58 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1939 wird die Laga noch mehr als heute ein stark zertaltes und fieder- förmig verästeltes Gebirge sein.

Fosso Chiarino. Anklänge an die ehemalige Vereisung der Laga sind ferner im obersten Abschnitt des T. Chiarino, der R e g i o n e 1 e V a g l i e (1700-2100 m) erhalten. Dieses nach NW gerichtete, offene, schwach abfallende Talstück ist zwischen dem M. le Vene (2020 m) und dem Macera della Morte eingebettet. Es gleicht in seiner Ausgestaltung, trotz der zerstörenden Wirkung der atmosphärischen Einflüsse, heute noch auffallend den einst eiserfüllten Hochmulden der zen- tralapenninischen Kalkgebirge. Auf Grund dieser Untersuchung ist das Laga-Gebirge als ein Mittelpunkt der diluvialen Vereisung anzusehen. Es war auf seiner E-Seite von einem Kranz sehr kurzer Gletscher geschmückt. Die Gehängeknicke in den Trogtälchen deuten auf eine Gletschermäch- tigkeit von rund 100 m hin.

C. Gesamtbild der eiszeitlichen Vergletscherung.

Grösse und Typus. Alle Gebirge des Zentralapennins von über 2000 m Höhe waren vergletschert. Das wird durch Kare und Moränen bewiesen. Die wich- tigsten Talgletscher waren:

Gebirge Tal Exposition Gletscher- Gletscher- länge ende km m ü. M. Gran Sasso Arno N 8-9 700— 800 Venaquaro N 5 1200 Solagne W 4 1300 Campo Imperatore E 10 1500 Majella Femmina Morta S 5 2350 Cannella E 3 1900 Velino Majelama SE 5 1050 Teve W 7 1013 Sibillini Aso N 4 1250-1300 Meta Rio Torto E 4-5 1000 Inferno NE 5 1050 Greco Chiarano N 8-9 1550-1650 Pistacchia N 8 1600 Terminillo Meta N 5 1150 Simbruini Rio NW 5 905 Jahrg. 84. K. SuTER. Die eiszeitliche Vergletscherung des Zentralapennins. 59

Die Gletscher waren maximal 8-10 km lang; sie drangen höch- stens bis auf 700-1000 m hinab, gerade bis an den Gebirgsfuss. Zwei allerdings sind ins Vorland vorgestossen, nämlich der des Arno-Tales auf einer Länge von 3 km und der des Majelama-Tales auf einer solchen von 600 m. Die meisten haben im Gebirgsinnern in 1400-1500 m ihr Ende gefunden. Die Gletscher der verschiede- nen Erhebungen, z. B. des Gran Sasso, des Velino oder der Majella, kamen miteinander nicht in Berührung; jedes Gebirge besass seine eigene, selbständige Vergletscherung. Diese hat sich insbesondere auf den N- und E-Hängen ausgewirkt. Sie war durchaus bemerkens- wert. Indessen treffen die Annahmen, dass einst sehr mächtige Eisströme bestanden, nicht zu. Dafür waren die morphologischen und orographischen Verhältnisse nicht günstig. Wir vermissen hohe und zugleich sehr ausgedehnte Gebirgsmassen mit weiten Ver- flachungen, mit breiten, geräumigen Mulden und Hochtälern, die für längste Erstreckung in höchsten Lagen und unmittelbarer Haupt- kammnähe verlaufen. Nach Grösse und Anzahl der Gletscher lassen sich die Gebirge in drei Gruppen scheiden. Die erste umfasst die Hauptgebiete der Vereisung mit Gletschern von über 5 km Länge, nämlich den Gran Sasso, M. Velino, M. Greco und die Meta; die zweite, deren Gletscher 3-5 km lang waren, die Monti Sibillini, Monti Simbruini, den M. Terminillo und die Majella; und die dritte, die nur kurze, unter 3 km lange Eiszungen besass, den Matese, M. Morrone, M. Si- rente, M. Cornacchia und M. dOcre. Im Zentralapennin herrschte der alpine Gletschertypus. Wie in den Alpen hatte jeder Gletscher sein eigenes Nähr- und Abfluss- gebiet. Er wurde von steilen Wänden und Gipfeln überragt, deren Verwitterungsschutt auf ihn niederstürzte und von ihm als Moräne verfrachtet wurde. Die Eismächtigkeit hat im allgemeinen 50-100 m, ausnahmsweise bis 200 m betragen. Das geht aus der Lage der Schliff- grenze in den Trogtälern hervor.

Die eiszeitliche Schneegrenze. Es ist wiederholt versucht worden, für den Zentralapennin die Höhe der Schneegrenze für die Zeit maximaler Gletscherausdehnung festzulegen. Dabei sind ganz verschiedene Ergebnisse ermittelt wor- den, die den jeweiligen Stand der Eiszeitforschung in diesem Ge- birge widerspiegeln. J. PARTSCH (126) bestimmte die Schneegrenz- linie 1889 für das Aso-Tal (Monti Sibillini) auf 2200 m, K. HASSERT 60 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1939

(68) 1900 für den Zentralapennin auf 1900 m, G. DAINELLI (42) 1906 am M. Viglio (Monti Simbruini) für einen älteren Gletscherstand auf 1400 m und für einen jüngeren auf 1650 m, R. ALMAGIA (2) 1912 für den Zentralapennin auf 1300-1400 m, 0. MARINEM und L. Rico (105) 1916 für den Gran Sasso auf 2000 m, S. FRANCHI (51) 1921 für die Monti Simbruini auf 1600 m und für das ganze Gebiet der Abruz- zen auf 1500— 1600 m, R. BIASUTTI (12) 1923 für den Gran Sasso auf 1800 m, C. CREMA (35) 1927 für den M. Morrone auf 1200 m und T. BIELER-CHATELAN (14) 1929 für den NW-Hang der Monti Sim- bruini auf 1400 m. «Bei dieser Annahme bekäme das Firngebiet einen mehr als genügend grossen Flächeninhalt, um die Ansicht, dass hier maximal 50 km lange Gletscher bestanden haben, wahr- scheinlich zu machen» (14). In der Enciclopedia italiana (45) ist sie 1929. für den Zentralapennin mit 1100-1200 m und von C. COLA- MONICO (27) 1930 für den Matese mit 1750 m angegeben worden. Zahlreichere zuverlässige Ergebnisse über die Höhe der eis- zeitlichen Schneegrenze stammen aus dem Jahre 1930 von M. GOR- TANI (59-60). Sie sind mit Hilfe der M e t h o d e v o n L. KuaowsKI (88), die sich bei Bestimmungen rezenter und diluvialer Schnee- grenzlagen vieler Gebirge bewährt hat, gewonnen worden. Nach ihr entspricht die mittlere Höhe der Oberfläche eines Gletschers unge- fähr der Höhe der Schneegrenze seines Gebietes. Nach F. MACHAT-

Tabelle 1. Expo- Maximale Gletscher- Mittlere Höhe Gebirge Talgletscher sition Kammhöhe ende der Gletscher- in m ü.M. in m ü.M. oberfläche in m ü.M. Velino Teve NW 2330 1300 1800 Majelama SE 2363 1100 1700 Meta Rio Torto NE 2241 1100 1650 Inferno NE 2247 1050 1650 Jannangara NE 2164 1050 1600 Capraro-Civi- tella Alfedena NE 1993 1200 1600 Fondillo N 1974 1200 1600 Fredda N 1904 1300 1600 Canneto S 2164 1300 1700-1750 Marslcano Orsara E 2242 1600 1900 Campitello E 2100 1600 1850 Corte N 2225 1550 1850 Terratta bei Scanno E 2131 1100 1600 Simbruini Rio NW 2037 900 1450 Jahrg. 84. K. SUTER. Die eiszeitliche Vergletscherung des Zentralapeunins. 61 sc>TEK (100) liefern kleine und ziemlich steile Gletscher die genaue- sten Werte. Für Bestimmungen der diluvialen Schneegrenze muss also die Oberfläche der einstigen Gletscher möglichst genau rekon- struiert und zur Berechnung der mittleren Höhe das arithmetische Mittel aus den Höhen von Gletscheranfang und Gletscherende ge- nommen werden. Die Höhe des Gletscheranfanges wird gewöhnlich

Tabelle 2.

Expo- Maximale Gletscher- Mittl. Höhe Gebirge Talgletscher sition Kammhöhe eude d.Gletscher- in m ü.M. in m ü.M. oberfläche in m ü.M.

Gran Sasso Arno N Cefalone 2532 800 1650 Venaquaro N Malecoste 2447 1190 1800 Solagne W Corvo 2626 1280 1950 Campo Imperatore E Portella 2388 1500 1950 Majella Femmina Morta S Amaro 2795 2350 2550 Cannella E Amaro 2795 1900 2350 Mandrelle E Tre Portoni 2610 2000 2300 Velino Cieco W Muro Lungo 2187 1550 1850-1900 Leona NE Costoue 2277 1550 1850-1900 Asina N Morrone 226 1450 1850 Pezza E Costone dello Ceraso 2185 1450 1800 Giumenta N Puzzillo 2177 1450 1800 Ovindoli E Magnola 2223 1410 1800 Meta Lattara W Nero 1994 1350 1650-1700 Inguagnare W Nero 1994 1350 1650-1700 Pagana E Meta 2241 1400 1800 Greco Chiarano N Greco 2283 1650 1950 Pistacchia N Greco 2283 1650 1950 Macchione E Toppe del Tesoro 2145 1400 1750-1800 Matese Ravarelle NE Miletto 2050 1370 1700-1750 Gallinola W Gallinola 1923 1400 1650-1700 Terminillo Meta N Termlnillo 2213 1150 1700 Rocchette NW Terminilletto 2108 1500 1800 Scura NE Porcini 2081 1100 1600 Inferno E Valloni 2028 1500 1750 Sibillini Aso N Vettore 2487 1300 1850-1900 Lunga N Porche 2235 1200 1700-1750 Ambro E Berro 2259 1200 1750 Ussita W Berro 2259 1500 1850-1900 Bove W Bove 2169 1650 1900 Simbruini S. Onofrio W Catino 1987 1461 1700-1750 Granara N Viglio 2156 1300 1700-1750 62 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1930 der mittleren Höhe der Firnumrahmung gleichgesetzt. M. GORTANI (58-60) hat allerdings der Einfachheit halber die maximale Kamm- höhe benützt; das hat zur Folge, dass die Schneegrenzzahlen etwas zu hoch werden, nach meinen Berechnungen im Zentralapennin um ungefähr 40 m. In Tabelle 1 habe ich die Ergebnisse von M. GORTANI zusammengestellt. M. GORTANI (58-60) hat aus seinen Berechnungen die Schluss- folgerung gezogen, dass die Schneegrenze im M. Marsicano auf der N-Seite in 1850 m, im M. Velino auf der SW-Seite in 1800 m und in den Monti Simbruini auf der S-Seite in 1650 m, auf der N- und E-Seite in 1550 m, im Mittel also in 1600 m gelegen hat. Nur vereinzelt, an orographisch besonders begünstigten Stellen, dürfte sie tiefer hinab gereicht haben, z. B. im V. il Rio auf 1450 m. Nach meinen Berech- nungen hat sie in den Monti Simbruini um 100-150 m höher, also in etwa 1750 m gelegen (173). H. KALLNER (74) kam bei der Unter- suchung des Aniene-Tales, das im W dieses Gebirges liegt, zum glei- chen Schluss. Um zu möglichst zuverlässigen Zahlenwerten für den Zentral- apennin zu gelangen, habe ich in der Tabelle 2 noch weitere Be- rechnungen nach der M e t h o d e v o n L. KuROwsKi (88) angeführt. Nach den Tabellen 1 und 2 ergibt sich für die Höhenlage der eis- zeitlichen Schneegrenze im Mittel:

Tabelle 3. Gebirge Mittlere Höhe der Schneegrenze in N- E- S- W-Exposition Gran Sasso 1700-1800 1950 1950 Majella 2300-2350 2550 Velino 1800-1850 1700-1800 1850-1900 Meta 1600 1650-1700 1700-1750 1650-1700 Greco 1900-1950 1750-1800 Marsicano 1850 1850-1900 Terratta 1600 Matese 1700-1750 Terminillo 1600-1700 1750 1800 Sibillini 1700-1750 1750 1850-1900 Simbruini 1650-1750 1700-1750

Nach Tabelle 2 hat die Schneegrenze innerhalb des gleichen Gebirges, selbst bei gleicher Exposition, von Tal zu Tal verschieden hoch gelegen. In dieser Verschiedenheit kommen die Einflüsse der örtlichen Reliefverhältnisse zum Ausdruck. Die Zahlen sind dem- nach als die Werte für die lokale oder orographische Schneegrenz- Jahrg. 84. K. SUTER. Die eiszeitliche Vergletscherung des Zentralapennins. 63 lage zu betrachten. Aus ihnen ist in Tabelle 3 ein Mittelwert berech- net worden, der die Begünstigungen und Benachteiligungen der lokalen Orographie aufhebt und als Näherungswert für die klima- tische Schneegrenzlage gelten darf. Die Tabelle 3 zeigt, dass in der Höhenlage der Schneegrenze zwischen den einzelnen Gebirgen keine sehr grossen Verschiedenheiten bestanden haben. Sie hielt sich im allgemeinen auf den N- und E-Hängen in 1750 m und in den W-Hän- gen in 1800 m. Für die S-Seiten erlaubt das wenige Zahlenmaterial die Angabe eines Wertes nicht. Sie lag aber hier sicher ziemlich höher, ist doch die Exposition von sehr grossem Einfluss auf die Er- wärmung und damit auf die Vergletscherung. Die Auslage schafft Sonnen- und Schattenseiten und bewirkt nicht selten auf geringe Entfernung grosse klimatische Gegensätze. In vielen Erhebungen des Apennins weicht die winterliche Schneedecke heute auf den S-Hängen um zwei Monate froher als auf den N-Hängen, wo die Inso- lation geringer ist. Zur Eiszeit müssen die N- und E-Hänge gleich- falls schattiger und kühler als die S-Hänge gewesen sein. Die Schnee- grenze dürfte örtlich nicht nur aus orographischen Gründen, son- dern noch durch den Umstand herabgesetzt worden sein, dass das Gebirge fast senkrecht zur Richtung des herrschenden Windes, der von W und SW her kam, verläuft. Der Schnee ist demnach vor allem auf die N- und E-Seiten hinüber geweht und dort in grosser Menge aufgespeichert worden. Die Höhenlage der Schneegrenze lässt sich im Zentralapennin auch aus der mittleren Höhenlage der Karböden bestimmen. Denn die Bildung der Kare ist in diesem Gebirge an die Schneegrenze geknüpft. Diese Nischen brauchen mit ihr nicht zu- sammenzufallen, haben sich aber in ihrer Nähe befunden.

Tabelle 4. Gebirge Gipfel in m Exposition und Höhenlage der Kare) Gran Sasso M. Portella 2388 N 2100-2150 M. Cefalone 2532 NE 2100 M. Cefalone- M. Intermesole 2532-2646 NE 1900 M. Malecoste 2447 N 2100 M. Corvo 2626 N 2250 M. Corvo 2626 W 2100-2150 M. Scindarella- M. Paganica 2237-2097 N 1900-1950 M. Aquila 2498 S 2150-2200 2914 SW 2300 64 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1939

Gebirge Gipfel in m Exposition und Höhenlage der Kare 1)

Majella M. Amaro 2795 S 2500 Tre Portoni 2610 E 2400 Velino M. Velino 2487 N 2150 u. 1900 M. Rozzo 2287 N 1850-1900 M. Cafornia 2190-2325 NE 1900 M. Costone 2277 N u. E 1900 Cimata di Pezza 1900 NE 1750-1800 Costone dello Ceraso 2185 N 1750-1800 M. Muro Lungo 2187 N 1900-1950 M. Magnola 2223 NE 1900-1950 M. dOcr 2206 NE 1800 M. Morrone 2266 N 1900-1950 M. Sirente 2549 NE 1800 M. Orsell 2046 N 1800 Meta M. Petroso- M. Tartaro 2247-2181 N u. E 1800-1950 M. Met 2241 N 1950-2000 M. Metuccia 2167 E 1800 M. Capraro 2060 E 1900 Serra delle Gravare 1800-1900 N 1750-1800 M. S. Nicola 1901 N 1750-1800 M. Nero 1997 W 1750-1850 Greco Toppe del Tesoro 2145 E 1800-1900 M. Greco 2283 E 1850-1950 Serra Rocca Chiarano 2270-2100 E 1950 Matese M. Miletto 2050 NE 1800-1850 Terminillo M. Terminillo 2213 N 1900 M. Terminilletto 2108 NW 1950 Sassatelli 2079 NE 1850-1900 Sibillini M. Vettore 2449 N 1950 Quarto del Lorenzo 2250 E 1900-1950 M. Porche 2235 N 1950 M. Bove 2169 NW 1900 Simbruini M. Vigllo 2156 N 1850 M. Pizzodeta- M. del Passeggio 2037-2062 N u. E 1850-1900 Montagna Grande M. Terratta 2208 E 1900 Morrone M. Mucchia 1980 W 1900

1) Es ist wegen der Unzulänglichkeit der topographischen Karten schwer, die Höhenzahlen für die Karböden genau anzugeben. Jahrg. 84. K. STJTER. Die eiszeitliche Vergletscherung des Zentralapennins. 65

Tabelle 5. Gebirge Mittlere Höhenlage der Kare in N- E- S- W-Exposition

Gran Sasso obere Karreihe 2150-2200 2100-2150 untere Karreihe 1900-1950 2250 Majella 2200-2400 2500 Velino obere Karreihe 2150 untere Karreihe 1800 —1900 1800-1900 Meta obere Karreihe 1950-2000 untere Karreihe 1800 1850 1800 Greco 1850-1900 Matese 1800 Terininillo 180 -1900 180 -1900 1900 Sibillini 1950 1900 1900 Simbruini 1850 1850

Die Kare treten, wie die Tabellen 4 und 5 zeigen, vor allem in den N- und E-Hängen auf und zwar nicht willkürlich, sondern inner- halb einer bestimmten Höhenstufe, die Mehrzahl zwischen 1800 und 1900 m. In dieser Höhe, vielleicht wenig tiefer, muss die Schneegrenze gelegen haben. Nur vereinzelt, z. B. im M. Velino oder in der Meta, steigen die Kare auf 1700 m hinab. In den S-Hängen der meisten Gebirge fehlen sie; die Schneegrenze hat sich hier be- deutend höher, vielleicht in 2200-2300 m, befunden. In den einst am stärksten vergletscherten Gebirgen, wie dem Gran Sasso, Velino und der Meta, ist auf der N- und E-Seite ausser dem Karhorizont von 1800-1900 m noch ein solcher von 2000-2150 m vorhanden; diesem dürfte eine Schneegrenzlage von etwa 2000 m entsprechen. R. v. KLE.BELSBERG (79, 81) hat einige Schneegrenzlagen aus der Rekonstruktion des einstigen Firnareals be- stimmt. Im Arno-Tal des Gran Sasso reichte dieses auf 1800-1900 m hinab. «Die zugehörige Schneegrenze konnte nicht über dieser Höhe von rund 1800 m gelegen haben. Im W des Campo Imperatore stieg sie zur Zeit des Maximalstandes der Gletscher nicht über 1700 bis 1750 m hinauf. Da in den grösseren Höhen, über 1800 m, im Tal- hintergrund besonders ergiebige Firnareale fehlen, wird man kaum die ganze Gletschermasse aus diesen grösseren Höhen beziehen können und einen innern Teil des breiteren und flacheren tieferen Tales, wenigstens die Gletscheroberfläche in seinem Bereiche, noch zum Firngebiet schlagen müssen. — In der Majella ist die Schnee- grenze nicht wesentlich unter etwa 1800-1900 m anzusetzen. — In den Monti Sibillini schwankte sie je nach Exposition zwischen etwa 1700 und 1900-2000 m.» 66 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1939

Aus unsern Zusammenstellungen ergeben sich für die Schnee- grenzlage die folgenden Durchschnittswerte:

Tabelle 6. Gebirge Mittlere Höhe der Schneegrenze in N-, E- und W-Exposition

Gran Sasso 1750-1850 Majella 1800-1900 Velino 1750-1850 Meta 1700-1750 Greco 1850-1900 Matese 1750-1800 Terminillo 1700-1800 Sibillini 1750-1900 Simbruini 1700-1800

Nach Tabelle 6 darf als mittlere Höhenlage der Schneegrenze in N-, E- und W-Exposition für den ganzen Zentralapennin 1750 bis 1800 m angenommen werden. Wohl in keinem seiner Gebirge hat sie im Mittel unter 1650-1700 m hinuntergereicht. Mit Hilfe des kleinen Kargletschers im Gran Sasso lässt sich die Höhenlage der rezenten Schneegrenze berechnen. Für sie fan- den 0. MARINELL1 (105), L. R1cc1 (105) und R. V. KLEBELSBERG (82) 2900-3000 m. Es ergibt sich somit für die eiszeitliche Schneegrenze eine Depression von 1150-1200 m.

Vergleich mit der eiszeitlichen Vergletscherung des Nord- und Siidapennins und der Apuanischen Alpen.

Nordapennin. Zum Vergleich sollen im folgenden die wichtigsten Forschungs- ergebnisse, die über die eiszeitliche Vergletscherung in andern Tei- len des Apennins gewonnen worden sind, wiedergegeben werden. DerNordapenninwarimEmilianisch-toskanischen Abschnitt, wo er seine grössten Höhen erreicht (M. Cusna 2121 m und M. Cimone 2165 m) namhaft vereist. Allein im relativ kleinen Raum des P asso del Cerreto (1261 m) sind nach N und E sieben Gletscher niedergegangen (180), wovon vier in der Gruppe M. Alto (1904 m) - Alpe di Succiso (2017 m) - M. Casarola (1978 m) und drei in der Gruppe M. La Nuda (1894 m) - Cima Belfiore Jahrg. 84. K. SUTER. Die eiszeitliche Vergletscherung des Zentralapennins. 67

(1810 m). Sie lagen in den folgenden Tälern: V. Secchia (Gl. 3 km; Ge. 1007 m), V. del Lago di Casarola (Gl. 2 km; Ge. 1100 m), Canale Scuro (Gl. 2,5 km; Ge. 1100-1200 m), V. Liocca (Gl. 5,5 km; Ge. 800 m), V. Rosaro (01. 4 km; Ge. 1000-1100 m), Cavale Cerretano (Gl. 3 km; Ge. 1250 m) und V. Riarbero (G1.1 km; Ge. 1200-1300 m). Sie waren 2-4 km lang und endigten im Gebirge drin in 1000 bis 1200 m; nur der Gletscher des V. Liocca, der mit 5,5 km der längste war, drang bis an den Gebirgsfuss. Unabhängig von meiner Unter- suchung ist einige Zeit später U. Losacco (96) in einer Arbeit über das V. Rosaro und den Canale Cerretano zu den gleichen Ergeb- nissen gelangt. Von gleicher Grösse waren die Eiszungen, die einst aus der Gruppe M. Cimone - Libro Aperto (1937 m) - Alpe delle Tre Potenze (1940 m) - M. Rondinajo (1964 m) - M. Giovo (1991 m) in die Gegend von F i u m a 1 b o niederstiegen. Sie besetzten nach A. DEsio (44) die folgenden Täler: V. delle Tagliole (Ge. 950 m), V. delle Pozze (Gl. 5 km; Ge. 1100 m), V. del Pistone (Ge. 1000 m) und V. del. R. Bor- gognone (Ge. 1200 m). Die grössten Gletscher, die 7 km lang waren und 800 m ü. M. er- reichten, hat die Gruppe M. Orsaro (1830 m) - M. Brusa (1796 m) - M. Sillara (1861 m) hervorgebracht. Sie lagen nach F. SACCO (138) und A. BRIAN (18) im Parma- und Cedra-Tal. Zahlreiche kleine Gletscher haben die wichtigsten Erhebungen des Emilianisch-ligurischen Apennins, die maximal 1700-1800 m hoch sind, geschmückt, so nach F. SACCO (138, 146) den M. Antola (1598 m), M. Lesima (1724 m), M. Penna (1735 m), M. Ajona (1700 m). Sogar die zwischen Genua und Savona gelegene Gruppe des M. Beigua (Gruppo di Voltri oder Massiccio Ligure), die nur 1287 m erreicht, ist vergletschert gewesen, nämlich im S im V. dAcquabona (Gl. 1 km; Ge. 800-900 m) und V. del Fosso Lajone (01. 0,5 km; Ge. 900 m); im SW im V. del Fosso Peirora (Gl. 1,5 km; Ge. 900 m); im W im V. del R. del Lajone (G1.1 km; Ge. 1090 m); und im N im V. del R. della Stogia (Ge. 950 m) und im V. del R. della Traversa. In diesem Tal konnte ich (181) da, wo der Bach einen etwa 80 m hohen Riegel (1100 m) durchbricht, aufs schönste gekritz- tes und geglättetes Gletschergeschiebe, in Serpentinmergel einge- bettet, auffinden. Dagegen sah ich im NE im V. del R. del Nido keine glazialen Spuren. Die Tatsache, dass selbst der niedrige M. Beigua, wenn auch nur in geringem Masse, vergletschert war, ist aussergewöhnlich. Sein 68 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1939

breiter, flachwelliger Kamm stellte ein zusammenhängendes Firn- gebiet dar, aus dem vereinzelt Bergspitzen wie Nunataker heraus- ragten, z. B. der M. Rama oder die Rocca del Turnon. Von diesem Eisschild haben kurze, höchstens 1-2 km lange Eislappen gleichsam wie Fransen in die Täler im N und W bis auf 800-1000 m nieder- gehangen. Von alpinem Typus, also in festes Gestein eingebettet und von hohen Felswänden, die Schutt lieferten, überragt, waren dagegen die gleichfalls kurzen Eiszungen, die in den Tälern des S- und E- Hanges lagen. Die Schneegrenze muss sich bestimmt unter 1200 m, vielleicht in 1000 m, befunden haben. Das ist für den Apennin ausser- ordentlich tief. F. SACCO (145) hat als erster die einstige Vergletsche- rung des Ligurischen Massivs erkannt; er hat ihr aber ein viel zu grosses Ausmass zugeschrieben. So kann ich seine Ansicht, dass ein mehrere Kilometer langer Gletscher im V. della Stura di Ovada bis nach Rossiglione auf nur 300 m ü. M. vorstiess, nicht teilen. Die Moränen, die F. SACCO (145) zwischen Campo Ligure (350 m) und Masone angibt, sind teils Gehängeschutt und teils fluviatile Ablage- rungen. Ich konnte die Untersuchungen in diesem Geländeabschnitt nicht mit der notwendigen Gründlichkeit durchführen, da er zur Zeit meines Besuches (Ende Juli 1937) von Militär besetzt war. Im Nordapennin waren fast ausschliesslich die nach N und E schauenden Hänge vergletschert. Die Schneegrenze lag im Bereiche des Passo del Cerreto in ungefähr 1500 m Höhe. Für den höchsten Gebirgsabschnitt Corno alle Scale- M. Cimone - Alpe delle Tre Po- tenze - M. Giovo berechneten sie A. DESTO (44) und A. SESTINI (158) auf 1600 m. Die ehemalige Vereisung wird durch Kare, Trogtälchen und Moränen bewiesen. Selbst in den aus Flyschsandstein (arenaria macigno) bestehenden Gebirgsteilen sind diese Spuren überraschend gut erhalten. Die Feststellung der Moränen allerdings bereitet ge- legentlich Schwierigkeiten; sie sind, da ihre Formen leicht zerstört werden und ihr Geschiebe keine Kritze zeigt, nicht immer von an- deren Trümmerhaufen zu unterscheiden. Besonders schöne Schöp- fungen der Eiszeit sind die vielen kleinen Seelein, die die Hoch- region schmücken.

Apuanische Alpen. Zur Eiszeit haben die Apuanischen Alpen, die Höhen von 1800 bis 1900 m erreichen, neun Gletscher ausgeschickt (175). Die drei grössten stiegen aus dem Kerngebiet in die östlichen, meerabgewand- ten, tief eingeschnittenen und kurzen Täler hinab, so ins V. dellOrto Jahrg. 84. K. S1TER. Die eiszeitliche Vergletscherung des Zentralapennins. 69

di Donna (Gl. 4 km, Ge. 650 m), V. Acqua Bianca (Gl. 4 km, Ge. 680 m) und V. Tambura (Gl. 4 km, Ge. 570 m). Sie vermochten ein kurzes Stück weit aus dem eigentlichen Gebirge heraus ins Vorland zu dringen. In den N- und E-Hängen lagen ferner vier Hänge- gletscher, so im M. Pisanino (Gl. 1 km, Ge. 900 m), M. Roccandagia bei Campocatino (Gl. 1 km, Ge. 900 m), M. Corchia (Gl. 1,5 km, Ge. 950 m) und in der Pania Secca (01. 1 km, Ge. 850 m). Auf der S- und W-Seite des Gebirges war die Vergletscherung viel geringer. Es gab da nur einen einzigen Talgletscher; er lag im V. di A. r n i, das nach S gerichtet ist. Er war 2 km lang und endigte im Gebirgsinnern in 800 m. Die Vergletscherung dieses Tales ist in Anbetracht seiner wenig bedeutenden Höhenlage und Exposition sehr bemerkenswert. Wahrscheinlich ging noch ein Hängegletscher im W des M. Macina nieder. Für eine grössere Vereisung der Apuanischen Alpen war das Relief wenig günstig. Es fehlen geräumige und hochgelegene Mulden und flache Hänge. Die Schneegrenze dürfte im E des Gebirges im Mittel in 1300-1400 m gelegen haben.

Südapennin. Im höchsten Gebirge des Südapennins, dem M. (2271 m), hat R. v. KLEBELSBERG (80) Spuren von drei eiszeitlichen Gletschern, die 1,5-2 km lang waren, festgestellt. Sie lagen in den schattigen N- und E-Hängen zwischen dem M. Pollino (2248 m; im W) im engeren Sinne, der Serra di Dolcedorme (2271 m; im S) und der Serra delle Ciavole (2132 m; im E) und flossen in den Piano di Pol- lino (1780 m). Hier schufen sie eine ausgeprägte Moränenlandschaft. Die eiszeitliche Schneegrenze lag auf der N-Seite in 1900 m und auf der S-Seite, wo glaziale Spuren fehlen, in 2050-2100 m, im Durch- schnitt also in 2000 m. Von der höchsten Erhebung des S i r in o - Gebirges, dem M. d e 1 P a p a (2005 m), sind nach G. DE LORENZ° und G. DAINELLI (95) einst drei kurze Tal- und ein Hängegletscher ausgegangen. Ein Talgletscher stieg im N-Hang aus einem Haupt- und Nebenkar in die Regione Petina Piana bis auf 1526 m ü. M. nieder. Er liess auf seinem 2 km langen Wege stattliche Moränenwälle zurück, die an der Bil- dung des Lago Remmo oder Lago Laudemio (1517m) mitbeteiligt sind. Die Wanne des kleinen Sees ist aber wohl zum grösseren Teil durch Eisschurf im anstehenden Fels entstanden. Im N-Hang des Hauptgipfels, gleichfalls aus einem Haupt- und Neben- 70 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1939 kar, glitt ein zweiter Gletscher, der mit 3,5 km der grösste des Süd- apennins war, ins V. del Cacciatore bis auf 1220 m ü. M. Die sehr langen und bis 50 m hohen Moränenzüge hat die postglaziale fluvia- tile Erosion bis auf geringe Reste zerstört. Sie haben zur Bildung des sehr kleinen L a g o Z a p an o (1420 m ü. M., 50 m im Durchmesser) Veranlassung gegeben. Der dritte Talgletscher, der knapp 1,5 km Länge erreichte, entsprang im S-Hang und drang nach S in ein kurzes und stark beschattetes Tal zwischen dem M. del Papa und der Cresta dellAsino bis auf 1420 m ü. M. Es ist von G. DE. LORENZO (92, 93), da es ein südliches Nebental des V. Niedda ist, als V. Niedda Meridio- nale bezeichnet worden. Auf der W-Seite des Hauptgipfels endlich wurzelte im Nevera-Kar ein Hängegletscher. Für den M. Sirino ist die Schneegrenze auf 1600-1700 m, im Durchschnitt auf 1670 m, veranschlagt worden. M. Pollino und M. Sirino sind die einzigen Gebirge des Süd- apennins, für die eine diluviale Vereisung mit Sicherheit feststeht. Ihre Eiszungen waren nur 1,5-2 km, in einem einzigen Fall 3,5 km lang und endigten zwischen 1420 m und 1780 m, bzw. 1220 m ü. M. Die Vergletscherung war also sehr bescheiden. Sie stand hinter jener des höheren und nördlicher gelegenen Zentralapennins stark zurück. Alle Angaben über Gletscherspuren aus andern Teilen des `Süd- apennins haben sich entweder als unrichtig erwiesen oder müssen, da sie wenig überzeugend sind, noch überprüft werden, wie die von R. BIASUTTI (10) über den M. C er v a t i (1899 m). Er konnte aus diesem Gebirge lediglich fünf karähnliche Dolinen, die im Bereiche des Hauptgipfels liegen und deren Form nur durch Eisschurf erklärt werden könne, nennen. Nach dem heutigen Stand der For- schung sind die folgenden Mitteilungen unhaltbar: von G. DE Lo- RENZO (94) über die kleine, «karähnliche» Nische von Faggione in nur 1100 m im SE-Hang des M. Tumolo (1202 m) im V o l t u r in o

(1836 m); von C. CREMA (33) über Moränenvorkommnisse im glei- chen Gebirge, z. B. im oberen Agri-Tal, mit einer Schneegrenzlage von 1100 m; und von E. CORTESE (28) über Rundbuckel und Moränen im A s p r o m o n t e (höchster Punkt mit 1958 m). Aus den bisherigen Untersuchungen zu schliessen, sind Gebirge von we- niger als 2000 m Höhe nicht vergletschert gewesen. Das gilt nach einer Darstellung von R. v. KLEBELSBERG (80) wenigstens mit Sicher- heit für die S i l a (1930. m). Für ähnlich hohe Erhebungen liegen noch keine Mitteilungen vor, so z. B. für den M. Cervialto (1809 m),

M. Terminio (1786 m), M. Raparo (1761 m) oder die Madonie (1975 m) und Monti Nebrodi (1846 m) im Sizilianischen Apennin. Jahrg. 84. K. SUTER. Die eiszeitliche Vergletscherung des Zentralapennins. 71

Es bedürfen ferner die wenig überzeugenden Angaben von W. MAlrin (102-104) über glaziale Spuren im bedeutend höheren Ätna (3263 m) noch der Bestätigung, z. B. von Karen im N-Hang des Gipfels, von Moränenresten im V. del Bove in 2300-2600 m, oder von Taltrögen an der S-Seite der Serra del Solfizio (zumindest in den obersten Abschnitten des V. Tripido und V. Zappino). W. MAIER (102-104) hat die diluviale Schneegrenze dieses Vulkans aus der mittleren Höhe der Karsohlen auf 1900 m berechnet.

Die Vergletscherung war in den Apuanischen Alpen und im Nord- und Z e n t r a l a p e n n i n von ziemlich gleichem Ausmass. Die grössern Gletscher erreichten ansehnliche Längen, nämlich im Zentralapennin 5-10 km, im Nordapennin 4-7 km und in den Apuanischen Alpen 4 km. Nicht so aber im Südapennin, wo sie 1,5-2 km, in einem einzigen Fall 3,5 km lang waren. Nirgends hat die Vergletscherung indessen eine wirklich bedeutende Grösse erlangt. Sie war im Zentralapennin am beträchtlichsten infolge sei- ner morphologischen Begünstigungen gegenüber den andern Ge- birgsabschnitten — er besass in Hochgebirgsmulden und Hoch- flächen ergiebigere Nährgebiete als diese — und seiner bedeuten- deren Höhenlage; da haben, trotzdem die Schneegrenzlinie mit durch- schnittlich 1750 m höher als z. B. im Nordapennin lag, grössere Ge- birgsteile über sie aufgeragt. In der folgenden Tabelle sind einige Schneegrenzlagen und maximale Gebirgshöhen wiedergegeben:

Gebirge Höhe Schneegrenze in Südapennin M. Pollino 2271 m 2000 m Zentralapennin Gran Sasso 2914 m 1750 m Nordapennln M. Cimone 2165 in 1500-1600 m Apuanische Alpen M. Pisanino 1946 m 1300-1400 m

Im ganzen Apennin hat sich die Vergletscherung vor allem auf den N- und E-Hängen entfaltet. Fast überall liess die starke Reliefs- energie die Gletscher schnell in die Tiefe absteigen. Die grössern endigten im Südapennin in 1220--1780 m, im Zentralapennin in 800 bis 1600 m, im Nordapennin in 800--1200 m und in den Apuanischen Alpen in 570-680 m. Sie haben also da, wo die Schneegrenze tiefer lag, auch tiefer hinabgereicht. Allen einst vereisten Teilen des Apennins sind fast die gleichen glazialen Erosions- und Aufschüttungsformen eigen. Die Verglet- 72 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1939

scherung war alpiner Art. Der norwegische Typus in Form von Hoch- landeiskappen, welche Eiszungen in die Täler ringsum hinabsandten, hat sozusagen nicht bestanden; mir ist als einziges bescheidenes Bei- spiel dieser Vergletscherungsart der M. Beigua bekannt. Im allge- meinen hat das Eis nur der Gipfel- und Kammregion der gewaltigen Gebirgskette seine Formen eigenmächtig aufgeprägt.

Vergleich mit eiszeitlichen und rezenten Vergletscherungsgebieten.

Balkan-Halbinsel. Es soll hier die eiszeitliche Vergletscherung des Apennins mit jener anderer südeuropäischer Gebirge verglichen werden. Im R i l a -Massiv (Mussalla 2925 m), der höchsten Erhebung der Balkan-Halbinsel, sind nach J. CviJic (38, 41) und H. Louis (98) auf der N- und E-Seite zur letzten Eiszeit einige Gletscher bis auf 1150-1370m hinabgeflossen, so im Tal der Urdinska Reka (G1.8 km), der Malovica (Gl. 7-8 km), der Cerni Isker (Gl. 4 km), der Bistrica (Gl. 7 km) und aus den Sedemte-Jezera-Karen (Gl. 5 km). Der mit 20 km längste Eisstrom lag im Beli Isker-Tal. Die Gletscher verliessen das Gebirge nicht. Die Schneegrenze lag im Mittel in 2200 m Höhe. Diese Ergebnisse haben in einer Arbeit von H. ANNAHEIM (7) Erwäh- nung gefunden. In ähnlichem Masse war der Pirin (Pirin Vrh 2596 m) vereist. Sein längster Gletscher, der 12 km erreichte und am Rande des Ge- birges in 1400 m endigte, befand sich nach H. Louis (98) im Dam- janica-Tal, weniger grosse im Banderica- und Bajova Dupha-Tal (Ge. 1340 m). Die Schneegrenze ist für die N-Seite auf 2200 m und für die S-Seite auf 2300-2400 m berechnet worden. In Süddalmatien war nach L. R. v. SAwicia (147) das Gebiet des O r j e n (1895 m) der Schauplatz einer sehr beträchtlichen Verglet- scherung. Auf seiner W-Seite gingen fünf Talgletscher von 2-3 km, der Dobrido-Gletscher allerdings von 9 km Länge, nieder; sie fanden in 1000-1150 m bzw. 900 m ihr Ende. Auf der E-Seite waren ihrer sie- ben vorhanden, nämlich der Ubli - (8 km), Zvecava - (10 km), Duboki do - (11 km), Reovce - (11,5 km) und Blagojevic - Gletscher (9 km). Sie drangen bis auf 600-700 m vor. Die Schneegrenze hielt sich auf der W-Seite in 1400-1500 m und auf der E-Seite in 1180-1200 m. Ähnlich grosse Talgletscher besassen die höheren Berge von Montenegro, vor allem der D u r m i t o r (Bobotov Kuk 2522 m). Jahrg. 84. K. SUTER. Die eiszeitliche Vergletscherung des Zentralapennins. 73

Hier hat nach K. KAYSER (77) ein 10-12 km langer Eisstrom das obere Gradjanica-Tal bis zur beckenartigen Talweitung von Kuta durchflossen und in 800 m seine tiefste Endmoräne abgesetzt. Auf dem Gebirgsvorland von Jezera (1400-1600 m) im E kamen nach J. CvIJIC (41) drei Gletscher zusammen und bildeten hier eine 140 km- grosse Eisdecke. Die Schneegrenze befand sich im Mittel in 1700-1750 m. Von den Gebirgen der Balkan-Halbinsel waren die N o r d - a 1 b a n i s c h e n Alpen (Maja Jeserce 2692 m), im besonderen das Gebiet der P r o k 1 e t i j e (Ge. in 530-600 m), am stärksten vereist. Ein 35 km langer Gletscher, der grösste der Halbinsel, er- füllte nach J. CvIJIC (41) und R. ALMAGIA (5) das obere Lim-Tal. Er drang bis unterhalb des Moränensees von Plava auf 900 m vor und nahm mehrere 6-12 km lange Seitengletscher auf. Mächtige Eis- zungen schickte nach E. NOWACK (115) die Maja J e s er c e, die von einer mindestens 100 km2 grossen Eiskappe bedeckt war, nach allen Seiten in die Täler hinein. Die grösste, die fast 30 km mass und im Valbona-Tal lag, hat am Gebirgsfuss in nur 350 m U. M. geendigt. Die Schneegrenze stieg auf 1700 m hinab. In der Gruppe des Peristeri (2295 m) - Kakarditsa (2429 m) des P i n d u s - Gebirges hat nach A. SESrINI (153) neben kleinen, nach N exponierten Kargletschern (Ge. in 1800-2100 m) ein mindestens 3 km langer Talgletscher bestanden, der gegen Matsuki bis auf 1450 m hinunterstieg. Die Schneegrenze wird auf 1900-2000 m ver- anschlagt. In den Gebirgen des mittleren und südlichen Griechenlands haben 0. MAULL (107) und G. MISTARDIS (111) eine bescheidene dilu- viale Vergletscherung nachgewiesen, so im Chelmos (2355 m), Ziria (2374 m), Vardussia (2495 m), Ghiona (2512 m), Parnass (2459 m) und im Taygetos (2407 m). R. v. KLEBELSBERG (83) zweifelt zwar, dass im Taygetos glaziale Spuren vorkommen. Wenigstens fehlen sie, wie seine Untersuchungen ergeben haben, im Chirinos- oder Sandava-Tal, in dem am stärksten beschatteten und am höchsten hin- aufreichenden Tal dieses Gebirges (W-Exposition). Spuren kleiner Kargletscher sind durch J. CVIJIC (41) im T h es s a l i s c h en Olymp (2985 m) bekannt geworden. Die Schneegrenze schätzt er hier auf 2300 m.

Korsika und Pyrenäen-Halbinsel. Auf der Insel Korsika, die im M. Rotondo (2625 m) und M. Cinto (2710 in) ihre grössten Höhen erreicht, haben P. CASTELNAU 74 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1939

(21) und G. ROVERETO (133) Moränen gefunden, die am tiefsten ge- legenen im V. Restonica (M. Rotondo) zwischen 1400 m und 1500 m. Nach R. LUCERNA (99) waren die Gletscher 4-10 km lang und gingen bis auf 1100 m hinunter. Sie vermochten die Gebirge nicht zu verlas- sen. Die Schneegrenze zur Würm-Eiszeit lag in 1650-1700 m. Auf der Iberischen Halbinsel waren die Pyrenäen (Maladetta 3404 m) am weitaus stärksten vergletschert. Nach F. Nuss- RAUM (116-121) lagen in den grossen, nach N gerichteten Haupt- tälern, die ihren Ursprung am Hauptkamm nehmen, in der Eiszeit 25-70 km lange Gletscher, von denen mehrere bis zum N-Rand des Gebirges reichten. Dies war der Fall in den Tälern des Gave dOssau, des Gave de Pau, der Neste dAure, der Garonne, des Salat und der Ariège (Gl. 63 km, Ge. wenig oberhalb Foix in 400-420 m). Auf der S-Abdachung waren die Eisströme kleiner; immerhin wurden in eini- gen Tälern, z. B. in dem des Aragon, des Rin Flamisell, des Rio Carol, solche von 30-35 km Länge, die bis auf 800-1200 m vorstiessen, nachgewiesen. Zahlreiche Gebirgsgruppen, die in einiger Entfernung vom Hauptkamme liegen, besassen eine selbständige Vergletsche- rung mit Talgletschern von 8-10 km Länge, die bis ins flachere Vorland auf 600-1200 m glitten; in den östlichen Pyrenäen z. B. auf der N-Abdachung Pic des 3 Seigneurs (2199 m), Pic de St. Barthé- lemy (2349 m), Pic de Camp Ras (2554 in), Roc Madrès (2471 m), Mont Canigou (2783 m), Pic de lEnfer (2870 m), und auf der S-Ab- dachung Sierra de Cadi (2660 m), Orry de Rubio (2430 m). Die Schneegrenze lag nach F. NUSSBAUM (116-121) in diesen nördlichen Gruppen in 1700-1800 m und in den südlichen in 2200-2300 m; und in den westlichen Pyrenäen nach A. PENca (116-121) im N in 1300 m. Zahlreiche grössere Gletscher bestanden im K a n t abri sehenn Gebirge (Picos de Europa 2642 m). Sie erloschen nach H. OBERMAIER (123) im allgemeinen in 650-950 m, so der Urdôn-, Deva- und Dobra-Gletscher. Die Schneegrenze ist für die letzte Eis- zeit auf 1400--1500 m anzusetzen. Die Sierra S e g u n d é r a (Pena Trevinca 2130 m) brachte nach P. VOSSELER (189) die folgenden 4-10 km langen Eiszungen hervor: Im Tuela- (im S, Gl. 9 km; Ge. 1050 m), im Edroso- (im S, Gl. 5 km; Ge. 1250 m), im Viboy- (im SW, Gl. 10 km; Ge. 1250 m) und Baiia-Tal (im N, Gl. 5 km; Ge. 1300 m). Der Gletscher des Tera-Tales, der bis auf 1000 m vordrang, war dagegen 20 km lang. Die Moränen- kränze des Castafieda-Sees im E bezeichnen sein Ende. Als Schnee- grenzhöhe werden 1600-1650 m angegeben. Jahrg. 84. K. SUTER. Die eiszeitliche Vergletscherung des Zentralapennins. 75

Von ähnlichem Ausmass war die Vergletscherung der Serra de E s t r e 11 a, des höchsten Gebirges Portugals (Malhao Grande oder Torre 1991 m). Es besass nach H. LAUTENSACH (89) in den fol- genden vier Tälern Gletscher: Im Zézere- (Gl. 13 km; Ge. 600 m), Alforfa- (Gl. 8-9 km; Ge. 700-750 m), Loriga- (01. 7 km; Ge. 750 m) und Estrella-Tal (Gl. 5 km; Ge. 700 in). Dazu kamen noch der Hänge- gletscher des Alvoco-Tales (01. 3 km; Ge. 1000 m), die Vergletsche- rung des Covao do Urso (Gl. 4,5 km; Ge. 1350 m) und jene des Covao Grande (Gl. 5,5 km; Ge. 1250 m). Die Schneegrenzhöhe betrug auf der E-Seite 1620 m und auf der NW-Seite 1650 m. Im Kastilischen Scheidegebirge schickte nach H. OBERMAIER (123) die S i err a de Gr edos (2592 m) zwei gegen 5 km lange Gletscher, den Gredos- und Pinar-Gletscher aus, die nach N bis auf 1400-1450 m hinabflossen. Aus der Sierra de G u a- d a r r a m a sind heute, nachdem die Untersuchungen von P. WER- NERT (190) in ihrer S-Kette, der C u e r da Larga (2385 m), die Existenz von vier diluvialen Gletschern ergeben haben, die Spuren von 13 solchen bekannt. In ihrem höchsten Gipfel, dem Penalara (2406 m), lag die Schneegrenze zwischen 2040 m und 2120 m, in der Cuerda Larga zwischen 1930 m und 2000 m und in der Sierra de Gredos zwischen 1800 m und 1900 m. Verhältnismässig stark war die S i e r r a N e v a d a (Mulahacen 3481 m) vereist. Es kam nach H. OBERMAIER (123) auf deren N-Seite zur. Bildung von ansehnlichen Talgletschern, die zwischen 1800 m und 2150 m endigten (z. B. Dilar 2000 m, Monachil 1900 m, Barranco de San Juan 2150 nl, Guarnôn 1800 m, Valdeinfierno 1850 m, Valde- casillas 1850 m). Auf der S-Seite entwickelten sich fast nur Hänge- gletscher, die bis 2050 m, die Mehrzahl auf 2250-2400 m hinab- gingen. Die Schneegrenze ist auf der N-Seite auf 2400-2500 m, auf der S-Seite auf 2600--2700 m bestimmt worden. In der Sierra T e j e d a (zwischen Granada und Malaga) hat R. v. KLEBELSBERC (78) Glazialspuren in Form kleiner Karbildungen am nordseitigen Höhenrande auf 1960-2020 m festgestellt, die die südlichsten bis heute bekannten in Europa darstellen. Sie lassen auf eine Schneegrenzlage von rund 2000 m schliessen.

Die Vergletscherung hat sich auf den drei südeuropäischen Halbinseln auf die höheren Gebirge (1900--3400 m) beschränkt. 76 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1939

Das Vorland ist, von jenem der Pyrenäen abgesehen, von ihr kaum erfasst worden. Die erste Gruppe der zentralapenninischen Ge- birge (Gran Sasso, Velino, Greco, Meta) stimmt in Grösse und An- zahl der Gletscher mit den folgenden Erhebungen überein: Durmi- tor, Rila, Pirin, dem viel niedrigeren Orjen, den Gebirgen Korsikas, dem Kantabrischen Gebirge, der Sierra Segundéra, der viel niedri- geren und südlicher gelegenen Serra de Estrella und der Sierra Ne- vada. Dagegen hat ihre Vereisung nicht an die der Nordalbanischen Alpen und an die der Pyrenäen, die grösser als die heutige der Alpen war, herangereicht. Sie ist indessen der Vereisung vereinzelter Erhe- bungen der Pyrenäen, z. B. des Mont Canigou, der Sierra de Cadi, an Umfang gleichgekommen. In diese Abteilung sind auch die am stärk- sten vereisten Teile des Nordapennins, z. B. die Gruppe M. Orsaro- M. Brusa - M. Sillara, einzureihen. Die Vergletscherung der zweiten Gruppe des Zentralapen- nins (Sibillini, Simbruini, Terminillo, Majella) hat in ihrem Ausmass den folgenden Gebirgen entsprochen: Sierra de Gredos, Sierra de Guadarrama und Sierra de Urbiön (2246 m). In diese Abteilung gehören auch die Apuanischen Alpen und einige Teile des Nord- apennins. Die Vergletscherung der dritten Gruppe (Matese, Sirente, Morrone, M. dOcre) kann sich mit jener des Pindus, den Gebirgen des mittleren und südlichen Griechenlands und der Sierra de la Demanda messen. Ungefähr gleich gross war sie in zahlreichen Er- hebungen des Nordapennins, z. B. im M. Beigua, und ferner im M. Pol- lino und M. Sirino des Südapennins. Für viele Gebirge Südeuropas, z. B. Pindus, Serra de Estrella, beträgt die Depression der Schneegrenze wie für den Apennin 1100 bis 1200 m.

Rezente Vergletschèrungsgebiete. Der Zentralapennin hat zur Eiszeit etwa so ausgesehen wie heute einzelne vergletscherte Teile der Alpen. Allerdings hat er keine Eisströme von der Grössenordnung des Aletsch- (Gl. 24 km; Ge. 1350 m; Fl. 115 km2), Fiescher- (Gl. 16 km; Ge. 1500 m) und Un- teraar-Gletschers (Gl. 16 km; Ge. 1879 m) in der - Gruppe, der Merde Glace (Gl.15 km ; Ge.1450 m; Fl. 55 km 2) im -Massiv oder des Gorner-Gletschers (Gl. 15 km; Fl. 67 km2) in den Walliser Alpen hervorgebracht. Er hat Eiszungen, die in der Jahrg. 84. K. SUTER. Die eiszeitliche Vergletscherung des Zentralapennins. 77

Grösse den mittelgrossen und kleineren alpinen Gletschern gleich.. kamen, besessen, so dem Miage- (im Mont Blanc, Gl. 9 km; Fl. 19 km2), Oberen und Unteren Grindelwald- (in der Finsteraarhorn- Gruppe), Stein- (in der Gruppe Sustenhorn-Thierberge, Gl. 5 km; Ge. 1963 m), Rhone- (im Dammastock, Gl. 4 km; Ge. 1770 m), Bifer- ten- (im , Gl. 4 km; Ge. 1770 m), Tschierva-, Rosegg- und Mor- teratsch- (in der Bernina), Gepatsch- (in den Oetztaler Alpen, Gl. 10 km; Fl. 15,5 km2) oder dem Mandrone-Gletscher (in der Ada- mello-Gruppe). Der bedeutendste Eisstrom, der im Campo Impera- tore des Gran Sasso lag, war etwa so gross wie die Pasterze im Gross- glockner (Gl. 10 km; Fl. 32 km 2, nach einer andern Angabe 27 km2; grösster Gletscher der Ostalpen). Ihrer geringen Grösse wegen lassen sich die ehemaligen Firn- gebiete des Zentralapennins mit den heutigen der Alpen kaum ver- gleichen. Sie waren selbst in den am stärksten vereisten Erhebungen, wie Gran Sasso oder Velino, schätzungsweise nur je 60-80 km2 gross, haben also nicht entfernt an die Schnee- und Eisflächen der Finsteraarhorn-Gruppe (vergletschertes Areal zirka 460 km 2) oder der Oetztaler Alpen (vergletschertes Areal zirka 350 km2) heran- gereicht. Die Gebirge Mittelitaliens haben zur Eiszeit etwa das Bild dargeboten wie heute die Dammastock- oder Tödi-Gruppe oder im Wallis der Hintergrund des Val de Bagnes mit dem Breney- und Otemma-Gletscher. In seiner höchsten Aufragung, dem Gran Sasso, birgt der Apen- nin heute noch einen Kargletscher, den G h i a c c i a i o d e 1 C a 1- d e r o n e. Er liegt in NE-Exposition zwischen 2874 m und 2685 m und ist 6 ha gross. Er ist viel kleiner als der grösste Gletscher der Pyrenäen, der im N der Maladetta liegt und 2,5 km2 Fläche misst. Indessen übertrifft er an Grösse das sehr kleine Firn- f eld des Corral de Veleta, das sich in steter Beschattung zwischen 2920 m und 2860 m am NE-Fusse der nach dieser Seite nahezu senk- recht abbrechenden Gipfelwand des Veleta (3401 m), der zweithöch- sten Erhebung der Sierra Nevada, befindet.

Zeitlicher Verlauf der Vergletscherung.

Anzahl der Eiszeiten. Für den Zentralapennin sind zwei Eiszeiten anzunehmen. Das folgt aus Erwägungen theoretischer Natur, indessen nicht aus den 78 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1939 bisherigen geologischen Untersuchungen im Gelände. Die Moränen sehen einander in ihrer Beschaffenheit überall gleich und werden deshalb der gleichen Eiszeit entstammen. Sie sind frisch, unver- waschen und meist, wenn sie nicht mit Bächen in Berührung kamen, von gut erhaltener, unverletzter Form. Wegen ihrer Frische dürften sie zur Würm-Eiszeit der Alpen abgelagert worden sein. Weniger schöne, verwitterte und verwaschene und darum ältere Moränen sind bis heute nicht festgestellt worden. Auch die spärlich vorhan- denen fluvioglazialen Schotter sind ihrer Lage und Beschaffenheit wegen der jüngsten Eiszeit zuzuordnen. Interglaziale Ablagerungen sind unbekannt. Dennoch ist an der Annahme einer zweimaligen Vergletscherung festzuhalten. Es darf wohl vorausgesetzt werden, dass die Klimaschwankungen, die in den Alpen die verschiedenen Eiszeiten hervorriefen, auf der italienischen Halbinsel in einer ähn- lichen, ihrer geographischen Lage entsprechenden Art, stattgefunden haben. Das wird übrigens durch den Umstand bekräftigt, dass an beiden Orten die Depression der Würm-Schneegrenze 1150-1200 m beträgt. A. PENCK (127) hat an einigen wenigen Stellen der Alpen festgestellt, dass die Schneegrenze der Riss-Eiszeit um rund 100 m tiefer lag als die der Würm-Eiszeit; die Depression macht 1300 m aus. Das dürfte auch für den Zentralapennin zutreffen. Dann müss- ten, wie in den Alpen, die Riss-Gletscher grösser als die Würm-Glet- scher gewesen sein und ihre Moränen in tiefer gelegenen Talgebie- ten, ausserhalb des Jungmoränengürtels, abgesetzt haben. Hier feh- len sie aber. Sie sind wohl kaum durch das Wasser gänzlich zerstört und abgetragen worden. Viel wahrscheinlicher ist es, dass sich die Riss-Gletscher nicht aus den Grenzen der Würm-Gletscher hinaus erstreckt haben; sie waren weniger gross. Vielleicht war die Depres- sion der Riss-Schneegrenze kleiner als 1300 m, viel wohl kaum; vielleicht war der Apennin dazumal noch nicht in die heutige Höhe gehoben. Zahlreiche Terrassenstudien an den Küsten und in den grösse- ren Tälern haben ergeben, dass Italien seit dem Miozän ein sehr bewegtes Land ist. Insbesondere hat es während des Quartärs starke Hebungen erfahren. Sie waren von Ort zu Ort sehr verschieden. Das zeigt ausgezeichnet die Höhenlage der marinen Sedimente des Plio- zäns; sie macht die folgenden Beträge aus: in den Marken und Abruzzen im allgemeinen 350-500 m, in Campanien 600 m, in Süd- kalabrien 500 m, in der Römischen Campagna 350 m, in der südlichen Toskana 1000 m, in der nördlichen Toskana 600 m, am M. dellAs- censione bei Ascoli 1100 m, am 1150 m, im Avellinese Jahrg. 84. K. SUTER. Die eiszeitliche Vergletscherung des Zentralapennins. 79 bei Trevico 1100 m. Für das Quartär sind, sowohl an den Küsten als in den Tälern, drei Terrassensysteme festgestellt worden. Sie lassen auf drei Hebungen der Halbinsel während dieser Zeit schliessen. Die Entstehung des obersten Terrassensystems, des zuerst folgen- den unter der pliozänen Landoberfläche, fällt nach M. GORTANI (57, 64) zeitlich mit dem ersten Glazial oder dem Mindel (die Günz- Vergletscherung hält er für nicht erwiesen) zusammen, die des mitt- leren mit dem zweiten Glazial oder dem Riss und die des dritten mit dem dritten Glazial oder dem Würm. Darnach hätte die erste Hebung zwischen Pliozän und Mindel, die zweite zwischen Mindel und Riss, also dem ersten Interglazial, und die dritte zwischen Riss und Würm, dem zweiten Interglazial, stattgefunden. Zwischen den Hebungen der Gebirge und jenen der Küsten hat wohl — die Küsten- und Tal- terrassen stehen miteinander in Verbindung — ein innerer Zu- sammenhang bestanden. In den einzelnen Teilen des Apennins haben die Hebungen nach M. GORTANI (57, 64) die folgenden Beträge erreicht: Emilianischer Marchigianisch- Matese Aspro- Apennin abruzzesischer monte Apennin 1. Hebung (vor Mindel) 100 m 150-200 m 350 m 450 m 2. Hebung (Mlndel-Riss) 50-60 m 100 m 200 m 300 m 3. Hebung (Riss-W(1rm) 20-30 m 70-100 m 200 in 300 m

Nach Würm haben sich nur noch kleine Hebungen von 5-15 m ereignet. Der Zentralapennin war diesen Zahlen zufolge zur Riss-Eiszeit um 70-200 m niedriger als zur Würm-Eiszeit. H. KALLNER (75) hat für das Ani en e- Tal in den Monti Simbruini eine jungdiluviale Hebung von 145 m festgestellt. Wenn also selbst eine maximale De- pression der Riss-Schneegrenze von 1300 m (100 mehr als für die Depression der Würm) . angenommen wird, konnte die Riss-Ver- gletscherung nicht grösser als die Wiirm-Vergletscherung gewesen sein. In allen andern Fällen war sie geringer. Jedoch hat sie sicher stattgefunden, da zahlreiche Gebirge damals bereits Höhen besassen, die sie in den Bereich der Vereisung rückten. Einen unmittelbaren Beweis dafür, dass in den höchsten Erhebun- gen, wie Gran Sasso (Taf. I, Fig. 1) oder Velino, zwei Vergletsche- rungen vor sich gingen, vermag vielleicht die Tatsache zu liefern, dass in ihnen in den N- und E-Hängen zwei Karreihen vorhanden sind. Die höher gelegenen Kare (2100-2150 m) würden aus der 80 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Züric. 1939

Riss-, und die tiefer gelegenen (1900-2000 m) aus der Würm-Eis- zeit herrühren. Ihr Höhenunterschied von 150-200 m stimmt nicht schlecht mit der Grösse der Hebung, die diese Gebirge zwischen Riss und Würm erfahren haben, überein. Wahrscheinlich sind auch die höheren Teile der Apuanischen Alpen und des Nordapennins zur Riss-Eiszeit in geringem Masse vereist gewesen. Indessen dürfte der Südapennin die Ewigschnee- zone damals nicht erreicht haben. Seine höchsten Berge sind erst zwischen Riss und Würm in sie gehoben worden.

Stadien der Würm-Eiszeit. Endmoränenwälle, die in den Tälern und Hochflächen in ver- schiedener Höhe liegen, zeigen an, dass sich die Würm-Gletscher etappenweise ins Innerste der Gebirge zurückgezogen haben. Dafür kann ich im folgenden einige wenige Beispiele nennen. Zur Bekräf- tigung der Schlussfolgerungen, das sei mit Nachdruck betont, ist noch eine grössere Zahl von Untersuchungen nötig.

Tabelle 7.

Gebirge Tal Exposition Höhenlage der Endmoränen I II IH IV

Gran Sasso Arno N 850 m 1650 m 1780 m 2100 m Venaquaro N 1190 m 1750 m 1900 m 2100 m Solagne W 1200 m i) 1672 m 1800 m 2100 m Sibillini Aso N 1250 m i) 1800 m 1940 m Velino Teve NW 1013 m 1750 m 1900 m 2100 m

Aus diesen wenigen Zahlen lassen sich vier Gletscherhalte er- kennen. Die Zahlenreihe I gibt die Höhenlage der am tiefsten ge- legenen, äussersten Endmoränen wieder, die aus der Zeit des Würm- Maximums, der grössten Ausbreitung der Gletscher, stammen. In Zahlenreihe IV sind die am höchsten gelegenen Endmoränen, die sich bereits innerhalb der Kare befinden, aufgeführt; sie zeigen das Endstadium der Vereisung an. Zahlenreihen II und III bezeichnen Stillstände während des Eisrückzuges. Die Schneegrenze ist also nach und nach gestiegen; infolgedessen haben sich die Nährgebiete der Gletscher verkleinert. Die Berechnung der Höhenlage der Schneegrenze für die Rückzugsstadien nach der Methode von L. Ku- ROWSIII (88) ergibt die folgenden Zahlen:

2) Nicht nachgewiesen, steht aber zu vermuten. Jahrg. 84. K. SUTER. Die eiszeitliche Vergletscherung des Zentralapeunins. 81

Tabelle 8.

Tal Gipfel Gletscher- Schneegrenz- Depres- Depressions- halte lagen sionen differenzen m m m in Arno M. Cefalone 850 1691 1259 400 2532 m 1650 2091 859 65 1780 2156 794 160 2100 2316 634 634 Corno Grande 2685 rezent 2950 Venaquaro Malecoste 1190 1818 1132 280 2447 ln 1750 2098 852 75 1900 2173 777 100 677 2100 2273 677 rezent 2950 Solagne M. Corvo 1200 1913 1037 236 2626 m 1672 2149 801 64 1800 2213 737 150 2100 2363 587 587 rezent 2950 Aso M. Vettore 1250 1868 1082 279 2487 m 1800 2143 803 66 1940 2213 737 737 rezent 2950 Teve M. Velino 1013 1750 1200 368 2487 m 832 1750 2118 75 1900 2193 757 100 2100 2293 657 657 rezent 2950

Für die Schneegrenzlagen und Depressionen der vier Still- stände erhalten wir die folgenden Durchschnittswerte:

Tabelle 9. Tal Schneegrenzlagen Depressionen I II HI IV I H HI IV Arno 1691 m 2091 m 2156 m 2316 m 1259 m 859 m 794 m 634 m Venaquaro 1818 m 2098 m 2173 m 2273 m 1132 m 852 m 777 in 677 m Solagne 1913 m 2149 m 2213 m 2363 m 1037 m 801 m 737 m 587 m Aso 1868 m 2143 m 2213 m 1082 m 803 in 737 m Teve 1750 m 2118 m 2193 m 2293 m 1200 m 832 m 757 m 657 in Durchschnitts- werte 1808 in 2114 m 2175 m 2291 m 1142 m 836 in 773 m 658 m

Es ergibt sich aus diesen Durchschnittswerten ein Anstieg der Schneegrenze vom Würm-Maximum zum ersten Gletscherhalt von 82 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1939

306 m, vom zweiten Gletscherhalt zum dritten ein solcher von 63 m, vom dritten Halt zum vierten ein solcher von 115 m und vom vierten Halt zur rezenten Gletscherlage von 658 m. Es liegt nun nahe, diese Stadien mit jenen der Würm-Verglet- scherung der Alpen zu vergleichen. Für deren Schneegrenzlagen und Depressionen hat A. PENCK (127) die folgenden Mittelwerte be- rechnet:

Tabelle 10. Anstieg der Gletscherstand Schneegrenzlage Depression Schneegrenze zur Zeit des Würm-Maximums 1250 m 1200 in 300 m zur Zeit des Bühlstadiums 1550 m 900 m 300 m zur Zeit des Gschnitzstadiums 1850 m 600 m 300 m zur Zeit des Daunstadiums 2150 m 300 m 300 m Gegenwart rund 2450 m

Ein Vergleich zwischen den Gletscherständen der Alpen und jenen des Zentralapennins zeigt gewisse Übereinstimmungen. Beide Gebirge weisen eine gleich grosse Depression der Schneegrenze für die Zeit des Würm-Maximums auf. Daraus darf wohl der Schluss gezogen werden, dass auch die Depressionen für die Stadialzeiten ungefähr gleich gross waren; m. a. W. dass die Schneegrenze in bei- den Gebirgen in gleichen Zeiten um ungefähr gleiche Beträge an- stieg. Im Zentralapennin würden sich demnach die folgenden Höhen- lagen der Schneegrenze ergeben: zur Zeit des Bühlstadiums 2050 m, des Gschnitzstadiums 2350 m und des Daunstadiums 2650 m. Da der Anstieg der Schneegrenze vom Würm-Maximum zum ersten Glet- scherhalt in diesem Gebirge mit jenem der Alpen in der Grösse über- einstimmt, so dürfte dieser zeitlich dem Bühlstadium entsprechen (Depression in den Alpen 900 m, im Zentralapennin 836 m). Der zweite Gletscherhalt scheint in der Zeit zwischen Bühl- und Gschnitz- stadium erfolgt zu sein. Der dritte Stillstand dürfte zeitlich mit dem Gschnitzstadium (Depression in den Alpen 600 m, im Zentralapen- nin 658 m) zusammenfallen. Der Zentralapennin besass nun nur noch in den höheren Erhebungen kleine Kargletscher. Zur Zeit des Daunstadiums, also seit mindestens 4000-5000 Jahren, waren diese fast ganz verschwunden; einzig im hohen Gran Sasso und in der Ma- jella konnten sich noch sehr kleine Eiszungen halten. Die Tatsache, dass sich im Zentralapennin die Gletscher in zwei oder drei Phasen zurückgezogen haben, wird durch die folgenden Jahrg. 84. K. SUTER. Die eiszeitliche Vergletscherung des Zentralapeunins. 83

Beispiele erhärtet. Im V. Chiarano (M. Greco) liegen die äussersten Endmoränen bei Casone in 1650 m und stadiale Moränen 1 km ober- halb Casone in 1700 m, ferner am Anfang und Ende des Lago Panta- niello in 1820 m und unter den Karen des M. Greco in 2000-2050 m. In diesem Tal ist der Gletscherrückzug sogar in vier Abschnitten vor sich gegangen. Das Eis hat hier weniger grosse Tiefen als in den Tälern, die in Tabelle 7 aufgezählt sind, erreicht; daran ist das sanf-

...... Ga^^iello x€ 3 Endmoräne x x x x x /545 Stadien 4/7, U/ x x xxx Erretika

/400 d^^ vP°9oi7a /i r Ebene (=> •••• ." rne uuwuU d er `e

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Abb. 20. tere Gefälle des V. Chiarano, das ein rasches Absteigen des Glet- schers in die Tiefe verhinderte, schuld. Die Zahlen für die Höhen- lage seiner Endmoränen können darum nicht ohne weiteres in die Tabelle 7 eingesetzt und bei den anschliessenden Berechnungen mit- benützt werden. In der Talfläche Regione le Forme des V. Pagana im Meta-Gebirge sind, wie die Abb. 20 zeigt, in 1350-1400 m die Endmoränen von drei sich einst rasch folgenden Gletscherstän- den festzustellen. Auf der rechten Talseite kommen sie mit den Mo- ränen, die ein Gletscher aus der Metuccia abgelagert hat, zur engen Berührung und treten darum hier weniger klar hervor als auf der linken Talseite. In ebenso schöner Weise zeigen im Piano di Campi- tello (Matese) gegen den Fosso Pietrapalomba hin in 1370-1410 m Endmoränen die ehemaligen Gletscherstände an. Selbst in nur kur- zen Tälern sind Eisstillstände zu erkennen, so in jenen, die von dem Toppe del Tesoro in den Piano Aremogna (M. Greco) niedergehen. In Tabelle 11 sind einige Ergebnisse zusammengestellt. Die Ein- reihung der Gletscherstandszahlen ist im Hinblick darauf, dass in jedem der genannten Gebiete immer wieder besondere morpholo- 84 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1939 gische Verhältnisse vorliegen, schwierig; die Einordnung in der Ta- belle 11 ist nicht ohne Willkür und kann nur als ein Versuch be- trachtet werden.

Tabelle 11.

Höhenlage der Endmoränen Gebirge Hochfläche od. Tal Exposition I H HI IV m n1 m m

Gran Sasso Campo Lnperatore E 1580 1800 2000 2120 a) b) M. Greco V. Chiarano N 1650 1700 1820 1820 2030 Toppe del Tesoro-Piano Aremogna,unterP.2047 m E 1410 1550 1900 V. Pistacchia N 1650 1700 1920 Meta V. Pagana-Regione a) b) le Forme E 1380 1400 1400 1950 Matese V. Ravarelle-Piano a) b) di Campitello NE 1370 1390 1410 1800

Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass schon G. DAINELLI (42) bei der Untersuchung des A n i e n e - Tales im Römischen Apennin zwei Gletscherstände unterschieden hat, einen älteren mit einer Schneegrenzlage von 1400 m und einen jüngeren mit einer solchen von 1650 m. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass seine Angabe über einen älteren Gletscherstand unrichtig ist. F. SACCO (144) kam auf Grund von Ablagerungen in der Gegend von Filatoppa im Sangro-Tal, die Moränen und fluvioglaziale Schotter verschiedenen Alters sein sollen, dazu, für die Abruzzen vier Eis- zeiten anzunehmen. Seine Untersuchungen sind aber auf zu schma- ler Basis und zu wenig sorgfältig durchgeführt, um diese Annahme zu rechtfertigen.

Für das S i r in o - Gebirge des Südapennins sind G. DE LORENZO und G. DAINELLI (95) zum Schlusse gelangt, dass hier sämt- liche glazialen Ablagerungen der Würm-Eiszeit angehören. Sie stell- ten drei Stillstände der Gletscher fest, denen Schneegrenzlagen von 1820 m, 1860 m und 1900 m entsprechen. Sie liessen die Frage ihrer zeitlichen Einordnung offen. Es dürfte die Schneegrenzlage von 1900 m — im Würm-Maximum lag sie in 1670 m — mit Bühl festgelegt werden; die von 1860 m und 1820 m würden dann Phasen zwischen Würm-Maximum und Bühl bezeichnen. Gschnitz- und Daun-Stadium fehlen. Jahrg. 84. K. SUTER. Die eiszeitliche Vergletscherung des Zentralapennins. 85

In den A p u a n i s c h e n Alpen hat MARGA PAGI (124) die folgenden Gletscherstände unterschieden: Würm-Maximum mit End- moränen in 600-775 m; erstes Rückzugsstadium mit solchen in 800 bis 975 m, und zweites Rückzugsstadium mit solchen in 1040-1130 m. Ihre Schlussfolgerungen aus diesen Feststellungen stehen noch aus. Nach der Methode von L. KuROWSKI (88) würden sich aus diesen Zahlen die folgenden Schneegrenzlagen ergeben: Für das Würm- Maximum 1250-1350 m, für den ersten Gletscherhalt 1350 -1425 m und für den zweiten Halt 1450-1500 m. Im Nordapennin, im Umkreise des M. Cimone, hat A. DESTO (44) ausser den Karmoränen zwei Moränenlagen festge- stellt, so im V. delle Tagliole in 950 m und 1230 m und im V. delle Pozze in 1100m und 1360m. Die tiefere Lage, für die sich die Schnee- grenze auf 1600 m und die Depression auf 1150-1200 m beläuft, ent- spricht dem Würm-Maximum, und die höhere, der eine Schnee- grenze von 1800-1900 m und eine Depression von 900 m zukommt, dem Bühl. Für Gschnitz würde sich eine Schneegrenze von 2100 bis 2200 m und eine Depression von 600 m ergeben; ihm, oder einem Zeitabschnitt kurz vor ihm, wären m. E. die Karmoränen zuzuordnen. Es ist bis heute über die Anzahl der Eiszeiten und Stadien im Apennin wenig bekannt. Die Zahl der Untersuchungen im Gelände ist gering. Bei aller Vorsicht, die darum geboten erscheint, darf den- noch als gesichert gelten, dass sämtliche bis heute aufgefundenen glazialen Ablagerungen aus der jüngsten Eiszeit herstammen. Sie zeigen, dass dem Würm-Maximum überall das Bühl-, und diesem, wenigstens im Zentral- und Nordapennin, das Gschnitzstadium ge- folgt ist. Mit ihm war die Vereisung, vom Gran Sasso und der Majella abgesehen, beendigt. Spuren einer älteren Vergletscherung (Riss) sind nicht bekannt. Gleichwohl ist sie in den höchsten Gebirgen zur Auswirkung gekommen. Ein kurzer Überblick über den Ablauf des Diluviums in einigen Erhebungen von Südeuropa ergibt interessante Parallelen. Auf der Balkan- Halbinsel hat nach J. CviJic (39-41) in den höchsten Gebirgen, wie Rila, Pirin, Prokletije, Durmitor, eine zweimalige Ver- eisung stattgefunden; die jüngere ist Würm und die ältere, tiefer tal- auswärts reichende wahrscheinlich Riss. Nach H. ANNAHEIM (7) ist allerdings für die Rila die zweimalige Vergletscherung noch keines- wegs erwiesen. Für Würm lassen . sich nach J. CviJic (39-41) zwei, vielleicht auch drei Stadien, nämlich Bühl, Gschnitz und Dann, unter- scheiden. Als Beispiel seien die Ergebnisse aus der Rila angeführt: 86 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1939

Gletscherstand Schneegrenzlage Moränenlage Riss 1780 m 970 m Würm-Maximum 1930 ln 1150-1370 m (je nach Exposition) Bühl 2100 m 1600-1900 m Gschnitz 2370-2420 m 2200-2400 m (Karmoränen) Daun

Zur gleichen Anzahl von Eiszeiten und Stadien ist H. P. KOSACK (87) für die Ostrila, im besonderen für das Gebiet des Belmekensees im Odschoviza-Tal (unterhalb des Ravni Tschal, 2641 m) gelangt. In der Gruppe Peristeri-Kakarditsa des Pindus-Gebirges hat A. SESTINI (153) zwei Phasen der Würm-Vergletscherung nachge- wiesen: Würm-Maximum mit einer Schneegrenzlage von 1900 m und ein Stadium mit einer solchen von 2200-2300 m; es entspricht wahr- scheinlich, da der Anstieg der Schneegrenze 300-400 m beträgt, dem Bühl. Für die Berge Jachupica und Dautica südlich von Üsküb teilt P. JOVANOVIC (72) das folgende Ergebnis mit:

Gletscherstand Schneegrenzlage Riss 1500-1575 m Würm-Maximum 1600-1700 m Bühl 1950-2075 m Gschnitz 2000-2150 m Daun 2230 m

Auf der Iberischen Halbinsel konnten nach H. OBE,RMAIER (123) in den meisten höheren Gebirgen nur Spuren der Würm-Ver- gletscherung, in einigen wenigen, wie im Kantabrischen Gebirge und der Sierra de Guadarrama, auch solche einer älteren Vergletsche- rung festgestellt werden. Für die Sierra de Guadarrama gibt er die folgenden Schneegrenzlagen an: vorletzte Eiszeit 2000 m, letzte Eis- zeit 2050-2100 m, älteres Rückzugsstadium 2130 m und jüngeres 2220 m. Für ihre S-Kette, die Cuerda Larga, werden, im besondern für das Mediano-Tal, von P. WERNERT (190) die folgenden Angaben gemacht: in 1740 m Moränen einer älteren und bedeutendsten Ver- gletscherung, in 1780 m solche einer jüngeren und in 1980 m Rück- zugsmoränen. Die Schneegrenze für die ältere Vereisung wird mit 1900 m und für die jüngere mit 1930 m angegeben. In der Serra de Estrella hat H. LAUTENSACH (89) Moränen des Würm-Maximums und des Bühlstadiums unterschieden. Die letz- Jahrg. 84. K. SUTER. Die eiszeitliche Vergletscherung des Zentralapennins. 87 teren gliedern sich nach der Höhenlage in die drei Gruppen von 1100 bis 1300 m, 1500 m und 1800 m; für sie sind Schneegrenzlagen von 1700 m, 1800 m und 1900 m anzunehmen. Nach Bühl hatte dieses Ge- birge keine Gletscher mehr. Spuren einer älteren Vereisung fehlen.

In der Sierra Segundéra war es P. VOSSELER (189) nicht mög- lich, tiefer liegende Moränenreste als Spuren einer älteren, grös- seren Vergletscherung zu erkennen. Er verzeichnete zwischen 1000 m und 1400 m Moränen des Würm-Maximums und zwischen 1450 m und 1550 m Stadialmoränen (Bühl?). Die dazu gehörenden Schneegrenzlagen sind 1600-1650 m und 1725-4770 m. In mehreren Tälern der Pyrenäen konnten nach F. Nusssaum (116-121) Spuren aus der Riss- und Würm-Eiszeit gefunden werden. Dieser Überblick zeigt, dass in den höchsten Gebirgen der Bal- kan- und Pyrenäen-Halbinsel zwei Vergletscherungen stattgefun- den haben und in den weniger hohen eine, nämlich Würm. Die ältere, die wohl Riss entspricht, war durchwegs grösser und besass eine um 100-200 m tiefer liegende Schneegrenze. Spuren von mehreren Vereisungen sind nicht bekannt. Die Annahme von R. LUCERNA (99), dass die Gebirge Korsikas viermal vergletschert waren, ist kaum haltbar. Wie im Apennin, zogen sich nach dem Würm-Maximum die Gletscher als Folge einiger schwächerer Klimaschwankungen ruck- weise ins Innerste der Gebirge zurück. In den höhern Erhebungen kam es zum Bühlstadium. Mit ihm ist die Vereisung da und dort, z. B. im Pindus, in der Serra de Estrella, in der Sierra Segundéra (?), in der Sierra de Guadarrama, beendigt. Einige Aufragungen, wie Rila, Durmitor, Prokletije, Jachupica, Dautica, blieben weiterhin vereist, die meisten bis Gschnitz, einige wenige bis Daun, und Pyre- näen und Sierra Nevada sogar bis in die Gegenwart.

Die eiszeitliche Schneegrenze in ihrer Abhängigkeit vom Klima. Die eiszeitliche Schneegrenze lag im Zentralapennin durch- schnittlich in 1750.-1800 m und im höchsten Abschnitt des Nord- apennins in 1500-1600 m. Tiefer reichte sie im Ligurischen Apen- nin hinab, so im M. Beigua auf 1000 m, ferner in den Apuanischen Alpen, wo sie für die E-Seite auf 1300-1400 m (A. SESTINI, 151- 160, berechnete sie auf 1350 m; lokal, für einige Gletscher des E- Hanges sogar auf 1200-1285 m) anzusetzen ist. Im Südapennin gelten für sie die folgenden Werte: M. Sirino 1670 m, M. Pollino 88 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft ln Zürich. 1939

2000 m und, nach nicht bestätigten Ergebnissen von R. BIASUTTI (12), im M. Cervati 1840 m und Aspromonte 1800-1900 m. Einige Schnee- grenzzahlen sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt:

Gebirge M. Pollino M. Cervati M. Miletto M. Terminillo

Geographische Breite 39° 54,5 40° 20 41° 27 42° 28 Höhenlage der Schneegrenze 2000 m 1840 m 1750-1800 ln 1700-1750 m

Gebirge M. Cimone M. Pisanino (Apuane) M. Beigua Geographische Breite 44° 11,5 44° 8 44° 26 Höhenlage der Schneegrenze 1600 m 1300-1400 m 1000 m

Diese Zahlen lassen für den Apennin ein deutliches Sinken der eiszeitlichen Schneegrenze von S nach N erkennen. Sie fällt auf einem Raum, der sich nur über vier Breitengrade erstreckt, von rund 2000 m auf 1000 m, also um volle 1000 m. Das Fallen ist besonders stark im westlichen Teil des Nordapennins, zwischen Pistoia und Savona. Welches sind die klimatologischen Gründe für diese auf- fallende Erscheinung? TJm das zu erfahren, sei vom Klima der Ge- genwart der Apenninen-Halbinsel ausgegangen. Denn es ist anzu- nehmen — für andere Gebiete Europas darf es durch Vergleichs- studien zwischen eiszeitlicher Schneegrenzlage und rezentem Klima als erwiesen gelten —, dass hier zur Eiszeit ungefähr die gleiche atmosphärische Zirkulation und damit ungefähr die gleiche Vertei- lung von Wärme und Niederschlägen herrschte wie heute. Zwischen den einzelnen Teilen der italienischen Halbinsel be- stehen hinsichtlich der durchschnittlichen Jahrestemperatur keine grossen Unterschiede. Das rührt von ihrer besondern geographi- schen Lage her. Im N wird sie vom hohen Alpenwall abgeschlossen, der die kühlen N-Winde abhält; und nach S erstreckt sie sich weit ins Mittelmeer hinein, das ihren Wärmehaushalt, vor allem in den Küstengebieten, regelt. Hier herrscht Mittelmeerklima. Landein- wärts nimmt der Einfluss des Meeres ab; im Innern, so in Umbrien, in den Abruzzen, in der Basilikata, namentlich aber in der Po-Ebene, ist er kaum mehr zu spüren. In dieser innern Zone ist das Jahres- mittel, wie die Tabelle 12 zeigt, etwas geringer als in den Küsten- gebieten, insbesondere sind aber die Temperaturunterschiede zwi- schen Sommer und Winter grösser; sie geben dem Klima einen kon- tinentalen Charakter. Tabelle 12.

Tyrrhenische Seite, westlich des Apennins Apennin - Po-Ebene Adriatische Seite, östlich des Apennins 3)

Geogr. Höhe Käl- Wärm- Geogr. Höhe Käl- Wärm- Geogr. Höhe Käl- Wärm- Jahr Station Br. ü. M. tester ster Jahr Station Br. ü. M. tester ster Jahr Station Br. ü. M. tester ster m Monat Monat °L m Monat Monat °C m Monat Monat °C

Alessandria 44° 54 98 -0,3 23,8 11,9 Todi 44° 46 411 3,6 23,0 12,6 Genua 44° 25 54 7,5 24,1 15,5 Bologna 44 ° 30 85 1,5 24,6 13,2 Florenz) 43° 46 73 4,7 24,6 14,3 Ancona 43° 37 91 5,5 25,6 15,4 Rom 41° 54 51 6,7 24,8 15,4 Avezzano 42° 1 698 1,7 22,7 12,5 Chieti 5) 42° 21 340 4,1 22,9 12,9 Campobasso 41° 34 700 1,6 22,0 11,5 Neapel 40° 52 149 8,2 24,2 15,9 Potenza 40° 39 826 8,2 20,5 11,2 Lecce 40° 22 70 8,9 26,0 15,4 Reggio 38° 6 29 11,5 25,1 17,8

Tabelle 13.

Tyrrhenische Seite, westlich des Apennins Apennin - Po-Ebene Adriatische Seite, östlich des Apennins)

Geogr. Höhe Niederschlagsmengen für Geogr. Höhe Niederschlagsmengen für Geogr. Höhe Niederschlagsmengen für Station Br. ü.M. Herbst Win- Früh- Jahr Station Br. 5.M. Herbst Win- Früh- Jahr Station Br. ü.M. Herbst Win- Früh- Jahr m ter ling mm m ter ling mm m ter ling mm

•Alessandria 44° 54 98 206,7 135,6 186,2 655,6 Todi 44°46 411 252 157,6 200,6 757,7 Genua 44°25 54 484,7 350 319,5 1307,4 Bologna 44°30 85 254 156 221,7 774,8 Florenz4)43°46 73 275,2 201,4 215,5 831,8 Ancona 43°37 91 233,6 115 157 667,8 Rom 41°54 51 326,2 259,4 212,4 881,5 Avezzano 42° 1 698 214,3 231,9 218,2 817,4 Chieti°) 42°21 340 320 270,8 233,4 1002,1 Neapel 40°52 149 317,1 285,1 196,8 873 Potenza 40°39 826 205,2 202,6 174,2 670,5 Lecce 40°22 70 299,3 260 148,2 618,5 Reggio 38° 6 29 194,1 194,1 128,2 553,2

3r‘1,.,.,. 7..1,1.,., ,4...-1 .1o,.R,,.,4n11.,,,,n.1;o;+0l;o,, 1,Z1 qg nninnmmon s\ Fiir Phiet; cinrl die Zahlen wegen seiner Höhenlage etwas niedriger. 03 4) Es ist zu beachten, dass Florenz 80km vom Meer entfernt liegt. 6) Für Chieti sind die Zahlen wegen seiner Höhenlage viel hôher. 90 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1939

Der Apennin trennt fast in seiner ganzen Länge zwei Zonen annähernd gleicher Wärme, die tyrrhenische und adriatische, von- einander. Er selbst, mitsamt der in ihm liegenden Becken, stellt ein Gebiet geringerer Temperatur, vor allem im Winter, dar. Insbeson- dere wird aber aus Tabelle 12 ersichtlich, dass die geographische Breite auf den Wärmehaushalt der Halbinsel nur von unbedeuten- dem Einfluss ist. Es herrschen z. B. in der Breite von Neapel fast die gleichen Temperaturen sowohl für den kältesten als wärmsten Monat und auch für das Jahr, wie in jener von Genua. Erst im süd- lichsten Kalabrien steigen sie stärker an. So dürfte die Wärmever- teilung schon zur Eiszeit gewesen sein. Dann kann das starke Sinken der Schneegrenze von S nach N kaum auf Temperaturunterschiede zurückgeführt werden. Die geographische Breite war für ihren Ver- lauf nicht von wesentlicher Bedeutung. Grosse Unterschiede bestehen aber, wie die Tabelle 13 zeigt, in der mittleren jährlichen Niederschlagsmenge zwischen den ein- zelnen Teilen der Halbinsel. Für unsere Untersuchung sind zwei Tatsachen von ausschlaggebender Bedeutung. Einmal, dass die Nie- derschläge von E nach W zunehmen; die tyrrhenische Seite ist regen- reicher als die adriatische Seite, bzw. die Po-Ebene (vergleiche z. B. Bologna-Genua, Ancona-Florenz, Lecce-Neapel). Noch wichtiger ist die Feststellung, dass die Niederschläge, so- wohl die jährlichen, als auch die der kühlem Jahreszeiten (Herbst, Winter, Frühling) von S nach N anwachsen. Das gilt für die Küsten- gebiete der Tyrrhenis (Reggio 553 mm, Genua 1307 mm, La Spezia 1465 mm), aber auch für jene der Adria und für die Zone des Apen- nins (beim Vergleichen müssen die Höhenzahlen der Stationen be- rücksichtigt werden). Dieser Art dürfte die Niederschlagsverteilung auch zur Eiszeit gewesen sein. Sie hatte die grossen Unterschiede in der Höhenlage der Schneegrenze zwischen S und N der Halbinsel zur Folge. Wo der Niederschlag in fester Form gross war, da hat sie tief hinabgereicht. Das war in Ligurien, vor allem an der Riviera di Levante, der Fall. Ihre Gebirge, so die nahe der Küste hoch auf- steigenden Apuanischen Alpen, an die die regenbringenden S- und W-Winde anrennen, empfangen auch heute viel Schnee und Regen (jährlich 1500--2000 mm). Sie sind ebenso niederschlagsreich als die viel höhern, jedoch weiter landeinwärts gelegenen Gebirge des Zentralapennins. Dort werden von den vorgelagerten Bergen, z. B. vom Antiapennin Umbriens, grosse Niederschlagsmengen aufge- fangen. Das Ansteigen der Schneegrenze von W nach E im Abschnitt Jahrg. 84. K. SUTER. Die eiszeitliche Vergletscherung des Zentralapeunlns. 91

Apuanische Alpen - M. Cimone dürfte gleichfalls auf die Abnahme der Niederschläge in dieser Richtung zurückgehen. Wie im Apennin stieg auch in andern Gebirgen Europas die eis- zeitliche Schneegrenze von den feuchten zu den trockenen Gebieten an. Beispiele: Nach J. CvIJIC (41) auf der Balkan- Halbinsel von W nach E, also von den feuchten Küstengebieten ins trockenere Innere, wie das die folgenden Zahlen für die Höhenlage der Schnee- grenze zeigen: Orjen 1300 m, Sinjajevina 1450 m, Prokletije 1550 m, Char-dagh 1740 m, Rila 1850-1880 m; nach F. NUSSBAUM (122) auf der Iberischen Halbinsel von der Küste ins Innere: Picos de Europa 1400-1500 m, Serra da Estrela 1650 m, Sierra de Gredos 1700--1800 m, Slerra de Guadarrama 2050 m, Sierra de Moncaya 2100 m; nach A. PENCK (127), sowohl die eiszeitliche als die rezente Schneegrenze, in den Pyrenäen von W nach E und in den Alpen von den niederschlagsreicheren Randzonen gegen das trockenere Innere. «Überall dort, wo am Alpenrande heute mehr als 1,5 m Nie- derschlag im Jahr fallen, liegt die eiszeitliche Schneegrenze tief, so z. B. am Nordsaum zwischen dem französischen Jura und den Öster- reichischen Kalkalpen. Wo hingegen der Alpenfuss heute im Regen- schatten der W-Winde liegt und relativ trocken ist, wie im Piemont da hebt sich die eiszeitliche Schneegrenze selbst am Alpensaum zu Höhen von 1800 m empor.» Als Hauptursache der Vereisung wird eine allgemeine Tempe- raturabnahme angenommen. Sie betrug nach A. PENCK (127), F. KLUTE (86), F. MACHATSCHEK (100) 6-8°, nach ALB. HEIM (70) 3-5°. Auf sie in erster Linie mag auch die Vergletscherung des Apennins zurückgehen. Die schroffen Unterschiede in der Höhen- lage der Schneegrenze jedoch sind vor allem durch verschieden grosse Niederschlagsmengen, hauptsächlich während der kühlen Jahreszeit, bedingt. Ja vielleicht kommt den Niederschlägen, die zur Eiszeit im Apennin grösser als heute waren, als Ursache der Ver- gletscherung eine ebenso grosse Bedeutung als der Kälte zu. Es be- standen damals in den Becken Umbriens, der Abruzzen und der Ba- silikata Seen. Sie sind mit dem Nachlassen der Niederschläge später verschwunden. Für den Zentralapennin ist die rezente Schneegrenze auf 2900 bis 3000 in berechnet worden. Die Depression beträgt 1150-1200 m. Da heute weder der Nord- noch der Südapennin Gletscher besitzen, so kann hier die Höhenlage der Schneegrenze nicht aus unmittel- barer Anschauung bestimmt werden. Sie lässt sich aber mit Hilfe der 92 Vierteljahrsschrift der Naturf. Gesellschaft in Zürich. 1939

Ergebnisse, die im Zentralapennin gefunden wurden, berechnen. Dabei wird vorausgesetzt, dass die rezente Schneegrenzlinie im gros- sen und ganzen parallel zur eiszeitlichen verläuft. Das ist für einige auch heute vereiste Gebirge, wie die Alpen, erwiesen. Es ergeben sich die folgenden Zahlen: M. Beigua 2200 m, Emilianisch-toskani- scher Apennin 2750-2800 m (von A. DESTO, 44, für dieses Gebirge bereits so. bestimmt), Apuanische Alpen 2500 m und Südapennin 3100-3200 m. Für das sehr feuchte Gebiet der Apuane und des M. Beigua sind die Werte eher zu niedrig; Depression und Schnee- grenze dürften für diese Gebirge etwas höher angesetzt werden. Denn F. KLUTE (86) hat gezeigt, dass die Depression in feuchten Klimaten grösser als in den trockenen ist (z. B. in den Pyrenäen im feuchteren westlichen Abschnitt 1200 m, im trockeneren östlichen Abschnitt aber bloss 900 m).

D. Glaziale Formen und Ablagerungen.

Kare. Der Zentralapennin ist ziemlich reich an Karen; es sind schätzungsweise 200-250 vorhanden. Sie verteilen sich auf die ein- zelnen Erhebungen wie folgt: Gran Sasso 25-30, Majella-Morrone 10, Velino-Ocre-Sirente 50--60, Sibillini zirka 15, Meta-Petroso-Pa- nico 40-50, Greco zirka 20, Montagna Grande-Genzana zirka 10, Marsicano - Palombo - Schiena Cavallo - Cornacchia - Serra Traversa zirka 20, Terminillo zirka 10, Simbruini 15-20, Matese zirka 5 und Laga zirka 10. Die Kare werden von den Leuten conche, coppi oder funni genannt; die grossen heissen einfach valli. So sind sie auch gelegentlich auf der topographischen Karte bezeichnet. Sie sehen im Zentralapennin so aus wie in andern Gebirgen: Ein halbkreis- bis hufeisenförmiger Felsrahmen mit sehr steilen Wänden umschliesst einen mehr oder weniger gut ausgeprägten Felsboden. Die Wände sind meist 50-100 m, seltener bis 300 m hoch. Ihr Fuss liegt fast immer unter grossen Schutthalden begraben. Der Boden ist oft flach oder, wenn ihn talauswärts eine Felsschwelle abriegelt, rückvertieft; es entsteht so eine kleine Wanne. Kare von solch schöner Lehnsessel- form finden sich z. B. im N-Hang des M. Miletto (Matese), M. Muro Lungo (Velino), M. Cefalone (Gran Sasso, Taf. I, Fig. 1), M. Tartaro (Meta) und der Serra Rocca Chiarano (Greco). Bei vielen ist der Boden kurz und steil und läuft unmittelbar, ohne dass sich ein Riegel