Dokumentation

Horst Mühleisen

Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938. Neun Dokumente aus dem Nachlaß des Generalobersten

I. Die Bedeutung der Dokumente

Es gibt Skandale, die lange fortwirken und auch die Forschung immer noch be- schäftigen. Zu diesen gehört jener, der mit dem Namen des , des Reichskriegsministers und Oberbefehlshabers der Wehr- macht, sowie des Generalobersten Werner Freiherrn von Fritsch, des Oberbefehls- habers des Heeres, verbunden ist. Der Anlaß für Blombergs Entlassung am 4. Februar 1938 war seine Heirat mit einer Frau, deren Vorleben als kompromittiert galt. Fritsch aber war der Homose- xualität, des Vergehens nach § 175 Strafgesetzbuch, beschuldigt worden. Auch er erhielt am selben Tage, dem 4. Februar, seinen Abschied. Um die gegen Fritsch er- hobenen Vorwürfe aufzuklären, ermittelte sowohl die Geheime Staatspolizei als auch das . Dies waren die Tatsachen, die im Frühjahr 1938 indessen nur wenigen Perso- nen verlaßlich bekannt waren. Der Öffentlichkeit war mitgeteilt worden, die Ver- abschiedung von Blomberg und Fritsch sei aus gesundheitlichen Gründen erfolgt. Wenige Jahre nach Kriegsende, 1949, veröffentlichte Johann Adolf Graf Kiel- mansegg, Fritschs Neffe, eine Darstellung über den Prozeß des Reichskriegsge- richts gegen den Generalobersten1. Die persönlichen Zeugnisse, die der ehemali- ge Oberbefehlshaber des Heeres hinterlassen hat, waren indessen spärlich, da Fritsch keine umfangreiche Korrespondenz führte. Ferner standen Kielmansegg die Prozeßakten nicht zur Verfügung, da sie verbrannt waren. Fotokopien der Ak- ten und Verhandlungsstenogramme, die in nicht sehr zahlreicher Ausfertigung vorlagen, ebenso wie die Handakten des Verteidigers, des Grafen Rüdiger von der Goltz, wurden durch Bombenangriffe vernichtet2. Ob die Protokolle, die Reichs- kriegsgerichtsrat Dr. während des Prozesses führte, tatsächlich nach Kriegsende in die Hände der amerikanischen Besatzungsmacht gefallen sind3, ist ungewiß; bis heute sind sie nicht wieder aufgetaucht. Die Quellenbasis, auf die sich Kielmansegg stützen konnte, war daher schmal, und nicht immer ist seine Darstellung zuverlässig. Im selben Jahr, 1949, erschie- nen Friedrich Hoßbachs Erinnerungen4; darin veröffentlichte der ehemalige Ad-

1 [Johann Adolf] Graf Kielmansegg, Der Fritsch-Prozeß 1938. Ablauf und Hintergründe, Hamburg 1949. 2 Ebd., S. 12. 3 Hermann Bosch, Heeresrichter Dr. Karl Sack im Widerstand. Eine historisch-politische Studie, München 1967, S. 6 (mit Anm. 6, S. 94). 4 Friedrich Hoßbach, Zwischen und Hitler 1934-1938, Göttingen 1949. — Zi- tiert wird nach der 2., durchges. Aufl., Göttingen 1965.

Militärgeschichtliche Mitteilungen 56 (1997), S. 471-508 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, 472 MGM 56 (1997) Horst Mühleisen jutant der Wehrmacht beim »Führer und Reichskanzler« und Vertraute Fritschs dessen Aufzeichnung vom 1. Februar 19385, die sich mit Ereignissen aus den Jahren 1934 bis 1936 sowie mit Persönlichkeiten aus der engeren wie weiteren Umgebung des Chefs der Heeresleitung/Oberbefehlshabers des Heeres befaßt. Hoßbachs Ab- druck ist indessen ebenso unzulänglich wie der von Klaus-Jürgen Müller6. Selbst- zeugnisse des Generalobersten blieben selten, und auch Hermann Foertsch konnte für seine Darstellung7 kaum neue Quellen — besonders zu Fritsch — erschließen. Immer noch wucherten Legenden um den Blomberg-Fritsch-Skandal, zumal der Reichskriegsminister keine Aufzeichnungen über das Jahr 1938 hinterlassen hat. Es wurde spekuliert, aber nicht geforscht. Die Wissenschaft erhoffte sich da- her von Harold C. Deutsch neue Erkenntnisse8; diese Veröffentlichung aber ist eher verwirrend als überzeugend. Vor vier Jahren nun, 1994, legten Karl-Heinz Janßen und Fritz Tobias eine Un- tersuchung vor9, die beansprucht, den Ablauf und die Hintergründe des Skandals überzeugend zu rekonstruieren und zu deuten. Aber auch diese Veröffentlichung, die nur bekannte Thesen wiederholt und oftmals verkürzt wiedergibt, beantwor- tet offen gebliebene Fragen nicht ausreichend. Zu vielschichtig ist der Sachverhalt, zu verschlungen sind die Abläufe der Ereignisse, so daß diese kaum mehr entwirrt werden können, zu spärlich sind die Quellen. Weshalb stürzte Fritsch? War es doch eine Intrige, die von , Reinhard Heydrich und Hermann Göring ausging, wie der — und nicht nur er — vermutete (Dokumente Nr. 2, 5,7)? Die beiden Verfasser benutzten für ihre Darstellung Aufzeichnungen Fritschs, die als verschollen galten und die ihnen Lew Besymenski, ein russischer Publizist, sowie Oberst a.D. Otto-Heinz Großkreutz, Fritschs letzter Adjutant, zur Verfügung stellten. Janßen und Tobias kannten aber nicht alle Niederschriften des General- obersten, die inzwischen zugänglich geworden'waren. Daher ist es angebracht, sämtliche Aufzeichnungen zu edieren, denn sie besit- zen einen hohen Quellenwert und schildern die Ereignisse aus Fritschs Sicht. Wie war es nun zu den gegen den Reichskriegsminister und den Oberbefehls- haber des Heeres erhobenen Beschuldigungen und der sich anschließenden Krise gekommen? Einige Bemerkungen seien angebracht, um die Rahmenumstände der

5 Ebd., S. 59-62. Der Abdruck ist unvollständig und enthält auch zahlreiche Lese- oder Abschreibefehler. Die Niederschrift befindet sich im Bundesarchiv-Militärarchiv, Frei- burg i.Br. (BA-MA), Nachlaß Beck Ν 28/3, fol. lr-7v. — Professor Wolfgang Foerster (1875-1963), der ehemalige Präsident der Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt des Heeres in Potsdam, besaß bis 1961 die erhaltenen Papiere Becks, auch die erwähnte Auf- zeichnung Fritschs. 6 Klaus-Jürgen Müller, Armee und Drittes Reich 1933-1939. Darstellung und Dokumen- tation. Unter Mitarb. von Ernst Willi Hansen, 2., unveränd. Aufl., Paderborn 1989, S. 244-247. Insgesamt fehlen fünf Absätze, deren Weglassungen nicht gekennzeichnet sind. Der Abdruck enthält auch, wie bei Hoßbach, zahlreiche Lese- oder Abschreibe- fehler. — Die beste Darstellung und Beurteilung der Blomberg-Fritsch-Krise gibt Müller, ebd., S. 89-95. — Ders., Das Heer und Hitler. Armee und nationalsozialistisches Regime 1933-1939, Stuttgart 1969 (Kapitel VI: Blomberg-Skandal und Fritsch-Krise). 7 Hermann Foertsch, Schuld und Verhängnis. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 als Wen- depunkt in der Geschichte der nationalsozialistischen Zeit, Stuttgart 1951. 8 Harold C. Deutsch, Das Komplott oder Die Entmachtung der Generale. Blomberg- und Fritsch-Krise. Hitlers Weg in den Krieg, Zürich 1974. 9 Karl-Heinz Janßen und Fritz Tobias, Der Sturz der Generale. Hitler und die Blomberg- Fritsch-Krise, München 1994. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 473

Geschehnisse zu schildern und sie in den übergeordneten Zusammenhang einzu- ordnen. Am 12. Januar 1938 heiratete Blomberg, seit langen Jahren Witwer, Margarethe Gruhn, eine Frau aus sehr bescheidenen Verhältnissen und erheblich jünger als der Reichskriegsminister. , der »Führer und Reichskanzler«, sowie Gene- raloberst Hermann Göring, der Oberbefehlshaber der , waren die Trau- zeugen gewesen. Wenige Tage danach, am 21. Januar, tauchte eine Polizeiakte auf, aus der hervorging, daß Frau von Blomberg der Sittenpolizei bekannt war. Dies war, nicht nur für das Offizierkorps, das in strengen konservativen Vorstellungen und Ehrbegriffen dachte und preußisch geprägt war, ein Skandal. Groß war auch das Entsetzen bei der Führungsspitze des nationalsozialistischen Staates. Am 26. Ja- nuar fand zwischen Blomberg und Hitler die entscheidende Aussprache statt, in der Hitler den Reichskriegsminister aufforderte, seinen Abschied zu nehmen. Bei dieser letzten Zusammenkunft gab dieser dem »Führer und Reichskanzler« den folgenschweren Rat, den Oberbefehl über die Wehrmacht selbst zu übernehmen. Es kann als gesichert angesehen werden, daß Blomberg diesen Skandal und den nachfolgenden Sturz selbst verursachte. Die nationalsozialistische Führung hatte in- dessen diese Mesalliance, um Blomberg auszuschalten, nicht vorbereitet. Denn Hit- ler, Göring und Himmler waren von dessen Absicht, wieder zu heiraten, völlig über- rascht worden. Fritschs Ausführungen beschreiben die Lage genau (Dokument Nr. 7). Verkürzt ist auch die These, daß Hitler Blomberg und Fritsch deshalb entlas- sen habe, weil diese des »Führers« Ausführungen am 5. November 1937 kritisiert hatten. Bei dieser Besprechung in der Reichskanzlei erläuterte Hitler ausführlich sein außenpolitisches Programm und kündigte an, Krieg führen zu wollen. Er sagte in- dessen nichts Neues. Blomberg, Fritsch und Konstantin Freiherr von Neurath, der Reichsminister des Auswärtigen, widersprachen des Diktators Plänen nicht, die ihnen seit dem 3. Februar 1933 bekannt waren10. Hitler hatte damals, auch vor Blomberg und Fritsch, seine politischen Ziele erläutert und in einer längeren Re- de erstmals sein mittel- und langfristiges Programm entwickelt. Und auch Neu- rath war anwesend gewesen. Der Reichskanzler hatte seine Ziele deutlich enthüllt: »Beseitigung des Krebsschadens der Demokratie«, Ausrottung des Marxismus »mit Stumpf und Stiel«, »Eroberung neuen Lebensraums im Osten und dessen rück- sichtslose Germanisierung«. Hitler hatte den Aufbau der Wehrmacht als die »wich- tigste Voraussetzung für Erreichung des Ziels: Wiedererringung der politischen Macht« bezeichnet und angekündigt, daß er die allgemeine Wehrpflicht wieder einführen wolle und hatte zu verstehen gegeben, daß die in Zukunft nicht mit der SA »verquickt« werden solle. Bei der Besprechung im November 1937 brachten die beiden Generale nur sachliche Einwände vor, indem sie davor warn- ten, die Stärke des Gegners nicht zu unterschätzen. Und Neurath bemerkte, ein Mittelmeer-Konflikt sei noch nicht in greifbarer Nähe, worauf Hitler als möglichen Zeitpunkt den Sommer 1938 nannte. Auch dieser Hinweis bedeutete keine Kritik11.

10 Diese erste Besprechung Hitlers mit den Befehlshabern der Reichswehr ist abgedruckt in: Hans-Adolf Jacobsen, 1939-1945. Der Zweite Weltkrieg in Chronik und Dokumenten, 6. Aufl., 1961, S. 95 f. (Dok. 1). — Generalleutnant Curt Liebmann, Befehlsha- ber des Wehrkreises V und Kommandeur der 5. Division, fertigte diese Notizen an. 11 Die Hoßbach-Niederschrift vom 10.11.1937, in: Müller, Armee und Drittes Reich (wie Anm. 6), S. 316-323 (Dok. 145). — Blombergs und Fritschs sachliche Hinweise, ebd., S. 322, auch die von Neurath, S. 322. — Zur Interpretation: Müller, ebd., S. 106 f. 474 MGM 56 (1997) Horst Mühleisen

Diese Darlegungen mögen zeigen, daß ein unmittelbarer Zusammenhang zwi- schen der Besprechung in der Reichskanzlei und der Entlassung von Blomberg und Fritsch nicht besteht. Zutreffend ist, daß der Skandal um den Reichskriegs- minister und die Fritsch-Krise verbunden sind. Ihre Entstehung aber war ver- schieden, während Ablauf und Wirkung der Ereignisse wieder zusammengehören. Manche Hinweise sprechen dafür, daß Hitler daran dachte, Fritsch als Ober- befehlshaber des Heeres auszuwechseln. Wollte er General der Artillerie Walther von Reichenau als Nachfolger? Nie zweifelte der Diktator an Fritschs Ergebenheit, aber dieser verkörperte die preußischen Tugenden und genoß im Heer wie auch in den anderen Wehrmachtsteilen, Luftwaffe und Marine, höchstes Ansehen, ebenso in der Bevölkerung. Der Oberbefehlshaber des Heeres war zu einer »Symbolfigur« (Müller) geworden, und daher der Partei seit langem verdächtig. Irgendwann im Jahre 1936 legte die Geheime Staatspolizei Hitler eine Akte vor, die angebliche Ver- fehlungen Fritschs gegen § 175 Strafgesetzbuch enthielt (Dokumente Nr. 5,6,7). Ob der »Führer iind Reichskanzler« die Haltlosigkeit dieser Vorwürfe erkannte? Wie dem auch sei, er ordnete an, dieses Dossier zu vernichten; sein Befehl aber wurde nur teilweise ausgeführt; einige Schriftstücke blieben als Durchschriften erhalten, so daß der Inhalt der Akte wiederhergestellt werden konnte. Diese Rekonstruktion geschah in den Tagen nach dem 20. Januar 1938. Die al- ten, seit 1936 erhobenen falschen Anschuldigungen gegen Fritsch waren nun will- kommen, um den Oberbefehlshaber des Heeres, zusammen mit dem Reichs- kriegsminister, zu beseitigen. »Ich erlebe zur Zeit viel Schweres«, äußerte Fritsch Ende Januar 193812. Fünf Tage zuvor, am 26. Januar, hatte zwischen Hitler und dem Oberbefehlshaber des Heeres eine Unterredung stattgefunden, in der er dem »Führer« sein Ehrenwort gegeben hatte, nicht homosexuell zu sein. Auch war die Gegenüberstellung mit dem angeblichen Belastungszeugen Otto Schmidt erfolgt, der behauptete, Fritsch seit 1936 erpreßt zu haben. Dieser stellte sein Amt als Oberbefehlshaber des Hee- res zur Verfügung und bat, ein Gerichtsverfahren einzuleiten, um die Vorwürfe zu klären (Dokumente Nr. 1, 2). Fritsch war fassungslos. Er hatte alles getan, um seinen Auftrag, ein schlag- kräftiges und gefestigtes Heer aufzubauen, zu erfüllen: »Ganz unabhängig davon ist, daß die Grundlage unseres heutigen Heeres nationalsozialistisch ist und sein muß«, notierte er13. Nie war er wankend geworden. Und fast ein Jahr nach seinem Sturz bekannte er: »Ich habe mir eingebildet, ein guter Nationalsozialist gewesen und noch zu sein« (Dokument Nr. 8). Er blieb es bis zu seinem Tode. Es begann ein erbittertes Ringen, um seine Ehre wiederherzustellen. Die Ge- heime Staatspolizei strengte eine Untersuchung an, die für Fritsch sehr entwürdi- gend war (Dokument Nr. 2). Ohnmächtig gegenüber den Verleumdungen und der Schmach, die er erfuhr, diktierte der ehemalige Oberbefehlshaber des Heeres am 23. Februar 1938 jenen Vermerk beim Reichskriegsgericht, mit dem er seinen Zorn und seine Wut, seine Enttäuschung und Verbitterung über diese Behandlung aus- drückte (Dokument Nr. 3). Dann, Anfang März, entdeckte Graf von der Goltz, der Verteidiger, daß eine Namenverwechslung vorlag: nicht , son- dern Achim von Frisch, Rittmeister a.D., war der Erpreßte. Der Urteilsspruch des

12 Brief Fritschs an Frau von Schutzbar-Milchling vom 31.1.1938, in: BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/10, fol. 10 r. 13 Aufzeichnung Fritschs vom 1.2.1938, in: BA-MA, Nachlaß Beck Ν 28/3, fol. 3r. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 475

Reichskriegsgerichts vom 18. März 1938 lautete: »Die Hauptverhandlung hat die Unschuld des Generalobersten a.D. Freiherr von Fritsch in allen Punkten ergeben« (Dokument Nr. 6). Danach beabsichtigte Fritsch, »den Lumpen« Himmler — den Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, in dem er, neben SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich, Chef des Sicherheitshauptamtes, und Göring einen der Hauptverant- wortlichen des Skandals vermutete (Dokumente Nr. 5,7) — zu fordern (Dokument Nr. 5), eine Absicht, die er aber nicht verwirklichte (Dokumente Nr. 7). Ob Hoßbach, der Ende März nicht mehr in war, das Schreiben entworfen hat, steht nicht fest14. Schwer haderte Fritsch mit seinem Schicksal, seiner Verabschiedung und dem erlittenen Unrecht. Er erwartete von Hitler eine Entschuldigung, die er nicht er- hielt; und er fühlte sich nicht rehabilitiert, auch nicht nach seiner Ernennung zum Chef des Artillerie-Regiments 12 in Schwerin; dies war nur eine äußere Geste. Er wünschte sich Ruhe und Einsamkeit; er fand sie aber nicht, auch nicht in Achter- berg, seinem »Asyl«, wie er das Jagdhaus südlich von Soltau bezeichnete. Er ver- faßte Aufzeichnungen (Dokumente Nr. 6,7), ließ die bitteren Geschehnisse Revue passieren und bemühte sich, Abstand zu gewinnen; dies aber gelang ihm nicht. »Ich komme immer noch nicht darüber hinweg, daß der Mann, für den ich auch persönlich 4 Jahre gearbeitet habe, und gerade dieser Mann mich verraten und im Stich gelassen hat«, schrieb er Ende November 193815. Mit Hitler hatte er gebrochen. Zu Ulrich von Hasseil, dem ehemaligen Bot- schafter in Rom, der Fritsch im Dezember an seinem Zufluchtsort besuchte, be- merkte er: »Dieser Mann — Hitler — ist Deutschlands Schicksal im Guten wie im Bösen. Geht es jetzt in den Abgrund, so reißt er uns alle mit. Zu machen ist nichts16.« Und einen Tag danach notierte der frühere Oberbefehlshaber des Heeres: »Ich kann das Gefühl nicht loswerden, als ob die Dinge doch noch zu einem großen Kriege treiben, obwohl ich mir keinen rechten Vers daraus machen kann17.« Ahnte Fritsch, der des Diktators oft wiederholte Absicht, einen Krieg zu beginnen kannte, daß der Weg »in den A^bgrund« nun unaufhaltsam war? Anfang Februar 1939 zog Fritsch von Achterberg nach Berlin-Zehlendorf. Dort, in der Albertinenstraiße, hatte ihm das Heer ein Haus geschenkt, »Haus Treue«. Generaloberst Walther von Brauchitsch, sein Nachfolger, hatte dazu den Anstoß gegeben. Fritsch war dennoch verbittert. Nun hatte er keine Aufgabe mehr, und je län- ger er über die Ereignisse nachdachte, desto mehr resignierte er. Er litt an Depres- sionen. Jetzt verdächtigte er Rudolf Heß, den Stellvertreter des »Führers«, an sei- nem Sturz mitgewirkt zu haben (Dokument Nr. 8) und verstieg sich zu wunderli- chen Vermutungen (Dokumente Nr. 8,9). Er mied die Hauptstadt, nicht nur, weil er keine Ruhe und Einsamkeit fand, sondern auch, weil Berlin und die Mensthen, denen er begegnete, Erinnerungen in ihm wachriefen, die er verdrängen wollte.

14 Siehe Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 186. 15 Brief Fritschs an Frau von Schutzbar-Milchling vom 22.11.1938, in: BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/30, fol. 52r (Kopie). 16 Ulrich von Hasseil, Die Hassell-Tagebücher 1938-1944. Aufzeichnungen vom Andern Deutschland. Nach der Handschrift rev. und erw. Ausg. unter Mitarb. von Klaus Peter Reiss hrsg. von Friedrich Frhr. Hiller von Gaertringen, Berlin 1988, S. 70 f.; Zitat S. 71. 17 Brief Fritschs an Frau von Schutzbar-Milchling vom 19.12.1938, in: BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/18. 476 MGM 56 (1997) Horst Mühleisen

Erneut suchte er Achterberg auf. »Aber auch für mich persönlich ist es schwer zu sehen, wie jeder Soldat fieberhaft militärisch beschäftigt ist, für mich giebt es aber weder im Frieden noch im Krieg eine Tätigkeit in [sie!] Deutschland des Herrn Hit- ler. Denn im Kriege begleite ich mein Regiment nur als Scheibe, da ich nicht zu Hause bleiben kann«, schrieb er im August18. Mit »Scheibe« meinte Fritsch, er wä- re als Chef seines Regiments nur nutzlos. Mitte August 1939 kehrte er in die Hauptstadt zurück, und Brauchitsch teilte ihm in diesen Tagen mit, Hitler betrachte den Krieg mit Polen als unvermeidlich. Fritsch verließ am 21. August Berlin und erreichte am folgenden Tage das Artil- lerie-Regiment 12, das in Orteisburg/Ostpreußen lag. Am 22. September, drei Wo- chen nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, fiel der ehemalige Generaloberst bei einer gewaltsamen Erkundung vor Warschau, der er sich aus Langeweile ange- schlossen hatte. Jener Mann, der als Chef der Heeresleitung (1934-1935) und Ober- befehlshaber des Heeres (1935-1938) entscheidend dazu beigetragen hatte, das na- tionalsozialistische System zu festigen, war tot. Es bleibt noch die Frage zu erörtern, ob der Fritsch-Skandal eine Intrige der Führungsspitze des »Dritten Reiches« war. Diese Ansicht vertraten der Oberbe- fehlshaber des Heeres und seine Freunde (Dokument Nr. 7) — und dies ist ver- ständlich genug. Indes fehlen die Quellen, die belegen, daß es eine gezielte Intri- ge war, die von Himmler, Heydrich und Göring ausging. Der Ungereimtheiten, die nicht mehr aufgeklärt werden können, gibt es dennoch viele; so die, daß Fritsch am 15. Januar 1938 vor Himmler gewarnt wurde, drei Tage nach Blombergs Hei- rat mit Margarethe Gruhn. Und bereits an jenem 15. Januar spürte die Geheime Staatspolizei auch den Rittmeister a.D. von Frisch, den tatsächlich Erpreßten, auf, ohne diese Feststellung dem Reichskriegsminister und dem Oberbefehlshaber des Heeres mitzuteilen. Was bleibt ist die Erkenntnis, nach Quellen zu suchen, diese zu lesen und zu deu- ten, die Umstände zu berücksichtigen und nicht, wie Janßen und Tobias es taten, zu kombinieren und zu spekulieren. Ihre Darstellung hat die Ereignisse im Früh- jahr 1938 verzerrt. Wie ist der Blomberg-Skandal und die Fritsch-Krise historisch-kritisch zu wer- ten? Diese Ereignisse stellen einen Wendepunkt des nationalsozialistischen Staates dar. Der »Fall Fritsch« erwies sich als Endpunkt einer Entwicklung, des Macht- kampfes zwischen der Partei, der rivalisierenden SS und dem Heer, das diesen Kampf verlor. Am 4. Februar 1938, dem Tage, an dern Hitler die beiden Generale entließ, übernahm er, Blombergs Rat folgend, den unmittelbaren Oberbefehl über die Wehrmacht. Nun hatte er nicht nur den nominellen Oberbefehl über die Wehr- macht inne, den er seit dem Tode des Reichspräsidenten als Staatsoberhaupt besaß, sondern er übte auch den faktischen Oberbefehl aus. Fol- gerichtig ersetzte er den Posten des Reichskriegsministers und Oberbefehlshabers der Wehrmacht durch das »Oberkommando der Wehrmacht«, seines militärischen Arbeitsstabes. Die Armee war nun entmachtet; sie spielte keine Rolle mehr; Hitler hatte sich die Wehrmacht unterworfen; sie war zu seinem willfährigen Machtin- strument geworden. Das Datum des 4. Februar 1938 leitete durch die erwähnte Regelung, die Führung der Wehrmacht neu zu gestalten, die expansive Außenpolitik ein. Für den

18 Brief Fritschs an Frau von Schutzbar-Milchling vom 7.8.1939, in: BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/30, fol. 91r-92r (Kopie). Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 477

Diktator gab es nun keine Hindernisse mehr, seine seit langem geplanten Kriegs- absichten umzusetzen. Die Vorarbeiten waren abgeschlossen. Der Blomberg-Skandal und die Fritsch-Krise sind aber auch der Beginn des na- . tionalkonservativen Widerstandes. Nun mehrten sich die kritischen Stimmen ge- gen das Regime — nicht nur im Offizierkorps, sondern auch in der höheren Beam- tenschaft. Die Umstände, wie Hitler Fritsch entließ und sich weigerte, ihm seine Eh- re wiederzugeben, waren aufmerksam beobachtet worden. So bildete gerade diese Krise den Ausgangspunkt für die Fronde, die am 20. Juli 1944 versuchte, Hitler zu töten und den Staatsstreich zu wagen19.

II. Beschreibung der Vorlagen und Überlieferungsgeschichte

Die neun Dokumente liegen in handschriftlicher (Nr. 1,2,3,6,7,8 und 9) sowie in maschinenschriftlicher Form (Nr. 4 und 5) vor. Alle Schriftstücke sind in DIN A4- Format (29,7x21 cm) überliefert. Die Überlieferungsform20 der edierten Archivalien ist nicht einheitlich. Bei den Dokumenten Nr. 1,2,6,7 und 8 liegt die Entstehungsstufe »Verbesserter Entwurf« vor, Nr. 3 ist eine Abschrift der Ausfertigung, Nr. 4 die Ausfertigung, Nr. 5 die re- vidierte Reinschrift, die als Konzept benutzt wurde, und Nr. 9 die Reinschrift der Aufzeichnung. Sämtliche Schriftstücke befinden sich als Kopien im Nachlaß des Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch, Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i.Br., Ν 33/20. Zwischen dem 16. und 21. August 1939 überbrachte Hauptmann Otto Groß- kreutz, Fritschs Adjutant, Generalleutnant Dr. h.c. Friedrich von Rabenau21, dem

19 Siehe Horst Mühleisen, Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch, in: Hitlers militäri- sche Elite, hrsg. von Gerd R. Ueberschär, Bd 1, Darmstadt 1998, S. 61-70. 20 Zur Überlieferungsform: Letzte Fassung der von Johannes Schultze erarbeiteten »Richt- linien für die äußere Textgestaltung bei Herausgabe von Quellen zur neueren deutschen Geschichte«, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte, 12 (1996), S. 1-10; wieder abge- druckt in: Richtlinien für die Edition landesgeschichtlicher Quellen, hrsg. von Walter Heinemeyer (Gesamtverein der deutschen Geschichte- und Altertumsvereine), Marburg, Köln 1978, S. 25-36, hier S. 30 f. (Ziffer 13); [Friedrich Peter Kahlenberg:] Zur Edition zeit- geschichtlicher Quellen, in: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland 1975, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft außeruniversitärer Forschungs- einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1976, S. 137-147, hier S. 140-143; ergänzend: Heinz Boberach, Zur Edition zeitgeschichtlicher Quellen, in: Jahr- buch der historischen Forschung. Berichtsjahr 1985, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft außeruniversitärer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland, Mün- chen, New York, London, Paris 1986, S. 61-68; vgl. Politisches Archiv des Landgrafen Philipp des Großmütigen von Hessen. Inventar der Bestände, hrsg. von Friedrich Küch, Bd 1, Neudr. der Ausg. 1904, Osnabrück 1965 (= Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven, Bd 79), S. XXX-XXXV (Einleitung); vgl. auch Adolf Brennecke, Archiv- kunde. Ein Beitrag zur Theorie und Geschichte des europäischen Archivwesens, bearb. nach Vorlesungsnachschriften und Nachlaßpapieren und erg. von Wolfgang Leesch, Nachdr. der Orig. Ausg. Leipzig 1953, München, New York, London, Paris 1988, S. 17 f. (»Entwicklungsstufen des Schriftstücks«). 21 Zu Rabenau siehe Horst Mühleisen, Friedrich von Rabenau. Soldat, Archivar und Ge- lehrter. Zu seinem fünfzigsten Todestag, in: Archivalische Zeitschrift, Bd 79, 1996, S. 127-140; Bernhard Poll, Vom Schicksal der deutschen Heeresakten und der amtlichen 478 MGM 56 (1997) Horst Mühleisen

Chef der Heeresarchive, Papiere des Generalobersten in Potsdam22. Rabenau nahm die Schriftstücke entgegen und verwahrte sie im Panzerschrank des Heeresarchivs auf dem Brauhausberg. Über den Umfang und den Inhalt des Depositums liegen keine sicheren Nachrichten vor. Graf Kielmansegg erwähnt Aufzeichnungen, in denen Fritsch sich über sein Verhältnis zu Hitler und Göring äußerte; eine Nie- derschrift habe sich mit der militärischen Spitzengliederung befaßt23. Doch diese Papiere konnten bislang nicht ermittelt werden. Zum 30. Juni 1942 erfolgte Rabe- naus Entlassung als Chef der Heeresarchive. Auch sein Nachfolger, Ministerialdi- rigent/Heeresarchivdirektor Karl Ruppert, verwahrte die Schriftstücke in diesem Panzerschrank. In den letzten Kriegstagen aber, in den späten Abendstunden des 14. April 1945, zerstörte ein britischer Luftangriff Potsdam. Die Gebäude des Heeresarchivs, ob- wohl am Stadtrand gelegen, befanden sich fast im Zentrum des Angriffs. Voll- ständig zerstört wurde das Magazingebäude, und Sprengbomben beschädigten den Turm des Verwaltungsgebäudes sowie den Westflügel schwer24. Unter den Trümmern des Heeresarchivs lag der Panzerschrank. Unversehrt hatten darin Fritschs Depositum und weitere Archivalien den Feuersturm über- standen. Die Angaben über die Fundumstände sind indessen widersprüchlich. Dr. Bernhard Poll, Oberheeresarchivrat, der aber im April/Mai 1945 nicht in Pots- dam, sondern in Bad Reichenhall war, bekundet, es sei der Besatzungsmacht ge- lungen, den Panzerschrank mehrere Jahre nach Kriegsende bei Aufräumungsar- beiten zu bergen25. Ausdrücklich erwähnt er, daß sich unter diesen Schriftstücken die eigenhändige Aufzeichnung des Generalobersten >Der Schurkenstreich be- funden habe26. Dies ist die Niederschrift, die Fritsch am 27. September 1938 in Ach- terberg abschloß (Dokument Nr. 7), und darin verwendet er, wie auch in Doku- ment Nr. 8, je zweimal dieses Substantiv. Polls Aussage verdient daher beachtet zu werden. Er irrte sich aber in der Zeitangabe wie auch in den Umständen des Fun- des. Eine Gruppe Rotarmisten fand Fritschs Papiere in einer Straße in Potsdam, wohl in der Nähe des zerstörten Archivs. Dies ereignete sich im Mai 1945. Die Sol-

Kriegsgeschichtsschreibung, in: Der Archivar, 6 (1953), H. 2, Sp. 65-76, hier Sp. 72, Anm. 14 (ergänzter Nachdruck). 22 Noch am 15.8.1939 hielt sich Fritsch in Achterberg auf und schrieb an diesem Tage sein Testament nieder. — Siehe Hoßbach, Zwischen Wehrmacht und Hitler (wie Anm. 4), S. 192 f. — Nach Ankunft in Berlin wird Fritsch Großkreutz den Auftrag erteilt haben, wichtige Schriftstücke Rabenau nach Potsdam zu bringen, und der Adjutant wird dies unverzüglich ausgeführt und dem ehemaligen Oberbefehlshaber des Heeres die Erledi- gung gemeldet haben. — Rabenau übernahm am 26.8.1939 das Kommando über die 72. Infanterie-Division und am 30.9. desselben Jahres wieder die Leitung der Heeresar- chive. 23 Vgl. Kielmansegg, Der Fritsch-Prozeß (wie Anm. 1), S. 12, bes. S. 133 f. 24 Vgl. Karl Ruppert, Heeresarchiv Potsdam 1936-1945, in: Der Archivar, 3 (1950), Sp. 177-180, hier Sp. 179; Helmut Otto, Das ehemalige Reichsarchiv. Streiflichter seiner Geschichte und der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Ersten Weltkrieges, in: Pots- dam. Staat, Armee, Residenz in der preußisch-deutschen Militärgeschichte, hrsg. von Bernhard R. Kroener, Frankfurt a.M., Berlin 1993, S. 421^134. — Die Ausführungen über das Heeresarchiv sind nicht fehlerfrei (S. 430). — Vgl. auch Heiner Ostertag, Vom stra- tegischen Bomberkrieg zum sozialistischen Bildersturm. Die Zerstörung Potsdams 1945 und das Schicksal seiner historischen Gebäude nach dem Kriege, in: ebd., S. 487-499. 25 Vgl. Poll, Vom Schicksal (wie Anm. 21), Sp. 72, Anm. 14. — Das Stadtarchiv Potsdam be- sitzt in der zeitgeschichtlichen Sammlung (Zeitungsausschnitte) keinen Hinweis über die Bergung und Sicherstellung von Akten (Schreiben vom 24.4.1996). 26 Vgl. Poll, Vom Schicksal (wie Anm. 21), Sp. 72, Anm. 14. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 479

daten benachrichtigten Hauptmann Lew Besymenski, der dem Stabe der I. Be- lorussischen Front, Abteilung Ic (Nachrichtendienst), angehörte. Er bestätigt auch, daß man in den Trümmern des Heeresarchivs wiederholt nach Schriftgut gesucht und so die Akten über das Unternehmen »Seelöwe«, den Plan der Invasion gegen England im Jahre 1940, gefunden habe, die nach Moskau abtransportiert wurden27. Besymenski aber behielt Fritschs Papiere und nahm sie im selben Jahre in die Haupt- stadt mit28. Am 11. November 1972, während einer Archivreise, besuchte David Irving Be- symenski, der Journalist und Publizist geworden war, in dessen Wohnung in Bad Godesberg, Kastanienweg 4529; dieser gab Irving eine Fotokopie von Hitlers hand- schriftlichem Schreiben an Fritsch vom 30. März 1938 sowie eine Ablichtung jener Aufzeichnung, die Fritsch am 29. Januar desselben Jahres niedergeschrieben hat- te (Dokument Nr. 2). Besymenski erwähnte auch, er besitze in Moskau noch wei- tere Papiere Fritschs, so das Urteil des Reichskriegsgerichts vom 18. März 1938, den Freispruch in allen Punkten wegen erwiesener Unschuld, jene Ausfertigung, die der ehemalige Generaloberst erhalten und paraphiert hatte; auch zwei Ent- würfe von Fritschs Schreiben an Himmler (Dokument Nr. 5). Besymenski versprach Irving, Fotokopien der erwähnten Archivalien zuzusenden30. Wieder in London erhielt Irving am 30. November 1972 zehn Schriftstücke (et- wa achtzig kopierte Seiten) aus dem Depositum Fritsch, von denen er wiederum Ablichtungen anfertigte31. Tage später, am 2. Dezember, sandte Irving an Oberst a.D. Großkreutz, Fritschs letzten Adjutanten, einige Archivalien, der am 13. De- zember 1972 dankte. Er bestätigte nicht nur die Echtheit der Papiere, sondern füg- te auch hinzu, er habe diese Schriftstücke »zusammen mit weiteren Unterlagen«32 Rabenau übergeben. Das Depositum Fritsch muß daher umfangreich gewesen sein. Im Mai 1973 stiftete Irving dem Bundesarchiv-Militärarchiv Fotokopien jener insgesamt elf Schriftstücke, die er Mitte und Ende November 1972 von Besymenski erhalten hatte33. Bereits nach seinem Besuch in Bad Godesberg hatte Irving dem Archiv eine Ablichtung des erwähnten Schreibens von Hitler an Fritsch übersandt34.

27 Schriftliche Mitteilung von Prüf. Dr. Lew Besymenski, Moskau, vom 18.4.1996. 28 Ebd. — Siehe auch David Irving, The war path. Hitlers Germany 1933-9, London 1978, S. 7 (Anm.) und S. 269. Die dort erwähnte »Soviet source« ist Prof. Besymenski; ders., Göring, München, Hamburg 1987, S. 288, 778 und S. 800 (Anm. zu S. 288). Indes ist die angegebene Signatur (N 33/22) unzutreffend. Richtig ist Ν 33/20. Irving, Göring, S. 288 erwähnt die »geheimen Manuskripte, die Fritsch 1938 und 1939 schrieb (und die sich nun in den Händen eines privaten Sammlers [Lew Besymenski] in Moskau befinden)«. 29 Schriftliche Mitteilung von Mr. David Irving, London, vom 9.4.1996. Kopien seines Ta- gebuchs mit den Eintragungen vom 11., 21. und 30.11.1972 lagen vor sowie eine Über- sicht seiner Aufenthalte im November 1972 (alle Unterlagen im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte). 30 Vgl. Tagebuch Irvings vom 11.11.1972. 31 Vgl. Tagebuch Irvings vom 30.11.1972. — Unzutreffend ist die Behauptung von Janßen/To- bias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 289, Anm. 8, Irving habe aus Moskau Ko- pien des Fritsch-Nachlasses in den Westen gebracht. 32 Schriftliche Mitteilung von Oberst a.D. Großkreutz, Bremen, an Mr. Irving vom 13.12.1972, in: BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/20, fol. lr (Kopie). 33 BA-MA, Findbuch Nachlaß Fritsch Ν 33/20. Eingang der Stiftung: 22.5.1973. Zugangs- Nummer: 138/73. 34 BA-MA, Findbuch Nachlaß Fritsch Ν 33/19. Eingang der Stiftung: 14.11.1972. Zugangs- Nummer: 122/73. — Das Faksimile dieses Schreibens vom 30.3.1938 bei Irving, The war path (wie Anm. 28), S. 19. 480 MGM 56 (1997) Horst Mühleisen

Ein Archivar klassifizierte diese Schriftstücke und formierte sie in den Bänden Ν 33/19 sowie Ν 33/20, wobei man die Seiten des zuletzt genannten Bandes foliier- te. Besymenski hatte Irving indessen keine Fotokopie des Urteils vom März 1938 zugesandt, mit dem das Reichskriegsgericht Fritsch freigesprochen hat. Dies mag damit zusammenhängen, daß ein Nachrichten-Magazin im Jahre 1965 dieses Ur- teil und einen längeren Auszug aus der Begründung veröffentlicht hatte35. Zwei Jahre nach seiner Stiftung gab Irving einen Hinweis auf diese Archivalien36. Es ist möglich, daß nicht nur Besymenski weitere Papiere aus dem Depositum Fritsch besitzt, sondern auch »ein Moskauer Archiv«37. In den bisher veröffent- lichten Zusammenstellungen über deutsche Aktenbestände in der russischen Haupt- stadt fehlt aber jeder Hinweis auf einen Fond des Generalobersten38. Auch soll ein ehemaliger sowjetischer Offizier, der in Amerika lebt, weitere Schriftstücke, die er im Kriege erbeutete, aus Fritschs Nachlaß besitzen39. Es bleibt zu hoffen, daß auch diese Archivalien eines Tages der Forschung zur Verfügung stehen und dazu beitragen, Fritschs Verstrickung in das nationalsozia- listische Regime darzustellen.

III. Zur bisherigen Auswertung der Dokumente

Die Dokumente Nr. 1 und 2 sowie 4 bis 9 werden erstmals ediert. Janßen und To- bias veröffentlichten in ihrer wenig überzeugenden Darstellung Dokument Nr. 340. Der Abdruck indessen ist ungenau, so daß es notwendig ist, diesen Vermerk feh- lerfrei zu edieren. In dieser erwähnten Publikation teilten die Verfasser nur einzelne, wörtliche Sätze aus den Dokumenten Nr. 5 bis 8 mit41; ein Zitat ist unvollständig, weil die Autoren einige Worte nicht lesen konnten. Auch Irving verwendete in seiner Biographie über Göring einzelne Sätze aus den Dokumenten Nr. 5 und 7; doch diese Zitate enthalten zahlreiche Lesefehler, und zwei Daten, die Irving nennt, sind unzutreffend42.

35 [Anonym:] Zeitgeschichte. Fritsch-Prozeß. Dieser Dreck, in: Der Spiegel, 19 (1965), H. 36 (1.9.1965), S. 46-57. 36 Siehe David Irving, Hitler und seine Feldherren, Frankfurt, Berlin, Wien 1975, S. VIII; ders., The war path (wie Anm. 28), S. XIII. 37 Schreiben des BA-MA vom 21.3.1996, das 1972 Hinweise von privater Seite erhielt. 38 Siehe Kai von Jena und Wilhelm Lenz, Die deutschen Bestände im Sonderarchiv Moskau, in: Der Archivar, 45 (1992), H. 3, Sp. 457-468, hier Sp. 464; Bernd Wegner, Deutsche Ak- tenbestände im Moskauer Zentralen Staatsarchiv. Ein Erfahrungsbericht, in: Viertel- jahrshefte für Zeitgeschichte, 40 (1992), H. 2, S. 311-319. 39 Schreiben des BA-MA vom 21.3.1996 (wie Anm. 37). 40 Siehe Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 162 f. 41 Ebd., S, 72 (aus Dok. Nr. 7), 105 (aus Dok. Nr. 7), 114 (aus Dok. Nr. 5), 129 (aus Dok. Nr. 7), 139 (aus Dok. Nr. 7: hier die Lücke), 139 (aus Dok. Nr. 8), 140 (aus Dok. Nr. 7), 148 (aus Dok. Nr. 8), 168 (aus Dok. Nr. 6), 179 (aus Dok. Nr. 7), 188 (aus Dok. Nr. 7), 245 (aus Dok. Nr. 7), 246 (aus Dok. Nr. 8). 42 Siehe Irving, Göring (wie Anm. 28), S. 293 (Dok. Nr. 5), 289, 291, 293, 294 f., 297 (Dok. Nr. 7). — Drei Zitate weichen erheblich von der Vorlage ab (S. 295). Bei dem S. 289 ge- nannten Datum des 2. Januar 1938 handelt es sich indessen um den 15. Januar, und die Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 481

Endlich referierte Nicholas Reynolds in seiner Lebensbeschreibung über Lud- wig Beck Fritschs Aufzeichnung vom 18. Januar 1939 (Dokument Nr. 8), zitierte aber nicht aus dieser Niederschrift43.

IV. Zur Edition

1. Der Text

Der Abdruck der Texte erfolgt im allgemeinen nach den von Johannes Schultze er- arbeiteten Richtlinien44 und den von Friedrich Peter Kahlenberg, dem Präsidenten des Bundesarchivs, formulierten »Grundsätzen für die Edition zeitgeschichtlicher Quellen«45. An Abweichungen und Besonderheiten sind festzuhalten: , a) Fritschs zeittypische Rechtschreibung (z.B. »Ahnlichem«, »Alles«, »ein Anderer«, »characteristischen«, »der Eine«, »Folgendes«, »giebt«, »im Einzelnen«, »im Großen«) bleibt gewahrt; auch der Umlaut in »Oesterreich« wird beibehalten. b) Die Kommasetzung ist, um Sinnstörungen zu vermeiden, behutsam dem heuti- gen Gebrauch angepaßt; im übrigen blieb Fritschs Interpunktion bestehen. c) Die Zusätze des Herausgebers im Text sind mit [ ] gekennzeichnet; sie dienen der besseren Lesbarkeit und für notwendige Erläuterungen, die im Text nicht in den sachlichen Anmerkungsteil eingebracht werden konnten. Die im An- merkungsteil verwendeten Auslassungen sind durch [...] angegeben und die in den Vorlagen vorhandenen Unterstreichungen kursiv hervorgehoben.

2. Der Kommentar a) Die textkritischen Anmerkungen in den neun Dokumenten sind, abweichend von Schultzes Richtlinien, nicht mit Kleinbuchstaben, sondern aus satztechnischen Gründen mit Ziffern versehen, so daß die Zählung (Nr. 1-242) durchgehend ist. Diesen textkritischen Anmerkungen ist das Substantiv »Vorlage« vorange- stellt. Sie sind verwendet worden, um die in den Vorlagen vorhandenen Ab- kürzungen, die mit Ausnahme von »A. R.« (Artillerie-Regiment) aufgelöst wur- den, wie auch die zahlreichen handschriftlichen Einschübe, Ergänzungen, Strei- chungen und Verbesserungen zu kennzeichnen. Indessen sind die Abkürzun-

S. 295 geschilderte Gegenüberstellung Fritsch/Erpresser Schmidt geschah am Abend des 26. Januar 1938 in der Reichskanzlei. Irving ordnet den Vorgang unrichtig ein, ver- legt ihn irrtümlich auf den folgenden Tag, den 27. Januar, als die Fritsch zum er- sten Mal verhörte. 43 Siehe Nicholas Reynolds, Beck. Gehorsam und Widerstand. Das Leben des deutschen Generalstabschefs 1935-1938, Wiesbaden, München 1976, S. 107 f., 112,122 f., 125,130. 44 Siehe Anm. 20. « Ebd. 482 MGM 56 (1997) Horst Mühleisen

gen »v.« [von] und »u.« [und] aufgelöst worden, um den Lesefluß nicht zu be- einträchtigen. Fritschs Formwille, mit der er seine Aufzeichnungen gestaltete, blieb auf diese Weise gewahrt, b) Die sachlichen Anmerkungen sind des begrenzten Seitenumfanges wegen bewußt knapp gehalten; nur dort, wo es für das Verständnis notwendig erschien, sind Erläuterungen gegeben, um die zahlreichen Personen und Fakten in den über- geordneten Zusammenhang einzuordnen. Die Erklärungen sollen keineswegs immer vollständig sein. Weiterführende Literaturhinweise sind aufgenommen. Die biographischen Angaben sind in wenigen Fällen unvollständig. Dies liegt an der unterschiedlichen Qualität der verwendeten Hilfsmittel. Allen Archiven, besonders dem Bundesarchiv-Militärarchiv, Institutionen und Per- sonen, die mir geholfen haben, diese Dokumentation vorzulegen, danke ich herz- lich. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 483

Dokumente

1. Eigenhändiges Schreiben des Generaloberst von Fritsch an Hitler. Berlin, 26. Januar 1938. Verbesserter Entwurf. Geschrieben mit Tinte auf Kopfbogen. Der Oberbefehlshaber des Heeres. Berlin W 35, Bendlerstraße 14. BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/20, fol. 40r-41r.

An den Führer und obersten Befehlshaber der Wehrmacht.

Bis zur Wiederherstellung meiner angegriffenen Ehre ist es mir nicht möglich, ir- gendwelche dienstliche Obliegenheiten zu verrichten. Nach außen hin halte ich es für zweckmäßig, mich krank zu melden. Mit meiner Vertretung habe ich den Gen[eral] d[er] Artillerie] Beck46 für die laufenden dienstlichen Angelegenheiten, im übrigen den Gen[eral] d[er] Infante- rie] von Rundstedt47 beauftragt. Ich bitte ferner zur Untersuchung der ganzen gegen mich erhobenen Vorwür- fe48 das zuständige Gerichtsverfahren einzuleiten.

Heil mein Führer. Frhr. ν Fritsch Generaloberst.

[Nachschrift:] Änderung auf Vorschlag Beck erfolgt. Das Schreiben ist erst am 27.1. abgegangen. F.

2. Eigenhändige Aufzeichnung des Generaloberst von Fritsch. [Berlin], 29. Ja- nuar 1938. Verbesserter Entwurf. Geschrieben mit Bleistift auf kariertem Papier. BA-MA, Nachlaß Fritsdh Ν 33/20, fol. 85r-94r.

Reinschrift, die Hauptmann von Both mit Tinte auf kariertem Papier schrieb, und die Fritsch nicht unterzeichnete, ebd., fol. 95r-106r.

I. Die gegen mich schwebende Angelegenheit stellt sich bisher mir folgendermaßen dar. Der Mann49, der mich erpreßt haben will, behauptet mit eiserner Stirn, auch mir gegenüber auf persönliches Befragen ins Gesicht, daß ich derjenige sei, den er erpreßt habe.

46 General cfer Artillerie (1880-1944), 1.7.1935 bis 27.8./31.10.1938 Chef des Generalstabes des Heeres. 1.11.1938 charakterisierter Generaloberst z.V. 47 General der Infanterie (1875-1953), 1.10.1932 bis 31.10.1938 Ober- befehlshaber des Gruppenkommandos 1 in Berlin. 1.10.1938 Generaloberst. 48 Vorlage: Folgt, gestr.: »einen Ehrenhof von höheren Generalen zu bestimmen«. 49 Otto Schmidt (1906-1942); vgl. Müller, Das Heer und Hitler (wie Anm. 6), S. 637 (Dok. 32): Schreiben des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei, Himmler, vom 29.7.1942 an Reichsmarschall Göring wegen der Exekutierung des Belastungszeugen mit einem 484 MGM 56 (1997) Horst Mühleisen

Demgegenüber versichere ich unter Ehrenwort, daß ich es nicht gewesen bin. Die Beharrlichkeit, mit welcher der Mann bei dieser Aussage bleibt, zeigt, daß er in dieser Richtung beeinflußt worden ist. Diese Beeinflussung kann nur in dem Kreis erfolgt sein, in dem sich der Mann bis jetzt befand. Wie mir gesagt wurde, befindet sich der Mann seit Jahren in Haft, zuletzt angeblich in Papenburg. Die Möglichkeit der Beeinflussung besteht also nur mit Einverständnis der die Aufsicht und Bewachung führenden Behörde. Ob dies die Gestapo oder eine andere Behörde ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Darstellung der Vorgänge, welche der Mann giebt, ist klar und folgerichtig. Man muß daher glauben, daß der Vorgang sich im allgemeinen so abgespielt hat. Auffallend ist nur die sehr große Genauigkeit, mit welcher der Mann jetzt nach 4 Jahren noch die Örtlichkeiten, Begebenheiten und meine Person schildert. Ganz unwahrscheinlich ist auch, daß sich der Herr, den er im Nov[ember] 33 abends50 nach der Tat auf dem51 Potsdamer-Wannsee-Bahnhof52 ansprach als angeblicher Kriminalkommissar, sich unter Vorzeigen seines Ausweises als General der Artil- lerie von Fritsch vorgestellt hat. Damals war ich Generalleutnant53. Ob und wann ich je General der Artillerie werden würde, war mehr als ungewiß. Die Gestapo erklärte am 28.1., es sei doch unerheblich, ob er sage, der Herr ha- be sich als General von Fritsch oder als General der Artillerie von Fritsch vorgestellt. Ich glaube, es ist im Gegenteil sehr erheblich. Dieser Mann hat von militärischen Rangverhältnissen wohl keine Ahnung. Wenn er nur von dem General der Artil- lerie von Fritsch spricht, so zeigt das, daß ihm dies von anderer Seite in den Mund gelegt ist. Der Mann will ferner auf dem Ausweis deutlich den Namen von Fritsch und zwar auf der rechten Seite oben gelesen haben. Das kann stimmen, denn ich habe sowohl als Befehlshaber im Wehrkreis III54, wie vorher, manche Ausweise unterschrieben. Der bescheinigende Vorgesetzte un- terschrieb auf der rechten Seite oben. Der Mann sprach bei der Vernehmung am 27.1. davon, daß er ein charakteristisches großes F deutlich gesehen habe. Es ist ei- genartig55, aber durchaus möglich, wenn er das nach so langer Zeit noch wissen will. Bei der Vernehmung am 28.1. sprach er davon, es sei rechts ganz oben und mehr eine Schreiberschrift gewesen. Das würde bei der heute gültigen Form des Ausweises darauf deuten, daß es der für mich ausgestellte Ausweis gewesen sei. Mein Ausweis kann es aber nicht gewesen sein, da ich weder der Betreffende ge- ärztlichen Gutachten als Anlage. Göring vermerkte auf diesem Schreiben handschrift- lich: »Der sollte doch schon längst erschossen sein!« — Vgl. auch Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 92 mit weiteren biographischen Einzelheiten und S. 241 f. — Schmidt wurde am 31.10.1942 im Konzentrationslager Sachsenhausen-Ora- nienburg hingerichtet, wohin er am 21.11.1939 gebracht worden war. 50 Vorlage: »Abds«. 51 Vorlage: Folgt, gestr.: » Bhf Wann«. 52 Vorlage: »Bhf.«. 53 Vorlage: »Gen. Lt.«. 54 Generalleutnant von Fritsch, am 1.6.1932 zu diesem Dienstgrad befördert, wurde am 1.10. desselben Jahres Befehlshaber des Wehrkreises III (Brandenburg und Niederschle- sien) mit Sitz in Berlin. Gleichzeitig war er Kommandeur der 3. Division. — Zu den Dienstausweisen siehe: Lebenserinnerungen des Rechtsanwalts Rüdiger Graf von der Goltz (1894^1976), ΙΠ. Teil, in: Bundesarchiv (BA) Koblenz, Kleine Erwerbungen Nr. 653-3, fol. 181. 55 Vorlage: Fritsch schrieb »aber durchaus möglich« nachträglich über die Zeile. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 485

wesen, noch meinen Ausweis je verloren hatte. Entweder ist diese mich belasten- de Aussage dem Mann vom 27./28.56 beigebracht (oder der Ausweis konnte Nov[ember] 33 vom heutigen abweichend aussehen. Das wird noch geprüft.) Oder der Mann hat sich geirrt. Nicht ganz ausgeschlossen, aber sehr unwahrscheinlich ist, daß die ganze Ge- schichte von A-Z erlogen und erfunden ist. Es ist deshalb unwahrscheinlich, weil noch 2 andere Personen darin vorkommen. Einmal der Kerl57, mit dem die Hand- lung am58 Potsdamer Warinsee Bahnhof59 begangen wurde, und zweitens der Kerl60, der bei dem Zusammentreffen auf dem Bahnhof61 Lichterfelde Ost Anfang Januar 34 dabei gewesen sein soll. Ich will daher annehmen, daß die Vorgänge sich tatsächlich so ereignet haben und daß der Mann den Namen von Fritsch auf einem Ausweis gelesen hat. Diese Tatsache ist den interessierten Kreisen die willkommene Gelegenheit gewesen, mei- ne Person

II. in die Angelegenheit hineinzuziehen. Der Erpresser war als Kronzeuge um so bes- ser, als er in über hundert andern Fällen wahrheitsgemäß ausgesagt haben soll. Meine Aufgabe ist nun, da man mein Ehrenwort den Aussagen eines Lumpen gegenüber nicht bewertet, nachzuweisen, daß ich es nicht gewesen sein kann, da ich zur fraglichen Zeit wo anders war. Möglichst nachzuweisen, wer es gewesen ist und schließlich, wer den Erpresser zu seinen falschen Aussagen bestimmt hat. Für mich ist es unmöglich nachzuweisen, wo ich in der 2. Hälfte Novfember] 33 mich abends62 zwischen 17° und 20° befunden habe. Eher ist dies möglich für die in Betracht kommende Zeit Anfang Januar 34 vom 8.-13.1. Am 3.1.34 wurde ich mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Chefs der Heeresleitung betraut, als sol- cher mit dem 1. Februar 34 ernannt. In den fraglichen Tagen habe ich mich in den in Betracht kommenden Mor- genstunden von 10° - 12° auf meinem Büro in der Kurfürstenstraße63 oder in der Bendlerstraße64 befunden. Nach den vorhandenen Vörtragszetteln habe ich mich am 9., 10., 11. und 12. Januar auf dem Büro in der Bendlerstrjaße] befunden, am 13. Ja- nuar habe ich von 10° - 13° eine große Besprechung beim Wehrkreis III geleitet. Nachzuweisen bleiben also noch der 8. und 9. Januar. Sehr wichtig ist mir eine Feststellung, wer in der 2. Novemberhälfte 33 abends65 etwa zwischen 19° und 20° in dem Hause Ferdinandstraße 2166 bei einem der dort

56 Gemeint sind der 27. und 28.1.1938. An diesen beiden Tagen vernahm die Gestapo Ge- neraloberst von Fritsch. 57 Gemeint ist der Strichjunge Martin Weingärtner (Spitzname >Bayern-Seppl<). 58 Vorlage: Folgt, gestr.: »Bhf. W«. 59 Vorlage: »Bhf.«. 60 Gemeint ist der Strichjunge Heiter (Spitzname >Bucker<). 61 Vorlage: »Bhf.«. 62 Vorlage: »Abds«. 63 Dienstsitz des Wehrkreiskommandos III in Berlin (vgl. Anm. 54). — Zu den Vörtrags- zetteln, die Fritsch erwähnt, vgl. Goltz, Lebenserinnerungen, III. Teil (wie Anm. 54), fol. 181, die Goltz Dienstzettel nennt. 64 Dienstsitz des Chefs der Heeresleitung und, seit 1.6.1935, des Oberbefehlshabers des Heeres: Berlin W 35, Bendlerstraße 14. 65 Vorlage: »Abds«. 66 Zu diesem Haus siehe Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 161. Da- 486 MGM 56 (1997) Horst Mühleisen

wohnenden Menschen Geld geborgt hat. Ebenso ist festzustellen, ob ein aktiver oder ehemaliger Offizier, der im Alter etwa mir entspricht, in der Bank, die sich am Bahnhof67 Lichterfelde Ost befinden soll, in der 2. Hälfte November [1933] oder Anfang Januar [1934] einen größeren Geldbetrag abgeholt68 hat. Ich muß den größ- ten Wert darauf legen, daß diese Feststellungen mit der größten Genauigkeit geführt werden, da sie zur Ermittelung der tatsächlich erpreßten Persönlichkeit führen können69. Dunkel ist noch Folgendes. Der Erpresser hat am fraglichen November Abend 500 M, am nächsten Tag 1000 Μ erhalten, die letzten 1000 Μ angeblich in der Zeit zwischen 8. und 13. Januar. Wie ist die Verabredung zwischen dem Erpresser und dem Erpreßten erfolgt? Auf Befragen erklärte der Erpresser am 27.1., daß er mei- ne damalige Wohnung nicht gewußt habe. Am schwierigsten wird es sein festzustellen, wer den Erpresser70 veranlaßt hat, unter allen Umständen zu behaupten, daß ich der Erpreßte sei. Auffallend ist noch Folgendes. Der Erpresser behauptete zunächst, daß ich einen Pelz angehabt und eine kleine Narbe auf der linken Gesichtsseite gehabt habe. Die bei mir nicht vorhandene Narbe ist inzwischen in einen herunter gezogenen Mund- winkel umgewandelt. Da ich nie einen Civil Pelz oder auch nur Civilpelzkragen besessen habe, ist nur noch von einem dicken dunkelen Wintermantel die Rede. Auf der andern Seite belastend für mich ist, daß der Erpresser aussagt71, der Erpreßte hätte manchmal seinen Oberkörper herausgereckt, wie es für mich cha- rakteristisch sein soll. Aber gerade, da es für mich charakteristisch ist, kann ihm die- se Aussage nahe gelegt sein.

F 29./I.

Auffallend ist auch Folgendes. Als am 26.1. abends72 der Erpresser in Gegenwart des Führers in das Zimmer geführt und gefragt wurde, ob ich die erpreßte Per- sönlichkeit sei, beantwortete er dies sofort mit einem Ja, ohne mich näher vorher zu betrachten.

III.

Da der Mann mich doch wenigstens73 4 Jahre nicht gesehen haben kann, nach sei- nen Angaben auch immer nur im Mantel mit aufgesetztem Hut, so hätte man er- warten müssen, daß er mich wenigstens erst einmal gründlich betrachtet hätte, ehe er sich äußerte.

F 29./I.

neben, Ferdinandstraße 20, wohnte Rittmeister a.D. Achim von Frisch, der wirklich Er- preßte. Diese Straße befindet sich in der Nähe des Bahnhofs Lichterfelde-Ost. 67 Vorlage: »Bhf.«. 68 Vorlage: Folgt, gestr.: »haben soll«. 69 Dies geschah am 1.3.1938; vgl. Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 165. 70 Vorlage: Hier folgt eine von Fritsch geschwärzte Stelle (zwei Zeilen). Die Reinschrift, die Hauptmann von Both fertigte, enthält an dieser Stelle eine Lücke (fol. 102r). 71 Vorlage: Hier folgen zwei oder drei Worte, die Fritsch unleserlich gemacht hat. 72 Vorlage: »Abds«. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 487

Folgende Einzelheiten sind noch bemerkenswert. Der Erpresser behauptet, ich hätte dem Menschen nach der Tat am Potsdamer- Wannsee Bahnhof74 eine Zigarre oder Zigarette gegeben, bei der Zusammenkunft im Januar [1934] auf dem Bahnhof75 Lichterfelde eine Zigarre geraucht. Seit der Jah- reswende 25/26 habe ich niemals mehr geraucht. Es ist also sehr unwahrscheinlich, daß ich es damals getan haben oder etwas Rauchbares bei mir gehabt haben soll. Auf dem Potsdamer Wannsee Bahnhof76 soll ich mich zunächst in einem Kreis von Offizieren des Heeres und der Marine unterhalten haben. Es ist unwahr- scheinlich, daß ich, damals Befehlshaber im Wehrkreis III, mich in Zivil längere Zeit mit Offizieren in Uniform auf einem Bahnhof unterhalten hätte. Der Mann behauptet ferner, die erpreßte Persönlichkeit hätte während des Zu- sammenseins die Hände in den Manteltaschen und den Stock eingehakt auf dem rechten Unterarm getragen. Ich pflege ihn in solchen Fällen stets links zu tragen. Schließlich ist es doch geradezu ein Wahnsinn, daß ich mich mit derartigen Sub- jekten in einem Wartesaal Schnaps trinkend und rauchend etwa eine Stunde hin- gesetzt hätte. Noch dazu in einer Zeit, in der gerade mein Bild überall durch die Presse ging, da ich kurz vorher zum Chef der Heeresleitung ernannt war.

3. Diktierter Vermerk des Generaloberst a.D. von Fritsch. [Berlin], 23. Februar 193877. Abschrift der Ausfertigung. In fremder Handschrift mit Tinte. BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/20, fol. 53r.

23.2.38. Auf ausdrückliches Verlangen aufgenommen. Auf Grund der Aussage dieses notorischen Lumpen, Erpressers und Verleum- ders78 werden jetzt im ganzen Reich meine jetzigen und ehemaligen Burschen zu- sammengeholt, um darüber vernommen zu werden, ob ich mich an ihnen ho- mosexuel [sie!] vergangen habe. Eine so schmachvolle und unwürdige Behand- lung hat in keiner Zeit je ein Volk seinem Oberbefehlshaber des Heeres angedeihen lassen. Ich gebe das hiermit zu Protokoll, damit die spätere Geschichtsschreibung weiß, wie im Jahre 1938 der Oberbefehlshaber des deutschen Heeres behandelt worden ist. Eine solche Behandlung ist nicht nur im höchsten Maße unwürdig für mich, sie ist zugleich auch entehrend für die ganze Armee.

vorgelesen, genehmigt, unterschrieben79 gez. Frhr. ν Fritsch. [Handschriftliche Notiz des Generaloberst a.D. von Fritsch:] Dem Reichskriegsgericht bei der Vernehmung zu Protokoll gegeben.

73 Vorlage: Folgt, gestr.: »nicht«. 74 Vorlage: »Bhf.«. 75 Vorlage: »Bhf.«. 76 Vorlage: »Bhf.«. 77 Vgl. Goltz, Lebenserinnerungen, III. Teil (wie Anm. 54), fol. 189, der diesen Vermerk er- wähnt. — Nach Kielmansegg, Der Fritsch-Prozeß (wie Anm. 1), S. 75 diktierte Fritsch Reichskriegsgerichtsrat Dr. Karl Sack, der als Urkundsbeamter tätig war, diesen Vermerk. 78 Otto Schmidt. — Vgl. Dokument Nr. 2, Anm. 49. 79 Vorlage: »v. g. u.«. 488 MGM 56 (1997) Horst Mühleisen

4. Schlussworte.80 des Generaloberst a.D. von Fritsch am 17. März 1938 vor dem Reichskriegsgericht in Berlin. Ausfertigung. Maschinenschrift. BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/20, fol. 38r-39r.

Der Gang der Verhandlung hat einwandfrei erwiesen, daß ich mit der Angelegen- heit des Erpressers nichts zu tun habe. Darüber hinaus erkläre ich hier noch ein- mal ausdrücklich, daß ich weder homosexuell veranlagt bin noch mich je in dieser Richtung betätigt habe. Wenn ich nun von meinem Standpunkt aus einmal diese für mich so überaus qualvollen und schweren Wochen überschaue, so muß ich feststellen, daß ich auf Grund der erlogenen Bezichtigungen eines ehrlosen Lumpen und Schuftes mit Schmach und Schande überhäuft worden bin. Meine Ehre ist in den Staub getre- ten. Auf Grund dieser Bezichtigungen bin ich veranlaßt, meinen Abschied zu neh- men. Mein Ansehen, mein Ruf als Offizier ist in weiten Kreisen der Armee unter- graben, und ebenso bin ich in der Zivilbevölkerung diffamiert, denn weit über den Kreis dieser Zeugen hinaus, die hier gewesen sind, das weiß ich, ist es ja allgemein, in der Zivilbevölkerung vor allem bekannt, daß ich des § 175 [StGB] angeklagt bin81. Daß meine jetzigen und ehemaligen Burschen, Leute, die mir vertrauen, die mir immer wieder, und gerade in diesen Tagen des Unglücks, Beweise ihrer Treue und Anhänglichkeit gegeben haben, von der Gestapo zusammengetrommelt worden sind, um über mich vernommen zu werden, das habe ich, ich kann es sagen, als be- sonders schimpflich und schmachvoll empfunden82. Unter all dieser unwürdigen Behandlung, die ich erfahren habe, leide ich um so mehr und empfinde das alles um so bitterer, um so kränkender und verletzen- der, zumal in diesen letzten 8 Tagen, als ich glaube, daß sowohl ich wie die Armee für uns in Anspruch nehmen können, daß wir in diesen letzten vier Jahren unsere ganze Kraft eingesetzt haben, immerhin eine Leistung zu vollbringen, die wenig- stens der übrigen Welt Achtung abgenötigt hat. Meine Herren! Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann. Sprechen Sie Ihr Urteil und geben Sie mir meine Ehre endlich wieder83!

80 Vorlage: »Schlussworte.«: Gesperrt und unterstrichen. 81 Diese Aussage trifft nicht zu. Viele höhere Offiziere, mehr noch die Zivilbevölkerung, hatten keine Kenntnis von den gegen Fritsch erhobenen Vorwürfen, Untersuchungen und der Hauptverhandlung; siehe Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 185. 82 Vgl. Dokument Nr. 5, Ziffer 7. 83 Brief Fritschs an Margot von Schutzbar-Milchling vom 23.3.1938. Ausführliche Schilde- rung der Gerichtsverhandlung (fol. 5r-12r); daraus das Zitat: »Zunächst muß ich aber völ- lige Ruhe haben. Ich bin mit meinen Nerven ganz am Ende. Vielleicht kein Wunder, wenn man bedenkt, welche qualvollen Wochen hinter mir liegen, welche Fülle von Schur- kerei ich erlebt habe.« In: BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/30, fol. 9r-10r (Kopie). — Aus demselben Brief (fol. 11r): »Was nötig ist, geschieht von Seiten des Heeres, das sich ganz für mich einsetzt.« Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 489

5. Nicht abgesandtes Schreiben des Generaloberst a.D. von Fritsch an den Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei Himmler. [Berlin, Ende März 1938]. Revidierte Reinschrift als Konzept benutzt. Maschinenschrift. BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/20, fol. 35r-37r. Verbesserter Entwurf von Dokument Nr. 5, Maschinenschrift, mit umfangrei- chen handschriftlichen Verbesserungen und Ergänzungen Fritschs, geschrie- ben mit einem grünen Farbstift, ebd., fol. 31r-34r.

1.) Auf Grund der verlogenen Aussagen eines ehrlosen Lumpen und Verbrechers ist gegen mich in einer Weise verfahren worden, die ich als Beschimpfung mei- ner Person und der Armee betrachten muß. 2.) Ich mache Ihnen84 im Einzelnen folgendes zum Vorwurf: 1.) Seit 1935 erscheint mein Name in den Polizeiakten85, ohne daß Sie es für notwendig hielten, mich oder den Reichskriegsminister86 zu benachrichtigen. 2.) Der Führer87 befiehlt 1936 die Akten zu vernichten88. Offenbar geschieht es aber nicht, um ähnlich wie im Fall Graf von der Goltz89 und Graf Wedel90 für alle Fälle Material bereit zu haben, denn91, daß die jetzt vorgelegten Proto- kolle von 1936 und 1935 gefälscht sind, kann ich nicht annehmen. 3.) Mitte Januar 1938 werden die Vernehmungen des Schmidt, der mich erpreßt haben will, erneut in dieser Angelegenheit aufgenommen. Mir wird nichts davon mitgeteilt.

84 Heinrich Himmler (1900-1945), ab 6.1.1929 Reichsführer SS und ab Juni 1936 Chef der Deutschen Polizei. — Nach Walter Schellenberg, Aufzeichnungen. Die Memoiren des letzten Geheimdienstchefs unter Hitler, Wiesbaden, München 1979, S. 41 hatten die Vor- kommnisse um Fritsch »auf das Verhältnis Himmlers zu Heydrich einen merklichen Schatten geworfen«. 85 Himmler legte die Polizeiakte »Fritsch« Hitler im Jahre 1936 vor; siehe Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 86,95 f. — Zum Plural »Akten« ebd., S. 280, Anm. 73. 86 Werner von Blomberg (1878-1946), Ritter des Ordens Pour le Meri- te, 1.6.1935 bis 27.1.1938 Reichskriegsminister und Oberbefehlshaber der Wehrmacht. Am 4.2.1938 entlassen. — Über Blomberg siehe Fritsch in seiner Aufzeichnung vom 1.2.1938, abgedruckt bei Müller, Armee und Drittes Reich (wie Anm. 6), S. 245 (Dok. 105). 87 Vorlage: Verbessert aus: »Angeblich befiehlt der Führer 1936 die Akten zu vernichten.« 88 Im Sommer 1936 befahl Hitler, die Akte zu vernichten. Sein Befehl wurde indessen nur teilweise befolgt; siehe Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 87,95 f. 89 Dr.jur. Rüdiger Graf von der Goltz (1894-1976), 30.1. bis 18.3.1938 Verteidiger des Gene- raloberst von Fritsch. — War am 26.8.1912 als Fahnenjunker in das Erste Garde-Regiment zu Fuß in Potsdam eingetreten und am 22.3.1914 zum Leutnant ernannt worden. In der Schlacht von St. Quentin bei Colonfay am 29.8.1914 schwer verwundet (Verlust eines Bei- nes), studierte er vom 1.11.1915 bis 1917 Rechtswissenschaften und legte am 25.8.1917 das Not-Referendarexamen ab. Vom 29.8.1917 bis November 1918 war er Ordonnanzoffizier des dritten Generalstabsoffiziers (Ic) im Oberkommando der Heeresgruppe Deutscher Kron- prinz, Major Ludwig Beck. Er schied als Oberleutnant aus und war 1924 als Rechtsanwalt bei dem Landgericht in Stettin zugelassen; 1930 Zulassung als Rechtsanwalt beim Ober- landesgericht Stettin; Juli 1926 Bestellung zum Notar; April 1934 Löschung in Stettin, Zu- lassung in Berlin, vorübergehend zunächst bei dem Kammergericht; 1.1.1935 bis Mai 1945 bei dem Landgericht in Berlin als Rechtsanwalt eingetragen; siehe Goltz, Lebenserinne- rungen, I., II. und III. Teil, in: BA Koblenz, Kleine Erwerbungen Nr. 653/1-3. — Zur Na- menverwechslung des Rechtsanwalts Herbert Goltz, siehe Dokument Nr. 7, Anm. 181. 90 SS-Oberführer Wilhelm Graf von Wedel (1891-1939), Polizeipräsident von Potsdam; sie- he Goltz, Lebenserinnerungen, III. Teil (wie Anm. 54), fol. 184; siehe auch Janßen/To- bias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 164 und S. 299, Anm. 36. 91 Vorlage: Fritsch fügte »denn« handschriftlich hinzu. 490 MGM 56 (1997) Horst Mühleisen

4.) Ab Herbst 1937 werde ich polizeilich überwacht, vielleicht auch schon vor- her92. 5.) Bereits am 15.1.38 hat die Gestapo den Verdacht, daß der Fall Fritsch viel- leicht ein Fall Frisch sein könnte93. Es geschieht nichts zur Aufklärung die- ses Verdachtes. Der Führer wird im Glauben gelassen, daß der Fall Fritsch so gut wie bewiesen sei, obwohl a.) der Strichjunge Weingärtner bereits am 27. Januar 1938 bei der unauf- fälligen Gegenüberstellung erklärt, daß ich für den Vorfall am Wann- seebahnhof nicht in Frage komme, b.) die Gestapo bereits Mitte Januar 1938 auf der Spur des wirklich erpreßten Zeugen von Frisch war. 6.) Noch während ich aktiver Oberbefehlshaber des Heeres94 bin, wird meine Wirtschafterin95 von der Gestapo am 29.1.38 zum Verhör aus ihrer Heimat nach Berlin überführt. 7.) Meine jetzigen und ehemaligen Burschen und Kraftfahrer werden von der Gestapo über mich verhört. Dazu wird der Unteroffizier Witt, Kavallerie- Regiment96 9, von der Kaserne in Fürstenwalde abgeholt. 8.) Als durch den Untersuchungsführer97 der Fall von Frisch aufgedeckt wird98, wird Herr von Frisch99 von der Gestapo verhaftet100, obwohl ein gesetzli- cher Verhaftungsgrund nicht vorlag, so daß offensichtlich ein psychischer Druck auf diesen entscheidenden Zeugen ausgeübt werden sollte. 9.) Als ich mich am 27.1.38 auf Befehl des Führers zur Gestapo begab, wurde ich versteckt von den beiden Subjekten Weingärtner und Heiter101 beob- achtet, die ohne mein Wissen angeben sollten, ob sie mich kennen. 10.) Am 27.1.38 schickt102 Herr Best103 zum Schluß die anderen Personen hinaus. Er sagt dann etwa: »Wir sind nun unter uns. Ich habe den Rang eines Ge- nerals. Haben Sie sich mir nicht zu erklären?« Tatsächlich wurde die Un- terredung, wie das Protokoll ausweist, wörtlich aufgenommen. 11.) 104Von der angeblich für mich characteristischen Bewegung des Heraus- reckens, die der Erpresser beim Erpreßten bemerkt haben will, hat der Er- presser nach meiner Überzeugung entweder durch einen entsprechenden

92 Diese Aussage ist nicht belegt; siehe Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Aran. 9), S. 160. 93 Dazu ausführlich ebd., S. 167-170. 94 Vorlage: »Ob. d. H.«. 95 Gertrud Kunau. Zwölf Jahre war sie Fritschs Wirtschafterin; siehe Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 177. 96 Vorlage: »Kav. Regt.«. 97 Gemeint ist Oberkriegsgerichtsrat Walter Emst Biron (* 1890). — Über ihn Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 171. 9®' Vgl. ebd., S. 164 f. 99 Rittmeister a.D. Achim von Frisch, gest. 1949; siehe ebd., S. 300 f., Anm. 67. 100 Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 172, 178 versughen diese Aus- sage zu widerlegen; indes sind ihre Argumente wenig überzeugend. 101 Ausführlich ebd., S. 109-116, hier S. 115. 102 Vorlage: Fritsch fügte »Herr« handschriftlich hinzu. 103 Ministerialdirigent und SS-Brigadeführer Dr. Werner Best (1903-1989), ab 1936 Chef der Abteilung I (Verwaltung und Recht) im Hauptamt Sicherheitspolizei im Reichsministe- rium des Innern. 104 Vorlage: Fritsch strich die vorstehende Ziffer durch. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 491

Vorhalt bei der Vernehmung des Erpressers oder anläßlich einer heimlichen Gegenüberstellung Kenntnis erhalten105. 12.) Das ganze Verhalten der Gestapo in dieser Angelegenheit beweist (vgl. ins- besondere Ziffer 5), daß sie einseitig bestrebt war, mich als den Schuldigen hinzustellen. 3.) Ich fordere Sie daher zum Zweikampf mit gezogenen Pistolen.

6. Nicht abgesandtes eigenhändiges Schreiben des Generaloberst a.D. von Fritsch an die Kommandierenden Generale. [Achterberg bei Soltau, Mai 1938]. Verbesserter Entwurf. Geschrieben mit Bleistift auf kariertem Papier. BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν33/20, fol. 42r^9r.

1. An den Kommandierenden106 General des [... Armeekorps] Herrn General der

Am 5. Februar hat der Führer der versammelten obersten Generalität der Wehr- macht mitgeteilt, daß er mich wegen Vergehens gegen § 175 [StGB] verabschiedet ha- be107. In welcher Form diese Mitteilung erfolgt ist, weiß ich nicht. Das von mir beantragte Gericht hat mich am 18.3.38 wegen erwiesener Un- schuld freigesprochen. Die Richter waren: Generalfeldmarschall Göring108, Gene- raloberst von Brauchitsch109, Generaladmiral Raeder110, Reichsgerichtspräsident Selmer [sie!]111, Reichsgerichtspräsident Lehmann112. Da bis jetzt, über 2 Monate nach dem freisprechenden Gerichtsurteil, noch kei- ne Klarstellung vor den am 5.2. vom Führer versammelten Herren erfolgt ist, bit- te ich, von nachfolgenden Ausführungen Kenntnis nehmen zu wollen. Im Frühjahr 36 wurde dem Führer und Generalfeldmarschall113 Göring bekannt, daß ein zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilter Erpresser mich114 um die Jahreswende 33/34 wegen Vergehens gegen § 175 [StGB] erpreßt haben wollte. 2. Mit Rücksicht auf die damals gespannte politische Lage verbot der Führer eine Verfolgung der Angelegenheit115. Mir wurde nichts davon bekannt gegeben.

105 Vgl. Dokument Nr. 2. 106 Vorlage: »Kmd.«. 107 Siehe Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 152 f. 108 Hermann Göring (1893-1946), Ritter des Ordens Pour le Merite, 1.6.1935 bis 23.4.1945 Oberbefehlshaber der Luftwaffe; 19.7.1940 Reichsmarschall; über Göring siehe Fritsch in seiner Aufzeichnung vom 1.2.1938, abgedruckt bei Müller, Armee und Drittes Reich (wie Anm. 6), S. 247 (Dok. 105). Walther von Brauchitsch (1881-1948), 4.2.1938 bis 19.12.1941 Oberbefehlshaber des Hee- res; 19.7.1940 Generalfeldmarschall. no Dr. h.c. (1876-1960), 1.6.1935 bis 30.1.1943 Oberbefehlshaber der Kriegs- marine; 1.4.1939 Großadmiral. ln Dr. Wilhelm Sellmer (1877-1954). Senatspräsident am Reichskriegsgericht vom 1.10.1936 bis 30.9.1943. 112 Dr. Rudolf Lehmann (1890-1955). Senatspräsident am Reichskriegsgericht vom 1.10.1937 bis Mitte Juli 1938. 113 Vorlage: »Gen. Feldm.«. 114 Vorlage: Fritsch fügte »um die Jahreswende 33/34« nachträglich über der Zeile ein. 115 Vgl Dokument Nr. 5, Anm. 85 und 88. — Nachdem im März 1936 deutsche Truppen in 492 MGM 56 (1997) Horst Mühleisen

Im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Generalfeldmarschalls116 von Blomberg wurden die Akten117 wieder hervorgeholt. Mir wurde am 26.1. abends118 vom Führer eröffnet, daß ich wegen homosexueller Betätigung erpreßt sei. Der Ge- neralfeldmarschall 119 Göring erklärte, an der Wahrheit dieser Angaben sei nicht zu zweifeln, denn der Erpresser habe in über 100 Fällen stets die Wahrheit gesagt. Der Erpresser wurde hereingeholt und bestätigte, mich erpreßt zu haben. Ich gab dem Führer mein Ehrenwort, daß ich mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun hätte. Da mein Ehrenwort gegenüber der Aussage des Erpressers nicht bewertet wur- de, forderte ich eine eingehende120 gerichtliche Untersuchung. Diese wurde mir zugebilligt und sowohl beim Reichskriegsgericht wie der Gestapo geführt. Sie wurde über den Fall des Erpressers hinaus ausgedehnt auf die Vernehmung meiner sämtlichen Burschen und 3. Kraftwagenfahrer der letzten 5-6 Jahre, sowie von 2 Hitlerjungen, die im Winter 33/34 abwechselnd bei mir einen freien Mittagstisch gehabt hatten121. Die Untersuchung förderte nichts mich irgendwie Belastendes zu Tage. Es ge- schah sogar das Wunder, daß der Mann gefunden wurde, dessen Fall der Erpres- ser auf meinen Namen umgebogen hatte. Die betreffende Persönlichkeit, die einen mir ähnlichen Namen führt122, gab in allen Einzelheiten das mir zur Last gelegte Ver- gehen zu. Es war das Verdienst meines Rechtsanwalts123, diesen Mann durch ei- nen Zufall am 1.3. ausfindig gemacht zu haben. Bereits am 15. Januar war124 aller- dings nach der eidlichen Aussage des Kriminalkommissars Fehling125 die Gestapo schon auf die Spur dieses Mannes gekommen, hatte sie aber nicht weiter verfolgt126. Die Hauptverhandlung begann am 10. März. Sie wurde im Hinblick auf den inzwischen erfolgten Einmarsch in Oesterreich erst am 17. und 18. März zu 4. Ende geführt. Sie bestätigte die Ergebnisse der Voruntersuchung und erweiterte sie auf Grund der Zeugen-Aussagen einwandfrei dahin, daß mir kein Vprwurf zu machen sei. Es ist das Verdienst des Generalfeldmarschalls127 Göring, daß endlich ganz zum Schluß der Verhandlung der Kronzeuge, der Erpresser, zugab, mich nie

die eritmilitarisierte Zone links des Rheins einmarschiert waren, hielt Hitler einen Krieg mit Frankreich immer noch für möglich. 116 Vorlage: »Gen. Feldm.«. 117 Vorlage: Fritsch fügte »wieder« nachträglich über der Zeile ein. 118 Vorlage: »Abds«. 119 Vorlage: »Gen. Feldm.«. 120 Vorlage: Fritsch fügte »gerichtliche« nachträglich über der Zeile ein. 121 Gemeint sind die beiden Hitlerjungen Fritz Wermelskirchen und Gerhard Zeidler. 122 Rittmeister a.D. von Frisch; siehe Dokument Nr. 5, Anm. 99. 123 Dr.jur, Rüdiger Graf von der Goltz; siehe Dokument Nr. 5, Anm. 89. 124 Vorlage: Fritsch fügte »allerdings« nachträglich über der Zeile ein. 125 Kriminalinspektor Friedrich Fehling (1896-1945), Leiter der Bekämpfung des Sachge- bietes IV C 4 c in der »Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität«. Im Juli 1945 ermordet. 126 Zu dem von Fritsch genannten Datum des 15.1.1938 vgl. Goltz, Lebenserinnerungen, III. Teil (wie Anm. 54), fol. 219 f. — Dies ist ein ernstzunehmender Hinweis dafür, daß die Fritsch-Affäre auch auf einer Intrige der SS und der Gestapo gegen den Oberbefehlsha- ber des Heeres beruht. Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 167-170 übergehen diesen entscheidenden Hinweis. 127 Vorlage: »Gen. Feldm.«. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 493 gekannt128, alle über mich gemachten Angaben erlogen zu haben. Der Mann, an dem ich mich angeblich homosexuell betätigt haben sollte, hatte auch wiederholt, das erste Mal129 bereits am 27. Januar bei einer mir verborgen gebliebenen Ge- genüberstellung bei der Gestapo erklärt, mich nie gesehen zu haben130. Das Gericht kam zu dem Urteil: »Die Hauptverhandlung hat die Unschuld des Generalobersten a.D. Freiherrn131 von Fritsch in allen Punkten132 ergeben.« [Nachschrift:] Nicht abgesandt, da der Führer am 13.6.38 nachmittags133 die Generalität gespro- chen hat134.

F25./6.

7. Eigenhändige Aufzeichnung des Generaloberst a.D. von Fritsch. Notiert von Februar bis September 1938, beendet am 27. September 1938 [in Achterberg bei Soltau]. Verbesserter Entwurf. Geschrieben mit Bleistift auf kariertem Papier. BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/20, fol. 54r-84r.

I Am 25. Januar abends135 teilte mir Oberst Hoßbach136 entgegen dem ihm vom Füh- rer gegebenen ausdrücklichen Befehl137 mit, daß dem Führer ein Aktenstück vor- läge, aus dem hervorgehe, daß ein vielfach vorbestraftes Subjekt, das zur Zeit ei- ne langjährige Gefängnisstrafe verbüße, mich wegen homosexueller Betätigung erpreßt haben wolle. Die Vorgänge sollen sich um die Jahreswende 33/34 abge- spielt haben. Ich habe Oberst Hoßbach erklärt, daß ich weder homosexuell veranlagt sei, noch mich je so betätigt hätte, noch je erpreßt sei. Ich stand vor einem Rätsel. Ich dachte dann daran, daß ich im Jahre 33/34, als das Winterhilfswerk begann138, einem Hitlerjungen, Fritz Wermelskirchen, einen freien Mittagstisch gegeben hatte. Ich hatte dafür gesorgt, daß der Junge Frühjahr 34 eine Lehrstelle erhielt. Ich hatte im Frühjahr 35 meine Hand von dem Jungen gezogen, als ich gehört hatte, daß er unter Berufung auf meinen Namen dumme Streiche machte. Die Mutter des Jungen schrieb mir einige Zeit darauf, der Junge

128 Vorlage: Folgt, gestr.: »zu haben«. 129 Vorlage: Fritsch fügte »bereits« nachträglich über der Zeile ein. 130 Gemeint ist der Strichjunge und Zeuge Martin Weingärtner. 131 Vorlage: »Frhr.«. 132 Vorlage: Folgt, gestr.: »erwiesen«. 133 Vorlage: »Nachm.«. 134 Gemeint ist die Ansprache Hitlers im Fliegerhorst Barth auf der Halbinsel Zingst nahe Stralsund. 135 Vorlage: »Abds.«. 136 Oberst i.G. Friedrich Hoßbach (1894-1980), 2.8.1934 bis 28.1.1938 in Personalunion Ad- jutant der Wehrmacht beim »Führer« und Reichskanzler; zugleich vom 1.4.1934 bis 30.6.1935 Leiter der Personalgruppe Ρ 3 im Heeres-Personalamt, vom 1.7.1935 bis 28.1.1938 Leiter der Zentralabteilung im Generalstab des Heeres (GZ). 137 Vorlage: Fritsch fügte »entgegen dem ihm vom Führer gegebenen ausdrücklichen Be- fehl« zwischen »I« und dem Anfang der Aufzeichnung ein. 138 Vorlage: Fritsch fügte »als das Winterhilfswerk begann« nachträglich ein. Dieser Zusatz befindet sich am Ende der Seite. 494 MGM 56 (1997) Horst Mühleisen sei aus der Fabrik entlassen, er käme auf schlechte Wege, ob ich mich nicht seiner wieder annehmen wolle. Ich habe das aber abgelehnt. Die beiden Momente: Mißbrauch mit meinem Namen getrieben und auf schlech- te Wege gekommen, brachten mich nun zu der Überzeugung, daß hier des Rätsels Lösung zu finden sei. Ich hatte noch am 25. [Januar] abends139 und am 26. vormittags140 Oberst Hoß- bach gebeten, mir eine baldige Rücksprache beim Führer zu verschaffen. Am 26.1. nachmittags141 wurde der Generalfeldmarschall142 von Blomberg in etwa 2stündiger Abschieds-Meldung vom Führer empfangen143. Trotz mehrfacher Anfrage wurde ich nicht empfangen. Mein Empfang zögerte sich immer weiter hinaus. Endlich, etwa 20.30, wurde ich vorgelassen. Der Führer erklärte mir sofort, ich sei homosexueller Betätigung beschuldigt. Er könne alles verstehen, wünsche aber die Wahrheit zu hören. Gäbe ich die Vorhal- tung zu, solle ich eine längere Reise antreten, es geschähe mir nichts weiter. Göring redete mir in diesem Sinne gleichfalls zu. Ich lehnte jede homosexuelle Betätigung entschieden ab und fragte, wer mich bezichtige. Der Führer antwortete, wer dies sei, sei gleichgültig. Er wolle wissen, ob auch irgendwo nur die leiseste Möglich- keit der Spur eines Verdachts bestünde. Ich sagte ihm, es könne sich vielleicht um den Mittagstisch des Hitlerjungen Wermelskirchen handeln. Es sei aber nichts Schlechtes hierbei vorgekommen. Der Führer gab mir nun ein Aktenstück vom Jahre 36, von der Gestapo aufge- stellt. Der Erpresser gab in diesem Aktenstück zu Protokoll, er habe im November 33 einen Herrn am Potsd[amer] Wannsee Bahnhof144 bei homosexueller Betätigung überrascht und dann an diesem und dem folgenden Tag und im Januar 34 mit ins- gesamt 2500 Μ erpreßt. Der Erpresser habe sich hierbei als Kriminalkommissar vorgestellt, während der Herr sich unter Vorzeigen seines Ausweises als General der Artillerie145 von Fritsch vorgestellt habe. Während ich in begreiflicher Erregung das Aktenstück durchflog, wurde der Erpresser, ein mir völlig unbekanntes Subjekt, hereingebracht, das, den Über- raschten spielend, Ja, Er ist es, ausgerufen haben soll. Göring sagte mir, der Erpresser habe mich auf Grund vieler ihm von mir vorgeleg- ter Photographien einwandfrei als die von ihm erpreßte Persönlichkeit wiedererkannt.

Π Der Marin habe in über hundert Fällen stets wahrheitsgemäße Angaben gemacht und hierdurch die Verurteilung homosexueller Persönlichkeiten ermöglicht. Auch 2 andere Leute, der Eine, mit dem ich mich homosexuell betätigt hätte und ein An- derer, der bei der letzten Erpressung zugegen gewesen sei, hätten mich nach Bil- dern einwandfrei wiedererkannt. Ich habe dem Führer mein Ehrenwort gegeben, daß ich mit der ganzen Ange- legenheit überhaupt nichts zu tun habe.

139 Vorlage: »Abds.«. 140 Vorlage: »Vorm.«. 141 Vorlage: »Nachm.«. 142 Vorlage: »Gen. Feld.-marschall«. 143 Vorlage: Fritsch strich diesen Satz (»Am 26.1. nachmittags [...] vom Führer empfangen«) durch. 144 Vorlage: »Bhf.«. 145 Vorlage: »Gen. d. Art.«. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 495

Dies Ehrenwort wurde gegenüber den Bezichtigungen eines gerichtsnotorischen Lumpen achtlos bei Seite geschoben. Ich erhielt den Befehl, mich am nächsten Mor- gen zur Gestapo zu begeben, wo ich noch nähere Angaben erhalten würde146. Ich verlangte, daß eine eingehende Untersuchung die Dinge restlos klären müsse. Tief erschüttert über die abweisende Haltung des Führers und Görings begab ich mich nach Hause, wo ich Maj[or] Siewert147 kurz über das Vorgefallene unter- richtete. Bald darauf unterrichtete ich auch den General Beck. Beiden Herren ge- genüber äußerte ich, ob es nicht das Beste sei, mich zu erschießen angesichts des unerhörten Schimpfes, den der Führer mir angetan hatte. Beide Herren rieten davon ab, und ich mußte ihnen recht geben. Der Führer und die ihn beeinflussenden Kräfte würden in meinem Selbstmord mit Freude den vollgültigen Beweis meiner Schuld erblickt haben. Daß hier ein Schurkenstreich von Himmler, Heydrich148 und der Gestapo vor- lag, wurde mir sofort klar. Schon seit längerer Zeit war ich wiederholt, zuletzt am 15. Januar abends149 eindringlich vor Himmler gewarnt. Am 15. Januar150 abends war mir gesagt worden von ernst zu nehmender Seite, daß Himmler und die Par- tei beschlossen hätten, ich müßte nun endgültig beseitigt werden. Daß gewisse Kreise der Partei ständig gegen mich hetzten, war mir bekannt, eben- so daß Reichenau151 danach drängte, meine Stelle einzunehmen. Daß man einen solchen Schurkenstreich begehen, dieses niedrigste und gemeinste, aber auch meist wirksam- ste, da kaum zu widerlegendes Mittel wählen würde, hätte ich allerdings nie gedacht. Unerhört war auch, daß das Aktenstück schon seit Sommer 36 existierte, ohne daß mir davon Kenntnis gegeben wurde. Mindestens Göring hätte es tun müssen, von dem ich glaubte annehmen zu können, daß er mein Kamerad sei. Angeblich hatte der Führer während der durch die Rheinlandbesetzung her- vorgerufenen Krise davon erfahren, er oder Göring angeordnet, daß die Akten zu vernichten seien. Das hatte Himmler offenbar nicht getan. Möglich bleibt aller- dings auch, daß die Akten vernichtet waren und erst im Herbst 37 mit falschem Datum neu aufgestellt sind. Im Großen gesehen liegen die Dinge wohl so. Den radikalen Kreisen der Par- tei bin ich stets ein Dorn im Auge gewesen. Auch Himmler sah in mir wohl den stärksten Gegenpart gegen seine auf ständige Vermehrung der SS Verfügungs152 Truppe153 zielenden Tendenzen. Die überwiegende Mehrheit der Partei sah in mir im besonderen den Mann, der sich dem Eindringen parteipolitischer Einflüsse in

146 Vorlage: Den folgenden Satz fügte Fritsch nachträglich über der Zeile ein. 147 Major i.G. Curt Siewert (1899-1983), 1.9.1936 bis 4.2.1938 Erster Generalstabsoffizier beim Oberbefehlshaber des Heeres. 148 SS-Gruppenführer Reinhard Heydrich (1904-1942), Chef des Sicherheitshauptamtes der Reichsführung SS, ab 1936 Chef der Sicherheitspolizei.—: Zu Heydrichs Verstrickung in die Fritsch-Krise und ihrer Vorgeschichte vgl. die aufschlußreichen Bemerkungen Schel- lenbergs, Aufzeichnungen (wie Anm. 84), S. 38 f. 149 Vorlage: »Abds.«. 150 Vorlage: »Abds.«. 151 General der Artillerie Walther von Reichenau (1884-1942), 1.10.1935 bis 28.2.1938 Kom- mandierender General des VII. Armeekorps in München, 1.3.1938 bis Oberbefehlshaber des Gruppenkommandos 4 in Leipzig. — Über Reichenau siehe Fritsch in seiner Aufzeichnung vom 1.2.1938, abgedruckt bei Müller, Armee und Drittes Reich (wie Anm. 6), S. 245 (Dok. 105). 152 Vorlage: »Verfg.«. 153 Siehe Fritsch in seiner Aufzeichnung vom 1.2.1938, abgedruckt bei Müller, Armee und Drittes Reich (wie Anm. 6), S. 246 f. (Dok. 105). 496 MGM 56 (1997) Horst Mühleisen

die Armee mit Nachdruck widersetzte154, während Blomberg wegen seiner Nach- giebigkeit mit Wohlwollen betrachtet wurde. Seit dem Frühjahr 37 wurde das Verhältnis zur SS immer gespannter. Häufiger drangen aus dem Lager der SS Stimmen zu uns, die etwa lauteten: »Wartet nur, Ihr Schweine, bald wird Himmler Reichskriegsminister und dann kriegen wir Euch auch bald klein.«

III Auch in der ausländischen Presse war häufig, besonders um den 4.2.38, zu lesen, daß Himmler den Posten des Reichskriegsministers anstrebe. Ich glaube, daß Himmler155 zielbewußt auf die Beseitigung vom Blomberg und mir hingearbeitet hat156. Seit dem Frühjahr 37 war auch das Verhältnis Blom- berg-Himmler gespannt. Als erster Schritt hierzu mußte das Vertrauen des Führers zu Hoßbach erschüttert werden. Das muß auch etwa ab Herbst 37 in steigendem Maß gelungen sein. Im Herbst 37 hieß es plötzlich, Hoßbach solle im Frühjahr 38 abgelöst werden157. Be- sonders Blomberg war sehr für diesen Gedanken eingenommen. Er wünschte, daß der Nachfolger Hoßbach nur ihm unterstände. Dem Heer wurde anheimgestellt, einen eigenen Adjutanten zu stellen. Ferner solle nicht wieder ein Generalstabsof- fizier158, sondern ein Frontoffizier gestellt werden159. Auch der Führer wünschte dies, d.h. Es sollten Galoppings gestellt werden, nicht ein Mann von gewisser Er- fahrung, mit dem der Führer wie mit Hoßbach ernste Fragen besprechen konnte. Was den Führer gegen Hoßbach eingenommen hat, ist mir unbekannt. Ich ver- mute, daß sich hier Himmler, Blomberg und mancher Anderer zusammen gefun- den haben, denen eine so gerade, aufrechte und charaktervolle Persönlichkeit wie Hoßbach als Vertrauten des Führers unbequem war. Besonders am 15.L, als ich mittags160 etwa 2 Stunden beim Führer war, bemerkte ich, wie sehr der Führer gegen Hoßbach eingenommen sein mußte. Als ich auf die Ablösung von Hoßbach zu sprechen kam, fing der Führer in großer Erregung von seiner Sorge über das Umsichgreifen der monarchistischen Propaganda in der Ar- mee an. Ich versuchte, ihn vergeblich zu beruhigen und bat ihn, mir konkrete Un- terlagen zu geben, damit ich den Dingen nachgehen könne. Der Führer sagte, er ha- be Material, könne es aber nicht mir, höchstens Blomberg geben. Also ein offenes Mißtrauensvotum gegen mich, das ich nicht auf sich beruhen lassen wollte. Ich wollte den Führer um offenes Vertrauen oder um meine Ablösung bitten. Dazu kam es aber nicht mehr, denn ich konnte vor dem 26.1. nicht mehr zum Führer ge- langen.

154 Ebd., S. 245 (Dok. 105). iss Vorlage: Folgt, gestr.: »wenigstens«. 156 Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 69-76 und S. 128-132 versuchen, diese Behauptung zu widerlegen, was ihnen nicht gelingt. 157 Die Ablösung Hoßbachs erfolgte am 28.1.1938. Er wurde Kommandeur des Infanterie- Regiments 82 in Göttingen. Ursprünglich war vorgesehen, ihm zum 1.4.1938 ein Trup- penkommando zu geben. iss Vorlage: »Gen. St. Off.«. 159 Dies wurde Hauptmann Gerhard Engel (1906-1976), 27.3.1938 bis Ende März 1943 Ad- jutant des Heeres beim »Führer« und Obersten Befehlshaber der Wehrmacht. Engel war Anfang Oktober 1925 in das Infanterie-Regiment 5 (Stettin) eingetreten und gehörte bis 12.10.1937 dem Infanterie-Regiment 28 (Rostock) an; zuletzt Generalleutnant. 160 Vorlage: »Mittags«. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 497

Blomberg ist über seine unmögliche Heirat gefallen. Ich bin auf Grund einer Äußerung des Gen[erals] Keitel161 vom 25.1. nachmittags162 über die Vorgeschich- te dieser Heirat davon überzeugt, daß auch hier eine Schurkerei Himmlers vor- liegt. Man hat die Verstiegenheit Blombergs ausgenutzt, um ihn in diese Heirat zu treiben. Man war sich darüber klar, daß er darüber fallen würde163. Kaum war die Hochzeit geschlossen164, fanden sich Berge von Akten über das Vorleben der Frau von Blomberg165, überall sprach es sich herum, daß er eine Straßendirne geheiratet habe166. Als Blombergs Sturz sicher war, wurde das gegen mich gerichtete sorgfältig be- reitgehaltene Aktenstück wieder hervorgeholt. Von wem die Initiative hierzu aus- ging, vom Führer, Göring oder Himmler, weiß ich nicht167. Jedenfalls war auch gleichzeitig der Kronzeuge, der angeblich seine Strafe in einem Lager bei Papen- burg verbüßte, zur Stelle. Es wurde nun so argumentiert: Der Sturz von Blomberg bringt eine Erschütte- rung für die. Armee mit sich. So etwas darf nicht ein 2. Mal vorkommen. Da der Oberbefehlshaber des Heeres168 nach den Angaben dieses verläßlichen Kronzeugen homosexuell ist, muß er gleich mit verschwinden. Es ist möglich, und ich will es zu ihrer Ehre annehmen, daß der Führer und Göring geglaubt haben, ich sei durch das vorliegende Material einwandfrei ho- mosexueller Betätigung überführt. Beide werden sich kaum die Mühe gemacht ha- ben, sich durch Nachprüfung und genaue Feststellung ein Urteil zu bilden.

IV Ihnen werden die Behauptungen Himmlers und der Gestapo genügt haben. Es mögen aber auch noch Gründe mitspielen, die dem Führer und Göring mei- ne Entfernung erwünscht erscheinen ließen. Der Partei war ich unbequem. Neuerdings bezichtigte169 man mich anschei- nend, der monarchistischen Propaganda Vorschub zu leisten. Solange Blomberg da war und über mir stand, war ich zur Not tragbar, aber nicht mehr, wenn Blom- berg fehlte. Für Göring kam hinzu, daß er vielleicht fürchtete, ich könnte seinem Ziel, Reichs- kriegsminister zu werden, hindernd im Wege stehen. Ich hätte eine solche Berufung von mir aus abgelehnt, denn bei der Einstellung der Partei zu mir wären die mir erwachsenden Schwierigkeiten nicht zu überwinden gewesen. Wenn der Führer

161 General der Artillerie (1882-1946), 4.2.1938 bis 10.5.1945 Chef des Ober- kommandos der Wehrmacht (OKW); 19.7.1940 Generalfeldmarschall. 162 Vorlage: »Nachm.«. 163 Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), widerlegen diese Behauptung. Blomberg hat seinen Sturz selbst verschuldet. 164 Die standesamtliche Trauung fand am 12.1.1938 im Festsaal des Reichskriegsministeri- ums statt. Hitler und Göring waren die Trauzeugen; vgl. Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 40 f. 165 Margarethe von Blomberg, geb. Gruhn (1913-1978). 166 Hierzu die eingehenden Recherchen von Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 45-50. 167 Am Abend des 24.1.1938 befahl Hitler, sofort die früheren Ermittlungsakten bei der Ge- stapo wiederherzustellen; siehe Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 87. 168 Vorlage: »Ob. d. H.«. 169 Vorlage: Fritsch fügte »man« nachträglich über der Zeile ein. 498 MGM 56 (1997) Horst Mühleisen

gleichwohl bei der Generalsbesprechung am 5.2. davon gesprochen haben soll, ich wäre die einzige als Nachfolger für Blomberg in Betracht kommende Persönlich- keit gewesen, so ist das wohl nur als eine billige Redewendung zu werten. Vor allem muß das Vertrauen des Führers in meine Person systematisch und nachhaltig erschüttert worden sein. Durch wen das geschehen ist, weiß ich nicht. Ich vermute, daß es Himmler war. Vielleicht hat auch Blomberg in seinem letzten Zusammensein mit dem Führer170 am 27.1. vormittags vor mir gewarnt171. Da die jetzige verfehlte Spitzengliederung172, die unwürdige Verabschiedung der Gene- rale173 wohl nicht mit Unrecht auf seine letzte Besprechung mit dem Führer zurück- zuführen ist, ist Blomberg auch dies zuzutrauen. Er war die ganzen 4 Jahre hin- durch nicht ehrlich zu mir. Jedenfalls müssen besondere Gründe vorliegen, sonst ist die Treulosigkeit des Führers, der Verrat Görings an mir, nicht zu verstehen. Trotz des von mir gegebenen Ehrenwortes und vor Abschluß der Untersuchung forderte der Führer von mir am 3.2. nachmittags174, noch am gleichen Tage meinen Abschied zu erbitten. Ich bin dieser Forderung nachgekommen, denn ein Zusam- menarbeiten mit diesem Mann ist für mich künftig unmöglich. Am 4.2. erfolgt meine Verabschiedung. Ein Dank für meine Arbeit erfolgt in ei- nem Schreiben denkbar schroffster Form175. Auf Druck des Gen[erals] von Rund- stedt und Beck wird mir beim Abschied die Uniform des A.R. 12 verliehen. Es darf hierüber aber nichts in die Öffentlichkeit gelangen. Am 5.2. nachmittags176 spricht der Führer die oberste Generalität der Wehrmacht. Er teilt die Gründe für Blombergs und meine Verabschiedung mit. Gegen mich liegt nur die Bezichtigung eins gerichtsnotorischen Lumpen vor. Sie genügt, um meine Ehre vor der ganzen Wehrmacht in den Staub zu treten. Mein Ehrenwort wird nicht gewürdigt. Ob der Führer es überhaupt erwähnt hat, weiß ich nicht. Auf Druck von Brauchitsch und Beck entschließt sich der Führer, die Klärung meiner Angelegenheit dem Reichskriegsgericht zu übertragen. Als Richter wer- den Göring, Brauchitsch, Raeder und die beiden Senatspräsidenten des Reichs- kriegsgerichts bestimmt177. Gleichzeitig setzt aber178 die Gestapo ihre Untersu-

170 Vorlage: Fritsch fügte »am 27.1. vorm.« nachträglich über der Zeile ein. 171 Hier irrt sich Fritsch. Die Abschieds-Meldung Blombergs bei Hitler fand am Nachmittag des 26.1.1938 statt (siehe Abschnitt I dieses Dokuments). 172 Vgl die »Dokumente zur Kriegführung und Spitzengliederung der Wehrmacht«, in: Ge- neralfeldmarschall Keitel. Verbrecher oder Offizier? Erinnerungen, Briefe, Dokumente des Chefs OKW, hrsg. von Walter Görlitz, Göttingen, Berlin, Frankfurt 1961, S. 115-166, bes. die Denkschrift Fritschs, die er im August 1937 Blomberg vorlegte: Wehrmachtspit- zengliederung und Führung der Wehrmacht im Kriege, S. 123 f.; vgl. auch Jost Dülffer, Überlegungen von und Heer zur Wehrmachtspitzengliederung und zur Führung der Wehrmacht im Kriege im Februar — März 1938, in: MGM, 9 (1971), S. 145-171. 173 Ausführlich Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 148-158 (»Der Fall Fritsch wird vernebelt. Das Revirement«). 174 Vorlage: »Nachm.«. 175 Das faksimilierte Schreiben vom 4.2.1938 bei Kielmansegg, Der Fritsch-Prozeß (wie Anm. 1), nach S. 16. — Die behändigte Ausfertigung befindet sich im Besitz des Gene- rals (Bw) a.D. Graf Kielmansegg; eine Kopie im BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/17. 176 Vorlage: »Nachm.«. 177 Gemeint sind die Beisitzer, die Senatspräsidenten Dr. Rudolf Lehmann und Dr. Wilhelm Sellmer; siehe Dokument Nr. 6, Anm. 112 und 111. 178 Vorlage: Folgt, gestr.: »auch«. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 499

churigen mit Einverständnis des Führers fort. Meine Wirtschafterin, meine jetzi- gen und früheren Burschen, der Hitlerjunge Wermelskirchen und ein anderer, der für ihn eine Zeit lang mir geschickt wurde, als W. zur Erholung auf dem Lande war, werden vernommen. Nur auf Druck hin ordnet der Führer an, daß auch die Untersuchung durch das Reichskriegsgericht geführt wird. Es wird also die gleiche Sache von 2 Stellen untersucht. Ein offenkundiger Be- weis des Mißtrauens des Führers gegen das Reichskriegsgericht.

V Auch ich wurde sowohl einmal beim Reichskriegsgericht wie einmal bei der Ge- stapo vernommen179. Die Untersuchung fördert zu Tage, daß auch mein Rechtsanwalt Gr[af] Goltz an- geblich vom180 gleichen Erpresser wegen homosexueller Betätigung erpreßt sei. Ein entsprechendes Aktenstück befindet sich seit [19]35 bei der Gestapo. Seine Her- ausgabe wird von der Gestapo verweigert, auch als sich einwandfrei herausstellt, daß es sich bei der ganzen Angelegenheit nicht um den Grafen, sondern einen be- reits verstorbenen Rechtsanwalt Herbert Goltz handelt181. Am1821. oder 2. März abends183 gelingt, man muß sagen das Wunder, den Mann zu ermitteln, der tatsächlich statt meiner erpreßt ist. Es handelt sich um den Rittm[ei- ster] a.D. von Frisch. Er giebt ritterlicherweise Alles zu. Selbst die Quittung über den erpreßten Betrag von 2500 Μ hatte er noch. Seine Angäben decken sich fast vollständig mit den Angaben, die der Erpres- ser über sein angebliches Erlebnis mit mir macht. Bereits vorher hatte der Mann, mit dem ich mich angeblich homosexuell betätigt haben sollte, bei 2 maliger Gegenüberstellung erklärt, mich noch nie gesehen zu ha- ben. Ein Anderer, der bei der letzten Erpressung im Januar 34 zugegen gewesen sein soll, behauptet zwar, eine gewisse Ähnlichkeit, aber nichts Bestimmtes sagen zu können. Ich hatte beide Subjekte nie gesehen. Am 3. März nachmittags184 wird der Führer vom General Heitz185 unterrichtet. Statt die Folgen aus dem Ergebnis der Untersuchung zu ziehen, wird Rittm[ei- ster] von Frisch von der Gestapo verhaftet, ein Verfahren gegen ihn soll unver- züglich anhängig gemacht werden. Er ist schwer krank. Himmler und die Gestapo erklären dem Führer, der Fall Frisch sei etwas ganz anderes als der Fall Fritsch. Offenbar schenkt der Führer diesen Äußerungen Glau-

179 Die Vernehmung beim Reichskriegsgericht fand am 23.2.1938 statt; siehe auch Doku- ment Nr. 3 (hs. Notiz Fritschs) und Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 162 und S. 297 f., Anm. 30.— Die erste Vernehmung bei der Gestapo fand am 27.1.1938 in der Prinz Albrecht-Straße 8, dem Hauptquartier, statt. Das Protokoll, das 82 Seiten umfaßt, befindet sich im BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/7. — Die zweite Vernehmung er- folgte am 28.1.1938 (vgl. Dokument Nr. 2). 180 Vorlage: Fritsch fügte »gleichen« nachträglich über der Zeile ein. 181 Vgl. Goltz, Lebenserinnerungen, III. Teil (wie Anm. 54), fol. 184-186. — Graf von der Goltz gibt den Vornamen irrtümlich mit »Hans« an; vgl. auch Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 164. 182 Vorlage: Fritsch fügte »1. oder« nachträglich über der Zeile ein. 183 Vorlage: »Abds.«. — Im verbesserten Entwurf seines nicht abgesandten Schreibens vom Mai 1938 (Dokument Nr. 6) nennt Fritsch den 1.3.1938. 184 Vorlage: »Nachm.«. !85 General der Artillerie (1878-1944), 1.8.1936 bis September 1939 Präsident des Reichskriegsgerichts. 500 MGM 56 (1997) Horst Mühleisen

ben. Endlich, am 10.3., beginnt die Verhandlung vor dem Kriegsgericht. Bei ihr sagt der Erpresser aus, daß er am Abend vorher durch den Kriminalrat Meinzin- ger [sie!]186 ermahnt sei, bei seinen bisherigen Aussagen zu bleiben. Sonst verlöre er den Kopf. Ein Antrag meines Verteidigers, den Erpresser aus der Haft der Gestapo in die Haft des Justizministeriums zu überführen, um ihn der Beeinflussung der Gesta- po zu entziehen, wird von Göring abgelehnt. Himmler könnte es als Mißtrauens- beweis auffassen. Mit Rücksicht auf die Entwickelung der Lage mit Österreich wird die Ver- handlung am 10.3. nachmittags187 vertagt. Am 17. und 18.3. wird die Verhandlung zu Ende geführt. Anfangs hatte ich den Eindruck, daß Göring es zu einem Unentschieden bringen wolle, also zu dem Er- gebnis, daß zwar meine Schuld nicht erwiesen, aber immerhin doch möglich sei. Unter der Gewalt der Tatsachen der Beweisaufnahme mußte aber auch Göring erklären, daß es kein mit Vernunft begabtes Wesen geben könne, das nicht von mei- ner Unschuld überzeugt sei. Schließlich gab auch der Kronzeuge, der Erpresser, zu, daß alle seine mich betreffenden Aussagen erlogen seien. Es ist das ausschließliche Verdienst von Göring, den Erpresser zu diesem Geständnis veranlaßt zu haben188. Das Gericht erkannte auf Freispruch wegen erwiesener Unschuld. Sowohl vor Schluß der Beweisaufnahme wie in seiner mündlichen Urteilsbe- gründung war Göring bemüht, das Verhalten der Gestapo zu rechtfertigen. Der Kriminalrat Meisinger wurde aufgefordert, sich allgemein über homosexuelle Ver- fehlungen zu äußern. Er tat dies in einer Weise, die ich nur für mich unerhört be- zeichnen kann.

VI In seiner mündlichen Urteilsbegründung wies Göring die schönen Worte, die Gr[af] Goltz für mich und die Armee gefunden hatte, zurück. Er sprach zwar von einer Tragik meines Schicksals, aber das wäre unter diesen Umständen nun nicht zu än- dern. Vor allem klang immer wieder durch, daß man mich nun, Gott sei Dank, los sei und zwar für immer. Göring sprach immer wieder mit besonderer Betonung vom Generalobersten a.D. von Fritsch. So sehr das Verdienst von Göring über die restlose Überführung des Erpres- sers anzuerkennen ist, so sehr spricht aus seinem übrigen Verhalten sein schlech- tes Gewissen in dieser Angelegenheit. Erst am Sonntag, dem 20.3. mittags189, konnte Brauchitsch zum Vörtrag zum Führer gelangen. Der Führer soll sich angeblich meiner Rehabilitierung nicht ab- geneigt gezeigt haben, hat aber seine Entscheidung hinausgeschoben. Inzwischen wird die andere Seite Gelegenheit haben, ihn zu bearbeiten.

186 Kriminaldirektor Josef Albert Meisinger (* 1899), 1934 bis März 1939 Leiter der Haupt- abteilung II in der »Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität«. Nach dem Kriege in Polen als Kriegsverbrecher hingerichtet. 187 Vorlage: »Nachm.«. iss Vgl Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 179. — Fritsch schenkte Graf von der Goltz nach dem Prozeß einen silbernen Teller mit seinem Namenszug sowie ei- ne Aufnahme in Uniform mit der Widmung »Dem treuen Helfer in Dankbarkeit / Frei- herr von Fritsch«. — Vgl. Goltz, Lebenserinnerungen, III. Teil (wie Anm. 54), fol. 216; vgl. auch Hans Graf von der Goltz, Unwegsames Gelände. Erinnerungen, Wien 1997, S. 60. 189 Vorlage: »Mittags«. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 501

Am 20.3. mittags190 ist das freisprechende Urteil den Kommandierenden191 Ge- neralen des Heeres durch Brauchitsch schriftlich bekannt gegeben. Ich kann meine seit Wochen feststehende Absicht, den Lumpen Himmler zu fordern192, erst ausführen, wenn der Führer das Urteil bestätigt und mir Genugtu- ung gegeben hat. Die übrigen Folgen aus dem Handeln der Gestapo zu ziehen, ist Sache des Heeres und der Wehrmacht. Unter normalen Verhältnissen müßte es un- möglich sein, daß Himmler, Heydrich, Best u.s.w. im Amt verbleiben. Es kann dem Heere nicht zugemutet werden, mit diesen Leuten weiterhin in dienstliche Berüh- rung zu kommen. Auf starken Druck von Brauchitsch hin erklärt sich der Führer bereit, mir ein Schreiben zu schicken193. Es gelangt endlich am 31.3. nachmittags194 in meine Hän- de. Es195 enthält die Bestätigung des Urteils, ist ganz herzlich gehalten, enthält aber kein Wort des Bedauerns geschweige der Entschuldigung über sein Handeln mir gegenüber196. Es geht ferner von der falschen Voraussetzung aus, daß ich der Öf- fentlichkeit gegenüber unbelastet sei. In der Presse erscheint am 1.4. eine kurze No- tiz, daß der Führer mir zur Wiederherstellung meiner Gesundheit gratuliert habe. Ich habe dem Führer zunächst nur mündlich durch den Überbringer des Schrei- bens, Maj[or] Schmundt197, gedankt. Auf Vorschlag von Beck und Hoßbach habe ich dann am 7.4. das anliegend in Abschrift beigefügte Schreiben an den Führer gesandt198.

190 Vorlage: »Mittags«. 191 Vorlage: »Kommd«. 192 Vgj Dokument Nr. 5; vgl. auch Aran. 198 dieses Dokuments. 193 Hitler an Fritsch. Köln, 30.3.1938. Fritsch erhielt das Schreiben am 31.3. um 18.10 Uhr in Achterberg. Eine Kopie der Ausfertigung in Hitlers Handschrift auf Kopfbogen, in: BA- MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/19. Auch die Kopie des Couverts in Hitlers Handschrift ist vorhanden. Anschrift »Herrn Generaloberst von Fritsch«. Ursprünglich hatte Hitler »Fritzsch« geschrieben. — Das Schreiben Hitlers vom 30.3.1938 ist bei Foertsch, Schuld und Verhängnis (wie Anm. 7), S. 126 f. und danach bei Müller, Armee und Drittes Reich (wie Anm. 6), S. 258 (Dok. 114 a) auf Grund einer Abschrift aus dem Nachlaß des Gene- raloberst Beck veröffentlicht worden. 194 Vorlage: »Nachm.«. 195 Vorlage: Fritsch fügte »enthält die Bestätigung des Urteils« nachträglich über der Zeile ein. 196 Brief Fritschs an Margot von Schutzbar-Milchling vom 4.4.1938: »Es [das Schreiben] ge- schah auf starken Druck von Brauchitsch hin. Wenn es auch ganz herzlich gehalten war, so enthält es doch kein Wort des Bedauerns, geschweige der Entschuldigung über seine Handlungsweise mir gegenüber. Ich kann aber dem Führer weder verzeihen noch ver- gessen, daß er mein Ehrenwort den Aussagen eines Lumpen gegenüber für nichts gehalten hat.« In: BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/20, fol. 13^-14* (Kopie). 197 Major i.G. Rudolf Schmundt (1896-1944), 29.1.1938 bis 20.7.1944 Chefadjutant der Wehr- macht beim »Führer« und Obersten Befehlshaber der Wehrmacht und, ab 2.10.1942, zu- gleich Chef des Heeres-Personalamtes. Er starb am 1.10.1944 an den Verletzungen, die er beim Attentat am 20.7.1944 erlitten hatte; zuletzt General der Infanterie. 198 Die Anlage fehlt. Der eigenhändige Reinentwurf des Generaloberst, mit Bleistift in Ach- terberg bei Soltau geschrieben, liegt im BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/19. — Das Schrei- ben ist bei Foertsch, Schuld und Verhängnis (wie Anm. 7), S. 127 f. auf Grund einer Ab- schrift aus dem Nachlaß des Generaloberst Beck veröffentlicht worden und danach bei Müller, Armee und Drittes Reich (wie Anm. 6), S. 259 (Dok. 114 b); vgl. Brief Fritschs an Frau von Schutzbar-Milchling vom 15.4.1938: »Was meine Rehabilitierung vor der Öf- fentlichkeit u. der Armee anbelangt, so hat der Führer viel Zeit. [...] Ich habe dem Füh- rer nun doch auf sein Handschreiben vom 7.4. [sie!] in einem längeren Schreiben geant- wortet. Hauptsächlich deshalb, daß er nicht sagen kann, ich hätte nie meinerseits mich mehr geäußert.« In: BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/10, fol. 29™. 502 MGM 56 (1997) Horst Mühleisen

Nachdem ich zunächst Beck gebeten hatte, habe ich dann im Einverständnis mit Beck Rundstedt gebeten, mein Kartellträger bei Himmler zu sein199. Rundstedt sag- te zu. Am 30.3. erschien er aber in Achterberg200, um mich zu bitten, von der Forde- rung Abstand zu nehmen. Ich muß mir das aber noch vorbehalten, will aber zunächst abwarten, ob und wie der Führer mir vor der Öffentlichkeit Genugtuung geben wird. Die Erledigung meiner Angelegenheit hat durch die Entwickelung der östr- reichischen201 Frage eine höchst unliebsame Verzögerung erhalten. Überall wird in Berlin und vielfach auch in der Provinz über meine Sache geredet. Eine Klarstel- lung in ausreichender Weise ist bis heute, 12.4., noch nicht erfolgt. Auch die Kom- mandierenden202 Generale sind nur höchst lückenhaft informiert203. Es war, wie ich hörte, in Aussicht genommen, daß der Führer gelegentlich ei- ner Reichstagssitzung Worte der Anerkennung und der Ehrung für mich finden würde. Diese Reichstagssitzung war angeblich für die Zeit kurz vor oder nach Ostern, dann für Ende Mai und schließlich den 2. Juni in Aussicht genommen204. Sie fand nicht statt.

VII Die für Ende Mai/Anfang Juni in Aussicht genommene Reichstagssitzung fand mit Rücksicht auf die Entwickelung der tschechischen Frage nicht statt. Ich bin der Ansicht, daß dies ein zutreffender und stichhaltiger Grund ist. Der Führer hätte bei dieser Gelegenheit zum tschechischen Problem Stellung nehmen müssen. Das ist zur Zeit aber nicht angebracht. Endlich, auf starken Druck von Brauchitsch hin, der erklärte, im Hinblick auf die erregte Stimmung in der Armee nicht länger warten zu können, wurde die Ge- neralität der Wehrmacht vom Führer am 13.6. im Fliegerhorst Zingst gesprochen205. Generaloberst206 von Brauchitsch hat mich am 15.6. abends207 in Achterberg über diese Ansprache informiert208.

199 Vgl. Dokument Nr 5. 200 Gemeint ist das ehemalige Gutshaus Achterberg auf dem Truppenübungsplatz Bergen in der Lüneburger Heide, das Fritsch nach seiner Entlassung bis Anfang Februar 1939 be- wohnte, auch wieder von Juni bis Mitte August 1939. Die Gebäude des Gutes sind En- de der fünfziger Jahre abgerissen worden, um die Sicherheitsbereiche zu erweitern. Im Garten des Grundstücks befindet sich ein Gedenkstein, der an Fritsch erinnert. 201 Vorlage: »östr.«. 202 Vorlage: »Kmd.«. 203 Vgl. Dokument Nr. 6 (Verbesserter Entwurf des nicht abgesandten Schreibens von Fritsch an die Kommandierenden Generale, Mai 1938). 204 Vgl Brief Fritschs an Frau von Schutzbar-Milchling vom 4.4.1938: »Das Schreiben des Führers läßt erkennen, daß er mir offenbar bei der nächsten Reichstagssitzung ein paar anerkennende Worte widmen will. Ob mir und der Armee in genügender Weise Ge- nugtuung gegeben wird, bleibt abzuwarten. Ohne starken Druck wird sich der Führer kaum dazu verstehen. In einem Punkt aber kann er, wie die Partei, beruhigt sein. Nach allem, was ich erlebt habe, ist es mir unmöglich, je wieder eine amtliche Funktion im Staate Adolf Hitlers auszuüben.« In: BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/30, fol. 14r-15r (Ko- pie). 205 Vgl. Brief Fritschs an Frau von Schutzbar-Milchling vom 17.6.1938: »so geschieht es des- halb, daß ich erfahren hatte, daß der Führer in einer Besprechung mit der Generalität am 13.6. meine Angelegenheit zum Abschluß bringen wolle«, in: BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/18; vgl. auch Dokument Nr. 6, Anm. 134. 206 Vorlage: »Gen. Oberst«. 207 Vorlage: »Abds.«. 208 Vgl. Anm. 211. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 503

Zunächst hat Brauchitsch die Generale des Heeres gesprochen und ihnen gesagt, er habe nicht das erreicht, was er habe erreichen wollen. Mit Rücksicht auf die außenpolitische Lage sähe er aber davon ab, die Konsequenzen zu ziehen. Er bä- te die Generale auch, ihn nicht zu verlassen. Am Nachm[ittag] wurde dann zunächst der versammelten Generalität das Ur- teil mit Begründung vorgelesen. Darin sprach der Führer. Er soll zugegeben ha- ben, daß Fehler gemacht seien, die er für seine Person mit der großen Nervenkri- se erklärte, die ihn durch das Ausscheiden Blombergs befallen habe. Er soll von einer Tragik meines Schicksals gesprochen haben, aber auch davon, daß es un- möglich sei, mich noch irgendwie zu verwenden. Er hat die Maßnahmen der Ge- stapo, im Großen gesehen, gebilligt und gedeckt. Nur ein unterer Beamter habe unzweckmäßig gehandelt. Von meinem ihm, dem Führer, gegebenen Ehrenwort hat er nicht gesprochen209. Schließlich soll der Führer die Generale gebeten haben, ihm wieder ihr Ver- trauen zu schenken. Generaloberst210 von Brauchitsch brachte mir gleichzeitig eine Verfügung, nach der ich zum Chef des A.R. 12 ernannt worden bin211. Entgegen dem üblichen Brauch hat der Führer es nicht für erforderlich gehal- ten, neben der Verfügung212 ein Wort persönlicher Natur an mich zu richten oder mir wenigstens durch Brauchitsch mündlich übermitteln zu lassen. Ob dies mit Absicht vom Führer geschehen ist, oder ein Fehler des Personal- amtes213 vorliegt, habe ich noch nicht feststellen können. Ich muß also feststellen, obwohl der Führer mich aufs schwerste in meiner Eh- re verletzt hat, hat er es nicht über sich gebracht, mir auch nur ein Wort des Be- dauerns, geschweige der Entschuldigung zu sagen214. Die Ernennung zum Chef des A.R. 12 ist daher um so weniger eine volle Ge- nugtuung für mich, als die Schuldigen nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Sie ist hauptsächlich als eine Geste für die Armee zu betrachten. Auch die Auffassung weiter Kreise des Offizierkorps geht offenbar dahin, daß diese Erledigung der Angelegenheit sehr unbefriedigend ist. Weit über mein persönliches Schicksal hinaus glaube ich, daß es sich hier um eine Frage Von entscheidender Zukunfts-Bedeutung handelt. Entweder der Füh- rer sorgt dafür, daß wieder Recht und Gesetz in Deutschland herrschen und Leu- ten wie Himmler und Heydrich das Handwerk

VIII gelegt wird, oder er deckt weiterhin die Untaten dieser Leute, dann kann man nur sehr trübe in die Zukunft sehen.

209 Vorlage: Fritsch fügte den Satz: »Von meinem ihm [...] nicht gesprochen« nachträglich ein. 210 Vorlage: »Gen. Oberst«. 211 Vgl. Brief Fritschs an Frau von Schutzbar-Milchling vom 17.6.1938: »Der Gen. Oberst v. Brauchitsch, der am 15.6. Abds für 2 Stunden hierher geflogen kam, brachte mir le- diglich die vom Führer unterzeichnete Verfügung.« In: BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/18. 212 Vorlage: »Verfg.«. 213 Vorlage: »P.A.«. 214 Vgl. Brief Fritschs an Frau von Schutzbar-Milchling vom 17.6.1938: »Weder ein Wort des Bedauerns, geschweige der Entschuldigung, oder zur Rechenschaft ziehen der Schuldi- gen.« In: BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/18. — Aus demselben Brief: »Dieser mich tief ver- letzende Schlußakt des Führers hat mir die Lust genommen, unter Menschen zu gehen. 504 MGM 56 (1997) Horst Mühleisen

Da der Führer das Handeln der Gestapo in meiner Angelegenheit gedeckt und gebilligt hat, muß ich leider davon absehen, Himmler zu fordern. Nachdem so viel Zeit vergangen ist, würde mir das auch etwas lächerlich vorkommen. Unerklärlich ist und bleibt mir das Verhalten des Führers mir gegenüber215. Viel- leicht nimmt er es mir persönlich übel, daß durch meinen Freispruch das Unfehl- barkeitsdogma einen starken Stoß erlitten hat. Für die Partei gelte ich nach wie vor offiziell als verfemt. Keine amtliche Par- teistelle hat zu meiner Chef-Ernennung ein Wort an mich gelangen lassen. Wenn auch äußerlich nunmehr der Schlußstrich gezogen scheint, so ist die Sa- che sicher noch lange nicht zu Ende. Sie wird wohl erst mit meinem Tode oder bei der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit erst lange nach meinem Tode ihr Ende finden216. Voll Dankbarkeit muß ich des Generaloberst217 von Brauchitsch und des Hee- res gedenken. Nur Brauchitsch ist es zu danken, wenn es schließlich gelungen ist, diese — wenn auch unbefriedigende — Lösung zu finden. Immer wieder hat er mir durch sein Handeln Beweise seiner Trgue und Anhänglichkeit gegeben. Das Asyl in Achterberg, Pferde, Auto, Adjutanten und nun auch eine Wohnung in Ber- lin218, für Alles bin ich ihm zu tiefem Dank verpflichtet. Ebenso für die würdige Feier der Regimentsübergabe in Gr[oß] Born219. Der Führer sandte bei dieser Gelegenheit wie zum 21.9. - 40jähr[ige] Wieder- kehr des Tages des Diensteinstrittes220 ein Telegramm. Das ändert aber nichts an der grundsätzlichen Einstellung.

Ich muß erst wieder einige Wochen Ruhe haben, um endgültig mit allem fertig zu wer- den.« — Vgl. auch an dieselbe Empfängerin, Brief vom 4.9.1938: »Er [Hitler] hat auch bis jetzt kein Wort der Entschuldigung mir gegenüber gefunden. Das ist es, über das ich nicht hinwegkommen kann.« In: BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/30, fol. 41r (Kopie). 215 Vgl. Brief Fritschs an Frau von Schutzbar-Milchling vom 17.6.1938: »Für mich persönlich ist sie [die Ernennung zum Chef des A.R. 12] um so wertloser, als Herr Hitler sich hier- zu nur auf schärfstes Drängen entschlossen hat. Auch hat er es verstanden, diese Geste für mich besonders verletzend dadurch zu gestalten, daß er abweichend von der übli- chen Form mir weder ein schriftliches noch mündliches Wort übermitteln ließ.« In: BA- MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/18. 216 Vgl. Brief Fritschs an Frau von Schutzbar-Milchling vom 17.6.1938: »So hat denn diese traurige Angelegenheit, wie ich es nach dem ganzen Verhalten des Führers nicht anders erwarten konnte, einen für mich völlig unbefriedigenden Abschluß gefunden. Ich fürch- te allerdings, daß die Dinge erst mit meinem Tode, vielleicht erst lange nach meinem To- de, wirklich zum Abschluß kommen.« In: BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/18. 217 Vorlage: »Gen, Oberst«. 218 Anfang Februar 1939 übersiedelte Fritsch von Achterberg nach Berlin-Zehlendorf. Dort, in der Albertinenstraße 15/16, bezog er ein Haus, welches das Heer ihm geschenkt hat- te. Brauchitsch hatte dazu den Anstoß gegeben. 219 Fritsch wurde Chef des Artillerie-Regiments 12 in Schwerin. Dies war eine ehrenvolle Geste, aber keine Rehabilitierung. Die Übergabe fand am 11.8.1938 auf dem Truppenübungsplatz Groß-Born statt; vgl. den Wortlaut der Ansprachen, die am 11. und 12.8.1938 in Schwerin ge- halten worden sind, in: BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/1, fol. 29r-32r. — Vgl. auch Brief Fritschs an Frau von Schutzbar-Milchling vom 13.8.1938: »In Summa muß ich sagen, daß Al- les besonders nett u. freundlich gedacht u. gemacht war. Daß es dennoch für mich sehr schwer war, dies alles über sich ergehen zu lassen, werden Sie verstehen. Es ist doch besser, wenn man die Toten ruhen läßt, sie nicht bei lebendigem Leibe exhumiert u. erneut begräbt. [...] u. dann fahre ich nach Achterberg zurück, wo ich in Stille u. Ruhe wieder einmal mit dem Schweren der letzten Zeit fertig zu werden hoffe«, in: BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/10, fol. 54v. 220 Fritsch war am 21.9.1898 in das Großherzoglich Hessische Feld-Artillerie-Regiment Nr. 25 in Darmstadt eingetreten. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 505

Vorstehende Notizen sind abschnittsweise in der Zeit von Februar bis Septem- ber 38 niedergelegt221.

F27./9.38

8. Eigenhändige Aufzeichnung des Generaloberst a.D. von Fritsch. [Achterberg bei Soltau], 18. Januar 1939. Verbesserter Entwurf. Geschrieben mit Bleistift. BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/20, fol. 107r-118r.

I Inzwischen habe ich erfahren, daß es Zeugen giebt, die nachweisen können, daß der gegen mich geführte Schurkenstreich von Himmler inszeniert ist. Diese Leute würden ihre Aussagen aber nur machen, wenn Himmler vorher unschädlich ge- macht ist, da sie andererseits fürchten, ermordet zu werden. Diese Befürchtung dürfte nicht unbegründet sein. Ich bin überzeugt, daß der Führer ein ganz klares Bild von den Schuldigen des gegen mich geführten Schurkenstreichs hat. Nach einer Aussage222 sollen der Füh- rer und Göring bei der Unterrichtung der Generalität am 13.6. den Eindruck des personifizierten schlechten Gewissens gemacht haben. Die Sache ist für ihn schwierig, da zu den Schuldigen, abgesehen von Heydrich und andern untergeordneten Lumpen, auch Himmler und Göring gehören. Ich vermute, daß Himmler der Hauptschuft ist. Göring ist gewissermaßen der Nutz- nießer. Als er von der Aussage des Erpressers erfuhr, sah er darin ein willkomme- nes Mittel, mich jeder Zeit beseitigen zu können, wenn ich ihm unbequem wäre. Dieser Augenblick trat ein, als Blomberg ausscheiden mußte. Göring glaubte, daß ich seinem Ziel, Reichskriegsminister zu werden, im Wege stehen könne. Darum beseitigte er mich. Denn ich bin sicher, daß er223 in diesem Augenblick die haupt- treibende Kraft beim Führer gegen mich gewesen ist. Göring hat angeblich den Erpresser unter stärkstem Druck, Drohung des Er- schießens, wiederholt im Alleinsein mit ihm ermahnt, die Wahrheit zu sagen; Ich bin überzeugt, daß der Erpresser Göring auch bald die Wahrheit gesagt hat. Dann ist zwischen Göring und dem Erpresser verabredet worden, daß er aber bis zum letzten Augenblick bei seiner Bezichtigung bleiben müsse. Schließlich ihm gesagt, wann er die Wahrheit gestehen dürfe. Alles, was in dieser Beziehung bei der Haupt- verhandlung geschah, war wahrscheinlich Komödie. Raeder sagte mir einmal, daß es ihm

221 Vermutlich eine testamentarische Hinterlassenschaft. Am folgenden Tag, 28.9.1938, traf Fritsch, begleitet von Hauptmann Großkreutz, seinem Adjutanten, in Berlin ein, um sich, käme es während der Krise mit der Tschechoslowakei zum Einsatz von Truppen, dem Artillerie-Regiment 12, dessen Chef er war, anzuschließen; vgl. Schreiben Fritschs an Feldmarschall von Mackensen vom 23.9.1938, in: BA-MA, Nachlaß Mackensen Ν 39/79, fol. 10v-llr. — Fritsch stellte sich indessen der Widerstandsbewegung nicht zur Verfü- gung, wie dies Oberst a.D. Großkreutz im Jahre 1967 behauptet hat. In: BA-MA, Nach- laß Fritsch Ν 33/16, fol. 2. 222 Vorlage: Hier folgt eine Lücke von fünf Zentimetern bis »sol-«. Fritsch wollte vermut- lich einen Namen einsetzen. 223 Vorlage: Fritsch ergänzte »in diesem Augenblick« nachträglich über der Zeile. 506 MGM 56 (1997) Horst Mühleisen

II aufgefallen sei, daß der Erpresser224 während der Hauptverhandlungstage bei sei- nen Aussagen immer nach Göring geschielt habe. Angeblich soll der Erpresser auf Befehl des Führers erschossen sein. Siewert teilte mir im Dezember 38 mit, daß Canaris225 behaupte, er sei226 auf Be- fehl Himmlers nicht erschossen227. Es wäre sehr wohl verständlich gewesen, wenn man den Erpresser erschossen hätte, um diesen Zeugen tot zu machen. Wenn es wahr ist, daß er auf Befehl Himm- lers nicht erschossen ist, so kann es sein, daß Himmler sich diesen Mann als Bela- stungszeugen gegen Göring aufheben will. Wenn ich rückschauend die Ereignisse vor einem Jahr noch einmal durchden- ke, so glaube ich, daß man unter allen Umständen gewillt war, mich zu beseitigen. Die Warnung vom 15. Januar 38 abends228 war nur zu berechtigt229. Auch Wiedemann230 hat gelegentlich Hoßbach gegenüber die Bemerkung sich entschlüpfen lassen, daß ich lediglich aus politischen Gründen beseitigt sei. Wenn der Führer am 5.2.38 den Generalen gegenüber das in Abrede gestellt hat, so be- weist das nichts. Er wird, um mit seinen Worten zu sprechen, »eiskalt gelogen ha- ben«. Welches aber die Gründe waren, weshalb man mich unbedingt beseitigen woll- te, weiß ich nicht. Es mögen viele Bestrebungen zusammengeflossen sein. Auch Blomberg wird mitgewirkt haben, da er sah, daß ich seinem Treiben in puncto Wehrmachtsbefehlshaber, Spitzengliederung, Wehrmachtsmanöver und Ähnli- chem begründeten Widerstand entgegensetzte. Vor allem wird aber die Partei d.h. Heß231 und seine Leute dahinter stehen. Es fiel mir schon am 15.1. mittags232 beim Führer auf, daß er überhaupt nicht darauf reagierte, als ich ihm die Grüße der Eltern Heß233 übermittelte234. Ganz auffallend war die Rede Blombergs am Neujahrsempfang am 11.1.38, wo er ausführte, die Wehrmacht müsse in ganz anderer Weise wie bisher sich zum Na- tionalsozialismus bekennen. Ich habe mir eingebildet, ein guter Nationalsozialist gewesen und noch zu sein.

224 Vorlage: Fritsch ergänzte »während der Hauptverhandlungstage« nachträglich über der Zeile. 225 Vizeadmiral (1887-1945), ab 8.11.1938 Chef des Amtes Ausland/Ab- wehr im OKW. 226 Vorlage: Fritsch ergänzte »auf Befehl Himmlers« nachträglich über der Zeile. 227 Dies ist zutreffend. Der Erpresser Otto Schmidt wurde am 30.10.1942 im Konzentrati- onslager Sachsenhausen-Oranienburg hingerichtet; vgl. Dokument Nr. 2, Anm. 49. 228 Vorlage: »Abds.«. 229 Vgl. Dokument Nr. 6, Anm. 126. 230 Hauptmann a.D. Fritz Wiedemann (1891-1970), im Ersten Weltkrieg Adjutant des bayeri- schen Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 16, dem Hitler angehörte. Vom 2.1.1935 bis Ja- nuar 1939 persönlicher Adjutant Hitlers. «ι Rudolf Heß (1894H987), ab 21.4.1933 Stellvertreter des »Führers« und ab 1.12.1933 Reichs- minister. 232 Vorlage: »Mittags«. 233 Die Eltern: Fritz Heß (1864-1941), Kaufmann, und Klara, geb. Münch (1867-1951), ab 1892 verheiratet. Die Eltern lebten in Alexandrien/Ägypten. 234 Am 10.11.1937 reiste Fritsch mit Major i.G. Siewert, seinem Ersten Generalstabsoffizier, und Hauptmann von Both, seinem Adjutanten, nach Oberägypten ab, um seinen chro- nischen Bronchialkatarrh zu heilen. Anfang Januar 1938 kehrte er nach Berlin zurück. Die Fritsch-Krise im Frühjahr 1938 507

Vielleicht zielte diese Rede Blombergs aber vor allem auf seine am 12.1. erfol- gende Heirat, die er sicher für einen besonderen Beweis nationalsozialistischer Ge- sinnung hält235. Daß man schließlich diese schuftige und gemeine

III Weise wählte, um mich zu beseitigen, geschah von Himmler aus in voller Absicht. Man wollte nicht nur mich, sondern gleichzeitig das ganze Heer entehren. Wäre die Untersuchung später, wie Himmler es sich wohl gedacht hat, nur bei der Gestapo geführt, die Wahrheit wäre nie herausgekommen. Das Heer war dann reif, von der Partei übernommen zu werden. Und darum handelte es sich und handelt es sich auch noch heute. Auffallend ist auch, daß um Mitte Januar die Nachricht zu uns drang, die SS wol- le in Kürze alle Kommandierenden Generale verhaften, das war sicher gedacht im Zusammenhang mit dem gegen mich zu führenden Schlag. Daß der Führer von vornherein den Schurkenstreich von Himmler gekannt und gebilligt hat, glaube ich nicht. Dazu machte er am 26.1. abends236 einen zu ver- zweifelten Eindruck. Aber er hat spätestens nach Abschluß der Hauptverhand- lung die Dinge klar erkannt. Both237 sagte mir im Frühjahr 38 einmal, der Führer habe einmal verlauten lassen, er könne keine Untersuchung einleiten, um die Schul- digen zur Rechenschaft zu ziehen, da dann auch Göring in die Angelegenheit ver- wickelt wäre. Das sei für ihn untragbar. So haben die Schuldigen es dann dahin gebracht, daß der Führer vor die Alternative gestellt wurde, dem Heere oder der Partei die Treue zu halten. Herr Hitler hat sich gegen das Heer entschieden. Wie weit sich das Heer in seinem Offizierkorps über diese Dinge klar ist, weiß ich nicht. Zum 20.4.36, als ich krank in Achterberg war, habe ich dem Führer zum Ge- burtstag etwa folgendes telegraphiert: »Ich und das Heer, wir folgen Ihnen in stol- zer Zuversicht und in gläubigem Vertrauen auf dem Weg, den Sie uns in Deutsch- lands Zukunft voranschreiten238.« Das entsprach damals voll den Tatsachen. Heute kann ich kein Vertrauen mehr zu diesem Mann haben239. Ob und wieweit es noch im Offizierkorps des Heeres vorhanden ist, vermag ich nicht zu beurteilen.

F. 18./1.39

235 Blombergs zweite Gattin, Margarethe, geb. Gruhn, stammte aus sehr bescheidenen Ver- hältnissen; vgl. Janßen/Tobias, Der Sturz der Generäle (wie Anm. 9), S. 27. 236 Vorlage: »Abds.«. 237 Hauptmann Joachim-Heinrich von Both (1906-1938), 1.4.1937 bis 4.2:1938 zweiter Adjutant des Oberbefehlshabers des Heeres. Am 1.4.1924 in das Reiter-Regiment 14 in Ludwigs- lust/Mecklenburg eingetreten. Verunglückte am 7.8.1938 durch Sturz mit dem Pferde beim Rennen auf dem Boxberg bei Gotha tödlich; vgl. zu Boths Tode: Schreiben Fritschs an Mackensen vom 8.8.1938, in: BA-MA, Nachlaß Mackensen Ν 39/79, fol. 8rv und Brief an Frau von Schutzbar-Milchling vom 13.8.1938: »Ich hätte mir keinen besseren Sohn wünschen können.« In: BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/10, fol. 54v-55v. 23® Das Heeres-Verordnungsblatt (Berlin), 18 (1936), Blatt 13 (18.04.) und Blatt 14 (29.04.), weist dieses Telegramm nicht nach, in: BA-MA, RHD 1. 239 Vgl. Brief Fritschs an Margot von Schutzbar-Milchling vom 22.11.1938: »Ich komme im- mer noch nicht darüber hinweg, daß der Mann, für den ich auch persönlich 4 Jahre ge- arbeitet habe, und gerade dieser Mann mich verraten und im Stich gelassen hat.« In: BA- MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/30, fol. 52r (Kopie); vgl. auch Brief Fritschs an dieselbe Emp- 508 MGM 56 (1997) Horst Mühleisen

9. Eigenhändige Aufzeichnung des Generaloberst a.D. von Fritsch. [Berlin-Zeh- lendorf], 9. April 1939. Reinschrift. Geschrieben mit Bleistift auf kariertem Papier. BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/20, fol. 50 r-52r.

Ende März oder Anfang April 36 fragte ich den Führer, ob er nicht der Armee die Ehre erweisen wolle und sich zum Chef des Infanterie-Regiments240 9 in Potsdam machen241. Der Führer stimmte zu, I.R. 9 sollte hierzu zum 20. April nach Berlin kommen. Kurz vor dem 20.4. stürzte ich in Achterberg mit dem Pferd so, daß ich am 20.4. nicht in Berlin sein konnte. Am 19.4. teilte Hoßbach fernmündlich mit, daß der Führer seine Zusage, Chef vom I.R. 9 zu werden, zurückgezogen habe. Im Frühjahr 36 legte Himmler dem Führer das Aktenstück vor, nach dem der Erpresser mich erpreßt haben wollte. Vielleicht hat daraufhin der Führer seine Zu- sage, Chef zu werden, zurückgezogen. Seine spätere Erklärung, die Partei würde es nicht verstehen, wenn er Chef eines Regiments242 würde, war nicht recht glaub- würdig, wenigstens allein nicht recht stichhaltig. Möglich ist auch folgendes. Himmler erfährt, daß der Führer Chef des I.R. 9 werden will. Er fürchtet, daß der Einfluß des Heeres dann immer stärker werden könnte. Dies will er hinter- treiben. Als er von der Angelegenheit des Rittm[eisters] a.D. von Frisch erfährt, fälscht er sie auf mich um und beeinflußt den Erpresser zu entsprechender Aussage. Eine solche Handlungsweise wäre dem Schuft Himmler durchaus zuzutrauen.

F 9./4.39

fängerin vom 13.4.1939: »Daß ich im übrigen das, was Herr Hitler mir angetan hat, nicht überwunden habe u. nie überwinden werde, ist selbstverständlich, wird diesen Herrn aber vollständig kalt lassen.« In: BA-MA, Nachlaß Fritsch Ν 33/20, fol. 77r (Kopie). 240 Vorlage: »Inf. Rgts«. * 241 Vgl. Wolfgang Paul, Das Potsdamer Infanterie-Regiment 9. 1918-1945. Preußische Tra- dition in Krieg und Frieden. Textband, Osnabrück 1983, S. 103 (mit irrtümlichen Anga- ben: so führte Fritsch kein Tagebuch). Vorausgegangen war die Volksabstimmung am 29.3.1936 im Reich, mit der Hitler nach dem Einmarsch in die entmilitarisierte Zone links des Rheins seine Politik bestätigen ließ. 242 Vorlage: »Rgts.«.