Hauptstadt der Tiere Die Geschichte des ältesten deutschen Clemens Maier-Wolthausen HAUPTSTADT DER TIERE Die Geschichte des ältesten deutschen Zoos Herausgegeben von Andreas Knieriem

Ch. Links Verlag Inhalt

Geleitwort des Regierenden Bürgermeisters »Jwd« – Janz weit draußen! 35 von Michael Müller 8 Knappe Kassen 36 Geleitwort des Vorsitzenden des Aufsichts- Notwendige Reformen 39 rats der Zoologischer Garten Berlin AG Frank Bruckmann 9 Die Bären sind los! 41 Vorwort Dr. med. vet. Andreas Knieriem Direktor des Zoologischen Gartens und Gründerzeit – Stadt und zur Blüte des Tierparks Berlin 10 1870 – 1900 45 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Die Giraffe Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; Einleitung – Von »Alphamännchen« Es werde Licht! 45 detaillierte bibliografische Daten sind im Internet und »Herdentieren« 13 Orient in Berlin 48 über www.dnb.de abrufbar. Der Gorilla Restaurants und Konzerte 53 Die Stadt kommt zum Zoo 55 1. Auflage, Juli 2019 Herrscher und Tiere – Der Herr Geheimrat kommt © Christoph Links Verlag GmbH Vorläufer des Berliner Zoos 19 und sammelt 60 Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Der Fasan Tel.: (030) 44 02 32-0 Tiere als Zeichen der Macht 19 Der Menschenzoo – »Völkerschauen« www.christoph-links-verlag.de; Von der fürstlichen Menagerie zum Zoo 21 im Zoologischen Garten 64 [email protected] Fasanerie und Menagerie 21 Umschlaggestaltung: Ch. Links Verlag, unter Verwen- Das Vorbild Londons 23 Weltruhm und Krise dung eines Fotos des Pandas »Meng Meng« im Zoo Berlin (Zoologischer Garten Berlin / Steffen Freiling) 1900 – 1932 71 Lektorat: Philipp Kaufmann, Ch. Links Verlag Ein Zoologischer Garten bei Berlin Das Krokodil Satz: Nadja Caspar, Ch. Links Verlag 1844 – 1870 27 An der Weltspitze 71 Druck und Bindung: Westermann Druck, Zwickau Der Asiatische Elefant Futtern und Schlemmen 75 Ein Provisorium wird eröffnet 27 Der Bau des Zoo-Aquariums 78 ISBN 978-3-96289-040-7 Zögerliche Bürger 33 Zu den Fahnen! 83 Es lebe die Republik! 85 Konkurrenz im Osten 162 Pläne schmieden 220 Ein Zoo mit Zukunft 249 Wieder Spitze – Die »Goldenen Zwanziger« 87 Endlich wieder komplett 166 Eine unwürdige Geschichte 222 Der Panda Auf dem Weg zum gitterlosen Zoo 91 Intrigen um den Zoo 167 Tierpark wird GmbH 224 Ohne Erinnerung keine Zukunft 249 Ein guter Deal – City West 170 Vergiftete Atmosphäre – Debatten um »Pandadiplomatie« – Wertvolle Bären Indienststellung – Der Berliner Zoo Ein »Jungspund« wird Zoodirektor 173 die Übernahme 225 für Berlin 252 im Zeichen des Hakenkreuzes Ein Wettrüsten? 175 Ein Heim für die dicken und die Nachhaltig unabhängig und 1933 – 1945 97 zerbrechlichen Tiere 228 gut positioniert 256 Der Wisent Der Inselzoo – Große Pläne – Noch mehr Platz 257 Sofortige Anpassung 97 Die 1960er Jahre 181 Neue Herausforderungen – Die Vertreibung der jüdischen Der Weißkopf-Seeadler Der Zoo nach der Jahrtausendwende 235 Anhang 263 Aufsichtsratsmitglieder 101 Eine Insel – Mauerbau 181 Der Kalifornische Seelöwe Anmerkungen 263 Der Zoo und das Olympiajahr 105 Im Westen viel Neues zum Jubiläum 187 Groß und klein – Alle müssen die Schulbank Archive 278 Ein »Deutscher Zoo« 107 Ein neues Hinterland für drücken 235 Abbildungsnachweis 279 »Germanisches Urwild« 111 die Löwensteppe 189 Knutmania 241 Zum Autor 280 »Juden unerwünscht« 113 Der Zoo im Kriegsdienst 117 Tierliebe oder Gedankenlosigkeit? 192 Lutz Heck und die »Ostraumpolitik« 120 Kriegswichtig – Lutz Heck nutzt Grüne Oase der Weltstadt – seine Beziehungen 123 Die 1970er und 1980er Jahre 195 Zwangsarbeit im Zoo 126 Der Plumplori Zoo in Flammen 127 Tiere der Nacht – Nachttierhaus 195 Wiederöffnung im Feuersturm 132 Süß und salzig – Der Aquariumsneubau 198 Der Zoo wird zur Kriegsfront 133 Gut vernetzt – Ein Zoodirektor und die Politik 200 Aus den Trümmern Ein Politikum erster Güte – Das Erweiterungs- 1945 – 1949 137 gelände 203 Das Flusspferd IMs im Gehege 206 Der Tag, an dem die Waffen schwiegen 137 Geteiltes Stadtjubiläum – Die 750-Jahrfeier Bestandsaufnahme 139 208 »Katharina die Große« 143 Immer wieder einen Schritt zurück 146 Tierhandel – Vom kolonialen »Selbst­ bedienungsladen« zu internationalen Zucht­ Normalisierung trotz Kalten Krieges programmen 212 1949 – 1961 151 Der Picasso-Drückerfisch Eine Stadt, zwei Zoos – Interzonale Liebe – »Grete« und Tierpark und Zoo in den 1990er Jahren 215 »Knautschke« 151 Die Kompassqualle Immer noch nur ein Schatten Kassensturm – Plötzlich zwei Zoos für alle 215 seiner selbst 154 Übergangszeit – Die Angst vor einem Ende »Shanti« heißt Frieden 155 des Tierparks 218 8 9

Geleitwort des Regierenden Bürgermeisters von Berlin Geleitwort des Vorsitzenden des Aufsichtsrats Michael Müller der Zoologischer Garten Berlin AG Frank Bruckmann

Der Zoologische Garten steht wie kaum eine In- Kolonialzeiten menschenverachtende Völker- Unser Berliner Zoo ist einmalig! Nicht nur wegen Politik, Öffentlichkeit und auch der der Besuche- stitution für unsere Stadt und ihre bewegte Ge- schauen, und dem nationalsozialistischen Re- der großen Artenvielfalt, die unsere Besucherin- rinnen und Besucher stetig wandelt, bin ich mir schichte. Seit 175 Jahren bereichert er Berlin – gime passte er sich vorbehaltlos an. Während nen und Besucher begeistert, sondern auch auf- sicher, dass wir jede Herausforderung gemein- und ist nicht von hier wegzudenken. der Teilung bekam die Stadt mit dem Tierpark grund der besonderen geografischen Lage. Denn sam meistern werden. Wir werden auch in Zu- Die Tore des Zoologischen Gartens waren in einen zweiten Zoo. Heute ist wir haben eine der wunderbarsten zoologischen kunft gemeinsam alles geben, um einen Besuch schon geöffnet, als der Bau des Roten Rathauses Berlin ein Ort der Vielfalt und der Zoologische Einrichtungen ganz Europas im Herzen der deut- in unserem Zoo zu einem unvergesslichen Erleb- noch nicht einmal begonnen hatte. Lange bot er Garten der artenreichste der Welt. Der Tierpark schen Hauptstadt. Der zoologische Garten hat nis für die ganze Familie zu machen. die einzige Möglichkeit, sich ein lebensnahes Bild ist der größte Landschaftstiergarten Europas. eine lange Tradition und zählt zu den ältesten exotischer Tiere zu machen. Heute gibt es Flug- Und auch das hat seinen festen Aktiengesellschaften der Stadt. Ich bin stolz, dass Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Stöbern und reisen und das Internet – trotzdem knackt der Platz im Herzen aller Tierliebhaber. Alle drei sind ich diese einzigartige Berliner Institution bereits Entdecken dieses wunderbaren Buches und Zoo Besucherrekorde. Viele Zoo-Bewohner sind sowohl herausragende Attraktionen für Berli- seit mehreren Jahren als Aufsichtsratsvorsitzen- ­hoffe, Ihnen damit ein bisschen das Zooerlebnis zu Berliner Ikonen geworden, von Flusspferd nerinnen und Berliner sowie Gäste als auch un­ der begleiten darf und dadurch einen Teil dieser mit nach Hause geben zu können. »Knautschke« bis Eisbär »Knut«. Nicht zuletzt verzichtbare Orte für Bildung, Forschung und langen Geschichte / Entwicklung miterlebt habe. die in Deutschland einzigartigen Riesenpandas Artenschutz. Die besondere Erfolgsgeschichte des Zoolo- Herzlichst »Meng Meng« und »Jiao Qing« lassen erwarten, gischen Gartens Berlin wäre aber nie ohne den Ihr dass er uns auch künftig viele tierische Ehren­ In den letzten Jahren zeigten unter anderem die Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bürger bescheren wird. Eröffnung des Panda Gardens und die ambitio- möglich gewesen. Nur durch ihr Herzblut und nierten Pläne für den Tierpark: Die Berliner Zoos Engagement für die Tiere und die Unterstüt- Der Zoo spiegelt unsere bewegte Geschichte gestalten mit Investitionen die Zukunft. Sie kön- zung der Aktionäre ist der Zoo heute das, was Frank Bruckmann ­wider: Auch im Zoologischen Garten gab es zu nen dabei auf kompetente und engagierte Mit­ er ist. Deshalb möchte ich mich herzlich für die arbeiterinnen und Mitarbeiter bauen – und auf ­Arbeit aller Beteiligten bedanken, die unseren die Unterstützung des Senats. Zoo so erfolgreich und zum Magnet für Gäste aus Deutschland und der ganzen Welt macht. Ich bin mir sicher: So wird der Zoobesuch auch zukünftig eine unverwechselbare Berliner Erfah- Insbesondere die jüngsten Ereignisse rund um rung bleiben. Gemeinsam mit Ihnen freue ich die Pandas zeigen, welche Bedeutung unser Zoo mich auf 175 weitere Jahre Zoo! auch in der Politik und im Artenschutz hat. Mit großer Freude denke ich an die Eröffnungsfeier des neuen Panda-Geheges zurück, wodurch un- ser Zoo noch mehr in den Fokus der Öffentlich- Michael Müller keit gerückt ist. Doch dieses gestiegene Interesse verpflichtet. Auch wenn wir ständig vor neuen Heraus- Vorsitzender des Aufsichtsrats der Zoologischer ­Garten Regierender Bürgermeister Michael Müller forderungen stehen, weil sich der Anspruch aus Berlin AG Frank Bruckmann 10 11

Vorwort Dr. med. vet. Andreas Knieriem Direktor des Zoologischen Gartens und des Tierparks Berlin

Berlin ist unverwechselbar und vielfältig – auch in Der Zoologische Garten Berlin ist aber nicht laufend verbesserte Haltungsbedingungen für zoologischer Hinsicht. Denn es kann gleich zwei nur der älteste Zoo Deutschlands, sondern auch unsere Tiere, eingebettet in ein umfangreiches berühmte zoologische Einrichtungen innerhalb mit seinen jährlich 3,5 Millionen Besucherinnen Bildungsangebot für unsere Gäste. einer Stadt vorweisen: den Zoologischen Garten und Besuchern einer der besucherstärksten­ der mit seinem Aquarium im Westteil und den Tier- Welt. Durch die Treue seiner vielen Gäste und Den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern park im Ostteil der Stadt. Der Grund hierfür liegt den vielen Spenden und Erbschaften konnte gilt im Jubiläumsjahr des Zoologischen Gartens in der überwundenen Teilung Berlins. Die Berli- er den größten Teil seiner 175 Jahre langen Ge- mein ausdrücklicher Dank. Aber ebenso den Ak- nerinnen und Berliner sind mit ihren beiden zoo- schichte unabhängig bleiben und ist dies seit tionärinnen und Aktionären. Denn für viele war logischen Einrichtungen aufgewachsen und mit geraumer Zeit wieder. Wir tragen den Großteil und ist der Besitz einer Aktie mehr eine Frage der ihnen auch stark verbunden. Heute formen diese unserer Investitionen selbst. Auch das macht den Ehre und weniger ein monetärer Wert. Einrichtungen unter dem Dach der Zoologischer Zoo Berlin als Kulturinstitution so einzig­artig. Des Weiteren gilt mein ausdrücklicher Dank Garten Berlin AG eine herausragende zoologi- Damit geht einher, dass die Zoologischer Gar- den Aufsichtsräten, die sich in der Verpflichtung sche Institution von internationaler Bedeutung, ten Berlin AG nunmehr seit 175 Jahren ihr eige- des Fortbestands dieser Gesellschaft immer für Dr. med. vet. Andreas Knieriem die ihre zahlreichen Verpflichtungen in Fragen ner Bauherr ist. Dies ist eine einzigartige Tradi­ »Ihren« Zoo und seine Belange eingesetzt haben. der Natur- und Umweltbildung ernst nimmt und tion im Vergleich zu vielen anderen zoologischen Und selbstverständlich gilt mein Dank auch den ein Artenschutzzentrum bildet, welches einer Gärten, die wechselnde Eigentumsverhältnisse vielen Persönlichkeiten auf allen Ebenen des po- Teil der Stadtgeschichte. Er ist mit ihr verwoben Hauptstadt würdig ist. in den vergangenen 150 Jahren erleben mussten. litischen Wirkens, die die besondere Bedeutung und seine Geschichte von der Entwicklung Ber- Daher bleiben besonders die baulichen Konzepte­ dieser Kulturinstitution für Berlin so vielfältig lins geprägt. Die Zoologischer Garten Berlin AG ist die äl­teste der Tierhaltung als bedeutende Dokumente der ­gefördert und begleitet haben. noch bestehende Aktiengesellschaft der Stadt. Zeitgeschichte für die kommenden Generatio- Ich wünsche eine spannende Lektüre! Viele Menschen verknüpfen damit unterschied- nen sichtbar und erzählen gleichzeitig die Ge- Es ist aber auch eine besondere Herausforderung Ihr lichste, zum Teil jahrzehntealte Erinnerungen. schichte unzähliger menschlicher und tierischer und Verantwortung, sich der eigenen Geschichte Meine erste Erinnerung an den Zoo Berlin ist Persönlichkeiten, die in diesen Anlagen gewirkt zu stellen, wie es der Zoo schon in der 2016 im der unglaubliche Reichtum der Arten, kumuliert und gelebt haben. Antilopenhaus eröffneten Ausstellung zu seiner erlebbar gemacht an einem einzigen Ort. Hinzu Geschichte getan hat. Mit diesem Buch wird nun Andreas Knieriem kommt die historische Bausubstanz, die einen Aber nichts ist so beständig wie die Verände- die begonnene Transparenz fortgesetzt. Zoobesuch zugleich zu einer Art Zeitreise macht. rung. Denn ein Zoologischer Garten wird von Für einen erschwinglichen Preis sollen ge- Man fragt sich, was die eigenen Urgroßeltern Menschen gemacht und von Menschen betrie- schichtlich interessierte Besucherinnen und wohl bei ihrem Besuch vor über 100 Jahren erlebt ben. Als Spiegelbild der Gesellschaft stehen wir Besucher dieses wissenschaftlich fundierte und haben könnten und was sie heute wiederent­ permanent im Fokus der Politik und der Öffent- spannend geschriebene Buch mit nach Hause decken würden. Diese Mischung aus Zeitreise, lichkeit und nehmen neue Anforderungen an nehmen und so nicht nur etwas über unseren Naturidylle und zoologischer Vielfalt mitten in die Tier­haltung wahr. Wir nehmen sie sogar als Zoo, sondern auch über diese Stadt erfahren einer großen Metropole ist weltweit einmalig, Heraus­forderung und als Chance zur konsequen- können. Denn, so führt uns Clemens Maier-Wolt- und dafür sind wir zu Recht weltberühmt. ten Weiterentwicklung auf und entwickeln fort- hausen eindringlich vor Augen, der Zoo ist ein 13 Einleitung – Von »Alphamännchen« und »Herdentieren«

Am 1. August 1844 öffnete der Zoologische bescheidenen Anfängen bis in die Gegenwart. Garten bei Berlin als erster moderner Zoo in Zoogeschichte ist aber immer auch mehr als nur Deutschland seine Tore. Obwohl er eine Geneh- die Geschichte einer Bildungs- und Freizeitin­ migung des preußischen Königs benötigte und stitution. In zoologischen Gärten und Tierparks Friedrich Wilhelm IV. ihn wohlwollend förderte, begegnen sich Mensch und Tier. Für die meisten war er von Anfang an auch ein Projekt der Bürger Menschen bieten sie eine der wenigen Gelegen- Berlins, die ihn als Aktionäre und Besucher un- heiten, lebenden Tieren Auge in Auge gegen- terstützten. Als neuntältester Zoo weltweit ent- überzutreten. Wie sie es tun und wie Zoos diese wickelte er sich in den folgenden Jahrzehnten zur Begegnung gestalten, sagt immer auch etwas beliebtesten Berliner Attraktion und zu einem ­darüber aus, wie wir Menschen Tiere sehen und gesellschaftlichen Mittelpunkt. in welches Verhältnis wir uns zu ihnen setzen. Der Zoo war allerdings auch ein Instrument Zoogeschichte erzählt also vor allem etwas über für kolonialpolitische Propaganda und unter- uns Menschen. schiedliche Machtinteressen. Der Preußische Hof Die meisten Bücher über Zoos zeichnen eine nutzte ihn zur Repräsentation, und auf Völker- lineare Erfolgsgeschichte der Entwicklung der schauen wurden außereuropäische Menschen Tierhaltung und des Tierwissens in ihrer Insti- ausgestellt. Während der Zeit des National­sozia­ tution. Sie beginnen mit der fürstlichen Menage- lismus wurden seine jüdischen Aktionäre ver- rie, gleichsam als Antitypus des modernen Zoos, trieben, seine Belegschaft nazifiziert. Am Ende und enden mit einer »Arche Noah«. Aber auch des Zweiten Weltkriegs lag der Hauptstadtzoo in den fürstlichen Menagerien waren die Hal- in Trümmern. Heute besuchen jährlich mehr als tungsbedingungen nicht unbedingt schlecht – drei Millionen Menschen aus dem In- und Aus- es war der systematische Zoo des 19. Jahrhun- land den Zoologischen Garten sowie das Aqua- derts, der die kleinen Gehege schuf. Auch die seit rium Berlin. der Hagenbeck’schen Revolution zu Beginn des Dieses Buch erzählt vom langen und nicht 20. Jahrhunderts geschaffenen gitterlosen An- immer geraden Weg des Zoos Berlin von seinen lagen waren nicht zwangsweise besonders tier-

Westlicher Flachland-Gorilla »Sango«, 2019 14 15

Der Gorilla freundlich, wenn sie nicht mit der entsprechend der beeinflusst wurden, wo der eine als Referenz großen Fläche für die einzelnen Arten ausgestat- für den anderen diente, müssen beide betrachtet Der Gorilla (Gorilla gorilla) ist der größte unter den tet waren. Dass die Vorstellungen von Zoodirek- werden. Das gilt auch dann, wenn die »Schlapp- Menschenaffen. Sein Verbreitungsgebiet liegt in den toren zur Zootierhaltung immer auch die Sicht hüte« der Staatssicherheit alles tun, um den Ruf Regen- und Bergwäldern Zentral­afrikas. Der Pflan- der ganzen Gesellschaft auf die Tierhaltung spie- »ihres« Zoos zu beschützen. zenfresser lebt in Gruppen von bis zu 40 Mitgliedern, geln, ist eine Binsenweisheit – aber eine, die sich Ein Buch nur über die Tierpark-Geschichte die vom stärksten Männchen, dem »Silberrücken« – zu wiederholen lohnt. muss aber noch geschrieben werden. Die vorlie- benannt nach der silbrigen Rückenbehaarung ausge- gende Publikation handelt vor allem von der äl- wachsener Gorillamännchen –, geführt werden. Die Außerdem ist die Geschichte des Berliner Zoos testen noch bestehenden zoologischen Einrich- Weibchen haben eine Tragezeit von achteinhalb bis vor allem eine Berliner Geschichte und als sol- tung Deutschlands. Das Aquarium ist hierin als neuneinhalb Monaten. Ihre Jungtiere werden dreiein- che auch deutsche Geschichte. Das beinhaltet Teil des Zoos eingebunden. halb Jahre lang gesäugt. Sie bleiben also lange mit den seine Anfänge im königlichen Preußen, seine Muttertieren zusammen. Ge­schichte als Zoo der Hauptstadt des Deut- Natürlich sollen in einem Buch über die Ge- Gorillas verständigen sich untereinander durch Brum- schen Reichs, der ersten deutschen Demokratie schichte des Zoos die Tiere nicht zu kurz kom- men oder eine Art Husten. Ihre Nahrung besteht aus zwischen 1918 und 1933, während des National- men. Die Hauptdarsteller des Zoos würden Wurzeln, Sprossen, Blättern, Rindenmark und Knol- sozialismus, als Zoo der West-Berliner Teilstadt verblassen, wenn nur historische Dokumente be- len. Die tagaktiven ­Tiere leben vor allem am Boden, und schließlich als einer der beiden Tiergärten handelt und alte Fotografien gezeigt würden. Am abends baut sich jedes Tier sein eigenes Schlafnest. der Hauptstadt der geeinten Bundesrepublik. Beginn eines jeden Kapitels wird darum je eine In ihrer Urwaldheimat sind sie durch Raubbau an Um diese Verbindung zu veranschaulichen, be- Tierart vorgestellt, die im Zoologischen Garten ­natürlichen Ressourcen und andauernde militärische findet sich am unteren Ende der meisten Seiten oder im Aquarium lebt. An diesen Tieren lassen Konflikte stark gefährdet. Gorillas machen wie alle Westlicher Flachland-Gorilla »Djambala«, 2013 ein Zeitstrahl. Auf diesem ist der Lauf der wich- sich oft beispielhaft die verschiedenen Entwick- Menschen­affen einen besonderen Eindruck auf Zoo- tigsten Ereignisse der Stadtgeschichte sowie der lungsschritte der Berliner Zoogeschichte zeigen. besucherinnen und -besucher. Ihr durchdringender und kluger Blick hebt scheinbar die Grenze zwischen Mensch und Tier auf. Hinzu kommt ihre deutlich deutschen Geschichte dargestellt. Reichsgrün- Wann wurde eine Tierart zum ersten Mal ge- sichtbare, ungeheure Kraft, obwohl die Tiere eigent- dung, Weimarer Republik, Weltkriege und Kalter zeigt? Welche Schwerpunkte, pädagogisch oder lich sehr sanft sind. Krieg, Deutsche Teilung und Einheit – all dies politisch, wurden durch die zoologischen Leitun- Der erste lebend nach Europa gebrachte Go­rilla hat einen Einfluss auf die Geschicke des Berliner gen gesetzt? So steht jede der vorgestellten Tier- »M’Pungu« traf 1876 in dem von Alfred Brehm erbau- Zoologischen Gartens gehabt. arten für eine Ära in der Berliner Zoogeschichte. ten Aquarium ein, wo er allerdings Eine Geschichte des Berliner Zoos wäre un- Sie verdeutlichen zudem die Vielfalt der in Zoo nur ein Jahr überlebte. Jahr um Jahr kamen zu Beginn vollständig, nähme sie nicht immer wieder Bezug und Aquarium lebenden Tiere. des 20. Jahrhunderts neue junge Gorillas nach Europa, auf den seit 1955 bestehenden Tierpark Berlin- Manch einer der vielen Zookenner mag In- die oft bald starben. Zu wenig wusste man noch über Friedrichsfelde im ehemaligen Ost-Berlin. Zu- formationen vermissen, sich fragen, warum die Haltungsbedingungen. Dass für den Fang eines nächst als Konkurrent im Kalten Krieg und dann denn nicht dieser oder jener Bau, dieses oder Gorillajungen eine ganze Gruppe getötet wurde, nah- als Partner, hatte und hat der Tierpark einen be- jenes besondere Tier zur Sprache kommt. Ist men alle Beteiligten in Kauf. Im Frühjahr 1928 kam sonderen Einfluss auf die Entwicklung des Zoos. denn nicht die Erstausstellung heute ausgestor- das männliche Gorillajunge »Bobby« in den Zoo. An- Seit 1993 ist die Tierpark Berlin-Friedrichsfelde bener Tiere wie des Quaggas im 19. Jahrhundert ders als so viele andere seiner Artgenossen konnte es GmbH eine Tochtergesellschaft der Zoologischer oder der erste Zuchterfolg bei den Okapis oder durch gute Pflege aufwachsen und wurde zum ersten Garten Berlin AG, und seit 2014 sind beide unter Spitzmaulnashörnern viel wichtiger als manche je in einem Zoo bis zum Mannesalter herangereiften der Leitung eines alleinigen Vorstands und Ge- scheinbar nebensächliche Anekdote? Aus zoo- Gorilla. Als »Bobby« am 1. August 1935 an einer Blind- schäftsführers vereint. Dort, wo sich die Wege logischer Sicht sind Zuchterfolge ohne jeden darmentzündung starb, wog er stattliche 262 kg. Im der beiden Tiergärten kreuzten oder voneinan- Zweifel höchst interessant. Sie sind aber keines- Garten ist er als Granitskulptur erhalten, und unzäh- lige Kinder machen Fotos mit dem großen Affen, der Westlicher Flachland-Gorilla »Sango«, 2019 seit 1961 auch das Logo des Berliner Zoos ziert. 16 17

wegs alle für dieses Buch wichtig, denn eine reine Zoo-Archiv erst aufgebaut. Zuvorderst aber sind Aufzählung zoologischer Fakten war nie das Ziel. es die unzähligen Mitarbeiterinnen und Mit­ Eine Anekdote über die Findigkeit der bislang arbeiter des Berliner Zoos, Aquariums und Tier- einzigen Frau an der Spitze des Zoos, Katharina parks, die mit Rat und Tat, Wissen und Erinne- Heinroth, zur Überwindung der Futtermittel- rungen zum Gelingen dieses Buches beigetragen knappheit während der Berliner Blockade ist für haben. Die Technikabteilung hat das Archiv ge- die Geschichte des Zoos allemal spannender als sichert und umgebaut, Akten transportiert und die lückenlose Darstellung sämtlicher Elefanten- bei der Einrichtung einer Forschungsinfrastruk- geburten in Berlin. tur geholfen. Kuratoren und Tierärzte haben ge- Was aber nicht fehlen darf, sind die vielen duldig alle Fragen beantwortet und Einblicke in Tierpersönlichkeiten der langen Berliner Zoo- ihre Arbeit ermöglicht, die Verwaltung hat den geschichte. Kein Zoobuch kommt ohne das Ele- Fremdkörper einer Dokumentationsstelle und fantenbaby »Orje«, den Gorilla »Bobby«, die den dazugehörigen Historiker in die tagtäglichen Giraffe »Rieke«, den Schimpansen »Jonny«, den Arbeitsabläufe integriert. Zu guter Letzt haben legendären Flusspferdbullen »Knautschke«, Ber- die zahlreichen, manchmal mehr, manchmal lins ersten Panda »Bao Bao« oder den Weltstar weniger sichtbaren Hände des Zoos, die sich um »Knut« aus. Ihnen allen, die vielen Berlinerinnen das Wohlbefinden der »Hauptpersonen« – der und Berlinern eng ans Herz gewachsen sind, wird Tiere – kümmern, zum Gelingen des Projekts bei- ausgiebig Platz eingeräumt. getragen: Das Team aus der Tierpflege hat mich hinter die Kulissen schauen und ihre Pfleglinge Aufsichtsrat und Vorstand der Zoologischer Gar- kennenlernen lassen. Es sind auch diese Eindrü- ten Berlin AG haben dieses Buch ermöglicht und cke, auf denen das Buch gründet. Denn am Ende großzügig unterstützt. Raphael Hartisch hat das geht es schließlich um: Tiere! Adolf Etzner: Der Zoologische Garten in Berlin aus der Vogelperspektive, 1873 19 Herrscher und Tiere – Vorläufer des Berliner Zoos

Tiere als Zeichen der Macht schenden zum Ausdruck bringen, die sich die Na- tur und fremde Länder untertan gemacht hatten. Die Haltung von »wilden« Tieren ist uralt, be- In der griechisch-römischen Antike spielten reits der vorgeschichtliche Mensch hielt diese Tierhaltungen eine geringere Rolle. Tiere wur- als »Fleischreserve« oder als Totemtiere an hei- den gehalten, um gegessen oder in Zirkusspielen ligen Orten. Aber erst die Sammlung mehre- ­gegeneinander oder auf Menschen gehetzt zu rer Tiere,­ verschiedener Spezies, vor allem zur werden. Römische Kaiser sammelten auf Heer- Schau, bildet einen Vorläufer des modernen zügen gefangene Tiere, um das Volk von ihrer Zoos. Die ersten Hinweise auf eine Wildtierhal- eigenen Bedeutung zu überzeugen. Allerdings tung zu Schauzwecken kommen aus den frühes- schufen die Herrscher der hellenistischen Ptole- ten Hochkulturen.1 Für das Alte Ägypten fanden mäerdynastie im ägyptischen Alexandria einen Forscher Spuren ­organisierter Tiersammlungen Vorgänger moderner Zoos. Im Mittel­alter wurde am Hofe der Pharaonen, aus dem zweiten Jahr- das gefangene Tier zum Zeichen der Macht. Der tausend vor unserer Zeitrechnung. Der chinesi- fränkische Kaiser Karl der ­Große unterhielt bei- sche Kaiser Wen Wang legte gegen 1150 v. u. Z. spielsweise auf mehreren seiner Pfalzen Menage- einen »Garten des Wissens« an, der eine große rien mit exotischen Tieren. Oft handelte es sich Sammlung von Tieren enthielt. Das Buch der Kö- um Geschenke von anderen Herrschern, wie die nige in der Bibel enthält Hinweise, dass König Sa- vom Abbasidenkalifen Harun ar-Raschid emp- lomon wilde Tiere hielt, und im Zweistromland fangenen Elefanten. Der Hohenstaufer-Kaiser Meso­ po­ ta­ mien,­ zwischen Euphrat und Tigris, Friedrich II. erbaute einige Tiergärten zum Stu- wurden in den sumerischen, babylonischen und dium der Tiere. assyrischen Reichen in eigens angelegten Gärten Zum ausgehenden Mittelalter schufen sich Tiere zur Schau gestellt. Die Herrscher erhielten dann immer mehr Landesfürsten Tiersammlun- Tiere als Geschenke anderer Mächtiger, oder sie gen. Sie wollten den mächtigen Herrschern nicht sammelten sie, um Untertanen und Gäste­ zu nachstehen. So entstanden weitere Sammlungen beeindrucken. Sie sollten das Ansehen der Herr- exotischer wie einheimischer Tiere, im 15. und

Edwardsfasan, 2018 20 21

Der Fasan Fasane bevorzugen halboffene Landschaften,lichte ­ 16. Jahrhundert unter anderem in Stuttgart und Wälder mit Unterwuchs oder schilfbestandene Frankfurt am Main, am Hofe der Medici-Fürsten Der Fasan (Phasianus colchicus) gehört zur Ordnung Feucht­gebiete. Hier finden sie Deckung und offene von Florenz und am Augsburger Handelshaus der Hühnervögel. Die Hähne fallen durch ihr farben- Flächen zur Nahrungssuche. Sie ernähren sich vor al- der Fugger. prächtiges Gefieder und die verlängerten Schwanz- lem von pflanzlicher Nahrung, aber auch von Insekten federn auf. Hennen zeigen zumeist eine bräunliche und anderen Kleintieren. Tarnfärbung. In ihrer ursprünglichen Heimat in einem Wild lebende Fasane waren des schmackhaften Von der fürstlichen Menagerie breiten Gürtel zwischen China und dem Kaukasus Fleischs wegen stets beliebte Jagdvögel. Die Römer zum Zoo spielen Fasane eine Rolle in Mythen und der Symbolik hielten sie als Speisevogel und verbreiteten sie in Mit- des Volksglaubens. teleuropa. Seit dem Mittelalter wurden sie an Fürs- Im Reich des französischen »Sonnenkönigs« tenhöfen oder in Klöstern in »Fasanerien« gehalten. Ludwig XIV. durften exotische Tiere nicht feh- Fasanenfedern waren zu allen Zeiten und in vielen len, und so ließ er im Park des Schlosses von Kulturen als Hutschmuck, Helmzier, an Uniformen Versailles ab 1662 eine Menagerie anlegen. Es oder Kostümen und Fächern ein modisches Acces- handelte sich um eine Reihe von strahlenförmig soire. um einen Mittelpunkt angeordneten Gehegen. Vielen Wandernden begegnen Fasane während Im Zentrum der Anlage bot ein achteckiges Ge- der Balz, wenn die Hähne ihre Reviere mit dem bäude dem Herrscher eine Rundumsicht auf charakteristischen Rufen und Flügeschlagen markie- seine Sammlung. Der »Sonnenkönig« stand hier ren. Sie paaren sich mit mehreren durchziehenden im Zentrum der von ihm unterworfenen und Hennen, die anschließend im Revier brüten. geordneten Natur. Sehen durften diese Wunder Für den Berliner Zoo, der seit jeher Fasane in einer ei- der Schöpfung selbstverständlich nur der König, genen »Fasanerie« hält, ist die Tierart eng mit seiner sein Hofstaat und ausgewählte Gäste. Die fran­ Jean Nicolas Jadot de Ville-Issey: Entwurfszeichnung Gründung verbunden, nahm er seinen Anfang doch zö­sischen Revolutionäre brachten die Tiere 1793 für die Menagerie Schönbrunn, um 1751 auf dem Gelände der königlichen Fasanerie im Tier- aus dem Versailler Schloss in den Botanischen garten. Heute bemüht er sich ganz besonders um die «. Aufzucht des Edwardsfasans. Diese nur in Vietnam Garten, den »Jardin des plantes vorkommende Art wurde im Vietnamkrieg fast aus- Gleichermaßen von Neugier und Prestige- von Ort zu Ort und stellten für einige Wochen gerottet. Insbesondere der massenhafte Einsatz des denken getrieben, entschloss sich Kaiser Franz I. ihre Tiere aus. Freilich waren die kargen Erklä- Amherstfasan Entlaubungsmittels »Agent Orange« durch US-ameri- um 1750 beim Ausbau seines Wiener Schlosses rungen oft eher von der Fantasie als vom biologi- kanische Streitkräfte hat den Lebensraum des Vogels Schönbrunn, diesem eine Sammlung exotischer schen Wissen der Schausteller ­geprägt. zerstört. Die Hoffnung ist, mittels des in Berlin geführ- Tiere nach dem Vorbild Versailles hinzuzufügen. ten Zuchtbuches die Populationen des bald wieder Wie dort wurde im Park von Schönbrunn eine in »Vietnam-Fasan« umzubenennenden Vogels so zu kreisrunde Anlage tortenstückförmiger Gehege Fasanerie und Menagerie stärken, dass Auswilderungsprogramme erfolgreich rund um ein Belvedere angelegt. Die Sammlung sind. wurde unter Kaiserin Maria Theresia ab 1778 der Wahrscheinlich haben alle brandenburgischen Öffentlichkeit zugänglich. Sie gilt als der älteste Fürsten, von den Askaniern bis zu den Hohen­ moderne Zoo der Welt. zollern, in der einen oder anderen Form Wild­ Die einzige Möglichkeit für das gemeine Volk, tiere gehalten. König Friedrich II. (der Große) sich Wildtiere anzuschauen, bestand indes über schuf 1742 eine Fasanerie im südwestlichsten Teil lange Zeit im Besuch sogenannter Wandermena- des ehemaligen Hofjagdgebietes und nun zum gerien, ziehender Tierjahrmärkte. Diese reisten Lustpark umgewandelten »Großen «.

Innenraum der Fasanerie 22 23

König Friedrich Wilhelm II. baute zwischen 1794 Tiere zu halten. Der Tierbestand wechselte häu- und 1797 die »Pfaueninsel« in der Havel südwest- fig, aber man muss sich die Menagerie alles an­ lich der Stadt zum Sommersitz aus. Sein Sohn dere als klein vorstellen. Friedrich Wilhelm III. ließ ab 1816 den späteren 1832 waren hier fast 850 Tiere untergebracht; General-Gartendirektor Peter Joseph ­Lenné ei- neben vielen einheimischen Vögeln, Fasanen nen Landschaftspark entwerfen, und die be- und Pfauen auch exotischere Tiere wie Kängu- rühmten Baumeister Karl Friedrich Schinkel und rus, mehrere Affenarten, allerlei Bären und gar Albert Dietrich Schadow planten Gebäude. Von ein Löwe.2 Zwar dienten diese Tiere vornehmlich etwa 1820 an begann der König, dort exotische dem persönlichen Vergnügen des Königs, den-

Lithographie des Regent’s Park Zoos, 1830

noch war die Menagerie an bestimmten Tagen für das allgemeine Publikum geöffnet. Der Medi- ziner Martin Hinrich Carl Lichtenstein betreute die Sammlung wissenschaftlich. Er war 1811 zum ersten Professor für Zoologie der neu gegründe- ten Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin er- nannt worden. 1813 wurde er Direktor des Zoolo- gischen Museums. Ein Spezialist also – und zwar mit ambitionierten Plänen.

Das Vorbild Londons Hinrich In London wurde 1826 die »Zoological Society Lichtenstein of London« als Gesellschaft für zoologische For- (1780 – 1857), Bimbé und Ludwig Meyer nach Wilhelm von Möllendorf: Pfaueninsel, Situationsplan und Ansichten, 1827 schung gegründet Zwei Jahre später eröffnete um 1850 24 25

1830er Jahre in seinen Plänen zur Verschönerung des Tiergartens bereits einen möglicherweise an- zulegenden Zoo. Dieser Zoo sollte auf einer Halbinsel im süd- lichen Teil des Tiergartens auf etwa zehn Hektar entstehen. Damit wäre er schon größer als der in London gewesen. Wahrscheinlich war eben- jener mit seiner Lage inmitten eines königlichen Parks für Lenné und Lichtenstein gleichwohl das Vorbild.4 Ohne königliche Erlaubnis konnte aber nichts geschehen. Und diese wurde nicht erteilt. Offenbar verblich beim Monarchen das Interesse an dem Projekt. Die Pläne Lichtensteins, Hum- boldts und Lennés mussten ruhen, bis einer der nächsten Regenten sie wieder aufgreifen würde. So lagen die Hoffnungen aller Zoofreunde auf dem Nachfolger Friedrich Wilhelm IV. Noch im Jahr von dessen Thronbesteigung zog sich Hin- rich Lichtenstein im Sommer 1840 auf Schloss Cunersdorf in Brandenburg zurück und verfasste Paul Sigmund Habelmann nach Emma Gaggiotti- dort eine Denkschrift mit dem Titel »Gedanken Richards: Alexander von Humboldt, um 1850 über die Errichtung zoologischer Gärten bei Ber- lin«. Im Herbst legte Alexander von Humboldt Peter Joseph Lenné: Verschönerungs-Plan vom Königl. Thiergarten bei Berlin von 1832. Im südlichen Teil unterhalb das Memorandum dem Monarchen vor. Dieser der Querachse ist die von Wasserläufen umschlossene Insel mit Wegen und Gehegen zu sehen. zeigte Interesse und erteilte am 31. Januar 1841 die Order, dass Lichtenstein und Humboldt sich mit Adalbert von Ladenberg aus dem Ministe­ diese in einem von der britischen Krone für einen König Friedrich Wilhelm III. im Sommer 1833 rium für geistige und Unterrichtsangelegen- nominellen Preis gepachteten Teil des Regent’s zunächst um die Finanzierung einer Studien­ heiten sowie Gartendirektor Lenné zu einem Parks einen Zoo. Zunächst war der Zutritt nur reise nach Großbritannien, offiziell, um wichtige Komitee zwecks Errrichtung eines Zoos zusam- den Mitgliedern der Gesellschaft gestattet. Erst Erkenntnisse zur Tierhaltung für die Menage- menschließen sollten.5 ab 1847 durfte die Allgemeinheit die Tiersamm- rie der Pfauen­insel zu sammeln. Der König gab lung besichtigen. seine Einwilligung, und Lichtenstein fuhr im Auch Hinrich Lichtenstein träumte von einer Herbst 1833 nach Großbritannien. Von dieser wissenschaftlichen Tiersammlung, einem Zoo­ Reise kam er überzeugter denn je zurück: Ber- lo­gi­schen Garten für Berlin, in dem ­Forschung lin sollte einen Zoo bekommen!3 Er hatte auch und Bildung zum Nutzen von Staat und Ge- schon eine Idee für den rechten Ort: den Tier- sellschaft im Vordergrund stehen sollten. Mit garten. Und er gewann einen engagierten Mit- Unterstützung des befreundeten angesehenen streiter: Der Direktor der königlichen Gärten Naturforschers Alexander von Humboldt bat er Peter Joseph Lenné berücksichtigte Anfang der 27 Ein Zoologischer Garten bei Berlin 1844 – 1870

Ein Provisorium wird eröffnet gischen ­Gartens auf dem Gelände der Fasanerie, durch eine sogenannte Kabinettsordre. In dieser Die Idee, zur des 19. Jahrhunderts auch in versprach Seine Majestät neben der unentgelt- Berlin einen Ort zu schaffen, an dem viele Men- lichen Nutzung des Geländes, der Gebäude und schen Tiere anschauen und studieren konnten, der Zäune auch die Gewährung eines Darlehens entsprach dem damaligen Zeitgeist. Bildung und in Höhe von 15 000 Thalern sowie die Aussicht, die moralische Erziehung des Menschen wa- Tiere und »Behältnisse« aus der Menagerie der ren bürgerliche Ideale und zugleich staatliche Pfaueninsel zu überlassen.2 Ziele. Für den Monarchen war der Zoo darüber Im Juli 1842 begannen die gärtnerischen hinaus eine Möglichkeit, seine Residenzstadt ­Arbeiten, und im Frühjahr 1844 kamen dann zu verschönern. Im Mai 1841 traf sich das Zoo- endlich die ersten Tiere von der Pfaueninsel nach Komitee in der Fasanerie im Großen Tiergarten Berlin. Insgesamt 47 Tiere überließ der Monarch vor dem Brandenburger Tor. Bei dieser Begehung dem Zoo als Erstausstattung, weitere wurden ­wurde beschlossen, dem König vorzuschlagen, Hinrich Lichtenstein prinzipiell zur Verfügung dass dieses Gelände und einige dort vorhan­dene gestellt. Die Anschubfinanzierung durch das für Gebäude in ein »unter dem Schutz und der Auf- fünf Jahre zinsfreie Darlehen von 15 000 Thalern sicht des Staats stehendes wissenschaftliches hatte der Monarch schon geleistet. Doch wenig Institut« einbezogen werden sollten.1 Im Ge- später musste dieses um weitere 10 000 Thaler genzug sollte der zu schaffende Zoo anfallende »zur Bestreitung der Kosten für die Errichtung Tierkadaver unentgeltlich an königliche Samm- des Affenhauses, des Llamahauses, des Behält- lungen abgeben und dem Hof ein Vorkaufsrecht nisses für große Raubthiere und für kleine Um- bei Tierverkäufen einräumen. Gelehrten sollte zäunungen, Sitzbänke und dergleichen« erhöht für Forschungen Zugang gewährt werden. Den werden.3 1844 konnte es mit dem neuen Zoo Empfehlungen des Komitees folgend, erteilte schließlich losgehen! der König am 8. September 1841 seine grund- Am 1. August 1844 eröffnete Hinrich Lichten- sätzliche Zustimmung zur Anlage eines Zoolo- stein den Zoologischen Garten bei Berlin. Um

Elefantenbulle »Victor«, 2018 28 29

Der Asiatische Elefant die Eröffnung wurde relativ wenig Aufheben ge- der gezeigten Tiere im Verhältnis zur beträchtli- macht. Lichtenstein war das einzige der vier Ko- chen Fläche eher gering. Für Jahrzehnte sollte der Elefanten gehören zweifellos zu den beliebtesten miteemitglieder, das anwesend war. Auch König 22 Hektar große Garten immerhin weltweit die ­Zootieren. Es gibt drei Arten: den Afrikanischen Ele- Friedrich Wilhelm IV. fehlte. Wenige Tage zuvor flächenmäßig größte Anlage ihrer Art sein. Der fanten (Loxodonta africana), den etwas kleineren hatte es ein Attentat auf ihn gegeben, und er »Wegweiser« durch den Zoo wies im Juni 1845 ­Afrikanischen Waldelefanten (Loxodonta cyclotis) mied die Öffentlichkeit. weniger als 100, meist einheimische Tierarten und den Asiatischen Elefanten (Elephas maximus). Der Plan von 1845 zeigt die bescheidenen An- nach. Die exotischsten Tiere waren ein Leopard, Alle drei Arten sind zu verschiedenen Zeiten, manch- fänge im Eröffnungsjahr. Inmitten der auf dem mehrere Kamele und eine kleine ­Gruppe Kän- mal auch gemeinsam im Berliner Zoologischen Gar- Areal der königlichen Fasanerie von Peter Joseph gurus.4 Die meisten kamen aus der aufgelösten ten gehalten worden. Seit Mitte der 1990er Jahre zeigt der Zoo nur eine Gruppe Asiatischer Elefanten. Die letzte »Afrikanerin« »Lilak« ging damals in den Tier- park. Elefanten sind die größten Landsäugetiere der Erde. Außerdem sind sie diejenigen Tiere mit der längsten Tragezeit. Eine Elefantenkuh trägt ihr Jungtier bis zu 22 Monate lang aus. Diese haben dann mit etwa 100 Kilogramm das höchste Geburtsgewicht aller Landsäugetiere. Aber auch in anderen Beziehungen sind Elefanten Tiere der Superlative: Sie haben zum Beispiel die meisten Skelettmuskeln in einem Organ. »Anchali« zwischen den Beinen ihrer Mutter In ihrem Rüssel finden sich mehr als 40 000 davon. »Pang Pha«, 2012 Bei den Asiatischen Elefanten haben nur die Bullen sichtbare Stoßzähne, bei den Afrikanischen Elefanten Stoßzähnen gibt es noch etwa sechs nicht sichtbare sind diese auch bei den Kühen vorhanden. Neben den Backenzähne. Diese werden im Laufe eines Elefanten- lebens gewechselt. Sie bestimmen auch die Lebens- zeit eines Tieres. Ist der sechste Zahn durch Benut- zung abgeschliffen, kann das Tier nur noch schlecht fressen. Dieses geschieht in der Regel im Alter zwi- schen 45 und 50 Jahren. Zooelefanten können bei gu- ter ­Pflege bis zu 60 Jahre alt werden. Peter Joseph Lenné: Plan des Zoologischen Gartens, 1845 Das Verbreitungsgebiet der Asiatischen Elefanten umfasste ursprünglich einen langen Streifen über ganz Südostasien und die angrenzenden Inseln. Des Lenné angelegten Gartenlandschaft standen nur ­Menagerie der Pfaueninsel. Diese kleine Aus- Raubbaus an der Natur wegen sind heute praktisch vereinzelt Gehege und einige Tierhäuser. Der Ein- wahl an Tieren wurde vielfach kritisiert, zumal alle Elefantenarten von der Ausrottung bedroht. Zu- gang zum Zoo befand sich noch auf der dem Tier- der Eintrittspreis mit fünf Silbergroschen pro Er- dem ist nach wie vor das Elfenbein der Stoßzähne ein garten und der östlich dahinterliegenden Stadt wachsenem nicht gerade günstig war. Erst Jahre begehrtes Raubgut für Wilderer. zugewandten Seite, auf der nach Süden ausge- später führte der Zoo die »billigen Sonntage« mit 13 Jahre nach der Eröffnung des Berliner Zoos richteten Karte also in der unteren linken Ecke. halbiertem Eintrittspreis ein. kam mit »Boy« 1857 der erste Elefant nach Berlin. Bei seiner Eröffnung war der Zoologische Auch erwarteten die Besucher »Erfrischun- In den letzten Jahrzehnten sind die Berliner Zooele­ Garten noch nicht fertiggestellt und die Anzahl gen«. In der Zeitung bat Hinrich Lichtenstein um fanten ­zumeist durch den Austausch mit anderen Elefantenkühe »Anchali« und »Pang Pha« beim Baden, Zoos im Rahmen internationaler Zuchtprogramme 2019 gekommen. 1840 9. November 1843 Berlins Bevölkerung ist auf 320 000 Menschen angewachsen Inkrafttreten des Preußischen Aktiengesetzes 30 31

»Gegenwärtiger Bestand der Thiere im zoologischen Garten«, 1845

Geduld: Das entsprechende Gaststättengebäude darüber hinweg zu sehen, daß an so vielen 1846 dann 14 000, aber 1847 fielen die Einnahmen tern« ausgestellt, im Winter mussten sie in die sei noch nicht fertiggestellt. Allerdings gab er be- Stellen noch Baumaterialien aufgehäuft liegen, um die Hälfte.7 Der provisorische Zustand des wenigen Zoobauten umgesiedelt werden. Was kannt, dass auf ausgewiesenen Alleen, nicht aber alte hölzerne Gebäude noch nicht abgetragen, Zoos schreckte Gäste ab, und nur wenige konn- sollte zuerst angeschafft werden, interessante in der Nähe der Käfige, geraucht werden ­dürfe. neue eben noch im Bau begriffen […].«5 ten sich zudem die hohen Ein­tritts­preise leisten. Tiere, um Gäste anzulocken, oder sollten erst Rauchen war in Berlin noch bis 1848 auf den Das Ziel des Zoos war für Hinrich Lichten- Etwa 60 000 Neugierige besuchten ihn im ersten die Häuser dafür errichtet werden? Auch Erklä- Straßen streng verboten! stein, einen »streng wissenschaftlichen Zweck« Jahr seines Bestehens, wobei die Mehrheit auf rungen waren anfangs eher spärlich. Stattdessen Vor allem aber bat Lichtenstein um Ver­ mit »einer belehrenden Unterhaltung« zu ver­ die Sommermonate fiel und allein im Juli 1845 standen Wärter am Eingang und erläuterten den ständnis: binden.6 mehr als 13 000 Besucher kamen – am »Jubilä- Besuchern die Anlage, an den Gehegen und Kä- »Es ist daher ausdrücklich zu wiederholen, Im Eröffnungsjahr kamen an manchen Tagen umssonntag«, dem 3. August 1845, fast 1400. Sie figen standen weitere Wärter für Erklärungen daß man dem Publikum ein im Entstehen mehrere Hundert Besucherinnen und Besucher, bekamen jedoch lediglich rund 120 Säugetiere,­ bereit.9 Ab April 1845 gab es einen angestellten begriffenes Institut eröffnet, daß seinen Glanz an anderen niemand. Das ausbleibende Besu- etwa 100 Vögel und 20 Amphibien zu sehen.8 »Führer«. Diesem wurde im Sommer 1845 eine erst in einer späteren Zeit erreichen kann, wenn cherinteresse und die deutlich höheren Kosten Es war wie ein Teufelskreis: Mangelnde Ein- Extragratifikation zugebilligt, damit er sich ein es eine theilnehmende Aufmunterung erfährt. als ursprünglich geplant führten schnell zu gro- nahmen bedeuteten weniger exotische Tiere paar neue Stiefel kaufen konnte, die alten waren […] Wir bitten aber, was von Thieren für jetzt ßen finanziellen Schwierigkeiten. Die Einnah- und weniger schmückende Tierhäuser. Bis in die durch die langen Fußwege mit den Besuchern darin vorhanden ist, nur als eine Ausschmückung men des ersten Jahres beliefen sich auf klägliche 1850er Jahre hinein wurden manche Raubtiere abgelaufen.10 Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieser Anlage zu betrachten und zunächst 4700 Thaler. Im Folgejahr waren es 9300 Thaler, während des Sommers in offenen »Tierbehäl- manche Wärter in Erwartung eines höheren

Juni 1844 26. Juli 1844 1845 – 1850 Weberaufstand in Schlesien Attentat auf Friedrich Wilhelm IV. Landwehrkanal wird angelegt 32 33

Trinkgelds gerne auch übertriebene Anekdoten »Informationen« zeigen, dass Lichtenstein und rem ein Krabbenfresser, ein südamerikanischer ropäischen Tiersammlung gezeigt. Spektakulär, erzählten. seine Kollegen insbesondere bei den exotischen Wildhund, eine Hyäne, ein Leopard aus Indien, wenn auch viel weniger exotisch, waren für viele Die später erscheinenden Wegweiser bemüh- Tieren auf Hörensagen und Beschreibungen der ein Panther aus Afrika, ein Ozelot aus Brasilien Berlinerinnen und Berliner die hinzugekomme- ten sich darum, diesen misslichen Umstand zu Tierfänger angewiesen waren. und Präriehunde aus Nordamerika Gesellschaft. nen vier Seehunde aus der Nordsee.14 beseitigen. Aus heutiger Sicht erscheinen aller- Einige Besucher hatten zudem recht eigen- In einem besonderen Käfig wurde ein Jaguar Um kostengünstig an dringend benötigte dings auch deren Erklärungen oft oberflächlich willige Wünsche zu den Öffnungszeiten. Im Ap- oder ein Puma gezeigt. Insgesamt handelte es exotische Tiere zu kommen, beschloss der Vor- oder gar skurril. Auffallend ist, dass sie sich vor ril 1845 beschwerte sich ein anonymer Besucher sich also um eine durchaus beachtliche Zahl stand im Sommer 1845 angesichts seiner Geld- ­allem auf die äußeren Merkmale der Tiere kon- in einem Leserbrief in der »Vossischen Zeitung«, an Raubtieren, doch waren die Bestände hohen knappheit, die Königlich Preußischen Konsuln zentrierten und nur wenige Informationen zu dass der Garten erst um acht Uhr geöffnet ­würde, Fluktuationen ausgesetzt. Der Löwe überstand in den wichtigsten auswärtigen Handels- und obwohl es an warmen Tagen nur sehr früh oder die Strapazen der monatelangen Reise nicht und Küstenstädten zur Schenkung von Tieren aufzu- sehr spät erträglich sei, den Zoo zu besuchen. verstarb bald. Die natürlichen Lebensbedingun- fordern.15 Denn kaufen konnte er in diesen Jahren Schließlich trug man damals noch Stehkragen, gen der Tiere waren noch zu wenig erforscht, um keine. Das Jahr 1846 schloss der neue Zoo zwar Rock und Zylinder. Lichtenstein antwortete sie angemessen halten zu können. Erst im Spät- mit einem knappen Einnahmenüberschuss von prompt in derselben Zeitung, dass die Wärter sommer kam dann ein umfangreicher Tiertrans- 561 Thalern ab, die Schulden des Vorjahrs und noch vor der Öffnung die Ställe zu reinigen hät- port inklusive des großzügigen Geschenks zweier für Futtermittel fraßen diesen aber mehr als auf.16 ten. Es seien bereits einige Herren vor sechs Uhr Löwen des Generals Jussuf im französisch be- morgens eingelassen worden. Allerdings hatte setzten Algerien an den Preußischen König nach der Nachtwächter in einer heißen Nacht wie­der­ langer Reise im Zoo an.13 Zögerliche Bürger um andere Herren abweisen müssen, die schon Im Herbst 1846 konnte der Zoo immerhin zwischen drei und vier Uhr Einlass begehrt hat- ­verkünden, dass zwei Mandrille und weitere Af- Der Gründungsdirektor Hinrich Lichtenstein ten.11 Dem intensiven Interesse einiger weniger fen sowie ein brasilianisches Tayra (eine marder­ war davon ausgegangen, dass der Zoo sich bald stand eine größere Gruppe desinteressierter oder artige Raubtierart) angekommen seien. Letzteres selber tragen würde. Das geeignete Mittel hierzu für einen Zoobesuch zu bedürftiger Menschen in wurde hier zum ersten Mal lebend in einer eu- war seiner Ansicht eine Aktiengesellschaft, die Dankschreiben des Vorstands an Friedrich Wilhelm IV. Berlin gegenüber. auf dem Motivblatt einer Aktie, 1845 Seine Majestät der preußische König Fried- rich Wilhelm IV. beehrte das neu gegründete Institut ein Jahr nach dessen Eröffnung mit sei- deren Verhalten enthielten. Das spiegelt den nem Besuch. Am Nachmittag des 19. Juli 1845 Stand der zoologischen Forschung zur Mitte wurden er und die Königin aus Charlottenburg des 19. Jahrhunderts wider, als diese sich noch kommend vom Vorstand empfangen.12 Indessen vor allem um eine Systematik der Tierwelt und bot der Garten seinen Besuchern in dieser frühen ihre Beschreibung und noch nicht um die Ver- Zeit noch kaum größere Attraktionen. Viele hat- haltensbiologie bemühte. Im Mittelpunkt der ten in den Wandermenagerien bereits exotische Schilderungen der Raubtiere stand stets die Ge- Tiere wie Elefanten, Giraffen, Affen und Löwen fährlichkeit für den Menschen, aber auch bei kennengelernt und verlangten sie auch in den anderen Tieren wurden Attribute der Stärke be- Zoos. Gerade der König der Tiere fehlte. Ab Sep- tont. Dem Kondor wurde im Wegweiser von 1849 tember 1845 konnte dann endlich ein »Löwe aus unterstellt, er töte Stiere, indem er ihnen Augen Nu­bien« bestaunt werden. Er wurde in der »Of- Auszug aus den Statuten des und Zunge herausreiße. Elefanten wurden laut fenen Halle für die Raubthiere mit 9 Abtheilun- Actien-Vereins des zoologischen des Wegweisers von 1866 200 Jahre alt. Solche gen« ausgestellt. Dort leisteten ihm unter ande- Gartens bei Berlin, 1845

Oktober 1846 15. Dezember 1846 1. Januar 1847 21. April 1847 12. Oktober 1847 17. November 1847 Inbetriebnahme der ersten Inbetriebnahme der Inbetriebnahme der ersten Beginn der sogenannten Gründung der Telegraphen-­ Erste öffentliche Sitzung der Berliner Pferdeomnibuslinien Berlin-Hamburger Eisenbahn ­städtischen Gaswerke Kartoffelunruhen Bauanstalt Siemens & Halske Stadtverordnetenversammlung 34 35

in den erst kurz zuvor erlassenen Gesetzen für Ak- »Jwd« – Janz weit draußen! tiengesellschaften eine Möglichkeit, den Aktien- verein zu kontrollieren. Den Zielen entsprechend Das größte Problem für den neuen Zoo war seine­ erhielten Schulkinder und Studierende von Real­ Lage. Es ist heute kaum noch vorstellbar, aber da- schulen, Gymnasien, Kadettenanstalten, Wai­- mals war der Zoologische Garten »bei« Berlin tat- sen-Erziehungsanstalten, Taubstummenins­ ti­ tu­ ten­ sächlich noch recht weit vom Stadtzentrum­ und oder Armen­schulen einen reduzierten Eintritt.20 noch weiter von den Wohnquartieren der meis- Der Aktienverein folgte einem europaweiten ten Berliner entfernt. Wie auf Karten von Berlin Trend. Allerorten entstanden im 19. Jahrhundert um 1850 zu sehen, lag er ein Jahrzehnt nach sei- naturkundliche Vereine, die danach strebten, ner Gründung noch außerhalb der Stadt am süd- den Bürgern durch vertieftes naturkundliches westlichen Rand des weitläufigen Tier­gartens. Wissen die Schöpfung und göttliche Ordnung Viele der betuchten Gäste, die in den neueren ­nahezubringen. So konnte ein Zoobesuch sogar und schickeren westlichen Vorstädten Wilhelm- als sittlich-moralische (Weiter-)Bildung verstan- stadt, Friedrich-Wilhelm-Stadt, Dorotheenstadt den werden. In diesem Sinne unterstützten auch oder Friedrichstadt wohnten, mussten zum Zoo die Aktionäre den Zoo und erhielten als »Divi- von den damaligen Stadttoren – Brandenburger dende« nur freien Eintritt für ihre Familien. Die Tor oder Potsdamer Tor am heutigen Leipziger Gründung der Aktiengesellschaft war ein deut- Platz – einen mühsamen Fußmarsch durch den liches Zeichen dafür, dass es sich beim Berliner Tiergarten zurücklegen. Die Menschen aus den Zoo trotz staatlicher Kontrolle und Unterstüt- ärmeren Stadtteilen wie der Spandauer oder zung letztendlich um ein bürgerliches Projekt Stralauer Vorstadt mussten zuvor sogar noch, handelte. zumeist ebenfalls zu Fuß, die ganze Stadt durch- Die Bauten des Zoologischen Gartens, um 1849 Es zeigte sich gleichwohl, dass Berlin noch queren. Wer sich eine Droschke leisten konnte nicht mit den großen Bürgerstädten in West­ oder sogar über eine eigene Kutsche verfügte, europa gleichziehen konnte. Noch gab es nicht war nur wenig bessergestellt, da der Weg durch es zum Zeitpunkt der Eröffnung aber noch nicht Alexander Mendelssohn aus der Familie des jüdi- genügend Bürger im Sinne einer selbstbewuss- den noch lange nicht entwässerten Tiergarten gab. Der junge Zoo wurde offiziell bis zum Januar schen Philosophen Moses Mendelssohn zählten ten Bourgeoisie wie beispielsweise in Amster- durchaus einige Herausforderungen bereithielt. 1845 durch die Königliche Commission geführt.17 dazu.18 dam oder Antwerpen, London oder Dublin. Über Ein Jahr nach der Eröffnung sah sich der Actien- Insgesamt 54 Berliner und eine Berlinerin grün- Ursprünglich hatte der König eine Aktien- die enge Gruppe der Gründungsmitglieder des Verein des Zoologischen Gartens dazu genötigt, deten dann am 28. Februar 1845 den »Actien- gesellschaft abgelehnt, nahm er doch an, dass Ak­tien­vereins hinaus fanden die Aktien kaum beim Finanzminister dringend um eine »Chaus- Verein des zoologischen Gartens bei Berlin«. Die eine solche weniger an der Wissenschaftlichkeit Abnehmer. Von den ersten 500 ausgegebenen sierung« des Wegs zu ersuchen, denn es hatte Erstzeichner einer Aktie waren neben Bankiers des Zoos und mehr am Gewinn orientiert sein Anteilscheinen verkauften sich bis 1868 nicht Beschwerden über die schlechte Zuwegung ge- und Kaufleuten eine Reihe höherer Offiziere und würde. Die Statuten des Actien-Vereins, die die einmal 200 Stück.21 Auch wenn unter diesen die geben.23 Eine entsprechende Beschilderung im Beamter, aber auch Handwerker und Apothe- Gründungsversammlung ihm gab, halfen dem Familie Borsig oder Immanuel Hegel, Konsisto- Tiergarten fehlte gänzlich.24 ker. Es handelte sich um die gehobenen Bürger zuständigen Kultusminister Friedrich Eichhorn rialpräsident der preußisch-evangelischen Lan- Außerdem war zu erwarten, dass diejenigen der Stadt. Unter ihnen waren namhafte Persön- jedoch, den Monarchen zu beruhigen.19 Die nicht deskirche und Sohn des Philosphen Georg Fried- Besucher, die mit Droschken kamen, diese für lichkeiten wie der Baumeister Christian Gott- auf Profit ausgelegte Struktur des Vereins und rich Hegel, waren.22 Die Stadt und ihr Bürgertum den Rückweg gegen Gebühr vor dem Zoo würden lieb Cantian oder der Direktor der Königlichen die explizit genannten Ziele – wissenschaftliche waren zu diesem Zeitpunkt noch zu wenig entwi- warten lassen, was den Zoobesuch jedoch erheb- Kunstkammer des Neuen Museums Leopold von Beobachtung der Tiere sowie Volks- und Jugend­ ckelt, um dem Zoo zu seiner Blüte zu verhelfen. lich verteuerte. Der Berliner Polizeipräsident Eu- Ledebur. Auch die beiden Bankiers Joseph und bildung – waren ausschlaggebend. Eichhorn sah Das sollte sich zwei Jahrzehnte später ändern. gen von Puttkamer verwies auf die gültigen Rege-

18. März 1848 23. August 1848 1852 15. Mai 1852 Höhepunkt der Barrikaden­kämpfe der »Märzrevolution« Erster Allgemeiner Deutscher Arbeiterkongress in Berlin Erste »Deutsche Wörterbücher« der Gebrüder Grimm aus Berlin Eröffnung eines Kanals zwischen und Landwehrkanal 36 37

führt. Das waren in der Regel mehrere Meter tiefe, mit steilen Steinwänden versehene Gruben oder Gräben gewesen. Wegen des hohen Grund- wasserspiegels war dies im neuen Zoo jedoch nicht möglich. Als erstes stilgebendes Gebäude­ Branden- wurde daher 1847 die Bärenburg gebaut. Die burger Tor eben­erdige Anlage lag hinter einem Hügel und erlaubte den Besuchern, die Tiere von der Seite und von oben zu beobachten. Das Gebäude ent- sprach mit seiner burgartigen Architektur ganz dem Zeitgeschmack, und das Konzept wurde mehrfach kopiert. Das Revolutionsjahr 1848 war nicht nur für die Aufständischen, sondern auch für den Ber­li­ner Zoo kein gutes. Nach anfänglichen Zugeständ- nissen rollte die reaktionäre Gegenrevolution über Berlin hinweg. Die Menschen – Bildungs- Zoo bürger wie Arbeiter – hatten weder Zeit noch Muße noch Geld, um den Zoo zu besuchen. Im Revolutionsjahr blieben die Einnahmen mit 6000 Thalern weit unter dem für das Fortexis- tieren notwendigen Minimum.27 Aber eine lang- fristige Folge der Ereignisse von 1848 war der Rückzug vieler Bürger ins Pri­vate. Diese hatten vor Augen geführt bekommen, dass ihre politi- schen Anliegen nur sehr begrenzt durchgesetzt Berlin und seine Umgebung, 1856 werden konnten. Umso mehr Energien flossen nun in wirtschaftliche und kulturelle Selbstver- Die erste Bärenburg im Berliner Zoo, um 1847 wirklichung. Das sollte sich später auch auf den lungen, welche 20 Silbergroschen für 90 Minuten tiere musste aber schnell eine andere Behausung Zoo auswirken. Zunächst einmal musste Seine vorsahen. In dieser Zeit ließe sich »der Besuch gefunden werden. Im Zoo waren zu seiner Eröff- Majestät 1850 aber dem Zoo erneut mit einem es danach bis 1852, bevor es zu einer weiteren des zoologischen Gartens auch wohl bewerk­ nung im sogenannten Bärenzwinger drei ausge- Darlehen helfen. Es fehlten die Gäste. 1849 wa- umfangreicheren Übersendung kam. Die 35 Tiere stelligen«.25 wachsene »asiatische Bären« (Braunbären) und ren für sieben, 1850 sogar für 14 Tage gar keine waren zwar größtenteils Geschenke, die Trans- zwei halbwüchsige Bären »aus Litthauen« (wahr- Einnahmen zu verzeichnen.28 1853, 1854, 1857 port- und Futterkosten sowie die notwendigen scheinlich ebenfalls Braunbären) untergebracht. und 1863 langte der König zur Unterstützung des neuen Käfige kosteten den Zoo dennoch meh­ Knappe Kassen Im »Raubthierzwinger am westlichen Zaun« Zoologischen Gartens weitere Male in die eigene rere Tausend Taler. Der Transport wurde vom lebten zwei »Missuri-Bären«, also zwei Schwarz­ Schatulle.29 Noch war die Aktiengesellschaft ein preu­ßi­schen Generalkonsul in Kairo Baron von Anfangs waren viele Tiere, wie bereits erwähnt, bären aus Nordamerika.26 ständiger Zuschussbetrieb. Nur selten kamen Pentz organisiert.30 noch in provisorischen, aus Holz gefertigten Be- Die Gefährlichkeit von Bären hatte traditio­ neue Tiere hinzu. Hatte es 1847 einen ersten grö- 1857 kam dann mit »Boy« der erste Indische hältern untergebracht. Für die stärkeren Raub- nell zur Anlage sogenannter Bärengruben ge- ßeren Tiertransport in den Zoo gegeben, dauerte Elefant in den Berliner Zoo. Eine Menagerie

31. Mai 1851 1853 1855 1857 Enthüllung des Reiterstandbildes Friedrichs II. Unter den Linden Gründung der Schultheiß-Brauerei Erste »Litfaß-Säulen« Nach einem Schlaganfall Friedrich Wilhelms IV. Regentschaft seines Bruders 38 39

­wollte ihn loswerden. Der Zoo investierte nach Herbst desselben Jahres. Sein Nachfolger wurde ten mal ein Pärchen auf. Auch der inzwischen Nach königlicher Genehmigung wurde aber einer eigens einberufenen Vorstandssitzung und Wilhelm Carl Hartwig Peters. Zwar konnten die eingerichtete Restaurationsbetrieb, die »Wald­ als wichtigste Maßnahme das Aktienkapital er- zähen Verhandlungen die nicht unwesentliche Berlinerinnen und Berliner unter seiner Leitung schänke«, konnte den erhofften Publikumsan- höht, und erneut wurden 1000 Aktien zu 300 Mark Summe von 2500 Reichsthalern.31 Mit ihm war spätestens ab Mitte der 1860er Jahre Attrak­ sturm nicht anfachen. ausgegeben und die existierenden Aktien umge- die Hoffnung auf einen Aufschwung verbunden. tio­nen wie einen Alligator im Zoo bewundern. Es ist daher wenig erstaunlich, dass die neu tauscht. 1870 und 1873 wurden zudem Obliga­tio­ Diesen Aufschwung sollte Hinrich Lichten- Die Wegweiser führen für jene Jahrzehnte aber gegründeten deutschen Zoos den der preußi- nen, festverzinsliche Wertpapiere, verkauft. Der stein nicht mehr erleben, denn er verstarb im zumeist nur Einzelexemplare einer Art und sel- schen Hauptstadt bald überflügelten. Die Tier- nun als »Zoologischer Garten zu Berlin« firmie- gärten in Frankfurt am Main (gegründet 1858), rende Zoo erhielt auch die Erlaubnis, den bislang Köln (1860), Dresden (1861) oder Hannover streng gehüteten Baumbestand zu lichten.33 Alle (1865) hatten bald einen ebenso guten oder noch Maßnahmen waren geeignet, die Attraktivität besseren Ruf als der Berliner, der doch zunächst des Zoos zu erhöhen, und anders als bei der ers- als gutes Vorbild vorangeschritten war. Dieser ten Ausgabe von Aktien 1845 war diese erneute bedurfte umfangreicher Reformen, um ihn an die Emission ein großer Erfolg. Die Berliner Bürger Weltspitze zu bringen. verhalfen dem Zoologischen Garten mit ihren Aktienkäufen zu den dringend benötigten Mitteln für den Ausbau. Um 1870 waren nun also auch in Notwendige Reformen Berlin Kapital, Interessen und eine bildungsbür- gerliche Schicht von Philanthropen so weit ge- 1869 legte Zoodirektor Hartwig Peters sein Amt wachsen, dass der Zoologische Garten auf breite wieder nieder. Zu groß war die Arbeitsbelastung Unterstützung in der Bevölkerung zählen und zu für ihn als Direktor des Zoologischen Museums einer echten Attraktion werden konnte. Hatte er geworden, der den Zoo nur im Nebenberuf lei- bislang im Schatten der jüngeren Gründungen tete. Zuvor brachte er jedoch eine wichtige Ver- gestanden, wurde der Zoo der Hauptstadt Preu- waltungsreform auf den Weg. Sein Nachfolger ßens und später des Deutschen Reichs bald zu sollte den Zoo demnach hauptberuflich leiten, ­einem weithin bekannten Anziehungspunkt. die Arbeit sollte dadurch vereinfacht werden. Peters entwarf mit Hilfe engagierter Aktionäre Am 1. Oktober 1869 wurde Heinrich Bodinus eine entsprechende Änderung der Statuten, und der erste hauptberufliche Zoodirektor Berlins. am 14. Mai 1869 beschloss eine außerordentliche Bodinus entpuppte sich als der richtige Mann Generalversammlung der Aktionäre, dass fortan zur richtigen Zeit. Anders als seine Vorgänger nurmehr ein wissenschaftlicher Direktor haupt- ver­fügte er bereits über ein gutes Maß an Zoo­ amtlich angestellt werden würde. Dieser leitete erfahrung. Seit 1859 hatte er den Kölner Zoo zusammen mit dem Vorstand, heute würde man aufgebaut. Da zu jener Zeit viele Zoos erst ent- Aufsichtsrat sagen, die Geschäfte. Davor hatte es standen, konnten etliche der neuen Leiter zwar drei vom Kultusministerium ernannte königliche mit wissenschaftlich-zoologischen Kenntnissen, Kommissare, mit unterschiedlichen Kompeten- selten aber mit praktischer Zooerfahrung auf- zen, als Leitung gegeben. Mit dem neuen Statut warten. Bei Heinrich Bodinus war das anders, wuchs außerdem der Einfluss der General- oder und er ging bald daran, den dringend benötigten Hauptversammlung, was einen Aktienbesitz at- Ausbau und eine Neuausrichtung des Berliner Der erste Elefant des Berliner Zoos »Boy«, hier um 1875 traktiver machte.32 Zoos umzusetzen.

2. Januar 1861 1861 23. September 1862 23. Mai 1863 1863 5. September 1866 11. Mai 1869 Wilhelm I. wird Die Gemeinden Moabit und Wedding Otto von Bismarck wird Gründung der Sozialdemokratischen Erstausgabe von Einweihung der Eröffnung des ersten Berliner König von Preußen werden in Berlin eingemeindet Preußischer Ministerpräsident Partei Deutschlands Brehms »Thierleben« »Neuen Synagoge« Aquariums Unter den Linden 40 41

Die Bären sind los!

Zoologische Gärten halten Tiere, die in freier Wild- bahn dem Menschen gefährlich werden können. Und auch wenn sie an die Gegenwart von Menschen ge- wöhnt sind, sollten sie nur unter besonderen Um­ ständen direkten Kontakt mit ihnen haben. Zoos haben daher den Umgang der Tiere mit dem Pflege- personal und Gästen immer besonderen Regeln un- terworfen, und alle Zoos passen diese Regeln laufend den neuesten Erkenntnissen der Zoologie und Ver­ haltensbiologie zu artgerechten Lebensweisen sowie Schimpansin »Missi« mit Zigarette und Kaffeekanne, den Erfahrungen der Pfleger an. Was heute unmöglich um 1910 erscheint, war früher gang und gäbe, was man einst als normale oder fortschrittliche Tierhaltung ansah, lässt heutige Zoofachleute erstaunen. So kam es frü- her durchaus vor, dass Menschenaffen Alkohol und Zigaretten erhielten, am Tisch saßen, Kunststücke vorführen mussten oder dass auf Elefanten geritten wurde. Moderne Zoos nehmen die Erfahrungen von Fach- kollegen und auch berechtigte Kritik aus der Öffent- lichkeit in ihre Arbeit auf und ändern entsprechend Heinrich Bodinus (1814 – 1884), um 1875 Aktie des Actien-Vereins des Zoologischen Gartens die Haltungsbedingungen. Und dennoch kam und von Gerson Bleichröder, Nr. 324, 1871 kommt es zu Vorkommnissen, bei denen Pflegerinnen oder Pfleger durch unbedachtes Verhalten in Konflikt Zugute kam den Umgestaltungsprojekten, zu einem Kreis Berliner Juden, die ihr kulturför- mit den Tieren geraten. In der Regel ist menschliches dass mit dem Boom der Gründerjahre, der auf derndes Engagement für den Zoo und an­dere Fehlverhalten der Grund, wenn Mensch oder Tier zu die Einigung Deutschlands zum Kaiserreich 1871 Pro­jekte als Zeichen ihrer Integration in die Schaden kommen. folgte, ebenso großzügige wie solvente Geldgeber deutsche Gesellschaft verstanden. Hieran wie am Ein alter Tierpflegerspruch lautet: Ob ein Gehege aufkamen, die das (wenngleich späte) Erblühen Engagement vieler anderer Berliner Bürgerinnen ausbruchsicher ist oder nicht, weiß man immer erst, des Berliner Zoos zu einer echten Bildungsein- und Bürger für den Zoologischen Garten zeigt wenn ein Tier es geschafft hat. Schon in den Anfangs- richtung von gesellschaftlichem Rang mit ho- sich, wie wichtig sowohl gesellschaftliches als tagen des Zoos kam es zu Ausbrüchen. 1849 entkam hem Einsatz förderten. Ein früher Zeichner der auch kulturelles Wirken vielen Bürgerlichen der ein Löwe seinem provisorischen Gehege und ver­letzte ­neuen Aktien war zum Beispiel der Berliner Ban- Restaurationszeit nach dem einstweiligen Schei- ein Kind leicht, im Juni 1858 beschwerte sich das Kö- kier Gerson Bleichröder, der 1872 als einer von tern der meisten politischen Ziele der 1848er Re- nigliche Polizeiamt beim Zoo, dass dieser den Aus- wenigen preußischen Juden in den Adelsstand volution geworden war. bruch von drei Wölfen nicht gemeldet hatte.34 In einer Schimpansin »Lore« auf dem Fahrrad, um 1940 erhoben wurde. Die Familie Bleichröder gehörte Augustnacht 1954 entkamen mehrere Rhesusaffen. Die Tiere wurden erst nach einer längeren Jagd in den haus geflüchtet hatte, gehörigen Schrecken ein, be- Ruinen der Gedächtniskirche wieder eingefangen.35 vor sie von den Pflegern wieder eingefangen werden Im September 1974 nutzte die Flachlandgorilladame konnte.36 Auch 1979 fand ein Affe – in diesem Fall ein »Cocotte« die Gelegenheit einer offen stehenden Kä- Schimpanse – die Schwachstelle seines Geheges. Ein figtür und entwischte für zehn Minuten in den Park. Blasrohrpfeil mit Betäubungsmittel machte dem kur- Dort jagte sie einer Familie, die sich in das Antilopen- zen Ausflug ein Ende.37 1983 entkam eine Braunbärin 19. Juli 1870 Beginn des deutsch-französischen Krieges 42 43

die Außenanlage lassen, konnten sie das nur von in Sicherheit zerrten. Leider kam diese Hilfe zu spät. innen tun. 1867 kam es zu einem Zwischenfall, bei Günther Lenz erlag seinen Verletzungen.41 Da Direk- dem der nun fast dreieinhalb Meter hohe »Boy« sei- tor Heinz-Georg Klös zu diesem Zeitpunkt gerade nen Pfleger tötete. Auch die 1872 eröffnete prächtige auf einer Schiffsreise war, um aus Südafrika ein Paar Elefanten­pagode war nach späteren Maßstäben zur Breitmaulnashörner zu holen, benachrichtigte ihn Tierhaltung eher ungeeignet. 1883 kam es zu einem sein Mitarbeiterstab über Funk mittels Radio Nord- Unfall mit dem Asiatischen Elefantenbullen »Ros- deich von dem Unfall. Der Schock war groß. Was hatte tom«. Dieser drückte seinen Pfleger Heinrich Krüger »Salim« so aggressiv gemacht? Die dringendste Frage am 28. Januar an die Wand und tötete ihn. Möglicher­ war, was nun mit »Salim« geschehen sollte. Sollte er weise hatte­ der Elefant angenommen, Krüger würde isoliert werden oder konnte er bei der Herde bleiben? ihm das Futter streitig machen.40 Musste er weggegeben oder gar getötet werden? Die Gefährlichkeit der Bullen stellte lange Zeit das Die Ereignisse rund um den Tod des Elefantenpfle- größte Hindernis für eine Nachzucht in Zoos dar. Im gers bewegten viele Menschen. Aus dem gesamten Schimpanse »Suse« am Mittagstisch mit dem Ehepaar Jahr 1963 kam es im Zoo erneut zu einem tragischen Bundesgebiet erhielt der Zoo Zuschriften. Wie oft in »Salim«, 1958 Liebetreu, um 1940 Unfall mit einem Elefanten. Pfleger Günther Lenz solchen Fällen, hatten die Briefschreiber »gute Rat- machte gerade die Freianlage sauber, als ihn der Asia­ schläge« und Erklärungen parat, die weniger auf In- Mutmaßungen, er habe den Pfleger nicht mit Absicht ihrem Gehege, die geschickt eine nicht ganz zurück- tische Elefantenbulle »Salim« aus heiterem Himmel formationen und mehr auf Gefühlen basierten. Viele getötet oder der Pfleger habe ihn sicher gereizt, domi- geschnittene Bepflanzung an der Gehegerückseite mit dem Rüssel packte und traktierte. Dem Revier- wandten sich an den Zoo mit der Bitte, »Salim« am nierten die Briefe. Es gab aber auch Zuschriften, die nutzte, um die Mauer zu überklettern. Anschließend pfleger Robert Jung gelang es, »Salim« mit einem Be- Leben zu lassen. Dabei wurden oft menschliche Emo- die Entfernung und sogar Tötung »Salims« forderten. rannte sie über den Spielplatz, bevor die Pfleger sie sen zu vertreiben, während andere den leblosen Lenz tionen und Moralvorstellungen auf das Tier projiziert. Die Frage, die sich hier stellte, war in der Tat schwer- einkreisen und der Zootierarzt »Petzi« sie mit einem wiegend für Heinz-Georg Klös und sein Team. Ein Pfeil betäuben konnte.38 Cornelius Schuler, der Inha- aggressiver Elefantenbulle stellt ein hohes Gefahren- ber des Zoorestaurants, schickte dem Direktor darauf potential für die Pfleger dar. »Salim« wurde für einige ein selbsterdachtes Gedicht, das die politische Lage Zeit isoliert, dann mit der Herde wieder zusammen- Berlins einbezog: geführt und später auf einer separaten Bullenanlage »Der Bär im Zoo, ein ganz ein schlauer// sprang gehalten.42 heimlich über seine Mauer.// Er wollte niemand hier Seit der Ankunft von »Kiba« aus dem Zoo in Houston erschrecken,// die Leute sollten nur entdecken,// werden die Elefantenbullen des Zoos im sogenannten warum er friedlich herumspaziert.// Er hat für etwas geschützten Kontakt gehalten. Das bedeutet, dass bei ­demonstriert!// Ick bin doch euer Wappentier,// und jedem Kontakt zwischen Tier und Pfleger schützende als Berliner sag’ ick hier,// Ick sag’s euch noch ge­ Barrieren im Einsatz sind und dass sich Letztere nicht nauer: Für mich jibt‘s keene Mauer!«39 ins Gehege begeben. Seit seiner Ankunft in Berlin im Jahr 2000 wurde daher der Asiatische Elefantenbulle Besonders bei den Elefanten offenbaren sich die Her­ »Victor« durch Übungen dazu trainiert, einige medizi- ausforderungen der Zootierhaltung und zeigen sich nische und pflegerische Aufgaben durch bestimmtes zugleich die Änderungen der Haltungsbedingungen. Verhalten zu ermöglichen. Dazu gehört, dass er auf Der Zeit seines Lebens stoßzahnlose Bulle »Boy« be- Kommando seine empfindlichen Füße für die Fuß- zog 1857 einen Teil des Winterhauses für Raubtiere, pflege durch das Gitter steckt oder sein Ohr für me- das gänzlich ungeeignet und nicht stabil genug war. dizinisch notwendige Blutentnahmen hinhält. Dres- Daher wurde 1860 das erste Elefantenhaus gebaut. sur zur Schaustellung erfolgt im Berliner Zoo nicht Augenscheinlich rechnete niemand damit, dass eine mehr. ganze Elefantenherde hinzukommen könnte, denn das Haus war nur für ein einzelnes Tier geplant. Woll- Telegramme Heinz-Georg Klös’ an den Zoo zu »Salim«, ten Pfleger den Innenstall reinigen und das Tier auf Titelseite der B.Z. vom 13. Juni 1983 7. August 1963 45 Gründerzeit – Stadt und Zoo zur Blüte 1870 – 1900

Es werde Licht! für den neu vom preußischen Fiskus zugeteilten Teil des Tiergartens. Hier hatte der Zoo an seiner Der als wissenschaftliche Institution gegrün­ Nordseite einen Hektar Land hinzubekommen. dete Zoo weckte nun immer mehr das Interesse Bodinus ließ das unübersichtliche, von Peter eines breiteren Publikums. Die durch die Ein- Joseph Lenné angelegte Wegenetz verändern künfte der zweiten Aktienemission ermöglichte und griff zudem in die Gesamtstruktur des alten Erweiterung des Bestands an Stilbauten und Tie- Parks ein. Neue Teiche, der Vierwaldstättersee, ren war dabei bestimmend. Mit dem wirtschaftli- Neptun- und Grottenteich, wurden angelegt. Sie chen Wachstum Berlins und der Ausdehnung der trugen stark zur Entwässerung des feuchten Bo- Stadtgrenzen rückte die Stadt geografisch näher dens bei. Noch heute prägen die vielen Teiche an den Zoo heran. Von Osten her dehnten sich mit ihren schönen Blickachsen den südlichen die Berliner Vororte nun südlich des Tiergartens Teil des Gartens. Aus einem Landschaftsgarten bis vor die Zootore aus, und von Westen wuchs mit eingestreuten Gehegen wurde nun einer, der die Stadt Charlottenburg an den Zoo heran. von den Tiergehegen dominiert wurde, die von Charlottenburger und Berliner Bürger entdeck- Busch- oder Baumgruppen nurmehr moderat ten den Zoo als Ort der Erholung und Zerstreu- umgeben waren. Statt eines Naturparks fanden ung. Sehen und gesehen werden wurde neben die Besucher bald gepflegte Rasenflächen und der Beobachtung und dem Studium der Tiere Blumenrabatten vor.1 zu einer weiteren Funktion des Zoologischen Durch die Vermehrung des Stammkapitals Gartens.­ war es auch möglich, die ambitionierten Bau­ Eine der wichtigsten Aufgaben für den neuen pläne Heinrich Bodinus’ durchzuführen. Schon Direktor Heinrich Bodinus war die Neugestaltung 1867 hatte der Vorstand die Einrichtung einer des Gartens. Der dichte Baumbestand be­schat­ neuen Gaststätte diskutiert. Nun wurde sie Wirk- tete Häuser und Gehege, was sich negativ auf die lichkeit. Zusammen mit der 1870 erbauten Or- Tierhaltung auswirkte. Der Garten ­musste ent- chestermuschel trug das so erweiterte gastro- wässert und ausgelichtet werden. Das galt auch nomisch-musikalische Angebot wesentlich zur

Rothschildgiraffe »Max«, 2018 46 47

Die Giraffe Hälsen die gehörnten Köpfe gegen Körper und Beine Steigerung der Attraktivität des Zoos als gesell- ihres Gegners oder versuchen, sich gegenseitig aus schaftlichem Treffpunkt bei. Die Berlinerinnen Giraffen (Giraffa camelopardalis)werden in der Regel dem Gleichgewicht zu bringen. Nur in der weniger als und Berliner nahmen ihn nun verstärkt als Aus- in neun Unterarten eingeteilt, die alle in den Savan- eine halbe Stunde währenden Tiefschlafphase sind sie hängeschild ihrer Stadt wahr und kamen in grö- nen Afrikas südlich der Sahara heimisch sind. Ein- völlig wehrlos. ßeren Scharen. Zwischen 1870 und 1873 wurden zelne dieser Unterarten sind stark bedroht, andere Die äußerst grazilen Tiere haben Menschen stets ih- die Einnahmen verdreifacht.2 Bestände stabil. Die Tiere können bis zu sechs Meter res langen Halses wegen fasziniert. 1828 schenkte der In rascher Folge kamen nun immer neue Tier- groß werden. Die Hälfte des Tages weiden sie mit ih- Vizekönig­ von Ägypten sowohl dem französischen häuser hinzu. 1870 und 1871 wurden das große rem langen Hals und einer langen, äußerst beweg­ sowie dem britischen König als auch dem österrei- Raubtierhaus und der neue Bärenzwinger er- lichen Zunge das Laub von Büschen und Bäumen. chischen Kaiser je eine in Darfur gefangene Giraffe. baut, exotisch wurde es mit dem 1872 errichte- Dabei nehmen sie je nach Art und Geschlecht pro Tag In allen drei Ländern lösten die Tiere geradezu eine ten Antilopenhaus sowie der im folgenden Jahr bis zu 60 Kilogramm Nahrung zu sich. Hysterie aus. In der Folge wurden Moden und Damen- eingeweihten tempelartigen Elefantenpagode. Giraffenkühe leben mit ihren Jungtieren in Gruppen frisuren durch das Aussehen der Tiere beeinflusst. 1874 kam ein großer Konzertsaal hinzu, und in E. Arnold: Ansichten des Zoologischen Gartens, 1872 von etwa 20 Exemplaren, die Bullen sind dagegen Einzelgänger. Nach einer Tragezeit von 15 Monaten bringt eine Giraffenkuh stehend ein etwa 100 Kilo- gramm schweres Jungtier zur Welt, das sie noch ein- einhalb Jahre säugt. Die Hälfte aller Jungtiere fällt Raubtieren, insbesondere Löwen und Hyänen, zum Opfer. Dabei sind erwachsene Giraffen durchaus wehrhaft. Ihre Huftritte können Löwen schwer verlet- zen. Auch untereinander kämpfen Giraffenbullen mit großer Gewalt. Sie schlagen dabei mit ihren langen

Giraffen am Antilopenhaus, um 1935 Großes Raubtierhaus, um 1900

Für den Berliner Zoo bedeutete die Anlage des Giraf- fen- und Antilopenhauses in der Mitte des Parks 1872 den 1880er Jahren gab es wöchentlich drei Frei- genossen haben später Bodinus allein für den einen Meilenstein. Dort präsentierte er Giraffen, Anti- luftkonzerte. Der Zoo war an die Spitze der Ver- nun beginnenden großen Erfolg des Berliner lopen und Zebras in im Oval angelegten Käfigen und gnügungseinrichtungen Berlins getreten. Durch Zoos verantwortlich gemacht. Aber einschnei- fächerförmigen Außengehegen. Das Antilopenhaus die guten Besucherzahlen war seine finanzielle dende Maßnahmen waren schon von seinem ist der einzige wiederaufgebaute Stilbau des Zoos aus Zukunft endlich gesichert. Zeitungen und Zeit­ Vorgänger in die Wege geleitet worden, ebenso dem 19. Jahrhundert. Heute sind die Gehege des Anti- lopenhauses innen wie außen zu größeren Einheiten Netzgiraffen »Mugambi« und »Max«, 2015 miteinander verbunden. 18. Januar 1871 17. Juni 1871 Kaiserproklamation Wilhelms I. und Gründung des Deutschen Reiches Inbetriebnahme eines Teils der Berliner Ringbahn 48 49

Sensation. Für damalige Besucher hatten die Forschern zur Verfügung, um einen Eindruck von Architekten ihr Ziel erreicht, nämlich mit dem fernen Ländern zu gewinnen. Antilopen- und Giraffenhaus einen Eindruck der Als Heinrich Bodinus nach Berlin kam, Heimat dieser Tiere zu vermitteln. Zwar leben ­brachte er jenes Konzept der orientalisierenden nirgends wilde Huftiere in oder an Moscheen, Stilbauten mit. Beeindruckt von den maurisch aber zu Zeiten, in denen nur die allerreichsten anmutenden Gebäuden der zoologischen Gär- Bankiers oder allerwichtigsten Diplomaten und ten Belgiens und der Niederlande, hatte er diesen Mächtigen sich Reisen zu den fernen Herkunfts- Stil schon in Köln im Stelzvogelhaus, Lama- und ländern jener Tiere leisten konnten, vermochten Kamelhaus und insbesondere dem Giraffen- und dieser Bau und die nachfolgend errichteten Stil- Antilopenhaus eingeführt. Diese Art von Orient- bauten des Zoos das Fernweh mancher Gäste Architektur erfuhr zu diesem Zeitpunkt auch wohl etwas zu stillen. Diesen standen neben den außerhalb der Zoos große Begeisterung. Könige Zoos höchstens die geschriebenen, manchmal und Fürsten ließen sich Märchenpaläste wie in illustrierten Reiseberichte von Abenteurern und Tausendundeiner Nacht erbauen, deren berühm-

N

Situationsplan zu den Gebietsveränderungen, 1880

wie die Planungen zu dem sehr erfolgreichen Re- Orient in Berlin staurant. Einhergehend mit der Erweiterung des Be- Mitten im Berliner Zoo ragen zu beiden Seiten standes kam aber auch ein kleiner Wermuts- ­einer gläsernen Kuppel je zwei minarettartige tropfen. Im Süden wurde das Gebiet des Zoos Türme zwischen den Bäumen gen Himmel. Da- ein wenig verkleinert. Bereits 1880 gab es Pläne, mals wie heute ist das Antilopen- und Giraffen- eine Dankeskirche für die Errettung Kaiser Wil- haus ein Anziehungspunkt für die Besucherin- helms I. vor einem 1878 verübten Attentat in der nen und Besucher und der krönende Blickpunkt sich entwickelnden Gegend um den Kurfürsten- einiger Sichtachsen des Parks. Heutzutage mö- damm zu errichten.3 Für die auf einer Verkehrsin- gen manche den Bau leichtfertig als Ausdruck ei- sel geplante Kirche sollte der Zoo etwa 3700 Qua- nes überwundenen Architekturstils, des Orienta- dratmeter an seinem südlichen Rand abgeben. lismus, abtun oder ihn gar kitschig finden. In den Zunächst hieß es, die Abgabe sollte unentgeltlich Augen der Zeitgenossen war das nach weniger erfolgen. Als der Zoo diesem Gebot 1892 folgte, als zwei Jahren durch das Architekturbüro Ende erhielt er vom Fiskus letztendlich doch eine Ent- & Böckmann fertiggestellte, 2000 Quadratmeter schädigung von 20 000 Mark.4 messende Gebäude aber eine architektonische Antilopenhaus, um 1920

1871 1873 Mai 1873 2. September 1873 Berlins Bevölkerung ist auf mehr Reichsgoldwährung ersetzt die Der Börsenkrach beendet den Einweihung als 800 000 Einwohner gestiegen bisherigen Landeswährungen Wirtschaftsboom der Gründerzeit der Siegessäule 50 51

Mai 1872, bis die ersten Tiere einziehen konnten Wilhelm-Gedächtniskirche überragt werden. und das Haus eröffnet wurde.5 Die Elefantenpagode war als Dickhäuterhaus Ursprünglich sollte der Innenraum des Anti- konzipiert, um sämtliche Arten dieser »Fami- lopenhauses als Pflanzenhalle exotische Pflan- lie« vergleichend präsentieren zu können. Bei zen enthalten. Die durch den Urin so vieler Tiere der Einweihung zogen Asiatische Elefanten und mit Ammoniak angereicherte Luft führte jedoch wahrscheinlich Breitmaulnashörner ein. In den dazu, dass diese sich nicht hielten. Später wur- Innenraum passten wohl bequem 500 Menschen, den einige Öffnungen zu den Gehegen verglast, und auch an den Komfort der Tiere hatte man ge- aber auch so war die Halle nicht als Orangerie dacht. So erhielt das Dickhäuterhaus zum ersten geeignet und wurde schließlich anderweitig ge- Mal eine, wenn auch noch kleine, Außenanlage. nutzt. Als höchst unpraktisch erwies es sich zu- Einer der Elefanten war dadurch so verängstigt, dem, dass die Architekten auf einen Pflegergang dass er diese zunächst nicht betreten wollte.7 vor den Stallungen verzichtet hatten, um den So überwältigend schön das neue Haus auch Elefantenpagode, um 1920 Innenraum zu vergrößern und die Gäste näher anzusehen war, die Kenntnisse über Tierhaltung an die Tiere heranzulassen. Der Pflegergang war und die Architektur von Tierhäusern waren an- zwischen Außen- und Innenanlage versetzt wor- dere als heute, und so schlichen sich auch hier fa- einem ägyptischen Tempel nachempfunden. den, die beide erhöht waren. Wollten die Pfleger tale Fehler ein. Zunächst musste man feststellen, Besetzt wurde es mit Laufvögeln aus Afrika und die Tiere nun wechseln lassen, mussten sie jedes dass selbst Eisenstangen mit einem Durchmes- Australien, Straußenvögeln und Emus. Beide Ge- Mal mit schweren Holzbohlen eigens eine Brücke ser von acht Zentimetern nicht ausreichend sta- bäude wurden bei Bombenangriffen im Zweiten bauen. Später wurde dieser Missstand behoben.6 bil für die Haltung von Elefanten waren, sodass Weltkrieg schwer beschädigt und dann abge­ man schließlich mit Stacheln besetzte Stangen tragen. Der Tierbestand des Berliner Zoos wuchs dank verwendete. Auch war kein separater Wärter- Schenkungen und Neuerwerbungen stetig. Un- gang vorgesehen. Die Wärter sollten zwischen Der Bedeutungszuwachs des nun zur Reichs- Antilope, Gnu und Quagga im Berliner Zoo, 1873 ter diesen waren auch zoologisch bedeutende den Abteilungen wechseln, indem sie durch die hauptstadt aufgestiegenen Berlins bescherte Einzelexemplare wie das Quagga, welches von für Menschen ausreichend großen Zwischen­ der Stadt viele prominente Gäste. Und für diese 1872 bis 1877 im Berliner Zoo lebte. Wahrschein- räume zwischen den Stangen hindurchgingen. benötigte vor allem der Hof eine repräsentative tester der Royal Pavilion des späteren Königs lich handelte es sich um das vorletzte Exemplar Die schweren Türen zu den Außengehegen waren Bühne. Der neue Zoo eignete sich immer besser Georg IV. in Brighton ist. In Deutschland wurden seiner Art in einem Zoo. Nur Amsterdam hielt nur durch Anschieben durch die Elefanten selbst dafür. Bereits 1872 waren Kaiser Franz-Joseph I. zu jener Zeit die beiden großen Synagogen in gleichzeitig noch eines der Tiere, das kurz nach oder mittels einer windunterstützten Anlage zu von Österreich-Ungarn und der russische Zar der Kölner Glockengasse (1861) und der Berliner dem Berliner Quagga starb. In freier Wildbahn öffnen. Dazu mussten die Pfleger allerdings die Alexander II. beim deutschen Kaiser Wilhelm I. Oranienburger Straße (1866) eingeweiht. hatte der Mensch die Gattung schon damals aus- Ställe betreten, was ein hohes Sicherheitsrisiko zu Gast. Ein Besuch im Zoo stand mit auf der Ta- Eigentlich war die Eröffnung des Antilopen- gerottet. bedeutete.8 Auch hatte man die Anlage so be- gesordnung, und so kam es, dass drei der mäch- und Giraffenhauses, als erstem orientalischen 1873 erbauten die Architekten Ende & Böck- messen, dass immer nur eines der Tiere unter- tigsten Herrscher Europas am 8. September 1872 Gebäude des Zoos, bereits für das Jahr 1870 mann das Elefantenhaus. Auch hier sollte die gebracht werden konnte. Man ging wohl nicht bei einer Kutschfahrt durch den Zoologischen ­geplant, aber ein wochenlanger Arbeiterstreik Herkunftsregion der Tiere durch eine als typisch davon aus, dass der Zoo jemals zwei Afrikanische Garten im neu errichteten Antilopenhaus eine verzögerte seine Fertigstellung, ebenso wie die indisch empfundene Architektur erkennbar oder Asiatische Elefanten haben würde. In das gemütliche Pause bei einem Bier einlegten. Der Arbeiten am vor dem Haus geplanten Vierwald- sein. Die Elefantenpagode mit ihren hohen Tür- Haus zog 1874 auch das erste in Berlin gehaltene russische Herrscher war so beeindruckt, dass er stätter See. Dieser reguliert nämlich den Grund- men bestimmte die Skyline in diesem Teil des Flusspferd ein. dem Berliner Zoo ein Wisentpaar vermachte. Ein wasserspiegel im Garten und musste deshalb rasch expandierenden Berlins. Erst 1895 sollte Das 1901 eröffnete Straußenhaus der Archi- Jahr später war mit Schah Nasreddin von Per­sien auch zuerst beendet werden. Es wurde daher sie durch den Turm der benachbarten Kaiser- tekten Kayser & von Großheim war dagegen das nächste Staatsoberhaupt zu Gast und ließ

1876 2. Juni 1878 13. Juni 1878 Eröffnung der Nationalgalerie Attentat auf Wilhelm I. Bismarck eröffnet den Berliner Kongress 52 53

bras ist mit seinen im Oval angelegten Käfigen und den fächerförmigen Außengehegen ein Bei- spiel für dieses Konzept. Größere Freianlagen waren aber nur für die Giraffen vorgesehen. Der »Hirschpark« des Berliner Zoos enthielt um die Jahrhundertwende in etwa 65 Gehege mit vielen unterschiedlichen Arten, und im Vogelhaus wa- ren die kleinen Käfige dreistöckig übereinander angeordnet.9 Alles das atmete die Atmosphäre eines »lebendigen« Naturkundemuseums. Man konnte an den Gehegen wie an Vitrinen vorbei- flanieren. Es ging darum, die gesamte Vielfalt Grundriss des Antilopenhauses mit den Außen­ der weltweiten Fauna abzubilden. Im Vergleich gehegen, 1875 der Tiere zueinander sollten die Besucher neue Erkenntnisse gewinnen. Haltungsbedingungen spielten dabei eine untergeordnete Rolle, und den Tieren wurde nur wenig Platz zum Auslauf gelassen. Auch wurden Tiere oft allein gehalten, um möglichst viele Arten zeigen zu können. Das war nach heutigem Verständnis nicht tierfreund- lich, vor allem wenn es sich um Herdentiere mit hochentwickeltem Sozialverhalten handelte. Die Das Straußenhaus, um 1930 gesamte Anlage des Zoologischen Gartens spie- gelte somit das damalige Wissenschafts- und Die vielen neu errichteten, schmückenden Bildungsverständnis wider und ebenso den vor- Bauten gaben dem Zoo ein sehr charakteristi- herrschenden Blick der meisten Menschen auf Wilhelm Kuhnert: Brand des Raubtierhauses, 1899 sches Aussehen. Und das nicht nur architekto- Tiere. nisch, denn die Häuser waren auch Ausdruck der Ausstellungs- und Sammlungsphilosophie Solch enge Ansammlungen von Tieren konnten gerade fertiggestellt worden war, musste sofort der damaligen Direktoren. Was unter Bodinus zudem im Unglücksfall allen gefährlich werden. bezogen werden. In diesem war nun wesentlich begann, wurde unter seinen Nachfolgern – insbe- Brandschutzbestimmungen waren damals noch weniger Holz verarbeitet worden, weshalb er als sondere Ludwig Heck – fortgesetzt: der systema- unbekannt. Schmerzhaft wurde dies dem Zoo brandsicherer galt.10 tische Zoo. bewusst, als im Oktober 1899 das 1871 ge­baute Spätestens seit den 1880er Jahren hatte es Raubtierhaus durch eine defekte Heizung in Das Innere des Straußenhauses, um 1930 sich durchgesetzt, dass der Berliner Zoo die Tiere Brand geriet. Es wurde ein Jaguar getötet, wäh- Restaurants und Konzerte zum Studium nach Ordnungen nebeneinander rend zwei Löwen leichte Verletzungen davontru- präsentierte. So konnte eine Vielzahl an Formen gen. Die Zoomitarbeiter wie auch der damalige Immer deutlicher wurde im Lauf der Jahr­zehnte, sich von Direktor Bodinus durch den Zoo führen. einer bestimmten Art vergleichend betrachtet Direktor Ludwig Heck und die Feuerwehr waren dass die Besucherinnen und Besucher neben vie- Es begann damit eine Tradition, die sich bis in werden. Das im Mai 1872 durch Kaiser Wilhelm I. schnell zur Stelle, um die Tiere in die Außenkäfige len Tieren und Bildung auch Zerstreuung und die Gegenwart fortsetzt. eröffnete Haus für Antilopen, Giraffen und Ze- zu lassen. Der neue Anbau, der glücklicherweise kulinarischen Genuss suchten. Schon vor 1869

Oktober 1878 1880 Die »Sozialistengesetze« treten in Kraft Bau des Anhalter Bahnhofs 54 55

tet, die in der Folge ausgebaut und vergrößert wurde. Von Mai 1870 an fanden regelmäßig Mi- litärmusikkonzerte statt. Die Besucher kamen in Strömen zu den Konzerten. Es schien, als habe der Berliner »High Society« ein solcher Platz ­gefehlt. Ganz im Zeitgeist der Wilhelminischen Ära standen bei diesen Konzerten patriotische Märsche und Stücke wie »Die Wacht am Rhein« auf dem Programm. Schon zwei Jahre später wurde aufgrund des Erfolgs eine pompöse Erweiterung des großen Restaurants in Angriff genommen. Mit dem 1874 Konzert­ in Betrieb genommenen Kaisersaal war der Zoo ankündigung, 1909 dann endlich mondän geworden. Die Folge all dieser Neuerungen und Bauten zeigte sich in dem enormen Zuspruch, den der Zoo nun unter Berlinerinnen und Berlinern aller Schichten er- hielt. »Vor wenigen Jahren wußten die meisten Berliner kaum, daß ihre Residenz auch einen Der Kaisersaal der Großen Restauration, um 1910 zoologischen Garten besaß; denn man sprach nicht davon, man ging nicht hinein, und wer ihn wirklich besucht hatte, wußte wenig Lobendes Fremden geworden.«11 Ab 1872 galt der Zoo nun von diesem Institute zu erzählen.« Früher kamen als »Hauptzierde der Residenz«.12 we­nige, nun »pilgert am Sonntag der schlichte­ Aber auch sonst ließ man sich nun einiges Bürger mit seiner ganzen Familie, um wenige einfallen. Als 1879 der Asiatische Elefantenbulle Konzert an der großen Konzertmuschel, um 1915 Stunden in einem kleinen Paradiese zu erleben. »Boy« starb, wurde sein Skelett vom Konservator […] Früher belief sich die höchste Zahl der Besu- des Zoologischen Museums präpariert und 1883 cher an einem Tage auf etwas über dreitausend im Dickhäuterhaus ausgestellt. Schon damals hatte es Überlegungen gegeben, die be­stehende Personen; vergangenen Sommer hat der Gar- verleitete die weiße Farbe der riesigen Knochen Restauration zu erweitern. Zu ungenügend er- ten an einem Sonntag über fünfundvierzigtau- einige Besucher dazu, zum Ärgernis des Zoos schienen Gästen das bescheidene Ambiente und send Besucher gehabt.« Mehr als 10 000 ­Stühle ihre »Namen und sonstige Personalbemerkun- Angebot. Nach etwas mehr als einem Jahr Bauzeit an 5000 Tischen, die auch noch häufig nicht gen« darauf zu hinterlassen.13 Noch immer sind konnte 1870 dann eine größere und anziehen­ reichten, gab es nun in der neuen, großen Res- solche »Graffiti« ein Problem im Zoo. Skellet von »Boy« im Inneren der Elefantenpagode, dere Gaststätte hinter dem Neptunteich eröffnet tauration. An manchen Tagen waren mehr als 1883 werden. Bodinus hatte auch hier Glück, konnte 200 Kellner im Einsatz. Vor allem nachmittags er so einen bereits aufgewerteten Zoo überneh- verursachten deshalb die feinen Equipagen so- Die Stadt kommt zum Zoo barkeit zu tun. Am 22. Juni 1865 nahm in Berlin men. Da er in Köln mit Großkonzerten bereits wie die Droschken der weniger Reichen vor dem die erste deutsche Pferdestraßenbahnlinie ihren viel Erfolg gehabt hatte, brachte er die Idee mit Eingang am Tiergarten einen Stau. »Der zoologi- Der Bedeutungsgewinn des Zoos und das wach- Betrieb auf. Es handelte sich dabei um von Pfer- nach Berlin. In Richtung der Terrassen des neuen sche Garten ist durch Bodinus zu dem Lieblings- sende Publikumsinteresse hatten auch etwas den gezogene, auf Schienen fahrende Waggons. Restaurants wurde eine Konzertmuschel errich- aufenthalte für die Berliner, zum Zugort für alle mit der nun wesentlich verbesserten Erreich- Diese hatten gegenüber den auf gewöhnlichen

1880 1881 1. April 1881 Robert Koch nimmt seine Tätigkeit in Berlin auf Erste öffentliche Radrennen in Berlin Aufnahme des Fernsprechverkehrs in Berlin mit etwa 50 Teilnehmern 56 57

ein außergewöhnlicher Luxus. Aber die zuneh- mende Schicht der Angestellten und Beamten, die beflissen an ihrem Stand und ihrer Bildung arbeiteten und der Bourgeoisie nacheiferten, zog es jetzt häufiger in den Zoo. Das erste Eingangsportal, im Tiergarten hin- ter dem Landwehrkanal gelegen, wurde nun allmählich zum »Hintereingang« des Zoos. Die neuen Verkehrsachsen, die Berlin, Charlotten- burg und Wilmersdorf miteinander verbanden, entstanden am westlichen und südlichen Rand. Eingang Lichtensteinallee im Tiergarten, um 1910 Zunächst wurde daher Ende der 1870er Jahre ein Eingang an der Budapester Straße eröffnet, die damals noch Kurfürstenstraße hieß. Auch am Rädern gezogenen Wagen mehr Komfort. Die westlichen Rand des Zoogeländes wurden neue Linie ­führte vom Kupfergraben über die Charlot- Verbindungen und ein ganzer Bahnhof gebaut. tenburger Chaussee (heute Straße des 17. Juni) Wie wichtig die neuen Verkehrsverbindungen durch den Tiergarten und verband Berlin mit der werden sollten, war anscheinend nicht einmal eigenständigen Stadtgemeinde Charlottenburg. dem Vorstand des Aktienvereins bewusst. Die Di- Das verkürzte den Laufweg durch den Tiergarten rektion der Berliner Stadteisenbahn ließ den Zoo erheblich. Später wurde ein Abzweig vom Gro- im Januar 1878 und erneut im April 1879 wissen, ßen Stern zum Zooeingang gebaut. Dort wurde dass man es für zweckmäßig hielt, einen weiteren 1874 eine Endhaltestelle mit Stallgebäude auf Eingang an der bald zu eröffnenden Stadtbahn dem Zoogelände, noch außerhalb des Zauns, zu bauen. Als der Zoo aber hierauf nicht reagiert eingerichtet, an der die Pferde für die Rückfahrt hatte, fragte man kurz vor Inbetriebnahme des umgespannt werden konnten.14 Das Grundstück Bahnhofs im November 1881 erneut nach.17 Die war mit Zustimmung des preußischen Fiskus für Bahn selbst hatte den Bahnhof nämlich großzü- diesen Zweck zur Verfügung gestellt worden. Ab giger geplant, da sie von großen Besuchermassen Juli 1875 konnte man dann alle 20 bis 24 Minuten »an einzelnen Sommertagen« ausging.18 bis direkt vor den Eingang fahren.15 Für 2 ½ Sil- Der Zoo eröffnete daraufhin zunächst einen bergroschen war der Zoo nun für die Berlinerin- provisorischen Eingang mit zwei Kassenhäus- nen und Berliner in einer annehmbaren Zeit zu chen. Dabei sollte mit der Stadtbahn erneut eine erreichen. 1880 kam schließlich noch eine Zweig- entscheidende Wendung zum Guten für den Zoo linie vom »Knie« (dem heutigen Ernst-Reuter- eingeleitet werden. Ab Februar 1882 verband sie Platz) über die Kurfürstenstraße hinzu. Sie führte den Schlesischen Bahnhof im Osten der Stadt Plan des Weichbildes der Stadt Berlin, 1908 ungefähr bis zum heutigen Elefantentor.16 (heute Ostbahnhof) mit Charlottenburg und Noch konnte es sich nicht jeder leisten, mit dem gleichnamigen Bahnhof. Mit insgesamt dem neuen Verkehrsmittel zu reisen. Für viele zwölf Kilometern und neun Stationen band sie ein kleiner Luxus, aber das Zoopublikum wurde Bald wurde das Gedränge an der Stadtbahn Arbeiter aus den Mietskasernen, die überall aus nun auch den Zoo an Berlin an. Zwar war eine immer breitgefächerter, und die Besucherzahlen so groß, dass sich der mittlerweile amtierende dem Boden schossen, blieb ein Besuch im Zoo Fahrkarte für manche Berliner noch lange Zeit stiegen. Zoodirektor Ludwig Heck dazu entschloss, auch

Mai 1881 1882 Inbetriebnahme der ersten elektrischen Straßenbahn Betriebsbeginn auf der Stadtbahn Berlin 58 59

dort einen repräsentativen Eingang errichten zu Gäste kommen aber immer noch durch das Lö- aber deutlich in Schwung gekommene deutsche lassen. Die Architekten Zaar & Vahl entwarfen wentor am Bahnhof Zoologischer Garten. Industrialisierung und die stetig zunehmende quadratische Kassenhäuschen, die von großen Bedeutung Berlins als Hauptstadt einer europäi­ steinernen Löwen gekrönt wurden. Unter diesen Auch das Wachstum von Wilmersdorf und Char- schen Großmacht führten weiterhin zu großem verlief ein Fries mit Tierköpfen. Für die Bahnrei- lottenburg wirkte sich auf den Zoo aus. Bald Bevölkerungswachstum und einer Steigerung senden war nun ein attraktiver Eingang entstan- entstanden südlich des Zoos zwischen Kurfürs- vorhandenen Kapitals. Berlin, Charlottenburg den, der standesgemäß seine Gäste begrüßte. tenstraße und Kurfürstendamm große, reprä- und der Ort Wilmersdorf wuchsen dadurch im- Wie zu erwarten, wurden die geplanten Kosten sentative Gebäude. Die Straßenbahnstrecke an mer näher an den Zoo heran. Charlottenburg überschritten, wohl auch weil sich das Finanz­ der Kurfürstenstraße wurde elektrifiziert.20 Das verdreifachte zum Beispiel zwischen 1875 und ministerium einen »ansehnlichen« Abschluss zur alles machte die Pferdeeisenbahn an der Lich- 1890 seine Einwohnerzahl auf mehr als 75 000, Stadtbahn hin wünschte und die Bauten so mo- tensteinbrücke bald überflüssig, und der Zoo Wilmersdorf wuchs um das Doppelte auf über numentaler ausfielen als ursprünglich geplant.19 benötigte die Fläche des Depots und Stalls an 5000 Bewohner an.22 Löwentor mit Hinweisschild zur U-Bahn, um 1909 Noch wichtiger wurde der neue Eingang, als 1909 seiner nordöstlichen Ecke für seine immer grö- der U-Bahnhof Zoologischer Garten in Betrieb ßer werdende Tiersammlung. Nach jahrelangen genommen wurde. Zwar wurde das spätere Ele- Verhandlungen konnte er mit Unterstützung des fantentor am südöstlichen Rand berühmter und preußischen Finanzministeriums die Fläche kurz gilt bei den meisten Berlinerinnen und Berlinern nach der Jahrhundertwende wiedererlangen.21 und Touristen als Haupteingang des Zoos. Mehr Die im internationalen Vergleich eher späte, nun

Abonnementkarten für den Zoologischen Garten, um 1900

Die Gegend südlich des Tiergartens zog mit beflissene Bürgertum, das sich diese Karten leis- der Zeit viele wohlhabende Bürger an. In den ten konnte und wollte. späteren Stadtbezirken Charlottenburg, Tiergar- Aber auch für die einkommensschwachen Be- ten und Wilmersdorf lebten viele Zooaktionäre. völkerungsgruppen mussten Angebote gemacht Schon bald nach seiner Eröffnung hatte der Zoo werden. Das gebot schon das Prestige des Zoos. mit dem Verkauf von Jahreskarten begonnen. Wollte dieser sich eine echte Volksbildungs­stätte Für wohlhabende Charlottenburger und Berliner nennen, konnte er einen Großteil der Berline- war solch eine Abonemmentkarte geradezu ein rinnen und Berliner nicht ausschließen. Unter »Acce­ssoire«, das jeder haben musste. Abends Zoodirektor Heinrich Bodinus wurde daher am promenierten auf den Alleen im Zoo die gesell- ersten Sonntag eines jeden Monats der Eintritts- schaftlichen Eliten. Abonnementkarten aus der preis halbiert. Für 25 Pfennig konnte an den »bil- Günther Klebes: Dampfbahn vor der Elefantenpagode, um 1886 Zeit der Jahrhundertwende zeigen das bildungs- ligen Sonntagen« ein weitaus größerer Teil der

9. März 1888 15. Juni 1888 Kaiser Wilhelm I. stirbt Kaiser Friedrich III. stirbt, Wilhelm II. besteigt den Kaiserthron