Deutschland

Es ist das alte Dilemma einer politischen Truppe, die sich als „Programmpartei“ und PARTEIEN nicht als „Funktionspartei“ verstehe, wie ein Redner betont. Ist es Verrat an grünen Erhobenen Hauptes Idealen, wenn man die Kompromisslinie eines Koalitionsvertrags auslotet? Unter Hamburgs Grünen wird – spätes- Vor den Gesprächen mit der Hamburger CDU zeigt sich tens ab Mittwoch nach den Sondierungs- gesprächen mit – diese Fra- die Zerrissenheit der Grünen: Selbst die künftige Doppelspitze ge zu heftigen Debatten führen. Auf Bun- Künast/Trittin ist über das Projekt Schwarz-Grün uneins. desebene glaubt die Partei das Problem mit einem personellen Kniff lösen zu kön- s war ein Abend des gepflegten Dis- Chance, in so etwas wie ein Mo- nen. Sie will die unterschiedlichen Lager kurses, bei Bionade und Beck’s Gold, dellprojekt für eine neue Farbenlehre in mit einer Doppelspitze einfangen. Voraus- Ein der Aula der Max-Brauer-Schule Deutschland zu schaffen – ganz ähnlich gesetzt, der Parteitag im November stimmt in Hamburg-Altona. Vielleicht lag es an wie 1985, als das erste rot-grüne Bündnis in zu, werden die Grünen mit einem Duo in der Anwesenheit von Reinhard Bütikofer, Hessen geschmiedet wurde. Doch genauso den Bundestagswahlkampf 2009 ziehen: dem Bundesvorsitzenden der Grünen, viel- deutlich zeigte sich vorige Woche die in- Renate Künast und Jürgen Trittin. leicht an den routiniert emphatischen Vor- nere Zerrissenheit der Partei. Aus praktischer Sicht hat die Zweier- trägen der Hamburger Bundestagsabge- In der norddeutschen Millionenstadt ist variante ihren Reiz: Trittin ist ein Linker, ordneten und : das besonders eindringlich zu besichtigen. der durch die ehemaligen Grünen-Hoch- Die gefürchtete linke Basis der Grünen Denn einerseits paktieren die Grünen be- burgen touren soll, wo die Partei zuletzt hielt sich erstaunlich zurück am vergan- reits auf lokaler Ebene mit der Union. Die dramatisch Stimmenanteile an die Linke genen Donnerstag, als die Partei darüber Bezirksregierungen in Altona und Harburg verloren hat. Künast gehört dem Realo- zu befinden hatte, ob sie mit der CDU des funktionieren gut, die Konservativen seien Flügel an, sie will die bürgerlichen Wähler locken; ein Mann, eine Frau – dem Proporzdenken ist so auch noch gedient. Das Gespann, das herzliche Abneigung zueinander pflegt, soll ergänzt werden durch ein fünfköpfiges Wahlkampfteam: Ihm sollen Parteichefin , Fraktionschef und die Umweltexpertin Bärbel Höhn angehören. Die Grundsatzkonflikte der Partei werden durch die Perso- nalentscheidungen freilich nicht gelöst. Seit dem Verlust der Re- gierungsmacht von Selbstzwei- feln geplagt, müssen die Grü- nen zusehen, wie Kanzlerin An- gela Merkel auf grönländischem Eis steht und den Klimawandel beklagt. Die radikalsten Pazifis- ten wiederum haben sich in der

HANS-CHRISTIAN PLAMBECK HANS-CHRISTIAN LUX PATRICK Linkspartei eingefunden. Hamburger Bürgermeister Beust, Grünen-Versammlung*: Chance für eine neue Farbenlehre Wo also ist die Nische der Grünen? regierenden Bürgermeisters Ole von Beust „verlässlich“, lobt der Kommunalparla- Die Antwort auf die Frage ist so kompli- in „Sondierungsgespräche“ für eine Koali- mentarier Winfried Sdun. ziert, weil die Wähler der Grünen – und das tion eintreten solle. Andererseits klammert sich die Basis an gilt für Hamburg geradezu prototypisch – Mit überraschend großer Mehrheit vo- den Wunschpartner SPD und das gemein- alles auf einmal sind: Weltverbesserer und tierten die knapp 300 Mitglieder nach drei same „linke Projekt“, das spätestens seit Besserverdienende, konsumfreudige He- Stunden und 29 Reden für den Dialog mit dem Aufkommen der Linken allenfalls un- donisten, die gewissenhaft ihren Müll tren- dem vormaligen Klassenfeind. Nur rund ter erschwerten Bedingungen noch denk- nen, arme Studenten und reiche Söhne, 20 Parteigänger lehnten es ab, wie eine bar scheint. „Macht darf nicht vor Inhalte Fußgänger und Smart-Fahrer. 76 Prozent Kreisvorsitzende es formulierte, „das grü- gehen“, predigt eine Rednerin die Sehn- der grünen Wähler stufen sich als links ein, ne Feigenblatt auf schwarzem Grund“ zu sucht nach der reinen Lehre; eine andere das sind mehr als die Anhänger der Linken. liefern. „Gut gelaufen“ sei die Veranstal- will keine „grün angestrichene FDP“ sein. Dennoch hat die Partei eine betuchte tung, flötete Sager nach der Abstimmung. „Wählerstimmen muss man optimal nut- Wählerschicht. Wie macht man Politik für Dabei weiß die Ober-Reala nur zu gut, zen“, hält Krista Sager dagegen. „Mut und solche Leute? Steuern rauf oder runter? dass die Grünen, die in der Hansestadt als Selbstbewusstsein“ brauchten die Grünen Geld in Bildung oder in höhere Hartz-IV- GAL firmieren, bis zur Machtteilhabe noch jetzt, um neue Wege zu beschreiten. Sätze? Schwarz-Grün oder Linksblock? ein ganzes Stück Weg vor sich haben. Die neue Doppelspitze könnte leicht Zwar waren die Spitzenkandidatin Chris- zum Symbol grüner Ratlosigkeit werden. * Vorn: Spitzenkandidatin , Bundes- ta Goetsch und die anderen Befürworter vorsitzender Reinhard Bütikofer und Landeschefin Anja Trittin möchte die Partei fest im linken La- von Schwarz-Grün erkennbar stolz auf die Hajduk am vergangenen Donnerstag in Hamburg. ger verankern, Künast dagegen will sie öff-

52 der spiegel 10/2008 großmütig – und gab damit auch gleich zu verstehen, wer Herr im Rathaus bleibt. So gilt unter der Hamburger Grünen- Spitze auch als ausgemacht, dass gegen die Ausbaggerung der Elbfahrrinne kaum noch etwas auszurichten ist. „Wenn 80 Prozent der Bürger Parteien wählen, die für die Elbvertiefung eintreten“, argumentiert eine grüne Parlamentarierin, „werden wir diese schwerlich verhindern können.“ Auch im Falle eines rot-grünen Bündnisses hätte die wirtschaftspolitisch gebotene Elb- vertiefung schließlich zur Verhandlungs- masse gezählt. Vor allem die Pragmatiker sind es, die daran erinnern, dass auch unter Rot-Grün, von 1997 bis 2001, Kompromisse geschlos- sen wurden. Mit Schaudern erinnert sich Dorothee Freudenberg vom Altonaer Kreisverband an den damaligen SPD- Innensenator und den polizei-

SCHROEWIG / CS lichen Einsatz von Brechmitteln, die mut- Grünen-Politiker Trittin, Künast: Bewährungsprobe fürs ungleiche Doppel maßlichen Drogendealern verabreicht wur- den – damit sie im Magen deponierte Ko- nen für Bündnisse mit den Konservativen Wohncontainer für die Bauarbeiter aufge- kain-Kügelchen zum Auswurf brachten. – sie sieht darin die einzige Chance, aus baut. Der Konzern hat auch schon Dampf- Ein Afrikaner starb bei der Prozedur im der Abhängigkeit vom einstigen Koaliti- kessel und Turbinen zu einem mehrstelli- Institut für Rechtsmedizin, was Freuden- onspartner SPD zu entfliehen. Für die ehe- gen Millionenbetrag verbindlich bestellt. berg bis heute nicht verwunden hat: malige Verbraucherschutzministerin ge- „Wir haben keine andere Planung und wol- „Scholz war gruselig.“ hören auch Zahnarztgattinnen aus Blan- len in der beantragten Größe bauen“, sagt Dass so viele Mitglieder den Sondie- kenese zum grünen Wählerreservoir. eine Sprecherin des Konzerns. rungsgesprächen zustimmten, hat auch mit Und so könnten die schwarz-grünen Natürlich halten es Beobachter für denk- der Abwanderung so mancher Fundis zu Gespräche in Hamburg zur ersten Be- bar, das Kraftwerk eine halbe Nummer tun. Im Mai 1999 etwa traten fünf Abge- währungsprobe des ungleichen Doppels kleiner und umweltfreundlicher zu bauen – ordnete wegen der deutschen Beteiligung werden. Trittin hat sich zwar nicht grund- aber reicht so ein Symbol, so eine Minitro- am Kosovo-Krieg aus der Partei aus und sätzlich gegen Verhandlungen gestellt, er phäe den grünen Parteimitgliedern, wenn gründeten die „Regenbogen“-Fraktion. Ei- verfolgt die Sache aber mit Argwohn: sie am Donnerstag nach den ersten Son- nige von ihnen finden sich heute bei den „Schwarz-Grün in Hamburg wäre ein Not- dierungsgesprächen erneut abstimmen sol- Linken wieder. nagel, es ist keine strategische Option.“ len? Und sind eine Handvoll „Leuchtturm- Das Mitregieren als Juniorpartner der Das sieht Künast völlig anders. Ein solches projekte“ genug – etwa die Wiederein- SPD kam seinerzeit auch beim Grünen- Bündnis hätte Strahlkraft „weit über Ham- führung einer Straßenbahn oder ein paar Wähler nicht gut an. Bei der Bürger- burg hinaus“, jubelte sie schon. Gemeinschaftsschulen in ausgewählten schaftswahl 2001 fiel die GAL von 13,9 auf Wenn es denn dazu kommt. Einig waren Stadtteilen –, um den Anhängern die Kom- 8,5 Prozent – ein gnadenloser Absturz, der sich die Mitglieder vorigen Donnerstag, von plizenschaft mit den Schwarzen zu ver- schon damals Zweifel an der „Schicksals- der CDU einen stattlichen Preis zu verlan- süßen? „Hocherhobenen Hauptes“ würde gemeinschaft“ mit der SPD nährte. gen, mit „höheren Forderungen“ in die Ver- sie in die Opposition gehen, verkündete Umgekehrt warnen Koalitionswillige wie handlungen zu gehen, als man dies bei einer Fraktionschefin Goetsch, sollte das Ver- Christiane Blömeke vor dem „Schritt in SPD-geführten Koalition getan hätte. Bei handlungsergebnis grüne Wünsche nicht die Bedeutungslosigkeit“, sollten sich die einigen Punkten stehen sich die Positionen hinreichend berücksichtigen. Grünen nun mutlos in die Opposition trol- bislang schier unversöhnlich gegenüber: Ole von Beust ist also am Zug. Die Grü- len. Die Linke würde sie bei jeder Forde- • So wollen die Konservativen die Elbe nen sind sein Wunschpartner: Nur weil die rung übertrumpfen. Und selbst im Verbund vertiefen, um den Hafen auch für die CDU viermal stärker sei als die Grünen, mit der Lafontaine-Truppe wären die bei- neuere Generation von Containerschif- würde man die GAL nicht in allen Fragen den Fraktionen zu schwach, um einen Un- fen fit zu machen; die Grünen lehnen „4 zu 1“ überstimmen, versicherte er tersuchungsausschuss einzuberufen. dies aus ökologischen Gründen strikt ab; Für die Zusammenarbeit mit der Union • in der Schulpolitik bestehen die Grünen SPIEGEL-UMFRAGE wirbt deshalb auch ein GALier der ersten auf der Gemeinschaftsschule als Ganz- Stunde, Jo Müller – und beschwört die Ge- tagsschule bis Klasse 9, die CDU möch- „Wäre eine schwarz-grüne Zusammen- staltungsmöglichkeiten der Partei. „Wir te dagegen die Gymnasien stärken; arbeit in Hamburg ein Modell mit sind noch nicht fertig“, raunt er in den Saal. • gegen den von der Union beschlossenen Zukunft auch für andere Bundesländer Müller weiß, wovon er redet. Im Juni Bau des Steinkohlekraftwerks Moorburg oder gar auf Bundesebene – oder eher 2007 sollte er Bezirksamtsleiter des schwarz- laufen die Grünen Sturm, es wäre das grün regierten Bezirks Altona werden. Da- größte seiner Art in Deutschland. eine Hamburger Notlösung?“ gegen gab es einen Aufstand an der Basis, Insbesondere der Klimakiller im Süden Modell mit Zukunft 34% der Landesvorstand schaltete sich ein und der Hansestadt könnte leicht zum Koali- pfiff die Lokalfürsten zurück. Müller musste tionskiller werden. Der Bauherr Vattenfall Notlösung 60% abtreten. Grund: Das schwarz-grüne Signal hat längst unübersehbare Fakten geschaf- erschien den Vorleuten zu deutlich für die TNS Forschung vom 27. und 28. Februar; 1000 Befragte; fen: Derzeit wird die Baugrube ausgeho- an 100 fehlende Prozent: „weiß nicht“/keine Angabe anstehende Bürgerschaftswahl. ben, werden Zufahrtstraßen angelegt und Per Hinrichs, René Pfister

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