Geleitwort

Wer das Wort WALDHOF hört, denkt an Abgeschiedenheit, In Wohnungen auf dem WALDHOF sind Familien aus Ruhe und Idylle. Auf den ersten Blick trifft das auch auf und Umgebung gezogen. So wird eine Normali- den WALDHOF der Stephanus-Stiftung in Templin zu: Am sierung der Lebensumstände behinderter Menschen immer Rande der Stadt gelegen, strahlt er Ruhe und auch ein mehr zur Wirklichkeit und bleibt keine Vision. wenig Idylle aus. Aber das Wesentliche dieser Einrichtung Hervorzuheben ist, dass die Mitarbeiterschaft neben der beschreiben diese Eindrücke nicht. Der WALDHOF ist ein Anforderung der Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben, Ort des Dienstes am Nächsten und der gemeinsamen nach neuen Wegen der Integration sucht und der Arbeit, der Lebendigkeit und der Gemeinschaft. Einbindung in das Leben der Gesellschaft ein besonderer Jeder Mensch, unabhängig von den individuellen Stellenwert gegeben wird. Fähigkeiten und Grenzen, ist eine von Gott geliebte Person. Das jüngste Beispiel ist die WALDHOFSCHULE - Eine Schule Mit dieser Gewissheit wird hier gelebt, was eigentlich für alle -, die sich aus der Förderschule für geistig Behin- überall selbstverständlich sein sollte: Das Miteinander von derte zu einer Integrationsgrundschule entwickelt hat, Menschen, die sich so annehmen können, wie sie sind. in der das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Förderbedarf eine von allen akzeptierte Selbstver- Schon lange ist der WALDHOF kein abgeschlossenes ständlichkeit ist. Mit Projekten wie diesem stellen sich die Refugium sozial-diakonischer Arbeit mehr. Die Begegnung Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Problemen und und das Miteinander wirken in die Stadt und den Land- Anforderungen der heutigen Zeit und leisten damit kreis hinein und leisten in dieser Region einen unschätzba- einen Beitrag zur Entwicklung unserer Gesellschaft. ren Beitrag zu Akzeptanz und Teilhabe am Leben von Deutlich wird dabei immer, dass alle Arbeit kein Selbst- Menschen mit Behinderungen. zweck ist, sondern Dienst am Nächsten - als Ausdruck der Liebe Gottes zu uns Menschen. In den vergangenen 150 Jahren haben die im WALDHOF wohnenden und arbeitenden Menschen so manche Verän- derung erfahren, ertragen und auch mitgestalten können. Die alten Gebäude stehen noch, aber das Leben und Arbeiten in ihnen ist nicht mehr mit der Vergangenheit ver- gleichbar. Neue Häuser sind gebaut worden. Torsten Silberbach Die großen Schlafsäle gibt es schon lange nicht mehr. Direktor der Stephanus-Stiftung Die Bewohnerinnen und Bewohner leben überwiegend in Einzelzimmern. Sie haben mehr denn je die Möglichkeit, ihr Leben nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Frauen und Männer mit Behinderung sind vom WALDHOF in die Stadt gezogen, wohnen dort in einer Außenwohngruppe oder in Wohngemeinschaften. Weitere Auszüge sind geplant.

2 Grußwort

Mit herzlichen Segenswünschen begleite ich das 150-jährige Es ist einer der größten Aktivposten der Kirche, dass die Bestehen des WALDHOFES in Templin, das sich im Januar die- Chance gegeben war, unsere Diakonie so auszubauen, wie es ses Jahres jährte und nun mit einer Festwoche zur Sommer- in den letzten Jahrzehnten gelungen ist. Aber in unserem zeit begangen wird. Die Losung der Herrnhuter Brüderge- helfenden Handeln muss auch deutlich zum Leuchten meine, die über dem Gründungstag am 25. Januar 1854 kommen, dass es sich dabei um eine Ausdrucksform des stand, lautete: „Wer des Dürftigen spottet, der höhnt dessel- Glaubens und nicht nur um einen Beitrag zum Sozialstaat ben Schöpfer; und wer sich über eines anderen Unglück handelt. Im christlichen Menschenbild geht es um viel mehr erfreut, wird nicht ungestraft bleiben.“ (Sprüche 17,5). als nur um moralische Ansprüche an den Menschen. Über 150 Jahre ist der jetzt zur Stephanus-Stiftung gehören- Es geht weit grundlegender um eine elementare Anerken- de WALDHOF in Templin diesem Bibelwort verbunden ge- nung des Menschen. Im christlichen Verständnis ist die blieben. Als Knabenrettungshaus wurde er in der Mitte des Würde des Menschen gerade deshalb unantastbar, weil sie 19. Jahrhunderts gegründet, um verwahrloste Stadtjungen nicht in den Leistungen oder der Leistungsfähigkeit des aufzunehmen. Heute werden etwa 500 Menschen stationär Menschen, sondern in der Beziehung Gottes zu jedem oder ambulant sowie in Tageseinrichtungen betreut und einzelnen Menschen begründet ist. Wir meinen in der begleitet. Ein Wohnstättenverbund mit differenzierten pflegenden, helfenden und bildenden Zuwendung den Angeboten für Menschen mit geistiger und mehrfacher Menschen selbst, nicht seine Leistungen. Denn der Mensch Behinderung, eine Behindertenwerkstatt, eine integrative ist mehr, als er selbst aus sich macht - das ist der Kern der Grundschule, eine Integrationskindertagesstätte sowie eine Botschaft von der unverdienten Annahme und unverlier- Frühförder- und Beratungsstelle im ambulanten Dienst für baren Anerkennung des Menschen durch Gottes Gnade. Vorschulkinder mit Entwicklungsverzögerungen zeigen die Der WALDHOF in Templin ist ein überzeugendes Beispiel vielfältigen Lehr- und Betreuungsangebote des WALDHOFES. dafür. Möge das biblische Leitwort des Gründungstags Der WALDHOF ist zudem eine Einrichtung der Stephanus- „Wer des Dürftigen spottet, der höhnt desselben Schöpfer; Stiftung, die Menschen mit und ohne Behinderung auf und wer sich über eines anderen Unglück erfreut, einem Areal integriert. Mit dem in Deutschland einmaligen wird nicht ungestraft bleiben.“ auch in den nächsten Jahren Konzept der integrativen WALDHOFSCHULE - Eine Schule für und Jahrzehnten die Arbeit auf dem WALDHOF bestimmen alle - wird das Bemühen um Integration von Behinderten und möge Gott seinen Segen für diese Arbeit geben. und Kommunikation zu Nichtbehinderten deutlich Es grüßt Sie herzlich gemacht. Als einer der größten Standorte diakonischer Ihr Arbeit im Landkreis Uckermark ist der WALDHOF zudem ein wichtiger Arbeitgeber in der Region. Neugierig auf die Kirche sind Menschen in unserer Gesell- schaft oft in allererster Linie, weil sie neugierig sind auf einen helfenden Glauben, weil sie Zutrauen haben zu einer Bischof Dr. Wolfgang Huber helfenden Kirche. Evangelische Kirche --schlesische Oberlausitz

3 Grußwort

Liebe Bewohnerinnen und Bewohner, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des WALDHOFES, liebe Festgäste,

auf das 150-jährige Bestehen des WALDHOFES in Templin Diese Idee findet Anklang. Steigende Schülerzahlen können Sie sehr stolz sein. Ich freue mich darauf, mit belegen, dass mehr und mehr Eltern von diesem Konzept Ihnen gemeinsam zu feiern und habe sehr gern die überzeugt sind. Gemeinsames Lernen von Kindern mit Schirmherrschaft über das internationale Sportfest über- und ohne Förderbedarf ist wichtig. Sie lernen mit- und nommen. voneinander. So stellt sich auf selbstverständliche Art und Weise die Achtung vor der Persönlichkeit und den Mög- Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die sozialen lichkeiten ein, die in jedem von uns vorhanden sind. Fragen und die allgemeine Bildung, ohne Ansehen von Diese Anlagen zur Entfaltung zu bringen, dient dem Wohl Geschlecht oder Status, drängende Probleme. Mehr der einzelnen ebenso wie den Entwicklungsperspektiven Chancengleichheit und bessere Unterstützung gerade für der Gesellschaft. diejenigen, die aufgrund von Lernschwierigkeiten am Rand der Gesellschaft standen, war auch Ziel der diakonischen Gut, dass es Sie gibt! Ich gratuliere Ihnen herzlich zum Bewegung. 150-jährigen Bestehen und wünsche Ihnen viele weitere erfolgreiche Jahre. Mit der Idee des WALDHOFES betraten engagierte Mitglieder der Kirchengemeinde vor 150 Jahren erfolgreich Neuland. Und noch immer sind Sie für die Benachteiligten da, heute unter anderem mit einem richtungsweisenden integrativen Schulkonzept, das Kindertagesstätte und Matthias Platzeck Grundschule umfasst. Ziel ist es, den Weg der Schüler bis Ministerpräsident des Landes Brandenburg zur Berufsausbildung zu begleiten.

4 Grußwort

Liebe Bewohnerinnen und Bewohner, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, verehrte Freunde des WALDHOFES, im Namen der gesamten Bürgerschaft der Stadt Templin die immer wieder nach neuesten Erkenntnissen saniert und gratuliere ich dem WALDHOF ganz herzlich zum umgebaut werden. Die heimischen Baubetriebe freuen sich 150-jährigen Bestehen. Mit dieser Gratulation verbinde ich über diese Maßnahmen, die ihnen Beschäftigung bringen. die besten Wünsche für eine weitere gute Entwicklung Der WALDHOF ist nicht nur selbst einer der größten dieser nun weit über die Grenzen unserer Region Arbeitgeber unserer Stadt. Er beschäftigt viele andere wirkenden diakonischen Einrichtung für Menschen mit Dienstleister und ist somit ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Behinderungen. Aber auch aus unserem gesellschaftlichen Leben ist der Mitte des 19. Jahrhunderts begann in Templin die durch WALDHOF nicht mehr wegzudenken. Er wirbt für eine die damaligen Stadtväter initiierte Entwicklung zu einer behindertenfreundliche Kur- und Bäderstadt Templin; Erziehungs- und Bildungsstadt. Der „Verein zur Erziehung seine Jahresfeste sind fester Bestandteil im Veranstal- sittlich verwahrloster Kinder“ war mit der Eröffnung des tungskalender der Bevölkerung. Rettungshauses Templin am 25. Januar 1854 sicherlich ein Die Behindertensportler des WALDHOFES haben feste Vorreiter dieser Entwicklung. Freundschaften in mehreren Ländern Europas und mit Aber auch jetzt - nach 150 Jahren - ist der WALDHOF ihren sportlichen Aktivitäten sind sie hervorragende wieder Vorreiter mit der WALDHOFSCHULE, der „Inte- Botschafter unseres Heilbades. Für die Chronik der Stadt grativen Grundschule - Eine Schule für alle“. hat der WALDHOF ein besonderes Kapitel geschrieben. Aus der bisherigen Förderschule für geistig Behinderte Es zeichnet Templin in besonderer Weise als einen Ort aus, wurde eine staatlich genehmigte Ersatzschule, in der nun in dem auch benachteiligten Menschen Erziehung, breite Schüler aller Bildungsgänge gemeinsam leben und lernen. Bildung sowie gute Wohn- und Lebensbedingungen gebo- Eine von der Stadt Templin übernommene Integrations- ten werden. Ich danke dem WALDHOF im Namen der Stadt Kindertagesstätte erweitert das große Beachtung findende und natürlich auch ganz persönlich für alle geleistete Ar- integrative Erziehungs- und Bildungsangebot. beit und für das gute Miteinander im Interesse der ihm In der Anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen anvertrauten Menschen sowie im Interesse von Templin. werden in unterschiedlichen Arbeitstrainingsbereichen über 200 behinderte Menschen beschäftigt und gefördert. Die dort angebotenen Dienstleistungen helfen nicht nur größeren Betrieben in der Region. Sie werden auch von der heimischen Bevölkerung gern genutzt. Beste Wohn- und Betreuungsangebote für behinderte Menschen aus dem ge- Ulrich Schoeneich samten Landkreis bieten die Wohnstätten des WALDHOFES, Bürgermeister der Stadt Templin

5 Grußwort

Der WALDHOF ist älter als die Stephanus-Stiftung. dieser Arbeitszweig später aufgegeben werden musste. Er hat seine eigene Geschichte. Seine Gründung verdankt er Ich nahm an Weiterbildungskursen teil und war später mit dem sozialen Engagement von Frauen und Männern der verantwortlich für deren Planung und Durchführung. Stadt Templin und der örtlichen Kirchengemeinde. Vikare und andere junge Leute kamen zu Lehrgängen, Der bekannteste Direktor in der Geschichte des WALDHOFES Pfarrfrauen und Älteste zu Tagungen. So wurde der war Pastor Heinrich Grüber. Bereits 1933, er war erst wenige WALDHOF zu einem Begriff für viele kirchliche Mitarbeite- Jahre in Templin, sorgten die Nationalsozialisten dafür, rinnen und Mitarbeiter aus der gesamten Landeskirche. dass er das Leitungsamt aufgeben und sogar zeitweilig untertauchen musste, um sich vor Verfolgung zu schützen. Die Nähe zu diakonischer Arbeit war bedeutsam für die Erst 1934 bekam er eine Pfarrstelle in Berlin-Kaulsdorf. theologische Fortbildung. Dass die Pastoren auf dem Weg Bekannt wurde er durch seine Hilfe für Juden. Er wurde vom Quartier zum Seminarraum Behinderten begegneten, verhaftet und kam in die Konzentrationslager Sachsen- beeinflusste ihr Nachdenken und ihr Gebet. Die Räumlich- hausen und Dachau. Nach dem Krieg war er Beauftragter keiten waren selbst für damalige Maßstäbe nicht sehr kom- der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Regierung fortabel. Doch von 1960 bis 1990 war das Pastoralkolleg der DDR. unter Leitung von Pfarrer Horst Kasner ein Ort, von Mehr als einhundert Jahre bot der WALDHOF verhaltensauf- dem viele Ermutigungen und Anregungen ausgegangen fälligen Jungen Wohnung, Schule und Berufsausbildung. sind. In guter Erinnerung ist mir auch ein Wochenendtref- 1958 kam diese Arbeit zum Erliegen, weil die DDR nicht fen umweltbewusster Gruppen unter maßgeblicher duldete, dass kirchlich-diakonische Einrichtungen Erzie- Beteiligung des heutigen Brandenburger Ministerprä- hungsaufgaben wahrnahmen. Nun zogen geistig und sidenten Matthias Platzeck. mehrfach behinderte Menschen in die vorhandenen Seit 1990 konnten verschiedene Gebäude errichtet, die Räume ein. Um Enteignungspläne zu erschweren, hielt es Arbeits- und Lebensbedingungen wesentlich verbessert die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg für ange- werden. Die kirchliche Weiterbildung ist längst ausgezogen. bracht, auf dem Gelände des WALDHOFES mit einer eigenen Seit dem vorigen Jahr macht ein neues Projekt „Eine Einrichtung präsent zu sein. So kamen die kirchlichen Schule für alle“ deutschlandweit von sich reden. Lehrgänge und vor allem das Pastoralkolleg, das für die Unter den zur Stephanus-Stiftung gehörenden Einrichtun- theologische Weiterbildung zuständig war, nach Templin. gen nimmt der WALDHOF in Templin durch Alter und Unmittelbar nach diesen Veränderungen lernte ich den Geschichte eine herausragende Stellung ein. Es spricht viel WALDHOF kennen. Als Pfarrer im Kirchenkreis Templin dafür, dass er weiterhin weit über Templin hinaus von kam ich zu verschiedenen Anlässen dorthin. Ich sah die Bedeutung sein wird. Säle, in denen Schwerstbehinderte in ihren Betten lagen und begegnete Männern, die in der Landwirtschaft arbeiteten. Ich hatte den Eindruck, dass das für sie eine Generalsuperintendent i. R. Leopold Esselbach sehr befriedigende Tätigkeit war und bedauere, dass Vorsitzender des Kuratoriums der Stephanus-Stiftung

6 Historie Beständig im Wandel

Seit dem 1. Januar 1973 ist der deutlich zu erkennen. Auch der Bündelung von Kräften und eine WALDHOF in Templin in der WALDHOF in Templin ist so entstan- Koordinierung von Aufgaben Trägerschaft der Stephanus-Stiftung. den. Die Arbeit in den Rettungshäu- erforderlich wurden. Aus dem "Bran- Davor gehörte er wie viele andere sern wurde durch Johann Hinrich denburger Rettungshaus-Verband" Einrichtungen im Land Brandenburg Wichern, der 1833 das Rauhe Haus entstand der "Kirchliche Fürsorge-, zum "Kirchlichen Erziehungsverband in gründete, maßgeblich Erziehungs- und Rettungshausver- Berlin-Brandenburg" (KEV). beeinflusst. Mit seinem neuen päda- band" mit einer veränderten Satzung. Im 19. Jahrhundert kam es infolge gogischen Konzept wurde in den Er arbeitete als Dachverband und von Krieg und Industrialisierung zu meisten Häusern gearbeitet. übernahm dann später auch selbst katastrophalen sozialen Verhältnissen, Familienprinzip, Arbeitserziehung Einrichtungen. die meistens der Auslöser für Armut, und christliche Zielsetzung für das Anfang der 30er Jahre erfolgte noch- Kriminalität und Alkoholmissbrauch Leben waren die inhaltlichen Vor- mals eine Umbenennung in "Kirch- waren. Besonders Kinder und Jugend- gaben dieser Arbeitsfelder. licher Erziehungsverband der Provinz liche hatten unter diesen Verhältnissen Brandenburg-Berlin" (KEV). zu leiden. Der Initiative frommer und Politische und soziale Veränderungen durch den Glauben geprägter brachten Ende des 19. Jahrhunderts Durch die verheerenden Folgen des Menschen, kirchlicher Kreise und die meisten Rettungshäuser, die unab- 2. Weltkrieges wurden die sozialen Gruppierungen ist es zu danken, dass hängig und selbstständig arbeiteten, Aufgaben vielfältiger. Auch die Ein- Rettungshäuser gegründet wurden. in wirtschaftliche Schwierigkeiten. richtungen des KEV mühten sich um Hier sollte den Kindern und Jugend- Um dieser Entwicklung entgegen- Linderung der Not für Menschen, lichen gegeben werden, was sie in zuwirken und die Arbeit auf eine die durch Verlust von Familie und ihrem bisherigen Leben entbehren gemeinsame Basis zu stellen, gründete Heimat, durch Ausgebombtsein oder mussten: Zuwendung, Erziehung und sich 1894 auf Initiative des Central- durch Flüchtlingsschicksale gekenn- Bildung. Die meisten dieser Häuser ausschusses der Inneren Mission der zeichnet waren. waren in ein kirchliches Umfeld einge- "Brandenburger Rettungshaus-Ver- Eine schwierige Situation entstand für bunden. Es war damals üblich, diese band", in dem die meisten Branden- die Arbeit des KEV, der seinen Sitz in Arbeit an den Rand von Großstädten burger Rettungshäuser Mitglied Westberlin hatte, durch die verschie- oder in abgelegene Gegenden der Pro- wurden. denen Besatzungszonen und dann vinz zu etablieren. Noch heute ist dies Die Einführung des Fürsorge- und durch die Gründung der DDR am an der regionalen Lage einiger Ein- Erziehungsgesetzes vom 1. April 1901 7. Oktober 1949. Bereits im Dezember richtungen im Land Brandenburg führte dazu, dass eine erneute 1949 wurde in Berlin-Pankow im

7 Historie

"Haus Siloah" in der Grabbeallee eine genswerten vom 17.07.1952, Gesetzblatt 1961 wurde dann eine Übertragung Ostberliner Zweigstelle des Verbandes der DDR Nr. 100 Ausgabe 26.07.1952, als Sondervermögen auf die Evangeli- eingerichtet. Seite 165. Das hieß, dass Vermögen sche Kirche Berlin-Brandenburg juristischer Personen Westberlins und versucht, aber die staatlichen Stellen 1950 änderte der Verband seinen Westdeutschlands in der sowjetisch be- verweigerten wiederum die Zustim- Namen und hieß nun "Kirchlicher setzten Zone in den Schutz und die mung. Erziehungsverband Berlin-Branden- vorläufige Verwaltung der DDR Mit dem Bau der Mauer am 13. Au- burg e.V.". Aufgrund der politischen übernommen wurde.) gust 1961 und der totalen Abgrenzung und wirtschaftlichen Situation ent- Um dieser Handlungsunfähigkeit zu war eine praktisch absolute Hand- schloss sich der Verband 1952 dem entgehen und um Rechtssicherheit zu lungsunfähigkeit entstanden. Verant- Ostberliner Büro den Status einer schaffen, bemühten sich die Träger- wortliche mit Wohnsitz in Westberlin eigenständigen Geschäftsstelle-Ost mit verantwortlichen, eine Übertragung oder der Bundesrepublik Deutschland einem eigenen Statut und Vorstand zu ihrer Einrichtungen, Liegenschaften waren in keiner Weise in der Lage, geben. Dieser Vorstand wurde seitens und Gebäude rechtsgültig zu regeln. Verantwortlichkeiten auf dem Gebiet der DDR nicht anerkannt und hatte Die Kirche in Berlin-Brandenburg mit der DDR wahrzunehmen. So ent- damit keine rechtliche Handlungs- Sitz in Ostberlin in der Neuen Grün- schloss sich der KEV-West erneut fähigkeit. Der Sitz des KEV wurde im straße 19 war grundsätzlich zur zu einer Satzungsänderung und Neu- Oktober 1958 in die Sophienstraße 3 Übernahme bereit. fassung in der Mitgliederversammlung und im Januar 1965 in die Schönhau- Mit Kirchenleitungsbeschluss vom vom 6. Mai 1965. Gleichzeitig wurde ser Allee 141, die Geschäftsstelle des 2. April 1959 und Satzung vom der Name geändert in "Evangelisches Diakonischen Werkes Berlin-Branden- 19. Februar 1959 wurde für die Jugend- und Fürsorgewerk e.V." Von burg, verlegt. Die rechtliche Schwierig- Geschäftsstelle Ost das "Evangelische da ab beschränkte das EJF e.V. seine keit bestand für den Verband-Ost, der Jugend- und Fürsorgewerk der Evan- Aktivitäten auf Westberlin. Es kam für alle Einrichtungen in Ostberlin gelischen Kirche in Berlin-Branden- dort zu Neugründungen und fundier- und im Land Brandenburg verant- burg" gegründet, welches die Heime ten neuen Arbeitszweigen. Unter wortlich war, dass seitens des Grund- und das Vermögen des KEV mit des- anderem entstand das bedeutsame eigentümers KEV, der seinen Sitz in sen Zustimmung übernahm. Die Diakoniezentrum Heiligensee. Westberlin hatte, kein Einfluss mehr staatliche Rechtsfähigkeit war jedoch genommen werden konnte und auch auch hierfür nicht zu erreichen, so Durch die endgültige Abtrennung nicht mehr genommen werden durfte. dass es weiterhin seine Arbeit als nicht begannen aber die Probleme in den (Verordnung zur Sicherung von Vermö- rechtsfähiges Werk tun musste. alten Einrichtungen des ehemaligen

8 Historie

Landes Brandenburg größer zu wer- Vorstand des "Ev. Jugend- und Fürsor- Stiftung war, hat die gesamte Angele- verändert werden, was zu DDR-Zeiten den. Die Zuständigkeit lag nicht bei gewerkes der Ev. Kirche in Berlin- genheit mit Geduld, politischem Ge- so nicht möglich war. Dabei denke ich einer Landesregierung, sondern in den Brandenburg" am 8. Februar 1972, die schick und kirchlichem Einfühlungs- unter anderem an die Schaffung besse- mit der Verwaltungsreform der DDR Arbeitsfelder, Grundstücke und Ver- vermögen initiiert, begleitet und rer Wohnbedingungen, an den Bau ei- 1952 neu gegründeten Bezirken. Die mögen auf die Stephanus-Stiftung zu verantwortet. nes neuen Hauses für Menschen mit Einrichtungen des EJF gehörten nun übertragen. Federlein arbeitete schon lange Zeit schwerstmehrfachen Behinderungen, zu den Bezirken Potsdam, Frank- Die Kirchenleitung Berlin-Branden- sowohl im Provinzialausschuss der an die Eröffnung einer Förderschule furt/Oder und Neubrandenburg. burg/DDR bestätigte am 30. Mai 1972 Inneren Mission im Land Branden- und deren Umwandlung in eine inte- Wegen mangelnder Rechtssicherheit diesen Beschluss, der der Stephanus- burg als auch im Vorstand des KEV grative Grundschule, an den Neubau und ungeklärter wirtschaftlicher Ver- Stiftung mitgeteilt wurde. Das beziehungsweise des späteren einer Werkstatt für behinderte Men- hältnisse begann auch eine Verwahr- "Ev. Jugend- und Fürsorgewerk e.V." EJF (Ost) in Berlin. schen und an die Wohnmöglichkeiten losung der Häuser einzusetzen, die hatte inzwischen einen Bevollmächtig- Mit der gewonnenen Handlungsfähig- von Bewohnerinnen und Bewohnern von den dort tätigen Mitarbeitenden ten beauftragt, das Vermögen ein- keit wurde nun in den Einrichtungen des WALDHOFES in der Stadt Templin. nur mit großer Geduld und Mühe schließlich Grundbesitz zu übertragen. begonnen, die Lebens- und Arbeits- Darüber hinaus ist der WALDHOF ein abgewendet werden konnte. Dies geschah am 18. Dezember 1972. bedingungen zu verbessern. Bauliche verlässlicher Arbeitgeber. Damit gingen folgende Einrichtungen Aktivitäten, die zu DDR-Zeiten Es wurde erforderlich, eine Situation in die Trägerschaft der Stephanus- äußerst schwierig waren, bestimmten Das Miteinander von Menschen mit zu schaffen, in der für den Betrieb Stiftung: in den folgenden Jahren das Bild. und ohne Behinderung, das von dieser Einrichtungen formelle der WALDHOF in Templin, Sie brachten auch für den WALDHOF Offenheit und Selbstverständnis ge- Rechtssicherheit auf dem Gebiet der das WALDHAUS in Bad Freienwalde, eine große Entlastung der völlig prägt ist, leistet in dieser Region einen DDR bestand. das HAUS SONNENBLICK in Biesenthal, unzumutbaren Verhältnisse. wichtigen Beitrag diakonischer Arbeit. Inzwischen war von der DDR eine das HAUS AM SEE in Brüssow, Erinnert sei an den Schlafsaal mit 50 "Verordnung über die Gründung und das HAUS WALDSEE in Grünheide, Betten im heutigen Wirtschaftsgebäu- Tätigkeit von Vereinigungen" verkün- das Haus IM SONNENWINKEL in de, der selbst in jener Zeit ein uner- Pastor Werner Braune det worden, welche das Betreiben Hassleben, trägliches Beispiel für die Entwürdi- Direktor der Stephanus-Stiftung westlicher Einrichtungen ausschloss. HEILBRUNN in Wusterhausen/Brunn, gung blieb, die Menschen durch von 1979-2001 Das Staatssekretariat für Kirchenfra- das MARIENHAUS in Rüderdorf unzureichende Verhältnisse erfahren gen sagte der Kirchenleitung zu, die und das HAUS IM WIND in Marwitz. mussten. Erst mit dem Bau der Ziet- Übertragung derartiger Einrichtungen low-Häuser Ende 1977 wurde er auf- auf bestehende kirchliche Rechtsträger Kirchenrat Willi Federlein, der zu gelöst. In den Jahren nach der Wende zu unterstützen. Deshalb beschloss der dieser Zeit Direktor der Stephanus- konnte auf dem WALDHOF vieles

9 Geschichte

Stichpunkte zur Geschichte des WALDHOFES

1852 1945 Gründung des „Vereins zur Landwirtschaft und Gärtnerei. Sie Superintendent Buchholz wird bei der Erziehung sittlich verwahrloster wird als pädagogisch mustergültig Besetzung durch die Rote Armee auf Knaben“ in Templin, Vorsitzender ist bewertet, als Pastor Heinrich Grüber dem WALDHOF von Soldaten Superintendent Ideler. Am 25. Januar 1927 die Leitung übernimmt. erschlagen, weil er sich schützend vor Knabenrettungshaus, 1854 (später „Kirsteinhaus“) 1854 ziehen die ersten zwei Jungen in Flüchtlings-Frauen stellte. Die russi- das spätere Kirsteinhaus, geleitet von sche Kommandantur setzt ein Mit- Diakon Siemann (bis 1886). 1933 glied der KPD, Herrn Daniels, als Grüber muss Templin verlassen. Er Leiter ein. Wiedereröffnung der verhilft in Berlin vielen Juden und WALDHOF-Schule, die auch von 1888 anderen Verfolgten zur Ausreise aus Kindern aus der Stadt besucht wird. übernimmt Diakon Deutschland. Sein Nachfolger Busch- Gustav Zietlow die Leitung. mann soll aus dem WALDHOF eine Das Haus wird zu klein, der Verein nationalsozialistische Mustererzie- kauft das heutige WALDHOF-Gelände. hungsanstalt machen. Zietlow erwirbt sich große Verdienste Viele Jungen werden sterilisiert, weil beim Aufbau. Neben Wohnhäusern sie nicht ins propagierte arische Bild entstehen Landwirtschaft, Gärtnerei passen. Superintendent Buchholz aber und Heimschule. Die Jungen können sorgt beherzt dafür, dass Buschmann Berufe wie Schuhmacher, Schneider, den WALDHOF verlassen muss. Tischler, Schlosser, Besenbinder oder Korbflechter lernen. Waldhof 1891

1913 Erhebliche Aufforstungen und Obst- baumanpflanzungen führten zur Be- zeichnung WALDHOF, sie gilt ab jetzt offiziell. Die Inflationszeit Diakon Gustav Zietlow überlebt die Einrichtung dank eigener Geschichte

1958 1984 bis 1988 Ab 1990 Die Schule wird durch staatliche Stel- Drei neue Gebäude für Schwerstmehr- Gründung einer Werkstatt für behin- len zwangsweise geschlossen, fachbehinderte entstehen mit west- derte Menschen und einer Förder- STEPHANUS-WERKSTATT TEMPLIN WALDHOF die letzten WALDHOF-Bewohner licher Hilfe und gelten als Vorzeige- schule für geistig Behinderte. kommen in Jugendwerkhöfe. objekte im damaligen Bezirk Neu- Abschaffung der großen Wohngrup- Diakon Rau versucht Bedingungen brandenburg. pen mit 42 - 52 Personen. für die Betreuung von Behinderten Die ersten Mitarbeiter werden berufs- Die gesamte Infrastruktur der zu schaffen. Pastor Kasner baut eine begleitend zu Heilerziehungspflegern Einrichtung wird von Grund auf Schule für kirchlichen Verwaltungs- ausgebildet, ein in der Diakonie ge- erneuert, Wohngruppen werden in dienst auf, später entsteht daraus das schaffener neuer Fachberuf. die Stadt ausgelagert.

Pastoralkolleg. WALDHOFSCHULE

1971 bis 1981 1989 Der WALDHOF wird an die Diakon Reifenstein übernimmt die „Haus Sonnenschein“, „Heinrich-Grüber-Haus“ Stephanus-Stiftung angegliedert. Leitung. Die Arbeitstherapie wird „Haus Abendrot“ und „Haus Regenbogen“ Der Bau von drei größeren Häusern durch Schaffung verschiedener für die Bewohnerschaft beginnt mit Berufsbilder qualifiziert. Einige Unterstützung der Kirche sowie der Behinderte erlangen den Rehabilitan- Diakonie aus Westdeutschland und den-Status, andere schaffen die Teil- der Schweiz. Statt eines Bettensaales facharbeiterausbildung. mit über 50 Schlafstätten haben rund Das Trainingswohnen wird angefan- 130 Bewohner nun 3- bis 5-Bettzim- gen. Nach der politischen Wende mer. Gebaut werden auch ein Heiz- beginnt ein Umgestaltungsprozess mit haus und fünf Mitarbeiterhäuser. vielen neuen Möglichkeiten.

11 Wohnen Zurück zu den Wurzeln

Ein Blick in die Geschichte gibt nicht In geschützten Verhältnissen leben, dann ging’s zum Zeitungsaustragen ... immer nur Antworten, sondern wirft lernen und arbeiten - eine Familie da hat man dann gar kein Interesse manchmal auch Fragen auf. haben und auf das Leben als erwach- mehr für die Schule gehabt. Mit Abstand betrachtet, glauben wir sener Mensch vorbereitet werden, war Da warst du müde. ...

WALDHOF um 1900 heute manches besser zu wissen und Zielstellung. Diese Zielstellung wurde Ich habe manchmal noch Hunger ge- zu machen und werden uns morgen auch Grundlage für die Arbeit des habt. Dann bin ich betteln gegangen. selbst hinterfragen lassen müssen. WALDHOFES. Der Schulbesuch in Und wenn ich was gesehen habe, dann Templin und anschließende Lehraus- hab’ ich’s genommen. Als 1852 der Verein zur Erziehung sitt- bildung wurden schnell Bestandteil Der Hunger trieb’s rin!“ lich verwahrloster Knaben gegründet der Arbeit. (Paul Spann über sein Leben in Berlin, wurde, der Verein, der 1854 mit der Heimbewohner im WALDHOF ab Arbeit des heutigen WALDHOFES be- Der beständige Zustrom machte die 25. März 1919). gann, war an „Fürsorgezöglinge“ als Notwendigkeit für die Einrichtung Und wie treffend heißt es da in der Zielgruppe gedacht. Die Idee und das und Unterhaltung solcher Heime Festschrift von 1921: Konzept der Rettungshäuser standen deutlich. Eine Abnahme war auch „Sie haben eine ernste Kindheit hinter Pate. nach der Jahrhundertwende nicht sich, auf der manchmal wenig Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts erkennbar. Auf der Suche nach Arbeit Sonnenschein lag. Leibliche und „Erich-Gramm-Haus“ um 1930 waren die ersten Rettungshäuser und Wohnmöglichkeit in der Stadt seelische Not haben sie kennen (Weimar 1817, Düsseltal 1822, Rauhes war für Kinder nicht immer Zeit für gelernt.“ Haus Hamburg 1833) entstanden. Zuwendung und Geld für den Lebens- Die Einrichtung nahm ausschließlich Grundlage der Rettungsanstalten unterhalt vorhanden. So waren sie in Jungen auf und offensichtlich spielten sollte das Bild der Familie sein als den sozial schwächeren Bevölkerungs- militärische Orientierung und Grup- „der natürliche sittliche Kreis, in wel- schichten häufig einem Überlebens- pendruck in der Zeit nach dem chem das Gute in das menschliche kampf für sich und ihre Familie 1. Weltkrieg eine stärkere Rolle. Gemüt hineingelegt, in welchem es ausgesetzt und lernten nicht nur feine Individuelle Zuwendung, privater gepflegt und geschützt werden soll.“ Manieren. Bereich und Selbstbestimmung waren So plante Wichern für das Rauhe Haus „Wir haben Muttern unterstützen müs- wohl nicht nur wegen der Raumsitua- keine „Erziehungskaserne“ sondern sen. Wir mussten morgens Zeitung aus- tion fremde Begriffe. mehrere Einzelhäuser, in denen drei tragen gehen und nachmittags auch ... „Das waren ganz große Zimmer, bis vier „Kinderfamilien“ zusammen Wir sind um drei aufgestanden, da passten in jeden Raum zwanzig wohnen. um halb vier waren wir dann da - und Mann rein“. (Paul Spann)

12 Wohnen

„Wir mussten marschieren, das wurde „Ohne Gewaltmaßnahmen geht es, Unterricht und in den Wohngrup- uns beigebracht. ... Die Lehrer waren wie auch Bondy in seinem Gutachten pen.“ (Bilder von Fahnenappellen in nämlich alle Offiziere gewesen.“ zum Scheuener Prozess ausführt, der eigenen Schulzeit in den 60er Jah- (Paul Spann) nicht, erst recht nicht bei hemmungs- ren der DDR werden beim Verfasser losen und beschränkten Psycho- wach.) Die Befähigung zum Dienst an Und in der Festschrift wird verkündet: pathen, bei denen jegliche Hemmun- der „Volksgemeinschaft“ war Ziel Schuhmacherei „Durch Gruppenführer, Tisch- und gen des Intellektes und Gefühlslebens der pädagogischen Arbeit. Saalälteste versuchen die Jungen selbst fehlen und bei denen Hemmungen Der Zusammenbruch des national- sich an ihrer Erziehung zu beteiligen durch Erweckung körperlicher sozialistischen Regimes, Entnazifizie- und auf andere, die ,gegen den Strich Unlustgefühle geschaffen werden rung, weit verbreitete Zerstörung, wollen’ einzuwirken.“ müssen.“ (Tb.Nr.D. II 1216) mangelnde Versorgung und viel Unsi- Aber auch die Sonderstellung des cherheit prägten die folgenden Jahre. WALDHOF in Abgrenzung zur sonstigen Und 1935 heißt es: Bevölkerung ist erkennbar: „Bei den Anlässen, um derentwillen „Wir haben dort einen See gehabt; auch jeder vernünftige Vater zum wir mussten ca. zwei Kilometer laufen, Stock greifen würde, würde ein Ver- dann hat der Weg einen Bogen gemacht. zicht des Heimes auf dieses tatsächlich Und da war eine Extrastelle ausgesucht pädagogische Hilfsmittel eine Verar- Schneiderei für uns, für die Anstalt.“ (Paul Spann) mung in den erzieherischen Möglich- keiten bedeuten.“ (Akt.-Z. Arrest und körperliche Züchtigung ge- VII.k./III.F.242/30.9.) hörten zum Alltag der Einrichtung in den 20er Jahren und bis in die Seit dem 11. Juli 1938 wurde im 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. WALDHOF täglich die Fahne gehisst, Der Ruf als Prügelanstalt wird aus Bewohner und Mitarbeiter traten an, dem Schriftwechsel 1931 und 1935 ein Schüler sprach den Flaggenspruch. deutlich. Zwar wird begrüßt, dass Der Flaggenspruch und ein Tages- „alle Prügel-Pädagogik und alle Miss- kennwort (nicht aus den Losungsbü- handlungen durch die Ministerialver- chern der Herrnhuter Brüdergemein- fügung unterbunden ist...“, aber de) bildeten die Grundlage für gleichzeitig festgestellt: „nationalpolitische Schulung im Korbflechterei

13 Wohnen

Bis zum Neubau von Gebäuden zogen mehr oder weniger in die Anfang der 70er Jahre gab es z. B. Arbeit ein. einen Bettensaal für 50 Männer. Eine Hausordnung aus dem Jahr 1978 Bald wurden die gesellschaftlichen gewährt spannende Einblicke. So hieß Rahmenbedingungen für die wieder es in der Präambel : stärker kirchlich-diakonisch geprägte „Heimbewohner und Mitarbeiter leben Arbeit schwieriger. in einem partnerschaftlichen „Anfang 1958 übernahm Diakon Rau Verhältnis. Sie achten sich untereinan- die Leitung des WALDHOFES. Ihm der und gegenseitig.“ Offensichtlich wurde die schwere Aufgabe gestellt, die hatte ein neuer Geist (wieder) Einzug Bettensaal Jungen und Jugendlichen aus dem gehalten. Einige Festlegungen für den WALDHOF in die von der Volksbildung Tagesablauf - wie das Abschließen der eingerichteten Jugendwerkhöfe zu Haustür um 20.30 Uhr oder die überführen.“ Regelung zum Stadtausgang: (So steht es mutig in der Festschrift „Heimbewohner, die zur Stadt gehen, 1984.) melden sich beim Personal ab und er- Geistig behinderte Heimbewohner zo- halten einen Stadtausweis. Bis spätes- gen ein - Frauen und Männer - wohl tens 17.00 Uhr melden sie sich beim getrennt und in verschiedenen Personal zurück und geben ihren Stadt- Häusern. ausweis ab.“ sind heute nur schwer „Sie konnten im WALDHOF arbeits- vorstellbar. therapeutisch und wenn möglich, zur Förderung eingesetzt werden.“ Als pädagogisch legitimes Druckmittel (Festschrift 1984) wird beschrieben: „Verstößt ein Heimbewohner bewusst Bildung und Arbeit wurden Teile des gegen die Hausordnung, kann ihm der Wohnbereiches. Ein „Rahmenförder- Stadtausweis, das Taschengeld (3,00 plan für schulbildungsunfähige förder- M), die Tabakwaren oder die Süßigkei- fähige Kinder und Jugendliche“, ten für eine begrenzte Zeit - etwa „Schirmerfibel“ und "Westliteratur" vier Wochen - entzogen werden.“

14 Wohnen

Eine Mitarbeiterversammlung am Das „Westgeld“, das in der DDR auch Eingliederung in das aktuelle 15. Mai 1986 beschäftigte sich mit für Menschen mit Behinderung Bau- gesellschaftliche Umfeld ist Zielstel- dem Miteinander auf dem WALDHOF. wunder vollbringen konnte, wurde lung wie vor 150 Jahren. Der Vermerk dazu braucht einen allgemeines Zahlungsmittel und in Vergleich mit dem Leitbild der Stepha- Mengen gebraucht, um Baustandards Wolfgang Seyfried nus-Stiftung aus dem Jahr 2000 den neuen Normen anzupassen Pädagogischer Leiter des Wohnstätten- Grillvergnügen nicht zu scheuen und griff offensicht- und traditionelle Arbeitsbereiche verbundes des WALDHOFES lich die Präambel der Hausordnung (Bildung und Arbeit) wieder zu bele- von 1978 auf. Der Dienst für den ben und auf eine neue Qualität zu ganzen Menschen umfasste danach heben. die Verkündigung der guten Botschaft, die Seelsorge und den praktischen Die verzweifelte Suche nach bereitwil- Dienst. So sollten „vielfältiges Leben ligen (Christen-) Menschen, die Tag gestaltet, Gemeinschaft gepflegt, The- und Nacht und an allen Tagen des rapie, Pflege und pädagogische Arbeit Jahres für die Bewohnerinnen und Be- konsequent durchgeführt werden und wohner des WALDHOFES zu arbeiten unterschiedliche Möglichkeiten einer bereit waren, kehrte sich um – mehr sinnvollen Freizeitbeschäftigung ange- und mehr Bewerbungen konnten boten werden.“ nicht mehr angenommen werden. Ambulant Betreutes Einzelwohnen Jahresfest Mit der Forderung, „dass ein Raum im „Elisabeth Haus“, Kantstraße der Geborgenheit entsteht“ schließt Mit der Ausdifferenzierung sich auch ein Kreis zu den Anfängen des WALDHOFES in die Werkstatt für der Arbeit. behinderte Menschen, die Schule und die verschiedenen Wohnmöglichkeiten sind die Wurzeln der Arbeit wieder er- 1989. Und wieder einmal änderten kennbar. Einige Bewohnerinnen und sich die gesellschaftlichen Rahmen- Bewohner leben wieder mitten im bedingungen. Stadtzentrum, andere ehemalige Der Anschluss der DDR-Gebiete an konnten eigene Wohnungen beziehen die Rechtsordnung der BRD brachte und erhalten nur noch stundenweise neue Möglichkeiten und Risiken. sozialpädagogische Hilfestellung.

15 Lernen

150 Jahre WALDHOF Templin – 150 Jahre Förderpädagogik

149 Jahre nach dem Beginn der Arbeit Im Klassenverband mit 16 Schülerin- schuleigener Streichelzoo, Schulgarten des WALDHOFES wird das Lernen und nen und Schülern, davon bis zu acht und Sportplatz bieten ein breites Leben in der WALDHOFSCHULE Kindern mit sonderpädagogischem Spektrum an Gelegenheiten zum folgendermaßen beschrieben: Förderbedarf, arbeiten eine sonder- handlungsorientierten Unterricht Fachliche Kompetenz und vielfältige pädagogische Lehrkraft, eine sonder- und zur Freizeitgestaltung handlungsorientierte Unterrichtsange- pädagogische Fachkraft und eine (Information zur neuen Schule, bote prägen das Lehren und Lernen Grundschullehrerin zusammen. So Januar 2003). in der WALDHOFSCHULE. sind stets mindestens zwei Pädagogen Die Wurzeln dieses neuen Schulmo- in der Klasse. Die Teams zweier dells lassen sich bis in die Anfänge > In der integrativen Grundschule Parallelklassen arbeiten eng zusam- des WALDHOFES verfolgen. lernen und leben Schülerinnen und men und haben ein eigenes Lehrer- Zu seiner Geschichte gehört von Schüler aller Bildungsgänge der zimmer für Teamsitzungen und zur Beginn an die schulische Bildung der Grund- und Förderschule. Vorbereitung des Unterrichts. aufgenommenen Kinder. > Jede Schülerin und jeder Schüler Im Fachunterricht, weitgehend fächer- Der damalige Hausvater Gustav Ziet- bekommt einen individuellen Lern- übergreifend, projekt- und handlungs- low schreibt in seinem Bericht 1909: und Entwicklungsplan; dieser wird orientiert, werden die Kurse entspre- „In den ersten Jahren wurden regelmäßig weitergeschrieben und chend dem jeweiligen Lern- und die Zöglinge, deren Zahl sich zwischen mit den Eltern abgestimmt. Entwicklungsplan zusammengestellt. 6 und 10 bewegte, von dem Hausvater > Jeder Schüler lernt seine eigenen Dabei werden die Möglichkeiten selbst in der Anstaltsschule unterrich- Leistungen und Lernfortschritte ein- des von Computern und dem Internet tet, später besuchten sie die hiesige zuschätzen und dokumentiert sie in gestützten Fachunterrichts erprobt Kleinschule; diese Einrichtung hat einem Portfolio. und genutzt. bis zum Oktober 1888 gedauert.“ > Zum Schuljahresende wird beschei- Der Unterricht in der Ganztagsschule („Das Rettungshaus zu Templin nigt, welcher Leistungsstand nach findet von 8.00 - 15.00 Uhr statt; 1852 bis 1909“ von Hausvater welchem Rahmenlehrplan erreicht gemeinsame Essenszeiten, handlungs- Gustav Zietlow) wurde. orientierter Unterricht, Freizeit und 1891 wurde die Wichernschule auf Dies ist gleichzeitig die Grundlage konzentriertes Lernen wechseln sich dem WALDHOF eingerichtet. Interes- für den Lern- und Entwicklungsplan in einem altersgemäßen Rhythmus ab. sante Einblicke in pädagogische für das folgende Schuljahr. Nach 15.00 Uhr gibt es freiwillige Entwicklungen geben Berichte der > Sitzenbleiben ist nicht möglich. Angebote für die Freizeitgestaltung. Schulaufsicht: „Ich muss von neuem, Verkehrsgarten, Reiten, Wassersport, wie bereits im Bericht vom

16 Lernen

10. September 1920, als unerlässlich HOF zu Templin am 17. d. M. bestätig- Im Kriegsjahr 1939/40 entstand eine bezeichnen, dass ausser dem Lehrer te die von mir schon mehrfach berich- Seidenrauperei. Sie wurde von älteren Gerike ein im Hilfsschulunterricht tete Meinung, dass sich diese Anstalt Schülern für die Herstellung von Fall- erfahrener, verheirateter Lehrer im unter der tatkräftigen Leitung ihres schirmen betrieben. Gegen Ende des WALDHOF angestellt wird, der genü- sehr geschickten, begabten und Zweiten Weltkrieges wurde die WALD- gend unterrichtliches Geschick besitzt, rührigen Vorstehers, des Pastors Grü- HOFSCHULE beschlagnahmt und darin die Knaben zu fesseln und zu fördern ber, immer mehr zu einem Muster ei- die Isolierstation des zerstörten Temp- und sie auch in der Handtätigkeit bil- nes Erziehungsheimes und einer Hilfs- liner Krankenhauses untergebracht. dend anzuleiten und dessen erzieheri- schule entwickelt. Ich habe bereits Der Saal war durch ein Wehrertüchti- Unterricht 1928 sche Kraft ausreicht, die Knaben ohne früher mehrfach hervorgehoben, gungslager mit 80 Jugendlichen lau- körperliche Züchtigung sittlich zu he- dass der Teil der Knaben, der nach fend belegt. ben, damit der Stock, der jetzt im jahrelangem Aufenthalt in der Anstalt Im November 1945 mietete die staatli- Unterricht eine große Rolle spielt, aus der obersten Klasse entlassen che Schulverwaltung das Gebäude der verschwinden kann... wird, in seinen Leistungen hinter den Heimschule an und übernahm sie Ich weiß mich in dieser Ansicht in Schülern einer Normalklasse kaum in ihre Verantwortung. Der Kirchliche Übereinstimmung mit dem Vorsteher zurücksteht...“. Erziehungsverband der Provinz Bran- der Anstalt, der die geistige und sittli- Schon 1930 werden besondere Kurse denburg drängte darauf, dass die che Hebung der Knaben warmherzig für sprachgestörte Kinder durchge- enge Verbindung zwischen der Heim- zu fördern bemüht ist“ (Bericht führt. Diese finden bereits im neuen erziehung und der Schule sicherge- der Schulaufsicht 1923). Schulgebäude statt, das 1928 einge- stellt und die Tatsache berücksichtigt Schon damals gab es Pädagogen, die weiht worden ist. würde, dass der WALDHOF eine kirchli- erkannten, dass nicht die verhaltens- Aus der Zeit des Nationalsozialismus che Anstalt ist, also auch die Ausrich- auffälligen Schüler das Problem sind, sind nur wenige Dokumente erhalten. tung der Erziehungsarbeit hierdurch sondern wie sie motiviert werden und Aus einer Stellungnahme von 1938 wesentlich mitbestimmt wird. Diese wie mit ihnen umgegangen wird. geht hervor, dass in der WALDHOF- Wünsche fanden sehr wahrscheinlich Scheinbar wurden die Anregungen der SCHULE auch auf die damals moderne wenig Berücksichtigung. Aus einem Schulaufsicht ernst genommen, denn Freilufterziehung Wert gelegt wurde. handschriftlichen Exposé (vermutlich Unterricht 2004 1929 heißt es in einem weiteren Be- Es gab in dieser Zeit außerdem eine vom damaligen Schulleiter Felix Ja- richt: „Die Besichtigung der Wichern- dreiklassige ländliche Berufsschule, cobs) geht hervor, wie die Erziehung, schule - vierklassige Hilfsschule für in der Tischler, Schneider und die nun sozialistische Menschen he- schwachbegabte Knaben - im WALD - Schuhmacher ausgebildet wurden. ranbilden sollte, auszusehen hatte.

17 Lernen

Lässt man aber die ideologischen auch nicht verhindern, dass gegründet wurde. Damit knüpfte der Beigaben weg, sind viele Aspekte zu die Schule auf dem WALDHOF von WALDHOF an die eigene Tradition an. erkennen, die in der heutigen Debatte staatlicher Seite geschlossen wurde. um eine zukunftsorientierte Bildung Nach 1958 lebten immer mehr geistig Mit der in den letzten Jahren begon- neu bedeutsam geworden sind, und mehrfach behinderte Kinder, Ju- nenen Weiterentwicklung zu einer wie z. B. ganzheitliche Bildung vom gendliche und Erwachsene auf dem „Schule für alle“ setzt sich die innova- Kindergarten bis zur Berufsschule, WALDHOF, unter ihnen auch eine grö- tive pädagogische Arbeit fort. Die Ganztagsschule, Orientierung an der ßere Anzahl von chronisch-psychisch Übernahme der Integrations-Kinder- Reformpädagogik, Kern- und Kurs- Kranken. Für sie begann Herr Kotzahn tagesstätte der Stadt Templin ist ein unterricht. Felix Jacobs wurde im No- mit einer Art Berufsschule. So riss die weiterer Schritt in Richtung einer zu- vember 1946 wegen „politischer Unzu- schulische Arbeit nicht völlig ab. kunftsfähigen Bildungs- und Erzie- verlässigkeit“ aus dem Schuldienst Ab 1984 baute Frau Bellin als Sonder- hungsarbeit, in der die Kinder mit entlassen. Der gegen seinen Willen als pädagogin eine schulische Förderung ihren Stärken und Schwächen im Nachfolger eingesetzte Schulleiter, auf. Alle Bewohner, die etwas lesen, Mittelpunkt stehen. Herr Gottsberg, reiste nach einigen schreiben oder rechnen konnten, wur- Dass im Jubiläumsjahr auch wieder Krankheitstagen am 9. Juni 1947 nach den einmal in der Woche beschult, in ein neuer Schulteil gebaut werden Potsdam ab, da die Ausheilung seiner Gruppen von 8 bis 10 Personen. kann, macht Hoffnung. Krankheit voraussichtlich längere Zeit Diese Form der schulischen Förde- Die Schulgeschichte des WALDHOFES in Anspruch nehmen würde. Damit rung, in der immerhin ca. 80 Personen zeigt: Regime, Diktaturen, Ideologien, standen für die 150 Schulkinder des erfasst waren, lief bis in die Wendezeit Gesellschaftssysteme sind gekommen WALDHOFES nur drei Neulehrer, hinein. Es gab am Ende des Jahres ein und gegangen. Dort, wo Menschen eine Lehrkraft für den russischen selbst erfundenes Zertifikat für die er- aus der Liebe Gottes heraus gehandelt, Unterricht und als einzige voll ausge- folgreiche Teilnahme. Nach der Wende unterrichtet und erzogen haben, bildete Lehrperson Frau Gramm zur begannen gleich die Überlegungen hatte diese Arbeit Bestand, entwickelte Verfügung. Damit brach der und Vorarbeiten zur Neugründung sich immer weiter - und wird sich Unterricht fast zusammen. Leider ist einer Förderschule für geistig Behin- weiter entwickeln: aus den Unterlagen nicht zu ersehen, derte. Zum Wohle unserer Kinder und zur wie das Problem gelöst wurde. Man- So war es nur konsequent, dass bereits Ehre Gottes! ches spricht dafür, dass Felix Jacobs 1991 die WALDHOFSCHULE als Förder- wieder als Schulleiter eingesetzt schule für geistig Behinderte unter Wilfried W. Steinert wurde, allerdings konnte er 1957 der Leitung von Frau Bellin neu Schulleiter der WALDHOFSCHULE

18 Frühförderung Kein Schatten-Dasein im Schatten des Kirchturms

Seit 1992 gibt es in Templin unter dem kommen oder die wir zu Hause bzw. Strategie: Die Kinder sind bei uns Dach der Stephanus-Stiftung eine Früh- in der Kindereinrichtung besuchen, sicher vor Tadel und Kritik. Alle ihre förder- und Beratungsstelle. sind stark behindert. Die meisten Bemühungen werden anerkannt. Es Sie kümmert sich um Kinder von der zeigen eher Beeinträchtigungen in soll ihnen Spaß machen, sich auszu- Geburt an bis zu ihrem Schuleintritt. Die ihrer Entwicklung. probieren. Wir suchen gemeinsam Ergotherapeutin Almuth Meth begann Zum Beispiel ? mit ihnen und den Eltern Wege, damit vor elf Jahren im ehemaligen Das können Konzentrationsschwä- Entwicklungsschwierigkeiten nach- Templiner Schwesternheim als "Ein- chen, Mängel in der Wahrnehmung, haltig zu überwinden. Frau-Betrieb". Inzwischen befindet sich der Motorik, der Sprachentwicklung Dürfen Eltern den Förderstunden die Beratungsstelle in der Kantstraße, oder im Sozialverhalten sein. In der beiwohnen ? sozusagen im Schatten des Kirchturms, Regel fallen sie Ärzten, Erzieherinnen, Selbstverständlich. Das wünschen wir führt aber beileibe kein Schattendasein. oft aber auch den Eltern selbst auf. uns sogar sehr, denn wir bieten ja eine Denn Almuth Meth hat jetzt fünf weitere Die dann nötige Frühförderung kann familienorientierte Frühförderung Mitarbeiterinnen. beim Sozialamt beantragt werden und und Beratung an. Ulrike Buchmann fragte sie: ist für die Eltern kostenlos. Die Entwicklungsstörungen können, Ist der Bedarf an einer frühen Förde- Worauf lassen sich diese Entwicklungs- wie Sie sagten, sehr vielfältig sein. rung für Kinder gestiegen ? probleme bei Kindern zurückführen ? Sind Sie fachlich darauf eingestellt ? Wir mussten uns natürlich erst Dafür gibt es ganz unterschiedliche Ich finde, sehr gut. Wir sind ein inter- etablieren, deshalb haben wir klein Ursachen. Mitunter fehlt es an einer ge- disziplinäres Team. In unserer Förder- schläge braucht man auch, damit begonnen. Mit zunehmendem Be- zielten, altersgerechten Beschäftigung. stelle arbeiten eine Logopädin, eine Nachdenken darüber in Gang kommt, kanntheitsgrad stieg der Bedarf an Viele Kinder bewegen sich auch zu we- Erzieherin für sprachauffällige Kinder, was man vielleicht noch besser Frühförderung stetig. Wir betreuen nig, spielen zu selten mit Gleichaltri- zwei Heilpädagogen und eine Ergo- machen könnte. mittlerweile zirka 60 Kinder. gen, sitzen zu oft vor dem Fernseher therapeutin. Außerdem stehen uns ein Welche Art von Hilfe bieten Sie ? oder erhalten einfach nicht genügend Kinderneuropsychiater und Sonder- (Aus: Uckermark Kurier, Dezember 2003; Wir versuchen drohende oder bereits Anregungen, sich mit ihrer Umwelt pädagogen beratend zur Seite. Frau Meth war von 1993 bis 2004 eingetretene Behinderungen bei Kin- aktiv auseinander zu setzen. Auch wir Wie verkraften Sie Rückschläge in Ih- Leiterin der Frühförder- und dern so früh wie möglich zu erkennen können den Kleinen nur möglichst rer Arbeit und gibt es Förderfälle, von Beratungsstelle in Templin) und Behinderungen oder Entwick- vielfältige Angebote machen, ihre denen Sie sagen würden, hier hat sich lungsstörungen durch gezielte För- Entwicklung vollziehen sie selber. die Arbeit besonders gelohnt? dermaßnahmen auszugleichen oder zu Worin besteht Ihr Geheimrezept ? Ich finde, es hat sich jeder Tag gelohnt, mildern. Die wenigsten, die zu uns Das gibt es nicht. Aber eine wichtige den wir bisher hier waren. Und Rück-

19 Arbeiten Von der Arbeitstherapie zur Werkstatt für behinderte Menschen

Nach der politischen Wende wurde im So entschlossen wir uns, einen Werk- Jahre 1990 die STEPHANUS-WERKSTATT statt-Neubau zu errichten. Er wurde TEMPLIN WALDHOF als anerkannte mit 180 Plätzen am 25. Oktober 1996 Werkstatt für behinderte Menschen eingeweiht. gegründet. Beschäftigt waren dort Die Arbeitsbedingungen verbesserten zunächst 118 behinderte Menschen, sich entscheidend. ausschließlich Bewohner des WALD- HOFES. Jetzt begann die Wirtschaftlich- Gegenwärtig lernen und arbeiten in keit ihres Tuns eine entscheidende unserer Werkstatt 239 Menschen mit Rolle zu spielen, auch die pädagogi- ganz unterschiedlichen Behinderun- sche Arbeit mit den behinderten Men- gen. Mittlerweile kommen ca. 50 % schen wurde verbessert. Die in der der behinderten Mitarbeiter aus dem Tabakernte Arbeitstherapie gesammelten Elternhaus bzw. selbstständigen Haus- Erfahrungen konnten gut einfließen. halten und betreuten Wohnformen.

Arbeit prägte auch schon vor der poli- Die STEPHANUS-WERKSTATT wurde im tischen Wende, also zu DDR-Zeiten, Einzugsgebiet des Altkreises Templin den Tagesablauf vieler Heimbewohner. Hauptwerkstatt. Das war eine Etwa 110 von ihnen waren beschäftigt. Festlegung des brandenburgischen Landwirtschaft, Gärtnerei, der Hof, Ministeriums für Arbeit, Soziales, die Küche, der technische Bereich, Gesundheit und Frauen. Damit hatte Schuhmacherei oder Wäscherei boten sie die Verpflichtung, allen Behinder- Betätigungsmöglichkeiten. ten des Einzugsgebietes, die es wollten, Arbeit anzubieten. Im Rahmen der Arbeitstherapie wur- den auch eine kleine Holzwerkstatt, Unsere räumliche Situation wurde eine Korbmacherei und eine Weberei durch das ständige Wachsen der betrieben. Die Wirtschaftlichkeit der Behindertenzahlen aber sehr prekär Industriemontage Arbeitstherapie spielte keine große und entsprach auch nicht den räum- Rolle. lichen Standards. Tischlerei

20 Arbeiten

Sie werden vom Fahrdienst morgens (7.30 Uhr) zur Arbeit gebracht und nachmittags (15.30 Uhr, freitags um 14.30 Uhr) nach Hause gefahren. In folgenden Bereichen bieten wir Arbeit an: Schuhmacherei, Elektromontage, Ka- belkonfektion, Verpackung, Tischlerei, Metallwerkstatt, Näherei, Rohrgeflecht sowie Hauswirtschaft und Kantine. Die Gärtnerei mit der Landschafts- Leider mussten wir die Landwirtschaft motivierte Mitarbeiter. Ihre Arbeit pflegegruppe und die Wäscherei sind als traditionelles Arbeitsgebiet aus wird von Zivildienstleistenden und als Außenstellen unserer Werkstatt wirtschaftlichen Gründen aufgeben. Praktikanten unterstützt. vom Landesarbeitsamt anerkannt. Die Bestellung der eigenen Ackerflä- chen (15 ha) wird durch die Gärtnerei 2002 wurden der Umbau der Wäsche- übernommen. Zurzeit bauen wir Kar- rei, 2003 die bauliche Umgestaltung toffeln an, die in der Werkstatt ge- der Gärtnerei abgeschlossen. In die- schält und vakuumverpackt werden. sem Jahr erhielten wir eine voll klima- Außerdem wachsen bei uns Getreide tisierte Lagerhalle mit einem eigenen und Tabak. Sanitärbereich und Aufenthaltsraum. Der Werkstatt ist ein Förder- und Be- Perspektivisch werden in unserer schäftigungsbereich angegliedert. Dort Werkstatt bis zum Jahr 2010 ca. 300 werden 24 schwerstmehrfach behin- behinderte Menschen Arbeit finden. derte Menschen mit dem Ziel geför- dert und betreut, sie in den Berufsbil- dungsbereich und den Arbeitsbereich Gottfried Kerner der Werkstatt zu integrieren. Leiter der STEPHANUS-WERKSTATT TEMPLIN Sowohl in der Werkstatt für behinder- WALDHOF te Menschen als auch im Förder- und Beschäftigungsbereich arbeiten Metallwerkstatt pädagogisch und fachlich qualifizierte, Blumenzwiebelverpackung

21 Erinnerungen

42 Jahre auf dem WALDHOF

Unter Diakon Eberhard Rau, dem da- Neurologie , der wöchent- Personal- und Geldmangel standen maligen Direktor, begann ich am lich seine Sprechstunden bei uns ab- meist auf der Tagesordnung. Oft 6. Mai 1958 als Bürohilfskraft meine hielt, arbeiteten auf der damaligen wusste man nicht, wovon die damals Arbeit auf dem WALDHOF. Kinderstation, die immer bis auf den sehr niedrigen Gehälter der zirka Der WALDHOF stellte sich gerade von letzten Platz belegt war, eine Leiterin, 45 Mitarbeiter gezahlt werden sollten. der Arbeit mit Schwererziehbaren auf eine Diakonisse und Hilfskräfte. Die Not hat uns zusammengeschweißt die psychiatrische Pflege um. Da Ebenso war es auf den Erwachsenen- und es war trotzdem eine sehr schöne mussten auf Anhieb viele Aufgaben Stationen „Zaunkönig“,„Heimat“ Zeit, an die wir alle gern zurückden- gelöst werden, ohne dass man erst ge- und „Gemütlichkeit“. ken. Wir Mitarbeiter haben zusam- nügend Kenntnisse oder Erfahrungen Dort wurde das Personal aus dem mengehalten wie eine Familie. Festes hätte sammeln können. Sehr viel zu Erziehungsheim übernommen. Vertrauen auf Gottes Geleit half über tun gab es für mich zum Beispiel beim Fachkräfte waren knapp und Dr. Völz viele Nöte und Sorgen hinweg. Führen und Verwalten der Personal- führte die Mitarbeiter in monatlichen In der Zwischenzeit ist viel geschehen. akten von rund 150 Pfleglingen. Ich Schulungen in die psychiatrische So erlebte ich verschiedene Leitungs- nahm stundenlange Diktate in Steno- Arbeit ein. wechsel: grafie auf und brachte sie danach aus- 1958 - 1971 Diakon Eberhard Rau führlich zu Papier. Täglich zu führen In Landwirtschaft, Gärtnerei, Küche, 1971 - 1981 Diakon Gerhard Luckow waren außerdem die Belegungslisten. Schälkeller und Wäscherei wurden 1981 - 1984 Dipl.-Ing. Friedrich Darin wurden Beurlaubungen, Heimbewohner nach ihren Möglich- Schoeneich Krankenhausaufenthalte, Neuzugänge keiten arbeitstherapeutisch betreut. 1984 - 1988 Pfarrer Klaus Steffens und Verlegungen festgehalten. Landwirtschaft und Gärtnerei versorg- ab 1989 Diakon Jobst Reifenstein Die Verwaltung war damals besetzt ten das Heim mit Obst, Gemüse und Zwischenzeitlich wurde der WALDHOF mit der Buchhalterin Erika Klenner Feldfrüchten, ebenso mit Fleisch, denn kommissarisch geleitet durch den und dem Verwaltungsleiter Gerhard ca. alle 14 Tage wurde geschlachtet. Verwaltungsleiter Gerhard Hendrich Hendrich. 1960 wurde Marianne Ben- Wir aus der Verwaltung halfen in und Diakon Waldemar Pflanz. zin (die jetzige Frau Rehse) eingestellt, Krisenzeiten überall dort mit, wo es 1966 kam Marianne Münn dazu. nötig war (beim Füttern auf der Es wurde viel gebaut, bessere Arbeits- Kinderstation, in der Küche beim bedingungen entstanden. Auch in der Unter der guten fachärztlichen Leitung Gemüseputzen, in der Gärtnerei beim Verwaltung zog die Technik ein. von MR Dr. Günther Völz aus dem Be- Spargelstechen oder in der Zuerst gab es ein Diktiergerät, eine zirkskrankenhaus für Psychiatrie und Erdbeerernte). elektrische Schreibmaschine und

22 Erinnerungen

Erste Förderarbeit auf dem WALDHOF während wir früher die Speisepläne Von 1972 bis 1980 war ich im Pflege- auf den Festen immer mehr Bewohner mit 12 Durchschlägen auf der alten dienst des WALDHOFES tätig, zuerst in zu tanzen trauten. Als Feierabend- Schreibmaschine durchhämmerten, der Frauen- und dann auf einer gestaltung bot ich außerdem Malen so tut das jetzt der Kopierer. Das ist Männerstation. Damals gab es außer und Spielen an (z. B. Memory, Würfel- eine große Erleichterung. Und dann der Arbeitstherapie noch keine Förde- spiele, leichte Kartenspiele, sogar gibt es jetzt noch den Computer, der rung und außer gelegentlichen Spazier- Rommee). Dabei erkannte ich, dass es manchmal alles durcheinanderbringt. gängen am Sonntag auch keine Frei- bei zwei jungen Männern, die von Ge- zeitbeschäftigung. Angeregt durch west- burt an in Heimen aufgewachsen wa- liche Fachliteratur wollte ich das ändern ren, noch möglich war, früher Ver- Ich habe in meinen 42 Jahren auf dem und nahm am ersten kirchlichen Lehr- säumtes bis zu einem gewissen Grade WALDHOF viele Mitarbeiterinnen und gang für Musik- und Bewegungsthera- nachzuholen. Ihr Lerneifer und ihre Mitarbeiter kommen und gehen se- pie in Dahme (Mark) teil. gute Beobachtungsgabe halfen dabei. hen. Manche blieben nur für kurze Als „lebenspraktische Förderung“ Zeit und viele haben sich der besonde- Es war damals nicht leicht, Orff-Instru- lernten sie z. B. die Uhr, das Geld, ren Aufgabe gestellt. mente zu beschaffen, aber es gelang. So den Jahreslauf, Templin usw. kennen. Im Diakoniegesetz heißt es: "Diakonie konnte ich zwei Musikgruppen mit Er- Bei Peter Schwebke, der sehr darunter bezeugt Gottes Liebe zu seiner Welt. wachsenen aus der Frauen- und Män- litt, dass er sich nicht verständlich Ilse Kerner im Gespräch mit Peter Schwebke Sie ist in ihrem Zeugnis und ihrem nerstation bilden, die zweimal wöchent- machen konnte, erreichte ich durch Handeln Wesens- und Lebensäuße- lich nach der Arbeit mit Freude musi- gezielte Sprechübungen, dass ihn seine rung der Kirche Jesu Christi." zierten und sangen. Umgebung heute versteht, so dass Möge es immer wieder Mitarbeiterin- dadurch auch seine Verhaltensstörun- nen und Mitarbeiter geben, die nach Jeden Sonnabend Nachmittag war für gen abgebaut worden sind. Heute leis- diesem Grundsatz handeln und somit alle, die es wollten, „Tanzstunde“ (einfa- tet er gute Arbeit in der Schuhmache- die Arbeit des WALDHOFES mitbestim- che Gemeinschaftstänze nach Musik rei und lebt in relativer Selbstständig- men und tragen. vom Tonband). Mein Mann unterstütz- keit im Betreuten Wohnen in Templin. te mich tatkräftig bei der Organisation. Hannelore Kube Er war Leiter der Arbeitstherapie und Ilse Kerner des Pflegedienstes. Gemeinsam gestalte- ten wir auch Feste für die Heimbewoh- ner (z. B. Fasching oder Erntefest). Die „Tanzstunde“ bewirkte, dass sich

23 Porträt „Jetzt bin ich keine Heimbewohnerin mehr“

Seit Mai 1976 lebe ich auf dem für mich alleine. In unserer Wohn- dieses Angebot an. WALDHOF. Es gab Höhen und Tiefen, gruppe lebten vier Heimbewohner. Jetzt bin ich keine Heimbewohnerin die ich nicht vergessen kann. Viele Im „Heinrich-Grüber-Haus“ waren mehr, ich lebe in einer schönen Jahre verbrachte ich in dem damals wir über 30 Bewohnerinnen in einer Zweiraumwohnung. Beim Umzug ha- neu erbauten „Heinrich-Grüber- Gruppe und aßen auch zusammen. ben mich Gill Hussein und Sven Bräu- Haus“. Wir wohnten zu dritt in ning sehr unterstützt. In meiner neuen einem kleinen Zimmer. Fast alle vom Nach der Wende begann ich bei Frau Wohnung muss ich für alle Haus- Frauenhaus gingen einer Arbeit nach. Beyer in der Nähstube zu arbeiten. nebenkosten selbst aufkommen, ich Ich arbeitete in der Telefonzentrale. Mit allen Problemen konnte ich zu ihr werde acht Stunden im Monat Außerdem musste ich in der Hausrei- kommen. Auch die anderen Frauen, ambulant betreut. nigung mithelfen. Unsere Hausmutter die dort arbeiteten, waren hilfsbereit war Schwester Inge Hans. Zwischen und freundlich. So bereitete mir die In meinem Leben hat mir immer ihr und uns Frauen gab es ein gutes Arbeit dort Freude. wieder mein Glaube an Gott sehr Verhältnis. Ihr habe ich es zu ver- geholfen. Ich stehe zu ihm. danken, dass ich im November 1989 Mit dem Bau unserer Werkstatt für ins „Haus Abendrot“ umziehen konn- Behinderte änderte sich die Arbeit für Dagmar Rilling te. Hier war alles auf das Trainings- viele Mitarbeiter und Heimbewohner. wohnen eingerichtet. Anders als im Auch ich arbeite jetzt in der Werkstatt „Heinrich-Grüber-Haus“ mussten wir für Behinderte. Wie von mir ge- uns früh und abends selbst wünscht, konnte ich wieder in einer verpflegen. Dazu ging die Gruppe Nähstube anfangen. Unsere Gruppen- selbstständig einkaufen. An den Wo- leiterin ist Frau Lembcke. Sie ist sehr chenenden führte ein Betreuer mit uns fleißig, stets hilfsbereit und immer in regelmäßigen Abständen mittags gerecht zu uns. ein Kochtraining durch. So selbststän- dig hatten wir im „Heinrich-Grüber- Auch in meinem privaten Umfeld hat Haus“ nicht gelebt. sich vieles verändert. Nun waren wir für unsere Haushalts- Das „Haus Abendrot“ wurde umge- führung verantwortlich, wuschen auch baut. Ich erhielt die Möglichkeit, in ei- unsere Wäsche selbst. Zu meiner Freu- ne betreute Einzelwohnung zu ziehen. de bewohnte ich ein kleines Zimmer Das war im Oktober 2001. Ich nahm

24 Porträt „Ich bin zufrieden und glücklich hier“

Bevor ich zum WALDHOF kam, habe zuständig. Manchmal erledige ich die Das hier ist für mich die einzige ich in einer geschützten Werkstatt in Einkäufe für den täglichen Kantinen- Alternative, einer sinnvollen Tätigkeit der Parisiusstraße in Templin bedarf. Außerdem bestelle ich die nachgehen zu können. gearbeitet. Dort waren wir mit zirka Getränke. Die Essenmeldung für das Ich bin zufrieden und glücklich hier! 10 Beschäftigten in einer 2-Raum- Mittagessen nehme ich entgegen und Plattenbauwohnung untergebracht. stimme sie mit der Küche des Mike Lauschke Nach der Wende sind wir zum WALDHOFES ab. (Aufgeschrieben von Evelyn Steinhöfel, WALDHOF gekommen und dort in die Seit September 1999 bin ich in der Begleitender Dienst in der alte Werkstatt gezogen. Ich habe in der Werkstattvertretung, im Oktober 1999 STEPHANUS-WERKSTATT TEMPLIN WALDHOF) Kantine gearbeitet. 1996 konnten wir wurde ich zu ihrem Vorsitzenden alle in die neu gebaute Werkstatt um- gewählt. Wir treffen uns regelmäßig. ziehen. Hier ist es überall viel heller, Gemeinsam mit Herrn Lawin als Ver- freundlicher und größer. Außerdem ist trauensperson der Werkstatt sprechen alles praktischer für mich mit meiner wir über Probleme der Werkstatt und körperlichen Behinderung. Ich muss ihrer Beschäftigten. Die Beschäftigten nicht ständig Treppen steigen, auf kei- wissen, dass es uns gibt und wenden ne Schwellen achten und kann mich sich mit ihren Sorgen an mich. viel unabhängiger bewegen. Ich komme gern her. Zu Hause weiß Es ist auch einfacher, zu Beschäftigten ich manchmal gar nicht, was ich mit aus anderen Arbeitsgruppen Kontakte meiner Zeit anfangen soll. Hier weiß zu knüpfen. Wir können uns in den ich, dass ich gebraucht werde, dass Pausen treffen und miteinander meine Arbeit wichtig und sinnvoll ist. schwatzen oder Späße machen. Man Ich habe hier meinen Bekanntenkreis, hat sich viel besser kennen gelernt. in dem ich mich wohl fühle. Ich arbeite auch jetzt in der Kantine Auch die Kontakte zu den Gruppenlei- und teilweise in der Zentrale am tern möchte ich nicht missen. Telefon. Ich bin hauptsächlich für die Eine Zukunft ohne die Behinderten- Kassierung des Frühstücksgeldes ver- Werkstatt ist für mich nicht vorstell- antwortlich. Mittags betreiben wir ei- bar. Wegen meiner körperlichen nen Getränke- und Dessertverkauf. Behinderung könnte ich auf dem Da bin ich auch für die Kassierung freien Arbeitsmarkt nicht bestehen.

25 Sport Wettkämpfe sind das Salz in der Suppe

Sport wurde auf dem WALDHOF schon res Erlebnis war das Bundesfrauen- Unseren Lauf stellten wir beim ersten immer groß geschrieben, vor allem die sportfest 1995 in Templin. ökumenischen Kirchentag 2003 in Leichtathletik. Unsere Fußballmannschaft hat sich Berlin vor und erhielten viel Aufmerk- Das erste Sportfest aller diakonischen weiter entwickelt und nimmt seit 1993 samkeit und Anerkennung. Einrichtungen der ehemaligen DDR an Turnieren der Werkstatt für Das regelmäßige Üben und Trainieren fand in Neinstedt statt. Ein regelmäßi- behinderte Menschen teil. Bei den ist für unsere Sportlerinnen und ges Training in der Woche zahlte sich brandenburgischen Meisterschaften Sportler ganz wichtig, die Wettkämpfe aus und Sportlerinnen wie Irena Peter des letzten Jahres konnte unsere sind hierbei das Salz in der Suppe. und Silvia Ehrlich kamen mit Urkun- Mannschaft den 3. Platz belegen. Mit unserem Sport wollen wir nicht den und Medaillen nach Hause. Auch international nehmen wir regel- nur Sieger erziehen. Es stehen der Sportfeste in Löbau, Eisenach und mäßig an sportlichen Vergleichen in Spaß, die Fairness und die Freude an Berlin folgten in den 80er Jahren. Polen, Österreich, Ungarn und der Bewegung im Vordergrund. Tschechien teil. Aus dem ersten Wett- Mit der Wende wurde die Sporttradi- kampf in Gryfino entwickelte sich ein Klaus Delander tion auf dem WALDHOF fortgesetzt. intensiver Sport-Austausch. Lehrer in der WALDHOFSCHULE Bei unserem ersten Bundesstart im Wir waren auch selbst schon mehrfach Fußball in Münster mussten wir noch Ausrichter internationaler Vergleiche. Lehrgeld zahlen. Dieses Turnier wurde Doch etwas ganz Besonderes gelang 1992 von Special Olympics Deutsch- Behinderten-Sportlern aus Polen, land organisiert und war für uns eine Österreich, Tschechien und Deutsch- erste große Erfahrung. Wir waren land im Jahr 1999. Sechs Leichtathle- dabei nicht so erfolgreich wie erhofft. ten vom WALDHOF nahmen am ersten Aber schon 1993 in Essen war die internationalen Staffellauf für Behin- Welt wieder in Ordnung. Bei den derte von Wien nach Templin teil. Schwimmwettkämpfen des gleichen Dies war ein tolles Erlebnis und der Organisators holten Irena, Bärbel, Anfang einer großartigen Idee. Der Ingo, Mario und Horst Gold-, Silber- letzte Lauf dieser Art führte 2003 von und Bronzemedaillen. Rom nach Marathon. Es waren 1000 Wir nahmen auch an vielen sport- Kilometer, die bei großer Hitze und lichen Höhepunkten in Brandenburg steilen Bergen den Läufern und Läufe- und der Uckermark teil. Ein besonde- rinnen alles abverlangten. Beschäftigung Die Schöpferkräfte fließen lassen

Seit 1998 biete ich Mal- und Zeichen- heit beeindruckt. Allerdings muss ich stimmige Werke hervor, die durch ihre kurse auf dem WALDHOF an. dafür mein eigenes Bedürfnis nach natürliche Einfachheit berühren. Die Mitteilung durch Sprache fällt Abwechslung, Vielfalt, nach „Neuem“ Die Freude darüber ist eine große vielen Teilnehmern sehr schwer. und Entwicklung zurückstellen gemeinsame Freude. Dadurch gewinnen andere Formen zugunsten von geduldiger Akzeptanz der Begegnung und des Ausdrucks und offener Wahrnehmung. Denn die Elisabeth Hein mehr an Bedeutung. Wiederholung im Werk ist einerseits Beschäftigungstherapeutin, Es geht in meinen Kursen also darum, ein wichtiger Aspekt künstlerischen Kunst-und Kulturpädagogin dem elementaren menschlichen Be- Schaffens, andererseits befindet sich dürfnis nach Kommunikation und jemand im Wiederholen auch auf dem Ausdruck ein Medium zur Verfügung Weg: Kraft wird aufgebaut und Erfah- zu stellen, damit die Kräfte der Teil- rung angesammelt, bis ein neuer nehmer ins Fließen kommen können. Schritt getan werden kann. Dies kann Es geht nicht in erster Linie um lange Zeit in Anspruch nehmen, wenn Kunstfertigkeit oder die Nachvollzieh- es um echte Wachstumsprozesse geht. barkeit der Ergebnisse. Im Mittelpunkt Natürlich geschehen auch Verände- steht, was die Menschen, die zu mir rungen und Entwicklungen, aber es kommen, über Malerei und Zeich- erfordert große Einfühlung und viel nung zum Ausdruck bringen. Zurückhaltung, um Impulse und Die Frauen und Männer haben freie Anregungen, die ich gebe, nicht Wahl der Arbeitsmittel und Themen. überzustülpen, sondern erst dann zu Dabei zeigt sich immer wieder, dass geben, wenn der betreffende Mensch die spezielle Lebenslage der Menschen reif, bereit und offen ist dafür. auch ihren eigenen Ausdruck findet, Es gehört zu den schönsten Momen- wenn ihr ein möglichst wertungsfreier ten, wenn solche Impulse und Ent- Raum geboten wird. wicklungsschritte - und das geschieht So können Vertrauen in die eigenen dann meist plötzlich und unerwartet - kreativen Kräfte und Hingabe ins von den Teilnehmerinnen und schöpferische Tun entstehen. Teilnehmern selbst kommen. Immer wieder gibt es Überraschendes, Die kreative Kraft, die ins Fließen das nicht zuletzt durch seine Einfach- kommt, bringt oftmals wunderbar

27 Beschäftigung In der Keramik-Werkstatt

Der Werkstoff Ton ist besonders leicht und die Weiterbildung für Lehrer und zu formen. Er ist weich, lässt sich ohne Erzieher zur Verfügung. große Krafteinwirkung ziehen, rollen, Schüler nutzen die Gelegenheit ihr eindrücken, aufsetzen und bemalen. Praktikum mit Behinderten Für Menschen mit körperlich und zu absolvieren. geistiger Behinderung ist Ton ein In erster Linie dient die Werkstatt ideales Material zum Arbeiten. aber dazu, Menschen mit geistiger oder Mehrfachbehinderung zu fördern Die Bewohnerinnen und Bewohner und vorhandene Fähigkeiten kommen gerne in die Keramikwerk- zu erhalten. statt. Hier stellen sie mit viel Eifer, Ausdauer und nach ihrer Vorstellung Rosemarie Langlott schöne Gegenstände her. Beschäftigungstherapeutin, Keramikerin Stolz sind sie, wenn ihre Figuren, Gefäße und Bilder von Besuchern bewundert werden. Ihr Selbstwertgefühl, die Feinmotorik, Kreativität und Vorstellungskraft werden angeregt und vertieft. Die 26 Frauen und Männer fertigen mit und ohne Hilfe Reliefs, Skulpturen, Wandbilder nach ihren Fähigkeiten an. Eine selbstgebaute Tasse mit Namen, vielleicht noch ein passender Eierbecher oder lustige Fi- sche sind beliebte Dinge, die sie gern mit viel Eifer herstellen.

Darüber hinaus steht die Keramik- werkstatt für Schülerzirkel, Seniorengruppen, Volkshochschule

28 Musik Überall von Musik umgeben

„Musik steckt in der Klingel Das Trainieren dieser Fähigkeiten mit Einige der schwerstmehrfachbehinder- Zusätzlich tragen die durch das An- und in dem Sturmgebraus, musikalischen Mitteln ist meist wich- ten Bewohner bekommen Klangmas- schlagen der Schalen entstehenden im Rauschen vieler Bäume tiger als das Erlernen und sage. Sie wird mit großen Metall- Klänge zum Wohlbefinden bei. und auch im Vogelhaus. Nachspielen rhythmischer Tonfolgen. schalen, die auf den Körper gestellt So findet hoffentlich jeder Bewohner, Musik steckt in dem Auto Wer dies kann, wird auch in die Arbeit werden, ausgeführt. Die durch An- der Freude an Musik hat, das für und auch in dem Klavier. einbezogen. schlagen der Schalen erzeugten ihn passende Angebot. Sie steckt in Kuckucks-Uhren So gibt es eine kleine Gruppe sanges- Schwingungen breiten sich im Körper und auch in dir und mir.“ freudiger Bewohnerinnen und Bewoh- aus. Sie führen einerseits durch ver- Christiane Wesener ner, die ihren Gesang auf Orff-Instru- besserte Durchblutung zu besserer Musiktherapeutin menten begleiten und mit diesen Organtätigkeit und andererseits durch Dieser Vers beschreibt sehr treffend, Liedern die monatlichen Gottesdienste Lockerung der Muskeln zur Entspan- dass wir täglich überall von Musik und manches Fest bereichern. Für nung. umgeben sind - Musik im weitesten die Gottesdienste auf dem WALDHOF Sinne. haben wir einen eigenen Organisten, Wir nennen das oben Beschriebene der sich darum bemüht, durch meist nur Geräusch oder sogar Lärm. wöchentlichen Unterricht und regel- In der musikalischen Förderarbeit mäßiges Üben sein Können zu spielen alle Umweltgeräusche eine erhalten. Rolle. Mit Orff- und Percussions- Instrumenten verschiedener Kulturen Musik sollte - wo immer es möglich werden Geschichten und Lieder zum ist - mit Bewegung verbunden werden, Leben erweckt. Jeder kann entspre- denn sie ist weniger eine Sache chend seinen Fähigkeiten und Fertig- des Verstandes als vielmehr der Emp- keiten mitspielen. Dabei werden findungen und des Ausdrucks. Eine Fantasie und Vorstellungsvermögen große Anzahl von Bewohnerinnen gefördert. Fähigkeiten, wie sich zu und Bewohnern trifft sich wöchentlich konzentrieren, abzuwarten, zuzuhö- zum Tanzen geselliger Tänze. Auch ren, sich einzuordnen oder auch in wenn dabei längst nicht immer der den Mittelpunkt zu stellen, werden richtige Fuß im richtigen Takt bewegt geübt. Das Instrumentalspiel schult wird, sind alle mit großer Freude und motorische Fertigkeiten. Ausdauer dabei.

29 Physiotherapie Die Physiotherapie

In unserer Einrichtung leben und gungsmuster zu ermöglichen und ihm Behandlungen. Der Rest sollte mit arbeiten Menschen mit unterschied- die Chance zu geben, sie senso-moto- Arztrezepten von den Privatpraxen lichen Behinderungen. risch zu lernen. abgedeckt werden. Doch es gab nur Insbesondere die Körperbehinderun- Auch psychisch Kranke benötigen ab wenige Rezepte. Da der Bedarf an gen bedürfen der regelmäßigen und zu eine Behandlung. Oft sind da- notwendigen Behandlungen immer Physiotherapie. Bei ihnen spielen die für viel Zeit und ein gutes Einfüh- noch zu hoch war, kaufte die Einrich- Vermeidung von Kontraktionen lungsvermögen notwendig, aber auch tung diese von den Privatpraxen ein. (anhaltende Bewegungseinschränkun- Durchsetzungsvermögen. Man musste aber bald einsehen, dass gen z. B. durch Inaktivität, Schmerzen, es gut wäre, wieder stundenweise eine Lähmungen, degenerative Verände- Bis 1991 gab es auf dem WALDHOF Therapeutin einzustellen. Seitdem rungen) und die Dekubitusprophylaxe zwei Physiotherapeutinnen. Kranken- eine neue Kollegin da ist, kann zum (Druckgeschwür, Wundliegen) eine gymnastische Einzeltherapien, Massa- Beispiel die beliebte Reittherapie große Rolle. Ein Beispiel: Bei einem an gen, Ultraschall, Unterwasserbehand- wieder in größerem Umfang erfolgen. Armen und Beinen Gelähmten werden lungen wurden durchgeführt. alle Gelenke in allen Bewegungsrich- Außerdem boten sie Gruppensport an. Beate Hetzer tungen durchbewegt und bestehende Die meisten Bewohner nahmen gern Physiotherapeutin Funktionen ständig geübt, um sie zu daran teil. Mit der Übernahme eines erhalten bzw. zu verbessern. Normale Kinder- und Jugendheims, der Grün- Bewegungsabläufe müssen erarbeitet dung der Förderschule für geistig Be- werden, z. B. wie kommt man vom hinderte und dem Neubau der Werk- Liegen in den Sitz, zum Stand statt für behinderte Menschen stieg und zurück. die Anzahl der zu behandelnden Pa- tienten. Es therapierten bald darauf Im Team sind der Lagerungswechsel drei Kolleginnen. für die Mittags- und Nachtruhe sowie Im Jahre 1997 jedoch wurde die die eventuelle Hilfsmittelversorgung Physiotherapie aus betrieblichen zu besprechen. Ziel aller physiothera- Gründen (unklare Finanzierungslage) peutischen Maßnahmen ist es, die ab- drastisch gekürzt. Zwei Physiothera- norme Steuerung des Muskeltonus peutinnen mit sechs Stunden bzw. und der Koordination zu beeinflussen, vier Stunden täglich übernahmen dem Patienten Haltungs- und Bewe- nur noch die allernotwendigsten

30 Reittherapie Auf dem Rücken von Charlie

Ein sieben Jahre alter Haflinger ist der gewichtsorgan des Reiters stimuliert, Liebling vieler WALDHOF-Bewohner, sein Raumlagebewusstsein verbessert. Beschäftigten der Behindertenwerk- Und wer Charlie dirigieren will, statt und Schüler. Der gutmütige muss die eigenen Muskeln und Gelen- Charlie trägt jeden, der es gern hat, ke einsetzen. Das fördert die Tiefen- über den Reitplatz. Und die meisten sensibilität. Wenn der Reiter erst ein- wissen gar nicht so genau, was ihnen mal gelernt hat, sich selbst und dem dabei alles Gutes widerfährt. Pferd zu vertrauen, verliert er mehr Oder haben Sie schon gehört, dass und mehr auch seine Bewegungsangst. vom Rücken eines im Schritt laufen- Das ist wichtig, denn es kann eine Stei- den Pferdes zirka 110 mehrdimensio- gerung der Lernfähigkeit und den Auf- nale Schwingungsimpulse pro Minute bau von Selbstwertgefühl bedeuten. auf den Körper des Reiters übertragen Keine andere Therapie hat die Mög- werden? Therapeuten wissen: lichkeit, in dieser Form auf Motorik, Diese Impulse bewirken ein gezieltes Physis und auf individuelle geistige Training der Haltungs-, Gleichge- Leistungen gleichzeitig zu wirken. wichts- und Stützreaktionen sowie eine Regulierung des Muskeltonus. Andrea Thies Physiotherapeutin und Pferdewirtin Wer auf Charlie sitzt, bekommt gleich noch etliche wichtige Sinneseindrücke mitgeliefert. Er kann zum Beispiel hören, wie die Hufe des Haflingers klappern, wie er atmet, schnaubt und wiehert. Natürlich hat so ein Pferd auch einen besonderen Geruch. So gut wie alles an seinem warmen, weichen Körper eignet sich zum Ertasten und Erfühlen. Außerdem bewegt es sich rhythmisch, wechselt zuweilen Tempo oder Richtung. Da wird das Gleich-

31 Ergotherapie Große Nachfrage nach Ergotherapie

Uwe* möchte sich den ganzen Tag Zu meinen weiteren Therapie-Inhal- halten, und dann habe ich endlich bewegen und schwere Gegenstände ten zählen das Selbsthilfetraining, Feierabend. Während ich die 35 Kilo- durch den Gruppenraum schieben. verschiedene Entspannungsmöglich- meter bis zu meinem Zuhause fahre, Er kann nicht sprechen. Also macht keiten und der Umgang mit Pappe, denke ich oft noch einmal über den er seinen Gefühlen durch lautes Rufen Farbe, Holz und anderen Materialien. vergangenen Tag nach. Was habe ich und Schreien Luft. An Selbstständig- Bei Spaziergängen oder beim Besuch heute erreichen können? Kleine Ver- keit mangelt es ihm in jeglicher Form. des Streichelzoos können Erfahrungen besserungen, aber auch einige Rück- Seine Betreuer müssen alle anfallen- mit der Umwelt gesammelt werden. schläge waren dabei. Und doch hat den Tätigkeiten für ihn übernehmen, Aber auch Bewohner, die ihren sich die Mühe gelohnt. Denn jede nur das Essen an sich klappt gut. Lebensabend in den Heimen verbrin- Minute, die diesen behinderten Men- Josef* schlägt sich immer wieder gen, freuen sich über eine Abwechs- schen gewidmet wird, bereichert ihr gegen den Kopf. Damit keine bluten- lung. Basteln, Denkübungen, Spiele Leben. den Wunden entstehen, trägt er eine und Bewegung gehören zu ihren be- Schutzkappe. Und Lisa* zieht sich oft vorzugten Aktivitäten in diesen Catrin Frensel vom Gruppenleben zurück. Jede Ver- Therapie-Stunden. Ergotherapeutin änderung in ihrem Alltag macht sie Wer nun denkt, damit wäre der Ar- (*Namen geändert) unsicher und ängstlich. beitsalltag einer Ergotherapeutin aus- Ob verhaltensauffällig, angespannt, geschöpft, der irrt. In den Nachmit- körperlich und geistig behindert - tagsstunden findet sich nämlich so alle diese Menschen bedürfen einer mancher Bewohner des WALDHOFES fachlich begründeten Therapie. bei mir ein, der im Schul- oder Ar- Ein wenig Hilfe bekommen sie bei mir beitsprozess steht. Bei ihnen geht es in der Ergotherapie. meist um den Abbau von Spannun- Dort wird ihnen durch Reizsetzung gen, die Verbesserung von Reizverar- auf den Körper, Muskellockerung bei beitungsstörungen oder die Verminde- Spastik, Bewegungstraining und rung von Verhaltensauffälligkeiten. Beschäftigung mit verschiedenen Außerdem werden Bedürfnisse nach Materialien ein Stück mehr zusätzlicher kreativer Arbeit gestillt. Unterstützung gegeben. So fällt es ihnen leichter, ihren Lebensalltag Nun noch schnell einige Dokumenta- zu bewältigen. tionen zum Therapiegeschehen fest-

32 Kirche

WALDHOF und Kirchengemeinde

Was hat Diakonie mit Kirche zu tun? des WALDHOFES zurückgegriffen Natürlich heißt die Standardantwort: werden musste, dann gab es nie ein „Das Diakonische Werk mit seinen Problem. Einrichtungen ist die organisierte Liebestätigkeit der Evangelischen Zu den Höhepunkten des Mitein- Kirche.“ Ist die Frage aber sarkastisch anders gehörten die beiden Uckermär- gemeint, so stecken Erfahrungen mit kischen Kirchentage in den Jahren Kommunikationsstörungen zwischen 1994 und 2000. Ganz selbstverständ- Kirchengemeinden und am Ort be- lich wurden sie mit dem traditionellen findlichen diakonischen Einrichtun- Jahresfest des WALDHOFES zusammen- gen dahinter. Schön, dass es für diese gelegt. Dadurch waren hohe Teil- Art von schwarzem Humor in Temp- nehmerzahlen und inhaltliche Qualität lin keinen Anlass gibt. von vornherein garantiert. Kaum hatte ich im Herbst 1989 Einmal im Monat hatte ich einen meinen Dienst als Templiner Gemein- Nachmittagsgottesdienst auf dem depfarrer angetreten, da kam auch WALDHOF zu gestalten. Fast alle Teil- Superintendent Uwe Simon und Schulleiter Wilfried W. Steinert unterzeichnen schon vom WALDHOF die Einladung: nehmer sind geistig behindert. Da den Kooperationsvertrag zum Integrationskindergarten am 25. Januar 2004. „Besuchen Sie uns. Wir möchten Ih- muss es anders zugehen als vormittags nen gern alles zeigen.“ Die verabredete in unserer Kirche. Nach und nach ha- Führung fiel den Aktivitäten der Wen- be ich es gelernt und konnte mich an Manchmal kommt mir der Gedanke: Kirche zu tun hat, ist die Antwort dezeit zum Opfer. Aber auch ohne sie der aufgeschlossenen Gemeinschaft „Der WALDHOF ist so etwas wie das bei uns eindeutig: Die diakonische Ein- wurde mir schon sehr bald klar, wie freuen. An den übrigen Sonntagen Rückgrat der Kirchengemeinde.“ richtung ist Bestandteil der Kirchenge- stark die evangelischen Mitarbeiterin- kommt eine Gruppe von WALDHOF- Dass der derzeitige Leiter zugleich meinde und erinnert so die übrigen nen und Mitarbeiter des WALDHOFES Bewohnern unter der Leitung eines Vorsitzender der Kreissynode ist und Gemeindeglieder daran, dass diakoni- das Leben der Kirchengemeinde Mitarbeiters zum Gemeindegottes- dass der große Saal für ihre Tagungen sches Handeln auch ihre Sache ist. mitgestalten. Ich begegnete ihnen fast dienst. Schön ist es, wenn sie beim sowie für Ältestenrüsten jederzeit kos- überall, im Kindergottesdienstteam, in Verabschieden fragen: „Wann kommst tenlos zur Verfügung steht, rundet das Martin Schultz-Ehrenburg der Lektorengruppe, im Chor und im du wieder zu uns?“ Die einst angekün- Bild noch weiter ab. Superintendent i. R. Gemeindekirchenrat. digte Führung brauchte nicht nachge- Und wenn bei größeren Veranstaltun- holt zu werden. Beim gemeinsamen Sicher ist noch manches ausbaufähig. gen auf die technischen Möglichkeiten Tun haben wir uns kennen gelernt. Aber auf die Frage, was Diakonie mit

33 Zukunft

Zukunft des WALDHOFES

Das Gründungswort des WALDHOFES Fachkräfteanteil in der Mitarbeiter- wo in Zukunft sicher noch der eine wirkt wie ein roter Faden durch die schaft mit Zustimmung der Kostenträ- oder andere dazukommen könnte. ganze Geschichte: ger auf deutlich über 50 % steigern Wir haben die Zuversicht, dass die „Wer des Bedürftigen spottet, der läs- zu können. Durch Schicht- und Teil- ganze Arbeit weiter unter dem Segen tert dessen Schöpfer.“ Jeder Mensch ist zeitdienste sowie den Dienst in den Gottes stehen wird und wir so äußer- ein von Gott angenommenes und "ausgedünnten" Betreuungsgruppen lich und innerlich eine diakonische gewolltes Geschöpf mit dem Recht ist das notwendig, damit eine stetig Gemeinschaft sind, die positiv in die auf ein Leben in Würde und Unver- fachgerechte Betreuung gewährleistet Stadt Templin und in das Umland sehrtheit. In allem Wandel, den es in werden kann. Mit noch weniger Mit- hineinwirken wird. der Zukunft genauso geben wird wie teln als jetzt ist nicht das zu leisten, es ihn in der Geschichte gab, muss was nötig ist. Die Qualitätsansprüche So vertrauen wir darauf, dass mit dieses Grundanliegen erhalten bleiben. sind von der Heimaufsicht mit Recht Dank, Hoffnung und viel Engagement hoch angesetzt und wir selber stellen auch das 175-jährige Jubiläum im Das Wohl und die weitest gehende auch an uns hohe Ansprüche. Jahre 2029 erreicht und gefeiert Befähigung der Bewohnerinnen und werden kann. Bewohner zu einem möglichst selbst- Um die Zukunft des WALDHOFES muss bestimmten Leben in der Gesellschaft uns aber nicht bange sein. Wir haben Diakon Jobst Reifenstein bleibt deshalb unser Ziel. eine Mitarbeiterschaft mit viel Enga- Leiter des WALDHOFES Äußere Bedingungen werden sich gement und hoher fachlicher Kompe- weiterhin verändern - das ist jetzt tenz. Wir haben äußere Bedingungen, noch dringend nötig, z. B. die Rekon- die sich in den letzten Jahren sehr struktion der „Gustav-Zietlow- verbessert haben und in absehbarer Häuser“. Verbesserungen der Thera- Zeit durchgehend auf hohem Niveau pie- und Freizeitangebote, eine noch sein werden. Auf unserem Gelände weitergehende Ausdifferenzierung des können sich Menschen mit und ohne Wohnangebotes werden in der Behinderung jederzeit begegnen. Sie Zukunft zu planen und zu realisieren leben miteinander wie in einer sein. kleinen Dorfanlage. Die künftige Entwicklung in der Genauso integrierend wirkt das Woh- personellen Ausstattung ist mit Span- nen an den drei Standorten, die wir nung zu verfolgen. Wir hoffen, den bisher in der Stadt Templin haben und

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