstützungen für Sport, Kultur, Bildung, soziale Aufgaben, Wirtschaft (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Selbstver- und Arbeitsmarkt stünden auf dem Spiel. ständlich! Er hat doch den Romberg rausge- worfen!) Nun gibt es im Bundesfinanzministerium folgende smarte Überlegung: Da die Pro-Kopf-Verschuldung - Es ist ja auch egal. Es sind beides gute Leute, auch ostdeutscher Gemeinden in der Regel unter der west- der andere war gut. deutscher liege, sei noch Verschuldungsmasse frei (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sie müssen und die Übernahme der Altschulden kein besonde- sich nur entscheiden, ob er es gewesen ist res Problem. Wer so - Entschuldigung - daher- oder ob er schlecht war!) schwätzt, weiß nichts über unsere Situation. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ - Nun lassen Sie mich einmal ausreden. Sonst über- DIE GRÜNEN) ziehe ich, wenn Sie dauernd Zwischenrufe machen, meine fünf Minuten Redezeit ganz brutal. Im Unterschied zu dem finanz- und haushaltspoliti- schen Trauerspiel, das der Finanzminister in dieser (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Nein, das ist Woche hier geboten hat, wissen die ostdeutschen nicht zulässig!) Kommunen außerdem sehr wohl, was Haushalts- wahrheit und Haushaltsklarheit bedeutet. Genau die - Doch, denn von uns redet sonst keiner mehr. Inso- kommunalen Haushaltsprinzipien verbieten weitere fern habe ich noch ein bißchen Zeit. Verschuldung. Ich will folgendes sagen: Es ist doch unstrittig, Der Schuldenkonflikt darf also weder ganz noch meine Damen und Herren von der SPD, daß auch Sie teilweise auf dem Rücken der Kommunen oder der dem Einigungsvertrag, so, wie er ausgehandelt wor- Länder ausgetragen werden. Diese Verbindlichkei- den ist, zugestimmt haben. ten sind wie alle ehemaligen DDR-Verbindlichkeiten (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sollten wir zu behandeln. In diesem Zusammenhang gilt es zu deswegen nein sagen?) überlegen, ob die Schulden samt anfallender Zinsen nicht in den Erblastentilgungsfonds aufgenommen - Nein. Ich habe ja im Sinne meiner Partei gesagt: werden können. Gott sei Dank. Vielen Dank. Sie tun so - das kommt immer wieder durch -, als (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE ob alle Kommunen betroffen wären. Ich stelle erst GRÜNEN und der PDS) einmal fest, daß 86 % der Kommunen nicht betroffen sind, sondern nur 14 %. In meinem Wahlkreis sind auch von diesen 14 % nicht alle betroffen. Es gibt Das Wort hat Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: nämlich einige, die mir unter der Hand sagen: Etwas jetzt der Abgeordnete Arnulf Kriedner. Besseres ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert, als diese Altschulden zu übernehmen, weil Arnulf Kriedner (CDU/CSU): Frau Präsidentin! die Vermögenswerte, die teilweise schon versilbert Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich worden sind, die Schulden bei weitem übersteigen. möchte, zumal ich lange Kommunalpolitiker war, bei Auch solche dürfen wir aus der Berechnung heraus- einem kommunalpolitischen Thema ein bißchen da- nehmen, von Abstand nehmen, eine Haushaltsrede zu halten, wie wir es, Herr Küster, in Teilen hier schon gehört Wir können auch bei aller Verbalakrobatik nicht so haben. Vielmehr möchte ich zum eigentlichen tun, als ob es keine neuen Bundesländer gäbe. Sie Thema kommen. sind in der Verpflichtung, weil sie die kommunale Lenkungsbehörde sind. Man kann hier jede Akrobatik dieser Welt vorfüh- ren. Aber wenn - das wollen wir nicht - Frau Mat- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Was meint Bernhard thäus-Maier Finanzministerin wäre, wäre ihre Stel- Vogel dazu?) 5634 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Arnulf Kriedner - Er ist durchaus meiner Meinung. Menge Kollegen müssen nach Passau, nach Klingen- thal in Sachsen, nach Plön oder nach Rostock. Sie ha- (Dr. Uwe Küster [SPD]: Aha! Das habe ich ben dort heute abend Veranstaltungen. Sie mußten noch nicht gehört!) weg, um rechtzeitig dort zu sein. Das betrifft alle - Man muß nicht alles, was man verhandelt, auf dem Fraktionen. freien Markt verkaufen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der Lieber Herr Kollege Küster, machen Sie mich bitte F.D.P.) nicht nervös, sonst erzähle ich Ihnen einmal, wie Ihr Meine Damen und Herren, das Thema „Altschul- Antrag lautet. In Ihrem Antrag wird die Bundesregie- den ostdeutscher Städte und Gemeinden" ist wirk- rung aufgefordert, mit den ostdeutschen Ländern lich ein langes Trauerspiel. Es ist ja nicht neu. Seit und Gemeinden Verhandlungen aufzunehmen; mehr als fünf Jahren ist doch bekannt, daß nach der Schwanitz und Genossen. Wieso sollte, wenn Ihre Ar- Währungsumstellung Forderungen an eine Vielzahl gumentation, die Sie soeben vorgetragen haben, von Gemeinden und Städten in Höhe von über stimmen würde, der Bund mit den Ländern eigent- 5 Milliarden DM bestehen. Seit übrigens mehr als lich reden? Dann hat der Bund zu blechen, und die fünf Jahren ist umstritten, ob es sich dabei um Kre- Gemeinden kassieren. So, wie Sie das hier darstellen dite im klassischen Sinne handelt. Das ist sicher nicht möchten, kann es ja wohl nicht sein. der Fall. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns einmal Frau Jaffke, als ich nach der Rede von Herrn Au- einen Versuch machen; dann kommen wir schnell stermann gesagt habe, daß Ihre ostdeutschen Abge- auf eine Linie. Ich bin mit Ihnen - das wird Sie jetzt ordneten das genauso sehen, habe ich das nicht ge- vielleicht verblüffen - der Meinung: Der Bund muß macht, um Sie zu spalten. Wer sich mit diesem ein bißchen mehr tun, als nur, was die Kreditfinanzie- Thema beschäftigt - ich bin gerade zu diesem Thema rung angeht, freundlich zu sein. Ich bin der Meinung sehr viel durch Ostdeutschland gefahren -, der weiß: - da haben wir einen kleinen Dissens, Frau Kollegin Solch eine schneidige Rede wie die von Herrn Au- Karwatzki -: Der Bund muß auch bei den Schulden, stermann wird den Problemen, wie sie damals exi- die nicht ohne Schuld des Bundes so hoch sind, et- stierten, überhaupt nicht gerecht. was tun. (Beifall bei der SPD) Aber das bedingt doch geradezu, daß die Länder nun endlich einmal das Schwarzer-Peter-Spiel sein Natürlich kann man theoretisch sagen: Die Ge- lassen und sagen: Auch wir haben eine Mitverant- meinde bekam eine Einrichtung, und folglich hängt wortung. Wenn sie das sagen, dann gibt es nämlich an der Einrichtung eine Schuld. Das ist eigentlich überhaupt erst einmal eine Verhandlungsposition ganz logisch. Aber es war so: Die Städte haben die zwischen beiden. Einrichtungen bekommen. Aber da zu DDR-Zeiten völlig willkürlich der einen Kommune die Schulden Ich will nicht, daß die Gemeinden als in der Tat das erlassen wurden, der anderen Kommune aber nicht, schwächste Glied in der Kette, die betroffenen 14 % hat die eine Kommune heute aus reiner politischer unserer Gemeinden, die Hunde beißen oder daß sie Willkür eine Altschuld und die andere nicht. Das sich durchklagen müssen. Das will ich mit Ihnen können wir doch nicht einfach so akzeptieren. Das gemeinsam nicht. Ich will Bund und Länder ge- wissen ostdeutsche Abgeordnete besser als Herr Au- meinsam am Tisch haben. Dann sollen sie einen fai- stermann. ren Kompromiß aushandeln. Dazu sollten wir un- (Beifall bei der SPD) sere Unterstützung, wo wir können, geben. Das ist die Linie, die ich gerne hätte. Darauf können wir Deswegen kann man auch nicht einfach sagen, uns sicher sehr schnell verständigen, damit wir an im Einigungsvertrag - dem wir zugestimmt haben; einem so freundlichen Freitagnachmittag nicht zu das ist völlig richtig - sei das so vereinbart worden. viele Nebelkerzen werfen, an dem alle im Grunde Ich darf Sie daran erinnern - ich nenne ein anderes genommen wissen, wann ihr Zug fährt oder ihr Altschuldenproblem -, daß das Thema Altschulden Flugzeug fliegt. der Betriebe eines war, bei dem die SPD angesichts der Lösungen, die Sie vorgeschlagen haben, Sturm Herzlichen Dank. gelaufen ist. Ich darf Sie daran erinnern: Wenn sie (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die Altschulden der Betriebe mit der Umstellung 2:1 nicht bei den Betrieben belassen hätten, son- dern gleich übernommen hätten, was faktisch so- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat wieso der Fall ist - fast 100 Milliarden DM werden jetzt die Kollegin Ingrid Matthäus-Maier. sowieso von Waigels Kasse übernommen -, wäre damals ein großes Investitionshindernis wegge- Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Sehr geehrte Frau räumt gewesen. Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als erstes (Beifall bei der SPD) möchte ich für diejenigen, die nicht mehr hier sind, eine Lanze brechen. Denn es ist der klassische Fall, Deswegen ist es auch nicht in Ordnung gewesen, daß wahrscheinlich viele Zuschauer oder andere, die daß sich die Bundesregierung das so lange anschaut. die Debatte verfolgen, sich fragen: Was machen die Sie hat zugelassen, daß die angeblichen Kredite von Abgeordneten schon wieder? Sind sie beim Kaffee- der Deutschen Kreditbank „banküblich" bewirt- trinken, oder liegen sie auf der faulen Haut? Eine schaftet wurden. Im Klartext: Wurde zu DDR-Zeiten Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5635

Ingrid Matthäus-Maier nur ein symbolischer Zins verlangt - von dem keiner ewerberleistungsgesetzes und anderer Ge- weiß, ob er überhaupt jemals hätte bezahlt werden setze müssen schlugen die Zinsen im Jahre 1991 plötz- - Drucksache 13/2746 - lich mit über 10 % zu Buche. Weil die Städte und Ge- Überweisungsvorschlag: meinden nicht zahlen konnten oder wegen der un- Ausschuß für Gesundheit (federführend) geklärten Rechtslage nicht zahlen wollten - überwie- Innenausschuß gend war das erste der Fall -, sind aus den 5 Milliar- Finanzausschuß den DM mittlerweile 8 Milliarden DM geworden. Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Uwe Küster hat eindrucksvoll gezeigt: Jeder Tag, Haushaltsausschuß den wir weiter warten, löst das Problem nicht, son- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für dern erhöht die Schulden und erschwert eine Lö- die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sung. sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. (Beifall bei der SPD) Ich eröffne die Aussprache. Als erstes hat der Ab- Weil Sie noch gefragt haben, was ich, wenn ich da- geordnete Ulf Fink das Wort. für zuständig gewesen wäre, gemacht hätte: Eines hätte ich sicher nicht gemacht: das Ganze schönzure- Ulf Fink (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine sehr den. Noch in der Haushaltswoche im September verehrten Damen und Herren! Die Fraktionen der 1995 habe ich gesagt: Herr Waigel, Ihre Zahlen sind Regierungskoalition bringen heute den Entwurf zur wieder einmal alle falsch, Sie haben große Risiken Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes ein. nicht beachtet. In dieser Rede habe ich ausdrücklich Zugleich werden in diesem Gesetzentwurf der Weg- darauf hingewiesen, daß die ungeklärte Altschulden- fall der originären Arbeitslosenhilfe geregelt und die frage ein entscheidendes finanzielles Risiko ist. Des- Konsequenzen aus der Übertragung der Zuständig- wegen darf Herr Waigel heute nicht so tun, als habe keit des öffentlichen Nahverkehrs bezüglich der Be- er damit nichts zu tun. förderung von Schwerbehinderten gezogen. Wir fordern die Bundesregierung auf: Erstens. Ver- Es sind natürlich höchst unterschiedliche Berei- zichten Sie auf Ihren Rechtsanspruch! Wir haben che, die hier geregelt werden. Der Zusammenhang doch alle nichts davon, wenn die Sache in vier Jah- ist im Finanziellen zu sehen. Anläßlich der Beratun- ren in Karlsruhe entschieden wird. Wir schieben so- gen der Sozialhilfereform haben der zuständige wieso zuviel nach Karlsruhe. Bundesminister und ich namens der CDU/CSU- Bundestagsfraktion erklärt, daß wir sehr genau dar- Zweitens. Verzichten Sie auf Mahnbescheide! Die auf achten wollen, daß die Gemeinden finanziell Vorstellung, der Bund geht jetzt gegen Städte und entlastet werden. Der Wegfall der originären Ar- Gemeinden in Ostdeutschland mit Mahnbescheiden beitslosenhilfe ist aber eine Belastung der vor, ist doch aberwitzig. Gemein- den. Wir haben damals erklärt, daß wir dafür Sorge (Arnulf Kriedner (CDU/CSU]: Aber dazu tragen wollen, daß diese zusätzliche Belastung voll hat die Frau Staatssekretärin schon etwas kompensiert wird. gesagt!) Durch die Änderung des Asylbewerberleistungs- Drittens. Verzichten Sie darauf, über diesen Weg gesetzes werden die Belastungen durch Wegfall der die Gemeinden in den Ruin zu treiben! Arbeitslosenhilfe mehr als ausgeglichen. Das heißt also, den Gemeinden entsteht dadurch keine einzige Viertens. Lassen Sie uns gemeinsam nach einer zusätzliche Mark an Belastung. Ich freue mich, hier Lösung suchen! Sie haben einen Antrag von uns zi- sagen zu können: Wir haben Wort gehalten. tiert. (Beifall bei der CDU/CSU) Jedenfalls müssen Sie sich bewegen. Nach den Die Änderungen beim Asylbewerberleistungsge- Worten von Herrn Kriedner habe ich das Gefühl, das setz sind sachlich vertretbar. Den Betroffenen waren wäre möglich. Nach den Worten von Frau Karwatzki die bisherigen höchst unterschiedlichen Regelungen habe ich allerdings noch nicht den Eindruck, daß der nur sehr schwer verständlich zu machen. Mit den Bund verstanden hat, um was es geht. jetzt vorgesehenen Änderungen wird erreicht, daß Danke schön. mit Ausnahme der Kriegs- und Bürgerkriegsflücht- linge alle Asylbewerber und Ausländer, die sich nur (Beifall bei der SPD - Parl. Staatssekretärin vorübergehend in Deutschland aufhalten, gleiche Irmgard Karwatzki: Dann haben Sie nicht Leistungen erhalten. zugehört, Frau Kollegin!) -b Die Regelung sieht im Kern vor, daß die Ausländer, die sich nur vorübergehend in Deutschland aufhal- Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Die Aktuelle ten und sich nicht aus eigener Kraft unterhalten kön- Stunde ist damit beendet. nen, Sachleistungen erhalten. Die Sachleistungen decken den Bedarf an Nahrung, Unterkunft, Hei- Ich rufe Zusatzpunkt 16 auf: zung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege so- wie an den Verbrauchsgütern des Haushalts ab. Zur Erste Beratung des von den Fraktionen der Sachleistung kommt ein monatlicher Geldbetrag von CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurfs 80 DM für Erwachsene und von 40 DM für Kinder eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Asyl hinzu. Dies dient der Deckung der persönlichen Be- 5636 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Ulf Fink dürfnisse des täglichen Lebens. Hinzu kommt die drohten Menschen bei uns ein menschenwürdiges ärztliche und zahnärztliche Versorgung bei akuten Leben bieten. Erkrankungen und Schmerzzuständen. Nur dann, wenn Sachleistungen nicht möglich sind, wird ein (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) um die Integrationskosten abgesenkter Regelsatz ge- zahlt. Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Es spricht jetzt die Kollegin Brigitte Lange. Das bedeutet: Menschen, die ihr Heimatland aus religiösen, politischen oder ethnischen Gründen ver- lassen müssen, können auch in Zukunft in Deutsch- Brigitte Lange (SPD): Frau Präsidentin! Meine Da- land menschenwürdig leben. men und Herren! Gäbe es einen Preis für Schönfär- berei bei der Begründung von Gesetzestexten und Nun zur Arbeitslosenhilfe: Die Arbeitslosenhilfe einen für Rücksichtslosigkeit gegenüber sozial be- ist eine besondere staatliche Fürsorgeleistung für Ar- nachteiligten Gruppen in unserer Gesellschaft, die beitnehmer. Anspruch auf Arbeitslosenhilfe haben Bundesregierung bekäme beide. gegenwärtig aber auch solche Arbeitslosen, die vor der Arbeitslosenmeldung nicht oder nur kurze Zeit (Beifall bei der SPD und der PDS — Wider- Arbeitnehmer waren. Sie sollen künftig nicht mehr spruch bei der CDU/CSU) die besondere staatliche Fürsorgeleistung für Arbeit- Dieser Gesetzentwurf heute ist dafür wieder ein nehmer erhalten, sondern in dem System gesichert schönes Beispiel. So sprechen Sie in Ihrer Zielset- werden, dem sie vor der Arbeitslosigkeit angehört zung für die Änderung von drei Gesetzen von einer haben. „Weiterentwicklung" des Asylbewerberleistungsge- Die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe setzes und verbergen hinter dieser Beg rifflichkeit die wird zu erheblichen Minderausgaben des Bundes dreifach verlängerte zeitliche Ausgrenzung von mehr führen und damit einen wichtigen Beitrag zur Haus- Flüchtlingen als bisher aus dem untersten sozialen haltskonsolidierung leisten. Netz, dem BSHG. Sie äußern sich besorgt um die „Funktion" der Arbeitslosenhilfe als einer besonde- Nun zum dritten Komplex: Durch das Gesetz zur ren staatlichen Fürsorgeleistung für Arbeitnehmer Regionalisierung des öffentlichen Personennahver- und kaschieren damit schlicht die Streichung der kehrs geht zum 1. Januar 1996 die Verantwortung originären Arbeitslosenhilfe, die Verschiebung von für den öffentlichen Personennahverkehr auf die arbeitslosen Menschen in die Sozialhilfe und die er- Länder über. Sie erhalten zur Finanzierung dieser neute zusätzliche Belastung kommunaler Haushalte. Aufgabe finanzielle Zuweisungen aus dem Mineral- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da haben Sie ölsteueraufkommen. Zu diesen finanziellen Lasten nicht zugehört, was vorher gesagt wurde!) gehören natürlich auch die Kosten, die im Zusam- menhang mit der unentgeltlichen Beförderung Sie weisen zur Änderung des Schwerbehinderten- Schwerbehinderter entstehen. Die ausschließliche gesetzes auf die „Aufgabe der Daseinsvorsorge" der Verantwortung der Länder muß auch im Schwerbe- Länder hin und meinen nichts anderes als die Ko- hindertengesetz nachvollzogen werden. stenverlagerung vom Bund auf die Kommunen. Die Zielsetzung dieses Gesetzentwurfes läßt sich aber Ich denke, es ist gut, daß diese drei Komplexe in mit einem einfachen Satz zusammenfassen: Der einem Gesetzentwurf behandelt werden; denn das Bund will eine Milliarde DM sparen, und zwar zu La- zeigt, daß der Bund sich der finanziellen Zusammen- sten von Arbeitslosen und Flüchtlingen, womit er hänge sehr wohl bewußt ist. Verantwortungsbe- sich wieder einmal besonders „privilegierte" Grup- wußte Politik heißt, die Verantwortung gerecht zu pen heraussucht, und zu Lasten der Kommunen und verteilen, aber auch dafür zu sorgen, daß diese La- Länder. Das Schicksal von Menschen machen Sie zur sten auch getragen werden können. Verhandlungsmasse: Flüchtlinge gegen Arbeitslose. Es wird mit Sicherheit eine Debatte darüber ge- Der skandalöse Deal lautet: Wir, der Bund, kürzen ben, ob die Neuregelung für Asylbewerber und an- die Ausgaben für Flüchtlinge um den Betrag, den die dere Ausländer gerechtfertigt ist. Kommunen und die Länder für die Mehrausgaben (Zuruf von der SPD: Ja, allerdings!) für Arbeitslose und für die Übernahme der Erstat- tung von Fahrgeldausfällen für Schwerbehinderte im Zu dieser Debatte gehört dann aber auch der Hin- Nahverkehr brauchen. Diese Art Kompensationsge- weis, daß diese Neuregelung von der Mehrzahl der schäft war es also, die Minister Seehofer einen „an- Bundesländer und den Flüchtlingsverwaltungen gemessenen Ausgleich" für die Kommunen nannte, selbst gefordert worden ist. als wir in der ersten Lesung zur Änderung des BSHG vor weiteren Verschärfungen und Kürzungen im Der Grundsatz, daß alle Menschen, die zu uns AFG warnten. Die Streichung der originären Arbeits- kommen, eine gesicherte Existenz haben sollen, losethilfe betrifft ca. 38 000 Arbeitslose, vor allem wenn sie in ihren Heimatländern aus politischen, re- junge Leute, die nach ihrer Schul-, Hochschul- und ligiösen und ethnischen Gründen verfolgt werden, Berufsausbildung keine Stelle finden. Auf sie wartet bleibt für uns unantastbar. Dies ist nicht überall in als deprimierender Sta rt ins Berufsleben eine steile der Welt selbstverständlich. In vielen Ländern leben Rutschbahn in die Sozialhilfe. Flüchtlinge in einem unbeschreiblichen Elend. Trotz der notwendigen Veränderungen werden wir auch in Sozialpolitisch völlig unverantwortlich ist die Strei- Zukunft in Deutschland sagen können, daß wir be- chung der originären Arbeitslosenhilfe für diejeni- Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5637

Brigitte Lange gen, die fünf Monate und mehr, aber noch keine In sehr zähen Verhandlungen mit Ihnen konnten zwölf Monate Beiträge gezahlt haben. wir durchsetzen, daß ausschließlich Asylbewerber und abgelehnte Asylsuchende, deren Ausreise sich (Beifall bei der SPD) aus eigenem Verschulden verzögerte, unter dieses Leistungsgesetz fielen. Die Befristung auf zwölf Mo- Gerade angesichts der zunehmenden Zahl befristeter nate „abgesenkten Leistungsbezugs" war für uns und ungesicherter Arbeitsverhältnisse dürfen diese schon ein harter Kompromiß, verbunden mit der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nicht vom Be- Hoffnung, daß zügigere Verfahren diese F rist unter- zug von Lohnersatzleistungen ausgeschlossen wer- schreiten würden. Diese Unterschreitung trifft für den. viele offensichtlich unbegründete Asylbegehren zu, Mit dieser Salamitaktik - erst die Begrenzung der für alle anderen, d. h. in der Regel für diejenigen, die originären Arbeitslosenhilfe auf ein Jahr, jetzt die schließlich nach einem Verfahren anerkannt werden, völlige Streichung - entzieht sich die Bundesregie- nicht. rung der Verantwortung für ihre eigene Politik und Die hohe Belastung der Verwaltungsgerichte mit schiebt sie an die Kommunen weiter. Das bedeutet unbearbeiteten Rechtsschutzbegehren aus vergan- für die kommunalen Haushalte 600 Millionen DM genen Jahren verzögert noch immer eine zügige Be- Mehrausgaben und für die Betroffenen schlechtere arbeitung neu eingehender Rechtsschutzanträge. Konditionen als im AFG: zum Teil bei der Höhe der Das ist aber nicht den Asylbewerbern anzulasten. Leistungen, weil die Bemessungsgrundlage eine un- terschiedliche ist - einmal der Bedarf, einmal das Den Bezieherkreis zu erweitern und den einge- letzte Nettoentgelt -, aber immer bei der Anrech- schränkten Leistungsbezug zu verlängern ist der nung von Vermögen, bevor Anspruch auf Sozialhilfe schlechteste Weg, um Kosten zu mindern. Er schadet besteht. Das bedeutet auch immer im Vergleich zum extrem den Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, AFG verschärfte Zumutbarkeitsanforderungen bei und gefährdet den gerade in dieser Frage sehr Beschäftigungen, die weder tarifgerecht entlohnt brüchigen Frieden. noch sozialversicherungspflichtig sein müssen, ver- knüpft mit Leistungskürzungen bei Ablehnung. Es Wenn es Ihnen ausschließlich um die Senkung der bedeutet für die Betroffenen weniger Fördermöglich- Ausgaben geht, die noch immer Länder und Kommu- keiten nach dem AFG, als wenn sie Arbeitslosenhilfe nen allein zu tragen haben, dann überlegen Sie mit bekämen. uns, ob das Beharren auf Sachleistungen fast um je- den Preis vernünftig ist. Wie jeder Kundige weiß, ist Diesen massiven Angriff auf das Selbstwertgefühl die Gewährung von Sachleistungen um etliches teu- der Menschen, die arbeiten wollen, aber auch auf die rer als Geldleistungen. kommunale Selbstverwaltung mit der „fehlenden Be- zugsnähe zum Arbeitsmarkt" zu rechtfertigen ist (Beifall bei der SPD) eine unredliche Zumutung für uns und für die Betrof- Hier könnte die Stärkung der Autonomie der Men- fenen ein Hohn. schen, die zur Menschenwürde gehört, mit Einspa- (Beifall bei der SPD und der PDS) rungen verbunden werden.

Der Vorschlag, die originäre Arbeitslosenhilfe zu Wenn es Ihnen tatsächlich nur um die Kosten streichen, ist nicht akzeptabel. geht, dann stimmen Sie unserem Antrag zur Altfall- regelung zu, der Gerichte entlastet, die Verfahrens- Mit der Ausweitung des Personenkreises um die dauer neuer Anträge verkürzt, Kosten spart und für Gruppe der geduldeten Ausländer und die Ausdeh- die auf Entscheidung harrenden Menschen huma- nung der Befristung auf 36 Monate abgesenkten Lei- ner ist. stungsbezugs aus dem Asylbewerberleistungsgesetz Wenn es Ihnen um die Entlastung der Kommunen verletzen und gefährden Sie den mühsam gefunde- und Länder geht, dann regeln Sie endlich den bisher nen und für uns bis an die Schmerzgrenze gehenden nicht umgesetzten Teil des Asylkompromisses, der Asylkompromiß. Sie revidieren mit Ihrem Gesetz ge- Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge betrifft. Ermög- nau die Verhandlungsergebnisse, die für uns unver- lichen Sie die Anwendung des § 32 a des Ausländer- zichtbare Bedingungen waren und sind. gesetzes, ( [Berlin] [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall der Abg. Ingrid Matthäus-Maier GRÜNEN]: Das kommt davon, wenn man [SPD]) sich mit denen einläßt!) der diesen Menschen einen besonderen Aufenthalts- - Ja, das merken wir langsam. status zusichert! Übernehmen Sie wenigstens einen Sie setzten sich damals mit dem Argument der Ab- Teil der Kosten! Darauf warten Länder und Kommu- schreckung und des Mißbrauches durch. Wir schei- nen bis heute vergebens. terten an Ihnen mit dem Argument der ungeteilten (Beifall bei der SPD) Menschenwürde, die wir durch A rt und Höhe der Leistung gefährdet sahen und sehen. Praktische Er- Art. 1 unseres Grundgesetzes ist Verpflichtung und fahrungen mit diesem Gesetz - eine zum Teil sehr Auftrag. In allem, was wir von hier aus beschließen, problematische Handhabung - haben diese Beden- muß er für alle Menschen in unserem Land real er- ken eher bestätigt. fahrbar sein. Die vielzitierte Standortfrage kann nicht 5638 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Brigitte Lange an diesem Artikel vorbei beantwortet werden. Das Ausmaß zu Bedürftigen. Dann sprechen Sie einem gilt auch für den Umgang mit Flüchtlingen. Teil dieser Flüchtlinge die Bedürftigkeit ab und ge- ben ihnen nur gekürzte Leistungen. Zwei Jahre spä- Danke. ter reden Sie euphemistisch davon, daß doch alle (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne Flüchtlinge gleich behandelt werden müßten, ja, Sie ten der PDS) führen sogar „die Betroffenen" ins Feld, die angeb- lich kein Verständnis für Ungleichbehandlung hät- ten. Auf so etwas muß man erst einmal kommen: die Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Jetzt hat die Betroffenen dafür in Anspruch zu nehmen, daß alle Kollegin Andrea Fischer das Wort. gleich schlecht behandelt werden wollen. „Gleich- behandlung" ist nicht zwangsläufig ein positiver Be- Andrea Fischer (Berlin) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- griff. Sie machen das hier sehr deutlich, wenn Sie NEN): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! eine Gleichbehandlung in Unrecht schaffen wollen. Nach 13 Jahren CDU-F.D.P.-Regierung glaubt man sich gegen Ihre Maßnahmen doch schon ziemlich ab- Mit Ihren Maßnahmen treffen Sie Menschen, die gehärtet. Dieses Vorhaben hat mich aber wirklich er- nicht aus eigenem Verschulden jahrelang auf eine schüttert; das muß ich schon sagen. Entscheidung ihres Asylverfahrens warten müssen. Es sind nämlich gerade die offensichtlich begründe- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie sind ja ten Anträge, die über Jahre hinweg nicht entschie- noch nicht so lange dabei!) den werden. Sie können doch nicht die Flüchtlinge dafür bestrafen, daß die Behörden und Gerichte säu- Sie wollen die originäre Arbeitslosenhilfe abschaf- mig sind. fen und sich aus der Finanzierung der Fahrtkosten für Schwerstbehinderte zurückziehen. Damit die Aber Ihr Vorhaben ist ja nicht nur moralisch ver- ohnehin gebeutelten Kommunen dagegen nicht zu werflich. Es ist darüber hinaus auch noch ökonomi- laut protestieren, wollen Sie kompensieren, indem scher Unfug, wie Sie sicherlich wissen. In der Be- Sie bei den Flüchtlingen sparen. Das, so finde ich, ist gründung Ihres Gesetzentwurfes kalkulieren Sie mit schon ausgeklügelte Perfidie: eine Umverteilung 250 Millionen DM Verwaltungskosten, die die aus- zwischen Arbeitslosen, Behinderten und Flüchtlin- geweitete Sachleistungsgewährung zusätzlich ver- gen. Erzählen Sie uns bitte nie wieder, Sie wollten schlingt. Das heißt, Sie nehmen in Kauf, daß ein den Sozialstaat zugunsten der wirklich Bedürftigen Fünftel des von Ihnen vorgesehenen Einsparpoten- umbauen! tials für sinnlosen Verwaltungsaufwand draufgeht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Seehofer, wenn Ihnen ein Wohlfahrtsverband und bei der SPD sowie bei Abgeordneten einen so hohen Verwaltungskostenanteil präsen- der PDS) tierte, wären Sie doch der erste, der die Zusammen- arbeit kündigen würde. SPD, CDU und F.D.P. haben 1993 ein Leistungssy- stem unterhalb der Sozialhilfe eingeführt. Das ist in Angesichts der spiralförmigen Ausweitung der ver- meinen Augen noch immer ein Sündenfall wider das minderten Leistungsgewährung auf immer mehr Sozialstaatsgebot; denn wenn Menschen auf der Flüchtlinge wird sich der vermeintliche Erfolg, den Flucht zu uns kommen, dann müssen sie von uns die F.D.P. hier vorweisen will, bald als Strohfeuer er- auch anständig behandelt werden. weisen. Spätestens in einem Jahr wird die Schamfrist vorbei sein, und weitere Menschen werden in die ab- Begründet wurde diese Schlechterstellung von solute Armut getrieben. Flüchtlingen damals damit, daß sie ja nur kurzzeitig hier seien. Abgesehen davon, daß dies schon damals Ihrem weinerlichen Protest, meine Kolleginnen kein akzeptables Argument war, definieren Sie jetzt und Kollegen von der SPD, trauen wir nicht für fünf in Ihrem neuen Gesetzentwurf einen kurzzeitigen Pfennig. Aufenthalt als „bis zu drei Jahren" . Drei Jahre lang also sollen 260 000 Menschen nicht frei über ihre Er- (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Vorsicht!) nährung entscheiden können, drei Jahre lang sollen sie keine angemessene medizinische Betreuung er- Sie haben sich am Asylbewerberleistungsgesetz be- fahren. teiligt. Sie waren dabei, als der sozialstaatliche Kon- Ich denke, mit dieser beispiellosen Diskriminie- sens auf Kosten der Flüchtlinge aufgekündigt wurde. rung einer Bevölkerungsgruppe verspielen Sie jede Also werden Sie auch hier wieder einknicken und Legitimation als Sozialpolitiker. schließlich mit Herrn Seehofer gemeinsam gemeine - Sache machen. Immerhin hat der niedersächsische (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Innenminister Glogowski - meiner Kenntnis nach ein sowie bei Abgeordneten der SPD und der Parteifreund von Ihnen - Herrn Seehofer bereits PDS) schriftlich aufgefordert, doch endlich einmal mit dem Es ist doch gerade der Sinn der Sozialpolitik, die Inte- Gesetz in die Puschen zu kommen, das auf Kosten gration aller in die Gesellschaft zu leisten, gerade der Flüchtlinge sparen soll. auch der Schwachen. Wir Bündnisgrüne werden uns an dieser Koalition Sie aber machen die Flüchtlinge durch Arbeits- der Ausländerfeindschaft nicht beteiligen und wei- verbote überhaupt erst in dem von Ihnen beklagten terhin dafür kämpfen, daß Flüchtlinge genauso wie Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5639

Andrea Fischer (Berlin) alle anderen Menschen in Deutschland behandelt und das halte ich wirklich für wichtig, denn erinnern werden. wir uns doch: Wir wollten für sie einen Sonderstatus haben, der nicht ausgefüllt worden ist, und das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN liegt doch nicht allein beim Bund, Frau Kollegin und bei der PDS) Matthäus-Maier.

Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- jetzt die Kollegin Schmalz-Jacobsen. ten der CDU/CSU) Das liegt an der mangelnden Verhandlungsbereit- Cornelia Schmalz-Jacobsen (F.D.P.): Frau Präsi- schaft und Starrheit beider Seiten, aber da kann man dentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir disku- nicht die Bürgerkriegsflüchtlinge sozusagen bestra- tieren hier vor dem Hintergrund großer finanzieller fen und sagen: Ihr bekommt keinen Sonderstatus, Engpässe bei Bund, Ländern und Gemeinden. Die der ausgefüllt ist, aber dafür geringere Leistungen. - Sparzwänge machen es notwendig, alle sozialen Lei- Außerdem war die „Philosophie" eine ganz andere. stungen auf den Prüfstand zu stellen. Auch wenn Sie Meine Redezeit reicht nicht aus, das zu erklären. es vielleicht mühsam finden, mir dies abzunehmen: Es sind die Inhaber einer Aufenthaltsbefugnis Es fällt besonders schwer, dies am unteren Ende der nicht betroffen - das sind auch Menschen, die vor- Leiter zu tun, denn wir können nicht nur von Zahlen übergehend hier sind -, und eine weitere Kumulie- reden, wir reden auch von Menschen. Mit Verlaub, rung mit abgesenkten Leistungen ist ausgeschlossen es sind Menschen, denen ich öfter begegne als man- worden. che andere, die hier im Hause sitzen. Dennoch muß man abwägen, und man muß schließlich einen Kom- Ich will eines sagen. Bei der Frage der Sachleistun- promiß finden, denn es sind sehr unterschiedliche In- gen, wo ja „im Regelfall" steht, werden die Länder teressen zu wahren. Es sind die Interessen der ver- und Gemeinden, die das heute schon tun, interes- schiedenen politischen Ebenen zu wahren. Es sind sante und kreative Lösungen weiter verfolgen kön- die Interessen der verschiedenen Menschen, die in nen. Ich möchte das nicht vertiefen. Wer Interesse diesem Land leben, zu berücksichtigen. hat, der weiß, wie das geht. Bitte erlauben Sie mir, daß ich eine Bemerkung in Ich möchte Sie aber bitten, eines zur Kenntnis zu eigener Sache mache. Ich persönlich werde sehr nehmen. Das will ich hier in aller Deutlichkeit sagen. stark angegangen von christlichen und anderen Ver- Wir verfahren künftig ganz ähnlich und zum Teil bänden und Vereinigungen. Das war nicht anders zu sogar immer noch großzügiger, als unsere euro- erwarten. Aber ich will Ihnen hier sagen: Ich habe päischen Nachbarländer das tun. Selbstverständlich mir sehr gründlich überlegt, ob ich mich aus diesem orientiert sich die Hilfe für Bedürftige an der Wirt- schwierigen Thema heraushalten soll, ob ich abwar- schaftskraft eines Landes, und ich habe zu Beginn ten soll, um mich hinterher enttäuscht zu zeigen und von den Sparzwängen gesprochen. meine Hände in Unschuld zu waschen. Das wäre me- dienwirksam und bequem; ehrlich wäre es nicht. Es muß doch auch noch einmal gesagt werden, daß die Bundesrepublik einfach die weitaus größte Zahl (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) von Flüchtlingen und Asylbewerbern aufgenommen Ich habe den etwas unbequemeren Weg gewählt hat und aufnimmt. Ich will Ihnen das nur sagen: Im und meinen Standpunkt sehr deutlich in die Ver- März 1995 waren es bei uns 350 000 Flüchtlinge; bei handlungen eingebracht. den Asylbewerbern haben wir im vergangenen Jahr - und das waren weniger als vorher - 127 000 aufge- Mir ging es darum, den Kreis derjenigen, die abge- nommen, in den letzten fünf Jahren 1 337 000. Die senkte Leistungen erhalten, so klein wie irgend mög- nächsten in dieser Reihenfolge sind dann die Schwe- lich zu halten. Das ist mir und meiner Fraktion gelun- den, deren Land natürlich viel kleiner ist, aber sie ha- gen, übrigens auch gegen die Signale, die im Vorfeld ben nicht einmal 200 000 Asylbewerber aufgenom- gerade auch SPD-regierte Länder und Städte ein- men. Ich denke, es ist schon wichtig, diese Zahlen stimmig, wie ich gehört habe, ins Feld geführt haben. zur Kenntnis zu nehmen. (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Aha! Das ist interes (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- sant zu hören!) ten der CDU/CSU) Darum, wenn Sie, meine Kolleginnen und Kollegen Meine Kolleginnen und Kollegen, es wird auch in von der SPD, die Hände über dem Kopf zusammen- Zukunft kein Ausländerleistungsgesetz geben, das schlagen, dann tun Sie das bitte nur mit ganz leisem für alle, die hier nur vorübergehend leben, Gültigkeit - Geklapper, denn es ist nicht ganz ehrlich. hat, und dies, mit Verlaub, weiß auch Herr Minister (Beifall bei der F.D.P., der CDU/CSU und Seehofer sehr genau. dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Das ist doch alles nicht leicht, und zwar für nieman- ten der CDU/CSU - Andrea Fischer [Berlin] den. Das braucht doch keiner zu denken. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir hoffen!) Am Ende haben wir einen Kompromiß erzielt, der die Bürgerkriegsflüchtlinge nicht einbezieht, Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Das Wort hat (Beifall bei der F.D.P.) jetzt die Abgeordnete Heidi Knake-Werner. 5640 Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Frau Präsidentin! Asylbewerber im ersten Aufenthaltsjahr bleiben Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Fink hat würde. sich ja zu Beginn seiner Rede darüber gefreut, daß er mit dieser Gesetzesvorlage den Kommunen gegen- Es mußte Ihnen klar sein, daß die seinerzeitige For- über sein Sparversprechen einhalten konnte. Ich mulierung des Familienausschusses, daß bei einem frage mich manchmal, lieber Kollege, ob Sie eigent- längeren Aufenthalt „nicht mehr auf einen geringe- lich auch im Blick haben, daß es dabei um Menschen ren Bedarf abgestellt werden kann", bei dieser Re- geht, um Menschen mit Schwerstbehinderungen, um gierung nicht Bestand haben würde. Auch Ihre Lan- Flüchtlinge, um Arbeitslose. Hoffentlich gerät Ihnen desminister haben da keine besonders rühmliche das nicht immer aus Ihren Zusammenhängen. Rolle gespielt. Ich jedenfalls kann für die PDS erklären, daß für Ich hoffe, daß wir gemeinsam zu dem Grundsatz uns der vorgelegte Gesetzentwurf absolut unakzep- zurückkehren können, daß die Menschenwürde in tabel ist. Wir wissen uns mit vielen Menschen einig, diesem Lande unteilbar ist. Ich finde, Sie sollten sich die sich über die permanente Aushöhlung des So- nicht länger an dem Spiel der Regierung beteiligen, zialstaates Sorgen machen und tief empört sind. die Integrationskosten - wie sich der Minister aus- drückt - für die eine Gruppe gegen die der anderen In dankenswerter Offenheit bietet die Koalition aufzurechnen. Dieses Politikkonzept spielt eine den Ländern und Gemeinden einen, wie ich finde, schwache Bevölkerungsgruppe gegen die andere ziemlich unappetitlichen Deal an. Laßt uns bei den aus. Es handelt sich - das sage ich mit allem Nach- ungelittenen Flüchtlingen, Migranten und Migran- druck - um einen bürokratisch durchgestylten staat- tinnen noch mehr streichen, dann könnt ihr auch un- lichen Rassismus, der Neid, Haß und Gewalt in die sere Abschiebung von Arbeitslosen in die Sozialhilfe Gesellschaft trägt und schürt. finanziell verkraften. (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Na, na, na!) (Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie was gegen Flüchtlinge? Frechheit!) Die Bundesregierung kürzt nicht nur, sie meißelt an den Fundamenten dieser Gesellschaft. An dieser Scheinbar werden hier nur finanzielle Größen hin- Politik will sich die PDS nicht beteiligen. und hergeschoben, doch tatsächlich findet ein Scha- cher mit dem Schicksal und den Lebensmöglichkei- (Beifall bei der PDS - Zuruf von der SPD: ten von Hunderttausenden von Menschen in diesem Das ist auch besser so!) Lande statt. (Zuruf von der CDU/CSU: Sie wagen von Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Ich schließe da- Schacher zu sprechen, ausgerechnet Sie!) mit die Aussprache. Allein schon die Ausführungen in der Begründung Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz- des Gesetzentwurfes sind ein sozial- und gesell- entwurfes auf Drucksache 13/2746 an die in der schaftspolitischer Skandal. Aber ich sage auch: Diese Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Entwicklung war vorauszusehen. Jeder, der die Poli- gen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist tik dieser Regierung über längere Zeit beobachtet, nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlos- weiß, daß eines ihrer zentralen Politikkonzepte lau- sen. tet: die soziale Spaltung vertiefen, schon dadurch, daß die sozial Schwächsten allein die Misere der Wir sind damit - sehr spät - am Schluß unserer Staatsfinanzen ausbaden sollen. Tagesordnung. Als Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun- SPD - auch ich möchte Ihnen das nicht ersparen -, destages auf Dienstag, 7. November 1995, 14 Uhr sich 1993 im Rahmen des großen Asylkompromisses ein. auf das Asylbewerberleistungsgesetz einließen, hät- Die Sitzung ist geschlossen. ten Sie eigentlich wissen können, daß es nicht bei den Leistungskürzungen und Sachleistungen für (Schluß der Sitzung: 16.27 Uhr) Deutscher Bundestag - 13. Wahlperiode - 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995 5641*

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Liste der entschuldigten Abgeordneten Thiele, Carl-Ludwig F.D.P. 27. 10. 95 entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Thieser, Dietmar SPD 27. 10. 95 Tippach, Steffen PDS 27. 10. 95 Antretter, Robe rt SPD 27. 10.95 Titze-Stecher, Uta SPD 27. 10. 95 Barthel, Klaus SPD 27. 10. 95 Vogt (Düren), Wolfgang CDU/CSU 27. 10. 95 Blunck, Lilo SPD 27. 10. 95 Dr. Warnke, Jürgen CDU/CSU 27. 10. 95 Conradi, Peter SPD 27. 10. 95 Zierer, Benno CDU/CSU 27. 10. 95 * Dietert-Scheuer, Amke BÜNDNIS 27. 10. 95 90/DIE GRÜNEN *für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Dr. Dobberthien, SPD 27. 10. 95 sammlung des Europarates Marliese **für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Günther (Plauen), F.D.P. 27. 10. 95 Joachim Dr. Hartenstein, Liesel SPD 27. 10. 95 Hempelmann, Rolf SPD 27. 10. 95 Hörsken, Heinz-Adolf CDU/CSU 27. 10. 95 Anlage 2

Dr. Jacob, Willibald PDS 27. 10. 95 Amtliche Mitteilungen Jüttemann, Gerhard PDS 27. 10. 95 Der Bundesrat hat in seiner 689. Sitzung am 13. Oktober 1995 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. Kuhn, Werner CDU/CSU 27. 10. 95 einen Antrag gemäß § 77 Abs. 2 GG nicht zu stellen: Lengsfeld, Vera BÜNDNIS 27. 10. 95 - Achtzehntes Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengeset- 90/DIE zes und Fünfzehntes Gesetz zur Änderung des Europaabge- GRÜNEN ordnetengesetzes - Gesetz zu dem Vertrag vom 26. Mai 1993 zwischen der Bun- Marten, Günter CDU/CSU 27. 10. 95 ** desrepublik Deutschland und dem Königreich Thailand über die Überstellung von Straftätern und über die Zusam- Meißner, Herbert SPD 27. 10. 95 menarbeit bei der Vollstreckung von Strafurteilen Neumann (Berlin), Kurt SPD 27. 10. 95 - Gesetz zu den Protokollen vom 19. Dezember 1988 betref- fend die Auslegung des Übereinkommens vom 19. Juni 1980 Dr. Pinger, Winfried CDU/CSU 27. 10. 95 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwenden- de Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemein- Dr. Reinartz, Bertold CDU/CSU 27. 10.95 schaften sowie zur Übertragung bestimmter Zuständigkei- ten für die Auslegung dieses Übereinkommens auf den Schaich-Walch, Gudrun SPD 27. 10. 95 Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Scheel, Christine BÜNDNIS 27. 10. 95 Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit Schreiben vom 25. Oktober 1995 folgende Vorlagen zurückgezogen: 90/DIE GRÜNEN - Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesverfas- sungsgerichtsgesetzes (Wahl der Richter und Richterinnen) Schlauch, Rezzo BÜNDNIS 27. 10. 95 - Drucksache 13/1626 - 90/DIE - Antrag: Einsetzung einer Enquete-Kommission „Schutz des GRÜNEN Menschen und der Umwelt - Wege zu einem dauerhaft umweltverträglichen Umgang mit Stoffen und Energien" Schmidt (Mülheim), CDU/CSU 27. 10. 95 - Drucksache 13/98 - Andreas - Antrag: Das Meer ist keine Müllhalde - Drucksache 13/1727 - Schmitz (Baesweiler), CDU/CSU 27. 10. 95 Hans Peter Die Vorsitzenden folgender Ausschüsse haben mitgeteilt, daß der Ausschuß gemäß § 80 Abs. 3 Satz 2 der Geschäftsordnung Schultz (Everswinkel), SPD 27. 10. 95 von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen Reinhard absieht: Ausschuß für Wirtschaft Schumann, Ilse SPD 27. 10. 95 Drucksachen 13/1376, 13/1787 Nr. 1.1 Steindor, Marina BÜNDNIS 27. 10. 95 90/DIE Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung GRÜNEN Drucksachen 12/6960, 13/725 Nr. 132 5642* Deutscher Bundestag — 13. Wahlperiode — 65. Sitzung. Bonn, Freitag, den 27. Oktober 1995

Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Ausschuß für Wirtschaft und Entwicklung Drucksache 13/1338 Nr. 2.2 Drucksachen 12/7063, 13/725, Nr. 174 Drucksache 13/1442 Nr. 1.4 Drucksache 13/1799 Nr. 2.4 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitge- Drucksache 13/2306 Nr. 2.27 teilt, daß der Ausschuß nachstehenden EU-Vorlagen bzw. Un- terrichtungen durch das Europäische Parlament zur Kenntnis Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung genommen oder von einer Beratung abgesehen haben. Drucksache 13/725 Nr. 137 Auswärtiger Ausschuß Drucksache 13/725 Nr. 139 Drucksache 13/269 Nr. 1.4 Drucksache 13/2306 Nr. 2.67 Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Innenausschuß Reaktorsicherheit Drucksache 13/765 Nr. 1.20 Drucksache 13/218 Nr. 98 Drucksache 13/765 Nr. 1.21 Ausschuß für die Angelegenheiten der Finanzausschuß Europäischen Union Drucksache 13/478 Nr. 1.2 Drucksache 13/1614 Nr. 2.10 Drucksache 13/1038 Nr. 15 Drucksache 13/1614 Nr. 2.11 Drucksache 13/1338 Nr. 1.6 Drucksache 13/2306 Nr. 2.13 Drucksache 13/1614 Nr. 1.9 Drucksache 13/2306 Nr. 2.61 Drucksache 13/1799 Nr. 1.1

Berichtigung Im Anhang zum stenographischen Protokoll der 53. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 8. September 1995 zu EU-Vor- lagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische Parlament ist unter dem Titel Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die Drucksachennummer 13/725, Nr. 107, Nr. 108, Nr. 112 und Nr. 124 ersatzlos zu streichen.