Z B L Ä T T E R L BB LL ÄÄTT TT EE RR

EXTRA A ZUM LAND F Für Freiheit und Recht

P Der „20. Juli 1944“ und seine

- Verbindungen in unsere Region

Der Umsturzversuch des „20. Juli 1944“ wird in der

D Bundesrepublik Deutschland traditionell als das zentrale Ereignis des deutschen Widerstandes gegen das N NS-Regime gewürdigt. Auch 60 Jahre danach ist jedoch in der breiten Öffentlichkeit noch

A immer kaum bekannt, dass es innerhalb der militärischen und der zivilen Opposition bereits

L 1938 Überlegungen gab, zu stürzen. Bis zum Sommer 1944 wurden sogar mehrere Attentats- und N Umsturzpläne entwickelt, wie- der verworfen oder schlugen fehl. I

Fernschreiben Generaloberst Erich

E Hoepners zur Heranziehung der Politischen Beauftragten und des Verbindungsoffiziers für den Wehrkreis XII Wiesbaden vom 20. Juli

H 1944. In der Hektik entstanden einige Fehler. So heißt der Unterbeauftragte korrekt Koßmann, Hauptmann Kaiser sollte für den Wehrkreis XII und nicht

R XIII herangezogen werden. Sämtliche dieser Vorhaben scheiterten Die absolute Mehrheit der Reichswehr an technischen Unwägbarkeiten, wegen und ihrer Führung stand loyal hinter der scharfen Sicherheitsvorkehrungen dem Diktator und Oberbefehlshaber und des NS-Regimes oder am Zaudern der folgte bis zuletzt willig seiner barbari- beteiligten Militärs. schen Kriegs- und Eroberungsstrategie.

Oberst Stauffenberg (links im Bild) Der „20. Juli“ war keineswegs nur eine im Führerhauptquartier „Wolfschanze“. gemeinsame Aktion von wenigen oppo- sitionellen Militärs und Vertretern des konservativ-liberalen Bürgertums, son- dern konnte sich gleichermaßen auf eine weit verzweigte zivile Widerstands- ter verloren sein würde. Fortan gewan- struktur stützen. Diese war besonders nen die Überlegungen der oppositionel- vom früheren Innenminister des len Offiziere hinsichtlich einer möglichst Volksstaates Hessen und Gewerkschafts- raschen Beseitigung Hitlers durch ein führer Wilhelm Leuschner sowie von Attentat wieder an Kontur, um so die seinem Parteifreund, dem ehemaligen Verbrechen des Regimes endlich zu SPD-Reichstagsabgeordneten Julius beenden und um den Weg freizumachen Leber und deren Mitstreitern in jahrelan- für einen von vielen erhofften Separat- ger Kleinarbeit im ganzen frieden mit den Westalliierten. Auch Reichsgebiet geschaffen Claus Graf Schenk von Stauffenberg worden. Für dieses somit äußerte 1942 mehrfach im vertraulichen im Kern sozialdemokra- Gespräch, die massenhaften Erschießun- tisch-gewerkschaftliche gen der Juden müssten unverzüglich Vertrauensleutenetz gestoppt werden, was aber die waren außerdem etli- Liquidierung Hitlers voraussetze. che weitere Regime- Nachdem der Attentatsplan immer wie- gegner aus bürgerli- der verschoben worden war, zündete chen Kreisen gewon- Oberst Stauffenberg mit Unterstützung nen worden. Eines seines Adjutanten Oberleutnant Werner seiner wichtigsten von Haeften am 20. Juli 1944 in der Zentren erstreckte Lagebaracke des Führerhauptquartiers sich auf die heuti- „Wolfschanze“ bei Rastenburg in gen Bundesländer Ostpreußen eine Bombe, die er – in Hessen und Rhein- einer Aktentasche verborgen – in der land-Pfalz mit deut- Nähe Hitlers platziert hatte. Die anschl- lichem Schwer- ießend von Berlin aus ausgelöste punkt im Rhein- Operation „Walküre“ hätte eigentlich zur Main-Gebiet und Initialzündung für einen kombinierten in Rheinhessen. Aufstand militärischer und ziviler Wider- standskräfte werden sollen. Die gehei- men „Walküre“-Befehle, ursprünglich Der 20. Juli entwickelt z.B. zur Bekämpfung „innerer 1944 Unruhen“, etwa von Aufstandsversuchen der Zwangsarbeiter und Kriegsgefan- Im Anschluss an die genen, waren von General Friedrich verheerende Olbricht und einigen anderen seit 1942 Niederlage von für die Zwecke der Verschwörer umge- Stalingrad Anfang arbeitet worden. Nach einem erfolgrei- 1943 verstärkte sich chen Anschlag auf Hitler hätten umge- in den zivilen wie hend alle regimetreuen Entscheidungs- auch den militäri- träger verhaftet, die Presseeinrichtungen schen Kreisen der unter die Kontrolle der Verschwörer Opposition die gebracht und ähnliche Maßnahmen Überzeugung, dass durchgeführt werden sollen, um der Krieg für dadurch die Voraussetzungen für das Deutschland Gelingen des Umsturzes im Reich und früher oder spä- an der Front zu schaffen. In den einzel-

3 nen Wehrkreisen sollten militärische sen. Zuständig u.a. für das westliche Verbindungsleute, unterstützt von politi- Rhein-Main-Gebiet, die Regierungs- schen Beratern, für die Durchsetzung bezirke Koblenz und Trier, den Wester- der Befehle der Verschwörer sorgen. Die wald, Rheinhessen, die Pfalz und das Aktion, auf die seit langem hingearbeitet Saarland war das Stellvertretende worden war, scheiterte indes binnen nur Generalkommando des XII. Armeekorps eines halben Tages. in Wiesbaden. Dort hatten die Verschwö- rer auf den Chef des Generalstabes Die Bombenexplosion hatte unter den Generalmajor Erwin Gerlach gezählt. Als 24 in der Lagebaracke Versammelten aber die Fernschreiben entschlüsselt vier Todesopfer gefordert, Hitler selbst worden waren und Rückfragen in ande- war aber nur leicht verletzt worden. ren Wehrkreisen erbracht hatten, dass Auch das erst am Nachmittag ausgelöste eine aktive Beteiligung am Staatsstreich- eigentliche Umsturzunternehmen brach versuch zu riskant sei, war dieser in schon nach wenigen Stunden in sich Berlin bereits gescheitert. zusammen. In etlichen Stellvertretenden Generalkommandos waren die Befehle Am Tag der Aktion hätte Hauptmann der Verschwörer erst nach Dienstschluss, Hermann Kaiser vom Stab des Chefs der in München und Danzig überhaupt nicht Heeresrüstung und Befehlshabers des eingetroffen. Mit der Durchführung der Ersatzheeres in seiner Heimatstadt Alarmmaßnahmen der Operation Wiesbaden, wo er „Walküre“ war lediglich – außer in Berlin – in Kassel, Dresden, Hamburg, Stettin und Münster in Westfalen begon- nen worden. Aber auch dort war alles im Ansatz stecken geblieben. Nur in Prag, Paris und Wien waren die Alarmierung und sogar die Verhaftungen regimetreuer Kräfte angelaufen bzw. zum Teil bereits durchgeführt worden. In Paris hatten immerhin 1.200 Mann SS, SD und Polizei fest- gesetzt werden können, die jedoch nach dem erkennbaren Scheitern der Aktion wieder auf freien Fuß gesetzt wurden.

Verbindungen in unsere Region

Auch in Mainz waren Maßnahmen zur Festnahme bzw. Liquidierung Hitler treu ergebener Militärs geplant gewesen, die sich indes nicht hatten durchführen las-

4 vordem im Zivilberuf als Studienrat Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung gewirkt hatte, in die Funktion des Ver- stand 1944 trotz der Invasion der West- bindungsoffiziers zwischen den militäri- alliierten in der Normandie sowie der schen und den zivilen Widerstands- wuchtigen Sommeroffensiven der Sowjets kräften im Wehrkreis XII rücken sollen. gegen die Ostfront und der sich damit Seit 1941 hatte er in Berlin eng mit der deutlich abzeichnenden Niederlage Führungsebene des militärischen und Deutschlands loyal zu Hitler und zum bürgerlich-konservativen Widerstandes NS-Regime. Dem hatten die Verschwörer kooperiert, so mit Generaloberst a. D. dadurch zu begegnen gesucht, dass sie Ludwig Beck, mit dem früheren Leip- nach dem Gelingen des Militärschlages ziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler, unverzüglich ein verlässliches Netz ziviler dann auch mit Generalmajor Henning Widerstandsgruppen auf den Plan rufen von Tresckow, Oberleutnant Fabian von wollten. Ansonsten hätte der befreiende Schlabrendorff, General Friedrich Umsturz ohnehin nur durch Gruppen Olbricht und Oberst Claus Graf Schenk und Personen erfolgen können, die sich von Stauffenberg, ebenso mit Funktio- unmittelbar an den Schaltstellen der nären des Arbeiterwiderstandes und vie- Macht befanden. Dies galt primär für len anderen Regimegegnern. Teile der militärischen und zivilen Funktionseliten. Für die angestrebte Dr. Karl Sack (2. von rechts). unverzügliche Verbreiterung der Basis des Unternehmens hätte ein Bündnis bürgerlich-konservativer, liberaler und gewerkschaftlich-sozialdemokratischer Widerstandsgruppen sorgen sollen.

Die Errichtung einer Militärdiktatur hat- ten die Verschwörer keineswegs beabsichtigt, jedenfalls nicht auf Dauer. Einigkeit herrschte vor allem darin, nach einem geglück- ten Umsturz umgehend zur Rechtsstaatlichkeit zurückzukeh- ren. Ansonsten blieben die politi- schen und wirtschaftlichen Vorstellungen für einen Neubeginn bei den verschiedenen Gruppen und Personen der Opposition bis zuletzt strittig, wobei ein parlamentarisch- demokratisches Staatswesen heutiger Prägung in ihren Planungen nicht vor- gesehen war.

Der Vertraute Stauffenbergs

Der 1896 in Bosenheim bei geborene Chefrichter des

5 Heeres Karl Sack gehörte im Zuge der Umsturzvorberei- tungen zu den unmittelbaren Henning von Tresckow Vertrauten von Oberst (links außen) Stauffenberg und General und Fabian von Schlabrendorff Olbricht. Seine Aufgabe (recht außen) bestand in der Abschirmung im Stab der Heeresgruppe Mitte von Gefährdeten sowie der (1943). Warnung der Verschwörer vor den jederzeit möglichen Observationen und Zugriffen durch die . So hat er beispielsweise die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens gegen Hauptmann Hermann Kaiser erreicht, der 1943 von einem Kameraden aus dem Ersten Weltkrieg wegen sei- ner scharfen Kritik an Hitler denunziert worden war.

Nach der bereits am 12. Juni 1944 erfolgten Verhaftung von Oberst Wilhelm Staehle, der u.a. mit Carl Goerdeler und niederländischen Wider- standskreisen in Verbindung gestanden hatte, war Sack sogar selbst ins Wehrmachts- auf Todesstrafe, die am Morgen des gefängnis geeilt, um vom folgenden Tages vollstreckt wurde. dort Inhaftierten den aktuel- len Stand der Ermittlungen in Erfahrung zu bringen. Dies führte letzt- Kurier zwischen den endlich wenige Wochen nach dem Widerstandskreisen „20. Juli“ zu seiner eigenen Festnahme. Sack hätte womöglich als Justizminister Schon im Herbst 1933 hatte der 1907 in der von den Verschwörern angestrebten Halle an der Saale geborene Jurist Zivilregierung fungieren sollen. Auf Fabian von Schlabrendorff damit begon- Befehl Hitlers wurde vom Chef des nen, in Pommern und in Rheinhessen Reichssicherheitshauptamtes Ernst viele zuverlässige NS-Gegner in Zellen Kaltenbrunner veranlasst, dass am 8. zusammenzufassen und der Opposi- April 1945 im KZ Flossenbürg gegen tionsbewegung zuzuführen. Als dessen Sack, Admiral , General- Ordonnanzoffizier hat er zusammen mit major und einige andere Henning von Tresckow den Attentats- Regimegegner ein Standgericht zusam- versuch auf Hitler vom 13. März 1943 in mentrat. Dieses erkannte wegen Hoch- Smolensk unternommen. Ferner war er und Kriegsverrats für alle Angeklagten als Kurier zwischen den Widerstands-

6 aber in das KZ Flossenbürg, dann ins KZ Dachau verlegt, anschließend in ein KZ bei Innsbruck. Am 4. Mai 1945 wurde er von amerikanischen Truppen befreit. 1967 wurde er als Richter an das Bundes- verfassungsgericht in Karlsr- uhe berufen, dessen 2. Senat er acht Jahre lang angehörte.

Das zivile Vertrauens- leutenetz im Umfeld des „20. Juli“

Nach seiner Entlassung aus dem KZ Lichtenburg im Sommer 1934 machte sich Wilhelm Leuschner daran, von Berlin aus ein schließlich im ganzen Deutschen Reich weit verzweigtes informelles Verbindungsnetz sozialdemo- kratisch-gewerkschaftlicher Widerstandskräfte zu knüp- fen. Seine Kontaktfahrten, kreisen an der Front und solchen im die zunächst vor allem im Heimatheer eingesetzt. Mit den führen- Zusammenhang mit der den Köpfen der bürgerlich-militärischen Illegalen Reichsleitung der Opposition Ludwig Beck und Carl Gewerkschaften standen, Goerdeler hat er sich seit Sommer 1942 tarnte er seit 1936 geschickt in ständiger Fühlung befunden. Am 17. als Geschäftsreisen für seinen Betrieb August 1944 wurde der Oberleutnant zur Herstellung von Armaturen, Bier- festgenommen und im Gestapogefängnis zapfhähnen und ähnlichen Produkten. des Reichssicherheitshauptamtes in Als 1938 durch regimekritische Kreise Berlin, später im KZ Sachsenhausen aus Bürgertum und Militär erstmals eine inhaftiert. Dass er überlebte, grenzt an gemeinsame Aktion gegen Hitler erwo- ein Wunder: Mehrfach schwer gefoltert, gen wurde, war Leuschner bereits einge- hat er trotzdem keinen seiner Gesinnungs- weiht. Seit Anfang der 1940er Jahre wur- freunde verraten und schließlich in sei- de der Aufbau eines reichsweiten ner – fünfmal verschobenen – Verhand- Vertrauensleutenetzes durch ihn sowie lung vor dem „Volksgerichtshof“ am 16. seine inzwischen gleichfalls aus dem KZ März 1945 sogar Freispruch erwirken entlassenen Parteifreunde Julius Leber, können. Kurz darauf wurde ihm jedoch Carlo Mierendorff und Theodor Hau- eröffnet, es handele sich um ein Fehl- bach sowie etliche andere forciert urteil, er werde erschossen. Er wurde betrieben. Jene Widerstandsstruktur soll-

7 te erst nach einem erfolgreichen militäri- gehörte zu jenem oppositionellen schen Umsturzunternehmen aktiviert Diskussionszirkel. Seit 1940 in enger werden, um dieses sodann in demokra- Beziehung mit dem von Leuschner orga- tische Bahnen zu lenken. Allerdings nisierten Widerstandsnetz, beteiligte er konnte infolge der ständigen Einberu- sich seit Januar 1944 unmittelbar an den fungen zur Wehrmacht fast nur noch auf Umsturzvorbereitungen Stauffenbergs. ältere einstige Funktionsträger aus Gewerkschaften und SPD zurückgegrif- Ab 1943/44 wurden zunehmend bis fen werden. Die zwischen Leuschner, dahin weitgehend autonom gebliebene Leber und anderen sozialdemokrati- bürgerliche Widerstandsgruppen, ebenso schen und gewerkschaftlichen Spitzen- die deutlich schwächer ausgeprägten funktionären bestehenden Kontakte zur konspirativen Strukturen christlicher Führungsebene des bürgerlich-militäri- sowie liberaler Gewerkschafter und schen Widerstandes um Goerdeler und dazu noch verschiedene protestantische, Generaloberst a. D. Beck, bis zu seinem katholische, demokratische und liberale spektakulären Rücktritt im Sommer 1938 Einzelpersönlichkeiten informell in das Generalstabschef des Heeres, waren die Vertrauensleutenetz Leuschners und sei- Grundvoraussetzung für das geplante ner Freunde einbezogen. Gleichzeitig gemeinsame Vorgehen gegen den wurden für die einzelnen Wehrkreise so Diktator. 1941 wurde zudem die genannte Politische Beauftragte sowie Verbindung des sozialdemokratisch- Unterbeauftragte bestimmt. Diese sollten gewerkschaftlichen Untergrundes mit in der eigentlichen Umsturzphase über den Oppositionellen des überparteili- entsprechende Verbindungsoffiziere chen Kreisauer Kreises um Helmuth beratenden Einfluss auf die Komman- James Graf von Moltke und Peter Graf deure der Stellvertretenden General- Yorck von Wartenburg hergestellt. Auch kommandos nehmen. Unmittelbar der 1898 in Bad Ems geborene bedeu- danach hätte den Politischen Beauf- tende Reform- tragten die Funktion von pädagoge Oberpräsidenten bzw. Verwaltungs- Adolf chefs der ihnen zugewiesenen Reich- Landesteile zufallen sollen. Im wein Bereich des Stellvertretenden Generalkommandos des Wehr- kreises XII Wiesbaden sollte Leuschners enger politischer Freund und Mitstreiter, der 1890 in Undenheim geborene frühere hessi- sche Staatsrat Ludwig Schwamb die Aufgabe des Politischen Beauftragten Carlo Mierendorff (links) und Emil Henk überneh- men. Als Unterbeauftragter, d.h. als Stellvertreter gen Bezirksleiter des Einheitsverbandes Schwambs, war Bartholomäus Koßmann der Eisenbahner Deutschlands Anton aus Saarbrücken eingesetzt, einst Reichs- Calujek und einem katholischen Wider- tagsabgeordneter für das Zentrum im standskreis um Ernst Doller zusammen- Wahlkreis Koblenz-Trier-Birkenfeld sowie arbeitete. Dort war nicht nur die Vorsitzender der katholischen Bergarbei- Festsetzung der örtlichen tergewerkschaft in Neunkirchen-Saar. Führungsspitzen des Regimes vorbereitet worden, sondern Nur zum Teil deckungsgleich mit jener auch ein Eisenbahnerstreik zur Struktur, die sich an der geografischen Unterstützung des Staats- Ausdehnung der Wehrkreise ausrichtete, streichs. Den Stützpunkt in war die von Leuschner, Leber und ande- Ingelheim leitete der Gastwirt ren geschaffene zivile Widerstands- Otto Wedekind. Weitere struktur. Die Region zwischen Kassel Stützpunkte in Rhein- und Heidelberg war dabei offenbar hessen bestanden nach- einer der von ihnen am besten organi- weislich in Worms, sierten Bereiche überhaupt. Dessen Guntersblum, Oppen- organisatorisches Zentrum befand sich heim, Nierstein, Bingen, im Rhein-Main-Gebiet. Dort und im Dolgesheim, Alsheim und Jakob Steffan näheren Einzugsbereich verfügten Nieder-Olm. Die meisten dieser zivilen Leuschner und etliche seiner wichtigsten Vertrauensleute waren bereits ab 1933 Mitstreiter aus der Zeit ihres politischen aus politischen Gründen verfolgt wor- Handelns während der Weimarer den und hatten ihre berufliche Existenz Republik noch immer über eine verloren. Alfred Freitag, Otto Wedekind beträchtliche Zahl verlässlicher und risi- und Anton Calujek waren 1933/34 im kobereiter Freunde und Sympathisanten. KZ Osthofen bei Worms inhaftiert gewe- So konnte Schwamb die politische sen. Leitung der Vertrauensleutestruktur süd- lich der Mainlinie dem 1888 geborenen Wichtige Hinweise sind Emil Henk zu früheren Oppenheimer SPD-Landtags- verdanken, der dominierenden Persön- und -Reichstagsabgeordneten Jakob lichkeit des frühen sozialistischen Steffan übertragen, der erst 1940 – Widerstandes im Raum Mannheim/ gesundheitlich schwer geschädigt – aus Heidelberg. Er war mit Theodor Hau- dem KZ Dachau entlassen worden war. bach und dem früheren Pressesprecher Die regionale Zentrale des Vertrauens- des hessischen Innenministeriums Carlo leutenetzes befand sich in Frankfurt. In Mierendorff eng befreundet. 1946 hat den einzelnen Städten und Gemeinden Henk seine Kenntnisse der Organisa- war die Leitung erfahrenen, zumeist tionsstruktur des zivilen Widerstands- ebenfalls sozialdemokratischen Politi- netzes im Zusammenhang mit dem kern, Gewerkschaftsfunktionären und „20. Juli“ in der Region zwischen Kassel Verwaltungsfachleuten übertragen wor- und Heidelberg sowie in Rheinhessen den. Diesen oblag es, weitere geeignete publik gemacht. Er berichtete, „ganze Mitarbeiter heranzuziehen. In Mainz war tausend zuverlässige Männer“ seien als Alfred Freitag eingesetzt, vor 1933 „Avantgarde“ in diesem „mit am besten Landesparteisekretär der SPD in Rhein- organisierten“ Bereich „zur Aktion hessen, der nun eng mit einer Gruppe bereitgestellt“ gewesen. Hinter jedem von Gewerkschaftern um den vormali- Einzelnen hätten jeweils „mindestens

9 weitere zehn aktive Kämpfer“ gestan- den. Diese Zahlenangaben erscheinen zwar als recht hoch gegriffen, und es ist heute, sechzig Jahre danach, ein schwie- riges wenn nicht aussichtsloses Unterfangen, dies alles noch detailliert zu überprüfen. Das ganze Ausmaß jenes Netzwerkes war seinerzeit nämlich nur Leuschner und seinen engsten Mitstrei- tern bekannt und auch diesen nur bis hinunter zur Ebene der lokalen Stütz- punktleiter. Die weiteren Kontaktleute blieben aus Sicherheitsgründen gegenü- ber der Führungsebene geheim und meist auch untereinander konspirativ abgeschottet. Die Regimegegner an der lokalen Basis wussten lediglich, dass Hermann Kaiser, einer der wichtigsten eine Aktion gegen Hitler bevorstehe. So Organisatoren des „20. Juli“, wurde am hatte beispielsweise der Sozialdemokrat 17. Januar 1945 zum Tode verurteilt. Das und vormalige Angehörige des Republik- Urteil wurde sechs Tage darauf in Berlin- schutzverbandes „Reichsbanner Schwarz Plötzensee durch Erhängen vollstreckt. Rot Gold“ Jakob Schuch aus Nierstein, der dann zusammen mit fünf weiteren Opfern am 21. März 1945 am Kornsand gegenüber von Nierstein von den Nationalsozialisten ermordet wurde, sei- nem Schwabsburger Reichsbanner- kameraden Peter Morch im Juli 1944 einen Karabiner mit den Worten über- reicht: „Halte dich bereit, es ist etwas im Gange“. Die örtlichen sozialdemokrati- schen Solidargemeinschaften, unterein- ander verwandtschaftlich und freund- schaftlich eng verbunden, bildeten auf der untersten Ebene in der Hauptsache jenen Personenkreis, auf den im Falle eines geglückten Umsturzes hätte zurückgegriffen werden sollen. Sie hät- ten indes erst im entscheidenden Moment erfahren, dass und in welcher Form sie aktiv werden sollten. Gleiches gilt für die mit ihnen vielfach persönlich Wilhelm Leuschner wurde am 16. August 1944 festgenommen. Am 8. September 1944 verbundenen liberalen und konservati- verurteilte ihn der „Volksgerichtshof“ zum ven Oppositionellen vor Ort. Tode. Das Urteil wurde am 29. September 1944 in Berlin-Plötzensee durch den Henker vollstreckt.

10 Epilog Stadtrat ein, 1947 wurde er rheinland- pfälzischer Landtagsabgeordneter und Nach dem Scheitern von Attentat und Ministerialdirektor im Ministerium für Umsturzversuch gelang es den Fahndern Wirtschaft und Verkehr. Alfred Freitag des NS-Terrorsystems in der Hauptsache war nach dem Ende der NS-Gewalt- nur, die Führungsgruppen der Aktion herrschaft erneut Bezirkssekretär der und den Personenkreis der durch die SPD in Rheinhessen sowie mehrere Befehle zu ihrer Heranziehung sichtbar Jahre Mitglied des Mainzer Stadtrats. gewordenen Verbindungsoffiziere sowie Politischen Beauftragten und Unterbe- Bei der Diskussion um den militärischen auftragten in den Wehrkreisen zu ermit- und politischen Widerstand im Umkreis teln und festzunehmen. So waren durch des „20. Juli“ sollte aber nicht vergessen Fernschreiben Generaloberst Erich werden, dass es auch christlich bzw. Hoepners vom 20. Juli 1944 die vorgese- humanitär orientierten Widerstand gab, henen Funktionen Hauptmann Kaisers der zumeist von Einzelnen getragen als Verbindungsoffizier sowie Schwambs wurde. Beispiele auch aus dem Gebiet als Politischer Beauftragter im Wehrkreis des heutigen Rheinland-Pfalz belegen, XII und damit als unmittelbarer An- dass damals individuell durchaus vielfäl- sprechpartner Kaisers auf Seiten der tige Handlungsspielräume genutzt wur- Zivilopposition ebenso offenbar gewor- den und so die gängige Meinung wider- den wie die von Schwambs Unterbeauf- legen, es habe gegen das NS-Regime tragtem bzw. Stellvertreter Bartholomäus „sowieso nichts ausgerichtet werden Koßmann. Dieser konnte jedoch – können“. Diesem Thema soll eines anders als Kaiser und Schwamb – in sei- unserer nächsten „Blätter zum Land“ nem Prozess durch geschickte Verteidi- gewidmet werden. gung einen Freispruch erwirken. Axel Ulrich, Angelika Arenz-Morch Etliche Personen, die in die zivilen Widerstandsstrukturen des „20. Juli“ im Bereich des heutigen Rheinland-Pfalz ein- gebunden waren, aber unentdeckt geblieben sind, konnten daher nach Kriegsende eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau spielen. So etwa wirkte Jakob Steffan erst als Regierungspräsident für Rheinhessen, dann als Innenminister und schließlich von 1949 bis 1950 als Sozialminister in Rheinland-Pfalz. Anton Calujek wurde 1945 Gewerk- schaftssekretär der Eisenbahner; 1946 zog er für die SPD in den Mainzer

Ludwig Schwamb wurde am 23. Juli 1944 in Frankfurt festgenommen und später nach Berlin überstellt. Am 13. Januar 1945 verurteilte ihn der „Volksgerichtshof“ zum Tode. Zehn Tage spä- ter wurde er zusammen mit neun weiteren Verschwörern in der Strafanstalt Berlin- Plötzensee erhängt. Ausgewählte Literatur zum Widerstand im heutigen Rheinland-Pfalz

Hans Berkessel (Redaktion): Emil Henk: SIGN, Mainz Widerstand gegen die Die Tragödie des 20. Juli 1944. Ein NS-Herrschaft in Beitrag zur politischen Vorgeschichte. Rheinland-Pfalz. Hrsg.: 2. erw. Aufl. Heidelberg 1946 Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz und Pädagogisches Peter Joachim Riedle (Hrsg.): Zentrum. Bad Kreuznach, Mainz 2004 Wiesbaden und der 20. Juli 1944. (In Vorbereitung) Beiträge von Gerhard Beier, Lothar Bembenek, Rolf Faber, Peter M. Kaiser Hans-Georg Meyer, und Axel Ulrich. Hrsg.: Magistrat der Hans Berkessel (Hrsg.): Landeshauptstadt Wiesbaden – Die Zeit des Nationalsozialismus in Stadtarchiv. Wiesbaden 1996 (Schriften Rheinland-Pfalz, Band 1: des Stadtarchivs Wiesbaden, Bd. 5) „Eine nationalsozialistische Revolution ist eine gründliche Angelegenheit“. Renate Knigge-Tesche, Mainz 2000 Axel Ulrich (Hrsg.): Verfolgung und Widerstand 1933–1945 Gerhard Nestler, Hannes Ziegler in Hessen. Frankfurt/Main 1996 (Hrsg.): Die Pfalz unterm Hakenkreuz. Axel Ulrich: Eine deutsche Provinz während der Kampf gegen Hitler. nationalsozialistischen Terrorherrschaft. Zum politischen Widerstand gegen das Landau/Pfalz 1987 NS-Regime im Rhein-Main-Gebiet, in: Mainzer Geschichtsblätter. Ludwig Hellriegel (Hrsg.): Veröffentlichungen des Vereins für Widerstehen und Verfolgung in den Sozialgeschichte Mainz. Mainz 2004 Pfarreien des Bistums Mainz 1933– 1945. Band 1: Abbildungen: Rheinhessen (2 Teile). Eltville 1989 NS-Dokumentationszentrum Rheinland- Pfalz/Gedenkstätte KZ Osthofen sowie Der rheinhessische Protestantismus Stadtarchiv Wiesbaden. 1933/34. Von nationalistischer Begeisterung und bekennenden Christen. Oppenheim, Quellenhinweise entnehmen Sie bitte der ohne Jahresangabe weiterführenden Literatur.

Diese Veröffentlichung stellt keine Meinungs- äußerung der LpB Rheinland-Pfalz dar. Für die inhaltlichen Aussagen tragen die Autorin und der Autor die Verantwortung. Herausgeberin: Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz, Am Kronberger Hof 6, 55116 Mainz • Gestaltung, WIEHR DE 12